Alexander Bode Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung
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Alexander Bode Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung
GABLER RESEARCH mir-Edition Herausgeber / Editors: Prof. Dr. Andreas Al-Laham Technische Universität Kaiserslautern, Prof. Dr. Johann Engelhard Universität Bamberg, Prof. Dr. Michael Kutschker Universität Eichstätt, Ingolstadt, Prof. Dr. Profs. h.c. Dr. h.c. Klaus Macharzina Universität Hohenheim, Stuttgart, Prof. Dr. Michael-Jörg Oesterle Universität Bremen, Prof. Dr. Stefan Schmid ESCP-EAP Europäische Wirtschaftshochschule Berlin, Prof. Dr. Martin K. Welge Universität Dortmund, Prof. Dr. Joachim Wolf Universität Kiel
In der mir-Edition werden wichtige Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung sowie Werke erfahrener Praktiker auf dem Gebiet des internationalen Managements veröffentlicht. The series mir-Edition includes excellent academic contributions and experiential works of distinguished international managers.
Alexander Bode
Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung Eine empirische Untersuchung deutscher Unternehmen in China Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.
Alexander Bode war als Wirtschaftsingenieur drei Jahre an der Tongji-Universität in Shanghai (VR China) tätig. Er promovierte im Fachgebiet Unternehmensführung & Logistik der Technischen Universität Darmstadt und ist seitdem dort Leiter der HESSENMETALL Cluster-Initiative für den Lehrstuhl Cluster & Wertschöpfungsmanagement. Dissertation Technische Universität Darmstadt, 2009 D17 Abonnenten von mir – Management International Review erhalten auf die in der mir-Edition veröffentlichten Bücher 10% Rabatt. Subscribers to mir – Management International Review are entitled to a 10 % price reduction on books published in mir-Edition.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske | Jutta Hinrichsen Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2085-0
Vorwort der Herausgeber Für viele Unternehmen ist es heutzutage unerlässlich, sich auf ausländischen Märkten zu betätigen. Ein erfolgreiches Management der Internationalisierung stellt Unternehmen allerdings immer wieder vor neue Herausforderungen. Die Herausgeber beabsichtigen mit der Schriftenreihe mir-Edition, die vielfältigen und komplexen Managementanforderungen der internationalen Unternehmenstätigkeit wissenschaftlich zu begleiten. Die mir-Edition soll zum einen der empirischen Feststellung und der theoretischen Verarbeitung der in der Praxis des Internationalen Managements beobachtbaren Phänomene dienen. Zum anderen sollen die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse in Form von systematisiertem Wissen, von Erklärungen und Denkanstößen sowie von Handlungsempfehlungen verfügbar gemacht werden. Diesem angewandten Wissenschaftsverständnis fühlt sich seit nunmehr 50 Jahren auch die in über 40 Ländern gelesene internationale Fachzeitschrift mir – Management International Review – verpflichtet. Während in der Zeitschrift allerdings nur kurzgefasste englischsprachige Aufsätze publiziert werden, soll der breitere Raum der vorliegendenden Schriftenreihe den Autoren und Lesern die Möglichkeit zur umfänglichen und vertieften Auseinandersetzung mit dem jeweils behandelten Problem des Internationalen Managements eröffnen. Der Herausgeberkreis der mir-Edition wurde 2008 um weitere renommierte Fachvertreter des Internationalen Managements erweitert. Geblieben ist jedoch die Herausgeberpolitik für die mir-Edition, in der Schriftenreihe innovative und dem Erkenntnisfortschritt dienende Beiträge einer kritischen Öffentlichkeit vorzustellen. Neben Forschungsergebnissen, insbesondere des wissenschaftlichen Nachwuchses, können auch einschlägige Werke von Praktikern mit profundem Erfahrungswissen im Internationalen Management einbezogen werden. Wissenschaftliche Sammelbände, etwa zu Tagungen aus dem Bereich des Internationalen Managements, sind ebenso sehr gerne in der Reihe willkommen. Die Herausgeber laden zu Veröffentlichungen sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache ausdrücklich ein. Das Auswahlverfahren sieht vor, dass die Herausgeber gemeinsam über die Veröffentlichung eines für die Reihe eingereichten Werkes entscheiden. Wir freuen uns auf Ihre Manuskripte und hoffen, mit dieser seit langer Zeit renommierten Schriftenreihe die wissenschaftliche Diskussion und die praktische Lösung von Problemen des Internationalen Managements weiter zu stimulieren.
Andreas Al-Laham, Johann Engelhard, Michael Kutschker, Klaus Macharzina, Michael-Jörg Oesterle, Stefan Schmid, Martin K. Welge, Joachim Wolf
Preface Nowadays, it is essential for a multitude of companies to engage in foreign markets. However, the successful management of internationalization processes constantly poses new challenges. By publishing the book series “mir-Edition”, the editors attempt to provide academic guidance on the manifold and complex requirements of international business activities. The book series’ purpose hence is twofold. Firstly, the “mir-Edition” is to provide empirical assessment and theoretical elaboration on the phenomena which can be observed in international management practice. Secondly, the findings obtained are to be made available in the form of systematised knowledge, explanations, thought-provoking impulses as well as recommendations for further courses of action. For the past 50 years, the international journal “mir – Management International Review”, which is read in more than 40 countries, has seen itself committed to promoting an understanding of international management as an applied academic discipline. As of now, the journal only publishes articles in English. The wider range of the existing book series ought to give authors and readers the opportunity to deal with the various problems of international management in a comprehensive and thorough manner. The editorial board of the “mirEdition” was extended in 2008 through the addition of renowned experts from the domain of international management. Yet, the established editors’ policy for the “mir-Edition” of presenting innovative work to a critical audience, which support the scientific advancement, has remained unchanged. Besides the academic contributions of young scholars, the editors also welcome the relevant works of practitioners, who possess a profound knowledge in the area of international management. Furthermore, edited volumes, collecting for instance presentations held at conferences in the field of international management, are invited for publication. The editors explicitly welcome books both in the English and the German language. The selection process stipulates that the editors jointly decide on the publication of any book manuscript submitted for the series. As editors of this well established and renowned book series, we are looking forward to receiving your manuscripts and we hope to further stimulate the academic discussion and to provide applied solutions for the challenges in the area of international management.
Andreas Al-Laham, Johann Engelhard, Michael Kutschker, Klaus Macharzina, Michael-Jörg Oesterle, Stefan Schmid, Martin K. Welge, Joachim Wolf
Geleitwort Die Internationalisierung von Unternehmen wird trotz der aktuellen Wirtschaftskrise weiter zunehmen. Künftig werden sich die Unternehmen im globalen Wettbewerb noch stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren müssen, um dadurch weltweit Wettbewerbsvorteile zu nutzen. Wissenschaftliche Untersuchungen in der internationalen Unternehmensführung fokussieren bislang allerdings vor allem auf Markteintrittsentscheidungen und die Frage, wie ein Unternehmen bestimmte internationale Aktivitäten am besten durchführen kann. Aus Sicht des strategischen Managements eines Unternehmens gilt das Interesse aber darüber hinaus der Frage, in welcher Art und in welchem Umfang sie sich in unterschiedlichen Märkten überhaupt engagieren sollten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, bzw. zu verteidigen. Dazu ist ein Blick sowohl auf die eigentlichen Kompetenzen der Unternehmen, als auch auf die landesspezifischen Bedingungen notwendig. In der vorliegenden Arbeit untersucht Alexander Bode die internationale Unternehmenstätigkeit genau aus dieser Perspektive. Er greift die Forderung nach einer Verknüpfung der beiden theoretischen Ansätze Resource-based View und Market-based View auf und setzt sie konsequent im internationalen Kontext um. Dadurch gelingt es ihm, die internationale Unternehmenstätigkeit umfassend aus Sicht der Unternehmensführung zu erklären. Als Kernkompetenz identifiziert er dabei das Wertschöpfungsmanagement, was es den Unternehmen ermöglicht, ihre Wertaktivitäten in den einzelnen Ländern zu koordinieren und in den weltweiten Unternehmensverbund zu integrieren, um international erfolgreich zu sein. In der quantitativen empirischen Untersuchung mit deutschen Unternehmen in China kann er sein theoretisches Erklärungsmodell und die damit verknüpften Aussagen statistisch analysieren. Bemerkenswert sind die umfassenden empirischen Erkenntnisse, die Alexander Bode über die Aktivitäten deutscher Unternehmen herausarbeiten konnte. Dabei flossen seine eigenen Erfahrungen aus dem mehrjährigen China-Aufenthalt ein, was insgesamt die praktische Relevanz seiner Arbeit unterstreicht. Die Wissenschaft findet in diesem Buch einen fundierten Ansatz zur internationalen Unternehmensführung mit vielfältigen Anknüpfungspunkten für die weitere Forschung. Für die unternehmerische Praxis stellen die strategischen Ansätze, die nicht nur auf China beschränkt sind, einen Mehrwert dar. Es ist dem Autor und der Arbeit zu wünschen, dass sie dafür die gebührende Anerkennung erhalten, indem Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen die vorliegenden Erkenntnisse nutzen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine nahezu unveränderte Fassung meiner Dissertation, die ich zum größten Teil in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ChinesischDeutschen Hochschulkolleg (CDHK) an der Tongji Universität in Shanghai (VR China) verfasst habe. Nach meiner Studienzeit in Deutschland, China und Ungarn reizte es mich sehr, in einem internationalen Umfeld zu promovieren. Die Arbeit und der Alltag in China boten mir die einmalige Chance, mich, neben den fachlichen Themen, intensiv mit einem Land auseinanderzusetzen, dessen Kultur vielen Europäern fremd, teilweise sogar befremdlich ist. Aus diesem Grund ist es mir – über diese Veröffentlichung hinaus – ein großes Anliegen, Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke weiterzugeben und somit hoffentlich Vorbehalte auf beiden Seiten abzubauen. Dass dieses Projekt überhaupt nur möglich war, verdanke ich der engen Verbindung des DHL-Lehrstuhls Global Supply Chain Management am CDHK mit dem Fachgebiet Unternehmensführung & Logistik an der Technischen Universität Darmstadt. Allen voran möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Christian Pfohl für seine Unterstützung, sein Vertrauen und die gute Zusammenarbeit auch über die weite Entfernung hinweg danken! Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf D. Cremer für die Übernahme des Korreferats, für das er eigens aus China nach Deutschland angereist ist. Vorworte bieten üblicherweise Raum für ausschweifende Danksagungen an alle, die einen Teil zum Gelingen der jeweiligen Dissertation beigetragen haben. Nicht zuletzt bedingt durch meine Tätigkeit im Ausland hatte ich eine Vielzahl Unterstützer und Helfer, insbesondere im Kreise meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen. Ohne die einzelnen Namen an dieser Stelle aufzuzählen, bin ich jedem, der mich in den vergangenen drei Jahren begleitet und unterstützt hat in herzlichstem Dank verbunden!
Alexander Bode www.ready-to-china.com
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis
XVII
Tabellenverzeichnis 1
Problemstellung
XXI 1
1.1
Relevanz internationaler Unternehmenstätigkeit in Wissenschaft & Praxis
3
1.2
Zielsetzung und Forschungsdesign
7
2
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen 2.1
Grundlagen der Internationalisierung
17 18
2.1.1 Definition
18
2.1.2 Motive und Ziele der Internationalisierung
21
2.1.3 Internationalisierungsprozess und -strategien
23
2.1.4 Internationalisierungsgrad
28
2.1.5 Einfluss der Internationalisierung auf den Unternehmenserfolg
32
2.2
Theorien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
33
2.2.1 Klassische Internationalisierungstheorien
34
2.2.2 Integrative Ansätze der Internationalisierung
38
2.2.3 Neue Erklärungsmuster für internationale Unternehmenstätigkeit
44
2.2.4 Internationalisierungstheorien aus markt- und ressourcenorientierte Sicht
47
2.3
Entstehung von Wettbewerbsvorteilen
50
2.3.1 Strategisches Management und Wettbewerbsvorteile
51
2.3.2 Analyse der globalen Unternehmensumwelt
52
2.3.3 Wettbewerbsvorteile durch Marktstrukturen
55
2.3.4 Wettbewerbsvorteile durch Ressourcen
61
2.3.5 Wettbewerbsvorteile durch Internationalisierung
73
2.4
Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung
75
2.4.1 Verknüpfung von RBV und MBV
76
2.4.2 Marktorientierte Internationalisierung – Chancen- und Risikenanalyse
78
XIV 2.4.3 Ressourcenbasierte Internationalisierung –Stärken- Schwächenanalyse
81
2.4.4 Implikationen für das strategische Management
84
2.5
Internationales Wertschöpfungsmanagement
87
2.5.1 Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagements
88
2.5.2 Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz
94
2.5.3 Herausforderungen für das internationale Wertschöpfungsmanagement
96
3
Beschreibung deutscher Unternehmen in China 3.1
CHINA
99 99
3.1.1 Soziokulturelle Herausforderungen
101
3.1.2 Geschichtlicher und politischer Hintergrund
105
3.1.3 Ökonomische Entwicklung
109
3.1.4 Technologische Umweltfaktoren
113
3.1.5 Rechtliche Rahmenbedingungen und Bürokratie
118
3.2
International tätige deutsche Unternehmen
122
3.2.1 Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft
122
3.2.2 Internationalisierung deutscher Unternehmen
124
3.2.3 Deutsche Unternehmen in China
126
3.2.4 Ressourceneinsatz - Stärken und Schwächen
130
3.3
Fallstudie
131
3.3.1 Methodik und Durchführung
131
3.3.2 Beschreibung und Auswertung
134
3.3.3 Analyse der Ergebnisse
139
3.3.4 Erkenntnisgewinn für die weitere Untersuchung
142
4
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
145
4.1
Konzeptioneller Bezugsrahmen
145
4.2
Definition der Variablen
147
4.2.1 Gestaltungsvariablen international tätiger Unternehmen
148
4.2.2 Kontextvariablen ausländischer Märkte
149
XV 4.2.3 Erfolgsvariablen des internationalen Wertschöpfungsmanagements
151
4.3
Ursache-Wirkungszusammenhänge der Variablen
152
4.4
Operationalisierung des Aussagensystems - Hypothesenbildung
154
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
159
5 5.1
Methodik und Durchführung
159
5.1.1 Datenerhebung - Auswahl der Untersuchungseinheiten
159
5.1.2 Datenerfassung - Konzeption des Fragebogens
161
5.1.3 Datenanalyse
164
5.1.4 Durchführung der Befragung
172
5.2
Deskriptive Auswertung
174
5.2.1 Struktur der deutschen Unternehmen in China
175
5.2.2 Motive für die Verlagerung von Aktivitäten nach China
182
5.2.3 Chancen und Herausforderungen deutscher Unternehmen in China
184
5.2.4 Koordination der Wertaktivitäten in China
193
5.2.5 Integration der Aktivitäten in den globalen Unternehmensverbund
200
5.2.6 Geographisch-kulturelle Distanz zwischen Deutschland und China
204
5.2.7 Wettbewerbsvorteile durch lokale Wertschöpfung in China
207
5.2.8 Zukunftsaussichten zu Aktivitäten deutscher Unternehmen in China
209
5.3
Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge
214
5.3.1 Modellierung der Gestaltungsvariable
215
5.3.2 Modellierung der Kontextvariable
217
5.3.3 Modellierung der Erfolgsvariable
220
5.3.4 Güte der Daten und Zusammenhänge der Variablen
221
5.3.5 Regressionsanalyse und Pfadmodell
225
5.4
WSM als Kernkompetenz für internationale Aktivitäten
242
5.4.1 Wertschöpfungsmanagement deutscher Unternehmen in China
243
5.4.2 Implikationen für ein internationales Wertschöpfungsmanagement
245
5.4.3 Entwicklung der WSM-Kompetenz im Zeitverlauf
246
XVI 6
7
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
249
6.1
Global SWOT – Strategien für international tätige Unternehmen
251
6.2
Strategien zum Wertschöpfungsmanagement in einzelnen Ländern
253
6.3
Einsatz der Strategien am Beispiel deutscher Unternehmen in China
259
6.4
Implementierung der Strategien in international tätigen Unternehmen
266
Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Der Anhang zu dieser Arbeit steht im Internet zum Download bereit: www.gabler.de
269 277
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Stufen der Theoriebildung, Art der Forschung und Methode.
9
Abbildung 2: Forschungsdesign für die Untersuchung.
11
Abbildung 3: Formen der Internationalisierung.
25
Abbildung 4: Entscheidungsbaum für Internationalisierung.
39
Abbildung 5: Skandinavische Internationalisierungsprozessschule.
41
Abbildung 6: Entscheidung über Internationalisierung nach dem GAINS-Ansatz.
42
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Evolution, Episoden und Epochen.
43
Abbildung 8: Bestimmungsfaktoren nationaler Wettbewerbsvorteile.
48
Abbildung 9: Das erweiterte Structure-Conduct-Performance Modell von Porter.
55
Abbildung 10: Porters Wertkette (Hervorhebungen der relevanten Handlungsfelder). 57 Abbildung 11: Die Wettbewerbskräfte nach Porter.
59
Abbildung 12: Wirkungskette im ressourcenorientierten Ansatz.
63
Abbildung 13: Terminologische Systematisierung ressourcenorientierter Forschung.
64
Abbildung 14: Strategische Analyse der Unternehmensressourcen.
72
Abbildung 15: Ressourcenbündel und Wertaktivitäten.
73
Abbildung 16: Kombination der Outside-Inside- und der Inside-Outside-Betrachtung. 77 Abbildung 17: SWOT-Matrix.
85
Abbildung 18: Global-SWOT - Analyse im internationalen Unternehmen.
87
Abbildung 19: Handlungsfelder des Wertschöpfungsmanagements.
88
Abbildung 20: Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz.
96
Abbildung 21: Kulturelle Eigenschaften aus der Untersuchung Hofstede.
102
Abbildung 22: Anteil am Auslandshandel mit China.
112
Abbildung 23:Gruppeneinteilung deutscher Unternehmen nach Wertaktivitäten.
139
Abbildung 24: Konzeptioneller Bezugsrahmen für einen Ländermarkt.
146
Abbildung 25: Modell der internationalen Unternehmenstätigkeit.
147
Abbildung 26: Modell für die Untersuchung internationaler Unternehmenstätigkeit. 154 Abbildung 27: Organisationsform deutscher Unternehmen in China.
175
Abbildung 28: Größe deutscher Unternehmen in China.
176
Abbildung 29: Mitarbeiterzahl deutscher REP in China.
177
Abbildung 30: Größe Muttergesellschaft (MG) beeinflusst die Organisationsform.
178
Abbildung 31: Deutsche Unternehmen in China nach Dauer ihrer Marktpräsenz.
178
XVIII Abbildung 32: Branchenstruktur der befragten Unternehmen.
179
Abbildung 33: Subjektive Einschätzung „Zielerreichung in China“.
180
Abbildung 34: Dauer bis zum Break-even bei deutschen Unternehmen in China.
181
Abbildung 35: Nettogewinnmarge deutscher Unternehmen nach Jahren in China.
182
Abbildung 36: Motive für den Markteintritt in China (WFOE / JV).
183
Abbildung 37: Motive für die Marktbearbeitung der deutschen REP in China.
184
Abbildung 38: Marktchancen aus Sicht deutscher Unternehmen in China.
185
Abbildung 39: Zufriedenheit mit dem chinesischen Beschaffungsmarkt.
186
Abbildung 40: Risiken des chinesischen Marktes.
187
Abbildung 41: Häufigkeit, mit der deutsche Unternehmen in China von Korruption und Urheberrechtsverletzungen betroffen sind.
188
Abbildung 42: Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte in China.
189
Abbildung 43: Marktchancen und -risiken aus Sicht deutscher Unternehmen.
190
Abbildung 44: Wettbewerber deutscher Unternehmen in China.
191
Abbildung 45: Wettbewerbskräfte des chinesischen Markts.
192
Abbildung 46: Interne Wertaktivitäten deutscher Unternehmen in China.
193
Abbildung 47: Zufriedenheit mit den in China intern realisierten Wertaktivitäten.
194
Abbildung 48: Strategieprofile (ohne reine B-, P- oder M-Strategie).
195
Abbildung 49: Aktivitätsindex deutscher Unternehmen in China.
196
Abbildung 50: Anteil der lokalen Wertschöpfung deutscher Unternehmen in China. 198 Abbildung 51: Aktivitäten deutscher REP in China.
199
Abbildung 52: Subjektive Einschätzung zur Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund.
201
Abbildung 53: Unternehmen nach Exportquote und Anteil von Produkten, die nach dem Export im Unternehmensverbund weiter verarbeitet werden.
202
Abbildung 54: Integration der Wertaktivitäten in weltweiten Unternehmensverbund. 203 Abbildung 55: Schwierigkeiten bei Integration chinesischer Tochterunternehmen.
205
Abbildung 56: Schwierigkeiten mit JV-Partnern.
206
Abbildung 57: Zufriedenheit mit chinesischen Geschäftspartnern.
207
Abbildung 58: Hauptabsatzmärkte der Unternehmen entsprechend lokalem Wertschöpfungsanteil.
208
Abbildung 59: Anpassung der Produkte und lokale Wertschöpfung.
209
Abbildung 60: Zukunftserwartung deutscher Unternehmen in China.
210
XIX Abbildung 61: Entwicklung der internen Realisierung von Wertaktivitäten.
211
Abbildung 62: Zukünftige Erwartung über die Integration der Wertaktivitäten.
212
Abbildung 63: Geplante Aktivitäten in China von Unternehmen mit REP.
213
Abbildung 64: Verteilung der Variable Zielerreichung.
222
Abbildung 65: Modell zum Wertschöpfungsmanagement deutscher Unternehmen in China, mit den aus dem Fragebogen verwendeten Variablen.
225
Abbildung 66: Einfluss der Wertaktivitäten auf Integration und Umfang.
228
Abbildung 67: Umfang und Nettogewinnmarge mit Trendkurve.
234
Abbildung 68: Pfaddiagramm des Regressionsmodells.
238
Abbildung 69: Einfluss der Variablen auf Erfolgsgrößen [Fehlerwahrscheinlichkeit p], inklusive der indirekten Effekte der Kontextvariablen.
239
Abbildung 70: Qualitative Darstellung der Einflussfaktoren auf den Erfolg deutscher Unternehmen in China.
242
Abbildung 71: Strategiefindung für international tätige Unternehmen.
250
Abbildung 72: Strategien für die internationale Unternehmenstätigkeit.
251
Abbildung 73: Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement.
257
Abbildung 74: Strategie Ausbau oder Erhalt.
261
Abbildung 75: Strategie Typwechsel, mehr oder weniger Wertaktivitäten.
262
Abbildung 76: Kompetenzaufbau oder Desinvestition.
264
Abbildung 77: Ergebnisse dieser Arbeit im Forschungskreislauf.
273
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Motive für eine Auslandsinvestition deutscher Unternehmen.
22
Tabelle 2: Ressourcenverständnis des Resource-based View.
67
Tabelle 3: Chancen-Risiko-Profil.
80
Tabelle 4: Größte Unternehmen sortiert nach dem Anteil an Auslandsinvestitionen. 125 Tabelle 5: Unternehmen, die an der Fallstudie teilgenommen haben.
137
Tabelle 6: Beurteilung des Kaiser-Meyer-Olkin-Kriteriums.
169
Tabelle 7: Auswertung der Faktoranalyse mit dem KMO und Bartlett’s Test.
219
Tabelle 8: Korrelationswerte der Erfolgsvariablen.
221
Tabelle 9: Korrelationsmatrix für alle Variablen des Regressionsmodells.
224
Tabelle 10: Regressionsanalyse der Wertaktivitäten auf Umfang und Integration.
227
Tabelle 11: Regressionsanalyse bezogen auf die Zielerreichung.
230
Tabelle 12: Modellzusammenfassung mit Standardfehler.
231
Tabelle 13: Regressionsanalyse bezogen auf die Nettogewinnmarge.
233
Tabelle 14: Regressionsanalyse bezogen auf die Nettogewinnmarge.
235
Tabelle 15: Direkte Effekte der Kontextvariablen auf den Umfang.
236
Tabelle 16: Direkte Effekte der Kontextvariablen auf die Integration.
237
Abkürzungsverzeichnis
AHK
Auslandshandelskammer
BMWi
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
CBV
Competence-based View
CDHK
Chinesisch-Deutsches Hochschulkolleg, Shanghai
DIHK
Deutscher Industrie- und Handelskammertag
EAC
Euro-Asia Consulting PartG, München
GIC
German Industry and Commerce, Shanghai
GSCM
Lehrstuhl für Global Supply Chain Management am CDHK
JV
Joint-Venture
KfZ
Kraftfahrzeug
KK
Korrelationskoeffizient
KPCh
Kommunistische Part Chinas
MBV
Market-based View
NVK
Nationaler Volkskongress (China)
RBV
Resource-based View
REP
Repräsentanzbüro
RMB
Renminbi (Chinesische Währung)
SCM
Supply Chain Management
SWOT
Strength Weakness Opportunity Threat
TKA
Transaktionskostenansatz
UDSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UNCTAD
United Nations Conference on Trade and Development
USA
United States of America
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
VRC
Volksrepublik China
VW
Volkswagen
WFOE
Wholly Foreign Owned Enterprise
WSM
Wertschöpfungsmanagement
WTO
World Trade Organization
1
Problemstellung
„Globaler Wettbewerb“, „Internationalisierung von Unternehmen“ und „Verlagerung von Wertaktivitäten in andere Länder“ sind Schlagworte1, die öffentliche Diskussionen, Medienberichte und wissenschaftliche Arbeiten der vergangenen Jahre prägen.2 Der Abbau von Handelshemmnissen3, gesunkene Transportkosten4 sowie die rasante Entwicklung von Kommunikations- und Informationstechnologie5 ermöglichen mittlerweile auch kleinen und mittelständischen Unternehmen weltweit unternehmerisch tätig zu sein. Sie sind der Treiber für eine zunehmende Internationalisierung und damit einhergehende Verlagerung von Wertaktivitäten. Für die Unternehmen stellt die Internationalisierung eine komplexe Herausforderung dar, da sie ihre strategischen Entscheidungen an der heterogenen Umwelt verschiedener Ländermärkte ausrichten müssen.6 Die Bedeutung des internationalen Managements nimmt folglich in den vergangenen Jahrzehnten zu. 7 Ziel der internationalen Unternehmenstätigkeit8 ist es, Wettbewerbspotentiale unterschiedlicher Märkte zu nutzen und dadurch die eigene Wettbewerbsfähigkeit global zu verteidigen. Wettbewerbsvorteile können die Unternehmen aufgrund ihrer Marktposition oder auf Basis einer unternehmensspezifischen Ressourcenausstattung erlangen.9 Durch eine Ansiedlung entsprechender Wertaktivitäten in einem Zielmarkt, können die Wettbewerbsvorteile gewonnen werden, allerdings nimmt damit der Koordinations- und Integrationsaufwand erheblich zu. Für die Unternehmen ergibt sich daraus die Notwendigkeit eines effizienten internationalen Wertschöpfungsmanagement.10 Die Forschung des internationalen Managements konzentrierte sich in der Vergangenheit auf die Untersuchung von Internationalisierungsentscheidungen, vor allem beim Markt1
Die Klärung und Abgrenzung dieser Begriffe erfolgt in Kapitel 2.1. Diese Aufzählung ist nur exemplarisch und ließe sich beliebig erweitern. Eine nicht repräsentative Untersuchung von deutschsprachigen Zeitungsartikeln, die im Jahr 2008 erschienen sind (print und online), ergab für „Globalisierung“ 17.100, für „Internationalisierung“ 15.800 und für „Verlagerung in Länder“ 10.800 veröffentlichte Artikel (Quelle: O.V. (2009)). 3 Zum Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse im Rahmen von WTO-Verträgen siehe exemplarisch Kulessa (1998), S. 283ff sowie die darin zitierte Literatur. 4 Die sinkenden Logistikkosten im internationalen Warenverkehr sind im Wesentlichen auf neue Technologien und effizientere internationale Logistiksysteme zurückzuführen, vgl. Pfohl (2004a), S. 386ff. 5 Vgl. u.a. Kutschker/Schmid (2008), S. 190ff. 6 Da es sich bei diesen heterogenen Märkten zum Teil um dynamische Märkte handelt, erfordert eine Internationalisierung auch immer eine große Flexibilität, vgl. Lee/Makhija (2009), S. 537f. 7 Vgl. Simon (2007), S. 1f. 8 Vgl. Kutschker/Schmid (2007), S. 808; Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 4f und Siedenbiedel (2008), S. 47. Zur theoretischen Aufarbeitung der „internationalen Unternehmenstätigkeit“ siehe in Kapitel 2.2. 9 Vgl. dazu Kapitel 2.3 sowie die dort angegebene Literatur. 10 Vgl. Kapitel 2.4. 2
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2
Kapitel 1
eintritt.11 Diese Sichtweise ist in der heutigen globalisierten und dynamischen Umwelt aber nicht mehr ausreichend. Vielmehr sollte eine ganzheitliche Betrachtung der internationalen Aktivitäten von Unternehmen erfolgen.12 Im Sinne eines internationalen strategischen Managements wird aus dieser Notwendigkeit die Forschungsfrage wie folgt formuliert: Wie können Unternehmen Wettbewerbsvorteile aus der Konfiguration ihrer weltweiten Wertaktivitäten generieren? Zur Erklärung eines internationalen Managements der weltweit verteilten Wertaktivitäten im Unternehmensverbund werden zwei Denkschulen des strategischen Managements herangezogen - der marktbasierte und der ressourcenbasierte Ansatz. Diese beiden Theorien werden im internationalen Kontext eingesetzt und bilden den konzeptionellen Bezugsrahmen für die empirische Forschung.13 Die Untersuchung zur internationalen Unternehmenstätigkeit wird mit deutschen Unternehmen in China durchgeführt. China – als einer der dynamischsten Märkte der Welt14 – bietet für viele Unternehmen die Möglichkeit, Beschaffungs- und Absatzpotentiale gleichermaßen zu nutzen. Dem entsprechend lassen sich in China unterschiedlichste Konfigurationen von Wertaktivitäten untersuchen. Aus Sicht der Praxis ist China als Untersuchungsland außerdem interessant, da viele Unternehmen bereits in diesem Land aktiv sind oder in naher Zukunft dort aktiv werden wollen. Dennoch fehlen bislang wissenschaftlich fundierte Analysen zum Management der Wertaktivitäten in China, sowie der dazu benötigten Ressourcen und Kompetenzen.15 In den folgenden Abschnitten wird die Relevanz einer weiteren Untersuchung von internationaler Unternehmenstätigkeit16 für Wissenschaft und Praxis analysiert und das internationale Wertschöpfungsmanagement als Erkenntnisobjekt definiert. In Kapitel 1.2 wird die Zielsetzung und das Forschungsdesign für die vorliegende Untersuchung vorgestellt.
11
Vgl. Andersen (1993), S. 228f; Brouthers/Hennart (2007), S. 419f und Prasad/Pisani/Prasad (2008), S. 618f. Zur ausführlichen Darstellung der traditionellen Ansätze siehe Kapitel 2.2.1 und 2.2.2. 12 Vgl. Datta/Herrmann/Rasheed (2002), S. 85ff und Asmussen/Benito/Petersen (2009), S.145 sowie die dort zitierte Literatur. 13 Vgl. Kapitel 1. 14 Vgl. Kapitel 3.1.3. 15 Vgl. Zhao/Flynn/Roth (2006), S. 461ff. 16 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 38f. Dem Grundverständnis Welges an dieser Stelle folgend, soll die internationale Unternehmenstätigkeit erst als solche bezeichnet werden, wenn es sich um Direktinvestitionen in einem anderen Land handelt. Ansonsten wäre ein „Ressourcentransfer“ nicht zu gewährleisten.
Problemstellung
3
1.1 Relevanz internationaler Unternehmenstätigkeit in Wissenschaft & Praxis Die Entscheidung, international tätig zu werden, verursacht in jedem Fall eine erhöhte Komplexität der Managementaufgabe.17 Dies ergibt sich aus dem gleichzeitigen Auftreten fremdartiger Kulturen innerhalb eines internationalen Unternehmensverbunds und der geographisch gestreuten Unternehmenseinheiten einschließlich der international verteilten Elemente der Wertekette.18 „Anders als beim „nationalen Management“ kann sich das internationale Management nicht auf ein stabiles Umfeld soziokultureller und rechtlichpolitischer Rahmenbedingungen ausrichten, sondern ist stark von dynamischen Umweltentwicklungen in anderen Ländern abhängig.“19 Die Komplexität der internationalen Unternehmenstätigkeit unterstreicht die Relevanz und Bedeutung des internationalen Managements. 20 Dementsprechend hat sich das internationale Management 21 in den vergangenen Jahrzehnten als eigenständige Wissenschaftsdisziplin22 in der Betriebswirtschafts- und Managementlehre etabliert.23 Ziel der internationalen Managementforschung ist die Erklärung der internationalen Unternehmenstätigkeit, des Internationalisierungsprozesses, der Wahl geeigneter Betätigungsformen sowie der Wahl geeigneter Tätigkeitsregionen.24 Obwohl die internationale Unternehmenstätigkeit und die damit einhergehende Internationalisierung der Unternehmen seit Jahrzehnten eine Bedeutung in der unternehmerischen Praxis haben, erfolgten wissenschaftliche Forschungen lange Zeit ausschließlich aus volkswirtschaftlicher Perspektive. Erst in den vergangenen Jahrzehnten gerät die internationale Unternehmenstätigkeit mehr und mehr in den Fokus betriebswirtschaftlicher, managementorientierter Untersuchungen.25 17
Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 16 und Rothlauf (2006), S. 4f. Vgl. Breuer (2003), S. 15. 19 Macharzina/Wolf (2008), S. 924, Hervorhebung durch den Verfasser. 20 Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 3. 21 In der angelsächsischen und in der deutschen Fachliteratur wird der Begriff „Management“ sowohl im funktionalen, als auch im institutionellen Sinne verwandt, in dieser Arbeit wird dieser Begriff ausschließlich funktional im Sinne gestaltender, leitender Tätigkeit verstanden. Der Manager wird dabei als Entscheidungsträger verstanden, vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S.1. 22 Der Ansatz als eigenständige Disziplin ist weithin umstritten, diese Diskussion ist aber nicht Teil dieser Arbeit, vgl. dazu u.a. Albach (1981), S. 13ff und Kutschker/Schmid (2008), S. 8f. 23 Vgl. Kutschker/Schmid (2007), S. 807; Breuer (2003), S. 45 und Söllner (2008), S. 6. Söllner definiert weiter, dass das internationale Management sehr allgemein am Menschen ausgerichtet ist. Seiner Definition nach ist das Erfahrungsobjekt des internationalen Managements der Mensch in einer international vernetzten Welt. Als Erkenntnisobjekt wird das Streben des Menschen nach Verbesserung seiner Situation, bzw. nach Steigerung seines Wohlbefindens durch internationale Kooperationsmöglichkeiten angesehen, vgl. Söllner (2008), S. 8. 24 Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 25. 25 Macharzina/Oesterle (2002a), S. 5 und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 26. Sie sprechen davon, dass in Deutschland erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit begonnen habe. 18
4
Kapitel 1
Innerhalb der Betriebswirtschaftslehre stellt das internationale Management ein Querschnittsfach dar, welches sich – je nach Art und Umfang der Internationalisierung – über alle Funktionsbereiche des Unternehmens erstrecken kann. Es ist durch eine integrative Sichtweise über alle Problem- und Gestaltungsfelder hinweg gekennzeichnet.26 Darüber hinaus ergeben sich Überschneidungen mit der Volkswirtschaftslehre. Die Ökonomie unterscheidet in gesamtwirtschaftliche und einzelwirtschaftliche Internationalisierung, also in die makroökonomische und die mikroökonomische Betrachtungsebene.27 Die theoretische Basis der Ökonomie für die internationale Unternehmenstätigkeit gliedert sich im Wesentlichen in drei Stränge: Theorien des Außenhandels, Theorien der Direktinvestitionen und übergreifende Theorien der Internationalisierung.28 Allerdings vermittelt diese ökonomische Sichtweise kein tieferes Verständnis über praktisch anwendbares Wissen in Form von Gestaltungsempfehlungen für die unternehmerische Praxis.29 Daraus ergibt sich für die betriebswirtschaftliche Forschung eine besondere Relevanz für weitere Untersuchungen und die Entwicklung umfassender theoretischer Erklärungsmuster des Phänomens internationaler Unternehmenstätigkeit. Das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Erklärung von UrsacheWirkungszusammenhängen und darauf begründeten Gestaltungsempfehlungen, bzw. Strategien. 30 Folglich versucht die internationale Managementforschung zu erklären, warum bestimmte Unternehmen international tätig werden und wodurch diese Wettbewerbsvorteile gegenüber Unternehmen erzielen, die ausschließlich national tätig sind.31 Für Unternehmen handelt es sich daher um ein strategisches Entscheidungsproblem, welches dem strategischen Management zugeordnet wird, was die Bedeutung der Internationalisierung für das Gesamtunternehmen verdeutlicht. 32 Daraus lässt sich die Notwendigkeit ableiten, das Erfahrungsobjekt internationale Unternehmenstätigkeit aus Sicht des strategischen Managements zu untersuchen. Ausgehend von der strategischen Bedeutung der internationalen Aktivitäten für Unternehmen, werden theoretische Ansätze des strategischen Managements zur Erklärung des Phänomens der internationalen Unternehmenstätigkeit eingesetzt. Wie in Kapitel 2.2.4 gezeigt wird, ermöglicht die Verknüpfung der marktbasierten und der ressourcenorientierten Sichtweisen im internationalen Kontext einen umfassenden Blick auf dieses Real26
Vgl. u.a. Welge/Holtbrügge (2006) und Breuer (2003), S. 15. Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 4f. 28 Eine Zusammenfassung wichtiger Literatur des internationalen Managements von 1965 – 1989 findet sich bei Prasad/Pisani/Prasad (2008), S. 618f. 29 Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 375; Welge/Holtbrügge (2006), S. 35 und Kutschker/Schmid (2007), S. 808. 30 Vgl. Breuer (2003), 15f. 31 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 36. 32 Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 133. 27
Problemstellung
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phänomen.33 Mit Hilfe der marktbasierten Sichtweise lassen sich die Marktbedingungen unterschiedlicher Länder darstellen, in denen sich die Unternehmen positionieren müssen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Die ressourcenorientierte Sichtweise erklärt den Einsatz der dazu notwendigen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen, über deren spezifische Ausstattung die Unternehmen Wettbewerbsvorteile generieren können.34 Der Erkenntnisgewinn besteht darin, diese beiden Ansätze, die bislang überwiegend im nationalen Kontext verwendet wurden, in einem Modell zusammenzuführen und auf die internationale Managementforschung zu übertragen. Neben der Betrachtung spezifischer Führungsinstrumente zur Steuerung grenzüberschreitender Aktivitäten von Unternehmen durch das internationale Management,35 müssen dabei auch die kulturellen Unterschiede und daraus resultierende Probleme Berücksichtigung finden. 36 Dies geschieht im Rahmen der interkulturellen Managementforschung, in deren Fokus der Einfluss unterschiedlicher kultureller Bedingungen auf die Gestaltung von Management-Instrumenten und die Organisation der Unternehmen steht. Ziel ist es, Lösungsvorschläge für die erfolgreiche Bewältigung kulturbedingter Managementprobleme durch effizientes, interkulturelles Handeln zu entwickeln. 37 Für international tätige Unternehmen stellen die kulturellen Unterschiede eine besondere Herausforderung dar, so dass eine tiefgründige Erforschung der fremden Kulturkreise Grundvoraussetzung für die Bewältigung der kulturbedingten Probleme ist.38 Dabei lässt sich grob vereinfacht feststellen, dass es Kulturen gibt, die der eigenen Kultur „ähnlicher“ sind und welche, die aufgrund der Andersartigkeit als „fremde Kulturen“ bezeichnet werden.39 Der Bedarf an inter-kultureller Kompetenz innerhalb eines Unternehmens ist dementsprechend von dessen Inter-nationalisierungsgrad abhängig.40 Der Internationalisierungsgrad eines Unternehmens bildet sich im Laufe der Internationalisierung und ist gerade vor dem Hintergrund dynamischer Auslandsmärkte nicht als statisch anzusehen. Auf die Internationalisierung als Prozess konzentriert sich die Inter33
34 35 36
37 38 39
40
Die Forderung nach einer Verknüpfung dieser beiden Denkschulen im internationalen Kontext findet sich bei Kutschker/Schmid (2008), S. 852f, wird dort aber nicht weitergehend untersucht. Vgl. Fahy (2002), S. 75. Vgl. Siedenbiedel (2008), S. 47. Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 36f. Zum interkulturellen Management siehe auch Bergemann/Sourisseaux (1996) und Dülfer/Jöstingmeier (2008). Vgl. Perlitz (2004), S. 270. Vgl. Barkema/Bell/Pennings (1996), S. 151ff. Vgl. Hofstede (2006), S. 99ff. Er charakterisiert die Kultur anhand von fünf Dimensionen, wobei er in den einzelnen Dimensionen teilweise erhebliche kulturelle Unterschiede für verschiedene Länder feststellt. Die kulturelle Fremdheit wird dabei immer subjektiv empfunden - objektiv betrachtet spricht man von kultureller Vielfalt. Vgl. dazu auch Kapitel 2.1.4 und 3.1.1. Prasad/Pisani/Prasad kritisieren hingegen die Idealisierung westlicher Kulturen, da sie in der Untersuchung Hofstedes als Maßstab für die fünf Dimensionen betrachtet werden, vgl. Prasad/Pisani/Prasad (2008), S. 620. Vgl. Holzmüller/Berg (2002), S. 890.
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Kapitel 1
nationalisierungsprozessforschung und betont, in klarer Abgrenzung zur statischen Betrachtungsweise, den dynamischen Kontext, in dem das internationale Management agiert.41 Die Komplexität der internationalen Unternehmenstätigkeit, sowie der einzelnen Forschungsperspektiven, erschwert die Entwicklung eines einheitlichen Erklärungsmusters, was allgemein anerkannt ist.42 Ein einheitliches und umfassendes Erklärungsmuster wäre aber gerade aus Sicht der Unternehmen wichtig, da der Internationalisierung in der unternehmerischen Praxis eine hohe strategische Bedeutung zukommt. Aus Sicht des strategischen Managements ist es daher von höchstem Interesse, wissenschaftlich fundierte Gestaltungsempfehlungen zu erhalten, an denen Unternehmen ihr eigenes Handeln orientieren können. Die Markteintrittsstrategien der Internationalisierungsforschung sind zwar wertvolle Gestaltungsempfehlungen, gelten aber nur für ein frühes Stadium der Internationalisierung. 43 Viele Facetten der internationalen Unternehmenstätigkeit, wie zum Beispiel die interkulturellen Unterschiede oder das effiziente Management global verteilter Wertschöpfung, finden hingegen in den meisten Unternehmen bislang zu wenig Berücksichtigung.44 Auch wenn es dem internationalen Management noch nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, neben Grundlagen- und Erklärungswissen gleichzeitig auch dessen praktische Verwertbarkeit zu berücksichtigen,45 darf sich die wissenschaftliche Untersuchung nicht ausschließlich auf die Erarbeitung praktischer Gestaltungsempfehlungen konzentrieren. Im Sinne einer Forschung, aus der sich die Relevanz für Wissenschaft und Praxis erkennen lässt, ist es das Ziel dieser Arbeit, theoretisch fundierte Gestaltungsempfehlungen zu entwickeln, die auf empirisch untersuchten Ursache-Wirkungszusammenhängen basieren. Durch die umfassende Perspektive, die sowohl die unternehmensinterne Betrachtung, als auch die Marktanalyse mit einschließt, soll diese Lücke geschlossen werden. Für das Erfahrungsobjekt internationale Unternehmenstätigkeit steht aus Sicht des strategischen Managements das Erkenntnisobjekt internationales Wertschöpfungsmanagement im Fokus der Untersuchung.46 Die spezifische Problemsicht auf das Erfahrungsobjekt erfolgt hierbei durch die Verknüpfung der marktbasierten und der ressourcenorientierten Sichtweise, wie im folgenden Abschnitt erläutert wird. 41
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 1057. Vgl. Prasad/Pisani/Prasad (2008), S. 626. 43 Vgl. u.a. Perlitz (2004); Welge/Al-Laham (2008) und Kutschker/Schmid (2008). 44 Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 213. 45 Vgl. Macharzina/Oesterle (2002a), S. 17. Sie kritisieren vor allem die immer noch bestehenden terminologischen Verwirrungen, die zu einer Verständnislücke zwischen Wissenschaft und Praxis führen, vgl. Macharzina/Oesterle (2002a), S. 11. 46 Erfahrungsobjekt steht dabei für das zu untersuchende Problem als gewählten Ausschnitt der Realität; Erkenntnisobjekt bezeichnet die spezifische Problemsicht, vgl. Chmielewicz (1994), S. 19. 42
Problemstellung
7
1.2 Zielsetzung und Forschungsdesign Abgeleitet von der Forschungsfrage für das Erfahrungsobjekt wird in diesem Abschnitt die Zielsetzung für diese Untersuchung definiert und das Forschungsdesign entwickelt. Für die einzelnen Stufen der Untersuchung werden die methodische Vorgehensweise sowie der Analyserahmen diskutiert. Ziel dieser Arbeit ist es, bestehende theoretische Ansätze der strategischen Managementforschung im internationalen Kontext anzuwenden und die damit gewonnenen Erkenntnisse empirisch zu untersuchen. Im Sinne des deskriptiven Wissenschaftsziels werden zunächst die verwendeten Begriffe genau abgegrenzt und dadurch ein Beitrag zur Normierung von Begrifflichkeiten geleistet. Dem theoretischen Wissenschaftsziel folgend, werden Ursache-Wirkungszusammenhänge analysiert. Auf Grundlage dieses Erklärungsmodells können schließlich Gestaltungsempfehlungen für die international tätigen Unternehmen abgeleitet und damit dem pragmatischen Wissenschaftsziel entsprochen werden.47 Aufgrund des neuen, bislang wenig erforschten Erkenntnisobjekts (internationales Wertschöpfungsmanagement), bietet sich diese pragmatische Herangehensweise an. Das normative Wissenschaftsziel wird nur nachrangig verfolgt.48 Damit steht die Arbeit im Einklang mit dem betriebswirtschaftlichen Verständnis von Steinmann: „Die BWL soll sich [unter anderem] als praxisorientierte Wissenschaft begreifen in der Absicht, Gestaltungsempfehlungen für die Lösung solcher Probleme zu erarbeiten, die sich in unserer Lebenspraxis gerechtfertigt darstellen.“49 Riesenhuber weist darauf hin, dass in einem Forschungsprojekt gewöhnlich sowohl ein praktisches, als auch ein theoretisches Ziel verfolgt wird. Während das praktische Ziel die Erarbeitung konkreter Lösungsvorschläge für Probleme anstrebt, dient das theoretische Ziel dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt. Beide Zielsetzungen stehen in einem engen Zusammenhang, wenn durch die theoriegeleitete Analyse bislang nur wenig verstandene Realphänomene erklärt werden und anschließend die Erklärung empirisch überprüft werden kann.50 Im Forschungskreislauf 51 stellt die Erfassung einer realen Problemsituation den Ausgangspunkt des Forschungsprozesses dar. Wie in den vorherigen Abschnitten gezeigt, baut diese Arbeit auf einer realen Problemsituation auf.52 Zur Beschreibung und Erklä47
Zu den Wissenschaftszielen siehe Chmielewicz (1994), S. 9ff. Zum Verständnis der Betriebswirtschaftslehre als normative Wissenschaft siehe Loitlsberger/Wagner (2003). 49 Steinmann (1978), S. 73, Hervorhebung durch den Verfasser. 50 Vgl. Riesenhuber (2007), S. 5. 51 Vgl. Mitroff/Turoff (1974), S. 293. 52 Vgl. Kapitel 1. 48
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Kapitel 1
rung des beschriebenen Phänomens der internationalen Unternehmenstätigkeit wird ein wissenschaftliches Modell (Theorie53) entwickelt. Dazu werden bestehende Ansätze des strategischen Managements im internationalen Kontext angewendet. Das Modell darf empirisch nicht falsifiziert werden, um daraus reale Gestaltungsempfehlungen (Lösungen, Strategien) zu erarbeiten, die in der Praxis implementiert werden können.54 Auf dem Weg zur Lösung eines Forschungsproblems müssen die aufeinander aufbauenden fünf Stufen der Theoriebildung55 durchlaufen werden.56 Wie in Abbildung 1 zu sehen, sind dies die Begriffsbildung, Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltungsempfehlung. Dabei gestaltet sich die Art der Forschung unterschiedlich und der Forscher setzt verschiedene Methodiken ein, die alle in einem Untersuchungsdesign eingebettet sein müssen.57 Entsprechend der Anforderungen an eine „gute Theorie“ fordert Wacker die Entwicklung konsistenter Modelle, die auf der Basis von Literatur substantielle Erklärungen für reale Ursache-Wirkungszusammenhänge liefern. Dem empirischen Test solcher Modelle kommt schließlich eine besondere Bedeutung zu, denn eine gute theoretische Erklärung ist „a fully explained set of conceptual relationships used for empirical investigations“.58
53
Theorie im engeren Sinne meint ein System von Aussagen, das mehrere Hypothesen oder Gesetze umfassen kann und hinreichend empirisch bestätigt sein muss. Zur Abgrenzung des Theoriebegriffs, siehe Ulrich/Hill (1979), S. 185 oder Schnell/Hill/Esser (2008), S. 54. Wolf formuliert neun Mindestanforderungen an Theorien, die im Idealfall erfüllt sein müssen, damit das Aussagensystem nicht von geringer Erklärungskraft ist: sparsamer Gebrauch von Axiomen, Unabhängigkeitspostulat, Konsistenzpostulat, Vollständigkeitspostulat, Allgemeingültigkeitspostulat, Präzisions- bzw. Bestimmtheitspostulat, geringer logischer Spielraum, Falsifizierbarkeitspostulat, Lakatos-Argument, vgl. Wolf (2008), S. 13ff. 54 Vgl. und im Folgenden Mitroff/Turoff (1974), S. 392. 55 Auf die Schwierigkeit des unterschiedlichen Verständnisses des Begriffs „Theorie“ weist Wolf hin, der davon spricht, dass in der Praxis der Begriff „Theorie“ eher negativ besetzt ist, während in der Wissenschaft ein „positives“ Verständnis überwiegt: „Für ihn [Wissenschaftler] sind Theorien übergeordnete, grundsätzliche, in sich konsistente Aussagensysteme; für ihn bedeuten die Begriffe „Theorie“ bzw. „theoretisch“ etwas Positives, nämlich insbesondere die vorhandene Fähigkeit zum Erkennen von wesentlichen Bestandteilen der Realität und damit zur gezielt-bewussten Ausblendung nebensächlicher Aspekte.“ Wolf (2008), S. 2. 56 Zu den Anforderungen an den Theoriebildungsprozess vgl. Wacker (2008), S. 7ff. 57 Vgl. Riesenhuber (2007), S. 5f und Wolf (2008), S. 13. 58 Wacker (2008), S. 8.
Problemstellung
9
Stufe der Theoriebildung
Art der Forschung
Begriffsbildung Beschreibung
Deskriptive und explorative Forschung
Methode
Qualitative Forschung (Fallstudien)
Erklärung Empirischer Test Prognose Gestaltungsempfehlung
Quantitative Forschung Präskriptive Forschung
Abbildung 1: Stufen der Theoriebildung, Art der Forschung und Methode. Quelle: In Anlehnung an Riesenhuber (2007), S. 6.
Da Wissenschaft immer danach strebt, Aussagen über die innere Verbundenheit in Ereignissen oder menschlichem Zusammenleben zu treffen, kommt der Formulierung der Erkenntnisse auf den einzelnen Stufen der Theoriebildung eine ganz besondere Bedeutung zu.59 Probleme entstehen aufgrund der subjektiven Wahrnehmung des Forschers, seiner interessenbezogenen Werturteile, sowie der präzisen Sprache im Zielkonflikt mit der Verallgemeinerung spezieller Erkenntnisse. Diese Probleme können unter Berücksichtigung von drei Aspekten der Forschung gelöst werden: (1) Entdeckungszusammenhang, (2) Begründungszusammenhang und (3) Verwendungszusammenhang.60 Der Entdeckungszusammenhang bezieht sich auf die ersten beiden Stufen der Theoriebildung und dient dazu, einen gedanklichen Bezugsrahmen zu finden. In diesem Stadium des Forschungsprozesses ist das Vorgehen wertgebunden und erfolgt nach Zweckmäßigkeit, um dadurch den Objektbereich zu finden und abzugrenzen. Daraus abgeleitet ergeben sich die konkrete Problemstellung, sowie erste Vermutungen über Wirkungszusammenhänge, die in Form von Forschungshypothesen formuliert werden können. Auf der Stufe der Erklärung sollen Begründungen für beobachtete Tatsachen gefunden werden. Empirische Methoden dienen zur Überprüfung des gedanklichen Bezugsrahmens und lassen somit nachvollziehbare Schlüsse zu, die mit Hilfe empirischer Tests auf die Konsistenz mit der Wirklichkeit getestet werden können (Wahrheitskriterium). Folg59 60
Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 48. Vgl. und im Folgenden Ulrich/Hill (1979), S. 165f.
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Kapitel 1
lich gewinnt die empirische Forschung vor allem für die praxisnahe betriebswirtschaftliche Forschung immer mehr an Bedeutung, geleitet von dem wissenschaftstheoretischen Prinzip der problemgeleiteten Theorieverwendung.61 Der Verwendungszusammenhang soll schließlich den (gesellschaftlichen) Nutzen der wissenschaftlichen Aussage verdeutlichen. Am besten kommt dies durch die Veröffentlichung von Gestaltungsempfehlungen zum Ausdruck, die eine Relevanz für die Praxis besitzen. Der wissenschaftliche Fortschritt besteht zum einen durch einen Zugewinn informativer Hypothesen, zum anderen durch einen Ausschluss falscher Aussagen, die empirisch getestet wurden. Die wissenschaftliche Erkenntnis muss intersubjektiv nachvollziehbar und dadurch kritisierbar sein. Aus diesem Grund ist es notwendig, den Forschungsprozess (Forschungsdesign) einer Untersuchung genau zu beschreiben und Erkenntnisse mittels wissenschaftlicher Methodik zu gewinnen.62 Forschungsdesign Das Forschungsdesign dieser Arbeit in Abbildung 2 zeigt den Forschungsprozess mit den fünf Stufen der Theoriebildung.63 Von dem realen Forschungsproblem ausgehend wird zunächst auf Basis theoretischer Erkenntnisse und qualitativer Forschung in Form einer Fallstudie das Begriffsgebäude für diese Untersuchung definiert und beschrieben. Anschließend wird in einer theoriegeleiteten Analyse der konzeptionelle Bezugsrahmen entwickelt, aus dem sich das Hypothesen- und Aussagensystem ableiten lässt. Die Hypothesen können dann in einer empirischen Studie analysiert werden, sodass sich abschließend auf Basis der nicht falsifizierten Aussagen Gestaltungsempfehlungen für die Unternehmen ableiten lassen. Da das Forschungsproblem praxisbezogen und das Ziel der Untersuchung Gestaltungsempfehlungen für Unternehmen sind, fordert Chmielewicz eine duale Forschungsstrategie. Die Aufgaben des Theoretikers und des Empirikers sollten gleichberechtigt nebeneinander stehen und ein Erkenntnisgewinn auf Basis eines kontinuierlichen Austauschs von theoretisch und empirisch gewonnenen Ergebnissen ermöglichen.64
61
Vgl. Homburg (2007), S. 52. Vgl. Chmielewicz (1994), S. 134. 63 Ulrich/Hill sprechen von „realanalytischer Konzeption“, vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 183. 64 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 549 und Chmielewicz (1994), S. 149. 62
Problemstellung
11
Begriffsbildung und Beschreibung Forschungsproblem
Theorie
Fallstudie
Empirisch-induktiv
Theoretisch-deduktiv
theoriegeleitete Analyse
Erklärung
Konzeptioneller Bezugsrahmen Gestaltungsvariablen
Erfolgsvariablen
Kontextvariablen
operationalisieren
Aussagensystem (Hypothesen) Deduktion
Prognose: quantitative Analyse
Überprüfung Ursache-Wirkungszusammenhänge Statistische Analyse
Gestaltungsempfehlung Abbildung 2: Forschungsdesign für die Untersuchung.
In den folgenden Abschnitten werden die Methodik und der Analyserahmen zu den einzelnen Stufen der Theoriebildung im Verständnis dieser Arbeit dargestellt.65 Die reproduzierbare Forschungsmethodik ermöglicht einen transparenten Prozess, der zu einem nachvollziehbaren Forschungsergebnis führt. Der Analyserahmen einer Untersuchung orientiert sich an der Forschungsfrage und kann für die einzelnen Forschungsabschnitte unterschiedlich sein. Grundsätzlich geht die Betrachtung von der Oberfläche ins Detail und anschließend wieder ins Verallgemeinernde.66 Begriffsbildung und Beschreibung Ziel der Begriffsbestimmung und Beschreibung67 ist es, das Forschungsthema und die damit im Zusammenhang stehenden Theorien abzugrenzen. Durch Erarbeitung eines soliden und trennscharf formulierten Gerüsts an Begrifflichkeiten wird die Grundlage für eine nachvollziehbare und dadurch kritisierbare Untersuchung gelegt.
65
In diesem Kapitel wird die Methodik der einzelnen Untersuchungsabschnitte nur allgemein skizziert, die Darstellung der tatsächlichen Durchführung findet sich in den jeweiligen Kapiteln dieser Arbeit. 66 Chmielewicz (1994), S. 37 und S. 87f. 67 Da der Übergang zwischen Begriffsbildung und Beschreibung fließend ist und die verwendete Methodik gleich sein kann, werden diese beiden Stufen im Forschungsdesign zusammengefasst. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden beide Theoriebildungsstufen getrennt bearbeitet.
12
Kapitel 1
Die verwendeten „neuen“ Begriffe (Definiendum) bauen sich aus so genannten „Definiens“68 auf und werden mittels einer Nominaldefinition exakt formuliert. Durch diese definitorische Festlegung werden zugleich der inhaltliche Gehalt der Hypothesen und deren potenzieller Erklärungswert bestimmt.69 Dabei ist strikt auf eine an der Realität ausgerichtete Definition der Begriffe zu achten, um die Praxisrelevanz sicherzustellen. 70 Gemäß der Definition der „internationalen Unternehmenstätigkeit“ bezieht sich die Analyse in der theoretischen Begriffsbildung allgemein zunächst auf die Theorien der Internationalisierung, Direktinvestitionen und Ansätze des strategischen Managements. Methodisch wird auf dieser Stufe terminologisch-deskriptiv71 gearbeitet, wobei zwischen deduktivem und induktivem Vorgehen unterschieden wird.72 Mit Hilfe der Deduktion73 werden auf Basis logischer Überlegungen Theoreme aus widerspruchsfreien, vollständigen und unabhängigen Grundaussagen entwickelt. Größtes Problem an der Deduktion ist der Mangel an Allaussagen74 in den Sozialwissenschaften, sodass die ideale Ableitung allgemeingültiger Aussagensysteme nicht möglich ist.75 Ziel der Deduktion ist es, auf Basis eines Gesetzes und gegebenen Randbedingungen (Explanans) ein Phänomen (Explanandum) zu erklären. Die Wahrheit des Gesetzes und die reale Existenz der Randbedingung vorausgesetzt, ergibt sich ein wahres, allgemeingültiges Aussagensystem.76 Probleme bei diesem Vorgehen bestehen zum einen durch die nicht nachweisbare allgemeingültige Wahrheit eines Gesetzes, zum anderen auf Grund unterschiedlicher theoretischer Ansätze, die zu teilweise logisch abgeleiteten Widersprüchen führen. Um solche Widersprüche aufzudecken, sollen die theoretischen Grundlagen dieser Untersuchung mittels einer theoretisch-deduktiven Analyse betrachtet werden.77 Eine weitere Möglichkeit zur Aufdeckung von Widersprüchen - besonders bei praxisorientierten Themen - ist die Induktion78, bei der durch am Einzelfall beobachtete Phänomene auf die Allgemeinheit geschlossen wird. Der größte Nachteil der induktiven Vorgehensweise ist die mangelnde Reproduzierbarkeit, die eine intersubjektive Nach68
Begriffe, die ein allgemeines Verständnis voraussetzen, das nicht weiter erläutert werden muss. Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 51 und die dort zitierte Literatur. 70 Vgl. Macharzina/Oesterle (2002a), S. 13. 71 Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 182 und Schnell/Hill/Esser (2008), S. 7f. 72 Vgl. und im Folgenden Chmielewicz (1994), S. 87ff. 73 lateinisch: „deducere“ = hinabführen. 74 Ein Gesetz, das den Anspruch erhebt, an allen Orten und zu jeder Zeit gültig zu sein, vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 59. 75 Vgl. u.a. Schneider (2001), S. 326 und Schnell/Hill/Esser (2008), S. 59. 76 Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 57ff. 77 Die logische Konsistenz ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung eines theoretischen Modells, vgl. Popper/Keuth (1966), S. 8. 78 lateinisch: „inducere“ = (hin-)einführen. 69
Problemstellung
13
vollziehbarkeit erschwert. Logische Rückschlüsse sind in einem rein induktiven Vorgehen nicht zulässig, weswegen diese Vorgehensweise zur Theorieentwicklung nicht alleine angewendet werden darf.79 Neben einer kontrollierenden Funktion kann die Induktion auch die Suche nach neuen Erkenntnissen übernehmen, die sich nicht logisch aus allgemeinen Aussagen ableiten lassen. Sie ist auf ein empirisches Vorgehen beschränkt, da sie einen oder mehrere Einzelfälle betrachtet und diese Beobachtungen dann allgemeingültig interpretiert.80 Die empirische Untersuchung teilt sich in qualitative und quantitative Forschung.81 Bei der qualitativen Forschung wird versucht, mittels verbaler Beschreibung die Merkmale des Untersuchungsobjektes zu erfassen. 82 Anhand einer Fallstudie (Einzelfallbetrachtung in einer nicht standardisierten Befragung) werden wenig untersuchte Phänomene erfasst und Hypothesen formuliert, die dann in einer größeren Stichprobe getestet werden können.83 Der Forschungsansatz der Fallstudienanalyse ist besonders kreativ, da er sich nicht auf zuvor gefundene Erkenntnisse beschränkt, man spricht daher auch von einem explorativen Forschungsansatz.84 Die induktive Vorgehensweise scheint für die Sozialforschung besonders geeignet. Es werden Realphänomene beobachtet und aus einer Anzahl von Beobachtungen eine Allgemeingültigkeit abgeleitet. Nachteil ist allerdings die mangelnde Überprüfbarkeit auf logische Wahrheit und die intersubjektiv nicht immer nachvollziehbare Datenerhebung.85 Ein rein logisch-deduktives Vorgehen lässt hingegen nicht ausreichend Kreativität für neue Entdeckungen zu. Darüber hinaus können erfahrungswissenschaftliche Theorien niemals alleine mit den Mitteln deduktiver Logik als „wahr“ bezeichnet werden und es bedarf ergänzend einer induktiven Vorgehensweise zum Aufstellen von Hypothesen.86 Um die Vorteile beider Verfahren zu nutzen, wird in dieser Arbeit auf der Stufe der Begriffsbildung und Beschreibung ein theoretisch-deduktives Vorgehen mit einem empirisch-induktiven kombiniert.
79
Vgl. Popper/Keuth (1966), S. 3f und Schnell/Hill/Esser (2008), S. 67. Zu den verschiedenen Induktionsschlüssen siehe Chmielewicz (1994), S. 89. 81 Vgl. Ellram (1996), S. 96f. 82 Vgl. Lamnek (2005), S. 280 und Riesenhuber (2007), S. 5. 83 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 534f; Yin (2002), S. 9 und Riesenhuber (2007), S. 6. Borchardt/Göthlich ordnen die Fallstudie zwischen der empirisch-induktiven und theorisch-deduktiven Vorgehensweise ein, betonen aber damit vor allem die universellen Einsatzmöglichkeiten dieses Vorgehens, vgl. Borchardt/Göthlich (2007), S. 35. 84 Vgl. Krotz (1998), S. 15f und Borchardt/Göthlich (2007), S. 35. 85 Vgl. Strauss (1994), S. 37ff. Nach Strauss finden sich in einer Untersuchung, aus der schließlich praktische Empfehlungen entwickelt werden, immer Elemente einer induktiven und deduktiven Vorgehensweise. Corbin/Strauss betonen, dass das Zusammenspiel beider Methoden für verschiedene Forschungsansätze eine gute Ergänzung darstellt, dies aber im Einzelfall überprüft werden muss, vgl. Corbin/Strauss (2008), S. 27ff. 86 Vgl. Chmielewicz (1994), S. 88. 80
14
Kapitel 1
Der Analyserahmen in der theoretisch-deduktiven Untersuchung bezieht sich allgemein auf das Erkenntnisobjekt des internationalen Wertschöpfungsmanagements und umfasst daher alle international tätigen Unternehmen. In der Fallstudie beschränkt sich der Analyserahmen auf eine kleine Stichprobe ausgewählter deutscher Unternehmen in China. Erklärung Auf der zweiten Stufe des Theoriebildungsprozesses werden die Erkenntnisse aus der theoretisch-deduktiven und der empirisch-induktiven Untersuchung in der theoriegeleiteten Analyse in einen konzeptionellen Bezugsrahmen überführt. Dieses theoretisch fundierte Erklärungsmodell und das daraus abgeleitete Aussagensystem bilden die Grundlage für die empirische Untersuchung. Da die statistischen Zusammenhänge nichts über die tatsächliche Kausalität aussagen, müssen die zu untersuchenden UrsacheWirkungszusammenhänge immer theoretisch begründet sein. Der konzeptionelle Bezugsrahmen mit seinen Gestaltungs-, Kontext- und Erfolgsvariablen erleichtert die systematische Bearbeitung des Untersuchungsfeldes, sofern er im Forschungsdesign konsequent umgesetzt wird.87 Dazu müssen die Konstrukte in Form eines Aussagensystems operationalisiert werden, aus denen sich die Hypothesen ableiten lassen, die empirisch getestet werden.88 Unter einer Hypothese wird eine empirisch noch nicht hinreichend bestätigte Aussage verstanden, die eine Beziehung zwischen mindestens zwei Variablen herstellt. 89 Eine Hypothese erhebt subjektiv immer einen Wahrheitsanspruch90 und kann nach ihrer Form „wahr“ oder „falsch“ sein. Durch diesen objektiven Wahrheitswert der Hypothese wird diese überprüfbar und kann bestätigt oder verworfen werden.91 Hypothesen können – abhängig vom Konkretisierungsgrad – in Forschungshypothesen, operationale Hypothesen und statistische Hypothesen unterschieden werden. 92 Forschungshypothesen werden aus den Voruntersuchungen gewonnen und beziehen sich auf den Gesamtzusammenhang der Forschungsfrage. Bei operationalen Hypothesen steht die Kenntnis von Input-Output-Beziehungen im Vordergrund, die eine spätere kausale Er87
Vgl. und im Folgenden Hildebrandt/Homburg (1998), S. 20ff; Wolf (2008), S. 40ff und Schnell/Hill/Esser (2008), S. 57. 88 Vgl. Wolf (2008), S. 39ff. Er betont aber, dass ein konzeptioneller Bezugsrahmen immer etwas vorläufiges hat und schließlich im Laufe der Untersuchung zu einem detaillierten Erklärungsmodell weiterentwickelt werden soll. 89 Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 183 und Schnell/Hill/Esser (2008), S. 53. 90 Wird subjektiv kein Wahrheitsanspruch erhoben, so spricht man von einer Annahme. Annahmen dienen in der Wissenschaft vor allem der Vereinfachung komplizierter Sachverhalte, sind aber der Theoriebildung mit einem verifizierten Aussagensystem nicht zuträglich, vgl. Chmielewicz (1994), S. 120. 91 Eine Hypothese ist von Definitionen und Werturteilen abzugrenzen, bei denen objektiv kein Wahrheitswert vorliegt, vgl. Chmielewicz (1994), S. 119. 92 Vgl. und im Folgenden Riesenhuber (2007), S. 8 und die dort zitierte Literatur. Statistische Hypothesen werden in dieser Arbeit nicht verwendet.
Problemstellung
15
klärung beobachtbarer Beziehungen zulässt.93 Zur empirischen Überprüfung einer operationalen Hypothese muss diese präzise, aber gleichzeitig universal formuliert werden, zum Beispiel durch die „wenn …, dann…-Form“ oder die „je mehr…, desto…Relation“.94 Da dem kritischen Rationalismus
95
zufolge Hypothesen niemals endgültig als
„wahr“ bewiesen werden können, gilt die Annahme, dass Hypothesen solange wahr sind, als sie nicht falsifiziert worden sind. Die wissenschaftliche Methodik garantiert die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Falsifikation.96 Das auf diese Weise nicht falsifizierte Hypothesensystem gilt als vereinfachende Abbildung der Realität.97 Prognose Auf der vierten Stufe der Theoriebildung wird das Aussagensystem des Erklärungsmodells (konzeptioneller Bezugsrahmen) empirisch getestet. Ziel der quantitativen sozialwissenschaftlichen Forschung ist es, Meinungen, Einschätzungen und Beurteilungen zu messen und dann zu vergleichen.98 Die bereits erwähnte Bedeutung der empirischen Forschung für die Betriebswirtschaft wird daran offensichtlich, dass nur durch sie die Forderung nach Falsifizierung von Hypothesen erfüllt werden kann.99 Bei der quantitativen Forschung werden die Merkmale des Untersuchungsobjektes durch Skalierung bestimmten Zahlenwerten zugeordnet, sodass eine vereinfachte Verarbeitung der Daten möglich ist. Auf diese Weise kann eine größere, möglichst repräsentative Stichprobe untersucht werden. Über die Zahlenwerte wird eine direkte Vergleichbarkeit ermöglicht.100 Der Analyserahmen der quantitativen empirischen Untersuchung umfasst – in Anknüpfung an die empirisch-induktive Analyse – deutsche Unternehmen in China, wobei die Stichprobe so groß sein muss, dass von einer repräsentativen Erhebung ausgegangen werden kann. Gestaltungsempfehlung Zum Abschluss der Untersuchung werden aus den Forschungserkenntnissen Gestaltungsempfehlungen für die unternehmerische Praxis abgeleitet. Diese Strategien bezie93
Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 183. Bei der Kontrolle dieser Hypothesen ist darauf zu achten, dass sie nicht zur Herleitung einer ex-ante-Hypothese genutzt werden, die die Offenheit des Forschungsprozesses einschränkt, vgl. Meinfeld (2003), S. 266. 94 Vgl. Chmielewicz (1994), S. 125f. Dabei ist streng darauf zu achten, dass der Dann-Satz nicht logisch aus dem Wenn-Satz ableitbar ist (z.B.: Wenn 5 + 5 addiert werden, dann ergibt sich 10), weil damit kein empirischer Informationsgehalt entstehen würde. 95 Zum kritischen Rationalismus siehe Popper/Keuth (1966), S. 5ff. 96 Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 176. 97 Vgl. Ulrich/Hill (1979), S. 183. 98 Vgl. und im Folgenden Greving (2007), S. 65. 99 Zu Problemen und Kritik der empirischen Methodik siehe Chmielewicz (1994), S. 135ff. Zur Bedeutung der Empirik für die betriebswirtschaftliche Forschung siehe Homburg (2007), S. 27ff. 100 Vgl. und im Folgenden Riesenhuber (2007), S. 7.
16
Kapitel 1
hen sich auf die Variablen, die für Unternehmen gestaltbar bleiben. Auf Basis der bedingten Prognosen sollen die Gestaltungsempfehlungen für spezifische Situationen bestimmte Zielwirkungen erreichen („Für Y in der Situation Z ist X notwendig“).101 Der Analyserahmen für die Gestaltungsempfehlung besitzt einen verallgemeinernden, sehr umfassenden Charakter und ist nicht auf die untersuchten Objekte der quantitativen Untersuchung beschränkt. Die Entwicklung von Gestaltungsempfehlungen, bzw. Strategien, ist in der Wissenschaft nicht unumstritten. Zahlreiche Wissenschaftler fordern, sich auf die ersten drei Stufen der Theoriebildung zu beschränken, da alles andere die Möglichkeiten der theoretischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung übersteigt. Auf der anderen Seite weisen die Ergebnisse der Studie von Oesterle102 darauf hin, dass wissenschaftliche Erkenntnis nur dann in der Praxis auch wahrgenommen wird, wenn sich aus den Forschungsarbeiten ein Mehrwert für den Praktiker (in Form von Gestaltungsempfehlungen) ergibt. Dies gilt in besonderem für die betriebswirtschaftliche Forschung, deren Untersuchungsobjekt Unternehmen darstellen.103 Dementsprechend wird in dieser Untersuchung die Praxis von Beginn an mit einbezogen, was in einem praxisorientierten Bezugsrahmen104 und einer umfassenden empirischen Analyse mit deutschen Unternehmen zum Ausdruck kommt. Ziel ist die Entwicklung von theoretisch und empirisch fundierten Erklärungen von Ursache-Wirkungszusammenhängen für die internationale Unternehmenstätigkeit, aus denen sich Gestaltungsempfehlungen für die Praxis ableiten lassen. Da der Leserkreis von Gestaltungsempfehlungen neben Wissenschaftlern auch Manager in der Praxis umfasst, wird im Zweifel einer einfachen Darstellung bei maximal möglicher Präzision der Vorrang gegeben.105 Durch die Orientierung der Arbeit am Theoriebildungsprozess, ist der Aufbau der Arbeit aus wissenschaftlicher und praktischer Perspektive nachvollziehbar.
101
Vgl. und im Folgenden Mitroff/Turoff (1974), S. 393; Schnell/Hill/Esser (2008), S. 8; Wolf (2008), S. 10ff. Vgl. Oesterle (2006), S. 320f. 103 Zur Auseinandersetzung „Rigour versus Relevance“ über Gestaltungsempfehlungen siehe Wolf (2008), S. 10ff. 104 Diesen fordert Wolf explizit im Sinne eines wissenschaftlichen und praxisorientierten Forschungsprozesses, vgl. Wolf (2008), S. 12. 105 Zum Konflikt zwischen Einfachheit und Exaktheit siehe Chmielewicz (1994), S. 38. 102
2
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
Die Internationalisierung der Wirtschaft ist kein Phänomen der Neuzeit. Erste grenzüberschreitende Handelsaktivitäten datieren Historiker auf eine Zeit mehrerer Jahrtausende vor Christus. 106 Nach einem vorläufigen Höhepunkt des Welthandels am Ende der Kolonialzeit (vor dem ersten Weltkrieg) nahm die intensive Verflechtung zahlreicher Volkswirtschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder deutlich zu.107 Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Überwindung des Kalten Kriegs setzte die Entwicklung ein, die man als Globalisierung bezeichnet. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es in der Welt keine starren Grenzen mehr und die meisten Länder sind für den Handel offen.108 Die Globalisierungsprozesse der Vergangenheit haben für die Entwicklung der Unternehmen bedeutende Auswirkungen: Nationale Branchengrenzen sind verschwunden, der Druck aus anderen Märkten hat zugenommen und im strategischen Management müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verteidigen. Folglich dehnen immer mehr Unternehmen ihre Aktivitäten in Vertrieb, Produktion, Einkauf, Logistik, aber auch Forschung & Entwicklung, über die Grenzen des Ursprungslandes hinweg aus.109 Für das strategische Management der Unternehmen bedeutet dies, dass die Strategien langfristig und in Einklang mit den internationalen Aktivitäten entwickelt werden müssen. 110 Mit zunehmender Internationalisierung können die Auslandsaktivitäten einen Großteil des Umsatzes ausmachen und somit zum wichtigsten Entscheidungsfaktor für die Unternehmensleitung werden. Die Internationalisierung muss daher gleichberechtigt zu den nationalen Problemen betrachtet werden.111 Wie bereits in Kapitel 1.2 dargestellt, werden in diesem Kapitel die benötigten theoretischen Grundlagen erläutert und die im Untersuchungsverlauf verwendeten Begriffe ab106
Vgl. und im Folgenden Kutschker/Schmid (2006), S. 7ff, Welge/Holtbrügge (2006), S. 1ff. und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 18ff. Vgl. u.a. Macharzina/Wolf (2008), S. 923 und Kutschker/Schmid (2007), S. 807. Zur Geschichte der Internationalen Unternehmenstätigkeit aus unternehmerischer Sicht siehe Dülfer (2002), S. 5ff. 108 Globalisierung ist ein häufig gebrauchter, aber bislang auch sehr missverständlich verwendeter Begriff, der nur sehr ungenau definiert werden kann. Auch das Verhältnis zwischen Globalisierung und Internationalisierung ist noch nicht klar und reicht von synonymer Verwendung über Globalisierung als Teilaspekt der Internationalisierung, bis hin zu einer speziell definierten Verwendung, vgl. u.a. Dülfer (2002), S. 92f, Kutschker/Schmid (2006), S. 153 und Beck (2007), S. 39ff. Eine detaillierte Auflistung verschiedener Autoren mit ihren jeweils eigenen „Globalisierungsdefinitionen“ findet sich bei Schneider (2004), S. 40ff. Da in dieser Arbeit die unternehmensbezogene Perspektive im Fokus der Betrachtung steht, wird im internationalen Kontext ausschließlich der Begriff „Internationalisierung“ verwendet. „Globalisiert“ wird als Eigenschaft im Sinne von „eng vernetzt“ mit geringen Handelsschranken verstanden. 109 Vgl. Kieser/Walgenbach (2007), S. 290 und Busse von Colbe et al. (2007), S. 101. 110 Vgl. Berger (1997), S. 21. 111 Vgl. Krystek/Zur (1997), S. 6ff. 107
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
18
Kapitel 2
gegrenzt.112 Ausgehend von den ökonomischen Theorien der Internationalisierung und basierend auf dem Market-based View (MBV) sowie dem Resource-based View (RBV)113 wird ein Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit entwickelt. Dieses fokussiert auf das internationale Wert-schöpfungsmanagement mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen durch internationale Wertschöpfung zu erklären. 2.1 Grundlagen der Internationalisierung In diesem Abschnitt wird zunächst das begriffliche Verständnis von Internationalisierung für diese Arbeit geklärt und anschließend die Bedeutung von Internationalisierung für die Unternehmen und die Wissenschaft erarbeitet. Dabei geht es vor allem um die theoretische Grundlage der internationalen Unternehmenstätigkeit mit Hilfe der Definition des Begriffs Internationalisierung, Darstellung von Motiven und Zielen international tätiger Unternehmen, möglicher Strategien und dem Prozess der Internationalisierung sowie einer Erklärung von Internationalisierungsgrad und dessen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. 2.1.1
Definition
Zur Definition der Internationalisierung findet man in der Literatur eine Vielzahl von Ansätzen, die von jeglichen grenzüberschreitenden Aktivitäten über bestimmte Formen des Markteintritts bis hin zur Führung ausländischer Tochtergesellschaften reichen. 114 Ähnlich wie bei dem Begriff Globalisierung herrscht hier Ungenauigkeit, so dass man Internationalisierung zunächst nur als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Aktivitäten und Prozessen von Unternehmen ansehen kann, der einer weiteren Differenzierung bedarf.115 Der Begriff Internationalisierung bringt nach gewöhnlichem Empfinden einen Prozess zum Ausdruck, international wäre die entsprechende Zustandsbeschreibung. Dennoch
112
Die Erläuterung der theoretischen Grundlagen fokussiert auf das im aktuellen Kontext Wesentliche, so wie es für die spätere empirische Untersuchung notwendig ist. Zur Vertiefung wird an entsprechender Stelle auf weiterführende Literatur verwiesen. 113 Der marktorientierte Ansatz wird wegen seiner Nutzung zentraler Ideen und Konzepte der Industrieökonomik zuweilen auch als industrieökonomischer Ansatz des strategischen Managements bezeichnet. Gebraucht wird auch die Bezeichnung „marktorientierte Strategielehre“, vgl. Miroschedji (2002), S. 132, Fußnote 447 sowie die dort zitierte Literatur. In dieser Arbeit wird analog zum „Resource-based View“ (RBV) einfach vom „Market-based View“ (MBV) gesprochen. 114 Vgl. Schneider (2004), S. 27ff und Perlitz (2004), S. 8ff. 115 Vgl. Krystek/Zur (2001), S. 23. Zentes spricht von der Globalisierung „als die extreme bzw. umfassendste Ausprägung der Internationalisierung, die sich gleichermaßen in weltweiten Exporten / Importen oder in weltweit dislozierter Wertschöpfung niederschlagen kann.“ (Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 4). Diesem Begriffsverständnis wird in dieser Arbeit insoweit gefolgt, als für den Begriff „global“ keine weitere Differenzierung vorgenommen wird.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
19
hat sich in den Veröffentlichungen für den Terminus Internationalisierung sowohl eine Verwendung im Sinne von Prozess als auch im Sinne von Zustand durchgesetzt.116 Grundsätzlich richtet sich das Verständnis danach, ob Internationalisierung im Sinne von bestimmten funktionsbereichsspezifischen Problemen angesehen wird (dies beschränkt sich meistens auf das Marketing oder den Absatzmarkt) oder ob man von einer funktionsübergreifenden Ausdehnung der Aktionsmöglichkeiten der Unternehmen in andere Länder ausgeht.117 Da die Internationalisierung aber das Unternehmen konzeptionell als Ganzes erfasst, erscheint die funktionsbereichsspezifische Betrachtung zu eng. Wie Porter zeigt, können sich auch andere Teilbereiche des Unternehmens, wie zum Beispiel Beschaffung, Produktion und Logistik über Ländergrenzen hinweg ausdehnen.118 Folglich wird das Begriffsverständis nicht auf die Absatzaktivitäten in anderen Ländern beschränkt. Ein sehr weites Verständnis von Internationalisierung findet sich beispielsweise bei Macharzina/Wolf, die den Begriff internationales Unternehmen schon bei einfachen grenzüberschreitenden Formen der Geschäftstätigkeit anwenden.119 Damit wären bereits Unternehmen mit Import- bzw. Exporttätigkeiten „international“. In Abgrenzung zu dieser sehr weiten Fassung, sprechen einige Autoren erst dann von internationalen Unternehmen, wenn deren Auslandsaktivitäten strategisch geplant sind und damit zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen.120 In dieser Arbeit steht die unternehmensbezogene Perspektive im Vordergrund. Daher wird Internationalisierung als grenzüberschreitende Erstellung und Verwertung von Leistungen in Form einer geographisch verteilten Wertschöpfungskette verstanden (Cross-Border-Wertschöpfung). 121 Die Anbahnung einer Internationalisierung durch Verlagerung von Wertaktivitäten beinhaltet allerdings bereits Import- oder Exportaktivitäten.122 Eine substantielle und regelmäßige Leistungserstellung im Ausland wird durch
116
Internationalisierung bezieht sich in diesem Falle immer auf Unternehmen, in dieser Arbeit wird der Begriff synonym zu „international tätig“ verwendet. „International“ ist ein Unternehmen diesem Verständnis folgend, wenn es „international tätig“, also „internationalisiert“ ist, vgl. Perlitz (2004), S. 9 und Kutschker/Schmid (2008), S. 242ff sowie die darin zitierte Literatur. 117 Vgl. Perlitz (2004), S. 8. 118 Vgl. Porter (1989), S. 22. 119 Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 927. 120 Vgl. Perlitz (2004), S. 10 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 7 sowie die dort zitierte Literatur. 121 Eine weitergehende Möglichkeit zur Klassifizierung „internationaler“ Unternehmen wäre, qualitative Merkmale zur Begriffsbestimmung hinzuzuziehen. Dabei könnte zum Beispiel die Einbindung der Internationalisierungsziele in die gesamte Unternehmensstrategie oder die Besetzung des Vorstands durch ausländische Führungskräfte das „globale Denken“ im Unternehmen zum Ausdruck bringen. Derartige Definitionen sind für empirische Arbeiten aber ungeeignet, da sie sich nicht oder nur schwer in praktisch messbare Größen umsetzen lassen. Sie werden daher in dieser Arbeit nicht weiter verfolgt, vgl. Glaum (1996), S. 9f. 122 Vgl. Glaum (1996), S. 12.
20
Kapitel 2
eine Ansiedlung von Wertaktivitäten (Leistungserstellungs- und Leistungsverwertungsprozesse) in anderen Ländern sichergestellt.123 Dies führt zu folgender Definition:124 Ein international tätiges Unternehmen ist eine Organisation, die Wertaktivitäten dauerhaft in mehr als einer Volkswirtschaft unterhält, koordiniert und in den Unternehmensverbund integriert. Die Motive und Ziele der Internationalisierung können vielfältig sein, letztendlich geht es für die Unternehmen aber um die Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit oder die Schaffung neuer Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten, wie in Kapitel 2.3 gezeigt wird. Die Internationalisierung ist allerdings kein statisches Phänomen, sondern verläuft als dynamischer Prozess.125 Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich der Prozess in Anlehnung an das enge Internationalisierungsverständnis immer auf die Konfiguration der Wertaktivitäten. Zur besseren Abgrenzung internationaler Unternehmen ist es hilfreich, den Grad der Internationalität eines Unternehmens zu bestimmen. Dazu müssen Kriterien gemessen werden, die eine Unterscheidung ermöglichen. Allgemein wird zwischen quantitativen und qualitativen Kriterien unterschieden, wobei sich immer Probleme hinsichtlich der Bestimmung der Intensitätsstufen bzw. der typologischen Unterscheidung ergeben. 126 Ähnliche Probleme ergeben sich beim Messen des Einflusses von Internationalisierung auf den Unternehmenserfolg.127 In Anlehnung an die verschiedenen Strategien und Internationalisierungsgrade findet sich in der Literatur die Differenzierung in international, multinational, global und transnational.128 Eine klare Trennung der Begriffe ist zum einen umstritten, zum anderen könnte jeder dieser Unternehmenstypen unterschiedliche Internationalisierungsstrategien verfolgen. Der vorgeschlagene Typus hat also keine Auswirkung auf Organisationsentscheidungen oder die Konfiguration der Wertaktivitäten. Da es in dieser Untersuchung nicht darum geht, unterschiedliche Ausprägungen von Internationalität zu analysieren,
123
Kutschker/Schmid (2007), S. 244 und Kreikebaum/Gilbert/Reinhardt (2002), S. 6. Vgl. u.a. Oesterle (1999), S. 220; Simon (2007), S. 15 und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 3ff. Zentes/Swoboda/Morschett sprechen von internationalen Unternehmen, wenn sie „in mehreren Ländern bzw. mehreren Volkswirtschaften tätig sind“. „Tätig“ wird in diesem Fall als Aktivität in einem anderen Land bzw. in einer anderen Volkswirtschaft verstanden, vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 3. 125 Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 127. 126 Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 6. 127 Vgl. Kapitel 2.1.4. 128 Vgl. zum Beispiel Welge/Holtbrügge (2006), die auf Basis von Bartlett/Goshal das Modell exakt definiert und die vier Strategien für die wichtigsten Unternehmensfunktionen angewendet haben. Die Unterscheidung ist aber an vielen Stellen nicht realitätsnah bzw. erscheint wenig sinnvoll, zum Beispiel im Bereich Controlling (vgl. Bartlett/Ghoshal (2002), S. 65ff). 124
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
21
werden im Folgenden die Unternehmenstypen nicht weiter differenziert, sondern unter dem Sammelbegriff internationales Unternehmen verwendet.129 2.1.2
Motive und Ziele der Internationalisierung
Ausgangspunkt der Untersuchung von internationaler Unternehmenstätigkeit ist die Frage nach Motiven und Zielen130 der Unternehmen für eine Internationalisierung. Die traditionellen Theorien des Außenhandels versuchen die Motivation anhand der ökonomischen Notwendigkeit zu erklären, die sich aus Gesamtwohlfahrtsgewinnen von Volkswirtschaften ableiten.131 In späteren Theorien geht es darum, Wege zur Zielerreichung der Auslandsmarktbearbeitung aufzuzeigen, wofür Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien entwickelt werden. Neben den internen, individuellen Motiven der Mitarbeiter, gibt es so genannte unternehmensbezogene Motivatoren,132die eine Internationalisierungsentscheidung begünstigen können. In der Literatur finden sich als Internationalisierungsmotivatoren:133 !
Suche nach neuen Absatzmärkten (zum Beispiel aufgrund von Sättigungserscheinungen auf dem Heimatmarkt),
!
Verteidigung einer etablierten Position auf dem Heimatmarkt,
!
Zugriff auf Ressourcenquellen und neue Technologien,
!
Streben nach Fertigungseffizienz durch Ausnutzung von Skaleneffekten und Faktor kosten unterschieden sowie
!
Risikovermeidung durch Erschließung unterschiedlicher Märkte.
Die Motivation kann also sowohl aus dem unternehmensinternen Streben nach Wachstum, als auch aus externen Einflüssen durch Wettbewerb entstehen. Angesichts der Vielzahl theoretischer Erklärungsversuche für die Motivatoren zur Internationalisierung, 134
129
Vgl. u.a. Macharzina/Wolf (2008), S. 927, die eine „künstliche Unterscheidung“ dieser Begriffe ablehnen. Der Begriff Motiv stammt aus der Psychologie und beschreibt einen inneren Spannungszustand, der ein gerichtetes Verhalten auslöst. Motive sind immer auf Individuen bezogen und stehen damit im Gegensatz zu den Zielen, die zum Beispiel unternehmensbezogen aufgestellt werden. Dennoch ist es notwendig, dass zwischen der persönlichen Motivation der Entscheidungsträger eines Unternehmens und den unternehmensbezogenen Zielen ein klarer Zusammenhang besteht, vgl. Scherm/Süß (2001), S. 5. 131 Vgl. Kapitel 2.2. 132 Vgl. Aharoni (1966), S. 55ff. Die individuellen Motivationen der Mitarbeiter spielen im Rahmen dieser Arbeit keine besondere Rolle, da die Mitarbeiter vereinfachend als Teil der Organisation gesehen werden. Wichtiger sind die Motivatoren, die durch externe Einflüsse auf das Unternehmen erwirkt werden. 133 Vgl. u.a. Kreikebaum/Gilbert/Reinhardt (2002), S. 9; Perlitz (2004), S. 35ff und Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 71ff. 134 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 5 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 114. Problematisch bei der empirischen Analyse erscheint die Tatsache, dass Motive für eine Internationalisierung personengebunden sind und oftmals schon Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegen. Demzufolge könnte über die eigentlichen Motive und Motivatoren heutzutage nur noch gemutmaßt werden. 130
22
Kapitel 2
soll eine empirische Untersuchung mit deutschen Unternehmen den tatsächlichen Einfluss einzelner Faktoren aufzeigen: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befragt jährlich seine 8.000 Mitgliedsunternehmen unter anderem nach den Motiven für Auslandsinvestitionen. Die wichtigsten Motivationen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Funktionsschwerpunkte der Auslandsinvestitionen deutscher Industrieunternehmen Auslandsproduktion zur Kostenersparnis
35 %
Auslandsproduktion zur Markterschließung
30 %
Vertrieb und Kundendienst
35 %
Tabelle 1: Motive für eine Auslandsinvestition deutscher Unternehmen. Quelle: DIHK (2008), S. 4.
Bei den befragten deutschen Unternehmen liegen die Motive zur Internationalisierung vor allem in der Ausnutzung von Kostenvorteilen sowie der Schaffung neuer Absatzpotenziale (2 und 3). Da die Unternehmen nur eine Antwort angeben durften, ist davon auszugehen, dass bei einigen Unternehmen auch beide Motive einen wichtigen, vielleicht sogar gleichwertigen Einfluss haben, was allerdings wieder vom jeweiligen Zielmarkt abhängt. Daneben gibt es noch weitere Motive, wie zum Beispiel die Produktionsverlagerung eines „key-accounts“ oder ein Ausweichen in andere Märkte aufgrund geringerer Reglementierung und Bürokratie. Letztendlich lassen sich diese Nebenmotive immer wieder auf die beiden Hauptmotive zurückführen. Diese Erkenntnis führt im nächsten Schritt zu den Zielen der Internationalisierung, die ein Unternehmen mit seinem Auslandsengagement verbindet. Die unternehmensbezogenen Ziele werden von den Entscheidungsträgern festgelegt und somit für die Organisation vorgegeben. Die Ziele richten sich zum einen nach den Motiven, zum anderen nach den langfristigen, strategischen Überlegungen. Zur strategischen Zielfindung werden oftmals verschiedene Stakeholder eingeschaltet. Aus den strategischen Zielen werden dann für die einzelnen Unternehmensbereiche die operativen Ziele abgeleitet. Diese haben meist einen Horizont von 3 – 12 Monaten. Im Gegensatz zu den Motiven lassen sich unternehmensbezogene Ziele – aufgrund der Kurzfristigkeit - durch Befragung relativ einfach erheben. Internationalisierungsziele sind:
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen !
23
absatzorientiert (Ausbau der Marktposition und Umgehung von Handelsrestriktionen),
!
beschaffungsorientiert (kostengünstigste Sicherung der Versorgung mit Resourcen) und
!
kostenorientiert (kostengünstigerer Leistungserstellungsprozess im Ausland, Economies of Scale, Economies of Scope).135
Ähnlich wie bei den Motiven, stehen bei den meisten international tätigen Unternehmen die absatzorientierten Ziele im Vordergrund. Besonders in Niedriglohnländern spielen die auf Kostensenkung ausgerichteten Ziele eine große Rolle. In Zeiten knapper Rohstoffe werden zudem die ressourcenorientierten Ziele immer wichtiger.136 Bei einer konkreten Internationalisierungsentscheidung überlagern sich in der Regel unterschiedliche Zielsetzungen. Darüber hinaus hängt die Entscheidung von einer Vielzahl von Einflussfaktoren des Marktes und der Unternehmensausstattung ab. 2.1.3
Internationalisierungsprozess und -strategien
Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit ist ein kein statisches Phänomen, sondern ein komplexer Prozess, der sich über den Zeitverlauf ändern kann. Sobald der Prozess ausgelöst ist, wird er von den Motiven und Zielen des Unternehmens und Entwicklungen seiner Umwelt beeinflusst. Trotz der Erkenntnis, dass sich besonders Erfahrungswissen im Laufe der ausländischen Marktpräsenz erheblich vermehrt, was eine dynamische Betrachtung notwendig erscheinen lässt, findet das Prozessdenken bislang nur wenig Beachtung in der Literatur.137 Der Prozess ist eine Folge von Aktivitäten oder Ereignissen, die über einen gewissen Zeitablauf eine Veränderung mit sich bringen.138 Der Internationalisierungsprozess unterliegt einer unstetigen Dynamik, da gerade der Einbezug von „dynamischen Märkten“ zu einer nicht kontinuierlichen Entwicklung führt. Die Dynamik charakterisiert also
135
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 928 und Kieser/Walgenbach (2007), S. 290f. Scherm/Süß (2001), S. 6 spricht von absatzmarktorientierten, kosten- und ertragsorientierten sowie beschaffungsorientierten Zielen. 136 Vgl. und im Folgenden Kreikebaum/Gilbert/Reinhardt (2002), S. 9. 137 Vgl. Perich (1992), S. 93; Scherm/Süß (2001), S. 89; Macharzina/Wolf (2008), S. 927; Simon (2007), S. 35 und Kutschker/Schmid (2008), S. 1083. 138 Zur Definition der Zeit: Auch wenn der Mensch nicht über ein objektives Zeitverständnis verfügt, ist Zeit doch für jeden (subjektiv) wahrnehmbar (z.B. Alterung biologischer Organismen, Ablauf von Prozessen, Bewegung räumlicher Körper im dreidimensionalen Raum). Es gibt unterschiedliche Zeitvorstellungen (linear, zyklisch und spiralförmig) sowie verschiedene grundsätzliche Wahrnehmung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vgl. Bleicher (1986), S. 261ff und Perlitz (2004), S. 261f. Das zeitliche Längenmaß, welches unter anderem bei der Prozessbetrachtung eine Rolle spielt, wird als „Dauer“ bezeichnet.
