Zukunft Altern
Andreas Kruse
Hans-Werner Wahl
Zukunft Altern Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen
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Zukunft Altern
Andreas Kruse
Hans-Werner Wahl
Zukunft Altern Individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen
Wichtiger Hinweis für den Benutzer Der Verlag und die Autoren haben alle Sorgfalt walten lassen, um vollständige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag übernimmt weder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für die Nutzung dieser Informationen, für deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion für einen bestimmten Zweck. Der Verlag übernimmt keine Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren, Programme usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag hat sich bemüht, sämtliche Rechteinhaber von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber dennoch der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar gezahlt. BibliograÀsche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen NationalbibliograÀe; detaillierte bibliograÀsche Daten sind im Internet über http://dnb. d-nb.de abrufbar. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2010 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 10 11 12 13
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, MikroverÀlmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Planung und Lektorat: Katharina Neuser-von Oettingen, Anja Groth Redaktion: Regine Zimmerschied Herstellung und Satz: Crest Premedia Solutions (P) Ltd, Pune, Maharashtra, India Umschlaggestaltung: wsp design Werbeagentur GmbH, Heidelberg TitelfotograÀe: © Getty Images Fotos / Zeichnungen: siehe Bildnachweis ISBN 978-3-8274-2058-9
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Teil A. Altern als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 1.
Definition von Alter(n) – Alter(n) besser kennen lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .3 2. Demografische Schlüsselaspekte und Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 Teil B. Zentrale Konstrukte und Botschaften der Alternsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Eine Landkarte zur aktuellen Alternsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .89 Ausgewählte Konstrukte zur Psychologie des Alterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 Ausgewählte Konstrukte zur Soziologie des Alterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 Ausgewählte Konstrukte zu Altersinterventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245 Übergreifende Konstrukte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329
Teil C. Zehn Weichen für den Weg in eine gute Alternszukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .343 9.
Wissen über Altern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .345
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10. Kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .355 11. Engagement und Expertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .375 12. Miteinander der Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .391 13. Menschenfreundliche Umwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . .407 14. Konsumentenverhalten und Wirtschaftskraft Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .429 15. Prävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .441 16. Gesundheit, Krankheit, Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .449 17. Endlichkeit und Grenzen des Daseins . . . . . . . . . . . . . . .477 18. Alternsforschung neu positionieren . . . . . . . . . . . . . . . .491 Teil D. Neue Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .505 19. Neue Anforderungen an gesellschaftliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .507 20. Neue Anforderungen an Ältere – und an alle Generationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .517 21. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .527 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .533 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .545 Sach- und Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .547
Vorwort
Noch nie gab es eine Gesellschaft mit einer so hohen Lebenserwartung wie heute, und auch noch nie gab es ein solch umfassendes und differenziertes Wissen zu Aspekten des Alterns und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten. In diesem Buch möchten wir zentrale Aspekte der alternden deutschen Gesellschaft allgemein verständlich aus der Sicht der Alternsforschung ansprechen. Hintergrund und Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass in Deutschland auf den großen medialen Bühnen die Fragen des demograÀschen Wandels und Alterns oft von nicht wirklich informierten „Experten“ behandelt werden und die bereits in reichhaltiger Weise vorhandene wissenschaftliche Evidenz meist auf der Strecke bleibt. Wir möchten vor diesem Hintergrund mit unserem Buch einen Akzent im Sinne einer Darstellung und praxisbezogenen Einordnung der Befunde der Alternsforschung setzen und dabei ganz bewusst den Elfenbeinturm hinter uns lassen, ohne auf wissenschaftliche Argumentationssubstanz zu verzichten. Wissenschaftliche Befunde und weit entwickelte theoretische Vorstellungen darüber, wie diese Befunde zu interpretieren und anzuwenden sind, ermöglichen heute das Zeichnen eines überaus farben- und facettenreichen Bildes von Altern. Altern erscheint in diesem Bild auf allen fundamentalen Ana-
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lyseebenen (biologisch, psychologisch, sozial und gesellschaftlich) als ein höchst heterogenes und vielfältiges Geschehen, dessen größter wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Feind die Suche nach einer Einfachstruktur ist. In unseren Augen gibt es eine solche nicht, auch wenn wir vieles zu Altern noch nicht wissen (zum Beispiel im Bereich der Demenzentstehung) bzw. noch nicht wissen können (zum Beispiel noch nicht genügend auÁösende bildgebende Methoden zur Abbildung von Gehirnfunktionen). Die große Herausforderung besteht darin, anhand der vorhandenen Befunde die vielfachen Stärken des heutigen Alterns, zum Beispiel im Bereich des Erfahrungswissens, der Bewahrung von Lernfähigkeit, der Prävention von gesundheitlichen Verlusten, herauszustellen und gleichzeitig den Alternsprozess als das zu akzeptieren, was er in seinem Kern ist: eine Lebensphase mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von Verlusterfahrungen und Bewusstwerdung von Grenzsituationen – vor allem im extremen Alter, das heute und erst recht morgen immer mehr Menschen erreichen. Gleichzeitig können sich andere Lebensgestalten entwickeln – Weisheit, Gelassenheit. Daraus ergibt sich individuell und gesellschaftlich aus unserer Sicht die Notwendigkeit des andauernden Strebens nach den bestmöglichen Entfaltungsstrukturen für ältere Menschen (zum Beispiel im Miteinander der Generationen, im bürgerschaftlichen Engagement, in der alternden Arbeitswelt) und gleichzeitig einer individuellen und gesellschaftlichen Sorge für die vielfache psychische und somatische Verletzlichkeit des Alterns (zum Beispiel der Sorge für bestmögliche Lebensqualität von Demenzerkrankten in Heimen). In diesem Buch geht es immer auch um gesellschaftliche Sichtweisen des Alterns, auf die wir EinÁuss nehmen wollen. Wir möchten die öffentlich-mediale Diskussion zu genauerem Differenzieren anregen und die vorherrschenden
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Bedrohungsszenarien und Belastungsdiskurse relativieren, die oft von Engführungen auf Monetäres (siehe Renten- und PÁegekostendiskussion) geprägt sind. Stattdessen rücken wir die Stärken des Alters in den Vordergrund. Was kommt auf Sie zu? In Teil A des Buches, „Altern als Herausforderung“, nähern wir uns zunächst der Thematik Altern von zwei Seiten. Wir fragen nach möglichen Sichtweisen und DeÀnitionen von Altern, und wir diskutieren die derzeit wichtigsten Einsichten zu demograÀschem und gesellschaftlichem Altern samt sich daraus ergebender Implikationen. In Teil B, „Zentrale Konstrukte und Botschaften der Alternsforschung“, begehen wir das Terrain der Alternsforschung anhand einer „Konstruktlandkarte“. Mithilfe der Konstruktlandkarte möchten wir unsere Sicht vom Altern relativ umfassend und gleichzeitig anschaulich kommunizieren. Ein solches Format erscheint auch deswegen als attraktiv, weil vielfach (zum Beispiel von politischen Akteuren) der Wunsch geäußert wird, zu speziÀschen Themen der Alternsforschung in gebündelter Form zentrale Befunde zu erhalten, ohne den Gesamtzusammenhang und den Praxisbezug zu verlieren. Die Darstellung selbst variieren wir dabei ganz bewusst. Neben den obligatorischen (jedoch nicht zu zahlreichen) Tabellen und Abbildungen stehen vertiefende Materialien unterschiedlicher Art und immer wieder auch Anregungen für Sie, wenn Sie Ihr eigenes Altern besser kennen lernen oder über das Leben und seinen Verlauf verstärkt nachdenken möchten. In Teil C, „Zehn Weichen für den Weg in eine gute Alternszukunft“, untersuchen wir die zehn in unseren Augen essenziellen Weggabelungen hin zu einer noch vor uns liegenden Zeit, in der Altern zu einem ebenso selbstverständlichen wie hochgeschätzten Faktor unserer Gesellschaft geworden ist: Wissen über Altern; kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen;
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Engagement und Expertise; Miteinander der Generationen; menschenfreundliche Umwelten; Konsumentenverhalten und Wirtschaftskraft Alter; Prävention; Gesundheit, Krankheit und PÁege; Endlichkeit und Grenzen des Daseins und eine Neupositionierung der Alternsforschung selbst. Hier gilt es, so unser Argument, die „Zukunftsweichen“ heute richtig zu stellen. In Teil D, „Neue Anforderungen“, skizzieren wir schließlich die Neuartigkeit an Aufgaben, die auf gesellschaftliche Akteure, aber auch auf alternde Menschen sowie alle Generationen zukommen. Mehrfach treten wir in diesem Buch auch selbst auf die Bühne („Persönlicher Blick auf das Alter“). Wir möchten Sie dabei einladen, an unseren persönlichen Gedanken zu Alter und Altern teilzuhaben; und vielleicht regen Sie unsere Gedanken an, auch über Ihr eigenes Älterwerden nachzudenken. Schließlich noch ein Wort zu der einbezogenen Literatur: Eine bewusst eng begrenzte Auswahl an weiterführender Literatur, von uns speziell in den Teilen A und B empfohlen, soll Ihnen die weitere Beschäftigung mit Alter nach der Lektüre dieses Buches erleichtern. Aus dieser haben wir auch primär die Substanz der entsprechenden Buchteile entnommen. Die weitere in den Kapiteln zitierte Literatur ist in der am Ende des Buches stehenden Literaturliste enthalten. Gerade weil wir die Doppelbotschaft – hohe Potenziale, aber auch hohe Verletzlichkeit des Alterns – als primäres Kommunikationsziel unseres Buches im Auge haben, richtet sich dieses Buch an unterschiedliche Auditorien. Wir möchten die an Altern interessierte Öffentlichkeit ansprechen, aber auch Akteure in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen: zum Beispiel politische Verantwortliche und Entscheidungsträger in Kommune, Land und Bund, in PÁege- und Versorgungsbereichen, in Bildungsbereichen und nicht zuletzt in der alternden Arbeitsgesellschaft. Fer-
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ner haben wir unser Buch für Studierende der Studiengänge in Gerontologie an Universitäten und Fachhochschulen geschrieben. Es geht uns ja darum, zentrale Befunde der Alternsforschung in ein neues, auch gesellschaftliches Licht zu rücken und neue Anwendungspotenziale in der Praxis herauszustellen. Dies ist eine zentrale Komponente der existierenden und sich entwickelnden Studiengänge, deren erfolgreiche Aneignung im Studium nicht selten den späteren Berufserfolg (für die professionell Handelnden und für eine Gesellschaft, die Gerontologie auch als Dienstleistung begreift) bestimmt. Und auf dieser Basis wird auch deutlich, dass moderne Gerontologie in der praktischen Umsetzung eine „Kunst“ ist. Unser Dank gilt all jenen, die uns im Laufe unserer wissenschaftlichen Sozialisation grundlegende Haltungen und Einsichten gegenüber dem Phänomen Altern vermittelt haben. Nennen möchten wir hier vor allem unsere akademischen Lehrer Margret M. Baltes, M. Powell Lawton, Ursula Lehr und Hans Thomae. Bei der Manuskripterstellung hat uns Ursula König technisch umfassend unterstützt, wofür wir ihr an dieser Stelle unseren Dank aussprechen möchten. Bei Spektrum Akademischer Verlag verdanken wir Katharina Neuser-von Oettingen und Anja Groth, die die Manuskriptentstehung von Anfang an aufmerksam begleitet haben, hilfreiche Anregungen. Und nicht zuletzt sind wir unseren Familien dankbar, die immer wieder aufs Neue ertragen, dass unsere wissenschaftlichen Interessen viel Zeit und Energie kosten. Für beide von uns gehören auch die Enkel zur Familie, denen wir dieses Buch widmen. Andreas Kruse und Hans-Werner Wahl Sommer 2009
Teil A Altern als Herausforderung
1 Definition von Alter(n) – Alter(n) besser kennen lernen Ein Buch zum „Alter“ steht direkt vor einer der schwierigsten Aufgaben, die an die Alternsforschung gestellt werden: Es muss seinen Gegenstand deÀnieren – und diese DeÀnition fällt alles andere als leicht. Denn: Nur auf den ersten Blick erscheint klar, was eigentlich unter Alter zu verstehen ist.
Definitionen Zunächst ist festzuhalten: Wir sind nicht nur in einer Hinsicht alt – wenn wir vom Alter eines Menschen sprechen, dann haben wir bei ein und derselben Person sehr unterschiedliche „Alter“ im Auge. Was genau heißt dies? Es heißt, dass mit „Alter“ verschiedenartige Aspekte verbunden sind, je nachdem, welcher Bereich der Person angesprochen ist. In Bezug auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Organe oder der Nervenzellen lassen sich vergleichsweise früh im Lebenslauf erste Rückgänge nachweisen – in einzelnen Organen ab Mitte des vierten Lebensjahrzehnts, in den Nervenzellen bereits ab Ende des dritten Lebensjahrzehnts. Dabei können diese Rückgänge zunächst durch vermehrtes Training (zumindest in Teilen) kom-
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pensiert werden – doch nach und nach fällt diese Kompensation schwerer, irgendwann ist sie nicht mehr möglich. In Bezug auf den Differenzierungsgrad der Erfahrungen und der Wissenssysteme meint Alter hingegen etwas ganz anderes: Unter der Voraussetzung, dass das Individuum in seinem Lebenslauf offen für neue Erfahrungen und Wissensinhalte gewesen ist und auch die Möglichkeit gehabt hat, neue Erfahrungen zu machen und neue Wissensinhalte zu erwerben, bedeutet „Alter“ ein Mehr und eine höhere Reichhaltigkeit an Erfahrungen und Wissen. Das eine Mal bedeutet „Alter“ eher einen Rückgang, das andere Mal hingegen eher eine Zunahme an Leistungskapazität. Und weiter: In Bezug auf die Ànanziellen Mittel ist Alter für eine nicht kleine Bevölkerungsgruppe gleichzusetzen mit einem doch beträchtlichen Vermögen – auch wenn hier nicht die Frauen und Männer vernachlässigt werden dürfen, die nur über ein kleines Einkommen verfügen, so kann doch zusammenfassend festgestellt werden: Das Vermögen ist in der Gruppe der 60-Jährigen und Älteren im Durchschnitt erkennbar höher als in den jüngeren Altersgruppen. Alter kann aber noch Weiteres bedeuten: nämlich die Möglichkeit, Kinder und Enkelkinder zu haben, die man auf der Grundlage der im Lebenslauf gewonnenen Erfahrungen und des entwickelten Wissens wie auch auf der Grundlage der bestehenden Ànanziellen Mittel unterstützt. In der entwicklungspsychologischen Literatur wird der Begriff der Generativität im Sinne der Mitverantwortung und Fürsorge für nachfolgende Generationen verwendet, um eine Entwicklungsaufgabe wie auch eine Entwicklungsmöglichkeit von Menschen im Erwachsenenalter zu umschreiben: eben die Übernahme von Verantwortung für die nachfolgenden Generationen – sei es innerhalb, sei es außerhalb der Familie, sei es in den persönlichen sozialen Netzwerken, sei es in Organisationen und Vereinen. Diese Übernahme
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von Verantwortung kann im Laufe des Erwachsenenalters stetig zunehmen – nämlich unter dem Eindruck wachsender ideeller und materieller Mittel (Ressourcen). Zu den ideellen Mitteln gehören Erfahrung und Wissen, aber auch Zeit. Erfahrung und Wissen können dazu dienen, junge Menschen in ihrer schulischen oder beruÁichen Bildung zu unterstützen und gegebenenfalls eine Patenschaft zu übernehmen. Sie können zudem eine Grundlage für Mentor-Mentee-Beziehungen im Unternehmen bilden, das heißt, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen jüngere ein und stehen ihnen in den ersten Monaten beratend zur Verfügung, wenn dies gewünscht wird. Ein Teil der frei verfügbaren Zeit kann zum Beispiel für die Betreuung von Kindern eingesetzt werden – damit wird vielen Familien geholfen, die beiden Lebensbereiche „Familie“ und „Beruf“ miteinander zu verbinden. Schließlich sind die materiellen Mittel in ihrer Bedeutung für die Unterstützung der nachfolgenden Generationen nicht zu unterschätzen: Mit der Ànanziellen Zuwendung wird nicht selten dazu beigetragen, dass junge Familien eine Existenz aufbauen können. „Alter“ beschreibt also aus dieser Perspektive auch die Möglichkeit, auf der Grundlage erworbener (ideeller und materieller) Mittel Generativität zu verwirklichen – ein Aspekt, der in unserer Gesellschaft viel zu selten mit „Alter“ assoziiert wird. Wir Ànden also, wenn wir über die verschiedenen Formen von Alter nachdenken, eine bemerkenswerte Vielfalt des Alters bei ein und derselben Person. Doch nicht nur diese ist hier hervorzuheben. Es kommt hinzu, dass sich Menschen derselben Altersgruppe in Bezug auf ihre Leistungskapazität in allen untersuchten Merkmalen deutlich voneinander unterscheiden. Es gibt 70-jährige Frauen und Männer, die sowohl körperlich als auch geistig eine vergleichsweise hohe Kompetenz aufweisen. Und es gibt genauso 70-jährige Frauen und Männer, die
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in ihrer körperlichen und geistigen Kompetenz bereits erkennbar eingeschränkt sind. Aufgrund dieser Verschiedenartigkeit (oder Heterogenität) des Alters bei Menschen ein und derselben Altersgruppe ist Vorsicht hinsichtlich verallgemeinernder Aussagen über das Alter geboten. Die Verschiedenartigkeit „der Alter“ bei einer Person wie auch die großen Unterschiede zwischen gleichaltrigen Personen in ihrer Leistungsfähigkeit müssten im Grunde erhebliche Konsequenzen für den gesellschaftlichen Umgang mit Alter haben: Eine feste, starre Altersgrenze hinsichtlich des Ausscheidens aus dem Beruf erscheint angesichts solcher Erkenntnisse als sehr problematisch. Vielmehr müsste der Zeitpunkt, zu dem ein Mensch aus dem Erwerbsleben ausscheidet, auch vor dem Hintergrund seiner tatsächlich gegebenen Kompetenz deÀniert werden. Aus diesem Grunde wäre zu überlegen, an die Stelle eines bestimmten Alters, zu dem Menschen in den Ruhestand treten, einen Zeitkorridor – zum Beispiel vom 61. bis zum 70. Lebensjahr – zu deÀnieren, der ausreichend Spielraum für die Entscheidung gibt, im Beruf zu verbleiben oder aus diesem auszuscheiden. Hier kann sowohl mit Abschlägen als auch mit Anreizen gearbeitet werden, wobei natürlich bei den Abschlägen immer auch berücksichtigt werden muss, welchen Gesundheitszustand die betreffende Person aufweist. Und weiter: Die Tatsache, dass jeder Mensch im Grunde unterschiedliche „Alter“ in sich vereinigt, dass er in bestimmten Bereichen Stärken, in anderen hingegen Schwächen zeigt, legt im Bereich der Arbeitswelt kontinuierliche Veränderungen der beruÁichen AnforderungsproÀle nahe – und zwar in der Hinsicht, dass die aktuellen beruÁichen Anforderungen den aktuell gegebenen KompetenzproÀlen angepasst werden. Dies kann zum Beispiel in der Weise geschehen, dass Leistungsbereiche, in denen ältere Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit
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Schwächen zeigen – wie zum Beispiel in der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung –, mehr und mehr aus dem beruÁichen AnforderungsproÀl herausgenommen werden, dass hingegen Bereiche, in denen sie mit größerer Wahrscheinlichkeit Stärken zeigen – wie zum Beispiel im Überblick über ein Arbeitsgebiet –, im beruÁichen AnforderungsproÀl stärker betont werden. Gehen wir nun einen Schritt weiter – nämlich zu der Unterscheidung zwischen „Alter“ und „Altern“. Diese Unterscheidung ist für die gerontologische Forschung bedeutsam – und nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Praxis. Altern ist ein lebenslanger Prozess, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tode endet. Demgegenüber steht der Begriff Alter für eine Lebensphase. Wann diese Lebensphase erreicht wird, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Verlauf des Alternsprozesses, sondern aus gesellschaftlicher Konvention. Ein Beispiel: In vielen Gesellschaften werden Menschen mit Erreichen des Rentenalters als „alt“ bezeichnet – dies können in dem einen Land 60-Jährige, in dem anderen Land 65-Jährige sein. Zudem wissen wir, dass ältere Menschen heute im Durchschnitt einen deutlich besseren Gesundheitszustand und eine deutlich höhere Selbstständigkeit aufweisen als ältere Menschen in der Vergangenheit. Darüber hinaus ist die Verschiedenartigkeit älterer Menschen in Bezug auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sehr hoch: 70-Jährige, die regelmäßig körperlich und geistig trainieren, können eine höhere Leistungsfähigkeit aufweisen als 50-Jährige, die nur eine sehr geringe körperliche und geistige Aktivität zeigen. Und schließlich fühlen sich viele alte Menschen nicht „alt“ – die Relativität von Altersgrenzen zeigt sich also auch dann, wenn man das subjektive Alterserleben berücksichtigt.
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Persönlicher Blick auf das Alter Wann hat mir ein anderer Mensch erstmals das Gefühl vermittelt, alt zu sein? Andreas Kruse: Wenn die Enkelkinder mich (ich bin jetzt 54 Jahre) immer und immer wieder mit Opa ansprechen, dann wird mir deutlich, dass ich älter bin, als ich mich selbst fühle – was für mich nun nicht weiter bemerkenswert ist. Das Alter bringt ja hier etwas sehr Schönes mit sich: Nämlich die Erfahrung, sich bereits um zwei nachfolgende Generationen kümmern zu können. Eine schöne Möglichkeit der Generativität. Mich haben schon Leute bei Vorträgen mit der Aussage empfangen: „Sie sind aber auch älter geworden!“, worauf ich nur antworte: „Dies freut mich!“ Das Älterwerden kann ich sehr gut, auch mit Freude annehmen – noch bin ich ja vor Krankheiten verschont. Und der Zirkus um Jugend hat mich nie berührt. Dies wird auch so bleiben. Hans-Werner Wahl: Sich in unserer Gesellschaft selbst einzugestehen, dass man älter geworden ist, das eigene Altern spürt (ich selbst bin jetzt 55 Jahre), scheint mir immer noch ein wenig verpönt und nicht „angesagt“ zu sein. Das finde ich sehr bedauerlich, denn es ist doch eine Lebensrealität, die in einer alternden Gesellschaft etwas völlig Natürliches besitzt. Es gibt da schon Schlüsselerlebnisse: Der Altersabstand zu den Studierenden, mit denen man zu tun hat, wird immer größer, die Enkel zeigen einem sehr deutlich, dass man nun zu einer anderen Generation gehört. Ich erlebe solche Erfahrungen des eigenen Alterns, ich teile diese sehr gerne, bisweilen mit einem guten Schuss Ironie, mit meiner Frau, häufig als außerordentlichen Gewinn. Beispielsweise trauere ich meiner früheren „jugendlichen“ Körperlichkeit nicht nach, und ich habe mein körperlich Äußeres nie so gut annehmen können wie heute.
Das Alter gehört in allen Gesellschaften neben dem sozialen Status, dem Geschlecht und der ethnischen Gruppenzugehörigkeit zu den zentralen Merkmalen sozialer Differenzierung. Dies heißt: Inwieweit in einer gegebenen Gesellschaft Menschen der Zugang zu sozialen Rollen offensteht oder verwehrt wird, ist auch eine Frage des Lebensalters. Im allgemein biologischen Sinne bezieht sich der Begriff Altern auf die Tatsache, dass die lebende Substanz über
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den gesamten Lebenslauf einer fortschreitenden Wandlung unterworfen ist. Dieser Prozess wird auch als „Biomorphose“ beschrieben: Unter Altern ist demnach jede irreversible Veränderung der lebenden Substanz als Funktion der Zeit zu verstehen. Diese für die biologische und psychologische Alternsforschung zentrale Auffassung lässt sich auch anhand der in der römisch-lateinischen Literatur zu Àndenden „Stufenleiter der Natur“ (scala naturae) veranschaulichen. Dort heißt es: Natura non facit saltum („Die Natur macht keinen Sprung“). Mit anderen Worten: Die Veränderungen in unserem Organismus wie auch in unserer Persönlichkeit vollziehen sich allmählich, sie sind gradueller Art. Auf das Verständnis von Alter angewendet, heißt dies: Die Abgrenzung eines eigenen Lebensabschnitts „Alter“ ist im Grunde nicht möglich. Vielmehr ist von Alternsprozessen auszugehen, die sich über die gesamte BiograÀe erstrecken und die im Sinne von graduellen Veränderungen zu interpretieren sind. Mit Blick auf körperliche und seelisch-geistige Veränderungen in der BiograÀe wird in der Forschung die Frage gestellt, inwieweit diese kontinuierlicher oder diskontinuierlicher Natur sind. Im Falle des Ausbleibens von schweren Krankheiten oder von hoch belastenden, die Person langfristig überfordernden Lebenskrisen ist eher von kontinuierlichen Veränderungen im Lebenslauf auszugehen. Bei schweren Erkrankungen, die die Anpassungsfähigkeit des Organismus überschreiten und diesen gravierend schädigen, nimmt hingegen die Wahrscheinlichkeit diskontinuierlicher Veränderungen erkennbar zu. Dies zeigt sich vor allem bei der Demenz, die zu erheblichen Brüchen (also Diskontinuität) in der körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung des Menschen führt. Aber auch bei psychisch traumatisierten Menschen sind nicht selten Brüche in der seelisch-geistigen Entwicklung erkennbar.
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Alter(n) besser kennen lernen Wir möchten nun einen Ebenenwechsel vornehmen und uns noch auf anderen Wegen dem Phänomen Altern nähern – und damit seine Reichhaltigkeit, Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit, Bedrohlichkeit und seine Herausforderungen, ja auch seinen hohen Anregungsgehalt für Gesellschaften, Kultur, Wissenschaft und menschliche Entwicklung aufs Neue unterstreichen. Am Ende des Kapitels soll dann eine erste Selbstanwendung stehen: Wie erleben Sie Ihr eigenes Altern? Wie möchten Sie altern? Was wissen Sie über Altern? Begleiten Sie uns also nun auf unserem kleinen Spaziergang durch den „Garten des Alterns“. Alt als Sprachbegriff Treten wir ein in diesen Garten. Was Ànden wir vor? Sprachwissenschaftlich leitet sich das Wort „alt“ wohl aus dem indogermanischen Wortstamm „al“ ab, mit dem Prozesse wie „wachsen“ und „reifen“ bezeichnet werden. Das ist eine wichtige Grundeinsicht: Es geht bei Altern um Wachstum und um Reifung. Dabei sind freilich Vergänglichkeit und die Nähe zum Tod eingeschlossen. Die Suche nach einem Verstehen von Alter ist so alt wie die Menschheit Schon in den prähistorischen Zeugnissen der frühen Entwicklung des Menschen, etwa in Höhlenmalereien, gibt es Hinweise auf die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod bzw. mit dem unvermeidlichen Lebenszyklus von Geburt
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und Ende. Früh scheinen Fragen wie „Warum müssen wir sterben?“ oder „Warum leben wir nicht ohne Grenzen?“ die Menschheit beschäftigt zu haben, und auch die Suche nach (angeblich) lebensverlängernden Agenzien, Strategien oder Verhaltensweisen scheint sehr früh eingesetzt zu haben (siehe Smith-Papyrusrollen). Die Alternsthematik ist bereits früh allgegenwärtig: etwa im Alten Testament (Methusalem als der „Rekordhalter“ mit 969 Jahren) oder in den Schriften des antiken Griechenland und, später, des antiken Rom. Früh zeichnet sich ab, was im Grunde bis heute die Diskussion um Alter und Altern bestimmt: Lobpreisungen der Leistungen des Alters wie Erfahrung, Sachverstand, Ausgeglichenheit, Lebenswissen und Lebensüberblick, eine ruhige Hand, Weisheit, nicht zuletzt das Wissen um die Grenzen des Lebens, stehen neben Variationen von Negativszenarien: Alte sind lächerlich, mürrisch, eigensinnig, neuartigen Anforderungen nicht mehr gewachsen, engstirnig, nicht nur körperlich, sondern auch geistig nicht mehr beweglich, ja bisweilen leben sie gar zu lange und machen sich damit schuldig. Auf der einen Seite, der Seite der Lobpreisungen, positiven Sichtweisen und verbliebenen Möglichkeiten, stehen beispielsweise Platon („Die Ältesten müssen befehlen, die Jungen gehorchen“) und Cicero („Es heißt dem Alter entgegentreten“), auf der anderen, der Kritik am Alter und der negativen Zuschreibungen, beispielsweise Aristoteles („Altern und Fäulnis aber sind dasselbe“), Meander („Wer zu lange bleibt, stirbt angeekelt“) und Horaz („Mühseligkeiten umzingeln den Greis“). Nach diesen Grundfacetten „arbeitet“ sich Alter durch die Jahrtausende und Jahrhunderte, und dieser Prozess scheint bis heute, trotz aller Einsichten der modernen Alternsforschung, nicht an Dynamik verloren zu haben. Natürlich: Altern hat aufgrund der in einem kurzen historischen Zeitraum entstan-
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denen demograÀschen Veränderungen im Sinne des Anteils Älterer an unseren Gesellschaften einen völlig neuen Stellenwert gewonnen (vgl. Kapitel 2). Die Grundfragen in Bezug auf mögliche Sichtweisen des Alterns sind davon aber weitgehend unberührt geblieben; sie treten allerdings deutlicher als je zuvor in den Vordergrund. Die wissenschaftliche Reflexion zu Altern hat erst begonnen Wissenschaftliche Abhandlungen zu Alter und, später, auch zu der „Logik“ des gesamten menschlichen Lebensablaufs haben sich im Vergleich zu anderen „großen“ Wissenschaftssystemen wie der Theologie, der Philosophie oder den Naturwissenschaften erst spät entwickelt; eine systematische Alternsforschung ist eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Nicht von ungefähr kommen frühe Beiträge, etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, aus dem Bereich der Krankheitskunde, der Biologie, aber auch der DemograÀe. Der Begriff der Alterserkrankung entsteht um 1840 (Cannstatt), und etwa auch um diese Zeit publiziert der Belgier Quetelet ein Werk, in dem er die systematische Suche der „Gesetze des Lebenslaufs“ fordert. Jacob Grimm rühmt mit vielen Argumenten in seiner 1860 gehaltenen „Rede über das Alter“ dessen vielfache Stärken. Der Begriff „Gerontologie“ als Kennzeichnung eines neuen Wissenschaftsfeldes entsteht Anfang des 20. Jahrhunderts und wird dem Biologen Elie Metchnikoff zugeschrieben. Wenig später folgt die Inauguration des Begriffs der Geriatrie, der Lehre von den Alterserkrankungen (Nascher). Zur stark biologischen Alternsforschung tritt nach dem Ersten Weltkrieg vor allem in den USA, aber auch in Deutschland, die Psycho-
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logie, insbesondere die psychologische Intelligenzforschung. Die Untersuchung des Verlaufs der geistigen Leistungsfähigkeit über die Lebensspanne bis ins höchste Alter gehört bis heute zu den großen und resonanzreichen Themen der psychologischen Alternsforschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen große, häuÀg interdisziplinär angelegte Studien, es bilden sich wissenschaftliche Gesellschaften heraus, und es entstehen regelrechte Forschungsprogramme, meist orientiert an den zentralen Disziplinen: Die Altersbiologie etwa untersucht Fragen der Lebensdauer von Zellen; die Altersmedizin die unterschiedlichsten Erkrankungen mit besonderer Bedeutung für Altern, zum Beispiel Schlaganfall, Arthrose, Herz- und Karzinomerkrankungen und, seit etwa 1980, auch zunehmend demenzielle Erkrankungen; die Psychologie die unterschiedlichen Gedächtnisfunktionen, aber auch das Altern der Persönlichkeit; die soziale Gerontologie die Rolle der Familie, von Einsamkeit oder auch des Alterns in Heimen. Auffallend ist bis heute in vielen Ländern – Deutschland bildet keine Ausnahme –, dass dem immer stärkeren Bewusstsein für Fragen des Alterns und seiner gesellschaftlichen Auswirkungen nicht in gleichem Maße die Etablierung von Forschungseinrichtungen gegenübersteht. Die wissenschaftliche Forschungsintensität scheint in seltsamer Weise den gesellschaftlichen Realitäten hinterherzuhinken und bleibt bis heute hinter allen in den 1970er und 1980er Jahren geäußerten Prognosen in Bezug auf „Ausbaudynamiken“ deutlich zurück. Wird möglicherweise Altern doch nicht so ernst genommen, wie es sollte? Auch wissenschaftlich nicht? Schlagen am Ende, so möchten wir fragen, vielleicht immer noch die vielfach auch in der Entwicklung der Alternswissenschaften vorherrschenden negativen Sichtweisen des Alterns durch? Altern erscheint hier als wissenschaftliches Phänomen uninteressant, unproduktiv, intellektuell nicht an-
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regend, bereits genügend erforscht. Auch in dieser Hinsicht möchte unser Buch einen deutlich anderen Akzent setzen und argumentieren, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Altern auch grundlagenwissenschaftlich zu den faszinierendsten Themen überhaupt gehört. Dass unsere Gesellschaft solche Befunde benötigt, um „evidenzbasiert“ eine gute Politik für Ältere und damit auch für alle Generationen zu gestalten, halten wir heute für selbstverständlich. Blicke in die Behandlung der Alternsthematik in der Kunst – Eine Auseinandersetzung mit Altern jenseits des rational-wissenschaftlichen Denkens Beispiele aus der schönen Literatur Vielleicht, so dachten wir, möchten Sie die Alternsthematik, bevor wir in medias res gehen, auch noch ganz anders erfahren, sich zu eigen machen. Vielleicht über das Medium der künstlerischen Auseinandersetzung? Eine Möglichkeit wäre, die schöne Literatur zu konsultieren, denn diese bietet seit jeher reichhaltiges Material, um das Alter besser kennen zu lernen. Vielleicht also lesen Sie auch Belletristisches zum Thema Alter! Vieles Àndet sich hier – und deshalb müssen wir an dieser Stelle überaus selektiv bleiben. Denken Sie nur an Shakespeare (zum Beispiel Wie es Euch gefällt, König Lear), an Goethe (Faust ), an Fontane (Stechlin). Auch Entwicklungsromane kommen in den Sinn, selbst wenn sie nicht immer die gesamte Lebensspanne umfassen: Wolfram von Eschenbachs Parsifal oder Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre. Simone de Beauvoir verbindet in ihrem Klassiker La Vieillesse („Das Alter“) aus dem Jahre 1970 ihre großen schriftstellerischen Fähigkeiten mit einer akribischen Abhandlung der unterschiedlichsten Alters-
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zeugnisse in der Geschichte und schöngeistigen Literatur und handelt beispielsweise in der Erzählung Das Alter der Vernunft die Thematik auch rein Àktional ab. Bertolt Brechts Erzählung Die unwürdige Greisin (1939) ist ebenso ein Klassiker, aber lesenswert bis heute allemal: „Genau betrachtet lebte sie hintereinander zwei Leben. Das eine, erste, als Tochter, als Frau und als Mutter, und das zweite einfach als Frau B., eine alleinstehende Person ohne VerpÁichtung und mit bescheidenen, aber ausreichenden Mitteln. Das erste Leben dauerte etwa sechs Jahrzehnte, das zweite nicht mehr als zwei Jahre“ (Brecht 1995, Bd. I, S. 431). Alter in ungewöhnlicher Konstellation zum jungen Leben Àndet sich in Harold and Maude (1975) von Colin Higgins, jener schönen und gleichzeitig tragischen Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau – die sich am Ende selbst das Leben nimmt: „Well, not dying, actually“, Maude explained, „I am changing. You know, like from winter to spring. Of course, it is a big step to take“ (1971, S. 140).
Altern wird gesehen als prototypisches Scheitern des Menschen, etwa in Hemingways Der alte Mann und das Meer (1952), aber auch machtvoll überhöht, so in Dürenmatts Der Besuch der alten Dame (Endfassung 1980). Alter ist wunderlich, an der Grenze zum „Verrückten“, so in Bölls Nicht nur zur Weihnachtszeit (1951) in Gestalt von Tante Milla, für die nun immer weiter Weihnachten gefeiert wird, damit sie nicht mehr schreit. Große Schriftsteller wie Hermann Hesse oder Gottfried Benn haben zum Alter Stellung bezogen. Schön zu lesen ist zum Beispiel Hesses Über das Alter (1952):
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„(…) Kurz gesagt: um als Alter seinen Sinn zu erfüllen und seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss man mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss Ja dazu sagen“ (1978, S. 106). Und weiter: „Das Greisenalter ist eine Stufe unseres Lebens und hat wie alle andern Lebensstufen ein eigenes Gesicht, eine eigene Atmosphäre und Temperatur, eigene Freuden und Nöte“ (1978, S. 106).
Denken Sie auch an Hesses Gedicht Stufen, das wohl zum Schönsten gehört, was jemals zu Werden, Entwicklung, Übergang und Abschied geschrieben wurde. Benn hat in seinem Essay Altern als Problem für Künstler (1954) den Versuch unternommen, unterschiedliche Altersstile voneinander zu differenzieren, etwa eher „versteint“ oder „schwerelos und schwebend“. Die neuere deutsche wie internationale schöne Literatur hat schließlich auch die Demenz, speziell die Alzheimer’sche Krankheit, entdeckt, ja diese scheint immer häuÀger fast schon zu einem Stilmittel zu werden: In dem Buch Schiffbruch (2003) von Louise Begley pÁegt ein 40-jähriger Mann seine an Demenz erkrankten Eltern: „Mein Vater war so sorgfältig rasiert wie zu Lebzeiten – ja, das war die Formulierung, die ich in Gedanken benutzte, um zwischen seinem früheren und seinem jetzigen Zustand zu unterscheiden“ (2003, S. 217).
Demenz ist auch ein Leitthema in Jonathan Franzens Die Korrekturen (2001) und in Martin Suters Small World (1997). Viel Aufmerksamkeit gefunden hat John Bayleys Elegie für Iris (1999), in der er die PÁege seiner demenzerkrankten Frau beschreibt. Körperlicher Verfall, die Kränkungen durch den sich auÁösenden Körper, Inkontinenz, aber auch die Suche nach „neuen Ufern“ und Überschreitungen üblicher Konventionen
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durch alte Männer – das sind zentrale Themen des rezenten Werkes von Philip Roth, so in Der menschliche Makel (2000), Jedermann (2006) und Exit Ghost (2007). Schließlich noch der Hinweis auf den Gedichtband Poesie der Lebensalter (2005), daraus am Ende dieses Abschnitts ein Teilzitat aus Ricarda Huchs Gedicht Die Lebensalter – die Beschreibung der Achtzig: „Sterne ziehen herauf, des Mondes silberne Welle fließt um dein silbernes Haupt. Liebend umfängt Dich die Nacht.“
Vielleicht, so dachten wir weiter, wäre auch ein Blick in die darstellende Kunst ein schöner Weg, sich der Thematik des Alterns zu nähern, bevor wir „weiter im Text“ gehen. Zu den nachfolgend zusammengestellten Bildern möchten wir eigentlich gar nicht viel schreiben – lassen Sie diese doch einmal auf sich wirken! Das Áeißige Alter, die Suche nach noch „wertvollen“ Tätigkeiten, das Gefühl, gebraucht zu werden, das kommt uns deutlich in dem Gemälde Die alte Wollspinnerin (1891) von Fritz Mackensen (1866–1953) (Bild 1) entgegen. Vielleicht aber liegen wir mit einer solchen Interpretation auch ganz daneben, und diese Wollspinnerin musste einfach weitermachen, um ihren möglicherweise sonst nicht gut gesicherten Lebensunterhalt zu gewährleisten. Ebenso von Fritz Mackensen stammt Besonnte Vergangenheit (1905) (Bild 2). Vieles bei alten Menschen ist Vergangenheit, muss zur Vergangenheit geworden sein. Genau dies könnte ja auch ein DeÀnitionszugang in Bezug auf Alter sein, dass nämlich das Zurückliegende eine immer weitere und reichhaltigere Dimension im Leben erreicht. Diese Vergangenheit kann in den schönsten Farben leuchten. Aber auch die Zukunft ist spürbar. Da ist etwas noch längst nicht zu Ende – nur ein Moment des Innehaltens, dann geht das Leben
Beispiele aus der darstellenden Kunst
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unvermindert weiter. In Vincent van Goghs (1953–1890) Gemälde Kopf eines alten Mannes (Bild 3) erkennen wir trotz der Reduzierung auf das Genre des Porträts deutliche Anzeichen des Alters: der zurückgegangene Haarwuchs, sicherlich,
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vor allem aber der Blick dieses alten Mannes ist beeindruckend. Wohin ist dieser Blick gerichtet? Was geht in seinem Inneren vor sich? Ist da ein Stück Wehmut? Aber keine Bitterkeit. In Otto Modersohns (1865–1943) Gemälde Die alte Dreeben (1902) (Bild 4) sitzt eine alte Bäuerin an einem Hochsommertag zwischen Birken im Schatten. In welchem Schatten? Ist es der Schatten ihres eigenen Lebens? Ist sie eins mit der Natur geworden? Zufriedenheit und ein Blick in die Ferne – und dennoch verankert in der Gegenwart, fest auf einem Stuhl zu sitzen, hierin scheint eine tiefe Wahrheit des Alterns zu liegen. Variationen des in der Kunstgeschichte beliebten Genres des ungleichen Paares Ànden sich in den Bildern 5 und 6. Beide stammen von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553), einem begnadeten Künstler, aber auch einem virtuosen Beobachter seiner Zeit, befreundet mit Martin Luther und Philipp Melanchthon. Was steht in Junges Mädchen und Greis (1530) (Bild 5) mehr im Vordergrund – die Mann-Frau-Dynamik oder die Jung-Alt-Thematik? Es ist wohl beides. Eines scheint klar: Die Liebkosungen der jungen Frau, das Kraulen des Bartes des alten Mannes, wirken nicht sehr überzeugend, sind eigentlich distanzierend. Und der alte Mann hat die „Kompensation“ der Nachteile seines Alters schon in der rechten Hand, eine Goldkette, die vielleicht ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Geht es hier am Ende vielleicht nur um eines: um die Wirkungen des Monetären – damals wie heute und unabhängig von Geschlecht und Alter? In Junger Mann und Greisin mit einer Magd (1545/50) (Bild 6) stellt sich die Situation genau umgekehrt dar, und wieder spielt Geld eine zentrale Rolle. Eine Magd schaut mit einem wissenden Lächeln von unten auf die beiden, bereit, die nötigen Bewirtungsleistungen beizusteuern, falls Bedarf bestehen sollte. Was folgt, ist das Pendant zu Bild 3, das Gemälde Kopf einer alten Frau (1885), ebenfalls von van
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Gogh (Bild 7). Wieder können wir uns ganz in den Blick der alten Frau versenken, der alles andere als einfach zu entschlüsseln ist. In jedem Fall wendet sich die Frau vom Betrachter ab – wohin schaut sie? Was ist da wohl zu sehen? Unverkennbar scheint ein Stück Verwunderung und auch ein leichtes Erstaunen. Sieht sie bereits ihren Tod vor Augen? Das letzte von uns ausgewählte Gemälde stammt von Leonardo da Vinci (1452– 1519) und heißt Alter und junger Mann im ProÀl (Entstehungsdatum unbekannt) (Bild 8). Das Generationenthema, vielfach auch in der bildenden Kunst variiert, steht im Vordergrund: Ein alter Mann (Leonardo selbst?) tritt einem jungen Mann gegenüber. Ernste, fast strenge Blicke werden getauscht – bei relativ großer physischer Nähe und einer Umarmung des jungen durch den älteren Mann. Es drängt sich der Aspekt der Generativität auf. Der Blick des Alten könnte bedeuten: „Du kannst es jetzt auch. Mach es. Aber du kannst weiter mit mir rechnen.“ Doch der junge Mann scheint noch nicht ganz überzeugt zu sein. Beispiele aus der Musik Wir nehmen nun einen weiteren Perspektivenwechsel vor und wenden uns der Musik zu. Es beschäftigt uns aber nicht die Frage, wie Alter in der Musik ausgedrückt wird, sondern vielmehr die Frage, inwieweit sich in musikalischen Spätwerken ebenso wie in Interpretationen betagter Künstler eine besondere Musikalität verwirklicht, die uns dem Wesen des Alters näherbringen kann. Nachfolgend stellen wir einen Komponisten – nämlich Johann Sebastian Bach – und drei Interpreten – Alfred Brendel, Yehudi Menuhin, Pablo Casals – in das Zentrum unserer Überlegungen. Um mit dem Komponisten zu beginnen: Für das Verständnis des Alters ist das Werkschaffen von Johann Sebastian Bach (1685–1750) in hohem Maße aufschlussreich. Dieser große Komponist litt in den letzten Jahren seines Lebens an einem
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schweren Diabetes, er verlor im letzten Lebensjahr fast vollständig sein Augenlicht, die erfolglose Augenoperation durch einen englischen „Meisterstecher“ (der auch Georg Friedrich Händel behandelt hatte) verursachte eine schwere Virusinfektion, die ihrerseits die Anpassungsfähigkeit des Organismus zusätzlich verringerte und damit zu einer weiteren allgemeinen Schwäche beitrug. Schließlich erlitt der Komponist einen Schlaganfall, der letztlich zum Tode führte. Doch diese hohen körperlichen Belastungen stehen im Gegensatz zur geistigen Schaffensfreude des Komponisten auch in den letzten Lebensjahren, ja sogar im letzten Lebensjahr: Bach brachte im letzten Lebensjahr unter anderem die h-Moll-Messe wie auch die Kunst der Fuge zum Abschluss, wobei gerade letztere aus musikwissenschaftlicher Sicht als ein experimentelles Werk, aus kognitions- und wissenspsychologischer Sicht als Ausdruck von Kreativität verstanden werden kann. Warum als Ausdruck von Kreativität? Wir werden uns in diesem Buch ja noch ausführlich mit diesem Konstrukt beschäftigen. Doch schon an dieser Stelle sei ein zentrales Merkmal dieses Konstrukts angeführt: Kreativität beruht auf einer kommunizierbaren Originalität, die sowohl auf dem Überblick über prinzipiell verfügbare Optionen als auch auf einer fundierten Entscheidung für eine im konkreten Fall gerade nicht naheliegende, eher untypische, selten gewählte Option gründet. Die Kunst der Fuge bildet eine Folge von 14 Fugenformen, von der jede für sich als innovativ und originell angesehen werden kann, die aber auch in ihrer Gesamtstruktur von Musikwissenschaftlern als experimentell eingestuft werden. In diesen 14 Fugen werden – auf der Grundlage eines Themas – verschiedenste Fugenformen demonstriert. Im Verlauf des Gesamtwerkes nehmen dabei Anspruch und Schwierigkeit immer mehr zu. Den höchsten Anspruch haben die Fugen 13 und 14, zwei Spiegelfugen, in
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denen alle Stimmen gegeneinander vertauscht und melodisch umgekehrt werden können. Die Kunst der Fuge wurde nicht für eine bestimmte Besetzung konzipiert. Sie kann mit unterschiedlichen Instrumenten und in verschiedenen Besetzungen gespielt werden. Auch darin zeigt sich der experimentelle Charakter dieser Musik. Dieses Werk sollte den Absichten des Komponisten zufolge zum Inbegriff musikalischer Gelehrsamkeit werden. Erst allmählich begann sich das Werk zu runden. Dessen Mittelpunkt bildet die Reinheit der Fugenarchitektur. Dabei dachte Bach nicht an eine baldige Aufführung. Vielmehr verstand er die Kunst der Fuge als Ausdruck des Rückzugs ins Abstrakte, als seine Philosophie der Musik. Daraus erklärt sich auch, warum Bach bis kurz vor seinem Tod einzelne Entwürfe immer wieder verwarf und durch neue, noch experimentierfreudigere ersetzte. Bis zu den letzten Lebenstagen arbeitet er an dem Werk, modiÀziert einzelne Fugen wie auch die Reihenfolge aller Fugen – und dies mit dem Ziel kontinuierlicher Vervollkommnung. Er stirbt über seiner Arbeit an einer Quadrupelfuge, das heißt einer Fuge mit vier Themen; deren musikalische Verarbeitung erscheint aus kompositionspraktischer Sicht kaum mehr möglich. Doch Bach gelingt dies, auch wenn ihn sein Tod an der Fertigstellung dieses Werkes hindert. Die Kunst der Fuge lässt uns ein ganz anderes Licht auf die existenzielle Situation des Komponisten Bach in seinem letzten Lebensjahr werfen: Denn das Sterben erschien ihm – als jenem Menschen, den man in der Musik- und Literaturgeschichte auch gerne als den „Fünften Evangelisten“ beschreibt – als ein Übergang. Der Tod scheint für ihn weniger ein das Ende der Existenz markierendes, Furcht auslösendes Ereignis gewesen zu sein als vielmehr der natürliche Übergang in eine göttliche Ordnung. Vor diesem Hintergrund muss auch die
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Kunst der Fuge betrachtet werden, die in der letzten Quadrupelfuge das Thema B-A-C-H als Fugenthema einführt, dieses aber später über den Leitton Cis zum Achsenton D führt: Und gerade diese Wendung wird in der Musikwissenschaft als die Integration der eigenen Existenz (B-A-C-H) in die göttliche Ordnung (D) interpretiert. Eine solche innere Haltung zum Leben, zum Sterben und zum Tod lässt uns besser verstehen, warum es Bach gelungen ist, trotz seiner schweren körperlichen Erkrankung noch in seinem letzten Lebensjahr bedeutsame Kompositionen (wie die Kunst der Fuge oder die h-Moll-Messe) substanziell weiter- und fast zu Ende zu führen. Dies ist die existenzielle Seite des Themas. Kommen wir nun zur psychologischen Seite. Die Arbeiten Johann Sebastian Bachs an der Kunst der Fuge zeigen uns, dass Menschen auch dann bis in das höchste Alter geistige und emotionale Ressourcen zeigen können, wenn sie körperlich bereits erkennbar geschwächt und eingeschränkt sind. Damit kommen wir zu der bereits zu Beginn unseres Buches getroffenen Aussage zurück: Die körperliche Entwicklung unterliegt anderen Entwicklungsgesetzen als die seelisch-geistige Entwicklung. Aus diesem Grunde wäre es in hohem Maße problematisch, wollte man von den körperlichen Prozessen im Alter unmittelbar auf seelisch-geistige Prozesse schließen. In einer stark körperorientierten, die Jugendlichkeit des Menschen betonenden Kultur wie unserer ist die Gefahr groß, dass wir die seelisch-geistige Dimension des Menschen – speziell im Alter – übersehen und damit an einer wichtigen Qualität des Lebens vorbeigehen. Aber bleiben wir noch kurz bei einem allgemeinen Potenzial der Musik stehen – das von älteren Musikerinnen und Musikern immer wieder in das Zentrum ihrer ReÁexionen über Musik gerückt wird, so zum Beispiel von Alfred Brendel in
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seinem im Jahre 2005 erschienenen Buch Über Musik. Die Musik gibt uns zunächst die Möglichkeit, seelische und geistige Prozesse auszudrücken und auf dem Weg dieses Ausdrucks zu reÁektieren. Durch die ReÁexion werden erst Erlebnisse in Erfahrungen und Erkenntnisse transformiert. Sie bildet weiterhin eine bedeutende Grundlage für das Werden zu sich selbst – eine Entwicklungsaufgabe, die angesichts der Veränderungen, mit denen sich ältere Menschen in ihrer Lebenssituation konfrontiert sehen (zu nennen sind hier Veränderungen in den sozialen Rollen, der Verlust nahestehender Menschen, die an Intensität gewinnende Erfahrung der eigenen Begrenztheit – und dies sowohl in Begriffen der Zeit als auch in Begriffen der Gesundheit), von hervorgehobener Bedeutung ist. Die Musik kann durch ihre Harmonie den Menschen dabei unterstützen, auch in einer Situation, die von zahlreichen Veränderungen bestimmt ist, im Einklang mit sich selbst zu stehen. Zugleich trägt sie durch die Polyphonie dazu bei, die zahlreichen Facetten der Persönlichkeit – ihres Denkens, Fühlens und Wollens – in Schwingung zu versetzen und damit die Reichhaltigkeit des Lebens auch in der subjektiven Wahrnehmung zu erhalten. Sodann darf die Musik nicht in ihrer Bedeutung für die kognitive Entwicklung im hohen Alter unterschätzt werden: Das reÁektierte Hören bereits vertrauter Musik wie auch das Einhören in neue Musik sind Lernprozesse, die sich positiv auf die kognitive Entwicklung auch im hohen Alter auswirken. Schließlich hat das Hören von Musik eine Erinnerungsfunktion: Es weckt die Erinnerung an frühere Ereignisse und Erlebnisse und kann auf diese Weise zur Aufrechterhaltung von Identität beitragen. Diese Erinnerungsfunktion der Musik lässt sich auch bei Menschen nachweisen, deren seelische und geistige Situation aufgrund einer schweren Demenzerkrankung tief greifend verändert ist.
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Hochbetagte Musiker verfügen vielfach über theoretische und praktische Expertise, die sie in die Lage versetzen, zu kreativen – im Sinne von innovativen, originellen – Formen der Werkinterpretation zu gelangen. Mit diesem Kreativitätspotenzial könnten sie nachwachsenden Musikergenerationen viele wertvolle Anregungen geben. Hier ist der Alternsprozess – trotz möglicher Einbußen in der Technik – in aller Regel mit einem kontinuierlichen Zuwachs an Expertise verbunden, die den älteren Musiker in besonderer Weise in die Lage versetzt, in eine fruchtbare – von Geben und Nehmen bestimmte – Interaktion mit jüngeren Musikern zu treten. Es könnten hier zahlreiche Beispiele für diese gelungene Interaktion angeführt werden – unter anderem das Engagement des weltberühmten Violinisten Yehudi Menuhin für nachfolgende Musikergenerationen. In einem von Hasselmann und Jensen im Jahre 1999 herausgegebenen Buch mit dem Titel Lebenszeit und Ewigkeit. Gespräche über Alter und Sterben verbindet Menuhin sein Engagement für die nachfolgenden Generationen mit seinem Verständnis von Alter im Kontext der Musikalität und Generativität. Der Alternsprozess nimmt im Verständnis von Menuhin dem Menschen nichts von seiner Musikalität, sondern im Gegenteil: Diese nimmt weiter zu, wird mehr und mehr zum dominanten Ausdrucksmedium der Geistes- und Gefühlswelt, geht in wachsendem Maße mit Erinnerungen an Ereignisse und Erlebnisse in der eigenen BiograÀe einher. Diese „altersgewendete“ Musikalität an nachfolgende Generationen weiterzugeben und sich dabei von deren Musikalität bereichern zu lassen – dies versteht Menuhin als eine bedeutende Form der über das eigene Leben hinaus andauernden Generativität. Wenden wir uns ausführlicher einem anderen Beispiel zu. Der Cellist und Dirigent Pablo Casals, der 96 Jahre alt wurde,
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hat mit 90 Jahren seine Erinnerungen aufgezeichnet, die im Jahre 1971 unter dem Titel Licht und Schatten auf einem langen Weg erschienen sind. Diese Erinnerungen beginnen mit einer ReÁexion über das Alter. Dieses charakterisiert Pablo Casals wie folgt: „Alter ist überhaupt etwas Relatives. Wenn man weiter arbeitet und empfänglich bleibt für die Schönheit der Welt, die uns umgibt, dann entdeckt man, dass Alter nicht notwendigerweise Altern bedeutet, wenigstens nicht Altern im landläuÀgen Sinne. Ich empÀnde heute viele Dinge intensiver als je zuvor, und das Leben fasziniert mich immer mehr.“
Er berichtet (die Erinnerungen wurden im Jahre 1970 geschrieben), dass es damals im Kaukasus ein Orchester gegeben habe, dessen Mitglieder fast 100 Jahre oder sogar über 100 Jahre alt gewesen seien. Dabei kann er sich auf einen Artikel berufen, der damals in der Londoner Sunday Times erschienen war. Er äußert sich über dieses 30 Personen umfassende Orchester wie folgt: „Es sind Musiker, die regelmäßig Proben abhalten und Konzerte geben. Die meisten sind im Hauptberuf Bauern, die noch immer auf ihren Feldern arbeiten. Der Älteste unter ihnen baut Tabak an und reitet Pferde zu. Alle sind sie prächtige Kerle, denen man die Vitalität so richtig ansieht. Gern würde ich sie einmal spielen hören und würde sie auch dirigieren, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Freilich bin ich mir nicht so sicher, ob sie es mir in Anbetracht meiner großen Jugend gestatten würden.“
Wie interpretiert Casals sein eigenes Alter?
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„Sich zur Ruhe setzen, heißt für mich soviel, wie sich zum Sterben anschicken. Ein Mensch, der arbeitet und sich nicht langweilt, ist auch nicht alt. Nie im Leben! Arbeiten und sich für Dinge interessieren, die Interesse verdienen, sind die besten Heilmittel gegen Alter. Jeden Tag fühle ich mich wie neugeboren, jeden Tag fange ich wieder ganz von vorne an.“
Seine Erinnerungen enden mit seinem Beitrag zur Demokratie sowie mit Gedanken an seine Heimat Katalonien, aus der er 1939 emigrierte (zunächst nach Frankreich, dann nach Puerto Rico), um dem Faschismus zu entkommen: „Der Kampf gegen die Diktatur hat ganz Spanien ergriffen – Studenten, Arbeiter, Intellektuelle, Angehörige des Klerus –, und sie haben das Regime gezwungen, gewisse Konzessionen zu machen. Die einzigen Waffen, die ich hatte, waren mein Cello und mein Taktstock, und ich habe sie, so gut ich konnte, eingesetzt, um die Sache zu unterstützen, an die ich glaube – die Sache der Freiheit und Demokratie. (…) Vielleicht werde ich Katalonien nie wieder sehen. Jahrelang hatte ich geglaubt, die Freiheit werde in mein geliebtes Vaterland zurückkehren, ehe ich sterbe. Nun bin ich nicht mehr so sicher. Der Tag wird kommen, das weiß ich, und dieses Wissen erfüllt mich mit Freude. Aber ich bin doch traurig, dass ich ihn wohl nicht mehr erleben werde. Aber schließlich habe ich lange genug gelebt und erwarte nicht, ewig zu leben. Ich sehe dem Tod ohne Furcht entgegen. Doch schmerzt mich, die Welt verlassen zu müssen, deren Zustand so traurig ist. Es schmerzt mich, Marita, meiner Familie und meinen Freunden Kummer zu bereiten. Selbstverständlich fahre ich fort zu spielen und zu üben. Auch wenn ich nochmals hundert Jahre leben sollte, würde ich das tun. Ich könnte meinen alten Freund nicht im Stich lassen: das Cello.“
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Einladung an Sie, sich Ihrem eigenen Altern zu nähern Am Ende dieses ersten Kapitels möchten wir Sie schließlich noch anregen, sich Ihrem eigenen Altern zu nähern. Hierzu einige Fragen (vielleicht mögen Sie Ihre Antworten auch niederschreiben?): In welcher Weise erleben Sie Ihr eigenes Altern? Hat die Beschäftigung mit Ihrem eigenen Altern im Laufe der Jahre zugenommen? In welchen Bereichen erfahren Sie Ihr eigenes Altern besonders stark? Achten Sie auf das Alter anderer Menschen? Wenn ja, warum? Welche emotionalen Tönungen besitzen Ihre Alternserfahrungen? Wie alt möchten Sie werden?
Literaturempfehlungen Brendel, A. (2005). Über Musik. München: Piper. Casals, P. (1971). Licht und Schatten auf einem langen Weg. Frankfurt: Fischer. Hasselmann, V. & Jensen, E. (Hrsg.) (1999). Lebenszeit und Ewigkeit. Gespräche über Alter und Sterben. Bern: Scherz Verlag. Kruse, A. (2007). Alter. Freiburg: Herder. Kruse, A. (2007). Das letzte Lebensjahr. Die körperliche, seelische und soziale Situation des alten Menschen am Ende seines Lebens. Stuttgart: Kohlhammer. Kruse, A. & Martin, M. (Hrsg.) (2004). Enzyklopädie der Gerontologie. Alternsprozesse in multidisziplinärer Sicht. Bern: Hans Huber. Staudinger, U. & Häfner, H. (2008). Was ist Alter(n)? Neue Antworten auf eine scheinbar einfache Frage. Heidelberg: Springer. Wahl, H.-W. & Heyl, V. (2004). Gerontologie – Einführung und Geschichte. Stuttgart: Kohlhammer.
2 Demografische Schlüsselaspekte und Konsequenzen Der demograÀsche Wandel soll nachfolgend in drei Schritten erörtert werden: Zunächst wird auf den zunehmenden Anteil alter und sehr alter Menschen in der Gesamtbevölkerung eingegangen, in einem zweiten Schritt stehen demograÀebedingte Veränderungen in der Arbeitswelt im Vordergrund, in einem dritten Schritt interessieren uns die Folgen des demograÀschen Wandels für die Wirtschaft. Wir werden bei jedem dieser drei Schritte die potenziellen Konsequenzen thematisieren, die aus dem demograÀschen Wandel sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft erwachsen. Dazu noch eine kurze Anmerkung: Es lässt sich beobachten, dass sich die Szenarien des demograÀschen Wandels vielfach auf die möglichst detaillierte Beschreibung möglicher zukünftiger Entwicklungen konzentrieren, ohne der Frage nachzugehen, welche möglichen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft erwachsen. Die Thematisierung der Konsequenzen ist ein Ziel der nachfolgenden, über die reine Beschreibung hinausgehenden Erörterungen.
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Der zunehmende Anteil alter und sehr alter Menschen an der Bevölkerung Beschreibung der Bevölkerungsszenarien Das Statistische Bundesamt nimmt in seinem – im Jahre 2006 publizierten – Modell der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung eine bis zum Jahre 2050 um weitere fünf Jahre steigende durchschnittliche Lebenserwartung an: Die durchschnittliche Lebenserwartung werde dann bei Frauen 88,1 Jahre, bei Männern 83,5 Jahre betragen. (Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bei Frauen 83,1 Jahre, bei Männern 78,7 Jahre.) Dieses Szenario gründet auf der Annahme, dass sich in den kommenden Jahrzehnten der in den vergangenen Jahrzehnten beobachtete Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung in gleichem Umfang fortsetzen wird, was für das hohe biologische Potenzial spricht, das in Zukunft noch ausgeschöpft werden kann. Dabei ist auch zu beachten: In den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wurde die Zunahme der Lebenserwartung vorwiegend durch die Abnahme der Kindersterblichkeit erreicht; in den letzten Jahrzehnten wurde die Sterblichkeit in den mittleren und höheren Altersgruppen verringert. Die verringerte Sterblichkeit in den höheren Altersgruppen spiegelt sich auch in folgenden demograÀschen Daten wider: Die 60-jährigen Frauen haben – den Sterbetafeln 2005/2007 zufolge – eine durchschnittliche Lebenserwartung von 24,2 weiteren Jahren (alte Bundesländer) bzw. von 23,7 Jahren (neue Bundesländer), die 60-jährigen Männer von 20,2 Jahren (alte Bundesländer) bzw. von 19,4 Jahren (neue Bundesländer); die 80-jährigen Frauen haben heute – wie die Sterbetafeln 2005/2007 ausweisen – eine durchschnittliche Lebenserwar-
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tung von weiteren 8,9 Jahren, die 80-jährigen Männer von 7,6 Jahren (Statistisches Bundesamt 2008). Die Annahme einer in Zukunft weiter ansteigenden durchschnittlichen Lebenserwartung erscheint durchaus als realistisch. Es ist nämlich davon auszugehen, dass Fortschritte auf den Gebieten der Medizin, der Gentechnik und der Pharmakologie wie auch auf den Gebieten der Psychologie, der Bildungs-, der Sport- und der Bewegungswissenschaft dazu führen werden, dass 1) Ursachen und Risikofaktoren jener Erkrankungen, die die häuÀgsten Todesursachen im Alter bilden – Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Karzinom, Schlaganfall, Alzheimer-Krankheit –, immer besser erforscht und damit auch wirksam bekämpft werden können, dass 2) diese Erkrankungen frühzeitig erkannt und die Patienten damit rechtzeitig behandelt werden können, dass 3) aus Erkenntnissen über Ursachen und Risikofaktoren der Erkrankungen effektive Präventionsansätze abgeleitet werden, die zur Vermeidung einzelner Erkrankungen beitragen. Ein Beispiel für den dritten der hier aufgeführten Aspekte sei nachfolgend genannt: Vor dem Hintergrund aktueller Forschungserkenntnisse wird die Erwartung geäußert, dass jene molekularbiologischen Prozesse, die zur Alzheimer-Krankheit (vgl. Kapitel 4) führen, in absehbarer Zeit ursächlich und direkt beeinÁusst werden können. Die Kenntnisse jener pathogenetischen Prozesse, die zum Nervenzelluntergang führen, lassen erhebliche Fortschritte auf dem Wege von einer symptomatischen zu einer kausalen Arzneimittelbehandlung erwarten. Zu beachten ist ferner, dass die künftigen alten Menschen (speziell Frauen) mit gegenüber früheren Generationen (bzw. Alterskohorten) deutlich besseren Bildungsressourcen ausgestattet sind. Bildung stellt einen immer wieder bestätigten Schutzfaktor in Bezug auf die
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Entstehung von Demenzen dar. Weiterhin deuten neuropsychologische und sportwissenschaftliche Befunde darauf hin, dass aerobe Fitness einen potenziellen schützenden Faktor gegen Alzheimer-Demenz darstellt (Colcombe et al. 2004). Kontinuierliches körperliches Training, das auf Steigerung der aeroben Fitness zielt, scheint – allerdings in relativen engen Grenzen – das Potenzial zu besitzen, das Auftreten der Demenzsymptome deutlich zu verzögern. Es kann auch noch ganz anders werden … Der Biologe und Bevölkerungsmathematiker Shripad Tuljapurkar von der Stanford University hat auf einer Tagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) im Februar 2006 für den Zeitraum von 2010 bis 2030 tief greifende Veränderungen der weltweiten Bevölkerungsstruktur vorausgesagt. Die durchschnittliche Lebensspanne der Menschen kann seiner Meinung nach in den kommenden 20 Jahren um 25 Jahre ansteigen. Zudem, so Tuljapurkar, ist es nicht unrealistisch anzunehmen, dass die Lebenserwartung in den Industrienationen langfristig auf 100 Jahre ansteigen wird. Der Anstieg der Lebenserwartung und die damit verbundene Zunahme des Anteils alter Menschen an der Gesamtbevölkerung müssen dabei kein Nachteil sein. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn die Lebensarbeitszeit deutlich verlängert wird – nämlich auf 80 bis 85 Jahre. Die Vereinigten Staaten müssten sich darauf einstellen, dass im Jahre 2035 nicht, wie bislang geschätzt, zwei von fünf Erwachsenen 65 Jahre und älter sind, sondern vier von fünf. In einigen Ländern Europas könne die Anzahl der 65-Jährigen und Älteren im Jahre 2035 die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter von 20 bis 64 Jahren sogar übertreffen. Tuljapurkars Szenarien beruhen auf der Annahme, dass der medizinische Fortschritt in naher Zukunft ein deutlich längeres und gesünderes Leben ermöglicht
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und somit die genetischen Grundlagen für ein langes Leben in wachsendem Maße ausschöpft. Die entsprechende medizinische Technologie dafür sei vorhanden. Allerdings könne hier eine neue Form von sozialer Ungleichheit entstehen – nämlich zwischen jenen Menschen, die entsprechende Therapien bezahlen können, und solchen, die dazu nicht in der Lage sind.