24
Kapitel 2
nicht nur die Systeme im Zeitablauf, sondern hat einen prägenden Einfluss auf den Internationalisierungsprozess.139 In dieser Arbeit wird der Prozess der Internationalisierung verallgemeinernd als Veränderung der Internationalität eines Unternehmens im Zeitablauf verstanden. Dabei kann Internationalität, gemessen anhand des Internationalisierungsgrads, sowohl zu-, als auch abnehmen und ist von einem Zeitpunkt t1 zu einem Zeitpunkt t2 zu betrachten. Die Erfassung der Internationalisierung erfolgt über den Internationalisierungsgrad zu den verschiedenen Zeitpunkten.140 Betriebswirtschaftlich gesehen, ist die Internationalisierung eine konstitutive Entscheidung und damit nur schwer revidierbar. Besonders der Zeitpunkt des Markteintritts ist wegweisend für die Entwicklung des Unternehmens auf dem Markt. Dies gilt im Hinblick auf eine langfristige Kundenorientierung (Marketing), aber auch für die Wertschöpfungsprozesse (Beschaffung, Produktion und Logistik), die für die Marktbearbeitung grundlegend sind.141 Für die Internationalisierungsstrategie sind der jeweilige Zeitpunkt des Eintritts in einen Ländermarkt, die Wahl einzelner aufeinander folgender Ländermärkte und der Realisierung unterschiedlicher Wertaktivitäten in den Ländermärkten besonders relevant.142 Im Verständnis dieser Arbeit wird in Anlehnung an Kutschker/Schmid der Begriff Internationalisierungsstrategie wie folgt definiert:143 Internationalisierungsstrategien bezeichnen sowohl das geplante, als auch das sich ungeplant ergebende Entscheidungs- und Handlungsmuster von Unternehmen im internationalen Umfeld. Wobei die Strategien zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen durch international verteilte Wertschöpfung auf der einen Seite die Umwelt und auf der anderen Seite die eigenen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen einbeziehen. Die Definition verdeutlicht, dass die Wahl der Internationalisierungsstrategie nicht nur die Form der erstmaligen Aufnahme länderübergreifender Geschäftsbeziehungen bestimmt, sondern darüber hinaus die langfristige Gestaltung und Ausdehnung internationaler Engagements. 144 Entsprechend des Prozessverständnisses steigern sich die Aus139
Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 94 und Simon (2007), S. 32. Kutschker spricht in diesem Zusammenhang von einem kontinuierlichen, inkrementalen und evolutionären Prozess, der auch Wechsel von kontinuierlichen und diskontinuierlichen Phasen beinhalten kann, vgl. Kutschker (1994), S. 235ff. 140 Vgl. Simon (2007), S. 34. 141 Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 131. 142 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 965ff. 143 Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 945 und Kutschker/Schmid (2008), S. 824. 144 Vgl. Al-Laham (2004), S. 2.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
25
landsaktivitäten oftmals schrittweise. Abbildung 3 zeigt die verschiedenen Formen der Internationalisierung, sortiert nach dem damit verbundenen Ressourcen- und Technologietransfer, sowie der Auslandsinvestition. Die Übergänge sind teilweise fließend, die Internationalisierungsform kann aber immer nur auf ein einzelnes Internationalisierungsvorhaben bezogen werden. Innerhalb eines international tätigen Unternehmens können Wertaktivitäten funktional und institutional in unterschiedlichen Formen verlagert werden.
Ressourcentransfer
hoch
institutional (mit Kapitalbeteiligung, Direktinvestition) Akquise
100% Tochter Neugründung
funktional (ohne Kapitalbeteiligung)
Joint Venture
Franchising Lizenzierung
Export Auslandsinvestition
hoch
Abbildung 3: Formen der Internationalisierung. Quelle: in Anlehnung an Schneider (2004), S.28.
Ist die strategische Entscheidung für einen Markteintritt gefallen, geht es im nächsten Schritt darum, die Marktbearbeitungsform zu wählen. Man unterscheidet grundsätzlich in Marktbearbeitung ohne Kapitalbeteiligung und mit Kapitalbeteiligung. Der Zielsetzung entsprechend handelt es sich also um eine funktionale Internationalisierung (ohne Kapitalbeteiligung) in Form des Exports, der Lizenzierung oder des Franchising oder um eine institutionale Internationalisierung in Form der Direktinvestition in ein JointVenture oder eine eigene Tochtergesellschaft.145 Funktionale Internationalisierung (ohne Kapitalbeteiligung) Beim Export werden Waren oder Dienstleistungen gewerbsmäßig grenzüberschreitend abgesetzt, wobei die Leistung des Unternehmens im Inland erstellt wird. Im Gegensatz 145
Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 130.
26
Kapitel 2
zum indirekten Export erfolgt der direkte Export unmittelbar an ausländische Geschäftspartner. Dabei dienen Repräsentanzen im Ausland der Geschäftsanbahnung, der eigentliche Geschäftsabschluss erfolgt über das Mutterhaus.146 Der Export eignet sich vor allem für die frühen Phasen der Internationalisierung. Die Leistungserstellung vollzieht sich im Inland, so dass keine weiteren Fixkosten entstehen und nur wenige zusätzliche Ressourcen gebunden werden. Über den Aufbau eines Repräsentanzbüros zum direkten Export können spezifische Gastlandkenntnisse gewonnen werden. Allerdings nutzt man mit dem Export keine Faktorpreisunterschiede und es fallen zusätzliche Kosten zum Beispiel durch Transport oder Zoll an. Aus diesen Gründen bildet der direkte Export oftmals nur die Ausgangsbasis intensiverer Internationalisierungsaktivitäten.147 Mit Hilfe von Lizenzvergaben oder Franchising können Unternehmen mit ausländischen Geschäftspartnern kooperieren. Dadurch können sie mit relativ geringem Risiko und Ressourceneinsatz die Vorteile der Direktinvestition nutzen und zum Beispiel Handelsbarrieren umgehen. Die Einflussnahme auf die Geschäftspartner und die Ausnutzung von Wettbewerbspotentialen richtet sich nach der Vertragsausgestaltung.148 Insgesamt stellen die Marktbearbeitungsformen ohne Kapitalbeteiligung keine unternehmensinterne Verlagerung von Wertaktivitäten dar. Die Wertaktivitäten werden an lokale Partner ausgelagert, sodass möglich Absatz- und Kostenpotentiale nicht in vollem Umfang genutzt werden können. Damit grenzen sich diese Formen deutlich von der Direktinvestition ab und werden im Folgenden nicht weiter betrachtet. Institutionale Internationalisierung (mit Kapitalbeteiligung) Auslandstätigkeiten auf Basis von Direktinvestitionen dienen dem Ziel, die im Gastland vorhandenen Potentiale zu nutzen und dabei einen möglichst großen Einfluss bei minimalem Risiko zu haben. Die Internationalisierung kann in Form von Kooperationen (Gemeinschaftsunternehmen) oder als 100%ige Tochtergesellschaften (WFOE) 149 erfolgen. 150 Eine besondere Form des Markteintritts stellen die Repräsentanzbüros (REP) dar.151 146
Vgl. Backhaus/Büschken/Voeth (2003), S. 177. Vgl. und im Folgenden Welge/Holtbrügge (2006), S. 108 und Hilger (2001), S. 16 sowie die darin zitierte Literatur. 148 Vgl. Habedank (2006), S. 42. 149 Auslandsniederlassungen (WFOE = Wholly Foreign-Owned Enterprise) sind rechtlich eigenständig, aber wirtschaftlich teilweise unselbständig, da sie von der jeweiligen deutschen Muttergesellschaft kontrolliert werden. 150 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 178 und Bamberger/Wrona (2006), S. 407. 151 Formal gesehen handelt es sich bei Repräsentanzbüros nicht um eine Direktinvestition. De facto investieren die Unternehmen aber Geld zum Aufbau und Betrieb der Repräsentanz, obwohl die Aktivitäten über das Mutterhaus abgerechnet werden. 147
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
27
Ein Joint Venture (JV) ist eine dauerhafte, vertraglich festgelegte Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen. In den meisten Fällen findet ein Zusammenschluss zwischen ausländischen und inländischen Partnerunternehmen statt. 152 Dies kann aufgrund von bestehenden rechtlichen Beschränkungen153 erfolgen oder mit dem Ziel der schnellen Markterschließung. Durch die Tätigung beziehungsspezifischer Investitionen wird eine gemeinsame Realisierung dauerhafter Wettbewerbsvorteile verfolgt (win-win-Situation), wobei für das investierende Unternehmen das Risiko beim Markteinstieg möglichst gering sein soll.154 Neben dem Transfer von Eigenkapital erfordert eine ausländische Unternehmenskooperation auch die Entsendung von kompetentem Managementpersonal.155 Dabei darf das hohe Konfliktpotential während der gesamten Laufzeit des Joint Ventures zwischen den Partnern nicht unterschätzt werden. Dieses bezieht sich vor allem auf die Gefahr des einseitigen Know-how Verlustes, auf die Gewinnverwendung sowie auf die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzbereiche.156 Grundlage für ein erfolgreiches Joint Venture sind daher die richtige Partnerwahl und eine detaillierte Vertragsgestaltung.157 Im Gegensatz zum JV steht die Auslands-, bzw. Tochtergesellschaft (WFOE)158 unter alleiniger Verfügungsgewalt der Muttergesellschaft. Damit kann das Unternehmen von direkten Erfahrungseffekten beim Markteintritt profitieren und Dank der uneingeschränkten Verfügungsmacht Wettbewerbsvorteile vollständig zu seinen Gunsten nutzen. Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes zur Gründung eines WFOE, steht dieses immer für ein starkes, langfristiges Engagement und soll eng in den weltweiten Unternehmensverbund integriert werden.159 Neugründungen bieten den Vorteil der freien Gestaltungsmöglichkeit bezogen auf die Wahl des Standorts, die Einrichtung der Produktionsstätte, die Ausgestaltung des Mana152
Joint Venture sind in dieser Untersuchung Gemeinschaftsunternehmen mit deutsch-chinesischen Partnerunternehmen, bei denen ein Teil der globalen Wertschöpfung im chinesischen Markt erfolgt. 153 Beispielhaft sei hierfür die Gesetzeslage in der Volksrepublik China vor dem Beitritt zur Welthandelsorganisation erwähnt. In den meisten Branchen bestand damals für ausländische Unternehmen ein Zwang, mit einem chinesischen Unternehmen ein Joint-Venture zu gründen, wenn man in den Markt eintreten wollte. Die mögliche Ausgestaltung des Joint Ventures (Verteilung der Anteile etc.) war in einzelnen Branchen unterschiedlich. 154 Vgl. und im Folgenden Börsig/Baumgarten (2002), S. 555f. 155 Vgl. Habedank (2006), S. 42 sowie Welge/Holtbrügge (2006), S. 111ff. Um bei wichtigen Entscheidungen eine Patt-Situation zu vermeiden, wird häufig eine Mehrheitsbeteiligung eines Joint Venture Partners angestrebt, vgl. Hilger (2001), S. 41. 156 Vgl. Hilger (2001), S. 47 sowie die dort zitierte Literatur. 157 Vgl. Börsig/Baumgarten (2002), S. 559ff. 158 Zum Unterschied zwischen Auslandsniederlassung und Tochtergesellschaft siehe Habedank (2006), S. 42f. In dieser Arbeit wird nicht zwischen diesen beiden Formen unterschieden, sondern die Begriffe synonym im Sinne des WFOE verwendet. 159 Vgl. Meckl (2002), S. 657ff. Zur detaillierten Betrachtung der Rechtsform und Vertragsgestaltung siehe Meckl (2002), S. 660ff.
28
Kapitel 2
gements und des Marketings. Die Steuerung und Kontrolle des Unternehmens erfolgt ohne konfliktreiche Anpassungsmaßnahmen, wie sie bei der Akquise bestehender Unternehmen anfallen. Hingegen ermöglichen Akquisitionen die Übernahme bestehender, betriebsbereiter Unternehmen, so dass eine schnelle Erschließung des Auslandsmarktes durch die Nutzung von vorhandenen Vertriebsnetzwerken und Ressourcen forciert werden kann.160 Die Wahl zwischen JV und WFOE sowie zwischen Neugründung und Unternehmenserwerb wird maßgeblich durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen, die gewünschte Zügigkeit des Markteintritts, Art und Umfang der zu verlagernden Wertaktivität und die gegebenen Markteintrittsbarrieren bestimmt.161 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden nur institutionale Internationalisierungen durch Verlagerung von Wertaktivitäten betrachtet. Die Gründung eines REP, das zusätzlich in die Untersuchung aufgenommen wird, stellt einen Grenzfall dar, da rein rechtlich keine Investition im Ausland getätigt wird. REP sind ständige Vertretungen von Unternehmen und stellen keine eigene Rechtspersönlichkeit dar. Ziel dieser Büros ist die Vermittlung von Kontakten und Anbahnung von Geschäften, die dann über die Muttergesellschaft abgewickelt werden. 162 Dementsprechend werden keine Wertaktivitäten verlagert oder Umsatz im Gastland erzeugt. Dennoch sollen die REP in die Untersuchung aufgenommen werden, da die Unternehmen Kapital und Ressourcen in einem Zielland einsetzen, um das Büro zu gründen und zu betreiben. Aus Sicht der Unternehmen tragen die Büros durch ihre Tätigkeit einen Teil zur Wertschöpfung im Ausland bei. 2.1.4
Internationalisierungsgrad
Ähnlich wie bei der Definition zur internationalen Unternehmenstätigkeit gibt es auch zur Bestimmung eines Internationalisierungsgrads für Unternehmen bislang keine einheitliche Definition. Dabei ist eine messbare Einschätzung des Internationalisierungsgrads von großer Bedeutung, wenn man international tätige Unternehmen miteinander vergleichen und dann ggf. Rückschlüsse auf den Unternehmenserfolg ziehen möchte. Allgemein lassen sich quantitative und qualitative Indikatoren unterscheiden, mit denen man den Internationalisierungsgrad von Unternehmen messen kann. Quantitative Kriterien können sein:163
160
Vgl. und im Folgenden Hilger (2001), S. 51f und Welge/Holtbrügge (2006), S. 120ff. Vgl. Bamberger/Wrona (2006), S. 408. 162 Vgl. Holtbrügge/Puck (2008), 95f. 163 Vgl. Krystek/Zur (2001), S. 5 und Siedenbiedel (2008), S. 49ff. 161
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
29
!
Anzahl der Länder mit ausländischen Niederlassungen,
!
Quote im Ausland erbrachter Umsätze, bzw. Wertschöpfung (Eigenleistungen),
!
Quote ausländischer Mitarbeiter,
!
Höhe ausländischer Direktinvestitionen oder Quote ausländischer Buchwerte,
!
Internationale Eigenkapitalstreuung und
!
Exportanteil.
Mit diesen quantitativen Daten könnte ein Internationalisierungsindex abgebildet werden, gleichwohl die Messung und ein allgemeiner Vergleich aufgrund der Branchenheterogenität problematisch erscheinen. 164 Darüber hinaus vernachlässigt eine rein quantitative Betrachtung den umfassenden Charakter der Internationalisierung, die das Unternehmen als Ganzes erfasst.165 Daher bedarf es weiterer, qualitativer Kriterien, um den Internationalisierungsgrad von Unternehmen und die damit verbundene strategische Ausrichtung zu beschreiben166. Das bekannteste Konzept zur qualitativen Beschreibung des Internationalisierungsgrads liefert Perlmutter mit seinem EPRG-Ansatz. Darin betont er die Bedeutung der Einstellung und Herkunft der Führungskräfte für das Gesamtunternehmen, ausgedrückt in Werten, Erfahrungen, Erlebnissen sowie Gewohnheiten und Vorurteilen. Diese Ausprägungen lassen sich zu vier Idealtypen zusammenfassen: Ethnozentrisch, polyzentrisch, regiozentrisch und geozentrisch. Bei diesem Modell stehen vor allem kulturelle Aspekte in der Unternehmensleitung und damit die Durchmischung von Kulturen auf der Führungsebene im Fokus der Betrachtung.167 Um Rückschlüsse auf die Organisationsstruktur international tätiger Unternehmen zu ziehen, kann allgemein der Einfluss internationaler Aktivitäten auf die Gesamtstrategie betrachtet werden.168 Dieses qualitative Kriterium ist aber nicht nur schwierig zu messen, sondern macht eine vergleichende Analyse fast unmöglich. Es kann folglich nicht dazu verwendet werden, um den Internationalisierungsgrad von Unternehmen exakt zu bestimmen. In dieser Arbeit werden daher leicht zu messende und vergleichbare Kriterien zur Bestimmung des Internationalisierungsgrads verwendet.169
164
Da die subjektiven Antworten von Befragten sich immer auf die jeweils eigene Branche beziehen, sind die Daten vergleichbar, vgl. Spanos/Lioukas (2001), S. 916. 165 Vgl. Perlitz (2004), S. 10. 166 Vgl. und im Folgenden Perlitz (2004), S. 10, Söllner (2008), S. 347ff und Siedenbiedel (2008), S. 48ff. 167 Vgl. Perlmutter (1969), S. 9ff; Welge/Holtbrügge (2006), S. 44ff und Kutschker/Schmid (2008), S. 347f. 168 Vgl. Siedenbiedel (2008), S. 48ff. 169 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 11f und Kutschker (2002), S. 50ff.
30
Kapitel 2 Der Internationalisierungsgrad lässt sich bestimmen nach 1) Art und Umfang der Wertaktivitäten in den verschiedenen Ländern, 2) Integration der Unternehmensaktivitäten und 3) geographisch-kulturelle Distanz der Länder.
Die in Kapitel 2.1.3 dargestellten Marktbearbeitungsformen haben in diesem Fall keine Auswirkung auf den Internationalisierungsgrad, da sie ein rein formelles Kriterium darstellen und sich die internationale Verflechtung von Unternehmen gut über die Wertaktivitäten und deren Integration darstellen lassen. Aus der Ausprägung der einzelnen Punkte kann aber ein gewisser Internationalisierungsgrad der Unternehmen abgeleitet werden, wie im Folgenden erläutert wird. Über die Art der verlagerten Wertaktivitäten (zu 1) wird qualitativ die weltweite Konfiguration der Wertaktivitäten betrachtet. Der Umfang kann quantitativ über die Quote der Mitarbeiter im Ausland und der Quote des Auslandsumsatzes bemessen werden. Für den Internationalisierungsgrad gilt, je umfangreicher und variantenreicher die Wertschöpfung im Ausland, desto internationaler. Das Ausmaß der Integration von Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund (zu 2) richtet sich vor allem nach der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens. Erfolgen die Aktivitäten in enger Abstimmung mit der Muttergesellschaft und findet ein intensiver Ressourcenfluss statt, ist von einer hohen Integration auszugehen. Dies kommt auch durch die Einbindung in Managementsysteme und Infrastruktur sowie die Verwendung derselben Technologie zum Ausdruck. Für den Internationalisierungsgrad gilt, je intensiver die Integration der ausländischen Wertaktivitäten, desto internationaler ist das Unternehmen.170 Neben der reinen Anzahl fremder Länder (zu 3), in denen die Unternehmen aktiv sind, spielt die geographisch-kulturelle Entfernung eine besondere Rolle. Zum einen erschwert die geographische Entfernung die Koordination vor allem der Warenflüsse und Wertaktivitäten. Zum anderen ist das Phänomen „Kultur“ ein hoch komplexes, heterogenes und schwer konkretisierbares Phänomen, sodass kulturelle Distanz ebenfalls die Kooperation mit anderen Ländern erschwert.171 Hofstede hat in einer großen empirischen Untersuchung genau dieses Phänomen der kulturellen Unterschiedlichkeit untersucht. Kultur ist 170 171
Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 329. Vgl. Perlitz (2004), S. 249; Siedenbiedel (2008), S. 138 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 216f. Es können zwei Ebenen der Kultur unterschieden werden: die Kultur der einzelnen Nationen (teilweise auch mit regionalen Untergruppen) und die Unternehmenskultur, die weltweit vergleichbar sein sollte, vgl. Siedenbiedel (2008), S. 140. In dieser Arbeit geht es ausschließlich um die nationalen Kulturen und die Frage, inwieweit sich die Andersartigkeit von Kulturen als Handels-, bzw. Markthemmnis für international tätige Unternehmen auswirkt und ggf. Wettbewerbsvorteile sogar zerstört.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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nach Hofstede „kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“.172 Entsprechend ist diese erlernt und nicht angeboren und es gibt zwischen einzelnen Kulturen signifikante Unterschiede. Auf Basis seiner Untersuchung unterteilt er die Kultur anhand von fünf Dimensionen: Machtdistanz, Individualität, Maskulinität, Unsicherheitsvermeidung und langfristige Orientierung.173 Mit Hilfe dieser Dimensionen lassen sich die Ähnlichkeiten und Unterschiede, also die „kulturelle Distanz“ zwischen Kulturen messen. 174 Seine Auswertungen zeigen, dass europäische Kulturen relativ ähnlich sind. Zwischen dem westlichen und dem östlichen Kulturkreis aber bestehen zum Teil gegensätzliche Einstellungen. Wie Kiedaisch in einer empirischen Studie nachweisen konnte, erschwert die geographisch-kulturelle Distanz in besonderem Maße die Vertrauensbildung zwischen Geschäftspartnern.175 Entsprechend müssen die Unternehmen viele personelle Ressourcen einsetzen, um bei geographisch-kulturell entfernten Ländern erfolgreich zu agieren. Dies geht folglich mit einer Internationalisierung des Unternehmens einher. Für den Internationalisierungsgrad gilt, je größer die Anzahl der bearbeiteten Märkte, sowie die geographische und kulturelle Entfernung zu diesen Märkten, desto internationaler sind die Unternehmen. Wie diese drei Dimensionen verdeutlichen, hat ein international tätiges Unternehmen keinen eindimensionalen Internationalisierungsgrad, sondern vielmehr ein Internationalisierungsprofil.176 Zusammenfassend bedeutet das, je umfangreicher und variantenreicher die Wertschöpfung im Ausland, je intensiver die Integration der Wertaktivitäten und je weiter die geographisch-kulturelle Distanz der verschiedenen Länder ist, desto internationaler ist ein Unternehmen. Beschränkt man die Untersuchung auf Unternehmen in einem bestimmten Land, ist die Dimension der geographisch-kulturellen Distanz für alle Unternehmen gleich, sodass man sie nur allgemein betrachten und nicht in die Detailanalyse einbeziehen muss. Für das strategische Management sind daher Art und Umfang, der im Ausland zu realisie-
172
Hofstede (2006), S. 4. Er unterscheidet die Kultur (erlernt) damit eindeutig von der menschlichen Natur (ererbt) und der Persönlichkeit (erlebt und erlernt). 173 Vgl. und im Folgenden Hofstede (2006). Die langfristige Orientierung als fünfte Dimension war in der ursprünglichen Studie von Hofstede nicht vorgesehen. Erst nach weiteren Studien in Kooperation mit asiatischen Forscherteams wurde diese ergänzt, siehe Hofstede (2006), S. 39. 174 Zu den kulturellen Barrieren, besonders beim Markteintritt in einen fremden Markt vgl. Barkema/Bell/Pennings (1996), S. 151ff. 175 Vgl. Kiedaisch (1997), S. 161f. 176 Vgl. Kutschker (2002), S. 52 und Kutschker/Schmid (2008), S. 272. Kutschker/Schmid sprechen von einem „Internationalisierungsgebirge“, welches das Ausmaß und die Intensität der Internationalisierung eines Unternehmens anzeigt, vgl. Kutschker/Schmid, S. 272.
32
Kapitel 2
renden Wertaktivitäten sowie die Fähigkeit zur Koordination und Integration dieser Aktivitäten die wichtigen Entscheidungsgegenstände.177 2.1.5
Einfluss der Internationalisierung auf den Unternehmenserfolg
In der betriebswirtschaftlichen Forschung nimmt das Streben nach der Erkennung der Determinanten des Erfolgs eine zentrale Rolle ein. Aufgabe der Forschung im strategischen Management ist die Erklärung dauerhafter Erfolgsunterschiede von Unternehmen.178 Die Erfolgsfaktorenforschung hat deswegen innerhalb des strategischen Managements an Bedeutung gewonnen und versucht Erfolgsdeterminanten in ein UrsacheWirkungsverhältnis zu setzen.179 Ziel ist die Ermittlung weniger, strategischer (langfristig wirksamer) Wettbewerbsvorteile, die über den Erfolg des Unternehmens entscheiden.180 Erfolg kann grundsätzlich über Bilanz- oder kapitalmarktorientierte Werte gemessen werden. Damit wird der Erfolg hauptsächlich aus der Sicht des Eigentümers betrachtet; Ziele anderer Interessengruppen geraten zu Nebenbedingungen.181 Daher gibt es weitere (subjektive) Erfolgsmaße, die Erfolg im Kontext der gesamten Unternehmung und ihren Umweltbedingungen betrachten. Es bestehen aber Zweifel daran, dass sich der Erfolg eines Unternehmens (alleine) auf Umweltbedingungen bzw. den messbaren Zusammenhang zwischen Umwelt- und Unternehmensvariablen kausal zurückführen lässt.182 Für die Unternehmenspraxis kommt der Erfolgsermittlung bei internationalen Aktivitäten eine große Bedeutung zu. Dabei wird häufig sehr vereinfachend angenommen, dass ein höherer Internationalisierungsgrad einen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg besitzt. Da das Internationalisierungsprofil eines Unternehmens sehr komplex ist, reicht ein rein lineares Ursache-Wirkungsverhältnis nicht aus, um den Einfluss von Internationalisierung auf Unternehmenserfolg zu beschreiben. Als Fazit der bisherigen Erfolgsfaktorenforschung lässt sich feststellen, dass sich bislang keine Gesetzmäßigkeit zur Auswirkung
177
Vgl. Fieten (2002), S. 784. Vgl. Jenner (2003), S. 203 und Bachmann (2007), S. 90. 179 Nach Kutschker/Schmid sind Erfolgsfaktoren wie folgt definiert: „Als Erfolgsfaktoren gelten, wie es bereits der Begriff vermuten lässt, diejenigen Faktoren, die für den langfristigen Erfolg und damit die Realisierung der langfristigen Ziele einer Unternehmung als besonders wichtig erachtet werden. […] Man möchte also Aufschluss darüber erhalten, welche Determinanten für den Erfolg besonders wichtig sind.“ Kutschker/Schmid (2008), S. 827. 180 Vgl. Swoboda (2002), S. 231f. 181 Vgl. Glaum (1996), S. 138f. Da weder die Zielstrukturen, noch die Nutzenfunktionen bekannt sind, werden in den meisten Studien Unternehmen zu Instrumenten zur Erzielung von Einkommen für ihre Eigentümer. 182 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 82. 178
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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des Internationalisierungsgrads auf den Unternehmenserfolg wissenschaftlich fundiert ermitteln lässt.183 Dabei könnte sich der Erfolg oder Misserfolg wenigstens dazu eignen, eine gegenwärtige Strategie zu modifizieren und ggf. Fehlerwiederholung zu vermeiden, wenn man den Internationalisierungsprozess als „Trial and Error“ Lernprozess versteht.184 Für die eigentliche Messung sollten in diesem Fall subjektive und objektive Kennzahlen185 kombiniert werden. Dazu können die subjektive Zufriedenheit mit der Zielerreichung und die objektiv vergleichbaren finanziellen Rahmendaten der Unternehmen (zum Beispiel Break-even oder Umsatzrendite) erfasst werden. Die Untersuchung in dieser Arbeit basiert auf der Annahme, dass Erfolg grundsätzlich messbar ist. Es werden sowohl subjektive, als auch objektive Maße Berücksichtigung finden. Für diese Untersuchung wird also davon ausgegangen, dass eine im Einzelfall adäquate Form der Internationalisierung in erheblichem Maße den Erfolg oder Misserfolg der Verlagerung von Wertaktivitäten bestimmt. Die aus der Untersuchung über Erfolg und Misserfolg gewonnen Erkenntnisse finden Eingang in die Gestaltungsempfehlungen für die Unternehmen. 2.2 Theorien zur internationalen Unternehmenstätigkeit Zur theoretischen Erklärung von Außenhandel und internationaler Unternehmenstätigkeit wurden Internationalisierungstheorien186 entwickelt. Ausgehend von ökonomischen Überlegungen zum Außenhandel folgten Theorien, die Direktinvestitionen von Unternehmen zu erklären versuchten. Daraus entwickelten sich die Theorien zu Markteintrittsstrategien in Auslandsmärkte. Die integrativen Ansätze verknüpften schließlich einige dieser Theorien, um eine möglichst ganzheitliche Betrachtung der internationalen Unter-
183
Vgl. Bachmann (2007), S. 90 und Kutschker/Schmid (2008), S. 282f. Einige Autoren lehnen die Erfolgsfaktorenforschung allerdings ab, da zum einen die Bewertung von Erfolgsfaktoren wissenschaftlich nicht fundiert gelänge, zum anderen mit Bekanntwerden eines Erfolgsfaktors das Erfolgspotential erlischt, eine Analyse also ausschließlich ex-post erfolgen könne, vgl. Nicolai/Kieser (2002), S. 584ff. 184 Vgl. Swoboda (2002), S. 231f. 185 Die objektiven Maße sind aufgrund unternehmensexterner Erhebung zwar weniger Fehler behaftet, dafür aber schwierig zu beschaffen, da es sich oftmals um vertrauliches Datenmaterial handelt, vgl. Spanos/Lioukas (2001), S. 916. Beim Erfolg steht außerdem die allgemeine Verwirklichung von Zielen im Fokus, die nicht zwangsläufig an die Unternehmenszahlen gekoppelt ist. Daher können subjektive Daten Aufschluss über den Erfolg oder Misserfolg geben. Diese Daten lassen sich leicht erheben (Befragung), bergen aber das Risiko, dass sie stark verzerrt sind (Problem der positiven Selbstwahrnehmung), vgl. Bachmann (2007), S. 97ff. 186 Einige Wissenschaftler bezweifeln, ob man bei den meisten wissenschaftlichen Beiträgen zur internationalen Unternehmenstätigkeit überhaupt von „Theorien“ sprechen könne. Zutreffender wäre wohl die Bezeichnung „Ansätze“, vgl. u.a. Kutschker/Schmid (2006), S. 371f. Kutschker/Schmid sprechen sogar nur von „Partialansätzen“. Dennoch hat sich der Begriff „Theorien“ durchgesetzt, mit der Einschränkung, dass es noch keine allgemeine, umfassende Theorie zur internationalen Unternehmenstätigkeit gibt, vgl. u.a. Oesterle (1999), S.223f und Perlitz (2004), S. 115.
34
Kapitel 2
nehmenstätigkeit zu erhalten. Während diese Ansätze aber nicht in der Lage sind, die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen im internationalen Kontext zu erklären, erscheinen die modernen Ansätze im deutschsprachigen Raum als sehr komplex. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur internationalen Unternehmenstätigkeit, ergibt sich also zum gegenwärtigen Forschungsstand noch kein integratives Theoriegebäude. Entsprechend besteht die Forderung weiterhin, einen realitätsnahen, aber umfassenden Erklärungsversuch für internationale Unternehmenstätigkeit zu entwickeln.187 In diesem Abschnitt wird in Anknüpfung an die Begriffsbestimmung der Internationalisierung die theoretische Grundlage über internationale Unternehmenstätigkeit gelegt. Die volkswirtschaftlichen Betrachtungen der Internationalisierung bilden in dieser Arbeit den Rahmen für die Untersuchung des agierenden Unternehmens im internationalen Kontext. Daher werden ausgewählte klassische Theorien des Außenhandels und der Direktinvestitionen kurz vorgestellt.188 Der Forderung nach einem integrativen Ansatz folgend, werden die Ansätze von Dunning, Johannson/Vahlne sowie zwei moderne Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert, die – ausgehend vom Prozessverständnis der Internationalisierung – verschiedene Theorien miteinander verknüpfen. Die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung soll im Rahmen dieser Arbeit nicht fortgeführt werden, Erkenntnisse aus den bestehenden Ansätzen finden aber Eingang in das Erklärungsmodell zur internationalen Unternehmenstätigkeit. 2.2.1
Klassische Internationalisierungstheorien
Die volkswirtschaftlichen Außenhandelstheorien bilden den historischen Ausgangspunkt der Untersuchung nach der Ursache von grenzüberschreitendem Güteraustausch und haben zum Ziel, wohlfahrtsökonomische Aspekte des Außenhandels zu erklären.189 Die so genannten „traditionellen“190 Theorien gehen auf Adam Smith zurück, der bereits im 18. Jahrhundert die Vorteilhaftigkeit des grenzüberschreitenden Güteraustauschs bei international immobilen Produktionsfaktoren untersuchte. Er konnte theoretisch nachweisen, dass grenzüberschreitender Handel für ein Land vorteilhaft sein kann, wenn es ein bestimmtes Gut effizienter und damit günstiger produzieren kann und dieses dann an ein
187
Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 25; Swoboda (2002), S. 145; Perlitz (2004), S.66 und S. 115; Welge/Holtbrügge (2006), S. 53 und Simon (2007), S. 39ff. Ebenso, wie es viele unterschiedliche Internationalisierungstheorien gibt, finden sich in der Literatur zahlreiche Ansätze, diese zu systematisieren. Da in dieser Arbeit die internationale Unternehmenstätigkeit im Mittelpunkt der Betrachtung steht, wird eine Systematisierung entsprechend daran ausgerichtet und es werden lediglich Theorien betrachtet, die für die internationale Unternehmenstätigkeit bedeutsam erscheinen. 189 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 48 und Welge/Holtbrügge (2006), S. 53. 190 Kutschker/ Schmid sprechen sogar von „ultra-traditionellen“ Erklärungsansätzen, vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 376. 188
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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anderes Land exportiert. Während es in diesem Fall den absoluten Kostenvorteil nutzt, kann es Güter, bei denen es einen absoluten Kostennachteil hat, importieren.191 Unter den gleichen Grundannahmen wie Smith, aber mit weniger Restriktionen in der Kostenstruktur der beiden Länder, entwickelte Ricardo sein Theorem der komparativen Kostenvorteile. Nach seiner Erkenntnis kommt Außenhandel bereits zustande, sobald die Kostendifferenzen für die Produktion (ökonomisch: die Produktionsfunktionen 192 ) in zwei unterschiedlichen Ländern verschieden sind. Aus makroökonomischer Sicht kann ein Gesamtwohlfahrtsgewinn schon dann entstehen, wenn das Land, in dem jegliche Produktion günstiger ist, sich auf die Produktion des Gutes beschränkt, bei dem der relative Kostenvorteil größer ist.193 Ziel ist es also, die Opportunitätskosten zu minimieren, in dem die Güter in dem jeweiligen Land gefertigt werden, wo die geringsten Opportunitätskosten anfallen. 194 Auf diesen Überlegungen bauen die komplexeren klassischen Theorien des Außenhandels und der Direktinvestition auf, die im Folgenden vorgestellt werden. 2.2.1.1
Neoklassische Außenhandelstheorie
Das „Faktorproportionen Theorem“ soll den Außenhandel ebenfalls auf Basis relativer Kostenvorteile erklären. Im Gegensatz zu Ricardo geht dieser Ansatz aber nicht von (relativen) Produktivitätsunterschieden, sondern von (relativen) Faktorausstattungsunterschieden aus.195 Dazu werden die Produktionsfaktoren in Arbeit und Kapital unterteilt, sodass eine unterschiedliche Ausstattung der Länder mit diesen Faktoren gemessen werden kann. Es wird angenommen, dass es unterschiedliche Güter gibt, arbeitsintensive und kapitalintensive. Folglich importieren die Länder immer genau jene Güter, die hauptsächlich mit in ihrem Land knappen Produktionsfaktoren hergestellt sind. Der (Außen-)Handel mit Gütern ersetzt somit die fehlende Mobilität der Produktionsfaktoren.196 Allerdings konnte Leontief in einer empirischen Input- / Output-Analyse feststellen, dass dies zum Beispiel in den USA gerade nicht der Fall ist (Leontief-Paradoxon) und modifizierte dementsprechend den Produktionsfaktor Arbeit in „qualifizierte“ und „unqualifizierte“.197 Neuere Ansätze der Volkswirtschaft zur Erklärung von Außenhandel sehen weitere Gründe, zum Beispiel die Nichtverfügbarkeit von bestimmten Gütern oder Technolo191
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 377ff und Welge/Holtbrügge (2006), S. 51ff. Vgl. Borchert (2001), S. 42. 193 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 54. 194 Vgl. Siedenbiedel (2008), S. 61. 195 Vgl. und im Folgenden Scherm/Süß (2001), S. 47 und Kutschker/Schmid (2006), S. 382ff. 196 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 55. 197 Vgl. Leontief (1956), S. 368ff und Lucius (1965), S. 364ff. 192
36
Kapitel 2
gien 198 sowie die mögliche Nutzung von Synergieeffekten durch Nachfragepoolung 199 bei Ländern mit ähnlicher Nachfragestruktur.200 Diese Erkenntnis basiert auf der Feststellung, dass in einem dynamischen System – und als solches muss eine wachsende Volkswirtschaft angesehen werden – die Ausstattung mit Produktionsfaktoren oder gar die Produktionsfunktionen nicht mehr als gegeben angenommen werden können. Aufbauend auf dieser Annahme gibt es Ansätze zur Dynamisierung der klassischen Außenhandelstheorien, die die Auswirkung der Änderungen auf die Produktionsfunktionen abzubilden versuchen.201 2.2.1.2
Internalisierungstheorie
Buckley/Casson entwickelten die Internalisierungstheorie zur Erklärung multinationaler Unternehmen auf Basis des Transaktionskostenansatzes (TKA). Im TKA, der auf Coase zurückgeht, wird der effiziente Güter- und Leistungstausch zwischen Institutionen erklärt. Unter Annahme eines unvollständigen Marktes, begrenzter Rationalität und opportunistischem Verhalten der Marktteilnehmer, werden die Institutionen ihre Organisationsform so wählen, dass die Transaktionskosten von Gütern und Leistungen minimal sind und die Transaktionen effizient abgewickelt werden können.202 Ausgehend von dieser Annahme sehen Buckley/Casson das Entstehen international tätiger Unternehmen als ein Ergebnis der Internalisierung von Leistungen und Ressourcen auf unvollkommenen Märkten. Ein Unternehmen wird diese selbst beanspruchen, sobald die Internalisierung weniger Kosten als die Transaktion verursacht.203 Die Schlussfolgerung für das internationale Management lautet, wenn auf diesen Märkten unternehmensintern kostengünstiger als über einen externen Bezug disponiert werden kann, kommt es zum Entstehen von Direktinvestitionen im Ausland und zu multinationalen Unternehmen.204 Ein eindeutiger Vorteil der Internalisierung in Auslandsmärkten stellt die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Ressourcen in Bezug auf die Versorgungssicherheit der Unternehmen dar. 205 Darüber hinaus können Know-how, Skaleneffekte oder Lerneffekte als Internalisierungsvorteil angesehen werden. Auch die Gefahr von Informationsverlust – zum Beispiel durch Produktkopien anderer Unternehmen – kann zu Internalisierungsvor-
198
Zur Theorie der technologischen Lücke siehe Perlitz (2004), S. 69ff. Zur Nachfragestruktur-Theorie siehe Perlitz (2004), S. 81ff. 200 Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 386ff. 201 Vgl. Gabisch (1976), S. 101ff. 202 Vgl. Coase (1937), S. 388ff und Buckley/Casson (1985), S. 9ff. 203 Vgl. Buckley/Casson (1985), S. 9f. 204 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 58 und Perlitz (2004), S. 108f. 205 Vgl. und im Folgenden Perlitz (2004), S. 108f. 199
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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teilen führen, da Informationen nur noch unternehmensintern weitergeleitet werden müssten. Die Erklärungsvariablen der Internalisierungstheorie eignen sich im strategischen Management zur betriebswirtschaftlichen Stärken- und Schwächenanalyse (zum Beispiel Absatz, Kosten, Kapital und Technologie) sowie zur Umweltanalyse (zum Beispiel Faktorausstattung, technologischer Stand und rechtliche Situation).206 2.2.1.3
Theorien der ausländischen Direktinvestitionen
Die moderne Theorie der Direktinvestition hat ihren Ursprung in der Arbeit von Hymers/Kindleberger, die in ihrer Theorie des monopolistischen Vorteils die Gründe für ausländische Direktinvestitionen untersuchen. Zentrales Motiv für die Investition in Auslandsmärkte ist das Kontrollmotiv, mit dem Unternehmen ihren Einfluss im Zielmarkt sichern wollen. Aufgrund einer Quasi-Monopolstellung im Heimatmarkt, die durch eine Produktdiversifikation ermöglicht wird, kann sich ein Unternehmen im Auslandsmarkt Wettbewerbsvorteile verschaffen.207 Kontrollmotive bilden in diesem Modell die Grundlage für das direktinvestive Streben nach Marktbeherrschung, Ausschalten des Wettbewerbs im Ausland und dem Ziel, eine größere Sicherheit für das eingesetzte Kapital im Ausland zu erreichen.208 Dabei gehen sie davon aus, dass eine Marktunvollkommenheit vorliegt (zum Beispiel durch unvollkommene Faktor- und Gütermärkte oder durch interne / externe Skaleneffekte), die zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber lokalen Konkurrenten führen und zunächst durch das Unternehmen überwunden werden müssen. Dazu zählen zum Beispiel Informationsnachteile und soziokulturelle Nachteile, sowie gleichzeitig ein höheres Risiko, durch die weite Entfernung zwischen Tochter- und Muttergesellschaft.209 Um alle diese Nachteile zu überwinden und Risiken abzudecken, muss das Unternehmen gegenüber lokalen Mitbewerbern (Wettbewerbs-) Potentiale besitzen, die eine erfolgreiche Direktinvestition ermöglichen. Dies können zum Beispiel spezielle Marketingfähigkeiten, besondere Managementqualifikationen oder Massenproduktionsvorteile (Skaleneffekte) sein. 210 Die besonderen Fähigkeiten und Ressourcen ermöglichen dem Unternehmen also, Wettbewerbsvorteile zu generieren und im Auslandsmarkt zu verteidigen. Das Kontrollmotiv soll sicherstellen, dass die Unternehmen Kontrolle über eine wirtschaftliche Einheit in einem anderen Land ausüben, sodass die Ressourcen und Fähigkei206
Vgl. Perlitz (2004), S. 109. Vgl. und im Folgenden Krugman/Obstfeld (2006), S. 167. 208 Vgl. Vgl. Perlitz (2004), S. 91 und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 70. 209 Vgl. und im Folgenden Scherm/Süß (2001), S. 49 und Perlitz (2004), S. 91f. 210 Vgl. Krugman/Obstfeld (2006), S. 172f. 207
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ten nicht abfließen.211 Damit unterscheiden sich Direktinvestitionen deutlich von Finanzund Portfolioinvestitionen, bei denen reines Renditestreben das Ziel der Investition darstellt. Direktinvestitionen bedingen Transfers materieller Ressourcen und sind im Gegensatz zu Finanztransfers meistens langfristig angelegt.212 Da eine Verlagerung von Wertaktivitäten nach dieser Definition eine Direktinvestition im engeren Sinne darstellt, werden im weiteren Verlauf der Arbeit ausschließlich Direktinvestitionen betrachtet. Während die im vorherigen Abschnitt erläuterten makroökonomischen Theorien der Erklärung des internationalen Güteraustauschs dienen, versuchen die Theorien der internationalen Direktinvestition die Bedingungen zu analysieren, unter denen Unternehmen Kapital und Produktionsfaktoren ins Ausland verlagern und dort eigenständige WFOE oder JV errichten.213 Es handelt sich also um die „mikroökonomische Aggretationsebene“214. 2.2.2
Integrative Ansätze der Internationalisierung
Wie die Darstellung der klassischen Theorien des Außenhandels und der Direktinvestitionen gezeigt hat, reichen diese nicht aus, Internationalisierung von Unternehmen ganzheitlich zu erfassen. Mit Hilfe so genannter integrativer Ansätze, bei denen verschiedene Theorien miteinander verknüpft werden, soll der komplexen Internationalisierung Genüge geleistet werden, wobei besonders der Prozesscharakter zum Ausdruck kommt. 2.2.2.1
Eklektische Theorie von Dunning
Diese Theorie „ist einer der wenigen Erklärungsansätze, die sich durch das Streben nach einer Totalperspektive auszeichnet.“ 215 Dunning versucht in seiner eklektischen Theorie216, Direktinvestitionen in Form einer Auslandsproduktion durch eine Integration unterschiedlicher Theorieelemente zu erklären (vgl. Abbildung 4). Dazu verbindet er den Transaktionskostenansatz, die Internalisierungstheorie und die Standorttheorie auf theoretischer Ebene. Art und Umfang der Internationalisierung werden in dieser Theorie auf
211
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 81. Vgl. Perlitz (2004), S. 89 und Welge/Holtbrügge (2006), S. 57. 213 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 48; Welge/Holtbrügge (2006), S. 53; Siedenbiedel (2008), S. 63. 214 Siedenbiedel (2008), S. 63. 215 Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 67. Kutschker/Schmid hingegen ordnet Dunnings Totalmodell als „statisch“ ein, da es keinen Prozess erklärt, sondern lediglich den Weg zu einer einmaligen Standortentscheidung, vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 457. 216 Vgl. Dunning (1980), S. 9ff und Dunning (1988), S. 10ff. Zentes/Swoboda/Morschett sprechen bei Dunnings Theorie von einem „Totalmodell“, das nicht nur den vollständigen Internationalisierungsprozess, sondern auch die Dynamik zu erklären versucht, vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 67. 212
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
39
die Existenz von Eigentums- (Ownership), Internalisierungs- (Internalization) und Standortvorteile (Location) zurückgeführt:217 1.
Eigentumsvorteile: Für ein Unternehmen bestehen spezifische Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten auf einem Auslandsmarkt, resultierend aus immateriellen Werten und Eigentumsrechten sowie Vorteilen, die ein international tätiges Unternehmen durch besseren Zugang zu Informationen gegenüber lokalen Unternehmen besitzt. Die Vorteile sind abhängig von der Unternehmensgröße, immateriellen Werten (zum Beispiel Know-how und Ressourcen) und den Marktbedingungen (zum Beispiel geschäftsfördernde Maßnahmen der öffentlichen Hand).
2.
Internalisierungsvorteile: Diese Vorteile ergeben sich, sobald Transaktionen kostengünstiger unternehmensintern als über den Markt abgewickelt werden können. Dabei können vor allem externe negative Einflüsse vermieden und eigene Technologien geschützt werden.
3.
Standortvorteile: Der Auslandsmarkt weist Standortvorteile gegenüber dem Heimatmarkt auf, worunter Faktorkostenvorteile, Skalenerträge durch Zentralisierungsmöglichkeiten, Transportkostenvorteile und politische Rahmenbedingungen zusammengefasst sind. Dazu zählen auch Handelsbarrieren, Infrastruktur und die psychische Distanz zum Zielland (Sprache, Kultur, Sitten im Geschäftsverkehr, Landesbräuche). Keine Internationalisierung nein
Eigentumsvorteile
Lizenzvergabe ja
nein
Internalisierungsvorteile
Export ja
nein
Standortvorteile ja
Auslandsproduktion (Direktinvestition)
Abbildung 4: Entscheidungsbaum für Internationalisierung. Quelle: Welge/Holtbrügge (2006), S. 77. 217
Da eine Produktionsverlagerung (also Direktinvestition) durch „Ownership-specific-advantages“, „Location-specific-advantages“ und „Internalization advantages“ erklärt wird, spricht man auch von der OLITheorie, vgl. Greenway (1993), S. 115ff; Schneider (2004), S. 46ff; Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 67 und Welge/Holtbrügge (2006), S. 71ff.
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Kapitel 2
Die im Entscheidungsbaum in Abbildung 4 vorgegebene Richtung bezieht sich immer auf die Entscheidung, grundsätzlich einen bestimmten Markt bedienen zu wollen. Um eine Direktinvestition vorteilhaft erscheinen zu lassen, müssen in jedem Fall Eigentumsvorteile vorhanden sein. Über die Internalisierungsvorteile gestaltet sich dann die Beziehung der Muttergesellschaft zum Tochterunternehmen, wobei die Minimierung sämtlicher Kosten im Vordergrund steht. Die Standortvorteile sind letztendlich für die Wahl des Produktionsstandortes ausschlaggebend. Sollte die Wahl des Produktionsstandortes nicht in das Absatzland fallen, müsste dieses wieder über Export bedient werden. Als ergänzende Voraussetzung findet nach Dunning die Internationalisierung nur dann statt, wenn sie sich in Einklang mit der langfristigen Managementstrategie des Unternehmens bringen lässt.218 2.2.2.2
Skandinavische Schulen zum Internationalisierungsprozess
Johanson/Vahlne (Vertreter der skandinavischen Upsala Schule) fassen die Internationalisierung als einen inkrementalen, graduellen Entwicklungsprozess auf, in dessen Verlauf sich das Wissen und die Marktbindung in ausländischen Märkten steigern lässt.219 Ihre Erkenntnisse beruhen auf empirischen Untersuchungen, wobei hauptsächlich Unternehmen betrachtet wurden, die bislang nur einen geringen Internationalisierungsgrad aufwiesen.220 Die theoretischen Rückschlüsse aus der Beobachtung beziehen sie sowohl auf verhaltenstheoretische Ansätze221, als auch auf ökonomische Ansätze222, allerdings ist ihr Modell nicht als eklektisch zu bezeichnen. Es dominieren lerntheoretische Aspekte und der Prozess der Internationalisierung ist für sie ein Zusammenspiel zwischen Marktverbundenheit und Marktwissen auf der statischen Seite, sowie den weiteren Internationalisierungsentscheidungen und laufenden Geschäftsaktivitäten auf der Seite der Änderungsgrößen (vgl. Abbildung 5). Das Zusammenspiel ermöglicht, dass jeder noch so kleine Internationalisierungsschritt das internationale Engagement der Unternehmen fördert und den Wissenstand erhöht. Organisationales Lernen ist also der Treiber für die Ländermarktbearbeitung und die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die Expansion zunächst in psychisch nahe Ländermärkte erfolgt.223
218
Vgl. Dunning (1988), S. 10ff. Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 68 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 113f. Vgl. und im Folgenden Johanson/Vahlne (1977), S. 23ff. 221 Vgl. Aharoni (1966) und Cyert/March (1963), S. 237ff. 222 Vgl. u.a. Penrose (1959). 223 Vgl. Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 97f. 219
220
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen Statische-Größen (Zustandsgrößen)
Änderungs-Größen (Entwicklungsgrößen)
Marktwissen
Bindungsentscheidungen
- wahrgenommen - objektiv
Marktbindung
41
Laufende Geschäftstätigkeiten
Abbildung 5: Skandinavische Internationalisierungsprozessschule. Quelle: Übersetzt aus Johanson/Vahlne (1977), S. 26.
Die Unternehmen agieren also nicht vollständig auf Basis der aktuellen Zustandsgrößen, sondern verhalten sich entsprechend von Mustern und Erfahrungswerten aus der Vergangenheit. Allerdings können die Unternehmen Marktwissen auch extern zukaufen und sich damit in eine bessere Ausgangslage für eine weitere Internationalisierung bringen.224 2.2.2.3
Moderne Ansätze im deutschsprachigen Raum
GAINS-Ansatz Als Reaktion auf die Annahme der Uppsala-Schule, dass die Internationalisierung immer inkremental (graduell) verlaufe, haben Macharzina/Engelhard den GAINS-Ansatz 225 entwickelt. 226 Darin postulieren sie, dass der Internationalisierungsprozess sowohl aus Phasen der Stabilität (Ruhe), als auch aus Übergangsphasen der Veränderung besteht. Diese Wechsel wiederum verlaufen meistens nicht inkremental, sondern aus Sicht der Unternehmen revolutionär, da sie dramatische Änderungen in der Strategie und Unternehmenskultur nach sich ziehen können.227 Auslöser für solche Veränderungen sind die stetigen Umweltveränderungen, denen die Unternehmen ausgesetzt sind.228 Der revolutionär stattfindende Internationalisierungsprozess steht der Erklärung der skandinavischen Schule (scheinbar) entgegen.229 224
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 459. GAINS = Gestalt Approach to International Business Strategies. 226 Der GAINS-Ansatz geht zurück auf Macharzina/Engelhard (1991), S. 23ff und wurde in späteren Veröffentlichungen von beiden Autoren weiterentwickelt. 227 Vgl. und im Folgenden Macharzina/Wolf (2008), S. 948ff. 228 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 68f. 229 Vgl. Simon (2007), S. 115. 225
42
Kapitel 2
In ihrem ganzheitlichen und integrativen Ansatz betrachten Macharzina/Engelhard die internationalen Unternehmen als Gestalt, die geprägt ist durch die Umwelt-, Strategieund Strukturvariablen. Die Internationalisierung findet in einem Zusammenspiel aus diesen Variablen statt, wobei die Unternehmen am erfolgreichsten sind, die eine optimale Kombination dieser Einflussfaktoren erreichen. Unternehmensexterne Umwelt Entscheidungen über Internationalisierungsstrategien
Länder(gruppen)merkmale
Unternehmensinterne Umwelt
Eingangsvariablen Subjektiv vermittelte Faktoren der unternehmensexternen/internen Umwelt
Prozessvariablen Interaktionsmerkmale von Abstimmungsprozessen
Ergebnisvariablen Formen der ausländischen Marktbearbeitu ng oder alternative Maßnahmen
Erfolg
Unternehmensmerkmale Interessengruppenmerkmale Entscheidermerkmale
Abbildung 6: Entscheidung über Internationalisierung nach dem GAINS-Ansatz. Quelle: Macharzina/Engelhard (1991), S. 34.
Der GAINS-Ansatz zeichnet sich vor allem durch eine Vielzahl möglicher Variablen aus, was den Erklärungsspielraum internationaler Unternehmenstätigkeit vergrößert. Ziel ist es allerdings nicht, sämtliche sachlogische Variablenausprägungen zu beschreiben, sondern nur die Muster (Gestalt) der jeweiligen international tätigen Unternehmen. Macharzina/Engelhard schlagen vor, den GAINS-Ansatz, noch durch den RBV zu unterfüttern, mit dem sich die Gestalt der Unternehmen auf Basis ihrer Ausstattung beschreiben lässt. Eine empirische Untersuchung könnte dann die Muster internationaler Unternehmen verifizieren, die in der Realität typisch sind.230 Modell 3E`s von Kutschker/Schmid Aufbauend auf den Erkenntnissen des GAINS-Ansatzes gehen Kutschker/Schmid in ihrer managementorientierten Sichtweise davon aus, dass der Internationalisierungsprozess 230
Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 69f.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
43
immer in Evolution, Episoden und Epochen verläuft. Dies bezieht sich auf ihr Internationalisierungsverständnis, nämlich als „kontinuierlicher, inkrementaler und evolutionärer Prozess, der auch Wechsel von kontinuierlichen und diskontinuierlichen Phasen beinhaltet und an Unternehmenszielen ausgerichtet werden kann“. 231 Der Prozess wird durch die drei Merkmale Kernprozess, Prozessumfeld und Prozessinhalt beschrieben, wobei diese Prozessbetrachtung als Ergänzung zur strukturellen Betrachtung von Internationalisierungsalternativen angesehen wird.232 Der Zusammenhang zwischen Epoche, Episode und Evolution wird in Abbildung 7 deutlich. Die Evolution ist der kontinuierliche Entwicklungsprozess der Internationalisierung eines Unternehmens. Die Episoden markieren hingegen kurze ansteigende Phasen, die zum Beispiel durch einen Markteintritt geschaffen werden können, wohingegen die Epoche einen längeren Zeitabschnitt darstellt, indem langwierige und tiefgehende Veränderung in der Organisationsstruktur stattfinden, die sich an der langfristigen strategischen Planung des Unternehmens orientieren. Ausmaß der Internationalisierung
Epoche X
t0 t3
Epoche Y
t4 Internationale Episode
t5
t6
Zeit
Internationale Evolution
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Evolution, Episoden und Epochen. Quelle: Kutschker/Schmid (2008), S. 1110.
Kutschker/Schmid setzen voraus, dass sich der Prozessverlauf der Internationalisierung für jedes Unternehmen individuell gestalten lässt und somit unterschiedliche Grade der Effizienz möglich sind. Ziel des „Drei E`s Ansatz“ ist es, Kernprozesse, das Prozessum231 232
Kutschker/Schmid (2008), S. 1106. Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 1207.
44
Kapitel 2
feld und den Prozessinhalt in die richtige Konstellation zu setzen, die Betrachtung findet allerdings ausschließlich aus unternehmensinterner Sicht statt.233 Anders als im GAINSAnsatz sehen Kutschker/Schmid nicht die Notwendigkeit, eine integrierte Theorie zur Erklärung aller Fragen des internationalen Managements zu entwerfen, sondern vertreten die Auffassung, dass reale Probleme sich unter Umständen besser durch partielle Theorien unterstützen lassen.234 2.2.3
Neue Erklärungsmuster für internationale Unternehmenstätigkeit
Wie die Darstellung der theoretischen Ansätze für die Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit zeigt, ergibt sich ein heterogenes Bild der Erklärungsgrundlagen, welches eine problembezogene Analyse erschwert. Trotz zahlreicher Theorien und Ansätze lässt die isolierte Betrachtung des Internationalisierungsphänomens eine überzeugende Erklärung bislang vermissen.235 Die Forderung nach einer theoretisch-basierten und empirisch getesteten Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit, sowie ihrer Einflussfaktoren, bleibt also bestehen. Kritik an bestehenden Theorien Die klassischen Theorien des Außenhandels haben das Ziel, den internationalen Gütertausch aus der makroökonomischen Perspektive zu erklären. Die komparativen Faktorkostenunterschiede zwischen einzelnen Ländern stellen hierbei ein Potential für kompetitive Vorteile der Unternehmen dar.236 Mit dieser Erkenntnis lässt sich zwar die Kausalität der Internationalisierung nachweisen, wettbewerbsstrategische Fragestellungen der internationalen Unternehmenstätigkeit können aber nicht adäquat abgebildet werden. Der praktische Nutzen für die Unternehmen ist also sehr beschränkt.237 Auch wenn diese Ansätze nicht ausreichen, die realen Wirtschaftsaktivitäten abzubilden, ist das Verständnis über die Zusammenhänge der verschiedenen Volkswirtschaften notwendig. 238 Die unterschiedlichen Erklärungsvariablen gehen daher als theoretische Grundlage in die strategische Umweltanalyse im Rahmen des Internationalisierungspro-
233
Vgl. Kutschker/Schmid (2006), S. 1086ff und Simon (2007), S. 115. Vgl. Swoboda (2002), S. 121ff. 235 Vgl. Oesterle (1999), S. 224; Scherm/Süß (2001), S. 89; Engelhard/Dähn (2002), S. 25; Zentes/ Swoboda/Morschett (2004), S. 72 und Perlitz (2004), S. 115f. 236 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 48; Perlitz (2004), S. 86ff; Kutschker/Schmid (2006), S. 383ff und Siedenbiedel (2008), S. 62. 237 Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 26. 238 Vgl. Oesterle (1999), S. 223 und Scherm/Süß (2001), S. 89. 234
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
45
zesses ein.239 Aus Sicht der Ökonomie stellen Marktfaktoren die Motivation von Unternehmen für eine Internationalisierungsentscheidung dar.240 Im Gegensatz zu den neoklassischen Außenhandelstheorien, versucht die Internalisierungstheorie die Motivation der Internationalisierung über unternehmensinterne Eigentumsvorteile zu erklären. Basis für dieses Modell ist der Transaktionskostenansatz, der Ressourcen und Güter nach ihren jeweiligen Transaktionskosten bewertet.241 Kostenvorteile im internationalen Kontext lassen sich hierbei aufgrund des Eigentums von Ressourcen generieren. Eine ausschließliche Betrachtung der Kosten steht aber einer umfassenden wettbewerbsstrategischen Planung entgegen, da sie keine strategischen Wege und Maßnahmen aufzeigt, mit denen sich die potentiellen Vorteile tatsächlich realisieren, bzw. Nachteile verhindern lassen.242 Diese Lücke versuchen die Theorien der internationalen Direktinvestition243 zu schließen, indem sie unterschiedliche Optionen zum Markteintritt empfehlen. Für die Gestaltungen eines internationalen Wertschöpfungsmanagements greift dies allerdings zu kurz, wie Zentes/Swoboda/Morschett bestätigen, „[da] viele der skizzierten Theorien nur indirekt – über die Internationalisierung – eine mittelbare Relevanz für das internationale Wertschöpfungsmanagement [haben].“244 Darüber hinaus kann die Erklärung der Markteintrittsform nur einen Teil des Internationalisierungsprozesses abbilden.245 Die Prozessbetrachtung steht im Mittelpunkt der integrativen Ansätze, die verschiedene Theorien miteinander verknüpfen. Im Wesentlichen werden die Ansätze repräsentiert durch die eklektische Theorie von Dunning, die skandinavischen Schulen und moderne Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum. Bei Dunning steht allerdings nicht das Management der Wertaktivitäten im Fokus der Betrachtung, sodass er keine Strategien zur Optimierung bestehender internationaler Wertaktivitäten liefert. Ist die Internationalisierungsentscheidung einmal getroffen, lässt sich aus dem Totalmodell von Dunning kein weiterer Ansatzpunkt für Veränderungen des internationalen Engagements ableiten.246 Die skandinavischen Modelle der Schulen247 erklären einzelwirtschaftliche Internationalisierung auf der Basis bereits etablierter nationaler Aktivitäten, die sich aufgrund von Lerneffekten in inkrementaler Weise intensiviert. In Anknüpfung an die Forderung nach 239
Vgl. Simon (2007), S. 114; Perlitz (2004), S. 86ff; Kutschker/Schmid (2006), S. 383ff; Siedenbiedel (2008), S. 62 Rose/Sauernheimer (2006), S. 586 und Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 63f. 240 Vgl. Siebert/Lorz (2006), S. 137ff. 241 Vgl. Kapitel 2.2.1.2. 242 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 56. 243 Vgl. Kapitel 2.2.1.3. 244 Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 72. 245 Vgl. Scherm/Süß (2001), S. 59; Swoboda (2002), S. 145 und Perlitz (2004), S. 118. 246 Vgl. Dunning (1980), S. 9ff; Dunning (1988), S. 10ff und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 68. 247 Vgl. 2.2.2.2.
46
Kapitel 2
Betrachtung interner Ressourcen, ist diese Erkenntnis eine wichtige Voraussetzung für eine spätere Betrachtung von Fähigkeiten und Kompetenzen.248 Der GAINS-Ansatz von Macharzina/Engelhard arbeitet mit wesentlich mehr Variablen und versucht, den vollständigen Internationalisierungsprozess abzubilden.249 Allerdings ist ihr Modell bislang noch nicht ausreichend theoretisch fundiert und empirisch belegt. Ihre Umwelt-, Strategie- und Strukturvariablen lassen sich aber durch eine marktorientierte und eine unternehmensinterne Dimension der Internationalisierung abbilden. 250 Damit können die Ansätze der anderen Theorien miteinander verknüpft werden. Forderung nach neuen Ansätzen Wie in den vorherigen Absätzen gezeigt werden konnte, werden in den Partialansätzen der Internationalisierungsforschung bereits unternehmensinterne Ressourcen und unternehmensexterne Umweltbedingungen zur Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit herangezogen. Vergleichbare Perspektiven finden sich im strategischen Management zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen: die ressourcenorientierte und die marktorientierte Sichtweise. Die Ausgestaltung weltweiter Wertaktivitäten wird aus Unternehmenssicht als wichtige Aufgabe des internationalen Managements angesehen. Dabei geht es nicht um Internationalisierungsentscheidungen im Einzelnen, sondern vielmehr um die internen und externen Einflussfaktoren auf die Konfiguration der Wertaktivitäten unter Einbezug unterschiedlicher Ländermärkte. Gemäß der Forderung nach einer strategischen Betrachtung des internationalen Managements, können die beiden Denkschulen des strategischen Managements im internationalen Kontext als praxisnahes Erklärungsmuster dienen. Damit lässt sich die Forschungsfrage nach den Wettbewerbsvorteilen durch internationale Wertschöpfung bearbeiten.251 Im folgenden Kapitel werden die ökonomischen Internationalisierungstheorien aus Sicht des ressourcen- und marktorientierten Ansatzes betrachtet. Damit wird der Zusammenhang zwischen dem bereits bestehenden Theoriegebäude der Internationalisierung und den theoretischen Ansätzen des strategischen Managements hergestellt. Das Erklärungsmuster verknüpft die unternehmensinterne und die unternehmensexterne Sichtweise im internationalen Kontext miteinander. Durch die strategische Sichtweise und die daraus abgeleitete Gestaltungsempfehlung kann die Forderung nach einer praxisnahen Forschung erfüllt werden.
248
Vgl. Oesterle (1999), S. 223f. Vgl. Kapitel 2.2.2.3. 250 Vgl. Simon (2007), S. 114. 251 Vgl. Kapitel 1. 249
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen 2.2.4
47
Internationalisierungstheorien aus markt- und ressourcenorientierte Sicht
Die in Kapitel 2.2.1 vorgestellten Partialansätze haben gemeinsam, dass sie sich in irgendeiner Form immer mit unternehmensinternen Ressourcen oder externen Faktorbedingungen auseinandersetzen. Die Theorien liefern also Kenngrößen und Erklärungsmuster, die in einem Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit verwendet werden können. Dazu wird in den folgenden Abschnitten der Bezug zur Markt- und der ressourcenorientierten Sichtweise des strategischen Managements hergestellt. Marktorientierte Sichtweise Dass die Marktbedingungen einen großen Einfluss auf die Internationalisierung von Unternehmen haben, lassen die vorgestellten Internationalisierungstheorien vermuten. Die klassischen Außenhandelstheorien basieren im Wesentlichen auf Faktorpreisunterschieden, sodass internationale Unternehmenstätigkeit nur aufgrund unterschiedlicher Faktorbedingungen zu Stande kommt. Auch die modernen Ansätze der Internationalisierung weisen auf den Einfluss des Marktes hin. Sowohl beim Ansatz von Kutschker/Schmid, als auch beim GAINS-Ansatz, sind Veränderungen in den Marktbedingungen verantwortlich für die Strategien international tätiger Unternehmen. Zur Beschreibung der Marktstruktur hat Porter den Diamant-Ansatz entwickelt, in dem er anhand von sechs Faktoren die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche in einem Markt definiert. Wie in Abbildung 8 zu sehen, ergeben diese Faktoren zusammen ein sich wechselseitig stärkendes System, welches hilft, die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu verteidigen.252 Bestimmungsfaktoren sind: (1) Faktorbedingungen: Ausstattung und Qualität der Inputfaktoren, über die das Land verfügt (Arbeitskräfte, Ressourcen etc.). (2) Nachfragebedingungen: Art der Inlandsnachfrage nach Produkten dieser Branche. (3) Verwandte und unterstützende Branchen: Vorhandensein von verwandten Branchen und Zulieferern, die – für sich genommen – international wettbewerbsfähig sind. (4) Unternehmensstrategie, Struktur und Konkurrenz: Bedingungen, wie Unternehmen entstehen und organisiert sind und Art der inländischen Konkurrenz.
252
Vgl. und im Folgenden Porter (1991a), S. 95ff.
48
Kapitel 2
Zufall
Unternehmensstrategie, Struktur und Konkurrenz
Faktorbedingungen
Nachfragebedingungen
Verwandte und unterstützende Branchen
Staat
Abbildung 8: Bestimmungsfaktoren nationaler Wettbewerbsvorteile. Quelle: Porter (1991a), S. 151.
Wettbewerbsfähige Unternehmen entwickeln sich vor allem dort, wo aufgrund der Branchenstruktur permanente Akkumulation von Wissen zu Innovationen führt. Der Druck der Konkurrenz untereinander verstärkt dies, da hierdurch die Unternehmen gezwungen werden, ständig innovativ zu sein und sich zu verbessern.253 Der Diamant-Ansatz liefert also einen Blick auf die Unternehmensumwelt, in diesem Falle branchenspezifisch. Neben diesen Bestimmungsfaktoren nennt Porter noch ergänzende Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen: (1) Staat: Es besteht ein großer Einfluss des Staats auf die Bestimmungsfaktoren, sowohl negativ, als auch positiv. Dieser wirkt direkt (z.B. durch Subventionen) oder indirekt (z.B. durch Steuererhöhung, die zur Verschlechterung der Nachfragebedingungen führen). (2) Zufall: Oftmals spielen auch Zufallsereignisse eine große Rolle bezüglich der Entwicklung einer Branche (z.B. große Entdeckungen führen zu einem technologischen Bruch).254 Alle Bestimmungsfaktoren und ergänzende Faktoren hängen voneinander ab. Die Veränderung eines Faktors zieht immer auch Veränderungen anderer Faktoren nach sich, es bildet sich also ein wechselseitig beeinflussendes System. Allerdings weist Porter darauf hin, dass es besonders an der Führung des Unternehmens liegt, ob ein Unternehmen
253 254
Vgl. Macharzina (2002), S. 71. Vgl. Porter (1991a), S. 150ff.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
49
international erfolgreich ist oder nicht. Er lenkt damit – ohne es näher zu untersuchen – den Blick auf die Unternehmensressourcen, wobei er sie, entgegen der ressourcenorientierten Betrachtung, in Abhängigkeit der Unternehmensumwelt ansieht.255 Sein DiamantAnsatz bildet also nur den Rahmen, in dem sich die internationale Unternehmenstätigkeit abspielen kann, womit die Aussagekraft für zukunftsgerichtete Unternehmensentscheidungen in jedem Fall begrenzt ist.256 Ressourcenorientierte Sichtweise Die Eigentums-, Internalisierungs- und Standortvorteile in Dunnings Totalmodell (vgl. Kapitel 2.2.2.1) sind den Ressourcen in der ressourcenorientierten Forschung sehr ähnlich, 257 da sie wie diese der Erzielung von Wettbewerbsvorteilen dienen. Auch in der Internationalisierungsprozessschule von Johannson/Vahlne (Vgl. Kapitel 2.2.2.2) spielen Ressourcen eine entscheidende Rolle, da ihr Modell auf Lernprozessen, also Steigerung der Ressource Wissen aufbaut. Wettbewerbsvorteile lassen sich zum einen durch Lernprozesse erzielen, die neues Wissen generieren, zum anderen durch den Erwerb externen Wissens. Bei den Theorien der ausländischen Direktinvestition, besonders die Theorie des monopolistischen Vorteils (vgl. Kapitel 2.2.1.3), spielen ebenfalls Ressourcen eine Rolle. Die Investitionen sind geleitet durch die Vorteile der Internalisierung, sodass die Unternehmen durch die Nutzung eigener Ressourcen und Stärken Wettbewerbsvorteile in anderen Märkten erlangen können. Eine explizit ressourcenorientierte Betrachtungsweise von internationaler Unternehmenstätigkeit liefert Fayerweather 1969 in seiner Charakterisierung von multinationalen Unternehmen.258 Ausgehend von den ökonomischen Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital und Boden) sieht er sechs Ressourcen, die in einer strategischen Analyse berücksichtigt werden müssen: „natural resources, capital, labor and technological, managerial and entrepreneurial skills“259. International tätige Unternehmen können nach seinem Ansatz Wettbewerbsvorteile generieren, wenn sie die Fähigkeit besitzen, ihre Ressourcen in andere Länder zu transferieren. Die Wettbewerbsvorteile sind umso größer, je weniger die spezifischen Unternehmensressourcen bereits im Gastland verfügbar sind und je weniger Handelsschranken und Marktbarrieren den Ressourcentransfer beschränken. Das Schlüsselkriterium ist die 255
Vgl. Porter (1991a), S. 154. Scherm/Süß kritisieren vor allem Ungenauigkeiten, wie die Einführung der Variable „Zufall“, die letztlich nicht mehr als einen „Platzhalter“ für Einflüsse darstellt. Die Ursachen dieser Variable sind weitgehend unbekannt, d.h. sie resultieren aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Entwicklungen, vgl. Scherm/Süß (2001), S. 74f. 257 Zur Begriffsbildung der Ressourcen siehe Kapitel 2.3.4.2. 258 Vgl. und im Folgenden Fayerweather (1978), S. 49ff. 259 Fayerweather (1978), S. 50. Die Fähigkeiten (skills) betrachtet er im Weiteren als Teil des Faktors „Arbeit“, vgl. Fayerweather (1978), S. 50f. 256
50
Kapitel 2
Effizienz. International tätige Unternehmen besitzen die Fähigkeit, ihre Ressourcen in andere Ländermärkte zu transferieren und dort effizienter einzusetzen, als die lokalen Unternehmen.260 Die Standorttheorien, die Dunning in seinem Totalmodell aufgreift, verknüpfen die ressourcen- und marktorientierte Sichtweise, da Unternehmen internationale Aktivitäten nur dort durchführen, wo sie eine optimale Kombination aus ihren eigenen Ressourcen mit den gegebenen Marktbedingungen vorfinden, um ihre Ziele zu verwirklichen. 261 Ein weiterer Hinweis für die Verknüpfung dieser beiden Sichtweisen liefert die Internalisierungstheorie, da Wettbewerbsvorteile durch die Transaktion von in anderen Märkten verfügbaren Ressourcen hergestellt werden. Es geht also zum einen darum, die eigenen Stärken und Schwächen, sowie die Marktbedingungen zu analysieren und anschließend durch Transaktionen Wettbewerbsvorteile zu generieren. Wie die Analyse der Theorien zeigt, kann die internationale Unternehmenstätigkeit aus zwei Sichtweisen betrachtet werden. Zum einen spielen Faktorbedingungen in den einzelnen Ländermärkten eine entscheidende Rolle, zum anderen benötigen Unternehmen interne Ressourcen, die sie sich in Lernprozessen oder durch externen Erwerb aneignen können, um einen Internationalisierungsprozess erfolgreich zu durchlaufen. Es lassen sich also zwei Dimensionen für die weitere Betrachtung in dieser Arbeit ableiten:262 1. marktorientierte Dimension (Ländermärkte „wo?“, Transaktionsformen „wie?“) und 2. unternehmensinterne Dimension (Ressourcen, Kompetenzen, Struktur und Kultur). Beide Dimensionen können anhand von Variablen und Kennzahlen beschrieben werden, so dass sie dazu dienen, eine umfassende Sicht der internationalen Unternehmenstätigkeit zu erstellen. Der Erfolg international tätiger Unternehmen beruht auf Wettbewerbsvorteilen, die Unternehmen auf Basis dieser beiden Dimensionen generieren und verteidigen können, wie im folgenden Abschnitt untersucht wird. 2.3 Entstehung von Wettbewerbsvorteilen Die in Kapitel 2.2 vorgestellten Internationalisierungstheorien unterstellen für das unternehmerische Handeln ökonomische Motive und strenge Rationalität, allerdings schränken die notwendigen Annahmen eine praxisnahe Verwendung erheblich ein.263 Internationalisierungsentscheidungen finden oftmals unter großer Unsicherheit statt. Dabei geht es für die Unternehmen darum, Potentiale zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen auf260
Vgl. Fayerweather (1978), S. 256f und Perlitz (2004), S. 68. Vgl. Simon (2007), S. 125. 262 Vgl. Simon (2007), S. 113. 263 Vgl. und im Folgenden Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 115ff. 261
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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zubauen und bestehende Wettbewerbsvorteile zu nutzen, bzw. zu verteidigen.264 Übertragen auf international tätige Unternehmen lautet die Zielsetzung des strategischen Managements, Wettbewerbspotentiale durch internationale Unternehmenstätigkeit zu entdecken und konkrete Strategien zur Umwandlung in Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Die beiden vorgestellten Ansätze, der marktorientierte Ansatz (MBV) und der ressourcenorientierte Ansatz (RBV), stellen die zwei wesentlichen Denkschulen im strategischen Management dar. Da beide Ansätze entscheidende und sich ergänzende Beiträge zum strategischen Management geleistet haben, sollte nicht auf eine Sichtweise vollständig verzichtet werden, wenn man ein möglichst umfassendes Bild über die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen im strategischen Management zeichnen möchte.265 In den folgenden Abschnitten wird zunächst allgemein das strategische Management betrachtet und die globale Unternehmensumwelt analysiert. Anschließend werden die markt- und die ressourcenorientierte Sichtweise vorgestellt und erklärt, wie Unternehmen Wettbewerbsvorteile generieren können. In Kapitel 2.3.5 wird auf die besondere Problematik der Verteidigung von Wettbewerbsvorteilen im internationalen Kontext eingegangen. 2.3.1
Strategisches Management und Wettbewerbsvorteile
Die Aufgabe des strategischen Managements ist es, Grundlagen für den Aufbau und Erhalt dauerhafter und überdurchschnittlicher Renten im Sinne von Erträgen für das investierte Kapital – so genannte Erfolgspotentiale und Erfolgspositionen – zu ermitteln und dauerhaft zu sichern.266 Dadurch wird es den Unternehmen ermöglicht, Wettbewerbsvorteile zu generieren, bzw. die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und dadurch die Unternehmensziele zu erreichen.267 Der Begriff strategisch bezieht sich auf die langfristig orientierten Überlegungen über die Aktivitäten eines Unternehmens. Neben der langfristigen Orientierung sind strategische Entscheidungen dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht ohne weiteres wieder revidiert werden können. Strategische Neuausrichtungen sind im Allgemeinen mit hohem Risiko und hohen Kosten verbunden.268 Grundlage für strategische Entscheidungen ist die Diskussion eines Strategieprozesses und einer exakten Strategieformulierung. Dabei müssen unterschiedliche Strategietypen
264
Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 25ff. Vgl. Spanos/Lioukas (2001), S. 908f und Millonig (2002), S. 1. Vgl. und im Folgenden Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 509; Miroschedji (2002), S. 132 und Pfohl (2006a), S. 81. 267 Vgl. Kapitel 2.1.3. 268 Vgl. Homburg/Krohmer (2006a), S. 112. 265 266
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Kapitel 2
entwickelt und miteinander verglichen werden, die den Strategieinhalt festlegen. Ist die Strategieformulierung abgeschlossen, werden die Werkzeuge des strategischen Managements ausgewählt und angewendet. Man unterscheidet grundsätzlich in eine umweltbezogene und eine unternehmensbezogene Analyse. Beiden Analyseformen liegt die Zielsetzung zu Grunde, potenzielle Wettbewerbsvorteile zu identifizieren.269 Wettbewerbsvorteile stellen aus Sicht des Kunden wertvolle Leistungsvorteile eines Unternehmens dar, die er als solche wahrnimmt. Wenn die Wettbewerbsvorteile für die Unternehmen nachhaltig sein sollen, dürfen sie nicht leicht imitierbar oder substituierbar sein.270 Im internationalen Kontext muss das strategische Management zusätzlich eine Betrachtung des veränderten internationalen Umfelds berücksichtigen und Wettbewerbsvorteile auf Basis unterschiedlicher Standortbedingungen gezielt aufbauen. 271 Es geht also um Entscheidungen über die weltweite Konfiguration von Wertaktivitäten. In Anlehnung an die Motive zur Internationalisierung (vgl. Kapitel 2.1.2) können Wettbewerbsvorteile über eine bessere Erschließung von Auslandsmärkten und materiellen oder immateriellen Ressourcen, sowie über die Ausschöpfung von internationalen Faktorkostenunterschieden entstehen. Dadurch können auch Standortnachteile im Heimatmarkt überwunden und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden.272 2.3.2
Analyse der globalen Unternehmensumwelt
Jedes Unternehmen sowie seine Kunden und Lieferanten agieren in einer MakroUmwelt, deren Gestaltungskräften sie ausgesetzt sind. Diese Gestaltungskräfte sind für das Unternehmen nicht oder nur sehr eingeschränkt steuerbar und können sowohl eine Bedrohung, als auch eine Chance sein. Aufgabe des strategischen Managements ist es, diese Gestaltungskräfte frühzeitig zu identifizieren und die Informationen zu ermitteln, die das Unternehmen zur Nutzung von Chancen und der Abwehr von Bedrohungen benötigt.273 Die globale Unternehmensumwelt lässt sich dabei in verschiedene Segmente zerlegen, die sich gegenseitig beeinflussen können. Unterschieden werden im Allgemeinen soziokulturelle, politische, ökonomische, technologische und rechtliche Umweltfaktoren.274 269
Vgl. Macharzina/Wolf (2008), S. 257ff; Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 126 und Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 118. Vgl. Homp (2000), S. 17f. 271 Vgl. Definition in Kapitel 2.1.3. 272 Vgl. Fieten (2002), S. 782f. 273 Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 126ff. 274 Vgl. Welge/Al-Laham (2008), S. 187ff und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 253ff. Entgegen der bei diesen Autoren vorgeschlagenen Unterteilung, werden die politischen und rechtlichen Umweltfaktoren in dieser Untersuchung getrennt betrachtet. 270
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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Unter soziokulturellen, bzw. gesellschaftlichen Umweltfaktoren werden Entwicklungen in den allgemeinen Werten, Einstellungen und Normen einer Gesellschaft verstanden. Basierend auf allgemein gültigen Regeln, Ideologien und religiös motivierten Überzeugungen, bilden sich die Wertvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft. Diese Wertvorstellungen beeinflussen maßgeblich das Verhalten der Menschen und die sozialen Bindungen. Die soziokulturelle Prägung einzelner Länder kann sich dabei erheblich unterscheiden. Mit zunehmender geographischer Distanz nimmt die Wahrscheinlichkeit einer größeren soziokulturellen Distanz zu.275 Die international tätigen Unternehmen müssen sich den soziokulturellen Herausforderungen in den einzelnen Ländermärkten, in denen sie aktiv sind, stellen.276 Eng verknüpft mit den soziokulturellen Umweltfaktoren sind die politischen Umweltfaktoren, die jene Aspekte umfassen, die von Seiten des Staats oder anderer gesetzgebender Organe an das Unternehmen herangetragen werden. Diese Faktoren spiegeln oftmals die geschichtliche Entwicklung des Landes wider und geben den Aktionsrahmen vor, in dem die Unternehmen agieren. Die Politik hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Umwelt des Ländermarktes, aber auch international kommt der Politik in global agierenden Organisationen eine wichtige Bedeutung zu.
277
Aus Sicht von absatzorientierten Internationalisierungsentscheidungen bestimmen die ökonomischen Umweltfaktoren die Attraktivität eines Marktes. Zu den gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren zählen unter anderem: !
die Entwicklung des Bruttosozialprodukts,
!
konjunkturbedingte Schwankungen des Gesamtwachstums,
!
die demographische Entwicklung und Kaufkraft der Bevölkerung,
!
die Investitionen und Förderungen durch den öffentlichen Sektor,
!
Außenhandel mit anderen Ländern und
!
die Wachstumsrate und Produktivität der einzelnen Branchen.278
Technologische Umweltfaktoren umfassen Entwicklungen in der Infrastruktur und Kommunikationstechnik, Investitionen in Forschung & Entwicklung, sowie die Qualifikation der lokalen Arbeitskräfte. Darüber hinaus hängt von der Qualität der verfügbaren Marktinformationen die strategische Entscheidung ab, da nur anhand objektiv gewonnener Daten strategisch richtige Entscheidungen getroffen werden können. Die technologi275
Zum Internationalisierungsgrad siehe Kap 2.1.4. Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 273ff und Welge/Al-Laham (2008), S. 294. 277 Vgl. Homburg/Krohmer (2006b), S. 472 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 364ff. 278 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 846ff und Welge/Al-Laham (2008), S. 294. 276
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Kapitel 2
schen Umweltbedingungen bieten dem Unternehmen Chancen, zum Beispiel in Form von positiven Produktionsbedingungen, stellen aber auch Risiken dar, zum Beispiel aufgrund unqualifizierter Arbeitskräfte. Je fortschrittlicher die technologische Entwicklung eines Landes ist, desto größer ist die Gefahr von lokalem Wettbewerb.279 Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden im Wesentlichen durch die Politik und Gerichte bestimmt. Sie sollen dazu dienen, Unternehmen rechtliche Sicherheit zu geben, gerade in Entwicklungsländern ist dies aber nicht immer gewährleistet. Zur fehlenden Rechtssicherheit kommen in diesen Märkten oftmals Marktrisiken in Form von Korruption, hohen Steuern und Zöllen sowie mangelnder Schutz geistigen Eigentums. 280 Ziel des strategischen Managements ist es also, möglichst viele Umweltfaktoren in den Zielmärkten zu ermitteln und bestimmen zu können. Als Informationsquellen können neben volkswirtschaftlichen Daten unabhängiger Institutionen (zum Beispiel Weltbank, UNCTAD, OECD und Internationaler Währungsfonds), ländereigene Statistikämter oder veröffentlichte Erhebungen von wirtschaftlichen Interessenvertretungen (zum Beispiel Auslandshandelskammer AHK) und Unternehmen vor Ort (zum Beispiel Unternehmensberatungen) sein. 281 Besonders in Entwicklungsländern sollten Unternehmen nur auf Daten zurückgreifen, die durch unabhängige Organisationen bestätigt sind. Ist ein Unternehmen bereits mit Aktivitäten in einem Markt vertreten, muss es Veränderungen der Umweltfaktoren frühestmöglich erkennen und darauf reagier-en, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Mit Hilfe so genannter Frühwarnsysteme 282 können wesentliche Richtungs- oder Niveauänderungen in der Umwelt des Unternehmens entdeckt und damit das Risiko vermindert werden. Größere Veränderungen treten häufig nicht plötzlich auf, sondern kündigen sich durch schwache Signale an.283 Die Segmente der globalen Umwelt lassen sich für die einzelnen Ländermärkte untersuchen, sodass die Unternehmen im Rahmen einer Internationalisierung die Rahmenbedingungen kennen, unter denen sie einen Standort auswählen und ggf. eine Wertaktivität verlagern können. Dies ist die Grundvoraussetzung, wenn sie erfolgreich strategische Wettbewerbsvorteile generieren wollen, wie die nächsten Kapitel zeigen.
279
Vgl. Homburg/Krohmer (2006a), S. 120 und Welge/Al-Laham (2008), S. 188f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006b), S. 472 und Welge/Al-Laham (2008), S. 186f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006b), S. 474. Eine detaillierte Darstellung nationaler und internationaler Quellen für die Marktdaten findet sich bei Kutschker/Schmid (2008), S. 216ff. 282 Zu den Frühwarnsystemen siehe Pfohl/Stölzle (1997), S. 166 und Becker (2006), S. 407. 283 Vgl. Pfohl/Stölzle (1997), S. 114. 280
281
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen 2.3.3
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Wettbewerbsvorteile durch Marktstrukturen
Basierend auf den allgemeinen Umweltfaktoren lassen sich in einem Markt Wettbewerbsvorteile erzielen. Die Theorie dazu basiert auf den klassischen Ansätzen der Industrieökonomie von Bain284 und wurde erstmals von Porter geprägt, der als Begründer des MBV gilt. 2.3.3.1
Der Market-based View im strategischen Management
In den klassischen Ansätzen der Industrieökonomie war die Strategie der Unternehmen abhängig von der gegebenen Branchenstruktur. Ziel des strategischen Managements in diesem Ansatz ist die Positionierung des Unternehmens im Markt in einer relativ zu den anderen Unternehmen guten Position. Die Unternehmensumwelt ist in dem sogenannten Structure-Conduct-Performance-Modell also die deterministisch prägende Kraft.285 Porter entwickelte dieses Modell weiter, in dem er die Unternehmensleistung (Erfolg) in den Mittelpunkt der Betrachtung rückte und die Branchenstruktur im Markt mit unvollständiger Konkurrenz nicht als gegeben annahm.286 Somit konnte die Generierung von Wettbewerbsvorteilen durch das Handeln von Unternehmen erfolgen, in dem nicht nur die Struktur (Structure) einer Branche das Verhalten (Conduct) und den Erfolg (Performance) eines Unternehmens bestimmt, sondern umgekehrt auch das strategische Verhalten von Unternehmen die Branchenstruktur verändern kann. Dies geschieht mit Hilfe einer strategischen Ausrichtung der unternehmensinternen Ressourcen und Wertaktivitäten.287 Abbildung 9 stellt diesen Zusammenhang dar, wobei die gestrichelte Linie zwischen Performance und Conduct auf einen nicht so starken Einfluss hinweist. Industry Structure
Conduct (Strategy)
Performance
Abbildung 9: Das erweiterte Structure-Conduct-Performance Modell von Porter. Quelle: Porter (1981), S. 616.
Das Erkenntnisziel des Market-based View lässt sich also wie folgt zusammenfassen: Erklärung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aus der relativen Positionierung des Unternehmens in seiner Branche (Markt). 284
Vgl. Bain (1956) und Bain (1968). Vgl. Spanos/Lioukas (2001). Unter unvollständiger Konkurrenz wird hier ein Markt verstanden, der sich durch eine beschränkte Zahl an Wettbewerbern auszeichnet. Der einzelne Marktteilnehmer kann dadurch unmittelbaren Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen, vgl. Conner (1991), S. 124. 287 Vgl. Porter (1981), S. 616. 285 286
56
Kapitel 2
Unternehmensstrategie abgeleitet aus dem MBV Ziel des strategischen Managements aus Sicht des MBV ist es, sich relativ zur Branchenstruktur mit Hilfe einer Strategie zu positionieren und somit überdurchschnittliche Erträge zu erzielen. Porter bietet dazu drei Strategietypen an, mit denen sich das Unternehmen konsequent auf eine Strategie ausrichten soll. Die so genannten generischen Strategien sind: 1.
Umfassende Kostenführerschaft,
2.
Differenzierung und
3.
Konzentration auf Nischen.288
Durch eine umfassende Kostenführerschaft können die Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit verteidigen, da sie sich aufgrund der minimalen Kosten gegen die Wettbewerbskräfte schützen können. Durch Differenzierung erarbeiten sich Unternehmen in der Branche einzigartige Produkte oder Dienstleistungen, die den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Unternehmen verschafft. Mit einer Konzentration auf Schwerpunkte, bzw. Nischen, können Unternehmen effizienter als ihre Konkurrenten einen (Teil-) Markt bearbeiten, was ein klarer Wettbewerbsvorteil ist. Die Strategien können jeweils defensiv oder offensiv angewendet werden. Bei der defensiven Anwendung ist es die Aufgabe des strategischen Managements, eine sichere Position in der Branche gegen die Wettbewerbskräfte zu verteidigen. In der offensiven Anwendung verfolgt das strategische Management mit einer generischen Strategie das Ziel, die Struktur der Branche so zu verändern, dass diese für die fokale Organisation an Attraktivität gewinnt. Das Ergebnis solcher struktureller Veränderungen ist die Schaffung von Markteintritts- und Mobilitätsbarrieren, die dafür sorgen, dass einzigartige strategische Erfolgspositionen erreicht, bzw. beibehalten werden können.289 2.3.3.2
Wertkettenanalyse nach Porter
Das oberste Ziel eines Unternehmens ist es, Erträge zu erwirtschaften. Dies versuchen die Unternehmen durch Wertschöpfung auf den unterschiedlichsten Stufen des Herstellungsprozesses zu erreichen. Zur Verdeutlichung der Wertschöpfung hat Porter den prozessualen Ansatz der Wertkette entwickelt, anhand derer der Beitrag jeder Wertschöpfungsstufe zum Gesamtergebnis des Unternehmens abgelesen werden kann.290
288
Vgl. und im Folgenden Porter (2008), S. 62ff. Vgl. Spanos/Lioukas (2001), S. 909f. 290 Vgl. und im Folgenden Porter (1990), S. 40ff und Freiling/Reckenfelderbäumer (2007), S. 265f. 289
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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Die Unternehmenseinheit stellt in diesem Modell eine zielgerichtete Zusammenfassung aller wertschöpfenden Aktivitäten dar. Diese verfolgen das Ziel, Wettbewerbsvorteile auf ihrem Markt für das Unternehmen zu generieren und dadurch einen Beitrag zum Gewinn zu leisten. Die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen ist also nicht nur von der wirkungsvollen Gestaltung einzelner Wertaktivitäten abhängig, sondern vor allem von der effizienten Koordination und Abstimmung der Aktivitäten aufeinander. Diese Orientierung unterscheidet das Wertkettenmodell deutlich von funktionalem Denken. Porter unterscheidet in der Wertkette primäre Aktivitäten, die unmittelbar zur Wertschöpfung beitragen, und sekundäre Aktivitäten, die den Wertschöpfungsprozess unterstützen. In Abbildung 10 stehen die unterstützenden Wertaktivitäten oben und begleiten den gesamten Wertschöpfungsprozess.
Unterstützende Aktivitäten
Unternehmensinfrastruktur Personalmanagement Forschung & Entwicklung Beschaffung
Eingangslogistik
Produktion
Marketing
Ausgangs- Kundenlogistik dienst
Primäre Aktivitäten
Abbildung 10: Porters Wertkette (Hervorhebungen der relevanten Handlungsfelder). Quelle: In Anlehnung an Porter (1990), S. 41.
Die eigentlich „Wert schöpfenden“ Tätigkeiten sind die Produktion von Gütern und die anschließende Vermarktung. Die Logistik übernimmt bei Inbound und Outbound sowie in der Produktion ebenfalls eine wichtige wertschaffende Funktion. Aus Sicht des Kunden hat ein Gut nur dann seinen Gebrauchsnutzen, wenn die faktische Verfügbarkeit gegeben ist, es also zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.291 Porter zählt diese Aktivitäten daher zu den primären Wertaktivitäten in seiner Wertkette.