Kommen wir aber nun wieder auf das vom Statistischen Bundesamt vorgelegte Szenario der Bevölkerungsentwicklung zurück. In diesem wird von einer bleibend niedrigen Geburtenrate – im Durchschnitt 1,4 Kinder pro Frau – ausgegangen. (Dabei ist zu berücksichtigen: Um die gegenwärtige Bevölkerungszahl zu halten, wären laut Bevölkerungsstatistik durchschnittlich 2,1 Kinder pro Frau notwendig.) Weiterhin werden zwei verschiedene Größen des jährlichen Zuwanderungsüberschusses (dieser ergibt sich aus der Differenz zwischen zuwandernden ausländischen Bürgern und Bürgerinnen einerseits und auswandernden deutschen Bürgern und Bürgerinnen andererseits) angenommen: einmal ein Überschuss von 100 000 Personen, das andere Mal ein Überschuss von 200 000 Personen. Laut Statistischem Bundesamt müssten jährlich über 3,4 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern, wollte man die gegenwärtige Relation von alten zu jungen Menschen konstant halten. Zentrale Aussagen in dem vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Szenario lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ende 2005 waren 19,3 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter, 60,8 % zwischen 20 und 65 Jahren, 20,0 % jünger als 20 Jahre. Im Jahre 2050 werden – unter der Bedingung eines Zuwanderungssaldos von 100 000 Personen – 33,3 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter, 51,7 % zwischen 20 und 65 Jahren, 15,1 % jünger als 20 Jahre sein. Unter der Bedingung eines Zuwanderungssaldos von 200 000 Personen werden 31,8 % 65 Jahre
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und älter, 52,8 % zwischen 20 und 65 Jahren, 15,4 % jünger als 20 Jahre sein. Die Gesamtbevölkerung wird sich – unter der Bedingung eines Zuwanderungssaldos von 100 000 Personen – von heute 82,4 Millionen auf 77,2 Millionen im Jahre 2030 und auf 68,7 Millionen im Jahre 2050 verringern, unter der Bedingung eines Zuwanderungssaldos von 200 000 Personen hingegen auf 79,7 Millionen im Jahre 2030 und auf 74,0 Millionen im Jahre 2050. Wenn diese Vorausberechnungen zutreffen, dann wird sich der Altersaufbau der Bevölkerung zwischen 1950 und 2050 bei einer nahezu identischen Bevölkerungszahl umgekehrt haben: Gab es 1950 mehr als doppelt so viele unter 20- als über 65-Jährige, so wird es im Jahre 2050 mehr als doppelt so viele über 65- als unter 20-Jährige geben. Die zentralen Aussagen des dargestellten Szenarios der Bevölkerungsentwicklung sind in Tabelle 2.1 noch einmal zusammengefasst (es handelt sich dabei um Variante 1 der Tabelle 2.1 Zentrale Aussagen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Altersgruppe 0–20 20–65 65 und älter insgesamt 0–20 20–65 65 und älter insgesamt bezogen auf 20- bis 65-Jährige
2010 2020 2050 Bevölkerung in Millionen 15,1 13,8 11,4 50,2 49,0 44,2 16,8 18,6 23,5 82,0 81,3 79,1 Altersstruktur in % 18,4 16,9 15,4 61,1 60,2 52,8 20,5 22,9 31,8 100,00 100,00 100,00 Altenquotient (Altersgrenze 65 Jahre +) 33,5 38,0 60,0
Nach Statistischem Bundesamt 2006.
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Bevölkerungsvorausberechnung mit einem jährlichen Zuwanderungssaldo von 200 000 Menschen). Stellen wir nun die – gerade für sozialpolitische Folgerungen bedeutsame – Frage, inwieweit sich die angenommenen Veränderungen im Bevölkerungsaufbau auf den Altenquotienten auswirken werden. Darüber gibt Tabelle 2.2 Aufschluss, in der die Entwicklung des Alten- wie auch des Gesamtquotienten im Zeitraum von 2000 bis 2040 beschrieben ist. Der Altenquotient lässt sich dabei deÀnieren als Anzahl der 65jährigen und älteren Menschen je 100 20- bis unter 65-jährigen Menschen, der Gesamtquotient hingegen als Anzahl der unter 20-jährigen sowie der 65-jährigen und älteren Menschen je 100 20- bis unter 65-jährigen Menschen. Warum, so ist hier zu fragen, wird für die Ermittlung des Alten- und Gesamtquotienten die Altersgruppe der 20- bis unter 65-Jährigen als Referenzgruppe gewählt? Als Grund dafür ist die Tatsache zu nennen, dass das 21. und 65. Lebensjahr in unserem Land jene Altersmargen bilden, die repräsentativ für den Berufseintritt und den Berufsaustritt sind. Im Falle einer Verschiebung dieser Altersmargen (zum Beispiel des gesetzlich deÀnierten Renteneintritts auf das Ende des 67. Lebensjahres) verschieben sich auch der Alten- und Gesamtquotient. Doch Tabelle 2.2 tienten.
Entwicklung des Altenquotienten und des Gesamtquo-
Prognosejahr 2000 2010 2020 2030 2040 2050
Altenquotient 27,5 32,6 36,6 47,3 53,1 54,5
Gesamtquotient 61,3 61,0 65,5 77,8 83,2 84,2
Abgeleitet aus der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung.
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Zukunft Altern
können diese Verschiebungen die Quotienten verringern, hingegen die Konsequenzen des tief greifend veränderten Bevölkerungsaufbaus nicht kompensieren. Es zeigt sich nämlich, dass sich im Zeitraum zwischen 2000 und 2050 der Altenquotient fast verdoppeln wird, woraus gefolgert werden kann: Die Anforderungen, die auf die erwerbstätige Bevölkerung hinsichtlich der sozialen Sicherung der noch nicht bzw. nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerung zukommen werden, werden in den kommenden fünf Jahrzehnten kontinuierlich ansteigen. Blicken wir nun noch auf die demograÀsche Entwicklung in der Gruppe der 80-Jährigen und Älteren. Dies tun wir, da im neunten und zehnten Lebensjahrzehnt das Risiko des Hilfe- und PÁegebedarfs erkennbar zunimmt. Von den heute 2,3 Millionen Frauen und Männern, bei denen PÁegebedarf besteht (Statistisches Bundesamt 2008), ist der mit Abstand größte Teil (78,4 %) 80 Jahre und älter. Tabelle 2.3 fasst das Szenario der Entwicklung in der 80jährigen und älteren Bevölkerung zusammen. Es zeigt sich, dass vor allem zwischen 2010 und 2020 sowie zwischen 2040 und 2050 ein starker Anstieg in der Anzahl der hochbetagten Menschen erwartet wird: Zwischen 2010 und 2020 wird sich dieser auf etwa 1,6 Millionen Menschen belaufen, zwischen 2040 und 2050 auf ungefähr 2 Millionen Menschen. Allerdings ist hinsichtlich der erwarteten Veränderungen im Umfang der Gesamtbevölkerung – und damit auch im Anteil der hochbetagten Menschen an der Gesamtbevölkerung – die Feststellung zu treffen, dass die vom Statistischen Bundesamt für die nächsten fünf Jahrzehnte angenommene Konstanz der Zuwanderungssalden (nämlich 200 000 im Jahr) sicherlich nicht den in diesen Jahrzehnten tatsächlich bestehenden Verhältnissen entsprechen wird. Es erscheint – auch mit Blick auf die heute geführte politische Diskussion – vielmehr ange-
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Tabelle 2.3 Zentrale Aussagen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 1) zur Entwicklung der 80-jährigen und älteren Bevölkerung. Gesamtbevölkerung in Millionen 2010 2020 2030 2040 2050
82,0 81,3 79,7 77,3 74,0
Anzahl 80-jähriger und älterer Menschen 4,3 5,9 6,3 8,0 10,0
Anteil 80-jähriger und älterer Menschen 5,2 % 7,3 % 7,9 % 10,3 % 13,5 %
Nach Statistischem Bundesamt 2006.
messen, von einem deutlichen Anstieg in den Zuwanderungssalden auszugehen. Auf der anderen Seite darf der Anstieg in den Zuwanderungssalden in seinem EinÁuss auf den Anteil der 80-jährigen und älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung auch nicht überschätzt werden. Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft Bei der Erörterung der Konsequenzen des demograÀschen Wandels für das Individuum und die Gesellschaft konzentrieren wir uns vor allem auf die Verantwortung. Überlegungen zum Alter in den Kontext von Verantwortung zu stellen, bedeutet aus unserer Sicht, die Frage zu stellen, was Menschen selbst in früheren und späteren Lebensjahren dafür tun können, um Kompetenz, Selbstständigkeit und Lebensqualität zu bewahren. Es sind selbstverständlich gesellschaftliche Vorleistungen (und zwar im Sinne der Daseinsvorsorge) notwendig, um den Menschen zur Selbstsorge zu befähigen, es ist jedoch genauso wichtig, dessen Verantwortung für das eigene Leben in
Das Alter in Verantwortungsbezüge stellen
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allen Phasen des Lebens zu betonen und an diese zu appellieren. In diesem Zusammenhang sind die Lern- und positiven Veränderungspotenziale des Menschen bis ins hohe Alter hervorzuheben, die für eine selbstverantwortliche Lebensgestaltung auch im letzten Drittel des Lebens sprechen. Individuelle Gesundheits- und Bildungsaktivitäten können für die Erhaltung von Gesundheit, Kompetenz und Selbstständigkeit wie auch von Lebensqualität nicht hoch genug bewertet werden. Ein aus gesellschaftlicher wie auch aus individueller Sicht gelingendes Alter ist zudem an die Mitverantwortung des Menschen gebunden, die wir verstehen als gesellschaftliche Teilhabe oder – in den Worten der Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt (1960) – als Zugang zum öffentlichen Raum wie auch als dessen aktive Mitgestaltung. Der öffentliche Raum beschreibt dabei jenen Raum, in dem sich Menschen (in ihrer Vielfalt) begegnen, sich in Worten und Handlungen austauschen, etwas gemeinsam beginnen – und dies im Vertrauen darauf, von den anderen Menschen in der eigenen Besonderheit erkannt und angenommen zu werden, sich aus der Hand geben, sich für einen Menschen oder eine Sache engagieren zu können. Dabei ist bei alten Menschen nicht selten die Sorge erkennbar, im Falle körperlicher Veränderungen (die natürlicherweise mit dem Alter einhergehen und in denen folglich das eigene Altern auch nach außen hin deutlich wird) und körperlicher Einschränkungen von anderen Menschen abgelehnt, in seiner Einzigartigkeit eben nicht mehr erkannt, sondern aufgrund seines Alters nicht mehr als ebenbürtig akzeptiert zu werden – was bedeutet, dass man sich mehr und mehr aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen fühlt und sich die Verwirklichung von Mitverantwortung nicht länger zutraut. In diesem Falle, so möchten wir her-
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vorheben, nimmt man dem Menschen auch das Politische – dieser fühlt sich nämlich nicht mehr länger als Teil von Gemeinschaft (oder Gesellschaft), die er durch sein eigenes Handeln mit gestalten, für die er Mitverantwortung empÀnden kann. In jenen Fällen, in denen ältere („nach außen hin alt oder krank erscheinende“) Menschen aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen werden (sei es, dass sie offen abgelehnt werden, oder sei es, dass sie auf verborgene Grenzen und Diskriminierungen stoßen), beraubt sich unsere Gesellschaft eines Teiles ihrer Vielfalt. Zudem schadet sie im Kern dem Gedanken der Demokratie. Mitverantwortliches Leben wird von den meisten älteren Menschen als eine Quelle subjektiv erlebter Zugehörigkeit wie auch von Sinnerleben, von positiven Gefühlen, von Lebensqualität verstanden. Nicht allein die soziale Integration ist für ältere Menschen bedeutsam, sondern das aktive Engagement für andere Menschen – und gerade in diesem liegt die Grundlage für Mitverantwortung oder soziale Teilhabe. Neben diesen beiden Verantwortungsbezügen wollen wir einen dritten nennen: nämlich die Verantwortung des Menschen vor der Schöpfung. Damit ist die Bereitschaft des Menschen angesprochen, sich für nachfolgende Generationen einzusetzen, diese durch Bereitstellung eigener Ressourcen – materieller, kognitiver, instrumenteller, emotionaler oder zeitlicher – in ihrer Entscheidung für die Zeugung neuen Lebens zu stärken und sie bei der Verbindung von familiären und beruÁichen Aufgaben zu unterstützen. Initiativen des Gesetzgebers zur Förderung des Engagements älterer Generationen für nachfolgende Generationen wollen wir an dieser Stelle ausdrücklich würdigen und unterstützen, denn ein derartiges Engagement ist zum einen für die nachfolgenden Generationen von hohem Wert, zum anderen stärkt es die Überzeugung
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älterer Menschen, ihren Beitrag zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu leisten. Ältere Menschen vermehrt in die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben einbinden Eine differenzierte Sicht auf das
Alter hat sich in unserer Gesellschaft noch nicht wirklich entfalten können. Auch eine intensivere Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit unsere Gesellschaft von den Kräften, von den Stärken des Alters proÀtieren könnte, wenn ältere Menschen die Möglichkeit erhielten und dazu motiviert würden, sich in der Arbeitswelt wie auch in sozialen, politischen und kulturellen Institutionen zu engagieren, ist erst in Ansätzen erkennbar. Doch schon allein der demograÀsche Wandel zwingt uns dazu, eine veränderte, und dies heißt vor allem eine sehr viel differenziertere Sicht auf das Alter zu entwickeln und dabei intensiv der Frage nachzugehen, wie ältere Menschen vermehrt in die Bewältigung von gesellschaftlichen Aufgaben einbezogen werden können. Wir verbinden zwar diese Thematik mit dem demograÀschen Wandel. Doch wäre es falsch, die Dringlichkeit der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen des Alters allein auf den demograÀschen Wandel zurückführen. Es Ànden sich so viele positive Beispiele für die Stärken und die Kräfte des Alters in unserer Gesellschaft, dass es angemessen erscheint, auch unabhängig vom demograÀschen Wandel der Frage nach dem Wesen des Alters nachzugehen: Diese Lebensphase scheint doch individuell und gesellschaftlich viel interessanter zu sein, als wir dies gemeinhin annehmen. Wenn sich diese Erkenntnis erst einmal durchsetzt, dann wird auch die gesellschaftliche, die kulturelle Reserviertheit gegenüber dem Alter abnehmen. Und wir betonen: Erst dann, wenn diese Reserviertheit abnimmt, werden sich ältere Menschen deutlich stärker motiviert fühlen, den öffentlichen Raum aktiv mit zu gestalten, Verantwortung für unsere Gesellschaft zu übernehmen. Würde dies hingegen
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nicht gelingen, würde also die gesellschaftliche, kulturelle Reserviertheit gegenüber dem Alter nicht wirklich zurückgehen und würden sich ältere Menschen nicht motiviert fühlen, Mitverantwortung für unsere Gesellschaft zu übernehmen – wir hätten langfristig vermutlich mit Problemen für unsere Demokratie zu rechnen, denn keine demokratische Gesellschaft kann es sich auf Dauer leisten, dass sich eine große Bevölkerungsgruppe vom gesellschaftlichen Engagement zurückzieht, dass sich diese nicht mehr für das Gelingen der Gesellschaft verantwortlich fühlt. Nun ist es nicht so, dass ältere Menschen kein gesellschaftliches Engagement zeigten, dass sie also erst für dieses gewonnen werden müssten. Schon heute beobachten wir innerhalb der Familie wie auch in unserer Gesellschaft ein eindrucksvolles Engagement älterer Frauen und Männer. Am 4. November 2008 würdigte Bundespräsident Horst Köhler 21 Personen mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland, die sich in besonderer Weise für das Miteinander der Generationen eingesetzt haben. Unter den Geehrten fanden sich alte und sehr alte Menschen, die mit ihrer Expertise und ihrem Wissen Institutionen und Organisationen in anderen Staaten unterstützen, die Schülerinnen und Schüler in ihren Lern- und Bildungsaktivitäten unterstützen, die jungen Menschen als Pate beim Einstieg in den Beruf dienen, die sich in der Begleitung und Unterstützung chronisch erkrankter und sterbender Menschen engagieren. Der Bundespräsident stellte in seiner Rede fest, dass das Engagement der Generationen – und hier eben auch der älteren Generation – von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Generationensolidarität wie auch für das gelingende gesellschaftliche Zusammenleben sei. In dieser Auffassung kann man unseres Erachtens dem Bundespräsidenten nur Recht geben und seine Initiative auch
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deswegen unterstützen, weil er mit dieser auf bestehendes Interesse am gesellschaftlichen Engagement hinweist und den beispielhaften Umgang mit gesamtgesellschaftlichem Humanvermögen in besonderer Weise verde utlicht. Ältere Menschen selbst können Veränderungen im Altersbild anstoßen Die von älteren Menschen erkannten und
genutzten Möglichkeiten zur Mitverantwortung in unserer Gesellschaft sind bedeutsam, weil sie dazu beitragen, das gesellschaftliche Bild des Alters grundlegend zu verändern: Indem sich ältere Menschen als interessierte, engagierte, kompetente und offene Menschen zeigen, widerlegen sie ein negativ akzentuiertes Altersbild und machen sie deutlich, dass Menschen trotz körperlicher Alternsprozesse durchaus zu einem produktiven und kreativen Leben fähig sind. Doch leisten sie mit diesem Engagement auch einen Beitrag zur Solidarität zwischen den Generationen, der deswegen so wichtig ist, weil er jüngeren Menschen vor Augen führt, dass ältere Menschen keinesfalls nur Nehmende, sondern auch Gebende sind. Für die Bereitschaft jüngerer Menschen, in die soziale Sicherung älterer Menschen zu investieren – und so den Dreigenerationenvertrag ausdrücklich zu bejahen –, ist dieser Beitrag zur Solidarität von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Kommen wir nun noch einmal auf die Selbstverantwortung und die Mitverantwortung älterer Menschen zurück und stellen die Frage nach jenen Anforderungen, die sich aus diesen beiden Verantwortungsbezügen für den einzelnen Menschen wie auch für die Gesellschaft ergeben. Zunächst ist hervorzuheben, dass kognitive, seelisch-geistige und kommunikative Kompetenzen alter und sehr alter Menschen empirisch sehr gut belegt sind (vgl. Teil B unseres Buches). Auch wenn wir im Alter körperliche und kognitive Verluste hinnehmen müssen, so gehen diese doch nicht so weit, dass kompetentes Handeln unmöglich wäre
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– vor allem Überblick, Wissen, Erfahrung und Motivationsgabe in der Kommunikation mit anderen Menschen sind potenzielle Stärken des Alters, die alternsassoziierte Verluste auszugleichen helfen. Es kommt hinzu, dass der größere Teil älterer Menschen über zufriedenstellende Ànanzielle Ressourcen verfügt – in keiner Altersgruppe sind die Armutsrisiken so gering wie in der Gruppe älterer Menschen. (Diese günstige Entwicklung wird sich – aktuellen Prognosen zufolge – jedoch in Zukunft nicht fortschreiben lassen. Es wird eine neue Armut im Alter befürchtet – und zwar vor allem als Ergebnis unterbrochener oder früh abgebrochener ErwerbsbiograÀen.) Wenn wir diese Stärken des Alters zusammennehmen, dann lässt sich durchaus die Forderung erheben, dass ältere Menschen deutlich stärkere Initiativen in der Selbstorganisation übernehmen, als dies bislang der Fall ist: Nennen möchten wir hier vor allem Bildungsinitiativen für Menschen in der nachberuÁichen Zeit, die von Kommunen eigentlich nur unterstützt, aber von älteren Menschen selbstverantwortlich angestoßen und verantwortet werden können. Damit würden Kommunen entlastet und in die Lage versetzt, die zur Verfügung stehenden Ressourcen für andere Sozial- und Kulturaufgaben zu nutzen. Aus unserer Sicht würde dieser Beitrag älterer Menschen zur Subsidiarität darüber hinaus positiv auf das Altersbild in unserer Gesellschaft zurückwirken. Von besonderem Wert sind dabei alle Formen der Selbstorganisation älterer Menschen, die ausdrücklich auch jüngeren Menschen zugute kommen – als Beispiel seien hier Nachhilfekurse genannt, die ältere Menschen für Schülerinnen und Schüler anbieten. Auch Patenschaften für Berufseinsteiger lassen sich anführen. In diesem Kontext ist ein weiterer Aspekt wichtig: die ausdrückliche Bereitschaft von Kommunen, Verbänden und Institutionen, das freiwillige Engagement älterer Menschen dann zu nutzen und zu fördern, wenn dieses Grund-
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lage für kompetentes, effektives Handeln bildet. An die Bereitstellung von Mitteln der öffentlichen Hand könnte durchaus die Bedingung geknüpft werden, vorher geprüft zu haben, inwieweit entsprechende Aufgabenbereiche durch freiwillige Aktivitäten älterer Menschen abgedeckt werden können – zu nennen sind hier zum Beispiel Besuchsdienste in Kliniken, PÁege- und Hospizeinrichtungen oder aber Betreuungsdienste in Kindergärten sowie Lernhilfen im schulischen und außerschulischen Bereich. Dabei geben wir ausdrücklich zu bedenken, dass in Repräsentativuntersuchungen mehr als ein Drittel der 70-jährigen und älteren Menschen betonen, dass sie sich gerne engagieren würden, aber keine Möglichkeiten zum Engagement fänden.
Entwicklung und Sicherung des Erwerbspersonenpotenzials unter den Bedingungen des demografischen Wandels Beschreibung der Situation und der Strategien auf dem Arbeitsmarkt Wenden wir uns nun einem speziÀschen Aspekt des demograÀschen Wandels zu – nämlich der Veränderung des Erwerbspersonenpotenzials. Die Folgen gesellschaftlichen Alterns für Wirtschaft und Industrie werden in Wissenschaft, Praxis und Politik als einer der zentralen Aspekte des demograÀschen Wandels gewertet. Im Zentrum steht dabei die folgende Frage: Kann die Bundesrepublik Deutschland ihre Produktivität und Innovationsfähigkeit in der Arbeitswelt auch unter der Bedingung alternder Belegschaft aufrechterhalten?
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Wir werden auch hier zunächst eine Beschreibung der Situation auf dem Arbeitsmarkt sowie der wichtigsten Strategien vornehmen, die von Unternehmen und Betrieben angesichts der Herausforderungen des demograÀschen Wandels entwickelt wurden. In einem weiteren Abschnitt interessieren uns wieder die Folgen des alternden Erwerbspersonenpotenzials für das Individuum, für Unternehmen und Betriebe sowie für die Gesellschaft. Das Altern der europäischen Erwerbsbevölkerung ist eine unumkehrbare Tatsache: Im Jahre 2015 wird erstmals in der Geschichte mehr als die Hälfte der Bevölkerung Europas älter als 40 Jahre sein, in Deutschland und Italien sogar 60 % der Einwohner. Die Zahl der 50- bis 65-Jährigen wird in den fünf größten Volkswirtschaften der EU um 16 % steigen und die Zahl der 20- bis 40-Jährigen um rund 10 % sinken. Bis 2050 wird sich der Anteil der Menschen über 65 verdoppelt haben und 30 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Der Anteil der Erwerbstätigen, die 55 Jahre oder älter sind, wird sich in der Bundesrepublik Deutschland von heute bis zum Jahr 2035 von etwa 12 % auf fast 25 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdoppeln. In Zukunft wird deren Beschäftigung die zentrale Maßnahme zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland bilden. Es liegen Szenarien vor, die annehmen, dass ab 2015 ein Mangel an qualiÀzierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland bestehen wird, wenn Initiativen zur vermehrten Nutzung dieser Ressourcen ausbleiben. Die Enquête-Kommission „DemograÀscher Wandel“ des Deutschen Bundestages hat in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahre 2002 hervorgehoben, dass sich der Anteil der 60bis 64-jährigen Menschen, die berufstätig sind, bis zum Jahre 2020 um mehr als 70 % erhöhen muss, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten bleibt. Dabei weisen allerdings
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schon heute einzelne Industriebranchen und das Handwerk Rekrutierungslücken auf. In der jüngsten Vergangenheit galt in den wenigsten Betrieben die Altersstruktur mit ihren dynamischen Effekten (zum Beispiel Nachfolgeplanung, Belastungswechsel) als ernst zu nehmendes Thema. Heute lässt sich hingegen konstatieren, dass Europas Unternehmen besser auf den demograÀschen Wandel vorbereitet sind, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war: Zum einen analysieren die Unternehmen sorgfältiger die zukünftigen Altersstrukturentwicklungen und mögliche Handlungsstrategien zum kreativen Umgang mit dieser Entwicklung, zum anderen zeigen sie eine wachsende Bereitschaft, über 50-Jährige einzustellen. Zu dieser Feststellung gelangt der vom Adecco Institute durchgeführte Demographic Fitness Survey, an dem 2 506 Unternehmen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien teilgenommen haben (Adecco Institute 2008). Der vom Adecco Institute entwickelte Demographic Fitness Index (DFX) wurde nach 2006 nun zum zweiten Mal ermittelt – Unternehmen können mit diesem Index feststellen, ob sie ausreichend auf den demograÀschen Wandel und seine Konsequenzen vorbereitet sind, und sich europaweit vergleichen. Der demograÀsche Fitness-Index prüft Unternehmen auf fünf Gebieten, die maßgeblich bestimmen, inwieweit diese in der Lage sind, den demograÀschen Wandel zu bewältigen: Karrieremanagement, lebenslanges Lernen, Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement, Altersvielfalt. Zur Berechnung des DFX werden die Antworten der befragten Firmen auf einer Skala von 100 bis 400 Punkten bewertet. Aus der Summe dieser Werte werden die Länderindices berechnet. Die Erhebung weist darauf hin, dass es für die Unternehmen noch viel zu tun gibt: Auf der Skala erreichen Europas Firmen im Durchschnitt 182 Punkte,
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mithin weniger als die Hälfte der möglichen Punktzahl. Beim Ländervergleich führen Deutschland und Großbritannien die Rangliste der besten Ergebnisse mit jeweils 186 Punkten an, gefolgt von Italien (182), Spanien (180) und Frankreich (174). Im Vergleich zum Vorjahr schneiden Deutschland und Frankreich besser ab. Der demograÀsche Fitness-Index gründet auf Aussagen zur Vorbereitung eines Unternehmens auf den demograÀschen Wandel in fünf Bereichen: • Laufbahnplanung (career management ), • Fort- und Weiterbildung (lifelong learning ), • Wissensmanagement (knowledge management ), • Gesundheitsmanagement (health management ), • Management der Verschiedenartigkeit von Kompetenzen und Interessen in der Belegschaft (diversity management ).
Seit dem Jahre 2000 lässt sich für die EU-15-Länder eine Zunahme der Erwerbsbevölkerung* in der Gesamtgruppe der 55bis 64-Jährigen nachweisen. Im Jahre 2000 waren nur 37,8 % dieser Altersgruppe erwerbstätig, im Jahre 2007 hingegen 46,6 % (Eurostat 2008). In der Bundesrepublik Deutschland gingen im Jahre 2000 nur 37,6 % dieser Altersgruppe einer Erwerbstätigkeit nach, während es im Jahre 2007 schon 51,5 % waren (Tabelle 2.4). In kaum einem anderen Land Àel der Anstieg der Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen so steil aus wie in Deutschland. Allerdings sollte man unserer Meinung nach die Hände nicht in den Schoß legen, denn in an* Zur Erwerbsbevölkerung werden in der Eurostatistik alle Frauen und Männer gezählt, die während der Referenzwoche irgendeine Tätigkeit gegen Entgelt oder Ertrag mindestens eine Stunde ausgeübt oder die nicht gearbeitet haben, weil sie vom Arbeitsplatz vorübergehend abwesend waren.
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Tabelle 2.4 Beschäftigungsquoten in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2000, 2005 und 2007 – dargestellt für die Gesamtgruppe der 55- bis 64-Jährigen sowie für Frauen und Männer. Jahr 2000 2005 2007
Gesamtgruppe 37,6 45,4 51,5
Frauen 29,0 37,5 43,6
Männer 46,4 53,5 59,7
Aus Eurostat 2008.
deren Ländern liegt die Beschäftigungsquote über 55 %, zum Teil sogar über 65 % (Tabelle 2.5). In dem Bemühen um eine nachhaltige Erhöhung der Beschäftigungsquote sollte also der Blick auch immer auf das Ausland gerichtet werden: Welche Anreizsysteme Ànden sich dort – zum Beispiel mit Blick auf eine lebenszyklusorientierte Personalpolitik? Hier sei auf die hervorgehobene Stellung der beruÁichen Weiterbildung über die gesamte Zeitspanne der Berufstätigkeit und auf die streng leistungsbezogene Entlohnung als Anreize hingewiesen, die bereits seit mehreren Jahren in den nordeuropäischen Staaten verwirklicht werden. Tabelle 2.5 Beschäftigungsquote im Jahre 2007 in der Gruppe der 55bis 64-Jährigen – dargestellt für acht europäische Staaten. Finnland Estland Schweden
55,0 60,0 70,0
Lettland Schweiz Island
57,7 67,2 84,7
Dänemark Norwegen
58,6 69,0
Aus Eurostat 2008.
OECD-Statement zu auch demograÀsch getriebenen Arbeitsmarktreformen Die OECD (2008) nimmt bei der Bewertung der Arbeitsmarktreformen in den verschiedenen Ländern ausdrücklich auf derartige Anreizsysteme Bezug, wenn sie feststellt:
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„Die in einer Reihe von OECD-Ländern durchgeführten Arbeitsmarktreformen haben die Erwerbsbeteiligung unterrepräsentierter Gruppen gefördert. Dazu gehörten die Umsetzung von ‚Aktivierungsmaßnahmen‘ und auf gegenseitigen VerpÁichtungen beruhenden Strategien im Sinne von ‚Fördern durch Fordern‘, bei denen wirksame Dienste zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt mit starken Anreizen für die Arbeitssuche kombiniert werden, Reformen des Steuer- und Transfersystems mit dem Ziel, die Steuerund Abgabenbelastung zu reduzieren und Arbeit lohnend zu machen, insbesondere für gering bezahlte Arbeitskräfte, und die Beseitigung von Negativanreizen für eine längere Erwerbstätigkeit in den Altenrentensystemen und die Abschaffung von Frühverrentungsmöglichkeiten. Für Frauen brachten diese Reformen zudem Áexible Arbeitszeitregelungen, angemessenen Erziehungsurlaub sowie qualitativ hochwertige und erschwingliche Kinderbetreuungsleistungen“ (OECD 2008 – Zusammenfassung, S. 3). Trotz dieser insgesamt positiven Bewertung hebt die OECD hervor, dass auch zukünftig ein „zentrales beschäftigungspolitisches Anliegen darin bestehen muss, potenzielle Arbeitskräfte aus am Arbeitsmarkt unterrepräsentierten Gruppen bei der Arbeitssuche zu unterstützen; in vielen Ländern sind die Beschäftigungsquoten von Frauen, Jugendlichen, älteren Menschen und Behinderten relativ niedrig“ (OECD 2008, Zusammenfassung, S. 3)
Die Bedeutung der Aussage der OECD wird durch die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials noch einmal unterstrichen. In der Bundesrepublik Deutschland wird sich bis zum Jahre 2030 eine tief greifende Veränderung im Erwerbspersonenpotenzial ergeben (Tabelle 2.6) – die Anzahl jüngerer Arbeitskräfte wird erkennbar zurückgehen, die Anzahl älterer Arbeitskräfte wird gleichzeitig deutlich zunehmen (müssen).
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Tabelle 2.6 Erwartete Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland bis zum Jahre 2030. Altersgruppe 45–59 Jahre 60–74 Jahre 30–44 Jahre
2005 13,9 2,0 17,1
2020 15,4 2,6 13,9
2030 12,6 2,9 13,1
Aus Institut zur Zukunft der Arbeit 2007, in Kruse 2009.
Dabei ist allerdings nach unserer Auffassung nicht allein die Entwicklung des gesamten Erwerbspersonenpotenzials bedeutsam, sondern auch und vor allem die Frage, welche Veränderungen sich zukünftig im Hinblick auf die nachgefragten QualiÀkationen ergeben werden. Hier sind zwei Szenarien von Interesse, die das Institut zur Zukunft der Arbeit (2007) veröffentlicht hat – eines zur Entwicklung des Bedarfs an Erwerbstätigen nach QualiÀkation (Abbildung 2.1), eines Kernerwerbstätige nach Qualifikation Deutschland, Veränderung 2010 bzw. 2020 ggü. 2003
ohne Berufsabschluss -798
-384
89
mit Berufsabschluss
-58 288
Meister/Techn./Fachsch.
542 484
Fachhochschule
1,176 387
Universität -900
885 -600
-300
0 600 300 in 1000 Personen
Veränderung 2003–2010
900
1,200
1,500
Veränderung 2003–2020
Abb. 2.1 Szenario 1 – Bedarf an Erwerbstätigen nach Qualifikation in den Jahren 2010 und 2020 (Institut zur Zukunft der Arbeit 2007).
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zur Entwicklung des Bedarfs an Erwerbstätigen nach Wirtschaftszweigen (Abbildung 2.2). Das erste Szenario: Zwischen 2003 und 2020 werden sich gravierende Veränderungen im Bedarf an Absolventen von Fachhochschul- und Universitätsstudiengängen ergeben – dabei wird der Bedarf an Fachhochschulabsolventen noch einmal sehr viel höher ausfallen als der Bedarf an Universitätsabsolventen. Zugleich wird der Bedarf an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss erkennbar zurückgehen. Das zweite Szenario: In den verschiedenen Wirtschaftszweigen werden sehr unterschiedliche Entwicklungen erwartet. Der Reduzierung des Bedarfs im verarbeitenden Gewerbe
Kernerwerbstätige nach Wirtschaftszweigen -209 -312
Landwirtschaft/Fischerei
-76 -89
Bergbau verarbeitendes Gewerbe
-918
-690
Energie & Wasserversorg.
-26 -37
Baugewerbe
-28 -87 436
Handel/Gastgew./Verkehr
1,055
-157 -218
öffentliche Verwaltung
1,003
öffentl./priv. Dienstl. -1,500
707
609
Finanzierung/Unt.-dienste
-1,000
-500
0
500
1,000
1,645
1,500
2,000
in 1000 Personen Veränderung 2003–2010
Veränderung 2003–2020
Abb. 2.2 Szenario 2 – Bedarf an Erwerbstätigen nach Wirtschaftszweigen in den Jahren 2010 und 2020 (Institut zur Zukunft der Arbeit 2007).
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steht ein erheblicher Anstieg des Bedarfs in den verschiedenen Dienstleistungssegmenten gegenüber. Vor dem Hintergrund des demograÀschen Wandels, der sich vor allem in der Schrumpfung wie auch in der Alterung der Bevölkerung widerspiegelt, wird argumentiert, dass die heute bestehenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt – unter anderem eine Arbeitslosenquote von 7,7 % (Stand: Juli 2008), in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen von 12,4 % (Stand: Dezember 2007), und eine Teilzeitarbeitsplatzquote von 22 % aller Beschäftigten – in den kommenden Jahren automatisch zurückgehen werden. Diese Argumentation scheint Unternehmen und Betriebe von der Aufgabe zu befreien, notwendige Personalentwicklungsmaßnahmen zu entwerfen und einzuleiten, die auf die Sicherung einer ausreichend qualiÀzierten Belegschaft gerichtet sind. Dass diese Argumentation aufgrund ihrer Vereinfachung hoch problematisch und zudem mit Risiken verbunden ist, verdeutlicht die folgende Aussage: „Oft wird behauptet, dass die Bevölkerungsalterung die derzeitige Massenarbeitslosigkeit automatisch abbauen wird, da Erwerbstätige relativ zur Bevölkerung knapp werden. Diese Behauptung ist nur in ihrer Tendenz korrekt, übersieht jedoch eine mögliche Diskrepanz (‚Mismatch‘) zwischen dem Arbeitskräftebedarf und den vorhandenen QualiÀkationen. Es ist damit zu rechnen, dass sich die zu erwartende zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem höher qualiÀzierten Segment des Arbeitsmarktes abspielt, während hingegen auf dem gering qualiÀzierten Segment die Nachfrage stagniert oder weiter abnimmt“ (Börsch-Supan 2006, S. 113).
Mit anderen Worten: Im Hinblick auf die Sicherung eines ausreichend qualiÀzierten, Áexiblen und produktiven Er-
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werbspersonenpotenzials sind Personalentwicklungsmaßnahmen von allergrößter Bedeutung. Ein Schwerpunkt ist dabei vor allem auf die Förderung und Erhaltung von Flexibilität zu legen, die sich in der Fähigkeit ausdrückt, einen Arbeitsplatz zu wechseln und neue beruÁiche Anforderungen zu meistern. „Die Strukturveränderungen einer alternden Volkswirtschaft verlangen daher eine erhöhte sektorale Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Diesen erhöhten Mobilitätsanforderungen steht entgegen, dass ältere Arbeitnehmer tendenziell eher in angestammten Berufen verbleiben möchten als jüngere“ (BörschSupan 2006, S. 114).
Persönlicher Blick auf das Alter Wie gehe ich mit dem Wettlauf um jugendliche Dynamik am Arbeitsplatz um? Andreas Kruse: Die finde ich aufregend, ohne diese könnte ich nicht sein. Und die erlebe ich in keiner Weise als Bedrohung, sondern nur als Gewinn. Aber ich hab hier gut reden: In meiner Position brauche ich Konkurrenz nicht zu fürchten und ich tue dies auch nicht. Die Arbeit mit jungen Menschen erlebe ich als einen großen Gewinn. Hans-Werner Wahl: Das fortwährende Arbeiten und Sichaustauschen mit jungen Menschen im Rahmen meines Berufs als Professor erlebe ich als eine überaus große Bereicherung meines Lebens ganz generell. Dafür bin ich sehr dankbar. Einen eigenen Anspruch in Richtung „jugendliche Dynamik“ oder „jugendliche Umtriebigkeit“ habe ich selbst nie empfunden und nie vermisst. Das kollegiale und partnerschaftliche Moment ist mir mit meinen Kolleginnen und Kollegen, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wichtiger gewesen als jegliche Konkurrenz oder irgendwelche Stratifizierungen nach Alter. Dass mir das bislang halbwegs gelungen ist, darauf bin ich auch ein wenig stolz.
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Konsequenzen für Individuum, Unternehmen Betriebe und Gesellschaft Wenden wir uns nun der Frage zu: Welche Anforderungen stellen sich im Hinblick auf die Erhaltung und Förderung der beruÁichen Leistungsfähigkeit künftiger älterer Beschäftigter für das Individuum, für Unternehmen und Betriebe, für die Gesellschaft? Wir diskutieren im Folgenden fünf Anforderungen, die uns als besonders wichtig erscheinen: 1. sich auf Veränderungen in der Altersstruktur der Belegschaft einstellen, 2. Flexibilität fördern, 3. sich an Entwicklungsaufgaben in verschiedenen Lebensphasen orientieren, 4. gesundheitsförderliche Organisation schaffen, 5. kontinuierliche Weiterbildung sicherstellen. Sich auf Veränderungen in der Altersstruktur der Belegschaft einstellen Eine erste Aufgabe ist darin zu sehen, dass Unter-
nehmen und Betriebe eine deutlich höhere Sensibilität für den demograÀschen Wandel und die mit diesem verbundene Alterung der Belegschaften entwickeln, dass sie sich reÁektiert und verantwortlich mit Erkenntnissen der Alternsforschung auseinandersetzen, die Entwicklungsmöglichkeiten älterer Beschäftigter wie auch deren kognitive, verhaltensbezogene und psychische Plastizität aufzeigen und dass sie die Förderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die gesamte Zeitspanne ihrer Berufstätigkeit als eine strategische Aufgabe begreifen. Der Blick in das Ausland gibt hier wichtige Anregungen hinsichtlich der Entwicklung entsprechender Planungsstrategien. Doch sind gerade in den letzten Jahren auch in Deutschland vermehrt Tendenzen erkennbar, sich auf das
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Altern der Belegschaften und auf wachsende Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Nachwuchskräften einzustellen. Dies zeigen Befunde einer vom Institut der deutschen Wirtschaft und dem Adecco Institut ausgerichteten Studie, in der Unternehmen und Betriebe in acht europäischen Ländern angeben sollten, inwieweit sie bereits heute die Folgen des demograÀschen Wandels für den Arbeitsmarkt antizipieren und sich systematisch auf diese vorbereiten. In Tabelle 2.7 ist sowohl für alle acht Länder als auch gesondert für die Bundesrepublik Deutschland angegeben, wie hoch der Anteil jener Unternehmen und Betriebe ist, die die in der Tabelle genannten, speziÀschen Maßnahmen bereits umgesetzt haben. Dabei zeigt sich, dass die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den anderen sieben Ländern eine führende Tabelle 2.7 Prozentsatz der Unternehmen mit bereits umgesetzten Maßnahmen von demografischer Bedeutung (gesondert aufgeführt für die teilnehmenden europäischen Länder insgesamt und für Deutschland). spezifische Maßnahme arbeitsplatzbezogene Schulungen leistungsorientiertes Entlohnungssystem altersgemischte Arbeitsgruppen regelmäßige Gesundheitschecks Kooperation mit Hochschulen gesunde Verpflegung Verzeichnis der Wissensträger im Unternehmen runder Tisch von jüngeren und älteren Mitarbeitern Mentorenprogramme Sensibilisierungsworkshops für Führungskräfte
Europa 84 65 47 63 53 28 28
Deutschland 81 78 66 60 46 36 24
28
19
34 15
18 9
Aus Institut der deutschen Wirtschaft und Adecco Institut 2006.
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Position im Hinblick auf die Entwicklung von Planungsstrategien zur Bewältigung der Folgen des demograÀschen Wandels einnimmt. Wir machen darauf aufmerksam, dass die zehn genannten Maßnahmen als Kategoriensystem zu verstehen sind, das den Unternehmen und Betrieben wertvolle Anregungen geben kann, Strategien zur Schaffung einer demograÀesensiblen Unternehmenskultur zu entwickeln. In einem Überblick über zentrale DemograÀetools stellt Michael Hüther (ausführliche Darstellung in Kruse 2009) zunächst die Familie in den Vordergrund, wenn er feststellt, dass die Familie als Brennpunkt aller wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen unmittelbar zwei wachstumsfördernde Merkmale bestimme: die Quantität und Qualität der Erwerbstätigen. Damit deutet er an, dass familienfreundliche Beschäftigungsstrukturen auch unter dem Gesichtspunkt der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit, mithin der Produktivität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sehen sind. Darüber hinaus akzentuiert er die große Bedeutung von Bildung, wenn er als weitere DemograÀetools aufführt: Integration von Bildungsausländern, efÀzientere Nutzung von Bildungszeiten (vor allem durch Ganztagsschulen und durch Abitur nach zwölf Jahren), frühere Einschulung, Verringerung von Klassenwiederholungen, Verkürzung von Studienzeiten, Stärkung materieller Anreize. Schließlich fordert er von den Unternehmen und Betrieben die Entwicklung langfristiger, zum Teil generationenübergreifender Perspektiven. Zu diesen zählt er die Sicherung der Gleichwertigkeit von Chancen der Generationen, die Nutzung von Indikatoren für die Nachhaltigkeit von menschlichen Ressourcen, die Sicherung der Generationenbalance bei der Schaffung von attraktiven Arbeitswelten, ertragsoptimieren-
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Was wir von Finnland lernen können … In dem – im Jahre 2006 mit dem Carl-Bertelsmann-Preis ausgezeichneten – Ànnischen System einer vorausschauenden QualiÀzierung künftiger Kohorten älterer Beschäftigter (Überblick in Initiative Neue Qualität der Arbeit 2005) wird bei der Problemanalyse wie auch bei der Problembewältigung zwischen drei Ebenen differenziert: 1) Individuum, 2) Unternehmen, 3) Gesellschaft. Nachfolgend sind – differenziert für diese drei Ebenen – die im Ànnischen Modell entwickelten Lösungen und Methoden aufgeführt. Lösungen/Methoden auf der Ebene des Individuums 1. Stärkung von physischen, psychischen und sozialen Ressourcen, 2. Förderung der Gesundheit, 3. Erhöhung der beruÁichen Kompetenz, 4. Bewältigung von Veränderungen, 5. Partizipation. Lösungen/Methoden auf der Ebene des Unternehmens 1. Altersmanagement, 2. individuelle Lösungen, 3. altersgemischte Teams, 4. Altersergonomie, 5. Arbeitspausen, 6. Áexible Arbeitszeitvereinbarungen, 7. Teilzeitarbeit, 8. maßgeschneiderte Weiterbildung. Lösungen/Methoden auf der Ebene der Gesellschaft 1. Veränderung der Einstellungen zum Alter, 2. Vermeidung von Altersdiskriminierung, 3. Entwicklung der Gesetzgebung zur Beschäftigung, 4. Entwicklung der Rentensicherheit, 5. Entwicklung der Rentensysteme, 6. Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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de Abstimmungen zwischen Prozessen und Fähigkeiten aller Generationen, die Schaffung vielfältiger und altersgerechter Arbeitszeitkulturen, die Förderung von Gesundheit und Interesse im Arbeitsprozess, die Sicherstellung der Gültigkeit von Grundprinzipien des Unternehmens für alle. Flexibilität fördern Mit dem Begriff der „Flexicurity“ wird im internationalen Kontext ein Konzept umschrieben, das die Steigerung der Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und zugleich die Erhöhung der Sicherheit von Arbeitnehmern beim Übergang zwischen Arbeitsplätzen anstrebt. Eine von der Europäischen Kommission (2007) in Auftrag gegebene Befragung von Unternehmen und Betrieben zur Umsetzung dieses Konzepts macht deutlich: Flexibilität in der Arbeitswelt wird übereinstimmend als zentrale Beschäftigungsstrategie gewertet. Einige Ergebnisse seien hier stellvertretend aufgeführt. Zunächst zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Unternehmen und Betriebe zwischen Flexibilität und Sicherheit keinen Gegensatz sehen, sondern Möglichkeiten ihrer Verbindung erkennen.
Studie der Europäischen Kommission (2007): Ausgewählte Ergebnisse Es ist möglich, Flexibilität und Sicherheit gleichzeitig zu steigern. Mehr Sicherheit für Arbeitnehmer wird immer zu Lasten der Flexibilität für die Unternehmen gehen. Mehr Flexibilität wird immer zu Lasten der Sicherheit der Arbeitnehmer gehen. Weiß nicht
57,6 % 25,9 % 10,8 % 5,7 %
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Ist die Förderung der ArbeitnehmerÁexibilität – aus Sicht der Unternehmen und Betriebe – eigentlich eine wichtige Strategie zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit? Aus Sicht der Wissenschaft müsste diese Frage eigentlich eindeutig mit Ja beantwortet werden, denn Produktivität und Kreativität über die gesamte Zeit der Berufstätigkeit werden in dem Maße gefördert, in dem sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Flexibilität gefordert sehen. Die von Wissenschaftlern hervorgehobenen Potenziale der Arbeitsplatzrotation mit Blick auf die Entwicklung und Erhaltung von Produktivität und Kreativität über die gesamte Zeit der Berufstätigkeit werden in der Berufs- und Arbeitswelt nur in Teilen erkannt und umgesetzt. Dies zeigen die beiden nachfolgend genannten Ergebnisse: Im Folgenden führen wir Ergebnisse einer Befragung von Flüter-Hoffmann an, die im Auftrag des Deutschen Industrieund Handelstags im Jahre 2004 durchgeführt wurde und in der mehr als 20 000 Unternehmen und Betriebe in Deutschland ihre Praxis mit Áexiblen Arbeitszeiten beschreiben sollten (ausführliche Darstellung in Kruse 2009). In der Stichprobe waren dabei die folgenden Wirtschaftsbereiche vertreten: In-
Studie der Europäischen Kommission (2007): Ausgewählte Ergebnisse Die Arbeitsplatzrotation ist ein nützliches Fortbildungsinstrument Auf jeden Fall 19,6 % Eher ja 42,1 % Unentschieden 24,4 % Eher nicht 11,1 % Auf keinen Fall 2,8 %
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dustrie (35 %), Dienstleistungen (33 %), Handel (25 %) und Bauwirtschaft (7 %). Zwei Drittel aller Unternehmen praktizieren Áexible Arbeitszeiten, ein Drittel aller Unternehmen hat bereits Jahresarbeitszeitkonten eingeführt, nur 3 % Lebensarbeitszeitkonten. Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen gibt es noch unerschlossene Potenziale für eine Flexibilisierung. Sich an Entwicklungsaufgaben in verschiedenen Lebensphasen orientieren Ein bedeutender lebenslaufpsychologischer
Ansatz von Entwicklung differenziert zwischen Lebensphasen auf der Grundlage von Entwicklungsaufgaben, die sich dem Menschen in den verschiedenen Lebensaltern stellen. Die Entwicklungsaufgaben haben diesem Verständnis nach drei Wurzeln: a) die physiologisch-biologische Entwicklung, b) die kulturellen Werte und Normen, c) die individuellen Erwartungen und Wertvorstellungen. Dieses Konzept von Entwicklung wurde von uns ausgewählt, weil es mit einem in der Praxis erarbeiteten Konzept beruÁicher Förderung korrespondiert, das sich gleichfalls an den Entwicklungsaufgaben in den verschiedenen Lebensaltern orientiert und dabei in deren Berücksichtigung bei der Personalentwicklung ein entscheidendes Instrument zur Erhaltung und Förderung von Produktivität erkennt (ausführliche Darstellung dieses Konzepts der Deka-Bank in Kruse 2009). Das Konzept differenziert zwischen fünf Merkmalen, die zur Charakterisierung der einzelnen Lebensphasen herangezogen werden: • biologischer Leistungsfähigkeit, • kognitiver Leistungsfähigkeit, • Bildungsschwerpunkt, • beruÁichen Zielen/Orientierung, • privaten Interessen/Orientierung.
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Die aus der Perspektive beruÁicher Orientierung differenzierten sechs Lebensphasen werden dabei wie folgt umschrieben (die Altersangaben sind immer nur als ungefähre Angaben zu deuten): • Phase vor beruÁichem Antritt (15–29 Jahre; auch nachfolgende Phase), Phase der beruÁichen Einführung (15–29 Jahre; auch vor• angegangene Phase), • Phase des Wachstums (30–39 Jahre), • Phase der Reife (40–49 Jahre), • Phase der Sättigung (50–59 Jahre), • Phase des Berufsaustritts (ab 60 Jahre). Den sechs differenzierten Lebensphasen wird jeweils ein Bildungsschwerpunkt zugeordnet: Phase 1: Schulbildung, Allgemeinbildung, Phase 2: beginnende Spezialisierung, Ausbildung, Studium, Phase 3: höchster Bildungsstand in Theorie und Praxis, Phase 4: hohes organisatorisches, informelles Wissen, Phase 5: Methoden der Wissensweitergabe (Lehr-, Beratertätigkeit), Phase 6: Anleitung für die neue Zeitgestaltung. Schließlich erfolgt eine Zuordnung von Handlungsfeldern des Unternehmens zu diesen sechs Lebensphasen: Phase 1: Rekrutierung und Retention-Management, Phase 2: Anpassung der Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Lebensphasen, Phase 3: Wissenstransfer zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern, Phase 4: QualiÀzierung in den verschiedenen Lebensphasen,
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Phase 5: Phase 6:
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Sensibilisierung der Führungskräfte, Unterstützung beim Berufsaustritt (vor allem speziÀsche QualiÀzierung).
Ein derartiges Personalentwicklungskonzept zeichnet sich auch deswegen durch ein hohes Nachhaltigkeitspotenzial aus, da es bei der Arbeitszeit- und Weiterbildungsplanung die sich wandelnden Entwicklungsperspektiven und -aufgaben der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters berücksichtigt und damit eine zentrale Bedingung für Arbeitszufriedenheit, Sinnerleben und Produktivität erfüllt. Gesundheitsförderliche Organisation schaffen Neben Weiterbildungsangeboten wird betrieblichen Gesundheitsangeboten große Bedeutung für die Erhaltung der beruÁichen Leistungsfähigkeit beigemessen. Dies zeigt eine von der Bertelsmann Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung (2004) herausgegebene Schrift mit dem Titel Zukunftsfähige betriebliche Gesundheitspolitik. Den Ausgangspunkt bildet folgende Aussage: „Die Vision betrieblicher Gesundheitspolitik ist gesunde Arbeit in gesunden Organisationen. Gesunde Organisationen fördern beides: WohlbeÀnden und Produktivität ihrer Mitglieder“ (2004, S. 21).
Das Leitbild lautet: „Gesundheitliche Probleme müssen an ihrer Quelle bekämpft werden. Der Arbeitswelt kommt dabei – auch wegen ihrer Rückwirkung auf Privatleben und Freizeit – herausragende Bedeutung zu. Das Hauptgewicht sollte bei der Verhütung gesundheitlicher Probleme liegen und nicht bei ihrer nachgehenden Bewältigung. Gesundheitsförderung und Prävention müssen dabei als Führungsaufgabe wahrgenommen und nicht
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nur von nachgeordneten Fachabteilungen bearbeitet werden. Betriebe, die so verfahren, fördern die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit“ (2004, S. 21).
Es werden ferner Merkmale gesunder Organisationen genannt (2004, S. 19): 1. Eine sinnstiftende Betätigung ist stark verbreitet. 2. Soziale Kompetenz ist stark ausgeprägt und verbreitet. 3. Stabilität und Funktionsfähigkeit primärer Beziehungen (Familie, Arbeitsgruppe etc.) sind stark ausgeprägt und verbreitet. 4. Der Umfang sozialer Kontakte jenseits primärer Beziehungen ist groß. 5. Gegenseitiges Vertrauen und Zusammenhalt unter Mitgliedern (Klima) sind groß. 6. Das Ausmaß der persönlichen Beteiligung an der systemischen Willensbildung wie auch an der EntscheidungsÀndung (Partizipation) ist hoch. 7. Das Vertrauen in Führung ist groß. 8. Die IdentiÀkation der Mitglieder mit den übergeordneten Zielen und Regeln ihres sozialen Systems (Wir-Gefühl, Commitment) ist stark ausgeprägt. 9. Der Vorrat an gemeinsamen Überzeugungen, Werten, Regeln („Kultur“) ist groß. 10. Das Ausmaß sozialer Ungleichheit (Bildung, Status, Einkommen) ist moderat. Die hier genannten Merkmale gesunder Organisationen können als Rahmenbedingungen einer Personalstrategie verstanden werden, die auf die Förderung der Beschäftigten über die gesamte Zeitspanne der Berufstätigkeit zielt. Zum Beispiel ist unter diesen Bedingungen die Verwirklichung der Forde-
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rung nach altersgemischten Teams oder nach der Schaffung von Mentor-Mentee-Verhältnissen möglich. Zudem spiegelt sich in diesen Bedingungen eine Unternehmenseinstellung wider, die Werte, Kompetenzen und Interessen der Beschäftigten ernst nimmt und dabei die Entwicklungsaufgaben in den verschiedenen Lebensphasen ausdrücklich berücksichtigt. Gerade unter solchen Bedingungen entwickelt sich Loyalität gegenüber dem Unternehmen. Die hier genannten Merkmale gesunder Organisationen legen in besonderer Weise nahe, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür zu gewinnen, ihre sozialen und psychologischen Kompetenzen einzusetzen, um die Kommunikation zwischen den Beschäftigten wie auch das Klima innerhalb des Unternehmens bzw. Betriebs zu fördern. Kontinuierliche Weiterbildung sicherstellen Bildung stellt die zentrale Komponente einer lebenszyklusorientierten Personalpolitik dar. Dabei kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden, dass sich die Forderung nach einer Intensivierung von Bildungsaktivitäten nicht allein auf die Phase der Berufstätigkeit bezieht: Vielmehr trägt bereits die schulische Bildung in hohem Maße zur Beschäftigungsfähigkeit wie auch zur Förderung von Produktivität und Kreativität bei. Zunächst soll hier wenigstens in Kürze ein Bildungsbegriff diskutiert werden, der die Notwendigkeit der lebenslangen Bildung für die Entwicklung und Erhaltung von Kompetenzen in den verschiedenen Lebensbereichen – und hier eben auch im Beruf – akzentuiert. Zudem ist es wichtig, zwischen formalem, nonformalem und informellem Lernen zu unterscheiden, denn alle drei Lernformen besitzen großes Gewicht für die Bildung im beruÁichen Kontext. Bildung beschreibt den Prozess der Aneignung und Erweiterung von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen und Wissenssystemen sowie das Ergebnis dieses Prozesses. Kon-
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krete Bildungsinhalte spiegeln allgemeine kulturelle Werthaltungen und gesellschaftliche Präferenzen ebenso wider wie aus dem sozialen und wirtschaftlichen Wandel hervorgehende fachliche Inhalte. Dabei kann man zwischen formalem, nonformalem und informellem Lernen unterscheiden. Formales Lernen ist hierbei typischerweise an institutionelle Kontexte gebunden und auf der Grundlage von Lernzielen, Dauer, Inhalt, Methode und Beurteilung strukturiert und wird nicht selten in Form von Zeugnissen oder ZertiÀkaten dokumentiert. Nonformales ist ebenso wie formales Lernen intendiertes Lernen, unterscheidet sich aber in der Lernform. Es ist nicht auf der Grundlage von Lernzielen, Inhalten, Methoden etc. strukturiert, sondern beruht auf Erfahrungslernen vor allem im Kontext von Arbeit. Typische Formen des nonformalen Lernens sind Praktika, Lernen am Arbeitsplatz oder Jobrotation – dabei sind diese Formen des Lernens in allen Phasen der Berufstätigkeit wichtig; sie sind in ihrer Bedeutung für Flexibilität und Plastizität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu unterschätzen. In dem intendierten Lernerfolg des nonformalen Lernens liegt der Unterschied zum informellen Lernen, das sich ebenfalls auf Lernprozesse in Alltagssituationen außerhalb von klassischen Bildungsinstitutionen in allen Lebensbereichen bezieht. Ein gutes Beispiel für informelles Lernen ist der Austausch von Erfahrungen in sozialen Interaktionen, wie er natürlicher Bestandteil gleichberechtigter Kommunikation über Alltag und Lebenswelt ist. In Abbildung 2.3 führen wir Ergebnisse zur Beteiligung Erwerbstätiger am informellen Lernen in den Jahren 2003 und 2007 an. Diese Ergebnisse zeigen die hervorgehobene Stellung des informellen beruÁichen Lernens; gleichzeitig machen sie deut-
2007
Lernen durch Beobachten, Ausprobieren 49 38 43 Lesen berufsbezogener Fachliteratur 35 27 Unterweisung, Anlernen am Arbeitsplatz durch Kollegen 25 27 Unterweisung, Anlernen am Arbeitsplatz durch Vorgesetzte 22 21 berufsbezogener Besuch von Fachmessen/Kongressen 17 16 Unterweisung, Anlernen durch außerbetriebliche Personen 13 14 betrieblich organisierte Fachbesuche in anderen Abteilungen 10 15 computergestützte Selbstlernprogramme usw. 8 11 Qualitäts-, Werkstattzirkel, Beteiligungsgruppe 8 13 Lernangebote u.Ä. im Internet am Arbeitsplatz 7 10 Supervision am Arbeitsplatz oder Coaching 6 6 systematischer Arbeitsplatzwechsel (z.B. Jobrotation) 4 4 Austauschprogramme mit anderen Firmen 3 68 Beteiligung an informellem Lernen insgesamt 61 0
2003
10
20
30 in %
40
50
60
70
66 Zukunft Altern
Abb. 2.3 Beteiligung Erwerbstätiger am informellen beruflichen Lernen 2003 und 2007 nach Lernformen (in %). Repräsentativerhebung für die Bundesrepublik Deutschland (aus von Rosenbladt & Bilger 2008).
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lich, dass diese Lernform im genannten Zeitraum von vier Jahren in ihrer Bedeutung noch einmal zugenommen hat. Die Gesamtbewertung der Weiterbildungsbeteiligung, die in diesem Bericht vorgenommen wird, hebt einerseits positive Entwicklungen hinsichtlich der Bildungspartizipation in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hervor, weist aber andererseits auch auf das Fortbestehen sozialer Ungleichheit im Hinblick auf die Bildungspartizipation hin (von Rosenbladt & Bilger 2008). So heißt es: „In den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten ist das Bildungsgefälle in der Weiterbildungsbeteiligung grundsätzlich unverändert geblieben, hat sich in der Tendenz aber eher abgeschwächt. Die Teilnahmequote an Weiterbildung gesamt ist in allen drei Bildungsgruppen angestiegen. Stellt man die Zahlen des Berichtssystems Weiterbildung 1979 und des Berichtssystems Weiterbildung 2007 nebeneinander, so zeigt sich ein Anstieg der Teilnahmequoten – in der Bevölkerung mit niedrigem Bildungsniveau von 16 % auf 30 %, – in der Bevölkerung mit mittlerem Bildungsniveau von 29 % auf 46 %, – in der Bevölkerung mit höherem Bildungsniveau von 43 % auf 58 %“ (2008, S. 62).
Im 2. Nationalen Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008) wird dargelegt, dass die bis zum Jahr 2004 beobachteten rückläuÀgen Teilnehmerquoten an allgemeiner und beruÁicher Weiterbildung bis 2007 zum Stillstand gekommen sind. In den ostdeutschen Ländern lässt sich für die allgemeine Weiterbildung zwischen 2003 und 2007 ein Anstieg um fünf Prozentpunkte verzeichnen; auch in der beruÁichen Weiterbildung wird die Teilnahmequote des Jahres 2003
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um drei Prozentpunkte übertroffen. Hingegen sind in Westdeutschland kaum Veränderungen erkennbar. Die Teilnahme der Gruppe mit Abitur ist doppelt so hoch wie die Teilnahme der Gruppe mit niedriger Schulbildung. Nach beruÁichem Bildungsabschluss zeigt sich eine noch schärfere Polarisierung zwischen der höchsten und der niedrigsten Ausbildungsstufe. Bei der beruÁichen Weiterbildung nehmen Personen mit Hochschulabschluss seit Jahren mindestens viermal so häuÀg an Weiterbildungen teil wie solche ohne Berufsausbildung. – Mit anderen Worten: Der Abbau der sozialen Ungleichheit in der Bildungspartizipation stellt auch in den kommenden Jahren die Herausforderung unseres Bildungssystems dar – dies in allen Segmenten der Bildung. Die Zusammenhänge zwischen Bildung auf der einen Seite und Teilhabe an beruÁicher Entwicklung auf der anderen Seite können unserer Auffassung nach nicht deutlich genug betont werden.
Die finanzielle und wirtschaftliche Situation älterer Menschen Mit dem demograÀschen Wandel ist in der öffentlichen Diskussion häuÀg eine zentrale Frage verknüpft: Werden die Renten sicher sein, werden ältere Menschen in Zukunft über ausreichende Ànanzielle Mittel verfügen, um auch ein in dieser Hinsicht unabhängiges Leben führen zu können? Die Beantwortung dieser Frage macht eine Vorbemerkung notwendig: Gerade im Hinblick auf die Ànanziellen Ressourcen ist es sehr schwierig, von der Lebenssituation der heutigen älteren Generationen auf jene der künftigen älteren Generationen zu schließen. Denn: Die älteren Menschen heute verfügen im Durchschnitt über vergleichsweise recht hohe Ressourcen;
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wenn hier von „vergleichsweise“ gesprochen wird, so ist damit der Vergleich zu jüngeren und mittleren Altersgruppen gemeint. Doch in Zukunft kann und wird sich dies vermutlich ändern: Es muss damit gerechnet werden, dass in den künftigen älteren Generationen eine deutlich höhere Ungleichheit im Hinblick auf die verfügbaren Ànanziellen Ressourcen bestehen wird und Armutsrisiken – die ja heute relativ gering sind – wieder zunehmen werden. Gerade im Hinblick auf die Ànanzielle – oder umfassender: die materielle – Situation werden wir eine erhebliche Veränderung in den Lebensbedingungen älterer Menschen zu erwarten haben. Zu diesen Veränderungen trägt nicht nur der demograÀsche Wandel mit seinen Konsequenzen für die Belastbarkeit der sozialen Sicherungssysteme bei. Auch die Tatsache, dass nun nach und nach Menschen in das Rentenalter eintreten, die in ihrer ErwerbsbiograÀe von struktureller (und eben nicht nur konjunktureller) Arbeitslosigkeit betroffen waren und bei denen sich aus diesem Grunde lange Phasen einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit eingestellt haben, ist hier zu nennen. Eine weitere Vorbemerkung sei hier getroffen. Bis heute hat sich in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ausreichend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Menschen in der zweiten Lebenshälfte einen wichtigen Faktor für den Wirtschaftsmarkt bilden. Erst allmählich werden Menschen in der zweiten Lebenshälfte als attraktive Kundinnen und Kunden wahrgenommen und angesprochen. Und in Bezug auf den „Silbermarkt“ werden mit dem demograÀschen Wandel interessante Perspektiven verknüpft (vgl. auch Kapitel 14). Zunächst soll auf die Einkommenssituation der heutigen älteren Generationen eingegangen werden, bevor wir uns möglichen Entwicklungen in Bezug auf die Ànanzielle Sicherung älterer Menschen zuwenden. Sodann soll der Blick auf
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Zukunft Altern
die Wirtschaftskraft der heutigen und der künftigen älteren Generationen gerichtet werden. Die Einkommenssituation der heutigen älteren Generationen – auch im Vergleich zu jener der jüngeren Generationen – lässt sich sehr gut auf der Grundlage der im 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2008) berichteten Daten darstellen. In Bezug auf die Einkommensverteilung geht der Bericht von Wohlstand aus, wenn ein monatliches Nettoäquivalenzeinkommen von 3 268 Euro gegeben ist. In der Gesamtbevölkerung erreichen oder überschreiten dieses Einkommen knapp 5 Millionen Menschen; dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 6,4 %. Blicken wir nun auf die einzelnen Altersgruppen und auf die verschiedenen Berufsgruppen: Wie stellt sich in den einzelnen Altersgruppen und in den einzelnen Berufsgruppen die Verteilung des Wohlstands (monatlich 3 268 Euro und mehr) dar? In den einzelnen Alterskohorten Ànden sich folgende Bevölkerungsanteile, bei denen von Wohlstand auszugehen ist: <34 Jahre: 3,3 %, 35–44 Jahre: 5,0 %, 45–54 Jahre: 7,9 %, 55–64 Jahre: 10,6 %, 65 Jahre und älter: 5,9 %. In den verschiedenen Berufsgruppen stellt sich die Verteilung des Wohlstands wie folgt dar: Selbstständige: 25,5 %, Beamte: 12,1 %, Angestellte: 7,9 %. In der Gruppe der Rentner/Pensionäre beläuft sich der Anteil auf 15,6 %. Im Falle einer Integration von Einkommen und Vermögen beläuft sich das monatliche Einkommen, ab dem von Wohlstand gesprochen wird, auf 3 418 Euro. Dies ist dem Armuts- und Reichtumsbericht zufolge bei 6,8 Millionen Menschen (oder 8,8 % der Bevölkerung) der Fall. Auch hier sei der Anteil jener Menschen, bei denen im Falle der Integration von Einkommen und Vermögen von Wohlstand auszugehen
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ist, für die verschiedenen Alters- und Berufsgruppen angeführt. Für die Altersgruppen werden die folgenden Bevölkerungsanteile berichtet: <34 Jahre: 3,3 %, 35–44 Jahre: 5,1 %, 45–54 Jahre: 8,5 %, 55–64 Jahre: 13,7 %, 65 Jahre und älter: 14,6 %. In den verschiedenen Berufsgruppen stellt sich die Verteilung des Wohlstands wie folgt dar: Selbstständige: 25,5 %, Beamte: 12,6 %, Angestellte: 8,4 %. In der Gruppe der Pensionäre beläuft sich der Anteil auf 28,5 %. Aus diesen Daten folgt, dass derzeit die Einkommens- und Vermögenssituation im Alter – vergleicht man diese mit jener der jüngeren Menschen – als zufriedenstellend einzuschätzen ist. Gehen wir aber nun etwas differenzierter auf die Einkommenssituation im Alter ein und nehmen dabei auch einen Blick in die Zukunft vor. Zunächst sei in Erinnerung gerufen: Die im Alter zur Verfügung stehenden Ànanziellen Ressourcen spiegeln nicht nur individuelle BerufsbiograÀen und die im Verlauf dieser BiograÀen getroffenen Vorsorgeentscheidungen wider. In diesen drücken sich auch ökonomische, demograÀsche und politische Rahmenbedingungen aus, wie sie etwa durch das Sozialversicherungs- und Steuerrecht vorgegeben werden. Höhe und Struktur von Einkommen und Vermögen im Alter sind durch eine Vielzahl von Faktoren beeinÁusst, die ihre Wirkung sowohl in früheren Lebensabschnitten als auch im Alter entfalten. Aus diesem Grunde spiegelt sich auch in den Ànanziellen Ressourcen die bereits wiederholt konstatierte Verschiedenartigkeit individueller Entwicklungsprozesse wider. Vergleicht man ältere Menschen aus den neuen und alten Bundesländern, dann zeigen sich zunächst deutliche Unterschiede in der Einkommensstruktur. Während fast 90 % der
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Zukunft Altern
Rentner in den neuen Bundesländern ihre Alterseinkommen ausschließlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, liegt dieser Anteil in den alten Bundesländern lediglich bei etwa einem Drittel. Die betriebliche Altersvorsorge, die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und die Beamtenversorgung sind gegenwärtig für die Einkommenslage ostdeutscher Rentner praktisch unbedeutend. Legt man nun die aus dem Jahre 2003 vorliegenden Repräsentativdaten zum Einkommen von Einzelpersonen und Ehepaaren zugrunde (Tabelle 2.8), dann zeigt sich ebenfalls, dass Rentnerinnen und Rentner (von ledigen Männern und alleinstehenden Frauen abgesehen) in den alten Bundesländern trotz der im Durchschnitt geringeren Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Durchschnitt über ein höheres Alterseinkommen verfügen. Des Weiteren wird deutlich, dass sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern Frauen über eine geringere Rente verfügen als Männer, wobei Tabelle 2.8 Nettoeinkommen im Alter ab 65 – nach Geschlecht und Familienstand in West- und Ostdeutschland 2003 in Euro/Monat. Familienstand West
Ehepaare* Alleinstehende darunter: Verwitwete Geschiedene** Ledige *
2 209 1 513 1 598 1 427 1 386
Männer Ost Ost: West (in %) 1 938 88 1 282 85 1 314 1 132 1 403
82 79 101
Ehemann ab 65
**
einschließlich getrennt lebender Ehemänner
Aus Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2005.