291
Vgl. Pfohl (2004a), S. 12 und Pfohl (2004b), S. 50.
58
Kapitel 2
Der Beschaffung hingegen wird von Porter zu den unterstützenden Wertaktivitäten gezählt, da sie aus Marktsicht keinen Wert schafft. Ihre unmittelbare Integration in den Wertschöpfungsprozess dient aber aus Sicht der Unternehmen dem Aufbau von Ressourcen und Erhöhung der Versorgungssicherheit. Im internationalen Kontext kommt ihr daher eine besondere Bedeutung zu. International tätige Unternehmen können zum Beispiel Faktorkostenunterschiede ausnutzen oder nicht verfügbare eigene Ressourcen extern beschaffen und dadurch wichtige Wettbewerbsvorteile generieren. In Anlehnung an Kutschker/Schmid wird in dieser Arbeit die Beschaffung auch zu den primären Aktivitäten gezählt, die im internationalen Wertschöpfungsmanagement näher betrachtet werden.292 Ähnlich wie die Beschaffung dient die Forschung & Entwicklung zwar ebenfalls dem Aufbau von Ressourcen (in Form von Wissen und Technologien), am eigentlichen Wertschöpfungsprozess hat sie aber keinen unmittelbaren Anteil. Für das internationale Wertschöpfungsmanagement ist sie als unterstützende Aktivität nicht von strategischer Bedeutung, da sie im Wertschöpfungsprozess nicht unmittelbar zur Erreichung der Internationalisierungsziele293 beitragen kann. Die Forschung & Entwicklung wird daher in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. 2.3.3.3
Analyse des Marktes
Zielsetzung des strategischen Managements muss eine möglichst gute Anpassung der Unternehmen an die gegebene Umwelt, bzw. eine Veränderung der Unternehmensumwelt sein. Da nicht alle Elemente der Unternehmensumwelt gleich wichtig sind, kommt der Analyse des Marktes eine besondere Bedeutung zu.294 Ziel ist also, eine möglichst detaillierte Betrachtung der Marktbedingungen zu erhalten. Die eigentliche Unternehmensumwelt setzt sich dabei aus der globalen Umwelt und der Branchenstruktur zusammen. Damit lassen sich entsprechend der marktbasierten Sichtweise die Wettbewerbspositionen entdecken. Als Analyseinstrument zur Systematisierung der Determinanten der Wettbewerbsintensität und damit potenziellen Wettbewerbsvorteilen, die ein bestimmter Markt bietet, eignet sich das „Modell der fünf Kräfte“ von Porter. Den Überlegungen liegt darin zu Grunde, dass die Ursache eines jeden Wettbewerbsvorteils primär auf eine optimale geschäftsfeldspezifische Positionierung in der jeweiligen Branche bzw. strategischen Gruppe zurückzuführen ist.295 Diese ist charakterisiert durch die Anzahl der potentiellen Wettbe292
Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 327. Vgl. Kapitel 2.1.2. 294 Vgl. Welge/Al-Laham (2008), S. 185. 295 Vgl. Caves/Porter (1992), S.11. 293
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
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werber und durch die Existenz von Markteintrittsschranken und Mobilitätsbarrieren, die die Marktteilnehmer vor potentiellen Eindringlingen schützen.296 Das Potential nachhaltiger Wettbewerbsvorteile wird durch die Branchenattraktivität bestimmt, die sich in den fünf Wettbewerbskräften !
der momentanen Wettbewerbsintensität,
!
der Bedrohung durch potentielle neue Wettbewerber,
!
der Verhandlungsmacht der Zulieferer,
!
der Verhandlungsmacht der Abnehmer und
!
der Bedrohung durch Substitute (Ersatzprodukte, -dienstleistungen) äußert.297
Abbildung 11 zeigt die einzelnen Wettbewerbskräfte und wie sie untereinander in Beziehung stehen. Potentielle neue Konkurrenten Bedrohung durch neue Konkurrenten
Wettbewerber in der Branche
Abnehmer
Lieferanten Verhandlungsstärke der Lieferanten
Rivalität unter den bestehenden Unternehmen
Verhandlungsmacht der Abnehmer
Bedrohung durch Ersatzprodukte und dienstleistungen
Ersatzprodukte
Abbildung 11: Die Wettbewerbskräfte nach Porter. Quelle: Porter (2008), S. 26.
Die Rivalität unter den bestehenden Unternehmen eines Marktes (Wettbewerbsintensität) erzeugt eine Wettbewerbskraft durch das Bestreben der einzelnen Marktteilnehmer, die
296
Um sich vor der Imitation erfolgreicher Strategien zu schützen, errichten Organisationen einer Branche Mobilitätsbarrieren, die Wanderbewegungen von Organisationen aus anderen Branchen behindern sollen, vgl. Caves/Porter (1977), S. 245ff. 297 Vgl. Esch/Herrmann/Sattler (2008), S. 163 und Porter (2008), S. 33ff.
60
Kapitel 2
eigene Wettbewerbsposition (wie etwa den Marktanteil) zu Lasten der Konkurrenten zu verbessern.298 Eine attraktive Wettbewerbsposition ist laut Porter das Ergebnis der generischen Strategien, die das Unternehmen nutzen kann, um sich vor den Wettbewerbskräften seiner Branche zu schützen. Mit Hilfe dieser Strategien richtet ein Unternehmen seine Wertaktivitäten aus, um seine Wettbewerbsposition im Vergleich zur Konkurrenz zu verbessern oder zu verteidigen. Dabei wirken unterschiedliche Wettbewerbskräfte auf die Unternehmen ein:299 Bedrohungen durch neue Konkurrenten ergeben sich vor allem dann, wenn niedrige Markteintrittsbarrieren bestehen. Unter Markteintrittsbarrieren werden Faktoren verstanden, die den Eintritt in eine Branche oder in einen Markt erschweren. Dies kann z.B. ein hoher Kapitalbedarf oder das Vorhandensein von starken Marken sein. Neue Marktteilnehmer bringen neue Kapazitäten, das Streben nach Gewinn und oft erhebliche Mittel in die Branche ein. Als Folge können der Preiswettbewerb verschärft, die Kosten der etablierten Wettbewerber erhöht und damit die Rentabilität des gesamten Marktes negativ beeinflusst werden. Die Verhandlungsmacht der Lieferanten ergibt sich aus der Möglichkeit, die Preise oder die Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu verändern und damit den Wettbewerb bzw. die Wettbewerbsstruktur einer Branche zu beeinflussen. Sie besitzen vor allem dann eine große Macht, wenn es insgesamt nur wenige Lieferanten gibt, die Produkte des Lieferanten wichtiger Input des Abnehmers sind oder die Branche als Kunde für die Lieferanten relativ unwichtig ist. Analog zu den Lieferanten können einzelne Abnehmer oder Abnehmergruppen den Wettbewerb und die Rentabilität einer Branche beeinflussen, indem sie versuchen, die Preise zu senken oder eine bessere Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu verlangen. Besonders groß ist ihre Macht, wenn sie glaubhaft mit einer Selbstherstellung der vom Lieferanten bezogenen Produkte drohen können oder die Produkte relativ leicht substituierbar sind. Unter der Bedrohung durch Ersatzprodukte und –dienstleistungen wird der Ersatz der eigentlichen Güter durch so genannte Substitute verstanden. Substitutionsgüter besitzen für bestimmte Abnehmergruppen dieselbe Funktion, d.h. sie befriedigen dieselben Bedürfnisse, basieren aber auf einer anderen (Produkt-)Technologie. Die Stärke der Bedrohung durch Substitute ist dabei vor allem vom technologischen Wandel abhängig. 298 299
Vgl. Balderjahn/Specht (2007), S. 94. Vgl. und im Folgenden Porter (2000), S.32ff; Thommen/Achleitner (2006), S. 936; Balderjahn/Specht (2007), S. 94 und Porter (2008), S. 29ff. Zur kritischen Auseinandersetzung mit den generischen Strategien siehe Hill (2000), S. 89ff.
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In seiner ursprünglichen Form dient das Modell der fünf Kräfte zur Beschreibung der spezifischen Branchenstruktur eines Marktes. Die Beschreibung der Wettbewerbsintensität und der auf sie einwirkenden Kräfte geschieht aber immer aus der subjektiven Wahrnehmung des Unternehmens, sodass es in einer Untersuchung nicht zwingend notwendig ist, eine externe, objektive Betrachtung für jede Branche vorzunehmen. Vielmehr ergibt sich die Branchenstruktur aus der Sicht der unternehmenseigenen Analyse. Entsprechend der Wahrnehmung der Unternehmen richtet das strategische Management die Strategien zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen aus. Der MBV bietet nachvollziehbare Erklärungsmuster für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Allerdings wird dabei die interne Sichtweise, die in anderen theoretischen Ansätzen des strategischen Managements bereits angesprochen wurde, vernachlässigt. Dies wiegt im internationalen Kontext besonders schwer, da verschiedene Märkte berücksichtigt werden und die Entscheidungen im strategischen Management stark von den unternehmensinternen Ressourcen und Fähigkeiten abhängen.300 Besonders bei der Eroberung neuer Märkte durch eine Verlagerung von Wertaktivitäten, können sich die Unternehmen oftmals noch nicht auf bereits bestehende Stärken in einem Markt zurückziehen, sondern müssen sich aktiv neue Ressourcen aufbauen, die sie dann in Wettbewerbsvorteile umwandeln können. 2.3.4
Wettbewerbsvorteile durch Ressourcen
Die ressourcenorientierte Theorie der Unternehmung (resource-based view of the firm301) ist ursprünglich nicht als eine Theorie der internationalen Unternehmenstätigkeit, sondern vielmehr als eine Gegenposition zum industrieökonomischen Ansatz entwickelt worden. 302 Sie stellt seinem Outside-Inside Paradigma die Inside-Outside-Perspektive entgegen.303 Dabei fand der Ansatz zunächst zögerliche Resonanz, da er nicht allgemein anwendbar erschien und eine kategorische Gegenposition zum MBV bezog. Mit der Zeit gewann er in der wissenschaftlichen Literatur und für die unternehmerische Praxis aber immer mehr an Bedeutung, sodass der RBV heutzutage auch im internationalen Kontext des strategischen Managements diskutiert wird.304
300
Vgl. Hedlund/Rolander (1990), S. 19ff. Vgl. Penrose (1959); Wernerfelt (1984); Prahalad/Hamel (1990) und Barney (1991). 302 Während Kutschker von einem „nationalen Resource-based View“ (Kutschker (2004), S. 51) spricht, sind Welge/Holtbrügge der Auffassung, dass sich die ressourcenorientierte Forschung bereits ausführlich mit Diversifikations- und Markteintrittsstrategien auseinandergesetzt habe und sprechen explizit von der „Ressourcenorientierten Theorie“. Ihr Verweis auf lediglich drei Beiträge wirkt dabei aber wenig überzeugend (vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 86). 303 Vgl. und im Folgenden Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 32; Welge/Holtbrügge (2006), S. 86; Kutschker/Schmid (2008), S. 839ff und Wolf (2008), S. 569. 304 Vgl. Simon (2007) sowie die dort zitierte Literatur. 301
62
Kapitel 2
Wie bereits bei der kritischen Betrachtung der Internationalisierungstheorien erwähnt, finden sich im internationalen Kontext immer wieder implizite und explizite Hinweise auf „Ressourcen“ als Einflussfaktoren für die Internationalisierung. Es existiert offensichtlich ein sehr weit reichendes Verständnis des Begriffs „Ressource“, allerdings liefert keine der dargestellten Theorien eine explizite Definition des Ressourcenbegriffs. Die Theorien arbeiten also nicht alle mit einem einheitlichen Begriffsverständnis für Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen.305 Daher werden in den folgenden Abschnitten zunächst die Entwicklung des RBV und seine Implikation für das strategische Management dargestellt. Danach wird die Begriffe Ressource sowie die damit im Zusammenhang stehenden Fähigkeiten und Kompetenzen im Verständnis dieser Arbeit definiert. Abschließend werden die Analysemöglichkeiten der Unternehmensressourcen untersucht. 2.3.4.1
Der Resource-based View im strategischen Management
Der RBV geht zurück auf eine Veröffentlichung der amerikanischen Professorin Penrose, die ihre Überlegungen zur Bedeutung von „Resources“ bereits im Jahr 1959 veröffentlichte. 306 Die Grundannahme der Ansätze in der ressourcenorientierten Forschung ist die Überzeugung, dass die Existenz einzigartiger Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen das Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bildet. Wernerfelt griff diesen Ansatz auf und sprach erstmals von einer ressourcenorientierten Sichtweise.307 Danach gelangte der RBV zu seinem Durchbruch und ist seitdem Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen. 308 Das Erkenntnisziel ressourcenorientierter Forschung lässt sich laut Gersch/Freiling/Goeke wie folgt zusammenfassen: „Erklärung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmungen (auf Märkten) aus der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen.“309 Beim RBV geht es ebenfalls wie beim MBV um ökonomischen Erfolg, der in Form von Renten gestiftet wird. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass der RBV die effiziente Verwertung unternehmensinterner Faktoren als primäre Verursachungsgröße von Wettbewerbsvorteilen und nachhaltigen Unternehmensrenten ausmacht. Diese lie305
Vgl. Simon (2007), S. 123ff. Vgl. und im Folgenden Penrose (1959). Vgl. Wernerfelt (1984), S. 171. Ebenfalls 1984 postulierte Rumelt die Heterogenität der Unternehmen, was eine wichtige Grundannahme des RBV ist. Demnach generieren Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile auf Basis ihrer Unterschiedlichen Ausstattung, vgl. Rumelt (1984) 308 Vgl. u.a. Dierickx/Cool (1989); Prahalad/Hamel (1990); Barney (1991); Conner (1991); Grant (1991); Amit/Shoemaker (1993); Bamberger/Wrona (1996); Barney (2001); Newbert (2007) und Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007). 309 Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 41, Hervorhebungen im Original. 306
307
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
63
gen aus Sicht des RBV vor allem in Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens begründet. 310 In einer modifizierten Form der Wirkungskette (vgl. Abbildung 12) wird deutlich, dass die Ressourcen über das Verhalten zu Wettbewerbsvorteilen führen, umgekehrt aber durch die Handlung wieder Rückwirkungen auf die Ressourcen erfolgen. Resource
Conduct (Strategy)
Performance
Abbildung 12: Wirkungskette im ressourcenorientierten Ansatz. Quelle: Miroschedji (2002), S. 149.
Die Aufgabe für das strategische Management ist es, das Potential wertstiftender Ressourcen aufzuspüren und die entscheidenden Ressourcen311 mit entsprechenden Fähigkeiten, bzw. Kompetenzen zu individuellen Ressourcenbündeln zu kombinieren.312 Allerdings ist die Entwicklung der Ressourcenbündel nur bedingt nachvollziehbar, da der RBV keine eindeutig determinierbaren Input-Output-Verhältnisse entwickeln kann. Im Zusammenhang des strategischen Managements spricht man von Pfadabhängigkeit, da Ressourcen und ihre Kombination in Unternehmen immer historisch gewachsen sind.313 Damit lässt sich ein Zusammenhang zu den Lerntheorien herstellen und die Bedeutung des Managements von Ressourcen wird ersichtlich.314 In der Pflege und Kultivierung der „besonderen“ Ressourcen eines Unternehmens unterscheidet sich der RBV maßgeblich von der industrieökonomischen Sichtweise, die tendenziell von einer Gleichartigkeit der Unternehmen ausgeht. Für die Untersuchung muss also eine Ebene gefunden werden, auf der Ressourcen, Ressourcenbündel und Kompetenzen zum Ausdruck kommen und beobachtbar sind. Insgesamt sollte die ressourcenorientierte Forschung allerdings nicht als ein einheitliches, in sich geschlossenes Forschungsprogramm gesehen werden, sondern vielmehr als Sammlung 310
inhaltlich
artverwandter,
zum
Teil
divergierender
Ansätze.
315
Man unterscheidet im wesentlichen „Ricardorenten“ aufgrund knapper Produktionsfaktoren, „Schumpeter Unternehmerrenten“ aufgrund divergierender Bewertungen von Produktionsfaktoren und „Quasirenten“ aufgrund unterschiedlicher Produktivitäten beim Einsatz und bei der Kombination von unternehmensspezifischen Ressourcen. Hinzu kommen noch „Monopolrenten“ aufgrund eines Wettbewerbsvorteils, der in spezifischen Ressourcenbündeln begründet liegt, vgl. Amit/Shoemaker (1993), S. 35ff; Kutschker (2004), S. 59 und Wolf (2008), S. 569. 311 Zum Begriffsverständnis von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen siehe Kapitel 2.3.4.2. 312 Vgl. Holcomb/Holmes/Connelly (2009), S. 463f. 313 Vgl. Kutschker (2004), S. 57; Amit/Shoemaker (1993), S. 39 und Fried (2007), S. 186. 314 Vgl. Mahoney (1995), S. 93ff. 315 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 5ff. Sie sprechen wörtlich sogar von einem „Riss“, der durch die ressourcenorientierte Forschung geht (siehe S. 11). Für eine tabellarische Übersicht zu den Entwicklungsstufen des RBV und seinen Ausprägungen siehe auch Fried (2007), S. 187ff.
64
Kapitel 2
Gersch/Freiling/Goeke systematisieren den Stand der ressourcenorientierten Forschung im Jahre 2005, wie in Abbildung 13 zu sehen ist.
Ressourcenorientierte Forschung und ihre Weiterentwicklungen
ResourceBased Theory
ResourceAdvantage Theory
ResourceEndownment Theory
Resource-based View
(Core) Competences
Competencebased Strategic Management
Dynamic Capability Approach
Competence-based View
Abbildung 13: Terminologische Systematisierung ressourcenorientierter Forschung. Quelle: Mit leichten Veränderungen übernommen aus Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 10.
Fokussierung auf Kompetenzen Der RBV erklärt die wahrnehmbaren Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Ressourcen. Der Competence-based View (CBV) hingegen stellt das Wissen (Kompetenz) in den Mittelpunkt, dem es bedarf, um das in Ressourcen ruhende Wettbewerbspotential in nachhaltige Wettbewerbsvorteile umzuwandeln.316 Dabei geht er besonders auf den Wandel der Marktanforderungen ein und sieht die Möglichkeiten einer Entwicklung bzw. Anpassung unternehmenseigener und erworbener externer Ressourcen. Der CBV stellt also den „pragmatischen“ Ableger des RBV dar, wie ihn Pahalad/Hamel entwickelt haben. Sie sehen die Kompetenzen von Unternehmen als koordinierende Fähigkeit an, mit der Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile generieren können.317 Als Kernkompetenz werden im Verständnis dieser Sichtweise Kompetenzen bezeichnet, die auf das Ausnutzen eigener Stärken ausgerichtet sind und die vielfältig im Unternehmen eingesetzt werden können.318 Sie stellen die eigentlichen Erfolgsfaktoren im Unternehmen dar und sind zudem Teil des organisationalen Lernens, was Synergieeffekte quer 316
Vgl. Lado/Boyd/Wright (1992), S. 81ff und Freiling (2004), S. 29ff. Vgl. Pfohl (2005). 318 Im Gegensatz zur Kernkompetenz sind „einfache Kompetenzen“ lediglich organisationale Fähigkeiten zur Erfüllung von Aufgaben, vgl. Prahalad/Hamel (1990), S. 83f; Homp (2000), S. 21f und Kern (2002), S. 14. 317
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
65
durch die Geschäftsbereiche ermöglicht.319 Der CBV betont also die dynamische Komponente, da der langfristige Unternehmenserfolg stark von der Fähigkeit zur Erneuerung abhängt.320 Der kompetenzorientierte Ansatz lässt sich insgesamt nur schwer vom ressourcenorientierten Ansatz abgrenzen. 321 Kritik am RBV zielt vor allem auf das unspezifische Begriffsgebilde, was die Theoriebildung bislang erschwert und besonders in den vergangenen Jahren zu einem Tautologievorwurf führte.322 Darüber hinaus entsteht durch den Aufbau von bestimmten Ressourcen in Unternehmen eine gewisse Unflexibilität und durch die Beschränkung auf eine ex-post Betrachtung lassen sich nur schwer Erkenntnisse für künftiges Handeln gewinnen. 323 Auch wenn in vielen Punkten im wissenschaftlichen Diskurs über den RBV keine allgemeine Übereinstimmung herrscht, hat sich der Ansatz im strategischen Management mittlerweile etabliert und soll im Rahmen dieser Arbeit als theoretische Grundlage für die unternehmensinterne Betrachtung internationaler Unternehmenstätigkeit dienen.324 Im folgenden Abschnitt werden die Begriffe Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen detaillierter untersucht und das Begriffsverständnis für diese Arbeit festgelegt. In keiner der dargestellten Forschungsphasen zum RBV oder CBV standen Aspekte des Internationalen Managements im Vordergrund, daher wird die Betrachtung der Internationalisierung im weiteren Verlauf der Untersuchung in besonderem Maße Berücksichtigung finden.325
319
Vgl. Prahalad/Hamel (1990), S.81ff. Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), die in ihrem Artikel den Ansatz der dynamischen Fähigkeiten (“dynamic capabilities”) entwickeln. Der sich daraus entwickelnde Diskurs wird in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet, vgl. u.a. Foss/Ishikawa (2007) und Makadok (2001). Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007) lehnen den DCC ab und setzen anstelle einer „dynamischen Fähigkeit“ ein „Monitoring“ der Fähigkeiten, um diese flexibel zu halten. 321 Vgl. Wolf (2008), S. 570. In einigen Veröffentlichungen wird der CBV als Weiterentwicklung des RBV angesehen, vgl. zum Beispiel Moldaschl (2008), S. 428f. Diese wissenschaftstheoretische Untersuchung wird aber in dieser Arbeit nicht fortgeführt, da es nur darum geht, die Begriffe klar voneinander abzugrenzen. 322 Zur Diskussion über das ungenaue Begriffsverständnis und dem daraus abgeleiteten Tautologievorwurf siehe unter anderem Priem/Butler (2001a); Priem/Butler (2001b) und Lüdeke et al. (2006) sowie die dort zitierte Literatur. 323 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 40; Welge/Holtbrügge (2006), S. 88 und Kutschker (2004), S. 56. 324 In einem umfassenden Review über den RBV und einer statistischen Auswertung konnte Nothnagel nachweisen, dass sich die Aussagen des RBV mittlerweile empirisch bestätigen lassen und daher der RBV schon als Theorie bezeichnet werden kann, vgl. Nothnagel (2008), S. 226f. Diese Ergebnisse finden sich bei Newbert bestätigt, der nach einer empirischen Auswertung zahlreicher RBV-Artikel über den Resource-based View von einer „important theory“ spricht (Newbert (2007), S. 142). 325 Freiling spricht sogar vom nationalen Resource-based-view, vgl. Freiling (2001), S. 10. 320
66 2.3.4.2
Kapitel 2 Begriffsbildung Ressource, Fähigkeit, Kompetenz
Trotz intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem RBV hat sich noch kein einheitliches Begriffsverständnis von Ressource, Fähigkeit und Kompetenz326 gebildet. Penrose unterscheidet in ihrer Arbeit in „physical resources“ (plant, equipment, land and natural resources, raw materials, semifinished goods, waste products and by-products, and even unsold stocks of finished goods), die zum einen schnell vollständig in den Produktionsprozess einfließen oder langfristig dem Unternehmen zur Verfügung stehen, und „human resources“ (unskilled and skilled labour, clerical, administrative, financial, legal, technical and managerial staff).327 Außerdem ergänzt sie, dass neben den Ressourcen auch noch Fähigkeiten, bzw. „Services“ bestehen, also eine Funktion oder Aktivität, die diese Ressourcen verwaltet. Allgemein können Ressourcen also als notwendige Inputfaktoren 328 für die Produktion angesehen werden, die sowohl materieller als auch immaterieller Art sind. Aufgrund ihrer einzigartigen Zusammensetzung stellen diese „the source of the uniqueness of each individual firm”329 dar. Schon die Schwierigkeiten der Definition in der ersten Veröffentlichung weisen darauf hin, dass der Begriff „Ressource” ganz unterschiedlich definiert und ausgelegt sein kann. In den nachfolgenden Veröffentlichungen zum RBV entwickelte sich ein geradezu diffuses Bild des Verständnisses von Ressourcen, wie die Auflistung in Tabelle 2 zeigt. Da für den Einsatz des RBV aber ein differenziertes Begriffsverständnis vorausgesetzt wird, soll mittels einer Kriteriendiskussion das Begriffsverständnis des RBV erarbeitet werden, wie es für die Arbeit zweckmäßig ist. Es orientiert sich an den aufgelisteten Definitionen, um bestimmten Mindestkriterien zu genügen.
326
In der englischen Literatur finden sich die Grundbegriffe „resources“, „capabilities“ und „competencies“. Vgl. Penrose (1959), S. 24f. 328 Der Begriff Inputfaktor oder Inputgut kennzeichnet alle diejenigen Güter, die dem Unternehmen zum Einsatz in Prozessen und zur Erstellung interner oder externer Leistungen dienen. Die Inputgüter umfassen alle (Produktions-) Faktoren und alle Ressourcen, die einem Unternehmen zu Verfügung stehen. Die Verfügungsmöglichkeit ist nicht daran gebunden, dass das Unternehmen auch sämtliche Eigentumsrechte an diesen innehat (vgl. Freiling (2001), S. 20). 329 Penrose (1959), S. 25. 327
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen Quelle
Ressourcenverständnis
Wernerfelt (1984) S. 172
„Resources [are] anything which could be thought of as a strength or weakness of a given firm.“
Grant (1991), S. 118
„Resources […] are inputs into the production process“
Barney (1991)
„Firm resources include all assets, capabilities, organizational processes, firm attributes, information, knowledge etc. controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve its efficiency and effectiveness.“ „A firm´s resources and capabilities include all of financial, physical, human, and organizational assets used by a firm to develop, manufacture, and deliver products or services to its customers.”
S. 101 Barney (1995) S. 50 Amit/Shoemaker
67
„Resources […] will be definded as stocks of available factors that are owned or controlled by the firm.“
(1993), S. 35
„der Begriff [Ressource wird]sehr weit gefasst, so dass fast alle internen materiellen und immateriellen Güter, Systeme und Prozesse als interne Ressource definiert werden können.“
Bamberger/Wrona (1996), S. 132 Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516
„Ressources are firm-specific assets that are difficult if not impossible to imitate.“
Thiele (1997), S. 39
„Ressource [ist] jeder immaterielle oder materielle Faktorposten […], der in irgendeiner Form zu einer Wertschöpfung beitragen kann.“
Fayerweather (1978), S. 50 Moldaschl (2007) S. 20
Freiling (2001) S. 20
„[…] resources are considered to fall into six catagories […] natural resources, capital, labor and technological, managarial and entrepreneurial skills.“ „Ressourcen begreifen wir [als] Handlungsmittel, die zum Erreichen von Zielen benutzt oder mobilisiert (nutzbar gemacht) werden.“ „[V]on Ressourcen im Kontext des Resource-based View [ist] dann zu sprechen, wenn (in Märkten beschaffbare) Inputgüter durch Veredelungsprozesse zu unternehmenseigenen Merkmalen für Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickelt worden sind und die Möglichkeit besteht, Rivalen von der Nutzung dieser Ressourcen in nachhaltiger Weise auszuschließen“ [alle Hervorh. i. Orig.]. Tabelle 2: Ressourcenverständnis des Resource-based View.
Die Analyse der Ressourcenbegriffe in verschiedenen Veröffentlichungen zum RBV zeigt, dass unterschiedliche Ebenen der Betrachtung von „Ressourcen“ existieren. Zum einen gibt es eine reine Betrachtung als materielle und immaterielle Inputfaktoren, zum anderen werden unter Ressourcen aber auch Fähigkeiten, Handlungsmittel oder Stärken
68
Kapitel 2
und Schwächen verstanden. Da Ressourcen gemäß der ressourcenorientierten Sichtweise Wettbewerbspotentiale darstellen, lassen sich auf Basis des Begriffsverständnisses zwei grundlegende Merkmale ableiten: (1) Ressourcen bilden die individuelle Ausstattung eines Unternehmens, die diesem seine Wettbewerbsfähigkeit verschafft. Diese Ressourcenheterogenität ist gemeinsam mit der Ressourcenimmobilität die notwendige Bedingung für die Entstehung und Existenz nachhaltiger Wettbewerbsvorteile.330 (2) Ressourcen haben einen strategischen Charakter, da auf Basis der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen die Wertschöpfung erzielt wird und die Erfüllung der strategischen Ziele nur mit den Ressourcen möglich ist. Allerdings können nicht alle Ressourcen Wettbewerbsvorteile generieren, da sie zum Beispiel nicht unternehmensspezifisch oder am Markt substituierbar sind. Ressourcen müssen also besondere Eigenschaften besitzen, die wie folgt zusammengefasst werden:331 !
Wertvoll (valuable): Sie müssen durch einen besonderen Nutzen einen entscheidenden Wertschöpfungsbeitrag leisten.
!
Knapp (rare): Sie stellen nur einen Wettbewerbsvorteil dar, wenn sie den Wettbewerbern nicht uneingeschränkt zugänglich sind.
!
Nicht oder nur beschränkt imitierbar (imperfectly imitable): Sie dürfen von Wettbewerbern nicht problemlos imitiert werden können. Imitationsschutz kann man zum einen aufgrund der historischen Entwicklung der Ressourcen, zum zweiten wegen einer kausalen Ambiguität zwischen den Ressourcen des Unternehmens und den daraus resultierenden Wettbewerbsvorteilen sowie drittens durch die Interdependenz und soziale Komplexität der Ressourcen erreichen.
!
Nicht substituierbar (not substitutable): Es darf keine funktionalen Äquivalente geben, mit denen ähnliche Wettbewerbsvorteile erzielt werden können.
Diese vier Kriterien bilden die hinreichenden Bedingungen für nachhaltige Wettbewerbsvorteile mit unterschiedlichen Schwerpunkten: 332 Das erste Kriterium formuliert die Mindestbedingungen der „Wertschöpfung“ und damit die Existenz eines Wettbewerbsvorteils. Die anderen drei Kriterien erklären vor allem die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils. Aufgabe des strategischen Managements ist es, die Ressourcen mit 330
Vgl. Millonig (2002), S. 96ff. Vgl. Barney (1991), 105ff. „Wert“ und „Knappheit“ sind nicht umstritten, allerdings könnte man die „NichtImitierbarkeit“ und „Nicht-Substituierbarkeit“ auch zu einer Klasse zusammenfassen, vgl. Freiling (2001), S. 22ff. Abgeleitet von den Anfangsbuchstaben werden die Kriterien mit „VRIN“ abgekürzt, vgl. Barney (1991), 106. 332 Vgl. Millonig (2002), S. 101. 331
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
69
den größten Erfolgspotentialen aufzuspüren und zu entwickeln sowie ihre Verwertung und den Schutz langfristig sicherzustellen.333 Ressourcen tragen in Abhängigkeit der vier Komponenten einen unterschiedlichen Anteil zur Wertschöpfung bei, d.h. der eigentliche Wert der Ressourcen für die Unternehmen ist unterschiedlich.334 Die Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen sind also umso wertvoller, !
je dauerhafter und länger sie ihren Wert erhalten,
!
je schwieriger sie aufgrund von physischer Immobilität und unvollkommenen Informationen zu transferieren sind,
!
je schwieriger sie durch eigene Anstrengungen imitierbar sind und
!
je geringer die spezifischen Ressourcen durch ähnliche Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen substituiert werden können.335
Ressourcen entwickeln sich im Lauf der Zeit innerhalb des Unternehmens, sodass es zu einer historisch gewachsenen Ressourcenausstattung kommt. Diese Historizität erschwert zunehmend die Imitierbarkeit, je länger und unbekannter der Evolutionsprozess verlaufen ist.336 Dadurch kommt zum Ausdruck, dass die Unternehmen auch Fähigkeiten besitzen, die den Wandel mit einschließen. Damit lässt sich begründen, warum unternehmensspezifische Ressourcen so unterschiedlich sein können, bzw. warum sich Unternehmen nicht beliebig Ressourcen aneignen können.337 Wie die Diskussion um den Begriff Ressourcen schon gezeigt hat, gibt es auch für „Fähigkeiten“ und „Kompetenzen“ in der Literatur viele unterschiedliche Ansätze zur Definition.338 Die terminologische Verwendung ist oftmals unzweckmäßig und verwirrend, da für gleiche Sachverhalte unterschiedliche Begriffe verwendet werden.339 Die folgende Diskussion soll das Begriffsverständnis klären. Allein der Besitz von Ressourcen reicht nicht aus, um aus den Potentialen tatsächliche Wettbewerbsvorteile zu generieren. Daher kommt der Verwertung von Ressourcen in Form von Produkten und Leistungen am Absatzmarkt eine ganz besondere Bedeutung zu. 333
Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 134f und Kutschker/Schmid (2008), S. 840. Dabei sehen die Vertreter des RBV nicht alle Ressourcen als gleich rentenstiftend an, einige Ressourcen führen zu besonders großen Wettbewerbsvorteilen, andere weniger (vgl. Wolf (2008), S. 572). 334 Vgl. Dierickx/Cool (1989), S. 1509 und Fahy (2002), S. 72. 335 Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 135ff und Grant (1991), S. 124ff. 336 Wolf spricht in diesem Zusammenhang von „Idiosynkrasie“, vgl. Wolf (2008), S. 573f. 337 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 72 und Kutschker (2004), S. 57f. 338 Vgl. Proff/Haberle (2008), S. 447ff. Eine Übersicht zu den unterschiedlichen Begriffsdefinitionen von (Kern-) Kompetenzen in der ressourcenorientierten Literatur findet sich bei Freiling (2001), S. 23. 339 Vgl. Freiling (2001), S. 24 und die dort angegebene Literatur, besonders Fußnote 51. Dort nennt er unter anderem die Begriffe „skill“, Fertigkeit, Metafähigkeit („metaskill“), Fähigkeit („capability“), „dynamic capability“, Kompetenz („competence“) und Kernkompetenz („core competence“), die in der Literaturdiskussion zu finden sind.
70
Kapitel 2
Dazu besitzen Organisationen Kompetenzen. 340 Kompetenzen sind wiederholbare Regeln, die ein Unternehmen zur Nutzung von Ressourcen einsetzen kann, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Potentiale von Ressourcen können ausschließlich mit Kompetenzen ausgeschöpft werden, die zu Wettbewerbsvorteilen führen. Kompetenzmängel bewirken hingegen, dass Ressourcen ungenutzt bleiben.341 Kompetenzen stellen zudem eine zeitabhängige Größe dar, die durch von den Mitarbeitern getragene Lernprozesse in Organisationen in Form von Wissensvermehrung und damit einhergehender Steigerung der Leistungsfähigkeit darstellen. Sie sind also dynamisch und veränderbar. Die Lern- und Erfahrungsvorteile, sowie die Fähigkeit zur schrittweisen Reorganisation stellen die Wettbewerbsvorteile aus Kompetenzsicht dar.342 Die Ressourcenausstattung ist, aus dieser Perspektive betrachtet, die veränderbare Wissensbasis, wobei einmal generiertes Wissen auch wieder verloren gehen kann. Dennoch sind Kompetenzen wiederholbare Handlungssequenzen, womit deutlich wird, dass die Nutzung von Inputgütern nicht das Ergebnis von Zufällen ist.343 Die Kernkompetenzen sind aus Sicht des strategischen Managements nachhaltige Erfolgsfaktoren für das Unternehmen.344 Im Gegensatz zu den Wettbewerbsvorteilen sind diese Kernkompetenzen fest an das Unternehmen gebunden. Daher ist eine Auseinandersetzung mit diesen Kernkompetenzen für das strategische Management unbedingt notwendig. Allerdings sind von außen nicht die Kompetenzen wahrnehmbar, sondern die Wettbewerbsvorteile, die durch sie geschaffen werden.345 Im Weiteren wird der Begriff Fähigkeiten von Kompetenzen abgegrenzt, in dem Fähigkeiten natürlichen Personen und Kompetenzen den beteiligten Unternehmen, bzw. Organisationen zugeordnet werden. Bei Fähigkeiten steht also das Individuum als Träger von Entscheidung und Leistung im Mittelpunkt, während sich Kompetenzen immer auf kollektives Handeln beziehen.346 Sowohl die Managementfähigkeiten der Entscheidungsträ-
340
Vgl. Prahalad/Hamel (1990), sie haben den Begriff “Core Competence” 1990 in die Strategiediskussion eingeführt. 341 Vgl. Freiling (2001), S. 23; Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 28ff und Simon (2007), S. 138. 342 Vgl. Ausführungen zum CBV in Kapitel 2.3.4.1. 343 Vgl. Proff/Haberle (2008), S. 452ff. Die dynamische Entwicklung der Kompetenzen grenzt sich aber von den Dynamic Capabilities (siehe Fußnote 320) ab, da bei den Kompetenzen Lernprozesse im Vordergrund der Betrachtung stehen. 344 Vgl. und im Folgenden Rühli (1995), S. 98ff. 345 Vgl. Homp (2000), S. 17ff. 346 Vgl. Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 48. Der Begriff Kompetenz wird in diesem Fall sehr eng gefasst. Vertreter des CBV bezeichnen oftmals alle Fähigkeiten als Kompetenzen ohne eine Abgrenzung vorzunehmen, vgl. dazu u.a. Probst (2000), S. 13. Auf eine weitere Klassifizierung, Typisierung oder gar die konkrete Nennung bestimmter Ressourcen wird in dieser Arbeit verzichtet. Es sei an dieser Stelle exemplarisch auf die Arbeiten von Moldaschl (2007) und Simon (2007), S. 143ff verwiesen.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
71
ger als auch die Kompetenzen der Organisation sind Quellen für den unternehmerischen Erfolg.347 Zusammenfassend ist von Ressourcen im Kontext des RBV dann zu sprechen, wenn (in Märkten beschaffbare) Inputgüter durch Veredelungsprozesse zu unternehmenseigenen Merkmalen für Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickelt worden sind und die Möglichkeit besteht, Rivalen von der Nutzung dieser Ressourcen in nachhaltiger Weise auszuschließen.348 Mit Hilfe der personenbezogenen Fähigkeiten und den organisationalen Kompetenzen werden aus den Ressourcen Wettbewerbsvorteile generiert und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verteidigt. 2.3.4.3
Strategische Analyse der Unternehmensressourcen
Der RBV ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die strategische Analyse der Stärken und Schwächen von Unternehmen.349 Es ergeben sich aus den Anforderungen an die Ressourcen besondere Herausforderungen: Zunächst muss ein tiefer Blick ins Unternehmensinnere erfolgen, um die Ressourcen zu identifizieren, die vom Management verwaltet („gebündelt“) und weiterentwickelt werden müssen. Grant entwickelte dazu eine Strategie, wie die wertvollen Ressourcen und Kompetenzen in den Unternehmen gefunden und strategisch entwickelt werden können.350 Wie in Abbildung 14 zu sehen, ist in seinem Modell bereits implizit eine Ausrichtung der Strategie auch an den Marktbedingungen enthalten. Der Richtung seines Konzepts folgend lassen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile nur dann entwickeln, wenn im Unternehmen Kompetenzen vorhanden sind, die die wertvollen Ressourcen auswählen und bündeln, um dann mit Hilfe einer Strategie unter den gegebenen Marktbedingungen Erfolgspotentiale zu erschließen. Wie im Ressourcenverständnis beschrieben, liegen die meisten Ressourcen nicht als materielle oder explizite Ressourcen offen, sondern sind als immaterielle, implizite oder intangible Ressourcen unsichtbar. Eine direkte, auf objektive Beobachtung beschränkte Analyse der Ressourcen führt zu nicht vollständigen Ergebnissen.351
347
Vgl. Holcomb/Holmes/Connelly (2009), S. 478f. Vgl. Freiling (2001), S. 22. 349 Vgl. Rugman/Verbeke (2002), S. 770f. 350 Vgl. Grant (1991), S. 115. 351 Vgl. und im Folgenden Wolf (2008), S. 569f. 348
72
Kapitel 2
4. Selektion einer Strategie, welche die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens bestmöglich verwertet (im Vergleich zu den Wettbewerbern). 3. Beurteilung des rentenstiftenden Potentials der Ressourcen und Fähigkeiten im Hinblick auf (1) ihre Kraft zur Erzielung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils sowie (2) die Angemessenheit der zu erwartenden Rückzahlungen. 2. Identifikation der Fähigkeiten des Unternehmens: Welche Aufgaben kann das Unternehmen effektiver erledigen als seine Wettbewerber? Identifikation von (1) Ressourceninputs, welche zur Erledigung dieser Aufgabenerforderlich sind sowie (2) der Komplexität der einzelnen Fähigkeiten. 1. Identifikation und Klassifikation der Ressourcen des betrachteten Unternehmens. Beurteilung der Stärken und Schwächen relativ zu denjenigen der Wettbewerber. Identifikation von Gelegenheiten für eine bessere Nutzung der Ressourcen.
Strategie
Wettbewerbsvorteil
Fähigkeiten
5. Identifikation von Ressourcen-Lücken, die zu schließen sind. Betätigung von Investitionen zur Ergänzung, Ausdehnung sowie Verbesserung der unternehmerischen Ressourcenbasis.
Ressourcen
Abbildung 14: Strategische Analyse der Unternehmensressourcen. Quelle: Grant (1991), S. 115; Übersetzung nach Wolf (2008), S. 588.
Dennoch stellen die individuellen Ressourcen nachweislich für die Unternehmen Wettbewerbspotentiale dar. Um daraus Wettbewerbsvorteile zu generieren, müssen Fähigkeiten und Kompetenzen eingesetzt werden, die die Ressourcen zu unternehmensspezifischen, wertvollen Ressourcenbündeln zusammenfassen. Die Kompetenzen koordinieren als organisationale Fähigkeiten den Einsatz der wertvollen Ressourcen im Wertschöpfungsprozess, sodass die Unternehmen die Wettbewerbsvorteile in Erträge umwandeln können (siehe Abbildung 15).352
352
Vgl. Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007), S. 914f. Zur Wertkette siehe Kapitel 2.3.3.2 (Wertkettenanalyse nach Porter).
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
R R R R R
Beschaffung
R R
R
R
R
R
R
R R
R
R
R R
Marketing
Ausgangslogistik
R R
R
EingangsProduktion logistik
R
R R
73
R
R R R
R R
R
R R R
R
R R
R
R R
R R R
R R
R R
R
Kompetenz R = ungenutzte Ressourcen Wertaktivität
Abbildung 15: Ressourcenbündel und Wertaktivitäten.
Ressourcen können also nur dann wirklich wertvoll für die Unternehmen sein, wenn sie durch die Wertaktivitäten einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Umgekehrt können Wertaktivitäten nur dann Wert schöpfen, wenn sie auf Basis wertvoller, unternehmensspezifischer Ressourcen agieren. Diese komplexe Interaktion, die durch die Kompetenz gesteuert wird, bestätigt Porter: „Resources and activities are, in a sense, duals of each other“353. Die Konfiguration der Wertaktivitäten der Unternehmen kann wiederum genau beobachtet werden. Betrachtet man nun die spezifische Konfiguration als ein Ergebnis des komplexen Interaktionsprozesses zwischen Ressourcen, Kompetenzen und den Wertaktivitäten, lassen sich daraus Rückschlüsse auf die nicht direkt messbaren Ressourcen ziehen. Zwar ist eine genaue Abgrenzung der eingesetzten Ressourcen aufgrund der fehlenden Bestimmbarkeit nicht möglich, die vorhandenen Ressourcengruppen und deren Eigenschaften lassen sich aber beschreiben. Die Konfiguration der Wertaktivitäten soll daher im Folgenden die Analyseebene sein, von der aus dann Rückschlüsse auf die spezifischen Ressourcen und Kompetenzen gezogen werden. 2.3.5
Wettbewerbsvorteile durch Internationalisierung
Bei der Betrachtung der Motive und Ziele internationaler Unternehmenstätigkeit (vgl. Kapitel 2.1.3) wird offensichtlich, dass Unternehmen durch internationale Aktivitäten 353
Porter (1991b), S. 109. Die Dualität von Ressourcen und Aktivitäten findet sich bereits bei Wernerfelt (1984), S. 173.
74
Kapitel 2
Wettbewerbsvorteile generieren können. Grundsätzlich unterscheidet man zwei unterschiedliche Formen der Internationalisierung:354 (1) beschaffungsmarktorientierte Internationalisierung und (2) absatzmarktorientierte Internationalisierung. Zu (1): Eine beschaffungsmarktorientierte Internationalisierung schließt verschiedene Möglichkeiten ein. Zum einen wird ein Zugriff auf Ressourcen ermöglicht, die im Heimatmarkt nicht vorhanden oder sehr knapp sind. Zum anderen können Ressourcen beschafft werden, die zwar im Heimatmarkt vorhanden, aber im Ausland günstiger, bzw. schneller erhältlich sind. Darüber hinaus könnten Unternehmen in anderen Märkten Ressourcen beschaffen, die aufgrund von rechtlichen Bestimmungen im Heimatmarkt nur bestimmten Unternehmen zustehen. 355 Eine weitere strategische Zielsetzung beschaffungsmarktorientierter Internationalisierung könnte die künstliche Verknappung einer Input-/Ressourcenbasis sein, womit sich Unternehmen im Weltmarkt gegen internationale Wettbewerber absichern würden. Zu (2): Für eine absatzmarktorientierte Internationalisierung kann in reaktive und proaktive Vorgehensweise unterschieden werden. Die Ausweitung der Unternehmenstätigkeit wirkt also in zweifacher Hinsicht: zum einen können aktiv Wettbewerbsvorteile generiert werden, durch die Ausnutzung von unterschiedlichen Ressourcenausstattungen der Unternehmen und unterschiedlichen Faktorbedingungen der Märkte. Zum zweiten kann die Verlagerung von Aktivitäten auch dem Ziel dienen, die Wettbewerbsfähigkeit – im Heimatmarkt oder weltweit – zu verteidigen. Eine mögliche Abwehrreaktion zur Verteidigung seiner Wettbewerbsfähigkeit kann die so genannte „follow-the-leader-Strategie“ 356 sein. Dabei entscheiden Unternehmen, einen Ländermarkt nicht als Pioniere zu betreten, was mit größeren Risiken verbunden wäre, sondern reaktiv entweder Wettbewerbern aus der gleichen Branche zu folgen oder sich der Internationalisierung von key-accounts anzuschließen. Darüber hinaus können Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit pro-aktiv verteidigen, in dem sie Ländermärkte aus eigenen strategischen Überlegungen bearbeiten und damit die Internationalisierung von Wettbewerbern erzwingen oder die Markteintrittsbarrieren in einem neuen Markt erhöhen.357
354
Vgl. Simon (2007), S. 218ff. Dies wird möglich, da Intellectual Property Rights grundsätzlich eine territoriale Begrenzung besitzen, dies gilt besonders für Patente, die oftmals nur in bestimmten Ländern geschützt sind. Zu den Besonderheiten Chinas, siehe Kapitel 3.1. 356 Welge/Holtbrügge (2006), S. 63, Hervorhebungen durch den Verfasser. 357 Zu diesen Strategien siehe ausführlich Kutschker/Schmid (2008), S. 984ff. 355
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
75
Damit erklärt sich die Verteidigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen auf der Basis unterschiedlich verfügbarer Ressourcen und Kompetenzen, sowie der nationalen und internationalen Marktbedingungen.358 Ein Unternehmen ist also international wettbewerbsfähig, wenn es nicht nur im Heimatmarkt, sondern auch in anderen Ländermärkten seine Marktpräsenz halten oder ausbauen kann. Es muss sich gleichzeitig gegenüber Wettbewerbern und gegenüber Kunden und Lieferanten behaupten können.359 Das internationale Wertschöpfungsmanagement fokussiert daher auf die unternehmensspezifischen Managementkompetenzen, die die Möglichkeit erkennen, internationale Wettbewerbsvorteile zu erlangen und diese zu verteidigen. Besondere Fähigkeiten werden im Bereich der Informationsverarbeitung verlangt, die eine Bereitschaft zum Lernen voraussetzt und damit Kontinuität ermöglichen soll.360 Für internationale Unternehmen sind zudem interkulturelle Kompetenzen notwendig, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen, welche gewährleisten, dass die Unternehmensziele im interkulturellen Kontext verwirklicht werden können.361 2.4 Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung Wie die ressourcen- und marktorientierte Betrachtung zeigt, agieren Unternehmen mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile zu generieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verteidigen. Dies gilt in besonderem Maße im internationalen Kontext. In den ökonomischen Theorien zur Internationalisierung konnte in Kapitel 2.4.1 eine implizite Verwendung von Indikatoren der markt- und ressourcenorientierten Sichtweise analysiert werden. Damit wurde gezeigt, dass sich der MBV und der RBV zur Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit eignen.362 In diesem Kapitel wird aus den gesammelten theoretischen Erkenntnisse ein Erklärungsansatz für die internationale Unternehmenstätigkeit entwickelt. Im ersten Schritt wird die theoretische Begründung geliefert, warum im internationalen Kontext die Zusammenführung des RBV und MBV notwendig ist. Anschließend werden beide Ansätze explizit im internationalen Kontext betrachtet und Einflussfaktoren, bzw. Variablen abgeleitet. Schließlich lassen sich aus den Erkenntnissen Implikationen für das strategische Management ableiten, die dann auf die Betrachtung des internationalen Wertschöpfungsmanagements als Kernkompetenz der Internationalisierung überleiten. 358
Vgl. Simon (2007), S. 190. Vgl. Gersch/Freiling/Goeke (2005), S. 41. Vgl. Doz/Prahalad (1993), S. 25ff und Engelhard/Dähn (2002), S. 35. 361 Vgl. Holzmüller/Berg (2002), S. 888f. Die interkulturellen Kompetenzen stehen allerdings nicht im Fokus dieser Untersuchung und werden daher nur nachrangig betrachtet. 362 Vgl. Oesterle (1999), S. 239f. 359 360
76 2.4.1
Kapitel 2 Verknüpfung von RBV und MBV
Die Generierung von Wettbewerbsvorteilen lässt sich mit Hilfe der ressourcen- und der marktorientierten Sichtweise beschreiben. In ihrer historischen Entwicklung wurden diese beiden Sichtweisen als Gegenpositionen entwickelt und erscheinen daher konfliktär. Dabei geht es bei beiden Ansätzen um die Erklärung der Generierung von Renten auf Basis von Wettbewerbsvorteilen, allerdings betrachtet von zwei unterschiedlichen Seiten. 363 Dementsprechend fordern zahlreiche Autoren eine Zusammenführung oder gleichzeitige Betrachtung beider Ansätze zur ganzheitlichen Beschreibung. 364 Beide Ansätze gehen letztendlich von dem „fit“ zwischen unternehmensinterner Ausstattung und Umweltbedingungen aus, jedoch betrachtet aus einer unterschiedlichen Perspektive. 365 Bamberger/Wrona weisen sogar auf eine notwendige wechselseitige Beziehung hin, da der RBV keine Erklärung dafür liefert, was eine Ressource wertvoll macht und deswegen auf die industrieökonomische Betrachtung zurückgegriffen werden muss, um den strategischen Wert von Ressourcen zu bestimmen.366 Zur Entwicklung einer erfolgreichen Unternehmensstrategie müssen sowohl die Unternehmenssituation (unternehmensinterne Stärken- und Schwächen-Analyse), als auch die Unternehmensumwelt (Analyse der Chancen und Risiken des Marktes) analysiert werden. Somit werden nicht nur die unternehmensinternen Ressourcen, sondern gleichzeitig auch die Umwelt in die Betrachtung mit einbezogen. Besonders im internationalen Kontext bietet sich diese komplementäre Betrachtung367 beider Ansätze an, da Unternehmen zum einen über sehr spezifische Ressourcen verfügen und zum anderen unter unterschiedlichen Marktbedingungen agieren müssen. International tätige Unternehmen können also nur erfolgreich sein, wenn das Management strategische Ressourcen und Kompetenzen aufbaut und diese unter Berücksichtigung der Umwelteinflüsse einsetzt (FitGedanke). 368 Zentes/Swoboda/Morschett kombinieren die beiden Betrachtungsrichtungen graphisch zu einem „Structure-Resources-Conduct-Performance“-Modell, siehe Abbildung 16.
363
Vgl. und im Folgenden Barney (1991), S. 99f; Spanos/Lioukas (2001), S. 911 und Prasad/Pisani/Prasad (2008), S. 626f. Spanos/Lioukas sprechen wortwörtlich von „the two sides of the same coin“ (S. 911). 364 Vgl. u.a. Oliver (1997), S. 688ff; Pfohl (2005); Lehr (2006), S. 113ff sowie die Autoren aus FN 362. Lehr bezeichnet eine gemeinsame Zusammenführung, neben der Einzelbetrachtung beider Sichtweisen, sogar als „dritte Strategiealternative“ (S. 113). 365 Vgl. Probst (2000), S. 70 und Hülsmann/Austerschulte (2008), S. 23f sowie die dort zitierte Literatur. 366 Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 140f. 367 Die komplementäre Beziehung zwischen beiden Ansätzen führt zu einer sich gegenseitig ergänzenden Betrachtung auf der gleichen Ebene. Alternativ gibt es noch die hierarchische, die spezifizierende und die situative Beziehung (vgl. Lehr (2006), S. 114), die in dieser Arbeit aber nicht betrachtet werden. 368 Vgl. Grant (1991), S. 114 und Scherm/Süß (2001), S. 93.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
77
Structure Conduct
Performance
Resource Abbildung 16: Kombination der Outside-Inside- und der Inside-Outside-Betrachtung. Quelle: Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 33.
Ermöglicht wird die Kombination dieser beiden Sichtweisen, da beide Denkschulen jeweils die andere Seite als konstant ansehen. Während der industrieökonomische Ansatz davon ausgeht, dass die Ressourcenausstattung der Unternehmen identisch ist und somit keine Auswirkungen auf die Marktposition hat369, sehen die Vertreter der ressourcenorientierten Sichtweise die Unternehmensumwelt nicht als wettbewerbsentscheidende Größe an, da sie in einer globalen Welt von nur einer (homogenen) Unternehmensumwelt ausgehen.370 Strategisches Kompetenzmanagement als Bindeglied Bereits in Kapitel 2.3.4.2 wurde auf den Unterschied zwischen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen eingegangen. Aufbauend auf dem RBV liefert das strategische Kompetenzmanagement einen guten Ansatz zur Erklärung von Wettbewerbsvorteilen.371 Dabei stellt der kompetenzorientierte Ansatz das Bindeglied zwischen innen- und außenorientierter Sichtweise dar. Ziel der strategischen Kompetenzen ist es, diese beiden Sichtweisen unter der Nutzung von Chancen und der Vermeidung von Risiken in Einklang zu bringen.372 Die strategische Gestaltung konzentriert sich dabei auf den Aufbau und die Entwicklung von Kernkompetenzen.373 Diese Kernkompetenzen sind eng verknüpft mit organisationalem Wissen und entwickeln sich evolutionär weiter. Damit kommt in diesem Ansatz gleichzeitig die dynamische Orientierung zum Ausdruck, die im Kontext einer dynamischen Umwelt benötigt wird.374 Ausgehend von der Überlegung der Internationalisierung als (dynamischer) Prozess, sowie der Verbindung von unternehmensinterner und marktorientierter Sichtweise, kommt
369
Vgl. Porter (1981), S. 610f. Im Falle von heterogener Ressourcenausstattung innerhalb einer Branche geht er davon aus, dass diese Unterschiede nur kurz Bestand haben, da sich die Unternehmen schnell anpassen. 370 Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 37 und Müller-Stewens/Lechner (2002), S. 389ff. 371 Vgl. Freiling/Gersch/Goeke (2008), S. 3f. 372 Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 515 und Hofmann/Prockl (2008), S. 417f. 373 Zu den begrifflichen Grundlagen der Kernkompetenzen siehe u.a. Homp (2000), S. 7ff. 374 Vgl. Fearns/Schott (2008), S. 308.
78
Kapitel 2
dem strategischen Kompetenzmanagement auf internationaler Ebene eine ganz besondere Bedeutung zu, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird.375 Zusammenführung auf internationaler Ebene Im internationalen Kontext ist - entgegen der industrieökonomischen Annahme - von heterogenen, sich deutlich unterscheidenden Märkten auszugehen. 376 Andererseits lässt sich eine unterschiedliche Ressourcenausstattung der Unternehmen, bezogen auf die Internationalisierung, nachweisen.377 Es erscheint daher unumgänglich, die Wirklichkeit der internationalen Wertschöpfung aus Sicht beider Denkschulen zu betrachten.378 Kutschker/Schmid fordern für eine umfassende Sichtweise nicht nur die Zusammenführung beider Strömungen, sondern sehen diese im strategischen Management in Form der SWOT-Analyse bereits abgebildet, da dort die unternehmensinternen Stärken und Schwächen kombiniert mit den Chancen und Risiken des Marktes zu Strategien führen. Im Bereich des internationalen Managements könnten also einzelne Analysen von unterschiedlichen Ressourcen- und Marktkombinationen durchgeführt werden.379 Im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements erscheinen MBV und RBV also als geeignete Erklärungsansätze für eine möglichst umfassende Beschreibung der internationalen Unternehmenstätigkeit. In den folgenden Abschnitten werden die marktund die ressourcenorientierte Sichtweise, bezogen auf den internationalen Kontext, zunächst getrennt betrachtet. Anschließend werden die Implikationen für das strategische Management abgeleitet und die SWOT-Analyse als Werkzeug für die strategische Betrachtung eingeführt. 2.4.2
Marktorientierte Internationalisierung – Chancen- und Risikenanalyse
Der MBV wurde schon früh mit Internationalisierung in Verbindung gebracht. Das Modell des Diamant-Ansatzes von Porter (vgl. Kapitel 2.2.4) dient dazu, Märkte zu analysieren. Das Modell der fünf Wettbewerbskräfte hingegen war ursprünglich national beschränkt, allerdings ist es nachvollziehbar, dass Branchen global nicht immer gleich ausgerichtet sind. Eine Analyse der Markt- und Branchenstrukturen ist daher nicht nur global, sondern auch regional durchzuführen.380
375
Vgl. Buhmann (2006), S. 72ff. Diese Annahme basiert auf unterschiedlichen ökonomischen und technologischen Bedingungen sowie der geographisch-kulturellen Distanz. 377 Vgl. Kapitel 2.2.4. 378 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 32f und Kutschker/Schmid (2008), S. 842f. 379 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 842f, siehe dazu auch die Implikationen für das strategische Management (Kapitel 2.4.4). 380 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 845. 376
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
79
Im internationalen Kontext lassen sich die Länder nach ihren Chancen (Absatz-, Beschaffungs- und Kostenpotentiale) sowie Risiken (Marktbarrieren, technologische Bedingungen, Rechtssysteme etc.) einteilen. Wie bereits in den Internationalisierungstheorien dargestellt (vgl. Kapitel 2.2), sind Absatz- und Kostenpotentiale die größten Motivatoren für eine Marktbearbeitung. Entsprechend suchen die Unternehmen nach Ländermärkten, in denen sich entweder große Absatz- oder Beschaffungspotentiale erschließen oder aufgrund von Faktorkostenunterschieden Produktionskosten einsparen lassen. Im optimalen Fall können in einem neuen Markt beide Ziele verwirklicht werden, wobei Unternehmen Wertaktivitäten nur in die Länder verlagern, in denen sie Wettbewerbsvorteile durch mindestens eines der Potentiale generieren können. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, dass Unternehmen aufgrund fehlender Ressourcen im Heimatmarkt zu einer Verlagerung von Wertaktivitäten gezwungen sind. Die Potentiale der einzelnen Länder werden besonders durch Marktbarrieren, zum Beispiel in Form von Handelshemmnissen beschränkt. Darüber hinaus besteht in vielen Ländern Gefahr für das eigene Know-how oder Rechtsunsicherheit. Auch die Bürokratie und Korruption kann Investitionen in verschiedenen Ländern riskant werden lassen. Mit Hilfe von Indizes zur Marktauswahl lassen sich unterschiedliche Ländermärkte nach verschiedensten Gesichtspunkten bewerten und vergleichen.381 Größtes Problem der Marktanalyse im internationalen Kontext stellt die Informationsbeschaffung dar. Gerade in Entwicklungsländern entsprechen die offiziellen Statistiken nicht der Realität. Außerdem ist es für Unternehmen, die bislang nicht in einem Markt agieren, äußerst schwierig, in dem neuen Zielmarkt eine Wettbewerbsanalyse durchzuführen, da die dazu benötigten Informationen oftmals nicht vorhanden sind, bzw. nicht explizit erworben werden können. Die Umweltanalyse ist als nicht abgeschlossener Prozess anzusehen, der immer begleitend fortgeführt werden muss, wobei sich die Daten am besten in einem Chancen-Risiken-Profil ausdrücken lassen, wie in Tabelle 3 zu sehen ist.382 Das Chancen-Risiken-Profil sollte für alle relevanten Ländermärkte erstellt werden, in denen das Unternehmen aktiv ist, bzw. in die das Unternehmen eine Verlagerung von Wertaktivitäten plant. Das ermöglicht zum einen eine Risikoabschätzung für die Investition, zum anderen einen Vergleich zwischen unterschiedlichen Märkten.
381 382
Vgl. Backhaus/Büschken/Voeth (2003), S. 148 sowie die dort zitierte Literatur. Vgl. Welge/Al-Laham (2008), S. 228ff.
80
Kapitel 2
umwelt
Wettbewerbs-
Globale Marktumwelt
Beschreibung des Ländermarkts ! Kulturelle Distanz Soziokulturell
Politisch
! ! ! !
Ökonomisch
! Absatzmarkt ! Beschaffungsmarkt
Technologisch
! Infrastruktur ! Qualifizierte Arbeitskräfte ! Marktdaten
Rechtlich
! Rechtssicherheit ! Know-how-Schutz ! Korruption
Chancen
Risiken
Steuergesetze Bürokratie Handelshemmnisse Investitionsbeschränkung
Konkurrenz
Branche Tabelle 3: Chancen-Risiko-Profil. Quelle: In Anlehnung an Welge/Al-Laham (2008), S. 230.
Die ökonomischen Bedingungen in einem Ländermarkt stellen im Optimalfall Chancen dar, die Unternehmen dazu motivieren, in einen Markt einzusteigen. Oftmals überwiegt dabei entweder das Absatzpotential (ungesättigter Markt) oder das Beschaffungspotential (seltene Ressourcen, günstige Produktionsfaktoren). Die Politik eines Landes könnte für die Unternehmen zum einen Chancen bieten, zum Beispiel in Form von Subventionen oder Steuererleichterungen, zum anderen könnte sie Risiken verursachen, aufgrund von Bürokratie, Gesetzen zur Investitionsbeschränkung oder protektionistischen Handelsbestimmungen. Die soziokulturellen Differenzen stellen für die Unternehmen eine besondere Herausforderung dar, da sie nicht beeinflussbar sind, bei großer kultureller Distanz aber ein erhebliches Risiko in der Zusammenarbeit mit Kunden, Lieferanten und Kooperationspartnern bedeuten. Ebenso können rechtliche Unsicherheiten in bestimmten Ländern den Erfolg von Internationalisierung gefährden.383 Neben dem Chancen-Risiken-Verhältnis sind gewisse technologische Bedingungen in einem Zielmarkt Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Wettbewerbs383
Vgl. und im Folgenden Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 14ff.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
81
potentialen. Dazu zählen unter anderem die Infrastruktur für die logistische Abwicklung und Kommunikation, Verfügbarkeit von fachlich qualifizierten Arbeitskräften und Marktinformationen als Entscheidungsgrundlage für strategische Entscheidungen. Auch wenn die generischen Strategien des strategischen Managements mit Porters Modell der fünf Wettbewerbskräfte ursprünglich nur für den nationalen Markt entwickelt worden sind, erscheint es sinnvoll, die Analysemethodik auch im internationalen Kontext anzuwenden. Gerade in Märkten, in denen die Branchenstrukturen noch nicht stark ausgeprägt sind, können Unternehmen - ausgehend von entsprechender Stärke im Heimatmarkt - die Branchenstrukturen in einem Land maßgeblich beeinflussen. Dadurch können sie sich eine individuelle Marktposition schaffen, die ihnen nachhaltige Wettbewerbsvorteile sogar gegenüber Wettbewerbern aus anderen Ländern ermöglichen. Somit kommt dem Modell für internationale Absatz- und Beschaffungsmärkte große Bedeutung zu. 384 Neben der eigentlichen Branchen- und Marktstruktur sollten Unternehmen genau analysieren, ob sie es nur mit lokalen oder auch internationalen Wettbewerbern zu tun haben. Durch eine Verlagerung von Wertaktivitäten können Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit weltweit verteidigen. Es kann also sinnvoll sein, in einen Markt einzusteigen, in dem man nicht die relativ beste Situation hat, dafür aber Wettbewerbsdruck erzeugen kann und somit die unanfechtbare Position anderer Unternehmen bedrängt. Aus Sicht des MBV müssen die einzelnen Märkte als Portfolio, mit unterschiedlichen Möglichkeiten zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen, betrachtet werden. Im Gegensatz zum MBV wurde zwischen RBV und Internationalisierung bis auf wenige Ausnahmen kein Zusammenhang hergestellt. 385 Analog zur Chancen-Risikenanalyse wird daher im folgenden Abschnitt eine Stärken-Schwächenanalyse für die Unternehmen entwickelt. 2.4.3
Ressourcenbasierte Internationalisierung –Stärken- Schwächenanalyse
Ressourcen spielen eine entscheidende Rolle im internationalen Kontext, wie sich implizit bereits an den Internationalisierungstheorien und der Literatur zum strategischen Management nachweisen lässt. Die ressourcenorientierte Sichtweise fand bislang erst wenig Eingang in die Internationalisierungsforschung.386 Bis heute dominieren der Transakti-
384
Vgl. Freiling/Reckenfelderbäumer (2007), S. 198. Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 145 und Kutschker (2004), S. 61. 386 Exemplarisch findet sich ein ressourcenorientierter Blick auf internationale Markteintrittsstrategien bei Ekeledo/Sivakumar (2004). Zur Verwendung des RBV, bezogen auf internationale Wachstumsstrategien, siehe Andersen/Kheam (1998). 385
82
Kapitel 2
onskostenansatz und die industrieökonomischen Ansätze, da sie sich überwiegend mit länderspezifischen Eigenheiten beschäftigen.387 Umgekehrt gibt es in der ressourcenorientierten Literatur bislang nur wenige wissenschaftliche Beiträge, die sich in expliziter Form der Internationalisierungsforschung gewidmet haben. In einer umfassenden Aufstellung (narrative review) verweist Simon auf insgesamt 37 Beiträge, die seit dem Jahr 1990 unter Verwendung des RBV auf Internationalisierung eingehen.388 Somit lässt sich auch aus theoretischer Sicht die bislang geringe Bedeutung der ressourcenorientierten Forschung im Bereich der Internationalisierung ermessen. Die Erkenntnis des RBV, dass Ressourcen einen entscheidenden Anteil an der Generierung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile haben, lässt sich sehr gut auf den internationalen Kontext übertragen. Da die Faktormärkte für Ressourcen nur unvollständig sind,389 können Unternehmen ihre eigenen Ressourcenbündel (Stärken) in anderen Ländermärkten einsetzen und sich dadurch Erfolgspotentiale erschließen. Umgekehrt kann bei Ressourcenknappheit im Heimatmarkt eine Internationalisierung zur Erschließung neuer Ressourcen beitragen. Die ressourcenorientierte Theorie stellt sich im internationalen Kontext daher als eine sinnvolle Ergänzung zur marktorientierten Sichtweise der Industrieökonomik dar.390 Die Komplexität der internationalen Unternehmenstätigkeit verlangt interne Ressourcen, bzw. besondere Fähigkeiten und Kompetenzen, die die Generierung von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen in fremden Ländermärkten erst ermöglichen. Allerdings führt auch in diesem Fall die mangelnde Beobachtbarkeit zu der Problematik, dass die im internationalen Kontext benötigten Ressourcen und Kompetenzen nicht klar abgrenzbar sind.391 Für das strategische Management ergibt sich aus der ressourcenorientierten Betrachtung der Internationalisierung die Aufgabe, dazu benötigte spezifische Ressourcen zu identifizieren, zu entwickeln und zu schützen. Dem Schutz der Ressourcen und Kompetenzen kommt im internationalen Kontext eine besondere Bedeutung zu.392 Produktpiraterie393
387
Vgl. Peng (2001), S. 804f; Fahy (2002), S. 72; Simon (2007), S. 179ff und Meyer/Wright/Pruthi (2009), S. 557ff. 388 Vgl. Simon (2007), S. 173ff. Auf die Beiträge wird im Rahmen dieser Arbeit nicht im Einzelnen eingegangen, da es nicht Ziel ist, die wissenschaftliche Diskussion aufzuarbeiten. Eine Übersicht zum Stand der Forschung findet sich bei Simon auf S. 177. 389 Vgl. Dierickx/Cool (1989), S. 1509. 390 Vgl. Fahy (2002), S. 74 und Welge/Holtbrügge (2006), S. 88. 391 Vgl. Simon (2007), S. 197 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 13. 392 Vgl. Fahy (2002), S. 74. 393 Unter Produktpiraterie wird in dieser Arbeit alles zusammengefasst, was Marken-, Patent-, Urheber- und sonstige gewerbliche Schutzrechte verletzt oder illegal nutzt.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
83
ist gerade in Entwicklungsländern weit verbreitet. 394 Mangelnder Schutz der Ressourcen395 auf einem Auslandsmarkt kann daher zu einer Gefährdung der Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens auf diesem Markt führen. Darüber hinaus können sogar negative Rückwirkungen auf andere Märkte und den Heimatmarkt entstehen, die zu einem vollständigen Verlust der Wettbewerbsvorteile führen würden.396 Neben diesen Implikationen für das strategische Management, gilt es zu beachten, dass eine Internationalisierung zu einer Veränderung der Ressourcenbündel führen kann. Bereits kleine Änderungen der Ressourcenkonstellationen können aber Wettbewerbsvorteile gefährden. Umgekehrt lassen sich im Heimatmarkt wertvolle Ressourcen nicht einfach auf andere Ländermärkte übertragen. Durch eine gezielte Entwicklung vorhandener Ressourcen kann das strategische Management diese auch für andere Märkte wertvoll machen.397 Die Unternehmen müssen sich also ihrer Ressourcen im Sinne von Stärken und Schwächen bewusst sein, wie bereits Wernerfelt betonte: „Resources are anything, which could be thought of as a strength or weakness of a given firm.”398 Für die Unternehmen wird mithilfe eines Stärken- Schwächenprofils eine Vergleichbarkeit mit den wichtigsten Wettbewerbern ermöglicht und daraus erfolgreiche Strategien entwickelt.399 Die strategischen Stärken führen zu einem Wettbewerbsvorteil, während die strategischen Schwächen auf fehlende Ressourcen und Kompetenzen der Unternehmen hinweisen.400 Wie bereits bei der Definition der Ressourcen erwähnt, lassen sich diese Stärken und Schwächen allerdings nicht direkt objektiv beobachten oder messen. Dies müsste rein auf subjektiver Basis erfolgen. Gerade im internationalen Kontext zeigen sich die Stärken und Schwächen in der unterschiedlichen Konfiguration der Wertaktivitäten, die über die Ländergrenzen hinweg koordiniert werden müssen. In Anlehnung an den Internationalisierungsgrad401 kann das Profil der Unternehmen über Art und Umfang der Wertaktivitäten und die geographisch-kulturelle Verteilung erfolgen.
394
Vgl. Müller/Kornmeier (2002), S. 101ff. Zum Schutz der Ressourcen siehe Simon (2007), S. 158ff. 396 Vgl. Simon (2007), S. 155. 397 Vgl. Freiling (2001), S. 27 und Kutschker/Schmid (2008), S. 844 398 Wernerfelt (1984), S. 172, Hervorhebungen durch den Verfasser. 399 Vgl. Kutschker (2004), S. 52. 400 Vgl. Homburg (2000), S. 134 und Welge/Al-Laham (2008), S. 284. 401 Vgl. Kapitel 2.1.4. 395
84
Kapitel 2
Mit Hilfe des strategischen Managements können die Stärken und Schwächen vor dem Hintergrund der Chancen und Risiken analysiert werden, woraus sich dann Strategien für das internationale Management ableiten lassen. 2.4.4
Implikationen für das strategische Management
Entscheidungen zur Internationalisierung durch die Verlagerung von Wertaktivitäten sollten immer langfristig ausgerichtet sein, da sie mit einem hohen Ressourceneinsatz verbunden sind (siehe Kapitel 2.1.3). Im internationalen Management bietet sich daher der Einsatz von Werkzeugen des strategischen Managements an. Die Analyse der Märkte und der unternehmensinternen Ressourcen erfolgt dabei unter den Dimensionen Chancen / Risiken und Stärken / Schwächen. Als Methode zur Strategieentwicklung für das internationale Wertschöpfungsmanagement eignet sich die so genannte SWOT-Analyse (Analysis of Strengts, Weaknesses, Oppurtunities and Threats). Die SWOT-Analyse ist in der Praxis weit verbreitet und verbindet als integrativer Ansatz die Binnenperspektive der unternehmensindividuellen Ressourcen mit der Außenperspektive der Umwelt. 402 Ziel ist die Strategiefindung, wie Unternehmen die eigenen Stärken auf Basis der Marktchancen internationaler Märkte einsetzen und dabei möglichst die eigenen Schwächen und die Marktrisiken umgehen können.403 Diese Zusammenführung erscheint besonders für das internationale Management intuitiv nachvollziehbar.404 Wie in den vorherigen Abschnitten gezeigt, führt die Betrachtung der unternehmensspezifischen Ressourcen im RBV zu einer Stärken- Schwächenanalyse, wie sie in der SWOT-Analyse zu finden ist.405 Auf der anderen Seite führen die Branchenanalysen des MBV zu den Chancen und Risiken der SWOT-Analyse. 406 Mit Hilfe des SWOTAnsatzes lassen sich also aus einer ganzheitlichen Sichtweise die Strategien für das internationale Wertschöpfungsmanagement ableiten.407 Dabei geht es nicht nur um die gegenwärtige Situation des Unternehmens, sondern auch darum, in einer langfristigen Perspektive Strategien zu entwickeln, die Chancen in der Zukunft wahrnehmen und gegenwärtige Schwächen ausräumen.408 In Abbildung 17 sind die vier strategischen Prinzipien der SWOT-Analyse zu erkennen:
402
Vgl. und im Folgenden Barney (1995), S. 49ff; Homburg (2000), S. 134 und Kutschker/Schmid (2008), S. 842ff. Vgl. und im Folgenden Barney (1991), S. 99. 404 Vgl. Kutschker/Schmide (2008), S. 842. 405 Vgl. Fahy/Smithee (1999), S. 10. 406 Durch die Anwendung der beiden theoretischen Ansätze wird der Forderung nach einer theoretisch fundierten Betrachtung der SWOT-Analyse genüge geleistet, vgl. Valentin (2001), S. 55. 407 Vgl. Spanos/Lioukas (2001), S. 911. 408 Vgl. und im Folgenden Welge/Al-Laham (2008), S. 448ff. 403
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen !
85
Strategien nach dem SO-Prinzip basieren auf vorhandenen Stärken des Unternehmens und zielen darauf ab, die Chancen, die die Umwelt bietet, wahrzunehmen. Dieser Strategietyp umschreibt den Idealfall in der Strategieformulierung: Das Vorhandensein ausgeprägter interner Stärken und hoher Umweltchancen.
!
Strategien nach dem WO-Prinzip zielen darauf ab, die internen Schwächen zu beseitigen, und so die Chancen des Umfelds wahrnehmen zu können. Mittelfristig sollen die Schwächen zu Stärken gewandelt werden. Liegen Defizite im Bereich Know-How vor, kann dies z.B. durch das Einstellen von hochqualifizierten Fachkräften oder Joint Ventures mit anderen Unternehmen geschehen.
!
Strategien nach dem ST-Prinzip zielen darauf ab, die Stärken des Unternehmens einzusetzen, um vom Umfeld ausgehende Risiken und Bedrohungen zu minimieren. Sind die Erfolgsaussichten in der eigenen Branche durch gesetzliche Reglementierungen bedroht, können Strategien dieser Kategorie den Wechsel in eine andere Branche vorsehen.
!
Strategien nach dem WT-Prinzip sind dagegen deutlich defensiver ausgerichtet. ihre Zielsetzung ist es, die internen Schwächen zu minimieren und gleichzeitig den Bedrohungen durch die Umwelt auszuweichen. Strategiealternativen wären hier beispielsweise Fusionen oder die Aufgabe von einzelnen Geschäftsbereichen.
Unternehmen Umwelt
Chancen
(Opportunities)
Risiken (Threats)
Stärke
(Strength)
Schwäche (Weakness)
SO-Strategien
WO-Strategien
Strategien, die Stärken Nutzen, um Chancen wahrzunehmen
Strategien, die Chancen Nutzen, um Schwächen auszuräumen
ST-Strategien
WT-Strategien
Strategien, die Stärken Nutzen, um Risiken zu vermeiden
Strategien, die Schwächen minimieren und Risiken vermeiden
Abbildung 17: SWOT-Matrix. Quelle: Welge/Al-Laham (2008), S. 448.
86
Kapitel 2
Ein großer Vorteil der SWOT-Analyse ist ihre einfache Logik und Strukturiertheit. Darüber hinaus ist die SWOT-Analyse für die Anwendung in einzelnen Bereichen von Unternehmen geeignet. Das ermittelte Stärken-Schwächen-Profil kann zudem separat vor dem Hintergrund verschiedener Ländermärkte analysiert werden. Die Untersuchung von Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken kann durch Checklisten unterstützt werden und eignet sich daher besonders für standardisierte Umfragen.409 Ein Nachteil der SWOT-Analyse ist, dass sie nicht zu Normstrategien oder allgemein gültigen Leitlinien führt. Die konkreten Strategien für die Unternehmen können nur individuell auf Basis der SWOT-Analyse entwickelt werden. Allgemein lässt sich allerdings festhalten, dass die Ressourcenkonstellation immer auf die richtige Umwelt treffen muss, damit ein Unternehmen mit einer bestimmten Strategie erfolgreich ist.410 Untersucht man mit Hilfe der SWOT-Analyse die internationale Unternehmenstätigkeit, müssen die einzelnen Ländermärkte getrennt betrachtet werden. Dies liegt vor allem an den länderspezifischen Bedingungen, aber auch an den unternehmensinternen Ressourcen, die nicht für jedes Land gleich sind. Für ein internationales Unternehmen erhält man also eine Vielzahl einzelner Analysen, die dann miteinander verknüpft werden können, wie in Abbildung 18 zu sehen ist. Sie ermitteln bestimmte Umwelt-RessourcenKonstellationen, die zu Wettbewerbsvorteilen führen, lassen sich aber nicht weltweit übertragen.411 Im Sinne einer Integration der weltweit verteilten Wertaktivitäten muss das strategische Management nicht nur die Ressourcen der Muttergesellschaft berücksichtigen, sondern auch gleichzeitig prüfen, ob Ressourcen in den ausländischen Tochtergesellschaften in anderen Ländermärkten Wettbewerbsvorteile generieren können.412 Zum Aufbau und zur Verteidigung von Erfolgspotentialen413 muss also die weltweite Konfiguration der Wertaktivitäten angepasst werden, immer auf Basis der eigenen Ressourcen und vor dem Hintergrund der spezifischen Marktbedingungen. Die dazu benötigte Kompetenz ist das internationale Wertschöpfungsmanagement, wie es im nächsten Abschnitt dargestellt wird.
409
Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 842. Vgl. Homburg (2000), S. 135 und Kutschker/Schmid (2008), S. 832ff. Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 844. 412 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 844. 413 Erfolgspotentiale werden in dieser Arbeit als „Grundlage für zukünftige überdurchschnittliche Gewinne“ definiert und können interner oder externer Natur sein, vgl. Bamberger/Wrona (1996), S.146f. 410
411
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
Gastland A
87
Gastland B
Unternehmen
Umwelt
Unternehmen
Umwelt
Stärken
Chancen
Stärken
Chancen
Schwächen
Risiken
Schwächen
Risiken
Stammland Unternehmen
Umwelt
Stärken
Chancen
Schwächen
Risiken
Gastland C
Gastland D
Unternehmen
Umwelt
Unternehmen
Umwelt
Stärken
Chancen
Stärken
Chancen
Schwächen
Risiken
Schwächen
Risiken
Abbildung 18: Global-SWOT - Analyse im internationalen Unternehmen. Quelle: Kutschker/Schmid (2008), S. 842.
2.5 Internationales Wertschöpfungsmanagement Je nach Art und Umfang der verlagerten Wertaktivitäten, der geplanten Integration in den Unternehmensverbund, sowie der geographisch-kulturellen Distanz, führt eine Internationalisierung zu einer Verlängerung der Wertkette.414 Das Ausmaß der Internationalisierung wird im Wesentlichen durch die Art und den Umfang der auf Auslandsmärkten erzielten Wertschöpfung in Form unterschiedlicher Wertaktivitäten gestaltet. 415 Umso wichtiger ist es daher, die Wertaktivitäten effizient zu steuern und zu koordinieren.416 Diese Überlegung liegt der Forderung nach einem internationalen Wertschöpfungsmanagement (WSM)417 zu Grunde. 414
Die Betrachtung der Wertkette bezieht sich im Rahmen dieser Untersuchung immer auf die Wertkette innerhalb der Organisation. Es geht also nicht darum, die Kooperation der Supply Chain Partner, die als rechtlich selbständige Einheiten miteinander kooperieren, zu untersuchen. 415 Siehe Internationalisierungsprofil in Kapitel 2.1.4. 416 Vgl. Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 192f. 417 In den vergangenen Jahren hat sich auch in der deutschsprachigen Literatur der Begriff Supply Chain Management (SCM) durchgesetzt, der durch anglo-amerikanische Veröffentlichungen geprägt wurde. Die Supply Chain weist durchaus eine Verwandtschaft zur Wertschöpfungskette auf. Dennoch führt eine Übersetzung mit „Management der Wertschöpfungskette“ etwas in die Irre, da mit der Supply Chain eine Betonung der Versorgungs- und Verfügbarkeitsaspekte erfolgt (bezogen auf den gesamten Wertprozess), während die Wertkette auf die Herausforderungen und Chancen für Nutzen- und Wertsteigerungen der einzelnen Unternehmen fokussiert. Besser ist daher die Übersetzung SCM = Management logistischer Netzwerke, vgl. Fandel/Stammen (2002), S. 318 und Corsten (2002), S. 947, FN4. Um keine Verwechslung mit den unternehmensexternen Kooperationen, wie sie im Supply Chain Management betrachtet werden, aufkommen
88 2.5.1
Kapitel 2 Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagements
Die in Kapitel 2.3.3.2 dargestellten Wertaktivitäten werden in diesem Abschnitt im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements näher untersucht. Abbildung 19 zeigt, wie die Wertaktivitäten zusammenhängen. Das Produktionssystem als Kernprozess der Wertschöpfung umfasst den eigentlichen Herstellungsprozess, Prozesselemente der Beschaffung und des Marketings sowie als Querschnittsfunktion die Logistik.418
Produktionssystem
Beschaffung
Fertigung
Marketing
Logistik
Abbildung 19: Handlungsfelder des Wertschöpfungsmanagements.
In den folgenden Abschnitten werden die Besonderheiten der Handlungsfelder für den internationalen Kontext untersucht. Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich die Wertaktivitäten betrachtet, die innerhalb der Unternehmensgrenzen liegen. Eine Verlagerung der Wertaktivität – im Sinne dieser Arbeit - erfolgt also ausschließlich durch den Aufbau von eigenen Kapazitäten in einem anderen Ländermarkt oder in Kooperation mit lokalen Partnern. Unternehmensextern verlagerte Wertaktivitäten werden über die Beschaffungsfunktion zwar wieder in die Wertkette eingebunden, gehen aber nicht explizit in das Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit ein. 2.5.1.1
Beschaffung
Die Beschaffung419 hat im Rahmen der Globalisierung einen immer größeren Anteil am Erfolg von Industrieunternehmen und gewinnt dafür an strategischer Relevanz. 420 Die Beschaffungsfunktion ist in der Wertschöpfungskette aufwärts orientiert und hat den ste-
zu lassen, wird im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich der Begriff Wertschöpfungsmanagement (WSM) verwendet. Auf Abweichungen wird an entsprechenden Stellen im Text hingewiesen. 418 Vgl. Perlitz (2004), S. 371. 419 Eine weitere Differenzierung in Beschaffung und Einkauf wird in dieser Arbeit nicht vorgenommen, da bislang noch kein einheitliches Begriffsverständnis dafür existiert, vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 305. Beschaffung umfasst also im weiteren Sinne sowohl die Einkaufsaktivitäten, als auch die strategische Beschaffung zum Beispiel von Ressourcen. 420 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 304f.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
89
tigen Zufluss benötigter Rohstoffe und Halbfertigprodukte sicherzustellen. Eine Verlagerung der Beschaffungsaktivität kann zur Ausnutzung von Kostenpotentialen erfolgen oder weil bestimmte Ressourcen nicht im Heimatmarkt verfügbar sind. Um gute Qualität und niedrige Kosten zu garantieren, ist es die strategische Aufgabe der Beschaffung, ein enges Verhältnis zu einigen ausgewählten Lieferanten aufzubauen. 421 Der Prozess der Lieferantenauswahl beinhaltet die Entwicklung von Kompetenzen bei den Lieferanten.422 Größte Herausforderung bei globaler Beschaffung ist die Gewährleistung von hoher Qualität bei gleichzeitig günstigem Preis und Versorgungssicherheit. Durch die Verlängerung der Wertkette nehmen die Gesamtkosten zu. Neben den höheren Logistik- und Kapitalbindungskosten aufgrund verlängerter Transportwege, entstehen zusätzliche Koordinations- und Kontrollkosten. Darüber hinaus sollte eine höhere Risikoprämie kalkuliert werden, da im internationalen Umfeld die Gefahr einer Lieferverzögerung durch unvorhergesehene Ereignisse deutlich höher ist und Währungsschwankungen eventuell die Umsätze gefährden. Die politischen Rahmenbedingungen (Zölle, Steuern, Ausfuhrbestimmungen), können in einigen Ländern kurzfristig geändert werden, was ein weiteres Risiko bedeutet und folglich bei der Gesamtkostenrechnung berücksichtigt werden muss.423 Nur bei niedrigeren Gesamtkosten und einem akzeptablen Risiko im Vergleich zu einer Beschaffung im Heimatmarkt, sollten Unternehmen die Wertaktivität Beschaffung verlagern. Eine Studie von Koudal/Engel zeigt, dass bereits zahlreiche Unternehmen ihre Beschaffungsaktivitäten in die aufstrebenden Produktionsländer Südostasiens verlagert haben. 50 % der amerikanischen und 40 % der europäischen Unternehmen – so das Ergebnis der Studie – wollen ihre Beschaffungsaktivitäten in China ausbauen. Weitere Aktivitäten sollen in Südamerika, Südostasien und Osteuropa entwickelt werden.424 Allerdings warnen Spekman/Kamauff vor den Risiken der Ausweitung von Beschaffungsaktivitäten. Neben dem Schutz des geistigen Eigentums, Währungsschwankungen und kulturellen Differenzen zählen vor allem die schlechte Leistung und hohe Unzuverlässigkeit der Lieferanten zu den höchsten Risiken bei der internationalen Beschaffung. Besonders beim Aufbau von Lieferanten in Entwicklungs- und Schwellenländern ist mit einem wesentlich erhöhten Zeit- und Ressourcenaufwand zu rechnen.425
421
Vgl. Spekman/Kamauff/Spear (1999), S. 103ff. In einer empirischen Studie konnten sie einen Zusammenhang zwischen Erfolg (Performance) und verschiedenen Maßnahmen zur Lieferantenintegration nachweisen. Allerdings warnen sie vor einer pauschalen Betrachtung dieser Aussage, da für bestimmte Produkte ein offener Lieferantenmarkt vorteilhafter sein könnte, vgl. Spekman/Kamauff/Spear (1999), S. 114. 422 Vgl. Stock/Lambert (2001), S. 481ff. 423 Vgl. Perlitz (2004), S. 340ff. 424 Vgl. Koudal/Engel (2007), S. 38ff. 425 Vgl. Stolle (2006), S. 327f.
90
Kapitel 2
Durch den Aufbau von spezifischen Beschaffungskompetenzen kann man diese Risiken teilweise minimieren. Da die persönliche Beziehung vor allem für die vertrauensvolle Kooperation mit Lieferanten wichtig ist, kann eine Verlagerung der Beschaffungsfunktion in das Herkunftsland der Lieferanten das Risiko erheblich minimieren, vorausgesetzt es gelingt den Unternehmen, funktionierende Kommunikationskanäle aufzubauen.426 Eine gezielte Lieferantenentwicklung vor Ort ermöglicht den Aufbau eines Netzwerkes mit lokalen Zulieferern, die eng in die Wertschöpfungskette eingebunden sind. Für das internationale Wertschöpfungsmanagement ergeben sich daraus Vorteile durch eine erhöhte Flexibilität und minimiertes Ausfallrisiko.427 2.5.1.2
Fertigung
Die Fertigung beinhaltet die eigentliche Transformation der Input- in Outputgüter und ist die Kernaktivität der Wertschöpfung. Das Produktionssystem umfasst im weiteren Sinne nicht nur den reinen Herstellungsprozess, sondern schließt die zur Herstellung notwendigen Prozesse der Beschaffung, der Logistik, aber auch des Marketings mit ein.428 Der Transformationsprozess läuft unabhängig von seiner Umwelt ab. Die Schnittstelle zur Außenwelt stellen die Beschaffung, das Marketing und die Logistik dar, die den rechtzeitigen Material- und Informationsfluss sicherstellen.429 Auf der Inputseite besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Qualität der Beschaffung und der Qualität der produzierten Güter, sowie der Herstellungskosten und Lieferzeiten.430 Erfolgreiche Marketingaktivitäten wiederum beeinflussen die Produktionsleistung positiv.431 Um die Abgrenzung zu den anderen Handlungsfeldern des internationalen Wertschöpfungsmanagements deutlich zu machen, wird im Rahmen dieser Arbeit der Begriff Produktion ausschließlich im engeren Sinne von „Fertigung“ verwendet. Bei der Betrachtung von Verlagerung der Wertaktivität „Produktion“ ist also der Fertigungsprozess gemeint. Die Verlagerung der Produktion dient hauptsächlich der Ausnutzung von Kostenpotentialen, vor allem durch günstige Arbeitslöhne in Niedriglohn-Ländern oder die Nutzung von günstigen Rohstoffen. Neben den Kostenmotiven können Handelshemmnisse oder local-content-Vorschriften die Unternehmen zwingen, Produktion in ein bestimmtes
426
Vgl. Carter/Miller (1989), S. 774. Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 309ff. 428 Vgl. Mentzer/Stank/Esper (2008), S. 35 und Abele (2006), S. 312f. 429 Vgl. Hayes/Wheelwright (1984), S. 199. 430 Vgl. Clark (1989), S. 1260. Anhand japanischer Autobauer untersucht er vor allem das Optimierungspotential durch Kooperation mit Lieferanten im Produktdesign. Produktdesign wird in dieser Arbeit aber nicht weiter betrachtet. 431 Vgl. Hill (2000), S. 104ff. 427
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
91
Land zu verlagern.432 Darüber hinaus erlaubt eine Produktionsverlagerung in den Absatzmarkt, den Unternehmen flexibler, schneller und zuverlässiger auf die lokale Nachfrage zu reagieren, was zu einer Absatzsteigerung führen kann. Den Kosteneinsparungen durch eine dezentrale Verlagerung von Produktionsaktivitäten stehen die Skaleneffekte, die sich durch eine zentrale Produktion erzielen lassen, gegenüber. Aufgabe des internationalen Wertschöpfungsmanagements ist es daher, die globale Konfiguration der Produktionsstandorte zu optimieren und die dazu notwendigen Informationsbedarfe zu decken.433 Die Verlagerung der Produktion in Entwicklungsländer kann durch den Technologietransfer ähnlich effiziente Fertigung wie im Heimatmarkt ermöglichen. Dies liegt daran, dass die tatsächlichen Prozesse zur Herstellung von Produkten, sowie die notwendigen Ressourcen (Maschinen, Rohstoffe etc.), leicht standardisierbar und damit transferierbar sind.434 Im Sinne einer gleich bleibenden Qualität sollten die Prozesse und eingesetzten Faktoren innerhalb des Unternehmens identisch sein. Allerdings entstehen in Ländern mit einem geringeren technologischen Niveau oftmals höhere Kontrollkosten.435 Voraussetzung für die Verlagerung einer Produktion sind in jedem Fall qualifizierte Fachkräfte im lokalen Markt. Sind diese nicht vorhanden, müssen die Unternehmen entsprechend Arbeitskräfte ausbilden, was zusätzliche Kosten verursacht. Die Fertigungsstrategie im Rahmen der Internationalisierung ist also an folgenden Parametern auszurichten: 1)
Technologie und Qualität,
2) geplante Kapazität und Organisation, 3) Qualifizierung vorhandener Arbeitskräfte sowie 4) Integration der Fertigung in den Unternehmensverbund.436 Dabei entsteht für das internationale Wertschöpfungsmanagement durch die partielle Verlagerung von Produktion immer ein erheblicher Koordinations- und Integrationsaufwand. Die Koordination umfasst die Übermittlung von Informationen über räumliche und physische Distanzen und nimmt mit der Integration der Produktion in den weltweiten Unternehmensverbund zu. Aus Sicht des strategischen Managements stellt die globale Verbundproduktion die am höchsten integrierte Form dar.437
432
Vgl. und im Folgenden Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 379ff und Abele (2006), S. 16ff. Zur Problematik der local-content Vorschriften siehe Perlitz (2004), S. 380ff. 433 Vgl. Kim/Park/Prescott (2003), S. 332 und Perlitz (2004), S. 370ff. 434 Vgl. Kim/Park/Prescott (2003), S. 331f. 435 Vgl. Perlitz (2004), S. 373f. 436 Vgl. Hayes/Wheelwright (1984), S. 31. 437 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 433f.
92 2.5.1.3
Kapitel 2 Marketing
Der Austauschprozess zwischen den weltweit verteilten Akteuren zum Zwecke der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung findet im so genannten Marketingkanal statt. Dementsprechend fokussiert die Marketingkonzeption auf die Absatzmärkte, um die Bedürfnisse der Nachfrager zu ermitteln und zu befriedigen. Eine Internationalisierung der Marketingaktivitäten erfolgt zur Erschließung neuer Absatzpotentiale, oftmals getrieben durch Marktsättigung im Heimatmarkt.438 Abgeleitet aus der strategischen Konzeption, die sich an den Globalisierungsvorteilen und Lokalisierungsbedürfnissen ausrichtet, übernimmt das Marketing die Auswahl von Zielmärkten. Diese lassen sich durch die Gesamtheit von Käufern mit gemeinsamen Bedürfnissen charakterisieren.439 Zur Markterschließung werden Marketinginstrumente im so genannten Marketingmix eingesetzt, der die Produkt- und Preisgestaltung, die Kommunikations- und Vertriebspolitik sowie die Distribution mit einbezieht.440 Aus Sicht des internationalen Wertschöpfungsmanagements kommt der Marketingstrategie eine erhebliche Bedeutung zu, da sie indirekt über Art und Umfang der Aktivitäten in den jeweiligen Märkten entscheidet. Grundsätzlich kann hier zwischen kooperativen und konfliktären Strategien unterschieden werden, wobei Konfliktstrategien in der Regel zu einer umfassenden Verlagerung von Wertaktivitäten führen. Bei kooperativen Strategien ist eine Zusammenarbeit wahrscheinlicher, zum Beispiel in Joint Ventures oder strategischen Allianzen, was häufig mit einer teilweisen Verlagerung von Wertaktivitäten einhergeht.441 Das strategische Management muss sich für eine standardisierte oder differenzierte globale Marketingstrategie entscheiden. Den Vorteilen der Standardisierung (geringe Fixkosten) steht der klare Nachteil gegenüber, dass die Unternehmen nicht auf markt- und nachfragebezogene Unterschiede in den einzelnen Ländermärkten reagieren können. 442 Da die Gegebenheiten besonders bei geographisch-kulturell voneinander entfernten Märkten sehr heterogen sein können, ist eine Differenzierung im Marketing notwendig. Dies gilt in besonderem Maße für die Kommunikationspolitik, die sich nicht global standardisieren lässt.443 Für das internationale Wertschöpfungsmanagement erwächst daraus die Forderung nach einer frühzeitigen Einbeziehung des Kunden in alle relevanten Wertschöpfungsprozesse. In diesem Sinne ist die Wertschöpfungskette konsequent an den 438
Vgl. Ellinger (2000), S. 85ff und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 604ff. Vgl. Kotler/Armstrong/Saunders/Wong (2007), S. 488. Verschiedene Auswahlverfahren finden sich bei Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 616ff. 440 Vgl. Homburg/Krohmer (2006b), S. 438f und Perlitz (2004), S. 273ff. 441 Vgl. Meffert (2000), S. 284. 442 Vgl. Homburg/Krohmer (2006a), S. 351f. 443 Vgl. Kim/Park/Prescott (2003), S. 332. 439
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
93
Bedürfnissen des Endkunden auszurichten, um dadurch bereits frühzeitig Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu sichern.444 Die geforderte Differenzierung verursacht erheblichen Koordinationsaufwand. Aufgabe des internationalen Wertschöpfungsmanagements ist es, mit Hilfe struktureller Koordinationsinstrumente eine effiziente Koordination zu ermöglichen und gleichzeitig den Anforderungen der Dezentralisierung zu entsprechen.445 2.5.1.4
Logistik
Die Logistik umfasst die integrierte, unternehmensübergreifende Ausgestaltung des gesamten Waren- und dazugehörigen Informationsflusses innerhalb eines Unternehmens sowie zwischen dem Unternehmen, dessen Lieferanten und Kunden. Die logistischen Subsysteme sind Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Entsorgungslogistik. Die Logistik trägt damit in Form von Dienstleistungen einen entscheidenden Anteil zur Wertschöpfung für das Unternehmen bei.446 Aus Sicht der Logistik gilt es, im Rahmen des Wertschöpfungsmanagements „Schnittstellen in Nahtstellen“447 umzuwandeln, so dass ganzheitliche Entscheidungen über die gesamte Wertschöpfungskette getroffen werden können. Dadurch wird die Logistikkonzeption auf die Bedürfnisbefriedigung des (internen und externen) Endkunden gerichtet, wodurch das Systemdenken die Grenzen des Unternehmens überwindet.448 Im internationalen Kontext kommt der Logistik eine besondere Bedeutung zu, da die zu überbrückenden Distanzen größer sind und zahlreiche Grenzen überwunden werden müssen. Die zunehmende Arbeitsteilung in der globalisierten Welt und damit einhergehende Terminanforderungen führen dazu, dass Logistik in der internationalen Umwelt eine Schlüsselfunktion einnimmt.449 Als Grundlage für internationale Logistiksysteme dient Porters Wertkette, in der die Logistikaktivitäten von den Wertaktivitäten abhängen. Die internationale Logistikstrategie richtet sich nach den Zielen des strategischen Managements, in diesem Fall also nach der Internationalisierungsstrategie. Ein gut funktionierendes Logistiksystem stellt gerade im internationalen Kontext einen Wettbewerbsvorteil dar.450 444
Vgl. Heusler (2004), S. 63ff. Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 663ff. Eine detaillierte Auflistung der Marketinginstrumente im internationalen Kontext findet sich auch bei Perlitz (2004), S. 351ff. 446 Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 458ff und Pfohl (2006b), S. 262f. Laut einer empirischen Untersuchung mit amerikanischen Unternehmen hat Logistik die stärksten positiven Auswirkungen auf das Marketing (im Vergleich zur Produktion und Beschaffung), vgl. Morash/Dröge/Vickery (1996), S. 59. 447 Pfohl (2006b), S. 266. 448 Vgl. Morash/Dröge/Vickery (1996), S. 43ff; Pfohl (2000), S. 8ff und Pfohl (2004b), S. 49f. 449 Vgl. Perlitz (2004), S. 371. 450 Vgl. Perlitz (2004), S. 372f und Pfohl (2004a), S. 379. 445
94
Kapitel 2
Die Internationalisierungsentscheidungen über Art und Umfang der Verlagerung von Wertaktivitäten beeinflusst die Funktionen des Logistiksystems maßgeblich. Transporte, Lagerhaltung und Bestandsmanagement stellen im internationalen Kontext eine besondere Herausforderung dar. Dies ist nicht zuletzt ein Grund, warum Logistikaktivitäten häufig an externe Logistikdienstleister vergeben werden. Diese strategische Entscheidung ermöglicht den Unternehmen, bereits bestehende Netzwerke und Erfahrungen in internationalen Märkten zu nutzen.451 Das internationale Wertschöpfungsmanagement der Unternehmen übernimmt in diesem Fall nur die Koordination der Logistikaktivitäten und steuert den Informationsfluss.452 Aus strategischer Sicht sind bei Entscheidungen über die Verlagerung von Wertaktivitäten immer die langfristig zu erwartenden Transportkosten, nicht die aktuellen entscheidend. Zusätzlich spielen die von der Verlagerung betroffenen Waren und deren anschließender Verwendungszweck eine entscheidende Rolle. Durch verlängerte Transportzeiten steigen zum Beispiel die Kapitalbindungskosten und es entsteht ggf. ein Wertverfall über die Transportzeit. Außerdem nimmt das Risiko einer unpünktlichen oder beschädigten Lieferung zu.453 2.5.2
Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz
Wie die Untersuchung der Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagements in den vorherigen Abschnitten zeigt, ergibt sich durch die Verlagerung von Wertaktivitäten in fremde Ländermärkte ein Koordinationsaufwand.454 Dieser Koordinationsaufwand steigt mit zunehmendem Umfang der verlagerten Wertaktivitäten und mit zunehmender geographisch-kultureller Distanz. Darüber hinaus sorgt eine hohe Integration der Aktivitäten in den Unternehmensverbund für eine starke Abhängigkeit aufgrund vorbestimmter Warenflüsse. Mit der engen Einbindung von Wertaktivitäten wird also ebenfalls ein steigender Koordinationsaufwand verursacht.455 Im Rahmen dieser Arbeit werden ausschließlich die unternehmensinternen Transaktionen betrachtet. Daher findet die Koordination überwiegend hierarchisch mit Hilfe der
451
Vgl. Straube/Bohn/Rief (2008), S. 70. Zu den Besonderheiten der internationalen Logistik, bezogen auf die Funktionen, siehe Zentes/ Swoboda/Morschett (2004), S. 470ff. 453 Vgl. Meyer (2006), S. 72ff und Jacob/Meyer/Leopoldseder (2006), S. 290f. 454 Die Bestimmungsgrößen und Mechanismen der Koordination von Auslandsgesellschaften haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert, wie Macharzina/Oesterle in einer Auswertung empirischer Studien nachweisen konnten. Zu den Instrumentarien und Konzepten der Koordination von Auslandsgesellschaften siehe Macharzina/Oesterle (2002b), S. 711ff. 455 Vgl. Rieg/Gleich (2002), S. 679. Sie sprechen von strategischer Steuerung des internationalen Unternehmensverbunds, was im Sinne dieser Arbeit die Koordination und Integration der weltweit verteilten Wertaktivitäten umfasst. 452
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
95
Anweisung als Koordinationsinstrument statt. In Abhängigkeit der Integration der Wertaktivitäten geschieht dies mehr oder weniger stark.456 Aufgabe eines umfassenden Wertschöpfungsmanagements ist die Koordination und Integration der Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion, Logistik und Marketing, die als Schnittstellen in einer Wechselbeziehung mit der Unternehmensumwelt stehen. 457 Als Teilfunktion der gesamten Wertkette ist es das Ziel dieser Aktivitäten, den spezifischen Wert für den Kunden zu schaffen. Dementsprechend ist die erfolgreiche Ausgestaltung dieser Interaktionen maßgeblich für den Erfolg von Unternehmen.458 Das Wertschöpfungsmanagement wird somit zur entscheidenden Fähigkeit für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen für das Unternehmen.459 Wie in Kapitel 2.3 dargestellt, können Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile generieren, in dem sie ihre Kompetenzen und Fähigkeiten einsetzen, um Ressourcen nach bestimmten Regeln zu bündeln. Die Wertaktivitäten bilden dabei den Rahmen, in dem Fähigkeiten gelernt und die Regeln angewendet werden. Durch sie kommen folglich die Potentiale der Ressourcen zum Ausdruck, sodass Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen entstehen. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile können nur in einer komplexen Wechselwirkung zwischen den konfigurierten Wertaktivitäten und den unternehmensinternen Ressourcen entstehen. Es ist das Wertschöpfungsmanagement, das als Kompetenz (WSM-Kompetenz) 460 die vorhandenen Ressourcen mit Hilfe komplexer Regeln zu Wertaktivitäten koordiniert und integriert, sodass sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren lassen. Das Wertschöpfungsmanagement stellt also in seiner Gesamtheit eine Kernkompetenz dar.461 Die Interaktion zwischen Ressourcen, den daraus gebildeten Wertaktivitäten und den prägenden Marktbedingungen zeigt Abbildung 20. Die WSM-Kompetenz optimiert die Konfiguration von Wertaktivitäten. Zur Entwicklung von WSM-Kompetenz bedarf es im Unternehmen aber eines Verständnisses der eigenen Ressourcen und Fähigkeiten sowie ihrer Beziehung (Regeln) untereinander. Nur auf Grundlage dieses Verständnisses sind Unternehmen in der Lage, Ressourcen zu kombinieren und dadurch die charakteristischen einzigartigen Kombinationen zu entwickeln, mit denen sich dann das Potential der Ressourcen in tatsächlichen Erfolg umwandeln lässt. 456
Bei einer unternehmensexternen Transaktion spricht man von einer marktlichen Koordination, bei der die Preise das Koordinationsinstrument darstellen, vgl. Jost (2008), S. 53ff. 457 Vgl. Kim/Park/Prescott (2003), S. 329. 458 Vgl. Porter (1990), S. 40f und Lambert/Cooper/Pagh (1998), S. 1f. 459 Vgl. Lambert/Cooper/Pagh (1998), S. 4. 460 WSM-Kompetenz steht für die Kompetenz im Bereich des internationalen Managements. 461 Vgl. Albach/Wildemann (2002), S. 2; Schreyögg/Kliesch-Eberl (2007), S. 914f; Mentzer/Stank/Esper (2008), S. 31ff.
96
Kapitel 2
Marktchancen WertschöpfungsBeschaffung
R
R
R
R R
R R Logistik
R
R
R R R
R
R
R R
R R
R
R R
Produktion
R
R R
R R
R R R
R R R
R R Marketing
Management Marktrisiken Abbildung 20: Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz.
Ob eine Konfiguration von Wertaktivitäten auf Basis von Ressourcen optimal ist, kann nur vor dem Hintergrund der Marktbedingungen bewertet werden.462 Wertschöpfungsmanagement muss also in der Lage sein, die Wertaktivitäten auf Basis der unternehmensinternen Ressourcen in unterschiedlichen Umweltausprägungen effizient einzusetzen. Die Unternehmensumwelt wird durch die Marktchancen und die Marktrisiken charakterisiert. Wie Abbildung 20 zeigt, ist das Wertschöpfungsmanagement also die Kompetenz der Unternehmen, die die Ressourcen über die Konfiguration der Wertaktivitäten mit der Unternehmensumwelt verknüpft. Entsprechend des Kompetenzverständnisses (vgl. Kapitel 2.3.4.2) können die Unternehmen ihre WSM-Kompetenz durch organisationales Lernen stärken. Daraus folgt, dass die WSM-Kompetenz keine statische Fähigkeit ist, sondern dynamisch auf die sich verändernde Umwelt reagieren kann. Dies ist im internationalen Kontext mit einer hohen Umweltdynamik von besonderer Bedeutung.463 2.5.3
Herausforderungen für das internationale Wertschöpfungsmanagement
Zwar unterscheidet sich die Konzeption des Wertschöpfungsmanagements im internationalen Kontext nicht grundsätzlich von der im nationalen Kontext, dennoch geht eine
462 463
Vgl. Engelhard/Dähn (2002), S. 32. Vgl. Probst (2000), S. 71.
Begriffsbildung: Wertschöpfung in internationalen Unternehmen
97
Internationalisierung immer mit einer Steigerung der Komplexität einher.464 Eine Internationalisierung der Wertschöpfungskette ist nur durch eine weltweit übergreifende Koordination und Integration der Wertaktivitäten erfolgreich möglich.465 Die Herausforderungen für das internationale Wertschöpfungsmanagement sind dabei umso größer, 1) je mehr Wertaktivitäten grenzüberschreitend koordiniert werden müssen, 2) je intensiver die Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund integriert werden und 3) je größer die geographisch-kulturelle Distanz zwischen den Ländern ist.466 Dies liegt vor allem darin begründet, dass die einzelnen Teile der Wertschöpfungskette in unterschiedlichen Umwelten agieren und das internationale Wertschöpfungsmanagement weltweit verstreute Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen koordinieren und integrieren muss.467 Zusätzlich sind besondere interkulturelle Fähigkeiten notwendig. 468 Das zentrale Element des internationalen Wertschöpfungsmanagements ist die effiziente Übermittlung von Informationen, die dem strategischen Management helfen, über Länder hinweg Erfolgspotentiale aufzubauen und Wettbewerbsvorteile international zu verteidigen.469 Besonders im internationalen Kontext wirkt sich ein effizientes Management der Wertaktivitäten positiv auf den Erfolg von Unternehmen aus.470 Zur wertschöpfungsinterdependenten Gestaltung von internationalem Marketing, Beschaffung, Produktion und Logistik bedarf es schließlich Strategien, die auf Basis der eigenen Ressourcen und vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Umweltkonstellationen gefunden und umgesetzt werden müssen.471 Nur mit Hilfe eines effizienten Wertschöpfungsmanagements können die Potentiale der unterschiedlichen Ländermärkte genutzt werden. Das WSM dient damit der langfristigen Zielerreichung bei einer Internationalisierung.472 Erkenntnisgewinn und Ausblick Die theoretisch-deduktive Ableitung zeigt, dass die ressourcen- und die marktorientierte Sichtweise im internationalen Kontext geeignet sind, die unternehmerischen Aktivitäten und vor allem die Verlagerung der Wertaktivitäten zu erklären. Die symbiotische Verbindung der beiden Sichtweisen bietet also ein umfassendes Erklärungsmuster für die 464
Vgl. Pfohl (2004a), S. 370f. Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 529. 466 Vgl. Kapitel 2.1.4. 467 Vgl. Corsten (2002), S. 958ff und Kutschker/Schmid (2008), S. 828. 468 Vgl. Kapitel 2.3.5. 469 Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 146ff; Arnold/Eßig (2002), S. 244 und Zentes/Swoboda/Morschett (2004), S. 433. 470 Vgl. Kim/Park/Prescott (2003), S. 337. 471 Vgl. Schulte Herbrüggen (2002), S. 376f. 472 Vgl. Buckley/Casson (1985), S. 20ff und Fieten (2002), S. 782. 465
98
Kapitel 2
internationale Unternehmenstätigkeit. Dieses enthält nicht nur die Internationalisierung von Unternehmen zu Beginn (Markteintritt), sondern erlaubt zu jeder Zeit eine Analyse der internationalen Aktivitäten, egal mit welchem Internationalisierungsprofil das Unternehmen agiert. Die Kernkompetenz zur internationalen Unternehmenstätigkeit - das Wertschöpfungsmanagement - ermöglicht den Unternehmen, ihre Wertaktivitäten auch über geographisch-kulturelle Distanzen und Marktbarrieren hinweg erfolgreich zu koordinieren und zu integrieren. Mit Hilfe verlagerter Wertaktivitäten und den sich daraus ergebenden Lern- und Erfahrungseffekten für die WSM-Kompetenz können die Unternehmen ihre Position im Markt verbessern und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit verteidigen. Besonders die kompetenten Unternehmen sind damit in der Lage Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung zu generieren.473
473
Vgl. Probst (2000), S. 13.
3
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
Die theoretisch-deduktiv gewonnenen Erkenntnisse sollen im Rahmen dieses Kapitels eine erste Überprüfung mittels einer vergleichenden Fallstudie erfahren. Da das Forschungsthema bislang wenig untersucht ist, wird gemäß dem Forschungsdesign (siehe Kapitel 1.2) die explorative Vorgehensweise auch zum Erkenntnisgewinn beitragen. Dabei wird der Forschungsgegenstand konkretisiert und schließlich die Erkenntnisbasis für den konzeptionellen Bezugsrahmen gelegt. Im Fokus der Betrachtung stehen die MarktRessourcen-Konstellationen der international tätigen Unternehmen. Untersuchungsobjekt in diesem Abschnitt sind in China aktive deutsche Unternehmen. China gilt als ein Land, in dem sich sowohl enorme Absatzpotentiale, als auch große Faktorkostenpotentiale verwirklichen lassen. Die relativ niedrigen Reallöhne und die zahlreich vorhandenen Ressourcen sind beste Bedingungen für die Verlagerung von Wertaktivitäten.474 Durch eine Beschränkung auf deutsche Unternehmen in China kann die geographisch-kulturelle Distanz als konstant angesehen werden. Diese Komplexitätsreduktion ermöglicht den Vergleich der Ergebnisse. Zum umfassenden Verständnis wird China in Kapitel 3.1 als Markt mit seinen Bedingungen und Einflussfaktoren charakterisiert. In Kapitel 3.2 folgt dann die Untersuchung der Ressourcen und Fähigkeiten deutscher international tätiger Unternehmen. Die empirisch-induktive Analyse in Kapitel 3.3 wird anhand einer Fallstudie mit zwölf deutschen Unternehmen in China durchgeführt. 3.1 CHINA Bis ins 15. Jahrhundert war China – das „Reich der Mitte“475 - die führende globale Handelsnation. Damals unternahm Admiral Zheng He mit einer riesigen Flotte sieben Reisen in ferne Länder und verdeutlichte damit die technologische Überlegenheit Chinas in der Welt.476 Der freiwilligen Abschottung Chinas vom Rest der Welt folgte dann aber der stetige Niedergang. Das Kaiserreich war abgekoppelt von entscheidenden Entwicklungen in Europa, wie zum Beispiel der industriellen Revolution und den imperialistischen Bestrebungen der aufstrebenden europäischen Seefahrernationen. Der Kaiser hatte den westlichen Weltmächten nichts entgegenzusetzen, als diese sich im 19. Jahrhundert 474
Vgl. u.a. Buckley (2004), S. 15; Abele (2006), S. 18f und Leung (2008), S. 186. Allerdings bestehen zum Teil große Differenzen zwischen den einzelnen Regionen Chinas, sodass sich keine pauschalen Aussagen zu den Marktbedingungen treffen lassen. Vielmehr kann mittlerweile schon von einem Wettbewerb zwischen den Provinzen um Direktinvestitionen gesprochen werden, vgl. Buckley (2004), S. 18. 475 Chinesisch: (zhōngguó). 476 Vgl. Seitz (2006), S.13ff und Rommel (2007), S. 292ff.
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
100
Kapitel 3
die Öffnung der wichtigsten chinesischen Seehäfen und damit einen Markzugang sicherten. Dies leitete letztendlich den Untergang der letzten Dynastie ein.477 Nach der Republikgründung im Jahr 1912 flammten in China bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen unterschiedlicher Regionalfürsten 478 , bzw. politischen Gruppierungen, auf. Schließlich wurde das Land im zweiten Weltkrieg zum größten Teil durch Japan besetzt. Nachdem die Japaner geschlagen waren, setzten sich die Kommunisten unter der Führung von Mao Zedong 479 schließlich gegen die republikanische Kuomintang480 durch und trieben die Anhänger dieser Partei unter der Leitung von Chiang Kaishek nach Taiwan in die Flucht.481 Mao rief im Jahr 1949 die Volksrepublik China482 aus und installierte die Kommunistische Partei (KPCh) als alleinigen Machthaber. Damit begann die Zeitrechnung für das heutige China. Die jüngere Geschichte Chinas ist durch den starken wirtschaftlichen Aufstieg geprägt. Folglich sehen immer mehr Unternehmen China als potentiellen Absatz- oder Beschaffungsmarkt. Im Sinne des interkulturellen Managements ist es für die Unternehmen wichtig, die soziokulturellen Besonderheiten des Landes zu kennen, dazu zählt auch die geschichtliche und politische Entwicklung der Volksrepublik.483 Der wirtschaftliche Aufschwung wird anhand der ökonomischen Daten und den technologischen Umweltfaktoren belegt. Zur Charakterisierung des Aktionsfeldes Chinas für internationale Unternehmen ist zudem eine Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen notwendig.
477
Zu einer detaillierten Darstellung siehe Seitz (2006), S. 96ff. Zinzius spricht über die Zeit von 1911 – 1949 von den „Jahre[n] des Chaos“, vgl. Zinzius (2007), S. 3. 479 Chinesisch: (Máo Zédōng), geboren 1893, gestorben 1976 in Beijing. 480 Kuomintang, abgekürzt KMT, steht für (Zhōngguó Guómíndǎng), deutsch: „Chinesische Nationalpartei“. 481 Chiang Kaishek (chinesisch: , Jiǎng Jièshí- geboren 1887, gestorben 1975 in Taipeh) und seine chinesische Nationalpartei sahen sich damals als der rechtmäßige Nachfolger der chinesischen Republik an und , Zhōnghuá Mínguó). Die Volksgründeten auf der Insel Taiwan die Republik China (chinesisch: republik China unter Führung der KPCh beansprucht die Insel Taiwan allerdings als ihr Hoheitsgebiet, nämlich als die 23. Provinz. De facto ist Taiwan heute zwar ein souveräner Staat, de jure wird er als solcher international aber nur noch von wenigen Ländern anerkannt. Der Taiwankonflikt wird hier nicht weiter betrachtet, da sich die Untersuchungen in dieser Arbeit ausschließlich auf die Volksrepublik China beziehen. 482 Bei der Volksrepublik China (chinesisch: , Zhōnghuá Rénmín Gònghéguó) spricht man in Abgrenzung zur „Republik China“ (Taiwan) in Anlehnung an die englische Bezeichnung „mainland China“ auch von „Festlandchina“. Dies schließt die beiden Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao nicht mit ein, obwohl diese seit 1997, bzw. 1999 offiziell wieder zum chinesischen Staatsgebiet gehören. Da für die Sonderverwaltungszonen eigene politische und rechtliche Rahmenbedingungen gelten und sie auch in den offiziellen ökonomischen Statistiken immer separat geführt sind, wird die Bezeichnung „China“ in dieser Arbeit immer im Sinne von Festlandchina verwendet. Auf Abweichungen wird ggf. explizit hingewiesen. 483 Im Rahmen dieser Arbeit soll keine umfassende Aufarbeitung der Politik und Geschichte Chinas geleistet werden. Es geht lediglich darum, die wichtigsten Ereignisse zu skizzieren und die Auswirkungen auf die Wirtschaft bis in die heutige Zeit darzustellen. Für eine umfassende Darstellung der Geschichte Chinas wird Seitz (2006) empfohlen. 478
Beschreibung deutscher Unternehmen in China 3.1.1
101
Soziokulturelle Herausforderungen
Die heutige Volksrepublik China umfasst einen Kulturkreis mit großen Unterschieden in den einzelnen Regionen484, der sich im Laufe der Jahrtausende alten Geschichte gebildet hat. Trotz dieser Differenzen unterscheiden sich die sozio-kulturellen Rahmenbedingungen allgemein grundlegend von denen des westlichen Kulturraums. Diese Unterschiede wirken sich erheblich auf die Gestaltung der Kooperationsbeziehungen von international tätigen Unternehmen aus. Besonders bei der Verlagerung von Wertaktivitäten nach China ist das Wissen über diese Unterschiede bedeutend, da sie explizit oder als implizites Hintergrundphänomen das Verhalten der handelnden Personen beeinflussen.485 Als zentrale kulturelle Größe, die China und Deutschland voneinander unterscheidet, hat Kasperk auf Basis empirischer Untersuchung die Kontextgebundenheit des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns ermittelt.486 In der chinesischen Kultur werden eigene Überlegungen und das eigene Handeln immer in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. Dies wird auch an der interkulturellen Untersuchung von Hofstede deutlich (siehe Abbildung 21 und vgl. dazu Kapitel 2.1.4), da für die chinesische Kultur – gemessen am weltweiten Durchschnitt - eine hohe Machtdistanz, sehr geringer Individualismus, eine geringere Unsicherheitsvermeidung und eine langfristige Orientierung gemessen wurden. 487 In China ordnet sich das Individuum in das Kollektiv ein und stellt seine Interessen hinter die des Kollektivs zurück. Der niedrige Wert für Unsicherheitsvermeidung in der chinesischen Kultur zeigt, dass man gewohnt ist, flexibel auf unsichere Situationen zu reagieren und unbekannte Risiken zu akzeptieren. In der langfristigen Orientierung, die auch „Konfuzianische Dimension“ genannt wird, kommt die Bedeutung von Traditionen für das gesellschaftliche Leben zum Ausdruck. Beharrlichkeit und Ausdauer sind dabei die Tugenden, die zur Zielerreichung führen.488 In der deutschen Kultur ist die Ausprägung der Dimensionen Individualismus, Unsicherheitsvermeidung und langfristige Orientierung genau entgegengesetzt zur Chinesischen, so dass sich für den deutschen Kulturraum eine geringe Kontextabhängigkeit feststellen lässt. Aus deutscher Sicht kann China also im Sinne des Internationalisierungsgrads als „geographisch-kulturell entfernt“ betrachtet werden. Bei der Machtdistanz und der Mas484
Regionale Unterschiede sind nicht Chinaspezifisch, sondern finden sich auch in kleineren Ländern, wie in einer Studie über regionale Unterschiede in europäischen Länder belegt, vgl. Pfohl/Buse (1997), S. 261ff. 485 Vgl. Dreiling (2006), S. 19 und Kasperk/Kalmbach/Woywode (2006), S. 137f. 486 Vgl. und im Folgenden Kasperk/Kalmbach/Woywode (2006), S. 138f. 487 Zum aktuellen Wandel im chinesischen Wertesystem und den damit entstehenden Paradoxien vgl. Faure/Fang (2008), S. 196ff. 488 Vgl. und im Folgenden Hofstede (2006); Welge/Holtbrügge (2006), S. 213ff und Holtbrügge/Puck (2008), S. 37ff. Die fünfte Dimension, die Hofstede erst später in sein Modell einfügte, ist für China umstritten, da sie eigentlich der Flexibilität und Kurzfristigkeit, die sich heutzutage in China nachweisen lässt, entgegensteht, vgl. Fang (2003), S. 347ff.
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Kapitel 3
kulinität weichen die Werte nicht stark voneinander ab. In beiden Kulturen haben die Faktoren Einkommen, Anerkennung, Herausforderung und Zufriedenheit mit der Arbeit sowie die Chance auf Beförderung also eine ganz besondere Bedeutung. &"! &!! %! $! #! "! !
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Abbildung 21: Kulturelle Eigenschaften aus der Untersuchung Hofstede. Quelle: In Anlehnung an Hofstede (2006), S. 147.
Die Kontextabhängigkeit wirkt sich auf das gesamte kulturelle Verhalten von Chinesen aus: „Geschehnisse, Aktivitäten, Gespräche werden stets mit einem weiteren Bezugsrahmen verbunden. Wichtig sind demzufolge auch Traditionen und Identität, die auf Herkunft, Geschichte und Persönlichkeit basieren. […] Schaffung und Pflege der Beziehung [ist] oberstes Ziel der Interaktion und zugleich Basis für weitere Interaktionen. Erst eine solche Basis, die wesentlich damit zusammenhängt, dass jeder Interaktionspartner „Gesicht“ zeigt und dem anderen gibt, lässt die Diskussion von Geschäften zu. Je intensiver diese persönlichen Beziehungen, desto klarer wird die Zugehörigkeit zu diesem Beziehungs-Netzwerk.“489 Im Folgenden werden drei Facetten der chinesischen Kultur untersucht, denen im Zusammenhang mit geschäftlichen Aktivitäten in China eine besondere Bedeutung zukommt:490 489 490
Kasperk/Kalmbach/Woywode (2006), S. 138f. Vgl. und im Folgenden Dreiling (2006), S. 19ff. Dort finden sich weitere Aspekte der chinesischen Kultur, die in dieser Arbeit nicht aufgegriffen werden.
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
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1) Konfuzius491 - das Leben in einer harmonischen Gesellschaft Ziel der konfuzianischen Lehre ist es, Regeln für ein harmonisches Zusammenleben einer Gesellschaft zu formulieren. Harmonie ist nach Konfuzius nur durch geordnete Verhältnisse möglich, die auf Basis von Respekt vor Autorität, Vorfahren, Familie, Tradition, Wissen und Erziehung funktionieren.492 Das streng hierarchische Leben der chinesischen Gesellschaft beruht nach Konfuzius auf fünf Beziehungen, in denen die Menschen gegenüber anderen unter-einander verpflichtet sind.493 Der moralisch handelnde Mensch hat als höchstes Lebensziel, innerhalb dieser Gesellschaftsordnung immerwährende Harmonie durch die richtige Balance im Denken und Handeln zu gewährleisten. Das strikte Hierarchiedenken hat in China schließlich zur Entstehung des vertikalen Regierungs- und Bürokratiesystems geführt. Die vertikale Ausrichtung im Denken der Menschen (vgl. starke Ausprägung bei „Machtdistanz“) spiegelt sich bis heute in der Tatsache wider, dass Entscheidungen nach Möglichkeit immer nach oben delegiert werden. Nicht hierarchisch geregelte Beziehungen hingegen, zum Beispiel die des Marktes, sind charakterisiert durch opportunistisches Verhalten, bei dem die Anwendung von Listen und Täuschungen keineswegs als moralisch verwerflich, sondern sogar als klug angesehen wird.494 2) Guanxi 495– mehr als Beziehungen Aufbauend auf den Beziehungen des Konfuzius und dem damit verbundenen Denken in Zusammenhängen, erhält das Beziehungs-Netzwerk eine ganz besondere Bedeutung in der Gesellschaft.496 Das Wort „Guanxi“ nur mit „Beziehung“ zu übersetzen greift daher zu kurz, vielmehr beschreibt es ein komplexes, dynamisches Gebilde sozialer Abhängigkeiten, die sowohl formal offiziell als auch informell verdeckt sein können. Chinesen definieren ihre soziale Stellung über ihr Netzwerk, welches Familie, Freunde und berufliche Kontakte miteinander verknüpft. Grundlage dieses 491
Der Name leitet sich aus dem chinesischen „Kǒng Fūzǐ“( ), zu Deutsch „Meister Kong“ ab, der wahrscheinlich 551 – 479 v. Chr. gelebt hat und als Gründer einer Schule für Moralphilosophie seine Weltanschauung in verschiedenen Provinzen Chinas verbreitete, vgl. Rommel (2007), S. 283f und Langenberg (2007), S. 30. 492 Vgl. Zinzius (2006), S. 176. 493 Die „fünf menschlichen Beziehungen“ (chinesisch: wǔlún) des Konfuzius sind: Herrscher – Untergebener, Vater – Sohn, Mann – Frau, älterer Bruder – jüngerer Bruder, Freund - Freund. Die Beziehungen funktionieren, da Schutz und Fürsorge des einen durch Respekt und Gehorsam des anderen gedankt wird, vgl. Zinzius (2007), S. 24. 494 Vgl. u.a. Holtbrügge/Puck (2008), S. 29ff. Im Laufe der chinesischen Geschichte haben noch viele weitere Personen in Anlehnung an die konfuzianische Lehre die Gesellschaft geprägt. Auf diese wird aber in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen, da die Harmonie als Leitmotiv auf Konfuzius zurückzuführen ist und später meistens religiös motiviert wieder aufgegriffen wurde. 495 Chinesisch: (guānxi) bedeutet wörtlich übersetzt „Beziehung“, „Zusammenhang“, aber auch „Einfluss“. 496 Langenberg erhebt das „Guanxi“ sogar zum prägenden Prinzip der Gesellschaft und spricht vom „GuanxiSystem“, dem sich das Harmoniedenken und das Gesichtskonzept unterordnen, vgl. Langenberg (2007), S. 27ff.
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Kapitel 3 allgegenwärtigen Netzwerks ist gegenseitiges Vertrauen und es gibt kaum eine Entscheidung, die ohne direkten oder indirekten Einfluss von Beziehungen getroffen wird. Somit ergibt sich ein Gegenseitigkeitsverhältnis, welches eine oftmals lebenslange informelle Abhängigkeit schafft.497 Um sein Guanxi auszubauen, ist man auf die Vorstellung, bzw. Empfehlung eines Mittelsmanns angewiesen. Für Ausländer498 ist es - aufgrund eines natürlichen Misstrauens der Chinesen gegen alles Fremde allerdings fast unmöglich, integrierter Teil eines chinesischen Netzwerkes zu werden.499
3) Mianzi500 - Gesicht wahren Das Gesichtskonzept ist stark durch das konfuzianische Harmonieprinzip geprägt, da die hierarchischen gesellschaftlichen Beziehungen immer im Respekt vor der Würde des Einzelnen bestehen sollten. Die Mitglieder der Gesellschaft leiten daraus ihren sozialen Status sowie ihr Selbstwertgefühl ab, was bis heute zu bescheidenem, zurückhaltendem Verhalten führt. Ein Gesichtsverlust, zum Beispiel durch offenes Kritisieren in Anwesenheit Dritter, muss unbedingt vermieden werden, um die Beziehung nicht nachhaltig zu stören. Neben dem (aktiven oder passiven) Gesichtsverlust ist es auch möglich, jemandem „Gesicht zu geben“, zum Beispiel indem man ihn im Beisein anderer - trotz eines Fehlers - unterstützt. 501 Holtbrügge/Puck verweisen auch in diesem Fall wieder auf die Grenzen des Konzepts, da es „nur innerhalb einer Gruppe miteinander bekannter Menschen [gilt]. Zu Fremden (und insbesondere zu Ausländern) wird keine Verantwortung des Gesichtgebens und -wahrens empfunden.“502 Neben diesen Prinzipien, die die chinesische Kultur entscheidend prägen, kommt der Kommunikation und Sprache eine wichtige Bedeutung zu. Während in der deutschen Kultur die Informationsvermittlung meistens explizit, also problemlösungsorientiert, präzise und direkt erfolgt, findet Kommunikation auf chinesischer Seite immer implizit
497
Vgl. und im Folgenden Rommel (2007), S. 161 und Holtbrügge/Puck (2008), S. 30. Selbst wenn Ausländer lange persönlichen Kontakt zu Chinesen pflegen, werden sie stets als ) oder als „lǎowài" ( ) bezeichnet, was beides mit „Ausländer“ zu übersetzen ist. „wàiguórén“ ( Damit spiegelt die Sprache das grundsätzliche Misstrauen gegenüber allem Fremden wider, vgl. Zinzius (2007), S. 30. 499 Vgl. Zinzius (2007), S. 30. Eine sehr umfassende, theoretische Aufarbeitung des „Guanxi-Systems“ findet sich bei Langenberg (2007), S. 38ff. 500 Miànzi ( ) heißt übersetzt „Gesicht“, das „mian“ steht dabei aber für „Reputation“, bzw. „sozialen Status“. 501 Vgl. Rommel (2007), S. 156ff und Zinzius (2007), S. 43ff. 502 Holtbrügge/Puck (2008), S. 30. 498
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
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und indirekt statt. 503 Dies ist ebenfalls dem Harmonieprinzip geschuldet und führt zu großen Problemen bei der direkten Übersetzung der chinesischen Sprache.504 Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, handelt es sich bei den herausgearbeiteten kulturellen Eigenschaften und Zusammenhängen um gewisse Grundlinien, sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner der chinesischen Kultur. Durch die Öffnung des Landes werden gerade in der jüngeren Generation der modernen städtischen Gesellschaft mittlerweile westliche Werte und Verhaltensmuster assimiliert.505 Faure/Fang verweisen in ihrem Artikel explizit auf die Veränderungen im chinesischen Wertesystem, begründet durch die Modernisierung. Allerdings zeigen sie anhand einiger Beispiele, dass die chinesische Kultur in ihrer Geschichte schon immer mit Paradoxien ausgekommen ist, d.h. vermeintliche Widersprüche vereinen kann. 506 Daher ist davon auszugehen, dass im Geschäftsleben viele der beschriebenen traditionellen Prinzipien in Zukunft bestand haben werden.507 Chinesen setzen ihre kulturellen Eigenschaften sehr gezielt ein, um sich zum Beispiel in Verhandlungen einen Vorteil gegenüber ausländischen Geschäftspartnern zu verschaffen.508 3.1.2
Geschichtlicher und politischer Hintergrund
Nach der Gründung der Volksrepublik China am 01. Oktober 1949 in Beijing509, verdeutlichte Mao Zedong die Dimension dieses Ereignisses für den Rest der Welt: „Die Chinesen, ein Viertel der Menschheit, sind aufgestanden“510. Zunächst aber waren die neuen Machthaber der Kommunistischen Partei China (KPCh) damit beschäftigt, die kommunistischen Herrschaftsstrukturen nach dem Vorbild der Sowjetunion zu errichten und die ersten Reformen umzusetzen.511 Überall im Land übernahm die Partei die Macht, Großgrundbesitzer wurden enteignet, das Land an die Bauern verteilt, die Landwirtschaft kollektiviert und schließlich im ersten Fünf-Jahresplan die komplette Industrie und der Handel sozialistisch transformiert. Ziel der Parteikader war es, durch die Einführung der 503
Vgl. Kasperk/Kalmbach/Woywode (2006), S. 138. Eine ausführlichere Darstellung des komplexen Themas „Chinesische Sprache und Kommunikation“ ist für diese Arbeit nicht zielführend. Es sei auf die weitergehende Literatur verwiesen, zum Beispiel Rommel (2007), S. 123ff; Holtbrügge/Puck (2008), S. 34ff und Zinzius (2007), S. 90ff und für den besonderen Aspekt der Körpersprache Zinzius (2007), S. 100ff. 505 Vgl. Holtbrügge/Puck (2008), S. 41. 506 Vgl. Faure/Fang (2008), S. 194ff. 507 Vgl. Leung (2008), S. 186. 508 Zum Thema „Verhandlung in China“ siehe Zinzius (2007), S. 127ff. Zur speziellen Thematik der chinesischen Strategeme, geprägt von Sun Tzu siehe Holtbrügge/Puck (2008), S. 32f sowie die dort zitierte Literatur. 509 Beijing ist die offizielle „pinyin-Umschrift“ für (deutsch: Hauptstadt des Nordens). Im Deutschen wird die Stadt als „Peking“ bezeichnet. In dieser Arbeit wird aber durchweg die pinyin-Umschrift Verwendung finden. 510 Zitiert nach Seitz (2006), S. 161. 511 Vgl. und im Folgenden Seitz (2006), S. 162ff. 504
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Kapitel 3
zentralen Planwirtschaft alle wirtschaftlichen Transaktionen zu lenken und somit einen Gegenpol zur westlichen Marktwirtschaft zu bilden. China schottete sich vollständig vom Ausland ab und untersagte jegliche wirtschaftliche Kooperation, mit Ausnahme zur UDSSR.512 In der ersten Dekade der Volksrepublik war das Land, neben den tief einschneidenden wirtschaftlichen Veränderungen, vor allem durch Kampagnen zur Festigung der Macht der KPCh geprägt. Millionen von „Konterrevolutionären“ 513 wurden verfolgt und ermordet oder in Arbeitslager verbannt. Dieser Terror führte zu einer tief greifenden Verunsicherung, was jegliche unternehmerische Eigeninitiative auslöschte. Um China wirtschaftlich als Weltmacht zu etablieren, verordnete Mao 1958 den „Großen Sprung nach vorne“514. Ziel war es, die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft zu steigern, sowie die im Winter unterbeschäftigten Bauern dazu einzusetzen, die Schwerindustrie Chinas zu unterstützen und Infrastruktur aufzubauen.515 Das dadurch ausgelöste Wachstum sollte für die gesamte chinesische Wirtschaft der propagierte Wachstumssprung werden.516 Die repressive Umsetzung der Pläne Maos führte zu einer rücksichtslosen Ausbeutung der Leistungskraft der Landbevölkerung. In jedem Dorf wurden zum Beispiel kleine Hochöfen betrieben, die aber letztendlich nur minderwertigen Stahl produzierten, der nicht weiter verwendet werden konnte. Zu Gunsten des Stahlkochens und des Vorantreibens von Industrie- und Infrastrukturprojekten fiel nicht nur der Schulunterricht aus, sondern die Bauern vernachlässigten ihre Arbeit auf den Feldern. Zusätzlich wurden den Bauern ihre Erzeugnisse abgenommen und gegen harte Devisen ins Ausland verkauft. Als sich die Erntemengen nicht wie geplant erhöhten, die örtlichen Parteikader dies aus Angst um ihre Karriere aber nicht meldeten, kam es zur größten Hungerkatastrophe in der Geschichte Chinas. Nach heutigen Schätzungen fielen dieser Katastrophe mindestens 30 Mio. Menschen zum Opfer, die Wirtschaft in vielen Provinzen kam völlig zum Erliegen. Politisch durch die Katastrophe geschwächt, zog sich Mao zunächst aus der aktiven Politik zurück und das Land erholte sich. Im Jahr 1966 kehrte Mao auf die politische Bühne zurück und wollte die uneingeschränkte Macht in der Partei wieder an sich reißen. Dazu startete er die „Kulturrevolution“, die China in seinen Grundfesten erschüttern sollte. Er nutzte die bedingungslose Ergebenheit der Jugendlichen aus, die sich in so genannten 512
Vgl. Zinzius (2007), S.3f. Oftmals wurden Betroffene auch als „Rechtsabweichler“ (chinesisch: yòupài) bezeichnet, was sich auf eine Sympathie zu den republikanischen Kuomintang bezog, die aus Sicht der linken Kommunisten „rechts“ waren. 514 Chinesisch: (dàyuèjìn). 515 Vgl. und im Folgenden Seitz (2006), S. 185ff. 516 Vgl. Rommel (2007), S. 288f. 513
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„Roten Garden“ organisierten, um alles zu zerstören, was alt, traditionell und damit konterrevolutionär war. Dabei kamen vermutlich mehrere Millionen Menschen ums Leben, darunter viele Professoren und Lehrer sowie hochrangige Parteikader, deren Gefolgschaft Mao sich nicht mehr sicher sein konnte. Intellektuelle mussten auf dem Land bei den Bauern arbeiten, das Bildungssystem lag über Jahre vollständig brach, eine Bildungslücke entstand, unter der China bis heute leidet. Unter den strengen Vorgaben Maos wurde die politische Ideologie über die ökonomische Vernunft erhoben. Fachkundige Firmenleiter wurden durch parteitreue, aber unerfahrene Kader ersetzt, infolge dessen viele Unternehmen wirtschaftliche Probleme bekamen.517 Nach dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 übernahm zunächst Hua Guofeng die Macht, schien dieser Verantwortung aber nicht gewachsen und musste 1978 die Macht an Deng Xiaoping abgeben. Deng Xiaoping518 war bereits Veteran des Langen Marschs und wurde von Mao später in die Staatsführung berufen. In den Wirren der Kulturrevolution wurde er 1967 allerdings entmachtet und erst 1974 wieder rehabilitiert.519 Nach seinem Aufstieg zum mächtigsten Mann der Volksrepublik im Jahr 1978 leitete Deng die wirtschaftliche Öffnung des Landes ein, um die zentrale Planwirtschaft in eine sozialistische Marktwirtschaft 520 zu überführen. Dieser Prozess war bei weitem nicht unumstritten, aber letztendlich konnte Deng seine Landsleute durch den kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufstieg überzeugen und damit unternehmerisches Denken und Handeln wieder fördern.521 Neben den wirtschaftlichen Reformen lehnten die Machthaber aber politische Reformen strikt ab. Der gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen am 04. Juni 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens522 folgten landesweite Verhaftungen tausender Regimegegner. Diese wurden in Umerziehungslager gebracht oder teilweise sogar zum Tode verurteilt. Die orthodoxen Kräfte in der Regierung hatten sich durchgesetzt. Aufgrund der brutalen Vorgehensweise der Regierung und des Militärs brachen die meisten Staa-
517
Vgl. Seitz (2006), S. 167 und Zinzius (2007), S. 5 Chinesisch: ( Dèng Xiǎopíng), geboren 1904, gestorben 1997 in Beijing. 519 Vgl. Seitz (2006), S. 227ff. 520 Die chinesische Regierung definiert das System als „Sozialismus chinesischer Prägung“ (chin.: , zhōngguótèsèdeshèhuìzhǔyì), was sowohl Merkmale einer freien Marktwirtschaft, als auch einer Planwirtschaft enthält, vgl. Li-hua/Khalil (2006), S. 10. 521 Vgl. Zinzius (2007), S. 6. 522 Chinesisch: (tiān'ānménguǎngchǎng), größter innerstädtischer Platz im Zentrum Beijings. Die genauen Ereignisse auf dem Platz des himmlischen Friedens in der Nacht zum 04.06.1989 sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Die in westlichen Medien verbreitete Bezeichnung „Tiananmen-Massaker“ ist dahingehend irreführend, dass auf dem Platz selbst wahrscheinlich keine Menschen ihr Leben lassen mussten. Die meisten Opfer, überwiegend einfache Pekinger Bürger und Arbeiter, starben auf den Zufahrtsstraßen zum Zentrum, als sich die völlig mit dieser Situation überforderte Armee den Weg durch die Blockaden der Bevölkerung frei kämpfte, vgl. Seitz (2006), S. 291ff. 518
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ten die Beziehungen zu China ab. Sanktionen folgten und Firmen zogen sich aus dem Land zurück. Deng Xiaoping geriet innenpolitisch unter Druck und startete 1992 seine „Südreise“, auf der er für weitere Reformen warb und somit innen- und außenpolitisch wieder Vertrauen gewinnen konnte. Viele Unternehmen kehrten nach wenigen Jahren wieder nach China zurück und international trieb China seinen Aufstieg voran. Die Bemühungen wurden bereits im Jahr 2001 durch die Aufnahme in der Welthandelsorganisation (WTO) belohnt. Mit dem Beitritt zur WTO musste China Zölle und Markteintrittsbeschränkungen reduzieren und durch Gesetze die Rechtssicherheit für ausländische Unternehmen verbessern. Dadurch wurde China ein attraktiver Markt für ausländische Direktinvestitionen. Umgekehrt können chinesische Unternehmen seitdem von den WTO-Bestimmungen in anderen Mitgliedsländern profitieren.523 Trotz der positiven Entwicklungen in Richtung einer offenen Marktwirtschaft mit einem funktionierenden Rechtssystem524 ist die Volksrepublik China politisch weiterhin durch die Allgegenwart der KPCh in allen zentralen und regionalen Organen des Staatsapparats geprägt. Höchstes Organ ist dabei der Nationale Volkskongress (NVK), dessen Mitglieder von indirekt gewählten Volksvertretungen der 31 Provinzen525 bestimmt werden. Etwa zwei Drittel der knapp 3.000 Mitglieder des NVK gehören der KPCh an. Der Nationale Volkskongress bestimmt den obersten Staatsgerichtshof, den Staatsrat (die Regierung), die oberste Staatsanwaltschaft, den Militärrat und den Staatspräsidenten, der hauptsächlich zeremonielle Aufgaben hat. Da der NVK aufgrund seiner Größe nur einmal im Jahr tagt, tritt im restlichen Zeitraum ein ständiger Ausschuss an seine Stelle. Die Arbeit der nationalen Regierung wird geleitet vom Ministerpräsidenten, der dem Staatsrat vorsteht. Der Staatsrat umfasst die Vorsitzenden der Ministerien, die durch den Ministerpräsidenten nominiert, vom NVK gebilligt und durch den Präsidenten berufen werden. Die Ministerien sind hauptsächlich auf exekutiver Ebene tätig, wirken aber auch bei der Erstellung von Gesetzesvorlagen und Verordnungen mit. Diese Strukturen werden genauso auf Ebene der Provinzen, Kommunen und Bezirke abgebildet.526 Infolge der historischen Entwicklung und der bestehenden Planungsstrukturen, sind in der Volksrepublik immer noch weite Teile der Wirtschaft - vor allem so genannter „Schlüsselindustrien“ – staatlich kontrolliert. Die große Bedeutung der Privatinitiative für die ökonomische Entwicklung wird zwar erkannt, wird aber nur unterstützt, solange 523
Vgl. Kasperk/Kalmbach/Woywode (2006), S. 16f und Zhao/Flynn/Roth (2006), S. 459ff. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen siehe Kapitel 3.1.5. Die Volksrepublik China besteht aus 22 Provinzen, 5 autonomen Gebieten und 4 regierungsunmittelbaren Städten. Dazu kommen die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao sowie die „23. Provinz“ Taiwan, vgl. CIA (2009). 526 Vgl. u.a. Seitz (2006), S. 162ff und Emmerich et al. (2008), S. 577. 524
525
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sie die Machtposition der chinesischen Führung nicht gefährdet. 527 Die Staatsbetriebe übernehmen, neben ihrer Bedeutung für die Wirtschaft, noch eine soziale Funktion, da sie für die medizinische Versorgung ihrer Mitarbeiter und deren Familien sowie Kinderbetreuung, Rentenversicherung uvm. verantwortlich sind. Global betrachtet nimmt China mittlerweile in vielen Regionen der Welt eine dominierende Rolle ein. Getrieben von dem Rohstoffbedarf hat China seinen Einfluss von Südostasien über den mittleren Osten (zum Beispiel Iran) bis nach Afrika und in der anderen Richtung nach Südamerika ausgeweitet. Dank der größten Devisenreserven weltweit und des politisch neutralen Verhaltens der chinesischen Führung gegenüber anderen Regimen, ist China ein gern gesehener Geschäftspartner vor allem in Ländern, die vom Westen kritisiert werden.528 Mit den internationalen Großereignissen Olympia 2008 in Beijing und der EXPO 2010 in Shanghai529, wird China wieder als politische Weltmacht wahrgenommen. Im Gegenzug werden die anderen Weltmächte China in Zukunft immer mehr zur Übernahme von Verantwortung drängen, zum Beispiel in internationalen Konflikten. Ob mit diesen Prozessen eine Demokratisierung des Landes vonstatten geht, ist momentan nicht absehbar. China wird auf seinen erfolgreichen „chinesischen Weg“ bestehen und weiter an der Entwicklung einer sozialistischen Marktwirtschaft fest-halten. Gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2008 – ausgelöst durch das kapitalistische Bankenwesen in den USA – wird es bis auf weiteres keinen wirksamen Druck aus dem Westen geben. 3.1.3
Ökonomische Entwicklung
Chinas Wirtschaft erlebte seit der Öffnungspolitik 1978530 (siehe Kapitel 3.1.2) einen bislang weltweit unvergleichlichen Aufschwung und erwirtschaftete im Jahr 2007 ein Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 2,5 Billionen €. Dies entspricht einem Weltanteil von 6 %. China liegt damit auf Platz vier hinter USA, Japan und Deutschland.531 Die Langzeitentwicklung zeigt ein durchschnittliches Jahreswachstum in Höhe von 9,8 %532, was
527
Vgl. Zinzius (2007), S. 8 und Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 12. Vgl. Sieren (2008a). Dort findet sich ein umfassender Bericht über die Aktivitäten Chinas in der Welt. 529 Chinesisch: , wörtlich übersetzt: „über dem Meer“. 530 Zuverlässige ökonomische Daten über die Volksrepublik China sind erst seit 1978 verfügbar, daher bezieht sich dieses Kapitel ausschließlich auf diesen Zeitraum. 531 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 37 und Xinhua (2008). 532 Reales, um die Inflation bereinigtes Bruttoinlandsprodukt. Der Pro-Kopf Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist mit 1.800 € im Jahr 2007 allerdings weiterhin gering. Vergleicht man die Länder gemäß Kaufkraftparität, landet China nur auf dem 90. Platz, weit hinter den entwickelten Ländern, aber noch vor Indien (vgl. World Bank (2008)). Von Kaufkraftparität wird gesprochen, wenn Waren und Dienstleistungen eines Warenkorbs in zwei verschiedenen geographischen Räumen mit dem gleichen Geldbetrag erworben werden können. Sie dient als Korrekturfaktor, um volkswirtschaftliche Größen unterschiedlicher Wirtschaftsräume besser vergleichbar zu machen, vgl. OECD (2008). 528
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im Wesentlichen durch Akkumulation von Kapital, Verlagerung der Arbeitskraft von Landwirtschaft auf die Industrie und dem Wachstum des privaten Sektors getrieben wurde. Die von der Regierung beschlossene Öffnung führte zu einer Verschiebung von Kapital und Arbeitskraft in produktivere Sektoren und einer Beschleunigung der technologischen Entwicklung.533 Allerdings verfügt China nicht über einen einheitlichen Wirtschaftsraum, da der Großteil des Bruttoinlandsprodukts in den Küstenregionen erbracht wird. Erst langsam setzt sich Dank intensiver Förderung durch die Zentralregierung, eine Industrialisierung auch in Zentral- und Westchina durch.534 Der Beitritt zur WTO im Jahr 2001 hat den Wettbewerb auf dem chinesischen Markt erheblich verschärft, was viele Unternehmen – besonders Staatsbetriebe – zwang, Arbeitskräfte und Kapital effizienter einzusetzen.535 Zusätzlich flossen große Investitionen ausländischer Unternehmen ins Land, die gleichzeitig Technologie und Know-how mitbrachten. China war im Jahr 2007 das Land mit den meisten Direktinvestitionen536 (56,4 Mrd. €537) und erhielt kumuliert seit 1978 mehr als 649 Mrd. € Direktinvestitionen. Rund 77 % der ausländischen Direktinvestitionen flossen über ausländische Tochtergesellschaften internationaler Unternehmen in das Land.538 Diese Entwicklung führt auch zu einer Verschiebung der unterschiedlichen Sektoren zur Erarbeitung des Bruttoinlandsprodukts. Es wird immer mehr Wertschöpfung durch hochwertigen Maschinenbau und durch den Dienstleistungssektor erbracht. Bereits im
533
Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development (2005), S. 2; Bosworth/Collins (2007), S. 20 und China Statistics Press (2008), S.47. Wie der Statistik für 2006 zu entnehmen ist, betrug der Anteil des „sekundären Sektors” (Industrie, Produktion, Bauwirtschaft) am BIP 48,7%, der „tertiäre Sektor“ (Dienstleistung) steuert 40% zum BIP bei, während auf die Landwirtschaft (primärer Sektor) nur noch 11,3% entfallen. 534 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 50. 535 Vgl. Hu/Jefferson/Jinchang (2005), S. 784. 536 Das chinesische Statistikamt legt den Angaben zu Direktinvestitionen (FDI) folgende Definition zu Grunde: „FDI refers to the investments inside China by foreign enterprises and economic organizations or individuals (including overseas Chinese, compatriots from Hong Kong, Macao and Taiwan, and Chinese enterprises registered abroad), following the relevant policies and laws of China, for the establishment of ventures exclusively with foreign own investment, Sino-foreign joint ventures and cooperative enterprises or for cooperative exploration of resources with enterprises or economic organizations in China. It includes the reinvestment of the foreign entrepreneurs with the profits gained from the investment and the funds that enterprises borrow from abroad in the total investment of projects which are approved by the relevant department of government”, China Statistics Press (2008), S. 745. 537 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 729. Die Angaben für Direktinvestitionen sind in US-Dollar. In dieser Arbeit werden alle US-Dollarwerte in € umgerechnet, zum Stichtags-Kurs vom 31.12.2007: 1 USD = 0,68 €. 538 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 729. Die Angaben der Direktinvestitionen verdienen eine differenzierte Betrachtung. So machen zum Beispiel die Direktinvestitionen aus Hongkong, Macao und Taiwan alleine rund 41% der Gesamtinvestitionen aus. Ob diese Investitionen als „Foreign Direct Investment“ gezählt werden können, ist spätestens seit der Rückgabe Hongkongs 1997, bzw. Macaos 1999 fraglich. Weitere 25% der Direktinvestitionen stammen von den Cayman und Virgin Islands. Hier dürfte es sich zum größten Teil um Investitionen von Auslandschinesen über entsprechende Firmen handeln. Die Direktinvestitionen aus Japan, Nordamerika und Europa tragen mit jeweils zwischen 4,3% und 5,6% also nur einen kleinen Teil zu den gesamten Investitionen bei.
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Jahr 2006 lässt sich dieser Trend an der Statistik ablesen, die Wertschöpfung durch industrielle Produktion (Manufacturing) beträgt 33,6 % (+1,2 % seit 2004) und der Anteil der Dienstleistungen beträgt bereits 40 % (+0,9 % seit 2004). Die Bedeutung des primären Sektors (Landwirtschaft, Fischerei) ist mittlerweile auf 11,3 % gesunken (-2,1 % seit 2004).539 Ein großes Problem in der wirtschaftlichen Entwicklung stellen aber weiter die Staatsbetriebe dar, die verglichen mit internationalen Unternehmen wenig effizient arbeiten. Allerdings sind in diesen Betrieben gerade in strukturschwachen Regionen viele Menschen beschäftigt, weswegen die Regierung vor notwendigen Reformen, die zwangsläufig zu Entlassungen führen würden, zurückschreckt.540 Chinas wirtschaftliche Entwicklung stützt sich auf zwei Säulen: die Exportindustrie und den eigenen großen Absatzmarkt. Im Jahr 2007 stieg China zur zweitgrößten Exportnation nach Deutschland auf und exportierte Waren im Wert von 935 Mrd. €. Mit einem gesamten Handelsvolumen von 1,67 Billionen € nimmt China in der Auslandshandelsbilanz weltweit bereits Platz drei nach den USA und Deutschland ein.541 Dank eines kontinuierlich positiven Handelsbilanzüberschusses (alleine in 2007 über 200 Mrd. €) besitzt China mittlerweile mit 1,4 Billionen € die größten ausländischen Währungsreserven. 542 Besonders auffällig ist der überproportionale Anstieg des Exportes gegenüber dem Import seit dem Jahr 2004. Dies lässt sich auf den starken Anstieg des Exports von höherwertigen Industriegütern zurückführen. China ist also längst nicht mehr ausschließlich der Billigproduzent von Konsumgütern.543 Die Ausweitung des Handels zwischen China und dem Rest der Welt war eines der bemerkenswertesten Phänomene des letzten Jahrhunderts. China ist mittlerweile alleine verantwortlich für 8,9 % der globalen Exporte und 6,8 % der globalen Importe. Die Wichtigkeit des Handels für Chinas Wirtschaft ist ein Kennzeichen für die hohe Integration der Industrie des Landes in internationale Produktionsketten. Etwa ein Drittel des Wertes der Exporte wird durch zuvor eingeführte Güter verursacht. Dies sind hauptsächlich Einzelteile und Komponenten, die in China zu fertigen Endprodukten zusammen gebaut und dann wieder exportiert werden.544 Wie in Abbildung 22 zu sehen ist, stellen asiatische Staaten mit 54, 6 % den mit Abstand größten Auslandshandelspartner Chinas dar. 545 Die zweitwichtigste Region ist Europa 539
Vgl. China Statistics Press (2008), S. 47. Vgl. Buckley (2004), S. 19f. Vgl. China Statistics Press (2008), S. 707 und Xinhua Press (2008). 542 Vgl. CIA - Central Intelligence Agency (2009). 543 Der Anteil an den Gesamtexporten (in US-Dollar), zum Beispiel von „Machinery and Transport Equipment“ hat sich seit 2000 von 33 % auf 47 % gesteigert, vgl. China Statistics Press (2008), S. 710. 544 Vgl. World Trade Organization (2008), S. 10f und Yusuf/Nabeshima/Perkins (2007), S. 41. 545 Auch an dieser Stelle sei wieder auf den Sonderfall Hongkong hingewiesen, China wickelt alleine mit oder über Hongkong 9 % seines gesamten Außenhandels ab. 540 541
112
Kapitel 3
(19,6 %), wobei Deutschland hier mit Abstand der größte Partner ist und insgesamt 4,3 % des Auslandshandelsvolumens auf sich vereint. Nordamerika ist mit 15,3 % ebenfalls eine sehr wichtige Handelsregion, die weiteren Kontinente spielen mit jeweils weniger als 5 % Handelsvolumen noch keine entscheidende Rolle. Beachtlich ist allerdings die starke Zunahme des Handelsvolumens mit Afrika (gesamt 3,4 %) um 33 % gegenüber dem Jahr 2006, während das Handelsvolumen in den übrigen Regionen „nur“ um 16,7 % gesteigert werden konnte. Dies zeigt, wie stark das Engagement Chinas in Afrika und die damit verbundene wirtschaftliche Verknüpfung zugenommen hat.546
Asien
46,6%
Europa
14,6%
64,9%
19,6% 23,6%
15,3%
Nordamerika
54,6%
8,4%
20,7%
4,7% 4,3% 5,3%
Lateinamerika
4,3% 4,0% 4,7%
Deutschland
3,4% 3,0% 3,8%
Afrika
Total Export
2,3% 1,7% 3,0%
Ozeanien 0%
Impo rt 10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Abbildung 22: Anteil am Auslandshandel mit China. Quelle: China Statistics Press (2008), S. 717ff.
Der wachsende Binnenmarkt ist – neben dem Export - die zweite wichtige Säule für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas. Mit 1,3 Mrd. Menschen ist China nicht nur das mit Abstand größte Land dieser Erde, sondern hat bereits auf Basis der Kaufkraftparität im Jahr 2007 ein BIP in Höhe von 7 Billionen „international Dollars“, womit China bereits den zweiten Platz hinter den USA (13 Billionen „international Dollars“) belegt.547 Das starke Wachstum der Wirtschaft schlägt sich auch in der Lohnentwicklung der Arbeiter und Angestellten nieder, so ist seit dem Jahr 2000 der Reallohn im Durchschnitt um 13 % gewachsen. Der durchschnittliche Jahreslohn liegt bei rund 2.500 €, auch wenn hierbei wieder eine große Diskrepanz zwischen den entwickelten Großstädten und ländlichen
546 547
Vgl. China Statistics Press (2008), S. 717. Vgl. World Bank (2008).
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
113
Regionen festzustellen ist.548 Dennoch profitieren von dem wirtschaftlichen Aufschwung mehr und mehr ländliche Gegenden durch familiäre und staatliche Transferleistungen sowie Verlagerung von Industrie in den Westen. Bis zum Jahr 2010 rechnet man daher mit bis zu 500 Mio. Menschen, die zur kaufkräftigen Bevölkerungsgruppe zählen.549 Neben den großen Absatzchancen, lassen sich in China weiterhin Kostenpotenziale nutzen. Zwar sind die Löhne- und Gehälter in den gut entwickelten Gebieten kontinuierlich stark angestiegen, außerhalb der Ballungszentren arbeiten aber ungefähr 350 Mio. Menschen für einen Bruchteil der Löhne der Stadtbevölkerung.550 Mit Zunahme der Binnennachfrage können Unternehmen auch die Produktivität enorm steigern und Kostenvorteile bei Produktion und Distribution (Skaleneffekte) nutzen. Dadurch lassen sich künftige Kostenanstiege zum Beispiel durch die Sozialversicherung der Arbeitnehmer oder eine Aufwertung der chinesischen Währung (RMB)551 antizipieren.552 Begünstigt durch das neue Niederlassungsrecht für ausländische Unternehmen, das im Jahr 2005 in Kraft getreten ist, können Wertaktivitäten einfacher direkt in eine ausländische WFOE übertragen werden. Für die meisten Branchen wurde der Zwang zum JV mit einem chinesischen Unternehmen aufgehoben.553 3.1.4
Technologische Umweltfaktoren
Die technologischen Rahmenbedingungen beeinflussen nachweisbar die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und bestimmen den Aktionsrahmen für die international tätigen Unternehmen.554 Die Isolation im 20. Jahrhundert hat China Nachteile bei der technologischen Entwicklung gebracht, wie zum Beispiel bei der Ausbildung hoch qualifizierter Ingenieure und Manager. Daher unternimmt China seit der Öffnungspolitik größte Anstrengungen diese Lücke – gerade auch zu anderen Schwellenländern wie Indien – zu
548
Vgl. China Statistics Press (2008), S. 148. Vgl. Zinzius (2006), S. 172. Sie weist an dieser Stelle aber darauf hin, dass dieser große Absatzmarkt auch einem sehr starken Wettbewerb unterliegt. 550 Vgl. Yusuf/Nabeshima/Perkins (2007), S. 42. Zum Beispiel liegt der durchschnittliche Lohn eines Facharbeiters im Staatsunternehmen in Shanghai mit 5.500 € pro Jahr deutlich über dem Lohn eines vergleichbaren Arbeiters in der zentralchinesischen Jiangxi-Provinz mit 1.900 €, vgl. China Statistics Press (2008), S. 148. 551 Die chinesische Währung wird mit RMB abgekürzt und heißt übersetzt „Volkswährung“ (chinesisch: , rénmínbì). Der Wechselkurs am 31.12.2007 betrug 100 RMB = 9,31 €. 552 Die gesamte Untersuchung bezieht sich auf den Zeitraum bis 31.12.2007, da zum Zeitpunkt der Auswertung nur bis zu diesem Stichtag valide und vergleichbare Zahlen vorliegen. Aktuellste Entwicklungen, wie zum Beispiel die Umsetzung der verpflichtenden Sozialversicherung am 01.01.2008, die teilweise zur Steigerung der Arbeitskosten um bis zu 50% beitrug, sind darin nicht berücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die Aufwertung des RMB gegenüber des EURO um 30% innerhalb dreier Monate (Sommer und Herbst 2008). 553 Vgl. bfai (2007). 554 Vgl. Fan/Watanabe (2006), S. 318f. Diesen Zusammenhang konnten Fan/Watanabe mit einer numerischen Betrachtung speziell für China nachweisen. 549
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Kapitel 3
schließen.555 Dazu zählen zum einen die Infrastruktur (Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur) und zum anderen der Bildungsgrad, bzw. die fachliche Qualifikation der Arbeitskräfte. Infrastruktur Seit Beginn der Öffnungspolitik 1978 hat die chinesische Regierung viel Geld in den Aufbau moderner Infrastruktur investiert. Während in den ersten beiden Dekaden vor allem die Küstenregionen davon profitierten, nicht zuletzt durch den Bau modernster Seehäfen, wird seit dem Jahr 2003 gezielt auch in Westchina investiert.556 Die Verkehrsinfrastruktur in Ostchina ist bereits gut ausgebaut, gemessen an den Autobahnkilometern, den Flughäfen und Seehäfen. So gibt es in den Küstenprovinzen bereits 18.900 Kilometer Autobahnen, was einem Gesamtanteil von 35 % am Autobahnnetz Chinas entspricht. Ein Schwerpunkt der Infrastrukturinvestitionen der vergangenen Jahre lag auf Seehäfen, denen im Export- und Importgeschäft eine besondere Bedeutung zukommt. Gemessen am Containerumschlag, waren im Jahr 2007 unter den 15 größten Seehäfen der Welt bereits sechs chinesische vertreten.557 Es wird erwartet, dass Shanghai durch den Neubau des Yangshan Hafens bis 2010 zum größten Seehafen der Welt wachsen wird. Bedingt durch die geringe Anzahl an tiefen Flüssen, beschränkt sich die Binnenschifffahrt für größere Schiffe auf drei Flüsse und zwei Kanäle, um Güter ins Hinterland oder aus dem Hinterland zu transportieren. Die vom Statistikamt angegebene Gesamtlänge (123.500 Kilometer) von beschiffbaren Binnenflüssen ist irreführend, da sie sich nur auf kleine Schiffe bezieht. Ab dem Jahr 2009 können große Schiffe allerdings den YangtzeFluss bis zum Industriezentrum Chongqing in Zentralchina, befahren, was durch den Bau des Drei-Schluchten-Staudamms möglich geworden ist.558 Eine Schwachstelle für den Gütertransport stellt bislang die Eisenbahn dar, die nur über 25.794 Kilometer zweigleisige Strecken (insgesamt 77.966 Kilometer Streckennetz) 559 verfügt. Da dem Personenverkehr und dem Transport von wichtigen Gütern (zum Beispiel Kohle) Vorrang eingeräumt wird, kommt es zu langen Verzögerungen beim nachrangigen Güterverkehr. Für den Zeitraum 2006 bis 2010 wurde daher die Investitionssumme in das Eisenbahnnetz auf insgesamt rund 136 Mrd. € vervierfacht.560
555
Vgl. Buckley (2004), S. 18. Mit der „Go-West“ Initiative möchte die Regierung die infrastrukturellen Voraussetzungen schaffen, dass mehr Unternehmen im Westen investieren. 557 Hongkong, Shanghai, Shenzhen, Qingdao, Ningbo und Guangzhou, vgl. Loyd's MIU (2008), S. 8. 558 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 604. 559 Vgl. China Statistics Press (2008), S. 604ff. 560 Vgl. O.V. (2008a), S. 30. 556
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
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Auch im Bereich der Kommunikationsinfrastruktur hat China große Fortschritte erzielt, Dank enormer Investitionen durch die Telekommunikationsunternehmen. 561 Das Telefon- und Mobilfunknetz ist mittlerweile flächendeckend ausgebaut und zählt zu den größten auf der Welt. Ende 2006 gab es in China 461 Mio. Mobilfunknutzer. Auch die Anzahl der Internetnutzer wächst seit Jahren stetig, im Jahr 2007 auf 162 Mio. Allerdings werden hier die großen Unterschiede zwischen Stadt und Land offensichtlich. Während in den Städten mittlerweile rund 20 % der Bevölkerung das Internet nutzen – knapp die Hälfte davon sogar über schnelle Breitbandverbindungen – sind es auf dem Land nur 5,1 %.562 Ähnlich wie bei der Verkehrsinfrastruktur ist die Kommunikationsinfrastruktur in den östlichen Regionen schon vergleichsweise gut entwickelt. Die internationale Kommunikation durch das Internet ist allerdings durch Eingriffe von Kontrollbehörden erschwert, was teilweise zu Verzögerungen bei Emails führen kann. Forschungsinvestitionen und Wettbewerbsfähigkeit Ein wichtiger Indikator zum internationalen Vergleich der technologischen Entwicklung ist die Höhe der landesweiten Ausgaben in Forschung & Entwicklung, prozentual gemessen am BIP. Gefördert wird die technologische Entwicklung der chinesischen Wirtschaft durch gezielte staatliche Förderprogramme, die in den vergangenen Jahren zum Ausbau der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten geführt haben. 563 Im Jahr 2007 hat China rund 38 Mrd. € und damit 1,5 % seines BIP investiert.564 Darin enthalten sind Investitionen in Forschungsinstitute, das Bildungssystem sowie die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen. International ist China damit noch weit hinter entwickelten Ländern zurück (z.B. USA 2,67 %, Japan 3,02 % oder Deutschland 2,55 %565). Allerdings lag der Anstieg bei 22,5 % gegenüber dem Vorjahr, was die großen Anstrengungen der chinesischen Regierung unterstreicht. Nach einem Masterplan sollen die Investitionen in diesem Bereich bis 2020 auf 2,5 % des BIP angehoben werden.566 Die Wettbewerbsfähigkeit Chinas als Technologiestandort ist weiterhin durch einen Mangel an lokalem Management-Know-how beschränkt. Dies verhindert eine stärkere Lokalisierung von Wertaktivitäten, besonders in der Optimierung ganzheitlicher Prozesse entlang der Wertschöpfungskette. Li-Hua weist aber darauf hin, dass chinesische Manager westliches Wissen kontinuierlich adaptieren, nicht zuletzt über erfolgreiche Kooperationsunternehmen wie Shanghai Volkswagen. Darüber hinaus gibt es erste große 561
Allein im Jahr 2006 investierten die staatlichen Unternehmen zusammen rund 83 Mrd. € in den Ausbau der Infrastruktur, vgl. EMFIS (2008), S. 15ff. 562 Vgl. O.V. (2008b). 563 Vgl. Li-hua (2007), S. 106f. 564 Vgl. China Statistics Press (2008), Kapitel 7-6. 565 Vgl. BMBF (2005). 566 Vgl. Zhu/Gong (2008), S. 293ff.
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Kapitel 3
Akquisitionen chinesischer Firmen, zum Beispiel der Kauf der PC Sparte von IBM durch Lenovo.567 Die Effekte von westlichem Know-how, der Unterstützung durch die Regierung und exzellente international tätige Unternehmen, die China in ihre weltweite Technologiestrategien einbeziehen, könnte Chinas Wettbewerbsfähigkeit in Zukunft erheblich steigern.568 Fachliche Qualifikation von Arbeitskräften Das Schulsystem Chinas basiert auf einer flächendeckenden neunjährigen Schulpflicht, was es mit dem europäischen vergleichbar macht.569 Dank enormer Investitionen durch die Zentralregierung in besonderen Ausbildungsförderprojekten nimmt die Zahl an High-School-570 und Universitätsstudenten stetig zu; mittlerweile studieren mehr als 12 Mio. Studenten an Universitäten.571 Bei den 440.000 Masterabsolventen ist ein eindeutiger Schwerpunkt im Bereich Ingenieurwesen zu erkennen (19 %), die Regierung möchte damit vor allem die technologische Entwicklung des Landes fördern. Aufgrund eines auf Auswendiglernen fokussierten, verschulten Systems an den Universitäten, fehlender fachlicher Vertiefung sowie mangelnder Praxiserfahrung gelingt es der Hochschulausbildung allerdings nicht, die Bedarfe der Industrie zu decken. Es fehlt an international ausgebildeten und praktisch erfahrenen Fachkräften, mit einem umfassenden Verständnis für organisatorische Abläufe und strategischen Fähigkeiten. Besonders Master-Absolventen benötigen eine lange Einarbeitungszeit, so dass Unternehmen keine jungen Absolventen mehr einstellen wollen und die Zahl der arbeitslosen Jungakademiker stetig zunimmt.572 Als Konsequenz hat die Regierung die Zahlen der Masterabsolventen pro Professor streng limitiert. Durch internationale Kooperationen mit anderen Universitäten versuchen sich die chinesischen Elite-Hochschulen zu verbessern und international wettbewerbsfähig zu werden. Zudem ist zu beobachten, dass immer mehr chinesische Studenten im Ausland studieren wollen und nach einem abgeschlossenen Studium in das Heimatland zurückkehren.573 567
Vgl. Li-hua/Khalil (2006), S. 17f. Als weiteres bekanntes Beispiel nennen Li-Hua und Khalil die Übernahme von British MG Rover durch Nanjing Automobile. 568 Vgl. Lieberthal/Lieberthal (2004), S. 24; Li-hua (2007), S. 109ff und Rovai (2008), S. 182f. 569 Vgl. und im Folgenden Dull (2007), S. 346ff. 570 Die High-School entspricht der dreijährigen Oberstufe eines deutschen Gymnasiums und ist nicht verpflichtend. 571 Vgl. und im Folgenden Brandenburg/Zhu (2007), S. 16ff und China Statistics Press (2008). Seit 1995 wurden mehr als 5 Mrd. € investiert, um einen Bildungszugang für die gesamte Bevölkerung zu schaffen, vor allem durch Erhöhung der Kapazitäten und Entwicklung von Schlüsseldisziplinen. Insgesamt werden 39 Elite-Universitäten gefördert, mit dem Ziel, diese auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu heben. 572 Vgl. Li-hua/Khalil (2006), S. 23 und Jolmes (2009). 573 Vgl. Dull (2007), S. 347f und Tümis/Shen/Mohr (2007), S. 245. Zwischen 1978 und 2002 sind offiziell 580.000 Studenten im Ausland gewesen, von denen 150.000 wieder nach China zurückgekehrt sind. Die in-
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Einen noch größeren Bedarf an qualifizierter Ausbildung gibt es im Bereich der Facharbeiter. Eine duale Berufsausbildung wie in Deutschland, die sich an den Bedürfnissen der Unternehmen orientiert, gibt es in China nicht.574 „Facharbeiter“ sind häufig nur eingelernte Arbeitskräfte, ein flächendeckendes System zur Aus- und Weiterbildung fehlt. Ein Pionierprojekt in diesem Bereich hat die AHK Shanghai in Kooperation mit mehreren deutschen Automotive-Firmen gestartet. In Taicang 575 werden in einem eigenen Trainingscenter chinesische Schulabsolventen zum Mechatroniker entsprechend des deutschen Systems ausgebildet. Zu den Qualitätsproblemen in der Aus- und Weiterbildung kommen noch spezifische Probleme des chinesischen Arbeitsmarktes. Aufgrund des „Hukou-Systems“ gibt es für chinesische Staatsbürger keine Freizügigkeit und somit können sie nicht frei entscheiden, wo sie leben und arbeiten möchten. 576 Während das Hukou-System mittlerweile aber deutlich gelockert wurde, wird es noch viele Jahre dauern, bis die strukturellen Probleme der mangelhaften Ausbildung und mangelnden Innovationskraft gelöst werden können.577 Marktdaten Zur richtigen unternehmerischen Entscheidung sind zuverlässige Marktdaten unersetzlich. Gesetze und staatliche Kontrolle verhindern in China allerdings, dass vollständige, repräsentative und aktuelle Zahlen erhoben werden können. Die Daten des staatlichen „National Bureau of Statistics“ sind – jedenfalls in der Detailbetrachtung – mit äußerster Vorsicht zu genießen, da die meisten Zahlen direkt von Parteikadern aus den Provinzen gemeldet werden. Ob diese zum eigenen Vorteil manipuliert wurden, lässt sich jedenfalls nicht ausschließen. Umfassende Konsumentenbefragungen durch unabhängige Institute sind in China nicht uneingeschränkt möglich, außerdem ist es fraglich, ob die westlichen Befragungsmethoden im chinesischen Kulturkreis funktionieren. Die mangelnde Erfahrung in empirischer Daten- und Marktforschung sowie die Größe und Komplexität des Landes erschweren die Datenerhebung zusätzlich.578 Zusammenfassend zeigen die technologischen Umweltfaktoren, dass China insgesamt zwar immer noch als Niedrigtechnologie-Land eingestuft werden muss, dank starker Förderung aber in einigen Bereichen, zum Beispiel der Informations- und Kommunikaoffiziellen Zahlen an Auslandsstudenten dürften aber weit höher sein, da viele ihr Auslandsstudium privat finanzieren, was in der offiziellen Statistik nicht erfasst wird. Darüber hinaus ist der Trend zur Rückkehr nach einem abgeschlossenen Studium in den vergangenen Jahren stark ansteigend, vgl. Tümis/Shen/Mohr (2007), S. 245. 574 Vgl. Kausch (2007), S. 270. 575 „Automobil-Stadt“ in der Nähe von Shanghai. 576 Vgl. Zinzius (2006), S. 113ff und Dull (2007), S. 349. 577 Vgl. Lieberthal/Lieberthal (2004), S. 26. 578 Vgl. Rommel (2007), S. 348ff. Hier finden sich auch Quellen für verlässliche Daten.
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tionstechnologie, bereits Hightech produzieren kann.579 Die Anstrengungen bei Investitionen in Ausbildung der Arbeitskräfte unterstreichen das Streben Chinas nach einem insgesamt höheren technologischen Niveau. 3.1.5
Rechtliche Rahmenbedingungen und Bürokratie
Unternehmen, die Wertaktivitäten nach China verlagern, sind darauf angewiesen, ihr eigenes Know-how zu schützen. Dabei kommen sie zwangsläufig mit dem chinesischen Wirtschaftsrecht und den Bestimmungen zum Patent- und Markenschutz in Berührung. Fraglich ist, inwieweit in China rechtliche Ansprüche mit Sicherheit durchgesetzt werden können. Die Umsetzung der Gesetze erfolgt im Wesentlichen über die Verwaltungsorgane, wobei Korruption weiterhin ein großes Problem darstellt. Der folgende Abschnitt skizziert den rechtlichen und bürokratischen Rahmen, in dem die in China tätigen Unternehmen agieren.580 Rechtsstaat und Rechtssicherheit Mit der Öffnungspolitik wurde begonnen, ein umfassendes Rechtssystem in Anlehnung an das europäische und anglo-amerikanische Recht zu schaffen.581 Seit dem 15. Parteikongress 1997 bezeichnet sich China offiziell als „sozialistischer Rechtsstaat“582, wobei im Gegensatz zum liberalen Verfassungsstaat583, weiterhin der Primat der Politik gilt. Eine de facto fehlende, sich gegenseitig kontrollierende Gewaltenteilung ist ein Beleg dafür, dass es sich bei China eher um einen „politischen Staat mit Tendenz zur Verrechtlichung“584 handelt. Die formale rechtsstaatliche Ordnung, die in den Jahren geschaffen wurde, dient primär der Absicherung der wirtschaftlichen Entwicklung und dadurch dem Machterhalt der kommunistischen Partei.585 Chinas Gesetze sind eher als „Rahmenbedingungen“ zu verstehen, die von den Richtern zur Anwendung ausgelegt werden. Zwar wurde seit der Revision des Gerichtsorganisationsrechts im Jahre 1983 die Unabhängigkeit der Gerichte gestärkt, trotzdem mischen sich Verwaltungsorgane und regionale Volkskongresse immer wieder in richterliche Entscheidungen ein. Zudem werden Richter von den Volkskongressen gewählt und von
579
Vgl. Li-hua (2007), S. 107. Alle in diesem Abschnitt verwendeten Verweise auf chinesische Gesetze und Normen beziehen sich auf die deutschen Übersetzungen von Prof. Dr. Frank Münzel, vgl. Münzel (2009). 581 Eine besonders enge Zusammenarbeit pflegt die chinesische Regierung in diesem Punkt mit der Bundesrepublik Deutschland im „Chinesisch-Deutschen Rechtsdialog“. 582 Chinesisch: (shèhuìzhǔyì fǎzhìguójiā). 583 Der Betrachtung liegt folgende Definition von Rechtsstaatlichkeit zu Grunde: „Ausübung staatlicher Macht nur auf Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit“, Ahl (2005), S. 25. 584 Ahl (2005), S. 30. 585 Vgl. und im Folgenden Ahl (2005), S. 30; Zinzius (2006), S. 153f und Werner (2007), S. 169f. 580
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der Verwaltung bezahlt, was eine persönliche Abhängigkeit der Richter nach sich zieht. Klagen gegen Verwaltungsorgane sind damit faktisch aussichtslos586 und die Durchsetzung von Rechtstiteln erweist sich als äußerst schwierig. 587 Allgemein wird von der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens in China abgeraten und die Vereinbarung über (internationale) Schiedsgerichte empfohlen.588 Wirtschaftsrecht und intellectual property rights (IPR) Im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung lag ein Schwerpunkt der Reformen im Wirtschaftsrecht sowie Patent- und Markenrecht zum Schutz von geistigem Eigentum. Im Rahmen des Beitritts zur WTO im Jahr 2001 musste China viele Gesetze im Wirtschaftsrecht den internationalen Standards der WTO-Mitgliedsländer anpassen und seinen Markt für ausländische Investoren öffnen. Bis zum Jahr 2007 hat China viele seiner Verpflichtungen zur Anpassung des Rechtssystems erfüllt. Allerdings sind die Umsetzung der Bestimmungen zum intellectual property right und die Aufhebungen aller Beschränkungen für ausländische Unternehmen weiterhin kritisch zu betrachten.589 Zur Erfüllung der internationalen Bedingungen wurden teilweise neben den bestehenden chinesischen Normen spezielle, abweichende Gesetze für ausländische Investoren und Unternehmen geschaffen, die insgesamt zu einer schwierig durchschaubaren, sich teilweise widersprechenden Gesetzeslage führen. Die Auslegung obliegt im Einzelfall den Behörden und Gerichten, was zu erheblichen Differenzen in den unterschiedlichen Provinzen führen kann.590 Die größten Probleme gibt es in China weiterhin mit dem Schutz von Know-how, geistigem Eigentum und Marken.591 Zwar können seit 1993 Patente und Marken in China gesetzlich geschützt werden592, in der Praxis sind aber immer noch massive Urheberrechts-
586
Ahl verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es in China keine eigenständigen Verwaltungsgerichte gibt, vgl. Ahl (2008), S. 93. Nur 1,8% aller Gerichtsverfahren sind Verwaltungsklagen. Im Jahr 2004 wurden 92.913 erstinstanzliche Verwaltungssachen zur Entscheidung angenommen, davon 30,5% durch Klagerücknahme beendet. Als Gründe nennt Ahl unter anderem behördliche Einflussnahme auf die Verfahren, Unwissenheit oder Angst der Bürger, vgl. Ahl (2008), S. 96f. 587 Vgl. Ahl (2005), S. 28; Zinzius (2006), S. 147ff und Holtbrügge/Puck (2008), S. 14ff. 588 Vgl. Glück/Semler (2006), S. 442. 589 Vgl. Mahncke (2008), S. 225. 590 Vgl. Holtbrügge/Puck (2008), S. 18. Eine detaillierte Auflistung der Gesetze, von denen international tätige Unternehmen in China betroffen sind, findet sich bei Zinzius (2006), S. 146. 591 Rommel verweist auf die kulturelle Besonderheit, dass ein Plagiat für den Erfinder des Originals als Kompliment verstanden wurde: „Jemand fand die Idee so gut, dass er sie für wert hielt, nachzumachen“, Rommel (2007), S. 354. 592 Siehe Ausführungsvorschriften zum Urheberrecht und Markenschutz vom August 2002. Zudem ist China seit den Neunziger Jahren einigen Organisationen beigetreten, die geistiges Eigentum beschützen, unter anderem der Madrider Vereinbarung über Markenzeichen 1992, der Locarno Vereinbarung für industrielles Design 1996 sowie der Straßburger Vereinbarung von Patentklassifizierungen. China nahm auch an den TRIPS-Verhandlungen („Trade Related Intellectual Property Rights“) in Uruguay teil, und ratifizierte das Protokoll, vgl. Zinzius (2006), S. 147.
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verletzungen – teilweise unter Duldung lokaler Behörden – zu beklagen. Erst in der jüngsten Vergangenheit greift die Regierung härter durch, vernichtet gezielt Fälscherwerkstätten und erstmals werden auch Händler von gefälschten Produkten zu hohen Strafen verurteilt.593 Diese Entwicklung ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass immer mehr chinesische Unternehmen von Produktpiraterie betroffen sind und durch gefälschte Markenware zahlreiche Chinesen bereits gesundheitliche Schäden erlitten haben.594 In der jüngsten Vergangenheit sind in zwei wichtigen Bereichen Fortschritte erzielt worden: Nach über zehnjähriger Diskussion ist seit dem 01.01.2008 ein Eigentumsrecht in Kraft, welches den chinesischen Bürgern erstmals das Recht auf Privateigentum einräumt. Deutliche Verbesserungen gab es auch im Bereich des Arbeitsrechts. Das heutige Arbeitsgesetz ist zwar seit dem 01.01.1995 gültig, aber erst mit den neuen Bestimmungen seit dem Jahr 2008 gibt es die Möglichkeit für die Arbeiter, ihre Rechte wirksam durchzusetzen. Dies wird vermutlich zu steigenden Anforderungen im MitarbeiterRecruiting und zu erheblichen Kostensteigerungen führen.595 Bürokratie Da viele Geschäftsvorgänge ausländischer Investoren besonderen Genehmigungs- und Registrierungsverfahren unterliegen, viele lokale Verwaltungen aber die Gesetzeslage unterschiedlich auslegen, stellt der Umgang mit Behörden eine besondere Herausforderung dar.596 Besonders Zoll- und Steuerbehörden handeln in vielen Regionen willkürlich, zumal sich Verzollungsvorschriften in sehr kurzen Abständen ändern.597 Ob sich Unternehmen im Zweifel auf die bestehenden Gesetze und Verordnungen verlassen können, ist nicht sicher, gute persönliche Beziehungen sind in jedem Fall hilfreich.598 Korruption Korruption lässt sich nicht pauschal definieren, da sie ihre Gestalt den kulturellen, historischen, politischen und rechtlichen Bedingungen jedes Landes anpasst. Während im westlichen Kulturkreis jeglicher Versuch der Einflussnahme mittels materieller oder immaterieller Zuwendungen als (versuchte) Bestechung gilt, spielen gerade die immateriellen Zuwendungen in China eine wichtige Rolle. Sie werden als „Schmiermittel“ für den reibungslosen Lauf der Beziehungen angesehen. Nur monetäre Zuwendungen gelten 593
Vgl. O.V. (2007a). Vgl. Zinzius (2006), S. 150. 595 Vgl. Zinzius (2006), S. 134ff; Messmann (2008), S. 113ff und Rovai (2008), S. 185f. 596 Vgl. Glück/Semler (2006), S. 439 und Rommel (2007), S. 330. 597 Den besonders dramatischen Fall eines deutschen Unternehmers schildert Frank Sieren in seinem Zeitungsartikel, der vor allem das Zusammenspiel von Zollfahndung, Staatsanwaltschaft und Justiz aufdeckt, vgl. Sieren (2008b). 598 Vgl. Zinzius (2006), S. 127. 594
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121
als Bestechung und daher sieht das chinesische Anti-Korruptionsgesetz keine Verfolgung bei immateriellen Geschenken vor.599 Historisch betrachtet liegen die Wurzeln der Korruption in China in der GuanxiTradition, bei der Zuwendungen im privaten und geschäftlichen Bereich als Grundlage für die harmonische Beziehung angesehen werden. Auch heute ist Korruption eng mit Guanxi verflochten.600 Begünstigt wurde die Korruption auch durch die Öffnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, die zum einen Wohlstand bei Privatleuten förderte, zugleich aber Entscheidungen auf regionale Ebenen dezentralisierte. Das regionale Kadersystem des kommunistischen Chinas ist stark anfällig für Korruption.601 Mit dem zehnten Fünf-Jahresplan hat die chinesische Zentralregierung die große Kampagne „Anti-corruption for integrity“ gestartet, um die Korruption einzudämmen. Im Rahmen der Kampagne wurde die Anti-Korruptionsbehörde besser ausgestattet. Das konsequente Durchgreifen des Staates sollte deutlich werden.602 Im Jahr 2005 wurden 115.000 Parteimitglieder wegen Korruption belangt.603 Immer häufiger werden also hohe Partei- und Staatsfunktionäre wegen Korruption strafrechtlich verfolgt. Besonders öffentlichkeitswirksam war der Fall des früheren Chefs der pharmazeutischen Genehmigungsbehörde Zheng Xiaoyu. Er hat über 10 Jahre lang Schmiergelder in einer Höhe von insgesamt 650.000 € von acht Pharmaunternehmen kassiert. Das Gericht bezog sich auf den erheblichen Schaden, der dem Land und seinen Bürgern durch diese Korruption entstanden sei und verurteilte ihn zum Tode.604 Trotz des harten Durchgreifens der offiziellen Politik, erscheint Korruption weiter allgegenwärtig und erfasst sogar die Einrichtungen, die eigentlich zur Bekämpfung des Verbrechens berufen sind, wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte. Größtes Problem für eine objektive Beurteilung der Korruption ist, dass die offiziellen Zahlen, die in China veröffentlicht werden, wohl nicht mit der Realität übereinstimmen. Wedemann versucht diese Abweichung mit Hilfe mathematischer Methoden auf Basis der Daten seit 1980 zu ermitteln.605 Das Problem der Datenerhebung liegt nicht zuletzt darin begründet, 599
Vgl. Yu (2005), S. 148ff und Zinzius (2007), S. 104f. Yu differenziert die Definitionen von Korruption nach der moralistisch-normativen Perspektive, der funktionalen Sicht, der legalistischen Perspektive, dem institutionalistischen Ansatz und der Theorie der Interessenmaximierung, vgl. Yu (2005), S. 148ff. 600 Vgl. Luo (2008), S. 188ff. 601 Vgl. Yu (2008), S. 170. Neben dem Guanxi-System hat die Autorin in einer Literature Review noch weitere Gründe, wie zum Beispiel „schwache soziale Kontrolle“, „strukturelle Deformation“ und „Chancen auf Grund der Systemstruktur“ als Ursache für Korruption in China analysiert, vgl. Yu (2008), S. 170ff. 602 Vgl. O.V. (2001). 603 Die Strafen reichen dabei von offener Kritisierung, über einen Parteiausschluss bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung. 604 Vgl. O.V. (2007b). Das Urteil wurde eine Woche nach der Urteilssprechung vollstreckt. Weitere Beispiele für Verurteilung hochrangiger Wirtschaftsvertreter wegen Korruption finden sich bei Zinzius (2007), S. 109. 605 Vgl. und im Folgenden Wedemann (2008), S. 7ff. Er spricht von “actual rate of corruption” (ARC) und “revealed rate of corruption” (RRC).