West
Frauen Ost Ost: West (in %)
1 166
1 119
96
1 176 1 050 1 187
1 195 827 953
102 79 80
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sich für Alleinstehende in den neuen Bundesländern nur ein geringfügiger Unterschied ergibt und die Differenz zugunsten der Männer in den alten Bundesländern insgesamt deutlich größer ausfällt. Ebenfalls der im Jahre 2003 durchgeführten Repräsentativerhebung zur Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland sind die in Tabelle 2.9 angeführten Daten zu den wichtigsten Einkommensquellen der Bevölkerung ab 65 Jahren entnommen. Diesen zufolge gehen etwa zwei Drittel der von den Rentnerinnen und Rentnern bezogenen Alterseinkünfte auf die gesetzliche Rentenversicherung zurück, wobei – in Übereinstimmung mit den zuvor berichteten Daten – die Alterseinkünfte der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern weit stärker auf der gesetzlichen Rentenversicherung beruhen als jene der Rentnerinnen und Rentner in den alten Bundesländern. Wenn hier nun die Aussage getroffen wurde, dass sich die Einkommenssituation ebenso wie die Vermögensverhältnisse der älteren Generation vergleichsweise positiv darstellen, so gilt diese für die heutige ältere Generation, hingegen nicht in gleicher Weise für künftige ältere Generationen. In letzteren werden wir – den wichtigsten Szenarien zufolge – wieder in stärkerem Maße mit dem Armutsrisiko oder der faktischen Armut konfrontiert sein. Unterbrochene oder abgebrochene ErwerbsbiograÀen bei den heutigen Angehörigen der mittleren Generation bilden – zusammen mit den demograÀsch bedingten, abnehmenden Ressourcen der gesetzlichen Rentenversicherung – einen bedeutenden Grund dafür, dass sich die Einkommenssituation der künftigen älteren Generation insgesamt ungünstiger darstellen wird als jene der heutigen älteren Generation. Vor allem aber wird die soziale Ungleichheit – im Sinne einer Einkommensungleichheit – erkennbar
100
100
Aus Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2005.
0
1
7 9
7
4
Zinsen, Vermietung, Lebensversicherung Wohngeld/Sozialhilfe/ Grundsicherung Summe
26
21
1 100
100
9
3
26
60
0
3
5
2
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Ost
West
57
West
66
gesetzliche Rentenversicherung andere Alterssicherungssysteme Erwerbstätigkeit
Männer – allein
Ehepaare
Alle
Einkommensquelle
100
1
6
1
5
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Ost
100
1
6
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68
West
Frauen – allein
Tabelle 2.9 Die wichtigsten Einkommensquellen der Bevölkerung ab 65 Jahren in Prozent.
100
1
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Ost
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zunehmen, das heißt, die Schere zwischen Arm und Reich wird sich vermutlich immer weiter öffnen. Aus diesen potenziellen Risiken hat die Kommission zur Erstellung des 5. Altenberichts der Bundesregierung (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006) Vorschläge für die Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung abgeleitet, die hier wie folgt zusammengefasst werden sollen: 1. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei längerer Versicherungsdauer ein Leistungsniveau beizubehalten, das deutlich über der steuerÀnanzierten bedarfs- oder bedürftigkeitsgeprüften armutsvermeidenden Mindestsicherung liegt. 2. Es ist eine enge Beitrags-Leistungs-Beziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung herzustellen. 3. Die Erwerbsbeteiligung Älterer ist zu sichern und weiter zu erhöhen. 4. Anstelle der Subventionierung von Finanzkapital sollte stärker auf eine Förderung von Humankapital gesetzt werden. 5. Die Ergänzungsfunktion der privaten und betrieblichen Vorsorge ist zu erhalten und sollte nicht zum (partiellen) Ersatz für die gesetzliche Rentenversicherung werden. 6. Alle bislang nicht obligatorisch abgesicherten Selbstständigen sollten in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. 7. Es ist in der Alterssicherungspolitik ein integrierter Ansatz zu verfolgen, der sich nicht allein auf die Alterssicherungssysteme (deren Finanzierung, deren Leistungen, deren Besteuerung) beschränkt, sondern der auch weitere für die (reale) Einkommenslage im Alter wichtige – und politisch gestaltbare – Entwicklungen berücksichtigt. Zu
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diesen sind hier vor allem Höhe und Struktur von Sozialversicherungsleistungen im Falle von Krankheit und PÁegebedürftigkeit zuzählen.
Literaturempfehlungen Arendt, H. (1960). Vita activa oder vom tätigen Leben. Stuttgart: Kohlhammer. Bäcker, G., Naegele, G., Bispinck, R. & Hofemann, K. (2007). Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland (4. AuÁage). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2007). Alter neu denken. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2006). Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation. Bonn. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2005). Alterssicherung in Deutschland 2003. Berlin. Kaufmann, F. X. (2005). Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen. Frankfurt: Suhrkamp. Kruse, A. (2007). Präventions- und Trainingsansätze im höheren Alter. In J. Brandtstädter & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie der Lebensspanne (S. 624–655). Stuttgart: Kohlhammer. Kruse, A. (2009). Arbeitsmodelle der Zukunft: Lebenszyklusorientierung und veränderte Personalaltersstrukturen. München: Schriftenreihe des Roman-Herzog-Instituts. Rosenbladt, B. von & Bilger, F. (2008). Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland – Eckdaten zum BSW-AES 2007. München: TNS Infratest Sozialforschung. Wahl, H.-W. & Mollenkopf, H. (Hrsg.) (2007). Alternsforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Heidelberg: Akademische Verlagsgesellschaft.
Teil B Zentrale Konstrukte und Botschaften der Alternsforschung
3 Eine Landkarte zur aktuellen Alternsforschung Ziel der Kapitel in Teil B unseres Buches ist es, wesentliche Befunde der modernen Alternsforschung mit hoher individueller wie gesellschaftlicher Relevanz zusammenzutragen. Wo immer möglich, beziehen wir Ergebnisse der neuesten gerontologischen Forschung und Lebenslaufforschung mit ein, denn vieles spricht dafür, dass wir heute, nicht zuletzt durch neurowissenschaftliche Ergebnisse zu Alternsprozessen, vor einem Umbruch mit weitreichenden Folgen stehen: (Angeblich) grundlegende Einsichten der traditionellen Alternsforschung müssen revidiert werden – mit erheblichen Konsequenzen für individuelles wie für gesellschaftliches Altern. Unser zentrales Argument ist zum einen, dass die wesentlichen Befunde der heutigen Alternsforschung nicht nur intellektuell anregend sind, um dem universalen Phänomen des Alterns zumindest ein gutes Stück näherzukommen – näher als wissenschaftliche Bemühungen dies jemals zuvor erlaubten. Hier mag eine der Weltraumforschung entliehene Metapher hilfreich sein: Fremde Galaxien jemals in der bemannten (aber auch der unbemannten) Weltraumerschließung zu erreichen, erscheint zumindest aus heutiger Sicht als ein kaum erreichbares Unterfangen; jedoch Näherungen mit neuen Erkenntnis-
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sen und Eingrenzungen von eher möglichen gegenüber eher unmöglichen Phänomenen und Prozessen sind stetig erzielund optimierbar, und sie können mit erheblichem Erkenntnisgewinn verbunden sein. Nicht viel anders verhält es sich aus unserer Sicht mit Altern. Altern als Phänomen in seiner ganzen Tiefe zu durchdringen, erscheint derzeit als aussichtslos. Und hier meinen wir nicht nur die biologische, sondern auch beispielsweise die demograÀsche, psychologische und soziologische Alternsforschung. In all diesen Disziplinen sind wir weit von „endgültigen Wahrheiten“ entfernt, jedoch werden die Näherungen an ein Verstehen von Altern zunehmend besser, zuverlässiger und robuster. Um die Kommunikation dieses Wissens geht es uns in diesem Buch. Zum anderen möchten wir zeigen, dass dieses Wissen nicht nur viel mit der wissenschaftlichen Zukunft des Alterns zu tun hat. Vielmehr ist es unser Anliegen, in diesem Kapitel modernes und neuestes Wissen zu Altern auch so aufzubereiten und zu gewichten, dass es für ein besseres Verstehen von individuellem und gesellschaftlichem Altern handhabbar wird, zu einer Art „Werkzeugkasten“, aus dem wir uns, wenn wir es denn möchten, auch bei aller Begrenztheit des verfügbaren Wissens bereits heute bedienen können – und, wie wir meinen, auch sollen. Wir besitzen hier, wie gleich zu zeigen sein wird, einen reichhaltigen Schatz an deskriptivem Wissen, Prozessverstehen, möglichen KlassiÀkationen und Interventionseinsichten (Was geschieht, wenn wir etwas am Altern systematisch verändern bzw., in einem guten und konstruktiven Sinn, manipulieren?), und wir sollten diesen Schatz nutzen, um unser eigenes Altern, aber auch die mit Altern verbundenen gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen informierter und zielgerichteter als bisher anzugehen. Packen wir es also an!
3 Eine Landkarte zur aktuellen Alternsforschung
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Ein Wort der Vorwarnung – was wir nicht möchten Ratgeber zum Alter, nicht selten verbunden mit einem bisweilen alles versprechenden „Geist von Anti-Aging“ oder mit einem anderen, nicht selten ebenso viel verheißenden „Geist von Wellness“, haben Konjunktur, ebenso die Ratgeber zu den Themen PÁegebedürftigkeit, PÁege der alten Eltern und Demenz, speziell der Alzheimer’schen Erkrankung. Diese Konjunktur möchten wir dezidiert nicht mit unserem Buch bereichern. Es geht uns nicht darum, die Sonnen- und Schattenseiten des heutigen Alterns in Abrede zu stellen, jedoch möchten wir auch nicht die eine oder andere Seite über Gebühr hervorheben. Es geht uns vielmehr um ein ausgewogenes Bild, bei dem die Stärken des Alterns, aber auch seine erheblichen und – wie wir meinen – die Grundlagen unserer Existenz berührenden Schwächen, gleichermaßen zum Tragen kommen. Dabei meinen wir das Wort „tragen“ wörtlich. Beide, die Stärken und Schwächen, gehören zum Alter, tragen das Alter jeweils auf ihre Weise. Und daraus folgt: Jede zu starke Einseitigkeit, aus welcher Motivation heraus auch immer – mediale Effekthascherei, Altern schön zu reden oder die dunklen Seiten des Alterns als Lust am Untergang verklären zu wollen –, wird nicht das Anliegen dieses Buches sein. Wir möchten aber auch nicht einfach einen Aufriss zu den Wissenskörpern der Alterns- und Lebenslaufforschung bieten nach dem Motto „Die Wissenschaft hat festgestellt …“. Wir selbst haben dies neben unseren wissenschaftlichen Arbeiten auch in allgemein verständlicherer Sprache mehrfach getan. Dieses Bestreben, so wichtig wir es Ànden, soll in diesem Buch nicht fortgesetzt werden. Es geht uns vielmehr um die Suche
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nach neuen Wegen in der Kommunikation und Anwendung von altersbezogenem Wissen. Sie sind eingeladen, uns zu begleiten – hereinspaziert in unser Panoptikum von Alternsforschung heute (und morgen). Halten Sie sich fest, es geht los!
Wie wir vorgehen werden: Die Karte der Disziplinen und Konstrukte Um neue Wege zu beschreiten, ist eines besonders hilfreich: eine Karte. So wird auch unser zentrales Hilfsmittel im Folgenden eine Karte sein, allerdings eine besondere Karte, die unseren Bedürfnissen angemessen ist: eine Karte von zentralen Disziplinen und (später dann auch) zugehörigen Konstrukten, die das heutige Gebiet der Alternsforschung, wie wir meinen, in prägnanter Weise verorten können. Eine erste, noch allgemeine Form einer solchen Karte Àndet sich in Abbildung 3.1. Nehmen Sie sie einmal zur Hand, und lassen Sie sie zunächst nur auf sich wirken – ähnlich dem ersten Blick auf eine Landkarte einer uns noch nicht vertrauten Urlaubsregion. Lassen Sie sich nicht gleich von den möglicherweise unbekannten „Orten“ ins Bockshorn jagen. Die von uns vorgeschlagene Karte wird in den nächsten Kapiteln ein guter Begleiter sein, wobei wir ihre „Ortsbeschriftungen“ immer weiter verfeinern werden. Wir werden uns an Ausschnitten und lokalen Einzelheiten orientieren, dabei jedoch stets den Gesamtzusammenhang wahren – genau dies ist ja einer der großen Vorzüge einer Landkarte, Lokales und Globales in einem Duktus zu vermitteln. Dies gilt für Orte und es gilt auch für Wissen. Sie sollen mithilfe der Karte stets wissen, wo Sie sich in Bezug auf Alterns-
3 Eine Landkarte zur aktuellen Alternsforschung
Psychologie
Biologie
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Soziologie
übergreifende Konstrukte
Altersinterventionen
Abb. 3.1 Landkarte zu Alter(n).
forschung gerade beÀnden – und gleichzeitig nicht vergessen, was es noch gibt an Wissen und Einsichten, nebenan, etwas weiter entfernt. Und wo es „Pfade“ zwischen diesen Wissenselementen und Einsichten geben könnte bzw. gibt, welche die Dinge vielleicht nur unter Überwindung von schwierig zu meisternden „Pässen“ und „Gipfeln“ miteinander in Beziehungen, vielleicht sogar in kausale Abhängigkeiten setzen. Und wo es noch unbekanntes Terrain (es sei gleich gesagt: in Hülle und Fülle) gibt. Unsere Aufgabe als Autoren wird es sein, Sie in die Handhabung der Karte einzuführen, Ihnen zu ermöglichen, sich die Landkarte zunehmend selbstständig zunutze zu machen, auch manche terra incognita zu erkennen – und Ihnen Lust zu machen, sich auch nach der Lektüre des Buches eigengesteuert mit Fragen der Alternsforschung und ihren vielfach praktischen Bedeutungen weiter zu beschäftigen.
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Zwei Ziele verbinden wir mit unserer Landkarte. Zum Ersten ein sehr direktes: Wir wollen Ihnen auf diesem Wege essenzielle Einsichten in die heutige Alternsforschung näherbringen und damit Ihr Wissen über Alter(n) erweitern. Zum Zweiten möchten wir aber auch mit diesem Wissen den Teil C unseres Buches vorbereiten: Weichenstellungen in Richtung einer guten Zukunft unserer alternden Gesellschaft bedürfen des Einbezugs von wissenschaftlichen Einsichten und Erkenntnissen. So werden wir viele Elemente dieses Wissens an späterer Stelle des Buches aufgreifen und im Kontext dessen, was zukünftig zu tun ist, neu erklingen lassen. Orte haben wir auf unserer Landkarte allerdings, wie wir dann im Detail ab dem nächsten Kapitel sehen werden, keine zu bieten, sondern Konstrukte. Was sind Konstrukte? Warum möchten wir mit Konstrukten arbeiten, um wissenschaftliche Erkenntnisse der Alternsforschung zu verorten? Was sind die Vorzüge einer Ordnung des Gebiets der Alternsforschung nach Disziplinen und nach Konstrukten? Hier unsere wesentlichen Antworten: Zunächst verstehen wir Konstrukte als Verdichtung von thematisch miteinander verbundenen Wissenseinheiten, in denen zentrale Aspekte des Alterns zum Ausdruck kommen. Dabei möchten wir keinesfalls so weit gehen zu behaupten, dass die von uns fokussierten Konstrukte vollständig sind. Es handelt sich jedoch in unseren Augen um jene Konstrukte, die grundlegende Aspekte und den aktuellen Wissensstand in einzelnen wissenschaftlichen Bereichen, die bislang besonders viel zu Erkenntnissen zum Altern beigetragen haben, prägnant charakterisieren. Bei diesen Bereichen (um im Bilde zu bleiben: Landschaften von Wissen) handelt es sich insbesondere um die Biologie des Alterns, die Psychologie des Alterns, die Soziologie des Alterns und die
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Domäne der Altersinterventionen. Unter Letzterer verstehen wir die ganze Bandbreite der heute erforschten Interventionen/Veränderungsmöglichkeiten des Alterns. Sicherlich gibt es weitere Disziplinen, die wir in unserer „Landschaft“ nicht darstellen, etwa die Bildungswissenschaft oder die Ethnologie, die zunehmend auch interkulturell vergleichend Altern untersucht. Unsere Konstruktbereiche erheben also ebenso wie die jeweils berücksichtigten Konstrukte keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Wir denken allerdings, dass wir mit der uns vorgenommenen Auswahl sehr wesentliche Aspekte der einzelnen Disziplinen bzw. Domänen zusammenführen. Auch gibt es vielfältige Überlappungen zwischen den Konstrukten – und diese nehmen wir gerne bewusst in Kauf, denn natürlich hängen die jeweils angesprochenen Aspekte vielfach eng zusammen. Ferner eignet sich der Konstruktbegriff in besonderer Weise dazu, Theorien und empirische Befunde zu verschränken. So wird bei jedem uns interessierenden Konstrukt zu fragen sein: Was sind bedeutsame theoretische Sichtweisen zu den jeweils im Mittelpunkt stehenden Alternsaspekten? Und was sind zugehörige Ergebnisse? Wie haben die gefundenen Ergebnisse die theoretischen Sichtweisen verändert? Vielleicht sogar so, dass das Gesamtkonstrukt heute gegenüber dem früheren Forschungsstand in einem völlig neuen Licht erscheint? Diese dynamische Komponente von Konstrukten, das andauernde Wechselspiel zwischen Wissensverdichtung und -verfestigung gegenüber WissensverÁüssigung und -infragestellung, eignet sich in unseren Augen besonders gut dazu, die derzeitige Situation der Alternsforschung zu beschreiben. Konstrukte lassen sich nach Disziplinen, die zu dem Wissenschaftsfeld der Alternsforschung beitragen, ordnen und können auf diese Weise den Bedeutungs- und Leistungshorizont
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Zukunft Altern
dieser Disziplinen aufzeigen. Andererseits besitzen Konstrukte, gleich ob innerhalb einer Disziplin oder zwischen Disziplinen, auch vielfach ein hohes Maß an „AfÀnität“, sie ziehen sich gewissermaßen gegenseitig an, suchen wie kommunizierende Röhren nach Austausch untereinander. Dies unterstützt die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sicht von Altern trotz aller notwendigen Wissenschaftsspezialisierung und interdisziplinären Zugangsweisen. Konstrukte liegen auf unterschiedlichen Ebenen, die sich in ihrem Erkenntnischarakter in Bezug auf Altern gegenseitig ergänzen und überlagern. Eine wichtige Unterscheidung, die wir immer wieder nutzen werden, ist jene zwischen thematisch eher enggeführten/auf einen wesentlichen Sachverhalt bezogenen Konstrukten (zum Beispiel die Konstrukte „Genetische Programmierung“ oder „Gedächtnisprozesse und Alter“) und übergreifenden/eher auf einer „Metaebene“ liegenden Konstrukten (zum Beispiel das Konstrukt „Entwicklung“). In unserer Landkarte liegen solche übergreifenden Konstrukte deswegen auch auf einer „Hochebene“, die von den Konstrukten aus den verschiedenen Disziplinen umschlossen wird. Konstrukte lassen sich, und dies ist vielleicht der wichtigste Grund, warum wir diese als zentrale Einheiten unserer Darstellung ausgewählt haben, immer nur annäherungsweise erfassen, sie sind bedeutungsoffen, ihre Randbereiche Áießend, ausdehnbar, manchmal auch zurückzunehmen. Mit anderen Worten: Wir wissen heute sehr viel über Altern, dieses Wissen ist in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren in Tiefe, Breite und Vielfalt angewachsen. Und gleichzeitig macht sich stets aufs Neue Ernüchterung breit, und wir erkennen umso deutlicher, dass wir eigentlich immer noch recht wenig verstehen, was Altern im seinem Kern bedeutet.
3 Eine Landkarte zur aktuellen Alternsforschung
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Und schließlich – gleichzeitig die Vorzüge, aber auch die Grenzen der Landkartenmetapher im Auge behaltend: Denken Sie bei unserem Vorgehen lieber an alte Landkarten (Sie haben bestimmt in Museen etc. schon einmal solche gesehen) als an die KartograÀe der modernen GeograÀe oder an Google Earth. In antiken Karten erscheinen bisweilen ganze Regionen als „weiße Flecke“, manches ist nach dem heutigen Wissen verzerrt, vielleicht auch gänzlich falsch. Und nicht selten ist die Verzeichnung von Orten auch interessengeleitet: Militär- und Handelskarten waren schon immer an anderen Orts- und Landschaftsdetails interessiert als etwa Karten zur Dokumentation des eigenen „Reiches“ oder gar der „Welt“ als Ganzes. Irgendwo zwischen diesen Dynamiken liegt unser Vorgehen: Manches wissen wir zum Phänomen Altern heute bereits recht gut, anderes erst in noch recht ungenauen Umrissen; mögliche Koordinatensysteme des Alterns sind wohl noch keineswegs endgültig und stabil, unsere Auswahl an Orten (Konstrukten) ist zugegebenermaßen auch ein Stück subjektiv und durch unsere Sichtweisen der Wichtigkeit und Bedeutung der jeweiligen Inhalte mitbestimmt. Insofern ist unsere Karte notorisch unvollständig und versteht sich eher als work in progress und damit zwangsläuÀg in Veränderung begriffen: Neue Konstrukte mögen schon bald hinzutreten, andere in der Zukunft von der Landkarte verschwinden. Was auch heißt: Bleiben Sie am Ball der Alternsforschung, schreiben Sie, wenn Sie mögen, auch unsere Landkarte nach der Lektüre des Buches selbstständig fort!
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns Richten wir zunächst den Blick auf ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns (vgl. Abb. 4.1)
Konstrukt 1: Genetische Programmierung Ob Menschen ein hohes oder sehr hohes Lebensalter erreichen, ist zu einem guten Teil genetisch bedingt. Bis etwa zum 85. Lebensjahr steigt die Sterbewahrscheinlichkeit mit dem Alter exponentiell an, während für die noch höheren Altersgruppen eine Áacher werdende Sterblichkeitskurve zu beobachten ist. Dies bedeutet eine Abweichung von dem „Gesetz der Mortalität“, welches Gompertz bereits im Jahre 1825 formuliert hat. Dessen zentrale Aussage lautet: Die Sterbewahrscheinlichkeit lässt sich durch einen altersunabhängigen Parameter und einen konstanten Faktor, um den die Sterbewahrscheinlichkeit mit dem Alter exponentiell zunimmt, bestimmen (Ƭx = aebx). Die beobachtbare Abweichung von diesem Gesetz ist darauf zurückführen, dass nur jene Menschen ein sehr hohes Alter erreichen, die über besondere Erbanlagen verfügen und deren
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Zukunft Altern
Psychologie Soziologie
Biologie
übergreifende Konstrukte
Altersinterventionen
Biologie • genetische Programmierung • Altern als deterministischer Prozess • Altern als stochastischer Prozess • freie Radikale • Vulnerabilität • Krankheiten • Demenz • geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe • Terminal Decline • Morbiditätskompression • aktive Lebenserwartung
Abb. 4.1 Konstruktlandkarte zu Alter(n): ausgewählte Konstrukte zur Biologie.
Immunsystem noch sehr gut in der Lage ist, Krebszellen zu vernichten. Die Bedeutung von Erbanlagen für die Langlebigkeit beim Menschen ist heute eindeutig belegt. Des Weiteren
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns
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wurde in den letzten Jahren nachgewiesen, dass bei Organismen wie dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans das Vorhandensein einzelner Gene die individuelle Lebensspanne erheblich beeinÁusst. Derartige Befunde sprechen zwar – zumindest auf den ersten Blick – für die Idee einer genetischen Programmierung des Alterns; gleichzeitig muss beachtet werden, dass es sich hierbei nur um eine sehr lockere Form von Programmierung handelt: Selbst unter der Voraussetzung einer Kontrolle von Genotyp und Umwelt zeigen sich bei Caenorhabditis elegans zum einen erhebliche phänotypische Variationen, zum anderen erhebliche Unterschiede in der Lebensdauer. Die bislang vorliegenden Ergebnisse biochemischer Analysen zur Hochaltrigkeit sprechen dafür, dass ein bestimmtes Leukozytenantigen im hohen Alter häuÀger vorkommt und nicht mehr korrigierbare Schädigungen der chromosomalen DNA seltener auftreten. Befunde aus Zwillingsuntersuchungen zeigen, dass der mittlere Unterschied in der Lebensdauer zwischen zweieiigen Zwillingen etwa doppelt so groß ist wie jener zwischen eineiigen Zwillingen. Auch erreichen die Nachkommen hochbetagter Menschen im Durchschnitt ein höheres Lebensalter als die Nachkommen von Menschen, die früher verstorben sind. Hier ist zu berücksichtigen, dass sich auch bei monozygoten Zwillingen, die in ähnlicher Umgebung aufwachsen, ausgeprägte Unterschiede in Phänotyp und Lebensdauer Ànden.
Konstrukt 2: Altern als deterministischer Prozess Im allgemein biologischen Sinne meint Altern, dass die lebende Substanz über den gesamten Lebenslauf einer fortschreitenden Wandlung unterworfen ist. Dieser Prozess wird auch
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Zukunft Altern
als Biomorphose beschrieben: Unter Altern ist demnach jede unumkehrbare Veränderung der lebenden Substanz als Funktion der Zeit zu verstehen. Dabei ist zwischen deterministischen und zufällig auftretenden (stochastischen) Ursachen zu differenzieren. Zu den deterministischen Ursachen gehört insbesondere, dass Zellen sich nicht unendlich oft teilen können und die Lebensfähigkeit des Gesamtorganismus durch den Ausfall von Zellen begrenzt ist. Dies ist ein Prozess, der untrennbar mit unserer biologischen Ausstattung verknüpft, unvermeidlich und in seinem Verlauf nicht beeinÁussbar ist. Eine Ausnahme bilden im Übrigen Krebszellen, die nicht altern und sich uneingeschränkt teilen können. Die DNA liegt als sehr langer Faden in den Chromosomen im Zellkern. Bei der Zellteilung werden die beiden Stränge der DNA, „Bauanleitung“ und „Negativ“, voneinander getrennt. Mit jeder neuen Zellteilung werden die lang gestreckten (linearen) Chromosomen ein wenig kürzer. Ist das Chromosom genügend verkürzt, wird bei der nächsten Verkürzung ein wichtiges Gen unleserlich. Dies führt dann zu einem permanenten Teilungsstopp: Wichtige Information zur Durchführung der nächsten Teilung kann nicht mehr gelesen werden. Als deterministische Alternsursachen sind auch Zell-Todesgene zu nennen. Wird ihre Information aktiviert, töten sie die betreffende Zelle. Das p53-Protein schützt die Zelle, damit diese gefährliche Information nicht abgelesen wird. Der programmierte Zelltod, die Apoptose, ist aber beispielsweise für die Reifung des Gehirns beim ungeborenen Kind sehr wichtig: Nur die richtig miteinander verbundenen Nervenzellen sollen am Leben bleiben. Alle falsch geschalteten Nervenzellen werden entfernt. Dies ist ein sehr früher, genetisch gesteuerter Reifungs- und Alterungsprozess im Gehirn.
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns
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Konstrukt 3: Altern als stochastischer Prozess Zu den zufällig auftretenden Altersursachen gehören vor allem Schädigungen der DNA. Fehler-Katastrophentheorien nehmen an, dass mutagene Faktoren für eine fehlerhafte Proteinbiosynthese verantwortlich zu machen sind, was zur Beeinträchtigung von Zellfunktionen und bei Überschreiten einer kritischen FehlerhäuÀgkeit zur Katastrophe (Tod) führen sollte. Für zahlreiche Arten und Zelltypen ist nachgewiesen, dass alte Zellen weniger gut in der Lage sind, Proteine mit fehlerhaften Aminosäuresequenzen zu entfernen. Ein geringer Anteil an DNA beÀndet sich in den Mitochondrien, in denen durch den Abbau von Fettund Aminosäuren Energie gewonnen wird. Die mitochondriale DNA enthält wichtige Zusatzinformation für die Zellatmung. Im Vergleich zur im Zellkern liegenden chromosomalen DNA ist sie deutlich schlechter geschützt und wird kaum repariert. Infolge der hohen Sauerstoffkonzentration in den Mitochondrien, die für eine funktionierende Zellatmung unerlässlich ist, treten auf der mitochondrialen DNA erhebliche Schädigungen der Erbsubstanz durch oxidierende freie Radikale auf.
Konstrukt 4: Freie Radikale Dies sind Moleküle, die ein einzelnes ungepaartes Elektron besitzen und infolge dieses instabilen Zustands chemische Reaktionen auslösen, die wiederum Schädigungen von Zellmembranen und DNA zur Folge haben. Vor allem O2 und OH-Radikale greifen organische Moleküle an und tragen in einer Art Kettenreaktion zur Entstehung weiterer Radikale bei. Schädigungen durch freie Radikale sind insofern unvermeidlich,
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als diese Moleküle nicht nur durch EinÁussfaktoren außerhalb der Zelle (zum Beispiel ionisierende Strahlung), sondern auch als Nebenprodukt normaler enzymatischer Reaktionen entstehen. Man schätzt, dass bei Menschen pro Tag und Zelle etwa 10 000 DNA-Schäden durch derartige Prozesse auftreten. Eine Kumulation der Schädigungen durch freie Radikale führt zum Ausfall der betroffenen Mitochondrien. Die Folge ist ein Mangel an energiereichen Phosphaten in der Zelle, was wiederum Alterungsprozesse beschleunigt. Einige, unserem Verständnis zufolge wichtige Theorien seien nachfolgend genannt. In der Theorie der Akkumulation von Mutationen wird hervorgehoben, dass natürliche Selektionsmechanismen angesichts der im Verlauf der Evolution ausgeprägten externen Mortalität (Sterblichkeit, die nicht auf Charakteristika des Organismus, sondern auf externe Ursachen zurückgeht) allenfalls einen sehr geringen EinÁuss auf das Überleben im Alter haben sollten. Hinsichtlich EinÁussfaktoren auf zelluläre Schädigungen sind in diesem Zusammenhang die folgenden Überlegungen angestellt worden (Abbildung 4.2, a–d): a) Unter natürlichen Bedingungen erreicht die extrinsische (also nicht auf das Altern des Organismus zurückgehende) Mortalität ein Ausmaß, angesichts dessen die Entwicklung speziÀscher Altersgene, wie sie in Programmtheorien angenommen wird, unwahrscheinlich ist. b) Der „Selektionsschatten“ erlaubt eine Akkumulation von schädlichen Mutationen, die sich erst im hohen Alter auswirken (mutation-accumulation theory). c) Pleiotrope Gene, von denen der Organismus in jüngeren Jahren proÀtiert, werden auch dann bevorzugt, wenn sie in späteren Jahren schädliche Auswirkungen haben (pleiotropy theory). d) Der Selektionsdruck zur Investition von Stoffwechselressourcen
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns
Wild
Age
Survival
b
Survival
a
Age
Effective maintenance and repair
Bad
Good
c
Selection shadow
Survival
Survival
Protected
95
Age
d
Age
Abb. 4.2 Einflussfaktoren der Akkumulation zellulärer Schädigungen.
in die Erhaltung und Reparatur des Organismus ist gering, der Organismus muss nur so lange funktionstüchtig gehalten werden, wie er unter natürlichen Bedingungen überlebt (disposable soma theory) (aus Kirkwood & Austad 2000, S. 234). In der Theorie der antagonistisch wirkenden pleiotropen Gene wird die Existenz pleiotroper Gene postuliert, die in früheren Phasen der Lebensspanne – wenn der Selektionsdruck besonders hoch ist – positive, in späteren Phasen der Lebensspanne aber negative Auswirkungen auf die Fitness des Organismus haben. Auch wenn bis heute der Nachweis entsprechender Gene erbracht werden konnte – ihre Gültigkeit in der Evolutionsgenetik also zumindest umstritten ist –, ist diese Sichtweise doch im Bereich der Evolutionsphysiologie, die auf eine Anbindung an genetische Grundlagen des Organismus verzichtet, weit verbreitet. So geht die Disposable-Soma-Theorie von der
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Zukunft Altern
Frage aus, wie der Organismus im optimalen Falle seine Stoffwechselressourcen, insbesondere Energie, auf die Erhaltung des Körpers und andere unter Gesichtspunkten des Erhalts der Art zentrale Funktionen verteilt. Der Körper altert dieser Theorie zufolge, weil es aus der Perspektive der Evolution ökonomischer ist, vorhandene Ressourcen in FortpÁanzung und nicht in Langlebigkeit zu investieren. Nach der Reproduktion wird der Körper „disponibel“, es besteht keine Notwendigkeit mehr zu einer genetischen Optimierung. Der Tod hat aus der Sicht dieser Theorie keine biologische Funktion, Organismen könnten durchaus einfach immer weiterleben. Dies erscheint lediglich infolge zunehmender (nicht mehr reparierter) Schadensereignisse nicht möglich. In ähnlicher Weise wird argumentiert, dass mit Blick auf die Kindheit die Unterscheidung zwischen lebensphasespeziÀschen Krankheiten und Entwicklungsprozessen Allgemeingut sei, dass hingegen mit Blick auf das Alter selbst von Wissenschaftlern nicht zwischen Krankheitsverläufen und Alternsprozessen differenziert werde. Im Unterschied zu allen Krankheitsprozessen treten Alternsprozesse bei allen Arten und ausschließlich nach der Reproduktionsphase auf. Auf der Grundlage der Erforschung von Krankheitsprozessen werden keine nachhaltigen Erkenntnisse und damit Veränderungsmöglichkeiten von Alternsprozessen erwartet. Das Zurückdrängen aller bei über 65-jährigen Menschen gegenwärtig diagnostizierten Todesursachen kann die Lebenserwartung lediglich um etwa 15 Jahre erhöhen. Wenn es dagegen gelingt, unser Wissen über Alternsprozesse – warum sind ältere Zellen verletzlicher als jüngere Zellen? – zu verbessern, so könnte dies ungleich stärkere Auswirkungen auf die Lebenserwartung haben. Eine generellere Annahme ist in diesem Zusammenhang, dass die Investition in Erhaltung und Reparatur des Organis-
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns Survival MRF 1 MRF 2 MRF 3 MRF 4 MRF 5 MRF 6 MRF 7 MRF 8 MRF 9 ... MRF N
a
Survival
protected
...
MRF 1 MRF 2 MRF 3 MRF 4 MRF 5 MRF 6 MRF 7 MRF 8 MRF 9 ... MRF N
...
wild
b
Age Survival MRF 1 MRF 2 MRF 3 MRF 4 MRF 5 MRF 6 MRF 7 MRF 8 MRF 9 ... MRF N
c
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...
... Age
Environmental cues: crowding, food level, etc.
...
... Age
Abb. 4.3 Zur Wirkung von Erhaltungs- und Reparaturfunktionen im Lebenslauf.
mus die Langlebigkeit beeinÁusst (Abbildung 4.3, a–c): (a) Nach der Disposable-Soma-Theorie bestimmt sich das optimale Investment in entsprechende Funktionen (MRFs) aus der Überlebenswahrscheinlichkeit des Organismus in natürlicher Umgebung, die wiederum durch die extrinsische Mortalität bestimmt ist. Die einzelnen Erhaltungs- und Reparaturfunktionen „garantieren“ das Überleben des Organismus, bis nicht mehr tolerierbare Schädigungen auftreten. Die Anzahl an Erhaltungs- und Reparaturfunktionen ist prinzipiell sehr groß. Obwohl diese Funktionen den gleichen Selektionsprinzipien unterliegen, garantieren einige eine längere, andere hingegen nur eine kürzere Überlebensdauer. Diese Variation ist sowohl innerhalb der Population als auch innerhalb einzelner Organismen zu beobachten. (b) Eine Genmutation, die eine einzelne Erhaltungs- und Reparaturfunktion betrifft, hat eine
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Zukunft Altern
Akkumulation von Schädigungen und damit eine deutliche Verkürzung der Lebensspanne zur Folge. (c) Wo Organismen substanzieller Umweltvariation ausgesetzt sind, haben sie zum Teil hochwertige genetische Regulationsmechanismen entwickelt, die diese Variationen feststellen und in der Lage sind, Erhaltungs- und Reparaturfunktionen an diese anzupassen (aus Kirkwood 2005, S. 441). Insgesamt ist also anzunehmen, dass dem Alternsprozess ein lebenslanger Prozess der Akkumulation molekularer Schädigung zugrunde liegt (Abbildung 4.4). Diese Schädigung Age-related Frailty, Disability, and Disease
Anti-Inflammatory
Inflammation
Accumulation of Cellular Defects Healthy Lifestyle
Healthy nutrition Random Molecular Damage
Stress
Environment
Poor nutrition
Effekte, die einer Akkumulation von Schädigungen entgegenwirken Effekte, die eine Akkumulation von Schädigungen begünstigen Schädigungen, die als Nebenprodukt intrinsischer biochemischer Reaktionen und von Stoffwechselprozessen zu verstehen sind
Abb. 4.4 Einflussfaktoren der Akkumulation zellulärer Schädigungen.
4 Ausgewählte Konstrukte zur Biologie des Alterns
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ist ihrem Wesen nach zufälliger Natur, aber die Akkumulationsrate ist durch genetische Mechanismen kontrolliert, die für Erhaltung und Reparatur zuständig sind. Wenn Zellschädigungen akkumulieren, dann ergeben sich als Effekte auf den Körper alterskorrelierte Gebrechlichkeit (frailty), Fähigkeitsstörungen und Krankheiten. Dieses Modell verbindet genetische, umweltbezogene und intrinsische Effekte auf den Alternsprozess. Genetische Effekte spiegeln sich vor allem in den erhaltenden Funktionen wider, während die Umwelt (einschließlich Ernährung und Lebensstil) entweder eine Steigerung oder Verringerung molekularer Schäden bedingen kann. Zelluläre Schäden verursachen vielfach inÁammatorische (entzündliche) Reaktionen, die ihrerseits bestehende Schädigungen verstärken. Aus diesem Grunde spielen inÁammatorische wie auch antiinÁammatorische Faktoren eine Rolle bei der Gestaltung des Alternsprozesses.
Konstrukt 5: Vulnerabilität Mit Beginn des vierten Lebensjahrzehnts beginnt im Organismus ein langsam fortschreitender Abbau physiologischer Funktionen. Bei diesem Abbau handelt es sich um einen normalen Alternsprozess, mit dem eine zunehmende Verletzlichkeit des Organismus verbunden ist; diese erhöht die Anfälligkeit des Menschen für Krankheiten. Der systolische Blutdruck, also der entstehende Druck, wenn der Herzmuskel Blut in die Arterien pumpt, nimmt im höheren Erwachsenenalter infolge einer verminderten Elastizität der Arterienwände zu, die reduzierte Kontraktionskraft des Herzens führt zu einem geringeren Herzschlagvolumen. Der Organismus wird schlechter mit Sauerstoff und Nährstoffen
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versorgt; gleichzeitig erhöht sich der CO2-Gehalt im Blut, da dieses langsamer über die Venen zum Herzen zurückÁießt. Die Muskelmasse verringert sich zwischen dem 30. und 80. Lebensjahr um durchschnittlich 30 %. Die Muskelkraft nimmt bei Männern mit zunehmendem Alter in den oberen und den unteren Extremitäten in gleichem Ausmaß ab. Bei Frauen ist der Verlust an Muskelkraft in den Beinen größer als in den Armen, weshalb sie im höheren Erwachsenenalter von Einschränkungen der Gehfähigkeit und Stürzen erheblich häuÀger betroffen sind als Männer. Ab dem 40. Lebensjahr sinkt das Organgewicht der Nieren kontinuierlich ab, woraus eine schlechtere Nierendurchblutung resultiert. Die mit zunehmendem Alter auftretende Verschlechterung der Nierenfunktion zeigt sich unter anderem in einer empÀndlicheren Reaktion auf Wasserverlust, Störungen des Säure-Basen-Haushalts oder einer erhöhten Salzzufuhr. Bei der Dosierung von Medikamenten, die über die Niere ausgeschieden werden, muss das Ausmaß der altersbedingten Einschränkung der Nierenfunktion berücksichtigt werden. Die im höheren Alter auftretenden Krankheiten lassen sich nach ihrer Zugehörigkeit zu einer der folgenden drei Gruppen differenzieren:
Konstrukt 6: Krankheiten Alternsabhängige und alternsbegleitende Erkrankungen Erkrankungen, die mit dem Alternsprozess eng verbunden sind, wie zum Beispiel Arteriosklerose, Arthrosen der großen Gelenke, Osteoporose, Lungenemphysem. Es handelt
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sich hier um mit „normalen“ Alternsprozessen einhergehende physiologische Veränderungen, die ein kritisches Ausmaß überschritten haben und deshalb als Krankheit in Erscheinung treten. Typische Alterskrankheiten Erkrankungen, deren Inzidenz mit dem Alter zunimmt. Zu diesen gehören etwa die Demenz vom Alzheimer-Typ, die Erhöhung vor allem des systolischen Blutdrucks auf pathologische Werte, Krebserkrankungen und pathologische Veränderungen des Immunsystems. Krankheiten im Alter Erkrankungen, die für einen jüngeren Organismus im Allgemeinen keinerlei ernsthafte Konsequenzen haben, beim älteren Individuum jedoch aufgrund der eingeschränkten Organreserven zum Tode führen können. Dazu gehören in erster Linie Infektionen der Atmungsorgane wie Bronchopneumonien oder InÁuenza und Unfälle.
Konstrukt 7: Demenz Mit einer AuftretenshäuÀgkeit von etwa 1 % bei den über 70Jährigen, 5 % bei den über 75-Jährigen, aber bereits über 10 % bei den über 80-Jährigen und etwa 35 % bei den über 90-Jährigen gehören Demenzen zu den häuÀgsten Erkrankungen im hohen Alter. Sie haben keine einheitliche Ursache, sondern können durch eine Vielzahl das Gehirn unmittelbar bzw.
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mittelbar betreffende Krankheitsprozesse verursacht werden. Mit einem Anteil von etwa zwei Dritteln ist die Alzheimer-Demenz die häuÀgste Form. 15 % aller Demenzen sind gefäßbedingt (vaskuläre Demenzen), bei weiteren 15 % liegen sowohl die für die Alzheimer-Demenz als auch die für die vaskuläre Demenz typische Veränderungen vor. Die genauen Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind nicht bekannt. Bei 30 % der an Alzheimer-Demenz erkrankten Patienten ist mindestens ein weiterer Krankheitsfall in der Familie nachweisbar, bei 5 % der Betroffenen besteht eine klare familiäre Häufung. Bei eineiigen Zwillingen erkranken nur ungefähr 50 % der Geschwister. Regelmäßige geistige Aktivität stellt einen gewissen Schutz vor Alzheimer-Demenz dar, bei Menschen mit schweren Depressionen in der Krankengeschichte ist die Auftretenswahrscheinlichkeit der Demenz im Alter erhöht. Bei den biochemischen Veränderungen der Alzheimer-Demenz handelt es sich vor allem um DeÀzite bei der Produktion der Überträgersubstanzen Acetylcholin und Serotonin: Durch dieses DeÀzit können innerhalb der Nervenzellverbände Informationen – zunächst nicht mehr präzise, nach und nach überhaupt nicht mehr – weitergegeben werden. Damit verbunden ist der zunehmende Verlust von Gedächtnisinhalten – zunächst von Inhalten des Kurzzeit-, später des Langzeitgedächtnisses. Das heutige Forschungsinteresse ist auch darauf gerichtet, pharmakologische Substanzen zu entwickeln, die den Abbau von Überträgersubstanzen vermeiden helfen. Es gibt Präparate (zu nennen sind hier vor allem die Acetylcholinesterasehemmer), die diese Zielsetzung in Teilen zu erfüllen scheinen und deren Einnahme sich positiv auf den Verlauf der Demenz auszuwirken scheint: Auch wenn die AlzheimerDemenz eine chronisch fortschreitende Erkrankung darstellt,
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so kann deren Verlauf doch, wie auch der Verlauf der Symptome, erkennbar beeinÁusst werden.
Konstrukt 8: Geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe Frauen sterben deutlich häuÀger als Männer an Krankheiten des Kreislaufsystems, an endokrinologischen Krankheiten, an Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie an Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, während psychische Störungen und Verhaltensstörungen, Verletzungen, Vergiftungen und andere äußere Ursachen sowie Unfälle (vor allem Verkehrsunfälle) bei Männern deutlich häuÀger als bei Frauen zum Tode führen. Vor allem an HerzKreislauf-Erkrankungen, jedoch auch an bösartigen Neubildungen und Krankheiten des Atmungssystems sterben Frauen in einem höheren Alter als Männer. Bis zur Altersgruppe 70 bis 74 Jahre sterben mehr Männer als Frauen an Krankheiten des Kreislaufsystems und bösartigen Neubildungen, während in den höheren Altersgruppen die Anzahl der Frauen zum Teil deutlich überwiegt. Krankheiten des Atmungssystems treten bis zur Altersgruppe 75 bis 79 Jahre bei Männern häuÀger, bis zur Altersgruppe 70 bis 74 Jahre mehr als doppelt so häuÀg auf wie bei Frauen, während ab der Altersgruppe 85 bis 89 Jahre die Anzahl entsprechender Todesfälle von Frauen deutlich überwiegt. Genetische Determinanten bilden eine mögliche Ursache für die geschlechtsspeziÀschen Mortalitätsraten. So haben Frauen gerade im Hinblick auf Kreislauferkrankungen und die dafür hauptverantwortliche Arteriosklerose einen nachweisbaren Schutz durch ihren Hormonhaushalt. Bei Frauen sind unge-
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fähr bis zum 50. Lebensjahr die Cholesterinwerte niedriger und der HDL-Spiegel höher als bei Männern gleichen Alters (das Lipoprotein gilt als Schutzfaktor gegen koronare Herzerkrankung). Der positive Effekt von Östrogen auf den Fettstoffwechsel dürfte eine der biologischen Hauptursachen für den beschriebenen Geschlechtsunterschied bei den Todesraten durch Kreislauferkrankungen sein. Denn nach der Menopause nimmt dieser Vorteil der Frauen kontinuierlich ab, bis schließlich im höheren Alter das Risiko für Frauen größer ist. Weiterhin sind auch psychosoziale EinÁussfaktoren zu nennen. Gerade bei den Erkrankungen des Kreislaufsystems, aber auch bei den Erkrankungen des Atmungssystems ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit stark von Risikofaktoren (hier sind vor allem sogenannte Lifestyle-Faktoren zu nennen) abhängig, die in höheren Altersgruppen bei Männern vergleichsweise häuÀger angetroffen werden. Als weiterer Erklärungsansatz kommen geschlechtsspeziÀsche Konzepte von Gesundheit und Krankheit in Betracht, die sich möglicherweise auf der Grundlage klassischer bipolarer Geschlechtsrollen entwickeln.
Konstrukt 9: Terminal Decline In Arbeiten zur Entwicklung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter wurde schon früh die These aufgestellt, dass ein Teil der empirisch beobachtbaren Altersunterschiede darauf zurückgeht, dass sich in höheren Altersgruppen deutlich mehr Menschen in der letzten Phase ihres Lebens beÀnden. Die Annahme, dass die Lern-, Denk- und Problemlösefähigkeit in den letzten Lebensjahren eine Phase beschleunigter Leistungseinbußen durchlaufen, geht bereits auf Arbeiten aus den
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1960er Jahren zurück, in denen zur Umschreibung dieses Phänomens der Begriff Terminal Decline eingeführt wurde. Eine bekannte Studie von Wilson et al. (2003), in der seit Mitte der 1990er Jahre ältere katholische Nonnen, Priester und Brüder einmal jährlich medizinisch und klinisch untersucht werden, zeigte, dass die kognitive Leistungsfähigkeit in der Gruppe der Überlebenden im Durchschnitt um lediglich 0.026 Standardeinheiten pro Jahr zurückging. Unter den Verstorbenen war bis zum 43. Monat vor dem Eintritt des Todes eine vergleichbare Stabilität beobachtbar, danach aber ein mit durchschnittlich 0.173 Standardeinheiten pro Jahr deutlich beschleunigter Rückgang. Die Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit war damit in der Gruppe der Verstorbenen ab dem 43. Monat vor dem Eintritt des Todes sechsmal höher als in der Gruppe der Überlebenden. Darüber hinaus zeigten die Verstorbenen bereits zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt um 0.103 Standardeinheiten schlechtere kognitive Leistungswerte. Die Tatsache, dass sich große interindividuelle Unterschiede im Grad der Veränderung während der Phase vor dem Tode zeigten, spricht nach Ansicht der Autoren dafür, dass ein Teil des kognitiven Verlusts in der Phase vor dem Tod als Symptom von Krankheiten im hohen Alter zu deuten ist; zu denken ist hier insbesondere an Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz oder den Schlaganfall, die zahlreiche kognitive Funktionen berühren und zugleich EinÁuss auf das Überleben ausüben. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass ein gewisses Maß an kognitiven Verlusten bei allen Menschen erkennbar war, die verstorben sind, dafür, dass an den als Terminal Decline beschriebenen Verlusten auch andere Faktoren beteiligt sind. Theorien zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen deutlichen Rückgängen der kognitiven Leistungsfähigkeit und
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Mortalität lassen sich drei Hauptkategorien zuordnen, je nachdem ob sie von einer Hirnschädigung, einem systematischen globalen Abbauprozess oder einer Erkrankung als zentraler Ursache ausgehen. Für Theorien der ersten Kategorie ist der Versuch charakteristisch, den Zusammenhang zwischen Mortalität und Kognition durch neuronale Veränderungen zu erklären. So wird argumentiert, dass eine alternsassoziierte Abnahme der Neuronen eine Reduktion in der Anzahl jener basalen Elemente zur Folge habe, die dem Organismus zur Verarbeitung, Aneignung und Speicherung von Information zur Verfügung stehen. Da psychologische Testverfahren die Integrität und EfÀzienz des Zentralnervensystems abbilden, erscheinen sie auch als geeignet, Auskunft über pathologische Veränderungen von Hirnfunktionen zu geben. Für Theorien der zweiten Kategorie ist die Annahme charakteristisch, dass der Zusammenhang zwischen Rückgängen in kognitiven Funktionen und Mortalität einen generellen Abbauprozess widerspiegelt. Diesen Theorien zufolge ist es denkbar, dass Einbußen in kognitiven Funktionen eine Verschlechterung der Gesundheit indirekt begünstigen, insofern ein erhaltenes Gedächtnis eine notwendige Bedingung für die Einnahme verordneter Medikation, für die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, für gesundheitsbewusstes Verhalten oder für eine angemessene Ernährung darstellt. In ähnlicher Weise könnte die abnehmende Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit einen primären Alternsprozess des Zentralnervensystems widerspiegeln. Dabei ist von zwei Annahmen auszugehen: Erstens ist die verlangsamte Informationsverarbeitung als Marker für die Alterung des Zentralnervensystems anzusehen, zweitens beeinträchtigt diese Alterung die adaptive Kapazität generell und kann unter an-
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derem eine erhöhte Anfälligkeit für verschiedene potenzielle Todesursachen zur Folge haben. Theorien der dritten Kategorie sehen kognitive LeistungsdeÀzite als einen Indikator für eine generelle oder speziÀsche organische Störung an, die nicht unmittelbar mit der Hirnfunktion zusammenhängt, wie metabolische, toxische oder neurochemische Dysfunktionen und systemische Erkrankungen. Als Beispiel für eine systemische Erkrankung, die das Nervensystem und höhere kognitive Funktionen beeinträchtigt, sind insbesondere kardiovaskuläre Erkrankungen zu nennen.
Konstrukt 10: Morbiditätskompression Das Konzept der Morbiditätskompression wurde in den 1980er Jahren als Gegenentwurf zu der von vielen Demografen und Sozialpolitikwissenschaftlern vertretenen Ansicht entwickelt, die durch den medizinischen Fortschritt gewonnenen Monate und Jahre würden in schlechterer Gesundheit verbracht, sodass der demograÀsche Wandel entsprechend fatale Auswirkungen auf die Entwicklung der Kosten im Gesundheitssystem habe. Der damit angenommene Prozess wurde mit dem Begriff des Failure of Success, also des Scheiterns oder Versagens des Erfolgs, belegt. Das Konzept der Morbiditätskompression stellt demgegenüber ein positives Konzept dar, indem es sich am Ideal eines langen Lebens mit einer relativ kurzen Krankheitsphase vor dem Tod orientiert. Dieses Ideal soll insbesondere durch einen Rückgang der schweren chronischen Erkrankungen, wie zum Beispiel der kardiovaskulären Erkrankungen, erreicht werden. Dieses Konzept postuliert zudem, dass die aufgrund der steigenden Anzahl älterer Menschen zu erwartende Zunahme
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der Krankheitslast wenigstens in Teilen dadurch aufgehalten werden kann, dass auf individueller Ebene eine im Durchschnitt geringere Krankheitsbelastung gegeben ist – woraus sich positive Effekte für die Stabilität des Gesundheitssystems ergeben. Eine Kompression der Morbidität lässt sich für die beiden vergangenen Dekaden eindeutig nachweisen, und dies sogar mit einer relativ hohen Geschwindigkeit. Wie aus den Berechnungen der amerikanischen Forscher Manton und Gu (2001) hervorgeht, sind die Fähigkeitseinbußen in der über 65-jährigen Bevölkerung von 1982 bis 1999 von 26,2 % auf 19,7 % zurückgegangen; dies entspricht einer Abnahme um 2 % im Jahr. Diese Abnahme ist deutlich größer als der Rückgang der Mortalität in dieser Periode mit 1 % im Jahr. Dabei ließ sich der Rückgang sowohl in den basalen wie auch in den komplexeren instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens nachweisen. Die Gründe für den Rückgang in den Fähigkeitseinbußen scheinen multifaktoriell zu sein; von einer einfachen Ursache kann nicht ausgegangen werden. Genannt werden als Gründe: Abnahme des Zigarettenkonsums, medizinische Fortschritte, zum Beispiel verbesserte Behandlung des Bluthochdrucks, des Diabetes, der koronaren Herzerkrankung, sowie Entwicklung und Umsetzung präventiver Maßnahmen. In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass ein in späteren Generationen höherer Bildungsstand mit gesteigerten Selbstwirksamkeitsüberzeugungen einhergeht, die verstärkt zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen motivieren: In dieser Weise argumentiert der Medizinsoziologie Fries, auf den das Konzept der Morbiditätskompression zurückgeht (Fries 2005).
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Konstrukt 11: Aktive Lebenserwartung Dem Konzept der aktiven bzw. der behinderungsfreien Lebenserwartung liegt die Annahme zugrunde, dass Erkrankungen nicht zu Behinderungen führen müssen. Weiterhin wird angenommen, dass sich Erfolge der Prävention, Therapie und PÁege nicht allein in der Kompression der Morbidität, sondern auch im späteren Auftreten von Behinderungen widerspiegeln. Eine zentrale Frage, die im Kontext dieses Konzepts gestellt wird, lautet: Wie viele Jahre leben ältere Menschen ohne Einschränkungen ihrer Funktionstüchtigkeit? Dabei wird von einem breiten Spektrum von Funktionen ausgegangen, die sensomotorische, kognitive, sozialkommunikative und emotionale Funktionen umfassen. Aus einer lebenslauforientierten Perspektive ergibt sich die Notwendigkeit, bereits in früheren Lebensaltern physische, kognitive und alltagspraktische Kompetenzen aufzubauen und systematisch zu erweitern, die sich positiv auf die physische und kognitive Leistungskapazität sowie auf die Selbstständigkeit im Alter auswirken – damit Menschen zum einen mit besseren KompetenzproÀlen in das Alter eintreten und zum anderen, im Falle eingetretener Erkrankungen, eine höhere Kompensationsfähigkeit und damit höhere Rehabilitationspotenziale aufweisen, die sie eher in die Lage versetzen, auch bei chronischer Erkrankung ihre Mobilität sowie ihre physische und kognitive Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sind auch im hohen Alter Maßnahmen zur Förderung der physischen, der kognitiven und der alltagspraktischen Kompetenz anzuwenden, um auf diese Weise die Ausbildung von Hilfe- oder Pfegebedarf bei chronischen Erkrankungen zu vermeiden: Aus diesem Grunde wird in der Teilnahme älterer Menschen an präventiv ausgerichteten, umfassend konzipierten Bildungsangeboten wie
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auch in speziÀschen Schulungs- und Trainingsprogrammen für chronisch erkrankte Menschen ein zentraler Beitrag der funktionellen Prävention für die Erhaltung von physischer und kognitiver Leistungskapazität sowie von Selbstständigkeit im Alter gesehen. Persönlicher Blick auf das Alter Was lösen eine mögliche Pflege- und Hilfsbedürftigkeit und das Sterben der Eltern in mir aus? Andreas Kruse: Da meine Mutter noch lebt, kann ich hier nur vom Sterben meines Vaters sprechen. Dieses Sterben habe ich intensiv begleitet; und die dabei gewonnenen Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig die menschliche Solidarität in dieser Grenzsituation unseres Lebens ist. Ich habe dabei auch erlebt, dass das Sterben durchaus als Übergang verstanden werden kann. Wohin? Dies vermag ich nicht zu sagen. Aber als Übergang erscheint mir das Sterben schon. – Und was die Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit in unserer Familie angeht (davor ist diese nicht verschont geblieben): Für mich hat die Erfahrung, dass gerade das hohe Alter mehr und mehr mit der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit konfrontiert, nichts Schreckendes! Entscheidend ist, offen darüber zu sprechen. Und dies versuchen wir in der Familie zu leisten. Und es gelingt uns eigentlich ganz gut. Die Erfahrung, dass ich, dass wir die Möglichkeit haben, mit der älteren Generation darüber zu reden, ist für meine Frau wie auch für mich selbst von großem Wert, wenn es darum geht, sich mit der eigenen Verletzlichkeit und Endlichkeit auseinanderzusetzen. Und dies ist für mich die große Aufgabe: Schon mitten im Leben die Ordnung des Lebens mit der Ordnung des Todes zu verbinden – bis tief in den Alltag hinein. Hans-Werner Wahl: Mein Vater ist bereits sehr früh mit 53 Jahren gestorben. Gerade in der letzten Zeit stelle ich mir häufig vor, wie er heute – er wäre jetzt in der zweiten Hälfte seines 9. Lebensjahrzehnts – leben würde, welche Beziehung er zu mir und meiner Familie haben könnte. Diese Gedanken berühren mich tief. Beginnende Einschränkungen bei meiner Mutter und bei meinen Schwiegereltern beschäftigen uns zunehmend, halten uns bisweilen auch in Atem und bestimmen immer wieder deutlich unser Alltagsleben.
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So haben wir in den letzten Jahren ganz bewusst keine Fernreisen unternommen, um schnell vor Ort sein zu können. Aber dies durchaus ohne jegliches Gefühl von Einschränkung. Das ist gut so. Die Veränderungen der eigenen Eltern führen auch immer wieder bei mir und meiner Frau zu der Frage: Wie werden wir selbst mit der möglichen eigenen Pflegebedürftigkeit umgehen? Werden wir, wollen wir manches anders gestalten? Klar ist für uns in jedem Fall, dass wir durch unsere Lebensführung (z. B. Bewegung, Ernährung, Investment in soziale Beziehungen, Vermeidung von zu viel Stress und unnötigen Risiken) bereits in der Gegenwart etwas dafür tun können, um den Verlauf unseres Alterns zu beeinflussen. Das machen wir ganz bewusst. Wir sprechen viel über mögliche Pflegebedürftigkeit und denkbare Szenarien, ohne uns bereits in irgendeiner Weise festgelegt zu haben. Wir vertrauen darauf, dass ein gutes Leben im Hier und Jetzt – vor allem das andauernde und nicht immer einfache Bemühen darum, dass unsere Beziehung sich stetig weiterentwickelt und neue Lebensanforderungen in sich aufnimmt und trägt – die beste Grundlage dafür ist, mit dem Unbekannten, was da kommen mag, gut und verantwortungsvoll umgehen zu können.
Regelmäßige körperliche Aktivität hat unabhängig vom Lebensalter günstige Auswirkungen auf den Gesundheitszustand. So haben Menschen, die sich regelmäßig sportlich betätigen, die spazieren gehen oder die Gartenarbeit verrichten, im Vergleich zu körperlich nicht aktiven Menschen ein deutlich geringeres Krebsrisiko und eine höhere Lebenserwartung. Wer regelmäßig körperlich aktiv ist, ist im höheren Alter auch eher in der Lage, Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständig auszuführen. Auch jenseits des 70. Lebensjahres sind Menschen in der Lage, durch ein achtwöchiges Krafttraining ihre Muskelkraft um bis zu 50 % zu steigern. Des Weiteren gehen körperliche Bewegung, Sport und Krafttraining mit einer verbesserten Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit einher. Hier kann zum Teil das Niveau von untrainierten 20- bis 30-Jährigen erreicht werden. Zu erwähnen ist auch,
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dass körperlich aktive ältere Menschen im Allgemeinen zufriedener sind und sich besser fühlen als körperlich weniger aktive ältere Menschen.
Zusammenführung: Was bedeutet Altern aus Sicht der Biologie? Biologische Alternsforschung konzentriert sich auf die Beschreibung und Erklärung von zumindest in ihrer Gesamtheit irreversiblen Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen des Organismus (Organe, Zellen, Moleküle), die nach der Reproduktionsphase auftreten, dessen Adaptations- und Funktionsfähigkeit zunehmend beeinträchtigen und schließlich zum Tode führen. Da die individuelle Lebensspanne und das Ausmaß, in dem Menschen im hohen Alter von Krankheiten, Einbußen und DeÀziten betroffen sind, offensichtlich auch genetisch bestimmt sind und sich aus evolutionstheoretischer Perspektive darüber spekulieren lässt, inwieweit eine begrenzte Lebensspanne von Individuen im Interesse der Art notwendig ist, waren Programmtheorien des Alterns lange Zeit recht populär. Dagegen wird heute weit häuÀger die Auffassung vertreten, dass aus Phänomenen wie einer begrenzten Anzahl möglicher Zellteilungen (in vitro) oder einem programmierten Zelltod (Apoptose) nicht auf ein entsprechendes Programm geschlossen werden darf. In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf verwiesen, dass die Sterblichkeit von Organismen in ihren natürlichen Lebensräumen vor allem auf externe Ursachen und allenfalls zu einem geringen Teil auf altersbedingte Verluste in der adaptiven Kompetenz des Organismus zurückgeht, was ein zum Tode führendes genetisches Programm als Ergebnis evolutionärer Selektion unwahrscheinlich
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macht. Auch die Erkenntnisse der Zell- und Molekularbiologie sprechen dafür, Altern weniger als Ergebnis deterministischer denn als Ergebnis stochastischer Prozesse aufzufassen. Damit werden gleichzeitig die interindividuelle Variabilität und die Gestaltbarkeit von Alternsprozessen stärker Gegenstand der Alternsbiologie. Indem irreversible Veränderungen in der adaptiven Kapazität des Organismus als Ergebnis eines stochastischen Prozesses aufgefasst werden, stellt sich auch die Frage nach möglichen Risikofaktoren und Möglichkeiten, diese wenn schon nicht gänzlich zu vermeiden, so doch zumindest zu reduzieren und so die aktive Lebenserwartung zu erhöhen. Deutlich wurde dies insbesondere im Zusammenhang mit der Theorie der freien Radikale und der Theorie der Morbiditätskompression. Angesichts der enormen Fortschritte, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Zell- und Molekularbiologie erzielt worden sind, besteht Anlass zur Hoffnung, dass wir zahlreiche „Alterskrankheiten“ schon bald deutlich besser verstehen und eher in der Lage sein werden, diese auch einer effektiven Therapie zuzuführen. Am Phänomen des Terminal Decline wurde deutlich, dass die Alternspsychologie von Fortschritten innerhalb der Alternsbiologie erheblich proÀtieren kann. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass die gegenwärtig als Erklärung altersgebundener Veränderungen in der kognitiven Leistungsfähigkeit diskutierten Theorien von einer alternsbiologischen Fundierung und Präzisierung erheblich proÀtieren könnten. Andererseits erfordert ein umfassendes Verständnis von Alternsprozessen natürlich mehr als fundierte alternsbiologische Kenntnisse. Altern ist nicht lediglich ein (im Übrigen sehr heterogenes) biologisches Phänomen, unterschiedliche Alternsformen spiegeln auch ökologische, soziale und kulturelle Umwelten sowie individuelle Bemühungen um eine Gestaltung der eigenen Entwicklung wider.
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Literaturempfehlungen Gutzmann, H. & Zank, S. (2005). Demenzielle Erkrankungen. Medizinische und psychosoziale Interventionen. Stuttgart: Kohlhammer Markowitsch, H. J., Brand, M. & Reinkemeier, M. (2005). Neuropsychologische Aspekte des Alterns. In S.-H. Filipp & U. M. Staudinger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie des mittleren und höheren Erwachsenenalters. Enzyklopädie der Psychologie (Bd. 6, S. 80–108). Göttingen: Hogrefe. Staudinger, U. & Häfner, H. (2008). Was ist Alter(n)? Neue Antworten auf eine scheinbar einfache Frage. Heidelberg: Springer. [Speziell die Kapitel zur Biologie des Alter(n)s.]
5 Ausgewählte Konstrukte zur Psychologie des Alterns Wir setzen unsere „Konstruktreise“ mit der Region der psychologischen Alterns- und Lebensforschung fort. Der psychologischen Alterns- und Lebenslaufforschung geht es vor allem um unsere geistigen Leistungen, unser Erleben und unser Verhalten und wie sich diese Aspekte im Laufe des Altwerdens verändern. Der Schwerpunkt der psychologischen Sichtweise liegt dabei auf Individuen und ihren Wechselwirkungen mit anderen Individuen, nicht so sehr auf der Rolle der Gesellschaft oder dem Vergleich zwischen Gesellschaften bzw. Kulturen, obgleich dies auch immer wieder Gegenstand der psychologischen Alternsforschung geworden ist (wir werden vor allem bei der Vernetzung der von uns in den Mittelpunkt gestellten Konstrukte darauf zurückkommen). Die folgenden Konstrukte/Konstruktpaare möchten wir dabei besonders herausstellen:
Konstrukt 1: Mechanik und Pragmatik Mit diesem Konstruktpaar ist eine der traditionell stärksten Strömungen in der Psychologie ganz allgemein, aber auch in der Alternspsychologie, angesprochen, nämlich die Viel-
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Psychologie Soziologie
Biologie
übergreifende Konstrukte
Altersinterventionen
Biologie
Psychologie
• genetische Programmierung
• Mechanik und Pragmatik
• Altern als deterministischer Prozess
• Gedächtnisprozesse
• Altern als stochastischer Prozess
• Erfahrungswissen und berufliche Leistungsfähigkeit
• freie Radikale
• Lebensweisheit • Persönlichkeit und Selbst • soziale Beziehungen
• Vulnerabilität • Krankheiten • Demenz • geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe • Terminal Decline • Morbiditätskompression • aktive Lebenserwartung
• Motivation und Zielprozesse • Belastungsverarbeitung und psychische Widerstandsfähigkeit • Lebenszufriedenheit, Lebensglück und Sinn
Abb. 5.1 Konstruktlandkarte zu Alter(n): ausgewählte Konstrukte zur Psychologie.
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falt und Mehrfachausrichtung unserer geistigen Leistungen (Kray & Lindenberger 2007). Traditionell ist es vor allem die sogenannte Allgemeine Psychologie, die derartige Prozesse zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht hat. An die Veränderung (oftmals mit negativem Beigeschmack) unserer geistigen Leistungen, etwa der Schnelligkeit und Genauigkeit unserer Informationsverarbeitung, denken viele zuallererst, wenn es um Altersveränderungen geht. Manche würden vielleicht sogar so weit gehen, derartige Veränderungen, prototypisch Verlangsamungen, als konstitutiv für den menschlichen Alternsprozess anzusehen. Uns geht es hier vor allem um die Verdeutlichung der eben betonten Vielfalt und Mehrfachausrichtungen unserer geistigen Leistungen, das heißt, es gibt nicht eine Form geistiger Leistungsfähigkeit, sondern vielfache – und alle stehen gleichberechtigt nebeneinander: Unter dem Konstrukt der Mechanik wird ein ganzes Bündel von Fähigkeiten behandelt, das vor allem Schnelligkeit in der Verarbeitung von unterschiedlichsten Informationen und Anforderungen, logisches/schlussfolgerndes Denken und die Genauigkeit in räumlichen Vorstellungen umfasst. Es geht hier um weitgehend inhaltsfreie Verarbeitungsprozesse, von denen anzunehmen ist, dass sie relativ eng mit den Vorgängen in unserem biologischen Substrat, speziell den Vorgängen in unserem Gehirn, verknüpft sind. Der große, sicherlich auch von der Evolution „erkannte“ und optimierte Vorzug dieser Verarbeitungsprozesse liegt in ihrer AnwendungsÁexibilität im Hinblick auf eine prinzipiell unendliche Bandbreite von Anforderungen (zum Beispiel neuartigen Problemstellungen), denen wir selbst mit 80 Jahren möglicherweise noch nie im Leben begegnet sind, und die wir dennoch mithilfe dieser Fähigkeitskomponenten erfolgreich verarbeiten können. Der große Nachteil besteht darin, dass die starke Abhängigkeit
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dieser Leistungen von biologischen Zentralfunktionen wie beispielsweise Nervenleitgeschwindigkeiten zwischen einer großen Zahl an Zellen in unserem Gehirn im Laufe der Zeit (und hier geht es ja heute um Zeiträume von locker acht bis neun Jahrzehnten; siehe noch einmal unsere demograÀschen Aussagen) dazu führt, dass die Ausführung dieser Prozesse zunehmend verzögerter und fehleranfälliger wird. Demgegenüber ist die Pragmatik jener Konstruktschirm, unter dem sich die vielfältigsten Formen des menschlichen Wissens und Könnens versammeln, so etwa sprachliche Fähigkeiten, kulturgebundenes Wissen (zum Beispiel Wissen über Geschichte, das Funktionieren politischer Systeme) und Weltund Erfahrungswissen (zum Beispiel strategisches Lebenswissen: Was funktioniert in welcher Lebenslage am besten? Was besitzt die größte Aussicht auf längerfristigen Erfolg?). Nicht nur Schnelligkeit des Denkens, auch eine reichhaltige Pragmatik des Denkens und Wissens, oft verbunden mit weit ausdifferenzierter Expertise (zum Beispiel hochspeziÀsches beruÁiches Wissen und Können, Schach, Länderkunde, Weinkennerschaft), löst vielfach Bewunderung in uns hervor und Letzteres geschieht wohl häuÀger in Bezug auf Menschen im mittleren und nicht selten auch im höheren Erwachsenenalter. Vieles spricht demnach dafür, dass die Entfaltung des Aspekts der Pragmatik mehr als die Entfaltung der Mechanik etwas mit dem Verstreichen von Zeit zu tun hat. Es braucht Zeit, manchmal ein ganzes Leben, um bestimmte Lebenseinsichten zu erzielen und die eigene Selbst- und Weltsicht (auch eine Form des Denkens und der kognitiven Analyse) zu einem Niveau immer höherer Komplexität zu führen. Diese Form des Denkens ist weniger wichtig für unser Überleben als die Fähigkeiten der Mechanik (zum Beispiel schnelles Erkennen von Gefahren, schnelle und richtige Verarbeitung einer Problemsituation,
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die Misserfolg und mögliche Bedrohung verhindert) und ist deshalb wahrscheinlich allgemein auch weniger stark von der Evolution begünstigt worden. Sicher sind beispielsweise erfahrungsbezogene Wissens- und Denkelemente hochanpassungsrelevant (also sicherlich auch evolutionär fortlaufend optimiert worden), aber insgesamt liegt der Höhepunkt der Entfaltung pragmatischer Kompetenzen regelhaft (Ausnahmen bestätigen die Regel) jenseits der menschlichen Reproduktionsphase – und ist damit für die Evolution von geringerem Interesse. Dies muss allerdings für Altern bzw. die in historisch so kurzer Zeit entstandene extreme Ausweitung unserer Lebenserwartung (siehe noch einmal unsere demograÀschen Aussagen) kein Nachteil sein! Auf der einen Seite sind mechanische Komponenten zwar evolutionär begünstigt, jedoch stark alternsabhängig; auf der anderen Seite sind pragmatische Komponenten zwar evolutionär weniger begünstigt, jedoch weniger stark alternsabhängig. Mit anderen Worten: In der ersten Lebenshälfte sind wir schneller, in der zweiten weiser. Die vergehende Lebenszeit besitzt unterschiedliche Auswirkungen; sie wirkt sich nachteilig auf die geschwindigkeitsbezogenen Leistungen aus und gleichzeitig vorteilhaft auf die Entwicklung von Lebenswissen, Lebenserfahrung und Expertise.
Verläufe in mechanischen und pragmatischen Fähigkeiten In Abbildung 5.2 Àndet sich neben den bestimmenden Merkmalen der Mechanik und Pragmatik auch ein idealtypischer Verlauf dieser beiden Fähigkeitsbündel. Hierbei lässt sich gut erkennen, dass der „Abbau“ von Leistungen der Mechanik, wie zum Beispiel das möglichst schnelle und möglichst
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Mechanik
Pragmatik
Zukunft Altern Basisprozesse der Informationsverarbeitung - inhaltsarm - universal, biologisch - primär genetisch bedingt Wissenskörper: Fakten und Strategien - inhaltsreich - kulturabhängig - primär erfahrungsbedingt
Pragmatik Me
ch
Intelligenz als kulturgebundenes Wissen an
ik
Intelligenz als Basisprozess der Informationsverarbeitung
Lebensverlauf
Abb. 5.2 Idealtypische Verläufe von Mechanik und Pragmatik der geistigen Leistungsfähigkeit. (aus Kray & Lindenberger 2007, S. 195).
richtige Verbinden einer Reihe von Zahlen, im Durchschnitt bereits recht früh im Erwachsenenalter zu erwarten ist. Demgegenüber sollten Fähigkeiten der Pragmatik, zum Beispiel sprachliche Gewandtheit, bis in späte Lebensphasen hinein gut erhalten bleiben. Stimmen nun diese Verläufe mit der Realität überein? Grundsätzlich, so lässt sich sagen, recht gut. Eines ist klar: Geistige Leistungen aus dem Bereich der Pragmatik zeigen deutlich weniger starke Verluste als Leistungen aus dem Bereich der Mechanik. Jedoch sind wichtige Differenzierungen vorzunehmen: Erstens kommt auch die Pragmatik im sehr hohen Alter „unter Druck“, das heißt, es kommt auch in diesem Bereich zunehmend zu Verlusten, jedoch langsamer und weniger gravierend als im Bereich der Mechanik. Zweitens sind die Unterschiede zwischen alternden Menschen in beiden Bereichen sehr hoch, und diese großen Unterschiede bleiben bis nahe an den Tod erhalten. Abbildung 5.3 zeigt solche Daten aus der Berliner Altersstudie (Mayer & Baltes 1996), einer Studie, in der zum ersten Mal in Deutschland auch Hochaltrige bis über 100 Jahre in ausreichender Zahl einbezogen wurden (jeder Punkt repräsentiert eine untersuchte Person). Hier sind – vereinfachend – mechanische und pragmatische Leistungen zusammengeführt, und es wird deutlich, wie groß
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Personen mit überdurchschnittlichen Werten
80
Personen mit unterdurchschnittlichen Werten
75
kognitive Leistungsfähigkeit
70 65 60 55 50 45
r=-0,58
40 r=-0,59
35 30 25 20 70
75
80
85
90
95
100
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Alter
Abb. 5.3 Zusammenhang zwischen Alter und geistiger Leistungsfähigkeit für Personen, die auf einem Index sozialstruktureller Faktoren eher über- oder unterdurchschnittliche Werte aufweisen (entnommen aus und leicht modifiziert nach Reichies & Lindenberger 1996, S. 368).*
die Ausschläge in den Leistungen selbst bei den über 85-Jährigen sind. Selbst in dieser Altersperiode Ànden sich gar nicht so selten Menschen, die deutlich höhere Leistungen aufweisen als so manche Person zwischen 70 und 80 Jahren (siehe auch Pfeile in Abbildung 5.3). Und noch ein weiteres wird deutlich: Personen mit überdurchschnittlich guter „Lebens*
Die Zahlen in der Abbildung sind KorrelationskoefÀzienten, die zwischen –1 und +1 variieren können. Sie indizieren einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen Alter und geistiger Leistungsfähigkeit in dem Sinn, dass dieser umso geringer ausfällt, je älter die Studienteilnehmer sind. Pfeile durch uns ergänzt.
*
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Zukunft Altern
ausstattung“, mit Ressourcen wie einer relativ hohen Bildung, einem anspruchsvollen Beruf und einem hohen Einkommen, sind nicht davor gefeit, einen altersbezogenen Rückgang in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit zu erfahren. Allerdings gibt es auch eine gewisse Schutzfunktion einer solchen Ausstattung, denn der Verlust Àndet, wie man in Abbildung 5.3 sieht, auf höherem Niveau statt. Das ist nicht unbedeutend, denn es bedeutet auch, dass hier insgesamt eine höhere Kompensationsfähigkeit besteht, das heißt, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens demenzieller Veränderungen ist etwas reduziert.
Mehrfachanforderungen zeigen Alternsveränderungen besonders deutlich Sehr gute Bestätigung hat mittlerweile auch die schon früh in der psychologischen Alternsforschung geäußerte Vermutung gefunden, dass es vor allem Mehrfachanforderungen sind, welche die mit dem Altern zunehmend enger werdenden Grenzen unserer geistigen Leistungsfähigkeit besonders deutlich aufzeigen. So ist es zum Beispiel für Jüngere in aller Regel kein Problem, durch eine gerade in eine Kurve einbiegende Straßenbahn zu laufen und dabei gleichzeitig mit einer an deren Person zu sprechen, stellt jedoch an Ältere sehr hohe Anforderungen. So müssen bei solchen „dualen Aufgaben“ Aufmerksamkeitsressourcen in vielfältiger Weise verteilt werden (Position im Raum andauernd prüfen und korrigieren = eine komplexe sensumotorische Leistung ausführen; thematische Zusammenhänge der stattÀndenden Kommunikation sinnvoll halten und fortführen = eine komplexe Leistung menschlicher Verständigung), und dadurch, dass sich solche Aufmerksamkeitsressourcen im Laufe des Alterns immer deutlicher
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reduzieren, können diese sehr schnell „ausgehen“: Man muss sich so stark auf die Bewegung in der Straßenbahn konzentrieren, dass für andere Handlungen nur wenig an Ressourcen übrig bleibt. Man kann allerdings auch alles dafür tun, sehr schnell einen „sicheren“ Platz zu Ànden, der es einem nun ermöglicht, das Gespräch mit der anderen Person problemlos fortzusetzen. Ein solches Verhalten, vielfach bei Älteren zu beobachten, ist hoch adaptiv, das heißt, es entspricht den noch zur Verfügung stehenden Ressourcen. Insgesamt allerdings zeigt gerade das Beispiel der Bewältigung der (unvermeidlichen) Mehrfachaufgaben im Alltag eines besonders deutlich: Es stehen uns im Alter gerade jene Ressourcen, nicht zuletzt kognitive, die wir eigentlich am meisten bräuchten, um den Alltagsanforderungen zu genügen, immer weniger efÀzient zur Verfügung – eine Paradoxie des Altwerdens. „Lab or Life?“ – Zu einer sonderbaren Diskrepanz zwischen der kognitiven Laborforschung und der Alltagsrealität alternder Menschen Sicherlich wirken sich viele der in Laborsituationen überaus robust diagnostizierten kognitiven Verluste im Alter auch im Alltag aus, jedoch längst nicht so stark, wie man dies eigentlich erwarten müsste. Ältere fahren heute relativ sicher bis ins zehnte Lebensjahrzehnt Auto bzw. nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Ältere leben zu 95 % in Privathaushalten, und sie leben dort relativ sicher, gefährden nicht massenhaft durch Fehlhandlungen sich selbst und ihre Umwelt oder stürzen nicht dauernd mit schwerwiegenden Folgen. Sie erledigen ihre alltäglichen Geschäfte wie Einkaufen, Medikamenteneinnahme und Bankangelegenheiten selbst mit über 85 Jahren noch mehrheitlich ohne Hilfe und relativ fehlerfrei, wie epidemiologische Studien international und auch in Deutschland mehrfach gezeigt haben. Sie sorgen vor für
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Krankheit und Tod und sie engagieren sich verantwortlich für andere Menschen. Und dies alles angesichts einer so deutlichen kognitiven Verlustgeschichte, wie dies die kognitive Alternsforschung nun mit mehreren Jahrzehnten an Forschungsaktivität herausgefunden hat? Da ist eine Diskrepanz, und sie bedarf der Erklärung – und auch neuer Forschungsstrategien. Sehr bedeutsam ist, dass kognitive Leistungen im Alltag und als Folge lebenslanger Sozialisation vielfach in Routinen, überlernte und stark automatisierte Abläufe sowie in soziale Kontexte (zum Beispiel die Ehefrau als Teil des eigenen Gedächtnisses) eingebunden sind. Ältere Menschen passen zudem laufend ihre Verhaltensweisen an die sich verändernden kognitiven Ressourcen an. Die Elastizität von Alltagssituationen ist dabei übergroß (sehr viel größer als im kontrollierten Laborexperiment), das heißt, Alltagssituationen können vielfach verändert werden: Vereinfachung und Verlangsamung des Handlungsablaufs, Verringerung von Handlungsfrequenz (nur noch einmal pro Woche duschen), Nutzung einer Vielzahl von Hilfsmitteln. Ein gutes Beispiel ist das Autofahren: Fahren viele Ältere zunächst nach der Pensionierung wie „früher“, tritt allmählich eine Reduktion des Aktionsradius ein, und schließlich wird das eigene Auto nur noch für einige wenige, hochvertraute Wege genutzt. Die „automobile Welt“ wird immer kleiner, jedoch ist die Bewegung innerhalb dieser zunehmend kleineren Welt in etwa so sicher wie die frühere in einem deutlich größeren Radius. Erst seit einigen Jahren ist die gerontopsychologische Forschung auch an der Analyse von solchen Alltagskompetenzen interessiert. Zwar zeigt sich auch dabei, dass die Mechanik der geistigen Leistungsfähigkeit eine bedeutsame Rolle spielt. Jedoch kommen nun eine Vielzahl weiterer Faktoren ins Blickfeld: dingliche Umweltbedingungen wie Barrieren im Wohnbereich (die Altersverluste, zum Beispiel Seheinschränkungen, erst zu einem Risiko werden lassen), motivationale Aspekte (depressive Ältere
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tun sich in ihrem Alltag generell schwerer), soziale Faktoren (ein dicht geknüpftes soziales Netzwerk ist auch ein kognitiv forderndes Ambiente und trainiert fortwährend Geist und Körper) und nicht zuletzt sozialstrukturelle Indikatoren (geringere Bildung geht nicht nur mit einer geringeren niedrigeren Leistung im Alter einher, sondern auch mit einem grundsätzlich geringeren Horizont an Anregungsmöglichkeiten, die dann eben nicht genutzt werden). Zu bedenken ist ferner, dass die heutigen Älteren (und erst recht jene der Zukunft) über noch bessere kognitive Ressourcen verfügen werden (Anzahl der Abiturienten steigt generell; vor allem die zukünftig alten Frauen werden deutliche „Bildungsgewinne“ durch den historisch bei ihnen stark anwachsenden Trainingsfaktor Beruf auskosten können). Entgegenhalten könnte man dem allerdings auch, dass unsere Welt insgesamt zunehmend komplexer wird und immer höhere Anforderungen an Einzelne stellt (fortschreitende Technisierung des Alltags, höhere Mobilitätsbedarfe durch Verlagerung von Zentren zur Deckung des täglichen Bedarfs, anwachsende Schnelligkeit in Organisationsabläufen und öffentlichen Systemen, zum Beispiel Autoverkehr, Takt- und Wartezeiten, menügeführte Serviceleistungen). Hier lauert eine weitere Paradoxie einer alternden Gesellschaft: Ältere werden immer kompetenter, gleichzeitig jedoch steigen die Anforderungen so stark, dass diese Vorteile nicht voll zum Tragen kommen können.
Warum altern wir kognitiv so unterschiedlich? Was wissen wir heute darüber, warum, trotz der eben beschriebenen groben Entwicklungslinien bei geistigen Fähigkeitsbündeln, gleichzeitig so große Unterschiede in deren Verlauf zwischen alternden Menschen existieren? Es gibt in jedem Falle keine einfache Antwort, die Gründe sind vielfäl-
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tig, und es existieren komplexe Wechselbeziehungen. So trägt mit Sicherheit die Güte der in der Regel früh im Lebensverlauf erfahrenen Bildung bedeutsam zum lebenslangen Erhalt der geistigen Leistungsfähigkeit bei und schützt, statistisch betrachtet, sogar vor einem demenziellen Geschehen. Bildung ist damit ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, dass mächtige EinÁüsse in frühen Lebensphasen – und zu diesen gehört Bildung ja zweifellos – den Verlauf des Alterns in erheblichem Maße mitbestimmen. Mit höherer Bildung gehen wir allerdings auch anders an die Möglichkeiten des Lebens heran, haben höhere Chancen, „Entwicklungsgelegenheiten“, etwa beruÁich, für uns zu nutzen. „Wer hat, dem wird gegeben“ – diesem sogenannten „Matthäus-Prinzip“ scheint gerade im Bereich des kognitiven Alterns hohe Bedeutung zuzukommen, denn die frühe Ausstattung von Menschen mit Ressourcen (wie Bildung) erlaubt diesen, sich im Zuge des fortschreitenden Lebens ergänzende Ressourcen zu verschaffen, die das eigene Entwicklungspotenzial andauernd „fördern durch Fordern“. Das geht bis hin zur Wahl eines kognitiv anregenden Lebenspartners: Liebe ist das eine; jahrzehntelange geistige Anregung eben das andere. Das zweite große Faktorenbündel zur Erklärung der enormen Unterschiede in den Verläufen der geistigen Leistungsfähigkeit sind körperliche Erkrankungen. Die Wechselwirkungen zwischen bestimmten akuten oder chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes und dem Verlauf der kognitiven Leistungsfähigkeit werden erst in den letzten Jahren zumindest in Teilen besser verstanden. Systemische Durchblutungsstörungen können beispielsweise die Hirnleistung ungünstig beeinÁussen. Bereits recht lange bekannt ist ein enger Zusammenhang zwischen depressiven Erkrankungen und der kognitiven Leistungsfähigkeit. Die
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Gründe hierfür liegen auf unterschiedlichen Ebenen: motivational (zum Beispiel sich nicht so anstrengen, eine Alltagsanforderung zu bewältigen), aufmerksamkeitsbezogen (zum Beispiel sich nicht genügend auf eine Alltagsanforderung konzentrieren), hirnorganisch (zum Beispiel vor allem bei spät im Leben eintretenden Depressionen sind bisweilen Gehirnveränderungen zu Ànden, die jenen der Demenz ähneln, wenngleich sie im Vergleich mit dieser weniger ausgeprägt sind). Besonders viel Forschungsaufmerksamkeit haben in jüngster Zeit sogenannte leichte kognitive Beeinträchtigungen gefunden, die in der Altersbevölkerung jenseits von 65 Jahren mit etwa 30 % weit verbreitet, jedoch noch keineswegs mit Demenz gleichzusetzen sind (allerdings häuÀg in eine solche münden). Das „Tückische“ an diesen Veränderungen ist, dass sie für die Betroffenen noch gar nicht spürbar bzw. subjektiv erfahrbar sind, jedoch das kognitive Potenzial – der Entwicklungsforscher und Kognitionspsychologe Paul B. Baltes (1990) hat von der Reservekapazität gesprochen – deutlich einschränken: Der Erwerb neuen Wissens wird zunehmend schwieriger und weniger nachhaltig, erfahrene geistige Stimulationen zeigen keine Wirkung mehr, die Alltagsanforderungen (zum Beispiel im Bereich der räumlichen Orientierung bei der außerhäuslichen Mobilität) werden „im Hintergrund“ immer gefährdeter und risikoreicher, obgleich sie auf der OberÁächenebene noch recht gut funktionieren.
Konstrukt 2: Gedächtnisprozesse Auch wenn die anwachsende Langsamkeit des Denkens und die Verletzlichkeit gegenüber Mehrfachanforderungen prototypisch für das menschliche Altern sind, in der subjektiven
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Erfahrung sind es vor allem nachlassende Gedächtnisfunktionen, die als „alterstypisch“ beschrieben werden. Fast könnte man wohl sagen: Ich altere, denn mein Gedächtnis wird schlechter. Doch auch hier sind Differenzierungen notwendig, und wieder werden diese Differenzierungen dazu führen, nicht von einem allgemeinen Gedächtnisverlust mit fortschreitendem Altern auszugehen, sondern – ähnlich wie bei der geistigen Leistungsfähigkeit – von einer Mehrdimensionalität des Gedächtnisses und einer unterschiedlich hohen Altersverletzlichkeit derartiger Dimensionen. Gedächtnis als mächtige Instanz Ähnlich wie die Untersuchung des Denkens gehört die Erforschung des Gedächtnisses zu den ältesten Forschungsgebieten der Psychologie. Hermann Ebbinghaus hat Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen mithilfe der Methode des systematischen Selbstversuchs durchgeführten Studien die moderne Gedächtnisforschung begründet, und seine „Vergessenskurven“, wenngleich ohne jeden Bezug zum Alter, besitzen bis heute grundlegende Gültigkeit. Doch zunächst: Warum ist die Erforschung des Gedächtnisses so bedeutsam – generell und in Bezug auf Alternsprozesse? Vielleicht sollte man hier allerdings umgekehrt fragen: Was wären wir ohne ein Gedächtnis? Wie würden wir mit 80 Jahren dastehen, wenn wir kein Gedächtnis besäßen? Das ist eine sonderbare Vorstellung: Nichts von einem langen Leben würde uns präsent sein, wir wüssten nicht, in welcher Welt und mit welchen geliebten (und ungeliebten) Personen in unserer Umgebung wir so alt geworden wären. Und wir wüssten auch nicht, wer wir selbst wären, was zu unserer Person gehören würde – und was nicht. Schließlich
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hätten wir auch keine „Erinnerungen an die Zukunft“, wir hätten keinerlei Vorstellungen davon, wie es im Leben weitergehen könnte – wir würden einfach weiterleben. Schnell fällt uns wohl an dieser Stelle die Demenz, speziell die Alzheimer-Krankheit, ein, denn Gedächtnisverluste sind eines ihrer Leitsymptome. Vielleicht fallen uns auch Tiere ein, die zwar Gedächtnisfunktionen besitzen (Hunde erinnern sich zum Beispiel an Personen und Orte, erkennen diese wieder), jedoch offensichtlich nicht in jener Hochwertigkeit und Reichhaltigkeit wie wir Menschen. Also drehen wir den Spieß noch einmal um: Wir wissen, wer wir sind, wer andere sind, wie unser Leben verlaufen ist, es steht uns ein hoch elaboriertes Wissen in den unterschiedlichsten Situationen zur Verfügung, und wir lernen ständig hinzu und verankern dieses Wissen – weil wir ein Gedächtnis haben. Eine überaus machtvolle Instanz, über die wir verfügen können!
Gedächtnismodelle Weil Gedächtnisfunktionen die Aufmerksamkeit der Psychologie (auch der Alternspsychologie) seit langer Zeit auf sich gezogen haben, sind sehr viele Theorien und Modelle zum Gedächtnis vorgeschlagen worden. Ein hilfreicher Ansatz Àndet sich in Abbildung 5.4 (Pohl 2007). Traditionell unterscheidet man zwischen einem Kurzund Langzeitspeicher, wobei der Kurzzeitspeicher heute vorwiegend als Arbeitsgedächtnis bezeichnet wird. Das Arbeitsgedächtnis stellt die zentrale Exekutive, den „Maschinenraum“ des Gedächtnisses, dar. Im Arbeitsgedächtnis werden die eingehenden Informationen zwischengespeichert und weiterverarbeitet, wobei dies nur mit einer begrenzten Menge
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visuellräumlicher Notizblock Langzeitspeicher
sensorische Sensorische Register Register visuell akustisch
episodisch
zentrale Exekutive
haptisch
semantisch prozedural perzeptiv
phonologische Schleife Arbeitsgedächtnis
Abb. 5.4 Wichtige Komponenten des Gedächtnisses (aus Pohl 2007, S. 20).
an Information möglich ist. Zentral sind deshalb hier auch Aufmerksamkeitsprozesse, anhand derer immer wieder eine Auswahl getroffen wird (ja eigentlich getroffen werden muss, denn sonst würden wir regelrecht in Informationen ersticken). Vieles läuft hier über die Sprache (phonologische Schleife), jedoch vieles auch über die visuell-räumliche Schiene. Nur durch aktive Prozesse (man spricht von Enkodierung und Dekodierung) gelangen Informationen in die „Gepäckaufbewahrung“, also in den Langzeitspeicher. Dieser wiederum unterteilt sich in unterschiedliche Gedächtnisfunktionen: Alles zu einem bestimmten Zeitpunkt Gelernte bzw. mit einem bestimmten Zeitbezug versehene Material bildet das episodische Gedächtnis. Bei vielen Erinnerungen geht allerdings der Zeitbezug verloren: Wir wissen, dass 2 × 2 = 4 ist, und wir wissen, wie derzeit
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unser Bundespräsident heißt. Hier wird von semantischem Gedächtnis gesprochen. Oft werden auch beide Funktionen des Langzeitgedächtnisses als deklaratives Gedächtnis bezeichnet. Im Unterschied dazu enthält das prozedurale Gedächtnis motorische Programme (zum Beispiel Autofahren) und sonstige Strategien (zum Beispiel Wissen über die Reparatur eines Fahrradreifens, aber auch Wissen darüber, was im Falle eines aufdringlichen Vertreters zu tun ist). Diese Gedächtniselemente sind häuÀg relativ automatisiert und laufen ohne bewusste Kontrolle ab. Schließlich verfügen wir auch noch über ein langfristiges Gedächtnis von abgelegten bzw. erinnerten Wahrnehmungen (zum Beispiel von Landschaften, Situationen, Menschen). Um überhaupt in das Arbeitsgedächtnis zu gelangen, ist es schließlich notwendig, visuelle, akustische oder haptische Reize kurze Zeit zu speichern, um eine Auswahl vornehmen zu können. Dazu steht uns ein Sensorikspeicher zur Verfügung. Zwei weitere Differenzierungen des Langzeitspeichers, beide primär im Bereich des episodischen Gedächtnisses angesiedelt, seien noch erwähnt: Mit dem Begriff des autobiograÀschen Gedächtnisses werden alle Erinnerungen bezeichnet, die in einem speziÀschen raumzeitlichen Kontext erlebt wurden und die subjektiv bedeutsam sind, also einen deutlichen Zusammenhang zur eigenen Person und deren Entwicklung aufweisen. Beim prospektiven Gedächtnis geht es darum zu erinnern, dass wir im Rahmen einer zukünftigen Handlung etwas tun oder lassen müssen bzw. tun oder lassen wollten. Wichtig sind in diesem Zusammenhang sogenannte cues, etwa die in drei Stunden erreichte Uhrzeit „14.00 Uhr“, zu der ich versprochen hatte, Person A anzurufen, oder ein morgen eintretendes Ereignis (Tochter kommt vorbei), das mich an eine bestimmte Handlung erinnert (Geschenk für Enkel mitgeben). Schließlich können sich Informationen gegenseitig stören (Interferenz).
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Neu gelerntes Material kann mit altem Material kollidieren; eine neue PIN-Nummer zu lernen, wird nicht selten durch die alte gestört – hat man die neue PIN erst einmal gelernt, kann man die alte kaum noch erinnern.
Gedächtnis und Altern Was hat dies alles nun mit Altern zu tun? Eine ganze Menge auf mehreren Ebenen: Wiedererkennen von einmal im Langzeitspeicher abgelegten Informationen ist stets einfacher als aktives Erinnern. Das aktive Erinnern ist besonders altersanfällig, das Wiedererkennen sehr viel weniger. Das Arbeitsgedächtnis wird im Zuge des Alterns weniger leistungsfähig, das heißt, es wird weniger Information weniger efÀzient verarbeitet bzw. im Langzeitspeicher abgelegt. Besonders bei komplexen Aufgaben, die viele kognitive Ressourcen binden (zum Beispiel Mehrfachverteilung von Aufmerksamkeit, schnelles Prozedieren von Information aus mehreren Kanälen), zeigt das Arbeitsgedächtnis sehr deutliche Leistungsverluste im Alter, speziell bei Hochaltrigen. Auch das episodische Gedächtnis, etwas weniger das semantische, ist besonders alterssensitiv, das heißt, auch hier sind immer wieder deutliche schlechtere Leistungen bei Älteren im Vergleich zu Jüngeren gefunden worden. Dies gilt nicht für das prozedurale Gedächtnis: Einmal gelernte und automatisierte Abläufe wie Autofahren, Schwimmen oder Rosenschneiden bleiben sehr lange erhalten; selbst an Demenz Erkrankte können vielfach noch alleine essen, wissen aber möglicherweise nicht mehr, was sie einmal gerne gegessen haben. AutobiograÀsche Erinnerungen werden häuÀg auch von alten und sehr alten Menschen als intakt erlebt; sie sind allerdings in ihrer Richtigkeit
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auch nicht einfach zu veriÀzieren. Rezente Ereignisse (etwa der zurückliegenden zehn Jahre) werden in der Regel besser erinnert, jedoch gibt es auch das Phänomen, dass lange zurückliegende Ereignisse im Alter besonders deutlich erinnert werden. Dies gilt allerdings keineswegs generell, sondern vor allem für besonders markante Ereignisse, deren Prägnanz sich im Zeitabstand etwas zu erhöhen scheint. Ältere Menschen sind zudem anfälliger für Interferenzen, das heißt, Störbedingungen wirken sich bei Älteren besonders nachteilig aus. Nicht zu unterschätzen sind insgesamt allerdings (auch) bei älteren Menschen mögliche kompensatorische Strategien. In einer klassischen Untersuchung konnte der amerikanische Kognitionswissenschaftler Salthouse (1984) zeigen, dass die Tippleistungen von älteren Sekretärinnen sich nur unwesentlich von jenen der jüngeren unterschieden. Ältere Sekretärinnen waren zwar langsamer in der Informationsverarbeitung und im Hinblick auf ihr Arbeitsgedächtnis weniger leistungsfähig, jedoch konnten sie sehr efÀzient antizipieren, das heißt, anhand einer „Zeilenvorschau“ machten Sie ihren Verarbeitungsgeschwindigkeitsnachteil relativ gut wett. Gedächtnis ist zudem etwas, das mithilfe von Strategien (zum Beispiel Eselsbrücken) gut optimiert werden kann. Hier setzen denn auch, dies kann an dieser Stelle schon vorweggenommen werden, recht erfolgreiche Gedächtnistrainings an, auf die wir in Kapitel 7 zurückkommen werden. Lernen im Alter – Ein „sisyphonischer Kampf“? Insgesamt dürfte mit unseren Überlegungen klar geworden sein, dass Gedächtnis und geistige Leistungsaspekte, wie wir sie unter Konstrukt 1 behandelt haben, nicht voneinander zu trennen sind. Lebenslanges Lernen (in einem weit verstandenen Sinn)
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geschieht stets in den Möglichkeiten, die uns von unserer geistigen Verarbeitungsfähigkeit und unserer Gedächtnisleistung zur Verfügung gestellt werden. Die gute Botschaft ist hier, dass auch ältere und hochaltrige Menschen lernen können; unsere Lernfähigkeit ist nicht irgendwann einmal einfach erschöpft, wie bisweilen behauptet wird. Lernen braucht allerdings in jeder Lebensphase speziÀsche förderliche Bedingungen. Im höheren Lebensalter sieht dabei die Gemengelage etwa so aus: Die cognitive constraints, unter denen Lernen stattÀndet, sind ausgeprägter als in früheren Lebensabschnitten: langsamere Informationsverarbeitung, eingeschränktere Aufmerksamkeitsressourcen, begrenztere Prozesskapazität des Arbeitsgedächtnisses, schlechteres Abrufen von gespeicherten Informationen, die für das Lernen von Neuem bedeutsam sind. Auf der anderen Seite können viele dieser DeÀzite zumindest teilweise ausgeglichen werden: Bereits vorhandenes Vorwissen fördert das Lernen, und solches Vorwissen in vielen Bereichen besitzen vor allem die Älteren! Die Informationsvermittlung muss überaus gut portioniert werden, und Wiederholungen sind wichtig – das ist allerdings im Grunde für jeden Lernenden bedeutsam. Die Einsicht, warum das zu Lernende hilfreich ist und einen unmittelbaren Unterschied im Leben, im Alltag, auch in der beruÁichen Expertise, machen wird, ist gerade für Ältere überaus zentral und fördert ihren Lernprozess eminent. Das neu Gelernte muss möglichst direkt umsetzbar und damit auch ständig weiter geübt werden. Die Vorstellung, einmal Gelerntes stände nun dauerhaft zur Verfügung, ist schon in jungen Jahren nur sehr bedingt gültig und gilt für alternde Menschen (und hier meinen wir bereits jene über 40 Jahre) überhaupt nicht mehr. Vielmehr scheint permanente Übung in den unterschiedlichsten Bereichen, geistig, körperlich, sozial, eine der besten Strategien zu sein, Alterseffekte abzumildern. Das ahnte schon Cicero (106–43 v. Chr.) in seiner bis heute lesenswerten Schrift Cato maior de senectute – heute besitzen wir diesbezüglich sehr viel unterstützende Evidenz (vgl. Kapitel 7). Eine gewisse Paradoxie
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tut sich auf: Eigentlich müssten wir in jener Lebensphase, die mit immer größeren Ressourcenverlusten aufwartet, ständig die größtmögliche Aktivität und Übung entfalten, um diese Verluste möglichst im Zaume zu halten. Das aber gelingt uns nicht, weil wir genau diese Ressourcen bräuchten, um diese Aktivitätsintensität möglichst efÀzient umzusetzen. Es drängt sich der Mythos von Sisyphos auf: Immer wieder können wir, um im Bild zu bleiben, im Alter den Fels den Berg hinaufwälzen, aber er kommt auch immer wieder herunter, und es bedarf einer erneuten Anstrengung. Ist dies eine deprimierende Einsicht? Ja und nein. Wir können den Fels ja immer wieder bewegen – und diese Selbstwirksamkeit ist etwas Gutes in sich selbst. Freilich können wir damit Altern nicht verhindern – aber gestalten!
Gedächtnis ist immer auch mit anderen „Systemen“ verbunden, nicht zuletzt auch mit Motivationen und Emotionen. Es spricht vieles dafür, dass ältere Menschen sich lieber als jüngere an „Früheres“ erinnern und Lebensrückblick betreiben. Hier ist wahrscheinlich auch ein Stück Bedürfnis nach „Ordnung des Getanen“ und der Auseinandersetzung mit den Wirrungen und Irrungen, den schönen und den weniger schönen Seiten des eigenen Lebens, begründet. Auch erinnern sich Ältere, wie man in entsprechend gestalteten Experimenten herausgefunden hat, insgesamt eher an positiv getönte Gedächtnisinhalte bzw. an fröhliche im Vergleich zu eher traurigen oder sonst eher unangenehm wirkenden Gesichtern. Dieser sogenannte Positivitätseffekt hat zwischenzeitlich vielfache Bestätigung gefunden. Er zeigt uns eindrücklich, dass die Arbeitsweise unseres alternden kognitiven Systems nicht ausschließlich von Aspekten der Verarbeitungsgeschwindigkeit und -genauigkeit bestimmt ist, sondern auch motivationalen Tendenzen unterliegt. Dies könnte angesichts eines zunehmend begrenzter werdenden Zeithorizonts im Zuge des Alterns als ein adap-
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tiver, das heißt für die Anpassung an Altern und Endlichkeit förderlicher Mechanismus interpretiert werden. Kognitive Alternsverluste – In Zukunft dank Technik kein Problem mehr? Immer mehr ältere Menschen mit kognitiven Verlusten, speziell Gedächtnisproblemen – das ist eines der „Schreckensszenarien“ einer alternden Gesellschaft. Andererseits: Das „Mängelwesen Mensch“ (Arnold Gehlen) verstand es schon immer, eigene Unzulänglichkeiten mithilfe von Technik auszugleichen. Warum nicht auch im Alter, in der, wie Paul Baltes es nannte, Situation der Radikalisierung des Mängelwesens Mensch? Diese Zukunft hat längst begonnen. Stellen wir uns vor: Frau Müller lebt nach ihrer Verwitwung alleine in ihrer Vierzimmerwohnung. Sie ist weiterhin gut zu Fuß, beobachtet jedoch an sich seit mehreren Monaten zunehmende Gedächtnisprobleme. Sie vergisst häuÀg wichtige Dinge im Alltag, sie ist mehrfach nach Hause gekommen und merkte erst dann, dass sie vieles, was sie brauchte, nicht eingekauft hatte. Auch hat sie sich mehrmals verlaufen und daraufhin alle ihr nicht sehr gut bekannten Wege außer Haus vermieden. Frau Müller fühlt sich insgesamt immer unsicherer und möchte am liebsten gar nicht mehr nach draußen gehen. Wenn es klingelt, zuckt sie zusammen, und Ängste machen ihr zu schaffen. Könnte Technik Frau Müller helfen? • Intelligente Wohnungen können vieles bieten, um ausgefallene Gedächtnisfunktionen zu kompensieren: Eine computergesteuerte Stimme erinnert Frau Müller immer wieder dezent daran, was alles an diesem Tag zu tun ist. Über einen Bildschirm werden verschiedene Rezeptvorschläge angeboten. Auch die Medikamenteneinnahme erfolgt mithilfe von Voice Control und einer computergesteuerten Darreichungsbox, sodass kein Medikament vergessen und die Dosierung genau wie verschrieben vorgenommen wird.
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Ein Feld der Kochplatte ist nach dem Vorkochen des Mittagessens (Tochter will zu Besuch kommen) von Frau Müller nicht abgestellt worden. Kein Problem: Die Platte stellt sich von selbst ab und signalisiert gleichzeitig, dass sie dies getan hat, um die Aufmerksamkeit des alten Menschen auf diesen Sachverhalt des Vergessens hinzuweisen. Gleichzeitig zeigt ein Bildschirm an, dass heute ein Waschgang notwendig ist. Am späten Vormittag wird zudem auf dem Bildschirm ein Gedächtnistraining, verbunden mit einem Bewegungstraining, vorgeschlagen. Eine solche Kombination von Übungen ist besonders effektiv (vgl. Kapitel 7). Frau Müller freut sich auf diese jeden dritten Tag angebotene Aktivität von 90 Minuten und macht begeistert mit. Jemand klingelt – ein Bildschirm zeigt nicht nur das Bild der Person, sondern eine Stimme sagt auch, wer es ist: „Tochter Brigitte ist an der Tür: Möchten Sie öffnen oder soll ich das tun?“ Am Nachmittag, nachdem die Tochter mit ihr zu Mittag gegessen und sich verabschiedet hat, möchte Frau Müller einkaufen gehen. Auch möchte sie ihrem Enkelkind die mit der Tochter abgesprochenen Noten für den Klavierunterricht besorgen. Frau Müller nimmt dazu zwei Geräte zur Hand: ein gut bedienbares Handy, das auch in der Lage ist, bei Bedarf einen Notruf abzusetzen. Zudem lässt sich die Position von Frau Müller jederzeit auf fünf bis sechs Meter genau über das Global Positioning System orten, sodass sie, falls es notwendig wäre, von einem 24 Stunden am Tag verfügbaren „Hintergrunddienst“ relativ leicht zu Ànden wäre. Ferner gibt sie in das Gerät die zuvor mithilfe der Telefonauskunft erfahrene Adresse der Musikalienhandlung, die in einem ihr nicht mehr so vertrauten Teil der Stadt liegt, ein. Das Gerät ist mit dem Computer in der Wohnung vernetzt, sodass dieser gleich nach Eingabe der Adresse auch Vorschläge zum Erreichen dieses Ortes macht und dies in großer und deutlicher Schrift ausdruckt. So kann sie sicher dorthin und wieder zurück in ihre
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Wohnung geleitet werden. In dem zweiten Gerät gibt sie auf einfache Art ihre Einkaufsliste ein. Im Supermarkt zeigt dann das Gerät nicht nur die Ware an, sondern auch automatisch, wo die entsprechende Ware sich beÀndet. Wenn Frau Müller wieder zurück in ihre Wohnung kommt, ist sie froh, dass die Computerstimme sie daran erinnert, dass am nächsten Tag Elektromüll eingesammelt wird. Da kann sie endlich ihr nicht mehr funktionsfähiges Radio loswerden.
Dies alles ist schon heute kein Problem mehr. Sicher können solche Szenarien noch weitergedacht, radikalisiert werden. Ganze Gedächtnisinhalte, zum Beispiel autobiograÀsche Erfahrungen, ließen sich extern speichern und könnten auf Abruf „eingespielt“ werden. Möglicherweise wird es in nicht allzu ferner Zukunft sogar möglich, ausgefallene Hirnareale mittels Technik (zum Beispiel Speicherchips in Nanotechnik) zumindest in Teilen zu ersetzen. Wir sollten zwar insgesamt in Bezug auf die Rolle der Technik nicht zu optimistisch sein, aber es wird wohl die Zeit kommen, in der wir alle selbstverständlich Technik nutzen, um manche altersbezogene Verluste, nicht zuletzt im Bereich der kognitiven Funktionen, auszugleichen.
Konstrukt 3: Erfahrungswissen und berufliche Leistungsfähigkeit Wir hatten in Kapitel 3 gesagt, dass Überlappungen in den von uns behandelten Konstrukten etwas ganz Natürliches sind. So möchten wir hier noch einmal den Aspekt der Pragmatik der geistigen Leistungsfähigkeit aufgreifen und stärker im Hinblick auf die Lebenswelt des Alters weiterführen. Wir möchten gleichzeitig eine Lebenswelt, die zunehmend auch von Altern bestimmt wird, nämlich die Sphäre der Berufswelt,
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fokussieren und damit im Kontext der Psychologie die bereits in Kapitel 2 begonnene Diskussion zu den Stärken und relativen Schwächen alternder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. Belegschaften fortsetzen. Lebenserfahrung und Altern Was ist Lebenserfahrung? Erfahrungen machen wir, seit wir geboren sind, jedoch kommt in dem Begriff der Lebenserfahrung in stärkerem Maße der Aspekt des Verstehens von Leben, der Lebenseinsicht zum Zuge. Die Beziehung zum Lebensalter ist hoch: Das Vergehen von Jahren ist keine Garantie für höchste Lebenseinsichten und Lebensweisheit (siehe Konstrukt 4 „Lebensweisheit“), jedoch braucht es Zeit, Lebenserfahrung nicht nur zu machen, sondern auch zu einer neuen Gestalt zu integrieren: BeruÁiches Lernen, die Auseinandersetzung mit anderen Menschen, die Konfrontation mit Grenzsituationen (zum Beispiel einem Beinahe-Autounfall, einer schweren Krankheit, dem Tod von wichtigen anderen Menschen, dem 11. September 2001), das Erleben der eigenen körperlichen und geistigen Veränderungen im Zuge des Lebens (vgl. noch einmal unsere Aufforderung am Ende von Kapitel 1, Ihrem eigenen Altern nachzuspüren) – all dies setzt das Vergehen von Zeit voraus, von mit den unterschiedlichsten Erfahrungen angefüllter Zeit: Was dürfen wir vom Leben erwarten? Was ist in welcher Lebenssituation zu tun? Was ist eine mehr oder weniger gute Lebens-, vielleicht gar Überlebensstrategie? Welche Ziele sind es letztlich wert, verfolgt zu werden? Welche Werte zählen am Ende? Das sind Fragen, auf die wir uns Antworten von erfahrenen Menschen erhoffen, für die wir aufgrund unserer eigenen Lebenserfahrung gerüstet sind, wenngleich damit die Bewältigung derartiger Heraus-
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forderungen noch längst nicht sicher ist. Wir sollten hier nicht gleich an Weisheit denken, sondern an die Lebenserfahrung und das Erfahrungswissen der „durchschnittlich“ Älteren – dies zu würdigen, darum geht es uns an dieser Stelle. Interessanterweise hat Lebenserfahrung in diesem alltäglichen Sinne längst nicht so viel Forschungsaufmerksamkeit gefunden wie die Untersuchung der Mechanik der geistigen Leistungsfähigkeit und des Gedächtnisses auf der einen Seite und von Weisheit auf der anderen. Oft werden die gemachten Lebenserfahrungen in einem biograÀschen Duktus anhand der normativ als wesentlich erachteten Situationen (Schule, Familie, Arbeitswelt, Pensionierung, Krankheiten, außergewöhnliche und „kritische“ Lebensereignisse) erhoben, jedoch bleibt dabei häuÀg offen, ob und in welcher Form diese Erfahrungen zu wirklichen „Lebens“erfahrungen wurden. Auf der anderen Seite Ànden wir weit ausholende theoretische Lebensentwicklungsentwürfe, wie etwa die Entwicklungstheorie von Erik H. Erikson (1950), in denen die akkumulierenden Erfahrungen im Laufe eines Lebens qualitativ gedeutet bzw. unter normativen Gesichtspunkten als notwendig zu erreichende Stadien betrachtet werden. So hat Erikson von der Ich-Integrität als einer anzustrebenden Erfahrungsgestalt des höheren Lebensalters gesprochen. Erikson zufolge gelingt es dabei, die gemachten Lebenserfahrungen miteinander in Einklang zu bringen, das Erreichte zu würdigen, das Nichterreichte zu akzeptieren und vor diesem Hintergrund auch die Grenze des Lebens anzunehmen. Hier verbindet sich dann Lebenssinn mit Lebenserfahrung. Auch können wir davon ausgehen, dass unser Denken im Zuge des Älterwerdens, jenseits von Veränderungen in der grundlegenden Mechanik, im Laufe des Lebens komplexer und „tiefschürfender“ wird, dass es uns zunehmend gelingt, nebeneinander Stehendes zu verbinden, Widersprüchliches zu
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ertragen und bereits lange Zeit vorhandene Wissenselemente neuen Interpretationen und Einsichten zuzuführen. Dem Erfahrungswissen – wir greifen den Gedanken von eben noch einmal auf, weil er uns sehr wichtig ist – kommt große Bedeutung für den Umgang des Menschen mit Grenzsituationen zu, so zum Beispiel mit schwerer Krankheit, mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen, mit der eigenen Endlichkeit. Inwieweit Menschen in der Lage sind, mit den Unsicherheiten, die ihre aktuelle Situation bedingt, konstruktiv umzugehen – zum Beispiel in der Hinsicht, dass die Lebenszeit sehr bewusst genutzt und verantwortlich gestaltet wird –, hängt nicht zuletzt auch davon ab, inwieweit sie im Lebenslauf mit Grenzsituationen – eigenen oder solchen nahestehender Menschen – konfrontiert waren und es ihnen gelungen ist, in solchen Situationen ihr Lebenswissen zu vertiefen. Hier sei an die grundlegenden Aussagen des Heidelberger Philosophen und Psychiaters Karl Jaspers erinnert, der ausführlich auf die Frage eingeht, inwieweit die Auseinandersetzung mit Grenzsituationen zur Vertiefung unseres Lebenswissens führen kann: „Auf Grenzsituationen reagieren wir nicht sinnvoll durch Plan und Berechnung, um sie zu überwinden, sondern durch eine ganz andere Aktivität, das Werden der in uns möglichen Existenz; wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituationen offenen Auges eintreten“ (Jaspers 1973, S. 204).
Erfahrungswissen und Altern im beruflichen Bereich Potenzielle beruÁiche Stärken älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden vor allem in dem bereichsspeziÀschen Fakten-
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und Strategiewissen sowie in der IdentiÀkation mit Betrieb und Berufstätigkeit gesehen. Die im Erwerbsleben entwickelten Wissenssysteme und Handlungsstrategien helfen dabei, Einbußen in Funktionen auszugleichen, deren Leistungskapazität von basalen neuronalen Prozessen bestimmt ist und in denen zum Teil schon ab dem vierten Lebensjahrzehnt Alterungsprozesse erkennbar sind: Zu nennen sind die Verarbeitungsgeschwindigkeit (als ein wichtiger Aspekt der Mechanik geistiger Leistungen), die Umstellungsfähigkeit und die Psychomotorik sowie das Arbeitsgedächtnis. Einige Beispiele für diese kompensatorische Funktion der Wissenssysteme und Handlungsstrategien seien nachfolgend genannt. Hoch entwickelte und leicht abrufbare Wissenssysteme des Menschen sind auch im Sinne von Vorwissen zu interpretieren. Dieses Vorwissen kann Abrufstrukturen bereitstellen, durch die Einbußen im Arbeitsgedächtnis teilweise kompensiert werden. Der Prozess des Vorausdenkens, der in hohem Maße von der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses abhängt, wird durch reichhaltiges Vorwissen, vor allem durch wissensabhängige Abrufstrukturen, in seiner EfÀzienz unterstützt. Wissens- und handlungsbasierte Erfahrungen führen vor allem bei komplexen Tätigkeiten zu einem Leistungszuwachs. Bei komplexen Arbeitstätigkeiten werden die besten Leistungen vielfach erst im höheren Alter gezeigt, da hier eine längere Lernzeit zur Akkumulation von Erfahrung und Expertise führen kann; bei sehr einfachen Tätigkeiten lässt sich der EinÁuss von Erfahrung hingegen nicht nachweisen. Neben den Wissenssystemen und Handlungsstrategien kommt dem Training eine bedeutende kompensatorische Funktion für alterskorrelierte Einbußen in Funktionen zu (vgl. Kapitel 7). In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, dass in Bezug auf Geschwindigkeit Trainingseffekte größer sind als Alterseffekte; das Training kann zum Teil Al-
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terseffekte vollständig aufheben. Hervorgehoben wird in der Literatur die Bedeutung kontinuierlicher Übung über die gesamte Zeitspanne des Berufs sowohl für den Aufbau als auch für den Erhalt von Expertenleistungen; Expertenleistungen sind dabei als ein Satz aufgabenspeziÀscher Handlungsstrategien zu verstehen. Hohe SpeziÀtät des Inhalts, hohe persönliche Relevanz und langfristige zeitliche Investitionen sind Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Trainingsprogramm. Nicht zu unterschätzen sein wird auch die Rolle der Technik in der „alternsgerechten“ (vielleicht sollten wir aber auch sagen „menschengerechten“) Arbeitsplatzgestaltung der Zukunft: zum Beispiel Áexibel je nach Bedarf optimierbare Lichtverhältnisse, noch intelligentere Robotik, den eigenen Fähigkeiten angepasster Wissens- und Strategieabruf über entsprechende ComputeroberÁächen, computerunterstützte Trainingsprogramme zum Erhalt und zur Förderung der unterschiedlichsten Kompetenzen. In Bezug auf die Leistungsgrenzen sind Untersuchungen zu nennen, in denen gezeigt werden konnte, dass Altersunterschiede in der beruÁichen Leistungsfähigkeit dann auftreten, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ausgeübten Tätigkeit nur über geringe Erfahrungen verfügen und somit Leistungseinbußen nicht kompensieren können. Zudem sind in kognitiv besonders stark belastenden Berufen alterskorrelierte Einbußen durch Erfahrung nicht mehr kompensierbar. Schließlich bleiben auch bei großer Erfahrung alterskorrelierte Verluste in solchen Tätigkeiten nicht aus, die in besonderes hohem Maße von der Verarbeitungskapazität beeinÁusst werden; zu nennen sind hier Ergebnisse aus Studien, an denen Architekten oder Designer teilgenommen haben. Ein Rückgang der beruÁichen Leistungsfähigkeit als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den gesundheitlichen
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und funktionalen Einbußen der Person einerseits sowie den speziÀschen Anforderungen und Belastungen des Arbeitsplatzes andererseits wurde in mehreren Studien nachgewiesen, in denen die Leistungen am Arbeitsplatz nicht losgelöst von dem TätigkeitsproÀl und dessen EinÁüssen betrachtet wurden, sondern vielmehr im Kontext dieses ProÀls. Zu nennen sind hier zum Beispiel Studien, in denen die beruÁiche Leistungsfähigkeit zwischen dem 40. und 65. Lebensjahr erfasst und zugleich aufgezeigt wurde, inwieweit die Leistungsfähigkeit durch Veränderungen im TätigkeitsproÀl sowie durch gezielte Förderung erhalten, möglicherweise sogar gesteigert werden kann. Die Befunde von Längsschnittstudien zeigen, dass in Berufen, in denen geschwindigkeitsbezogene und psychomotorische Fähigkeiten besonders betont werden, in denen hohe physische Leistungen erbracht werden müssen und die Tätigkeit auf wenige Handgriffe beschränkt bleibt, bereits mit Beginn des fünften Lebensjahrzehnts Einbußen der Arbeitsfähigkeit erkennbar sind. In Berufen mit hohen psychischen und kognitiven Belastungen fand sich mit Beginn des sechsten Lebensjahrzehnts ein wachsender Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Vergleich zu früheren Messzeitpunkten schlechtere Leistungen erbrachten. Schließlich lassen die Befunde die Folgerung zu, dass mit zunehmendem Lebensalter die interindividuelle Variabilität in der Arbeitsfähigkeit deutlich ansteigt. Diese Ergebnisse sprechen insgesamt für ein höheres Risiko der Leistungseinbußen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Berufen stehen mit sehr hohen Anforderungen an die Informationsverarbeitungs- und Reaktionsgeschwindigkeit sowie an die physische Leistungsfähigkeit. Gerade in diesen Berufen sind Fördermaßnahmen zur Vermeidung, Verzögerung oder Kompensation von Leistungseinbußen notwendig.
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Das im Laufe der Berufstätigkeit ausgebildete Fakten- und Strategiewissen kann auch dazu dienen, speziÀsche Aufgaben innerhalb eines Unternehmens wahrzunehmen. Bereits Ende der 1980er Jahre wurden in den USA, vereinzelt auch in Deutschland, Vorschläge unterbreitet, leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in das Rentenalter eingetreten sind, für die Ausübung speziÀscher Aufgaben in den Betrieb zurückzuholen. Als Grundlage für diese Unternehmensstrategie wurde das breite Spektrum beruÁicher Erfahrungen genannt, die dazu qualiÀzieren, beratend bei der Neuorganisation von Arbeitsabläufen, der Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation und der Einarbeitung von jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tätig zu sein. In einer Untersuchung zur beruÁichen Expertise älterer Manager, die sehr gute Bilanzen erzielt hatten und die von den Unternehmen als besonders erfolgreich eingeschätzt worden waren, wurden folgende beruÁiche Kompetenzen ermittelt, die sich auch im Sinne von Fakten- und Strategiewissen in Bezug auf beruÁiche Anforderungen interpretieren lassen. 1) Planung, kausales Denken (Beispiel: Entwicklung von Strategien zum effektiven Umgang mit neuen beruÁichen Anforderungen sowie zur Personalentwicklung), 2) synthetisches und konzeptuelles Denken (Beispiel: IdentiÀkation der wichtigen Merkmale eines Arbeitsablaufs), 3) aktive Informationssuche zum besseren Verständnis möglicher Probleme bei einzelnen Arbeitsabläufen und möglichen Ursachen dieser Probleme, 4) Bedürfnis nach EinÁussnahme, 5) direkte EinÁussnahme (Beispiel: problem- und ergebnisorientierte Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern), 6) Kooperations- und Teamfähigkeit (Beispiel: Delegation von Aufgaben und Entscheidungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie systematisches Abrufen der erzielten Ergebnisse), 7) symbolische EinÁussnahme durch Vorbildfunktion, 8) Selbstvertrauen und hohe beruÁiche Motivation.
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Persönlicher Blick auf das Alter Was bedeutet Berufstätigkeit bis 67 für mich – will ich zeitlebens arbeiten? Andreas Kruse: In meinem persönlichen Falle gehe ich davon aus, dass ich vermutlich bis 69 oder 70 arbeiten muss, daran lassen die demografischen Entwicklungen keinen Zweifel. Natürlich könnte ich mir gut vorstellen, schon früher aufzuhören, denn es gibt halt eben noch andere Dinge im Leben, die ich gerne tun würde, aber dies wird sich nicht verwirklichen lassen. Ich für meinen Teil fände es schön, rechtzeitig meinen Arbeitsplatz zu verlassen und auf andere Art und Weise Mitverantwortung zu übernehmen: für die nachfolgenden Generationen in unserer Familie, in unserer Gesellschaft, ganz generell für Menschen in den von Armut heimgesuchten Ländern. Dies würde ich schon gerne mit 65 machen, werde mir da aber etwas Zeit lassen müssen. Hans-Werner Wahl: Sicherlich ist die Tätigkeit an der Universität eine privilegierte Berufssituation, die auch im fortgeschrittenen Alter ihre großartigen Möglichkeiten besitzt. So erlebe ich es als außerordentlich befriedigend, zusammen mit Kollegen und Kolleginnen an meiner Heimatuniversität, der Universität Heidelberg, und mit meinen zahlreichen internationalen Forschungskontakten, im Zuge des „wissenschaftlichen Alterns“ fortwährend neue Themen zu entwickeln und inhaltlich-methodische Herausforderungen zu erfahren, die – im guten Sinne – immer wieder einige Jahre brauchen werden, um einigermaßen umfassend angegangen zu werden. Da tritt die Variable des chronologischen Alters dann ganz in den Hintergrund. Dennoch gibt es bei mir auch die Frage: Wie lange willst du dies so weiter machen? Ich spüre schon zunehmend, dass der berufliche Bereich mit Sicherheit für mich nicht alles ist, ja, in seiner Bedeutung mich – es mag etwas paradox klingen – bisweilen so stark anspricht wie nie und ich dennoch gleichzeitig Distanz suche und andere Bereiche des Lebens und des Lebensgenusses in den Vordergrund treten.
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Konstrukt 4: Lebensweisheit In Arbeiten zur Weisheitsforschung wird zwischen fünf grundlegenden Merkmalen des Lebenswissens differenziert, die alle für Weisheit konstitutiv sind (Staudinger 2005): 1. Reiches Faktenwissen: Allgemein wird in den unterschiedlichsten Beiträgen zur Weisheitsthematik anerkannt, dass ein facettenreiches Faktenwissen über sich selbst und die Welt zu Weisheit gehört. 2. Reiches Strategiewissen: Weise Menschen sind besonders gut in der Lage, hilfreiche Strategien im Umgang mit schwierigen Lebensproblemen zu generieren und diese auch in besonders überzeugender Art zu vermitteln. 3. Lebensspannenkontextualismus: Weisheit bedeutet umfassendes Wissen darüber, wie Lebensprobleme in zeitliche und lebensweltliche Kontexte eingebettet sind. Auch geht es hier um Wissen und Einschätzungen dahingehend, in welcher Weise sich Lebensentscheidungen im Zuge menschlicher Entwicklung gegenseitig bedingen bzw. längerfristige Auswirkungen auf spätere Lebensphasen besitzen. 4. Relativismus: Die Kunst, Wissen um die Relativität von Werten und Zielen zu besitzen, ohne diese grundlegend infrage zu stellen bzw. einem uferlosen Werte- und Zielrelativismus im Sinne „Alles ist gleich wichtig oder unwichtig“ zu verfallen, gehört ebenso zu Weisheit wie 5. Ungewissheiten: Fähigkeit, mit Unsicherheiten und Ungewissheiten des Lebens umzugehen. Lebensweisheit ist damit die höchste Ausprägung von Lebenserfahrung und wahrscheinlich keineswegs ein normatives Ereignis im Sinne: Wir alle werden im Zuge unseres Alterns weise.
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weisheitsbezogene Leistung (z-Wert)
r = -.07 2
1
0
-1
-2
-3 20
30
40
50
60
70
80
90
100
Alter
Abb. 5.5 Weisheitsbezogene Leistungen und Lebensalter (aus Staudinger & Baltes 1996, S. 67).*
Es konnte nun mithilfe aufwendiger Untersuchungen mit unterschiedlich alten Personen auch empirisch gezeigt werden, dass die Merkmale für Weisheit bzw. deren Zusammenführung in einem Score für weisheitsbezogene Leistungen ein hohes Maß an lebenslaufbezogener Stabilität aufweisen (Abbildung 5.5). Das ist eine wichtige Botschaft, denn sie bedeutet, dass besonders hochwertige Elemente von Lebens*
* In dieser Abbildung stellt jeder Punkt eine Person dar. Die Einheit z-Wert bedeutet, dass alle beobachteten Werte auf den Mittelwert 0 und die Standardabweichung 1 standardisiert worden sind. Es ist zu erkennen, dass in allen Altersstufen eine hohe Unterschiedlichkeit zwischen Personen besteht.
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erfahrung und Lebenswissen nicht mit zunehmendem Alter abnehmen. Jedoch nehmen, wie theoretisch zu erwarten war, weisheitsbezogene Leistungen auch nicht mit dem Altern automatisch zu. Entscheidend für die Entwicklung von Weisheit ist also das Ausmaß an ReÁexion über grundlegende Fragen des Lebens im Lebenslauf: In dem Maße, in dem sich Menschen kognitiv wie emotional mit grundlegenden Fragen des Lebens auseinandergesetzt haben, tragen sie zur Entwicklung eines reichhaltigen Wissenssystems in Bezug auf das Leben sowie zum kompetenten Umgang mit praktischen Lebensanforderungen bei. Es ist davon auszugehen, dass zwei Bedingungen förderlich für die Entwicklung von Weisheit im Alter sind: zum einen der kritisch reÁektierende Umgang mit Erfahrungen, die im Lebenslauf gewonnen wurden, zum anderen die Bereitschaft der Gesellschaft, das Wissen älterer Menschen abzurufen. Damit wird das Thema der Weisheit nicht nur in einen individuellen Kontext (Entwicklungsprozesse in der BiograÀe), sondern in gleicher Weise auch in einen gesellschaftlichen Kontext (Anerkennung und Nutzung des Wissens Älterer durch die Gesellschaft) gestellt. Erst recht und vor allem gelten diese Überlegungen für die in Konstrukt 3 behandelten Formen von Erfahrungswissen, so wie diese bei den meisten Älteren, vielfach in reichhaltiger Form, gegeben sind.
Konstrukt 5: Persönlichkeit und Selbst Grundlegend für das psychologische Verständnis des Alternsprozesses ist die Aussage, wonach Entwicklungsprozesse im Lebenslauf EinÁuss auf die Dynamik der Persönlichkeit im Alter ausüben – somit dürfen Erleben und Verhalten älterer
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Menschen nicht im Sinne alterstypischer Erlebens- und Verhaltensstile gedeutet werden, sondern im Sinne einer Kontinuität von Erleben und Verhalten. Dies heißt nicht, dass im Alter keine Veränderungen des Erlebens und Verhaltens mehr erkennbar und mithin Erleben und Verhalten durch die BiograÀe determiniert seien. Vielmehr erfordert die gelingende Auseinandersetzung mit neuen Aufgaben und Anforderungen im höheren Lebensalter eine weitere Differenzierung des Erlebens und Verhaltens. Jedoch erfolgt diese nicht in einer abrupten, qualitativ neuen Art und Weise, sondern vielmehr in einer Art und Weise, die Bezüge zu früheren Lebensaltern aufweist. Gerade ältere Menschen stellen sich häuÀg Fragen wie die folgenden: Wo überall habe ich mich im Laufe meines Lebens weiterentwickelt? Wo habe ich mich als Person verändert? Wo nicht? Warum ist es mir nicht gelungen, diese oder jene Eigenart abzulegen? Oder ein erwünschtes Persönlichkeitsmerkmal zu verstärken, es endlich in den Vordergrund treten zu lassen? Vielleicht, damit auch andere endlich erkennen, wer ich eigentlich bin? Wir möchten mit uns selbst identisch bleiben, unser Selbst ein Leben lang bewahren und doch auch Veränderungen, wenn möglich „Fortschritte“ wahrnehmen – und anderen zeigen. Eines scheint klar: Unsere Persönlichkeit ändert sich nicht in kurzen Zeiträumen von Tagen oder Wochen in dauerhafter Weise. Andererseits: Wir bemerken auch, dass wir in unterschiedlichen Alltagssituationen durchaus verschieden reagieren können. Auch wenn wir eher verschlossen sind, kann es durchaus vorkommen, dass wir in bestimmten Situationen einmal so richtig aus uns herausgehen. Auch wenn wir sehr verträglich sind, fahren wir bisweilen aus der Haut. Auch wenn wir psychisch sehr stabil sind, können wir – vielleicht in einer Partnerkrise oder angesichts einer sehr schweren Er-
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krankung – aus dem Gleichgewicht kommen und möglicherweise psychotherapeutische Hilfe benötigen.
Die großen fünf Persönlichkeitseigenschaften und ihre Alternsbedeutung Längsschnittstudien haben gezeigt, dass wir in unseren grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften etwa nach dem 30. Lebensjahr recht stabil bleiben, auch wenn wir uns hie und da einmal nicht völlig konsistent mit diesen, uns kennzeichnenden Eigenschaften verhalten. Was sind solche grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften? Die Antworten der Persönlichkeitspsychologie sind vielfältig gewesen, jedoch haben sich in den letzten etwa drei Jahrzehnten fünf „große“ Merkmale (man spricht auch von den Big Five) herauskristallisiert, anhand derer, wie ihre „ErÀnder“ (die amerikanischen Psychologen Costa und McCrae) sagen, sich derzeit am besten und prägnantesten Persönlichkeitsunterschiede zwischen Menschen über unterschiedliche Kulturen hinweg (also weltweit) charakterisieren lassen: 1. Neurotizismus: Hier geht es um die Anfälligkeit für Stress und Belastungen der unterschiedlichsten Art. „High-Scorer“* in Neurotizmus fühlen sich sehr schnell durch Anforderungen, auch wenn diese gar nicht so hoch sind, überfordert, „Low-Scorer“ halten nahezu jede Belastung aus. 2. Extraversion: Hier geht es um die Suche nach sozialem Miteinander und darum, uns im Spiegel anderer bzw. der Öffentlichkeit zu erfahren, ja diese Erfahrungen zu genießen. High-Scorer gehen vorbehaltlos auf andere Menschen zu * Score bedeutet so viel wie Wert.