122
Kapitel 3
dass die Statistikämter den Behörden unterstehen, die wiederum von Korruption selbst betroffen sind. Auch wenn Wedemann sein Ergebnis nur als Vermutung formulieren kann, geht er von einem starken Anstieg der tatsächlichen Korruptionsrate aus. Ein Ergebnis, welches viele Unternehmer bestätigen können, die von einem steigenden Prozentsatz der Kosten sprechen, die sie für Bestechungsgelder aufwenden müssen.606 Es ist also davon auszugehen, dass die Korruption erhebliche Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und auf die Investitionsentscheidung von Unternehmern hat. Dementsprechend fordert Yu schnellstmöglich entsprechende Erweiterungen der gesetzlichen Grundlage, die eine striktere Bekämpfung ermöglichen würden. In Zeiten von global agierenden Großunternehmen und global vernetzten Supply Chains ist Korruption aber ein weltweites Problem, welches letztendlich nur durch internationale Zusammenarbeit der Staaten gelöst werden kann.607 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Rechtssystem Chinas schon erhebliche Fortschritte gelungen sind, weiterhin aber noch Defizite insbesondere in der Rechtsdurchsetzung bestehen. International tätige Unternehmen sind in unterschiedlichem Ausmaße betroffen von den Rechtsunsicherheiten, dem faktisch noch sehr unsicheren Marken- und Patentschutz, sowie den Marktrisiken in Form von Korruption, Bürokratie und Zoll. 3.2 International tätige deutsche Unternehmen In diesem Kapitel wird Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft untersucht und daraus der Internationalisierungsgrad deutscher Unternehmen abgeleitet. Die Aktivitäten deutscher Unternehmen in China werden dann anhand allgemeiner Fallbeispiele vorgestellt und schließlich deren Ressourcen und Fähigkeiten herausgearbeitet. 3.2.1
Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft
„Die Bundesrepublik Deutschland verdankt in noch höherem Maße als die anderen Nationen dem internationalen Leistungsaustausch Wohlstand und sozialen Frieden.“608 Deutschland ist sehr stark mit der Weltwirtschaft verflochten, da viele – gerade auch mittelständische - Industrieunternehmen weltweit in ihrem Produktsegment in Technologie und Qualität führend sind. Entsprechend werden rund ein Drittel des deutschen Brut-
606
Vgl. Zinzius (2007), S. 109. Vgl. Yu (2005), S. 683. 608 Müller/Kornmeier (2002), S. 101. 607
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
123
toinlandsprodukts über Exporte erwirtschaftet, was Deutschland seit vielen Jahren zum „Exportweltmeister“609 macht.610 Während deutsche Großunternehmen schon seit dem 19. Jahrhundert global tätig sind, entscheiden sich in den vergangenen Jahren immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen, Wettbewerbsvorteile durch Verlagerung von Wertaktivitäten ins Ausland zu sichern. Die Voraussetzungen dafür bieten die verbesserte Kommunikationstechnologie und günstige Logistikkosten, die es Unternehmen heutzutage ermöglichen, mit geringem Ressourceneinsatz weit entfernte Märkte zu erschließen. Darüber hinaus kann für Unternehmen die Verlagerung von Wertaktivitäten notwendig werden, zum Beispiel durch zunehmenden globalen Wettbewerb oder für Zulieferer großer Unternehmen. 611 Die Verlagerung von Wertaktivitäten ins Ausland wird dabei immer wieder in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert und viele Bürger empfinden die Globalisierung mittlerweile als Bedrohung für den Standort Deutschland. Die gefühlte Angst, vor allem der Arbeitnehmer, steht aber im Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis, dass die Verlagerung von Wertaktivitäten nicht in gleichem Maße zu einem Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland führt.612 Müller/Kornmeier belegen anhand empirischer Studien sogar, dass positive Beschäftigungseffekte durch eine zusätzliche Exportnachfrage aufgrund von Verlagerung einiger Wertaktivitäten entstehen können. Gerade für die Ausnutzung von Absatzpotentialen in fremden Ländern ist die Verlagerung notwendig, denn „Auslandsmärkte [lassen sich] nur dann auf Dauer halten, wenn in dem entsprechenden Land investiert wird.“613 Auch die DIHK analysierte bei ihren 8.000 Mitgliedsunternehmen überdurchschnittliche Investitions- und Beschäftigungspläne fürs Inland, bei allen Unternehmen, die gleichzeitig im Ausland investieren wollen.614 Seit dem Jahr 2000 ist eine deutliche Zunahme von Investitionsvorhaben bei deutschen Unternehmen zu verzeichnen. So nahm bei den Industrieunternehmen, die sich an der DIHK-Umfrage beteiligten, die Zahl der Unternehmen, die im Folgejahr im Ausland investieren wollen, um 5 % auf insgesamt 41 % zu. Im Vergleich zum Vorjahr planten in 2008 40 % höhere Investitionen, während nur 11 % die Investitionen verringern wollten.615 Die zunehmende Verlagerung von Wertaktivitäten deutscher Unternehmen kommt besonders in der Zahlungsbilanz für Direktinvestitionen des Bundeswirtschaftsministe609
Der Titel bedeutet, dass Deutschland das Land mit dem absolut höchsten Exportanteil ist, vgl. IWF (2008). Vgl. und im Folgenden Welge/Holtbrügge (2006), S. 20ff und Müller/Kornmeier (2002), S. 101ff. 611 Vgl. Fieten (2002), S. 779ff und Kutschker/Schmid (2008), S. 193ff. 612 Vgl. Fieten (2002), S. 794. 613 Müller/Kornmeier (2002), S. 103. 614 Vgl. DIHK (2008), S. 2. 615 Vgl. DIHK (2008), S. 1. 610
124
Kapitel 3
riums (BMWi) zum Ausdruck. Deutsche Unternehmen haben im Jahr 2007 insgesamt 124 Mrd. € direkt im Ausland investiert, davon 73 % in den EU-Ländern. In den vergangenen Jahren ist eine erhebliche Steigerung der Gesamtinvestitionen zu verzeichnen. Umgekehrt profitiert der Standort Deutschland nicht annähernd so stark von Investitionszuflüssen ausländischer Unternehmer. Mit rund 38 Mrd. € bleiben die ausländischen Investitionen weit hinter den Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland zurück.616 Dennoch fordert Fieten zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen noch stärkere Internationalisierung der Unternehmen, da „steigende Direktinvestitionen deutscher Unternehmungen im Ausland in einer sich liberalisierenden Weltwirtschaft mit gleichzeitig wachsenden Exportaktivitäten einhergehen.“617 3.2.2
Internationalisierung deutscher Unternehmen
Trotz des hohen Anteils der deutschen Wirtschaft am globalen Außenhandel, ist der Anteil der Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen im weltweiten Vergleich verhältnismäßig gering. Wie in Tabelle 4 zu sehen, findet sich das größte deutsche Unternehmen (Volkswagen AG) erst auf Platz 11 der weltweiten Rangliste. Zum Beispiel erzielt Volkswagen bereits 72 % der Umsätze im Ausland, der Anteil ausländischer Anlagen liegt aber nur bei 49 %. Im Vergleich zum Durchschnitt der ersten zehn Unternehmen ist der Anteil der Anlagen deutlich geringer (67 %), die Auslandsverkäufe von VW sind allerdings weit über dem Durchschnitt (59 %). Dies spiegelt die Situation deutscher Unternehmen in der Weltrangliste wider, da im Durchschnitt der Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz der sieben größten deutschen Unternehmen deutlich höher ist als der Anteil des ausländischen Anlagevermögens am Gesamtanlagevermögen und als der Anteil der im Ausland beschäftigten Mitarbeiter an der Gesamtanzahl der Beschäftigen.618 Anhand dieser Werte wird die hohe Standortbindung deutscher Unternehmen offensichtlich, die durch starke Gewerkschaften und einen ausgeprägten Arbeitnehmerschutz in Deutschland noch verstärkt wird. Aufgrund dieser historisch gewachsenen Standortbindung und Versäumnissen in der Internationalisierung, ist die Verlagerung von Wertaktivitäten in fremde Länder für die traditionell exportorientierten Unternehmen in den vergangenen Jahren zur entscheidenden Strategie bei der Absicherung ihrer künftigen Wettbewerbsposition geworden. Auch
616
Vgl. BMWi (2008), S. 9 und S. 22. Als Direktinvestitionen gelten für diese Statistik Finanzbeziehungen zu in- und ausländischen Unternehmen, an denen der Investor 10% oder mehr der Anteile oder Stimmrechte unmittelbar hält. 617 Fieten (2002), S. 794. 618 Vgl. Welge/Holtbrügge (2006), S. 136f.
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
125
wenn einige Unternehmen weiterhin bewusst auf eine Internationalisierung verzichten, scheint allgemein der Trend zur globalen Verlagerung von Wertaktivitäten für deutsche Unternehmen nicht mehr umkehrbar.619 Ranking by foreign assests Corporation
Home economy USA
Industry Electrical & electronic equipment
Assets
Sales
staff
[%]
[%]
[%]
60%
37%
46%
1
General Electric
2
Vodafone
UK
Telecommunications
96%
85%
80%
3
Ford Motor
USA
Motor vehicles
59%
42%
46%
4
Gerneral Motors
USA
Motor vehicles
36%
31%
35%
5
British Petroleum
UK
Petroleum
80%
82%
83%
6
Exxon Mobile
USA
Petroleum
69%
70%
50%
7
Royal Dutch/Shell
UK/NL
Petroleum
67%
64%
84%
8
Toyota Motor Corp.
Japan
Motor vehicles
53%
60%
36%
9
Total
France
Petroleum
86%
81%
56%
10
France Telecom
France
Telecommunications
65%
41%
40%
11
Volkswagen AG
Germany
Motor vehicles
49%
72%
48%
12
Sanofi-Aventis
France
Pharmaceuticals
79%
83%
71%
13
Deutsche Telekom
Germany
Telecommunications
54%
66%
30%
14
RWE Group
Germany
Electricity, gas and water
62%
45%
43%
15
Suez
France
Electricity, gas and water
86%
77%
63%
16
E.on
Germany
Electrical & electronic equipment
47%
36%
45%
17
Hutchison Whaopa
HK, China
Diversified
80%
74%
84%
18
Siemens AG
Germany
Electrical & electronic equipment
61%
63%
62%
19
Nestlé SA
Switzerland
Food & beverages
85%
98%
97%
20
Electricité de France
France
Electricity, gas and water
33%
32%
32%
24
BMW AG
Germany
Motor vehicles
61%
73%
67%
25
Daimler Chrysler
USA/GER
Motor vehicles
22%
39%
26%
44
Deutsche Post
Germany
Transport and storage
16%
48%
39%
Tabelle 4: Größte Unternehmen sortiert nach dem Anteil an Auslandsinvestitionen. Quelle: Fuchs/Apfelthaler (2009), S. 54f.
Ziel der Verlagerung von Wertaktivitäten sind zum einen die Erschließung von Absatzpotenzialen in wichtigen Auslandsmärkten und zum anderen die Nutzung von Kostenpotentialen aufgrund internationaler Faktorkostenunterschiede. Damit verbunden sind die strategischen Motive der Realisierung von Skalen-, Verbund- und Lerneffekten, sowie
619
Vgl. Fieten (2002), S. 793f.
126
Kapitel 3
die beschaffungsorientierten Motive, einen Zugang zu materiellen oder immateriellen Ressourcen zu erhalten.620 Neben den Großunternehmen sind immer mehr mittelständische deutsche Unternehmen auf Auslandsmärkten aktiv. Dies geschieht zwar überwiegend mit Import- und Exportaktivitäten, in den vergangenen Jahren aber auch immer stärker durch Direktinvestitionen in andere Länder.621 Exemplarisch für die deutsche mittelständische Industrie622 bestätigt eine Untersuchung von Schön/Swoboda diese Erkenntnis, welche sie bei einem deutschen Mittelständler durchgeführt haben. Dieser so genannte „hidden champion“ ist Weltmarktführer in seinem Bereich und hat mittlerweile weltweit Niederlassungen mit Vertriebs-, Produktionsund Beschaffungsaktivitäten. 623 Der Unternehmensgründer nennt als Erfolgsfaktor der Internationalisierung seines Unternehmens primär die weltweite Kundennähe, die nicht nur den Zugang zu neuen Märkten eröffnete, sondern die Kundenzufriedenheit signifikant steigerte. Darüber hinaus wird seit einigen Jahren die Produktion und Beschaffung internationalisiert, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten. Diese Entscheidungen richten sich allerdings nicht nur nach den eigenen Ressourcen, sondern auch nach Marktbestimmungen, so wird zum Beispiel in den USA die Inlandsproduktion zur Bedingung für Staatsaufträge gemacht. Wie diese Studie und zahlreiche weitere Untersuchungen belegen, beeinflussen vor allem die den Unternehmen zur Verfügung stehenden Ressourcen die Wahl der Internationalisierungsstrategie. Schließlich stellt jedes Auslandsengagement neue und ungewohnte Anforderungen an die Unternehmensführung. 624 Die Verlagerung von Wertaktivitäten führt nicht nur zu einer erheblichen Ressourcenbindung, sondern mittelfristig auch zu einer Veränderung der Unternehmenskultur.625 3.2.3
Deutsche Unternehmen in China
Deutsche Unternehmen haben eine lange Tradition im chinesischen Markt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts nutzten deutsche Unternehmer die (erzwungene) Öffnung des chinesischen Marktes, um Geschäfte zu tätigen. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die Tsingtao-Brauerei, die 1903 in der damaligen deutschen Kolonie Kiautschou (heute:
620
Vgl. Fieten (2002), S. 783 und Welge/Holtbrügge (2006), S. 24f. In Auseinandersetzung mit kulturellen Barrieren konnten die Lerneffekte innerhalb der Organisation am Beispiel holländischer Unternehmen empirisch nachgewiesen werden, vgl. Barkema/Bell/Pennings (1996), S. 157ff. 621 Vgl. Bamberger/Wrona (2002), S. 1. 622 Zu den besonderen Herausforderungen der Internationalisierung für KMU vgl. u.a. Schulz (2006), S. 38ff. 623 Vgl. und im Folgenden Schön/Swoboda (2000), S. 909ff. 624 Vgl. Krystek/Zur (1997), S. 11f. 625 Vgl. Müller/Kornmeier (2002), S. 109 und Fieten (2002), S. 779.
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
127
Qingdao) von einem deutschen Braumeister gegründet wurde. Das Bier wird auch heute noch nach deutschem Reinheitsgebot gebraut und ist nicht nur das beliebteste Bier in China, sondern wird mittlerweile in 50 Staaten exportiert.626 Die Deutsche Auslandshandelskammer in China (AHK) schätzt die Zahl der in China vertretenen deutschen Unternehmen auf rund 4.500.627 Dies schließt sowohl REP, als auch JV und WFOE ein. Für viele Unternehmen ist China schon heute einer der wichtigsten Märkte der Welt. Exemplarisch werden die China-Aktivitäten zweier deutscher Industriekonzerne vorgestellt: Bereits im Jahr 1872 lieferte die SIEMENS AG (SIEMENS) die ersten Telegrafenmasten nach China. Im Jahr 1879 schrieb SIEMENS mit einer aus Deutschland gelieferten 10PS-Dampfmaschine mit Generator sogar Geschichte: Es war die erste elektrische Anlage, die in China installiert wurde.628 1899 folgte der Bau der Straßenbahn in Beijing, die damals zu den modernsten Straßenbahnen der Welt zählte. Im Jahr 1904 eröffnete SIEMENS sein erstes Büro in Shanghai.629 Im Geschäftsjahr 2007 war SIEMENS an 45 JV beteiligt und hatte mehr als 90 Niederlassungen in China. Die Aktivitäten reichen von Konsumelektronik über Haushaltsgeräte und Transporttechnik bis hin zu Kraftwerken. Die mehr als 50.000 Mitarbeiter in China (12 % der Gesamtbelegschaft) erwirtschaften 6 % des Gesamtumsatzes des Konzerns, Tendenz steigend. Nach ihrem Rückzug aus dem chinesischen Markt zu Zeiten der Kulturrevolution, konnte SIEMENS durch einen frühen Wiedereintritt im Jahr 1982 sich eine gute Marktposition sichern und dadurch Kunden langfristig an sich binden.630 Grundlage für die Auswahl der JV-Partner war eine intensive Prüfung der materiellen und personellen Ressourcen des jeweiligen potenziellen Partners mit dem Ziel, fehlende Ressourcen über diesen zu erschließen. Allerdings schränkten die Marktbedingungen – besonders rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen – das Engagement in den neunziger Jahre noch stark ein. Nach dem WTOBeitritt wurden auf Basis der neuen Möglichkeiten vermehrt WFOE gegründet, um einen besseren Know-how Schutz, eine leichtere Kontrolle und eine bessere Integration in die globale Strategie zu erreichen. Mittlerweile führt SIEMENS nicht nur Produktion und Vertrieb, sondern auch Beschaffung für den gesamten Unternehmensverbund im chinesi-
626
Vgl. Dülfer/Jöstingmeier (2008), S. 32ff. Vgl. Gehnen/Heininger (2008). Die Daten stammen aus einer Erhebung bei der Deutschen Auslandshandelskammer in China, Shanghai, Stand 31.12.2007. Da es keine zentrale Erfassung aller deutschen Unternehmen in China gibt, kann die Zahl nur durch Zusammenführung unterschiedlicher Datenbanken geschätzt werden. 628 Vgl. und im Folgenden Holtbrügge/Puck (2008), S. 253. 629 Zu ausführlichen Informationen zur Unternehmensgeschichte siehe SIEMENS (2009). 630 Vgl. und im Folgenden Holtbrügge/Puck (2008), S. 255ff. 627
128
Kapitel 3
schen Markt durch. Damit sind die Aktivitäten von SIEMENS in China voll in das globale Wertschöpfungsnetzwerk integriert. Nach der Öffnung Chinas war die VOLKSWAGEN AG (VW) das erste ausländische Automobilunternehmen, das in China aktiv geworden ist. 1984 gründeten Volkswagen und Tractor & Automotive Corporation das Joint-Venture Shanghai Volkswagen Automobile Co Ltd. (SVW), was zum erfolgreichsten Kooperationsunternehmen in der Volksrepublik aufstieg (mit Marktanteilen zeitweise über 50 %).631 Nach der Marktöffnung im Rahmen des WTO-Beitritts sah sich VW stärkerem Wettbewerb ausgesetzt, was zu einem Einbruch des Marktanteils auf 18 % (2007) führte. Dennoch ist China heute der größte Massenmarkt der VW-Gruppe mit 910.491 verkauften Fahrzeugen im Jahr 2007.632 Bei der Auswahl des Partners für VW im Jahr 1984 spielten Ressourcen ebenfalls eine große Rolle. So erklärt Posth in seinem Erfahrungsbericht, dass die Chinesen auf der Suche nach technologischem Know-how und Managementwissen waren, während VW lokales Wissen und Beziehungsnetzwerke in China fehlten. Ziel von VW war es, den chinesischen Markt, der aus damaliger Sicht unvorstellbare Potenziale bot, zu erschließen und einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Massenherstellern zu erhalten. Auf Basis dieser Ressourcen- und Interessenkomplementarität wurden die Verhandlungen zu einem Gemeinschaftsunternehmen schließlich erfolgreich vorangetrieben. Schließlich einigten sich die Partner auf die Formel „Markt für Technologie“.633 Zu Beginn der Kooperation waren keinerlei Ressourcen und technologisches Know-How in China vorhanden, sodass die ersten Fahrzeuge komplett mit Importteilen aus Deutschland montiert wurden. Posth verweist darauf, dass die guten Mitarbeiter (Humanressource) das „A und O“ für den Erfolg waren, wobei VW schnell erkannte, dass zunächst viel Zeit und Geld in deren Ausbildung investiert werden musste. Aufgrund der im Vertrag vereinbarten local-content Vorschriften nahm der lokale Wertschöpfungsanteil stetig zu und liegt bei dem in China entwickelten Santana 3000 im Jahre 2006 bei 98,9 %.634 Gleichwohl verweist Posth auch auf den politischen Beistand („guanxi“), der oftmals half, die errungenen Erfolge auch zu sichern.635 Ebenso wie die Ressourcen von SVW stetig zunahmen, stellte sich der Markt auf die neue Situation ein. In Anting, wo das SVW-Werk seine Produktion hat, bildete sich ein
631
Vgl. und im Folgenden Posth (2006) und Holtbrügge/Puck (2008), S. 238ff. Zu ausführlichen Informationen zur Unternehmensgeschichte siehe Shanghai Volkswagen (2009). Vgl. Hoffbauer (2008). 633 Vgl. Posth (2006) , S. 8ff und Holtbrügge/Puck (2008), S. 240f. 634 Vgl. Shanghai Volkswagen (2009). 635 Zur Bedeutung der politischen Unterstützung für VW in China siehe Posth (2006), S. 228. 632
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
129
Automobilcluster mit chinesischen und internationalen Zulieferfirmen. VW hat die Fahrzeugindustrie in Shanghai geprägt und damit zur schnellen Entwicklung der gesamten chinesischen Automobil-Industrie beigetragen. Dies ist ein Beleg dafür, dass ein Unternehmen bis zu einem gewissen Grad einen ungesättigten Markt beeinflussen und entwickeln kann.636 Dadurch ist es VW gelungen, die Markteintrittsbarrieren für potentielle internationale Mitbewerber deutlich zu erhöhen.637 In Ergänzung zur Industrie gründete in unmittelbarer Nachbarschaft zu SVW die TongjiUniversität eine fahrzeugtechnische Fakultät, um im Bereich der KfZ-Forschung eine Spitzenposition zu erarbeiten und sehr gute Ingenieure auszubilden. Unter der Leitung des heutigen Forschungsministers Wan Gang wurden von 2001 bis 2007 mehr als 250 Mio. € investiert.638 Auch zahlreiche kleine und mittelständische deutsche Unternehmen haben bereits vor vielen Jahren den Sprung nach China gewagt. In seinem Buch „China-Pioniere“ präsentiert Kausch die China-Aktivitäten von 24 deutschen überwiegend mittelständischen Unternehmen, die alle bereits in den neunziger Jahren in China aktiv waren.639 Fasst man die Ergebnisse der einzelnen Fallstudien zusammen, lassen sich wichtige Erkenntnisse über die Strategien, den Internationalisierungsgrad und die eingesetzten Ressourcen analysieren. Diese Erkenntnisse dienen schließlich als Grundlage für die Konzeption der eigenen Fallstudie mit mittelgroßen deutschen Unternehmen in China, bei denen die besonderen Aspekte des internationalen Wertschöpfungsmanagements im Fokus stehen. Wie in Kapitel 2.1.4 dargestellt, lässt sich das Internationalisierungsprofil bezogen auf ein Land anhand der Art und des Umfangs von Wertaktivitäten darstellen (Quoten für Mitarbeiter und Umsatz für das Zielland). Für die von Kausch untersuchten deutschen Unternehmen arbeiten im Durchschnitt 8 % der Mitarbeiter in China und erzeugen dabei rund 9 % des gesamten Umsatzes. Die Spannweite reicht für beide Quoten von 1 – 39 %, ist also sehr unterschiedlich. Dies lässt auf eine sehr unterschiedliche Konfiguration der Wertaktivitäten schließen, mit denen die Unternehmen in China aktiv sind. Analog gilt dies für die Integration der Unternehmen in die weltweiten Aktivitäten. Zur Steuerung und Kontrolle ihrer Wertaktivitäten in China vertrauen die meisten Unternehmen weiterhin auf einen deutschen Geschäftsführer. Nur zwei der befragten Unternehmen setzten eine lokale Führungskraft ein. Kausch empfiehlt eine Strategie, die sich unbedingt an den wirtschaftspolitischen Bedürfnissen des Landes zu orientieren hat und unter Zuhilfenahme externer Ressourcen 636
Vgl. Posth (2006), S. 235. Vgl. Kapitel 2.3.5. 638 Siehe auch Tongji Universität Shanghai (2009). 639 Vgl. und im Folgenden Kausch (2007). 637
130
Kapitel 3
erfolgen sollte. Darüber hinaus betont er die Wichtigkeit von Kontakten auf der politischen Ebene und ebenso den Schutz des geistigen Eigentums. Am erfolgreichsten ist, wer bereits auf „Asien-Know-how“ aufbauen kann, zum Beispiel durch Unternehmensteile in anderen asiatischen Ländern, und seine China-Aktivitäten eng in sein weltweites Netzwerk einbindet.640 Die Fallbeispiele großer und mittelständischer Unternehmen in diesem Abschnitt zeigen, dass deutsche Unternehmen in China seit vielen Jahren aktiv sind. Diese Zielgruppe eignet sich also gut zur Untersuchung internationaler Unternehmenstätigkeit. Die bisherigen Untersuchungen waren allerdings sehr unspezifisch und fokussierten nicht auf die verlagerten Wertaktivitäten im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements. In Kapitel 5.2 wird daher eine quantitative empirische Untersuchung durchgeführt, die sich am theoretischen Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit orientiert und die Wertaktivitäten deutscher Unternehmen in China detailliert analysiert. In den folgenden Abschnitten werden dafür die Grundlagen gelegt. 3.2.4
Ressourceneinsatz - Stärken und Schwächen
Wie die vorherigen Abschnitte zeigen, bietet der chinesische Markt seit seiner Öffnung interessante Perspektiven für deutsche Unternehmen. Die Hochtechnologieprodukte „made in Germany“ finden in China dankbare Abnehmer und die deutsche Industrie kann im schnell wachsenden Markt ihre Versäumnisse, bezogen auf die Direktinvestitionen, aufholen. 641 Trotz der positiven Voraussetzungen zeigen die Fallbeispiele deutscher Unternehmer in China (vgl. Kapitel 3.2.3), dass eine Verlagerung von Wertaktivitäten in das Reich der Mitte äußerst komplex ist und wesentliche Ressourcen bindet. Dabei müssen die Mitarbeiter bereit sein, sich mit den kulturellen Eigenheiten des Gastlandes auseinanderzusetzen und ggf. muss ein Unternehmen fehlende Ressourcen einkaufen. Trotz des schnell wachsenden Marktes sollten die Unternehmen den Wettbewerb und die Gefahren für das eigene Know-how nicht unterschätzen. Ein Engagement in China muss daher immer langfristig angelegt und mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sein.642 Die Analyse deutscher Unternehmen in China zeigt allgemein, dass die Ressourcen und Fähigkeiten der Unternehmen einen bedeutenden Einfluss haben auf:
640
Vgl. Kausch (2007), S. 265ff. Begünstigt wird das geschäftliche Verhältnis zwischen Deutschland und China durch die wenig belastete Vergangenheit. Anders als beispielsweise England oder Japan, hat Deutschland China nicht unterworfen und an die kurze Besetzungszeit in Qingdao erinnert heute nur noch die deutsche Braukunst, die die Chinesen allerdings gerne genießen. 642 Vgl. Bächthold (2007), S. 59ff. 641
Beschreibung deutscher Unternehmen in China !
Art und Umfang des Engagements in China,
!
Organisationsform (WFOE / JV) und Partnerwahl (bei JV) sowie
!
Aktivitäten im Wertschöpfungsmanagement.
131
Der Ressourceneinsatz hängt dabei wesentlich von den Zielen ab, die ein Unternehmen in China erreichen möchte. Die besonderen Stärken der deutschen Unternehmen sind die hohe Qualität ihrer Produkte und die Zuverlässigkeit sowie die Organisations- und Planungskompetenz. Dies wird von den Chinesen sehr geschätzt und sorgt dafür, dass deutsche Marken in China sehr bekannt und beliebt sind. Auf der anderen Seite gibt es einige Schwächen in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit, die besonders auf der geographisch-kulturellen Distanz beruhen. Deutschen Managern wird oftmals mangelnde interkulturelle Kompetenz und fehlende Marktkenntnisse vorgeworfen. Probleme gibt es aber auch im zwischenmenschlichen Bereich, da die Deutschen sehr problemlösungsorientiert und direkt sind, was vor allem in Zusammenhang mit Feedback völlig dem chinesischen Harmoniedenken entgegensteht.643 3.3 Fallstudie Die Charakterisierung von China als Untersuchungsland und die Auswertung der Fallbeispiele deutscher Unternehmen in China machen deutlich, dass die vorliegenden Informationen nicht ausreichen, um die Wettbewerbsvorteile durch internationale Unternehmenstätigkeit und die damit verbundenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu ergründen. Daher wurde eine eigene Fallstudie mit dem Ziel durchgeführt, die Anforderungen an die Kernkompetenz, dem Wertschöpfungsmanagement, zu spezifizieren. Am Beispiel deutscher Unternehmen in China sollen dadurch die theoretischen Erkenntnisse validiert und ggf. bislang noch nicht betrachtete Aspekte gefunden werden. In Kombination mit der theoretischen Erkenntnis fließen die Beobachtungen aus der Fallstudie in den konzeptionellen Bezugsrahmen und das dazugehörige Hypothesenkonstrukt ein. 3.3.1
Methodik und Durchführung
Aufgrund der Analyseeinheit und Zielsetzung wird zwischen Einzelfallstudien und vergleichende Fallstudie unterschieden.644 Bei Einzelfallstudien lässt sich die Analyseeinheit klar abgrenzen. Ziel ist es dabei, für einen Fall (zum Beispiel ein Unternehmen) eine bestimmte Frage zu beantworten.645 Bei der vergleichenden Fallstudie wählt man zwar mehrere ähnliche Einheiten für die Analyse, hat aber das Ziel, gewonnene Erkenntnisse 643
Vgl. Kapitel 3.1. In der anglo-amerikanischen Literatur spricht man von „single case-studies“ und „multiple case-studies“, vgl. Yin (2002), S. 46ff. 645 vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 248f. 644
132
Kapitel 3
auf Unterschiede in den Fällen kritisch zu betrachten. Diesem Erkenntnisgewinn gegenüber steht der höhere Aufwand in der Durchführung der Untersuchung.646 Im Rahmen dieser Arbeit wurden mehrere mittelständische deutsche Unternehmen in China untersucht und die Erkenntnisse der einzelnen Fälle miteinander verglichen. Es handelt sich daher um eine vergleichende Fallstudie, bei der sich die Auswahl der Teilnehmer gezielt an den Anforderungen der Fragestellung orientiert hat.647 Nach der Festlegung der Analyseeinheit ergeben sich zur Datenerhebung bei einer Fallstudie zwei Möglichkeiten: Die Beobachtung oder die Befragung. Die Inhaltsanalyse, die oft als drittes Instrument der Datenerhebung bezeichnet wird, ist ein Grenzfall, da sie sowohl eigenständig, als auch in Ergänzung zur Befragung, bzw. Beobachtung eingesetzt werden kann.648 Während bei der Beobachtung der Forscher nicht in die Situation eingreift, wird die Befragung aktiv durch den Wissenschaftler gestaltet. Da die Phänomene, die mit der Forschungsfrage dieser Arbeit untersucht werden sollten, teilweise auf implizitem Wissen der beteiligten Personen beruhen und damit nicht beobachtbar sind, wurde das Instrument der Befragung gewählt. Zur Auswertung der Befragung wurde ergänzend eine Inhaltsanalyse durchgeführt. Die Befragung lässt sich mittels eines persönlichen Gesprächs (Interview649) oder als standardisierte Befragung durchführen. 650 Der große Vorteil bei einem persönlichen Interview gegenüber einem standardisierten Interview (schriftlich oder telefonisch) ist die Möglichkeit des Fragers, auf das Gesagte des Befragten einzugehen und mit ergänzenden Fragen Unklarheiten zu klären. Umgekehrt kann der Befragte bei missverständlichen Fragestellungen nachhaken. 651 Ist das Ziel der Fallstudie die Exploration neuer Phänomene, erscheint diese offene, nicht standardisierte Form des Interviews zweckmäßig. Eine nicht standardisierte, aber auch nicht völlig un-strukturierte Form des Interviews ist das so genannte Experteninterview:
646
vgl. Borchardt/Göthlich (2007), S. 36f. Im Gegensatz zur quantitativen Befragung, die einen repräsentativen Charakter hat, empfehlen Borchert/Göthlich dieses Vorgehen bei einer empirisch-induktiven Untersuchung, vgl. Borchardt/Göthlich (2007), S. 37. 648 Vgl. und im Folgenden Borchardt/Göthlich (2007), S. 37. 649 Zur Definition des Interviews siehe Lamnek (2005), S. 329. Lamnek verwendet im Weiteren für „Befragung“ immer den Begriff „Interview“ und unterscheidet in qualitatives und quantitatives Interview. 650 Vgl. Borchardt/Göthlich (2007), S. 38. Schnell/Hill/Esser unterscheiden zusätzlich noch die internetgestützte Befragung, die aber auch als Sonderform unter schriftliche Befragung subsumiert werden kann, vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 319ff. 651 Vgl. Lamnek (2005), S. 335 und S. 400. 647
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
133
„Im Unterschied zu anderen Varianten des qualitativen Interviews steht im Experteninterview nicht der zu Befragende im Vordergrund des Erkenntnisinteresses, sondern seine Erfahrungen und Interpretationen im Hinblick auf das Forschungsthema.“652 Der Auswahl von Personen, die über ausreichend Kenntnisse im Sinne der Forschungsfrage verfügen (Experten653), kommt in diesem Fall eine besondere Bedeutung zu. Das Interview sollte offen geführt sein, wobei der Frager flexibel reagieren muss. Der Befragte übernimmt einen Großteil der Gesprächsführung, was im Gegensatz zum standardisierten Interview zu einer Asymmetrie führen kann und die Auswertung, bzw. Vergleichbarkeit von Interviews erschwert. Dennoch ist die offene Form der Befragung wichtig, um dem explorativen Charakter der Fallstudie gerecht zu werden und nach Möglichkeit Aussagen zu generieren, die zu neuen Erkenntnissen führen können.654 Entsprechend der Zielsetzung, die mit der Verwendung der empirisch-induktiven Vorgehensweise in dieser Untersuchung verfolgt wurde, zeigt sich das Experteninterview als geeignete Methodik. Es ist thematisch fokussiert und erleichtert aufgrund des fachlichen Verständnisses des Interviewers eine sachlich exakte Darstellung.655 Zur Auswertung wird die Aufzeichnung eines Interviews zunächst transkripiert, wobei die Wahl des Transkriptionssystems die spätere Auswertung der Daten beeinflusst. Beim Umschreiben der Audiodaten ist genau darauf zu achten, dass keine Fehler in der Übertragung passieren. Die Transkription muss aber nicht unbedingt wörtlich sein, sondern kann in Form der kommentierten, zusammenfassenden oder selektiven Transkription erfolgen. Allerdings nimmt in dieser Reihenfolge mit der gewählten Methode der Anteil der Interpretation beim Transkripieren zu.656 Im Anschluss an die Transkription gibt es unterschiedliche Möglichkeiten zur Analyse der Ergebnisse, die dem Ziel dienen, die wesentlichen Aussagen zu extrahieren und dadurch Informationsasymmetrien zu vermeiden.657 Die Audiodaten der Fallstudieninterviews wurden zusammenfassend transkripiert, stellten also ein Gesprächsprotokoll dar. Dem schloss sich eine Einzelanalyse an. Das Material wurde dazu in einem Ergebnisprotokoll zusammengefasst, das nur die wesentlichen Aussagen bezogen auf das Forschungsthema enthält. Um Fehler inhaltlicher Art zu vermeiden, wurden die Protokolle von zwei unabhängigen Personen kontrolliert. In einer 652
Borchardt/Göthlich (2007), S. 38, Hervorhebung durch den Verfasser. Lamnek verweist vor allem auf die Vorteilhaftigkeit des verliehenen „Expertenstatus“, die dem Befragten aufgrund eines hohen sozialen Status das Antworten erheblich erleichtern, vgl. Lamnek (2005), S. 388. 654 Vgl. Lamnek (2005), S. 351f und Corbin/Strauss (2008), S. 73ff. 655 Vgl. Pfadenhauer (2007), S. 453f. 656 Vgl. Höld (2007), S. 657ff. 657 Vgl. und im Folgenden Roth/Heidenreich/Holling (1999), S. 619 und Lamnek (2005), S. 402ff. 653
134
Kapitel 3
generalisierenden Analyse konnte dann nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gesucht werden, die durch Interpretation schließlich den Erkenntnisgewinn der Fallstudie bilden. 3.3.2
Beschreibung und Auswertung
Die vergleichende Fallstudie wurde im Zeitraum von März 2007 bis Juli 2007 in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Global Supply Chain Management (GSCM)658 des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs (CDHK) der Tongji Universität Shanghai und der Deutschen Auslandshandelskammer in Shanghai (AHK)659 durchgeführt. Die Analyseeinheit waren deutsche Unternehmen, die in China aktiv sind. Wie im Kapitel 3.3.1 dargestellt, sollte bei einer empirisch-induktiven Analyse die Gruppe der Befragten nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden, was eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet. Um einen umfassenden Einblick in die strategischen Überlegungen möglichst aller Unternehmensteile zu erhalten, wurden Großkonzerne von der Untersuchung ausgeschlossen, da dort für einen umfassenden Einblick mehrere Personen hätten befragt werden müssen. Die regionalen Suchkriterien beschränkten sich auf den Umkreis der Städte Shanghai, Taicang, Kunshan, Suzhou und Hangzhou. Zur Vermeidung von Verständnisproblemen und kulturellen Differenzen wurden nur deutsche Unternehmen mit deutschen Unternehmensvertretern einbezogen. Zur Suche und Auswahl der Unternehmen konnte auf die Mitgliederdatenbank der AHK Shanghai mit 1.515 deutschen Vertretungen zurückgegriffen werden.660 Gemäß den genannten Kriterien wurden 47 mittelgroße Unternehmen 661 ausgewählt und kontaktiert. Die Untersuchung wurde so lange durchgeführt, bis Redundanzen in den Interviews auftraten und kein Erkenntnisgewinn mehr zu erwarten war. Insgesamt wurden zwölf Interviews mit deutschen Geschäftsführern unterschiedlicher Unternehmen 662 geführt und ausgewertet.663 Die Interviews dauerten jeweils zwischen 50 und 90 Minuten und wur-
658
Weitere Informationen unter: www.global-scm.net. Weitere Informationen unter: www.china.ahk.de. 660 Stand März 2007, davon 754 Auslandsniederlassungen (WFOE), 310 Joint Venture (JV) und 451 Repräsentanzbüros (REP). 661 Pfohl weist darauf hin, dass die strikte Anwendung der quantitativen „KMU-Kriterien“ zum Beispiel von der Europäischen Union (vgl. Europäische Kommission (2006), S. 14ff) nicht sinnvoll erscheint. Er fordert zusätzlich die Betrachtung qualitativer Merkmale, vgl. Pfohl (2006), S. 78ff. Diesem Verständnis folgend werden in dieser Fallstudie die Unternehmen nicht strikt nach quantitativen Größenmerkmalen unterschieden, sondern grundsätzlich alle Unternehmen zugelassen, die mittelständischen Charakter haben. Sie werden als „mittelgroße“ Unternehmen bezeichnet. 662 Acht WFOE, ein JV und drei REP. 663 Eisenhardt/Ellram schreiben, dass mindestens sechs, bzw. zehn Interviews notwendig sind, um bei einer vergleichenden Fallstudie eine aussagekräftige Stichprobe zu erhalten, vgl. Eisenhardt (1989), S. 545 und Ellram (1996), S. 102. 659
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
135
den in einem persönlichen Gespräch in den Räumen der Unternehmen in der VR China durchgeführt. Die Interviews waren durch einen Fragenkatalog strukturiert, um vergleichbare Informationen zum Forschungsthema zu sammeln. Der Informationsfluss fand einseitig vom Befragten zum Interviewer statt und gab dem Befragten ausreichend Raum, eigene Aspekte und Themen in das Interview einzubringen. Dadurch war sowohl eine Validierung theoretischer Erkenntnisse, als auch eine explorative Gewinnung neuer Erkenntnisse möglich.664 Der Fragenkatalog orientierte sich an den vier Handlungsfeldern des internationalen Wertschöpfungsmanagements, wie sie bereits in Kapitel 2.5.1 definiert worden sind: ! Beschaffung ! Produktion (Fertigung) ! Marketing ! Logistik Die Fragen bezogen sich unter anderem auf ! die Gründe, Ziele und Strategien für das China-Engagement, ! die Anforderungen des chinesischen Marktes und die Bedeutung der Marktnähe, ! die notwendigen Ressourcen für die China-Aktivitäten aus Unternehmenssicht, ! die Rolle des China-Engagements im globalen Unternehmensverbund und ! die Fähigkeiten zum Wertschöpfungsmanagement. Darüber hinaus stand es den Befragten frei, eigene Themen ergänzend dazu einzubringen, die ebenfalls in der Auswertung berücksichtigt wurden. Auswertung Um die Vollständigkeit der Informationen zu gewährleisten, wurden die Interviews auf Tonband aufgezeichnet und anschließend transkripiert.665 Da die Experten-Interviews in deutscher Sprache verfasst und durchgeführt wurden, können Übersetzungsfehler ausgeschlossen werden. In der Einzelanalyse erfolgten dann die Untersuchung der Abschrift des Interviews und die Zusammenfassung der Aussagen entsprechend des Themenkatalogs. Themen, die über die vorgegebenen Fragen hinaus angesprochen worden waren, wurden ebenfalls festgehalten. Zur Sicherstellung der Integrität der Aussagen wurden die Ergebnisprotokolle von einem weiteren unabhängigen Forscher kontrolliert und anschließend den Interview-Partnern zur Prüfung übermittelt. Nur die von den Befragten überprüften Protokolle fanden Ein664 665
Vgl. Miles/Huberman (1994), S. 288ff und Lamnek (2005), S. 329. Vgl. Lamnek (2005), S. 392.
136
Kapitel 3
gang in die vorliegende Fallstudie. Um dem Wunsch der Unternehmensvertreter nach Vertraulichkeit Rechnung zu tragen, wurden sämtliche Aussagen anonymisiert. Die eigentliche Auswertung bestand aus einem Abgleich der Aussagen in den Protokollen mit den theoretischen Erkenntnissen. In der Analyse wurden dann gezielt Erklärungsmuster und Zusammenhänge gesucht, die möglichst allgemein auf alle untersuchten Unternehmen angewendet werden konnten.666 Wie in Tabelle 5 zu sehen, beinhaltet die Stichprobe Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und mit verschiedenen Konfigurationen von Wertaktivitäten. Entgegen der Definition der Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagements haben die befragten Unternehmen ihre Logistikaktivitäten in China ausgelagert, d.h. die Unternehmen betreiben in China nur Beschaffung, Produktion und Marketing unternehmensintern. Logistik ist für die Unternehmen keine strategische Wertaktivität, die sie benötigen, um die Wettbewerbsvorteile zu berücksichtigen. Diese Erkenntnis wird in die weitere Untersuchung einfließen. Die Auswertung der Interviews ergibt, dass deutsche Unternehmen ihre Wertaktivitäten nach China verlagern, um 1) die Chancen des Absatzmarktes zu nutzen, 2) die Kostenvorteile in der Produktion zu nutzen. Dieses Ergebnis bestätigt, dass die Wahl Chinas als Untersuchungsland dem Erkenntnisgewinn dieser Studie zuträglich ist, da es beide strategische Optionen ermöglicht. Ziel der Verlagerung ist es, sowohl Wettbewerbsvorteile durch die Erschließung von Marktpotentialen zu erlangen, als auch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der (weltweiten) Konkurrenz zu verteidigen. Beim Vergleich der einzelnen Unternehmen in der Ausnutzung der Absatz- und Kostenpotentiale lässt sich feststellen, dass entsprechend der Konfiguration der Wertaktivitäten signifikante Unterschiede bestehen. Es lassen sich drei Gruppen bilden, in denen unterschiedliche Strategien zum Wertschöpfungsmanagement erkennbar werden.
666
Vgl. Yin (2002), S. 116ff. Er spricht von der Methodik des „pattern matching“ und „explanation building“.
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
137
Unternehmen
Branche
A*
Import und Export von Schrauben
Beschaffung
2002
B
Folien-Reckanlagenbau
Beschaffung / Produktion / Marketing
2003
C
Hotel- und Gastronomiebereich
Beschaffung
2005
D
Ersatzeile für den Automotive Bereich
Beschaffung
2000
E
Spritzgießmaschinen-Hersteller
Beschaffung / Produktion / Marketing
1998
F
Wärmebehandlungsöfen und Anlagen
Beschaffung / Produktion / Marketing
1996
G
Kunststoffverpackungen
Produktion / Marketing
1997
H
Industrielle Automatisierung
Beschaffung / Produktion / Marketing
1995
I
Kunststoffverpackungen
Produktion / Marketing
2004
J
Kunststoffverpackungen
Beschaffung / Produktion / Marketing
2003
K
Hydraulik- und Antriebstechnik
Beschaffung / Produktion / Marketing
1997
L
Bremsbeläge für Automotive Bereich
Produktion / Marketing
1998
Wertaktivitäten in China
Markteintritt
* im Juli 2007 Start eines Produktions-JV Tabelle 5: Unternehmen, die an der Fallstudie teilgenommen haben.
Unternehmen der Gruppe 1 (A, C, D) versuchen, Wettbewerbsvorteile vorwiegend durch die Beschaffung in China zu generieren. Solange es ihnen gelingt, die Kostensteigerung durch die Verlängerung ihrer Wertkette gering zu halten, sowie ihre Lieferanten in Bezug auf Qualität und Liefersicherheit zu koordinieren, können sie von den günstigen Kosten des chinesischen Marktes profitieren. Sofern China nicht als einziger Beschaffungsmarkt dient, können die Unternehmen Risiko verteilen und damit ihre Versorgungssicherheit erhöhen. Die Unternehmen der Gruppe 2 (G, I, L) hingegen streben vor allem eine Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation durch die Erschließung von Absatzpotentialen an. Dazu betreiben sie Produktion vor Ort im Gastland und verkaufen Produkte im Gastland sowie in den umliegenden Regionen (Exportstrategie). Die günstigeren Produktionskosten werden fast durch die höheren Beschaffungskosten aus dem Heimatland aufgezehrt. Dafür können die Unternehmen aber in hoher Qualität produzieren und ihre Großkunden bedienen. Zusätzlich ermöglicht die Marktnähe und damit verbundene Flexibilität die Akquise neuer Kunden. Bei einer Verlagerung der Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing, wie es die Unternehmen in Gruppe 3 (B, E, F, H, J, K) tun, wird deren Wettbewerbsfähigkeit durch die Ausnutzung von Absatz- und Kostenpotentialen gleichermaßen gestärkt. Die
138
Kapitel 3
Nutzung lokaler, günstiger Ressourcen dient nicht nur der Kosteneinsparung, sondern auch der Versorgungssicherheit der Unternehmen. Die Marktnähe und lokale Vertriebseinheiten helfen, Absatzpotentiale zu erschließen und sich von Wettbewerbern zu differenzieren. Bei dieser Strategie kommt dem Know-how-Schutz eine ganz besondere Bedeutung zu. Bei den meisten befragten Unternehmen sind die Aktivitäten in China eng in den globalen Unternehmensverbund eingebunden. Dies gilt besonders für die Unternehmen, die in China ausschließlich Güter und Waren beschaffen (A, C, D). Unternehmen, die in China produzieren, sind teilweise sehr eng eingebunden, teilweise agieren sie lokal und eigenständig in Bezug auf die vier definierten Handlungsfelder Beschaffung, Produktion, Marketing und Logistik. Wie in Abbildung 23 dargestellt, lassen sich die drei Unternehmensgruppen entlang der Dimensionen Ausnutzung von Absatzpotenzialen und Ausnutzung von Kostensenkungspotentialen in einem Maßnahmenportfolio darstellen. Die Unternehmen verfolgen aufgrund ihrer eigenen Ressourcen und den Marktgegebenheiten eine klare Wettbewerbsstrategie, um mit Hilfe ihrer in China verteilten Wertaktivitäten Wettbewerbsvorteile generieren zu können. Für die Zukunft zeigte sich die Mehrheit der Befragten optimistisch, ihre eigenen Aktivitäten ausweiten zu können. Dies betrifft vor allem die Unternehmen, die bislang nur Beschaffung oder nur Produktion / Marketing in China unternehmensintern realisieren. In mehreren Interviews betroffener Unternehmen wurde darauf hingewiesen, dass entweder „mangelnde eigene Ressourcen“ oder „fehlende Marktvoraussetzung“ bislang eine Ausweitung der Aktivitäten verhindere. Mangelnde Marktvoraussetzungen waren im Wesentlichen mangelhafte Produktqualität von chinesischen Lieferanten oder fehlende Lieferzuverlässigkeit. Das Unternehmen A hatte kurz nach der Befragung seine Strategie den Marktbedingungen angepasst. Da der Beschaffungsmarkt aus Sicht des Unternehmens nur unzureichende Qualität und mangelhafte Lieferzuverlässigkeit zur Verfügung stellen konnte, wurde ein JV zur Produktion gegründet. Trotz der Risiken des Know-how-Abflusses war das Unternehmen auf ein JV angewiesen, da es nicht über ausreichend eigene Ressourcen verfügt.
139
Gruppe II Konzentration auf !" Produktion in China
Zukunft
Ausnutzung von Absatzpotential
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
Gruppe I Konzentration auf Beschaffung In China
Ausnutzung von Kostenpotential
Abbildung 23:Gruppeneinteilung deutscher Unternehmen nach Wertaktivitäten.
3.3.3
Analyse der Ergebnisse
Der Auswertung folgt eine detaillierte Analyse entlang der Dimensionen ressourcenbasierter und marktorientierter Internationalisierung. Durch die Zusammenführung dieser beiden Strömungen kann die Verlagerung verschiedener Wertaktivitäten ins Ausland mit unterschiedlichen Voraussetzungen des Marktes und unternehmensinternen Ressourcen sowie der WSM-Kompetenz (vgl. Kapitel 2.4) erklärt werden. An diesen Bedingungen richten die Unternehmen ihre Strategien aus, was sich wiederum in unterschiedlichen Konfigurationen von Wertaktivitäten niederschlägt. Marktbedingungen – Chancen und Risiken Das größte Risiko für deutsche Unternehmen im chinesischen Markt stellen nach Aussagen der befragten Unternehmen die Qualität der von chinesischen Lieferanten gelieferten Produkte und die Zuverlässigkeit der Lieferung dar. Besonders wenn sich Kunden oder Lieferanten im Landesinneren befinden, gibt es Probleme aufgrund fehlender Infrastruktur, bzw. mangelhafter Dienstleistung. So bezifferte ein Unternehmen den Anteil der Transportschäden an allen Produktmängeln auf 60 %. Eine Just-in-time-Produktion ist in China noch nicht zu einem vertretbaren Risiko darstellbar, sodass ein gutes Wertschöpfungsmanagement nicht zu solchen Effizienzsteigerungen wie in Europa oder USA führen kann.
140
Kapitel 3
Darüber hinaus kann es beim Im- oder Export von Waren zu Problemen beim Zoll führen. Weitere Probleme gibt es im chinesischen Markt durch die unsicheren rechtlichen Rahmenbedingungen, Korruption und die mangelnde Verfügbarkeit von Marktdaten. Da sich der Einfluss der kulturellen Unterschiede nicht explizit messen lässt (vgl. Kapitel 2.1.4), kann man nur aufgrund der Aussagen der Befragten bestätigen, dass die unterschiedlichen Kulturen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Herausforderung im chinesischen Markt darstellen. Für die Produktion von High-Tech Produkten bietet China derzeit keine Standortvorteile. Diese Produkte benötigen den Einsatz teurer Maschinen, die zunächst in China importiert werden müssten. Der Einsatz dieser Maschinen wiederum wäre ohne großen Einsatz von Arbeitskräften möglich, sodass die großen Lohnkostenvorteile Chinas nicht genutzt würden. Hinzu kommt, dass aufgrund der technologischen Rahmenbedingungen Chinas, die wenigen hoch qualifizierten Arbeitskräfte, die für die Herstellung von Hochtechnologie notwendig sind, teuer am Markt eingekauft oder für viel Geld ausgebildet werden müssten. Darüber hinaus besteht die große Gefahr, dass das Know-how nicht geschützt werden kann, wenn man die neueste Technologie auch in China produziert. Als größte Chance im chinesischen Markt sehen die befragten Geschäftsführer die ökonomischen Rahmenbedingungen. Der Markt wächst so stark, dass sich Investitionen im Land trotz der beschriebenen Anlaufschwierigkeiten schnell rentieren können. Auch ist der Standort China aufgrund seiner günstigen Marktbedingungen und guten infrastrukturellen Voraussetzungen an der Ostküste als Exportplattform geeignet. Mit dieser Strategie bedienen vier der befragten Unternehmen (B, F, J, K) Länder in Fernost oder sogar weltweit. Insgesamt lässt sich also trotz des scharfen Wettbewerbs mit internationalen und chinesischen Unternehmen eine hohe Zufriedenheit mit den Absatzchancen ermitteln, wovon vor allem Unternehmen profitieren, die ihre Produktion nach China verlegt haben und dadurch sehr flexibel auf Kundenwünsche reagieren können. Unternehmensinterne Ressourcen – Stärken und Schwächen Wie bereits in Kapitel 2.3.4 ausgeführt, stellen die Ressourcen die Basis dar, auf der Unternehmen Fähigkeiten entwickeln, mit denen sie Wettbewerbsvorteile generieren können. Die Analyse der Interviews ergibt eindeutig, dass die meisten Unternehmen ihrer eigenen Ressourcen und Fähigkeiten in Bezug auf ihre China-Aktivitäten realistisch einschätzen. Zwei Geschäftsführer, deren Unternehmen der Gruppe 1 (Schwerpunkt Beschaffung) zuzuordnen sind, sprachen von „fehlenden Ressourcen“ im eigenen Unternehmen, die eine Ausweitung des China-Engagements verhindern. Ein Geschäftsführer der Gruppe 2 (Schwerpunkt Produktion / Marketing) erwähnte explizit fehlendes Know-how zur Lie-
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
141
ferantenentwicklung, was das Unternehmen zwinge, alle für die Montage benötigten Teile aus anderen Ländern zu importieren. Gerade die befragten mittelgroßen Unternehmen haben also offensichtlich Schwächen aufgrund beschränkter Ressourcen, was sich in internationalen Engagements negativ auswirkt. Auf der anderen Seite sind sich die Unternehmen auch ihrer Stärken bewusst. Die meisten Befragten sprachen zum Beispiel davon, dass bestimmte Prozesse, bzw. Wertaktivitäten nicht nach China ausgelagert würden, um die Fähigkeit und das Wissen zu schützen. Die Unternehmen betrachten den Know-how-Schutz als eine wichtige Aufgabe im Rahmen ihres China-Engagements. Die Unternehmen der Gruppe 3 – vor allem die schon längere Zeit in China aktiv sind – haben sich im Laufe der Jahre eigene lokale Ressourcen aufgebaut. Als besondere Stärke sehen die deutschen Unternehmen die hohe Qualität ihrer Produkte an, die sich zu verhältnismäßig hohen Preisen verkaufen lassen. Qualität und technologischer Standard wurden explizit als Differenzierungsmerkmal genannt. WSM-Kompetenz In der theoretisch-deduktiven Analyse wurde das Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz herausgearbeitet, die für die erfolgreiche Koordination der Wertaktivitäten verantwortlich ist. Wie die Auswertung der Interviews ergibt, wird die WSMKompetenz in den Unternehmen entsprechend wahrgenommen. Die meisten Befragten gaben als entscheidende Kompetenz im internationalen Wertschöpfungsmanagement die Prozess- und Kontrollfähigkeit an. Dies gilt vor allem für Länder, in denen auf wenig Management-Know-how vor Ort zurückgegriffen werden kann, wie in China. Die Integration in den globalen Unternehmensverbund verlangt ebenfalls besondere Fähigkeiten im Wertschöpfungsmanagement. Die vergleichende Fallstudie deutscher Unternehmen in China kann also belegen, dass Wertschöpfungsmanagement eine Kernkompetenz für die deutschen Unternehmen in China darstellt. Nur durch ein effizientes Wertschöpfungsmanagement können diese Unternehmen Wettbewerbsvorteile generieren. Für die vier Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagements deutscher Unternehmen ergeben sich – bezogen auf China – folgende Anforderungen: 1) Beschaffung " Die WSM-Kompetenz besteht hier überwiegend in der Lieferantenkoordination, der Lieferantenentwicklung und –kontrolle. Aufgrund von Qualitäts- und Zuverlässigkeitsproblemen stellt diese Aufgabe eine besondere Herausforderung dar, besonders wenn Beschaffung für den Unternehmensverbund erfolgt.
142
Kapitel 3 2) Produktion " Zur Produktion (Fertigung) wird Kompetenz nach China übertragen. Das WSM muss die Fertigung im globalen Unternehmensverbund integrieren und die Schnittstellen zur Beschaffung in China und international sowie dem (überwiegend lokalen) Marketing koordinieren. 3) Marketing " Die kulturellen Besonderheiten im chinesischen Geschäftsleben (zum Beispiel „Guanxi“, siehe Kapitel 3.1.1) zwingen die Unternehmen zum Einkauf von Ressourcen im Marketing. WSM hat die Aufgabe, diese Aktivitäten lokal zu koordinieren. 4) Logistik " Die befragten Unternehmen haben ihre Logistik ausgelagert. 667 Mangelnde Fähigkeiten bei lokalen Dienstleistern (z.B. hohe Transportschäden) führen dazu, dass vorwiegend auf internationale Logistikunternehmen zurückgegriffen wird. Die WSM-Kompetenz der befragten produzierenden Unternehmen beschränkt sich bei der Logistik also auf die Planung, Steuerung und Kontrolle.
Die Betrachtung der einzelnen Handlungsfelder zeigt, dass China teilweise sehr spezifische Anforderungen an die Unternehmen stellt. Die Herausforderung für das internationale Wertschöpfungsmanagement besteht darin, diese Anforderungen als Gesamtes zu betrachten. Je besser die Integration der einzelnen China-Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund gelingt, desto größer ist der potentielle Wettbewerbsvorteil, der sich für die Unternehmen in China ergibt. Hohe WSM-Kompetenz der Unternehmen führt also zu einer erfolgreicheren Ausnutzung von Wettbewerbspotentialen. 3.3.4
Erkenntnisgewinn für die weitere Untersuchung
Die empirisch-induktive Analyse hatte gemäß des in Kapitel 1.2 vorgestellten Forschungsdesigns zwei Ziele: Zum einen sollten Erkenntnisse aus der theoretischdeduktiven Analyse validiert, zum anderen neue bislang nicht beachtete Aspekte explorativ gefunden werden. Mit Hilfe der vergleichenden Fallstudie lassen sich folgende allgemeine Erkenntnisse zur internationalen Unternehmenstätigkeit bestätigen: #
Der Absatzmarkt ist der größte Treiber für die Verlagerung von Wertaktivitäten ins Ausland, mit dem Ziel, sich Wettbewerbsvorteile zu erschließen, bzw. die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Darüber hinaus nutzen viele Unternehmen Kostenpotentiale im Beschaffungsmarkt durch lokale Produktion aus. Dennoch gibt es zahlreiche Marktbedingungen, die die internationale Unternehmenstätigkeit behindern können. Dazu zählen mangelhafte Infrastruktur, fehlende gut
667
Vgl. Tabelle 5.
Beschreibung deutscher Unternehmen in China
143
ausgebildete Arbeitskräfte, Probleme beim Know-how-Schutz, Korruption, Bürokratie und fehlende Rechtssicherheit. #
Einen wichtigen Einfluss auf die Strategie zur Verlagerung von Wertaktivitäten haben außerdem die unternehmensinternen Ressourcen und Fähigkeiten. In Abhängigkeit dieser Ressourcen und den Marktbedingungen ergeben sich die unterschiedlichen Konfigurationen der Wertaktivitäten international tätiger Unternehmen.
#
Kernkompetenz zur Verlagerung und Steuerung der globalen Wertaktivitäten ist die Prozesskompetenz. Ziel dieser Kompetenz ist es, sowohl die eigenen Aktivitäten zu steuern, als auch die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Dienstleistern zu koordinieren. Dies entspricht der Beschreibung des Wertschöpfungsmanagements, sodass das internationale Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz in der Praxis nachgewiesen werden kann.
Darüber hinaus konnten explorativ weitere Erkenntnisse gefunden werden: #
Die Integration der ausländischen Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund ist ein Indikator zur Messung der WSM-Kompetenzen im Unternehmen. Eine intensive Integration kann nur mit entsprechend hoher Kompetenz im internationalen Wertschöpfungsmanagement erfolgen.
#
Die Art und der Umfang von Wertaktivitäten bezogen auf ein Land geben einen weiteren Hinweis auf die Ressourcenausstattung der Unternehmen. Zur Messung des Umfangs sollten quantitative Merkmale (zum Beispiel Quote der chinesischen Mitarbeiter, Quote des Umsatzes in China, Anteil lokaler Wertschöpfung) herangezogen werden.
#
Die Markthemmnisse sind besonders in China sehr vielfältig. Für einen internationalen Vergleich sollten diese daher umfassend betrachtet werden. Die Untersuchung von Auswirkungen einzelner Marktrisiken und Marktchancen auf den Unternehmenserfolg sollte differenziert erfolgen.
Die hier aufgeführten Aspekte werden im nächsten Kapitel bei der Erarbeitung des konzeptionellen Bezugsrahmens und seiner Hypothesenstruktur aufgenommen. Um schließlich einen Vergleich zwischen den einzelnen Unternehmen, ihren Kompetenzen und Strategien zu ermöglichen, bedarf es eines vergleichenden Faktors. Auch wenn die Erfolgsmessung in Unternehmen wissenschaftlich umstritten ist (siehe Kapitel 2.1.4), soll für die weitere Studie der „Erfolg“ als Indikator für die optimale Ausnutzung der Potentiale von Unternehmen genutzt werden.668 668
Zur Spezifikation des Erfolgs als messbare Größe vgl. Kapitel 4.2.3.
4
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
Gemäß dem Forschungsdesign folgt der empirisch-induktiven Analyse in diesem Kapitel die theoriegeleitete Entwicklung des konzeptionellen Bezugsrahmens. Die Spezifizierung der einzelnen Variablen erfolgt auf Basis eines allgemeinen Bezugsrahmens der betriebswirtschaftlichen Forschung. Aus den theoretischen Konstrukten (vgl. Kapitel 2.4 und 2.5) und den Erkenntnissen der Fallstudie werden dazu Gestaltungsvariablen (eigentliche Messgröße), Kontextvariablen (Rahmenbedingungen, die den erforschten Gestaltungsbereich beeinflussen) und Erfolgsvariablen (Erfolgsgrößen, abhängig vom Zusammenspiel der Kontext- und Gestaltungsvariablen) definiert. Anschließend wird der Bezugsrahmen graphisch erstellt669 und die zwischen den jeweiligen Variablen vermuteten Ursachen-Wirkungszusammenhänge erläutert, die dann als Grundlage für das Hypothesensystem in die empirische Analyse einfließen.670 4.1 Konzeptioneller Bezugsrahmen Ausgangspunkt für den untersuchungsspezifischen konzeptionellen Bezugsrahmen ist das theoretische Modell von Barney. 671 Er sieht eine umfassende Beschreibung von Wettbewerbsvorteilen nur durch die Verknüpfung zweier Betrachtungsperspektiven gegeben: der marktorientierten und der ressourcenorientierten Sichtweise.672 Da die weltweit verteilten Ländermärkte nicht homogen sind und die Unternehmen für bestimmte Ländermärkte unterschiedliche Kompetenzen aufweisen, 673 bietet sich die Zusammenführung von ressourcen- und marktorientierter Sichtweise besonders im internationalen Kontext an.674 Bezogen auf das internationale Management wird der Bezugsrahmen von Barney durch die ganzheitliche Betrachtung der internationalen Unternehmenstätigkeit des GAINSAnsatzes ergänzt. Demnach können nur die Unternehmen international erfolgreich sein, denen es gelingt, ihre Gestalt (Struktur und Strategie) mit der heterogenen Umwelt in Einklang zu bringen.675 Für den konzeptionellen Bezugsrahmen der Unternehmenstätigkeit bedeutet dies, dass sowohl durch die unternehmensspezifische Ressourcenausstattung (Gestaltungsvariable), als auch durch die Markt- und Branchenstrukturen (Kontext669
Vgl. Wolf (2000), S. 154. Eine vergleichbares Vorgehensweise fordert Biemann, vgl. Biemann (2007), S. 152. 671 Vgl. und im Folgenden Barney (1991), S. 99f. Zur umfassenden Betrachtung der Unternehmenstätigkeit durch RBV und MBV siehe auch Spanos/Lioukas (2001). 672 Vgl. Kapitel 2.3.3, Kapitel 2.3.4 und Kapitel 2.4.1. 673 Vor allem in Abhängigkeit der geographisch-kulturellen Distanz, vgl. Kapitel 2.1.4. 674 Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 842. 675 Vgl. Kapitel 2.2.2.3. 670
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
146
Kapitel 4
variable) Wettbewerbsvorteile (Erfolgsvariable) geschaffen werden können. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile der Unternehmen basieren auf Strategien, die sich auf die eigenen Stärken und die Marktchancen beziehen und die eigenen Schwächen sowie die Marktrisiken vermeiden. Die Erfolgsvariable ist also dann am größten, wenn es ein passendes Zusammenwirken („fit“) zwischen Gestaltungs- und Kontextvariable gibt. In Abbildung 24 ist der Bezugsrahmen zu sehen, wie er sich allgemein für Unternehmen in einem Land zu einem Zeitpunkt t gestaltet. Im Falle der internationalen Unternehmenstätigkeit, die zu einem bestimmten Zeitpunkt untersucht wird, muss der Bezugsrahmen um mehrere Ebenen erweitert werden. Dadurch kommt die Unterschiedlichkeit der Markt-Ressourcen-Konstellationen für die Unternehmen in unterschiedlichen Märkten zum Ausdruck. Gestaltungsvariable unternehmensspezifische Ressourcenausstattung
Kontextvariable
fit
Stärken ! Schwächen
Markt- und Branchenstrukturen Chancen ! Risiken
Erfolgsvariable Nachhaltige Wettbewerbsvorteile
Abbildung 24: Konzeptioneller Bezugsrahmen für einen Ländermarkt.
In Abbildung 25 ist das Modell für die internationale Unternehmenstätigkeit dargestellt. Im Zentrum des Bezugsrahmens steht das internationale Wertschöpfungsmanagement (WSM), also die Kompetenz zur länderübergreifenden Koordination und Integration der unternehmensinternen Ressourcen und der umweltbezogenen Marktbedingungen. Das theoretische Konzept dazu wurde bereits in Kapitel 2.5 erarbeitet.
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit Land C Land B Land A
Gestaltungsvariable unternehmensspezifische Ressourcenausstattung
147 Land C Land B
Kontextvariable
WSM
Stärken ! Schwächen
Land A
Markt- und Branchenstrukturen Chancen ! Risiken
Land C Land B
Erfolgsvariable
Land A
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile
Abbildung 25: Modell der internationalen Unternehmenstätigkeit.
Im Gegensatz zu den integrativen theoretischen Ansätzen der Internationalisierung stellt dieser Bezugsrahmen kein Totalmodell dar, sondern wird für jedes einzelne Land getrennt betrachtet. Der Erklärungszusammenhang ist aber dennoch umfassend ausgerichtet, da sich das internationale Wertschöpfungsmanagement auf die Koordination und Integration aller weltweit verteilten Wertaktivitäten ausrichtet. 4.2 Definition der Variablen Zur Spezifizierung der einzelnen Variablen für den konzeptionellen Bezugsrahmen werden die Erkenntnisse aus den Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit (siehe Kapitel 2.2), aus der ressourcen- und der marktorientierten Sichtweise, sowie der Fallstudie über deutsche Unternehmen in China einbezogen. Es handelt sich bei den Variablen also nicht um abstrakte Konstrukte, sondern um konkrete, messbare Größen, die dann in einer quantitativen Untersuchung abgefragt werden können. Aufgrund der unterschiedlichen Messbarkeit subjektiver und objektiver Daten, lassen sich einzelne Teile der Variablen nicht detailliert, sondern nur oberflächlich abfragen. Um kein Ungleichgewicht in der Analyse zu erhalten, werden Detailabfragen zu Konstrukten inhaltlich zusammengefasst. Diese rein konzeptionelle Zusammenfassung muss schließlich in der empirischen Untersuchung noch mit statistischen Methoden validiert werden.
148 4.2.1
Kapitel 4 Gestaltungsvariablen international tätiger Unternehmen
Die Gestaltungsvariablen stellen im konzeptionellen Bezugsrahmen den Teil dar, den die Unternehmen individuell beeinflussen können.676 Auf Basis ihrer unternehmensinternen Ressourcen und der strategischen Entscheidungen bestimmen sie, in wie weit sie international tätig werden, bzw. in welchem Umfang sie in einem Ländermarkt aktiv werden. Die Einflussfaktoren der Unternehmen müssen sich auf den untersuchten Gegenstand beziehen und müssen messbar sein. Ausgehend von der Erkenntnis, dass intangible Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen nicht direkt beobachtbar sind, werden entsprechend des Internationalisierungsprofils677 der Umfang und die Integration der verlagerten Wertaktivitäten als Messgröße untersucht. Wie in Kapitel 2.3.4.3 und 2.5.2 aufgezeigt, lassen sich aufgrund der engen Interaktion zwischen den Wertaktivitäten und den Ressourcen Rückschlüsse auf die unternehmensinterne Ausstattung ziehen. Übertragen auf den internationalen Kontext gibt die Konfiguration der Wertaktivitäten in unterschiedlichen Ländermärkten einen Einblick in die spezifische Ausstattung (Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen) der international tätigen Unternehmen. Mit zunehmendem Umfang verlagerter Wertaktivitäten steigt der Koordinationsaufwand für die Unternehmen. Der Koordinationsaufwand ist auch abhängig von der Integration der verlagerten Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund. Als zweite Komponente des Internationalisierungsprofils wird daher die Integration einzelner Wertaktivitäten in Auslandsmärkten in den Unternehmensverbund gemessen. Dies kann zum einen über die Betrachtung weltweiter Lieferverflechtungen in Form von Exportströmen erfolgen, zum anderen kann die Einschätzung der verantwortlichen Mitarbeiter über den Grad der Integration eine sinnvolle ergänzende Information sein, da sie am besten aus ihrem Arbeitsalltag heraus die Intensität der Integration bewerten können. Als dritter Bestimmungsfaktor des Internationalisierungsprofils gilt die geographischkulturelle Distanz der bearbeiteten Ländermärkte. Diese lässt sich zwar von den Unternehmen nicht unmittelbar beeinflussen, eine Entscheidung für einen bestimmten Markt und damit für eine bestimmte Distanz, wird im strategischen Management aber bewusst getroffen. Diesem Verständnis folgend ist die geographisch-kulturelle Distanz Teil der von den Unternehmen zu gestaltenden Faktoren, wobei mit zunehmender Distanz der Koordinations- und Integrationsaufwand zunimmt.
676 677
Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2002), S. 393. Vgl. Kapitel 2.1.4.
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
149
Diese Gestaltungsvariablen lassen sich in drei Konstrukte mit insgesamt acht Messgrößen unter-gliedern, die in dieser Form erfragt werden können. Wie bereits oben erwähnt, beziehen sich diese Messgrößen auf jeweils einen Ländermarkt: 1.
Art der verlagerten Wertaktivitäten
2.
Umfang der verlagerten Wertaktivitäten
3.
a.
Lokale Mitarbeiterzahl / Gesamtanzahl Mitarbeiter
b.
Lokaler Umsatz / Gesamtumsatz
c.
Anteil lokaler Wertschöpfung
Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund a.
Exportquote am Gesamtumsatz
b.
Exportquote zur Weiterverarbeitung im Unternehmensverbund
c.
Subjektive Einschätzung zur Integration der Wertaktivitäten
Die geographisch-kulturelle Distanz spielt für die Untersuchung nur eines Ländermarktes keine Rolle, da sie für alle untersuchten Unternehmen gleich ist. Die Ergebnisse lassen sich vor dem Hintergrund der ermittelten kulturellen-geographischen Distanz interpretieren, für die Modellbetrachtung reduziert sich das Internationalisierungsprofil aber auf die zwei Ebenen Art und Umfang der realisierten Wertaktivitäten und Integration der Wertaktivitäten. Unternehmen bauen im Rahmen der Internationalisierung ihre Kompetenzen zur Koordination und Integration der Wertaktivitäten mit Hilfe von Lerneffekten auf.678 Der dahinter liegende Prozess ist immer an eine bestimmte Zeit geknüpft, sodass die Messung der Dauer bestimmter Auslandsaktivitäten Rückschlüsse auf die Historizität der eingesetzten Ressourcen und Kompetenzen zulässt. Allerdings ist die Dauer keine unmittelbar beeinflussbare Gestaltungsvariable, sondern gibt nur einen Einblick in die historische Entwicklung des Auslandsengagements. Eine einmal getroffene Entscheidung kann im Nachhinein nicht mehr beeinflusst werden. Die Dauer wird daher nicht in das Modell einbezogen, sondern nur im Zusammenhang mit der abstrakten Größe WSM-Kompetenz betrachtet. 4.2.2
Kontextvariablen ausländischer Märkte
Die Kontextvariablen umfassen Einflussfaktoren der Unternehmensumwelt, die die Ausprägung der Gestaltungsvariablen prägen. Die Kontextvariablen wirken extern und sind nur in geringem Ausmaß durch die Untersuchungsobjekte beeinflussbar.679 Bei der Un678 679
Vgl. dazu Kapitel 2.2.2.2 und 2.3.4.2. Vgl. Wolf (2008), S. 38.
150
Kapitel 4
tersuchung der internationalen Unternehmenstätigkeit ist der Kontext durch den einzelnen Ländermarkt gegeben. Unternehmen, die in unterschiedlichen Ländern Wertaktivitäten haben, müssen in unterschiedlichen Umwelten agieren. Die externen Faktoren stellen also für die Unternehmen die Bedingungen dar, die sie im Rahmen einer Internationalisierung als Chance nutzen oder als Risiko vermeiden sollten.680 Allgemein lassen sich die Märkte, bzw. die spezifischen Branchenstrukturen nach ökonomischen, technologischen und kulturellen Bedingungen charakterisieren. Darüber hinaus bestehen Risiken aufgrund von rechtlichen oder bürokratischen Einschränkungen. Bei einer branchenübergreifenden Analyse ist davon auszugehen, dass die befragten Unternehmen immer in ihrem Branchenumfeld agieren und daher eine Vergleichbarkeit ihrer subjektiven Wahrnehmung des Marktes gegeben ist. Die spezifische Branchenstruktur wird im konzeptionellen Bezugsrahmen daher nicht weiter berücksichtigt. Die unterschiedlichen kulturellen Bedingungen eines Landes im Verhältnis zum Heimatland sind bereits Bestandteil der Gestaltungsvariablen. Dies zeigt, dass die Abgrenzung der Gestaltungs- und Kontextvariablen nicht immer eindeutig erfolgen kann.681 Da der Schwerpunkt dieser Arbeit aber auf den strategischen Entscheidungen internationaler Unternehmen liegt, werden die kulturellen Bedingungen ausschließlich den Gestaltungsvariablen zugeordnet. Wie die Fallstudie deutscher Unternehmen in China gezeigt hat, besteht die Notwendigkeit, den jeweiligen Ländermarkt sehr detailliert zu betrachten. Dies hängt vor allem mit der produkt- und branchenabhängigen Wahrnehmung der unterschiedlichen Marktchancen und Marktrisiken zusammen, besonders bei geographisch-kulturell fremden Ländern.682 Die Kontextvariable zur Charakterisierung eines Ländermarktes beinhaltet sechs Konstrukte mit insgesamt elf Messgrößen: 1. Absatzpotentiale 2. Kostenpotentiale 3. Beschaffungspotentiale 4. Marktbarrieren [Marktdaten / Handelshemmnisse] 5. Rechtssystem [Bürokratie und Behörden / Rechtssicherheit und Vertragstreue / Korruption / Schutz des geistigen Eigentums] 6. Technologische Bedingungen [Infrastruktur und Logistik / Verfügbarkeit Arbeitskräfte]
680
Vgl. Meyer (2006), S. 78ff. Vgl. Wolf (2008), S. 38. 682 Vgl. Kapitel 3.3.4. 681
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
151
Die Potentiale (1, 2 und 3) stellen für die Unternehmen die Marktchancen dar. Die Marktbarrieren, das Rechtssystem und die technologischen Bedingungen (4, 5 und 6) sind aus Sicht der Unternehmen potentielle Marktrisiken. In den technologischen Bedingungen sind die Infrastruktur und der Logistikmarkt (im Sinne von Qualität und Verfügbarkeit von Logistikdienstleistern) ein Kontextfaktor international tätiger Unternehmen. Logistik im Sinne der Leistung ist zwar ein Handlungsfeld des internationalen Wertschöpfungsmanagements, aufgrund der bereits in Kapitel 2.5.1.4 erwähnten fehlenden strategischen Bedeutung für die Internationalisierungsentscheidung, wird in der empirischen Untersuchung aber ausschließlich der Logistikmarkt betrachtet.683 4.2.3
Erfolgsvariablen des internationalen Wertschöpfungsmanagements
Die Erfassung der erfolgsbezogenen Variablen dient der Abwägung alternativer Ressourcen- und Marktkonfigurationen, da über sie die Vergleichbarkeit hergestellt wird. Besonders in der praxisbezogenen Forschung sollten Erfolgsfaktoren in den konzeptionellen Bezugsrahmen eingebunden werden. 684 Allerdings soll nicht ausschließlich auf „unternehmensfinale Erfolgsgrößen“685 zurückgegriffen werden. Für die Erfolgsbewertung der internationalen Unternehmenstätigkeit, bzw. der WSMKompetenz müssen Messgrößen gefunden werden, die signifikant von den Gestaltungsvariablen, sowie dem Zusammenspiel von Kontext- und Gestaltungsvariablen abhängen. Vor dem Hintergrund strategischer Entscheidungen im internationalen Management ist es sehr schwierig, einen Begründungszusammenhang zwischen rein wirtschaftlichen Daten der im Ausland befindlichen Wertaktivität und Erfolg herzustellen. Externe Einflüsse, wie zum Beispiel Steuerpolitik oder Handelshemmnisse (Zollgebühren), können die Unternehmen dazu zwingen, Auslandsvertretungen mit schlechteren oder besseren Bilanzzahlen auszuweisen, als dies der tatsächlichen Wertschöpfung im Auslandsmarkt entspricht.686 Die ergebnisbezogenen Daten Gewinnmarge und Break-even im jeweiligen Ländermarkt reichen daher nicht zur Beurteilung des Erfolgs einer Verlagerung von Wertaktivitäten aus. Die prozessbezogenen Erfolgsmaße messen den Erfolg oder Misserfolg anhand der im strategischen Management vorgegebenen Ziele über den Zielerreichungsgrad. Dadurch wird ein Zustand nicht stichtagsbezogen betrachtet, sondern vom Befragten in den Ver683
Diese Annahmen beziehen sich nicht auf Unternehmen, die in der Logistikdienstleistung tätig sind. Vgl. Wolf (2000), S. 155 und Wolf (2008), S. 38f. 685 Wolf (2008), S. 39. 686 Sind Unternehmen stark in den Unternehmensverbund integriert, können bilanzpolitische Effekte mit Hilfe von Transferpreisgestaltung erzielt werden. Da in dieser Arbeit aber die Wertaktivitäten im Vordergrund stehen, werden die finanziellen Aspekte nicht weiter betrachtet, zur Transferpreisgestaltung siehe Welge/Holtbrügge (2006), S. 285ff. 684
152
Kapitel 4
lauf eingeordnet, was vor allem bei der Betrachtung des Internationalisierungsprozesses sinnvoll erscheint. Nachteil dieser Messung ist die mangelnde Objektivität, da die Einschätzung der Zielerreichung überwiegend subjektiv erfolgt und die tatsächlichen Ziele oftmals nicht bekannt sind.687 Bezogen auf die Verlagerung von Wertaktivitäten eines Unternehmens in einen Ländermarkt lässt sich der Erfolg also anhand von zwei Konstrukten mit insgesamt drei Messgrößen untersuchen: 1.
Zielerreichung
2.
Wirtschaftsdaten [Nettogewinnmarge / Dauer bis Erreichen Break-even]
Der gemessene Erfolg, bzw. Misserfolg stellt in dem Modell die abhängige Variable dar, wobei der spezifische Einfluss von Gestaltungs- und Kontextvariablen über die Ursachen-Wirkungszusammenhänge in der Hypothesenstruktur begründet werden. 4.3 Ursache-Wirkungszusammenhänge der Variablen Die Abbildung 26 zeigt den untersuchungsspezifischen konzeptionellen Bezugsrahmen, wie er sich für international tätige Unternehmen darstellt. Dabei müssen für jedes einzelne Land die Gestaltungsvariablen, die Kontextvariablen und die Erfolgsvariablen ermittelt werden. Dem Wertschöpfungsmanagement obliegt die Koordination und Integration der einzelnen Variablen, sodass aus dem Zusammenwirken von Gestaltungs- und Kontextvariablen der Einfluss auf den Erfolg ermittelt werden kann. Unter der vereinfachenden Annahme, dass einzelne Variablen des Landes A keine Auswirkungen auf Variablen des Landes B haben, soll die Untersuchung über die UrsacheWirkungszusammenhänge, im konzeptionellen Bezugsrahmen auf ein Land bezogen, erfolgen.688 Die Pfeile in Abbildung 26 verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Gestaltungs-, Kontext- und Erfolgsvariable: -
Untersuchungsobjekt des Bezugsrahmens sind international tätige Unternehmen, deren interne Ressourcenausstattung sich mit Hilfe der Konfiguration der Wertaktivitäten charakterisieren lässt. In den Gestaltungsvariablen kommen nicht nur die Art der in einen bestimmten Ländermarkt verlagerten Wertaktivitäten zum Ausdruck, sondern gemessen am Umfang und der Integration dieser Aktivitäten wird die Qualität und die Bedeutung für das Gesamtunternehmen bestimmt. Damit spiegeln sie die strategischen Entscheidungen zur Internationalisierung wieder. Ziel des
687
Zur Messungenauigkeit und eingeschränkten Vergleichbarkeit bei subjektiv erhobenen Daten siehe Kapitel 2.1.4. 688 Als verbindendes Glied zwischen den einzelnen Ländern fungiert in diesem Modell das internationale Wertschöpfungsmanagement, welches theoretisch bereits in Kapitel 2.5.3 untersucht worden ist.
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
153
Unternehmens ist es, seine Stärken auf einem Ländermarkt auszunutzen und Schwächen möglichst zu vermeiden. -
Die Konfiguration der Wertaktivitäten auf dem einzelnen Ländermarkt wird maßgeblich durch die Kontextvariablen beeinflusst. Dabei wirken die ökonomischen Bedingungen (Absatz- und Kostenpotentiale) überwiegend als Motivatoren und stehen für die Marktchancen. Die Marktbarrieren, das (mangelhafte) Rechtssystem und technologischen Bedingungen wirken hingegen einschränkend, also als Risiko für die Unternehmen.
-
In der Realität gibt es keine einseitige Beeinflussung von Kontext- auf Gestaltungsvariable oder umgekehrt, sondern es muss eine wechselseitige Beziehung angenommen werden.689 Im Falle der internationalen Unternehmenstätigkeit kommt diese Interaktion in der Kompetenz des internationalen Wertschöpfungsmanagements zum Ausdruck.
-
Aus ressourcen- und marktorientierter Sichtweise können Unternehmen alleine aus der eigenen Ressourcenstärke heraus, bzw. aufgrund einer guten Marktpositionierung, Wettbewerbsvorteile generieren. 690 Sowohl die Gestaltungs- als auch die Kontextvariablen können die Erfolgsvariable also positiv beeinflussen. Für den vorliegenden Unter-suchungsgegenstand wird der direkte Einfluss aber als verhältnismäßig gering erachtet, im Gegensatz zum Einfluss durch das effiziente Wertschöpfungsmanagement. Das Zusammenwirken von Gestaltungs- und Kontextvariablen ermöglicht den Erfolg in Form von generierten Wettbewerbsvorteilen.
Aus dem Bezugsrahmen können nicht unmittelbar strategische Gestaltungsempfehlungen für die Internationalisierung entwickelt werden, da sich aus einer Feststellung bestehender Zusammenhänge keine Interpretation für künftiges Verhalten ableiten lässt. Dies gilt in besonderem Maße für den gemessenen Erfolg. 691 Zur Ermittlung strategischer Empfehlungen wird daher in Kapitel 6.1 eine SWOT-Analyse durchgeführt, in der die Stärken und Schwächen der Unternehmen auf Basis der Chancen und Risiken des Ländermarktes analysiert werden. Daraus lassen sich Strategien zum Wertschöpfungsmanagement international tätiger Unternehmen entwickeln.
689
Es sei darauf hingewiesen, dass zwischen einzelnen Gestaltungs- und Kontextvariablen Beziehungen bestehen, die mit jeweils eigenen Pfeilen eingezeichnet werden könnten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Die Einzelzusammenhänge finden sich aber in der Hypothesenstruktur wieder. 690 Die Darstellung der gestrichelten Pfeillinien soll auf den schwachen Zusammenhang hindeuten. 691 Vgl. Wolf (2000), S. 159f.
154
Kapitel 4 Land C
Land C Land B
Land B Land A
Kontextvariablen
Art der verlagerten Wertaktivitäten
Kostenpotentiale Beschaffungspotentiale
WSM
Umfang der Aktivitäten
Land A
Absatzpotentiale
Chancen
Gestaltungsvariablen
Integration der Wertaktivitäten
Risiken
Marktbarrieren Rechtssicherheit Technologische Bedingung
Land C Land B
Erfolgsvariablen Zielerreichungsgrad
Land A
Wirtschaftsdaten
Abbildung 26: Modell für die Untersuchung internationaler Unternehmenstätigkeit.
Ziel des konzeptionellen Bezugsrahmens ist es, das Untersuchungsfeld systematisch zu bearbeiten. Daher müssen die Variablen des Bezugsrahmens im Erhebungsinstrumentarium der empirischen Umfrage abgebildet und die Struktur des Bezugsrahmens schließlich in der Analyse aufgegriffen werden. Die empirische Überprüfung kann dann auf Basis von Hypothesen erfolgen, die das Aussagensystem für die Untersuchung bilden. Im folgenden Abschnitt werden die entsprechenden Hypothesen aus dem Bezugsrahmen abgeleitet und für die empirische Untersuchung operationalisiert. 4.4 Operationalisierung des Aussagensystems - Hypothesenbildung Wie in Kapitel 1.2 dargestellt, gibt es unterschiedliche Formen von Hypothesen. Die Forschungshypothesen leiten sich direkt aus den Erkenntnissen der ersten beiden Theoriebildungsstufen ab. Sie dienen damit als Grundlage zur Erstellung des konzeptionellen Bezugsrahmens. Aus der Theorie lässt sich die Forschungshypothese für die internationale Unternehmenstätigkeit, bezogen auf das Wertschöpfungsmanagement, aufstellen: International tätige Unternehmen benötigen WSM-Kompetenz um die Art, den Umfang und die Integration ihrer weltweit verlagerten Wertaktivitäten auf Basis ihrer eigenen Ressourcen und Fähigkeiten vor dem Hintergrund der gegebenen Marktbedingungen zu gestalten.
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
155
Um die Aussage der Forschungshypothese zu messen, muss für das Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit eine abhängige Größe definiert werden, mit der die Ergebnisse verglichen werden können. Im Rahmen dieser Untersuchung dient ein Erfolgsmaß zur Vergleichbarkeit. Darauf ausgerichtet lässt sich die Forschungshypothese konkretisieren: Die WSM-Kompetenz ermöglicht international tätigen Unternehmen durch weltweite Wertschöpfung Wettbewerbsvorteile zu generieren, was den Erfolg signifikant beeinflusst. Da sich diese Forschungshypothese nicht direkt messen lässt, muss sie in Form von operationalisierten Hypothesen konkretisiert werden. Diese lassen sich dann mit Hilfe mathematischer Methoden überprüfen.692 Da die Untersuchung der internationalen Unternehmenstätigkeit anhand deutscher Unternehmen in China durchgeführt wird, beziehen sich die operationalisierten Hypothesen direkt auf das Untersuchungsobjekt. Im Falle einer repräsentativen Stichprobe können die nicht falsifizierten Hypothesen dann wieder verallgemeinert werden. Die Forschungshypothese lässt sich in zwei Teile zerlegen. Zum einen den Teil, den die Unternehmen durch ihre eigenen Entscheidungen gestalten können, was die Zielgröße direkt beeinflusst. Zum anderen die unternehmensexterne Umwelt, die zwar einen Einfluss auf die abhängige Größe hat, als Kontext aber nicht direkt durch die Unternehmen veränderbar ist. Bei der Gestaltungvariable sind die Art der verlagerten Wertaktivitäten, der Umfang der Aktivitäten im Zielmarkt und die Integration der Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund die entscheidenden Größen. Bei der statistischen Auswertung der verschiedenen Arten von Wertaktivitätenprofilen ergibt sich das Problem, dass sich die unterschiedlichen Profile zwar beschreiben lassen (siehe Kapitel 5.2.4), eine Quantifizierung in Form eines einfachen Indizes allerdings nicht hinreichend Differenzierungen zulässt. Daher lässt sich die Art der verlagerten Aktivitäten nicht direkt in das Messmodell aufnehmen. Der Einfluss der jeweiligen Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing auf den Umfang und die Integration kann aber separat analysiert werden, auf Basis folgender Hypothesen: H 1.1) Je mehr die Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing unternehmensintern realisiert sind, desto größer ist der Umfang, in dem sich deutsche Unternehmen in China engagieren.
692
Vgl. Kapitel 1.2.
156
Kapitel 4 H 1.2) Je mehr die Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing von deutschen Unternehmen intern in China realisiert sind, desto stärker werden diese Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund integriert.
Mit diesen Hypothesen kann für die unterschiedlichen Wertaktivitäten ein Zusammenhang hergestellt werden, der sich dann im Gesamtmodell bezogen auf den Umfang und die Integration interpretieren lässt. Somit lassen sich wenigstens indirekte Effekte auf die Erfolgsgröße nachweisen. H 2.1) Je größer der Umfang, in dem die deutschen Unternehmen in China tätig sind, desto größer ist die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. Die Hypothese H 2.1) leitet sich unmittelbar aus den Erkenntnissen der Internalisierungstheorie ab. Durch das eigenständige Ausführen von Wertaktivitäten lassen sich Wettbewerbspotentiale besser ausnutzen und der unternehmensexterne Koordinationsaufwand für das Wert-schöpfungsmanagement begrenzen. Mit dem Umfang der unternehmensintern durchgeführten Wertaktivitäten in einem fremden Markt, nimmt die benötigte interne WSM-Kompetenz zu. H 2.2) Je stärker die deutschen Unternehmen ihre chinesischen Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund integrieren, desto höher sind die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. Die Hypothese H 2.2) basiert auf der Erkenntnis, dass Unternehmen Wettbewerbspotentiale in einem Land dann zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen entwickeln können, wenn diese Potentiale im weltweiten Unternehmensverbund tatsächlich auch genutzt werden. Dies erfordert eine höhere WSM-Kompetenz, besonders im internationalen Bereich. H 3.1) Je größer die Marktchancen Chinas, ausgedrückt durch den Absatzmarkt, die Betriebskosten und die Beschaffungspotentiale, desto größer ist die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. H 3.2) Je größer die Marktrisiken Chinas, ausgedrückt durch das Rechtssystem, die Marktbarrieren und die technologischen Bedingungen, desto geringer der Zielerreichungsgrad und der wirtschaftliche Erfolg. Die Hypothesen H 3.1) und H 3.2) bringen zum Ausdruck, dass die Kontextvariable des konzeptionellen Bezugsrahmens maßgeblich die Gestaltung der Wertaktivitätenkonfiguration beeinflusst. Es wird vermutet, dass von den Marktchancen ein positiver Effekt und von den Marktrisiken ein negativer Effekt ausgeht. Es ist Aufgabe des internationalen Wertschöpfungsmanagements, vor dem Hintergrund der Bewertung von Chancen und
Bezugsrahmen der internationalen Unternehmenstätigkeit
157
Risiken eines Marktes die Art, den Umfang und die Integration von Wertaktivitätenverlagerung zu steuern. Im Aussagensystem der operationalisierten Hypothesen finden sich zunächst keine direkten Vermutungen internationalen Wertschöpfungsmanagements. Wie bereits in Kapitel 2.5 dargestellt wurde, handelt es sich beim internationalen Wertschöpfungsmanagement um eine Kernkompetenz des international tätigen Unternehmens, die aber nicht direkt messbar ist. Daher kann sie auch nicht direkt abgefragt werden, sondern drückt sich durch die Art und den Umfang der verlagerten Wertaktivitäten vor dem Hintergrund der Marktchancen und Marktrisiken aus. Für das internationale Wertschöpfungsmanagement lässt sich die Hypothese daher wie folgt formulieren: H 4) Unternehmen sind umso erfolgreicher, je effizienter ihr Wertschöpfungsmanagement, bzw. je größer ihre WSM-Kompetenz ist. Können die Hypothesen des Aussagensystems mit Hilfe der empirischen Untersuchung nicht falsifiziert werden, lässt sich daraus schließlich der Erkenntnisgewinn zum internationalen Wertschöpfungsmanagement ableiten und diese Hypothese bestätigen. Falsifizierung von Hypothesen Der Test der Hypothesen erfolgt im Rahmen dieser Untersuchung über ein mathematisches Modell, welches mit Hilfe der multiplen Regression analysiert wird. Dieses Verfahren ermöglicht eine transparente und nachvollziehbare Validierung von UrsacheWirkungszusammenhängen, die auf einem bestimmten Signifikanzniveau nicht falsifiziert werden können.693 Da in diesem Verfahren die statistischen Hypothesentests bereits impliziert sind, ist es nicht notwendig, die statistischen H0 und H1 Hypothesen zu formulieren. Das mathematische Modell, was der Schätzung des Modells zugrunde liegt, wird in der methodischen Darstellung der Datenanalyse eingeführt.694 Im Rahmen dieses Kapitels wurde der konzeptionelle Bezugsrahmen für die Untersuchung der internationalen Unternehmenstätigkeit entwickelt und die Variablen definiert. Die transparente Operationalisierung des Aussagensystems ermöglicht im folgenden Kapitel eine Überprüfung der Ursache-Wirkungszusammenhänge.
693 694
Hypothesen gelten so lange als wahr, so lange sie nicht falsifiziert werden können. Vgl. Kapitel 5.1.