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und können gar nicht genug an „sozial öffentlicher Dosis“ bekommen, Low-Scorer möchten lieber möglichst wenig sozialen Austausch und Rampenlicht. 3. Offenheit: Hier geht es um die Durchlässigkeit der Person für neue Erfahrungen, aber auch um die Bereitschaft, andere Meinungen zuzulassen bzw. zu tolerieren. High-Scorer suchen regelrecht nach neuen Erfahrungen, um sich an diesen zu reiben, sich damit auseinanderzusetzen, während Low-Scorer möglichst keine „Störungen“ ihrer Weltsicht wünschen, ja andere Sichtweisen und Erfahrungen systematisch vermeiden und von sich weisen. 4. Verträglichkeit: Hier geht es darum, inwieweit Personen in ihren sozialen Beziehungen konÁikthaft agieren bzw. auf Ausgleich aus sind. High-Scorer streben in starker Weise danach, in Interaktionen mit anderen Menschen KonÁikte und Spannungen zu vermeiden, während Low-Scorer solche KonÁikte und Spannungen regelrecht zu brauchen scheinen und diese regelmäßig und zielgerichtet herbeiführen. 5. Gewissenhaftigkeit: Hier geht es um Zuverlässigkeit, die Organisiertheit der eigenen Handlungen und um die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. High-Scorer gehen mit größter Sorgfalt an die ihnen übertragenen bzw. von ihnen übernommenen Aufgaben, Low-Scorer neigen zu OberÁächlichkeit und „chaotischem“ Verhalten. Die gemeinsame Betrachtung der zwischenzeitlich vorliegenden Langzeitstudien zum Altern der Persönlichkeit unterstützt in der Grundtendenz die Annahme, dass unsere Ausprägung in diesen Persönlichkeitsmerkmalen im Laufe des Erwachsenenlebens und Alterns relativ stabil bleibt. Relativ stabil bedeutet dabei vor allem, dass viele alternde Personen ihre
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(hypothetische, aber in empirischen Studien auch beispielhaft untersuchbare) Rangposition im Hinblick auf ihre Ausprägung in den jeweiligen Persönlichkeitseigenschaften (also ihre Position irgendwo zwischen den extremen und damit seltenen High-Scorern und den ebenso extremen und damit ebenso seltenen Low-Scorern) bis ins höchste Lebensalter bewahren. Eine solche Sichtweise ist durchaus vereinbar mit gewissen normativen, also große Gruppen von sich entwickelnden bzw. alternden Menschen betreffenden Veränderungen in Persönlichkeitseigenschaften, denn gerade weil diese Veränderungen normativ sind, bleibt die Rangposition einzelner alternder Menschen dennoch relativ gut erhalten. So wissen wir beispielsweise, dass Neurotizismus mit dem Altwerden leicht zurückgeht: Wir werden etwas stressunanfälliger, je älter wir werden. Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit nehmen schon früh im Erwachsenenleben etwas zu, was wohl vor allem mit den sich zu diesem Zeitpunkt stellenden neuen Entwicklungsaufgaben (Partnerschaft, Elternschaft, Aufbau und Ausbau eines beruÁichen Weges) zusammenhängt. Offenheit und Extraversion gehen hingegen im höheren Lebensalter eher etwas zurück: Wir binden uns stärker an Vertrautes, und wir suchen vor allem den Kontakt mit jenen Personen, die uns viel bedeuten und emotional viel geben, während neue Kontakte oder Auftritte in der Öffentlichkeit uns zunehmend weniger bedeuten. Mit wie viel Neurotizismus gehen Sie in Ihr Alter? Wie misst man Neurotizismus? Eine überaus aufwendige Zusammenstellung von Persönlichkeitsbeschreibungen und anschließende ebenso aufwendige empirische Studien haben zu Persönlichkeitstestverfahren geführt, die heute in der psychologischen
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Diagnostik hohe Anerkennung gefunden haben. Eines der am weitesten verbreiteten Verfahren ist das sogenannte NEO FFI (Borkenau & Ostendorf 1993), das wiederum auf diagnostischen Arbeiten von Costa und McCrae beruht, die diese Anfang der 1990er Jahre vorgelegt haben. Lassen Sie einmal die folgenden „Items“ auf sich wirken; diese sind ganz bewusst unterschiedlich formuliert und zielen zum Teil eher auf eine Bejahung, zum Teil eher auf eine Verneinung von Neurotizismus. Vielleicht schreiben Sie sogar einmal auf, wie Sie sich selbst im Hinblick auf die genannten Aspekte einschätzen. So können Sie ein zumindest grobes Bild über Ihre Neurotizismusausprägung gewinnen: • Ich bin nicht leicht zu beunruhigen. • Ich fühle mich anderen oft unterlegen. • Wenn ich unter starkem Stress stehe, fühle ich mich manchmal, als ob ich zusammenbräche. • Ich fühle mich selten einsam und traurig. • Ich fühle mich oft angespannt und nervös. • Manchmal fühle ich mich völlig wertlos. • Ich empÀnde selten Furcht und Angst. • Ich ärgere mich oft darüber, wie andere Leute mich behandeln. • Zu häuÀg bin ich entmutigt und will aufgeben, wenn etwas schiefgeht. • Ich bin selten traurig und deprimiert. • Ich fühle mich oft hilÁos und wünsche mir eine Person, die meine Probleme löst. • Manchmal war mir etwas so peinlich, dass ich mich am liebsten versteckt hätte.
Eine solche Sichtweise, die treffend mit dem von Hans Thomae geprägten Begriff der „Kontinuität im Wandel“ bezeichnet werden kann, schließt nicht aus, dass die Suche nach Veränderlichkeit der Person im Zuge des Alterns besonders interessant sein könnte. So scheint es eine kleinere Gruppen
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von alternden Menschen zu geben, die sich in mittellangen Zeiträumen (zum Beispiel etwa zehn Jahre) relativ stark verändern, und es gehört zu den wichtigsten Fragen der derzeitigen Persönlichkeitsforschung, in Bezug auf alte Menschen noch besser zu ergründen, warum dies bei diesen Personen so geschieht bzw. mit welchen Konsequenzen für ihr Altern solche Instabilität verbunden ist. Folgende Aspekte könnten etwa infrage kommen: Krankheitserfahrungen bis hin zu demenziellen Prozessen, neue Lebenserfahrungen von hoher personaler Bedeutung, zum Beispiel ein intensives Engagement für andere Menschen, frühere Lebenserfahrungen (etwa traumatischer Art), die gerade in der insgesamt ressourcenärmeren Situation des Alters neu zutage treten können, die Nähe zum Tod. Viel Veränderungsdynamik Àndet sich ferner im Hinblick auf autobiograÀsche Konstruktionen des eigenen Lebens; hier können sich bis ins höchste Alter bemerkenswerte Veränderungen einstellen, an unserer Lebensgeschichte schreiben wir permanent weiter – und nicht selten schreiben wir sie deutlich um. Eine gegenüber der Suche nach einem besseren Verstehen von Stabilität und Veränderung andere Sichtweise geht dahin, ganz ähnlich unserer kognitiven Ausstattung auch unsere Persönlichkeit als eine Ressource zu sehen, die uns, auch im Zuge des Alterns und der dabei notwendigen Anpassungen, hilfreich und unterstützend zur Seite stehen kann oder eher eine Behinderung, eine einengende Bedingung darstellt. In diesem Kontext kommt beispielsweise der Offenheit des Menschen eine besondere Bedeutung zu. Mit dem Begriff der Offenheit ist, wie bereits erläutert, die Bereitschaft eines Menschen gemeint, sich mit neuen Erlebnissen und Erfahrungen, neuen Anregungen und Anforderungen bewusst auseinanderzusetzen. Offenheit schließt auch die Fähigkeit des Menschen ein,
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Belastungen zu bewältigen und trotz eingetretener, bleibender Verluste neue Anregungen wahrzunehmen und zu nutzen. Eine in diesem Zusammenhang interessante Perspektive geht dahin, den Kern der Entwicklungsaufgaben des hohen Erwachsenenalters in der Lösung von bestimmten Lebensbereichen zugunsten der Entwicklung einer neuen Lebensperspektive zu sehen, die sowohl die neuen Möglichkeiten als auch die neuen Anforderungen des Alters anerkennt und nutzt. In dem Maße, in dem es dem Menschen gelingt, einzelne Begrenzungen innerlich zu überwinden, ist er schließlich auch in der Lage, die eigene Verletzlichkeit und Endlichkeit zu akzeptieren. Dies schließt die Fähigkeit des Menschen ein, den eigenen Tod zu akzeptieren, sowie das Bedürfnis, sich auf das Sterben vorzubereiten und dieses (soweit dies die körperliche und kognitive Situation zulassen) selbstverantwortlich zu gestalten. Insgesamt, so könnte man auch im Hinblick auf die alternde Gesellschaft als Ganzes sagen, ist es – oder wäre es – gut, sein eigenes PersönlichkeitsproÀl zu kennen, denn dieses wird angesichts der Anforderungen des Alterns mehr oder weniger hilfreich sein. Wir können wohl, wenn wir ein High-Scorer im Bereich des Neurotizismus sind, diese Eigenschaft nicht einfach verändern, aber wir können uns einstellen: Wissen über die eigene Verletzlichkeit und Stressanfälligkeit sollte uns dazu ermuntern, soziale Ressourcen besonders gut zu pÁegen, denn sie können als Unterstützung sehr zentral werden. Wenn wir ein Low-Scorer im Bereich der Verträglichkeit sind, sollten wir davon ausgehen, dass uns die Annahme von Hilfsangeboten durch Professionelle im Bedarfsfall im Alter schwerfallen wird und möglicherweise auch bestimmte gemeinschaftliche Wohnformen (zum Beispiel Mehrgenerationenwohnen) den eigenen Bedürfnissen nicht so gut entsprechen werden.
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Persönlichkeitswachstum im Alter – auch eine Aufgabe einer alternden Gesellschaft Eine sehr wesentliche Diskussion in der Persönlichkeits- und Entwicklungsforschung berührt die Frage nach der Existenz von Persönlichkeitswachstum (personal growth). Während bestimmte Entwicklungen (wie ein gewisser Rückgang in Neurotizismus) normativ sind und damit vielen Älteren als Ressource zur Verfügung stehen, beispielsweise Belastungen des Alters wie das Auftreten von mehreren Krankheiten gleichzeitig oder gravierende Verluste im sozialen Netzwerk (wie der Tod des Lebenspartners) psychisch ohne dauerhaften Schaden zu ertragen bzw. zu akzeptieren, scheinen personale Wachstumsprozesse im Kontext von Altern nicht normativ und damit eher Ausnahmeerscheinungen zu sein. Querverbindungen zu anderen Konstrukten wie jenem der Weisheit bieten sich an; vieles spricht dafür, dass hier Wechselwirkungen bestehen sollten. Wiederum stellt sich, ähnlich wie bei Weisheit und dem hochwertigen Erfahrungswissen von Älteren, die Frage, wie Entwicklungsgelegenheiten für Ältere optimiert werden könnten, um die Chance für Persönlichkeitswachstum auch im Alter zu erhöhen. Wieder gelangen wir an einen Punkt, der viel mit dem Aspekt der Verantwortung zu tun hat: Könnte es neue Rollen und Betätigungsfelder für Ältere geben, die nicht nur hilfreich für die Allgemeinheit sind, sondern auch das persönliche Wachstum im weit fortgeschrittenen Leben unterstützen? Solche Rollen könnten sich Ànden oder Ànden sich bereits: in Formen zunehmend qualiÀzierter ehrenamtlicher Tätigkeit, in der Weitergabe des eigenen Erfahrungswissens an die jüngere Generation, in der Nutzung der eigenen beruÁichen Expertise in der nachberuÁichen Phase an andere (zum Beispiel
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in Entwicklungsländern). Es ist wohl in einer alternden Gesellschaft noch deutlich mehr zu tun (vgl. Teil C). Zu zeigen war allerdings an dieser Stelle, dass gerade auch im Bereich der alternden Persönlichkeit auf diesem Wege neue Passungen zwischen individueller Entwicklung und gesellschaftlichem Engagement möglich sind. Das ist gewissermaßen das Gegenteil der althergebrachten Disengagement-Theorie, die behauptete, dass im Rückzug aus sozialen Rollen die „ideale“ Passung zwischen den Bedürfnissen des Alters und den Bedürfnissen der Gesellschaft liegt.
Konstrukt 6: Soziale Beziehungen Soziale Beziehungen im Alter bzw. in der Lebensspanne standen bereits früh im Mittelpunkt des Interesses der psychologischen und soziologischen Alternsforschung (siehe auch Übergänge zum Konstrukt „Familie“ in Kapitel 6). Soziale Beziehungen sind ein wesentlicher Teil unseres Lebens und mit Sicherheit auch unseres Alterns (Lang 2004). Manche würden wohl sogar so weit gehen zu sagen, dass hier, speziell in unserer Begegnung mit geliebten Menschen, die Essenz des Lebens überhaupt liegt. Soziale Beziehungen haben – erneut begegnen uns die vielen Gesichter des Alters und Alterns – zahlreiche Facetten, und diese sind in allen kognitiv-emotionalen Farben getönt: Liebe, Glück, Anerkennung, Dankbarkeit, Verständnis, das Gefühl, angenommen zu werden, Abhängigkeit, Ausnutzung, Schuld, Einsamkeit, Ablehnung, Aggression, KonÁikt – das sind nur die wichtigsten Schattierungen. Wohin gehen wir im Laufe des Lebens mit anderen Menschen? Was brauchen wir an sozialen Ressourcen, um gut
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zu altern? Sind wir am Ende ohnehin alleine, und der Verlust an sozialem Austausch ist nur eine weitere Schattenseite des Alterns? Wo können andere Menschen vielleicht auch „stören“, unseren Alternsprozess behindern oder belasten? Das sind einige der Fragen von hoher Bedeutung für das Konstrukt der sozialen Beziehungen.
Gestaltung sozialer Beziehungen im Lebenslauf und Alter Soziale Beziehungen verändern sich im Zuge des Altwerdens in vielerlei Weise. Allerdings geht eine Grundeinsicht auch in diesem Bereich dahin, dass Art und Niveau der Veränderungen viel mit dem jeweiligen biograÀschen Werdegang von alternden Menschen zu tun haben. So ist vielfach in übereinstimmender Weise gefunden worden, dass die sozialen Netzwerke im Zuge des Alterns stetig kleiner werden. Mit sozialen Netzwerken meint man die Art und nicht zuletzt auch die Anzahl der Personen, die in unterschiedlicher Beziehungsintensität die eigene soziale Welt ausmachen. Unser soziales Netzwerk entwickeln wir unser gesamtes Leben hinweg in den unterschiedlichsten Richtungen. Menschen kommen und gehen, manche bleiben lange in unserer „Nähe“, andere nur kurze Zeit. Nicht wenige Personen können wir uns nicht selbst aussuchen, sondern müssen mit ihnen leben lernen, so vor allem mit unseren Eltern, Großeltern, Geschwistern und Enkeln. Andere können wir – in Grenzen – selbst wählen, wobei der Prozess des Kennenlernens nur teilweise unserer eigenen Kontrolle unterliegt. Auf jeden Fall spricht sehr viel dafür, dass wir mit jenen Menschen, zu denen wir im Laufe unseres frühen und mittleren Erwachsenenlebens Bezie-
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hungen entwickelt und erhalten haben, auch in weiten Teilen unser Alter gestalten. Natürlich können zu jedem Zeitpunkt des Lebens neue Personen in unser Leben treten, so auch im Alter, etwa in Gestalt neuer Familienmitglieder (zum Beispiel Enkel, Urenkel, Schwiegertöchter und -söhne) oder durch unsere aktive Beziehungsaufnahme zu bislang fremden Personen (zum Beispiel Neuverheiratung mit 75 Jahren). Letzteres ist, wie Untersuchungen zeigen, bei den heutigen Älteren häuÀger als bei jenen zurückliegender Geburtsjahrgänge, vor allem auch bei alten Frauen. Dennoch bilden die im Laufe des früheren Lebens entwickelten sozialen Beziehungen in der Regel die Grundlage des sozialen Lebens im höheren Lebensalter. Warum sind soziale Beziehungen generell wichtig, auch für alte Menschen? Hier ist die Einsicht relevant, dass soziale Beziehungen eine ganze Reihe von Funktionen erfüllen können. So unterstützen uns andere, wenn es schwierig im Leben wird. Andere Personen tragen ferner zu unserem WohlbeÀnden bei, sie regen uns kognitiv und emotional an, sie übermitteln uns Wissen über die Welt und über uns selbst (Antworten auf die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ kommen nicht zuletzt von anderen Menschen), sie geben uns Richtung und transferieren Werte und Grundhaltungen, sie vermitteln uns ein Gefühl von Intimität, Nähe, Vertrautheit und Angenommenheit. Es sieht demnach so aus, dass soziale Beziehungen gleichzeitig eine ganze Bandbreite von für die meisten Menschen wichtigen Bedürfnissen und Motivationen befriedigen können, wenngleich sicherlich je nach Beziehungsperson und Beziehungsstadien in unterschiedlichem Ausmaß. Diese gleichzeitige Befriedigungsmöglichkeit vielfacher Bedürfnisse zeichnet soziale Beziehungen in motivationspsychologischer Sicht in besonderer Weise aus.
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Bedeutet dies nun auch, dass solche auf sozialen Austausch gerichtete Motive im Laufe des Lebens stabil bleiben? Die amerikanische Psychologin Laura Carstensen hat dazu Anfang der 1990er Jahre eine Theorie vorgelegt, die bis heute in ihren Vorhersagen und in ihrer Erklärungskraft kaum an Wirkung verloren hat. Die bestechende Grundidee von Carstensen geht dahin, den mit zunehmendem Altern beobachtbaren Rückgang in der Zahl sozialer Netzwerkmitglieder, der lange Zeit als nicht leugbarer Ausdruck eines mit dem Altern einhergehenden Prozesses des Disengagement betrachtet wurde, positiv zu wenden und als zielgerichtete Selektivität in sozialen Beziehungen neu zu interpretieren. In ihrer Theorie der sozioemotionalen Selektivität nimmt Carstensen an, dass es insbesondere zwei Motivationen sind, die für die Gestaltung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen im Alter maßgeblich sind: die Suche nach Informationen und die Suche nach Intimität. Die Suche nach Informationen, so Carstensen weiter, ist für uns vor allem im frühen Erwachsenenalter wichtig: Wir brauchen Informationen, um uns selbst besser kennen zu lernen, wir müssen Erfahrungen aufbauen, die uns helfen, spätere Herausforderungen zu bestehen, wir müssen nicht zuletzt über soziale Beziehungen in die Aneignung von Wissen investieren. Das geschieht auf vielerlei Weise, nicht zuletzt auch häuÀg in kurzfristigen bzw. oberÁächlichen Beziehungen. Das Investment in Intimität ist sicherlich von Anfang an bedeutsam, jedoch geht Carstensen davon aus, dass Intimität zunehmend das „Motivationssteuer“ übernimmt, wenn wir altern. Wir haben bereits viel Wissen erworben, wir sind nicht mehr so sehr an eher oberÁächlichen Beziehungen interessiert, wir möchten lieber mit weniger Personen, geliebten und uns nahestehenden Menschen, möglichst intensiven Austausch pÁegen. Warum aber sollte das so sein? Hier kommt eine wei-
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tere, bestechende Überlegung von Carstensen ins Spiel: Sie nimmt nämlich an, dass wir unsere Bedürfnisse und Prioritäten im Leben anders gewichten, wenn wir subjektiv eine starke Zukunftsoffenheit erleben, so wie dies in jungen Jahren der Fall ist, in denen das Leben nahezu unendlich erscheint, auch wenn rationales Wissen über die Unausweichlichkeit des Todes gegeben ist: In einer solchen Lebenssituation investieren wir in neue Erfahrungen, wir nehmen die Dinge, wie sie kommen, positiv wie negativ, denn wir haben ja Zeit – Zeit zum Ordnen des Getanen, zum Verarbeiten des Unguten im Leben, zur übergreifenden Bewertung von hilfreichen und weniger hilfreichen sozialen Erfahrungen. Anders stellt sich die Lebenssituation dann dar, wenn wir subjektiv unsere Zukunft als begrenzt erleben, wie dies im höheren Lebensalter zunehmend der Fall ist. In einer solchen Lage treiben uns mehr die unmittelbar „guten“ sozialen Beziehungen, und wir investieren vor allem in deren Erhaltung. Auch werden wir uns nach Möglichkeit in einer solchen Situation nicht so gerne von Negativem überÁuten lassen; wir suchen eher nach dem möglichst Positiven. Und in der Tat: Ältere scheinen ihr Netzwerk nicht zu verkleinern, weil sie sich immer mehr zurückziehen, sondern weil sie vor allem in jene Beziehungen investieren möchten, die ihnen besonders viel an Intimität und Nähe geben. Studien haben gezeigt, dass derartig positiv getönte Beziehungen – sie sind vielfach stark an familiäre Beziehungen gebunden (zum Beispiel die eigenen Kinder) – bis ins höchste Alter erhalten bleiben bzw. intensiv gepÁegt werden, während weniger wichtige soziale Beziehungen eher vernachlässigt, zurückgefahren bzw. beendet werden. Aber: Geliebte und nahestehende Personen sterben auch mit höherer Wahrscheinlichkeit im höheren Lebensalter; nicht
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alle sozialen Erfahrungen im höheren Lebensalter sind durch sozioemotionale Selektivität bestimmt, manches entgleitet unserer Kontrolle (auch) im sozialen Bereich. Ist es da nicht zwangsläuÀg so, dass sich ältere Menschen einsam und allein gelassen fühlen? Untersuchungen zur Thematik Einsamkeit in Deutschland haben in der Tat gezeigt, dass der Anteil derjenigen, die angeben, manchmal oder öfters unter Einsamkeitsgefühlen zu leiden, bei den über 60-Jährigen bei etwa 30 % liegt, bei den jüngeren Menschen dagegen bei etwa 20 %. Der Anteil an Einsamen gewinnt allerdings in keiner Periode des Lebensalters, auch nicht im sehr hohen Alter, die Oberhand. Solche allgemeinen Einsichten schließen selbstverständlich nicht aus, dass es bedeutsame Untergruppen von älteren Menschen gibt, die sich sehr einsam fühlen. Zu den Risikofaktoren für Einsamkeit zählen insbesondere Alleinleben, depressive Erkrankungen (hier ist das Henne-Ei-Problem, also die Frage, was zuerst da ist, die Depressivität oder die Einsamkeit, jedoch weiterhin ungeklärt), schwere körperliche Erkrankungen und Kinderlosigkeit. Auch hohe Ausprägungen in den Variablen Neurotizismus und Low-Scorer in Verträglichkeit (vgl. dazu die obigen Ausführungen) haben ein höheres Risiko, im Alter unter Einsamkeit zu leiden. Evolution und soziale Beziehungen – eine neue Sicht auf „postreproduktives“ Leben und Altern In den letzten Jahren hat die Rolle der Großeltern bzw. das Phänomen Großelternschaft eine besonders hohe Forschungsaufmerksamkeit erfahren. Der Grund liegt in der spannenden Frage, ob es jenseits der Reproduktionsfähigkeit in einer evolutionären Perspektive noch einen Sinn für die lange postreproduktive Phase des Menschen gibt. Warum sollte die Evolution, der es doch um die beste Sicherung der Arterhaltung geht, an einem lang und
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immer länger werdenden Leben nach der Gebärfähigkeit interessiert sein? Evolutionstheoretisch orientierte Alternsforscherinnen und -forscher antworten auf diese Frage immer häuÀger mit der „Großmutterthese“. Danach spielen Großeltern, speziell Großmütter, eine bedeutsame Rolle in Bezug auf die Enkel, ja es handelt sich um eine Rolle, die nur sie in dieser Weise spielen können: Sie sind häuÀg entlastet von ArbeitsverpÁichtungen, besitzen also in reichhaltiger Weise die Ressource Zeit, und emotional positiver gestimmt und ausgeglichener als jüngere Frauen. Sie bieten zudem Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten in einem offeneren Rahmen, als dies häuÀg bei den Eltern der Fall ist, das heißt, die Entscheidung für oder gegen die Übernahme bestimmter Normen und Werthaltungen ist hier weniger reglementiert und sogenanntes latentes Lernen, also bedeutsames Lernen ohne direkte Instruktion, kann effektiver ablaufen. Evolutionstechnisch könnte man also argumentieren, dass weniger kognitive Leistungsfähigkeit im Alter in einem engeren Sinne (zum Beispiel Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit), sondern soziale, emotionale und beratungs- und unterstützungsbezogene Kompetenzen optimiert wurden („Survival of the emotional Àttest!“), um so die Aufzucht der eigenen Enkel efÀzient zu unterstützen. Hier könnte sogar eine wichtige Erklärung dafür liegen, warum ältere Menschen keinen höheren Anteil an depressiven Erkrankungen zeigen und ihr WohlbeÀnden bis in höchste Alter relativ stabil bleibt. Dieses sogenannte WohlbeÀndensparadoxon des Alters (vgl. auch Konstrukt 9) könnte demnach auch durch evolutionäre Dynamiken angetrieben sein. Sind damit die Großväter auf die Ersatzbank verwiesen? Keineswegs, denn vieles des eben Gesagten trifft auch auf diese zu. Allerdings liegt, evolutionstheoretisch betrachtet, ein wichtiger Unterschied darin, dass alte Männer praktisch bis zum Lebensende zeugungsfähig bleiben. Man könnte also argumentieren, dass das evolutionäre Investment in Langlebigkeit eher der grundlegenden Arterhaltung dient bzw. potenziell dienen kann.
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Ein unterstützender Beleg für diese Unterschiedlichkeit zwischen Großmüttern und Großvätern liegt außerdem darin, dass in der Regel die Beziehungen der Enkel zu Großmüttern (und hier vor allem jenen mütterlicherseits) enger sind als zu Großvätern.
Soziale Unterstützung im Alter – Chancen und Risiken Die Vorstellung, im Alter krank, pÁegebedürftig und allein sowie ohne Hilfe und menschliche Nähe zu sein, treibt viele um; sie ist beängstigend und oft bereits in der Vorstellung in jüngeren Jahren bedrückend. Menschen leiden in jedem Alter darunter, wenn sie keine Vertrauensperson bzw. keine Person zur Unterstützung für den „Fall des Falles“ besitzen. Forschungsarbeiten zu sozialer Unterstützung fragen nach den Variationen, Konstellationen, Ursachen und Folgen für soziale Unterstützung. Eine heute klassische Einsicht liegt in der Unterscheidung zwischen emotionaler und instrumenteller Unterstützung. Bei emotionaler Unterstützung steht Hilfe im Umgang mit emotionalen Verlusterfahrungen, zum Beispiel Depressivität oder Trauer nach dem Tode eines geliebten Menschen, im Vordergrund, bei instrumenteller Unterstützung das Moment der konkreten Hilfe, zum Beispiel beim Einkaufen, bei der Hausarbeit oder bei PÁegebedarf, im Mittelpunkt. HäuÀg sind beide Formen sozialer Unterstützung hilfreich bzw. wechseln diese einander ab. Eine interessante Frage bezieht sich darauf, ob soziale Unterstützung stets positiv wirkt oder nur in Situationen, in denen sie tatsächlich gebraucht wird. Entstehen keine solchen Situationen, so ist möglicherweise soziale Unterstützung für das eigene WohlbeÀnden unbedeutend. Diese häuÀg unter
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der Überschrift Haupteffekt versus Puffereffekt geführte Diskussion über die Rolle sozialer Unterstützung führt zur Berücksichtigung einer Vielzahl von Randbedingungen, die es zu beachten und zu differenzieren gilt: Art der stresshaften Erfahrung, Art der Unterstützung, Persönlichkeitsmerkmale, Vorerfahrungen mit schwierigen Lebenssituationen und wohl noch einiges mehr. Je nach Konstellation in individuellen Person-Umwelt-Beziehungen dürfte dann eher die eine oder andere Sichtweise zum Tragen kommen. Gehört beispielsweise eine ältere Person eher zu jenen Menschen, die sich als Spielball von äußeren Umständen und Geschehnissen und damit Widrigkeiten des Lebens stark ausgeliefert fühlen, so ist wohl eher ein Haupteffekt von sozialer Unterstützung zu erwarten. Handelt es sich hingegen eher um eine Person, die eine hohe Kontrolle im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen erlebt, kann ein solcher Haupteffekt entfallen, aber im Falle einer nicht ohne Weiteres verkraftbaren Krisensituation kann soziale Unterstützung eine große Wirkung im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiedererlangung von WohlbeÀnden erhalten. Fehlt sie hingegen in einer solchen Situation bei einem ansonsten „Stand on my own“-Menschen, kann unter Umständen eine bedeutsame und schwer beherrschbare Krisensituation die Folge sein. Ältere Menschen mit PÁegebedarf sind in unserer Gesellschaft in der Regel sehr gut in familiäre Kontexte eingebunden und Ànden hier vielfache emotionale und instrumentelle Unterstützung. Trotz aller Unkenrufe im Hinblick auf die (angebliche) Erosion der Familie und der Bereitschaft zur Übernahme von PÁegeaufgaben stellt sich die Realität weiterhin so dar, dass etwa 80 % der pÁegebedürftigen älteren Menschen von Familienangehörigen versorgt werden. Auch die PÁegeversicherung war ja immer nur gedacht als Ergänzung der fa-
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miliären PÁege, nie als völlige Kompensation derselben. Das „PÁegesystem Familie“ funktioniert nach wie vor gut, auch wenn es spannende, gesellschaftliche Weiterentwicklungen im Sinne einer neuen Kultur von Hilfe und PÁege gibt: Zunehmend häuÀger Ànden sich beispielsweise auch Freunde, Nachbarn und ehrenamtlich Tätige als Pfeiler stabiler PÁegenetze, das heißt, sie springen nicht nur ein, sondern agieren dauerhaft, verlässlich und nachhaltig als PÁegepartner von älteren Menschen. Dass zur Stützung all dieser informellen Hilfesysteme auch formelle Hilfeformen, ambulant, teilstationär und stationär, eine überaus wesentliche Rolle spielen, versteht sich von selbst. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Befunde im europäischen Vergleich, die eher die These bekräftigen, dass in jenen Ländern, in denen die formellen Hilfesysteme im Sinne von Reaktionsfähigkeit und Flexibilität ausgebaut werden, die informellen Systeme nicht verdrängt, sondern, im Gegenteil, bewahrt und gestärkt werden. Dennoch ist in diesem Zusammenhang die Rolle von pÁegenden Angehörigen differenziert zu sehen. Diese sind häuÀg körperlich und psychisch sehr belastet, und sie machen dennoch in vielen Fällen den „PÁegejob“ mit Freude und Hingabe. Zudem sind heute bedeutsame Anteile der pÁegenden Angehörigen, etwa 33 %, bereits selbst über 65 Jahre alt, und 7 % sind sogar älter als 80 Jahre. Hier gute Formen der Unterstützung bereitzustellen, ist mit Sicherheit eine hochrelevante Aufgabe gesellschaftlicher Fürsorge, die letztlich auch im eminenten Interesse der Bewahrung des Systems FamilienpÁege liegt (vgl. Kapitel 7). Können soziale Beziehungen, kann soziale Unterstützung bei älteren Menschen auch Schaden anrichten? Diese Frage war lange Zeit verpönt nach dem Motto, dass Hilfe immer etwas Gutes sei. Heute wird eine differenzierte Sicht, nicht zu-
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letzt aufgrund entsprechender empirischer Ergebnisse, bevorzugt. So haben Studien ergeben, dass im formellen, aber auch im informellen Hilfe- und PÁegekontext vielfach zu schnell, zu viel und zu unangepasst an die verbliebenen Kompetenzen des alten Menschen geholfen wird. In der Folge fühlen sich Ältere nicht nur von Hilfe überrollt, sie haben auch keine Chance, eigene Kompetenzen einzusetzen bzw. zu trainieren. Damit können sie auf lange Sicht sogar weitere Selbstständigkeit verlieren. Zudem sprechen Professionelle und informelle Helfer mit Älteren immer noch und immer wieder in der sogenannten „Babysprache“, das heißt langsamer, lauter und einfacher, selbst wenn diese offensichtlich keinerlei Fähigkeitsverluste aufweisen. Ältere wiederum können solche Kommunikationsformen unbewusst verinnerlichen, was sich auf ihre eigene Handlungskompetenz und Selbstwirksamkeit möglicherweise ungünstig auswirkt. Persönlicher Blick auf das Alter Wie stelle ich mir meine Partnerschaft im Alter vor? Andreas Kruse: Für meine Frau und mich ist die Ehe etwas Heiliges, sie beschreibt in unserem Verständnis eine heilige Zone. Dabei lassen wir uns von einem Bild leiten, das wir dem Schriftsteller Bergengruen verdanken: Die wirkliche Aufgabe besteht darin, die bzw. den anderen darin zu unterstützen, unversehrt in Seele und Geist vor den Schöpfer zu treten. Und ein weiteres Bild: Wenn einer von uns beiden sehr schwer erkranken sollte, dann ist es unser Wunsch, dass jener Teil, der nicht erkrankt ist, wenigstens einen Tag länger lebt als der, der diese schwere Erkrankung hat. Und schließlich: Wir kennen viele ältere Ehepaare, die eine in hohem Maße erfüllte Ehe führen. Unsere Sicherheit, dass uns dies auch gelingen wird, haben wir auch – allerdings nicht nur – von der Beobachtung dieser Ehepaare. Die körperlichen Alternsprozesse erleben wir dabei in keiner Weise als etwas, was unsere Attraktivität schmälern würde. Vielmehr sind diese Alternsprozesse natürliche Spuren unseres – gemeinsamen – Lebens.
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Hans-Werner Wahl: Dass es etwas wie eine so hohe Vertrautheit und ein so tiefes liebendes Miteinander wie die Beziehung zu meiner Frau geben kann, erlebe ich als ein Wunder, mit dem ich, wenn ich an frühere Phasen meines Lebens, vor allem an die Zeit meines frühen Erwachsenenalters denke, in meinem Leben gar nicht so ohne Weiteres gerechnet hätte. Wir kennen uns nun zwar schon lange, haben aber erst im Jahre 2001 geheiratet. So ist unsere Ehe noch gar nicht so „alt“. Durch die beiden tollen Töchter meiner Frau – diese sind längst erwachsen und haben uns bereits mehrere Enkel beschert – ist für mich auf ganz eigene Weise die Familienthematik in mein Leben getreten, und dies erfüllt uns beide für die kommende Zeit mit großer Zuversicht und viel „Lust auf Generativität“. Unser alltäglicher Austausch kreist nicht selten auch um die Alternsveränderungen, die wir gegenseitig an uns wahrnehmen. Eine andere Thematik, mit der wir uns beschäftigen, nimmt ihren Ausgangspunkt von unseren gemeinsamen Interessen: Kunst anschauen in den schönsten Museen dieser Welt, klassische Musik und Jazz hören aus der Konserve oder im Rahmen von Konzerten und Festivals, lesen, wandern und Rad fahren – das könnte und sollte alles noch intensiver werden. Darauf freuen wir uns.
Wenn Singles in die Jahre kommen Neue Lebensformen im sozialen Bereich bestimmen zunehmend auch das höhere Lebensalter. Das Leben als Single, in der Regel verstanden als eine Lebensform ohne feste Partnerschaft, nimmt vor allem im mittleren Erwachsenenalter in einer dauerhaften Form deutlich zu. Das bedeutet, im Gegensatz zum Single-Dasein im frühen Erwachsenenalter, dass sich Singles im mittleren Erwachsenenalter bzw. im frühen Alter eher eine lange Zeit – viele Jahre – in dieser Lebensform bewegen. Viele dieser Personen, so zeigen Studien zu dieser in der Alternsforschung und in der Praxis (etwa in Bezug auf spätere PÁege- und Versorgungsbedarfe) insgesamt bislang stark vernachlässigten Gruppe, werden wahrscheinlich bis an ihr Lebensende keine feste Partnerschaft mehr aufnehmen,
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auch wenn die meisten in Forschungsinterviews sagen, dass sie sich durchaus eine neue Partnerschaft wünschen bzw. eine solche ja stets in der näheren oder auch ferneren Zukunft wieder möglich sein könnte. Die gute Botschaft der bisherigen Forschungsarbeiten zu dieser Gruppe, in der sich vielleicht am prototypischsten die viel beschworene Individualisierung unserer Gesellschaft zeigt, geht dahin, dass diese Personen sehr reÁektiert und verantwortungsvoll ihr Leben gestalten. Sie entwickeln soziale Netzwerke, die zwar nicht so groß wie jene von Paarbeziehungen sind, jedoch dennoch viele Bedürfnisse sehr efÀzient erfüllen (zum Beispiel eine Person zum Wandern, eine für Kultur, eine für das gute Gespräch und für hohe Vertrautheit, eine für Hilfeleistungen im Fall des Falles). Mittelalte und ältere Singles sind auch keineswegs deutlich unzufriedener und einsamer, wenngleich es hier im Vergleich mit gleichaltrigen Paarbeziehungen gewisse Nachteile gibt. Auch hier ist der Blick in Untergruppen besonders bedeutsam. So scheint es den männlichen Singles im mittleren Lebensalter, dahinter stehen vor allem geschiedene Männer, psychisch, vor allem aber körperlich deutlich schlechter zu gehen als vergleichbaren Männern in Paarbeziehungen. Es scheint insgesamt so zu sein, dass Frauen sich besser in der Situation des Single-Daseins einrichten als Männer. Singles setzen sich mit ihrer Alternszukunft durchaus aktiv auseinander und versuchen vorzubauen. In eigenen Studien haben wir gefunden, dass sie sich beispielsweise besonders intensiv mit neuen Wohnformen im Alter wie selbst organisierten Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenwohnformen beschäftigen bzw. Vorbereitungen treffen. Eine naheliegende Form der „SinnÀndung“ gerade in der Lebenssituation des Single-Daseins könnte auch in ehrenamtlichem Engagement liegen; genau dies scheinen mittelalte Singles, vor
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allem Frauen, zunehmend zu tun. Dennoch sind unsere Versorgungssysteme gerade auf diese Lebenssituation nicht sehr gut vorbereitet. Hier könnten zwar in Zukunft auch informelle Beziehungen eine größere Rolle spielen, jedoch ist klar, dass sich die Ergänzung familiärer Leistungen durch institutionalisierte Hilfeformen bei dieser Gruppe anders darstellt, weil vielfach solch familiäre Ressourcen nicht gegeben sind.
Guten Abend, lieber „Robbi“ – Wenn Roboter ältere Menschen zunehmend begleiten Stellen Sie sich vor, eine alte Dame geht, alleine lebend, zum Abendessenstisch, an dem vier Stühle stehen – und auf dem Tisch zwei Monitore. Auf den Bildschirmen erscheinen nun zwei der Kinder der alten Dame; die eine lebt in Kanada, die andere in einer Stadt etwa 500 Kilometer entfernt. Nun kommt ein Roboter herein, begrüßt ebenfalls alle „Anwesenden“ und serviert anschließend das Abendessen (Abbildung 5.6). Die „zugeschalteten“ Kinder beginnen nun ebenfalls ihr Abendessen, und es folgt eine rege Unterhaltung über dies und das. Später wird der Roboter die alte Dame auf ihrem Toilettengang begleiten und ihr assistieren, wenn sie zu Bett geht. Er wird auch sehr schnell zur Stelle sein, wenn es im Laufe der Nacht einen Reaktionsbedarf, gleich in welcher Richtung, geben sollte. Roboter könnten und werden das zukünftige Alter eben auf vielen Ebenen mitbestimmen. Sie werden wahrscheinlich in vielschichtiger Weise in nicht allzu ferner Zukunft zu bedeutsamen „Sozialpartnern“ von älteren Menschen, von ihren Angehörigen und von Professionellen in unterschiedlichen Gebieten der Arbeit mit Älteren.
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Abb. 5.6 Care-O-bot II vom Fraunhofer-Institut, gedacht als Gehhilfe und Begleitung.
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Sollten wir aber hier tatsächlich von „Sozialpartnern“ sprechen? Wir glauben, dass dies schon sehr bald von Älteren und ihrer sozialen Umwelt so erlebt werden wird. Es gilt, eine Reihe von Überlegungen gemeinsam in Erwägung zu ziehen. 1) Ältere Menschen, bereits die zwischen etwa 1950 und 1960 geborenen „Babyboomer“, werden mit völlig anderen TechnikbiograÀen in ihr Alter gehen als die heutigen älteren Menschen. Die Offenheit und Selbstverständlichkeit im Umgang mit Technik werden stark anwachsen. 2) Die Akzeptanz eines Mix von „menschlichen“ Hilfspersonen und „Maschinen“ wird in der Folge zunehmen. Nicht nur werden Ältere die Zuverlässigkeit von Robotern immer mehr schätzen, auch Professionelle werden sich nicht zuletzt auf diesem Gebiet weiter proÀlieren und in ihrer Expertise ausdehnen können, denn der Mensch-Maschine-Mix wird neue professionelle Anforderungen und Kompetenzen erforderlich machen. 3) Es wird wahrscheinlich zunehmend Kosten verursachen, in einer Gesellschaft mit einem stark ansteigenden Anteil an Hochaltrigen ausschließlich „menschliche PÁege“ bereitzustellen. Maschinen werden auch hier „einspringen“, nicht zuletzt aus Ànanziellen Gründen. 4) Es könnte längerfristig besser sein, einen Mix von hoch qualiÀzierter Hilfe und PÁege für ältere Menschen zu realisieren und den Mix von hoch qualiÀzierter PÁege und relativ unqualiÀzierter PÁege, wie er heute noch vielfach zu Ànden ist (beispielsweise in Bezug auf die PÁege von Demenzkranken), deutlich zurückzufahren. Eine andere Variante des „Sozialpartner“-Arguments können wir schließlich in der Zunahme an Robotertieren, vor allem in asiatischen Ländern und im institutionellen Kontext (PÁegeheime), sehen. Insgesamt ist zu sagen, dass wir wenig gute „Evaluationsforschung“ zu vielen mit Technik und Alter verbundenen Fragen besitzen, das heißt, dieses Gebiet ist
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derzeit noch voller überzogener Erwartungen und ebenso überzogener Vorurteile. Hier liegt mit Sicherheit eine wichtige Zukunftsaufgabe der Alternsforschung. Altes und Neues in sozialen Beziehungen im Alter Es tut sich viel in der Art und Ausgestaltung von sozialen Beziehungen im höheren Lebensalter. Hier einige Beispiele: • Ältere Menschen, nicht zuletzt auch Frauen, greifen zunehmend häuÀger zu dem Mittel der Scheidung, um ihr Sozialleben noch einmal spät im Leben deutlich zu verändern – und es nicht selten noch einmal mit einem anderen Partner/einer anderen Partnerin zu versuchen. • Neben Singles treten zunehmend gleichgeschlechtliche ältere Paare auf die Bühne der Öffentlichkeit. • Zärtlichkeit und Sexualität im Alter werden zunehmend enttabuisiert, auch medial in Szene gesetzt, und genussvoll ausgelebt.
Konstrukt 7: Motivationen und Zielprozesse Verändern sich unsere Bedürfnisse, wenn wir älter werden? Was sind die richtigen und verfolgenswerte Ziele, damit ein Leben „gut“ wird? Wie lange sollten wir bestimmte Lebensziele aufrechterhalten? Gibt es gute Zeitpunkte für eine Anpassung und Adjustierung, vielleicht sogar für eine Aufgabe von bedeutsamen Lebenszielen? Was machen solche Anpassungsprozesse mit älteren Menschen? Sind sie hilfreich, oder führen sie letztlich in eine Situation des psychischen Abseits? Sollten wir uns Sehnsüchte und Tagträume verbieten, je älter wir werden – oder vielleicht gerade in diese investieren und sie mehr
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denn je ausleben? Das sind einige der Fragen, an denen an Altern interessierte Motivationspsychologen derzeit arbeiten.
Ziele, Zielbindungen und Älterwerden Menschen sind, soweit wir dies derzeit wissen können, die einzigen „Tiere“, die sich längerfristige Ziele setzen und diese – auch gegenüber vielfältigen Widrigkeiten – beharrlich verfolgen oder aber verändern oder ganz aufgeben können. In diesem Zusammenhang ist die grundlegende Einsicht von Bedeutung, dass es kaum ein Tier gibt, das bei seiner Geburt so unfertig wie der Mensch ist. Formulieren wir dies positiv, so gibt es kein Tier, das mit einer derartigen Entwicklungsoffenheit wie der Mensch ausgestattet ist. Nicht alles ist möglich, aber die Variationsbreite dessen, was möglich ist, ist enorm. Völlig Unerwartetes kann eintreten, zur Überraschung der sozialen Umwelt und nicht selten auch der Handelnden selbst. Aber schon kommt die paradoxe Seite der Entwicklungsoffenheit ins Spiel: Wir sind als uns entwickelnde Menschen gewissermaßen dazu verdammt, auszuwählen und unsere Ziele zu konkretisieren. Niemand tut dies in aller Regel für uns, zumindest dann nicht mehr, wenn wir erwachsen werden. Ziele, einmal gesetzt, operieren nicht im luftleeren Raum, sondern sind andauernd Belastungen und Infragestellungen ausgesetzt. Wir können demnach nicht einfach Ziele rational verfolgen, sondern wir steuern mit unseren Zielen durch eine manchmal recht stürmische See, in der völlig unvorhersagbare und völlig unkontrollierbare Winde und Wellen auftauchen. Hier Kurs zu halten, solange es sinnvoll und erfolgversprechend erscheint, oder aber den eigenen Kurs Áexibel anzupassen, ohne die Grundrichtung seines eigenen Lebens
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aufzugeben, das ist im Grunde die schwierige Daueraufgabe des Lebens bis ins höchste Alter. Der Entwicklungs- und Motivationspsychologe Jochen Brandtstädter (2006) sieht vor einem solchen Hintergrund zwei fundamentale Tendenzen im Umgang mit Lebenszielen (sogenanntes Zwei-Prozess-Modell): Auf der einen Seite streben wir danach, durch andauerndes „Gefügigmachen“ der Situationen und Umstände, in denen wir leben und altern, die Verwirklichung unserer Ziele zu erhöhen. Gesprochen wird hier von der grundlegenden Tendenz der Assimilation oder der hartnäckigen Zielverfolgung. Auf der anderen Seite verfügen wir über die Möglichkeit, Ziele, Präferenzen und Erwartungen anzupassen, herunterzuschrauben, zu variieren, gegebenenfalls ganz aufzugeben. Hier ist die Rede von Akkommodation oder einer Áexiblen Zielanpassung. Ähnlich wie unsere Motorik durch das Wechselspiel antagonistisch wirkender Muskelgruppen getrieben wird, so werden wir im Hinblick auf für uns relevante Ziele, so Brandtstädter, von den antagonistischen Prozessen der hartnäckigen Zielverfolgung und der Áexiblen Zielanpassung in starker Weise bestimmt. Wir können wohl nicht gleichzeitig ein und dasselbe Ziel beharrlich verfolgen und gleichzeitig verändern oder gar aufgeben. Allerdings können wir andere Ziele aufgeben, um ein uns höher oder wichtiger erscheinendes Ziel zu erreichen, sodass eben Ziele auch nie isoliert, sondern stets im Miteinander bzw. in der Gesamtkonstellation zu betrachten sind. Vieles spricht dafür, dass wir mit zunehmendem Alter den „Flexibilitätsgang“ immer häuÀger einlegen, denn bestimmte Ziele, die uns ein Leben lang bedeutsam waren, sind schwieriger aufrechtzuerhalten, zum Beispiel hohe körperliche Leistungsfähigkeit, etwa bei Hochgebirgswanderungen, EfÀzienz in der Abarbeitung von alltäglichen Anforderungen und Auf-
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gaben, eine uneingeschränkte Reisetätigkeit oder eine nicht beeinträchtigte Autonomie. Und in der Tat ist eine solche lebenslaufbezogene Tendenz im Umgang mit Zielen empirisch mehrfach beobachtet worden. Allerdings ist hier auch zu sehen, dass wir gleichzeitig im Zuge des Lebens, wenn es „gut“ läuft, auch viele der uns bedeutsamen Ziele bereits erreicht haben. Wie Áexibel sind Sie in der Anpassung Ihrer Ziele – Machen Sie den Test! Brandtstädter und Kollegen (Brandtstädter & Renner 1990) haben ein Instrument zur Messung von Zielbindungen entwickelt. Im Folgenden sind einige Items zum Bereich „Áexible Zielanpassung“ wiedergegeben. Wie sehen Sie sich selbst in den angesprochenen Aspekten? Vielleicht schreiben Sie sogar Ihre Antworten auf. Vielleicht denken Sie dabei auch an Ihr eigenes Altern und Ihre ganz persönliche Art, damit umzugehen. Die „Items“ sind ganz bewusst unterschiedlich formuliert und zielen zum Teil eher auf eine Bejahung, zum Teil eher auf eine Verneinung von Áexibler Zielanpassung. So gewinnen Sie zumindest ein grobes Bild darüber, wie Áexibel Sie selbst im Umgang mit Ihren Lebenszielen sind: • Wenn ich mich in etwas verrannt habe, fällt es mir schwer, einen neuen Weg einzuschlagen. • Auch im größten Unglück Ànde ich oft noch einen Sinn. • Selbst wenn etwas gründlich schiefgeht, sehe ich doch irgendwo einen kleinen Fortschritt • Viele Probleme schaffe ich mir selbst, weil ich überhöhte Ansprüche habe. • Im Allgemeinen trauere ich einer verpassten Chance nicht lange nach. • Veränderten Umständen kann ich mich im Allgemeinen recht gut anpassen. • Ich kann auch dem Verzicht etwas abgewinnen.
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Warum aber ist das Wechselspiel zwischen hartnäckiger Zielverfolgung und Áexibler Anpassung überhaupt bedeutsam? Motivationspsychologen sind unterschiedlicher Ansicht darüber, worauf sich die Grundkräfte, die uns treiben, letztlich reduzieren lassen. Brandtstädter geht davon aus, dass es uns um den Erhalt unseres Selbst geht und dass wir vieles, wenn nicht alles dafür tun, dieses Selbst und seinen Wert zu erhalten, denn das ist es doch, was unsere Person in ihrem innersten Kern ausmacht. Jutta Heckhausen und Richard Schulz hingegen sehen eine andere zentrale Motivation am Werke: Sie nehmen an, dass wir Menschen danach streben, über unser gesamtes Leben hinweg primäre Kontrolle aufrechtzuerhalten. Wir möchten die Welt um uns herum möglichst im Interesse unserer Ziele in weitgehender Weise selbst bestimmen, Kontrolle ausüben. Gelingt uns das mit fortschreitendem Alter immer weniger, so greifen wir in den Werkzeugkasten von, wie Heckhausen und Schulz sagen, sekundären Kontrollstrategien, wir gehen also Umwege, kompensieren, indem wir andere Personen für unsere Ziele einspannen, oder werten Ziele ab oder um. Auch diese Sichtweise hat empirische Bestätigung gefunden, das heißt, wenn wir eine Bandbreite von Altersgruppen mit entsprechenden Methoden befragen, so ist mit fortschreitendem Altern ein Anstieg in den sekundären Kontrollstrategien zu beobachten. Allerdings bedeuten all diese Überlegungen keineswegs, dass Altern nur noch ein Sichabrackern in Áexiblen Zielanpassungen und ein ständiges Kompensieren von nicht mehr erreichbaren Zielen wäre. Im Gegenteil: Gutes Altern heißt Ziele haben, schrieben Margret Baltes und Laura Carstensen 1996 in einer theoretischen Arbeit, und in dieser Aussage scheint uns eine tiefe Wahrheit des Alterns zu liegen: Jene Ziele weiterzuverfolgen, die uns viel bedeuten und die auch
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angesichts nachlassender Kräfte und zunehmender Krankheiten und Verluste eine hohe Chance auf Realisierbarkeit haben, das ist offensichtlich gerade im hohen Alter von größter Bedeutung. So hat Brandtstädter beispielsweise zeigen können, dass es im Zuge des Alterns zu einem deutlichen Wechsel von eher instrumentell-zukunftsbezogenen Zielen hin zu eher intrinsisch-zeitlosen Zielen kommt (Abbildung 5.7). Ein typisches Beispiel für erstere wären Macht und Erfolg, für letztere altruistisches Engagement und Spiritualität. Ähnlich wie wir es im Zusammenhang mit der sozioemotionalen Selektivitätstheorie gesehen haben, scheint auch hier die Offenheit bzw. Begrenztheit des eigenen Zukunftshorizonts eine wesentliche Rolle zu spielen. Viel Aufmerksamkeit haben hier experimentelle Induktionen solcher Begrenztheit gefunden, etwa indem man Versuchspersonen vor einem Zielfragebogen einen Fragebogen zu Sterben und Tod ausfüllen lässt. Mit einer solchen experimentellen Manipulation kann man 54
altruistisches Engagement/ Spiritualität ( )
52 Authentizität ( )
50
Intimität ( )
48
Macht und Erfolg ( )
46 44 Kompetenzerwerb ( )
42 32–44
45–54
55–64
65–74
75–84
Altersgruppen
Abb. 5.7 Veränderung motivationaler Grundhaltungen vom mittleren ins hohe Erwachsenenalter (aus Brandtstädter 2006, S. 185).
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auch bei jüngeren Personen Effekte hinsichtlich der Bewertung von Zielen bewirken, die den altersbezogenen Veränderungen nicht unähnlich sind (sogenannter Momento-Effekt).
Konstrukt 8: Belastungsverarbeitung und psychische Widerstandsfähigkeit Verluste und Belastungen des Alterns – Ein Überblick Angesichts der Verluste, mit denen das hohe und sehr hohe Alter konfrontiert, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Bewältigung von Belastungen sowie nach jenen Faktoren, die die Bewältigung positiv oder negativ beeinÁussen. Wie kann nun eine Systematisierung von Verlusten im Alter aussehen? Im Folgenden möchten wir dazu einen Vorschlag vorlegen und dabei viele Aspekte des bisher unter den verschiedenen Konstrukten Gesagten zusammenund weiterführen (Tabelle 5.1). Tabelle 5.1 Eine Systematik von Verlusterfahrungen im höheren Lebensalter. Bereich
normativ
nonnormativ
geistige Leistungsfähigkeit
Nachlassen des (sekundären) Gedächtnisses, kognitive Verlangsamung, deutliche Verluste in mindestens einer Komponente der geistigen Leistungsfähigkeit, Verluste in der Ausführung bei Mehrfachanforderungen
schwerwiegende Verluste in der Kognition, Demenz
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Tabelle 5.1 Fortsetzung Bereich
normativ
nonnormativ
Körperlichkeit
Verlust in alltagsfunktionalen Teilleistungen, mindestens eine Krankheitsdiagnose
schwere körperliche Erkrankungen wie Karzinomerkrankungen, altersabhängige Makuladegeneration, Pflegebedürftigkeit/ Abhängigkeit von der Hilfe anderer Personen
soziale Beziehungen und Rollen
Pensionierung, Verwitwung, Verringerung der sozialen Netzwerkgröße
Einsamkeit
Räumlichkeit und außerhäusliche Mobilität
Erleben der zunehmenden Gefährdung des selbstständigen Wohnens im Privathaushalt, Rückgang des außerhäuslichen Aktionsradius
Übersiedlung in ein Alten- und Pflegeheim
Zeit- und Zukunfts- Verkürzung der ZuErleben von Sinnlosigperspektive kunftsperspektive, Erkeit der Zukunft, Verfahrung von Todesnähe zweiflung (Erikson) Aus Wahl & Heyl 2008, S. 862.
Wir unterscheiden in Tabelle 5.1 zwischen normativen und nonnormativen Verlusterfahrungen. Diese Unterscheidung ist bedeutsam, weil vieles dafür spricht, dass die im Sinne einer kollektiven Erfahrung erlebten normativen Verluste in anderer Weise erlebt und verarbeitet werden als die von kleineren Gruppen und eher im Sinne eines „Es hat mich getroffen“ bewerteten nonnormativen Verlusterfahrungen. Bei den normativen Verlusterfahrungen konzentrieren wir uns auf altersgradierte Verlusterfahrungen (zum Beispiel Pensionierung), möchten damit aber keineswegs die Rolle von historisch
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gebundenen Verlusterfahrungen (zum Beispiel Weltkriegserfahrungen der älteren Kohorten) als weniger entwicklungsrelevant einstufen. Normative Verluste im Bereich der geistigen Leistungsfähigkeit – dies hatten wir bereits bei den entsprechenden Konstrukten gesehen –, sind vor allem Leistungsrückgänge im Arbeitsgedächtnis (speziell aktives Abrufen von Information) und geistige bzw. kognitiv-motorische Verlangsamungen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang der Befund, dass es im höheren Lebensalter relativ selten zu schwerwiegenden Verlusten in mehreren kognitiven Teilleistungen (zum Beispiel logisches Denken, rechnerische Fähigkeiten, sprachliches Ausdrucksvermögen) kommt, während ein Rückgang in einer dieser Fähigkeiten vor allem im sehr hohen Alter nahezu alle Personen betrifft. Normativ sind ebenfalls Leistungsrückgänge in Doppelaufgaben, das heißt, es fällt den meisten älteren Menschen deutlich schwerer als jüngeren, Mehrfachanforderungen wie etwa die Bewältigung einer Gedächtnisaufgabe bei gleichzeitigem Gehen zu bewältigen. Nonnormativ ist hingegen die Erfahrung von schweren kognitiven Leistungseinbußen, wie sie insbesondere mit den verschiedenen Demenzerkrankungen verbunden sind. Epidemiologische Befunde unterschiedlicher Studien zeigen, dass die HäuÀgkeit von Demenzerkrankungen beispielsweise bei den 60- bis 64Jährigen maximal bei 1 % liegt, während sie bei den 85- bis 89-Jährigen auf etwa 20 % ansteigt. Normative Verluste im Bereich der Körperlichkeit sind äußerst vielgestaltig, teilweise überaus subtiler Natur und wohl auch geschlechtsbezogen deutlich verschieden. Es geht etwa um von vielen alternden Personen als Verlust erfahrene Veränderungen in den äußeren Körpermerkmalen und einer zunehmenden gesundheitlichen Fragilität. Vieles spricht dafür,
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dass diese Veränderungen gesellschaftlich bei alternden Frauen deutlich negativer bewertet werden, etwa gemäß der angeblichen und immer noch weit verbreiteten Lebensweisheit „Männer werden reifer, Frauen werden alt“. Es geht ferner um Verluste im Bereich des Sehens, Hörens und der Mobilität, die – beispielsweise im Falle der Sehschärfe – bereits im dritten Lebensjahrzehnt einsetzen, allerdings in der Regel bis ins hohe Alter hinein mittels Brillen, Hörgeräten oder Gehhilfen relativ gut ausgeglichen werden können. Nach den Befunden der Berliner Altersstudie (Mayer & Baltes 1996) kann außerdem bei weit über 80 % der über 70-Jährigen mindestens eine Krankheit diagnostiziert werden. Bestimmte Erkrankungen, die allerdings häuÀg keine schwerwiegenden Alltagseinschränkungen zur Folge haben, treten bei über 70-Jährigen mit Prävalenzen von weit über 50 % auf, beispielsweise die Fettstoffwechselstörung Hyperlipidämie (78,9 %), die Hypertonie (58,9 %), die HerzinsufÀzienz (64,7 %) und Osteoarthrosen (60,6 %). Es ist hingegen ein eher seltenes und damit nonnormatives Ereignis, dass gleichzeitig mehrere Alltagsteilleistungen, vor allem im Bereich der basalen Aktivitäten des täglichen Lebens, eingeschränkt sind und damit PÁegebedürftigkeit bzw. eine hohe Abhängigkeit von der Hilfe durch andere eintritt. PÁegebedürftig sind rund 5 % der 65- bis 79-Jährigen und rund 20 % der über 80-Jährigen, die in Privathaushalten leben. Nonnormativ ist auch der Eintritt einer Reihe von schweren körperlichen Erkrankungen mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Beispielhaft genannt seien die folgenden Krankheitsgruppen: Malignome (11,2 %), koronare Herzkrankheit (45,4 %), arterielle Verschlusskrankheit (40,4 %), Diabetes (21,8 %) und Osteoporose (33,8 %). Die mit erheblichen Alltagseinschränkungen verbundene und derzeit therapeutisch nur schwer
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beeinÁussbare altersabhängige Makuladegeneration, die wichtigste Ursache für den Verlust des zentralen Sehens, tritt bei etwa jeder dritten Person über 75 Jahre auf. Im Bereich der sozialen Beziehungen und Rollen sind die Erfahrung der Pensionierung und der damit verbundene Verlust der Berufsrolle samt weiteren mit dem Arbeitsplatz verbundenen sozialen Erfahrungen normativ, denn sie betreffen nahezu alle Berufstätigen und zunehmend auch alternde Frauen. Die zweite große Verlustthematik im sozialen Bereich ist die Verwitwung, aber auch der vor allem im hohen Alter häuÀg auftretende Tod von Verwandten, Freunden, Bekannten und überhaupt Altersgleichen. Bei der Verwitwung ist aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen eine geschlechtsspeziÀsche Differenzierung notwendig: Die Erfahrung der Verwitwung machen etwa 70 % der über 70-jährigen Frauen, hingegen nur etwa 30 % der altersgleichen Männer. Drittens ist bei den meisten alternden Menschen ein deutlicher Rückgang in der sozialen Netzwerkgröße zu beobachten. Schließlich kann man auch das weiterhin stark mit negativen Konnotationen besetzte gesellschaftliche Altersbild als einen normativen Verlust im Bereich sozialer Beziehungen und Rollen in dem Sinne verstehen, dass ältere Menschen sich im Vergleich zu anderen Altersgruppen eher als „zur Seite gestellt“, als „altes Eisen“ und damit nicht mehr gesellschaftlich benötigt bzw. „wertvoll“ erleben. Nonnormativ ist im höheren Lebensalter hingegen, wie wir unter dem Konstrukt der sozialen Beziehungen gesehen haben, die Erfahrung von schwerer und andauernder Einsamkeit, die zwar einen alterskorrelierten Anstieg zeigt, jedoch „nur“ bei etwa einem Drittel der über 60Jährigen tatsächlich als solche erlebt und berichtet wird. Typische Verlusterfahrungen des höheren Lebensalters sind auch mit dem Bereich der Räumlichkeit und außerhäuslichen
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Mobilität verbunden. Das selbstständige Wohnenbleiben im Privathaushalt ist für ältere Menschen ein überaus bedeutsamer Ausdruck von Autonomie, gleichzeitig jedoch durch den Anstieg von „umweltrelevanten“ Einbußen wie Seh- und Gehverlusten sowie kognitiven Einschränkungen zunehmend gefährdet. Ebenso werden der außerhäusliche Aktionsradius und die außerhäusliche Mobilität vor allem aufgrund von gesundheitlichen Veränderungen im Alter zunehmend eingeschränkt. In diesem Zusammenhang ist auch die Automobilität von großer Bedeutung; das eigene Auto wird heute auch von Älteren als hochbedeutsame Ressource für Autonomie, Freizeitgestaltung und Lebensfreude angesehen. Nonnormativ ist der Verlust der selbstständigen Privathaushaltswohnform: Etwa 5 % der über 65-Jährigen wohnen in einem Alten- und PÁegeheim, wobei dieser Anteil bei den über 80-Jährigen auf etwa 20 % und bei den über 90-Jährigen auf etwa 40 % ansteigt. Es gehört zu den eher seltenen Erfahrungen des Alters, das Haus bzw. die Wohnung nicht mehr ohne fremde Hilfe verlassen zu können; der entsprechende Anteil liegt bei den über 65-Jährigen bei etwa 1 %, bei den über 85-Jährigen bei etwa 10 %. Schließlich zeigen sich alterskorrelierte Verluste in der Sphäre des Zeitlichen. Konsistent gefunden wurde eine deutliche Verkürzung der Zukunftsperspektive älterer im Vergleich zu jüngeren Menschen. Im mittleren Erwachsenenalter kommt es zu einer Verschiebung der Zeitperspektive dahingehend, dass nunmehr Lebenszeit eher im Sinne der noch verbleibenden Zeit bis zum Tode und nicht mehr als seit der Geburt vergangene Zeit erfahren wird. Auch die Erfahrung eines näher gerückten und damit zunehmend fühlbaren Todes kann als normative Verlustthematik verstanden werden, wobei die explizite Beschäftigung mit dem Tod selbst im sehr hohen Alter nicht zu den täglichen Erfahrungen gehört. Das Erleben von
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Sinnverlust der Zukunft und von VerzweiÁung im Hinblick auf das, was kommen wird, scheint allerdings eher selten und damit nonnormativ zu sein, wenngleich in diesem Bereich verlässliche Zahlen kaum vorhanden sind. Indirekt mag man hier ins Feld führen, dass schwere Depressionen bei über 65-Jährigen je nach Studie bei etwa 1 bis 5 %, mittlere bis schwere bei 8 bis 16 % gefunden wurden und auch kein bedeutsamer Altersanstieg in diesen Raten vorliegt. Die radikalste Umgangsform mit Sinnverlust im Alter, der Alterssuizid, ist ein sehr seltenes Ereignis, das beispielsweise bei 39 von 100 000 Männern im Alter von 70 bis 79 Jahren und bei 93 von 100 000 Männern über 90 Jahre auftritt. Das Suizidrisiko liegt damit etwa drei- bis viermal höher als bei den gleichaltrigen Frauen, jedoch Àndet sich eine Diskrepanz ähnlicher Größenordnung in allen Altersstufen. Es lässt sich resümieren, dass sich Menschen mit immer längeren Alternsphasen in immer größerer Zahl und in immer längerer Lebenszeit mit Verlusterfahrungen des Alterns konfrontiert sehen. Die Verlusterfahrungen betreffen praktisch alle zentralen Bereiche von Lebensqualität, wie die Verfügbarkeit einer ausreichenden geistigen, körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit, soziale Beziehungen und Rollen, ein den eigenen Bedürfnissen gemäßes Wohnen und eine entsprechende Nutzung von Aktionsräumen sowie die gerade der Spezies Mensch eigene Fähigkeit, alltägliches Handeln und Erleben an einer ausgedehnten und offenen Zukunftsperspektive auszurichten. Andererseits Ànden sich schwerwiegende Verluste (zum Beispiel PÁegebedürftigkeit oder die Erfahrung von Einsamkeit) zwar in substanziellen Gruppen, jedoch keineswegs bei der Mehrzahl der Älteren, und dies gilt selbst für hochaltrige Personen. Außerdem entwickeln sich viele Verlusterfahrungen (zum Beispiel leichtere kognitive oder körperliche Funktionseinbußen) allmählich, wenngleich häuÀg progressiv,
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über mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg, und somit steht eine relativ lange Zeit zur Anpassung zur Verfügung.
Wie gehen Ältere mit schwerwiegenden Verlusten um? Hier haben beispielsweise Forschungsarbeiten zur psychischen Situation im Alter gezeigt, dass die Fähigkeit des Menschen, mit körperlichen Erkrankungen (zum Beispiel einer degenerativen Gelenkerkrankung, einer Angina Pectoris oder einer HerzinsufÀzienz) zu leben, und die erlebten körperlichen Begrenzungen psychisch zu überwinden, zentral für alternde Menschen ist. Damit ist das Thema der Resilienz, das heißt der psychischen Widerstandsfähigkeit, angesprochen. Resilienz bezeichnet die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des früheren psychischen Anpassungs- und Funktionsniveaus nach einem eingetretenen Trauma oder bei bestehenden Einschränkungen und Verlusten. Sie lässt sich im Sinne eines Beeinträchtigungs-Ressourcen-Systems interpretieren: Zum einen ist nach objektiv gegebenen und subjektiv erlebten Einschränkungen und Verlusten (Beeinträchtigungen), zum anderen nach Mitteln (Ressourcen) zu fragen, mit denen das Individuum die bestehenden Beeinträchtigungen zu bewältigen versucht. Diese Mittel lassen sich in psychologische (zu denen vor allem die Persönlichkeit, das Bewältigungsverhalten, Wissenssysteme, Erfahrungen sowie kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten gehören) und nichtpsychologische (zu denen vor allem der Bildungsstand, Ànanzielle Ressourcen sowie Merkmale der sozialen, infrastrukturellen und räumlichen Umwelt gehören) unterteilen. Empirische Arbeiten deuten auf die auch im hohen und sehr hohen Alter gegebene Resilienz
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hin: Trotz der Verluste in dieser Lebensphase ist die Lebenszufriedenheit der betreffenden Menschen nicht geringer und treten Belastungsstörungen nicht häuÀger auf als bei jüngeren Menschen. Die ausgeprägten Fähigkeiten, die psychische Bedrohung durch alternsassoziierte Verluste stark zu begrenzen bzw. sogar in Entwicklungsgewinne umzumünzen, gehören wohl zu den interessantesten Aspekten einer Betrachtung von Altern im Humanbereich überhaupt. Bei der Interpretation dieser empirischen Befunde ist zu berücksichtigen, ob diese in Studien gewonnen wurden, in denen allgemein nach dem Umgang mit Belastungen gefragt wurde, oder aber in Studien, in denen das Bewältigungsverhalten in speziÀschen Situationen, welche die Begrenztheit und Verletzlichkeit der Existenz in besonderem Maße bewusst werden lassen, erfasst wurde – zu nennen sind hier vor allem schwere, chronisch verlaufende Erkrankungen, PÁegebedürftigkeit sowie die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit. In Studien, in denen die Frage gestellt wurde, wie ältere Menschen allgemein mit Belastungen umgehen, fand sich übereinstimmend ein hohes psychisches Anpassungsniveau, das jenem der im frühen oder mittleren Erwachsenenalter stehenden Menschen vergleichbar ist. Es zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Menschen in der Art und Weise ihres Umgangs mit Belastungen. Einige empirische Beispiele seien angeführt: In Studien zum Umgang mit Problemen im Alltag fand sich bei den älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine stärkere Tendenz zur passiven, intrapersonal orientierten und emotionsregulierenden Bewältigung (dominante Techniken: Akzeptieren, Distanzieren, Neubewertung), bei den jüngeren hingegen zur aktiven, interpersonal orientierten, handlungsorientierten Bewältigung (dominante Techniken: planvolle Problemlösung, Suche nach
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sozialer Unterstützung, Konfrontation). Diese Befunde legen eine Wachstumshypothese nahe, die postuliert, dass sich die kognitive und emotionale Differenzierung des Menschen im Lebenslauf auch in der Entwicklung von Bewältigungsstrategien widerspiegelt: Die Fähigkeit zur Neubewertung einer Situation, zu deren Akzeptanz sowie zur Impulskontrolle wird im Sinne von Wachstumsprozessen gedeutet. Hilfreich, um die psychologischen Mittel, die alten Menschen zur Verarbeitung von Verlusten zur Verfügung stehen, besser zu verstehen, ist das bereits eingeführte Zwei-ProzessModell des Wechselspiels von akkommodativen und assimilativen Anpassungsprozessen. Brandtstädter zufolge dominieren im Alter akkommodative Prozesse (Anpassung persönlicher Präferenzen an situative Gegebenheiten) gegenüber assimilativen Prozessen (Veränderung situativer Gegebenheiten entsprechend persönlicher Präferenzen), da in dieser Lebensphase unkontrollierbare Ereignisse und nicht veränderbare Entwicklungen an Bedeutung gewinnen. Es wird angenommen, dass diese Dominanz durch die veränderten Anforderungen im hohen Lebensalter bedingt ist; zugleich wird davon ausgegangen, dass erst die im Lebenslauf gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse den Menschen in die Lage versetzen, in nicht veränderbaren Situationen seine persönlichen Ziele den gegebenen Bedingungen anzupassen.