5
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
Auf der vierten Stufe der Theoriebildung (Prognose) erfolgt die empirische quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements. Die dazu notwendige Methodik und die Durchführung der Untersuchung in China werden im folgenden Abschnitt knapp erläutert, soweit es für das Verständnis der Auswertung zuträglich ist. 695 Der deskriptiven Analyse in Kapitel 5.2 folgt eine detaillierte Auswertung der UrsacheWirkungszusammenhänge und Überprüfung der aufgestellten Hypothesen in Kapitel 5.3. Der Erkenntnisgewinn auf Basis der Ergebnisse wird in Kapitel 5.4 zusammengefasst. 5.1 Methodik und Durchführung Zu Beginn einer empirischen quantitativen Untersuchung muss zunächst grundsätzlich festgelegt werden, ob Primär- oder Sekundärdaten ausgewertet werden sollen. Sekundärdaten haben den Vorteil, dass sie bereits vorliegen (zum Beispiel Untersuchungen öffentlich rechtlicher Organisationen). Allerdings bestand keine Möglichkeit, die Datenerhebung zu beeinflussen und die eingesetzten Erhebungsinstrumente sind nicht immer transparent. Dies kann in der Auswertung zu Genauigkeitsproblemen führen.696 Um Ungenauigkeit oder gar fehlende Parameter zu vermeiden, bietet sich die Konzeption einer eigenen Erhebung zur Gewinnung von Primärdaten an. Hierbei ist sehr genau darauf zu achten, dass die Fragestellungen nicht zu spezifisch sind und missverständliche Formulierungen vermieden werden.697 Da es zum Wertschöpfungsmanagement international tätiger Unternehmen in China noch keine vergleichbaren Untersuchungen gab, wurde eine neue Umfrage zur Erhebung von Primärdaten konzipiert. 698 In den folgenden Abschnitten wird die Methodik zur quantitativen Datenerhebung und Datenerfassung dargestellt sowie ausgewählte Instrumente zur Datenanalyse eingeführt. 5.1.1
Datenerhebung - Auswahl der Untersuchungseinheiten
Daten liefern die notwendigen Informationen in der empirischen Forschung und sind die entscheidungskritische Größe bei Forschungsprojekten. Der Umfang einer Untersuchung und die Auswahl der Erhebungsinstrumente richten sich nach dem Untersuchungsobjekt, 695
Für detaillierte Einblicke in die statistischen Verfahren sei auf die zitierte Literatur verwiesen. Vgl. und im Folgenden Kaya (2007), S. 49f. Vgl. Riesenhuber (2007), S. 12f. 698 Die Umfrage wurde gemeinsam mit Kooperationspartnern durchgeführt, die jeweils eigene spezifische Fragen einge-bracht haben. Da diese Fragen nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind, handelt sich bei dem Fragebogen um eine Mehrthemen-Umfrage („Omnibus-Umfrage“), vgl. Kuß (2007), S. 90ff. 696 697
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
160
Kapitel 5
den zu erhebenden Variablen, der benötigten Qualität und Tiefe der Informationen sowie Kosten- und Zeitrestriktionen. 699 Ist das Befragungsinstrument festgelegt, müssen die Variablen vor der Datenerfassung definiert werden. Da eine Vollerhebung der Daten aller deutschen Unternehmen in China aufgrund von Kosten- und Zeitrestriktionen unrealistisch ist, wurde im Rahmen dieser Untersuchung eine Stichprobe gebildet. Damit ist es möglich, eine Teilerhebung durchzuführen, die in ihrer Zusammensetzung möglichst der abgegrenzten Grundgesamtheit entspricht.700 Die Stichprobe kann entweder nichtzufällig gebildet werden, in dem man bestimmte Teile der Grundgesamtheit bewusst auswählt und befragt, oder zufällig zustande kommen. Bei der einfachen Zufallsstichprobe ist darauf zu achten, dass einzelne Teile der Grundgesamtheit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit an der Untersuchung partizipieren können. Nur von einer repräsentativen Stichprobe können die Ergebnisse später auf die Grundgesamtheit übertragen werden.701 Wie bereits in der empirisch-induktiven Untersuchung war die quantitative Analyse auf deutsche Unternehmen mit Aktivitäten in China beschränkt.702 Um eine möglichst repräsentative Stichprobe zu erhalten, wurden als potentielle Teilnehmer der Untersuchung alle deutschen Unternehmen ausgewählt, die ihr Auslandsengagement in China im eigenen Namen betreiben, in China direkt investiert haben und Personal in einer eigenen Unternehmensform an einem chinesischen Standort beschäftigen.703 Dies entspricht dem Mindestkriterium für internationale Unternehmen, wie es in Kapitel 2.1 festgelegt wurde. Die Unternehmen, die dieses Kriterium erfüllen, wurden alle eingeladen, sich an der Umfrage zu beteiligen, somit bestand für jedes Unternehmen zunächst die gleiche Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme. Die notwendige Bedingung für die Zufallsstichprobe ist damit erfüllt und bei einer hinreichend großen Stichprobe ist von einer ähnlichen Zusammensetzung wie der Grundgesamtheit auszugehen. Mögliche Abweichungen zum Erwartungswert in der Stichprobe werden in der deskriptiven Analyse untersucht. Danach kann über eine Zulässigkeit zur Verallgemeinerung entschieden werden. Primärdatenerhebungen können mittels einer Befragung oder einer Beobachtung durchgeführt werden.704 Die Befragung, bei der die untersuchten Teilnehmer sich entweder mündlich oder schriftlich äußern müssen, kann in standardisierte und nichtstandardisierte Untersuchungen unterschieden werden. Obwohl eine standardisierte Befragung die Flexibilität einschränkt und teilweise zu Ungenauigkeiten aufgrund missver699
Vgl. Kaya (2007), S. 49ff. Vgl. und im Folgenden Kaya/Himme (2007), S. 79ff. Vgl. Fahrmeir (2007), S. 25 und Riesenhuber (2007), S. 8. 702 Vgl. zur ausführlichen Begründung Kapitel 3. 703 In diesem Fall wurden Repräsentanzbüros ebenfalls als eigene Unternehmensform betrachtet. 704 Vgl. Schnell/Hill/Esser (2008), S. 358ff und S. 377ff. 700
701
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
161
ständlicher Fragestellungen führen kann, stellt der Fragebogen für große Stichproben ein sehr effizientes Werkzeug dar. Damit können möglichst schnell und kostengünstig viele Teilnehmer in die Untersuchung einbezogen werden.705 Aufgrund der zu erwartenden Teilnehmerzahl, die eine repräsentative Stichprobe deutscher Unternehmen in China erfordert, sowie der geographischen Streuung in einem großen Untersuchungsland, wurde in dieser Untersuchung eine standardisierte Befragung mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt. 5.1.2
Datenerfassung - Konzeption des Fragebogens
Der Fragebogen wurde im Rahmen einer kooperativen Untersuchung zwischen der Auslandshandelskammer Shanghai (AHK)706, der Unternehmensberatung EAC707 und dem Lehrstuhl Global Supply Chain Management (GSCM) des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs der Tongji-Universität Shanghai708 entwickelt.709 Die allgemeinen Teile des Fragebogens (A, B, D, F) wurden gemeinsam entworfen. Darüber hinaus konnte jeder Kooperationspartner noch weitere Fragen in den Fragebogen hinzufügen, die seinen weiteren Forschungsinteressen dienten. Da die Organisationsform beim Markteintritt einen erheblichen Einfluss auf die Erfahrungen der Unternehmen hat, wurden die Unternehmen abhängig von ihrer Organisationsform angesprochen. Insgesamt wurden drei unterschiedliche Fragebogenversionen entwickelt, die sich an den jeweiligen Organisationsformen (WFOE, JV, REP) orientierten. 710 Die Grundstruktur der Fragebogen ist allerdings identisch und der Fragebogen gliedert sich wie folgt:711 A) Chancen des chinesischen Marktes, B) Herausforderungen in China, C) Supply Chain Management, D) Erfolgseinschätzung und Zukunftspläne, E) Zufriedenheit mit der Markteintrittsstrategie und F) Unternehmensmerkmale.
705
Vgl. Kaya (2007), S. 51ff. Mehr Informationen zur AHK Shanghai im Internet: www.shanghai.ahk.de. Mehr Informationen zur EAC Consulting im Internet: www.eac-consulting.de. 708 Das Team des GSCM-Lehrstuhls wurde geleitet vom Autor dieser Arbeit, mehr Informationen zum GSCMLehrstuhl im Internet: www.global-scm.net. 709 Der Fragebogen findet sich im Anhang A.1. Es wird daher darauf verzichtet, alle Fragen und Variablen einzeln zu erwähnen, auf sie wird in der Auswertung Bezug genommen. 710 Bei der Auswertung im Rahmen dieser Untersuchung spielt die Organisationsform nur eine untergeordnete Rolle. 711 Alle Verweise auf Fragen-Nummern oder Abschnitte des Fragebogens beziehen sich auf die deutsche WFOE-Version des Fragebogens. Auf Abweichung zu anderen Versionen (JV, REP) wird im Zweifel hingewiesen, sofern es für diese Untersuchung von Bedeutung ist. 706 707
162
Kapitel 5
Die Abschnitte A) und B) fragten detailliert nach der Einschätzung der Unternehmen zu ihren Chancen und Herausforderungen im chinesischen Markt. Dabei wurden Absatz-, Kosten- und Beschaffungspotentiale untersucht, sowie die Marktrisiken betrachtet. Im Aufbau des Fragebogens schließt sich die Einschätzung zur Zukunft an die Beurteilung der Gegenwart an, was einen späteren Vergleich zwischen dem Status-quo und der erwarteten Entwicklung ermöglicht.712 Der Abschnitt C) 713 ist mit Supply Chain Management 714 überschrieben, befasste sich aber im Sinne dieser Arbeit mit den unternehmensinternen Wertaktivitäten, die in China ausgeführt werden. Neben den Handlungsfeldern des internationalen Wertschöpfungsmanagements Beschaffung, Produktion, Marketing und Logistik715, enthielt der Fragebogen auch Forschung & Entwicklung sowie After-Sales-Service. Für die einzelnen Wertaktivitäten konnte jeweils angegeben werden, ob diese vollständig unternehmensintern 716, teilweise unternehmensintern oder gar nicht unternehmensintern durchgeführt werden. Bei letzteren war es im Sinne der Forschungsfrage unerheblich, ob die Wertaktivität von dem Unternehmen überhaupt nicht in China in Anspruch genommen oder von einem anderen Anbieter erbracht wird. Auch hier wurde die Erwartung über die künftige Entwicklung abgefragt. Als Erfolgsmaß konnten die Befragten die Zufriedenheit mit ihren Wertaktivitäten bewerten. Mehrere Fragen zum Umfang der China-Aktivitäten und zur Integration der Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund schlossen das Kapitel ab. Abschnitt D) diente der Erfolgseinschätzung des Unternehmens und den (daraus resultierenden) Zukunftsplänen. Dabei wurden bilanzorientierte Erfolgsmerkmale (Nettogewinnmarge, Break-even) und subjektive Erfolgseinschätzungen (Zielerreichung) erfasst.
712
Immer, wenn im Fragebogen nach der Zukunftseinschätzung gefragt wurde, handelt es sich um den Zeitraum von drei Jahren, bezogen auf den Befragungszeitraum also bis Ende 2010. Bei der späteren elektronischen Erfassung wurden die Zukunftswerte jeweils in einer eigenen Variable dargestellt, was eine separate Analyse ermöglicht. 713 Abschnitt C) richtete sich ausschließlich an WFOE und JV, da Repräsentanzbüros aus rechtlicher Sicht keine eigenen Wertaktivitäten in China betreiben dürfen. Die REP werden daher im weiteren Verlauf ausschließlich zur Geschäftsanbahnung entweder bei der Beschaffung oder beim Marketing angesehen, wobei im Verständnis dieser Arbeit dies bereits eine Wertsteigerung mit sich bringt und damit also eine Wertaktivität darstellt. Auf weitere Details wird in der Auswertung hingewiesen. 714 Um Übersetzungs- und Verständnisschwierigkeiten zu vermeiden, wurde in der Datenerfassung der Begriff Supply Chain Management verwendet, der besonders bei Managern hinreichend bekannt ist. Die Fragestellung orientierte sich aber implizit am Verständnis des Wertschöpfungsmanagements, wie es im Rahmen dieser Arbeit definiert worden ist. Die Auswertung folgte diesem entsprechend. 715 Logistik im Sinne des Fragebogens beschränkte sich auf Transport und Distribution, die Produktionslogistik war nicht Bestandteil der Untersuchung. 716 Auch im deutschsprachigen Fragebogen wurde die allgemein verständliche Bezeichnung „in-house“ gewählt. Im Rahmen dieser Auswertung wird aber ausschließlich die Bezeichnung „unternehmensintern“ verwendet.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
163
In Abschnitt E) wurde die Markeintrittsentscheidung entsprechend der Internationalisierungsform, sowie die jeweilige Zufriedenheit abgefragt. Es galt hier, die unterschiedlichen Erfahrungen eines eigenständigen Tochterunternehmens unter deutscher Geschäftsführung und eines Joint Venture mit einem chinesischen Partner getrennt zu erfassen. Dieser Aspekt spielt aber im Rahmen dieser Arbeit nur eine untergeordnete Rolle. Abschnitt F) diente zur Erfassung der allgemeinen Unternehmensmerkmale, zum einen der chinesischen Tochtergesellschaft, zum anderen der deutschen Muttergesellschaft. Darüber hinaus wurden die Branchenzugehörigkeit, die Dauer des Engagements in China und der regionale Sitz der chinesischen Gesellschaft abgefragt. Mess- und Skalierbarkeit Der Einsatz eines standardisierten Fragebogens bedingt immer die Mess- und Skalierbarkeit der abzufragenden Variablen. Nur wenn diese gegeben sind, lassen sich die Daten wie gewünscht erfassen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Messung und Skalierung intersubjektiv nachvollziehbar und die Fragestellung unmissverständlich formuliert ist, da die erhobenen Datensätze ansonsten nicht vergleichbar sind.717 Das größte Problem bei der Selbsteinschätzung ist es also, sicherzustellen, dass die Befragten dasselbe Verständnis der jeweiligen Fragen haben. Zur Messung werden so genannte Rating-Skalen eingesetzt, die den Befragten Antworten in verschiedenen Kategorien ermöglichen.718 Zum klaren Verständnis müssen die Rating-Skalen kurz und prägnant formuliert werden und die Anzahl der Kategorien muss – der Frage und ihrem Informationsgehalt entsprechend - sinnvoll gewählt sein. Die Kategorien können entweder konkret beschriftet oder relativ mit abstrakten Zahlenwerten angegeben sein. Je nach Fragestellungen bestanden die Rating-Skalen im Fragebogen aus drei, vier oder fünf Kategorien, wobei vergleichbare Fragen immer dieselbe Anzahl an Kategorien hatten. Insgesamt muss der Fragebogen aufgrund seiner neun Seiten Länge und 206 abgefragten Variablen719 als „umfassend“ bezeichnet werden. Durch ein übersichtliches Design sowie eine klar strukturierte Gliederung wurde versucht, eine effiziente Beantwortung zu ermöglichen. Die durchschnittliche Beantwortungszeit konnte im Vorfeld mit knapp 20 Minuten getestet werden, was für eine schriftliche Umfrage akzeptabel ist. Der Fragebogen richtete sich ausschließlich an die Unternehmensleitung, da nur dort von einem umfassenden Verständnis der strategischen Entscheidungen auszugehen ist. Um dabei die Sicht der Mutterhäuser mit einfließen zu lassen, sollten die Fragebogen aus-
717
Vgl. und im Folgenden Greving (2007), S. 65ff. Neben der Kategorisierung wäre auch die Beantwortung auf einer kontinuierlichen Skala möglich, die aber in der Erfassung der Daten Schwierigkeiten bereitet, vgl. Simon (2007), S. 69. 719 Der Fragebogen für JV beinhaltete 207 Variablen und der Fragebogen für REP 148 Variablen. 718
164
Kapitel 5
schließlich von entsandten Mitarbeitern und nicht von lokalen chinesischen Assistenten ausgefüllt werden. Aus diesem Grund war eine Teilnahme an der Befragung nur in Deutsch oder Englisch möglich, eine chinesische Übersetzung des Fragebogens gab es nicht. Mögliche Fehlerquellen durch Übersetzungsungenauigkeiten ins Chinesische waren damit ausgeschlossen.720 Vor dem Start der eigentlichen Datenerhebung, wurde der Fragebogen von fünf unabhängigen, potentiellen Teilnehmern getestet. Dabei wurden missverständliche Fragestellungen aufgedeckt und der Bearbeitungsaufwand abgeprüft. Die Erkenntnisse aus dem Pre-Test wurden in die finale Version des Fragebogens eingearbeitet. 5.1.3
Datenanalyse
Um die Qualität der erhobenen Daten zu testen und die vermuteten UrsacheWirkungszusammenhänge zu bestätigen, werden in der Datenanalyse statistische Werkzeuge eingesetzt. Die Datenanalyse unterscheidet sich je nach Detaillierungsgrad in: 1.
Allgemeine Beschreibung der erhobenen Daten,
2.
deskriptive Auswertung und
3.
detaillierte Analyse der vermuteten Ursache-Wirkungszusammenhänge.
Bei der allgemeinen Beschreibung (zu 1.) wird die tatsächlich erhobene Stichprobe charakterisiert. Dies kann schon im Rahmen der Durchführungsbeschreibung einer Untersuchung geschehen. Spezielle statistische Werkzeuge sind dazu nicht notwendig. Die deskriptive Auswertung (zu 2.) zielt bereits auf den Untersuchungsgegenstand und die Forschungsfrage ab. Sie liefert beschreibend einen ersten Einblick in die zu erwartenden Ergebnisse. Verwendetes Analysewerkzeug ist eine bestimmte Standardsoftware, zum Beispiel ein Tabellenkalkulationsprogramm oder ein webbasiertes Auswertungstool. Mit diesen werden zunächst die Variablenwerte erfasst, danach können erste standardisierte Auswertungen meist mit graphischen Darstellungen durchgeführt werden. In der detaillierten Analyse (zu 3.) geht es zunächst darum, die Qualität und Güte der Daten zu überprüfen, zum Beispiel durch die Messung der Verteilungseigenschaften. Dies ist für die weitere Datenverarbeitung wichtig. Anschließend können Konstrukte auf ihre inhaltliche Konsistenz getestet und Ursache-Wirkungszusammenhänge überprüft werden. Als Werkzeug werden professionelle Auswertungstools verwendet, zum Beispiel SPSS oder STATA. Die Variablenauswahl für die Konstrukte des konzeptionellen Bezugsrahmens kann mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse bestätigt werden. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge lassen sich dann mit Regressionsanalysen 720
Zu den Problemen beim Übersetzen von Fragebögen ins Chinesische vgl. Zhao/Flynn/Roth (2006), S. 473f.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
165
statistisch nachweisen.721 Die multiple lineare Regression dient der Analyse der im konzeptionellen Bezugsrahmen aufgestellten Hypothesen. Ziel der Analyse ist die Überprüfung der vermuteten Ursache-Wirkungszusammenhänge und ob diese auf einem zuvor definierten Signifikanzniveau bestätigten Zusammenhänge auf die Grundgesamtheit übertragbar sind.722 Im Folgenden werden ausgewählte empirische Verfahren knapp vorgestellt, die im Rahmen dieser Untersuchung eingesetzt werden. Zur detaillierten Betrachtung sei auf die zitierte Literatur verwiesen. Testverfahren zu den Verteilungseigenschaften der Daten Die statistische Auswertung setzt grundsätzlich annähernd normalverteilte Daten voraus. Eine stetige Zufallsvariable mit folgender Wahrscheinlichkeitsdichte heißt „µ-σnormalverteilt“, wenn 1 x−µ σ
− 1 f ( x) = e 2 σ 2π
2
,
wobei µ der Erwartungswert und σ die Standardabweichung von X ist.723 Bei sozialwissenschaftlichen Erhebungen liegen die relevanten Merkmale in den meisten Fällen zumindest annähernd normalverteilt vor, sofern die Ergebnisse auf einer metrischen Skala erfasst werden. Gerade bei wenigen Kategorien kann eine Verteilung aber schief sein, was bei der späteren Analyse zu höheren geschätzten Fehlern führen würde. Daher sollte eine Überprüfung der abhängigen Variablen in den Modellen optisch mittels Histogrammen erfolgen. Testverfahren, wie zum Beispiel der Kolmogorov-SmirnoffTest oder der X2-Test (Chi-Quadrat-Test) führen bei Datensätzen mit nur wenigen Skalenwerten meistens zu unbefriedigenden Ergebnissen.724
721
Vgl. Bortz (1999), S. 173f. Vgl. Riesenhuber (2007), S. 14. 723 Vgl. und im Folgenden Bortz (1999), S. 70ff. 724 Zu den Testverfahren siehe Bortz (1999), S.145ff. 722
166
Kapitel 5
Korrelationskoeffizient und Signifikanztest Der Korrelationskoeffizient beschreibt den Grad und die Richtung einer linearen Beziehung metrischer Daten. Sind für die beiden Zufallsvariablen zwei Messreihen x1 … xn und y1 … yn bekannt, wird der Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson725 berechnet. n
n ⋅
r =
n ⋅
n
∑ x i=1
2 i
−
n
∑ x iy i=1 n
∑ x i=1
i
i 2
−
n
∑ x i∑ y i=1 i=1
⋅ n ⋅
n
∑ y i=1
2 i
i
−
n
∑ y i=1
i
2
n = Anzahl der Werte xi = Datenreihe 1 yi = Datenreihe 2 Der Koeffizient r ist eine dimensionslose Zahl und damit ein normiertes Maß mit Maximalwerten von +1 und -1. Bei einem Wert von r = +1 spricht man von einem perfekt positiven Zusammenhang, bei r = -1 von einem perfekt negativen Zusammenhang. Bei r = 0 besteht kein linearer Zusammenhang. Mit zunehmendem absolutem Zahlenwert des Koeffizienten wird die Beziehung zwischen den Variablen stärker.726 Die Abhängigkeit kann am besten mit Hilfe eines Streudiagramms grafisch dargestellt werden, mathematisch wird eine Regressionsgerade mit Hilfe der „Methode der kleinsten Quadrate“ bestimmt. Diese ist genau so lokalisiert, dass die Summe der vertikalen Abweichungen der Punkte des Streudiagramms von der Geraden gleich Null und die Summe der quadrierten Abweichungen ein Minimum ist.727 Es gibt keine exakten Grenzwerte für den Korrelationskoeffizienten, die Zusammenhänge qualitativ bewerten können; dies ist u.a. von der Qualität der erhobenen Daten abhängig. Während zum Beispiel bei technischen Messungen erst ab einem absoluten Wert von r = 0,5 von einem Zusammenhang gesprochen werden kann, werden bei sozialwissenschaftlichen Anwendungen Zusammenhänge schon ab r = 0,2 als verwertbares Ergebnis interpretiert.728 Zudem spielt der Stichprobenumfang eine entscheidende Rolle: je größer dieser ist, umso schwieriger sind große Korrelationskoeffizienten zu ermitteln. D.h. in größeren Stichprobenumfängen können kleinere Korrelationskoeffizienten schon aussagekräftig sein.
725
Auch als „Produkt-Moment-Korrelation“ bezeichnet, vgl. Bortz (1999), S. 196f. Vgl. Heike/Tarcolea (2000), S. 85f und Bamberg/Baur/Krapp (2008), S. 36ff. 727 Zur detaillierten Darstellung der Methode der kleinsten Quadrate siehe Benninghaus (2005), S. 312ff. 728 Vgl. und im Folgenden Benninghaus (2005), S. 304ff und Bortz (1999), S. 209f. 726
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
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Mit einem Signifikanztest kann eine ermittelte Abhängigkeit validiert werden. Da Korrelationskoeffizienten zweier normalverteilter Zufallsvariablen t-verteilt sind, wird ein einseitiger t-Test durchgeführt – als Prüfverteilung dient die t-Werte-Verteilung und der Korrelationskoeffizient wird mit folgender Formel in einen t-Wert umgerechnet:
t=
r⋅ n−2 1− r2
r = Korrelationskoeffizient n = Stichprobenumfang
Die Grenzwerte für t sind für unterschiedliche Stichprobengrößen und die entsprechende Signifikanzniveaus tabelliert. 729 Liegt der errechnete t-Wert unter dem tabellierten t-Wert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Werte nur zufällig korrelieren, unterhalb des entsprechenden Niveaus – die Nullhypothese wird also fälschlicherweise angenommen. Bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit größer als 10 % ist die Korrelation nicht mehr statistisch gesichert und man kann damit keinen statistischen Zusammenhang, sondern maximal einen Trend nachweisen. Die Frage der Kausalität wird durch den Korrelationskoeffizient nicht geklärt, auch wenn er statistisch signifikant ist. Alle Kausalitäten, die mit Hilfe von Korrelationen bestätigt werden, müssen immer inhaltlich begründet sein – trotz intensiver Betrachtung der Beeinflussungsmöglichkeiten werden aber niemals alle Zweifel beseitigt. Dies gilt besonders bei Umfragen, wie zum Beispiel einer standardisierten Befragung von Geschäftsführern. Faktorenanalyse Bei einer Vielzahl von Variablen können Zusammenhänge häufig nicht auf Anhieb erkannt werden, bzw. nicht auf einen Blick bestätigt werden. Die Faktorenanalyse soll als datenreduzierendes Verfahren in die vielen Variablen eine ordnende Struktur bringen, so dass sich untereinander unabhängige Beschreibungs- und Erklärungsvariablen finden, bzw. bestätigen lassen. Man unterscheidet die exploratorische und die konfirmatorische Faktorenanalyse.730 Erstere dient der Entdeckung neuer Zusammenhänge, zweitere der Bestätigung von vermuteten Zusammenhängen. Mit diesem Verfahren wird die empirische Forschungsarbeit gerade im Bereich der Sozialwissenschaften erheblich erleichtert.731 729
Eine übersichtliche Tabelle mit den t-Werte findet sich bei Bortz (1999), S. 775. Vgl. Bühner (2006), S. 179ff. und 235ff. Backhaus sieht die konfirmatorische Faktorenanalyse als Spezialfall der Strukturgleichungsanalyse an, vgl. Backhaus et al.(2008), S. 330. 731 Vgl. Backhaus et al. (2008), S. 260 und Bortz (1999), S. 495. 730
168
Kapitel 5
Die Faktorenanalyse konstruiert synthetische Variablen auf Basis von den Korrelationen zwischen den Datensätzen. Es handelt sich um hypothetische Konstrukte, die nicht direkt messbar sind, sondern sich über reflektive Messmodelle darstellen lassen. Diese hypothetischen Größen werden – abweichend vom gewöhnlichen Sprachgebrauch – als ein „Faktor“ bezeichnet und sollen das Zustandekommen von Korrelationen erklären. Die einzelnen Indikatoren stehen dabei in bestimmten Abhängigkeiten zu den ermittelten Faktoren. Voraussetzung für eine Faktorenanalyse sind annähernd normalverteilte metrische Daten.732 Die Korrelationswerte zwischen Variablen und den ermittelten Faktoren bezeichnet man als Faktorladung, diese werden in der Faktorladungsmatrix zusammengefasst. 733 Die eindeutige Konstruktion einer Ladungsmatrix bedingt orthogonale Faktoren, die also nicht korrelieren.734 Für eine zulässige Interpretation sollten nur Faktorladungen größer 0,5 verwendet werden. Da nicht alle Variablen mit einem Faktor erklärt werden können, wird für Restkorrelationen ein weiterer Faktor bestimmt, der vom ersten Faktor unabhängig ist. Dieses Verfahren wird solange fortgeführt, bis keine Restkorrelationen mehr vorhanden sind. Allerdings ergibt sich ein Zielkonflikt: Zur leichteren Interpretation ist eine geringe Faktorenzahl wünschenswert, dies bedingt aber tendenziell einen größeren Informationsverlust. Dementsprechend sollte im Vorfeld festgelegt werden, für wie viele Faktoren die Faktorenanalyse - ohne entscheidenden Informationsverlust - wechselseitig mehr oder weniger hoch korrelierende Variablen erzeugt.735 Je einfacher und eindeutiger die Faktoren, desto besser lassen sich Zusammenhänge interpretieren.736 Die Eignung der Daten und das Signifikanzniveau der Korrelationsmatrix können nachträglich festgestellt werden. Der Signifikanztest ermittelt die Irrtumswahrscheinlichkeit der einzelnen Korrelationen, also mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Werte von Null unterscheiden – Korrelationen mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit größer 5 % sind in der Regel nicht validierbar. Hohe Korrelationen sagen allerdings auch bei der Faktorenanalyse nichts über die Kausalität der Zusammenhänge aus. 737 In leichter Abwandlung zur eigentlichen Hauptachsenanalyse, kann die Hauptkomponentenanalyse als faktorenanalytische Methode angewandt werden. Dabei werden in der Modellformulierung aufgrund theoretischer Überlegungen zunächst Gruppen gebildet, 732
Vgl. Bortz (1999), S. 495; Backhaus et al.(2008), S. 519f und Bamberg/Baur/Krapp (2008), S. 233ff. Vgl. und im Folgenden Backhaus et al.(2008), S. 269ff. 734 Vgl. Hartung/Elpelt (1992), S. 518. 735 Vgl. Bortz (1999), S. 496f. 736 Vgl. Hartung/Elpelt (1992), S. 505. 737 Zur Theorie der Hauptkomponentenanalyse vgl. und im Folgenden Hartung/Elpelt (1992), S. 528 und Bortz (1999), S. 496ff. 733
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
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die mit Sammelbegriffen sinnvoll inhaltlich beschrieben werden können. Komplizierte Beziehungen in beobachteten Daten sollen so auf eine einfache Form reduziert werden. Mit Hilfe der Faktorenanalyse können diese Parameter geschätzt werden und in der Beurteilung die Sinnhaftigkeit der Gruppenauswahl bestätigt oder verworfen werden.738 Nicht immer erhält man nach der Faktorenanalyse eindeutige Ergebnisse, in diesem Fall kann eine Transformation durch Rotation der Koordinatenachsen eine so genannte „Einfachstruktur“ erzeugen. 739 Ein effizientes Rotationsverfahren ist die Varimax-Technik, bei der möglichst einfache Lösungen iterativ bestimmt werden und die Orthogonalität der Achsen erhalten bleibt. Das entsprechende Einfachstrukturkriterium verlangt, dass pro Faktor einige Variablen möglichst hoch, andere möglichst niedrig laden. Die Aussagekraft der faktoranalytischen Ergebnisse wird durch die Rotation des Koordinatenkreuzes nicht verfälscht, was sich mathematisch nachweisen lässt.740 Mit Hilfe des Kaiser-Meyer-Olkin-Verfahrens kann die Qualität der Ergebnisse aus der Faktoranalyse Kriterium“
741
getestet
werden.
Kaiser-Meyer-Olkin
entwickelten
das
„MSA-
, das angibt, in welchem Umfang die Ausgangsvariablen zusammengehö-
ren; es dient somit als Indikator dafür, ob eine Faktorenanalyse sinnvoll erscheint oder nicht. Die als „Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium“ bezeichnete Prüfgröße gilt als das beste zur Verfügung stehende Verfahren zur Prüfung der Korrelationsmatrix. Es wird in Anlehnung an Backhaus die in Tabelle 6 dargestellte Beurteilung zu Grunde gelegt.742 Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium
Bewertung
MSA > 0,8
Sehr gut, wünschenswert
MSA > 0,7
Gut
MSA > 0,6
Mittelmäßig
MSA < 0,6
Nicht haltbar
Tabelle 6: Beurteilung des Kaiser-Meyer-Olkin-Kriteriums. Quelle: In Anlehnung an Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2008), S. 336.
738
Vgl. Backhaus et al.(2008), S. 521f. Bei detaillierter Betrachtung wird deutlich, dass die konfirmatorische Faktorenanalyse Ähnlichkeiten zur Kovarianzstrukturanalyse (Kausalmodellierung) aufweist. Dies wird aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. 739 Vgl. und im Folgenden Hartung/Elpelt (1992), S. 547ff. 740 Vgl. Bortz (1999), S. 532ff. 741 MSA = measure of sampling adequacy. 742 Vgl. Backhaus et al.(2008), S. 276.
170
Kapitel 5
Regressionsanalyse Zu den multivariaten Verfahren der Datenanalyse zählt die Regressionsanalyse. Die einfache lineare Regressionsanalyse dient dazu, den Einfluss eines erklärenden Merkmals X auf die Zielvariable Y festzustellen. Dabei wird Y als Funktion von X plus einen nicht erklärbaren Teil ! vermutet:743
" # $%&' ( !
Zur Regressionsanalyse muss zunächst ein Modell formuliert werden, was auf Grundlage theoretischer Erkenntnisse beruht. Durch Betrachtung einzelner Variablen kann eine Einschätzung über die vermutete Regressionsfunktion erfolgen, zum Beispiel, ob die Zusammenhänge linear oder quadratisch sind. Nach der Modellschätzung können dann die einzelnen Regressionskoeffizienten analysiert und damit schließlich die Modellannahmen untersucht werden.744 Voraussetzungen für die einfache lineare Regression ist eine metrisch skalierte Zielvariable, die annähernd normalverteilt ist. Für das Standardmodell gilt:745 Dabei sind:
)* # á ( â-* ( .* ,
* # 0, … , 2
"3 , … , "4 beobachtbare metrische Zufallsvariablen,
53 , … , 54 gegebene deterministische Werte oder Realisierungen einer metrischen Zufallsvariablen X
!3 , … , !4 unbeobachtbare Zufallszahlen, die unabhängig und identisch verteilt sind mit 6%!7 ' # 0 und 9:;%!7 ' # ó= .
Die Regressionskoeffizienten á, â und die Varianz ó² sind unbekannte Parameter, die aus den Daten %?7 , 57 ', @ # 1, … , B, zu schätzen sind.
Die lineare Regression wird standardmäßig mit der Methode der kleinsten Quadrate (KQ-Methode) geschätzt.746 Damit können die direkten und indirekten Effekte der unab-
hängigen Variable auf die abhängige Zielgröße ermittelt werden. Die standardisierten Koeffizienten bieten die Möglichkeit, Hypothesen auf bestimmten Signifikanzniveaus zu verwerfen. Eine Erweiterung der einfachen linearen Regression stellt die multiple lineare Regression dar. Oftmals lassen sich die Zusammenhänge nicht mit einer einzigen Variable erklären. In einer multiplen linearen Regression lassen sich mehrere Erklärungsva743
Vgl. und im Folgenden Fahrmeir (2007), S. 475ff. Vgl. Backhaus et al.(2008), S. 58f. 745 Vgl. Fahrmeir (2007), S. 477. 746 Vgl. und im Folgenden Fahrmeir (2007), S. 480ff und Backhaus et al.(2008), S. 56ff. Dort findet sich auch eine detaillierte Darstellung zum Schätzen und Testen der Regressionsfunktion. 744
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
171
riablen einbringen und deren Einfluss auf eine abhängige Zielvariable messen. Die Anforderungen an die Variablen sind hierbei genau wie bei der einfachen linearen Regression. Zusätzlich muss der Umfang der Stichprobe immer größer sein als die Anzahl der zu schätzenden Parameter. Um die Schätzfehler möglichst gering zu halten und ein stabiles Modell zu erzeugen, sollte der Stichprobenumfang allerdings deutlich größer sein, als die Parameteranzahl. Darüber hinaus darf zwischen den Variablen keine Multikorrelinearität bestehen. Besonders die Zielvariable muss unabhängig sein, d.h. sie darf nicht aus einer der Erklärungsvariablen hervorgehen. Zur Vermeidung von Scheinkorrelationen sollten im Modell immer so genannte Kontrollvariablen enthalten sein, mit denen der Einfluss von X auf Y kontrolliert wird. Bei der multiplen Regression kontrollieren sich die unabhängigen Variablen gegenseitig.747 Für die Zielfunktion der multiplen linearen Regression gilt:748 Dabei sind:
)* # âC ( â0 -*0 ( D ( âE -*E ( .* ,
"3 , … , "4 beobachtbare metrische Zufallsvariablen,
* # 0, … , 2
53 , … , 54 gegebene deterministische Werte oder Realisierungen einer metrischen Zufallsvariablen X
!3 , … , !4 unbeobachtbare Zufallszahlen, die unabhängig und identisch verteilt sind mit 6%!7 ' # 0 und 9:;%!7 ' # ó= .
Die Regressionskoeffizienten âF ,…, âG und die Fehlervarianz ó= sind aus den Daten ?7 , 573 , … , 57G , @ # 1, … , B, zu schätzen. Die Schätzung des Modells findet ebenfalls über die KQ-Methode statt, die Testverfah-
ren beziehen sich auf hypothesentestende Untersuchungen. Da die Parameter in der mul-
tiplen Regression nicht mehr so einfach nachvollzogen werden können, kommt der Bewertung der ermittelten Schätzwerte eine besondere Bedeutung zu. Dies erfolgt grundsätzlich über Testverfahren, die hier aber nicht vorgestellt werden.749 Die verwendeten Statistikprogramme ermitteln automatisch die standardisierten Regressionskoeffizienten und das Signifikanzniveau. Zusätzlich geben sie das Bestimmtheitsmaß R2 an, mit dem sich der Anteil der erklärten Varianz ablesen lässt. 747
Von einer Scheinkorrelation spricht man dann, wenn ein vermeintlicher Einfluss von X auf Y eigentlich auf einen ganz anderen Parameter Z zurückzuführen ist. Als bestes Beispiel dient das Storch-Kinder-Beispiel: In einer Stadt gibt es weniger Störche und weniger Kinder, sodass man logisch schlussfolgern könnte, dass die Anzahl der Störche die Anzahl der neugeborenen Kinder signifikant beeinflusst. Erst unter Hinzunahme einer Kontrollvariable, in diesem Fall der „Ländlichkeit“, wird offensichtlich, dass sich die Anzahl der Kinder und die Anzahl der Störche auf diesen Faktor beziehen und sich daher nur vermeintlich gegenseitig beeinflussen. 748 Vgl. Fahrmeir (2007), S. 495. 749 Vgl. dazu Fahrmeir (2007), S. 499f.
172
Kapitel 5
Entsprechend
der
Ergebnisqualität
lassen
sich
vermutete
Ursache-
Wirkungszusammenhänge bestätigen. Dabei gibt es aber keine feste Grenze zur Interpretation der Zahlenwerte. Vielmehr ist vor dem Hintergrund des Stichprobenumfangs und der Modellstabilität zu argumentieren, sodass auf den ersten Blick nicht signifikante Werte gegebenenfalls noch als Trend nachgewiesen werden können. Zur besseren Transparenz der komplexen Systeme sollen die Kausaleffekte, in Form der standardisierten Einflusswerte auf die Zielvariable, in einem Pfaddiagramm dargestellt werden. Da in der multiplen Regression die Variablen automatisch standardisiert werden, lassen sich die Einflüsse unmittelbar miteinander vergleichen. Neben den direkten Effekten, die im Modell ausgegeben werden, lassen sich auch indirekte Effekte ermitteln, die in der Interpretation ebenfalls Berücksichtigung finden sollten. 750 Bei der Pfadanalyse müssen zusätzlich die Annahme der Rekursivität und der nicht vorhandenen Korrelation von Fehlern beachtet werden. Es wird also unterstellt, dass die Einflüsse der unabhängigen Variable nur in eine Richtung wirken und die ermittelten Schätzfehler keinen Einfluss aufgrund ihrer Korrelation haben. In der graphischen Darstellung werden die verursachenden Einflüsse mit einem geraden Pfeil gezeichnet. Korrelationen, die als nicht verursachende Elemente in das Diagramm aufgenommen werden können, werden mit einem gebogenen Pfeil dargestellt. 5.1.4
Durchführung der Befragung
Von den rund 4.500 deutschen Unternehmen, die im Jahr 2007 in China aktiv waren751, konnten in Kooperation der drei deutschen Auslandshandelskammern752 in China insgesamt 2.100 Unternehmen ausgewählt und angeschrieben werden. Neben einer EmailAnsprache wurden allen Unternehmen die Fragebögen auf dem Postweg zugesandt.753
750
Während die direkten Effekte den unmittelbaren Einfluss der unabhängigen auf die abhängige Variable darstellen, wirken die indirekten Effekte als vermittelte Einflüsse einer unabhängigen auf eine abhängige Variable. Zusätzlich wirken in jedem Model nicht analysierte (korrelierte) Effekte, die durch die Korrelation von unabhängigen Variablen untereinander zustande kommen, vgl. Bortz (1999), S. 557ff. 751 Die Zahl wurde in einer internen Studie der Auslandshandelskammer Shanghai (AHK) im Juni 2007 unter Einbezug eigener interner Statistiken, Daten der deutschen Botschaft und Informationen chinesischer Behörden ermittelt. 752 In China gibt es drei Auslandshandelskammern: AHK Shanghai, AHK Beijing und AHK Guangdong. Alle drei haben sich an der Umfrage beteiligt, wobei die Konzeption und Durchführung der Befragung dem Team der AHK Shanghai oblag. 753 Da sich die Umfrage hauptsächlich an Geschäftsführer, bzw. Mitarbeiter in leitender Position richtete, war davon auszugehen, dass diese keine Zeit im Büro haben, sich über das Internet an der Befragung zu beteiligen. Der Fragebogen wurde daher in der Druckfassung angeboten, um zum Beispiel ein unkompliziertes Ausfüllen im Auto, auf dem Weg zur Arbeit oder einem Termin, zu ermöglichen. Der Fragebogen konnte auf dem Postweg oder per Fax zurückgesendet werden. Alternativ hätten die Respondenten den Fragebogen auch als pdf-Datei ausfüllen und per Email zurücksenden können. Von einer Online-Umfrage wurde aufgrund dieser Überlegungen Abstand genommen.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
173
Die AHK übernahm den Versand der Fragebögen und zusätzlich wurden die Fragebögen bei entsprechenden Veranstaltungen der AHK Shanghai an Geschäftsführer verteilt. Die Umfrage wurde im Zeitraum von Juli 2007 (Start der Umfrage) bis Ende Oktober 2007 durchgeführt. Somit bestand ausreichend Zeit zur Beantwortung des umfassenden Fragebogens. Zwei Wochen nach der Versendung wurde begonnen, die potentiellen Teilnehmer der Untersuchung direkt anzusprechen, um den Rücklauf zu erhöhen und die Bedeutung einer Teilnahme für die Unternehmen hervorzuheben. Dazu wurden sämtliche Kontakte der Kooperationspartner persönlich angesprochen und eine telefonische Nachfassaktion durchgeführt. Die eingesendeten Fragebögen wurden zunächst auf ihre Vollständigkeit und Verwertbarkeit überprüft.754 Insgesamt wurden 273 vollständige, verwertbare Fragebögen empfangen. Die Rücklaufquote beträgt damit 13 %, was gemessen an der Komplexität des Fragebogens und der besonderen Zielgruppe einen sehr guten Wert darstellt. Die Datenerfassung erfolgte manuell in einem webbasierten Analysetool. Alle eingegebenen Daten wurden zweifach überprüft, um Übertragungsfehler zu vermeiden. Zur Eingabe wurde die Online-Maske von Netigate755 verwendet. Dazu musste der Fragebogen konsolidiert, modifiziert und neu gegliedert eingegeben werden, um spätere Auswertungsmöglichkeiten und die Verknüpfung der Daten aus den drei verschiedenen Fragebogentypen zu gewährleisten. Werkzeuge zur Analyse Das Programm Netigate konnte zur Auswertung der allgemeinen Daten eingesetzt werden, da bestimmte Filter und Kreuztabellierung zur Verfügung standen. Zudem liefert das Programm schnell und übersichtlich grafische Darstellungen der gewünschten Daten. Allerdings sind die Möglichkeiten einer statistischen Überprüfung beschränkt. Deshalb wurde für die deskriptive Auswertung das Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel756 verwendet. Es hat bereits die statistischen Funktionen, die für die deskriptive Analyse benötigt werden, implementiert, zum Beispiel Korrelationskoeffizienten, Mittelwerte und Standardabweichungen. Weitere Funktionen, wie zum Beispiel die Standardisierung einer Normalverteilung oder die Ermittlung so genannter t-Werte, können programmiert werden. 754
Ein Fragebogen galt auch dann als „vollständig“, wenn augenscheinlich die meisten Fragen eindeutig beantwortet waren. Sofern bei einzelnen Fragen Antworten fehlten, wurden diese für die Betrachtung dieser Frage per listenweisen Fallausschluss aussortiert. Alternativ besteht die Möglichkeit zum paarweisen Fallausschluss, bei dem nur einzelne Variablen, nicht aber der gesamte Fragebogen eliminiert werden, vgl. Backhaus et al. (2008), S. 378. 755 Informationen im Internet: www.netigate.de. 756 Die Software von Microsoft ist allgemein bekannt und wird daher in dieser Arbeit nicht weiter erläutert. Weitere Informationen im Internet: www.office.microsoft.com.
174
Kapitel 5
Für die statistische detaillierte Auswertung wurde das Statistikprogramm SPSS757 eingesetzt. Damit konnten alle benötigten statistischen Operationen durchgeführt werden, zum Beispiel eine Analyse der Verteilungseigenschaften, sowie die Faktor- und Regressionsanalyse. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge wurden mit Hilfe einer multiplen Regression statistisch analysiert. Die Rohdaten der Befragung zur weiteren Verarbeitung in Excel oder SPSS lieferte Netigate in entsprechenden Dateiformaten. Einschränkungen in der Darstellung Im Fragebogen wurden in den Abschnitten A), B) und C) bei den meisten Fragen der status-quo und eine Zukunftserwartung abgefragt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, bei Unsicherheit des Befragten das Feld „weiß nicht“ anzukreuzen. Allerdings wurde bei der Konzeption des Fragebogens davon ausgegangen, dass beim Ankreuzen von „weiß nicht“ im Status-quo auch keine Aussage über die Zukunft getroffen werden kann. Wie die Auswertung der Fragebögen ergab, war dies nicht immer der Fall. Daher war eine präzisere Betrachtung der Antworten notwendig, die zuvor nicht eingeplant war. Es wurden Antworten der Gegenwartsbetrachtung gewertet, auch wenn die Zukunftserwartung gar nicht angegeben oder „weiß nicht“ zusätzlich angekreuzt war. Diese spezielle Erfassung führt zu abweichenden Stichprobenumfängen bei Gegenwarts- und Zukunftseinschätzung. Bei der deskriptiven Auswertung wurde allgemein auf die Angaben der Anteile von „weiß nicht“ in den Ergebnissen verzichtet. Der Prozentteil dieser Antworten bewegt sich bis auf wenige Ausnahmen unter der Marke von 5 %. Übersteigen die Angaben zu „weiß nicht“ die 5 %, wird gezielt darauf hingewiesen. Grundsätzlich gilt, dass alle Differenzen zu 100 % auf fehlende Antworten zurückzuführen sind. Daher sind für alle Auswertungen die Stichprobengrößen angegeben. 5.2 Deskriptive Auswertung Die deskriptive Analyse dient der qualitativen Beschreibung der Stichprobe. Im ersten Schritt werden zunächst die allgemeinen Unternehmensdaten der teilnehmenden Respondenten ausgewertet und dadurch die Stichprobe charakterisiert. Im nächsten Schritt werden dann einzelne Themenblöcke mit Hilfe statistischer Methoden untersucht, die für den weiteren Verlauf der Befragung von Interesse sind. Für alle Unternehmen werden die Motive und Ziele des China-Engagements, sowie die Chancen und Herausforderungen des chinesischen Marktes analysiert. Bei der Bewertung der Aktivitäten und der Auswertung zum Wertschöpfungsmanagement können nur die Unternehmen mit eigener Niederlassung oder JV-Beteiligung betrachtet werden. Wie bereits in Kapitel 2.1.3 dar-
757
Informationen im Internet: www.spss.com.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
175
gestellt, handelt es sich bei REP nicht explizit um eine verlagerte Wertaktivität, daher werden sie in der deskriptiven Analyse teilweise gesondert betrachtet. 5.2.1
Struktur der deutschen Unternehmen in China
Von den 273 teilnehmenden Unternehmen waren 141 WFOE (51,6 %), 56 JV (20,5 %) und 76 REP (27,8 %), wie in Abbildung 27 gezeigt. Verglichen mit der Struktur aller deutschen Unternehmen in China, haben sich in Relation weniger REP an der Untersuchung beteiligt. Da der Fokus der Betrachtung auf Unternehmen liegt, die mit eigenen Wertaktivitäten in China vertreten sind und die Repräsentanzen auch später in der Auswertung separat betrachtet werden, hat dies keine Auswirkung auf die weitere Untersuchung. Repräsentantenbüros (REP)
Tochtergesell -schaften (WFOE)
27,8% 51,6% 20,5% JointVentures (JV) n = 273
Abbildung 27: Organisationsform deutscher Unternehmen in China.
Die Unternehmen lassen sich entsprechend der Hauptgeschäftsfelder der deutschen Muttergesellschaft in drei Sektoren ordnen: Produktion, Dienstleistung und Handel. Den größten Anteil der Teilnehmer stellen Unternehmen aus dem Produktionssektor dar (67,9 %). Fast jeder vierte Respondent ordnete sein Unternehmen dem Dienstleistungssektor zu (24,2 %) und ein kleiner Teil zählte sich zu den Handelsunternehmen (7,9 %). Dass die Muttergesellschaft grundsätzlich ein Handelsunternehmen ist, muss allerdings nicht bedeuten, dass sich in China nicht auch ein Produktionsstandort für bestimmte Produkte befindet. In der späteren Untersuchung wurden die Antworten der teilnehmenden Unternehmen daher unabhängig vom Hauptgeschäftsfeld der Muttergesellschaft betrachtet. Wie Abbildung 28 zeigt, haben sich an der Untersuchung Unternehmen unterschiedlichster Größe beteiligt. Gemessen an der Mitarbeiterzahl und dem Umsatz in China, waren
176
Kapitel 5
sowohl Großunternehmen, als auch kleine und mittlere Unternehmen in Form eines JV oder WFOE in China vertreten. Zieht man die Grenze für die Bezeichnung „mittelgroße Unternehmen“ bei einem Umsatz von 50 Mio. € und einer Beschäftigung von 150 Mitarbeitern, können 56 % der Beteiligten dieser Gruppe zugeordnet werden. 758 Daraus lässt sich ableiten, dass viele Unternehmen zum Zeitpunkt der Umfrage mit kleinen, bzw. mittelgroßen Vertretungen in China aktiv sind, was sich sicherlich auf die mittelständische Struktur der deutschen Industrie zurückführen lässt. Die Grenzziehung zur Größenmessung wurde über solche Kategorien vorgenommen, die den Teilnehmern keine Angabe von sensiblen Daten abverlangte und somit der Antwortbereitschaft förderlich war.
50 - 150 10 - 50 1 - 10 0-1
1% KMU
Umsatz [Mio €]
150 - 500
1% 1%
3% 13%
3%
1%
1%
>500
1%
2%
3%
2%
1%
3%
2%
2%
13%
2%
6%
13% 2%
8% 1%
8%
8%
0-9
10-49
50-149
150-499 500-1000
>1000
Mitarbeiter [Anzahl] Abbildung 28: Größe deutscher Unternehmen in China.
Lediglich 43 % der befragten Unternehmen waren vor Chinas WTO-Beitritt in der Volksrepublik unternehmerisch tätig. Jährlich starten rund 400 Unternehmen ihre Aktivitäten in China. Die Neuen sind fast ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen, da die meisten Großunternehmen bereits seit vielen Jahren im chinesischen Markt präsent sind.
758
Das Kriterium für die Mitarbeiterzahl wurde für China etwas weiter gefasst, als es zum Beispiel die Europäische Union für KMU definiert, vgl. Europäische Kommission (2006), S. 36ff. Als Grund hierfür gelten die günstigen Lohnkosten und der geringe Qualifizierungsgrad, der zu einer geringeren Produktivität pro Mitarbeiter als in einem europäischen Unternehmen führt, sodass viele Unternehmen deutlich mehr Mitarbeiter beschäftigten, als nach westlichen Standards notwendig wäre.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
177
Bei den REP konnte kein Umsatz abgefragt werden, da sie per Definition keinen Umsatz im Ausland erzeugen. Anhand der Mitarbeiteranzahl zeigt sich, dass 59 % der REP mit 15 oder weniger Mitarbeitern in China agieren (vgl. Abbildung 29). 150 - 500 [11%]
> 500 [1%]
50 - 149 [11%] 1-5 [44%] 16 - 49 [18%]
n = 73
6 - 15 [15%]
Abbildung 29: Mitarbeiterzahl deutscher REP in China.
Abbildung 30 verdeutlicht den signifikanten Unterschied zwischen den Unternehmensgrößen der Muttergesellschaften und die daraus abgeleitete Organisationsform. Während 75 % der Unternehmen mit eigenen Niederlassungen oder JV-Beteiligungen in China mehr als 500 Mitarbeiter im Unternehmensverbund beschäftigen und einen Umsatz über 100 Mio. € erzielen, liegen bei den Firmen mit REP in China 38 % unterhalb dieser Größengrenze.759 Auffällig ist aber, dass ins-gesamt 10 % der deutschen Unternehmen mit Chinaaktivitäten zu den Kleinunternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern und weniger als 25 Mio. € Umsatz gezählt werden können. Daran zeigt sich, dass bereits kleine Unternehmen heutzutage die Möglichkeit haben, Ressourcen in ein geo-graphisch-kulturell entferntes Land zu transferieren und somit von weltweiten Wettbewerbspotentialen zu profitieren.
759
Zwischen den Muttergesellschaften von JV und WFOE war kein signifikanter Unterschied in der Größenverteilung messbar, dementsprechend sind die beiden Klassen bei dieser Betrachtung zusammengefasst.
178
Kapitel 5
MG WFOE/JV
> 750
MG REP
Umsatz [Mio €]
250 - 750 100 - 250 50 100 25 - 50 0 - 25
0 - 49
50 - 249
250 - 499
500 - 999 1000 - 2000
>2000
Mitarbeiter [Anzahl]
n = 71
Abbildung 30: Größe Muttergesellschaft (MG) beeinflusst die Organisationsform.
Wie bereits in Kapitel 4.2.1 dargestellt, kann die Dauer eines Engagements in einer fremden Kultur über die gewachsene Kompetenz entscheiden. Die Untersuchung bestätigt, dass zahlreiche deutsche Unternehmen schon seit vielen Jahren in China geschäftlich aktiv sind. 25 % der Unternehmen sind seit mehr als 10 Jahre im chinesischen Markt vertreten, 18 % sind mindestens seit 6 Jahren in China tätig. Damit verfügen 43 % der befragten Unternehmen über eine lange Erfahrung im Chinageschäft. Allerdings sind auch 18 % der befragten Unternehmen erst weniger als zwei Jahren in China tätig und somit noch als „unerfahren“ zu bezeichnen (vgl. Abbildung 31). 40% Gesamt WFOE JV REP
35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 0- 2 n = 263
2- 4
4- 6
6 - 10
10 - 15
> 15
!"#$%&'
Abbildung 31: Deutsche Unternehmen in China nach Dauer ihrer Marktpräsenz.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
179
In der Gruppe von Unternehmen, die länger als 15 Jahre in China aktiv sind, gibt es vergleichsweise wenige Unternehmen. Außerdem zeigt sich eine interessante Verschiebung in der Struktur der Organisationsform. Bei den Unternehmen, die in den vergangenen vier Jahren den chinesischen Markt betreten haben, dominieren die WFOE deutlich gegenüber den JV. Zwischen 6 und 10 Jahren ist das Verhältnis ausgeglichen und bei den Unternehmen mit langer Erfahrung gibt es deutlich mehr JV. Damit spiegelt die Struktur der untersuchten Gruppe die historische Entwicklung der chinesischen Wirtschaft sehr gut wider. Wie in Kapitel 3.1.2 dargestellt, war China jahrzehntelang politisch und wirtschaftlich isoliert und öffnete seinen Wirtschaftsraum nach 1978 erst langsam. Zum Schutz der chinesischen Unternehmen war es ausländischen Unternehmen lediglich erlaubt, mit einem chinesischen Partner ein Joint Venture zu gründen. Erst seit dem WTOBeitritt im Jahr 2001 sind in den meisten Branchen WFOE zugelassen. Die führt im Weiteren dazu, dass zahlreiche Unternehmen ihre Joint-Venture in WFOE umwandeln, indem sie ihrem Partner die Anteile abkaufen.760 Bei der Branchenzugehörigkeit ergibt sich ebenfalls ein diversifizierts Bild. Wie in Abbildung 32 zu sehen, waren alle abgefragten Branchen in der Untersuchung vertreten. Am stärksten sind in China deutsche Unternehmen der Maschinenbaubranche vertreten, gefolgt von Unternehmen der Automobilindustrie. Maschinenbau
33%
Automobil
17% 12%
Konsumgüter Chemie und Medizin
10%
Umwelttechnik und Energie
6%
Bauwesen und Immobilien
6%
Unternehmensberatung
5%
Finanzen
3%
IT/Telekommunikation
3%
Logistikdienstleister
2%
Andere n = 273
3% 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
Abbildung 32: Branchenstruktur der befragten Unternehmen.
In der regionalen Verteilung der teilnehmenden Unternehmen ergab sich gegenüber der tatsächlichen Verteilung in China eine leichte Verzerrung zu Gunsten der Region Shanghai. Zwar ist Shanghai die Region mit den meisten deutschen Unternehmen in
760
Vgl. Puck/Holtbrügge/Mohr (2009), S. 389.
180
Kapitel 5
Festlandchina, dennoch ist der Anteil der Antworten mit 47 % gegenüber anderen Regionen, zum Beispiel Beijing (12 %) und Guangdong (8 %), überproportional hoch. Dies war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Umfrage von Shanghai aus durchgeführt wurde und somit eine bessere Ansprache an die Unternehmen erfolgte als in anderen Provinzen. Außerdem wurde nach dem Standort der Unternehmenszentralen gefragt, die meistens in den Metropolen Chinas entlang der Ostküste liegen. Erfolg der deutschen Unternehmen in China Der Erfolg deutscher Unternehmen in China wurde sowohl mit Hilfe bilanzorientierter Kennzahlen, als auch mittels subjektiv wahrgenommener, qualitativer Kriterien gemessen. Die Mehrheit der befragten Unternehmen gab an, alle, bzw. die meisten Ziele erreicht (56 %) oder sogar übertroffen zu haben (27 %). 17 % der Teilnehmer räumten ein, dass sie nur einen Teil der Ziele, bzw. gar kein Ziel erreicht haben, vgl. Abbildung 33.
Ziele wurden sogar übertroffen
27%
die meisten/alle Ziele wurden erreicht
56%
nur einige/keine Ziele wurden erreicht
17%
0%
20%
40%
60%
80%
Abbildung 33: Subjektive Einschätzung „Zielerreichung in China“.
Dieser positive Eindruck wird bei der Betrachtung der bilanzorientierten Kennzahlen bestätigt.761 81,3 % der befragten Unternehmen verbuchten im Jahr 2006 eine positive Nettogewinnmarge in China. Davon konnte fast ein Drittel (30,3 %) sogar eine Gewinnmarge größer 10 % erwirtschaften. Aus Sicht der investierenden Muttergesellschaft ist als Erfolgsgröße auch der Break-even von Interesse. Damit kann abgeschätzt werden, ab wann die China-Investition für deutsche Unternehmen profitabel ist. Wie in Abbildung 34 zu sehen ist, lässt sich auch beim Break-even ein zeitlicher Verlauf erkennen. Während besonders im ersten Jahr noch die wenigsten Unternehmen den Break-even erreichen, haben nach vier Jahren bereits mehr als 80 % der Unternehmen, die eine positive
761
Da Repräsentanzen rein rechtlich betrachtet keinen Umsatz oder Gewinn in einem Land machen, wurden für die bilanzorientierten Kennzahlen ausschließlich die WFOE und JV betrachtet.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
181
Nettogewinnmarge erzielen, den Break-even erreicht. Dies ist im internationalen Vergleich ein überdurchschnittlich guter Wert und zeigt, dass China ein dynamischer Wachstumsmarkt ist. Bemerkenswert ist zudem, dass die Produktionsunternehmen wesentlich schneller den Break-even erreichen, als Handels- und Serviceunternehmen. Dies zeigt, dass es Produktionsunternehmen besser gelingt, von Erfolgspotentialen des chinesischen Marktes zu profitieren. 100% 90%
12%
80%
12%
70%
42%
60%
20%
30%
50% 40%
23%
30% 20% 10% 0%
18% Produktion
6% 0- 1
Service/Handel 1- 2
2- 4
>4
Jahre der Marktpräsenz n = 187 (137 Produktion und 50 Service/Handel)
Abbildung 34: Dauer bis zum Break-even bei deutschen Unternehmen in China.
Betrachtet man ausschließlich die Nettogewinnmarge der produzierenden Unternehmen im Zeitverlauf, zeigt sich, dass der Anteil der Unternehmen mit einer negativen Marge kontinuierlich abnimmt und Unternehmen mit mehr als 10 Jahren Marktpräsenz immer eine positive Gewinnmarge haben (siehe Abbildung 35). Damit bestätigt sich die Vermutung, dass Unternehmen, die dauerhaft keinen Erfolg in einem Markt haben, sich aus dem Markt zurückziehen. Auf der anderen Seite könnte dies ein Anzeichen dafür sein, dass mit zunehmender Kompetenz die Unternehmen erfolgreicher werden. Allerdings ist langfristig erkennbar, dass sich die Marge bei den meisten Unternehmen zwischen 5 und 15 % stabilisiert.762
762
In der Kategorie „mehr als 10 Jahre“ konnten nur 12 Unternehmen untersucht werden, so dass die Repräsentativität eingeschränkt ist.
182
Kapitel 5 100% 90% 80%
6 6
13 22
70% 60%
31 13
Gewinnmargen
24
> 15%
11
10 - 15%
27 24
22
40%
38
5 - 10% 0 - 5%
20
55
20%
< 0% 32
34
10%
20
28
3
0% n = 137
3
17
20
22
50%
30%
9
0-2
2-4
4- 6
6 - 10
> 10
[Jahre ]
Abbildung 35: Nettogewinnmarge deutscher Unternehmen nach Jahren in China.
Die deskriptive Auswertung der Struktur der teilnehmenden Unternehmen gibt im Wesentlichen die Struktur der Gesamtheit deutscher Unternehmen in China wider. Es beteiligten sich Unternehmen aus allen Branchen, mit unterschiedlicher Organisationsform, große und kleine Unternehmen sowie Unternehmen mit langer China-Erfahrung und China-Neulinge. Eine zusätzliche Untersuchung der spät antwortenden Teilnehmer ergab zudem keine signifikanten Unterschiede zu den Befragten, die umgehend nach Versand der Fragbögen an der Untersuchung teilgenommen hatten („late-response bias“). Darüber hinaus gibt es keine ersichtlichen Gründe, die eine bestimmte Gruppe von der Beantwortung des Fragebogens abgehalten haben könnte („non-response bias“).763 Diese Ergebnisse zeigen, dass die Nicht-Teilnehmer der Befragung ungefähr gleich geantwortet hätten, sodass für die vorliegende Stichprobe die Repräsentativität angenommen werden kann. Die Stichprobe ist also gut dazu geeignet, die unternehmerischen Tätigkeiten deutscher Unternehmen in China allgemein abzubilden. 5.2.2
Motive für die Verlagerung von Aktivitäten nach China
Im Fokus der Betrachtung von Internationalisierungstheorien steht die Frage nach den Motiven und Zielen von internationaler Unternehmenstätigkeit. 764 In dieser Untersu-
763
In diesem Teil der Untersuchung wurde die Repräsentativität der Stichprobe mit statistischen Verfahren analysiert. Auch wenn eine vollständige Repräsentativität niemals erreicht werden kann, lässt sich die Repräsentativität mit Hilfe des „late-response bias“ und dem „non-response bias“ testen, vgl. dazu Biemer/Lyberg (2003), S. 80ff und Groves et al. (2004), S. 180ff. 764 Vgl. Kapitel 2.2.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
183
chung wurden daher die Motive analysiert, die für eine Verlagerung von Wertaktivitäten nach China für die Unternehmen entscheidend waren. Beim Markteintritt deutscher Unternehmen in China stehen überwiegend die absatzorientierten Motive im Vordergrund. 79,7 % der WFOE oder JV in China gaben an, in den chinesischen Markt hauptsächlich aufgrund seiner Absatzpotentiale eingetreten zu sein. Fügt man der Betrachtung noch die Nebenmotive hinzu, scheint der Absatzmarkt bei fast jedem Unternehmen in die strategische Entscheidung eingeflossen zu sein, da bei 93 % die Absatzpotentiale zumindest einen Teil zur Motivation nach China zu gehen, beigetragen hat. Wie in Abbildung 36 zu sehen ist, wollten ursprünglich nur 30 %, bzw. 38 % hauptsächlich von den günstigen Beschaffungs- und Arbeitskosten profitieren. Die niedrigen Beschaffungs- und Arbeitskosten haben bei den Nebenmotiven einen entscheidenden Anteil. Bei 45 % der Unternehmen war ein Hauptmotiv des Markteintritts eine Reaktion auf die Entscheidung eines Großkunden, sodass die Unternehmen diesem folgten, um ihn nicht zu verlieren. Immerhin 25 % der befragten Unternehmen sehen China hauptsächlich als strategischen Standort, um von dort besser den asiatischen Markt bearbeiten zu können. Niedrige Arbeits- und Produktionskosten
%'#
44%
%
Niedrige Beschaffungskosten
49%
$"#
China als Plattform für Asien
50% !"#
Nachfolgen wichtiger Kunden 0%
20% Hauptmotive
17% 40%
60%
80%
Nebenmotive
100% n = 194
Abbildung 36: Motive für den Markteintritt in China (WFOE / JV).
Bei den REP reduziert sich die Frage nach den Eintrittsmotiven auf die Frage, ob sie absatzorientiert oder beschaffungsorientiert im chinesischen Markt agieren. Von den 74 befragten REP gaben 60,8 % an, dass sie in den chinesischen Markt ausschließlich zur Nutzung der Absatzpotentiale eingetreten sind (vgl. Abbildung 37). Nur 10,8 % der REP wurden aus rein beschaffungsorientierten Motiven gegründet, 18,9 % verfolgten beim Markteintritt beide Ziele als Hauptmotiv. Damit bestätigt sich die Vermutung aus der Fallstudienuntersuchung, dass der chinesische Markt aufgrund seiner besonderen Rahmenbedingungen (zum Beispiel notwendiges Guanxi, vgl. Kapitel 3.1.1) eine persönliche Vertretung vor Ort bedarf, wenn man erfolgreich Geschäfte abwickeln möchte.
184
Kapitel 5
Dass die meisten Repräsentanzbüros dabei nur ein Ziel verfolgen und nicht wie die Unternehmen mit anderen Organisationsformen unterschiedliche Potentiale Chinas nutzen, kann mit Hilfe des Korrelationskoeffizienten und eines t-Tests nachgewiesen werden. 765 Die absatzorientierten Ziele überwiegen als Hauptmotiv und immerhin 37,8 % der befragten REP gaben an, dass Beschaffung in China für ihr Unternehmen überhaupt keine Rolle spielt.
18,9%
12,2%
Nebenmotiv
32,4%
5,4% 8,1%
kein Motiv
n = 74
60,8%
10,8%
Hauptmotiv
37,8%
1,4% 0%
10%
Absatz Beschaffung Beides
20%
30%
40%
50%
60%
Abbildung 37: Motive für die Marktbearbeitung der deutschen REP in China.
5.2.3
Chancen und Herausforderungen deutscher Unternehmen in China
Wie bereits bei den Motiven für den Markteintritt zu sehen, bewerten die deutschen Unternehmen die Chancen des chinesischen Absatzmarktes als besonders großen Vorteil. Insgesamt 88 % der Befragten sehen ein (kleines oder großes) Absatzpotential für ihre Unternehmen in China. Die Potentiale für Beschaffung, bzw. Kostenersparnisse werden dagegen deutlich geringer eingeschätzt. Wie Abbildung 38 zeigt, gehen zwar 64,5 % zumindest von kleinen Beschaffungspotentialen aus, aber mehr als ein Viertel der Respondenten sehen im chinesischen Beschaffungsmarkt keine Vorteile. Bei den Betriebskosten ist das Bild ähnlich differenziert. Dies bestätigt die Erkenntnis aus Kapitel 3.1.3, dass China in vielen Bereichen kein Billigproduktionsland mehr ist. Zum einen sind die Arbeitslöhne in den Küstenregionen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, zum anderen ist für gute Qualität der Kontrollaufwand und die Investition zur Entwicklung lokaler Lieferanten verhältnismäßig hoch. Die deutschen Unternehmen sind überzeugt, dass sich das auch insgesamt nicht ändern wird. Befragt nach der Zukunftserwartung für die nächsten drei Jahre, rechnen 62,9 % sogar mit noch steigenden Kosten, während nur 20,1 % von einer Verbesserung der Kostensituation ausgehen. 765
Korrelationskoeffizient von -0,3 auf einem Signifikanzniveau von 95 % bedeutet, dass die beiden betrachteten Werte mit hoher Wahrscheinlichkeit gegenläufig sind.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
Absatzmarkt
Betriebskosten
Beschaffung
n = 270
8,9%
14,0%
25,9%
kein Vorteil
34,4%
53,7%
26,9%
52,8%
42,6%
kleiner Vorteil
185
21,9%
großer Vorteil
Abbildung 38: Marktchancen aus Sicht deutscher Unternehmen in China.
Während sich die Zukunftserwartung für den Beschaffungsmarkt ähnlich darstellt (41,8 % rechnen mit Verschlechterung, nur 14,1 % gehen von größeren Beschaffungspotentialen aus), ist die Mehrheit der deutschen Unternehmen der Ansicht, dass das Absatzpotential in China weiterhin sehr hoch sein wird. Nur 33 % der Befragten erwartet eine Verschlechterung der Absatzpotentiale für ihre Produkte, 62 % gehen von konstanten Absatzpotentialen auf hohem Niveau aus. 5 % erwarten sogar noch eine Steigerung der Nachfrage bis 2010. Die mangelnde Zufriedenheit mit dem chinesischen Beschaffungsmarkt kann anhand einer Detailanalyse begründet werden. Die Qualität lokaler Produkte stellt aus Sicht deutscher Unternehmen das größte Problem in China dar, nur 38 % sind damit zufrieden oder sehr zufrieden, 63 % sind unzufrieden, bzw. sehr unzufrieden. Der Preis für lokal bezogene Produkte hingegen ist aus Sicht der deutschen Unternehmen sehr attraktiv, 89 % der befragten Unternehmen sind mit dem Preisniveau zufrieden oder sehr zufrieden. Abbildung 39 zeigt zudem die Zufriedenheit mit der Kooperationsbereitschaft chinesischer Lieferanten und der Wiederbeschaffungszeit von Produkten. Hier sind die Meinungen der Befragten nicht ganz eindeutig. Zwar bringen etwas mehr als die Hälfte über diese beiden Merkmale des Beschaffungsmarktes ihre Zufriedenheit zum Ausdruck, aber ca. 40 % sind mit der Kooperationsbereitschaft und der Wiederbeschaffungszeit unzufrieden. Zusammenfassend zeigt sich also, dass der Beschaffungsmarkt China bei weitem nicht so viele Vorteile hat, wie man zunächst vermuten würde. Besonders das Qualitätsproblem und der damit verbundene Kontrollaufwand ist für viele deutsche Unternehmen, trotz eines günstigen Preises, unrentabel. Folglich lassen sich nicht in allen Branchen und für alle Produkte Kostenvorteile in China realisieren.
186
Kapitel 5
90%
Preisniveau
80%
Qualität
70%
Kooperationsbereitschaft Lieferanten
60%
Wiederbeschaffungszeit
50% 40% 30% 20% 10% 0% n = 264
sehr zufrieden
zufrieden
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abbildung 39: Zufriedenheit mit dem chinesischen Beschaffungsmarkt.
Die Auswertung der Untersuchung bestätigt im Wesentlichen die Beobachtungen aus Kapitel 3.1.3 zur ökonomischen Entwicklung Chinas. Deutsche Unternehmen profitieren in erheblichem Maße durch den wachsenden Absatzmarkt und können zumindest teilweise Kostenpotentiale nutzen. Allerdings sehen die Respondenten vor allem im Beschaffungsmarkt auch Risiken, die sich aus den technologischen Bedingungen ableiten lassen (vgl. Kapitel 3.1.4). Marktrisiken Bislang wurden nur die Marktchancen und die damit verbundenen Wettbewerbspotentiale untersucht. Es gibt – gerade in China – aber auch zahlreiche Marktrisiken, auf die bereits in Kapitel 3.1 eingegangen wurde. Da die Fallstudie ergab, dass diese Risiken (Probleme und Herausforderungen) sehr spezifisch sein können, wurden diese im Fragebogen in Abschnitt B) sehr detailliert abgefragt.766 Insgesamt sieht die Mehrheit der deutschen Unternehmen grundsätzlich kleinere Probleme im chinesischen Markt. Positive Ausnahme sind die Handelshemmnisse sowie die Infrastruktur und Logistik. Erstere werden nur von 3,8 % als großes Problem bewertet und von 37,5 % als kleines Problem. Hier hat Chinas Beitritt zur WTO im Jahr 2001 und die damit im Zusammenhang stehenden Gesetzesänderungen anscheinend schon eine 766
Um den abstrakten Begriff des „Risikos“ zu vermeiden, wurden im Fragebogen konkret nach „Problemen“ im chinesischen Markt gefragt. Die detaillierte Abfrage erfolgte anschließend über eine Bewertung der Zufriedenheit, woraus sich dann in der Auswertung die Einschätzung zum Marktrisiko konstruieren lässt.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
187
positive Wirkung entfaltet. Bei der positiven Bewertung der Infrastruktur und Logistik kommen die enormen Anstrengungen der chinesischen Regierung zum Ausbau der Infrastruktur zum Tragen. Nur 4,9 % sehen den Zustand der Logistik und Infrastruktur als großes Problem an, 34,8 % sehen kleinere Probleme in diesem Bereich. Bei der Bewertung dieses Ergebnisses ist sicherlich zu berücksichtigen, dass die meisten der befragten Unternehmen in den gut entwickelten Küstengebieten angesiedelt sind.767 Wie in Abbildung 40 zu sehen, stellen die größten Probleme die Rechtssicherheit und die Vertragstreue dar. Die Wahrung von Eigentumsrechten, die Bürokratie und Korruption sind aus Sicht der Unternehmen ebenfalls große Risiken in China, was die Charakterisierung Chinas als Entwicklungs-, bzw. Schwellenland in Bezug auf das Rechtssystem und der Bürokratie aus Kapitel 3.1.5 bestätigt. Die Verfügbarkeit von Marktinformationen, die Infrastruktur und Logistik sowie nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind für durchschnittlich 50 % der Befragten keine ernsthaften Risiken für die erfolgreiche Verlagerung von Wertaktivitäten.768 Rechtssicherheit und Vertragstreue
21,5%
Bürokratie und Behörden
26,0%
Schutz des geistigen Eigentums
26,5%
Korruption Verfügbarkeit von Marktdaten
34,5% 44,2%
55,5% 52,8%
46,2% 42,3%
60,2%
37,5%
Infrastruktur und Logistik
58,7%
34,8%
kein Problem
21,1%
45,1%
Nicht-tarifäre Handelshemmnisse
n = 264
23,0%
kleines Problem
28,4% 19,3% 13,6% 4,9% 3,8% großes Problem
Abbildung 40: Risiken des chinesischen Marktes.
Gerade der Schutz des geistigen Eigentums und die Korruption werden immer wieder als Gefahr für die Unternehmenstätigkeit in China dargestellt. Neben der subjektiven Einschätzung dieses Risikos, bei der 73,5 % den Schutz geistigen Eigentums und 65,5 % die Korruption als ernst zu nehmendes Problem angaben, sollte die tatsächliche Häufigkeit, mit der deutsche Unternehmen in China mit diesem Problem betroffen sind, bewertet 767
Eine Untersuchung dieses Aspekts nach regionaler Verteilung der Unternehmen führte aufgrund des geringen Stichprobenumfangs von teilnehmenden Unternehmen in den westlichen Provinzen zu keinen klaren Ergebnissen. 768 Die detaillierte Betrachtung der einzelnen Kategorien findet Eingang in die Auswertung des Modells und der Ursache-Wirkungszusammenhänge. Sie ist kein Bestandteil der deskriptiven Analyse in diesem Teil der Arbeit.
188
Kapitel 5
werden. In Abbildung 41 wird deutlich, dass die Urheberrechtsverletzungen tatsächlich häufig ein Problem für deutsche Unternehmen darstellen. 17 % der Befragten sind oft mit Urheberrechtsverletzungen in China konfrontiert. Nur 43 % sehen keine Schwierigkeiten beim Schutz des geistigen Eigentums. Die Korruption, die ebenfalls ein häufig genanntes Problem darstellt, ist im Durchschnitt etwas seltener von den Respondenten genannt worden. 8 % sind häufig davon betroffen, aber 47 % noch nie betroffen gewesen. 50%
Urheberrechtsverletzung Korruption
40% 30% 20% 10% 0% n = 264
oft
manchmal
noch nie
Abbildung 41: Häufigkeit, mit der deutsche Unternehmen in China von Korruption und Urheberrechtsverletzungen betroffen sind.
Insgesamt kommt in der Auswertung eine große geographisch-kulturelle Distanz zum Ausdruck, die unterschiedliche Geschäftsgebaren verursacht und somit die Vertrauensbildung zwischen den Kooperationspartnern erschwert.769 Ein weiteres besonderes Problem in China ist die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Trotz enormer Investitionen im Bildungssektor ist für qualifizierte Fachkräfte keine zufrieden stellende, flächendeckende Ausbildung verfügbar. 770 Die allgemeine Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte wird von 74 % der Befragten als kritisch betrachtet. Dementsprechend sind 68 % mit der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte unzufrieden. Dazu kommt noch eine überdurchschnittliche Mitarbeiterfluktuation in China, womit fast die Hälfte der Befragten unzufrieden ist (siehe Abbildung 42). Insgesamt erweist sich die in Kapitel 3.1 vorgenommene Charakterisierung Chinas aus Sicht der deutschen Unternehmen als zutreffend.
769 770
Vgl. Kapitel 3.1.1. Vgl. Kapitel 3.1.4.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
27%
Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte
Rekrutierung qualifizierter Mitarbeiter
Mitarbeiterfluktuation
16%
50%
8% sehr unzufrieden
n = 265
30%
36% unzufrieden
189
30%
13%
29%
5%
49% zufrieden
5% sehr zufrieden
Abbildung 42: Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte in China.
Die Anstrengungen, die die Regierung in den vergangenen Jahren unternommen hat, um die Marktrisiken zu reduzieren, 771 sowie die Ankündigungen, die Situation weiter zu verbessern, erwecken bei den Befragten zumindest noch kein Vertrauen. In den als problematisch beschriebenen Bereichen erwartet nur ein geringer Teil (6,3 %) der deutschen Unternehmen eine Verbesserung. Ein Drittel (35,9 %) rechnen damit, dass sich der Zustand in den nächsten drei Jahren nicht wesentlich verändern wird und die Mehrheit (58,8 %) geht sogar von einer Verschlechterung der Situation aus. Die negative Erwartungshaltung ist etwas überraschend, zumal in den vergangen Jahren in einigen Bereichen nachweislich Verbesserungen erzielt werden konnten. Gerade bei der Rechtssicherheit, der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Korruption und dem Schutz des geistigen Eigentums unterstreicht die Regierung durch aktives Handeln öffentlichkeitswirksam ihre Bemühungen, die Situation weiter zu verbessern. Der Abbau der Handelshemmnisse, die Verbesserung bei zur Verfügung stehenden Marktdaten und die aufgebaute Infrastruktur sind aus Sicht der deutschen Unternehmen also erst ein Teil des Weges, den China noch zurücklegen muss, um als entwickeltes Land anerkannt zu werden. Chancen vs. Risiken Zur übersichtlichen Gesamtbewertung des chinesischen Marktes wurden die Chancen und Herausforderungen aus Sicht der Unternehmen jeweils zu einem Wert zusammengefasst772 und in ein Streudiagramm eingetragen. Abbildung 43 bestätigt die aus der Literatur und Fallstudie gefundene Vermutung, dass der chinesische Markt große Chancen bietet, aber auch große Risiken birgt. Auf einer Skala von 1 bis 3,5 bewerten die Respondenten die Marktpotentiale im Durchschnitt mit 2,21 und damit deutlich höher als die
771 772
Vgl. Kapitel 3.1.5. Zur Zusammenfassung wurde jeweils ein Durchschnittswert der Chancen und Herausforderungen gebildet.
190
Kapitel 5
Marktrisiken mit 1,83.773 Daraus erklärt sich die Attraktivität des chinesischen Marktes aus Sicht der deutschen Unternehmen.774 Der Kreis in der Abbildung zeigt den mittleren Bereich, in dem 50 % aller Werte liegen, sodass sich daraus die charakteristische Position Chinas auf der Chancen-Risiken-Verteilung ermitteln lässt.
Marktchancen [klein >>>> groß]
3,5 3,0 2,5
($)*#
2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
Marktrisiken [klein >>>> groß] Abbildung 43: Marktchancen und -risiken aus Sicht deutscher Unternehmen.
Wettbewerbsstruktur in China Nur 46 % der deutschen Unternehmen in China zeigen sich mit dem Wettbewerb in China zufrieden oder sehr zufrieden. In Abbildung 44 wird das Dilemma des chinesischen Marktes deutlich. Auf der einen Seite wurden in den vorherigen Abschnitten große Chancen für ein erfolgreiches Engagement in China nachgewiesen, auf der anderen Seite sind bereits viele weltweit agierende Unternehmen im Markt aktiv, bzw. neue potentielle Konkurrenten drängen in den Markt. Insgesamt ist in vielen Branchen ein harter Wettbewerb zu beobachten. Sind neben starken lokalen Kräften auch international tätige Unternehmen in einem Markt aktiv, kann ein einzelnes weltweit agierendes Unternehmen seinen Wettbewerbsvorteil nicht mehr in vollem Umfang ausnutzen. Allerdings ist es auffällig, dass die Unternehmen, die unzufrieden oder sehr unzufrieden mit der Wettbe773
Die Frage war so formuliert, dass 3 die höchsten Chancen und Risiken darstellt und 1 die niedrigsten. Zur Berechnung der Mitte und der Quartile wurde mit den exakten Zahlenwerten gearbeitet. In der Darstellung wurden die einzelnen Werte mit einzelnen, zufälligen Auf- oder Abschlägen bedacht, um einen Effekt der Streuung zu erzeugen. Dieser Effekt erleichtert das Nachvollziehen der Punktwolke. 774 Die Werte in dieser Grafik sollen nur die Signifikanz der Chancen und Risiken des chinesischen Marktes ausdrücken. Sie dienen nicht als Vergleichsgrößen mit anderen Märkten.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
191
werbssituation in China sind, zu einem größeren Teil mit lokalen Unternehmen im Wettbewerb stehen. sehr zufrieden zufrieden unzufrieden sehr unzufrieden n = 260
20%/50%/30%
34%
17%
29%
25%
45%
44%
13% 38%
43%
lo kal
international
beides
Abbildung 44: Wettbewerber deutscher Unternehmen in China.
Neben dem Wettbewerbsdruck stellen die spezifischen Anforderungen der Kunden im chinesischen Absatzmarkt eine besondere Herausforderung aus Sicht der deutschen Unternehmen dar. 54 % der Befragten sind unzufrieden, bzw. sehr unzufrieden mit den Anforderungen, woraus sich folgern lässt, dass die chinesischen Kunden eine hohe Verhandlungsmacht gegenüber ihren deutschen Lieferanten haben. Außerdem müssen die Unternehmen ihre Produkte in teilweise erheblichem Maße an die spezifischen Kundenbedürfnisse anpassen. Nur 14 % der Unternehmen gaben an, keine Anpassungen für den Absatz ihrer Produkte in China vorzunehmen. Immerhin 47 % passen ihre Produkte im kleinen Ausmaß an und 39 % der Unternehmen müssen ihre Produkte erheblich für den chinesischen Absatzmarkt modifizieren. Fazit - die fünf Wettbewerbskräfte Chinas Die Erkenntnisse aus diesem Kapitel lassen sich in dem Modell der Wettbewerbskräfte nach Porter zusammenfassen.775 Abbildung 45 zeigt die Herausforderungen für deutsche Unternehmen im chinesischen Markt. Grundsätzlich sind sie einem starken Wettbewerb in ihrer Branche durch lokale Unternehmen und internationale Konzerne ausgesetzt. Besonders die lokalen Anbieter bedrohen die Unternehmen durch billige Produktimitate, wobei die chinesischen Unternehmen oftmals nicht vor Urheberrechtsverletzungen zurückschrecken. Trotzdem erscheint der chinesische Markt so attraktiv, dass weiterhin neue potentielle Konkurrenten in den Markt eintreten. Die Unternehmen befinden sich in dem hart umkämpften Markt in beiden Richtungen der Wertschöpfungskette in einer schwierigen Situation: 775
Vgl. Kapitel 2.3.3.3.
192
Kapitel 5 -
Auf der Lieferantenseite bestehen vor allem Probleme in der Kooperationsbereitschaft sowie durch mangelhafte Qualität und Unpünktlichkeit. Fördern sie ihre Lieferanten, um die Qualität der Produkte und die Kooperation allgemein zu verbessern, stärken sie deren Position und Verhandlungsmacht, da sie problemlos ihr verbessertes Know-how anderen Wettbewerbern anbieten können.
-
Auf der Kundenseite müssen die Unternehmen, teilweise mit großem Aufwand, ihre Produkte für die potentiellen Kunden anpassen, um überhaupt im Absatzmarkt erfolgreich zu sein. Die Verhandlungsmacht der Abnehmer besteht in diesem Fall aufgrund des großen Angebots unterschiedlicher Hersteller. Potentielle neue Konkurrenten Große Potentiale des chinesischen Marktes forcieren Markteintritt
Wettbewerber in der Branche
Lieferanten
Abnehmer
Mangelnde Kooperationsbereitschaft, mangelhafte Qualität und Unpünktlichkeit
Lokale und internationale Unternehmen
Hohe Kundenanforderungen erfordern spezifische Produktanpassungen
Bedrohung durch billige Produktimitate
Ersatzprodukte
Abbildung 45: Wettbewerbskräfte des chinesischen Markts.
Es wird deutlich, dass der chinesische Markt neben den großen Potentialen auch große Herausforderungen für die international tätigen Unternehmen in ihrer jeweiligen Branche darstellt. Sie müssen folglich ihre strategischen Entscheidungen, in welcher Art und mit welchem Umfang sie sich in China engagieren wollen, unter Berücksichtigung der spezifischen Marktchancen und Marktrisiken Chinas treffen. Um die Marktrisiken zu minimieren, ist es notwendig, ein langfristiges, vertrauensvolles Verhältnis zu Lieferanten und Kunden aufzubauen, von dem beide Seiten profitieren. Wie bereits in Kapitel 3.1 analysiert, bedarf es dazu in China spezieller soziokultureller Kompetenzen.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements 5.2.4
193
Koordination der Wertaktivitäten in China
Die Fragen in Abschnitt C) beziehen sich auf die Wertaktivitäten, die die deutschen Unternehmen in China realisieren. Bewertet wurden zum einen die Zufriedenheit mit den intraorganisatorisch durchgeführten Aktivitäten und zum anderen die Integration dieser Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund.776 Darüber hinaus sollten die Respondenten angeben, wie hoch der lokale Wertschöpfungsanteil ist. Unternehmensinterne Realisierung der Wertaktivitäten Abbildung 46 zeigt die Wertaktivitäten, die deutsche Unternehmen in China durchführen. Es wurde bei der Befragung in „teilweise unternehmensintern“ oder „vorrangig unternehmensintern“ unterschieden. Außerdem konnte „nicht unternehmensintern“ angekreuzt werden, was bedeutet, dass diese Aktivitäten entweder überhaupt nicht in China durchgeführt oder an externe Unternehmen ausgelagert wurden.
Marketing
6,3%
23,4%
67,7%
Beschaffung
6,8%
25,0%
64,6%
Produktion
11,5%
Transport & Distribution
40,6%
n = 192
Nicht in-house
19,8%
25,5%
62,5%
27,1%
Teilweise in-house
Vorrangig in-house
Abbildung 46: Interne Wertaktivitäten deutscher Unternehmen in China.
Betrachtet man die Handlungsfelder des internationalen Wertschöpfungsmanagement777, lässt sich eine hohe unternehmensinterne Realisierung der Wertaktivitäten von deutschen Unternehmen in China feststellen. Jeweils rund 90 % der Unternehmen gaben an, die Beschaffung und das Marketing in China in ihrem Unternehmen ganz oder teilweise durchzuführen. Mehr als 80 % produzieren selbst, bzw. zum Teil selbst im chinesischen Markt. Einzig Transport & Distribution wird zum größten Teil an Dienstleister ausgelagert. Die Auslagerung von logistischen Dienstleistungen ist in Industrieländern heutzutage selbst-
776
In Abweichung zum Fragebogen wird Forschung & Entwicklung sowie der After-Sales-Service im Rahmen dieser Arbeit nicht betrachtet. 777 Vgl. Kapitel 2.5.1.
194
Kapitel 5
verständlich.778 Auch in China scheinen mittlerweile ausreichend lokale und internationale Dienstleister im Markt vertreten, die eine Auslagerung ermöglichen. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass die 40,6 % de Unternehmen, die diese Wertaktivität vollständig ausgelagert haben, 56 % die Infrastruktur und Logistik in China allgemein positiv bewerten. Zufriedenheit mit den Wertaktivitäten Die Betrachtung der Zufriedenheit mit den vollständig unternehmensintern ausgeführten Wertaktivitäten liefert ein überraschend positives Bild.779 Wie in Abbildung 47 zu sehen, sind mehr als drei Viertel der Respondenten mit den unternehmensintern durchgeführten Wertaktivitäten zufrieden, bzw. sehr zufrieden. Besonders auffällig sind die 90 % Zufriedenheit mit der eigenen Produktion. Dies bestätigt die theoretische Vermutung, dass sich Produktionsprozesse vollständig in andere Länder transferieren lassen und dort auf einem hohen Niveau Fertigung möglich ist. 780 Passend dazu lässt sich anhand einer leichten Korrelation (KK = 0,2; 95%-Signifikanzniveau) nachweisen, dass die Zufriedenheit mit der Produktion mit der Dauer des Engagements in China zunimmt.
7,5%
Produktion
13,5%
Transport & Distribution
n = 124
Beschaffung
2,4%
20,2%
Marketing
1,5%
20,8%
sehr unzufrieden
64,2%
unzufrieden
73,1%
59,7%
62,3% zufrieden
25,8%
9,6%
16,1%
13,1%
sehr zufrieden
Abbildung 47: Zufriedenheit mit den in China intern realisierten Wertaktivitäten.
Profil der Wertaktivitäten Wie bereits in Kapitel 2.5.2 beschrieben, kann die Konfiguration der Wertaktivitäten von Unternehmen in fremden Märkten durch die Art und den Umfang der unternehmens778
Vgl. Pfohl (2003), S. 24ff und Gebhardt (2006), S. 48ff. Um Einflüsse externer Effekte auszuschließen, wurden für die Betrachtung der Zufriedenheit ausschließlich die Unternehmen untersucht, die für die einzelnen Wertaktivitäten angegeben haben, diese vollständig unternehmensintern durchzuführen. 780 Vgl. Kapitel 2.5.1.2. 779
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
195
internen Realisierung in den jeweiligen Ländern charakterisiert werden. Im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements werden dazu die Beschaffung (B), die Produktion (P) und das Marketing (M) betrachtet. Neben reinen Beschaffungs-, Produktions- und Marketingstrategien existieren kombinierte Strategien (BP, PM, BM) sowie die Möglichkeit zur vollständigen Realisierung aller betrachteten Aktivitäten (BPM). Der Umfang lässt sich dabei durch eine teilweise und vollständige unternehmensinterne Durchführung der Aktivitäten beschreiben.781 Die symbolische Darstellung der einzelnen Unternehmensprofile, entsprechend ihrer Ausgestaltung der Wertaktivitäten, verdeutlichen die vier Grafiken in Abbildung 48.
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Abbildung 48: Strategieprofile (ohne reine B-, P- oder M-Strategie).
Wie die Auswertung der Unternehmen nach ihren Aktivitäten zeigt, sind 92 % der Unternehmen mit mindestens einer Wertaktivität in China vollständig unternehmensintern aktiv. Nur die wenigsten Unternehmen (7,9 %) konzentrieren sich allein auf eine einzelne Aktivität, die meisten Unternehmen realisieren eine kombinierte Strategie, zum Beispiel Beschaffung-Produktion (BP) oder Produktion-Marketing (PM). Wie Abbildung 49 zeigt, hat die überwiegende Mehrheit (73,8 %) alle drei Wertaktivitäten zumindest teilweise unternehmensintern realisiert.782 Ein Drittel aller Unternehmen (35,6 %) gaben so781
Der Index für Art und Umfang setzt sich wie folgt zusammen: Ein Punkt je durchgeführter Wertaktivität (Art), ein, bzw. zwei Punkte je durchgeführter Wertaktivität, je nachdem ob sie nur teilweise oder vollständig unternehmensintern abgewickelt wird. Je höher die Punktzahl des Aktivitäten-Index, desto aktiver sind die Unternehmen mit Wertaktivitäten in China vertreten. 782 Da es Unternehmen gab, die Wertaktivitäten ausschließlich „teilweise“ unternehmensintern in China durchführen, weicht die Stichprobengröße für voll und teilweise realisierte Wertaktivitäten voneinander ab.
196
Kapitel 5
gar an, alle drei Aktivitäten vollständig unternehmensintern in China durchzuführen, also eine reine BPM-Strategie zu verfolgen. Der Anteil der Unternehmen, die nur Beschaffungs- und Marketingaktivitäten in China durchführen liegt bei 16,8 %, d.h. die meisten Unternehmen sehen ihren größten Wettbewerbsvorteil in China darin, günstig zu produzieren. Allerdings ist die Produktion immer in irgendeiner Form in Marketing oder Beschaffungsaktivitäten eingebunden. Nur 0,5 % der Unternehmen realisieren ausschließlich ihre Produktion in China.
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Abbildung 49: Aktivitätsindex deutscher Unternehmen in China.
Der geringe Anteil von Unternehmen, die nur Beschaffung in China betreiben, ist der Beleg dafür, dass die Erfolgspotentiale überwiegend im chinesischen Absatzmarkt liegen. Außerdem scheinen die Unternehmen, die eine reine Beschaffungsstrategie verfolgen, die Gründung eines REP als ausreichend anzusehen. Wie sich in der separaten Betrachtung der REP nachweisen lässt, ist der Anteil von REP mit reiner Beschaffungsstrategie deutlich größer. Insgesamt betrachtet, versuchen die Unternehmen die Potentiale Chinas überwiegend durch eigene Produktionen und Absatzaktivitäten zu nutzen. Umfang des Auslandsengagements Neben der Messung des Umfangs, in dem die Unternehmen einzelnen Wertaktivitäten in einem Ländermarkt unternehmensintern betreiben, soll die Bedeutung des Auslandsengagements für das Unternehmen ermittelt werden. Dies beinhaltet zum einen den Mitarbeiteranteil in diesem Ländermarkt – gemessen am Gesamtunternehmen – zum anderen den Anteil des Umsatzes am Gesamtumsatz. Darüber hinaus kann der Anteil der lokalen
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
197
Wertschöpfung in einem Ländermarkt zum Ausdruck bringen, wie stark ein Unternehmen bereits in einem Ländermarkt aktiv tätig ist. Die Mitarbeiteranzahl in einem Ländermarkt ist stark von der Art der verlagerten Wertaktivität abhängig. So kann die Verlagerung automatisierter Prozesse oder schlanker Einkaufs- und Verkaufsabteilungen nur geringe Mitarbeiterquoten nach sich ziehen. Gerade in Ländern mit günstigen Lohnkosten werden viele Wertaktivitäten mit hohem Personalbedarf verlagert. Für kleine Firmen, die nur in wenigen Ländern tätig sind, kann dies bedeuten, dass der Mitarbeiteranteil in einem Auslandsmarkt einen beachtlichen Anteil an der Gesamtmitarbeiteranzahl hat. Gemäß der Kategorisierung783 und des Vergleichs zwischen Mitarbeiteranzahl im Gesamtunternehmen und Mitarbeiteranzahl in China, zeigt sich, dass für 33,1 % der Unternehmen die Anzahl der Mitarbeiter in China einen erheblichen Anteil an der Gesamtmitarbeiterzahl hat. Bei 37,3 % ist der Anteil eher wenig bedeutend. Bei 29,5 % bilden die chinesischen Mitarbeiter einen größeren, aber nicht entscheidenden Anteil am Gesamtunternehmen. Während die Mitarbeiterzahl gerade bei kleinen Unternehmen einen teilweise beachtlichen Anteil am Gesamtunternehmen hat, ist die Umsatzquote der chinesischen Tochtergesellschaften und JV-Beteiligungen - gemessen am Gesamtumsatz - deutlich geringer. Für 64 % der befragten deutschen Unternehmen, hat die Umsatzquote keinen entscheidenden Anteil am Gesamtumsatz. Für 18,3 % hingegen macht der Umsatz in China einen großen Teil des Gesamtumsatzes aus, bei 17,2 % ist der Anteil bedeutend, aber nicht dominierend. Der Anteil der lokalen Wertschöpfung (local content) bezeichnet die Wertschöpfung, die in China aus chinesischen Ressourcen geschaffen wurde. Aus Abbildung 50 geht hervor, dass eine Mehrheit der deutschen Unternehmen, die in China produzieren, einen Anteil von mehr als 50% der Ressourcen lokal beschafft.784 Ein signifikanter Zusammenhang lässt sich auch zwischen der Beschaffungsfunktion und der lokalen Wertschöpfung herstellen. Je aktiver die Unternehmen in der Beschaffung sind, desto höher ist der lokale Wertschöpfungsanteil an der Produktion (KK = 0,34; 99%-Signifikanzniveau). Diese wenig überraschende Erkenntnis zeigt, dass der Datensatz in diesem Punkt konsistent ist und sich mit den theoretischen Überlegungen deckt.
783
Die Kategorien wurden in einer Tabelle aufgetragen, woraus sich dann Werte für den Anteil ablesen ließen. Die Tabelle mit der entsprechenden Verteilung befindet sich im Anhang A.2. 784 Für diese Betrachtung wurden lediglich die Unternehmen hinzugezogen, die mindestens teilweise ihre Produktion in China unternehmensintern realisieren.
198
Kapitel 5 40%
31% 30%
25%
26%
20%
13% 10%
5% 0% 0-25
25-50
50-75
75-99
99-100
Anteil der lokalen Wertschöpfung [%]
Abbildung 50: Anteil der lokalen Wertschöpfung deutscher Unternehmen in China.
Der Umfangsindex785 setzt sich aus drei Teilen zusammen: Mitarbeiterquote, Umsatzquote und lokale Wertschöpfung in China. Je größer der Umfang ist, desto aktiver sind die Unternehmen in China, bzw. desto erheblicher ist der Anteil des Chinaengagements für das Gesamtunternehmen. In der späteren statistischen Analyse soll der Umfang als eine der Gestaltungsvariablen in das Modell eingehen und gemäß der Hypothesen getestet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für 25 % der deutschen Unternehmen ihr Engagement in China - gemessen an Mitarbeitern, Umsatz und lokal realisierter Wertaktivität - einen erheblichen Anteil ihres gesamten Geschäfts ausmacht. Bei 23 % der Unternehmen ist das China-Engagement eher ein kleiner Teil der weltweiten Aktivitäten. 52 % der deutschen Unternehmen ordnen sich gemessen am Umfangsindex im Mittelfeld ein.786 Der Umfang, in dem die deutschen Unternehmen sich im chinesischen Markt engagieren, ist dabei signifikant abhängig von der Dauer, mit der sie bereits in China aktiv sind. Eine Betrachtung der Korrelation ergibt einen Wert von KK = 0,45 auf dem 99%Signifikanzniveau. Dies zeigt, dass die Unternehmen mit der Zeit den Umfang ihrer Aktivitäten steigern. Die WSM-Kompetenz nimmt analog dazu durch Lerneffekte zu, um die Herausforderungen durch den größeren Koordinationsaufwand – einhergehend mit steigendem Umfang - zu bewältigen. Eine positive Korrelation (KK = 0,23; 99%Signifikanzniveau) belegt zudem, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen dem 785
Ein Index ist die Zusammenfassung mehrerer Einzelfragen zu einem Wert, mit dem Ziel, komplexe Sachverhalte zu messen, vgl. Bühl (2008), S. 192. 786 Die Bewertung des Indexes ergibt sich wie folgt: 1,0 – 2,0 (kleiner Anteil), 2,1 – 3,4 (mittlerer Anteil), 3,5 – 5,0 (großer Anteil).
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
199
Aktivitäts- und dem Umfangsindex gibt, also Unternehmen aktiver sind, je mehr verschiedene Wertaktivitäten sie in China betreiben. Absatz- und Beschaffungsmarktorientierung der Repräsentanzbüros Die Aktivitäten der REP lassen sich nicht in gleicher Art beurteilen, wie die der in China niedergelassenen deutschen Unternehmen. Im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements wird trotzdem davon ausgegangen, dass REP eines deutschen Unternehmens Wettbewerbsvorteile durch einen Beitrag zur Wertschöpfung generieren können. Entsprechend der Ausgestaltung von REP können diese entweder absatzmarkt- oder beschaffungsmarktorientiert agieren. Oder sie vereinen beide Aktivitäten in ihrem Büro. Die Auswertung der Motivation und Chancen, mit denen die befragten REP im chinesischen Markt agieren, sind in Abbildung 51 dargestellt. Auf der Ordinate sind die Chancen und Motivationen bezogen auf den Absatzmarkt Chinas und auf der Abszisse die Chancen und Motivationen bezogen auf den Beschaffungsmarkt Chinas eingetragen. Die Größe der Kreise zeigt die Anzahl der REP in einem Bereich an. 58,9 % der REP agieren in China mit dem Ziel, Absatz zu generieren. Nur 9,6 % der REP wählen eine reine Beschaffungsstrategie und 31,5 % der REP sind sowohl mit Absatz-, als auch mit Beschaffungsstrategie im chinesischen Markt aktiv. 6
Absatzmarkt [kleiner >>> größer]
5 4
Absatzorientiert Beschaffungorientiert
3 2 1 0
-1 n = 73
Beschaffungsmarkt [kleiner >>> größer] Abbildung 51: Aktivitäten deutscher REP in China.
Da die REP keine Wertaktivitäten im eigentlichen Sinne in China durchführen, aber dennoch zur Wertsteigerung durch die Geschäftsanbahnung beitragen, werden sie im Modell der Ursache-Wirkungszusammenhänge nicht betrachtet. Vielmehr werden REP als spezifische Gestaltungsalternativen der Marktbearbeitung angesehen, mit der sich unter bestimmten Bedingungen Marktpotentiale erschließen lassen. In den meisten Fällen
200
Kapitel 5
sind REP aber nur Übergangsformen und daher eher als günstige Möglichkeit zum Markteintritt zu sehen. 5.2.5
Integration der Aktivitäten in den globalen Unternehmensverbund
Die Aufgabe des internationalen Wertschöpfungsmanagement ist – neben der Koordination - die Integration der weltweit verteilten Wertaktivitäten. Je stärker die Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund integriert sind, desto größer sind die Anforderungen, die sich an die Wertschöpfungskompetenz richten.787 Es wurde gefragt, wie die Unternehmen die Integration der Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing in eine globale Strategie des eigenen deutschen Mutterhauses wahrnehmen. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass es sich hierbei um die Einschätzung der befragten Unternehmen in China handelt und nicht um das deutsche Mutterhaus. In der Auswertung sind nur die Unternehmen berücksichtigt, die ein bestimmtes Aktivitätsprofil vorweisen. Die REP wurden nicht nach der Integration befragt, da sie stark von der Muttergesellschaft abhängen und ihre Aktivitäten damit per se fast vollständig integriert sind. Die meisten deutschen Unternehmen in China sehen ihre Wertaktivitäten nur teilweise in den globalen Unternehmensverbund integriert. Wie in Abbildung 52 zu sehen, ist die Produktion am häufigsten vollständig integriert (41 %). Beschaffung und Marketing sind bei ungefähr einem Viertel der Unternehmen vollständig integriert. Umgekehrt gaben durchschnittlich nur 15 % der Befragten an, dass ihre Wertaktivitäten völlig unabhängig vom Unternehmensverbund in China operieren. Der insgesamt größte Teil der Befragten geht also von einer teilweisen Integration ihrer Wertaktivitäten aus. Bei näherer Betrachtung lässt sich nachweisen, dass Unternehmen, die ihre Produktion oder Beschaffung nur teilweise unternehmensintern in China realisieren, diese Funktionen auch weniger in den weltweiten Unternehmensverbund integrieren. 788 Hier scheinen die Unternehmen also noch vorsichtig zu agieren, da die Zuverlässigkeit chinesischer Lieferanten insgesamt auch negativ bewertet wird.
787 788
Vgl. Kapitel 2.5.3. Dazu wurden für die vollständig und teilweise realisierten Wertaktivitäten die jeweiligen Durchschnittswerte der lokalen Wertschöpfung gebildet. Diese weichen mehr als 10 % voneinander ab. Eine detaillierte Betrachtung mittels Korrelationskoeffizienten war aufgrund der geringen Unterscheidung in „vollständig“ und „teilweise“ nicht möglich gewesen.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
Marketing
Produktion
Beschaffung
n = 137
18%
14%
17%
Nicht integriert
52%
44%
57%
Teilweise integriert
201
25%
41%
24%
Voll integriert
Abbildung 52: Subjektive Einschätzung zur Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund.
Die fehlende Integration von Wertaktivitäten könnte einerseits auf die gewünschte Entscheidungsfreiheit des lokalen Managements in China zurückzuführen sein, andererseits jedoch könnte es ein Hinweis auf mangelnde Kapazitäten sein, die Wertaktivität effizient in eine globale Strategie einzubinden. Integration in den weltweiten Waren- und Güterstrom Um die subjektive Einschätzung der Befragten nach der Integration durch eine messbare Größe zu ergänzen, wurde nach den Exportquoten der in China produzierten, bzw. beschafften Gütern und deren anschließende Weiterverarbeitung im Unternehmensverbund gefragt. Eine Lieferung von Waren und Gütern aus China an andere Standorte zur anschließenden Weiterverarbeitung ist ein Indikator für die Integration von Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund. Hohe Exportquoten stellen also eine große Anforderung an das internationale Wertschöpfungsmanagement dar. Der Exportanteil wurde in fünf Kategorien eingeteilt, was die Klassifizierung der Unternehmen vereinfacht. In Abbildung 53 sind die Unternehmen zu sehen, aufgeteilt nach den Gesamtexporten gemessen am Umsatz in China, sowie der Anteil der Exporte, der anschließend im weltweiten Unternehmensverbund weiterverarbeitet wird. Es zeigt sich, dass der größte Teil der Produkte im chinesischen Markt verbleibt und die Unternehmen ihre lokalen Absatzchancen nutzen. Nur 16 % der Unternehmen sehen ihre Aktivitäten in China hauptsächlich als Basis zur Belieferung anderer Märkte an. Sie exportieren mehr als 50 % an Kunden in anderen Ländern und verfolgen damit die Absicht, China als Exportplattform zu nutzen.
202
Kapitel 5
Bei den exportierenden Unternehmen ist der Anteil der Waren und Güter, die anschließend im Unternehmensverbund weiterverarbeitet werden, oftmals unterhalb 20 %. Lediglich bei jedem zehnten Unternehmen werden mehr als 35 % des China-Umsatzes in den weltweiten Unternehmensverbund zur anschließenden Weiterverarbeitung eingebracht (siehe Markierung in der Abbildung). Aus Sicht der nachfolgenden Wertaktivitäten entlang der Wertschöpfungskette sind die in China durchgeführten Wertaktivitäten noch nicht sehr stark in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. Auf der anderen Seite zeigen die teilweise noch geringen Wertschöpfungstiefen in China, dass wohl
Anteil der Weiterverarbetiung [%]
viele Halbfertigprodukte in den chinesischen Markt eingeführt, dort weiter verarbeitet und anschließend im chinesischen Markt verkauft werden.
90 - 100 70 - 90 30 - 70 10 - 30 0 - 10
n = 183
0-5
5 - 20
20 - 50
50 - 75
75 - 100
Exportquote [%]
Abbildung 53: Unternehmen nach Exportquote und Anteil von Produkten, die nach dem Export im Unternehmensverbund weiter verarbeitet werden.
Hauptabsatzmärkte für exportierte Produkte sind für 71 % der Unternehmen Westeuropa, wovon zwei Drittel auf Deutschland entfallen, und Asien (52 %, zzgl. 23 % Japan). Andere Märkte wie Nordamerika (28 %), Indien (18 %) oder der Mittlere Osten (18 %) spielen aus Sicht der deutschen Unternehmen in China nur eine untergeordnete Rolle.789 Integrationsindex Zur weiteren Auswertung werden die in diesem Abschnitt untersuchten Informationen in einem Integrationsindex zusammengefasst. Darin findet sich zum einen die subjektive Einschätzung der Integration einzelner Wertaktivitäten wieder, zum anderen werden die Exportquote und der Anteil der Weiterverarbeitung im Unternehmensverbund erfasst.
789
Bei dieser Frage waren Mehrfachantworten möglich. Die Befragten durften maximal vier Ländermärkte ankreuzen.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
203
Dieser Integrationsindex bildet neben dem Aktivitätsindex den zweiten Teil für die Ermittlung des China-Profils der deutschen Unternehmen. Die Zusammensetzung des Integrationsindex erfolgt über die Aufsummierung folgender drei Teile: 1) Die subjektive Einschätzung über die Integration der Aktivitäten, wobei für die drei Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing der Mittelwert gebildet wurde, da nicht alle Unternehmen alle Wertaktivitäten in China ausführen, 2) die Exportquote, die entsprechend ihrer Klassifizierung in die Bewertung einging, maximal aber 30 % des Zufriedenheitsindezes ausmachen konnte und 3) der Anteil der weiterverarbeiteten Teile, der gemäß der maximalen Quote gewichtet wurde, wobei der Maximalwert ebenfalls 1 darstellt. Der Integrationsindex kann maximal den Wert fünf annehmen, sodass die Einschätzung über die Integration (maximal 3) etwas stärker gewichtet ist, als die Export- und Weiterverarbeitungsaktivitäten. In Abbildung 54 ist die Einschätzung der Integration über die Exportaktivitäten aufgetragen. 41 % der Unternehmen haben ihre Aktivitäten bereits intensiv in den weltweiten Verbund integriert (voll integriert). Ebenfalls 41 % haben ihre Wertaktivitäten in China zumindest teilweise in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. 18 % der deutschen Unternehmen in China agieren (noch) unabhängig von den Aktivitäten der Mut-
Export- und Weiterverarbeitungsquote
tergesellschaft. Der Zusammenhang zwischen Exportaktivitäten und Integrationsgrad wird in dieser Grafik sehr gut ersichtlich. 2 1,8 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0,0 n = 177
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
Einschätzung der Integration
Abbildung 54: Integration der Wertaktivitäten in weltweiten Unternehmensverbund.
204
Kapitel 5
Die Integration der Wertaktivitäten ist dabei nicht abhängig von der Dauer, mit der die Unternehmen bereits im chinesischen Markt vertreten sind. Eine Betrachtung der Korrelation ergibt einen Wert von KK = 0,143 allerdings auf einem Signifikanzniveau kleiner 90 %. Dies zeigt, dass die Unternehmen die Integration von Wertaktivitäten entweder aufgrund anderer Erfahrungswerte oder aufgrund strategischer Entscheidungen schneller vorantreiben können. Damit zeigen sie ein erhöhtes Maß an WSM-Kompetenz im internationalen Kontext. 5.2.6
Geographisch-kulturelle Distanz zwischen Deutschland und China
Wie in den vorherigen Abschnitten dargestellt, haben die deutschen Unternehmen sowohl bezogen auf Art und Umfang der in China realisierten Wertaktivitäten, als auch bezogen auf die Integration der vorhandenen Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund noch erhebliches Potential. Es bleiben also viele Wettbewerbspotentiale für deutsche Unternehmen in China bislang ungenutzt. Ein Grund dafür kann die große geographisch-kulturelle Distanz zwischen China und Deutschland sein, die ein Zusammenarbeiten mit Lieferanten, Kunden, aber auch den eigenen lokalen Mitarbeitern erheblich erschwert. Diese geographisch-kulturelle Distanz ist objektiv feststellbar (vgl. dazu Kapitel 2.1.4), kann aber auch durch subjektive Wahrnehmung zum Ausdruck kommen: Entweder durch Marktrisiken, die die deutschen Unternehmen in China empfinden, oder durch Schwierigkeiten, die gerade in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und Lieferanten sowie bei der Integration der chinesischen WFOE, bzw. ihres JVs, in den Unternehmensverbund entstehen. Gefragt nach der allgemeinen Einschätzung zur Schwierigkeit der Integration, antwortete nur etwas mehr als die Hälfte der Respondenten, dass die Integration einfach oder sehr einfach verlaufe, vgl. Abbildung 55. Bei 42,8 % bereitet die Eingliederung hingegen Schwierigkeiten. Auffällig ist der signifikante Unterschied zwischen WFOE und JV. Getrennt betrachtet ist der Anteil der JV-Unternehmen, bei denen die Integration in das Gesamtunternehmen Schwierigkeiten bereitet, 20 % größer als bei den eigenen Tochtergesellschaften.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
7,5%
JV
Durchschnitt
WFOE
8,2%
8,5%
n = 183 (davo n 130 WFOE's und 53 JV's)
43,4%
39,6%
49,2%
37,2%
51,5%
36,2%
sehr leicht
leicht
schwierig
205
9,4%
5,5%
3,8%
sehr schwierig
Abbildung 55: Schwierigkeiten bei Integration chinesischer Tochterunternehmen.
Besondere Herausforderung des Joint-Ventures Dieser Unterschied lässt sich durch die zusätzlichen Abstimmungs- und Verständnisschwierigkeiten mit dem chinesischen Partnerunternehmen zurückführen, die wiederum auf der geographisch-kulturellen Distanz basierten. Betrachtet man die Probleme mit den JV-Partnern im Detail, lassen sich zum einen allgemeine Konflikte, zum anderen signifikante Unterschiede in der Geschäftsführung sowie in der Auffassung über Werte und Ziele im JV analysieren. Wie in Abbildung 56 zu sehen ist, haben zwei Drittel der deutschen Unternehmen, die in chinesischen JVs gebunden sind, kleinere oder größere Konflikte mit ihren Partnerunternehmen. Diese kommen bei 51,8 % der Befragten in einer unterschiedlichen Auffassung über die Werte und Ziele zum Ausdruck. Bei drei Vierteln (75,9 %) gibt es sogar regelmäßig Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur Geschäftsführung des JV. Als Konsequenz aus den Konflikten wollen 25,9 % der JV-Unternehmen gerne die Anteile des Partners bei nächster Gelegenheit kaufen. Weitere 37 % überlegen sich diesen Schritt in der Zukunft. Diese Entwicklung ist mittlerweile untersucht worden und Puck/Holtbrügge/Mohr bestätigt werden.790
konnte
in
einer
Studie
von
Nur gut ein Drittel (37 %) bekennt sich zu der Partnerschaft und hat keine Überlegungen das JV in ein WFOE umzuwandeln. Dass die Absicht zur Umwandlung des JV in ein WFOE stark von den Konflikten und Problemen abhängt, konnte mit Hilfe eines Korre-
790
Vgl. Puck/Holtbrügge/Mohr (2009).
206
Kapitel 5
lationskoeffizienten nachgewiesen werden.791 Die besonderen Probleme im Bereich der JV sind aber bereits in der Vergangenheit ausschlaggebend für die Organisationsform der Markteintrittsentscheidung gewesen. Dies zeigt die Entwicklung der Organisationsformen deutscher Unternehmen in China, in Abhängigkeit der Aufenthaltsdauer, wobei die jüngeren Unternehmen zum größten Teil mit eigenen Tochtergesellschaften nach China expandieren.792 48,1% 29,6%
Unterschiedliche Auffassung von Werten und Zielen 22,2%
24,1% Unterschiedliche Auffassung von Geschäftsführung
48,1% 27,8% 33,3%
Konflikte mit JV-Partner
44,4% 22,2% 0%
n = 54
kein Problem
10%
kleines Problem
20%
30%
40%
50%
60%
großes Problem
Abbildung 56: Schwierigkeiten mit JV-Partnern.
Spezifische Probleme zwischen deutschen und chinesischen Geschäftspartnern Die Schwierigkeiten zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen lassen sich aber nicht nur anhand von Kooperationspartnern innerhalb eines JVs messen, sondern auch durch die allgemeine Zufriedenheit mit Geschäftspartnern (Kunden / Lieferanten). Mit der Vertragstreue ihrer chinesischen Geschäftspartner sind 58,8 % aller deutschen Unternehmen unzufrieden, bzw. sehr unzufrieden. In dieser überraschend hohen Zahl kommt eine Besonderheit der kulturellen Unterschiede zum Ausdruck, die sich auf das Vertragsverständnis bezieht. Während für einen Deutschen grundsätzlich das geschriebene Wort und ein unterzeichneter Vertrag „Gesetz“ sind, sieht ein Chinese in einem unterzeichneten Vertrag lediglich die Basis für die gemeinsame Zusammenarbeit, Details können später jederzeit noch nachverhandelt oder geändert werden. Für ein Drittel der befragten deutschen Unternehmen (34 %) gibt es auch Schwierigkeiten in der Koopera-
791
Die Korrelation zwischen „Konflikt“ und Bereitschaft zum Aufkauf der JV-Anteile beträgt KK = 0,47, zwischen „Geschäftsführung“ und Aufkauf KK = 0,35 sowie zwischen „Werten / Zielen“ und Aufkauf KK = 0,47 (alle Korrelationen auf dem 99%-Signifikanzniveau). 792 Vgl. Kapitel 5.2.1.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
207
tionsbereitschaft von Lieferanten. Allerdings zeigen sich 66 % der Respondenten als Kunden chinesischer Lieferanten zufrieden oder sehr zufrieden.
Kooperationsbereitschaft der Lieferanten in China
4,1% 29,9%
62,3% 3,7%
Vertragstreue der lokalen 12,8% Geschäftspartner
n = 250
46,0%
40,0%
1,2%
sehr unzufrieden unzufriedenunzufrieden zufrieden sehrsehr zufrieden zufrieden sehr zufrieden unzufrieden
Abbildung 57: Zufriedenheit mit chinesischen Geschäftspartnern.
Zusammenfassend lässt sich auf Basis der gewonnen Erkenntnisse in diesem Abschnitt die in Kapitel 3.1.1 vermutete geographisch-kulturelle Distanz bestätigen. Die kulturellen Unterschiede führen zu teilweise erheblichen Schwierigkeiten im täglichen Geschäft, nicht nur in JVs. Da die kulturelle Distanz in der vorliegenden Untersuchung aufgrund der Beschränkung auf ein Unter-suchungsland für alle Unternehmen gleich ist, wird sie im Folgenden nicht weiter betrachtet. Die spezifischen Marktrisiken Chinas finden hingegen entsprechend des Modells zur internationalen Unternehmenstätigkeit Eingang in die weitere Untersuchung der Ursache-Wirkungs-zusammenhänge. 5.2.7
Wettbewerbsvorteile durch lokale Wertschöpfung in China
Zur Ausnutzung von Kostenpotentialen im chinesischen Markt, gibt es für die produzierenden Unternehmen zwei Möglichkeiten, Wettbewerbsvorteile zu generieren: 1) Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit: Technologieintensive Halbfertigprodukte, die unter hohem Einsatz günstiger manueller Arbeitskraft in China weiterverarbeitet werden, können günstiger in hochpreisigen Märkten angeboten werden. Der lokale Wertschöpfungsanteil am Gesamtwert des Produktes ist gering.793 2) Erschließung neuer Wettbewerbspotentiale: Produkte, bei denen sich ein hoher lokaler Wertschöpfungsanteil realisieren lässt, können günstig in Niedrigpreismärkten angeboten werden.
793
In der Untersuchung wurde der Wertschöpfungsanteil bezogen auf den Umsatz in China gemessen, was sich aber direkt auf den Wert der umgesetzten Produkte übertragen lässt.
208
Kapitel 5
Zur Untersuchung dieser Vermutung werden die Anteile der lokalen Wertschöpfung und die Hauptabsatzmärkte untersucht. Vereinfachend wird angenommen, dass der Anteil, der nicht lokal bezogen wird, nach China importiert wird. Unter der Annahme, dass Westeuropa (inkl. Deutschland), Japan und Nordamerika ein deutlich höheres Preisniveau aufgrund höherer Kaufkraft der Nachfragerseite und hoher Spezialisierung auf der Angebotsseite als die übrigen Länder Asiens haben, lassen sich die beiden Strategien im Ansatz nachweisen. Wie in Abbildung 58 zu sehen ist, gehen bei Unternehmen mit einem lokalen Wertschöpfungsanteil kleiner 25 % und bei Exporten 64 % aller Produkte in die Hochpreisländer794. Nur 36 % hingegen werden an die übrigen Märkte geliefert. Betrachtet man im nächsten Schritt die Unternehmen mit einem lokalen Wertschöpfungsanteil größer 50 %, zeigt sich, dass hier eine signifikante Verschiebung stattgefunden hat. Als Hauptabsatzmärkte bezeichnen diese Unternehmen nur noch in 55 % der Fälle die Hochpreisländer, die übrigen Märkte werden in 45 % der Fälle beliefert.
64%
Ho chpreisländer
55% 36%
Billigländer
45% lokale Wertschöpfung < 25 %
n = 334
lokale Wertschöpfung > 50 %
Abbildung 58: Hauptabsatzmärkte der Unternehmen entsprechend lokalem Wertschöpfungsanteil.
Dass deutsche Unternehmen in China die Wettbewerbsvorteile der lokalen Wertschöpfung nutzen, um andere Länder zu beliefern, zeigt sich an der hohen Exportquote für Unternehmen mit einer lokalen Wertschöpfung größer 50 %. Im Durchschnitt exportieren diese Unternehmen 20 – 50 % ihres Gesamtumsatzes in andere Märkte, entweder zur Weiterverarbeitung oder als Endprodukt. Wettbewerbsvorteile durch Produktanpassung Eine weitere Möglichkeit der Generierung von Wettbewerbsvorteilen ist die Anpassung der Produkte an die Bedürfnisse des Marktes, um die Absatzchancen zu erhöhen. Auch hier wurde wieder die lokale Wertschöpfung als Maßstab genommen. Die Frage ist, wie viele Unternehmen lokale Wertschöpfung nutzen, um ihre Produkte anzupassen. Dabei war es unerheblich, ob diese Anpassung an Kundenbedürfnisse oder an das Preisniveau 794
Deutschland, Westeuropa, Japan, USA und Kanada.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
209
gewesen ist. Wie in Abbildung 59 zu erkennen, gibt es einen positiven Trend, der sich mit einer Korrelation KK = 0,21 auf einem Signifikanzniveau von 95 % bestätigen lässt. Dieser statistische Trend bedeutet, je mehr die Unternehmen ihre Produkte den lokalen Marktbedürfnissen anpassen, desto höher ist der Anteil der lokalen Wertschöpfung in China. Die Unternehmen verknüpfen also die Möglichkeit zur Absatzsteigerung durch
Anteil der lokalen Wertschöpfung [%]
lokale Anpassung mit den Wettbewerbspotentialen, die sich durch lokale Wertschöpfung nutzen lassen.
99 - 100 75 - 99 50 - 75 25 - 50 0 - 25
& n = 182
(
$
%
!
"
*
Lokale Anpassung der Produkte [gar nicht >>>>> stark]
Abbildung 59: Anpassung der Produkte und lokale Wertschöpfung.
5.2.8
Zukunftsaussichten zu Aktivitäten deutscher Unternehmen in China
Vor dem Hintergrund der 2007 noch nicht absehbaren weltwirtschaftlichen Entwicklungen erscheinen die in dieser Untersuchung abgefragten Zukunftsaussichten deutscher Unternehmen in China als überholt. Es geht aber in diesem Kapitel nicht darum, ein absolut realistisches Bild für die Situation im Jahr 2010 zu zeichnen – dies wäre mit den vorliegenden Daten nicht mehr möglich – sondern, die Einschätzung der Unternehmen auf Basis ihrer damaligen Situation zu analysieren. Ausgehend von dem theoretischen Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit, ist diese vor allem von den Kompetenzen des Unternehmens vor den gegebenen Marktbedingungen abhängig. Die weltweite Konjunkturlage ist kein Bestandteil des Modells, da sie nicht spezifisch ist, sondern als globale Umweltbedingung für alle Unternehmen angesehen werden muss. Die Zukunftseinschätzung der Unternehmen auf Basis ihrer damaligen Kompetenzen und Marktgegebenheiten dient der Validierung des Modells unter den damaligen Umständen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die allgemeinen Zukunftsaus-
210
Kapitel 5
sichten für das Engagement in China, die Entwicklung von Art und Umfang der in China realisierten Wertaktivitäten und die erwartete Integration der Wertaktivitäten dargestellt. Allgemeine Zukunftsaussicht Wie bereits die Zufriedenheit mit den Aktivitäten in China und die Einschätzung von Marktchancen gegenüber den Marktrisiken vermuten lässt, wollen die meisten deutschen Unternehmen ihre Aktivitäten in China weiter ausbauen (vgl. Abbildung 60). Im Zeitraum von drei Jahren planen 92 % ein noch intensiveres Engagement in China. Immerhin 6 % rechnen mit einer Beibehaltung der Aktivitäten auf dem bisherigen Level. Lediglich 2 % der befragten Unternehmen gaben an, dass ihr Unternehmen eine Verminderung der Aktivitäten plant. Auf diesen speziellen Aspekt der Desinvestition, bzw. des Marktaustritts wird in Kapitel 6.3 eingegangen.
Aktivitäten auf gleichem Level halten [6%]
Aktivitäten reduzieren, Markt verlassen [2%]
Aktivitäten ausweiten [92%]
Abbildung 60: Zukunftserwartung deutscher Unternehmen in China.
Zukunft über Art und Umfang der Wertaktivitäten Die positiven Zukunftsaussichten und das grundsätzliche Bekenntnis zum stärkeren Engagement in China planen die Unternehmen in Form der Wertaktivitäten aber unterschiedlich umzusetzen. Nur die wenigsten Unternehmen, die bislang bestimmte Wertaktivitäten nicht unternehmensintern abwickeln, wollen diese künftig als unternehmensinterne Aktivität in China durchführen, vgl. Abbildung 61. Bei der Beschaffung sind es gerade einmal 11 % der Unternehmen, die künftig eine unternehmensinterne Realisierung in China planen, bei der Produktion sind es 12 %. Lediglich im Marketing wollen 25 % eine verstärkt unternehmensinterne Abwicklung realisieren. 795 795
Bei der zukünftigen Entwicklung der Wertaktivitäten ist nur eine relative Einschätzung abgefragt worden. Es kann daher nicht absolut gesagt werden, ob die entsprechenden Wertaktivitäten künftig vorrangig oder
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
211
Bei den Unternehmen, die bereits vollständig oder teilweise Wertaktivitäten in China betreiben, ergibt sich ein geteiltes Bild. Bei der Beschaffung streben 49 % künftig eine gleich bleibende, bzw. noch stärkere, unternehmensinterne Abwicklung an, 51 % hingegen wollen den Anteil der internen Abwicklung reduzieren. Ähnlich ist es bei der Produktion, mit geplant 46 % stärkerem unternehmensinternen Anteil und 54 % reduziertem Anteil. Nur beim Marketing möchte die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen künftig verstärkt mit externen chinesischen Dienstleistern kooperieren, bzw. die intern realisierte Wertaktivität in China reduzieren (65 %). Im vierten Handlungsfeld des internationalen Wertschöpfungsmanagements, der Logistik, ist der Trend zur Auslagerung weiter ungebrochen und dies, obwohl die meisten Unternehmen die Logistik nicht unternehmensintern abwickeln. 75 % wollen bei der Logistik künftig ihren unternehmensinternen Anteil noch reduzieren, nur 9,4 % planen eine stärkere unternehmensinterne Abwicklung. Dies legt die Vermutung nahe, dass auch in China immer mehr Unternehmen mit Dienstleistern kooperieren, die die komplette Planung und Kontrolle der Logistik übernehmen.796 vollständig intern realisiert teilweise intern realisiert 49%
46%
35%
nicht intern realisiert 51%
B -51%
P -54%
47%
M -65%
B -49%
34%
P
M
-53%
-66%
11%
12%
B
P
25%
M
-75% -89%
-88%
= CD5E378 234:C9: 7539:5 = CD5E378 <95789: 7539:5
Abbildung 61: Entwicklung der internen Realisierung von Wertaktivitäten. teilweise unternehmensintern realisiert werden. Außerdem wird nicht ersichtlich, ob die entsprechenden Wertaktivitäten vorher in China überhaupt nicht oder extern durchgeführt wurden. Im Umkehrschluss lässt die Umfrage auch keine Aussage darüber zu, ob sich Unternehmen mit einer bestimmten Aktivität vollständig aus dem Markt zurückziehen, oder diese an externe Dienstleister vergeben wollen. 796 Zum allgemeinen Trend „Outsourcing von Logistikleistungen“, sowie den besonderen Herausforderungen für Logistik-Systemdienstleister siehe Pfohl/Feldkamp (2001), S. 18ff; Pfohl (2003), S. 26ff und Large (2007), S. 107ff.
212
Kapitel 5
Wie die Auswertung der Zukunftsaussichten zu den Wertaktivitäten zeigt, kann also keine einheitliche Strategie zur optimalen Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen gefunden werden. Die detaillierte Untersuchung der Ursache-Wirkungszusammenhänge muss Aufschluss darüber geben, inwieweit die einzelnen Variablen zusammenhängen und welches für die Unternehmen die optimale Allokation der Wertaktivitäten darstellt. Zukünftige Integration der Wertaktivitäten Die Auslagerung von Wertaktivitäten soll nach Planung der Unternehmen nicht zu einer verminderten Integration der in China realisierten Aktivitäten führen. Die Produktion, die bislang bereits am stärksten im weltweiten Unternehmensverbund eingegliedert ist, wollen 64 % der Unternehmen künftig noch stärker integrieren (vgl. Abbildung 62). Demgegenüber stehen aber 32 %, die von einer geringeren Integration ausgehen. Auch wenn der Trend also hin zu einer stärkeren Integration geht, ist in diesem Bereich kein klares Bild erkennbar, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass mehr als 30 % der Teilnehmer diese Frage unbeantwortet ließen. Produktion (n = 123) Marketing (n = 137)
Beschaffung (n = 105) Integration in Mutterunternehmen [auf aktuelles Niveau eingerichtet]
64 %
68 %
61 % 4%
4,4
3%
2,2 2,1
0
Mehr integriert
36 %
Bleibt gleich
32%
4%
Weniger integriert
28 %
Abbildung 62: Zukünftige Erwartung über die Integration der Wertaktivitäten.
Durch die Auslagerung von Wertaktivitäten bei zunehmender Integration in den Unternehmensverbund werden, die Anforderungen an die WSM-Kompetenz insgesamt größer.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
213
Zukunft der Repräsentanzbüros Wie bereits in Kapitel 2.1.3 dargestellt, sind REP oftmals der erste Schritt für Unternehmen hin auf dem Weg zu einem stärkeren Engagement in einem ausländischen Markt. Aus diesem Grund wurden die REP detailliert über künftige Pläne gefragt, vor allem, ob die Verlagerung von Wertaktivitäten in Form einer JV-Beteiligung oder eines eigenen WFOE geplant ist. Die Auswertung entspricht dem insgesamt sehr positiven Bild hinsichtlich der Zukunft deutscher Unternehmen in China. 93 % planen eine Ausweitung ihrer Aktivitäten und 6 % wollen das Niveau der Aktivitäten beibehalten. Nur ein an der Befragung beteiligtes REP plant, sich wieder aus dem chinesischen Markt zurückzuziehen. Abbildung 63 zeigt eine detaillierte Betrachtung der künftigen Vorhaben. Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die ein REP in China betreiben, wollen innerhalb der kommenden drei Jahre mit Beschaffungsaktivitäten in China starten (53 %). 20 % wollen eine eigene Produktion aufbauen. Bei der Frage der organisatorischen Umsetzung ist die Präferenz eindeutig zu Gunsten der eigenen WFOE. 19 % wollen in absehbarer Zeit ein eigenes WFOE gründen, demgegenüber stehen nur 4 % der REP, die eine Kooperation in Form eines JV planen.797 Für 83 % der Befragten kommt eine JV-Gründung überhaupt nicht in Frage, wobei nur 47 % eine WFOE Gründung grundsätzlich ablehnen. Damit wird der Eindruck bestätigt, dass sich die eigene WFOE auch in Zukunft als die bevorzugte Organisationsform für deutsche Unternehmen in China anbietet.
21%
Ausweitung der Beschaffung
53%
24%
Beginn einer Produktion
49%
29%
20%
Gründung eines WFOE's
47%
31%
19%
10% Gründung eines JV's
n = 70
84%
4% Vielleicht Nein Ja Ja Nein Vielleicht
Abbildung 63: Geplante Aktivitäten in China von Unternehmen mit REP.
797
Im Fragebogen bestand die Möglichkeit bei Joint-Venture und WFOE grundsätzlich zwischen Neugründung und Akquisition zu unterscheiden. Bei der Auswertung wurden diese beiden Punkte zusammengefasst.
214
Kapitel 5
Zusammenfassend ist es im Rahmen der deskriptiven Analyse gelungen, ein „ChinaProfil“ bezogen auf die unternehmensintern realisierten Wertaktivitäten zu entwickeln. Darin lassen sich – abgeleitet vom Internationalisierungsprofil – die Unternehmen nach Art und Umfang der realisierten Wertaktivitäten sowie der Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund kategorisieren. Zusätzlich wurde die Vermutung der geographisch-kulturellen Distanz bestätigt, indem man die Herausforderungen des chinesischen Marktes und vor allem die Konflikte der deutschen Unternehmen mit JVPartnern betrachtet. Anhand der Analysen über die Marktchancen und Marktrisiken, konnte China als Untersuchungsland charakterisiert und dadurch die Beschreibung aus Kapitel 3.1 bestätigt werden. Im folgenden Kapitel geht es nun darum, die theoretisch formulierten Ursache-Wirkungszusammenhänge für das internationale Wertschöpfungsmanagement statistisch zu analysieren. 5.3 Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge In Kapitel 1 wurde theoriegeleitet der konzeptionelle Bezugsrahmen entwickelt und daraus das Hypothesensystem abgeleitet. Nachdem in der deskriptiven Auswertung schon zahlreiche Aussagen über die internationale Unternehmenstätigkeit deutscher Unternehmen in China statistisch bestätigt werden konnten, sollen in diesem Abschnitt die Ursache-Wirkungszusammenhänge der Variablen des konzeptionellen Bezugsrahmens analysiert werden. Im ersten Schritt werden dazu die Konstrukte aus dem Fragebogen ausgewählt, mit denen die Gestaltungs-, Kontext- und Erfolgsvariablen für die weitere Untersuchung modelliert werden.798 Die erhobenen Rohdaten werden so bearbeitet, dass sie später in das Modell integriert werden können. Ziel ist es, möglichst wenige, aussagekräftige Variablen zu erhalten, sodass das Modell bei der gegebenen Stichprobengröße trotzdem stabil geschätzt werden kann. Darüber hinaus wurden fehlerhafte Eingaben gelöscht, darunter fallen auch die Eingaben „weiß nicht“, denen in der Erfassung ein Zahlenwert entsprechend der Skala zugeordnet worden war, was aber bei der Auswertung zu unbegründeten Verzerrungen führen würde.799 Die für das Modell relevanten Variablen werden im zweiten Schritt auf ihre statistische Güte und Unabhängigkeit untersucht, was eine Grundvoraussetzung für die weitere Bearbeitung ist. Mit Hilfe einer multiplen linearen Regression werden schließlich das Hy-
798
Da an der Untersuchung mehrere Kooperationspartner mit teilweise unterschiedlichen Forschungsinteressen mitgewirkt haben, werden nicht alle Konstrukte des Fragebogens im konzeptionellen Bezugsrahmen dieser Arbeit ausgewertet. 799 Wird der Antwort „weiß nicht“ ein Zahlenwert in der metrischen Skala zugeordnet, würde dies bedeuten, dass diese Antwort die stärkste oder schwächste Ausprägung der Variable darstellt.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
215
pothesensystem und damit die Ursache-Wirkungszusammenhänge in der internationalen Unternehmenstätigkeit statistisch überprüft. Ausgehend von diesen Ergebnissen werden dann die Erkenntnisse für das internationale Wertschöpfungsmanagement abgeleitet. 5.3.1
Modellierung der Gestaltungsvariable
Die Gestaltungsvariable im konzeptionellen Bezugsrahmen setzt sich aus der Art und Umfang der verlagerten Wertaktivitäten sowie der Integration dieser Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund zusammen. Art der verlagerten Wertaktivitäten Im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements sind in dieser Untersuchung die Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion, Marketing und Logistik von Interesse. Im Teil C) des Fragebogens wurde daher nach der unternehmensinternen Realisierung dieser Aktivitäten in China gefragt (Frage C.1). Dies impliziert, dass ein Unternehmen, welches eine bestimmte Wertaktivität in China unternehmensintern durchführt, diese Aktivität nach China verlagert hat. Die Intensität der internen Realisierung ermöglicht eine Bewertung des Engagements. Ein Unternehmen, welches eine bestimmte Wertaktivität nicht verlagert hat, konnte „nicht in-house / gar nicht“ ankreuzen, wobei dann zwei mögliche Interpretationen zulässig sind: Entweder das Unternehmen hat diese Wertaktivität überhaupt nicht in China oder es hat diese Wertaktivität vollständig an andere Unternehmen in China ausgelagert. Das Ergebnis aus Sicht des internationalen Wertschöpfungsmanagements ist in beiden Fällen aber das gleiche, sodass hier keine weitere Differenzierung notwendig erscheint. Umfang der Auslandsaktivitäten Neben der Art der verlagerten Wertaktivitäten können Unternehmen über den Umfang der in einem Land realisierten Aktivitäten ihren Internationalisierungsgrad bestimmen. Der Umfang lässt sich über den Anteil der lokalen Wertschöpfung, die lokale Mitarbeiterquote, bezogen auf das Gesamtunternehmen, und die lokale Umsatzquote bestimmen. Im Fragebogen wurde der Wertschöpfungs-, Mitarbeiter- und Umsatzanteil über Kategorien abgefragt (Frage C.4, F.5, F.6, F.7, F.8).800 Der Anteil von Mitarbeitern und Umsatz in China ist damit zwar nicht exakt ermittelbar, aber mit Hilfe von Kreuztabellen konnten Klassen gebildet werden, die wiederum auf einer metrischen Skala von 1 bis 5 be-
800
Aus zwei Gründen wurde auf eine Abfrage der exakten Zahlenwerte verzichtet: Zum einen ist die Abfrage in freien Feldern grundsätzlich sehr fehlerbehaftet, zum anderen sollte der Eindruck vermieden werden, dass die Befragten sensible Informationen exakt angeben müssen. Beides hätte die Wahrscheinlichkeit einer ehrlichen Antwort erheblich gemindert.
216
Kapitel 5
wertet wurden. Somit war es möglich, den Mitarbeiter- und Umsatzanteil relativ zu beurteilen.801 Zur Bestimmung des Umfangs, in dem sich deutsche Unternehmen in China engagieren, wurde eine zusammenfassende Variable gebildet. Da die einzelnen Indikatoren jeweils von 1 bis 5 skaliert sind, wobei 1 den geringsten und 5 den höchsten Anteil darstellt, wurde die Variable „Umfang“ mit Hilfe des Durchschnittswertes über alle drei Indikatoren gebildet.802 Var Umfang = Durchschnitt (lokale Wertschöpfungsquote; lokale Mitarbeiterquote; lokale Umsatzquote) Der Wert der Variable bedeutet, je höher der Umfang, desto stärker ist ein deutsches Unternehmen in China engagiert. Integration der Wertaktivitäten Das Internationalisierungsprofil eines Unternehmens definiert sich neben der Art und dem Umfang von verlagerten Wertaktivitäten besonders über die Integration der weltweiten Aktivitäten in den globalen Unternehmensverbund. Wie bereits in Kapitel 4.2.1 dargestellt, lässt sich die Integration der unternehmensinternen Wertaktivitäten zum einen subjektiv durch die befragten Geschäftsführer bewerten; zum anderen erlaubt die Messung der Exportquote sowie der Quote von Gütern, die anschließend im Unternehmensverbund weiterverarbeitet werden, Aussagen über die Intensität der Verknüpfung zu treffen. Die subjektive Einschätzung wurde separat für jede realisierte Wertaktivität gemessen (Frage C.3), wobei die Respondenten zwischen „nicht integriert“, „teilweise integriert“ und „vollständig integriert“ wählen konnten. Die Quotenermittlung für Export und anschließende Weiterverarbeitung erfolgte ebenfalls wieder über Kategorien. Die Exportquote konnte anhand der Frage C.5 direkt abgelesen werden. Für die Quote der Weiterverarbeitung mussten die Fragen C.5 und C.6 kreuztabelliert werden, um den minimalen Umsatzanteil der chinesischen WFOE und JV zu ermitteln, der anschließend im Unternehmensverbund weiterverarbeitet wird.803 Ausgehend von der Überlegung, dass der Exportanteil und die anschließende Weiterverarbeitung von Waren und Gütern im weltweiten Unternehmensverbund nur beschränkt 801
Die Tabellen, aus denen die Verteilung ersichtlich wird, befinden sich im Anhang A.2. Da die letzte Klasse nach oben offen war, konnten auch Großunternehmen einen großen Wert für ihr China-Engagement erhalten. 802 Die Bildung des Durchschnittswerts hat den Vorteil, dass im Falle von fehlenden Variablenwerten keine Verzerrung auftritt, bzw. der Fall komplett ausgeschlossen werden musste. 803 Die Kreuztabelle befindet sich in Anhang A.3.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
217
über die Integration der Wertaktivitäten aussagekräftig ist, wurden Werte der Indikatoren zur Erstellung der Variable „Integration“ wie folgt gewichtet: Var Integration = Subjektive Integration (Skala 1 bis 3) + 20 % der Exportquote (Skala 1 bis 5) + Weiterverarbeitungsquote (Skala 0 bis 1) Der minimale Wert der Variable ist 1, der maximale Wert 5. Der maximale Wert bedeutet, dass das deutsche Unternehmen seine chinesischen Wertaktivitäten vollständig in den Unternehmensverbund integriert hat, d.h. je größer der Integrationswert, desto stärker sind die Wertaktivitäten integriert. 5.3.2
Modellierung der Kontextvariable
Wie im konzeptionellen Bezugsrahmen ersichtlich wird, lässt sich die Kontextvariable in Marktchancen und Marktrisiken unterteilen. Für China konnte in der deskriptiven Auswertung bereits nachgewiesen werden, dass sich über die Einteilung nach Chancen und Risiken der Markt hinreichend charakterisieren lässt.804 Im Fragebogen wurde allgemein nach den Marktchancen (Teil A) und den Herausforderungen (Teil B) gefragt. Aus den vielen Detailinformationen zu teilweise sehr spezifischen Problemen, wurde die Kontextvariable anhand von sechs Konstrukten modelliert. Marktchancen Wichtigste Marktchance laut der deskriptiven Auswertung ist der Absatzmarkt. Die Befragten konnten dabei angeben, ob sie den chinesischen Absatzmarkt als „großen Vorteil“ (1), „Vorteil“ (2) oder „kein Vorteil“ (3) ansehen. Die Variable ist also über drei Werte metrisch skaliert, wobei die größten Absatzpotentiale beim Wert (1) erreicht werden. Je kleiner die Ausprägung der Variable, desto größer sind die Absatzpotentiale Chinas aus Sicht der Unternehmen. Var Absatzpotential = Vorteil des Absatzmarkts Die Kostenpotentiale des chinesischen Marktes wurden mit Hilfe der Betriebskosten aus Sicht der deutschen Unternehmen gemessen. Aus dem Teil A.1 konnten die Lohnkosten für qualifizierte und unqualifizierte Mitarbeiter, die Energiekosten sowie die Kosten für Transport und Logistik gemessen werden. Auf einer vierstufigen Skala konnten die Teilnehmer der Befragung ihre Zufriedenheit mit den entsprechenden Kosten zum Ausdruck bringen. Durch das Zufriedenheitsmaß wurde implizit das Preis-Leistungsverhältnis abgefragt. Die Zufriedenheit mit einem Preis wird immer vor dem Hintergrund einer erhaltenen Leistung angegeben. Die Variable „Betriebskosten“ wird mit dem Durchschnitts804
Vgl. Kapitel 5.2.3.
218
Kapitel 5
wert der Indikatoren Lohnkosten (zusammengefasst für qualifizierte und unqualifizierte Mitarbeiter), Energiekosten sowie Kosten für Transport und Logistik gebildet. Var Betriebskosten = Durchschnittskosten (Lohn; Energie; Transport und Logistik) Die Ausrichtung der Variable „Betriebskosten“ von 1 „sehr zufrieden“ bis 4 „sehr unzufrieden“ bedeutet, je kleiner die Ausprägung der Variable, desto größer sind die Kostenpotentiale Chinas für die Unternehmen. Die Beschaffungspotentiale lassen sich am besten durch den Preis und die Qualität von lokalen Produkten zum Ausdruck bringen. In Teil A.3 wurden diese als Chance des Marktes abgefragt und für die weitere Untersuchung in der Variable Beschaffungspotential zusammengefasst. Da das Beschaffungspotential besonders hoch ist, wenn der Kunde mit Preis und Qualität zufrieden ist, wurden die einzelnen Faktoren zur Bildung der Variable quadratisch aufsummiert. 805 Eine gute Bewertung beider Faktoren erhält dadurch einen besonders hohen Wert. Var Beschaffungspotential = H%I;J@K LMN:LJ; I;MOPNQJ'= ( %RP:L@QäQ LMN:LJ; I;MOPNQJ'= Je niedriger der Wert der Variable, desto zufriedener sind die befragten Unternehmen mit Preis und Qualität lokal bezogener Produkte, bzw. desto größer ist das Beschaffungspotential des chinesischen Marktes. Die Skala reicht von 1,4 (sehr zufrieden) bis 5,7 (sehr unzufrieden). Marktrisiken Die Herausforderungen des chinesischen Marktes wurden im Teil B) mit Hilfe diverser Indikatoren abgefragt. Da es für diese Untersuchung aufgrund des geringen Stichprobenumfangs nicht möglich gewesen wäre, alle abgefragten Indikatoren als eigenständige Variable in das Modell aufzunehmen, werden die Marktrisiken durch drei Variablen dargestellt. Ausgehend von den theoretischen Überlegungen ließen sich die Marktrisiken durch die Variablen Marktbarrieren, Rechtssystem und technologische Bedingungen charakterisieren. Um die Vielzahl der Indikatoren richtig zuzuordnen, wurde eine Faktoranalyse mit den Fragen zur Einschätzung der aktuellen Situation durchgeführt. Ziel war es, drei Faktoren zu ermitteln, bzw. vor dem Hintergrund der theoretischen Überle805
Werden Preis und Qualität gleich gut eingeschätzt, ist der Variablenwert gegenüber einer unterschiedlichen Bewertung verhältnismäßig besser, auch wenn die Summe aus beiden Antworten gleich ist. Beispiel: Preis und Qualität mit den Werten (2 / 2) führt zu einem Variablenwert von (2,8); (1 / 3) führt zu (3,2).
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
219
gungen drei Variablen zu bestätigen, bei denen sowohl ein inhaltlicher, als auch ein mathematischer Zusammenhang besteht. Zur Rotation der Achsen wurde die VarimaxTechnik eingesetzt.806 Wie aus Tabelle 7 zu entnehmen ist, ergibt die rotierte Komponentenmatrix eine eindeutige Zuordnung der Indikatoren zu insgesamt drei Konstrukten.807 Unter Ausschluss der Werte kleiner 0,4 gibt es nur bei dem Indikator Bürokratie die Möglichkeit, diese entweder dem Faktor 1 oder Faktor 2 zuzuordnen. Aufgrund der höheren Faktorladung und des größeren sachlogischen Zusammenhangs wird die Variable aber zu Faktor 1 zugeordnet. Rotierte Komponentenmatrix Komponenten 1
2
Handelshemmnisse
,843
Marktdaten
,600
Bürokratie
,575
Rechtssicherheit
,725
3
,482
Infrastruktur
,760
Arbeitskräfte
,722
geistiges_Eigentum
,768
Korruption
,760
KMO und Bartlett's Test Kaiser-Meyer-Olkin Messung. Bartlett's Test
,706 Chi-Quadrat (geschätzt)
177,457
df
28,000
Sig. ,000 Tabelle 7: Auswertung der Faktoranalyse mit dem KMO und Bartlett’s Test.
806 807
Zur Faktoranalyse siehe Kapitel 5.1.3. Die ermittelten Ergebnisse sind gemäß des KMO-Kriteriums als „gut“ anzusehen und der Bartlett Test liefert sogar eine sehr hohe Signifikanz, vgl. Kapitel 5.1.3.
220
Kapitel 5
Die drei Konstrukte zur Charakterisierung der Marktrisiken setzen sich daher wie folgt zusammen: Var Marktbarrieren
= Durchschnitt (Nicht-tarifäre Handelshemmnisse; Verfügbarkeit von Marktdaten)
Var Rechtssystem
= Durchschnitt (Bürokratie und Behörden; Rechtssicherheit und Vertragstreue; Schutz des geistigen Eigentums; Korruption)
Var Technologie
= Durchschnitt (Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitsplätzen; Infrastruktur und Logistik)
Die einzelnen Indikatoren sind über drei Werte aufsteigend skaliert (1 = „großes Problem“, 2 = „Problem“ und 3 = „kein Problem“), so dass wieder eine metrische Verteilung vorliegt und für die einzelnen Variablen einfach der Mittelwert der Indikatoren gebildet wird: Je kleiner die Ausprägung der Variablen ist, desto größer ist das Marktrisiko Chinas. Mit Ausnahme eines einzigen Wertes (Qualitäts- und Technikstandards aus B.1) konnten für die jeweiligen Detailfragen des Teils B) zur zusammenfassenden Bewertung der aktuellen Situation positive Korrelationen auf einem hohen Signifikanzniveau größer 95 % ermittelt werden, für die meisten Detailfragen wurden sogar Signifikanzen größer 99 % errechnet.808 Die zusammenfassende Bewertung des Marktes im Teil B) reflektiert also sehr gut die aktuellen Marktrisiken, bzw. Herausforderungen des chinesischen Marktes. Dem Ziel der Datenreduzierung folgend, ist eine Verwendung der zusammenfassenden Variablen demnach zulässig. 5.3.3
Modellierung der Erfolgsvariable
Um den verschiedenen Facetten von Erfolg gerecht zu werden, wurden im konzeptionellen Bezugsrahmen subjektive und objektive Kennzahlen zur Messung des Erfolgs festgelegt. Die subjektive Erfolgsmessung geschieht mit der Frage nach den erreichten Zielen in Frage D.2. Hier konnten die Befragten in drei Kategorien antworten: „Ja, sie wurden sogar übertroffen“ (1), „Ja, die meisten / alle“ (2) und „Nein, nur einige / keine“ (3). Daraus leitet sich der Zusammenhang ab, je kleiner die Ausprägung der Zielerreichungsvariable, desto zufriedener sind die Befragten mit ihren Aktivitäten in China. Die „objektiven“ Messdaten sind zwar auch durch subjektive Antworten der teilnehmenden Personen erhoben worden, allerdings sind die abgefragten Zahlenwerte quantifiziert,
808
Die einzelnen Korrelationsmatrizen sind im Anhang A.4.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
221
was eine bessere Vergleichbarkeit ermöglicht. Die Wirtschaftsdaten umfassen zum einen die Frage nach der Nettogewinnmarge, zum anderen zum Zeitraum, den die deutschen Unternehmen in China benötigt haben, um den Break-even zu erreichen. Die Nettogewinnmarge (Frage D.5) wurde in sechs Kategorien abgefragt (1 = < 0 bis 6 > 20%). Je größer die Ausprägung der Variable Nettogewinnmarge, desto höher ist der wirtschaftliche Erfolg in China. Var Zielerreichung
= Ziele in China bis jetzt erreicht
Var Nettogewinnmarge
= Nettogewinnmarge in China im Jahr 2006
Wie in Tabelle 8 zu sehen, korreliert die subjektive Einschätzung zur Zielerreichung stark
mit
der
Nettogewinnmarge
der
Unternehmen
(KK
=
0,477;
99%-
Signifikanzniveau). D.h. die alleinige Betrachtung nur einer abhängigen Erfolgsgröße im Gesamtmodell ermöglicht bereits qualitative Aussagen über den Gesamterfolg des Unternehmens. Korrelation Zielerreichung_inv
Nettogewinnmarge ,477**
Pearson Korrelation
,000
Sig. (2-tailed)
170
N
** Korrelation ist signifikant auf dem 0,01 Level Tabelle 8: Korrelationswerte der Erfolgsvariablen.
Neben der reinen Gewinnbetrachtung kann der Zeitpunkt bis zum Erreichen des Breakeven (Frage D.3) als wirtschaftliches Erfolgsmaß betrachtet werden. Wie bereits in Kapitel 5.2.1 analysiert wurde, ist dieser Wert aber implizit an die Dauer des Aufenthalts in China geknüpft, daher wird er für das mathematische Modell nicht weiter verwendet. 5.3.4
Güte der Daten und Zusammenhänge der Variablen
Um in der Regressionsanalyse die Schätzfehler zu minimieren, sollten die eingehenden Variablen bestimmten Kriterien entsprechen. Grundsätzlich können nur metrisch skalierte Variablen geschätzt werden. Dieses Mindestkriterium ist für alle modellierten Variablen gegeben, da im Fragebogen vorgegebene Kategorien bereits in der Datenerfassung in metrische Skalen übertragen wurden. Grundsätzlich kann bei der Art von erfassten Informationen von normalverteilten Datensätzen ausgegangen werden, wobei dies kein notwendiges Kriterium für die Regressionsanalyse darstellt. Für die abhängige Zielgröße
222
Kapitel 5
sollte aber eine annähernd normalverteilte Variable vorliegen, um Schätzfehler möglichst gering zu halten.809 Daher wurden die Erfolgsvariablen sowie Umfang und Integration jeweils in ein Histogramm aufgetragen, sodass optisch die Normalverteilungsform bestätigt werden konnte. Abbildung 64 bestätigt den vermuteten Verlauf der Normalverteilung, sodass die Variable als annähernd normalverteilt betrachtet werden kann.810 Die optische Überprüfung weiterer Variablen führte ebenfalls zur Bestätigung der Annahme „normalverteilt“. 120
Frequenz
100 80 60 40 20 0 0
1
2
3
4
inverse Zielerreichung Abbildung 64: Verteilung der Variable Zielerreichung.
Vor der Schätzung des Modells wurden die Datensätze anhand der Korrelationsmatrix auf Multikollinearität getestet, dabei konnte keine Multikollinearität nachgewiesen werden.811 Insgesamt kann bei den vorliegenden Datensätzen von unabhängigen, annähernd normalverteilten Variablen ausgegangen werden. 812 Die Gütekriterien für die Modellschätzung sind damit erfüllt. Die allgemeinen Zusammenhänge zwischen den Variablen wurden mit Hilfe von bivariaten Korrelationen überprüft. 809
Ist eine abhängige Zielvariable schief verteilt, führt dies im schlechtesten Fall zu größeren Schätzfehlern. In der Interpretation würde man die Güte der geschätzten Werte also als zu gering einstufen. Die eigentlichen Einflussfaktoren bleiben davon unberührt. 810 Bei nur drei Skalenwerten ist eine mathematische Annäherung nicht möglich. Die optische Schätzung bestätigt daher die Normalverteilung, wenn der Kurvenverlauf ungefähr im Histogramm nachvollziehbar ist. 811 Je stärker die Multikollinearität, desto unzuverlässiger sind die Schätzungen der Regressionsparameter. Bei perfekter Multikollinearität wäre ein Regressor linear von einem anderen im Modell abhängig, sodass die Regressionsanalyse nicht durchgeführt werden könnte. Der Test nach Multikollinearität erfolgt über die Betrachtung der Korrelationen zwischen den einzelnen, unabhängigen Variablen. Treten keine annähernd perfekten Korrelationen auf, ist der Effekt durch die Multikollinearität zu vernachlässigen. Auf die Darstellung der einzelnen Korrelationsmatrizen wird an dieser Stelle verzichtet, vgl. Backhaus et al.(2008), S. 87ff. 812 Zur besseren Vergleichbarkeit erfolgt im Prozess der Regressionsanalyse eine Standardisierung der Daten, eine separate Standardisierung ist daher nicht notwendig.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
223
Tabelle 9 zeigt die Korrelationsmatrix, aus der alle Korrelationen zwischen den einzelnen Variablen hervorgehen. Es zeigt sich, dass viele signifikante Zusammenhänge zwischen den einzelnen Variablen bestehen. So ist zum Beispiel ein signifikanter Zusammenhang zwischen großem Umfang, hoher Integration und den Erfolgsvariablen Zielerreichung und Nettogewinnmarge erkennbar. Wie im theoretischen Modell vermutet, kann aus der Korrelationsmatrix ein positiver Zusammenhang zwischen Marktchancen und Erfolgsgrößen, sowie ein negativer Zusammenhang zwischen Marktrisiken und den Erfolgsgrößen bestätigt werden. Diese Zusammenhänge dürfen allerdings nicht als Bestätigung der kausalen Wirkungen interpretiert werden. Zum einen könnten die gemessenen Korrelationen Scheinkorrelationen sein, zum anderen wird aus dem Zusammenhang die Richtung der Wirkung nicht ersichtlich.813 Um mögliche Scheinkorrelationen auszuschließen, sollten daher Variablen immer unter Kontrolle von Drittvariablen geschätzt werden. Dies erfolgt in der multiplen Regression, bei der mehrere unabhängige Variablen in das Modell eingehen. Gleichzeitig eignen sich die Ergebnisse der Regressionsanalyse zur Überprüfung von UrsacheWirkungszusammenhängen, da man den Einfluss jeder unabhängigen Variable unter Kontrolle der anderen unabhängigen Variablen schätzt.
813
Bei der reinen Betrachtung von Korrelationen kann sowohl die Variable X auf Y, als auch die Variable Y auf X wirken. Ein hoher Korrelationswert lässt darüber keine Aussage zu.
224
Kapitel 5 Tabelle 9: Korrelationsmatrix fürr alle Variablen des Regressionsmodells.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements 5.3.5
225
Regressionsanalyse und Pfadmodell
Für die Regressionsanalyse muss zunächst das Modell mit seinen abhängigen und unabhängigen Variablen definiert werden (siehe Kapitel 4.3). Abbildung 65 zeigt das Modell für die Regressionsanalyse, wie es aus dem konzeptionellen Bezugsrahmen operationalisiert wurde. Die einzelnen Indikatoren der Variablen wurden mit den Nummern der Fragen aus dem Fragebogen verseh-en. Das (internationale) Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz – zwischen den Variablen eingetragen – kann nicht direkt gemessen werden und ist damit kein Bestandteil des Regressionsmodells. Erkenntnisse für das Wertschöpfungsmanagement ergeben sich theoriegeleitet und müssen auf Basis der bestätigten Ursache-Wirkungszusammenhänge interpretiert werden. Deutsche Unternehmen
China
Kontextvariablen
Gestaltungsvariablen
VAR Absatz [A] VAR Beschaffungspotential [A]
VAR Aktivität
! Beschaffung [C.1] ! Produktion [C.1] ! Marketing [C.1]
VAR Betriebskosten
! Lohnkosten [A.1] ! Energiekosten [A.1] ! Kosten Infrastruktur und Transport [A.1]
VAR Umfang
WSM
! Anteil lokaler Wertschöpfung [C.4] ! Lokale Mitarbeiterquote [F.6, F.7] ! Lokale Umsatzquote [F.5, F.8]
VAR Barrieren
! Handelsbeschränkungen [B] ! Marktdaten [B]
VAR Rechtssystem
! Rechtssicherheit und Vertragstreue [B] ! Bürokratie [B] ! Schutz des geistigen Eigentums [B] ! Korruption [B]
VAR Integration
! Subjektive Einschätzung zur Integration [C.3] ! Exportquote am Gesamtumsatz [C.5] ! Quote zur Weiterverarbeitung [C.6]
VAR Technologie
! Infrastruktur [B] ! Verfügbarkeit Arbeitskräfte [B]
Erfolgsvariablen Zielerreichungsgrad [D.2]
Nettogewinnmarge [D.5]
Abbildung 65: Modell zum Wertschöpfungsmanagement deutscher Unternehmen in China, mit den aus dem Fragebogen verwendeten Variablen.
Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, sind die modellierten Variablen für die Regressionsanalyse geeignet und können direkt in einer multiplen Regression zur Schätzung der Standardkoeffizienten eingesetzt werden. Durch die Überprüfung der geschätzten Parameter
lassen
sich
dann
die
Modellprämissen
in
Form
der
Ursache-
Wirkungszusammenhänge bewerten. In den folgenden Abschnitten wird zunächst die Gestaltungsvariable gesondert betrachtet, um die einzelnen Wertaktivitäten zu berück-
226
Kapitel 5
sichtigen, die nicht quantifiziert werden können.814 Anschließend werden zwei unabhängige Regressionsanalysen für die beiden Erfolgsmaße durchgeführt und zusätzlich die indirekten Effekte der Kontextvariablen ermittelt. Damit lässt sich ein Pfaddiagramm zeichnen und abschließend die Hypothesenstruktur überprüfen. Für die folgende Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge werden ausschließlich deutsche WFOE und JV in China betrachtet.815 5.3.5.1
Einfluss der Wertaktivitäten auf die Gestaltungsvariable
Bei der Modellierung der Gestaltungsvariablen wurde darauf hingewiesen, dass die Art der in China realisierten Wertaktivitäten nicht in Form eines einfachen Indezes im Gesamtmodell aufgenommen werden können. Zum einen kann das qualitative Wertaktivitätenprofil nicht in Form einer metrischen Skala quantifiziert werden, so dass noch eine hinreichende Unterscheidung möglich wäre. Zum anderen erfolgt diese Trennung, da die Wertaktivitäten keinen unmittelbaren Einfluss auf die Erfolgsvariablen haben. Ansonsten würde dies in der Interpretation bedeuten, dass eine spezifische Wertaktivität per se erfolgreicher ist, als eine andere. Zur deutlichen Trennung soll daher zunächst der Einfluss der in China unternehmensintern realisierten Wertaktivitäten auf den Umfang des Engagements in China und die Integration der Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund mittels einer multiplen Regression untersucht werden. Diese Erkenntnisse lassen sich dann für das internationale Wertschöpfungsmanagement anwenden. 816 Tabelle 10 zeigt den Einfluss der einzelnen Wertaktivitäten auf die Variable „Umfang“. Koeffizienten bezogen auf die abhängige Variable Umfang
Modell
unstandardisierte
standardisierte
Koeffizienten
Koeffizienten
B 1
814
(Konstante)
Std. Fehler
Beta
t
2,023 ,255
Sig. 7,921 ,000
Beschaffung
,267
,112
,189
2,386 ,018
Produktion
,212
,098
,171
2,153 ,033
Marketing
,007
,104
,005
,067
,947
Vgl. Kapitel 5.3.1. Vgl. Kapitel 2.1.3. 816 Die multiplen Regressionen in dieser Untersuchung wurden mit SPSS 16 (English version) gerechnet. Die Syntax zu den einzelnen Regressionen findet sich im Anhang A.5. 815
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
227
Koeffizienten bezogen auf die abhängige Variable Integration unstandardisierte
standardisierte
Koeffizienten
Koeffizienten
Modell B 1
(Konstante)
Std. Fehler
Beta
t
2,659 ,245
Sig.
10,867 ,000
Beschaffung
,126
,107
,091
1,170 ,243
Produktion
,289
,094
,239
3,069 ,002
Marketing
-,327 ,100
-,231
-3,271 ,001
Tabelle 10: Regressionsanalyse der Wertaktivitäten auf Umfang und Integration.
Betrachtet man alle drei Wertaktivitäten, die deutsche Unternehmen in China unternehmensintern durchführen, lässt sich mit Hilfe des standardisierten Koeffizienten nachweisen, dass die Beschaffungsfunktion und die Produktion das Ausmaß, in dem die Unternehmen in China aktiv sind, signifikant beeinflussen.817 Dies bedeutet, dass für deutsche Unternehmen, die in China Beschaffung oder Produktion unternehmensintern realisieren, die Chinaaktivitäten einen erheblichen Teil des gesamten Geschäfts darstellen. Für Unternehmen hingegen, die Marketing in China realisieren, lässt sich kein Zusammenhang mit dem Umfang des Engagements nachweisen. Die Beschaffung und Fertigung scheinen bei den Unternehmen also erheblich größere Ressourcen zu beanspruchen. 818 Die Konstante in der Ergebnistabelle gibt an, wie groß der Wert der abhängigen Variable ist, wenn alle anderen Variablen auf 0 gesetzt wären. Dies würde dann dem YAchsenabschnitt entsprechen, auf die Interpretation der Ergebnisse hat die Konstante aber keine Auswirkungen. Im unteren Teil der Tabelle 10 ist der Einfluss der Wertaktivitäten auf die Integration der China-Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund geschätzt. Die Produktion hat einen hohen positiven Einfluss auf den Integrationsgrad. Dies bestätigt die Erkenntnis, dass eine Fertigung in einem bestimmten Land erst in einem globalen Produktionssystem seine volle Wirkung entfalten kann. Durch die Arbeitsteilung werden Kostenpo-
817
Die Erfassung der Intensität erfolgte im Fragebogen über Werte von 1 (vollständig unternehmensintern) bis 3 (gar nicht). Um in dieser Auswertung einen positiven Zusammenhang zu erzeugen, wurden die Variablen der Wertaktivitäten daher transformiert in Werte von 0 (gar nicht) bis 2 (vollständig unternehmensintern). 818 Im Gegensatz zu den anderen Berechnungen im Rahmen dieser Untersuchung, wurde bei der Regressionsanalyse zur Betrachtung der Wertaktivitäten bei fehlenden Daten ein „paarweiser“ Ausschluss anstelle eines „listenweisen“ Ausschlusses gewählt. Dies hat den Grund, dass bei Fehlen einer Wertaktivität nicht der gesamte Fall (Unternehmen) ausgeschlossen werden sollte.
228
Kapitel 5
tentiale generiert, die aber erst durch die Integration realisiert werden können. Ein ähnlich sachlogischer, positiver Zusammenhang ergibt sich eigentlich für die Beschaffung, auch wenn dieser in diesem Modell nicht in gleichem Ausmaße bestätigt werden kann. Für das Marketing hingegen kann zwar ein sehr großer Einfluss auf den Integrationsgrad der Wertaktivitäten gemessen werden, dieser ist aber negativ. Der Einfluss der Wertaktivitäten auf Integration und Umfang ist in Abbildung 66 zusammenfassend dargestellt. Anhand dieser Ergebnisse können die Hypothesen H 1.1 und H 1.2 überprüft werden:819 Für die Wertaktivität Produktion können die Hypothesen H 1.1 und H 1.2 auf dem 95%Signifikanzniveau validiert werden. 820 Die unternehmensinterne Realisierung der Produktion in China beeinflusst den gesamten Umfang und die Integration der Chinaaktivitäten maßgeblich positiv. Für die Beschaffungsaktivität lässt sich H 1.1 ebenso auf einem sehr hohen Signifikanzniveau validieren, H 1.2 kann aufgrund des messbaren Einflusses, aber niedrigeren Signifikanzniveaus, zumindest nicht falsifiziert werden. Für das Marketing muss H 1.1 verworfen werden, da kein Einfluss messbar ist. Auf die Integration ist für das Marketing zwar ein signifikanter Einfluss nachweisbar (95%Signifikanzniveau), aber genau entgegengesetzt der ursprünglichen Vermutung. Die Hypothese H 1.2 muss also für das Marketing verworfen werden. Der nachweisbare Einfluss auf die Integration bedeutet aber, dass die Unternehmen, die Marketing in China realisieren, ihre Aktivitäten insgesamt weniger integriert haben. Ein Erklärungsansatz dafür könnte sein, dass die strikte Ausrichtung des Marketings auf den Endkunden821 zu einer geringeren Integration in den weltweiten Unternehmensverbund führt. 0,09
0,19
Produktion 0,24
0,17
Umfang
I nt egrat ion
Beschaffung Beschaffung
Marketing -0,23
0,01
Abbildung 66: Einfluss der Wertaktivitäten auf Integration und Umfang. 819
H 1.1) Je mehr die Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing unternehmensintern realisiert sind, desto größer ist der Umfang, in dem sich deutsche Unternehmen in China engagieren. H 1.2) Je mehr die Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion und Marketing von deutschen Unternehmen intern in China realisiert sind, desto stärker werden diese Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. 820 Siehe Hypothesen in Kapitel 4.4. 821 Vgl. Kapitel 2.5.1.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
229
Zusammenfassend betrachtet ist der Einfluss von Beschaffung, Produktion und Marketing auf den Umfang und die Integration signifikant messbar. Beim Marketing lässt sich ein signifikant negativer Einfluss auf die gesamte Integration der weltweiten Aktivitäten bestätigen. Es wird deutlich, dass die spezifische Wertaktivitätenkonfiguration einen Einfluss auf den Umfang und die Integration des China-Engagements hat. Diese Erkenntnis ist eine wichtige Grundlage für die spätere Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements. Zunächst muss aber der Einfluss von Umfang und Integration auf die Erfolgsgrößen vor dem Hintergrund der Kontextvariablen getestet werden. 5.3.5.2
Regressionsanalyse bezogen auf die Zielerreichung
Als unabhängige Gestaltungsvariablen gehen der Umfang und die Integration in das Gesamtmodell ein. In diesem Modell sind die abhängigen Variablen die Erfolgsgrößen. Das Modell wird mit den unabhängigen Kontextvariablen Absatz, Beschaffungspotential, Betriebskosten, Marktbarrieren, Rechtssystem und Technologie geschätzt. Dies erfolgt stufenweise nach Gestaltungsvariablen, Marktchancen und Marktrisiken, sodass der Einfluss der einzelnen Variablengruppen auf das Gesamtmodell ersichtlich wird.822 Tabelle 11 zeigt die geschätzten Koeffizienten (unstandardisiert und standardisiert) aus der Re-gressionsanalyse, sowie die Güte der Schätzung mit Hilfe des Signifikanzniveaus. Damit lässt sich der direkte Einfluss der einzelnen Variablen auf die Zielerreichung unter Kontrolle aller anderen Variablen deutlich erkennen. Es zeigt sich, dass sich die Werte der einzelnen Variablen geringfügig verändern, je mehr Variablen zur Erklärung des Modells hinzugezogen werden. Die Gestaltungsvariablen (Umfang und Integration), die Marktchance Absatzmarkt und das Marktrisiko Technologie können auf dem 90%-Signifikanzniveau geschätzt werden, der Einfluss dieser Faktoren ist also signifikant nachweisbar. Der Einfluss der Variable „Rechtssystem“ ist ebenfalls belegbar, da die Schätzung nur mit 11,4 % Fehlerwahrscheinlichkeit behaftet ist. Für die Variablen „Betriebskosten“, „Beschaffungspotential“ und „Marktbarrieren“ lässt sich mit den vorliegenden Ergebnissen lediglich ein Trend nachweisen.
822
Für die Regressionsanalyse wurden die Variablen so ausgerichtet, dass sie alle in die gleiche Richtung zeigen. Dazu mussten der Umfangs- und Integrationsindex sowie die Variable Nettogewinnmarge gedreht werden. Ein positiver standardisierter Koeffizient stellt also einen positiven Einfluss auf die abhängige Variable dar, ein negativer Koeffizient immer einen negativen Einfluss. Auf die Schätzwerte des Modells hat die Ausrichtung der Variablen keinen Einfluss.
230
Kapitel 5 Koeffizienten bezogen auf die abhängige Variable Zielerreichung unstandardisierte Koeffizienten
Modell
B 1
2
3
(Konstante)
1,283
standardisierte Koeffizienten
Std. Fehler
Beta
t
,172
Sig.
7,477
,000
Umfang
,131
,061
,169
2,157
,032
Integration
,123
,064
,151
1,930
,055
(Konstante)
,250
,404
,618
,537
Umfang
,138
,061
,177
2,272
,024
Integration
,155
,064
,190
2,400
,018
Absatzmarkt
,202
,076
,206
2,663
,009
Betriebskosten
,115
,138
,063
,834
,405
Beschaffungspotential
,119
,086
,105
1,383
,169
2,185
,030
(Konstante)
1,259
,576
Umfang
,148
,061
,191
2,445
,016
Integration
,154
,064
,190
2,410
,017
Absatzmarkt
,189
,077
,193
2,447
,016
Betriebskosten
,108
,137
,059
,789
,431
Beschaffungspotential
,064
,087
,057
,735
,463
Marktbarrieren
-,025
,071
-,027
-,349
,727
Technologie
-,121
,072
-,129
-1,679
,095
Rechtssystem
-,163
,103
-,122
-1,590
,114
Tabelle 11: Regressionsanalyse bezogen auf die Zielerreichung.
Um die Stabilität des Systems zu überprüfen, wurde das Modell in mehreren Schleifen mit unterschiedlichen Variablen gerechnet. Dabei sollte nicht eine Optimierung im mathematischen Sinn erreicht, sondern die Veränderung der einzelnen Variablen unter anderen Randbedingungen geprüft werden. Ziel dieser Überprüfung ist es, bessere Aussagen über die Stabilität des Modells und damit die Güte der einzelnen Schätzer zu erhalten.823 Es zeigte sich, dass auch bei den Variablen, die sich in diesem Modell nur mit großen Fehlerwahrscheinlichkeiten bestimmen lassen, die Richtung des Einflusses immer unverändert bleibt. Damit lässt sich der Einfluss zwar mathematisch mit der vorliegenden Stichprobe nicht verifizieren, es gibt aber auch keinen Grund, den Einfluss der Variablen abzulehnen. Insgesamt erweist sich das Modell in seiner Ausrichtung als sehr stabil. 823
Backhaus weist darauf hin, dass durch die mathematische Modelloptimierung die Gefahr besteht, dass sachlogische Zusammenhänge in den Hintergrund rücken, vgl. Backhaus et al.(2008), S. 101.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
231
In Tabelle 12 finden sich die zusammenfassenden Informationen für die drei unterschiedlichen Modellstufen der Regressionsanalyse (jeweils unter Hinzunahme weiterer Variablen). Das Bestimmtheitsmaß gibt die Güte der Anpassung durch die Regressionsgrade wieder. Der Wert liegt immer zwischen 0 und 1, sollte sich aber signifikant von 0 unterscheiden. Je höher der Anteil der Varianz, der durch die Regressionsgleichung erklärt wird, desto exakter ist die Schätzung der Koeffizienten.824 Der nicht erklärte Anteil der Varianz stellt also den unbekannten Einfluss auf die abhängige Variable dar und wird als solcher in das Pfaddiagramm eingezeichnet. Dazu werden so genannte Residualpfeile auf die Zielvariable gerichtet, an denen die Größe √1 U V= abgetragen wird.825 Für Modelle in komplexen Systemen – wie im Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschung - ist der unerklärte Anteil der Varianz grundsätzlich verhältnismäßig hoch. Komplexe Systeme können nicht vollständig mit drei oder vier Faktoren erklärt werden, sondern es bleiben viele Variablen im System unbekannt. In der Interpretation des Modells wird dieser Wert nicht weiter berücksichtigt, da die Fehlerwahrscheinlichkeiten und das Bestimmtheitsmaß für das Modell und seine Variablen insgesamt akzeptabel sind. multipler Modell Korrelationskoeffizient (R) 1 2 3
,256a ,354b ,403c
Bestimmtheitsmaß (R2) ,066 ,125 ,162
korrigiertes Bestimmtheitsmaß Standardfehler (R2) ,054 ,098 ,120
,65210 ,63672 ,62898
Tabelle 12: Modellzusammenfassung mit Standardfehler.
Backhaus et al., empfehlen eine Interpretation von Regressionsmodellen, immer auf Grundlage der theoretischen Erkenntnisse und nicht ausschließlich aufgrund mathematisch vorliegender Zusammenhänge.826 In diesem Sinne werden nun Kernaussagen anhand des vorliegenden Modells formuliert. Da der vorliegende Datensatz nur eine Stichprobengröße von 167 Teilnehmern zählt, ist es nicht angebracht, das Signifikanzniveau für einzelne Variablen überzubewerten. Wie bereits im vorherigen Abschnitt beschrieben, hat sich das Modell bei zahlreichen Tests insgesamt als sehr robust erwiesen.
824
Vgl. Bühl (2008), S. 359f. Die Residualkomponente drückt den unvorhersehbaren, nicht regelmäßig wiederkehrenden Anteil aus, der in den anderen Komponenten nicht enthalten ist, vgl. Bohley (2000), S. 269. Zu den Messfehleranteilen (Residualvariablen) siehe Bortz (1999), S. 461f. 826 Vgl. Backhaus et al.(2008), S. 51ff. 825
232
Kapitel 5
Auswertung Umfang und Integration der unternehmensintern realisierten Wertaktivitäten haben einen signifikanten Einfluss auf den Unternehmenserfolg, gemessen am Zielerreichungsgrad. Für die Chancen des Marktes lässt sich ebenfalls ein positiver Zusammenhang nachweisen. Signifikant messbar ist der Einfluss der Absatzmarktpotentiale. Je größer also die Chancen im Absatzmarkt für die Unternehmen sind, desto erfolgreicher agieren sie. Für die Beschaffungspotentiale und Betriebskosten ergibt sich kein so eindeutiges Bild. Zwar lassen sich ebenfalls positive Zusammenhänge erkennen (je größer die Beschaffungspotentiale und je geringer die Betriebskosten, desto größer der Unternehmenserfolg), allerdings bestätigt sich die Vermutung, dass China nicht für alle Unternehmen ein günstiger Beschaffungsmarkt ist und auch nicht in allen Bereichen zu den Billigproduktionsländern zählt. Es ist also nicht für jedes Unternehmen attraktiv, in China zu produzieren oder Produkte und Ressourcen zu beschaffen. Da die Beschaffungspotentiale nach den Absatzpotentialen die größten Motivatoren für den Markteintritt in China sind, wurden die Marktchancen nochmals in einer separaten Regression in Bezug auf den Erfolg untersucht. Dabei zeigt sich, dass gerade die Beschaffungspotentiale des chinesischen Marktes doch einen großen Einfluss haben (standardisierter Koeffizient = 0,15 auf dem 90%-Signifikanzniveau). Der Einfluss der Betriebskosten ist zwar auch hier deutlich messbar (standardisierter Koeffizient = 0,12), kann aber nicht auf einem so hohen Signifikanzniveau bestätigt werden (Fehlerwahrscheinlichkeit p = 0,36). Insgesamt lässt sich also ein positiver Einfluss der Marktchancen auf die Zielerreichung bestätigen. Die Marktrisiken hingegen wirken nachweisbar dem Unternehmenserfolg entgegen und beeinflussen die übrigen Variablen negativ. Mit Hilfe der Regressionsanalyse lässt sich nachweisen, dass die technologischen Bedingungen und das Rechtssystem den Erfolg der Unternehmen signifikant reduzieren. Für die Marktbarrieren hingegen ergibt sich kein eindeutiges Bild, da sich der leicht negative Einfluss auf den Erfolg nicht auf einem akzeptablen Signifikanzniveau bestätigen lässt (Fehlerwahrscheinlichkeit p = 0,73). Betrachtet man den Einfluss der Marktrisiken auf den Erfolg ohne die anderen Variablen zu berücksichtigen, verbessern sich die Werte für die Variable Marktbarrieren allerdings erheblich (standardisierter Koeffizient = 0,08; Fehlerwahrscheinlichkeit p = 0,28), sodass sich auch hier ein Trend eindeutig validieren lässt.827 Zusammenfassend kann also für die charakterisierenden Größen des Marktrisikos von einem, dem Erfolg entgegenwirkenden, Einfluss ausgegangen werden.
827
Die Tabellen dieser Regressionsanalysen befinden sich in Anhang A.6.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements 5.3.5.3
233
Regressionsanalyse bezogen auf die Nettogewinnmarge
In der Korrelationsmatrix828 konnte bereits ein positiver Zusammenhang zwischen den Erfolgsgrößen Zielerreichung und Nettogewinnmarge beobachtet werden. Es ist daher zu erwarten, dass die Regressionsanalyse, bezogen auf die Nettogewinnmarge829, ähnliche Ergebnisse liefert. In Tabelle 13 sind die Koeffizienten für die unabhängigen Variablen des Regressionsmodells zu sehen. Zwar sind die Fehlerwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Werte teilweise höher, dennoch haben die Gestaltungs- und Kontextvariablen eine vergleichbare Wirkung auf die Nettogewinnmarge, wie auf die Zielerreichung. Die höheren Fehlerwahrscheinlichkeiten kommen auch im Standardfehler zum Ausdruck, der fast doppelt so groß ist wie bei der Regression, bezogen auf die Zielerreichung. Die wichtigste Beobachtung in diesem Modell ist aber, dass bei keiner der Variablen die Richtung des Einflusses von der Richtung im anderen Regressionsmodell abweicht. Koeffizienten bezogen auf die abhängige Variable Nettogewinnmarge unstandardisierte Koeffizienten
Modell
B
standardisierte Koeffizienten
Std. Fehler
t
Sig.
,371
,711
,298
3,613
,000
,111
1,317
,190
,181
,179
2,100
,038
,306
,026
,327
,744
,192
,176
2,163
,032
(Konstante)
,476
1,283
Umfang
,500
,138
Integration
,187
,142
Absatzmarkt
,381
Betriebskosten
,100
Beschaffungspotential
,416
Beta
Marktbarrieren
-,026
,155
-,013
-,166
,868
Technologie
-,287
,159
-,146
-1,804
,073
Rechtssystem
-,045
,232
-,016
-,195
,846
Tabelle 13: Regressionsanalyse bezogen auf die Nettogewinnmarge.
Da der Umfang in dem zweiten Modell einen auffällig hohen Einfluss auf die Nettogewinnmarge hat, soll dieser nochmals näher untersucht werden. In Abbildung 67 zeigt sich ein Zusammenhang, der nicht mit einer Trendgeraden, sondern mit einer quadratischen Trendkurve dargestellt werden kann. D.h. die lineare Regression beschreibt in diesem Fall den Zusammenhang nicht zufrieden-stellend.
828 829
Vgl. Kapitel 5.3.4. Im Gegensatz zur Definition in Kapitel 5.3.3 wird in der Regressionsanalyse der inverse Wert der Nettogewinnmarge verwendet.
234
Kapitel 5
Abbildung 67: Umfang und N Nettogewinnmarge mit Trendkurve.
Aus diesem Grund wird das Regressionsmodell zur Schätzung der Nettogewinnmarge geringfügig modifiziert, indem der Umfaang mit einer zusätzlichen Variable (U_zquadr) in die Regression eingebracht wird. Diesee Variable ist der zentrierte (Mittelwert = 0) und quadrierte Umfang. Damit soll der quaddratische Anteil des Kurvenverlaufs abgebildet werden. Die erklärte Varianz nimmt durrch Hinzunahme des quadratischen Terms zu. Wie in Tabelle 14 zu sehen, geht dies alleerdings zu Lasten der linearen Variablen; insgesamt ergeben sich für die standardisiertenn Koeffizienten aber nur geringfügige Veränderungen. Auch wenn die Regressionsanalyse, bezoogen auf die Nettogewinnmarge, keine so deutlichen Ergebnisse auf einem hohen Signiffikanzniveau liefert wie bei der Zielerreichung, lassen sich mit dieser Modellschätzung diie Grundaussagen nicht verwerfen. Alle Variablen wirken in die gleiche Richtung, d.h. aauch auf die Nettogewinnmarge ist ein positiver Einfluss von Umfang, Integration und dden Marktchancen messbar. Die Marktrisiken wirken auch in diesem Fall einer hohen N Nettogewinnmarge entgegen. Auffällig im Vergleich zur Modellschätzzung mit dem Zielerreichungsgrad ist, dass der Umfang in wesentlich stärkerem Maße zum Unternehmenserfolg beiträgt, als die Integration der Wertaktivitäten. Das bedeutet, dass Unternehmen, die in größerem Umfang in China agieren, eine wesentlich höhere Nettogewinnmarge erzeugen. Anscheinend gelingt es ihnen also besonders gut, von denn Chancen des chinesischen Marktes zu profitieren. Das erklärt aber auch, warum die andderen Variablen nicht in gleichem Maße zur Erklärung der Varianz beitragen können. A Außerdem wird die Nettogewinnmarge signifi-
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
235
kant durch die Beschaffungspotentiale des chinesischen Marktes beeinflusst. Die Betriebskosten, die Marktbarrieren und das Rechtssystem hingegen haben in dieser Untersuchung keinen messbaren Einfluss auf die Gewinnmarge der befragten Unternehmen.
Koeffizienten bezogen auf die abhängige Variable Nettogewinnmarge Modell
unstandardisierte Koeffzienten B
standardisierte Koeffizienten
Std. Fehler
Beta
t
Sig.
(Konstante)
,534
1,283
,416
,678
Umfang
,532
,141
,317
3,767
,000
U_zquadr
,150
,135
,089
1,110
,269
Integration
,179
,142
,106
1,257
,211
Absatzmarkt
,349
,183
,165
1,905
,059
Betriebskosten
,105
,306
,027
,345
,731
Beschaffungspotential
,398
,193
,168
2,065
,041
Marktbarrieren
-,042
,155
-,022
-,272
,786
Technologie
-,305
,160
-,155
-1,910
,058
Rechtssystem
-,048
,232
-,017
-,207
,837
Tabelle 14: Regressionsanalyse bezogen auf die Nettogewinnmarge.
5.3.5.4
Indirekte Effekte und Pfaddiagramm
Neben den direkten Effekten, die in den Regressionsanalysen ermittelt wurden, wirken die Kontextvariablen über die Gestaltungsvariablen auch indirekt auf die abhängige Zielgröße ein. Diese indirekten Effekte der Kontextvariablen ergeben sich aus der Multiplikation des direkten Einflusses auf die Gestaltungsvariable und des direkten Einflusses der Gestaltungsvariable auf die Zielgröße. Die direkten und indirekten kausalen Effekte lassen sich in einem Pfadmodell übersichtlich darstellen. In die abschließende Betrachtung fließt dann der Gesamteffekt der Kontextvariablen ein, der sich wie folgt zusammensetzt: Indirekter Effekt = (direkter Effekt der Kontext- auf die Gestaltungsvariable) * (direkter Effekt Gestaltungs- auf Erfolgsvariable) Gesamteffekt Kontextvariable = indirekter Effekt + direkter Effekt (Kontextvariable auf die Zielgröße)
236
Kapitel 5
Indirekte Effekte über den Umfang Bezogen auf den Umfang lassen sich signifikante Einflüsse durch die Kontextvariablen nachweisen. Zwar ist das Bestimmtheitsmaß relativ gering (R2 = 0,09), aber wie in Tabelle 15 zu sehen ist, wirken sich zumindest der Absatzmarkt, die Beschaffungspotentiale und die technologischen Bedingungen signifikant auf den Umfang der ChinaAktivitäten deutscher Unternehmen aus. Interessant ist die Richtung, mit der die einzelnen Variablen den Umfang beeinflussen: Die Absatzmarktpotentiale haben einen negativen Einfluss, d.h. die Unternehmen, die die geringsten Absatzchancen für ihre Produkte in China sehen, sind im größten Umfang in China aktiv. Ebenfalls etwas überraschend ist der Einfluss der technologischen Bedingungen, der ebenfalls positiv ist, also je mehr die Unternehmen Probleme in diesem Bereich sehen, desto größer der Umfang, in dem sie sich engagieren. Die Erkenntnis im Zusammenhang mit dem Absatzmarkt kann auf die Beschaffungspotentiale bezogen werden. Unternehmen, die große Beschaffungspotentiale (für den Unternehmensverbund) sehen, engagieren sich auch in großem Umfang. Umgekehrt scheinen Unternehmen, die überwiegend große Absatzpotentiale sehen, viele Waren und Produkte in China zu importieren, um sie anschließend auf dem chinesischen Markt zu verkaufen. Zumindest sind der lokale Wertschöpfungsanteil sowie die Mitarbeiter- und Umsatzquote deutlich geringer.
standardisierte Modell bezogen
Indirekter Effekt
Koeffizienten
auf Umfang Beta
Sig.
(Konstante)
Zielerreichung
Nettogewinn
,029
Absatzmarkt
-,216
,005
-0,041
-0,039
Betriebskosten
,063
,404
0,004
0,002
Beschaffungspotential
,156
,039
0,009
0,027
,623
0,001
Marktbarrieren Technologie
-,039 ,157
Rechtssystem
,040 -,061
,433
0,001 -0,020
0,007
-0,023 0,001
Tabelle 15: Direkte Effekte der Kontextvariablen auf den Umfang.