Konstrukt 9: Lebenszufriedenheit, Lebensglück und Sinn In vielen alternspsychologischen und lebenslaufpsychologischen Studien werden Lebenszufriedenheit und WohlbeÀnden (wir verwenden hier diese beiden Begriffe synonym) als
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zentraler „Endpunkt“ des Alterns angesehen. Aus diesem Grunde möchten wir auch unsere Erörterungen zur Disziplin der Psychologie mit dem Konstrukt der Lebenszufriedenheit sowie damit verwandten Konstrukten abschließen. Ein weiterer Grund, diese für die menschliche Existenz grundlegende Thematik ans Ende unserer Überlegungen zu stellen, liegt darin, dass sich hier die an verschiedenen Stellen von uns herausgestellten Paradoxien des Altwerdens – seine großartigen Stärken, bei gleichzeitig hohen und ansteigenden Verlusten – in besonderer Weise bündeln, eben in dem bereits angesprochenen Paradoxon der Lebenszufriedenheit: ansteigende Verluste, wie sie sonst in keiner Phase des Lebens in solch „geballter“ Art auftreten – und doch eine hohe und recht stabile Zufriedenheit. Zunächst ist auf den immer wieder replizierten Befund hinzuweisen, dass die Lebenszufriedenheit im Mittel in der Altersphase relativ stabil bleibt und erst im extremen Alter etwas abnimmt. Abbildung 5.8 gibt auch heute noch gültige Ergebnisse der Berliner Altersstudie (Mayer & Baltes 1996) von 516 Personen zwischen 70 und über 100 Jahren wieder. Deutlich wird durch die in den Punkteschwarm integrierte Linie nicht nur die hohe mittlere Stabilität des WohlbeÀndens, die erheblichen Unterschiede zwischen den Personen auf jeder Altersstufe lassen sich ebenfalls gut erkennen. Der geringe Zusammenhang zwischen WohlbeÀnden und Alter ändert sich auch nicht, wenn die an einer Demenz erkrankten Personen aus der Stichprobe ausgeschlossen werden und nur jene ohne eine solche Erkrankung (dargestellt mit offenen Punkten) Berücksichtigung Ànden. Es ist also – mit anderen Worten – nur an sehr nachgeordneter Stelle das kalendarische Alter, das Unterschiede in der Lebenszufriedenheit zwischen Menschen in der späten
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Alterskorrelation r = –0,12
6,0
allgemeines Wohlbefinden (PGCMS-Score)
5,5 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 65
70
75
80
85
90
95
100
105
Alter
Personen ohne Demenzdiagnose (N = 407) Personen mit Demenzdiagnose (N = 109) Anmerkung: Individuelle Unterschiede wurden auch in Untergruppen der BASETeilnehmer festgestellt, wie zum Beispiel bei den hier dargestellten Scores der als dement diagnostizierten Personen zu sehen. Die Altersabhängigkeit (r = –0,12) verändert sich nicht durch Ausschluss der als dement diagnostizierten Studienteilnehmer.
Abb. 5.8 Querschnittlicher Verlauf des Wohlbefindens im Alter (aus Smith & Baltes 1996, S. 510).
Lebensphase erklären kann. Was also dann? Man kann sich wohl vorstellen, dass hier ein ganzes Faktorenbündel infrage kommt, das häuÀg in der folgenden Weise unterteilt wird: Auf der Ebene der soziodemograÀschen Faktoren sind vor allem das Geschlecht und der Familienstand, nicht so sehr die Bildung und das Einkommen von Bedeutung. Frauen und Alleinlebende zeigen sich in den meisten Studien generell (also
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nicht nur im Alter) recht konsistent als etwas unzufriedener. Gründe für die etwas niedrigere Zufriedenheit von Frauen liegen wahrscheinlich darin, dass diese mit speziÀschen biologischen Belastungen (Regelblutung) konfrontiert sind und dass sie KonÁikte (zum Beispiel in Beziehungen) und gesundheitliche Belastungen stärker und negativer erleben als Männer. Sie geben allerdings negative Bewertungen und Gefühle auch offener zu als Männer, das heißt, hier könnte auch ein gewisses Methodenartefakt, das bei Befragungen zum Tragen kommt, eine Rolle spielen. In Bezug auf weitere objektive Bedingungen sind Erkrankungen und die Intensität von Aktivitäten (sozial oder nichtsozial) sehr bedeutsam. Relativ eine viel stärkere Rolle spielen schließlich allerdings subjektive Bewertungen in Bezug auf unterschiedliche Bereiche des Lebens, zum Beispiel im Hinblick auf die erlebte soziale Unterstützung, insbesondere aber hinsichtlich der eigenen Gesundheit. Die subjektive Bewertung der eigenen Gesundheit stellt insgesamt den stärksten Vorhersagefaktor für Lebenszufriedenheit dar, wobei durchaus große Diskrepanzen zum objektiven Gesundheitszustand existieren können, ja vor allem bei älteren Männern sogar die Regel sind. Ferner „drängt“ das Konstrukt der Lebenszufriedenheit nach Öffnung, hin zu anderen bedeutsamen Erfahrungen des höheren Lebensalters. Die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne hat sich immer wieder mit der Frage beschäftigt, in welcher Weise sich Lebensgestalten bis ins höchste Alter hinein entwickeln, ob es hierbei zu regelhaften Phasen kommt bzw. ob es so etwas wie ein Ziel in jedem individuellen Leben gibt, das man erreichen oder auch verpassen kann. Hier können die Begriffe des Lebensglücks und des Lebenssinns zum Tragen kommen, die weit über das Konstrukt der Lebenszufriedenheit hinaus weisen. Diese Begriffe ha-
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ben im Laufe der menschlichen Kulturgeschichte eine Vielzahl von Deutungen und Auslegungen gefunden, wobei nicht nur die Psychologie, sondern auch Philosophie und Ethik vielschichtige Beiträge geleistet haben. Wichtig für unseren Zusammenhang erscheint dabei auf der einen Seite, dass es um fundamentale Aspekte des menschlichen Lebens geht, die letztlich unabhängig vom kalendarischen Alter sind: Was macht ein „gutes“ Leben aus? Wie verhalte ich mich „richtig“? Welche Ziele sind die letztlich erstrebenswerten? Wie kann es mir gelingen, meine Anlagen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer optimalen Lebensgestalt zur Entfaltung zu bringen? Auf der anderen Seite spielt das kalendarische Alter aber auch eine fundamentale Rolle: Was kann ich geben, wenn meine Kräfte nachlassen? Wie kann ich Sinn empÀnden, wenn ich dauerhaft in Krankheit und Gebrechlichkeit leben muss und die Grenze des Lebens immer näher rückt? Allgemein gültige Antworten auf diese schwierigen Fragen gibt es nicht. Jedoch haben das Denken und Forschen nicht zuletzt auch in der Psychologie, speziell der Entwicklungspsychologie bzw. der Psychologie der Lebensspanne, einige stabile und vielfach bestätigte Antwortkorridore geöffnet. Älteren Menschen ist es zunehmend von großer Bedeutung, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Kompetenzen an Jüngere weiterzugeben. Vielfach wird auch von Generativität (Erikson 1950) gesprochen (vgl. Kapitel 6). Ältere Menschen brauchen jüngere Menschen – und jüngere Menschen ältere. Ältere Menschen stehen vor der Anforderung, ihr langes Leben, das Gute und weniger Gute ihres Lebens zu integrieren und in gewisser Weise miteinander zu versöhnen. Sie streben, so Erikson, danach, ihre Lebenserfahrungen dahingehend zu deuten, dass die Einsicht, dass es nur so möglich war und nur so sinnhaft in das Universum der Milliarden gelebter Leben
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eingehen kann, in den Vordergrund tritt. Erikson hat an dieser Stelle von Ich-Integrität gesprochen, die allerdings nicht schon durch das reine Älterwerden garantiert ist, sondern Ergebnis eines prozesshaften Geschehens darstellt, bei dem die alternde Person eine überaus aktive Rolle zu spielen hat. In diesem Zusammenhang sind Forschungen sehr relevant, die zeigen, wie wesentlich für ältere Menschen Aspekte der Auseinandersetzung mit dem gelebten Leben und des Lebensrückblicks sind. Es ist sicherlich in diesem Zusammenhang auch nicht überraschend festzustellen, dass Altern mit einer Zunahme an Spiritualität einhergeht, wie dies auch in theoretischen Modellen lebenslanger Entwicklung immer wieder herausgestellt wurde (zum Beispiel in der Theorie der Gerotranszendenz des schwedischen Alternsforschers Tornstam; vgl. Kapitel 6).
Zusammenführung: Was bedeutet Altern aus Sicht der Psychologie? Die Psychologie hat bereits früh zur Alternsforschung beigetragen und ein vielschichtiges Bild des Alternsprozesses gezeichnet. Faszinierend an dieser Sichtweise ist nicht so sehr die notwendige Mehrdimensionalität, sondern vor allem die Mehrdirektionalität von psychischen Prozessen. Was ist damit gemeint? Die kognitive Seite des Altwerdens, beispielsweise, ist stark von einer Verlustdynamik geprägt, das heißt, hier bestehen bedeutsame Überlappungen zu einer stark biologischen Sichtweise des Alternsprozesses. Allerdings zeichnet sich bereits innerhalb des weiten Bereichs des kognitiven Alterns ab, dass man den „Verlustbogen“ keineswegs überspannen darf. Viele Hinweise Ànden sich auf mögliche und über lange Alternszeiträume sehr efÀziente Kompensationen, aber
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nicht nur das: Es gibt auch bedeutsame Evidenz dafür, dass es zu kognitivem Wachstum kommen kann, etwa im Bereich von Lebenserfahrung und Weisheit. Diese Prozesse scheinen zwar nicht normativ getrieben zu sein, das heißt, die Mehrzahl der Älteren erreicht keine hohen Ausprägungen, jedoch stellt sich stets die Frage, warum. So könnte es durchaus sein, dass unsere Gesellschaft einfach noch nicht in genügender Frequenz, Zugänglichkeit und Kreativität jene Konstellationen anbietet, die zu solch kognitivem Wachstum im Alter beitragen. Anders als im kognitiven Bereich stellt sich die Situation in Bezug auf das Altern der Persönlichkeit dar. Der mit objektivierbaren, hirnorganischen Veränderungen verbundene Verlust in geistigen und motorischen Teilfunktionen scheint in Bezug auf das Altern der Persönlichkeit kein Pendant zu haben. Unsere Persönlichkeit zerfällt nicht mit dem Altern, sondern, im Gegenteil, sie behält ihre Stabilität und „Leistungsfähigkeit“. Die Fähigkeit des Umgangs mit Krisensituation steigt mit dem Altern sogar bedeutsam an, und schwerwiegende Verluste scheinen uns immer weniger anhaben zu können, auch wenn es im extremen Alter zu einem gewissen „Umkippen“ kommen kann. Wir unterliegen eben auch Grenzen der Resilienz, was wiederum die Gesellschaft und Versorgungs- und Interventionsansätze (vgl. Kapitel 7) auf den Plan rufen muss. Altern erweist sich ferner durch die Brille der Psychologie als ein höchst dynamischer Prozess, bei dem nicht zuletzt Ziele (das Salz unseres Lebens) ständig angepasst und verändert, bisweilen auch aufgegeben werden. Dies scheint nicht zuletzt im Austausch mit unserer sozialen Umwelt in der Regel gut zu gelingen. Es sieht so aus, dass Altern die „Passung“ mit der sozialen Umwelt stetig verbessert, wobei gleichzeitig, wiederum ein Paradoxon, die Passung mit der räumlichen Umwelt
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unter Umständen stetig schlechter wird, weil zunehmend umweltbedeutsame Einbußen wie Seh- oder Geheinschränkungen eben diese Passung zunehmend infrage stellen. Insgesamt scheinen fundamentale psychische Prozesse häuÀg so ineinanderzugreifen, dass nicht nur Lebenszufriedenheit, sondern auch Lebensglück und Lebenssinn bis ins höchste Alter unterstützt und gefördert werden. Dies schließt nicht aus, dass es bedeutsame Subgruppen von Älteren, speziell von Hochaltrigen, gibt, in denen diese Prozesse in extremer Weise „unter Druck“ geraten und die Grenzen der Widerstandsfähigkeit erreicht werden. Eine der großen Stärken des heutigen Alterns, die lange Lebensdauer und die historisch einmalig hohe Kompetenz, treten gerade in der psychologischen Sichtweise gleichzeitig als Schwäche auf, denn das hohe Alter stellt durch seine biologischen Veränderungen die psychologischen Ressourcen zunehmend infrage.
Literaturempfehlungen Brandtstädter, J. (2006). Das Áexible Selbst. Selbstentwicklung zwischen Zielbindung und Ablösung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Brandtstädter, J. & Lindenberger, U. (2007). Lehrbuch zur Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Stuttgart: Kohlhammer. Kruse, A. & Wahl, H.-W. (2007). Psychische Ressourcen im Alter. In R. Süssmuth & A. Kruse (Hrsg.), Altern neu denken (S. 101–124). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Lang, F. R. (2004). Soziale Einbindung und Generativität im Alter. In A. Kruse & M. Martin (Hrsg.), Enzyklopädie der Gerontologie (S. 362–372). Bern: Huber. Martin, M. & Kliegel, M. (2005; NeuauÁage 2008). Psychologische Grundlagen der Gerontologie. Stuttgart: Kohlhammer.
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Staudinger, U. M. (2005). Lebenserfahrung, Lebenssinn und Weisheit. In S.-H. Filipp & U. M. Staudinger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie des mittleren und höheren Erwachsenenalters (Bd. 6: Enzyklopädie der Psychologie, S. 739–761). Göttingen: Hogrefe. Wahl, H.-W. & Heyl, V. (2008). Verluste und Entwicklungsrisiken des höheren Lebensalters. In F. Petermann & W. Schneider (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie (Bd. 7: Angewandte Entwicklungspsychologie, S. 859–884). Göttingen: Hogrefe.
6 Ausgewählte Konstrukte zur Soziologie des Alterns In diesem Kapitel fokussieren wir darauf, wie Altern aus einer gesellschaftlichen Perspektive wissenschaftlich besser verstanden werden kann. Hier ist demnach primär die Soziologie des Alterns angesprochen (Abbildung 6.1).
Konstrukt 1: Generation Der Begriff der Generation wird heute in sehr unterschiedlicher Weise verwendet. Begriffe wie Kriegs-, Nachkriegs- oder 68er-Generation sind uns aus der Alltagssprache als Verweis auf die prägende Wirkung sozialhistorischer Ereignisse und Entwicklungen geläuÀg. Die Verwendung von Begriffen wie Kinder-, Eltern- oder Großelterngeneration verweist ebenso allgemein verständlich auf die Geburtenfolge innerhalb einer Familie, wie sich technischer Fortschritt in der Zuordnung von Produkten zu einer neuen Generation widerspiegelt. Mit Begriffen wie Wiederaufbau- oder Gründergeneration würdigen wir kollektive Leistungen ebenso, wie uns vermeintlich charakteristische Einstellungen, Grundhaltungen und Schicksale zur IdentiÀkation einer kritischen, enttäuschten, betrogenen oder skeptischen Generation veranlassen.
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Zukunft Altern
Psychologie Soziologie
übergreifende Konstrukte
Biologie
Altersinterventionen
Biologie • genetische • • • • • • • • • •
Programmierung Altern als deterministischer Prozess Altern als stochastischer Prozess freie Radikale Vulnerabilität Krankheiten Demenz geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe Terminal Decline Morbiditätskompression aktive Lebenserwartung
Psychologie • Mechanik und • •
• • • • •
•
Pragmatik Gedächtnisprozesse Erfahrungswissen und berufliche Leistungsfähigkeit Lebensweisheit Persönlichkeit und Selbst soziale Beziehungen Motivation und Zielprozesse Belastungsverarbeitung und psychische Widerstandsfähigkeit Lebenszufriedenheit, Lebensglück und Sinn
Soziologie • Generation • Kohorte • Altersschichtung • Ageism • soziale Ungleichheit
• Geschlechtsspezi• • • • •
fität von Alternsprozessen Migration Generativität aktives Altern Disengagement Identität
Abb. 6.1 Konstruktlandkarte zu Alter(n): ausgewählte Konstrukte zur Soziologie.
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Der Soziologe Karl Mannheim (1964) geht in seinem bis heute für das Verständnis des Generationenbegriffs grundlegenden Aufsatz davon aus, dass die soziale Verbundenheit zwischen den Angehörigen einer Generation zwar in Ausnahmefällen die Bildung konkreter Gruppen motivieren, keinesfalls aber im Sinne einer konkreten Gruppe charakterisiert werden kann. Die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Generation hat eine grundsätzlich andere Art der sozialen Verbundenheit von Individuen zur Folge. Diese lässt sich nicht auf gewachsene oder bewusst gestiftete Bindungen zurückführen, sie erlischt nicht, wenn sich die ursprüngliche soziale Nähe reduziert, und sie ist nicht durch einen willentlichen Akt aufkündbar. Aus der Zugehörigkeit zu verwandten Geburtsjahrgängen resultiert nach Mannheim ebenso eine speziÀsche soziale Lagerung wie aus der Stellung im ökonomisch-machtmäßigen Gefüge einer Gesellschaft: „Die Generationslagerung ist fundiert durch das Vorhandensein des biologischen Rhythmus im menschlichen Dasein: durch die Fakta des Lebens und des Todes, durch das Faktum der begrenzten Lebensdauer und durch das Faktum des Alterns. Durch die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu ein und demselben ‚Geburtenjahrgangeȧ ist man im historischen Strome des gesellschaftlichen Geschehens verwandt gelagert“ (1964, S. 527).
Verwandte Lagerung ist nach Mannheim gleichbedeutend mit gemeinsamen Spielräumen für die Entfaltung von Individualität. Die speziÀsche Art der Lagerung schränkt einerseits die Möglichkeiten des Erlebens, Denkens, Fühlens und Handelns ein, andererseits eröffnet sie speziÀsche Perspektiven auf Gesellschaft.
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Für die Analyse der Generationslagerung nutzt Mannheim ein Gedankenexperiment. Ausgehend von der Frage, wie eine Gesellschaft aussehen würde, in der eine Generation ewig lebt und keine weitere Generationenfolge stattÀndet, beschreibt er fünf Grundphänomene, die sich allein aus der Existenz von Generationen ableiten lassen: das stete Neueinsetzen neuer Kulturträger, den steten Abgang früherer Kulturträger, die Tatsache, dass die Träger eines jeweiligen Generationszusammenhangs nur an einem zeitlich begrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses partizipieren, die Notwendigkeit des steten Tradierens der akkumulierten Kulturgüter sowie die Kontinuierlichkeit des Generationswechsels. Das erste Grundphänomen, das stete Neueinsetzen neuer Kulturträger, ist gleichbedeutend damit, dass Kultur von Menschen fortgebildet wird, die einen „neuartigen Zugang“ zum akkumulierten Kulturgut haben. Der stete Abgang früherer Kulturträger sichert nach Mannheim das für soziales Geschehen und ein Weiterleben der Gesellschaft unabdingbare Vergessen. „Alt ist man primär dadurch, dass man in einem speziÀschen, selbst erworbenen, präformierenden Erfahrungszusammenhang lebt, wodurch jede neue mögliche Erfahrung ihre Gestalt und ihren Ort bis zu einem gewissen Grade im vorhinein zugeteilt erhält, wogegen im neuen Leben die formierenden Kräfte sich erst bilden und die Grundintentionen die prägende Gewalt neuer Situationen noch in sich zu verarbeiten vermögen. Ein ewig lebendes Geschlecht müsste selbst vergessen lernen können, um das Fehlen neuer Generationen zu kompensieren“ (1964, S. 534).
Auch die Tatsache, dass die Träger eines jeweiligen Generationszusammenhangs nur an einem zeitlich begrenzten Ab-
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schnitt des Geschichtsprozesses partizipieren, erweist sich in der Analyse Mannheims als entscheidend für gesellschaftliche Entwicklung. Zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft geboren zu sein, konstituiert nach Mannheim auch eine charakteristische Erlebnisschichtung. Da sich aufeinanderfolgende Generationen notwendigerweise in der Art der Erlebnisschichtung unterscheiden, entwickelt sich Kultur nicht lediglich durch die Addition von in ihrer Bedeutung konstanten Inhalten, sondern dialektisch. Demgegenüber hätten die Mitglieder der im Gedankenexperiment betrachteten utopischen Gesellschaft die ersten Erfahrungen der Menschheit als „primäre Erfahrungsschicht“, und alles neu Hinzukommende wäre grundlegend an diesen Erfahrungen orientiert. Die Notwendigkeit des steten Tradierens, Übertragens des ererbten Kulturgutes und die Kontinuierlichkeit im Generationswechsel tragen dazu bei, dass ein gegenüber früheren Generationen neuartiger Zugang und eine veränderte Erlebnisaufschichtung keine grundlegende Distanzierung von den für die jeweilige Kultur charakteristischen Inhalten zur Folge haben und ein Ausgleich zwischen den Generationen gewährleistet ist. Auch für den Fall einer gesteigerten gesellschaftlichen Dynamik, die sich in deutlicheren Unterschieden zwischen den Lebenswelten jüngerer und älterer Generationen widerspiegelt, resultieren nicht notwendigerweise ausgeprägte intergenerationelle KonÁikte. Gesteigerte gesellschaftliche Dynamik wirkt sich auch insofern auf das Verhältnis zwischen den Generationen aus, als ältere Generationen in stärkerem Maße die Notwendigkeit wahrnehmen, der Jugend gegenüber offen zu sein: „Dieser Prozess kann sich so weit steigern, dass die ältere Generation durch eine in der Lebenserfahrung erworbene Elastizität in bestimmten Sphären umstellungsfähiger wird als
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mittlere Generationen, die ihre erste Lebenseinstellung noch nicht im Stande sind aufzugeben“ (1964, S. 541).
Die beschriebenen Grundphänomene der Generationslagerung sind nicht gleichzusetzen mit dem Generationszusammenhang, der nach Mannheim als Realisierung der in der Generationslagerung angelegten Möglichkeiten zu verstehen ist. Von verwandter Generationslagerung kann dann gesprochen werden, wenn Individuen zur gleichen Zeit in derselben historisch-sozialen Einheit geboren wurden. Der Generationszusammenhang beruht darüber hinaus auf der Partizipation an den gemeinsamen Schicksalen dieser historisch-sozialen Einheit: „Individuen [sind] nur insofern durch einen Generationszusammenhang verbunden, als sie an jenen sozialen und geistigen Strömungen teilhaben, die eben den betreffenden historischen Augenblick konstituieren, und insofern sie an denjenigen Wechselwirkungen aktiv und passiv beteiligt sind, die die neue Situation formen“ (1964, S. 543).
Der Begriff Generationseinheit bezieht sich bei Mannheim auf die kollektive Deutung eines Generationszusammenhangs bzw. auf gemeinsame „Grundintentionen“ und „Formungstendenzen“. Diese Grundintentionen und Formungstendenzen entstehen in der Regel in konkreten Gruppen, können in der Folge aber eine von diesen unabhängige Wirkung entfalten. Dies ist vor allem dann wahrscheinlich, wenn sie für eine verwandte Generationslagerung typische Erlebnisse aufgreifen und den beschriebenen Grundphänomenen eines neuartigen Zugangs und einer neuartigen Erlebnisschichtung Rechnung tragen. Generationseinheiten im beschriebenen Sinne entstehen vor allem in Zeiten hoher gesellschaftlicher Dynamik:
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„Wenn gesellschaftlich-geistige Umwälzungen ein Tempo einschlagen, das den Wandel der Einstellungen dermaßen beschleunigt, dass das latente kontinuierliche Abwandeln der hergebrachten Erlebnis-, Denk- und Gestaltungsformen nicht mehr möglich wird, dann kristallisieren sich irgendwo die neuen Ansatzpunkte zu einem neu sich abhebenden Impuls und zu einer neu gestaltgebenden Einheit“ (1964, S. 550).
Festzuhalten bleibt zunächst, dass das Phänomen der Generationenfolge untrennbar mit Struktur und Wandel von Gesellschaft verbunden ist. Nachdem bereits in der Tradition des französischen Positivismus argumentiert wurde, dass das Problem der Staatsform ebenso wie das Problem gesellschaftlichen Fortschritts unmittelbar auf Generationsabstand und Generationenfolge verweist, hat Karl Mannheim in seiner Explikation von Grundphänomenen der Generationslagerung deutlich gemacht, dass das stete Neueinsetzen neuer Kulturträger, der stete Abgang früherer Kulturträger sowie die Tatsache, dass die Träger eines jeweiligen Generationszusammenhangs nur an einem zeitlich begrenzten Abschnitt des Geschichtsprozesses partizipieren, durchaus speziÀsche Chancen gesellschaftlicher Entwicklung eröffnen. Ein „neuartiger Zugang“ wird hier als eine notwendige Voraussetzung für neue kulturelle Akzente, die neue Perspektiven auf innerhalb einer Gesellschaft problematisch Gewordenes eröffnen, und damit als eine Art Motor gesellschaftlicher Entwicklung beschrieben. Gleichzeitig wird deutlich, dass im Allgemeinen unabhängig von einem stets neuartigen Zugang nachfolgender Generationen bezüglich des größten Teils der kulturellen Inhalte Konsens zwischen den Angehörigen verschiedener Generationen besteht. Dieser unproblematisch weiterfunktionierende „Lebensfond“ wird in der Abfolge der Generationen
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nicht nur weitergegeben, er bildet auch die Grundlage dafür, dass das Tradieren von kulturellen Inhalten sowohl auf der Seite der Lehrenden als auch auf der Seite der Lernenden als Lernprozess zu konzipieren ist.
Konstrukt 2: Kohorte Der Begriff der Kohorte ist in der Alterssoziologie heute gebräuchlicher als jener der Generation. Dort wird nicht selten der Begriff der Generation für die Bezeichnung der Generationenfolge innerhalb der Familie reserviert, der Begriff der Kohorte dagegen für die Bezeichnung von Personen, die innerhalb eines deÀnierten Zeitraumes geboren wurden. Doch beschränkt sich der Begriff Kohorte nicht notwendigerweise auf die Bezeichnung von Ähnlichkeiten im chronologischen Alter. Charakteristisch für eine umfassende DeÀnition des Kohortenbegriffs ist der Vorschlag von Mathilda Riley, Anne Foner und Joan Waring (1988). Demnach bilden jene Menschen, die innerhalb eines deÀnierten Zeitraums geboren wurden oder zu einem vergleichbaren Zeitpunkt in ein deÀniertes soziales System eintreten, eine Kohorte. Dabei lassen sich für jede Kohorte speziÀsche Eigenarten wie initiale Größe, Zusammensetzung oder altersspeziÀsche Mortalitätsraten und lebenslaufspeziÀsche Erfahrungen, die die jeweilige historische Periode widerspiegeln, beschreiben. Die Lebensbedingungen und der Funktionsstatus von Menschen im „dritten Lebensalter“ (das heißt der 60- bis 75Jährigen) haben sich in den letzten Jahrzehnten durch kulturelle und gesellschaftliche Anstrengungen ständig verbessert, zu denen insbesondere auch Fortschritte in der Medizin und der industriellen Technologie zu zählen sind. Es ist gelun-
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gen, die Auswirkungen der in dieser Lebensphase eintretenden biologisch-physiologischen Einbußen zumindest in den Industriestaaten weitgehend zu kompensieren. Die heute 70-Jährigen sind in ihrem allgemeinen Funktionsstatus den vor 30 Jahren lebenden 65-Jährigen vergleichbar, haben also etwa fünf „gute“ Altersjahre gewonnen. Angesichts einer im Durchschnitt besseren Gesundheit, eines im Durchschnitt höheren Bildungsniveaus, einer im Durchschnitt höheren Vertrautheit mit Bildungsangeboten und Lernsituationen sowie einer im Durchschnitt besseren Ànanziellen Situation kann davon ausgegangen werden, dass zukünftige Kohorten älterer Menschen eher länger in der Lage sein werden, einen aktiven Beitrag zum Wohle der Gesellschaft zu leisten und ein gewisses Maß an Reziprozität zwischen den von anderen in Anspruch genommenen und den für andere erbrachten Leistungen aufrechtzuerhalten. Aus dieser Entwicklung ergibt sich die Forderung, die gesellschaftliche Strukturierung des Lebenslaufs zu verändern, um die Potenziale des Alters besser zu nutzen. So wurde etwa dafür plädiert, dass die gesellschaftliche Sequenzierung von Lebenssektoren (insbesondere Arbeit und Freizeit) durch eine Parallelisierung ersetzt werden sollte (im Sinne einer altersintegrierten Gesellschaft).
Konstrukt 3: Altersschichtung Die im Arbeitskreis von Mathilda Riley entwickelte Altersschichtungstheorie bildet einen heuristischen Rahmen für die Analyse von Zusammenhängen zwischen den in aufeinanderfolgenden Kohorten beobachtbaren individuellen Alternsprozessen und altersbezogenen gesellschaftlichen Strukturen und Rollen. Den Ausgangspunkt dieser Theorie bildet die Annah-
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me, dass dem Alter für die Schichtung einer Gesellschaft ebenso große Bedeutung zukommt wie dem sozioökonomischen Status, dem Geschlecht oder (in manchen Gesellschaften) der Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen (Ethnizität). Je nach Lebensalter werden Menschen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufgaben und Erwartungen konfrontiert. Je nach Lebensalter stehen für die Auseinandersetzung mit diesen Aufgaben und Erwartungen unterschiedliche Opportunitätsstrukturen zur Verfügung. Die für die Angehörigen einer Kohorte charakteristischen lebensaltersspeziÀschen Erlebnisse und Erfahrungen können einerseits als Ergebnis gesellschaftlicher Altersschichtung interpretiert werden: Die Angehörigen einer Kohorte werden je nach Lebensalter mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Anforderungen, Erwartungen, Möglichkeiten und Chancen konfrontiert. Individuelles Erleben und Verhalten werden in vielfältiger Weise sozial normiert und sanktioniert. Andererseits ist aber die gesellschaftliche Altersschichtung keine Konstante, mit der sich die Angehörigen aufeinanderfolgender Kohorten in vergleichbarer Weise auseinanderzusetzen haben. Gesellschaftliche Strukturen spiegeln ebenso den Verlauf und Wandel individueller Alternsprozesse wider wie individuelle Alternsprozesse eine sich wandelnde Sozialstruktur. Nun ist aber zu bedenken, dass der Wandel gesellschaftlicher Strukturen hinter der Veränderung individueller Alternsprozesse ebenso zurückbleiben kann, wie sich Individuen nur mit zeitlicher Verzögerung an neue Strukturen anpassen können. Diese Aussage ist besonders wichtig für das Verständnis eines relativ jungen sozialen Phänomens, das mit dem Begriff der „neuen Alten“ umschrieben wird. Die sogenannten „neuen Alten“ verfügen heute über Potenziale, wie sie in früheren Generationen nicht vorhanden waren – zu nennen sind hier
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durchschnittlich höhere Bildungsabschlüsse, höhere Ànanzielle Ressourcen oder ein besserer Gesundheitszustand. Diese Potenziale tragen nun dazu bei, dass die Rollen, die unsere Gesellschaft älteren Menschen zur Verfügung stellt, in einem nicht mehr tolerierbaren Maße deren Möglichkeiten und Bedürfnissen widersprechen. Dies hat zur Folge, dass altersbezogene Strukturen zunehmend zur Disposition stehen und verändert werden. Die Anpassung von Strukturen ist aber erst zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, zu dem jene Menschen, deren Potenziale den Wandel altersbezogener Strukturen angestoßen haben, bereits ein sehr hohes Alter erreicht haben und nicht mehr in vollem Umfang vom Strukturwandel proÀtieren können. Die Angehörigen späterer Kohorten können zwar in vollem Umfang von den veränderten Strukturen proÀtieren, doch sind diese Strukturen auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der früheren Kohorte abgestimmt. In dem Maße, in dem sich Möglichkeiten und Bedürfnisse kontinuierlich weiterverändern, müssen deshalb auch die gesellschaftlichen Strukturen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dies zeigt: Vom gesellschaftlichen Altern – und zwar in dem Sinne, dass immer größere Kohorten älterer Menschen nachwachsen – kann ein erheblicher Innovationsschub ausgehen, auch wenn von diesem die älteren Menschen selbst nicht immer in vollem Umfang proÀtieren. Dies ist eine besondere Variante von „Mitverantwortung“ für nachfolgende Kohorten. Den heuristischen Rahmen der Altersschichtungstheorie explizieren Riley, Foner und Waring mithilfe von 13 Arbeitsprinzipien (Working Principles), von denen sich sieben auf die Altersschichtung, drei auf individuelle Alternsprozesse und drei auf den Zusammenhang zwischen Altersschichtung und individuellen Alternsprozessen beziehen. Diese sind im Folgenden zusammengefasst.
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Die 13 Arbeitsprinzipien der Altersschichtungstheorie (nach Riley, Foner & Waring 1988) Auf Altersschichtung bezogene Arbeitsprinzipien: 1. Eine jede Gesellschaft ist nach Alter ebenso geschichtet wie nach Schicht und Geschlecht (und in manchen Gesellschaften auch Ethnizität). Die Art der Altersschichtung variiert mit den betrachteten Gesellschaften und der historischen Periode. 2. Altersschichten entstehen aus dem kontinuierlichen Zusammenwirken von gesellschaftlichen Veränderungen, die eine ausgeprägte Unterschiedlichkeit in altersbezogenen Rollen zur Folge haben, und Prozessen des Alterns und der Abfolge von Kohorten. 3. Altersschichten sind wechselseitig aufeinander bezogen, sodass auf eine Altersschicht bezogene Veränderungen Rückwirkungen auf andere Altersschichten haben können. 4. Innerhalb einer Altersschicht tragen Ähnlichkeiten in Alter und Kohortenzugehörigkeit zu gemeinsamen Erfahrungen, Deutungsmustern und Interessen bei, die wiederum ein Gefühl der Zusammengehörigkeit sowie auf dem Lebensalter beruhende Gruppen und soziale Bewegungen begründen können. 5. Mit dem Ausmaß der Integration innerhalb einer Altersschicht erhöht sich das zwischen Altersschichten bestehende KonÁiktpotenzial. Zwischen Altersschichten bestehende Unterschiede in Alter und Kohortenzugehörigkeit gehen mit Unterschieden in Erfahrungen, Deutungsmustern und Interessen einher, die Gleichgültigkeit oder Distanzierung zur Folge haben und die Notwendigkeit sozialen Wandels begründen können. 6. Innerhalb einer Altersschicht engagieren sich Individuen aktiv in komplexen Rollenbezügen, die in vielfältiger Weise Auswirkungen auf den Alternsprozess, auf Fähigkeiten,
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Einstellungen und soziale Beziehungen haben. Soziale Rollen stehen zum einen für gesellschaftlich gesetzte Grenzen, zum anderen für Möglichkeiten und Gelegenheiten der Verwirklichung von individuellen Zielvorstellungen. 7. Die Interaktion zwischen Individuen, die in verschiedenen Altersschichten älter werden, kann sowohl Gefühle von Zusammengehörigkeit und gegenseitigem Voneinander-lernenKönnen als auch altersbezogene Spannungen und KonÁikte zur Folge haben. Auf individuelle Alternsprozesse bezogene Arbeitsprinzipien: 8. Altern ist ein lebenslanger Prozess, der von der Geburt bis zum Tode andauert und durch alle Altersschichten einer Gesellschaft führt. 9. Der Alternsprozess hat zahlreiche Facetten, er beinhaltet aufeinander bezogene biologische, psychologische und soziale Prozesse. 10. Die Art und Weise, wie Menschen altern, wird durch die soziale Ordnung, durch die sie sich bewegen, durch soziale und kulturelle Bedingungen, denen sie in bestimmten Lebensaltern ausgesetzt sind, sowie durch die von anderen Menschen, mit denen sie zu tun haben, im Lebenslauf gewonnenen Erfahrungen beeinÁusst. Auf den Zusammenhang zwischen Altersschichtung und individuellen Alternsprozessen bezogene Arbeitsprinzipien: 11. Die Art und Weise, wie Menschen altern, ist durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kohorte beeinÁusst sowie durch die sozialen, kulturellen und umweltbezogenen Veränderungen, denen diese Kohorte ausgesetzt ist, während sie sich durch die aufeinanderfolgenden Altersschichten einer Gesellschaft bewegt. Da sich Gesellschaft verändert, altern Angehörige aufeinanderfolgender Kohorten in unterschiedlicher Weise.
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12. Sofern zahlreiche Individuen derselben Kohorte in ähnlicher Weise von sozialem Wandel betroffen sind, kann dies eine Veränderung sozialer Strukturen zur Folge haben, die wiederum den Alternsprozess zusätzlich beeinÁusst. Dies bedeutet, dass neue Formen des Alterns nicht nur von sozialem Wandel verursacht werden, sondern selbst auch zu diesem beitragen. 13. Individuelle Alternsprozesse und sozialer Wandel beinhalten voneinander abgrenzbare Dynamiken, deren fehlende Synchronisierung sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft zur Belastung werden kann.
Des Weiteren sensibilisiert die Altersschichtungstheorie für vier verbreitete Fehlinterpretationen und Fehlschlüsse traditioneller Alternsforschung. Diese werden nachfolgend erläutert. 1. Der Lebenslauffehlschluss *: Es wird fälschlicherweise angenommen, dass aus Querschnittsvergleichen resultierende Unterschiede zwischen Altersgruppen, die für eine Analyse altersbezogener gesellschaftlicher Strukturen in bestimmten historischen Perioden unverzichtbar sind, auf den Verlauf von individuellen Alternsprozessen verweisen. 2. Der kohortenzentristische Fehlschluss: Es wird fälschlicherweise angenommen, dass die Angehörigen aller Kohorten auf dieselbe Art und Weise altern wie die Angehörigen einer bestimmten Kohorte. 3. Der Fehlschluss der Verdinglichung des Alters: Das chronologische Alter wird als eine im Lebenslauf kausal wirkende Variable behandelt, ohne dass die den Alternsprozess beeinÁussenden Faktoren speziÀziert werden. * Bei Riley, Foner & Waring (1988, S. 248) Àndet sich der Begriff life-course fallacy.
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4. Der Fehlschluss der Verdinglichung historischen Wandels: Historischer Wandel wird als eine kausal wirkende Variable behandelt, ohne dass die den Verlauf von Alternsprozessen oder die Art der Altersschichtung beeinÁussenden Aspekte historischen Wandels speziÀziert werden.
Konstrukt 4: Ageism In unserem Verhalten gegenüber anderen Menschen orientieren wir uns nicht nur an unserer Kenntnis von deren individuellen Eigenschaften, Stärken und Schwächen; aus der (mutmaßlichen) Zugehörigkeit eines Menschen zu speziÀschen sozialen Kategorien oder Gruppen schließen wir auch auf das Vorhandensein charakteristischer Attribute und Kompetenzen, die unsere Deutung des Verhaltens anderer Menschen und unser Verhalten diesen gegenüber nachhaltig beeinÁussen können. Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber älteren Menschen bildeten von Beginn den zentralen Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung von Altersbildern. Bis heute einÁussreich geblieben ist die von Robert Butler im Jahre 1969 formulierte These eines für westliche Gesellschaften charakteristischen Ageism. Die mit diesem Begriff bezeichnete Altenfeindlichkeit umfasst drei Aspekte, die der Annahme Butlers zufolge eng miteinander zusammenhängen: 1. Vorurteile gegenüber älteren Menschen, dem Alter und dem Alternsprozess, 2. soziale Diskriminierungen älterer Menschen, 3. institutionelle und politische Praktiken, die stereotype Überzeugungen bestätigen. Im Kontext der Ageism-These von Robert Butler ist die Auffassung populär geworden, weit verbreitete negative Stereotype,
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Vorurteile und Diskriminierungen älterer Menschen würden dazu beitragen, dass das Alter mit nicht zu leugnenden „faktischen“ sozialen Benachteiligungen einhergeht, die auch von den älteren Menschen selbst nicht weiter hinterfragt werden und deren gesellschaftliche Rechtfertigung unabhängig vom Lebensalter zu einer Dominanz negativer Altersbilder beiträgt. Inwieweit der nur in den Arbeiten von Butler erhobene Vorwurf einer Dominanz negativer Altersbilder in westlichen Gesellschaften gerechtfertigt ist, wurde auch in der Gerontologie lange kontrovers diskutiert. Ältere Menschen werden in den meisten empirischen Untersuchungen etwas negativer als jüngere, in einigen Studien aber auch vergleichbar oder sogar positiver als jüngere wahrgenommen. Für eine explizite Ablehnung – im Sinne einer eindeutig negativen Wahrnehmung – älterer Menschen durch jüngere Ànden sich keine Belege. Der wichtigste Befund ist aber, dass Altersbilder nicht auf eine evaluative Dimension reduzierbar sind, ältere Menschen nicht als homogene Gruppe und Alternsprozesse nicht als unidimensional wahrgenommen werden. Wir gehen davon aus, dass Altersbilder nicht einfach als positive oder negative Bewertungen älterer Menschen verstanden werden können. Auch wäre die Annahme zu einfach, in den Altersbildern jüngerer Menschen spiegele sich vor allem die Tendenz wider, die eigene Person dadurch aufzuwerten, dass die Mitglieder von sozialen Kategorien oder Gruppen, denen man selbst angehört, positiver, die Mitglieder von sozialen Kategorien oder Gruppen, denen man selbst nicht angehört, dagegen negativer wahrgenommen und beurteilt werden. Die im Alternsprozess auftretenden biologisch-physiologischen, psychologischen und sozialen Veränderungen können in sehr unterschiedliche Richtungen weisen. Entwicklung ist über die gesamte Lebensspanne sowohl mit Gewinnen und Chancen
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als auch mit Verlusten und Risiken verbunden, wobei in allen Lebensaltern große Unterschiede in den individuellen Alternsprozessen beobachtbar sind. Aus diesem Grunde lassen sich unsere Vorstellungen von Alter und Altern nicht auf einige wenige Aussagen reduzieren, hinsichtlich derer wir weitestgehend übereinstimmen. Wir verfügen vielmehr über sehr unterschiedliche Altersbilder, die wir je nach Situation in unserer Wahrnehmung, unseren Urteilen und unserem Verhalten berücksichtigen, zurückstellen oder gänzlich ignorieren. Obwohl die populäre Aussage, unsere Gesellschaft sei durch eine Ablehnung des Alters charakterisiert, in dieser allgemeinen Form nicht haltbar ist, kann doch von einer tief greifenden Reserviertheit gegenüber dem Alter ausgegangen werden. Diese spiegelt sich im Bereich der Arbeitswelt, insbesondere in der lange Zeit dominierenden Frühverrentungspraxis, in einer vergleichsweise geringen Ausschöpfung des Beschäftigungspotenzials älterer Menschen, einem für Ältere erhöhten Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit sowie einer im Alter geringeren Weiterbildungsbeteiligung wider. Darüber hinaus wird die angesprochene Reserviertheit gegenüber dem Alter in der aktuellen Diskussion über notwendige Reformen des sozialen Sicherungssystems deutlich, die Risiken des Alters und aus diesen resultierende Ànanzielle Belastungen einseitig fokussiert.
Konstrukt 5: Soziale Ungleichheit Die im Alter bestehenden Möglichkeiten, ein an eigenen Lebensentwürfen, Ziel- und Wertvorstellungen orientiertes Leben zu führen, hängen ebenso wie die Fähigkeit und Bereitschaft, vorhandene Potenziale für sich selbst und andere zu nutzen,
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von den in früheren Lebensabschnitten vorgefundenen Entwicklungsbedingungen und den gewonnenen Erfahrungen ab. Im Vergleich zu früheren Lebensphasen ist das Alter eher durch eine höhere Heterogenität als durch eine zunehmende Homogenität gekennzeichnet. Soziale Ungleichheiten reduzieren sich im Allgemeinen nicht mit dem Alter – schon gar nicht von selbst. Vielmehr lassen sich die im Alter verfügbaren materiellen und sozialen Ressourcen vielfach als Ergebnis einer Kumulation von Vor- oder Nachteilen beschreiben. Dies sei im Folgenden am Beispiel der Bildung verdeutlicht. In keinem vergleichbaren Land ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg so ausgeprägt wie in Deutschland. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten machen in Deutschland weniger Schüler Abitur, wobei unter diesen der Anteil an Kindern aus Akademikerfamilien größer ist als in jedem anderen europäischen Land. Die langfristigen Auswirkungen eines Schulsystems, das gegenwärtig offensichtlich eher zu einer Verstetigung denn zu einer Nivellierung von schichtspeziÀschen Ungleichheiten beiträgt, werden deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass frühe Bildungserfahrungen die weitere BildungsbiograÀe prägen, der Schulabschluss entscheidend für die Arbeitsmarktchancen und das individuelle Arbeitsmarktrisiko ist, gering QualiÀzierte sich kaum an Weiterbildungsmaßnahmen beteiligen und ihre Beschäftigungsfähigkeit mit dem Alter deutlich zurückgeht. Zahlreiche Untersuchungen belegen nicht nur die Bedeutung des im Alter erreichten Bildungsniveaus für die Teilnahme an Bildungsaktivitäten, die Alltagsgestaltung, den Anregungsgehalt der Umwelt, die Gesundheit und die Selbstständigkeit im Alter, sondern auch enge Zusammenhänge zwischen Bildungsmotivation, Bildungserfahrungen und Bildungsabschlüssen in früheren
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Lebensabschnitten und dem im Alter erreichten Bildungsniveau. Personen mit höherer Schul- und Berufsausbildung partizipieren überproportional an Angeboten der Erwachsenenbildung und der beruÁichen Fort- und Weiterbildung, sodass Bildungsungleichheiten im Lebenslauf eher verstärkt denn verringert werden. Ein zentraler Befund sozialmedizinischer und gerontologischer Studien deutet darauf hin, dass ältere Menschen – unabhängig von den Merkmalen Altersgruppe, Geschlecht und ethnische Gruppenzugehörigkeit – mit höherem Bildungsniveau geringere Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken aufweisen als ältere Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau. Des Weiteren wurde gezeigt, dass ein niedrigeres Bildungsniveau mit schwereren körperlichen Erkrankungen und Behinderungen und mit stärker ausgeprägten Belastungen infolge chronischer Krankheit verbunden ist. Schließlich lässt sich aus Ergebnissen empirischer Studien folgern, dass ein niedriger Bildungsstand einen Indikator für den Schweregrad bestimmter chronischer Erkrankungen bildet – zu nennen sind hier vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen, Schlaganfall, Arthritis, Demenz und Parkinson. Eine empirisch gut gestützte Erklärung für den Zusammenhang zwischen Bildung, Morbidität und Mortalität stellt die Humankapitalhypothese dar. Diese geht davon aus, dass Bildung zur Entwicklung von Gewohnheiten, Fertigkeiten, Ressourcen und Fähigkeiten beiträgt, die Menschen in die Lage versetzt, persönlich bedeutsame Ziele zu erreichen und ihr Leben in diesem Sinne effektiv zu gestalten. Unter der Voraussetzung, dass Menschen bereit sind, in die Erhaltung ihrer Gesundheit materiell wie immateriell zu investieren, würden durch Bildung die Mittel bereitgestellt, dieses Ziel durch einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu erreichen; die Au-
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toren grenzen sich ausdrücklich gegenüber einer Perspektive ab, die Gesundheit lediglich als angenehme, aber nicht intendierte Folge eines mit höherer Bildung assoziierten relativen Wohlstands betrachtet, und betonen, dass die Humankapitalhypothese einen vom sozioökonomischen Status unabhängigen Effekt des Bildungsstands auf die Gesundheit impliziert: 1) Bildung ermöglicht es Menschen, gesundheitsförderliches Verhalten in einen kohärenten Lebensstil zu integrieren. 2) Die Überzeugung, Entwicklungen im eigenen Lebenslauf kontrollieren zu können, motiviert zu einem gesundheitsförderlichen Lebensstil und erklärt deshalb einen erheblichen Teil der positiven Auswirkungen von Bildung auf die Gesundheit. 3) Eltern mit höherem Bildungsniveau tragen dazu bei, dass ihre Kinder einen gesundheitsförderlichen Lebensstil entwickeln. 4) Des Weiteren verfügen Menschen mit höherem Bildungsniveau im Durchschnitt über ein höheres Ausmaß an sozialer Unterstützung, wobei dieser Unterschied ebenso wenig wie die anderen erwähnten Unterschiede zwischen Personen mit höherem und niedrigerem Bildungsniveau durch die Einkommenssituation erklärt werden kann. Während Menschen von einer in frühen Jahren erhaltenen Bildungsförderung offensichtlich auch in späten Jahren noch proÀtieren, akkumulieren Bildungsbenachteiligungen über den Lebenslauf. Bemühungen um den Abbau von Ungleichheiten im Bildungssystem sind damit umso effektiver, je früher sie einsetzen. Die Zielsetzung, Bildungsungleichheiten im Alter abzubauen, kann nur dann erreicht werden, wenn in früheren Lebensabschnitten bestehende Ungleichheiten korrigiert werden können. Die Forderung nach Chancengleichheit in Bezug auf Bildung im Alter verweist damit sowohl auf das Schulsystem als auch auf die Erstausbildung und die Erwachsenenbildung.
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Konstrukt 6: Geschlechtsspezifität von Alternsprozessen In Bezug auf die Entwicklung und Nutzung von Potenzialen des Alters können Frauen heute in mehrfacher Hinsicht als benachteiligt gelten. Auf dem Arbeitsmarkt Ànden Frauen im Vergleich zu Männern nach wie vor nicht nur schlechtere Beschäftigungsmöglichkeiten, sondern auch bei vergleichbarer beruÁicher Tätigkeit häuÀg geringere Verdienst- und Karrieremöglichkeiten vor. Die in unserer Gesellschaft nach wie vor verbreiteten Geschlechtsrollenvorstellungen veranlassen immer noch zu viele Frauen, zugunsten von Kindererziehung oder PÁegetätigkeit auf eine ihren Fähigkeiten entsprechende beruÁiche Entwicklung und den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung zu verzichten. Die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen hat nicht selten eine durch Kindererziehung oder PÁegetätigkeit bedingte Doppelbelastung zur Folge. BeruÁiche und familiäre Aufgaben sind für Frauen häuÀg nur schwer miteinander zu vereinbaren, eine chronische Überforderung kann langfristig gesundheitliche Einschränkungen nach sich ziehen und die Entfaltung vorhandener sowie die Ausbildung neuer Potenziale nachhaltig behindern. Soziale Probleme im Alter sind de facto zum weit überwiegenden Teil Probleme alter und hochbetagter Frauen. Ältere Frauen sind aufgrund höherer Überlebenswahrscheinlichkeit häuÀger verwitwet als Männer. Bei ihnen ist nicht nur der Tod des Ehepartners ein häuÀger anzutreffendes kritisches Lebensereignis, sie haben auch eine geringere Wahrscheinlichkeit, einen neuen Partner zu Ànden. Die heute älteren Frauen hatten deutlich schlechtere Chancen, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen als die heute älteren Männer, was sich
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im Alter unter anderem in Ungleichheiten in der Verteilung von Gesundheitschancen äußern kann. Die Einkommenssituation älterer Frauen ist aufgrund von Phasenerwerbstätigkeit (Kindererziehung), geringer qualiÀzierten, belastenden und diskontinuierlichen Arbeitsplätzen sowie infolge von Benachteiligungen im Rentenrecht (Anerkennung von Erziehungszeiten) schlechter als jene älterer Männer. Armut im Alter ist deshalb zum größten Teil ein speziÀsch weibliches Problem. Im Zusammenhang mit der schlechteren Einkommenssituation steht nicht selten eine ungünstigere Wohnsituation. GeschlechtsspeziÀsche Unterschiede in der Morbidität und Mortalität lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass Frauen im Alter einerseits eher an (chronischen) körperlichen Krankheiten leiden, eher in ihrer Ausführung von Aktivitäten des täglichen Lebens eingeschränkt sind, eher zu depressiven Erkrankungen neigen und mit höherer Wahrscheinlichkeit durch ungünstige, unerwünschte ProÀle und Muster psychologischer wie allgemeiner Funktionstüchtigkeit gekennzeichnet werden können, andererseits aber (dennoch) eine erheblich höhere Lebenserwartung aufweisen als Männer. Die höhere Lebenserwartung der Frauen geht zu einem guten Teil auf biologisch-physiologische Geschlechtsunterschiede zurück. Zu nennen sind hier die positiven Effekte des Östrogens auf den Fettstoffwechsel (Frauen haben bis etwa zum 50. Lebensjahr niedrigere Cholesterinwerte als Männer gleichen Alters), die sich bis zur Menopause in einer bei Frauen deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit, an Herzinfarkt zu sterben, widerspiegeln. Diese Aussage wird im Übrigen auch dadurch gestützt, dass sich eine bei Frauen höhere Lebenserwartung nicht lediglich in westlichen Industrienationen, sondern praktisch in allen Kulturen Àndet. Prospektive Studien machen deutlich, dass Män-
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ner auch dann ein erhöhtes Mortalitätsrisiko aufweisen, wenn sie bereits ein relativ hohes Alter erreicht haben und wenn für andere Variablen – insbesondere für die aktuell bestehende körperliche Morbidität – kontrolliert wird. Die Unterschiede im Ausmaß der Selbstständigkeit, in der psychologischen Funktionstüchtigkeit und im allgemeinen Funktionsstatus reÁektieren wahrscheinlich stärker als die geschlechtsspeziÀschen Mortalitätsraten differenzielle Rollenerwartungen, Ressourcen und Lebenschancen. Hier kommen die Autoren der Berliner Altersstudie (Mayer & Baltes 1996) zu dem Schluss, dass insbesondere in der psychologischen Funktionstüchtigkeit das Ausmaß beobachtbarer Geschlechtsunterschiede angesichts der geschlechtsspeziÀschen Variation von Lebensläufen und Entwicklungskontexten gering ist. Die Befunde der Berliner Altersstudie legen zusätzlich die Hypothese nahe, dass medizinische Diagnosen und Verordnungen in ihrer Güte und Angemessenheit möglicherweise geschlechtsspeziÀsch variieren. Dies könnte auf geschlechtsspeziÀsch variierende subjektive Gesundheitstheorien der Patienten ebenso zurückgehen wie auf kommunikative Kompetenzen der im Arzt-PatientenKontakt Beteiligten oder auf speziÀsche Geschlechtsstereotype und Geschlechtsrollenerwartungen. Der aktuelle Kenntnisstand über geschlechtsspeziÀsche Morbiditäts- und Mortalitätsmuster lässt unseres Erachtens nicht zu zu entscheiden, ob das Ausmaß an Unterschiedlichkeit zwischen Frauen und Männern mit fortschreitendem Lebenslauf größer oder kleiner wird, da die relative Bedeutung von biologisch-physiologischen und kulturellen EinÁussfaktoren schwer abzuschätzen ist, solange nicht aufeinanderfolgende Kohorten systematisch verglichen werden können. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass sich gerade zukünftige Kohorten von älteren Frauen in ihrem Bildungsstand und in
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ihrer Gesundheit erheblich von den heute lebenden Kohorten älterer Frauen unterscheiden werden. Schon aus diesem Grunde ist die VorläuÀgkeit des skizzierten Erkenntnisstands einer – ohnehin erst am Anfang stehenden – geschlechtsdifferenziellen Gerontologie zu beachten. Mit fortschreitendem demograÀschen Wandel wird eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen ebenso unverzichtbar wie vermehrte gesellschaftliche Anstrengungen, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie zu erhöhen. Neben der Erziehung von Kindern wird in einer alternden Gesellschaft, die auf eine efÀzientere Ausschöpfung des Erwerbspotenzials auf Dauer nicht verzichten kann, zunehmend auch die PÁege von Angehörigen eine familiäre Aufgabe, die von Berufstätigen bewältigt werden muss. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ein Áächendeckendes Angebot von Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen zu schaffen sowie Angebote ambulanter und teilstationärer Versorgung auszubauen. Unternehmen müssen verstärkt ein Bewusstsein für PÁegetätigkeiten als neues Vereinbarkeitsproblem neben der Erziehung der Kinder entwickeln. Aufgrund der Tatsache, dass sich die in früheren Kohorten zu beobachtenden Geschlechtsunterschiede im Bildungsstand zunehmend umkehren – bereits seit mehreren Jahren machen in Deutschland mehr Mädchen als Jungen Abitur –, werden sich auch traditionelle Geschlechtsrollenvorstellungen wandeln müssen.
Konstrukt 7: Migration Unsere Gesellschaft konnte in der Vergangenheit, kann in der Gegenwart und kann erst recht in der Zukunft nicht auf die Kompetenzen der Zuwanderer verzichten. Gemeint ist hier
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zum einen deren Beitrag in der Arbeitswelt, aber auch deren Beitrag zum kulturellen Leben. Ohne den Beitrag in der Arbeitswelt wäre die Bundesrepublik Deutschland heute nicht ein so hoch entwickelter Wirtschaftsstandort. Ohne deren Beitrag zur Kultur wäre unser kulturelles Leben ärmer, wäre unsere Toleranz geringer, wäre auch unsere Präsenz im internationalen Dialog, in internationalen Organisationen nicht so stark ausgeprägt. Die in Deutschland lebenden älteren Migranten gehören gegenwärtig zum überwiegenden Teil bildungsfernen Schichten an, soweit sie aus den ehemaligen Anwerbeländern stammen. Im Allgemeinen spiegeln sich geringe beruÁiche QualiÀkationen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in einem deutlich erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko wider. Des Weiteren arbeiten Migranten in aller Regel unter körperlich vergleichsweise stark beanspruchenden Bedingungen, was eine höhere Anfälligkeit für Verschleißerkrankungen zur Folge hat. Mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verringert sich für einen großen Teil dieser Menschen die soziale Integration, da sich Kontakte zur einheimischen Bevölkerung in der Regel auf Arbeitskollegen reduzieren. Diese Annahme wird auch durch Befunde belegt, dass im Alter die Orientierung am Herkunftsland wieder zunimmt. Selbsthilfepotenziale und soziales Engagement von Migranten wurden in der Öffentlichkeit lange Zeit nicht wahrgenommen. Ihr Engagement konzentriert sich auf Familien- und Nachbarschaftshilfe sowie auf meist eigenethnische Vereinsaktivitäten. Die hohen Solidaritätspotenziale von Familien ausländischer Herkunft und das bürgerschaftliche Engagement in demokratischen Selbstorganisationen stellen wichtige soziale Ressourcen für die Integration dar. Die räumliche Mobilität älterer Migranten und die Bereitschaft zum freiwilligen
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Engagement in ethnischen Organisationen lassen sich als zwei für Migranten typische Potenziale beschreiben. Die Integration der ausländischen Mitbürger ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen in Deutschland. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist eine Voraussetzung für den Zugang zu Bildung und QualiÀkation und damit auch für beruÁichen Erfolg, für die gleichberechtigte Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und kulturellen Leben. Die Erhöhung der Selbsthilfepotenziale, die Erschließung von Zugängen zu politischen Entscheidungsprozessen und Ressourcen hängen, wie die Integration insgesamt, nicht nur von der „Eingliederungsbereitschaft“ der Zugewanderten ab. Auch die gesellschaftlichen Institutionen müssen hier entsprechende Angebote und Möglichkeiten eröffnen. Die Sprachkompetenz der Migrantenbevölkerung muss bereits im Kindergarten- und Schulalter systematisch entwickelt werden. Die Ergebnisse der PISA-Studien belegen, dass die gegenwärtig im Schulbereich gültigen Voraussetzungen – unabhängig vom jeweils betrachteten Bundesland – unzureichend sind. Keiner europäischen Gesellschaft gelingt es schlechter, Kinder aus Migrantenfamilien in das Schulsystem zu integrieren. Migranten nehmen überdurchschnittlich häuÀg Vorruhestandsregelungen in Anspruch. Der Erhaltung ihrer Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitsmotivation sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Sinne müssen Migranten stärker in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen werden, wobei diese unbedingt mit der Sprachförderung kombiniert werden sollten. Bildung und Ausbildung der zweiten und dritten Migrantengenerationen sollten zu den Prioritäten der Bildungspolitik gehören, da sich ansonsten die Benachteiligung über mehrere Generationen fortsetzt.
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Konstrukt 8: Generativität Im Verständnis von Erik H. Erikson (1950) bezieht sich der Begriff der Generativität auf eine im mittleren Erwachsenenalter durch die Pole schöpferische Tätigkeit versus Stagnation gekennzeichnete Thematik. Bereits Erikson verwies in seinen Arbeiten zur lebenslangen psychosozialen Entwicklung auf die Nähe zu Begriffen wie Produktivität und Kreativität, wenngleich sich in seinem Verständnis Generativität primär in innerfamiliären Beziehungen – Kinder zu haben und diese zu erziehen – verwirklicht. In neueren Arbeiten ist mit diesem Begriff nicht selten die Erwartung verbunden, dass ältere Menschen sich in ihren sozialen Beziehungen an den Bedürfnissen anderer Menschen orientieren. Frieder Lang und Margret Baltes (1997) haben drei Formen der Generativität im Alter unterschieden: 1) die Schaffung von überdauernden Werten, was eine Entscheidung für bestimmte Lebensziele und Sozialkontakte einschließt, 2) die Wahrung kultureller Identität und damit eine Optimierung der Verknüpfung von Wandel und Kontinuität, 3) Selbstbescheidung und Selbstverantwortlichkeit. In einem anderen Entwurf verknüpft Erhard Olbrich Generativität im hohen Alter mit Prozessen der Verlustverarbeitung: Spätestens jetzt geht es darum zu erkennen, dass wir nicht ständig schöner, stärker oder sonst wie besser werden. Dan McAdams (McAdams & St. Aubin 1992) hat ein umfassendes Verständnis von Generativität vorgeschlagen, das insbesondere davon ausgeht, dass sich diese zum einen im Zusammenwirken von Person und Gesellschaft realisiert, zum anderen auf unterschiedlichen Ebenen – Motivation, Anliegen, Deutungen, Pläne, Verhalten, Sinnerleben – widerspiegelt bzw. das Zusammenwirken von EinÁussfaktoren auf sehr
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unterschiedlichen Ebenen umfasst. In dieser Sichtweise sind kulturelle Erwartungen in Form von Entwicklungsnormen und zugehörigen Opportunitätsstrukturen ebenso wie individuelle Anliegen, vor allem der Wunsch nach symbolischer Unsterblichkeit als auch das Bedürfnis, gebraucht zu werden, als einander ergänzende motivationale Quellen für Gefühle der Verbundenheit mit nachfolgenden Generationen (Concern), generative Zielsetzungen und Entscheidungen (Commitment) sowie unterschiedliche Formen generativen Handelns (Herstellen, Aufrechterhalten, Zur-Verfügung-Stellen). Im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse ist, dass McAdams ein durch die jeweilige Kultur in hohem Maße beeinÁusstes Vertrauen in die Spezies explizit in seine Theorie unterschiedlicher Formen von Generativität integriert: „To belief in the (human) species is to place hope in the advancement and betterment of human life in succeeding generations, even in the face of strong evidence of human destructiveness and deprivation. When such a belief is lacking, the adult may Ànd it difÀcult to make a strong commitment to generative action, because it may appear that a generative effort may not be very useful anyway“ (McAdams & St. Aubin 1992, S. 1006).
McAdams konzeptualisiert Generativität ausdrücklich auch im Kontext narrativer Identität. Inwiefern generative Anstrengungen als im Einklang mit der persönlichen Lebensgeschichte, mit dem jeweiligen sozialen Umfeld wie auch mit Gesellschaft und Kultur insgesamt erlebt werden, welche Formen von Generativität für die Zukunft angestrebt werden, ist Teil eines „Generativitätsskripts“, das sich über den individuellen Lebenslauf in erheblicher Weise verändern kann und dem für narrative Identität wichtigen Bedürfnis nach einem
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guten Ausgang geschuldet ist. In diesem Generativitätsskript spiegelt sich letztlich das Vertrauen darauf, durch das eigene Leben auch etwas Bleibendes geschaffen zu haben, bzw. darauf, dass auch nach dem Ende des eigenen Lebens zumindest ein Teil von einem selbst weiter Bestand haben wird. Indem die unterschiedlichen Formen von Generativität (Anliegen, Überzeugungen, Absichten, Handlungen, narrative Identität) nicht wie bei Erikson primär aus einem epigenetischen Prinzip hergeleitet, sondern explizit auf Erwartungen und Opportunitätsstrukturen in der jeweiligen Kultur bezogen werden, wird zugleich die Idee einer speziÀschen, durch die Generativitätsthematik gekennzeichneten psychosozialen Krise des mittleren Erwachsenenalters verworfen. Anders als bei Erikson erstreckt sich damit die Thematik der Generativität prinzipiell über das gesamte Erwachsenenalter.
Konstrukt 9: Aktives Altern Aus der Perspektive der klassischen Aktivitätstheorie, wie sie vor allem von Robert Havighurst und Bernice Neugarten sowie in Deutschland Rudolf Tartler vertreten wurde, hängt erfolgreiches Altern eng mit dem Gefühl, gebraucht zu werden, zusammen. Mit dem Übergang vom mittleren Erwachsenenalter zum höheren Erwachsenenalter sind den Vertretern dieser Theorie zufolge keine wesentlichen Veränderungen persönlich bedeutsamer Normen, Bedürfnisse und Werte verbunden. Altersgebundene Veränderungen in sozialen Rollen (zu verweisen ist hier insbesondere auf den Übergang in den Ruhestand) erscheinen als den individuellen Interessen vielfach zuwiderlaufend und durch die Gesellschaft aufgezwun-
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gen. Das mit dem Erreichen der Altersgrenze verbundene Ausscheiden aus dem Beruf erscheint als eine Ausgliederung aus gesellschaftlich relevanten Funktionszusammenhängen, die wiederum als Begleiterscheinung des mit Industrialisierung und Verstädterung sowie Veränderungen der Familienstruktur einhergehenden sozialen Wandels anzusehen ist. Folgt man dem Aktivitätskonzept, dann sind Rückgänge in sozialen Rollen und Funktionen weniger das Resultat von (biologischen) Alternsprozessen, sondern die im Alternsprozess auftretenden Probleme sind vielmehr Folge einer mit der ungerechtfertigten Zuschreibung unerwünschter Attribute (Leistungsschwäche, Rigidität etc.) einhergehenden Zurückweisung durch die Gesellschaft: Ein Mangel an körperlicher und geistiger Tätigkeit habe notwendigerweise Verfall und „atrophisches Siechtum“ zur Folge. Als Belege für die Gültigkeit der Aktivitätstheorie wurde neben den in empirischen Untersuchungen gefundenen Zusammenhängen zwischen der Aktivität in unterschiedlichen Rollen, dem Selbstbild und der Lebenszufriedenheit die unter älteren Menschen verbreitete Tendenz, eine Selbstkategorisierung als „alt“ zu vermeiden, angeführt. Kritisiert wurde insbesondere, dass die Theorie „von sozialen Schicht-, Klassen-, Geschlechter- und Regionalunterschieden, von Generationen- und Kohorteneffekten wie auch von kultur- und gesellschaftspolitischen Momenten“ abstrahiert und durch unzulässige Vereinfachungen selbst zu einer Stigmatisierung des Alters beitrage. Während frühe Aktivitätskonzepte der Bedeutung ökonomischer, politischer und sozialer Strukturen ebenso wenig gerecht wurden wie der Heterogenität des Alters, hat sich nicht zuletzt unter dem EinÁuss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 1990er Jahren ein modernes Verständnis von aktivem Altern entwickelt, das der hier vertretenen Zielvor-
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stellung eines zivilbürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen sehr nahe kommt. Alan Walker sieht im Konzept des aktiven Alterns eine Grundlage für die Überwindung der bislang für westliche Industrienationen charakteristischen Tendenz, auf Herausforderungen des demograÀschen Wandels lediglich bruchstückhaft und isoliert für traditionelle Politikbereiche zu reagieren. Er nennt sieben Leitprinzipien aktiven Alterns, die entsprechend auch als eine Empfehlung anzusehen sind, wie den mit dem demograÀschen Wandel verbundenen Herausforderungen angemessen zu begegnen ist. 1) Unter aktivem Altern sind alle sinnvollen Unternehmungen zu verstehen, die zum WohlbeÀnden des jeweiligen Individuums, seiner Familie, der Kommune oder der Gesellschaft als Ganzes beitragen. Der Begriff ist ausdrücklich nicht für den Bereich der bezahlten Arbeit oder die Produktion von Gütern zu reservieren: „Activity means more than paid work“ (Walker 2002, S. 114). 2) Der Begriff der Aktivität ist auf alle alten Menschen anzuwenden, unabhängig davon, ob sie im dritten oder vierten Lebensalter stehen oder hilfs- und pÁegebedürftig sind. 3) Aktives Altern ist primär als präventives Konzept aufzufassen. Entsprechend ist Aktivität in allen Altersgruppen zu fördern. 4) Die Wahrung intergenerationeller Solidarität stellt ein zentrales Anliegen dar, insofern es nicht allein um die Zukunft älterer Menschen, sondern vielmehr um aller Menschen Zukunft geht. 5) Das Konzept verweist gleichermaßen auf Rechte und PÁichten; zu den Rechten zählen unter anderem das Recht auf soziale Fürsorge sowie das Recht auf lebenslange Bildung und lebenslanges Training, zu den PÁichten die Wahrnehmung von Bildungs- und Trainingsmöglichkeiten oder die Aufrechterhaltung von Aktivität. 6) Das Konzept ist eng mit dem Begriff „Empowerment“ verbunden, dem zufolge Strategien zur Förderung aktiven
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Alterns ihren Ausgangspunkt nicht allein in administrativem politischen Handeln haben; vielmehr besitzen Menschen auch die Möglichkeit, individuelle Vorstellungen von aktivem Altern zu verwirklichen. 7) Konzepte aktiven Alterns sollen nationale und kulturelle Besonderheiten respektieren, entsprechend gibt es keine „optimale Aktivität“. Persönlicher Blick auf das Alter Wie will ich mein Leben nach dem Berufsleben führen? Andreas Kruse: Meine Frau und ich haben den Vorsatz gefasst, uns nach Abschluss unserer Berufstätigkeit ehrenamtlich zu engagieren: für Menschen, die von Armut bedroht sind. Wir glauben, dass wir mit den Erfahrungen, die wir im Beruf gewonnen haben, etwas dafür tun können, in fachlich und persönlich anspruchsvoller Weise zu helfen. Das Leben ist für uns nicht ein „Immer weiter“, sondern eine Folge neuer Herausforderungen. Diese sehen wir nach Abschluss unserer Berufstätigkeit vor allem im ehrenamtlichen Engagement. Auf dieses bereiten wir uns bereits heute vor, und es gibt ehrenamtliche Tätigkeiten, die wir bereits aufgenommen haben. Hans-Werner Wahl: Es ist schon so, dass ich mich derzeit mit dem nachberuflichen Leben immer wieder beschäftige und dass ich nicht selten zusammen mit meiner Frau über diese nicht mehr so weit entfernt vor uns stehende Zeit intensiv nachdenke. Wir genießen es nahezu, diesbezügliche Gestaltungsmöglichkeiten auszutauschen und auch einmal unserer Fantasie freien Lauf zu lassen. Meine Gedanken und Wünsche gehen dabei in mehrere Richtungen: Erstens würde ich gerne die praktische Seite des Arbeitens mit älteren Menschen, vielleicht auch mit Menschen ganz allgemein, stärker ausleben, denn das Professorendasein hat doch auch etwas stark „theoretisches“. Zusammen mit meiner Frau, die als Psychologin und Erzieherinnenausbilderin engagiert ist, geht uns hier immer wieder die Idee einer „Ressourcenberatung“ durch den Kopf. Zweitens möchte ich dem Wissenschaftsfeld der Alternsforschung treu bleiben, mich weiterhin in der Aus- und Weiterbildung betätigen und, vor allem, schreiben, denn wissenschaftliches Schreiben hat mich von Anfang an sehr befriedigt. Drittens möchte ich die
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„Befreiung“ von beruflichen Verpflichtungen als Chance für mich in dem Sinne gestalten, dass in noch stärkerem Maße als bisher das Leben mit anderen Menschen, mit unseren Familienangehörigen und Freunden, zum Zuge kommt. Ich bin sicher, dass diese Dimension auch für die schweren Seiten des Alterns für mich zentral werden wird. Eines habe ich in jedem Falle nicht: Angst loszulassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch ohne meinen Beruf ganz gut leben kann, auch wenn dieser mein gegenwärtiges Dasein sehr stark bestimmt. Viertens sollen unsere gemeinsamen Interessen noch viel stärker zur Geltung kommen als in der Gegenwart.
Konstrukt 10: Disengagement Bei der von Elaine Cumming und Wilhelm Henry (1961) vorgeschlagenen Disengagement-Theorie handelt es sich um einen soziologischen Ansatz, der als Reaktion auf die „Idealisierung und Realitätsferne des Aktivitätsansatzes“ entstanden ist. Grundlegend für das Verständnis dieser Theorie ist der Strukturfunktionalismus sensu Talcott Parsons, dem zufolge gesellschaftliche Normen und Institutionen gleichermaßen gesellschaftliche und individuelle Interessen widerspiegeln. Anders als im Kontext der Aktivitätstheorie wird das Alter hier als eine eigenständige, qualitativ neue Lebensphase konzeptualisiert, die neue Anforderungen an den Einzelnen stellt: Angesichts einer sich kontinuierlich verschlechternden körperlichen und geistigen Verfassung rücke die eigene Endlichkeit stärker ins Bewusstsein, das Bedürfnis, sich auf den unvermeidlichen Tod vorzubereiten, gewinne an Bedeutung. Entsprechend sei die Möglichkeit, sich aus gesellschaftlichen Rollen zurückzuziehen sowie Bindungen zwischen Person und Gesellschaft zu lockern oder ganz zu lösen, durchaus im Interesse des älter werdenden Menschen. Des Weiteren sei es auch aus der Sicht der Gesellschaft funktional, wenn ältere
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Menschen aus sozialen Rollen ausscheiden bzw. ihre Rollenaktivität kontinuierlich reduzieren. Nur so könne sichergestellt werden, dass relevante Rollen auf Dauer (das heißt unabhängig von der Lebensspanne der einzelnen Rollenträger) angemessen ausgefüllt werden, nur so könne jüngeren Menschen die Möglichkeit eröffnet werden, neue Rollen einzunehmen und sozial aufzusteigen. Da ein sozialer Rückzug älterer Menschen sowohl in deren eigenem als auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse liege, sei der Disengagement-Prozess, einmal ausgelöst, als ein sich selbst aufrechterhaltender und verstärkender Prozess zu verstehen. Auch wenn Cumming und Henry insbesondere im Kontext der Kansas City Study of Adult Life empirische Belege für die Gültigkeit ihrer Theorie vorgelegt haben, so ist doch ein genereller Trend zu einer hohen Korrelation zwischen Maßen der Aktivität und der Lebenszufriedenheit nicht zu übersehen, der in klarem Widerspruch zu den Annahmen der Theorie steht. Folgt man den Ergebnissen der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie, so ist eine vergleichsweise höhere Zufriedenheit bei einem vergleichsweise geringeren Ausmaß an Sozialkontakt eher im Sinne eines „vorübergehenden Disengagement“ zu deuten, das wiederum lediglich als eine unter mehreren Formen der Reaktion auf neuartige Anforderungen anzusehen ist. So kann ein vorübergehender Rückzug durchaus einer Auseinandersetzung mit neuen Anforderungen (die etwa im Kontext der Pensionierung auftreten) förderlich sein. Nach Abschluss der Auseinandersetzung Ànden sich vielfach neue Formen von sozialem Engagement, die positive Auswirkungen auf individuelle Anpassung und Lebenszufriedenheit haben. Ein angemessenes Verständnis der Disengagement-These von Cumming und Henry muss den historischen Kontext der Theorie berücksichtigen: Infolge einer deutlich schlechteren Situation (bezogen sowohl
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auf die Einkommensverhältnisse als auch auf gesellschaftlich geteilte Vorstellungen über Alter und Altern) lag ein sozialer Rückzug als Reaktion auf eine veränderte Lebenssituation im Alter früher deutlich näher als heute. Die von Robert Atchley (1989) vorgeschlagene Kontinuitätstheorie kann insofern als eine Integration von Aktivitäts- und Disengagement-Theorie betrachtet werden, als je nach vorliegender Situation einmal eine fortgesetzte Aktivität, ein anderes Mal der soziale Rückzug mit vergleichsweise höheren Anpassungs- und Zufriedenheitswerten einhergehen kann. In Anlehnung an die Aktivitätstheorie wird davon ausgegangen, dass die Lebenszufriedenheit umso höher ist, je mehr die Lebenssituation im Alter der Lebenssituation in früheren Lebensabschnitten ähnelt. Grundlegend für das Verständnis der Theorie ist die Annahme eines Bedürfnisses nach Kontinuität, wobei mit Atchley zwischen einer inneren und einer äußeren Kontinuität differenziert werden kann. Der Begriff innere Kontinuität bezieht sich hierbei auf die Fortdauer von psychischen Einstellungen, Ideen, Eigenschaften des Temperaments und der Affektivität, der Erfahrungen, Vorlieben und Fähigkeiten. Der Begriff äußere Kontinuität bezieht sich hingegen auf die kognitive Repräsentation der räumlichen und sozialen Umwelt und der Beziehungen, die zu dieser Umwelt bestehen. Die Erfahrung äußerer Kontinuität resultiert aus dem Leben und Verhalten in vertrauter Umgebung, aus der Ausübung vertrauter Handlungen und der Interaktion mit vertrauten Menschen. Das Herstellen von Kontinuität ist der Theorie zufolge als eine individuelle Leistung anzusehen, die unter anderem im Kontext eines gesellschaftlichen Verständnisses von angemessener Entwicklung zu erbringen ist. Die Herstellung von Kontinuität ist einerseits durch ein individuelles Bedürfnis, trotz innerer und äußerer Veränderungen Selbstkonsistenz und Identität zu
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bewahren, andererseits durch gesellschaftlichen Druck motiviert. Im Prozess der Herstellung von Kontinuität wirken sich im Lebenslauf gewachsene Aktivitäts- und Rückzugsmuster ebenso aus wie die gedanklich vorweggenommene Entwicklung der persönlichen Lebenssituation und Veränderungen im Gesundheitszustand. Als empirischer Beleg für die Kontinuitätstheorie können unter anderem Ergebnisse der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie gewertet werden, die zeigen, dass je nach Persönlichkeitsstruktur und je nach Lebenssituation rollenspeziÀsch auf Veränderungen der Sozialkontakte während der 15-jährigen Beobachtungszeit im höheren Alter reagiert wurde. Im Unterschied zu den Ansätzen der Aktivitätstheorie und der Disengagement-Theorie wird die Veränderung von sozialen Rollen im Alter deutlich differenzierter betrachtet. Anders als die beiden zuvor dargestellten Theorien gestattet es die Kontinuitätstheorie zu berücksichtigen, dass je nach betrachtetem Lebensbereich, je nach vorliegenden Persönlichkeitsmerkmalen, je nach Schichtzugehörigkeit, Bildungsstand und materieller Situation, je nach den in der BiograÀe ausgebildeten Präferenzen und Lebensstilen oder je nach den in der lebenslangen Auseinandersetzung mit Anforderungen ausgebildeten Gewohnheiten und Erwartungen einmal höhere, ein anderes Mal geringere Rollenaktivität als „funktional“ für Lebenszufriedenheit oder erfolgreiches Altern zu betrachten ist. Ähnlich wie die Kontinuitätstheorie geht die von Laura Carstensen vorgeschlagene und bereits in Kapitel 5 behandelte Theorie der sozioemotionalen Selektivität davon aus, dass der Zusammenhang zwischen der Aktivität in unterschiedlichen sozialen Rollen und dem Ausmaß der Zufriedenheit mit diesen Rollen sowie der allgemeinen Lebenssituation durch soziale Rollenaktivitäten in früheren Lebensabschnitten mo-
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deriert wird. Im Unterschied zu früheren Ansätzen wird die mit fortschreitendem Alter zurückgehende Anzahl sozialer Kontakte nicht als Resultat von Rollenverlusten, gesellschaftlichen Barrieren der sozialen Partizipation oder reduzierter Potenziale zur reziproken Gestaltung sozialer Beziehungen interpretiert. Die Theorie der sozioemotionalen Selektivität geht vielmehr davon aus, dass die Verkleinerung sozialer Netzwerke auf eine veränderte Gewichtung von Bedürfnissen, die durch das Knüpfen und PÁegen von sozialen Beziehungen befriedigt werden können, zurückgeht. Folgt man dem Ansatz von Carstensen, gewinnt die Regulation von emotionalen Gefühlszuständen mit fortschreitendem Lebenslauf an Bedeutung, während gleichzeitig Bedürfnisse nach Information und Zugehörigkeit in ihrer Bedeutung abnehmen. Wenn die verbleibende Lebenszeit in stärkerem Maße als begrenzt erfahren wird, werden unmittelbare Bedürfnisse (wie emotionales WohlbeÀnden) wichtiger, wenn dagegen die Zukunftsperspektive – wie in frühen Lebensabschnitten – als nahezu unbegrenzt erscheint, kommt langfristigen Zielen größere Bedeutung zu. Entsprechend sind dieser Theorie zufolge ältere Menschen in geringerem Maße als jüngere an emotional bedeutungslosen, in anderer Hinsicht (zum Beispiel hinsichtlich der Gewinnung neuer Information) aber unter Umständen bedeutungshaltigen Kontakten interessiert und in ihren sozialen Kontakten stärker durch die gedankliche Vorwegnahme von emotionaler BeÀndlichkeit motiviert. In empirischen Studien konnte zum einen gezeigt werden, dass sich in einer altersgebundenen Verkleinerung sozialer Netzwerke tatsächlich eine unterschiedliche Gewichtung von Bedürfnissen nach emotionalem WohlbeÀnden, Information und Zugehörigkeit widerspiegelt. Zum anderen wurde deutlich, dass eine Verkürzung der verbleibenden Lebenszeit auch bei jüngeren
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Menschen (zum Beispiel bei vorliegender AIDS-Erkrankung) Auswirkungen auf die Gewichtung von Bedürfnissen nach Kontakten und die Struktur sozialer Netzwerke hat.
Konstrukt 11: Identität Im Folgenden sollen zwei für die Identitätsentwicklung im Alter relevante theoretische Konzeptionen dargestellt werden: die von Erikson vorgeschlagene Theorie der Entwicklung von Ich-Identität und die Theorie der Gerotranszendenz von Lars Tornstam. Diese beiden theoretischen Entwürfe geben auch eine Antwort auf die Frage, wie Identität im Alter im Idealfall aussehen könnte. In der Theorie von Erik H. Erikson (1966) bezieht sich der Begriff der Ich-Identität auf das vom Individuum allmählich als ein Resultat seiner verschiedenen sozialen Erfahrungen erworbene subjektive EmpÀnden seiner eigenen Situation und seiner eigenen Kontinuität und Eigenart bzw. in stärker psychoanalytischer Terminologie auf die übergeordnete Integration von IdentiÀzierungen in eine dynamische, einheitliche Struktur. Zentral für das von Erikson vertretene Verständnis von IchIdentität ist, dass diese 1) weniger im Sinne einer Errungenschaft als im Sinne einer immer wieder neu zu erbringenden und deshalb prinzipiell lediglich vorläuÀgen Integrationsleistung zu verstehen ist, 2) wesentlich von den vermeintlichen oder tatsächlichen Sichtweisen und Bewertungen anderer Menschen geprägt ist, 3) nicht allein privaten, sondern immer auch gemeinschaftsbezogenen Charakter hat. Dabei stellt sich die Frage nach der Ich-Identität lebensaltersspeziÀsch. Erikson zufolge ist die Ich-Identität als Ergebnis der Interaktion zwischen psychosexuellen und – hier liegt eine we-
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sentliche Erweiterung der Phasenlehre von Sigmund Freud – sozialen Faktoren aufzufassen. Die Entwicklung von IchIdentität vollzieht sich in acht durch speziÀsche psychosoziale Krisen gekennzeichneten Phasen. Die für die einzelnen Phasen charakteristischen psychosozialen Krisen werden – hier liegt der vielleicht bedeutsamste Unterschied zur Phasenlehre Freuds – nicht schon in der frühen Kindheit, im Zuge einer biologisch determinierten Reifungssequenz gelöst, vielmehr kennzeichnen sie ein Spektrum von Aufgaben und Anforderungen, mit dem Menschen, die sich zu einer „voll funktionsfähigen Persönlichkeit“ entwickeln, im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden. Die lebenslange Entwicklung der Persönlichkeit folgt – diesem Modell zufolge – einem „epigenetischen“ Prinzip, das heißt, 1) das Erreichen früherer Entwicklungsstufen ist eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen späterer Entwicklungsstufen, 2) die Stufensequenz ist nicht umkehrbar, also einmal erreichte Entwicklungsniveaus können nicht mehr „verloren gehen“, 3) für jede Entwicklungsstufe gibt es eine optimale (organismische) Zeit des Auftretens, äußere Ereignisse tragen lediglich zu einer Steigerung oder Milderung der für die einzelnen Stufen charakteristischen Krisen bei (was gleichwohl aber zur Folge haben kann, dass die nächsthöhere Stufe nicht erreicht wird). Erikson (1950) postuliert in seinem epigenetischen Modell das Erreichen von Ich-Integrität als Ziel der letzten, im späten Erwachsenenalter und Alter thematischen Phase der Entwicklung von Ich-Identität, wobei sich Ich-Integrität insbesondere in der Akzeptanz des gelebten (und nicht gelebten) Lebens sowie der eigenen Begrenztheit und EmpÀndungen von Zugehörigkeit und Kontinuität äußert. In Weiterführung dieses Ansatzes charakterisiert Robert Peck (1956) Entwicklung von
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Ich-Identität im hohen Alter als Transzendenz von Beruf, Körper und Ego. Das Bemühen um die Herstellung von Ich-Identität zeigt sich im Alter in einem verstärkten Bemühen, das eigene Leben zu ordnen. Reminiszenz und Lebensrückblick treten nicht nur deutlich häuÀger auf als in früheren Lebensabschnitten, sondern haben sich zum Teil auch in therapeutischen Kontexten als für die Wiederherstellung von Ich-Identität sinnvoll erwiesen. Robert Butler hat aber bereits in den 1960er Jahren darauf hingewiesen, dass eine derartige BiograÀearbeit auch Risiken birgt, sodass Reminiszenztechniken nicht von Laien eingesetzt werden sollten. Die auf der Grundlage von Phasen- und Stufenmodellen postulierte Gliederung des Lebenslaufes in eine „normative“ Sequenz von Entwicklungskrisen, -stufen oder -aufgaben, die alle Menschen in ihrer Entwicklung gleichermaßen durchlaufen und bewältigen müssen, erwies sich in empirischen Untersuchungen als nicht haltbar. So zeigt die Analyse von 1 311 im Kontext der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie erhobenen BiograÀen (Thomae 2002), dass die subjektiven Gliederungen des Lebenslaufes erheblich von dem abweichen, was auf der Grundlage der physiologisch-biologischen Entwicklung oder auf der Grundlage von Veränderungen in sozialen Rollen erwartet werden könnte. Individuelle Erfahrungen und persönliche Erlebnisse, wie Auseinandersetzungen mit den Eltern, soziale Bindungen, Freundschaften oder speziÀsche Erfahrungen mit Mitarbeitern und Vorgesetzten im Berufsleben, machten mehr als ein Drittel der als „Zäsuren“ oder „Wendepunkte“ der BiograÀe erlebten Ereignisse und Entwicklungen aus. Daneben erwiesen sich auch zeitgeschichtliche Ereignisse als in hohem Maße bedeutsam für die Gliederung des eigenen Lebenslaufes. Dieses Ergebnis
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verdeutlicht, dass es Menschen offensichtlich gelingt, Ereignisse und Entwicklungen, die „von außen betrachtet“ ein bestehendes Gleichgewicht in der Person-Umwelt-Beziehung infrage stellen, insofern sie neue Anpassungsleistungen notwendig machen (sollten), in die subjektive Wahrnehmung ihrer persönlichen Entwicklung zu integrieren, sodass der Entwicklungsprozess – entgegen der „von außen“ anzustellenden Erwartung – nicht als diskontinuierlich erscheint. Andererseits wird deutlich, dass Menschen ihre persönliche Entwicklung nicht ausschließlich als „kontinuierlich“ wahrnehmen, sondern durchaus speziÀsche Ereignisse und Entwicklungen als „Wendepunkte“ oder „Zäsuren“ deuten. In unseren Forschungen zur Lebenssituation und zum Lebensrückblick von im Nationalsozialismus verfolgten ehemals deutschen Juden ist deutlich geworden, dass ein guter Teil dieser Menschen die persönliche Lebensgeschichte explizit als diskontinuierlich konstruiert, während sich andere eher um die Herstellung von Kontinuität bemühen. Ähnlich wie Erikson nimmt Lars Tornstam (1996) in seiner Theorie der Gerotranszendenz an, dass die Entwicklung von Identität als ein lebenslanger Prozess anzusehen ist, der erst im hohen Alter seinen Höhepunkt erreicht bzw. abgeschlossen wird. Die Theorie der Gerotranszendenz – ursprünglich als eine Reformulierung der Disengagement-Theorie von Cumming und Henry gedacht – geht über das im Ansatz von Erikson vertretene Verständnis der Identitätsentwicklung insofern hinaus, als er Veränderungen auf drei Ebenen differenziert: einer kosmischen Ebene, einer Ebene des Selbst sowie einer Ebene sozialer Beziehungen. Auf der kosmischen Ebene geht die Theorie von einem veränderten Weltverständnis aus, das sich unter anderem in einer stärkeren Integration von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, einer als intensiver
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empfundenen Verbundenheit mit nachfolgenden Generationen, verminderter Todesfurcht, größerer Empfänglichkeit für vermeintlich Bedeutungsloses und einer allgemein erhöhten Akzeptanz der mystischen Dimension des Lebens zeigt. Auf der Ebene des Selbst werden der Theorie zufolge neue Aspekte der eigenen Person entdeckt, wobei die Integration von positiv und negativ bewerteten Aspekten, Errungenschaften und Versäumnissen, besser gelingt. Des Weiteren ist die Entwicklung zur Gerotranszendenz auf der Ebene des Selbst mit einer stärker altruistischen und weniger egoistischen Einstellung, einer Transzendenz der eigenen Körperlichkeit, einer Wiederentdeckung persönlicher Wurzeln in der Kindheit sowie mit der Ausbildung der von Erikson beschriebenen IchIntegrität verbunden. Emotional bedeutsame Beziehungen werden wichtiger, während auf oberÁächliche Beziehungen eher verzichtet wird (vgl. Kapitel 5). Weitere Veränderungen auf der sozialen Ebene umfassen ein vertieftes Verständnis der Differenz zwischen Selbst und Rolle, einen modernen Asketismus, der durch eine bewusste Relativität materieller Werte gekennzeichnet ist, sowie reifere Urteile in Fragen des täglichen Lebens, wie sie in psychologischen Weisheitstheorien beschrieben werden. Inwieweit die Herstellung von Ich-Identität oder Gerotranszendenz im Alter gelingt, ist nicht zuletzt vom sozialen Umfeld abhängig. Ich-Integrität oder Gerotranszendenz werden nur selten erreicht werden, wenn sich zentrale Bezugspersonen an einseitig negativ akzentuierten Altersbildern orientieren, individuelle Bemühungen um SinnÀndung als „Selbstbezogenheit“ oder übertriebene „Vergangenheitsorientierung“ zurückweisen oder das Bedürfnis, über das Alter(n), soziale Rollen und eigene Entwicklung zu reÁektieren, ignorieren.
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Zusammenführung: Was bedeutet Altern aus Sicht der Soziologie? Soziologische Alternsforschung konzentriert sich auf die Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen zwischen sozialen Strukturen, der Stellung des Alterns innerhalb der Gesellschaft und individuellen Alternsprozessen. Die Beiträge von Karl Mannheim und Mathilda Riley zum Verständnis von Generation und Kohorte verdeutlichen, dass individuelle und gesellschaftliche Entwicklungen in doppelter Weise aufeinander bezogen sind. Zum einen spiegeln sich gesellschaftliche Entwicklungen in individuellen Alternsprozessen wider. Die heute älteren Menschen haben etwa insofern von Prozessen sozialen Wandels proÀtiert, als sie in ihrer Gesundheit, ihren Ànanziellen Ressourcen oder in ihrem Bildungsstand und Lernpotenzial gegenüber früheren Generationen deutlich begünstigt sind. Zum anderen – und dies wird insbesondere in der Altersschichtungstheorie deutlich – wird sozialer Wandel auch von älter werdenden Menschen (mit-)gestaltet, neue Generationen von älteren Menschen schaffen auch neue Altersstrukturen, die besser mit den vorhandenen Ressourcen und Ansprüchen übereinstimmen und nicht zuletzt auch späteren Generationen zugute kommen. Begriffe wie Kohorte und Generation verweisen immer auch auf den bereits von Mannheim beschriebenen Generationenzusammenhang und intergenerationelle Beziehungen. Bis heute wird (nicht nur) in der Alternssoziologie die These vertreten, dass ältere Menschen in westlich geprägten Gesellschaften nicht in ausreichendem Maße gewürdigt und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten gegenüber jüngeren Menschen benachteiligt würden. Diese generelle Ageism-These wird allerdings durch empirische
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Untersuchungen von Altersbildern und Arbeiten zum Austausch von Unterstützungsleistungen in intergenerationellen Beziehungen nicht gestützt. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass das Alter nicht mit besonderen sozialen Risiken konfrontiert. Vorliegende Studien zeigen vielmehr, dass soziale Ungleichheiten im Alter eher zu- als abnehmen. Entsprechend ist die Vermeidung von sozialer Ungleichheit durch eine frühzeitige und gezielte Förderung benachteiligter Gruppen auch im Kontext des demograÀschen Wandels als eine zentrale Aufgabe anzusehen. Darüber hinaus stellt sich die Aufgabe, die Potenziale des Alters in stärkerem Maße gesellschaftlich zu nutzen. Am Beispiel der Konstrukte „Generativität“ und „Aktives Altern“ wurde deutlich, dass vielen älteren Menschen durchaus an der Übernahme von Verantwortung für andere gelegen ist und ein Rückzug im Alter den individuellen Zielen und Interessen eher nicht entspricht. Bereits im Kontext der klassischen Aktivitäts-Disengagement-Kontroverse sowie im Kontext von Konstrukten wie Generativität und Identität wurde die Komplementarität zwischen Alternssoziologie und Alternspsychologie deutlich. Während die Alternssoziologie vor allem die Auswirkungen kultureller und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf den Verlauf individueller Alternsprozesse betont, stellt die Alternspsychologie die individuelle Wahrnehmung, Deutung und Verarbeitung solcher Rahmenbedingungen in den Vordergrund. Indem beide Perspektiven stärker aufeinander bezogen werden, sollte unser Verständnis der Heterogenität des Alterns und der sich in dieser widerspiegelnden Alternsformen und PersonSituation-Interaktionen deutlich zunehmen, was letztlich der Gestaltung zukunftsfähiger sozialer Strukturen ebenso zugute kommt wie der Entwicklung von Interventionen, durch die
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individuelle Entwicklungsprozesse nachhaltig gefördert werden können.
Literaturempfehlungen Backes, G. M. & Clemens, W. (1988). Lebensphase Alter. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Alternsforschung. Weinheim: Juventa. Erikson, E. H. (1950). Childhood and society. New York: Norton [Deutsch: Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart: Klett.] Kohli, M. (1992). Altern in soziologischer Perspektive. In P. B. Baltes & J. Mittelstraß (Hrsg.), Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung (S. 231–259). Berlin: de Gruyter. Mayer, K. U. & Diewald, M. (2007). Die Institutionalisierung von Lebensverläufen. In J. Brandtstädter & U. Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Ein Lehrbuch (S. 732–758). Stuttgart: Kohlhammer. Walker, A. (2002). The principals and potential of active ageing. In S. Pohlmann (Hrsg.), Facing an ageing world – recommendations and perspectives (S. 113–118). Regensburg: Transfer Verlag.
7 Ausgewählte Konstrukte zu Altersinterventionen Ursula Lehr hat Altersinterventionen bereits vor 30 Jahren deÀniert als „das Insgesamt der Bemühungen, bei psychophysischem WohlbeÀnden ein hohes Lebensalter zu erreichen“ (Lehr 1979, S. 1). Die Entwicklung der Interventionsgerontologie war historisch gesehen ein sehr bedeutsamer Schritt in der Entwicklung der Alternsforschung, denn lange Zeit ist man – mehr oder weniger selbstverständlich – davon ausgegangen, Altern sei ein relativ unveränderliches biologisches Abbauprogramm, das kaum beeinÁussbar sei. Pionieren wie Ursula Lehr, Paul und Margret Baltes sowie Sherry Willis in der Psychologie und Ignatz Leo Nascher (um 1915) und später in den 1970er Jahren dann zum Beispiel Hans-Peter Meier-Baumgartner oder Lawrence Rubenstein im Bereich der Geriatrie (der Lehre von den Alterserkrankungen einschließlich der geriatrischen Rehabilitation) kann man es wohl gar nicht hoch genug anrechnen, dass sie gegen den damaligen Mainstream die Bedeutung einer auch interventionsbezogenen Sicht von Altern zunehmend deutlicher durchzusetzen vermochten (Abbildung 7.1). In diesem Zusammenhang ist auch die Einsicht wichtig, dass die Interventionsgerontologie nicht nur eine eminent
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Zukunft Altern
Psychologie Soziologie
Biologie
übergreifende Konstrukte
Altersinterventionen
Biologie • genetische Programmierung
• Altern als determi•
• • • • • • • •
nistischer Prozess Altern als stochastischer Prozess freie Radikale Vulnerabilität Krankheiten Demenz geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe Terminal Decline Morbiditätskompression aktive Lebenserwartung
Psychologie • Mechanik und Pragmatik
• Gedächtnisprozesse • Erfahrungswissen und berufliche Leistungsfähigkeit • Lebensweisheit • Persönlichkeit und Selbst • soziale Beziehungen • Motivation und Zielprozesse • Belastungsverarbeitung und psychische Widerstandsfähigkeit • Lebenszufriedenheit, Lebensglück und Sinn
Soziologie • Generation • Kohorte • Altersschichtung • Ageism • soziale Ungleich• • • • • •
heit Geschlechtsspezifität von Alternsprozessen Migration Generativität aktives Altern Disengagement Identität
Altersintervention • kognitive Gesund-
•
• • •
•
•
• • • •
heit und kognitives Training körperliche Gesundheit und körperorientiertes Training Alternsmeisterung Bildung Lebensqualität, Bedeutung für Demenz Lebensqualität bei körperlicher Krankheit Lebensqualität bei psychischer Krankheit Rehabilitation Pflegequalität räumliche Umweltoptimierung Sterben
Abb. 7.1 Konstruktlandkarte zu Alter(n): ausgewählte Konstrukte zu Altersinterventionen.
7 Ausgewählte Konstrukte zu Altersinterventionen
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hohe praktische Bedeutsamkeit besitzt, das heißt eine Vielzahl von theoretisch begründeten und empirisch geprüften Maßnahmen zur Verbesserung von Lebensqualität im Alter anbieten kann; die Interventionsperspektive trägt auch viel zu grundlegenden Einsichten zu Altern bei, indem sie zeigt, was alles in Bezug auf den Verlauf des Alternsprozesses möglich ist bzw. möglich wäre, zum Beispiel unter Laborbedingungen oder unter speziÀschen Trainingsbedingungen. Sie gibt uns damit immer wieder aufs Neue vielfältige und gewichtige Hinweise auf die ausgeprägte Plastizität des Alternsprozesses (vgl. Kapitel 8). Erkenntnisse über Plastizität im Alter sind zudem sehr bedeutsam, um gegen das weiterhin vorherrschende negative Altersstereotyp anzukämpfen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass wir den Begriff Altersinterventionen sehr weit verstehen. Ausdrücklich geht es uns an dieser Stelle nicht nur um das „Machen“ von Professionellen, sondern auch um das, was wir alle selbst im Sinne von „Selbstinterventionen“ mit unserem Leben und Altern tun (und lassen) können. Auch geht es uns um die Hervorhebung und Ausdifferenzierung von Konzepten, die einen ganzheitlichen Anspruch in Bezug auf Altern besitzen und in besonderer Weise einen „Hang zum Besseren“ aufweisen und damit unmittelbar auf Interventionsbedarfe hinweisen. Prototypisch ist dies der Begriff der Lebensqualität, auf den wir ausführlich eingehen werden. Einsichten zu Altersinterventionen sind wiederum gesellschaftlich und versorgungsbezogen von sehr hoher Relevanz, zeigen sie doch, was alles alten Menschen und damit unserer alternden Gesellschaft möglich wäre, wenn die entsprechenden Rahmen-, Trainings- und Anregungsbedingungen geschaffen bzw. weiter intensiviert würden (Kruse 2007c). Hier geht es demnach um die ganze Bandbreite von Gefährdungen
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des Alterns auf der einen Seite, etwa in Gestalt von PÁegebedürftigkeit, dem Verlust kognitiver und körperlicher Fähigkeiten und dem Umgang mit schwerwiegenden existenziellen Herausforderungen wie der Erfahrung von Verwitwung und chronischer Mehrfacherkrankung. Es geht auf der anderen Seite aber auch um Optimierungen und erlebens-, leistungsund verhaltensbezogene Ausweitungen des Alterns insgesamt jenseits des heute üblichen bzw. „normalen“ Alterns. Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang wären Persönlichkeitswachstum (auch im Alter), kognitives Wachstum (etwa hin zu Weisheit) und Möglichkeiten der möglichst hochwertigen Weitergabe eigener Lebenserfahrung und Expertise an nachfolgende Generationen. Zu all diesen Aspekten wollen Altersinterventionen einen Beitrag leisten, und deshalb wäre es verfehlt, diesen Bereich ausschließlich „klinisch“ und versorgungsbezogen zu betrachten. Altersinterventionen haben eben auch überaus viel mit der Entwicklung des Alterns und Alters in unserer Gesellschaft heute und morgen insgesamt zu tun bzw. können diese sehr bedeutsam unterstützen und vorantreiben. Aus diesem Grund möchten wir auch in diesem Kapitel nicht nur die individuelle Perspektive des Alterns herausstellen, sondern stets auch die Rolle gesellschaftlicher und politischer Akteure im Auge behalten. Noch eine Vorwarnung: Dieses Kapitel ist besonders vielschichtig und facettenreich. Warum? Weil wir denken, dass hier die Essenz von Alternsforschung liegt, nämlich die Anwendung ihrer vielfältigen Erkenntnisse zum Wohle älterer Menschen und ihrer Angehörigen. An dieser Stelle wird gerontologische Forschung individuell und gesellschaftlich unmittelbar relevant.
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Konstrukt 1: Kognitive Gesundheit und kognitives Training Der Begriff der kognitiven Gesundheit hat sich erst in den letzten Jahren eingebürgert. Dahinter steht die Vorstellung, dass es gerade im höheren Lebensalter eines vielfach differenzierten Verständnisses von Gesundheit bedarf, das weit über die im engeren Sinne körperliche, aber auch die im traditionellen Sinne psychische Gesundheit hinausgeht. Altern ist nicht zuletzt auch eine Bedrohung unserer geistigen Leistungsfähigkeit (vgl. Kapitel 4 und 5), und dabei sollten wir nicht sofort an demenzielle Erkrankungen denken, sondern ebenso an „normale“ Verluste, die allerdings auf jeder Altersstufe bis ins höchste Alter hinein eine sehr ausgeprägte Unterschiedlichkeit zeigen. Hier geht es vor allem um die mechanischen Anteile der Intelligenz, also prototypisch um Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, um logisches Denken und räumliches Vorstellungsvermögen, die einen deutlichen altersbezogenen Rückgang zeigen. Es geht auch um Gedächtnisleistungen, insbesondere im Bereich des episodischen Gedächtnisses bzw. des Arbeitsgedächtnisses. Schließlich sind in diesem Zusammenhang auch Zwei- und Mehrfachaufgaben sehr bedeutsam, die einen sehr deutlichen altersbezogenen Rückgang zeigen und für die Alltagsbewältigung eine hohe Relevanz besitzen. Sehr viel Aufmerksamkeit haben ferner in den letzten Jahren kognitive Verluste gefunden, die gewissermaßen im Übergangsfeld zwischen normalen und krankhaften Veränderungen liegen. Diese bereits in Kapitel 5 angesprochenen kognitiven Verluste, man spricht auch von leichten kognitiven Beeinträchtigungen (mild cognitive impairment, MCI), treten im Alltag der Betroffenen häuÀg nur „maskiert“ auf bzw. machen sich
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nur in bestimmten Situationen bemerkbar (zum Beispiel Sichverlaufen in einer fremden Umgebung), während in anderen Situationen die im Laufe des Lebens erworbenen Routinen so „mächtig“ sind, dass keinerlei Ausfälle zu beobachten sind. Gerade darin, dass diese kognitiven Beeinträchtigungen nicht deutlich zutage treten und im Grenzbereich von „Das ist normal im Alter“ operieren, werden sie häuÀg übersehen bzw. verkannt. Dies wiederum ist risikoreich, denn die Mehrzahl dieser kognitiven Veränderungen geht im Laufe der Jahre in eine demenzielle Erkrankung über. Ein frühzeitiges Erkennen beinhaltet zumindest die Chance, mithilfe von geeigneten Medikamenten und Trainings in Alltagsfertigkeiten gegenzusteuern und einen möglichen Verlust der Selbstständigkeit so lange wie möglich hinauszuzögern. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass es einen gewaltigen Schritt in der Entwicklung der Alternsforschung und Anwendung bedeutete, die Annahme von Plastizität auch in jenen Bereichen stark zu machen, die lange Zeit als völlig unveränderbar und einem biologischen Abbauprogramm unterliegend angesehen wurden. Dies galt in besonderer Weise für die mechanischen Intelligenzleistungen, denn diese liegen, wie man sagen könnte, besonders nahe am biologischen Substrat. Umso erstaunlicher und ermutigender sind Studien, die in konvergierender Weise gezeigt haben, dass auch in diesem Bereich erhebliche Trainingsgewinne erzielbar sind. Trainings im Bereich der Intelligenz im Alter Im Falle von Interventionen im Bereich der Intelligenz geht es darum, zentrale Denkleistungen, wie etwa das schnelle Erkennen von Gemeinsamkeiten in Sachverhalten, logisches
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Denken, das rasche Erkennen von bestimmten Mustern in Buchstaben- oder Zahlenreihen oder die Durchführung von Rechenaufgaben, systematisch zu üben. Eingesetzt werden dazu sehr gut geschulte Anleiter, die mit älteren Menschen in bedeutsamer Intensität über einen bestimmten Zeitraum hinweg ein entsprechendes Training durchführen. Das kann zum Beispiel ein Training zweimal in der Woche jeweils zwei Stunden lang über einen Zeitraum von acht Wochen hinweg bedeuten. Trainings können aber auch über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg stattÀnden und dann möglicherweise nur alle zwei Wochen ein bis zwei Stunden appliziert werden. Die dazu eingesetzten Studien sollten möglichst dem Forschungsformat einer randomisierten Interventions-Kontroll-Studie (randomized controlled trial, RCT) entsprechen, das bedeutet, ältere Menschen werden per Zufall mindestens einer Trainingsund einer Kontrollbedingung ohne Intervention zugeteilt, und es werden Daten zur kognitiven Leistungsfähigkeit vor Beginn und nach Abschluss des Trainings in beiden Gruppen erhoben. Besonders wichtig ist es, Nacherhebungen, nach etwa drei Monaten oder, noch besser, nach mehreren Jahren durchzuführen, um die Langzeitwirkung der Intervention beurteilen zu können. Die zentrale Hypothese bei derartigen Untersuchungen lautet, dass es eine Wechselwirkung zwischen der „Behandlung“ und der gemessenen „Wirkung“ gibt, das heißt, es sollte sich in der Interventionsgruppe eine statistisch bedeutsame Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit einstellen, nicht aber in der Kontrollgruppe. Diese Leistungsverbesserung sollte möglich kurz- und langfristig zu beobachten sein, auch wenn zu erwarten ist, dass längerfristig die Wirkung des kognitiven Trainings nachlässt. Die Befunde einer frühen Studie (Abbildung 7.2) sind bis heute immer wieder bestätigt und ausdifferenziert worden.
Practice Gain
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Zukunft Altern 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
Focus of Training
Age Range: 60-86 (N = 204)
Training Control Induction Raven ADEPT Perceptual Standard Induction Speed II Perceptual Vocabulary Culture ADEPT Speed I Fair Figural Relations Transfer-Tests
Abb. 7.2 Ergebnisse eines modellhaften Trainings von Fähigkeiten im Bereich der mechanischen Intelligenz im Alter (aus Baltes, DittmannKohli & Kliegel 1986, S. 174).
Die Ergebnisse basieren auf einem der historisch ersten kognitiven Trainingsprogramme, dem sogenannten Adult Development and Enrichment Project (ADEPT), das Anfang der 1980er Jahre an der Pennsylvania State University in den USA von Baltes und Kollegen durchgeführt und später in Deutschland fortgeführt und erweitert wurde. Trainiert wurden zwei Komponenten der Mechanik der Intelligenz, das induktive (schlussfolgernde) Denken und das räumliche Vorstellungsvermögen. Bei Letzterem müssen unterschiedliche räumliche Muster sehr schnell miteinander verglichen und auf Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung hin geprüft werden. Interessant an diesem Experiment und bis heute sehr wichtig
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war des Weiteren, dass man nicht nur genau die trainierten Fähigkeiten vor und nach dem Training einschätzte und mit einer Kontrollgruppe ohne Training verglich, sondern auch weitere Prüfverfahren, sogenannte Transfertests, einsetzte, die allerdings (in der Abbildung von links nach rechts) immer mehr von der Art der trainierten Fähigkeiten abwichen. Denn eine der „Gretchenfragen“ der kognitiven Trainingsforschung geht dahin, ob es gelingen kann, einen Transfer hinsichtlich des erwarteten kognitiven Gewinns jenseits der trainierten Fähigkeiten zu erzielen. Nun sind die Befunde – sie entsprechen wie gesagt weitgehend dem bis heute geltenden Erkenntnisstand – faszinierend, denn es zeigte sich, dass sich sowohl im induktiven Denken als auch im räumlichen Vorstellungsvermögen ein bedeutsamer Leistungszuwachs beobachten ließ, der auch noch in den angrenzenden Transfertests sichtbar war und der nur in der Interventionsgruppe auftrat. Dies ist eine sehr gute Nachricht! Gleichzeitig bleibt der „Wermutstropfen“ in diesen Befunden nicht aus, und er hat sich bis heute in derartigen Trainings nicht bedeutsam eliminieren lassen: Die stärksten Gewinne zeigen sich stets in jenen Fähigkeiten, die direkt trainiert wurden; in anderen, inhaltlich relativ weit von den trainierten Fähigkeiten entfernten Komponenten der geistigen Leistungsfähigkeit zeigen sich (leider) keine bedeutsamen positiven Veränderungen. Dieses halb volle, aber eben auch halb leere Glas ist eine der Fundamentaleinsichten der kognitiven Trainingsforschung. Wir können, um es noch genauer zu beschreiben, mithilfe von kognitiven Trainings den natürlichen, altersbezogenen Verlust zwischen etwa dem 60. und 80. Lebensjahr wieder nahezu vollständig wettmachen, allerdings nur in jenen Fähigkeiten, die wir auch tatsächlich trainiert haben.
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Trainings im Bereich des Gedächtnisses im Alter Gedächtnisinterventionen zielen darauf ab, Behaltens- und Erinnerungsleistungen, also das möglichst erfolgreiche Abrufen von gewünschten Informationen, mittels in der Regel angeleiteter Übung systematisch zu optimieren. Auch in diesem Bereich liegen klare empirische Belege für den Erfolg eines entsprechenden Trainings vor. Dies gilt vor allem, wenn Gedächtnisverluste im Zuge des normalen Alterns den Gegenstand von Trainingsstudien bilden. Kognitive Trainings bei bereits eingetretenen demenziellen Erkrankungen scheinen hingegen in ihrer Wirkung, soweit sie überhaupt noch systematisch durchführbar sind, sehr begrenzt zu sein. Allerdings gibt es gut bestätigte empirische Hinweise dahingehend, dass kognitive Trainings, speziell Gedächtnistrainings, in Frühstadien der Erkrankung einen gewissen hinauszögernden Effekt besitzen, das heißt, Gedächtnisfunktionen sowie die Alltagskompetenz scheinen auf diesem Wege länger erhalten zu bleiben. Zu fragen wäre nun, ob wir nur lange und intensiv genug zu trainieren brauchen, um jeglichen, altersbezogenen Verlust in Gedächtnisleistungen wieder auszugleichen. Wenn dem so wäre, dann hätten wir einen „kognitiven Jungbrunnen“ an der Hand, auch wenn wir uns dafür möglicherweise extrem anstrengen und „kognitiv schinden“ müssten. Paul Baltes und Kollegen haben in einem sehr bekannt gewordenen Experiment die Grenze der Trainierbarkeit des Gedächtnisses systematisch getestet (Abbildung 7.3). In diesem Experiment erhielten ältere Menschen (zwischen 65 und 83 Jahren) und jüngere Menschen (zwischen 19 und 29 Jahren) ein sehr intensives Training in Gedächtnisleistungen, das sich über mehr als 35 Sitzungen hinweg verteilte. Der ers-
7 Ausgewählte Konstrukte zu Altersinterventionen
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Zahl richtiger Antworten
30 25 jung 20 15
alt
10 5 0 1
5
10
15
20
Sitzungen
25
30
34 endgültige Verteilung der Versuchspersonen
Abb. 7.3 Ergebnisse einer modellhaften Grenz-Testung im Bereich von Gedächtnisleistungen im Alter (aus Baltes, Lindenberger & Staudinger 1995, S. 55).
te Befund: Die Gedächtnisleistung der Älteren stieg im Laufe des Trainings in beeindruckender Art an. Der zweite Befund: Die jüngeren Versuchspersonen konnten von dem Training deutlich mehr proÀtieren; die Schere in Bezug auf den Leistungsgewinn ging bereits in der frühen Trainingsphase stark auseinander. Der dritte Befund: Am Ende dieser Grenztestung war praktisch keine Überlappung in den erzielten Trainingsgewinnen zwischen der Gruppe der Älteren und der Jüngeren mehr gegeben (siehe rechter Teil der Abbildung). Mit anderen Worten: Gedächtnistraining führt auch bei Älteren zu erheblichen Leistungssteigerungen, jedoch können auch ungewöhnlich intensive Trainings nicht dazu führen, den Leistungsstand jüngerer Personen zu erreichen. Der grundlegende Rückgang in kognitiven Grundressourcen im Zuge des Alterns ist zu bedeutsam, um ein solches Ziel zu erreichen, ja, so könnten
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wir auch sagen, es ist ein gewichtiger Teil der Natur des Alterns, dass genau eine solche „kognitive Schubumkehr“ selbst bei kognitiven Interventionen höchster Intensität nicht mehr möglich zu sein scheint.
Neuere Entwicklungen Noch zu wenig erprobt sind Kombinationen von Trainingsprogrammen. Hier geht die grundlegende Überlegung dahin, dass das gleichzeitige Angebot von Übungsprogrammen, die an unterschiedlichen Funktionssystemen des alternden Menschen ansetzen, zu „überadditiven“ Effekten führen könnte. Und in der Tat existieren heute empirische Befunde, die eine solche Annahme unterstützen. Insbesondere die im Erlangen-Nürnberger Raum durchgeführte Studie Bedingungen der Erhaltung und Förderung von Selbstständigkeit im höheren Lebensalter (Oswald et al. 2006) hat gezeigt, dass die Kombination von Gedächtnistraining und einem bewegungswissenschaftlich fundierten psychomotorischen Training im Hinblick auf unterschiedliche Zielvariablen wie geistige Leistungsfähigkeit und Selbstständigkeit im Alltag mittel- und längerfristig zu deutlich besseren Erfolgen führt als ein Einzeltraining in einem dieser Bereiche. Sehr bedeutsam an dieser Studie ist auch, dass der Beobachtungszeitraum sehr lange war und bis zu sechs Jahre nach Trainingsabschluss betrug. Auch die größte jemals durchgeführte Studie im Bereich des kognitiven Trainings, die in den USA nach den Regeln eines RCT durchgeführte Studie Advanced Cognitive Training for Independent and Vital Elderly (ACTIVE), unterstützt noch einmal eindrücklich den Befund, dass vor allem in jenen Fähigkeiten, die entsprechend trainiert wurden, bedeutsame Trainings-
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gewinne auftreten. Dank ihrer Langzeitbeobachtungskomponente kann diese Studie auch zum ersten Mal auf bester methodischer Grundlage zeigen, dass kognitives Training zu einer Prolongierung des Verlusts in Aktivitäten des täglichen Lebens führt. Das ist ein überaus bedeutsames Ergebnis, das unter Präventionsgesichtspunkten gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ferner wird die Zukunft der kognitiven Trainingsforschung wahrscheinlich internetbasiertem Vorgehen gehören. Die Befunde entsprechender Studien aus den USA sind ermutigend. Eine sehr bedeutsame neue Entwicklung im Bereich des kognitiven Trainings liegt darin, das bisher dominierende Trainingsformat im Sinne des isolierten Übens einzelner kognitiver Komponenten zu überschreiten. Derzeit laufen zum Beispiel eine Reihe von Trainings, in der ältere Menschen sich in Gruppen Problemen der unterschiedlichsten Art widmen und diese zu lösen suchen. Die grundlegende Überlegung geht hier dahin, dass sich die traditionelle Trainingsforschung zu sehr auf bestimmte Formen der kognitiven Anregung konzentriert hat, während andere, alltagsnähere Formen des „kognitiven Engagements“ vernachlässigt wurden. Möglicherweise lässt sich auf diesem Wege auch der Aspekt des begrenzten Transfereffekts weiter verbessern. Schließlich hat der starke Anstieg der Nutzung bildgebender Verfahren in der Alternsforschung auch dazu geführt, dass Trainingsgewinne auf hirnorganischer Ebene sichtbar gemacht werden können. So kann man heute zeigen, dass und wie im Zuge kognitiver Anregung neue synaptische Verbindungen entstehen und die EfÀzienz neuronaler Verschaltungen, beispielsweise im Bereich des Frontallappens, zunimmt. Derartige Befunde sind von eminenter Bedeutung, zeigen sie doch deutliche Zusammenhänge zwischen Verhalten und hirnorganischen Korrelaten.
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Konstrukt 2: Körperliche Gesundheit und körperorientierte Trainings Den alternden Körper auch noch mit Fitnessübungen zu „traktieren“, das schien vor noch nicht allzu langer Zeit als nicht angebracht oder sogar als gefährliche Erhöhung des Verletzungsrisikos. Krafttraining im Alter oder gar mit PÁegeheimbewohnerinnen und -bewohnern – das galt lange Zeit als absurd. Heute hat sich die Meinung auf diesem Gebiet diametral verändert, und dies hat vor allem damit zu tun, dass in kaum einem anderen Bereich der Interventionsgerontologie so viele unterstützende und vielversprechende Trainingsbefunde auf der Grundlage von großen und nicht selten auch längsschnittlich untersuchten Stichproben bzw. auf der Grundlage von RCTs vorliegen (Kruse 2007c). Die kontrollierte Durchführung von körperlichen Fitnessprogrammen bei älteren Menschen, zunehmend auch bei Menschen im sehr hohen Alter, hat zwischenzeitlich vielfach gezeigt, dass solche Trainings die allgemeine körperliche Funktionstüchtigkeit deutlich erhöhen und auch im Hinblick auf die Entstehung schwerwiegender Erkrankungen eine bedeutsame Schutzwirkung ausüben können. Zu denken ist hier vor allem an die gesamte Palette der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch an Diabetes oder Karzinomerkrankungen. Außerdem liegen sehr viele Befunde vor, die zeigen, dass ältere Menschen, die einen Lebensstil mit relativ vielen Aktivitäten pÁegen, längerfristig gesehen ein geringeres Risiko aufweisen, unter chronischen Erkrankungen zu leiden. Auch ist ihre Lebenserwartung insgesamt im Vergleich zu jenen mit einem sogenannten sedentary lifestyle („sitzenden Lebensstil“) deutlich erhöht. Die zentrale Forschungsfrage ist heute im
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Grunde nicht mehr, ob körperliche Trainings bedeutsam für gewichtige Endpunkte wie körperliche Gesundheit und Mortalität sind, sondern mit welchen Methoden ältere Menschen (aber natürlich auch jüngere) dazu gebracht werden können, ihren häuÀg sehr passiven Lebensstil zu verändern. Denn etwa 80 % der Älteren pÁegen den „sitzenden Lebensstil“, und auch im mittleren Lebensalter ist dieser Anteil nur geringfügig niedriger. Es scheint ganz generell zu den schwierigsten Dingen zu gehören, einen eher passiven Lebenswandel nachhaltig, das heißt dauerhaft in einen aktiveren Lebensstil zu verändern. Dies aber, verbunden mit einem Minimum an körperlicher Aktivität in hoher Regelmäßigkeit, mindestens etwa dreimal eine Stunde Training pro Woche, ist notwendig, um die auch im Alter sehr gut möglichen positiven Effekte tatsächlich zu erzielen bzw. aufrechtzuerhalten. Ein weiterer ermutigender Befund in diesem Bereich besteht darin, dass körperorientierte Trainingsprogramme bei älteren Menschen bedeutsame Effekte jenseits der reinen Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Vermeidung von Krankheiten aufweisen. Im Bereich der emotionalen Anpassung gehen solche Trainings mit einer Erhöhung des WohlbeÀndens, positiver Affekte und einer Reduktion von Depressivität einher. Im Bereich der geistigen Leistungsfähigkeit liegt heute eine recht konsistente Evidenz dahingehend vor, dass körperliche Trainings auch zu einem Anstieg in kognitiven Funktionen, vor allem im Bereich der sogenannten Exekutivkontrolle, führen. Funktionen der zentralen Exekutive sind insbesondere in alltäglichen Planungsprozessen gegenwärtig bzw. steuern die efÀziente und sichere Ausführung vielfältiger Handlungen im Alltag. Einige körperliche Trainingsstudien haben kognitive Leistungssteigerungen auch in anderen Funktionen gefunden, die in ihrem
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Ausmaß sogar in etwa jenen von kognitiven Interventionsstudien entsprechen. Körperorientierte Trainingsprogramme können damit als eine Art „Allzweckwaffe“ gegen unnötig frühe Altersverluste in unterschiedlichen Bereichen angesehen werden. Umso wichtiger ist die Frage, wie es gelingen kann, mehr ältere Menschen zu „aktivieren“ bzw. sie für die regelmäßige Durchführung von körperlichem Training zu begeistern. Obgleich in diesem Bereich in den letzten Jahren viel geschehen ist (zum Beispiel seitens Krankenkassen), liegt noch ein kaum hoch genug einzuschätzendes Präventionspotenzial brach. Es bedarf wohl der gemeinsamen und gut koordinierten Anstrengung vielfältiger Akteure, etwa von Hausärzten, Sportverbänden, Krankenkassen und Sozialstationen, um eine grundlegende Veränderung herbeizuführen. Überaus bedeutsam ist dabei auch die Lebenslaufperspektive, das heißt, es kann gar nicht früh genug mit einem solchen aktiven Lebensstil begonnen werden, sodass dieser dann im Alter als etwas Selbstverständliches weiterbetrieben wird. Dass genau an dieser Stelle ein mehr als erheblicher Kosten- bzw. Kostenersparnisfaktor gegeben ist (zum Beispiel Prolongierung von teuren Erkrankungen, Vermeidung von PÁegeheimübersiedlungen), liegt völlig auf der Hand. So kann man sich nur wundern, dass diese Schiene, die auf einer kaum in einem anderen Bereich erzielten, wissenschaftlichen Evidenz beruht, in unserer Gesellschaft nicht viel kraftvoller ausgebaut und gefördert wird. Präventives Verhalten lohnt sich nicht nur für die Älteren und ihre Angehörigen, sondern auch für Institutionen der Altenhilfe und die Sozialpolitik insgesamt. Selbstverständlich liegt in diesem Bereich auch eine eminent bedeutsame Aufgabe für Betriebe bzw. Arbeitgeber. In einer alternden Arbeitsgesellschaft wird es wahrscheinlich zunehmend zu einem Wettbewerbsvorteil
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werden, wenn Betriebe in die körperliche, geistige und emotionale Gesundheit ihrer älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend engagiert und kreativ investieren. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang schließlich auch Krafttrainings mit „fragilen“ älteren Menschen, zum Beispiel PÁegeheimbewohnern oder Demenzkranken. Vielfache Studien haben bestätigt, dass solche Trainings vor allem die Geh- und Balancefähigkeit fördern und damit erheblich zur Sturzprophylaxe beitragen. Wenn man überlegt, dass etwa jede zweite Person jenseits von 80 Jahren mindestens einmal pro Jahr stürzt und derartige Stürze nicht nur mit immensen Folgekosten, materiell und immateriell, sondern auch in erheblichem Maße mit Todesgefahr verbunden sind, dann wird der Wert derartiger Trainings unmittelbar deutlich. Auch hier liegt eine wissenschaftlich sehr gut unterstützte „Stellschraube“ vor allem in Bezug auf das sehr hohe Alter vor, an der insgesamt wohl noch deutlich stärker und nachhaltiger zum Wohle der Lebensqualität von Hochbetagten und ihren Angehörigen gedreht werden könnte (und, wie wir Ànden, auch sollte). Solche Investments unserer Gesellschaft würden sich mittel- und längerfristig mit Sicherheit vielfach auszahlen, selbst wenn sie zunächst mit weiteren Kosten verbunden sind.
Konstrukt 3: Alternsmeisterung Eine in unserer Gesellschaft weit verbreitete Annahme besteht darin, dass alternde Menschen heute und morgen gewissermaßen ein selbstverständliches, stilles Wissen (tacit knowledge) darüber besitzen, wie man gut alt wird bzw. wie man „richtig“ mit den Widrigkeiten des Alterns umgeht. Altern hat sich allerdings bekanntlich in historisch sehr kurzer
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Zeit deutlich verändert. Wir leben heute sehr viel länger als noch vor 50 Jahren, wir sind länger als jemals zuvor körperlich und geistig hoch leistungsfähig, stehen aber auch neuen Anforderungen gegenüber. So müssen wir die in historisch so kurzer Zeit extrem angewachsene Lebenszeit jenseits des Austritts aus dem Erwerbsleben sehr bewusst und planerisch engagiert gestalten. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind wir einer späten und recht langen Lebensphase hoher Fragilität ausgesetzt, ja der Übergang von einer Phase in der Regel relativ hoher Kompetenz in eine Phase hoher Verletzlichkeit ist zu einem, wenn nicht zu dem Charakteristikum modernen Alterns geworden. Und weiter: Ältere Menschen pÁegen immer häuÀger ältere Menschen, das „junge Alter“ unterstützt mit Hilfe- und PÁegeleistungen zunehmend das „alte Alter“. Es gilt demnach, Sorge zu tragen für diese vielfältigen Anforderungen des heutigen Alterns einschließlich Vorausverfügungen und der Planung kritischster Lebensentwicklungen wie Situationen der nicht mehr gegebenen Entscheidungsfähigkeit in Bezug auf medizinische Eingriffe oder den Umgang mit Sterben und Tod. Dies sind komplexe und schwierige Anforderungen. Wo, wie und wann lernen wir den Umgang mit diesen? Oder steht uns diese Kompetenz gleichsam automatisch als Lebenserfahrung und Lebenswissen zur Verfügung? Es sieht nicht so aus. An dieser Stelle kommt der Begriff der Alternsmeisterung (mastery) ins Spiel bzw. die Bedeutung von Interventionen mit dem Ziel, die Alternsmeisterung zu unterstützen, anzuregen und zu fördern. Die Idee ist, dass wir erst noch zum Meister/zur Meisterin unseres eigenen Alterns werden müssen und dass es dazu notwendig bzw. hilfreich sein kann, systematische Programme in diese Richtung zielend in Anspruch zu nehmen. Es geht hier wohlgemerkt primär um das
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„ganz normale“ Altern. Dem Altern in körperlicher, geistiger und psychischer Krankheit werden wir uns später noch zuwenden. Bewährt haben sich beispielsweise Kurse zur Vorbereitung auf den „Ruhestand“. So scheint es vielen Menschen schwerzufallen, sich schon in der Voraussicht (Antizipation) mit der nachberuÁichen Phase zu beschäftigen. Gleichzeitig existiert eine bedeutsame Befundlage dahingehend, dass es die Anpassung an die (lange) nachberuÁiche Lebensphase erleichtert und fördert, wenn wir uns antizipativ mit dieser auseinandersetzen und gute Vorbereitungen, etwa in Gestalt neuer oder wiederentdeckter Interessen, treffen. Entsprechende Kurse als Teil einer Bildung im fortgeschrittenen Berufsleben können hier sehr positive Effekte zeitigen. Auch Kurs- und Trainingsangebote in Richtung „Stressimmunisierung“ können hilfreich sein, um sich antizipativ mit möglichen Belastungen des Altwerdens zu beschäftigen bzw. sich entsprechend zu wappnen. Hier geht es darum, zusammen mit anderen Älteren Strategien einzuüben, um etwa mit gesundheitlichen Belastungen, Leistungseinbußen und Verlusten im sozialen Netzwerk besser zurechtzukommen. Kurse bzw. Trainingsprogramme zur Unterstützung sozialer Kontakte haben sich ebenfalls bewährt. Viele ältere Menschen tun sich schwer, ihre Einsamkeit zu überwinden (wir hatten ja gesagt, nicht alle Älteren sind einsam, aber das Risiko von Einsamkeit ist im Alter erhöht). Sie benötigen Wissen darüber, wo man neue Menschen kennen lernen kann, und sie benötigen nicht selten, noch wichtiger, ergänzende Kompetenzen, um dieses Kennenlernen in die Tat umzusetzen. Entsprechende Trainings in sozialen Fertigkeiten und zur Förderung von Selbstsicherheit, die sich vielfach bei Jüngeren bewährt haben, sind auch für Ältere sehr hilfreich. Ein übergreifendes
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Konstrukt, das derartige Angebote der Alternsmeisterung in besonderer Weise informieren kann, ist das von dem amerikanischen Psychologen Albert Bandura eingeführte Konzept der Selbstwirksamkeit. Älterwerden geht häuÀg mit Kognitionen und Gefühlen einher, das Leben nicht mehr in genügendem Ausmaß steuern und gewünschte Handlungsausgänge efÀzient beeinÁussen zu können. Nicht selten unterschätzen gerade Ältere ihre Handlungs- und EinÁussnahmemöglichkeiten systematisch und laufen damit Gefahr, hinter ihren „Wirkungsmöglichkeiten“ zurückzubleiben. Aus diesem Grunde ist die Unterstützung von Selbstwirksamkeit bei älteren Menschen eine besonders wichtige Aufgabe der Interventionsgerontologie, weil sie große Gruppen „normal alternder“ Menschen betrifft. Allerdings können solche Interventionsansätze auch bei Älteren mit chronischen Krankheiten bzw. Funktionseinbußen sehr bedeutsam werden (siehe Konstrukt 6 „Lebensqualität bei körperlicher Krankheit“). Eine weitere wichtige „Schiene“ sind in diesem Zusammenhang auch Trainingsprogramme, die das ehrenamtliche Engagement von Älteren unterstützen und fördern. Ehrenamtlich Tätige, auch Ältere, erwarten heute eine gewisse „professionelle QualiÀzierung“, etwa in Form entsprechender Trainingsangebote. Studien haben gezeigt, dass solche Interventionen nicht nur auf hohem Niveau zu unterschiedlichen ehrenamtlichen Aktivitäten qualiÀzieren; sie können auch Persönlichkeitswachstum fördern, etwa höhere Offenheit und damit einen Anstieg der Fähigkeit, auf andere Menschen in einer tiefer befriedigenden Weise zuzugehen. Eine prototypische Entwicklungsaufgabe des normalen Alterns ist der Umgang mit der Erfahrung der Verwitwung. Studien aus dem Bereich der kritischen Lebensereignisse haben gezeigt, dass diese Erfahrung zu den stressreichsten Le-
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bensereignissen überhaupt gehört, nicht selten verbunden mit schweren depressiven Verstimmungen, Selbstmordgedanken, Rückzug und körperlicher Vernachlässigung, etwa hinsichtlich der Ernährung. Programme wie in den USA das sogenannte PathÀnder Program können hier Hilfestellung anbieten und bedarfsgerechte Formen der Unterstützung – soweit gewollt und notwendig – vermitteln. Was an diesem letzten Programm sehr deutlich wird: Interventionen in Richtung Alternsmeisterung werden, auch wenn vieles dafür spricht, dass sie gebraucht werden und überaus hilfreich sind, noch zu selten nachgefragt, was viele Gründe haben dürfte: Nichtverfügbarkeit vor Ort, Berührungsängste, vor allem bei bildungsferneren Älteren, Nichteinsicht in die potenziell hilfreiche Rolle derartiger Programme und damit sicherlich auch mangelnde Informationen.
Konstrukt 4: Bildung Definition von Bildung Bildung beschreibt zum einen den Prozess der Aneignung und Erweiterung von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen und Wissenssystemen, zum anderen das Ergebnis dieses Prozesses. Konkrete Bildungsinhalte spiegeln allgemeine kulturelle Werthaltungen und milieuspeziÀsche Präferenzen ebenso wider wie sozialen Wandel und gesellschaftlichen Fortschritt. Bildungsaktivitäten des Individuums sind über den gesamten Lebenslauf bestimmt von den Wechselwirkungen zwischen objektiv bestehenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten, Neues zu lernen, sowie der Offenheit des Individuums für neue Erfahrungen und Wissenserwerb. Ein umfassender Bil-
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dungsbegriff beschränkt sich nicht auf die Vermittlung und Aneignung von Wissenssystemen, sondern berücksichtigt ausdrücklich auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen, die den kreativen Einsatz von Wissen im Sinne einer effektiven Auseinandersetzung mit aktuellen oder (potenziell) zukünftigen Aufgaben und Anforderungen fördern. Auch beschränkt sich die Bedeutung der Bildung für die Entwicklung des Individuums weder auf die Zeit der Berufstätigkeit noch auf den beruÁichen Bereich. Neben berufsbezogenen Zielsetzungen wie Sicherung von Wirtschaftswachstum und Innovationsfähigkeit oder Erhaltung und Förderung von Beschäftigungsfähigkeit sind unter anderem Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und soziale Teilhabe als bedeutende allgemeine Zielsetzungen von Erwachsenen- und Altenbildung ebenso zu nennen wie die Unterstützung des Individuums bei der Verwirklichung oder Vervollkommnung unterschiedlichster Freizeitaktivitäten und -interessen. Bildungsaktivitäten können in privaten, informellen Kontexten genauso verwirklicht werden wie in institutionellen Kontexten. Bildung vollzieht sich auch durch den alltäglichen Austausch von Erfahrungen in sozialen Beziehungen. Bereits alltägliche, scheinbar beiläuÀge intergenerationelle Kontakte bieten sowohl den Angehörigen der jüngeren als auch den Angehörigen der älteren Generationen die prinzipielle Möglichkeit, von den in konkreten Auseinandersetzungsformen und Problemlösungen zum Ausdruck kommenden kreativen Potenzialen der jeweils anderen Generation zu proÀtieren. Entsprechend verweist die Frage nach den Möglichkeiten der Verwirklichung von Potenzialen intergenerationellen Lernens unmittelbar auf die Altersbilder der Gesellschaft, wobei insbesondere auch dem Ausmaß, in dem Alter(n) sozial als Problem konstruiert wird, hohe Bedeutung zukommt.