In den rechten Spalten der Tabelle 15 sind die indirekten Effekte der Kontextvariablen auf die Zielgrößen des Erfolgs dargestellt. Insgesamt machen die indirekten Effekte über den Umfang nur einen kleinen Teil - gemessen an den Gesamteffekten - aus.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
237
Indirekte Effekte über die Integration Bei den direkten Effekten, bezogen auf die Integration, lässt sich ein Modell mit höherem Bestimmtheitsmaß schätzen (R2 = 0,106), allerdings sind die Effekte durch die einzelnen Variablen mit Ausnahme des Absatzmarkts nicht auf einem 90%Signifikanzniveau validierbar. standardisierte Modell bezogen
Koeffizienten
auf Integration
Indirekter Effekt Sig.
Beta
Zielerreichung
(Konstante)
Nettogewinn
,001
Absatzmarkt
-,302
,000
-0,003
-0,008
Betriebskosten
,119
,120
0,027
0,047
Beschaffungspotential
,029
,705
0,072
0,005
Marktbarrieren Technologie
-,073 ,100
Rechtssystem
,355 ,195
-,078
,317
-0,028 0,015
-0,034 0,011
-0,007
-0,052
Tabelle 16: Direkte Effekte der Kontextvariablen auf die Integration.
Der negative Einfluss des Absatzmarktes auf die Integration bedeutet, dass die Unternehmen, die größere Chancen für ihre Produkte im Absatzmarkt sehen, grundsätzlich ihre Wertaktivitäten weniger in den weltweiten Unternehmensverbund integriert haben. Dies ist eine Bestätigung für die Beobachtung des Einflusses der Wertaktivitäten, bei denen sich das Marketing ebenfalls negativ auf die Integration auswirkt. Im Sinne des Wertschöpfungsmanagements findet eine Konzentration auf den Endkunden hin statt. Über die Integration lassen sich signifikante indirekte Effekte für die Betriebskosten und die Beschaffungspotentiale nachweisen. D.h. während diese Variablen nur einen relativ schwachen direkten Effekt auf die Erfolgsgrößen haben, kann über die Integration ein stärkerer Einfluss gemessen werden. Dies bedeutet zunächst, dass Unternehmen, die verstärkt Kosten- und Beschaffungspotentiale nutzen, auch ihre Aktivitäten besser integrieren, was wiederum einen positiven Effekt auf die Zielgrößen hat. Pfaddiagramm In Abbildung 68 ist das Pfaddiagramm für das Regressionsmodell, bezogen auf die Zielerreichung, visualisiert. Bei den direkten Effekten auf die Erfolgsgröße Zielerreichung sind alle Einflusspfeile, die auf einem Signifikanzniveau größer 85 % bestätigt werden können, mit durchgezogenen Linien dargestellt, die übrigen Pfeile sind gestrichelt. Bei
238
Kapitel 5
den direkten Effekten der Kontext- auf die Gestaltungsvariablen wurden alle Pfeile weggelassen, deren direkter standardisierter Effekt kleiner 0,1 war. Die standardisierten Koeffizienten sind jeweils an den Pfeilen im Diagramm eingetragen. Außerdem wurden die Effekte des nicht erklärten Anteils der einzelnen Variablen in das Model aufgenommen. Auf die Darstellung der Korrelationen (in Form von gebogenen Pfeilen) wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet.
Kontext
Gestaltung VAR
VAR
Umfang
Absatz VAR
Betriebskosten
Erfolg
VAR
Beschaffungspot.
VAR
Zielerreichung VAR
Barrieren VAR
Technologie VAR
Rechtssystem
VAR
Integration Abbildung 68: Pfaddiagramm des Regressionsmodells.
Auch wenn im Pfaddiagramm der Umfang und die Integration nur direkt auf den Erfolg wirken, darf der kausale Zusammenhang nicht als singulärer Einfluss auf die Zielerreichung betrachtet werden. Der Einfluss der unabhängigen Variablen steht immer unter der Kontrolle der anderen unabhängigen Variablen. Dadurch wird die Komplexität der realen Unternehmensumwelt deutlich. Auch wenn nach der bisherigen Auswertung das theoretische Modell valide erscheint, soll die Hypothesenstruktur im folgenden Abschnitt nochmals im Gesamten untersucht werden. 5.3.5.5
Überprüfung der Hypothesenstruktur
In Kapitel 4.4 wurde, abgeleitet aus dem konzeptionellen Bezugsrahmen, die Hypothesenstruktur entwickelt. Mit den Ergebnissen aus den Regressionsanalysen, bezogen auf die beiden Erfolgsgrößen Zielerreichung und Nettogewinnmarge, sollen diese Hypothe-
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
239
sen getestet werden. Dazu wird abweichend vom Pfaddiagramm für jede Variable jeweils der gesamte Einfluss auf die Zielgröße, also direkter und indirekter Effekt, betrachtet. Die standardisierten Einflusskoeffizienten sind in Abbildung 69, bezogen auf beide Zielgrößen, aufgetragen. Die Fehlerwahrscheinlichkeit in den eckigen Klammern zeigt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der geschätzte Wert nicht dem Erwartungswert entspricht.
0,191 [0,016]
Umfang Integration
0,317 [0] 0,190 [0,017] 0,106 [0,211] 0,148 [0,016]
Absatzmarkt Betriebskosten
0,117 [0,059] 0,090 [0,431] 0,075 [0,731] 0,138 [0,463] 0,201 [0,041]
Beschaffungspotential Marktbarrieren Technologie Rechtssystem
-0,054 [0,727] -0,052 [0,786] -0,134 [0,095] -0,170 [0,058] -0,122 [0,114] -0,067 [0,837]
Zielerreichung Nettogewinnmarge
Abbildung 69: Einfluss der Variablen auf Erfolgsgrößen [Fehlerwahrscheinlichkeit p], inklusive der indirekten Effekte der Kontextvariablen.
Für die Überprüfung der Hypothesen werden die standardisierten Einflusskoeffizienten und die gemessene Fehlerwahrscheinlichkeit betrachtet. 830 Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, soll dabei keine trennscharfe Abgrenzung erfolgen, sondern die Hypothesen im Kontext des Gesamtmodells beurteilt werden. Die gemeinsame Auswertung beider Regressionsanalysen ermöglicht Aussagen über die Stabilität des theoretischen Modells und den darin ermittelten Werten. Auch wenn die operationalisierten Hypothesen immer nur einzelne Variablen in Zusammenhang setzen, gelten die gefundenen Erkenntnisse für das gesamte Regressionsmodell unter Kontrolle der jeweils anderen Variablen. 831 Dies entspricht ebenfalls der Annahme im konzeptionellen Bezugsrahmen. 830
Es sei darauf hingewiesen, dass die Standardkoeffizienten zweier unterschiedlicher Modelle nicht direkt miteinander verglichen werden können, trotzdem soll die Gegenüberstellung einen Eindruck vermitteln, wie die einzelnen unabhängigen Variablen auf die jeweilige abhängige Variable wirken. 831 Eine vergleichbare Vorgehensweise findet sich in der empirischen Untersuchung von Ruigrok/Wagner (2005), S. 315.
240
Kapitel 5
Die Hypothesen H 1.1) und H 1.2) wurden bereits in Kapitel 5.3.5.1 untersucht und konnten nicht verworfen werden. Die Hypothese H 2.1)832 kann mit den vorliegenden Ergebnissen auf einem sehr hohen Signifikanzniveau bestätigt werden. Der Umfang der in China realisierten Aktivitäten beeinflusst den Erfolg also maßgeblich. Dies zeigt, dass China enorme Erfolgspotentiale bietet. Unternehmen, die sich in großem Umfang in China engagieren, sind in der Lage diese Erfolgspotentiale in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln. Dieser Aspekt wird dadurch betont, dass der finanzielle Erfolg (Nettogewinnmarge) in besonderem Maße vom Umfang abhängt. Aufgrund der Definition des Umfangsindizes ist sichergestellt, dass diese Erkenntnisse nicht nur für große Unternehmen, sondern gerade auch für kleinere Unternehmen gelten, deren Chinaaktivitäten aber einen großen Teil des weltweiten Geschäfts ausmachen. Die Hypothese H 2.2)833, in der der Unternehmenserfolg in Beziehung zur Integration der Wertaktivitäten gesetzt wird, kann ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau nicht verworfen werden. Vor allem in der Zielerreichung ist der starke Einfluss der Integration chinesischer Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund sichtbar. Die Integration der Wertaktivitäten stellt also einen Schlüssel zum erfolgreichen unternehmerischen Handeln im internationalen Kontext dar. Für H 2.1 und
H 2.2 lässt sich also zu-
sammenfassend die Vermutung bestätigen: Je größer der Umfang der Aktivitäten in China und die Integration dieser Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund, desto größer der Erfolg. Die Hypothese H 3.1)834 vermutet einen positiven Einfluss der Marktchancen auf den Unternehmenserfolg. Mit den vorliegenden Ergebnissen kann diese Hypothese zwar nicht verworfen werden, dennoch gibt es in den einzelnen Variablen deutlich voneinander abweichende Einflussgrößen. Sicher ist, die Absatzpotentiale des chinesischen Marktes haben den stärksten positiven Einfluss auf die Erfolgsgrößen, was sich auf einem sehr hohen Signifikanzniveau bestätigen lässt. Bei den Kosten- und Beschaffungspotentialen hingegen ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Von den Betriebskosten ist weder für die Zielerreichung noch für die Nettogewinnmarge ein signifikanter Einfluss messbar, dennoch zeigt der Trend immer in die positive Richtung. Die Beschaffungspotentiale haben einen signifikant positiven Einfluss auf die Nettogewinnmarge, was in einem positiven Trend, bezogen auf die Zielerreichung, seine Bestätigung findet. Insgesamt ist der posi832
H 2.1) Je größer der Umfang, in dem die deutschen Unternehmen in China tätig sind, desto größer ist die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. H 2.2) Je stärker die deutschen Unternehmen ihre chinesischen Wertaktivitäten in den globalen Unternehmensverbund integrieren, desto höher sind die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. 834 H 3.1) Je größer die Marktchancen Chinas, ausgedrückt durch den Absatzmarkt, die Betriebskosten und die Beschaffungspotentiale, desto größer die Zielerreichung und der wirtschaftliche Erfolg. 833
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
241
tive Einfluss für die Marktchancen, unter Kontrolle der anderen Variablen im Modell signifikant belegbar. Je größer die Absatz-, Kosten- und Beschaffungspotentiale in China sind, desto größer ist der Erfolg. Die Hypothese H 3.2)835 untersucht den Einfluss der Marktrisiken, wobei ein negativer Einfluss auf die Erfolgsgrößen vermutet wird. Diese Vermutung kann anhand der Variablen Marktbarrieren, technologische Bedingungen und Rechtssystem auf Basis der Regressionsanalyse bestätigt werden. Für alle drei Variablen ist der Einfluss auf beide Zielgrößen negativ. Für die technologischen Bedingungen lässt sich dieser Einfluss signifikant bestätigen. Das Rechtssystem wirkt dem Zielerreichungsgrad deutlich entgegen, bei der Nettogewinnmarge ist der negative Einfluss hingegen nur noch als Trend nachweisbar. Ähnliches gilt auch für die Marktbarrieren. Diese liefern für keine der Zielgrößen signifikante Ergebnisse, zeigen aber in die gleiche Richtung, wie die anderen Variablen der Marktrisiken, sodass die Hypothese insgesamt nicht verworfen werden kann: Je größer die Marktrisiken, desto geringer ist der Erfolg deutscher Unternehmen in China. In Abbildung 70 sind die Ergebnisse aus den Regressionsanalysen und der Überprüfung der Hypothesen qualitativ graphisch dargestellt, die Größe der Schrift und Kästen verdeutlicht die Gewichtung des Einflusses.836 Das Modell, wie es theoriegeleitet als konzeptioneller Bezugsrahmen erstellt wurde, kann auf Basis der empirischen Untersuchung deutscher Unternehmen in China nicht verworfen werden. Es wird klar ersichtlich, dass der Umfang den größten Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg deutscher Unternehmen in China hat. Dieser wird wiederum maßgeblich durch die Produktions- und Beschaffungsaktivitäten gestaltet. Die Integration hat ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg, positiv geprägt durch Produktions- und Absatzaktivitäten, negativ geprägt durch das Ausmaß, in dem Marketing in China durchgeführt wird. Die Marktchancen als Kontextvariable beeinflussen das Erfolgsmaß signifikant positiv, während die Marktrisiken negativ auf die unternehmerische Tätigkeit wirken.
835
836
H 3.2) Je größer die Marktrisiken Chinas, ausgedrückt durch das Rechtssystem, die Marktbarrieren und die technologischen Bedingungen, desto geringer der Zielerreichungsgrad und der wirtschaftliche Erfolg. Zur optischen Hervorhebung der Erkenntnisse wurden sowohl die Schriftgröße, als auch die Kästchengröße den deterministischen Ergebnissen der Regressionsanalysen angepasst. Es handelt sich allerdings nicht um eine exakte Berechnung, da die Standardkoeffizienten aus zwei unterschiedlichen Regressionsanalysen nicht einfach miteinander verrechnet werden können.
242
Kapitel 5 Produktion
Beschaffung
Umfang + -
+
+
Marktchancen
+
_
Erfolg
Marktrisiken
+
Integration Beschaffung
Marketing
Produktion
Abbildung 70: Qualitative Darstellung der Einflussfaktoren auf den Erfolg deutscher Unternehmen in China.
Mit Hilfe des theoretischen Modells und seiner statistischen Analyse konnte nachgewiesen werden, dass die deutschen Unternehmen in China ihre Aktivitäten unter Kontrolle der gegebenen Marktbedingungen gestalten. Die Gestaltung kommt entsprechend des Chinaprofils der Unternehmen im Art und Umfang der verlagerten Wertaktivitäten und durch die Integration dieser Aktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund zum Ausdruck. Es geht also um die Koordination und Integration dieser Wertaktivitäten vor dem Hintergrund der gegebenen Marktbedingungen. Auf Basis dieser empirischen Untersuchung soll im nächsten Abschnitt der Erkenntnisgewinn für die Kompetenz des internationalen Wertschöpfungsmanagements und die internationale Unternehmenstätigkeit abgeleitet werden. 5.4 WSM als Kernkompetenz für internationale Aktivitäten In Kapitel 2.5.2 wurde die Kompetenz des Wertschöpfungsmanagements als die Fähigkeit zur Koordination und Integration der Wertaktivitäten vor dem Hintergrund der gegebenen Marktbedingungen eingeführt. Diese Kompetenz lässt sich zwar nicht direkt messen, aber kann als die Kernkompetenz zur Verbindung von Gestaltungs- und Kontextvariablen gesehen werden, die einen Einfluss auf die Erfolgsgröße hat. Die unmittelbar aus dem konzeptionellen Bezugsrahmen abgeleitete Hypothese H 4)837 soll in den folgenden Abschnitten mit Erkenntnissen der empirischen Untersuchung ana837
Vgl. Kapitel 4.4.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
243
lysiert werden. Dazu werden zunächst die Ergebnisse deutscher Unternehmen in China, bezogen auf das Wertschöpfungsmanagement, interpretiert. Anschließend werden die Implikationen für das internationale Wertschöpfungsmanagement abgeleitet. Die bereits in Kapitel 2.3.4.2 vermutete Historizität soll schließlich den Aufbau von Kernkompetenzen im internationalen Bereich nachweisen, bevor im Erkenntnisgewinn die Ergebnisse dieser Analyse im Kontext der gesamten empirischen Analyse zusammenfassend dargestellt werden. 5.4.1
Wertschöpfungsmanagement deutscher Unternehmen in China
Anhand
der
in
der
empirischen
Untersuchung
bestätigten
Ursache-
Wirkungszusammenhänge lassen sich die Vermutungen über die WSM-Kompetenz deutscher Unternehmen in China analysieren: 1) Die Konfiguration der Wertaktivitäten deutscher Unternehmen in China beeinflusst die Ausgestaltung des China-Engagements in Form von Umfang und Integration maßgeblich und wirkt dadurch indirekt auch auf den Erfolg. Für die einzelnen Handlungsfelder des Wertschöpfungsmanagements werden unterschiedliche Anforderungen notwendig, um Wettbewerbsvorteile in China zu generieren: !
Mit der unternehmensinternen Realisierung von Beschaffung und Produktion in China, nehmen Umfang und Integration zu. Es steigt also insgesamt der Koordinationsaufwand für die Unternehmen, so dass eine höhere WSMKompetenz notwendig ist, um diese Wertaktivitäten erfolgreich zu betreiben. Nur durch eine starke Integration dieser Aktivitäten lassen sich die Wettbewerbspotentiale, die sich bei der Beschaffung und der Produktion in China bieten, von den Unternehmen ausnutzen. Dieser erhöhte Integrationsaufwand fordert ebenfalls eine höhere WSM-Kompetenz.
!
Die unternehmensinterne Realisierung von Marketing hingegen hat keinen Einfluss auf den Umfang und sogar einen negativen Einfluss auf den Integrationsgrad. Die benötigte WSM-Kompetenz nimmt in diesem Fall also nicht global zu, sondern ist auf den Aufbau lokaler Kompetenzen beschränkt.
!
Im Gegensatz zum Marketing lassen sich für die Logistik keine spezifischen Besonderheiten bezogen auf China nachweisen, da diese Aktivität nur in ganz beschränktem Maße in China unternehmensintern abgewickelt wird. Dies deckt sich mit der Beobachtung im globalen Kontext, dass Logistik häufig von externen Dienstleistern durchgeführt wird. Die WSM-Kompetenz be-
244
Kapitel 5 schränkt sich in diesem Fall auf die Auswahl der Dienstleister und die weltweite Koordination der Logistikaktivitäten.838
2) Wie bereits bei den Wertaktivitäten angedeutet, hat der Umfang des Engagements einen positiven Einfluss auf den Erfolg deutscher Unternehmen in China. Mit zunehmendem Umfang nimmt aber der Koordinationsaufwand zu, d.h. Unternehmen, die in größerem Umfang im chinesischen Markt agieren, benötigen eine größere WSM-Kompetenz um erfolgreich zu sein. Wie wichtig bei einem großen Umfang das Wertschöpfungsmanagement für den unternehmerischen Erfolg ist, kommt besonders bei der Betrachtung hinsichtlich der Nettogewinnmarge zum Ausdruck. Unternehmen, die sich in großem Umfang in China engagieren, sind wirtschaftlich am erfolgreichsten. Die umfangreich aktiven Unternehmen scheinen also in besonderem Maße von den zahlreichen Potentialen des chinesischen Marktes profitieren zu können, da sie ihre Aktivitäten effizient koordinieren. 3) Auch die Integration der Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund hat einen positiven Einfluss auf den Erfolg. Mit zunehmender Integration nimmt aber der Integrationsaufwand für das Wertschöpfungsmanagement zu. D.h. Unternehmen mit höherer Integration ihrer Wertaktivitäten, benötigen eine größere WSM-Kompetenz, um erfolgreich zu sein. Die Integration ist in der Hinsicht der Schlüssel zum Erfolg, dass nur durch die Integration der Wertaktivitäten Beschaffung und Produktion die Erfolgspotentiale eines Landes für den gesamten Unternehmensverbund nutzbar gemacht werden können. Eine internationale WSMKompetenz ist also die Voraussetzung für die größtmögliche Generierung von Wettbewerbsvorteilen für das Gesamtunternehmen, basierend auf den Erfolgspotentialen unterschiedlicher Länder. 4) Die Aufgabe des Wertschöpfungsmanagements ist es, die unternehmensintern realisierten Wertaktivitäten so zu konfigurieren, dass sie vor dem Hintergrund der Unternehmensumwelt zu einer erfolgreichen Realisierung von Wettbewerbsvorteilen führen. Aus Sicht des Wertschöpfungsmanagements findet also die Abschätzung der Marktrisiken und Marktchancen immer auf Basis der eigenen Ressourcen und Fähigkeiten statt. Während große Marktchancen aufgrund fehlender Ressourcen und Kompetenzen ungenutzt bleiben, wird bei der Risikobewertung eines Marktes implizit immer die unternehmensindividuelle Kompetenzausstattung berücksichtigt. D.h. schätzt ein Unternehmen das Risiko in einem Markt hoch ein, hat es noch
838
Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Untersuchung deutscher Unternehmen in China nur der Transport als Logistik untersucht wurde, nicht aber die Produktionslogistik oder weitergehende logistische Serviceleistungen (z.B. Lagerhaltung).
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
245
keine ausreichende Kompetenz aufgebaut, dieses Risiko zu reduzieren oder zu umgehen. Wie anhand der Risikoeinschätzung deutscher Unternehmen in China gemessen wurde, führt ein hohes Marktrisiko also zu einer Erfolgsreduzierung. Daraus kann gefolgert werden, dass die Unternehmen, die das Risiko besonders hoch einschätzen, noch keine ausreichende WSM-Kompetenz aufgebaut haben, um das Risiko zu reduzieren. Für die deutschen Unternehmen in China kann also bestätigt werden, dass eine höhere WSM-Kompetenz zu mehr Erfolg führt. Bei der Betrachtung der Wertaktivitätenkonfiguration wird deutlich, dass es zwei Ebenen des internationalen Wertschöpfungsmanagements gibt, die sich nicht auf China, bzw. ein Land, beschränken. Neben der lokalen WSM-Kompetenz muss daher auch die globale Ebene des internationalen Wertschöpfungsmanagements betrachtet werden. Dies wird in Kapitel 6 in Form von globalen und länderspezifischen Strategien analysiert. 5.4.2
Implikationen für ein internationales Wertschöpfungsmanagement
Die Ausgangsüberlegung des internationalen Wertschöpfungsmanagements als gestaltendes Element der internationalen Unternehmenstätigkeit bezog sich nicht nur auf ein Land. Wie das theoretische Modell in Kapitel 4.3 zeigt, ermöglicht das internationale Wertschöpfungsmanagement den Unternehmen auf Basis ihrer eigenen Ressourcen und Fähigkeiten die Wertaktivitäten in fremden Märkten so zu konfigurieren, dass Marktchancen erfolgreich genutzt und Marktrisiken vermieden werden können. Für China konnten in der vorliegenden Untersuchung die lokalen Auswirkungen für das Wertschöpfungsmanagement international tätiger Unternehmen nachgewiesen werden. Dabei wurde offensichtlich, dass es aber auch globale Auswirkungen für die WSMKompetenz gibt. Das internationale Wertschöpfungsmanagement muss daher „von oben“ betrachtet werden als die Kompetenz zur Koordination und Integration der in den Handlungsfeldern definierten Wertaktivitäten Beschaffung, Produktion, Marketing und Logistik. 1) Beschaffung: Die Integration der Beschaffungsaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund ist die Grundvoraussetzung für das Ausnutzen von Potentialen, die in den einzelnen Ländermärkten vorhanden sind. Auf der anderen Seite ist Beschaffung oftmals auf lokale Lieferanten ausgerichtet, so dass zusätzlich noch lokale Kompetenzen benötigt werden. Aus Sicht des internationalen Wertschöpfungsmanagements stellt die Beschaffung also sehr komplexe Anforderungen, da nur durch hohe WSM-Kompetenz eine effiziente Koordination und Integration möglich ist.
246
Kapitel 5
2) Produktion: Die Wettbewerbsvorteile durch Ausnutzung weltweiter Kostenvorteile und Skaleneffekte können am besten in globalen Produktionssystemen generiert werden. Damit ist die Produktion eine Funktion, in der besonders internationale WSM-Kompetenz benötigt wird. Die einzelnen Fertigungsprozesse lassen sich zwar verhältnismäßig einfach transferieren, die Herausforderung für das WSM besteht aber in der Koordination der Produktionsstandorte und die enge Verknüpfung mit weltweit verstreuten Beschaffungs- und Marketingaktivitäten. 3) Marketing: Die strikte Ausrichtung auf den Endkunden führt dazu, dass für das internationale Wertschöpfungsmanagement überwiegend lokale Herausforderungen entstehen. Aufgrund der unterschiedlichen soziokulturellen Bedingungen in den einzelnen Ländern, können Marketingaktivitäten kaum global koordiniert oder integriert werden. 4) Logistik: Die globalen Herausforderungen sind für die Logistik am größten, da bei einer umfangreichen Verlagerung und starker Integration von Wertaktivitäten ein hoher Koordinationsaufwand entsteht. Die Auslagerung der Logistik an externe Dienstleister führt zu einer Komplexitätsreduktion, da das internationale Wertschöpfungsmanagement eher eine koordinierende Aufgabe übernimmt und die lokale Durchführung Dienstleistern überlässt. Zusammenfassend lässt sich also die Erkenntnis aus der Befragung deutscher Unternehmen in China auf einen internationalen Kontext verallgemeinern. Es konnten zum einen die lokalen Herausforderungen für das Wertschöpfungsmanagement gemessen werden, zum anderen lassen sich die Erkenntnisse anhand der vier Handlungsfelder auf die internationale Unternehmenstätigkeit übertragen. Ein effizientes internationales Wertschöpfungsmanagement ermöglicht Unternehmen in großem Umfang in fremden Ländermärkten aktiv zu sein und durch die Integration der Aktivitäten im gesamten Unternehmensverbund davon maximal zu profitieren. 5.4.3
Entwicklung der WSM-Kompetenz im Zeitverlauf
Die WSM-Kompetenz ist wie alle Ressourcen und Fähigkeiten pfadabhängig, d.h. ihre spezifische Ausprägung ist immer vor dem Hintergrund der zeitlichen Entwicklung zu sehen.839 Da in dieser Untersuchung nur ein Land betrachtet wurde, können für die internationalen Erfahrungen an dieser Stelle keine globalen Aussagen getroffen werden. Wie bereits in Kapitel 5.2.4 und 5.2.5 zu sehen ist, lässt sich ein Zusammenhang über die Dauer des Aufenthalts in China und den Umfang des China-Engagements herstellen. Bezogen auf das internationale WSM bedeutet dies, dass mit der Dauer die Unternehmen in 839
Vgl. Kapitel 2.5.3.
Quantitative Analyse des internationalen Wertschöpfungsmanagements
247
der Lage sind, sich in größerem Umfang in einem Land zu engagieren (KK = 0,45; 99%Signifikanzniveau).840 Auch aus dieser spezifischen Betrachtung werden die beiden Ebenen des Wertschöpfungsmanagements offensichtlich. !
Lokal: Der Umfang, in dem sich die Unternehmen in einem Land engagieren, ist sehr landesspezifisch. Daher ist es notwendig, sich zunächst WSM-Kompetenz in einem Land aufzubauen, um dann erfolgreich den Umfang steigern zu können. Wird WSM-Kompetenz erfolgreich aufgebaut, steigt die Fähigkeit zur Koordination von Wertaktivitäten und der Umfang nimmt mit der Dauer des Aufenthalts zu.
!
Global: Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund erfolgt durch das internationale WSM. Folglich kann die Integration nicht isoliert in einzelnen Ländern ausgeführt werden, sondern nur global. Die Aufenthaltsdauer in einem einzelnen Land hat daher nur einen untergeordneten Einfluss auf die Integration der Wertaktivitäten und die damit verbundene Kompetenz.
Auf Basis der Erkenntnisse in den vorherigen Abschnitten lässt sich die Hypothese H4) bestätigen. Damit kann das Aussagensystem aus Kapitel 4.4 als Gesamtes bestätigt und daraus eine Definition des internationalen Wertschöpfungsmanagements formuliert werden:
Das internationale Wertschöpfungsmanagement ist die Kernkompetenz zur lokalen Koordination und globalen Integration von Wertaktivitäten mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung zu generieren. Eine hohe WSM-Kompetenz führt zu einer effizienten Koordination und Integration von Beschaffung, Produktion, Marketing und Logistik und ist somit die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche internationale Unternehmenstätigkeit. Diese Definition ist die Grundlage für die Entwicklung von Gestaltungsempfehlungen im nächsten Kapitel. Mit diesen Strategien für international tätige Unternehmen wird der Praxisbezug dieser Arbeit deutlich.
840
Für die Integration konnte dieser Zusammenhang am Beispiel deutscher Unternehmen in China übrigens nicht nachgewiesen werden (KK = -0,14; 95%-Signifikanzniveau).
6
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
In
der
quantitativen
Analyse
(vgl.
Kapitel
5.4)
konnten
die
Ursachen-
Wirkungszusammenhänge des Erklärungsmodells bestätigt werden. Das internationale Wertschöpfungsmanagement wurde als die gestaltende Größe für international tätige Unternehmen identifiziert. Aus der Hypothesenstruktur werden in diesem Kapitel Gestaltungsempfehlungen (Strategien) für die unternehmerische Praxis abgeleitet und damit der Theoriebildungsprozess abgeschlossen. 841 Zur Entwicklung von Strategien müssen unterschiedliche Markt-Ressourcen-Kombinationen bewertet und in Ausprägung der Konfiguration der Wertaktivitäten miteinander verglichen werden. 842 Die SWOTAnalyse bietet sich dazu als strategisches Werkzeug im internationalen Kontext besonders gut an, da sie die unternehmensinterne mit der unternehmensexternen Sichtweise verknüpft. 843 Somit können zum einen allgemeine Strategien für internationale Unternehmenstätigkeit und zum anderen spezifische Strategien für einzelne Ländermärkte generiert werden. Abbildung 71 fasst den bisherigen Untersuchungsablauf zusammen. Die Strategien zum Wertschöpfungsmanagement werden auf Basis der Gestaltungs- und Kontextvariablen in der SWOT-Analyse gewonnen und zeigen, wie sich Wettbewerbsvorteile für international tätige Unternehmen nutzen lassen. Grundvoraussetzung für diese Betrachtung ist die Identifizierung der unternehmensinternen Stärken und Schwächen, sowie der durch den Markt gegebenen Chancen und Risiken.844 Dass diese Faktoren vorhanden sind und einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg haben, konnte bereits in den vorangegangenen Kapiteln nachgewiesen werden. Wie bereits der konzeptionelle Bezugsrahmen für die internationale Unternehmenstätigkeit in Kapitel 4.3. aufzeigt, gibt es für das internationale Wertschöpfungsmanagement zwei Betrachtungsebenen: Zum einen die Steuerung aller weltweiten Aktivitäten im globalen Unternehmensverbund, zum anderen die länderspezifische Koordination und Integration der Wertaktivitäten. In Kapitel 6.1 werden auf Basis der entwickelten Strategien zunächst die globalen Herausforderungen für international tätige Unternehmen dargestellt.
841
Vgl. Riesenhuber (2007), S. 7ff. Vgl. Bamberger/Wrona (1996), S. 146f; Kutschker/Schmid (2008), S. 828 und Welge/Al-Laham (2008), S. 125f. 843 Vgl. Kapitel 2.4.4. 844 Vgl. Barney (1995), S. 49f. 842
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
250
Kapitel 6
Internationale Unternehmen
Internationalisierungstheorien Resource-based-view Market-based-view
Kontext VAR(Zielmarkt) Chancen & Risiken
Gestaltungs VAR Beschaffung Produktion Marketing
Internationales Wertschöpfungsmanagement
Logistik
Strategien
Wettbewerbsvorteile
Abbildung 71: Strategiefindung für international tätige Unternehmen.
Im darauf folgenden Kapitel werden mit einer SWOT-Analyse Strategien für die international tätigen Unternehmen in einem bestimmten Ländermarkt entwickelt. Im Sinne des internationalen Wertschöpfungsmanagements beziehen sich diese Strategien auf die Wertaktivitäten, die von Unternehmen in Auslandsmärkten unternehmensintern realisiert werden. Die Gestaltungsempfehlungen für die Konfiguration der Wertaktivitäten beziehen sich also auf ein bestimmtes Land und dessen Rahmenbedingungen. Da die SWOT-Analyse nicht zu allgemein gültigen Normstrategien führt, müssen die Strategien differenziert betrachtet werden.845 Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht für jedes Unternehmen einzeln eine Analyse erstellt werden, daher ist es das Ziel, die Vorgehensweise transparent zu dokumentieren. Anhand konkreter Fälle aus der Untersuchung deutscher Unternehmen in China wird in Kapitel 6.3 exemplarisch analysiert, inwieweit WSM-Strategien bereits Eingang in die unternehmerische Praxis gefunden haben. Dazu werden basierend auf den Daten der quantitativen Analyse die Prognosen der Respondenten mit den strategischen Planungen der jeweiligen Unternehmen abgeglichen. Ausgehend von der spezifischen Beobachtung deutscher Unternehmen im chinesischen Markt, wird in Kapitel 6.4 die Implikation der Strategien konkret beschrieben. Dadurch wird eine einfache Übertragung der gefundenen Erkenntnisse für andere Unternehmen auch in anderen Ländern ermöglicht.846 845 846
Vgl. Kutschker/Schmid (2008), S. 842. Auch wenn die empirisch gewonnen Erkenntnisse von deutschen Unternehmen in China stammen, geht es in diesem Abschnitt grundsätzlich um allgemeine Gestaltungsempfehlungen international tätiger Unterneh-
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
251
6.1 Global SWOT – Strategien für international tätige Unternehmen Im globalen Kontext können die Kriterien der Strategien, die sich auf einen einzelnen Ländermarkt beziehen, nicht ohne weiteres eingesetzt werden. Abbildung 72 zeigt allgemein die SWOT-Matrix für die internationale Unternehmenstätigkeit aus Sicht der Muttergesellschaft. Im ersten Schritt werden die Stärken und Schwächen im Wertschöpfungsmanagement beurteilt. Dabei spielen vor allem das bereits bestehende Internationalisierungsprofil 847 der Unternehmen, die damit verknüpften Erfahrungen, sowie die interkulturelle Kompetenz der Führungskräfte eine wichtige Rolle. Die Bewertung findet auf Basis der aktuellen Ressourcen und Auslandsaktivitäten statt. Im zweiten Schritt müssen allgemein die Chancen und Risiken ausländischer Märkte untersucht werden. Da nicht über alle Ländermärkte eine pauschale Aussage getroffen werden kann, sollten die Auslandsmärkte grundsätzlich nach ihren Potentialen aufgeteilt werden. Die Fragestellung lautet also, welche Absatz-, Kosten- und Beschaffungspotentiale sich dem Unternehmen durch eine Verlagerung von Wertaktivitäten bieten und welche Risiken damit verbunden sind. Durch den expliziten Einbezug neuer Potentialmärkte wird sichergestellt, dass die Suche nach neuen Erfolgspotentialen stetig fortgesetzt wird und bei unattraktiven Märkten ggf. eine Desinvestition eingeleitet werden kann. Wertschöpfungsmanagement Kompetenz Stark
Schwach
Chancen der Internationalisierung
SO-Strategie
WO-Strategie
Risiken der Internationalisierung
ST-Strategie
WT-Strategie
Abbildung 72: Strategien für die internationale Unternehmenstätigkeit.
men. Es werden also keine spezifischen Strategien für das Geschäft in China entwickelt. Für Besonderheiten im Chinageschäft sei auf die in Kapitel 3.1 eingeführte Literatur verwiesen sowie Lieberthal/Lieberthal (2004), S. 30ff. 847 Vgl. Kapitel 2.1.4.
252
Kapitel 6
Ist auf Basis dieser Analysen das Unternehmen in der SWOT-Matrix positioniert, kann über das weitere Vorgehen entschieden werden. Bezogen auf das internationale Wertschöpfungsmanagement leiten sich folgende Strategieoptionen ab: !
Nach dem SO-Prinzip sollte das Unternehmen seine Stärken im internationalen Wertschöpfungsmanagement nutzen, um weitere Chancen in Auslandsmärkten zu suchen. Dadurch kann es aktiv seine Wettbewerbsposition verbessern und sein Risiko weiter streuen. Durch neue Ressourcen aus anderen Märkten können zudem positive Effekte in den Heimatmarkt wirken. Darüber hinaus könnte die vorhandene WSM-Kompetenz dazu genutzt werden, die Auslandsaktivitäten noch besser in den weltweiten Unternehmensverbund zu integrieren und dadurch die vorhandenen Wettbewerbsvorteile mit Hilfe eines effizienteren Wertschöpfungsmanagements zu steigern.
!
Nach dem WO-Prinzip muss zusätzliche WSM-Kompetenz aufgebaut werden, um die Chancen der Auslandsmärkte besser nutzen zu können. Gerade im internationalen Bereich bieten sich dazu Unternehmenskooperationen oder strategische Allianzen an. Dies ermöglicht eine schnelle Beseitigung der Defizite im internationalen Wertschöpfungsmanagement, bevor sich die Wettbewerbsposition des Unternehmens weiter verschlechtert. Langfristig sollten unternehmensintern ausreichend Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut werden, die das Ausnutzen der Wettbewerbspotentiale durch internationale Wertschöpfung nachhaltig ermöglichen.
!
Nach dem ST-Prinzip sollte das Engagement in besonders risikoreichen Auslandsmärkten hinterfragt werden. Die Stärken, die unternehmensintern im internationalen Wertschöpfungsmanagement bereits vorhanden sind, sollten genutzt werden, um Wettbewerbsvorteile in anderen Ländermärkten zu erschließen. Dadurch kann das aktuell empfundene Risiko der internationalen Wertschöpfung reduziert werden und das Unternehmen kann seine Wettbewerbsposition verbessern. Eine starke Kompetenz in der Koordination und Integration der weltweiten Aktivitäten kann zur Risikovermeidung beitragen.
!
Nach dem WT-Prinzip bietet sich kurzfristig nur eine defensive Strategie zur internationalen Unternehmenstätigkeit an. Zum einen sollten die Aktivitäten konsolidiert und insgesamt der Internationalisierungsgrad des Unternehmens reduziert werden (De-Internationalisierung). Zum anderen muss im Unternehmen langfristig eine WSM-Kompetenz aufgebaut werden, die den Unternehmen Chancen eröffnet, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung zu erschließen. Dadurch können die unterschiedlichen Potentiale von Auslandsmärkten genutzt werden.
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
253
Kurzfristig bieten Unternehmenskooperation oder Fusionen die Möglichkeit, fehlende Kompetenz einzukaufen. Diese strategischen Grundsätze sind allgemeine Gestaltungsempfehlungen, aber keine verbindlichen „Erfolgsstrategien“ der internationalen Unternehmensführung. Ob eine Strategie erfolgreich ist, lässt sich individuell nur auf Basis der unternehmensinternen Voraussetzungen vor dem Hintergrund gegebener Marktbedingungen bewerten. Wie die Auswertung einzelner Strategien in Kapitel 6.3 zeigt, ist die Strategiewahl immer vom Risikoempfinden der Entscheidungsträger abhängig, im internationalen Kontext spielt zudem die individuelle interkulturelle Erfahrung der Entscheidungsträger eine bedeutende Rolle. Aus der globalen Perspektive leistet das internationale Wertschöpfungsmanagement einen Beitrag zur Erreichung der obersten Unternehmensziele. Die Ausgestaltung des Wertschöpfungsmanagements ist daher eine Aufgabe für das TOP-Management eines Unternehmens. Dem Konzept zum internationalen Wertschöpfungsmanagement liegt die Annahme zu Grunde, dass nationale und internationale Aktivitäten nicht getrennt, sondern immer im Zusammenhang betrachtet werden sollten. Nach der globalen Perspektive konzentriert sich die Betrachtung im nächsten Abschnitt auf die Ländermärkte und die jeweilige Konfiguration der Wertaktivitäten in diesen Märkten. 6.2 Strategien zum Wertschöpfungsmanagement in einzelnen Ländern Die Kriterien für die länderspezifische SWOT-Analyse international tätiger Unternehmen basieren auf den empirisch analysierten Erkenntnissen der vorherigen Kapitel und werden in den folgenden Abschnitten erläutert. Chancen und Risiken (Opportunities & Threats) Ein ausländischer Markt kann für Unternehmen aus drei Gründen attraktiv sein, aufgrund von Absatzpotentialen für ihre Produkte, aufgrund von Beschaffungspotentialen für fehlende oder günstigere Ressourcen und aufgrund von Kostenpotentialen, die sich mit einer Verlagerung von Wertaktivitäten am besten realisieren lassen. Wie in Kapitel 5.2.2 am Beispiel Chinas zu sehen ist, können die Chancen für einzelne Unternehmen – abhängig von Branchen und Produkten – sehr unterschiedlich sein. Den Chancen stehen in einzelnen Ländern Risiken entgegen. Dazu zählen allgemeine Marktbarrieren (z.B. Handelshemmnisse), mangelhafte technologische Bedingungen (z.B. Infrastruktur oder unqualifizierte Arbeitskräfte) und Wettbewerb, der in bestimmten Märkten aufgrund lokaler und internationaler Konkurrenz besonders stark sein kann. Besonders in Schwellenländern stellt das mangelhafte Rechtssystem eine Gefahr dar, was zum Beispiel in fehlendem Schutz des geistigen Eigentums, Bürokratie oder Korruption
254
Kapitel 6
zum Ausdruck kommt. Bei weit entfernten Ländern wirkt die geographisch-kulturelle Distanz als potentielles Risiko. Stärken und Schwächen (Strenghts & Weaknesses) Wie in der Analyse von Ursache-Wirkungszusammenhängen gezeigt, lassen sich die Stärken und Schwächen mit Hilfe des Internationalisierungsgrads und der Zufriedenheit mit den Auslandsaktivitäten messen. Mit zunehmendem Umfang verlagerter Wertaktivitäten sowie deren Integration in den weltweiten Unternehmensverbund ist von großen Stärken auszugehen, sofern die Unternehmen mit ihren Auslandsaktivitäten zufrieden sind und ihre Ziele erreicht haben. Unternehmen, die bereits erfolgreich in großem Umfang in einem Markt agieren, sind in diesem Bereich kompetent, also stark. Fehlende Kompetenz hingegen wird als Schwäche angesehen. In der weiteren Betrachtung wird unterschieden in starke Unternehmen und schwache Unternehmen. Starke Unternehmen sind bereits in großem Umfang und mit hoher Zufriedenheit in einem fremden Land tätig und haben ihre Wertaktivitäten in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. Schwache Unternehmen leiden aufgrund geringen Umfangs und Integration an mangelnder Zufriedenheit und haben ihre Ziele im Zielmarkt (noch) nicht erreicht. Strategien der einzelnen Unternehmenstypen Mit Hilfe dieser Kriterien wird die SWOT-Matrix in Abbildung 73 erstellt. Auf Basis der in den vorherigen Kapiteln gewonnenen Erkenntnissen lassen sich vier idealtypische Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement ableiten: !
Strategie A: Ausbau oder Erhalt der Aktivitäten Starke Unternehmen, die im Markt auch in Zukunft große Chancen sehen, sollen ihre Stärken nutzen, um weitere Wettbewerbsvorteile zu generieren. Gerade in dynamischen Märkten ist es essentiell, fortwährend offensiv nach neuen Chancen zu suchen und weitere Potentiale zu erschließen. Der Ausbau der Aktivitäten konzentriert sich bei dieser Strategie immer auf den realisierten Unternehmenstyp. Ein beschaffungsorientiertes Unternehmen wird also weiterhin neue Beschaffungspotentiale suchen, ein absatzorientiertes Unternehmen neue Absatzpotentiale usw. Starke Unternehmen, bei denen in der Wahrnehmung die Risiken des Marktes überwiegen, sollten ihre Stärke einsetzen, um die Risiken zu minimieren. Sofern sie auf diese nicht einwirken können, müssen sie ihre Stärken einsetzen, um diese Risiken zu vermeiden. Oberste Priorität dieser defensiven Strategie hat der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit durch Erhalt der bereits realisierten Wertaktivitäten.
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit !
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Strategie B: Typwechsel Unternehmen, die große Chancen in Bereichen sehen, in denen sie bislang noch nicht tätig sind, sollten offensiv einen Typwechsel anstreben. Zum Beispiel können beschaffungsorientierte Unternehmen, die ein großes Absatzpotential erkennen, künftig auch absatzorientiert agieren. Aus Sicht des internationalen Wertschöpfungsmanagements sind mit solch einem Typwechsel aber Investitionen in neue Ressourcen und Kompetenzen verbunden, da in den neuen Bereichen zunächst von einer schwachen Position auszugehen ist. Umgekehrt sollten Unternehmen, die für eine realisierte Wertaktivität zu große Risiken oder zu geringe Chancen sehen, sich künftig auf die Wertaktivitäten konzentrieren, in denen sie mit ihren Stärken die Marktpotentiale in Wettbewerbsvorteile umwandeln können. Dies bedeutet nicht, dass sie sich vollständig aus dem Markt zurückziehen. Vielmehr hilft diese defensive Strategie den Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit in diesem Markt zu verteidigen.
!
Strategie C: Kompetenzaufbau Schwache Unternehmen, die große Chancen und kleine Risiken im Markt sehen, haben offensichtlich Probleme, die Wettbewerbspotentiale in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln. Ihnen fehlen die dazu notwendigen Ressourcen und Kompetenzen (zum Beispiel um günstige Produktionsfaktoren zu nutzen). Die Strategie muss also darauf ausgerichtet sein, Schwächen in Stärken zu wandeln und dadurch die Chancen erfolgreich zu nutzen. Dies kann durch verstärktes Lernen (z.B. in Form von Mitarbeitertraining) oder durch den Zukauf externer Ressourcen geschehen. Kompetenzaufbau ist als offensive Strategie immer mit Investitionen im Zielmarkt verbunden.
!
Strategie D: Desinvestition Schwache Unternehmen, die für einen Markt große Risiken bei nur geringen Chancen sehen, können keine nachhaltigen Wettbewerbsvorteile aufbauen. Oftmals führen mangelnde Zufriedenheit, bzw. mangelnder Erfolg zu einer negativen Einschätzung des künftigen Risikos. Grund dafür können tatsächliche Risiken des Marktes sein (z.B. Marktbarrieren) oder fehlende Kompetenz im eigenen Unternehmen. Für diese Unternehmen wäre eine weitere Investition zum Ausbau der Aktivitäten aufgrund der negativen Erwartung sehr riskant. Sie sollten daher defensiv agieren und sich von diesem Markt zurückziehen.
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Kapitel 6 Ein Unternehmen reduziert seine Aktivitäten im Auslandsmarkt, wenn die mit der Investition verbundene langfristige Erfolgserwartung nicht erfüllt werden kann.848 Bezogen auf ein Land wird dieses Phänomen als Desinvestition bezeichnet. Betrachtet man das international tätige Unternehmen als Gesamtes, findet mit einer Desinvestition eine Reduzierung des Internationalisierungsgrads - also eine DeInternationalisierung - statt.849 Der Übergang zur Strategie Typwechsel ist in diesem Fall fließend, da bei einem Rückzug nur einer Wertaktivität das Unternehmen eventuell versuchen könnte, mit einer anderen Aktivität weiterhin Wettbewerbspotentiale zu nutzen.
Die vier Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement gelten für international tätige Unternehmen in einem fremden Ländermarkt. Die Strategien sind eng verknüpft mit den Erkenntnissen über das internationale Wertschöpfungsmanagement, da entsprechend der Definition in Kapitel 5.4 eine hohe WSM-Kompetenz notwendig ist, um die Strategien erfolgreich in einem Land umzusetzen. Die WSM-Kompetenz beschränkt sich also nicht nur auf die Koordination und Integration der Wertaktivitäten, sondern ist gleichermaßen für das Entwickeln und Umsetzen der richtigen Strategie verantwortlich. Da die Strategien immer in die Zukunft gerichtet sind, wird als Entscheidungsgrundlage für die künftige Strategie – neben der aktuellen Einschätzung zu den Umweltbedingungen – auch die antizipierte Zukunftseinschätzung berücksichtigt. Es lassen sich aus der SWOT-Analyse offensive und defensive Strategien ableiten850, die sich auf die subjektive Zukunftserwartung der Entscheidungsträger eines Unternehmens ausrichten. Für die einzelnen Strategietypen ist es grundsätzlich unerheblich, welche Wertaktivitäten bereits in einem Zielmarkt realisiert sind. Die Positionierung eines Unternehmens in der SWOT-Matrix erfolgt, in dem es seine aktuellen Stärken und Schwächen sowie seine zukünftig erwarteten Chancen und Risiken bewertet. Anhand dieser Positionierung kann ein Unternehmen seine spezifische Strategie bezogen auf das internationale Wertschöpfungsmanagement, ableiten und entsprechende Maßnahmen in der Konfiguration seiner Wertaktivitäten in einem bestimmten Land implizieren.
848
Vgl. und im Folgenden Ossadnik (2002), S. 993f. Vgl. Engelhard/Beamish/Macharzina (1999), S. 225f. 850 Vgl. Valentin (2001), S. 58f. 849
Strategien zur internationalen Unternehmeenstätigkeit
Internationales Unternehmen
Ländermarkt
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Stärken ! ! ! !
Schwächen ! geringer Umfang
großer Umfang U hoher In ntegrationgsgrad hohe Zu ufriedenheit mit WA hoher Zielerreichungsgrad Z
! geringe Integration ! mangelnde Zufriedenheit ! mangelnder Erfolg
Risiken ! Marktbarrieren ! ! ! !
Technologie Rechtssystem Wettbewerb g-k Distanz
Kompetenzaufbau (Strategie C)
(Strategie A)
! Absatzpotentiale ! Beschaffungspotentiale ! Kostenpotentiale
Ausbau / Erhalt
Chancen
Desinvestition (Strategie D)
Abbildung 73: Strategien zum interrnationalen Wertschöpfungsmanagement.
Unternehmenstypen und Strategien Eine Betrachtung der strategischen Erkeenntnisse, bezogen auf die Unternehmenstypen aus Kapitel 5.2.4, führt zu grundsätzlichen Empfehlungen. Damit wird es den international tätigen Unternehmern erleichtert, geeiignete Strategien zu finden: Typ 1: Beschaffungsorientierte Unterneehmen [B, BP] Unternehmen des Typs 1 sind potentiellee Kandidaten für eine Strategie Typwechsel. Ist der Markteintritt mit einer Aktivität erfolgreich verlaufen, können weitere Schritte ffolgen. Bei großen Beschaffungspotentialen in einem Markt sind häuufig auch niedrige Betriebskosten gegeben. Eine Verlagerung der P Produktion erscheint daher sinnvoll. Sobald Produktionsaktivitäten in einem Land erfolgreich realisiert sind und sich dadurch die Produuktionskosten senken lassen, werden die Produkte auch für den Absatzzmarkt interessanter, sodass die Marketingaktivitäten intensiviert werdden sollten.
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Kapitel 6
Typ 2: Produktionsorientierte Unterneh hmen [P, BPM] Unternehmen, die bereits mit allen dreii Wertaktivitäten in einem Land aktiv sind, können entweder ihre W Wettbewerbsfähigkeit verteidigen (bei zunehmenden Risiken) oder ihhre Position im Markt ausbauen (bei hohen Chancen). Ist eine Akttivität hingegen nicht so erfolgreich wie die anderen, sollten die Unternehmen einen Typwechsel in Erwägung ziehen und die wenig erfolgreiche Wertaktivität auslagern. Alternativ können schwache Unternehmen auch in den Kompetenzaufbau investieren. Werden solche Investitionen nicht getätigt, droht der Verlust der Wettbewerrbsvorteile, sodass am Ende nur noch das vollständige Verlassen des M Marktes bliebe. Typ 3: Absatzorientierte Unternehmen [M, PM] Ähnlich wie bei beschaffungsorientiertenn Unternehmen ist die einseitige Nutzung von Absatzpotentialen offtmals nur eine Übergangsstrategie. Langfristig sollten alle Potenntiale des Marktes genutzt werden, also ggf. auch die Produktion und die Beschaffung. Ein Typwechsel wird vor allem dann empfoohlen, wenn sich aufgrund zunehmenden Wettbewerbs die ursprüngglichen Vorteile nicht mehr realisieren lassen. In diesem Fall sollte ei n Typwechsel zur Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgenn. Zu berücksichtigen ist, dass ein expandierender Typwechsel aucch immer den Aufbau von Kompetenzen bedingt. Typ 4: Marktorientierte Unternehmen [BM] Unternehmen, die sich nur am Markt orieentieren, in dem sie einkaufen und verkaufen, können lokale Produuktionsvorteile nicht nutzen und dadurch gegenüber lokalen Mitbewerrbern leicht in eine defensive Haltung geraten. In Abhängigkeit der Chancen und Risiken empfiehlt sich eine offensive Strategie, bevor die Wettbewerbsvorteile in der Beschaffung oder dem Absatzmarkt sschwinden und nur noch die Desinvestitionsstrategie als Ausweg erschheint. Die Strategien in diesem Abschnitt wurden vor dem Hintergrund der in China durchgeführten Untersuchung analysiert. Ob die hier definierten Strategien und Unternehmenstypen in der Unternehmenspraxis bereitss implizit Bestand haben, wird anhand einiger Fallbeispiele deutscher Unternehmen in China im folgenden Abschnitt analysiert. Da sich die Untersuchung zum Zeitpunkt deer Datenerhebung auf Unternehmen beschränkt,
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
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die bereits im Zielmarkt (China) aktiv sind, werden Markteintrittsstrategien in dieser Arbeit nur insoweit betrachtet, als Unternehmen bei einem Typwechsel mit einer neuen Aktivität in den Markt eintreten können. 6.3 Einsatz der Strategien am Beispiel deutscher Unternehmen in China Mit Hilfe der empirischen Daten zu den deutschen Unternehmen in China werden die im vorherigen Abschnitt entwickelten Strategietypen getestet. Könnte ein Verhalten entsprechend der Strategien nachgewiesen werden, wäre dies ein Beleg für den hohen praktischen Nutzen der vier idealtypischen Strategien. Die besondere Problematik der DeInternationalisierung wird am Ende dieses Kapitels näher betrachtet, da sie bislang erst wenig Beachtung in der internationalen Managementforschung fand. Am konkreten Beispiel von zwei deutschen Unternehmen, die den chinesischen Markt wieder verlassen haben, wird diese Strategie detailliert erläutert. Chancen und Risiken des chinesischen Marktes Abgeleitet aus der quantitativen Untersuchung bestehen aus Sicht der deutschen Unternehmen im chinesischen Markt sehr große Absatzchancen, die gleichzeitig auch die größte Motivation für die Unternehmen zum Markteintritt darstellen. Beschaffungspotentiale und günstige Betriebskosten können nicht für alle Produkte und Unternehmen nachgewiesen werden, da oftmals die Marktrisiken diese Chancen mindern. Die größten Probleme gibt es bei der Qualität chinesischer Produkte. Strukturelle Risiken, wie zum Beispiel das Rechtssystem, Urheberrechtsverletzungen und mangelnde Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte erschweren die Geschäftstätigkeit zusätzlich. Ins-gesamt lässt sich China als Land mit großen Chancen, aber auch signifikanten Risiken charakterisieren, die jedoch von den einzelnen Unternehmen ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. 851 Diese unterschiedliche Wahrnehmung kann zum einen mit den Produkten, zum anderen aber mit der vorhandenen China-Kompetenz zusammenhängen. Darüber hinaus ist der Aspekt des starken Wettbewerbs in China zu beachten, da starke Wettbewerbskräfte für Unternehmen tendenziell eher ein Risiko darstellen. Fallbeispiele deutscher Unternehmen zu den WSM-Strategien Da die SWOT-Analyse nur auf einzelne Unternehmen angewendet werden kann, werden Fallbeispiele aus der Stichprobe ausgewählt und anschließend entsprechend der SWOTKriterien bewertet. In die Bewertung fließen der Gesamteindruck über die Stärken und
851
Vgl. Kapitel 5.2.3.
260
Kapitel 6
Schwächen, sowie die Marktchancen und Marktrisiken ein. Die Einstufung erfolgt – ohne trennscharfe Grenzwerte – anhand folgender Kriterien:852 ! Stärken / Schwächen: o Zielerreichung o Umfangsindex o Integrationsindex o Zufriedenheit mit den Wertaktivitäten ! Chancen / Risiken: o Absatzpotentiale o Kostenpotentiale o Beschaffungspotentiale o Marktbarrieren o Technologische Bedingungen o Rechtssystem Nach der Einordnung in die SWOT-Matrix anhand dieser Kriterien, werden die Erwartungswerte der Unternehmen analysiert: !
Geplante Entwicklung der Wertaktivitäten (steigern, reduzieren) und
!
erwartete Entwicklung der Chancen und Risiken (besser, schlechter).
Mit diesen Erwartungswerten wird die künftige Strategie ermittelt. Anhand von sechs Unternehmen aus der Untersuchungsstichprobe ist es möglich, die Strategietypen nachzuweisen. Wie die folgende Untersuchung zeigt, entwickeln die Unternehmen ausgehend von einer ähnlichen Position in der SWOT-Matrix unterschiedliche Strategien aufgrund ihrer Zukunftseinschätzung. Ins-gesamt lassen sich drei Strategiepaare bilden, die im Folgenden näher untersucht werden. Ausbau vs. Erhalt Unternehmen U 1 und U 2853 agieren beide aus einer Position der Stärke im chinesischen Markt. Sie betreiben Beschaffung, Produktion und Marketing unternehmensintern und sind mit der Realisierung, sowie der Zielerreichung insgesamt zufrieden. Ihre ChinaAktivitäten stellen einen entscheidenden Teil ihrer internationalen Unternehmenstätigkeit dar und die Aktivitäten sind gut in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. Im chinesischen Markt sehen sie große Chancen (vor allem im Absatzmarkt) und die Risiken schätzen sie für ihr Unternehmen relativ gering ein.
852
Die verwendeten Kriterien sind analog der Variablen aus der Regressionsanalyse. Die geographischkulturelle Distanz wird hierbei nicht betrachtet. 853 Jedem Unternehmen wurde bei der Datenanalyse eine individuelle Nummer zugewiesen: U 1 = S-007, U 2 = S-079.
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
261
Wie in Abbildung 74 an den grauen Ovalen zu sehen ist, haben beide Unternehmen allerdings eine unterschiedliche Zukunftserwartung für den chinesischen Markt. Während U 1 sogar weiter verbesserte Marktchancen bei annähernd konstanten Risiken erwartet, schätzt U 2 die künftige Entwicklung deutlich pessimistischer ein und erwartet schlechtere Marktchancen bei deutlich höheren Marktrisiken. Stärken
Schwächen
U1 BPM U2 BPM
Chancen Risiken
Abbildung 74: Strategie Ausbau oder Erhalt.
Obwohl beide Unternehmen ihr Wertaktivitätenprofil grundsätzlich beibehalten wollen, ist die Ausrichtung der Strategie verschieden. U 1 setzt darauf, künftig mit einem Ausbau der Aktivitäten insgesamt die wachsenden Marktchancen in Wettbewerbsvorteile umwandeln zu können. Dadurch möchte das Unternehmen seine Marktposition gegenüber den Wettbewerbern stärken. U 2 hingegen sieht seine Wettbewerbsvorteile durch immer größer werdende Risiken gefährdet und wird versuchen, seine starke Marktposition zu nutzen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verteidigen. Diese defensive Strategie ist auf Erhalt der relativen Marktposition ausgerichtet, was in einem dynamischen Markt wie China nicht ausschließt, dass das Unternehmen weiter wächst. Typwechsel: expandieren vs. dezimieren Die Strategie Typwechsel zielt darauf ab, das Wertaktivitätenprofil eines Unternehmens zu ändern. Dies kann in zwei Richtungen geschehen, zum einen durch Hinzunahme einer neuen Wertaktivität (Expansion), zum anderen durch das beenden einer Wertaktivität (Dezimierung). Eine Verbesserung der relativen Marktposition kann auch dadurch gelin-
262
Kapitel 6
gen, dass man eine Aktivität beendet, mit der man nicht in der Lage ist, die Marktpotentiale in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln.854 Das Unternehmen U 3855 ist bislang nur mit Marketingaktivitäten in China vertreten, mit diesen aber sehr erfolgreich. Neben den Absatzmarktpotentialen sieht es große Chancen vor allem bei den Betriebskosten. Für die Zukunft werden weiterhin hohe Chancen bei relativ geringen Risiken erwartet, wie in Abbildung 75 dargestellt. Folgerichtig möchte das Unternehmen künftig auch die Beschaffungs- und Produktionsaktivität unternehmensintern realisieren. Es wird also ein expansiver Typwechsel aus der Position der Stärke heraus erfolgen. Stärken
Schwächen
U3 M U4 BM Chancen Risiken
Abbildung 75: Strategie Typwechsel, mehr oder weniger Wertaktivitäten.
Etwas anders ist die Zukunftserwartung des Unternehmens U 4856. Das Unternehmen ist bislang mit Beschaffung und Marketing im chinesischen Markt aktiv, allerdings nur mit der Marketingaktivität wirklich zufrieden. Die Beschaffungsaktivität scheint dem Unternehmen Probleme zu bereiten, wahrscheinlich, da erhoffte Beschaffungs- und Kostenpotentiale nicht realisiert werden konnten. Da für die Zukunft keine besseren Chancen erwartet und die Risiken in verschiedenen Bereichen sogar größer werden, plant das Unternehmen die Beschaffungsaktivitäten in China nicht mehr unternehmensintern umzusetzen, sondern sich voll auf die Marketingaktivitäten zu konzentrieren. Dadurch ver854
Der theoretisch mögliche Fall, dass ein Unternehmen alle realisierten Wertaktivitäten beendet und gleichzeitig mit bislang nicht realisierten Wertaktivitäten startet, konnte in dieser Untersuchung nicht beobachtet werden. 855 U 3 = S-046. 856 U 4 = S-120.
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
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sucht das Unternehmen, seine schwächere Position in eine stärkere umzuwandeln und dadurch seine Wettbewerbsposition insgesamt zu verbessern. Kompetenzaufbau vs. Desinvestition Für Unternehmen, bei denen die Schwächen in einem Markt überwiegen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sie müssen sich durch weitere Investitionen eine nachhaltig stärkere Position aufbauen oder sich aus dem Markt zurückziehen. Dass auch diese strategische Entscheidung von den erwarteten Marktchancen und Marktrisiken abhängt, kann anhand der Unternehmen U 5 und U 6857 gezeigt werden. Wie in Abbildung 76 zu sehen ist, handelt es sich erneut um zwei Unternehmen mit einer vergleichbaren Ausgangssituation. Beide haben Beschaffung, Produktion und Marketing unternehmensintern in China realisiert. Dennoch agieren beide in kleinem Umfang, ziemlich losgelöst von ihren Muttergesellschaften und sind nicht erfolgreich mit ihren Aktivitäten. Unternehmen U 5 vermutet hohe Chancen für sein Unternehmen im chinesischen Markt, die es bislang aber nicht ausreichend nutzen kann. Im Unterschied zu Unternehmen U 4 (siehe Strategie Typwechsel) ist es nicht eine einzelne Wertaktivität, die zur Unzufriedenheit führt, sondern die Gesamtsituation des Unternehmens. Es ist also davon auszugehen, dass dem Unternehmen die notwendige WSM-Kompetenz fehlt, seine ChinaAktivitäten erfolgreich zu koordinieren und in den Unternehmensverbund zu integrieren. Da das Unternehmen sogar noch wachsende Chancen für die Zukunft erwartet, möchte es folgerichtig weiter in China investieren, um sich mehr Kompetenzen aufzubauen, die seine Wettbewerbsposition nachhaltig verbessern kann. Unternehmen U 6 hingegen sieht für sich in Zukunft eine extreme Zunahme der Risiken und keine verbesserten Chancen. Da das Unternehmen bislang noch relativ schwach im chinesischen Markt agiert, würde eine weitere Investition zum Kompetenzaufbau auf Grundlage dieser Erwartung ein erhebliches Risiko mit sich bringen. China scheint also für das Unternehmen mit seinen Ressourcen und Kompetenzen nicht der passende Markt zu sein. Die Desinvestitionsstrategie stellt in dieser Situation den einzigen Ausweg dar. Mit Blick auf die Frage nach den allgemeinen Zukunftsplänen858 kann bestätigt werden, dass das Unternehmen genau diese Strategie bereits plant und sich innerhalb der folgenden drei Jahre aus dem chinesischen Markt zurückziehen möchte.
857 858
U 5 = S-021 und U 6 = S-396. Frage D.6 im Fragebogen, siehe Anhang A.1.
264
Kapitel 6
Chancen konstant
Stärken
Schwächen
Kompetenzaufbau
U5 BPM U6 BPM
Desinvestition
Chancen Risiken
Großes Risiko Abbildung 76: Kompetenzaufbau oder Desinvestition.
Die „Exit“-Strategie (De-Internationalisierung) Die De-Internationalisierung als Problemfeld fand bislang in der auf Expansion ausgerichteten internationalen Managementforschung eine eher geringe Beachtung.859 Dabei sehen sich international tätige Unternehmen im globalen Wettbewerb immer wieder mit der Entscheidung konfrontiert, sich aus wenig lukrativen Märkten zurückzuziehen und ihre Kräfte auf Kernmärkte zu bündeln.860 Wie in vorherigen Abschnitten gezeigt, liefern die Strategien des internationalen Wertschöpfungsmanagements auch hierfür eine Erklärungs- und Entscheidungsgrundlage. Dies wird im folgenden Abschnitt detailliert erklärt und anhand von zwei konkreten Beispielen deutscher Unternehmen in China erläutert. Die Entscheidung internationaler Unternehmen zur Desinvestition findet ebenfalls auf Grundlage der externen Bedingungen und der eigenen Kompetenzen statt.861 Entweder sind die Risiken in einem Markt zu groß, bzw. keine ausreichenden Marktpotentiale mehr vorhanden, oder ein Unternehmen besitzt nicht die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen, um die Marktpotentiale in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln. Diese hohen Risiken oder fehlenden Kompetenzen kommen oftmals in zu hohen Kosten zum Ausdruck, sodass die Auslandsaktivität nicht mehr attraktiv erscheint. Bereits 1979 konnte Boddewyn empirisch nachweisen, dass vor allem die schlechte Ertragserwartung,
859
Vgl. Simon (2007), S. 15f. Fallbeispiele deutscher Unternehmen hierzu im Internet: www.rueckverlagerung.de. 861 Siehe Kapitel 6.3. 860
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
265
ungünstige Umweltbedingungen, aber auch unzureichende Vorbereitung einer Auslandsinvestition Gründe sein können, die schließlich zur Desinvestition führen.862 Eine Desinvestition kann vollständig oder partiell erfolgen, wobei sich eine teilweise Desinvestition auf bestimmte Produkt-Markt-Kombinationen oder einzelne Wertaktivitäten bezieht. Allerdings ist empirisch belegt, dass die Desinvestition von den Entscheidungsträgern immer erst als letzte Handlungsoption betrachtet und daher oftmals zu lange hinausgezögert wird.863 Ein Grund dafür könnte sein, dass die Desinvestition mit Kosten verbunden ist, aber keinen messbaren Erfolg liefert, sondern Unternehmen nur vor noch höheren prognostizierten Verlusten bewahrt. Im Verständnis des internationalen Wertschöpfungsmanagements ist die Desinvestition also immer dann als Gestaltungsoption einzusetzen, wenn eine Strategie zur weiteren Investition in Ressourcen- und Kompetenzaufbau zu riskant wäre. Eine zweite Möglichkeit der De-Internationalisierung ist die aktive Desintegration der Wertschöpfungskette, also die Auslagerung bestimmter Wertaktivitäten. Eine Rekombination der Wertschöpfungskette verursacht allerdings einen höheren Koordinationsaufwand für das internationale Wertschöpfungsmanagement.864 Die mögliche Gestaltung einer De-Internationalisierung richtet sich also letztendlich nach der unternehmensinternen WSM-Kompetenz. Das Phänomen der De-Internationalisierung, bzw. Desinvestition wird an zwei Beispielen deutscher Unternehmen erläutert, die sich aus dem chinesischen Markt zurückgezogen haben: Der Stofftier-Hersteller Steiff kündigte im Jahr 2008 die Rückverlagerung seiner Produktion aus China an. Als Gründe nannte der Geschäftsführer, Martin Frechen, zu hohe Kosten für die Qualitätssicherung, bzw. zu große Qualitätsschwankungen, sowie zu hohes Risiko in der Lieferkette. Da Steiff in China keine Absatzpotentiale sieht, kommt der Marktnähe zum Hauptabsatzmarkt Deutschland eine besondere Bedeutung zu, sodass die Produktion größtenteils wieder in die deutschen Stammwerke verlagert werden soll.865 Die Entscheidung zur Desinvestition aus China lag also überwiegend in den zu hohen Risiken des Marktes und der zu großen Distanz begründet. Da die Rückverlagerung der Wertaktivitäten in den Heimatmarkt und in andere, bereits bestehende Werke erfolgen soll, verringert sich mit dieser Desinvestition zwangsläufig der Internationalisierungsgrad des Unternehmens.
862
Vgl. Boddewyn (1979), S. 21f. Er greift in seiner Theorie-Konzeption auf die eklektische Theorie von Dunning zurück und spricht in Anlehnung an die Theorien der Direktinvestition von „Foreign Disvestment“. Vgl. Ossadnik (2002), S. 994. Dort finden sich auch spezifische Gestaltungshinweise zur operativen Umsetzung der Desinvestition. 864 Vgl. Miroschedji (2002), S. 129f. 865 Vgl. O.V. (2008c). 863
266
Kapitel 6
Eine Entscheidung zur De-Internationalisierung kann auch aus Sicht des Gesamtunternehmens auf Basis der eigenen Ressourcen und Kompetenzen getroffen werden, wie das Beispiel von OBI zeigt. Das deutsche Unternehmen OBI war bereits seit dem Jahr 2000 in China aktiv und betrieb 18 Baumärkte in der Volksrepublik nach eigenen Angaben erfolgreich. Dennoch erkannte das Unternehmen, dass es sich mit seinen zahlreichen Auslandsengagements zu stark diversifiziert hatte und dadurch die unternehmenseigenen Ressourcen überforderte. Aus diesem Grund entschied das Management, sich auf nahe Märkte zu konzentrieren und seine China-Aktivitäten zu Gunsten einer Stärkung seiner Aktivitäten in Russland und Osteuropa aufzugeben. 866 In diesem Fall wurde die Entscheidung mit mangelnder internationaler WSM-Kompetenz begründet, da der Koordinationsaufwand für alle Ländermärkte zu groß geworden war. Alternativ hätte das Unternehmen aus der Position der Stärke heraus aber auch in den Kompetenz- und Ressourcenaufbau investieren können. Für beide Unternehmen erfolgte die De-Internationalisierung mit dem Ziel, das unternehmerische Risiko zu minimieren, bzw. seine Aktivitäten den eigenen Ressourcen, Kompetenzen und den Marktbedingungen anzupassen. Für das internationale Wertschöpfungsmanagement muss daher die De-Internationalisierung immer als gleichberechtigte Strategie neben eher expansiv ausgerichteten Strategien in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Erfolgt eine Desinvestition von einem Markt nicht vollständig, sondern nur teilweise in Form einer Wertaktivität, wird in Abgrenzung zum vollständigen Marktabzug von Typwechsel gesprochen, da die Unternehmen nur ihr Wertaktivitätenprofil modifizieren. 6.4 Implementierung der Strategien in international tätigen Unternehmen Das in dieser Arbeit entwickelte Erklärungsmodell zum internationalen Wertschöpfungsmanagement kann nach spezifischen Aspekten separiert ausgewertet werden, zum Beispiel nach Aktivitäten im Rahmen eines Global Sourcing oder weltweiter Produktionssysteme. Auch von der Marktseite lassen sich Differenzierungen zum Beispiel durch eine Beschränkung auf die Potential- oder Risikomärkte erreichen. Sind die strategischen Grundentscheidungen getroffen, können mit Hilfe der Werkzeuge des internationalen Managements konkrete Markteintritts- und Standortentscheidungen herbeigeführt werden. Diese Strategien sind bereits intensiv in der Literatur zum inter-nationalen Management untersucht und sollen daher an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden.867 866 867
Vgl. O.V. (2005) und Kausch (2007), S. 190. Die umfassendste und aktuellste Darstellung sämtlicher Internationalisierungsstrategien findet sich bei Kutschker/Schmid (2008).
Strategien zur internationalen Unternehmenstätigkeit
267
Mit Hilfe der SWOT-Analyse und den daraus entwickelten Strategien für die internationale Unternehmenstätigkeit ist im Rahmen dieser Arbeit ein Werkzeug entwickelt worden, das die Gestaltung der weltweiten Wertaktivitäten im internationalen strategischen Management ermöglicht. Die entwickelten Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement konnten an Fallbeispielen deutscher Unternehmen in China nachgewiesen werden. Für die international tätigen Unternehmen leitet sich also zusammenfassend die Erkenntnis ab: Internationale tätige Unternehmen, die ihre eigenen Ressourcen und Kompetenzen analysieren und ihr Verhalten entsprechend mit den unterschiedlichen Marktbedingungen in Einklang bringen, sind im Verhältnis zu anderen Unternehmen besser in der Lage, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung zu generieren. Für die Unternehmen besteht die Herausforderung darin, Gestaltungsempfehlungen in der unternehmerischen Praxis zu implementieren. Der Prozess der Implementierung vollzieht sich in vier Schritten: 1.
Allgemeine Internationalisierungsstrategie Die allgemeine Bewertung des internationalen Engagements dient der Grundsatzentscheidung über Art und Umfang der internationalen Aktivitäten. Diese Entscheidung muss im Mutterkonzern getroffen werden und kann dann auf einzelne Ländermärkte übertragen werden. Die Überlegungen konzentrieren sich zum einen auf die allgemeine Bereitschaft zur Nutzung von Wettbewerbsvorteilen durch internationale Wertschöpfung sowie die bereits im Unternehmen vorhandene Kompetenz im internationalen Wertschöpfungsmanagement.
2.
Analyse der Situation Grundlage für eine strategische Entscheidung ist eine detaillierte Analyse der Chancen und Risiken, die sich für das Unternehmen in einem bestimmten Markt ergeben. Entsprechend der genannten Kriterien, muss die erwartete Entwicklung in den nächsten Jahren prognostiziert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass vor allem die lokale Sichtweise berücksichtigt wird, da vor Ort am besten die Chancen und Risiken eingeschätzt werden können.
3.
Einordnung in die SWOT-Matrix Die Analyse der eigenen Stärken und Schwächen auf Basis der bisherigen Aktivitäten und der Zufriedenheit mit der eigenen Entwicklung, ermöglicht eine Positionierung des Unternehmens in der SWOT-Matrix. Die Strategie ergibt sich dann aus dieser Positionierung zum einen und der Zukunftseinschätzung zum anderen. Für
268
Kapitel 6 Strategie A und B muss das Management die Entscheidung treffen, ob man offensiv oder defensiv vorgehen möchte.
4.
Implementierung der Strategie Wurde die Strategie festgelegt, müssen die weiteren organisatorischen Voraussetzungen für eine Umsetzung getroffen werden. Dazu zählen unter anderem die Bereitstellung finanzieller Mittel und weiterer Ressourcen (z.B. Arbeitskraft). Besonders im internationalen Bereich ist darauf zu achten, dass das vom Mutterhaus eingesetzte Personal neben der fachlichen Qualifikation auch über interkulturelle Fähigkeiten verfügt.
Mit der Implementierung von Strategien ist der Prozess der Internationalisierung nicht abgeschlossen. Sowohl die Märkte mit ihren Wettbewerbskräften, als auch die eigenen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln sich fortwährend weiter. Das strategische Management internationaler Unternehmenstätigkeit ist folglich eine zeitlich beschränkte Tätigkeit. Der in diesem Kapitel beschriebene Prozess zur Implementierung von Strategien muss daher immer wieder gestartet werden, für alle Wertaktivitäten in allen Ländern. Werden die WSM-Strategien konsequent umgesetzt, können international tätige Unternehmen langfristig erfolgreich operieren.
7
Fazit und Ausblick
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand die Frage, wie Unternehmen Wettbewerbsvorteile aus ihrer weltweiten Konfiguration von Wertaktivitäten generieren können. Die Problemstellung bezog sich auf die internationale Unternehmenstätigkeit und das Erkenntnisobjekt des Wertschöpfungsmanagements. 868 Die zunehmende Globalisierung erleichtert den Unternehmen nicht nur die Nutzung von Chancen fremder Märkte, sondern verursacht umgekehrt einen weltweiten Wettbewerb, der die Unternehmen zwingt, sich international zu verteidigen. International tätige Unternehmen sind einer heterogenen, sich verändernden Umwelt ausgesetzt und benötigen zusätzlich besondere Ressourcen und Kompetenzen, um erfolgreich zu sein. Insgesamt ist festzustellen, dass die Komplexität der Unternehmenstätigkeit mit der Internationalisierung deutlich zunimmt, was eine Auseinandersetzung mit dem internationalen Management als Problemfeld rechtfertigt. Die wissenschaftliche Betrachtung der internationalen Unternehmenstätigkeit war bislang überwiegend ökonomisch geprägt. Die Theorien zum Außenhandel und zur Direktinvestition konzentrierten sich auf Markteintrittsstrategien 869 , es bestand eine Forschungslücke in der Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit aus Sicht des strategischen Managements. Aus Sicht der Unternehmen kommt dem internationalen Management aber eine langfristige, strategische Bedeutung zu. Unter Verwendung von theoretischen Ansätzen des strategischen Managements, verfolgte diese Arbeit daher wissenschaftliche und auch praxisorientierte Ziele: 1) Abgrenzung des Begriffsapparats (deskriptives Wissenschaftsziel), 2) Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge (theoretisches Ziel) und 3) Entwicklung von Gestaltungsempfehlungen auf Basis der empirisch bestätigten Erkenntnisse (pragmatisches Ziel). Zur Erreichung dieser Ziele wurde in der vorliegenden Untersuchung ein theoretisches Erklärungsmodell entwickelt, dessen Aussagensystem empirisch überprüft wurde. Daraus konnten Strategien für die Unternehmen abgeleitet werden. Abbildung 77 zeigt die facettenreiche Problemstellung der internationalen Unternehmenstätigkeit als Ausschnitt der realen Unternehmenswelt und stellt die Ergebnisse dieser Arbeit entlang des Forschungskreislaufs dar. Die Ergebnisse werden in den folgenden Abschnitten zusammengefasst.
868 869
Vgl. Kapitel 1. Vgl. Kapitel 2.2.
A. Bode, Wettbewerbsvorteile durch internationale Wertschöpfung, DOI 10.1007/ 978-3-8349-8712-9_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
270
Kapitel 7
Zusammenfassung der Ergebnisse Ausgehend von den ökonomischen Theorien zur Internationalisierung von Unternehmen, wurden in Kapitel 2 die Begrifflichkeiten zur internationalen Unternehmenstätigkeit abgegrenzt. Demnach setzt internationale Unternehmenstätigkeit eine dauerhafte Verlagerung von Wertaktivitäten in einen fremden Markt voraus. Das Internationalisierungsprofil der Unternehmen lässt sich über die Dimensionen „Art und Umfang der Wertaktivitäten in fremden Märkten“, „Integration der Wertaktivitäten in den Unternehmensverbund“ und „geographisch-kulturelle Distanz der bearbeiteten Märkte“ bestimmen. Dieses Begriffsgerüst bildete die Grundlage für die Entwicklung eines Erklärungsmodells zur internationalen Unternehmenstätigkeit unter Verwendung der theoretischen Ansätze des strategischen Managements. Besonders im internationalen Kontext eignen sich der RBV und der MBV dazu, die Generierung von Wettbewerbsvorteilen zu erklären.870 Auf der einen Seite findet damit die spezifische Ressourcenausstattung der Unternehmen in Form von Gestaltungsvariablen Eingang in das Modell, auf der anderen Seite wird die heterogene Umwelt unterschiedlicher Ländermärkte in Form der Kontextvariablen modelliert. Durch eine Verlagerung von Wertaktivitäten können die Unternehmen die Ressourcen- und Marktpotentiale optimal nutzen. Der Erfolg entsteht also durch das Zusammenspiel der unternehmensinternen Ressourcen und der externen Marktbedingungen. Die Kernkompetenz zur weltweiten Koordination und Integration der Wertaktivitäten ist das internationale Wertschöpfungsmanagement. Dies versetzt die Unternehmen in die Lage, die Potentiale in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln. Damit konnte erklärt werden, wie Unternehmen Wettbewerbsvorteile durch international verteilte Wertschöpfung generieren.871 Das Forschungsdesign dieser Arbeit orientierte sich an den fünf Stufen des Theoriebildungsprozesses. Aufgrund des neuen Forschungsansatzes wurde auf der Stufe der Begriffsbildung und Beschreibung das theoretisch-deduktive mit dem empirisch-induktiven Vorgehen kombiniert. Mit Hilfe einer Fallstudie war es möglich, die theoretisch gewonnenen Erkenntnisse zu überprüfen und neue Erkenntnisse explorativ zu gewinnen. Zur Bestätigung der theoretischen Ursache-Wirkungszusammenhänge des Erklärungsmodells wurde eine quantitative empirische Untersuchung mit deutschen Unternehmen in China durchgeführt. Durch die Einschränkung auf diese Gruppe konnte die Komplexität erheblich reduziert werden, was eine Fokussierung auf die Nutzung der Wettbewerbsvorteile in einem bestimmten Land ermöglichte. Deutsche Unternehmen sind in großem Ausmaß international aktiv und eignen sich daher sehr gut zur Untersuchung internatio870 871
Vgl. Kapitel 2.4.1. Vgl. Kapitel 2.5.2.
Fazit und Ausblick
271
naler Unternehmenstätigkeit. China bietet als Markt sowohl Absatz- als auch Kostenpotentiale für viele Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Somit konnte eine große Anzahl von Unternehmen untersucht und dadurch die Repräsentativität der beobachteten Erkenntnisse sichergestellt werden.872 In der quantitativen Untersuchung wurden die Hypothesen des Aussagensystems im Wesentlichen bestätigt. Mit Hilfe einer Regressionsanalyse konnte nachgewiesen werden, dass die Gestaltungs- und die Kontextvariablen den Erfolg der Unternehmen signifikant beeinflussen. Als Gestaltungsgrößen wurden Art und Umfang der Wertaktivitäten, die im Zielland unternehmensintern betrieben werden, identifiziert. Darüber hinaus kommt der Integration der Wertaktivitäten eine besondere Bedeutung zu, wenn die Unternehmen die Marktpotentiale vollständig nutzen wollen. Während die unternehmensinterne Realisierung von Beschaffung und Produktion positiv auf Umfang und Integration einwirken, wurde für das Marketing ein negativer Einfluss auf die Integration gemessen. Die Marktchancen wurden mit Absatz-, Beschaffungs- und Betriebskostenpotentialen ermittelt. Als Marktrisiken wurden Marktbarrieren (z.B. nicht-tarifäre Handelshemmnisse), technologische Bedingungen (z.B. Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und Infrastruktur) und das Rechtssystem (Bürokratie, Korruption, Schutz des geistigen Eigentums und Vertragstreue) identifiziert. Der Erfolg konnte mit Hilfe des Zielerreichungsgrads und der Nettogewinnmarge gemessen werden. Anhand der direkten und indirekten Effekte von Kontext- und Gestaltungsvariablen auf den unternehmerischen Erfolg in China können die Ergebnisse bezogen auf die Forschungsfrage verallgemeinert zusammengefasst werden:873 Unter der Bedingung großer Marktchancen und geringer Marktrisiken ist der Erfolg international tätiger Unternehmen umso größer, je mehr Aktivitäten in das Land verlagert sind. Voraussetzung für die Generierung von Wettbewerbsvorteilen ist ein effizientes Wertschöpfungsmanagement, das die Wertaktivitäten koordiniert und in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. Für die Unternehmen lassen sich aus den Erkenntnissen spezifische Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement ableiten. Die Analyse erfolgte auf Basis der unternehmensinternen Stärken und Schwächen, sowie den Chancen und Risiken des Marktes. Die Zukunftserwartung für den jeweiligen Markt prägt die strategische Entscheidung der Unternehmen dahingehend, dass sie aufgrund ihrer Erwartungen
872 873
Vgl. Kapitel 3.2. Vgl. Kapitel 5.3.5.5.
272
Kapitel 7 !
eigene Aktivitäten erhalten, bzw. ausbauen,
!
die Konfiguration der Wertaktivitäten ändern,
!
Kompetenz im Wertschöpfungsmanagement aufbauen oder
!
den Markt verlassen.
Diese vier Strategien beziehen sich auf die lokale Ebene des internationalen Wertschöpfungsmanagements, also einen Ländermarkt.
874
Eine globale Analyse der WSM-
Kompetenz führt zu allgemeinen Strategien, inwieweit Unternehmen ihr Internationalisierungsprofil, bzw. ihre weltweite Konfiguration der Wertaktivitäten entwickeln können.875 Wie in Abbildung 77 dargestellt, sind die Ergebnisse dieser Arbeit eingebettet in einen fortwährenden Kreislauf, der nicht mit der Implementierung von Gestaltungsempfehlungen beendet werden kann. Vielmehr ist die letzte Stufe gleichzeitig die erste Stufe eines neuen Forschungskreislaufs
876
. Der Erkenntnisgewinn dieser Arbeit zum Unter-
suchungsobjekt beeinflusst die Facetten der allgemeinen Problemstellung und zeigt gleichzeitig den Forschungsbedarf zur weiteren Spezifizierung internationaler Unternehmenstätigkeit auf. Wie die vorliegende Untersuchung am Beispiel deutscher Unternehmen in China zeigt, lässt sich internationale Unternehmenstätigkeit unabhängig vom Internationalisierungsgrad analysieren und Strategien für die zukünftige Konfiguration der Wertaktivitäten ableiten. Die methodische Vorgehensweise hat sich für das zu untersuchende Forschungsobjekt bewährt, da durch die Kombination aus theoretischem und empirischem Vorgehen ein umfassendes Modell zur Erklärung internationaler Unternehmenstätigkeit entwickelt wurde und geprüft werden konnte. Das Erklärungsmodell dieser Arbeit beschränkt sich nicht auf Internationalisierungsstrategien zum Markteintritt, sondern erklärt unterschiedliche Szenarien, inklusive der Strategie zur De-Internationalisierung.
874
Vgl. Kapitel 6.3. Vgl. Kapitel 6.1. 876 Zum Forschungskreislauf vgl. Kapitel 1.2. 875
Fazit und Ausblick
273 Problemstellung Internationale Unternehmenstätigkeit
Weiterer Forschungsbedarf
Globale Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit Fo kus auf Markteintritt zur Erklärung der Internationalisierung
Hetorgene, dynamische Umwelt Besondere Ressourcen und Kompetenzen notwendig
Chancen & Risiken fremder Märkte als Internat. Potential
Bislang überwiegend ökonomische Erklärungsansätze
Komplexität internatio naler Aktivitäten
Ausbau / Erhalt
Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement
Modell zur internationalen Unternehmenstätigkeit
Kompetenzaufbau
Gestaltung
Kontext
(RBV)
(MBV)
Desinvestition
Erfolg
Empirische Untersuchung deutscher Unternehmen in China 150 - 500 [11%]
> 500 [1%]
50 - 149 [11%] 0- 5 [44%] 16 - 49 [18%]
n = 73
6 - 15 [15%]
Abbildung 77: Ergebnisse dieser Arbeit im Forschungskreislauf.
Grenzen der Untersuchung und Ansätze zur weiteren Forschung Wissenschaftliches Arbeiten kann immer nur innerhalb bestimmter Grenzen erfolgen und so sind auch dieser Arbeit Grenzen gesetzt. Die Reflexion dieser Grenzen liefert sogleich neue Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung. Kern des theoretischen Modells zur internationalen Unternehmenstätigkeit ist das Wertschöpfungsmanagement als Kernkompetenz. Im Rahmen dieser Untersuchung war es nicht möglich, diese Kompetenz direkt zu messen, sondern nur aus der beobachteten Konfiguration der Wertaktivitäten Rückschlüsse zu ziehen. Für künftige Untersuchungen sollten Kriterien ermittelt werden, mit denen eine direkte Messung der Kernkompetenz internationales Wertschöpfungsmanagement möglich werden könnte.
274
Kapitel 7
Die Internationalisierung von Unternehmen ist immer eng verknüpft mit Lerneffekten, dies trifft auch auf die Kompetenz des internationalen Wertschöpfungsmanagements zu.877 Die Betrachtung nur eines Zeitpunkts kann diese Lerneffekte nicht abbilden. Zur Untersuchung der Entwicklung internationaler Aktivitäten wäre eine Zeitreihenanalyse notwendig. Künftige Forschungsarbeiten sollten sich daher nicht auf die Beobachtung zu einem Zeitpunkt beschränken. Damit könnte unter anderem der Erfolg der Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement überprüft werden. Entsprechend der Fokussierung auf deutsche Unternehmen in China, konnte die Untersuchung nur die auf einen Ländermarkt konzentrierte Ausgestaltung der internationalen Unternehmenstätigkeit analysieren. In dieser Untersuchung war es möglich, die Zusammenhänge und die eingesetzten Variablen grundsätzlich zu bestätigen. Da die strategische Ausrichtung des internationalen Managements aber nicht nur aus der Perspektive eines Landes betrachtet werden sollte, ist für künftige Forschungsarbeiten ein „globaler“ Blick auf die internationale Unternehmenstätigkeit notwendig. Dazu bietet sich eine Untersuchung der international tätigen Muttergesellschaften an, die ggf. zu einer vergleichenden Untersuchung weiterer Ländermärkte führt. Bei Auswahl unterschiedlich strukturierter Märkte ließe sich die Robustheit des entwickelten Modells prüfen. Wichtige Ansätze zu den Anforderungen an das internationale Wertschöpfungsmanagement finden sich bereits im Modell „Global SWOT“ (vgl. Kapitel 6.1). Umgekehrt könnten kulturelle Unterschiede anhand weitergehender Untersuchungen von international tätigen Unternehmen in China analysiert werden, deren Muttergesellschaft in einem anderen Kulturraum (zum Beispiel USA) liegt. Damit ließen sich vor allem spezifische Einschätzungen der deutschen Befragten mit einer Kontrollgruppe abgleichen, sodass ersichtlich wird, welche der Ergebnisse auf „typisch deutsche Eigenschaften“ zurückzuführen und welche Ergebnisse international gültig sind. Ein wichtiger Aspekt, der bei einer globalen Betrachtung der internationalen Unternehmenstätigkeit berücksichtig werden sollte, ist das Totalkostendenken. Neben den Wettbewerbsvorteilen, die die Unternehmen international aufgrund der Marktchancen erzielen können, muss darauf geachtet werden, dass die Kosten durch die Verlagerung von Wertaktivitäten und die dadurch erhöhte Komplexität nicht in Summe zunehmen. Nur dann kann von einer erfolgreichen Verlagerung von Wertaktivitäten ausgegangen werden. Dazu zählen auch Effekte durch das gestiegene Risiko bei Auslandsinvestitionen sowie allgemein interkulturelle Aspekte, die in dieser Arbeit nur nachrangig betrachtet worden sind. Aufbauend auf den Erkenntnissen von Hofstede sollten die geographischkulturell bedingten Unterschiede bei einer globalen Betrachtung in das Modell zur Er877
Vgl. Kapitel 5.4.3.
Fazit und Ausblick
275
klärung internationaler Unternehmenstätigkeit aufgenommen werden, da die interkulturelle Kompetenz einen entscheidenden Anteil am Erfolg von Unternehmen in fremden Märkten hat.878 Internationalisierung erfolgt nicht ausschließlich über die Verlagerung von Wertaktivitäten wie Beschaffung, Fertigung, Marketing und Logistik. Bereits die Gründung von REP kann einen Teil zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen beitragen und einen umfassenden Markteintritt vorbereiten. Darüber hinaus können reine Exportaktivitäten bereits zur Ausnutzung von Absatzpotentialen eingesetzt werden. Solche Strategien bedürfen daher einer weiteren Untersuchung. Darüber hinaus werden Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten gerade von deutschen Unternehmen zunehmend in andere Länder verlagert. Diese tragen zwar aus Kundensicht nicht unmittelbar zur Wertschöpfung bei und können daher nicht in den primären Wertschöpfungsprozess integriert werden, stellen für die Unternehmen aber große Einsparpotentiale dar. Zudem werden kundenspezifische Entwicklungen auf großen Absatzmärkten immer wichtiger, um sich auf die abweichenden Bedürfnisse einzustellen. Die Koordination und Konfiguration von grenzüberschreitenden Wertschöpfungsprozessen hat auch Auswirkungen auf die Organisationsstruktur von Unternehmen.879 Dieser Aspekt der Internationalisierung wurde in dieser Arbeit nicht betrachtet, sollte aber bei künftigen Untersuchungen analysiert werden. Die Grundlagen für Untersuchungen der Organisationsstruktur wurden in dieser Arbeit gelegt, da die Gestaltungsvariablen nicht nur in den Handlungsfeldern des internationalen Wertschöpfungsmanagements zum Ausdruck kommen, sondern sich auch in der Organisationsstruktur widerspiegeln. Ausblick Die vorliegende Arbeit konnte mit dem Erklärungsmodell zur internationalen Unternehmenstätigkeit, der empirischen Untersuchung deutscher Unternehmen in China und den Strategien zum internationalen Wertschöpfungsmanagement die wissenschaftliche Diskussion bereichern. Die Forderung nach einer Verknüpfung von RBV und MBV wurde im internationalen Kontext umgesetzt und damit die bisherigen Modelle zur Internationalisierung um Aspekte des strategischen Managements bereichert. Die im Rahmen der Globalisierung zunehmende Bedeutung des internationalen Managements spiegelt sich in dieser Betrachtungsperspektive wider – dies gilt sowohl für das internationale Management als Wissenschaftsdisziplin, als auch für die strategische Querschnittsfunktion in den Unternehmen. Durch den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auf der einen Seite und die strategischen Gestaltungsempfehlungen zum internationalen Wertschöpfungs878 879
Vgl. Kapitel 3. Vgl. Fuchs/Apfelthaler (2008), S. 189ff.
276
Kapitel 7
management auf der anderen Seite, ist die vorliegende Arbeit relevant für Leser aus Wissenschaft und Praxis. Die Auseinandersetzung mit der internationalen Unternehmenstätigkeit in Wissenschaft und Praxis wird im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung an Relevanz zunehmen. Grund dafür ist nicht zuletzt ein wachsender Einfluss von Unternehmen aus aufstrebenden Regionen. Künftig werden Unternehmen aus immer mehr Ländern weltweit aktiv werden und damit die Vorherrschaft westlicher Denkmuster angreifen. Umso wichtiger ist daher ein tiefes Verständnis für die strategischen Zusammenhänge zwischen den unternehmensinternen Gestaltungsmöglichkeiten, den externen Marktbedingungen und deren Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg. In künftigen Forschungsarbeiten sollte das in dieser Arbeit entwickelte Erklärungsmodell zur internationalen Unternehmenstätigkeit aufgegriffen und die Untersuchung von Wettbewerbsvorteilen durch internationale Wertschöpfung fortgeführt werden.
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