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Zum Bildungsbegriff gehört sowohl die Ausbildung einer Motivstruktur, die das Interesse an Bildungsinhalten weckt und die aktive Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten fördert, als auch die Fähigkeit des Menschen, Möglichkeiten und Grenzen eigenen Handelns zu reÁektieren sowie zukünftige Aufgaben und Herausforderungen zu antizipieren. Die für die Verwirklichung individueller Entwicklungspotenziale – bzw. allgemeiner für den Erfolg einer bestimmten Kultur – jeweils relevanten Bildungsinhalte spiegeln sowohl individuelle Reifungsprozesse und lebensaltersspeziÀsche Entwicklungsaufgaben wider als auch sozialen Wandel und gesellschaftlichen Fortschritt.
Lebenslanges Lernen Da sich die für den Erfolg innerhalb einer Kultur relevanten Bildungsinhalte kontinuierlich ändern – man schätzt, dass sich das Wissen der Menschheit derzeit etwa alle 40 Jahre, in einigen Technologiebranchen sogar alle sechs Monate verdoppelt –, können sich Bildungsaktivitäten in dynamischen Gesellschaften weder primär auf einen bestimmten Lebensabschnitt konzentrieren noch beschränken. Entsprechend sollte die Notwendigkeit lebenslangen Lernens heute als Allgemeingut gelten. Die Partizipation an kulturellen, sozialen und technischen Innovationen setzt unabhängig vom Lebensalter die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, Neues zu lernen. Dabei gewinnen nonformale und informelle Kontexte gegenüber formalen Kontexten zunehmend an Bedeutung. Dennoch kann sich auch im Erwachsenenalter die Notwendigkeit zu formalem Lernen ergeben, etwa im Zusammenhang mit dem Nachho-
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len von QualiÀkationen oder der Aufstiegsfortbildung. In der Nacherwerbsphase liegen Bildungsprozesse noch stärker als in der Erwerbsphase in der Eigenverantwortung des Lernenden. In der Nacherwerbsphase entfällt der für frühere Lebensabschnitte typische unmittelbare Verwertungsdruck. Gleichzeitig sind nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die zuvor am Arbeitsplatz bestehenden Möglichkeiten nonformalen und informellen Lernens nicht mehr gegeben. In der Nacherwerbsphase haben Menschen aber vermehrt die Möglichkeit, neue Freiheiten zu nutzen und sich – persönlichen Anliegen, Wünschen und Interessen folgend – neue Tätigkeitsbereiche und Kontexte nonformalen und informellen Lernens zu erschließen. Im hohen Alter kann neues Lernen eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung von Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe sein. Präventive Bildungspolitik Es ist eine „präventive Bildungspolitik“ zu fordern, die auf eine Vermeidung möglicher oder Beseitigung gegebener Ungleichheit mit Blick auf Bildung zielt. Durch gezielte Anstrengungen im Vorschul- und Grundschulalter sollten Kinder unabhängig von ihrem aktuellen Leistungsniveau die Möglichkeit haben, positive Lernerfahrungen zu machen. Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung nach differenzierten Angeboten, gezielter Förderung und individualisierter Betreuung. Wenn Kinder aus unterprivilegierten Sozialschichten in der Familie nicht in ausreichendem Maße positive Lernerfahrungen machen können oder infolge geringerer Förderung bereits zum Zeitpunkt der Einschulung gegenüber Mitschülern weniger differenzierte Fähigkeiten und Fertigkeiten aufweisen, dann müssen in Vor- und Grundschule diese DeÀzite
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kompensiert werden können. Gleichzeitig müssen besonders begabte Schüler kontinuierlich gefordert und gefördert werden. Dabei sollte möglichst frühzeitig deutlich werden, dass kontinuierliches Lernen in formalen, nonformalen und informellen Kontexten auch dann, wenn kein unmittelbarer Verwertungsdruck besteht, neue Perspektiven und Möglichkeiten einer an persönlichen Wertvorstellungen orientierten Lebensführung eröffnet. Des Weiteren ist im Sinne einer präventiven Bildungspolitik eine höhere Durchlässigkeit des Schulsystems zu fordern. Bund, Länder und Kommunen dürfen sich nicht aus der Verantwortung für Chancengleichheit im Bereich der Bildung zurückziehen, sie müssten sogar vermehrt Verantwortung übernehmen und eine Áächendeckende Grundversorgung mit Angeboten allgemeiner, politischer und kultureller Weiterbildung gewährleisten. Die Grundversorgung mit allgemeiner Bildung darf in einer sich ständig weiterentwickelnden dynamischen Gesellschaft nicht auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt bleiben, sondern muss auf das junge, mittlere und höhere Erwachsenenalter erweitert werden. Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass in einer dynamischen Wissens- und Informationsgesellschaft lebenslanges Lernen eine wichtige Voraussetzung sozialer Teilhabe darstellt, erscheint die Sicherung von Möglichkeiten lebenslangen Lernens als eine vorrangige gesellschaftliche Aufgabe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Ältere keine homogene Gruppe bilden, sondern sich insbesondere aufgrund von Geschlecht, Vorbildung, Bildungserfahrungen, Migration und Lebensstilen zum Teil erheblich unterscheiden. Diesen Unterschieden ist bei der Gestaltung von Bildungsangeboten Rechnung zu tragen. Die Förderung und Erhaltung von Gesundheit sind sowohl für die Leistungsfähigkeit im Beruf als auch für die Aufrechter-
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haltung von Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und sozialer Teilhabe in allen Lebensaltern von entscheidender Bedeutung und sollten deshalb zentrale Inhalte der schulischen Bildung sowie der beruÁichen und allgemeinen Weiterbildung darstellen. Dennoch haben Fragen der Gesundheit in der allgemeinen Weiterbildung und vor allem in der beruÁichen Weiterbildung nach wie vor nicht jenes Gewicht, das ihnen eigentlich zukommen müsste. Aus diesem Grunde ist der Ausbau gesundheitsbezogener Angebote als wichtige Aufgabe präventiver Bildungspolitik zu werten. Nur wenn Gesundheit als bedeutende Komponente der Bildung in allen Bildungssegmenten (schulische Bildung, beruÁiche Aus-, Fort- und Weiterbildung, Allgemeinbildung) erkannt wird, können die über den gesamten Lebenslauf gegebenen Präventionspotenziale ausgeschöpft werden. Dabei ist zu beachten, dass sich die höchsten gesundheitlichen Risiken in bildungsfernen Schichten Ànden. Es genügt also nicht, Fragen der Förderung und des Erhalts von Gesundheit verstärkt in Angeboten betrieblicher und allgemeiner Weiterbildung zu verankern. Solange Krankheitssymptome gerade in unterprivilegierten Schichten fälschlicherweise als Alterssymptome gedeutet werden, werden Möglichkeiten der Prävention – der Prävention für das Alter wie der Prävention im Alter – vielfach unerkannt und ungenutzt bleiben. Zur Sicherstellung einer gemeindenahen Versorgung, die eine Benachteiligung von Menschen aus strukturschwachen ländlichen Regionen vermeidet, empÀehlt es sich, zum einen Selbstorganisationspotenziale zu fördern, zum anderen Angebote von Bildungsinstitutionen stärker mit den Angeboten von Gesundheitseinrichtungen zu vernetzen. Die Nutzung von Selbstorganisationspotenzialen hat nicht nur den Vorteil, dass Angebote relativ unabhängig von kommunalen Ressourcen dort entstehen, wo sie benötigt werden. Darüber hinaus
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kann eine stärkere Einbeziehung von Nutzern in die Organisation und Ausgestaltung von Angeboten zum Teil dabei helfen, Teilnahmebarrieren abzubauen. So liegen Erfahrungen vor, dass die Bildungsbeteiligung unterprivilegierter Sozialschichten reduziert werden kann, wenn man deren Selbstorganisationspotenziale bei der Konzeption von Angeboten nutzt. Bereits bestehende kommunale Initiativen zeigen, dass ältere Menschen in der Selbstorganisation sehr effektiv sein können – zudem ist die Selbstorganisation auch mit Blick auf das Selbstkonzept („subjektive Kompetenzerfahrung“) nicht zu unterschätzen.
Bildungsmotivation Unabhängig vom tatsächlichen Lernverhalten geben die meisten Personen an, gerne zu lernen. Lernen wird nur dann als mühsam oder schwierig empfunden, wenn der Sinn nicht einsichtig ist, das Thema nicht interessiert und die Art und Weise zu lernen nicht zusagt. Des Weiteren wurde deutlich, dass die aktuelle Einstellung zum Lernen in der Regel frühere Lernerfahrungen widerspiegelt. Mehrere Studien legen nahe, dass hier insbesondere dem Erleben der eigenen Schulbildung große Bedeutung zukommt. In Kindheit und Jugend bestehende Ungleichheiten in Bildungsvoraussetzungen und -chancen setzen sich in einer mangelnden Weiterbildungsbeteiligung fort. Dies hat zur Folge, dass unter älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehende WeiterbildungsdeÀzite durch zusätzliche Weiterbildungsangebote in aller Regel nicht beseitigt werden können. Die Voraussetzungen für lebenslanges Lernen müssen in früheren Lebensabschnitten geschaffen werden. Als geeigneter Ansatzpunkt für Bemühungen um eine Sicherung der Weiterbildungsbeteiligung älterer Arbeit-
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nehmer bietet sich entsprechend eine gezielte Förderung von Bildungschancen in früheren Lebensabschnitten an. Eine im Kontext des Berichtssystems Weiterbildung durchgeführte Repräsentativbefragung (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003) zeigt, dass die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung in der Mehrzahl der Fälle auf den Arbeitgeber zurückgeht. Betriebliche Anordnung wurde von 32 % der Teilnehmer in den alten und 35 % der Teilnehmer in den neuen Bundesländern als Anlass genannt. Auf Vorschlag von Vorgesetzten nahmen 25 % der Teilnehmer in den alten und 21 % der Teilnehmer in den neuen Bundesländern an beruflicher Weiterbildung teil. 42 % gaben an, die Teilnahme an beruÁicher Weiterbildung sei von ihnen selbst ausgegangen. 4 % haben eine von Vorgesetzten gewünschte Weiterbildung abgelehnt. Ebenfalls bei 4 % lag der Anteil der Befragten, die von der Ablehnung eines Weiterbildungswunsches durch den Vorgesetzten berichteten. Aus im Arbeitskreis von Urs Kalbermatten durchgeführten empirischen Studien zur Bedeutung von Weiterbildungsangeboten für die Entwicklung von Identität im mittleren und höheren Erwachsenenalter (Kalbermatten 2008) geht hervor, dass Weiterbildungsinteressen und Weiterbildungsbeteiligung älterer Mitarbeiter in kleineren und mittleren Unternehmen im Allgemeinen eher begrüßt und gefördert werden, während sich in Großbetrieben eher rückläuÀge Teilnahmequoten und deutlich stärkere Frühverrentungstendenzen zeigen. Des Weiteren wurde in einer Befragung von über 50-jährigen Männern in einem Großbetrieb deutlich, dass kulturelle Angebote und die PÁege sozialer Beziehungen die persönliche Lebensführung deutlich stärker beeinÁussen als Angebote beruÁicher Weiterbildung. Die außerberuÁiche Weiterbildung gewinnt zwar kontinuierlich an Bedeutung, jedoch bemüht sich nur etwa ein
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Viertel der Befragten um eine Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand. Fast die Hälfte der Befragten war der Ansicht, dass sich die beruÁiche Entwicklung gegen Ende des Erwerbslebens negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt, 80 % maßen der Bildung große Bedeutung für die Nacherwerbsphase zu. Vor dem Hintergrund dieser Befunde erscheint die Ausgestaltung von Bildungscoaching und -beratung für ältere Arbeitnehmer als eine wichtige Zukunftsaufgabe. Aus der Höhe der Weiterbildungsbeteiligung lassen sich nur dann Rückschlüsse auf Weiterbildungsmotivationen ziehen, wenn der Weiterbildungsmarkt eine gewisse Transparenz aufweist, die potenziellen Teilnehmer also von den jeweils zur Verfügung stehenden Weiterbildungsangeboten wissen. Einen guten Überblick über Weiterbildungsmaßnahmen zu haben, gaben im Jahre 2000 54 % der 19- bis 64-Jährigen in den alten Bundesländern und 45 % der 19- bis 64-Jährigen in den neuen Bundesländern an. Mehr Information und Beratung wurden in den alten Bundesländern von 36 %, in den neuen Bundesländern von 40 % gewünscht. Für die neuen Bundesländer lässt sich feststellen, dass sich die Transparenz des Weiterbildungsmarktes seit 1991 deutlich verbessert hat, auch wenn sich diese aus der Sicht der potenziellen Weiterbildungsnachfrager in den neuen Bundesländern nach wie vor schlechter darstellt als in den alten Bundesländern. Mehr Information und Beratung wünschen sich vor allem jüngere Befragte. Unter den Personen ohne beruÁichen Abschluss äußerte in den neuen Bundesländern jeder Zweite Informations- und Beratungsbedarf. In den alten Bundesländern war dies nur bei jedem Vierten dieser Personengruppe der Fall. Des Weiteren zeigte sich, dass Erwerbstätige, Deutsche, Beamte und höher qualiÀzierte Personen einen besseren Überblick über Weiterbildungsangebote haben und Weiterbildungsdatenbanken in
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jüngeren Altersgruppen und in den neuen Bundesländern häuÀger genutzt werden. Die Motivation zur Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung könnte möglicherweise dadurch erhöht werden, dass auch Themen, die für die weitere Lebensplanung und -gestaltung bedeutsam sind, integriert werden. Darüber hinaus könnten betriebliche Angebote, die etwa über Möglichkeiten der Erhaltung von Gesundheit oder der Vorbereitung auf die Nacherwerbsphase informieren, zu einer gesteigerten IdentiÀkation mit dem Unternehmen und über diese zu einer verbesserten Arbeitsmotivation und einer erhöhten Produktivität beitragen. Personen mit höherer Schul- und Berufsausbildung partizipieren überproportional an Angeboten der Erwachsenen- und der beruÁichen Fort- und Weiterbildung, sodass Bildungsungleichheiten im Lebenslauf eher verstärkt als verringert werden. Daraus lässt sich als eine vorrangige Aufgabe von Bildungspolitik ableiten, vermehrt bildungsungewohnte Personen für Bildungsaktivitäten im Alter zu gewinnen. Dies kann nur gelingen, wenn die Verschiedenartigkeit der Bildungsgewohnheiten und -interessen von Menschen aus unterschiedlichen Bildungsschichten bei der Entwicklung von Curricula sowie von Lehr-Lern-Methoden berücksichtigt wird. In diesem Zusammenhang ist die in der Erwachsenenbildung immer wieder erhobene Forderung nach einer verstärkten Lebensweltorientierung aufzugreifen: Menschen aus unterschiedlichen Bildungsschichten unterscheiden sich in den Bildungsinhalten, die sie erworben haben. In dieser Verschiedenartigkeit müssen Menschen angesprochen werden: Nur unter dieser Voraussetzung gelingt es, zur Nutzung formaler Bildungsangebote zu motivieren. Franz Kolland (2008) berichtet über zwei neuere in Österreich durchgeführte Studien zum Bildungsinteresse und zur
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Nutzung von Bildungsangeboten. Die Ergebnisse der ersten Studie zeigen, dass ältere Menschen im Allgemeinen eine positive Einstellung zum Lernen haben. Ihr ausgeprägtes Bildungsinteresse spiegelt sich allerdings nicht in der Nutzung von Bildungsangeboten wider. Während 61 % der befragten über 60-Jährigen eine hochpositive Einstellung gegenüber dem Lernen im Alter haben, nehmen lediglich 17 % an organisierten Lernveranstaltungen teil. Angehörige unterprivilegierter Schichten und Personen ohne höhere Bildungsabschlüsse nutzen im mittleren und höheren Erwachsenenalter nur selten Bildungsangebote. Der im höheren Alter allgemein zu beobachtende Rückgang im Besuch von Bildungsveranstaltungen fällt bei Personen mit einem schlechten Gesundheitszustand, einem kleineren sozialen Netzwerk und einem negativen Altersbild besonders stark aus. Informelles Lernen erwies sich im Vergleich zum Lernen in formalen Kontexten als deutlich häuÀger. In der zweiten Studie wurden eine qualitative Expertenbefragung und eine standardisierte telefonische Befragung von Kursleitern durchgeführt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Bewegungsangebote und Gedächtnistraining gefolgt von technikbezogenen Angeboten (vorrangig Computerkursen), Tanzangeboten und Sprachkursen das größte Interesse bei älteren Menschen Ànden.
Weiterbildungsbarrieren Als Ergebnis einer zwischen November 2002 und Mai 2003 durchgeführten telefonischen Befragung von 5 058 Erwerbspersonen im Alter zwischen 19 und 64 Jahren wurde eine Teilnahmequote von 68 % ermittelt. Eine Differenzierung nach Altersgruppen ergab, dass 69,5 % der 25- bis 34-Jährigen,
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69,1 % der 35- bis 44-Jährigen, 66,2 % der 45- bis 54-Jährigen und 64 % der 55- bis 64-Jährigen in den letzten zwölf Monaten an mindestens einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen hatten. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung mehrerer potenzieller EinÁüsse auf die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme zeigte sich, dass dem Alter kein eigenständiger Erklärungswert zukommt. Als entscheidend für die Nichtteilhabe an Weiterbildung erwiesen sich vielmehr die folgenden Erklärungsfaktoren: • Geschlechtszugehörigkeit: Frauen tragen ein signiÀkant höheres Risiko, an keiner beruÁichen Weiterbildung teilzunehmen. Diese Aussage gilt gleichermaßen für erwerbstätige und nicht erwerbstätige Menschen. • Schulabschluss und beruÁicher Bildungsabschluss: Die unteren Bildungsgruppen und die beruÁich Ungelernten haben eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, nicht an Weiterbildung zu partizipieren. • Aktuelle Erwerbstätigkeit: Teilzeitbeschäftigte und Arbeitslose haben im Vergleich zu Vollzeiterwerbstätigen eine fast anderthalbfache Wahrscheinlichkeit, nicht an beruÁicher Weiterbildung teilzunehmen. Bei geringfügig Beschäftigten und Personen, die eine Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die nächsten zwei Jahre planen, liegt die Wahrscheinlichkeit sogar mehr als doppelt so hoch wie für die Referenzgruppe der Vollzeiterwerbstätigen. Durch die Beschäftigung in einem kleinen oder mittleren Unternehmen erhöht sich für Arbeitnehmer das Risiko der Nichtteilnahme an beruÁicher Weiterbildung. • Aktuelle bzw. letzte beruÁiche Stellung: Vor allem Arbeiter tragen ein wesentlich größeres Risiko, keine Weiterbildung zu haben. • BeruÁicher Status: Personen mit ausführenden Tätigkeiten haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, an keiner
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beruÁichen Weiterbildung teilzunehmen, als Personen mit einer führenden Tätigkeit. • Subjektive Einschätzung der Geschwindigkeit, in der sich Anforderungen an den eigenen Beruf ändern: Erwerbspersonen, die sich schnell ändernden Anforderungen an die eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten gegenübersehen, nehmen eher an Weiterbildung teil. • Monatliches Haushaltnettoeinkommen: Die Bezieher der niedrigen Einkommen (bis zu 1 000 Euro) haben eine signiÀkant höhere Wahrscheinlichkeit für eine Nichtteilnahme. • Investitionsbereitschaft: Entscheidend für die Teilnahme an einer Weiterbildung ist die Bereitschaft, einen eigenen Beitrag für die beruÁiche Weiterbildung zu leisten. Die genannten Erklärungsfaktoren verdeutlichen die Notwendigkeit einer differenziellen Perspektive, die nicht bei der Analyse von Auswirkungen einzelner Merkmale wie Alter oder Geschlecht stehenbleibt, sondern gezielt soziale Ungleichheiten, wie sie sich aus charakteristischen Kombinationen der aufgeführten Merkmale ergeben, in Betracht zieht.
Altern als Bildungsinhalt Gerade in alternden Gesellschaften bildet Wissen über das Alter im Lebenslauf einen zentralen Bildungsinhalt. Berücksichtigt man, dass sich Lernen lebenslang nicht nur in formalen, sondern auch in nonformalen und informellen Kontexten vollzieht, wird deutlich, dass bereits im Vorschulalter Erfahrungen und Eindrücke vermittelt werden können, die der Entwicklung eines differenzierten Altersbildes und einer Lebensspannenperspektive förderlich sind. Im
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Schulunterricht bestehen vielfältige Möglichkeiten und Gelegenheiten, ein angemessenes Verständnis von Entwicklungsaufgaben im gesamten Lebenslauf (und nicht nur bis zum frühen oder mittleren Erwachsenenalter) sowie der jeweils zugehörigen individuellen Handlungsmöglichkeiten und -grenzen zu vermitteln. Hier bieten sich nicht nur der Biologie-, Sozialkunde- oder Ethikunterricht an, Entwicklungsprozesse im Lebenslauf können etwa auch im Deutschoder Geschichtsunterricht detailliert behandelt werden. Vor allem im Grundschulbereich, aber auch auf weiterführenden Schulen lassen sich fächerübergreifende Lerneinheiten und Projekte konzipieren, die zur Entwicklung differenzierter Kenntnisse über Alternsprozesse und ihre EinÁussfaktoren beitragen. Für die Realisierung derartiger Möglichkeiten ist es entscheidend, dass bei der Gestaltung von Curricula das Thema Alter stärker berücksichtigt bzw. die Notwendigkeit erkannt wird, Entwicklung im Lebenslauf und Alter als ein eigenständiges Thema zu etablieren und nicht etwa lediglich als einen Aspekt von Sozialisation zu behandeln. Im Zusammenhang mit der Vermittlung eines differenzierten Altersbildes sind auch die Eigenverantwortung des Individuums und die Bedeutung lebenslangen Lernens für Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und soziale Teilhabe herauszustellen. Die Förderung einer differenzierten Lebenslaufperspektive muss darüber hinaus als eine wesentliche Aufgabe in der Berufsund Hochschulausbildung sowie in der betrieblichen und allgemeinen Weiterbildung angesehen werden. In dynamischen Gesellschaften sind individuelle Alternsprozesse ebenso wie die für Alter und Altern bedeutsamen gesellschaftlichen Strukturen einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. In alternden Gesellschaften sind Vertreter aller Berufe und Disziplinen zunehmend mehr oder weniger explizit mit Fragen
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des Alterns konfrontiert und genötigt, ihr Handeln mit Blick auf das Alter zu reÁektieren. Gleichzeitig tragen die Gewinne in der durchschnittlichen Lebenserwartung dazu bei, dass die Antizipation des eigenen Alters für jeden Einzelnen eine bedeutende Aufgabe darstellt.
Kohortenunterschiede im Bildungsstand Die über 60-Jährigen unterscheiden sich in ihrer schulischen und beruÁichen QualiÀkation gegenwärtig erheblich vom Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Betrachtet man die entsprechenden Abschlüsse in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen, so wird deutlich, dass ein vergleichbarer Kohorteneffekt in Zukunft nicht mehr zu beobachten sein wird. Die Mikrozensuserhebung 2002 (Statistisches Bundesamt 2002) weist die Haupt- bzw. Volksschule als die unter der älteren Bevölkerung mit weitem Abstand dominierende Schulform aus. Bei den über 60-Jährigen liegt der Anteil mit einem entsprechenden Bildungsabschluss bei 73,6 %, in der Gruppe der 50- bis 59Jährigen bei 52,7 %, in der Gesamtgruppe der über 15-Jährigen bei 45,3 %. Allgemeines Abitur oder Fachabitur haben nach der Mikrozensuserhebung 2002 20 % der über 15-Jährigen, 17,8 % der 50- bis 59-Jährigen und 9,9 % der über 60-Jährigen. Noch deutlicher als bei den Schulabschlüssen zeigen sich kohortenspeziÀsche Unterschiede in den beruÁichen Bildungsabschlüssen. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen haben 32 % keinen beruÁichen Bildungsabschluss, in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen liegt der entsprechende Anteil lediglich bei 16,5 %. Die dargestellten Unterschiede zwischen den über 60-Jährigen und den 50- bis 59-Jährigen machen die Herausforde-
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rungen deutlich, denen sich die Erwachsenenbildung in den kommenden Jahren stellen muss. Angesichts einer zunehmend höheren QualiÀkation der Teilnehmer werden neue, anspruchsvollere Angebote zu entwickeln sein, die zunehmend stärker individuellen BildungsbiograÀen gerecht werden müssen. Gleichzeitig kann prognostiziert werden, dass die Bedeutung formalen Lernens zugunsten einer stärkeren Selbststeuerung zurückgehen wird (im Sinne einer größeren Freiheit der Lernenden, selbst zu bestimmen, ob, wie und wofür sie lernen).
Konstrukt 5: Lebensqualität – Bedeutung für Demenz Lebensqualität als individuelle Wohlfahrt: Level of Living Approach Im Level of Living Approach wird Lebensqualität als individuelle Wohlfahrt konzeptualisiert und über das Ausmaß deÀniert, in dem Menschen in der Lage sind, Ressourcen wie Einkommen, Vermögen, Bildung, psychische oder physische Energie gezielt im Dienste einer den eigenen Bedürfnissen entsprechenden Gestaltung ihrer individuellen Lebensverhältnisse einzusetzen, bzw. über das Ausmaß, in dem die individuellen Lebensverhältnisse durch „Determinanten“ bestimmt sind, die sich der Kontrolle des Individuums entziehen. So tragen Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstständigkeit bzw. zur Vermeidung unnötiger und dysfunktionaler Unselbstständigkeit nicht nur allgemein zu einer Erhöhung subjektiven WohlbeÀndens und damit zur (subjektiven) Lebensqualität bei, sie bilden gerade bei Menschen mit PÁege- und Betreuungsbedarf eine zent-
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rale Voraussetzung für den Einsatz vorhandener Ressourcen zur Verwirklichung von Teilhabe. WohlbeÀnden ist in diesem Verständnis kein konstitutives Merkmal von Lebensqualität, sondern vielmehr Resultat einer Kongruenz zwischen individueller Wohlfahrt und individuellen Aspirationen. Aus diesem Ansatz ergibt sich, dass objektive Situationsfaktoren, die objektive Spielräume zur Verwirklichung individueller Bedürfnisse und Anliegen sowie zur Gestaltung der persönlichen Lebenssituation deÀnieren oder zumindest mitbestimmen, differenziert zu erfassen sind.
Lebensqualität als subjektives Wohlbefinden: Quality of Life und Komponentendefinitionen In der Tradition des amerikanischen Ansatzes Quality of Life wird anders als im schwedischen Level of Living Approach die Bedeutung subjektiver Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse für die Lebensqualität hervorgehoben. Für diese aus der Sozialpsychologie und Mental-Health-Forschung hervorgegangenen Perspektive ist das Thomas-Theorem zentral, dem zufolge als real wahrgenommene Situationen immer auch reale Konsequenzen haben. Für Interventionen zur Förderung der Lebensqualität bei Demenz ergibt sich hier die Konsequenz, dass die Erfassung von Aspekten der räumlichen, sozialen und infrastrukturellen Umwelt durch die Perspektive der demenzkranken Menschen zu ergänzen ist. Indem die Bedeutung von Konstellationen objektiver Umweltmerkmale für die (subjektive) Lebensqualität durch die Wahrnehmung einer Gesamtsituation, die einige als „angenehm“, andere als „neutral“ und wieder andere als „aversiv“ empÀnden, vermittelt wird, ist es notwendig, das emotionale Erleben demenzkran-
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ker Menschen differenziert zu erfassen. Da sich – je nachdem, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist – das emotionale Erleben demenzkranker Menschen in vielen Fällen nicht mehr direkt erfragen lässt, erscheint es notwendig, nonverbale Hinweise auf emotionale BeÀndlichkeit ebenso zu berücksichtigen wie Auskünfte von Angehörigen und PÁegepersonen. Sowohl im amerikanischen Quality-of-Life- als auch im schwedischen Level-of-Living-Approach-Ansatz werden individuelle Aspirationen als eine von Ressourcen und Determinanten unabhängige EinÁussgröße individuellen WohlbeÀndens betrachtet. (Uneinigkeit besteht lediglich hinsichtlich der Frage, inwieweit individuelles WohlbeÀnden als ein Merkmal von Lebensqualität zu betrachten ist.) Welches Ausmaß an Teilhabe im individuellen Fall anzustreben und zu verwirklichen ist, lässt sich nicht jenseits des jeweils vorliegenden individuellen Bezugssystems bzw. unabhängig von den für das Verständnis des Individuums zentralen Lebensstrukturen bestimmen. Als zentrale Komponenten dieser Lebensstrukturen sind die subjektiv bedeutsamen Beziehungen der Person zu „bedeutsamen Anderen“ in ihrer Welt aufzufassen, wobei sich der Begriff „bedeutsame Andere“ je nach Kontext in Form einer Person, Gruppe, Idee, Kultur, Institution oder auch einer besonderen Gegend speziÀzieren lässt (Levinson 1986). Daniel Levinson hat in seinen entwicklungspsychologischen Arbeiten 1) das hohe Investment des Selbst in diese Beziehungen, 2) die in diesen Beziehungen erfahrene Bereicherung und 3) die aus diesen Beziehungen hervorgehenden geistigen und emotionalen Anregungen belegen können. Ausgehend von dem skizzierten Quality-of-Life-Ansatz wurden in verschiedenen Arbeitsgruppen – in der Regel unter Nutzung von Faktorenanalysen – KomponentendeÀnitionen von Lebensqualität vorgeschlagen. Lebensqualität wird dabei
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zunächst über Maße des subjektiven WohlbeÀndens operationalisiert, ehe in einem weiteren Schritt zentrale EinÁussfaktoren des WohlbeÀndens ermittelt werden. Besonderes Interesse gilt in der internationalen Literatur solchen Konzeptionen von Lebensqualität, die ausdrücklich einschränkende Lebensbedingungen betonen. Gleiches gilt für Konzeptionen, die sich auf die Lebenssituation speziÀscher Personengruppen konzentrieren, hier vor allem auf die Situation jener Menschen, bei denen eine Demenz diagnostiziert wurde, die an einem Tumor erkrankt sind oder bei denen PÁegebedarf besteht. KomponentendeÀnitionen von Lebensqualität und entsprechende Messinstrumente weisen den Nachteil auf, dass ihnen weniger ein theoretisches Modell von Lebensqualität zugrunde liegt, das zum Beispiel zwischen zentralen Dimensionen von Lebensqualität differenziert und dabei die Relationen zwischen objektiv gegebener und subjektiv erlebter Lebenssituation oder zwischen Person und Umwelt in den Mittelpunkt rückt. KomponentendeÀnitionen knüpfen vielmehr an solchen Belastungen und Wünschen an, die von den Mitgliedern einer ausgewählten Personengruppe (zum Beispiel einer Gruppe mit einer bestimmten Erkrankung) in Pilotstudien berichtet oder bei diesen beobachtet wurden. Lebensqualität als Interaktion zwischen objektiven Lebensbedingungen und subjektiver Wahrnehmung In der Literatur Ànden sich mehrere Vorschläge, die sich um eine Integration des schwedischen Level-of-LivingApproach- und des amerikanischen Quality-of-Life-Ansatzes bemühen. Erik Allardt (1993) differenziert hier in seinem Basic
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Needs Approach zwischen Having, Loving und Being. Dabei steht das erste Grundbedürfnis (Having) für den im schwedischen Level of Living Approach als zentral gesetzten Aspekt des Wohlstands bzw. für die materiellen Aspekte des Lebensstandards. Mit dem zweiten Grundbedürfnis (Loving) ist vor allem die Integration in soziale Netzwerke angesprochen, die soziale Kontakte zu persönlich bedeutsamen Personen und auf deren Grundlage ein Erleben von Zugehörigkeit ermöglicht. Das dritte Grundbedürfnis (Being) verweist dagegen auf die Frage, inwieweit alternative Optionen zur Gestaltung der eigenen Lebenssituation, zur sozialen Teilhabe und zur Verwirklichung von für die Person zentralen Anliegen und Zielvorstellungen (Selbstverwirklichung) bestehen. Aus der Differenzierung dieser Grundbedürfnisse lässt sich die auch für das vorliegende Projekt zentrale Annahme ableiten, dass sich eine angemessene Operationalisierung von Lebensqualität weder wie der schwedische Level of Living Approach exklusiv auf die Ausprägung objektiver Indikatoren noch wie der amerikanische Quality-of-Life-Ansatz auf die Ausprägung subjektiver Indikatoren stützen kann. Wolfgang Zapf (1984) hat den skizzierten Basic Needs Approach durch die Differenzierung von vier Wohlfahrtspositionen erweitert, die sich aus dem Ausmaß, in dem die objektiven und subjektiven Voraussetzungen für eine Verwirklichung der genannten Grundbedürfnisse gegeben sind, bestimmen lassen. Dabei wird die Koinzidenz von guten objektiven Lebensbedingungen und subjektivem WohlbeÀnden als „Well-being“ bezeichnet, während die Konstellation aus schlechten objektiven Lebensbedingungen und negativem WohlbeÀnden als „Deprivation“ bezeichnet wird. Die auch als „Unzufriedenheitsdilemma“ beschriebene, durch gute objektive Lebensbedingungen und negatives WohlbeÀnden
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gekennzeichnete Konstellation wird als „Dissonanz“, die auch als „Zufriedenheitsparadox“ beschriebene Konstellation schlechter objektiver Lebensbedingungen bei subjektivem WohlbeÀnden als „Adaptation“ bezeichnet. Noch stärker als im Basic Needs Approach wird damit die Interaktion zwischen objektiven und subjektiven Indikatoren von Lebensqualität hervorgehoben. Aktuelle Analysen der Lebensqualität demenzkranker Menschen orientieren sich häuÀg an einem im Arbeitskreis von Powell Lawton entwickelten Modell, das vier grundlegende Bereiche von Lebensqualität unterscheidet: seelisches WohlbeÀnden, erlebte Lebensqualität, objektive Umwelt und Verhaltenskompetenz. Das Circumplex-Modell von Lebensqualität betont – ganz im Sinne der aus dem schwedischen Level of Living Approach und dem amerikanischen Quality-of-LifeAnsatz abgeleiteten Anforderungen an eine angemessene Konzeptualisierung von Lebensqualität – zum einen die Differenzierung zwischen objektiv gegebener Umwelt und subjektiv erlebten Umweltbedingungen („erlebte Lebensqualität“). Damit stellt es an Wissenschaft und Praxis die Aufgabe, für den einzelnen demenzkranken Menschen anzugeben, wie dieser die gegebenen Umweltbedingungen subjektiv erlebt. Dieses Modell betont zum anderen das seelische WohlbeÀnden (im Sinne emotionaler BeÀndlichkeit) sowie die Verhaltenskompetenz (im Sinne bestehender Funktionen und Fähigkeiten, die ein selbstständiges und selbstverantwortliches Leben ermöglichen). Auch dies erfordert eine sehr differenzierte Analyse des Erlebens und Verhaltens. Das am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg entwickelte Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei demenzkranken Menschen (HILDE) (Becker et al., 2005; Becker et al., 2006) geht von einer auf Ruut Veenhoven (2000)
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zurückgehenden Erweiterung des Circumplex-Modells aus, die die empirische Abhängigkeit der vier differenzierten Bereiche zum Ausgangspunkt hat und Lebensqualität als Konstellation einzelner Lebensbedingungen und einzelner Komponenten des subjektiven WohlbeÀndens konzeptualisiert (Tabelle 7.1). Zentral für dieses Modell sind zunächst die Ressourcen eines Menschen, wobei unter Ressourcen alle Mittel zur Erreichung eines Zieles (zum Beispiel der Erhaltung von Selbstständigkeit, sozialer Integration und Zufriedenheit) zu verstehen sind. Die Ressourcen können sowohl materieller Art (Einkommen, Vermögen, Lage und Qualität der Wohnung) wie auch immaterieller Art (Bildungsstand, körperliche und seelisch-geistige Gesundheit, körperliche und geistige Leistungssowie seelische Widerstandsfähigkeit) sein. Die Nutzung von Ressourcen (zum Beispiel von Erfahrungen und Wissen, körperlichen Funktionen und geistigen Fähigkeiten) ist von den bestehenden Lebensbedingungen beeinÁusst: Inwiefern fördern, inwieweit erschweren diese die Nutzung von Funktionen und Fähigkeiten? Hier seien zwei Beispiele aus dem Bereich der Betreuung und PÁege angeführt. 1) Im Arbeitskreis von Margret Baltes konnte der Nachweis erbracht werden, dass sich in Einstellung und Verhalten von PÁegefachpersonen Tabelle 7.1 Differenzierung zwischen Ressource und Zielbereich (Outcome) bei der Lebensqualitätsmessung. Person innerhalb Ressource Lebensqualität
Outcome
Nach Veenhoven 2000.
außerhalb
objektive UmVerhaltenskompetenz weltmerkmale subjektives Wohlbefinden „Nutzen“ Lebenszufriedenheit
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gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen zwei grundlegende Orientierungen widerspiegeln. Die eine lässt sich als Selbstständigkeitsorientierung, die andere als Abhängigkeitsorientierung umschreiben. Im Falle ersterer tendieren PÁegefachkräfte dazu, die Bemühungen von Bewohnerinnen und Bewohnern um die selbstständige Ausführung von Aktivitäten des täglichen Lebens zu unterstützen, im Falle letzterer werden diese Bemühungen um Selbstständigkeit hingegen nicht unterstützt (vielfach auch gar nicht wahrgenommen); vielmehr neigen PÁegefachkräfte dazu, der Bewohnerin oder dem Bewohner möglichst viele Aktivitäten abzunehmen und dadurch deren bzw. dessen Abhängigkeit zu verstärken. Die Selbstständigkeit von Bewohnerinnen und Bewohnern, denen gegenüber PÁegefachkräfte eine stark ausgeprägte Selbstständigkeitsorientierung zeigen, ist langfristig signiÀkant höher als die Selbstständigkeit von Bewohnerinnen und Bewohnern, denen gegenüber PÁegefachkräfte eine Abhängigkeitsorientierung erkennen lassen. 2) Wir konnten in Einrichtungen der Behindertenhilfe bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung ganz ähnliche Zusammenhänge Ànden. Ähnlich wie im Arbeitskreis von Margret Baltes veränderte sich auch in unserer Studie durch Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie durch die Supervision deren PÁegeverhaltens die Selbstständigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner mit geistiger Behinderung signiÀkant: Die Selbstständigkeit im Alltag nahm zu. – Was bedeutet dies für die Entwicklung eines Instruments zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen? Die Befunde machen deutlich, dass Ressourcen vorhanden sein können, jedoch möglicherweise nicht in vollem Umfang genutzt werden, weil die bestehenden Bedingungen dies verhindern.
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Persönlicher Blick auf das Alter Wer wird mir beistehen, wenn ich demenzkrank werde? Andreas Kruse: Dieses Thema erörtern wir nicht selten in unserer Familie. Eine wichtige Aufgabe hätte in unserem Verständnis der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin. Aber wir wären auch sehr dankbar, wenn die Beziehungen zu unseren Kindern und Enkelkindern auch im Falle der Demenzerkrankung erhalten blieben. Denn Momente des Glücks und der Freude werden im Falle der Demenz vor allem durch jene Menschen gestiftet, mit denen man in der Biografie viele Erlebnisse und Erfahrungen geteilt hat. Und schließlich: Es bedürfte schon der Unterstützung durch professionelle Dienste. Und auch die seelsorgerische Betreuung wäre mir wichtig. Hans-Werner Wahl: Wir haben die Erfahrung der Demenz bereits bei Eltern unserer Freunde mehrfach erlebt, allerdings noch nicht in der eigenen Familie. Natürlich drängt die Thematik sich auch fachlich auf, wenn man Alternsforschung betreibt. In der Selbstanwendung fällt uns die Vorstellung der Demenz dennoch schwer, und meine Frau und ich beschäftigen uns selbst eher selten mit diesem Krankheitsbild und seinen Folgen. Ängste und Bedrohungsgefühle in Bezug auf Demenz erlebe ich nicht. Die Vorstellung, dass es einen Menschen in meiner Nähe wie meine Frau geben würde, erfahre ich, mich als demenzkrank vorstellend, als Beruhigung. Ich habe da großes Vertrauen, gut getragen zu werden. Stärker als in Bezug auf Demenz sind bei mir die Ängste im Hinblick auf schwerwiegende körperliche Erkrankungen, und manchmal fragen wir uns, warum wir in dieser Beziehung bislang so viel Glück haben durften.
Das von Veenhoven vorgeschlagene Modell geht davon aus, dass die Person insofern aktiv Kontrolle ausübt, als sie Ziele deÀniert und nach Wegen sucht, diese zu verwirklichen. Zur Zielverwirklichung dienen ihr die Ressourcen, zugleich muss sie die bestehenden Lebensbedingungen berücksichtigen: Inwiefern lassen sich unter diesen bestimmte Ressourcen verwirklichen, inwieweit ist deren Verwirklichung erschwert? Bei der DeÀnition von Zielen orientiert sich die Person an ihren
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grundlegenden Werten, die ihrerseits von der Gesellschaft, in der sie lebt, beeinÁusst sind. In der Konzeption von Veenhoven sind zwei Arten von Outcome-Variablen zu differenzieren. Die innerhalb und außerhalb der Person vorhandenen Ressourcen wirken sich zunächst auf die Person, auf deren subjektives WohlbeÀnden und deren Lebenszufriedenheit aus. Des Weiteren wird von Veenhoven hervorgehoben, dass nicht nur die Person selbst, sondern auch ihr soziales Umfeld von der Verfügbarkeit person- und umweltbezogener Ressourcen proÀtiert. Dieser in der graÀschen Darstellung des Modells als „Nutzen“ bezeichnete Aspekt bleibt allerdings im HILDE-Projekt unberücksichtigt. Stattdessen konzentriert sich das Projekt bei der Erfassung von Outcomes individueller Ressourcenkonstellationen auf die Operationalisierung von subjektivem WohlbeÀnden und Lebenszufriedenheit. Das subjektive WohlbeÀnden wird dabei sowohl mit Blick auf aktuelle Affekte und Stimmungen als auch mit Blick auf habituelle Affekte und Stimmungen im Sinne eher überdauernder Persönlichkeitseigenschaften erfasst. Sowohl das subjektive WohlbeÀnden als auch die Lebenszufriedenheit werden mithilfe unterschiedlicher Maße, die zum Teil stärker im Sinne „objektiver“, zum Teil stärker im Sinne „subjektiver“ Indikatoren zu deuten sind, erfasst. Neben der Perspektive der demenzkranken Bewohner berücksichtigt die im HILDE-Projekt vorgenommene Operationalisierung zusätzlich die Perspektive von Angehörigen und PÁegekräften. Des Weiteren wird bei der Operationalisierung der Outcome-Variablen dem Umstand Rechnung getragen, dass sich person- und umweltbezogene Merkmale weniger isoliert und additiv auswirken, sondern in ihrer jeweiligen Bedeutung voneinander abhängen. Solche Person-Umwelt-Interaktionen werden etwa bei der Erfassung des subjektiven WohlbeÀndens dadurch berücksichtigt, dass das
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aktuelle und habituelle Erleben von Affekten auf die individuelle Wahrnehmung speziÀscher Situationen als „positiv valent“, „neutral“ oder „aversiv“ bezogen wird. Ressourcen innerhalb der Person bzw. Verhaltenskompetenzen werden im HILDE-Projekt differenziert erfasst. Verwiesen sei an dieser Stelle insbesondere auf die umfassende gerontopsychiatrische Untersuchung sowie die detaillierte Analyse der selbstständigen und angeleiteten Ausführung von Alltagsaktivitäten. Bei der Erfassung von objektiven Umweltmerkmalen als außerhalb der Person lokalisierte Ressourcen werden öffentliche Räumlichkeiten und das individuelle Wohnumfeld ebenso detailliert abgebildet wie der individuelle Bewegungsradius und das soziale Netzwerk. Das im HILDEProjekt entwickelte Instrument berücksichtigt zudem, dass auch auf der Seite der Ressourcen von Interaktionen zwischen person- und umweltbezogenen Indikatoren auszugehen ist. Als Beispiel sei hier die detaillierte Analyse gefühlsmäßig bedeutsamer Plätze genannt.
Psychosoziale Präferenzen als Ausgangspunkt der Intervention bei Demenz Aktuelle Interventionsansätze zur Förderung der Lebensqualität bei demenziell erkrankten Menschen gehen von der ethisch begründeten Prämisse aus, dass sich die Aufgabe der Betreuung und Versorgung demenzkranker Menschen nicht auf die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse oder die Linderung psychischer und physischer Krankheitssymptome beschränken darf, sondern darüber hinaus demenzkranke Menschen dabei unterstützen muss, ihre psychosozialen Präferenzen möglichst weit zu verwirklichen. Entsprechend wird die Person in ihren
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körperlichen, ihren seelisch-geistigen, ihren sozialkulturellen und ihren existenziellen Bedürfnissen betrachtet. Die Erfassung der individuellen Kriterien eines persönlich zufriedenstellenden Lebens wird als zentrale Aufgabe gewertet. Dabei wird vom EinÁuss gegebener Versorgungskontexte (in ihren räumlichen, sozialen und infrastrukturellen Aspekten) auf die Lebensqualität eines demenzkranken Menschen ausgegangen, wobei die Annahme aufgestellt wird, dass psychosoziale Präferenzen des Individuums einerseits und Merkmale des Versorgungskontexts andererseits zumindest in Teilen in Wechselwirkung stehen: So ist zum Beispiel die Frage, inwieweit speziÀsche soziale und sozialkulturelle oder aber räumliche Angebote positive EinÁüsse auf die Lebensqualität eines Menschen ausüben, nur im Kontext der psychosozialen Präferenzen dieses Menschen zu beantworten. Versorgungskontexte stellen nicht selten eine Quelle von Hindernissen für Selbstständigkeit, Selbstbestimmung, Wertverwirklichung und Teilhabe von Menschen dar, die an einer Demenz erkrankt sind, weshalb sie sich negativ auf deren Lebensqualität auswirken können. Diese Hindernisse resultieren nicht selten aus Vorgaben hinsichtlich der Betreuung und PÁege, die nicht auf den einzelnen Menschen, auf dessen Bedürfnisse und Kompetenzen abgestimmt sind. Des Weiteren sind auch infrastrukturelle Merkmale zu berücksichtigen: die Qualität der medizinischen Diagnostik und die Qualität der Medikamentenverordnung sowie der Grad personenorientierter Betreuung und Versorgung – wie sich dieser im Differenzierungsgrad der Wahrnehmung von Kompetenzen, Einschränkungen, psychosozialen Präferenzen, Veränderungspotenzialen und Veränderungsgrenzen bei demenzkranken Menschen widerspiegelt. In der pÁegewissenschaftlichen Forschung wird der Kommunikation in PÁegekontexten besondere Aufmerksamkeit
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geschenkt. In einer Reihe von Interventionsstudien konnte die Interaktion zwischen PÁegefachkräften und Klienten durch Kommunikations- und Selbstbehauptungstrainings, die ReÁexion von Kommunikationsverhalten, die Förderung von Einfühlungsvermögen und Perspektivenübernahme oder die Vermittlung lösungsorientierter Kommunikationsstrategien verbessert werden. Auf der Basis von Studien zur wechselseitigen Wahrnehmung von Patienten und PÁegefachkräften wurden patienten-, pÁegekraft- und umweltbezogene Kommunikationsbarrieren abgeleitet. Des Weiteren liegen Studien zur Wahrnehmung des Kommunikationsverhaltens von PÁegefachkräften durch die Patienten sowie zu der Frage vor, auf welcher Grundlage PÁegefachkräfte gelungene und misslungene PÁegesituationen differenzieren. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass im Kontext von Analysen zur Lebensqualität auch das von Lawton und Kollegen (1999) erarbeitete Konzept der Lebensbewertung („Valuation of Life“) bedeutsam ist. Lawton trägt mit diesem Konzept einer aktuellen Entwicklung gerontologischer Forschung Rechnung, der zufolge im sogenannten „vierten Lebensalter“, wenn gravierende Einschränkungen eher die Regel als die Ausnahme sind, die subjektiv wahrgenommene Gesundheit und das subjektive WohlbeÀnden als Indikatoren psychischer Gesundheit weniger zweckmäßig sind als in früheren Lebensabschnitten. Stattdessen gewinnt mit der Lebensbewertung ein kognitiv-affektives Schema an Bedeutung, das von Lawton und Kollegen (1999) als „ the extent to which the person is attached to his or her present life, for reasons related to a sense not only of enjoyment and the absence of distress, but also hope, futurity, purpose, meaningfulness, persistence, and self-efÀcacy“ (S. 407) deÀniert wurde. Empirische Befunde deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen der
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objektiven und subjektiven Lebensqualität und dem Wunsch, ein hohes Alter zu erreichen, durch eben jenes kognitiv-affektive Schema vermittelt wird.
Konstrukt 6: Lebensqualität bei körperlicher Krankheit Körperliche Erkrankungen treten im höheren Lebensalter verstärkt auf. Darf man daraus schließen, dass Lebensqualität im Alter reduziert oder gar infrage gestellt ist? Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen zum Konzept Lebensqualität ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass Lebensqualität mehrdimensional zu sehen ist, wobei häuÀg eine körperliche von einer psychischen, sozialen und ökonomischen Dimension unterschieden wird. Andere Zugänge heben, wie wir eben gesehen haben, ab auf die Rolle von Zufriedenheit, die allerdings stets im Ensemble mit Kompetenz und den gegebenen Umweltbedingungen gesehen werden sollte. Lebensqualität sollte zudem nicht ausschließlich als subjektives Phänomen betrachtet werden, sondern beispielsweise auch im Sinne eines sozialen Vergleichs bzw. als „von außen“ gegebene Bewertung von Lebensumständen. Die Innenschau bzw. subjektive Sicht und die Außenperspektive können durchaus erheblich voneinander abweichen. Was hat dies alles nun mit körperlichen Erkrankungen zu tun? Zunächst einmal ist bedeutsam, das der Begriff der Lebensqualität eine vielfach zu Àndende Reduktion von Krankheit auf einen Phänomenbereich, zum Beispiel bestimmte Einschränkungen, Funktionsausfälle oder Schmerzen, überwindet und zu einer ganzheitlichen Sicht auffordert. Zum Zweiten wird deutlich, dass Krankheiten stets mit psychischen
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und sozialen Aspekten einhergehen und erst in einer solch weiteren Sichtweise ihren vollen Charakter entfalten. Zum Dritten ist zu fragen, wie bei körperlichen Krankheiten die Lebensqualität insgesamt gefördert werden kann, das heißt, es geht um einen über das rein kurative Moment hinausgehenden Ansatz. In diesem Zusammenhang ist sehr bedeutsam, dass viele Alterserkrankungen chronischen Charakter besitzen, und bei solch chronischen Erkrankungen weisen die medizinische Forschung und Praxis bislang deutlich weniger Erfolge auf als im Falle von Akuterkrankungen. Alternde Menschen müssen allerdings vielfach lange Zeit, möglicherweise bis zum Ende ihres Lebens, mit solch chronischen Erkrankungen, die nicht selten als Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) erscheinen, leben bzw. leben lernen. Die zentrale Frage geht dahin, wie dies gelingen kann und welche Formen von Interventionen hilfreich sind, um derartige Anpassungsprozesse zu unterstützen. Ein bedeutsamer Ansatz geht von der Überlegung aus, dass es für Menschen mit chronischen Erkrankungen insbesondere darauf ankommt, die mit diesen verbundenen Einschränkungen so in ihr Leben zu integrieren, dass möglichst wenig an Lebensqualität verloren geht. Unterstützt werden kann dies in efÀzienter Weise durch sogenannte Disease-Management-Programme. Diese meist in Gruppen von sechs bis acht Personen durchgeführten Interventionen zielen darauf ab, von anderen zu lernen (Wie gehen diese etwa mit bestimmten Herausforderungen der betreffenden Erkrankung um?), die Rolle von Kognitionen für Emotionen besser zu verstehen (Was geschieht beispielsweise emotional, wenn ich mir sage, dass ich es nicht mehr schaffe?) und deutlicher zu erkennen, dass Emotionalität durchaus steuerbar ist (Was kann ich tun, um mir mehr positive Emotionen zu verschaffen, selbst wenn damit die negativen Affekte infolge der Erkrankung nicht verschwinden?). Auch ist
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der Aspekt der Problemlösung von zentraler Bedeutung, das heißt, es geht darum zu lernen, wie bestimmte Probleme durch Aufspaltung in kleine Schritte und gute Planbildung auch denn bewältigt werden können, wenn chronische Erkrankungen vorhanden sind. Dass es dabei stets auch um Wissen über die jeweilige Krankheit selbst geht, ist im Grunde selbstverständlich. Leben mit altersabhängiger Makuladegeneration: Ein typischer Fall für Disease Management und psychosoziale Edukation Altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist in den Industrienationen die häuÀgste Ursache für sehr schwere Sehverluste im Alter. Jenseits von 80 Jahren ist etwa jede dritte Person von AMD betroffen. Bei dieser Erkrankung verändert sich (degeneriert) die Stelle des schärfsten Sehens auf der Netzhaut, die Makula. In der Folge kommt es vor allem zu Ausfällen des zentralen Sehens. Dies bedeutet, dass das Lesen sehr schwierig wird und es zunehmend schwerfällt, die Gesichter anderer Menschen zu erkennen und die Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen. Die Folgen dieser Veränderungen sind ein ansteigender Verlust in der allgemeinen Selbstständigkeit sowie ein erhöhtes Risiko für depressive Verstimmungen. Die Therapiemöglichkeiten dieser chronischen Erkrankung sind leider weiterhin sehr begrenzt, sodass viele der betroffenen älteren Menschen vor allem vor der Aufgabe stehen, trotz AMD eine möglichst hohe Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Bewährt haben sich auch hier Disease-Management-Programme (manchmal wird auch von Selfmanagement gesprochen; Wahl et al. 2006). Hierzu werden Gruppen von sechs bis acht älteren Menschen mit AMD gebildet, die sich unter Anleitung von Psychologen oder sonst einschlägig gebildeten Professionellen über mehrere Sitzungen hinweg treffen. In der Regel werden Programme angeboten, die über acht bis zehn Wochen laufen, wobei jede
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Sitzung etwa 1,5 bis zwei Stunden dauert. Die Inhalte derartiger Programme können durchaus variieren. In manchen ist beispielsweise die sogenannte progressive Muskelentspannung enthalten, ein Verfahren, bei dem ein Zustand tiefer Entspannung erreicht wird und mit dem auch Ängste behandelt werden können. In allen Programmen steht Problemlösen (man spricht auch von Problem Solving Therapy, PST) im Vordergrund, das heißt, die älteren Betroffenen lernen gemeinsam, wie sie Alltagsprobleme Schritt für Schritt angehen und für sich umsetzen können. Ein solches Alltagsproblem kann beispielsweise darin bestehen, wieder einmal ein Café zu besuchen oder alleine einkaufen zu gehen. Ein wichtiger Teil des Trainings ist stets auch das Einüben von Fertigkeiten, positive Emotionen zu intensivieren, wobei hier die Rolle der Kognition überaus bedeutsam ist. Wenn sich Betroffene beispielsweise mehrmals am Tag den Satz „Ich werde nie mehr selbstständig sein“ sagen, wirkt sich dies natürlich nicht positiv auf ihre Emotionalität aus. Sehr hilfreich ist schließlich in solchen Programmen der Aspekt des Modelllernens, also zu sehen, wie andere Betroffene mit der Erkrankung umgehen und welche Erfahrungen im Umgang mit AMD sie als hilfreich oder weniger hilfreich erfahren haben. Kontrollierte Studien haben zwischenzeitlich mehrfach gezeigt, dass solche Trainings die Anpassung an die Sehbehinderung deutlich unterstützen können. Auch fand man eine Reduktion depressiven Erlebens und einen Anstieg in positiven Affekten. Allerdings sind mit solchen Interventionen bestimmte allgemeine Anforderungen verbunden, die nicht jeder oder jede ohne Weiteres bewältigen kann. So Ànden derartige Trainings zum Beispiel in Augenkliniken statt, was voraussetzt, dass die Betroffenen diesen Ort erreichen können bzw. von Angehörigen entsprechend unterstützt werden. Zudem muss man wissen, dass es solche Angebote gibt, und hier sind in der Regel besser gebildete ältere Menschen im Vorteil.
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Es steht zu erwarten, dass in einer alternden Gesellschaft Disease Management eine außerordentlich bedeutsame Funktion übernimmt, das heißt, es geht um die systematische Vermittlung von Kompetenzen mit dem Ziel eines besseren und damit auch die Lebensqualität erhöhenden Umgangs mit der Erkrankung. Wiederum können wir hier anschließen an die Einsicht, dass Altern, vor allem Hochaltrigkeit, mit Anforderungen verbunden ist, die wir nicht so ohne Weiteres „aus dem Ärmel schütteln“. An dieser Stelle werden Disease-Management-Programme sehr wichtig. Sie können zudem Kosten sparen, beispielsweise indem die Einnahme von Psychopharmaka reduziert wird.
Konstrukt 7: Lebensqualität bei psychischer Krankheit Psychische Erkrankungen gehören insgesamt zu den vernachlässigten und weniger „anerkannten“ Krankheiten. Dies gilt mit Sicherheit auch in Bezug auf ältere Menschen. An der Behandlungsbedürftigkeit und -fähigkeit von psychischen Erkrankungen wird heute allerdings nicht mehr gezweifelt. Insbesondere stellt Psychotherapie jene Behandlungsform dar, bei der es darum geht, mittels eines evidenzbasierten und planvollen Handelns von entsprechend gut ausgebildeten Professionellen, in der Regel Psychologinnen und Psychologen und Fachärztinnen und Fachärzte für Psychotherapie, eine deutliche Linderung bis hin zur Symptomfreiheit zu erzielen bzw. Lebensqualität systematisch zu optimieren (Wahl & Zank 2006). Psychotherapien werden heute bei einer Vielfalt von psychischen und psychosomatischen Störungen erfolgreich
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durchgeführt. Zu den häuÀgsten psychischen Störungen bzw. Störungsgruppen im Alter gehören demenzielle und depressive Erkrankungen. In der Berliner Altersstudie wurde für die über 70-Jährigen eine Demenzprävalenz von 17 % festgestellt. Der Anteil depressiver Störungen lag bei 9 %. Angststörungen wurden bei 5 % der Studienteilnehmer festgestellt. Nimmt man die oft unterschätzten subdiagnostischen depressiven Verstimmungen hinzu, erhöht sich die Prävalenz sogar auf 27 %. Insgesamt wird der Anteil an medikamentös, psychotherapeutisch oder anderweitig behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen im Alter auf etwa 25 % geschätzt. Dennoch gehen Experten von einer erheblichen Unterversorgung älterer Menschen im Bereich Psychotherapie aus. Einem geschätzten psychotherapeutischen Behandlungsbedarf von etwa 10 % steht eine reale Inanspruchnahme gegenüber, die insgesamt bei höchstens 1 % liegen dürfte. Ein Grund für diese Unterversorgung liegt darin, dass alle psychotherapeutischen Schulen es lange Zeit für undenkbar hielten, mit älteren Patienten Psychotherapien durchzuführen. Sie begründeten diese Ablehnung mit angeblicher Entwicklungsunfähigkeit alter Menschen und der begrenzten Zeitperspektive im Alter. Ein weiterer Grund liegt in einem immer noch vorhandenen, generellen Therapiepessimismus in Bezug auf Ältere. In diesem Zusammenhang ist es nun allerdings sehr bedeutsam zu wissen, dass die Wirksamkeit von Psychotherapie auch für Ältere in kontrollierten Studien, in denen der Erfolg von Psychotherapien kontrolliert (vielfach im Sinne eines RCT) untersucht wurde, belegt ist. Hierzu liegen zwischenzeitlich sogar so viele Studien vor, dass man diese wiederum systematisch integrieren muss (Metaanalysen), um ihren Aussagegehalt besser zu verstehen und zu einem Gesamtbild zu gelangen. Auch Metaanalysen bestätigen recht eindeutig, dass
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kein Zusammenhang besteht zwischen der Wirksamkeit der Psychotherapie und dem kalendarischen Alter. Mit anderen Worten: Psychotherapien wirken bei Älteren im Schnitt genauso gut wie bei jüngeren Menschen. In der Bundesrepublik werden tiefenpsychologische Verfahren/Psychoanalyse und Verhaltenstherapien von den Krankenkassen bezahlt. Aus tiefenpsychologischer Sicht können alte Menschen unverändert an ungelösten innerpsychischen KonÁikten, pathologischen Beziehungserfahrungen und Traumatisierungen leiden. Insofern unterscheidet sich das höhere Alter nicht von Erwachsenen in anderen Altersphasen. Dies bedeutet, dass je nach theoretischer Ausrichtung dieselben Kriterien für Diagnose und Indikation zur Psychotherapie gelten wie bei jüngeren Erwachsenen. Die klassische Verhaltenstherapie versucht demgegenüber primär eine Veränderung beobachtbaren Verhaltens durch spezielle Übungen. Die heute dominierende kognitive Verhaltenstherapie zielt auf eine Veränderung kognitiver Strukturen wie Gedanken, Einstellungen und Bewertungen ab, die Verhalten und Erleben entscheidend beeinÁussen. Sie geht davon aus, dass beispielsweise depressives Erleben durch dysfunktionale Grundannahmen (zum Beispiel „Ich muss immer alles perfekt machen“; „Im Alter soll man nichts mehr vom Leben erwarten“) und verzerrte Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster verursacht und aufrechterhalten wird. Allerdings muss dies nicht bedeuten, dass die Emotionalität in solchen Psychotherapieverfahren vernachlässigt wird, im Gegenteil, das Arbeiten mit Emotionen spielt heute auch in der kognitiven Verhaltenstherapie eine sehr bedeutsame Rolle. Gerade in Bezug auf ältere Menschen gilt es aber auch, schulübergreifende Therapieziele gut im Auge zu behalten. Typische Beispiele hierfür sind: Fördern von Selbstständigkeit
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und Eigenverantwortung, Verbessern sozialer Fähigkeiten, stärkeres Berücksichtigen des Körpers (in Krankheit und auch Gesundheit), Klären intra- und intergenerationeller Schwierigkeiten, Akzeptanz des gelebten Lebens, Bearbeitung der Verlustthematik, Auseinandersetzung mit Altern, Sterben und Tod, Fördern des Gegenwartsbezugs, Erarbeiten praktischer Lösungen. Insgesamt stellt sich heute die Forschungslage so dar, dass es keine bedeutsamen Unterschiede in der generellen Wirksamkeit solcher Psychotherapieverfahren bei älteren Menschen gibt. Allerdings scheinen Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie besser dazu geeignet zu sein, störende und belastende Problemverhaltensweisen, etwa Ängste in sozialen Kontexten oder Ängste in bestimmten Situationen (zum Beispiel Fahrstuhlbenutzung, Überqueren von großen Plätzen), abzubauen bzw. neues Verhalten (zum Beispiel auf andere Menschen zuzugehen, um Einsamkeit zu überwinden) aufzubauen. Zunehmend stellt sich im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung auch ein Effekt dahingehend ein, dass Ältere diese Behandlungsform zunehmend als eine für sie wichtige entdecken bzw. in Anspruch nehmen.
Konstrukt 8: Rehabilitation Geriatrische Rehabilitation wurde von Anfang an nicht nur als Set an Methoden, sondern auch als eine Philosophie im Hinblick auf Veränderungsmöglichkeiten des kranken und alten Menschen betrachtet. Diese Einsicht ist sehr bedeutsam gewesen, denn lange Zeit wurde der Begriff der Rehabilitation nahezu ausschließlich in Bezug auf jüngere Menschen gebraucht. Es ging primär um die Wiederherstellung der Be-
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rufsfähigkeit. Ältere Menschen kamen in einem solchen Verständnis von Rehabilitation einfach nicht vor. Heute hingegen spielen sie durchaus in sehr deutlicher Weise in rehabilitativem Denken und auch in der Rehabilitationspraxis eine Rolle. Ausschlaggebend für diese erfreuliche Entwicklung war zum Ersten die Einsicht, dass Lebensqualität durchaus nicht ausschließlich von Berufsfähigkeit geprägt ist, sondern eben auch von sozialen Aspekten, etwa der Fähigkeit, nach einer schweren Erkrankung, etwa eines Schlaganfalls, möglichst rasch wieder möglichst intensiv an seiner Mitwelt Anteil zu nehmen – der Aspekt der Partizipation. Ausschlaggebend war zum Zweiten empirische Evidenz, die den Erfolg von geriatrischer Rehabilitation unterstützte. Auch hier zeigte sich insgesamt recht deutlich, dass es nur nachgeordnet das chronologische Alter ist, das den jeweils erzielten Rehabilitationserfolg vorhersagen konnte. Bedeutsamer ist die Schwere der mit dem Akutereignis eingetretenen Schädigungen (prototypisch: hirnorganischer Schädigungen nach einem Schlaganfall), die seit dem Eintritt des Akutereignisses vergangene Zeit (diese sollte so kurz wie möglich nach erfolgter Akutbehandlung sein), das Vorliegen von depressiven Verstimmungen und Ängsten (diese können die Rehabilitationsmotivation und die Übungsbereitschaft deutlich unterminieren) und von kognitiven Verlusten (diese sind mitentscheidend für neues Lernen, eine entscheidende Komponente geriatrischer Rehabilitation). Von hoher Relevanz sind auch das soziale Umwelt (Fördert beispielsweise der Ehepartner selbstständiges Verhalten oder eher nicht?) und die physische Umgebung (Was nützt das beste Treppentraining in der Klinik, wenn im Treppenhaus der eigenen Wohnung Geländer fehlen, risikoreiche Teppiche verlegt sind und die Beleuchtung sehr schlecht ist?).
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Bedeutsam ist zum Dritten, dass in den letzten zehn bis 15 Jahren das geriatrische Rehabilitationssystem in Deutschland sehr massiv ausgebaut wurde, sodass diese Behandlungsform heute zu einer Standardbehandlung geworden ist. Dennoch ist es so, dass insgesamt eine Rehabilitationsorientierung (eben die „Philosophie“-Komponente geriatrischer Rehabilitation) vielfach, etwa bei Hausärzten oder in PÁegeheimen, noch zu wünschen übrig lässt. Insofern wird die starke Evidenz im Hinblick auf die positiven Wirkungen von Rehabilitation in Bezug auf die Mehrzahl von betroffenen Älteren heute wohl immer noch längst nicht genügend ausgeschöpft.
Konstrukt 9: Pflegequalität Alle Befunde und Einsichten zu den Möglichkeiten und Potenzialen des heutigen Alterns können und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Altern zunehmend mit dem Auftreten von Lebenslagen verbunden ist, in denen nicht selten längerfristig gute PÁege notwendig ist. PÁege als eine traditionelle Form der Sorge und Hilfe in Lebenssituationen, in denen Betroffene nicht mehr zu einem selbstständigen Leben in der Lage sind, ist deshalb in unserer alternden Gesellschaft so aktuell wie nie zuvor. Grundlegend ist der Anspruch guter PÁege, einen Spagat zu bewerkstelligen zwischen der unmittelbar notwendigen Unterstützung, etwa im Bereich der grundlegenden körperlichen Funktionen des Waschens, Badens und Anziehens, und der gleichzeitigen Befähigung der betroffenen älteren Menschen zu möglichst hoher Eigenständigkeit und der möglichst efÀzienten Rückgewinnung von verloren gegangenen Kompetenzen – seien diese auch noch so „gering“ (etwa wieder die Zähne putzen und sich wieder alleine die
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Brust waschen zu können). Allerdings sind, wie Studien und ein ausgiebiges Praxiswissen zeigen, solche „geringen“ PÁegeerfolge für ältere Menschen überaus bedeutsam. Sie werden sehr bewusst als positive Veränderung wahrgenommen, an die sie vielfach schon gar nicht mehr geglaubt hatten. Eine hohe PÁegequalität hängt insofern in sehr direkter Weise mit einer hohen Lebensqualität in einer insgesamt sehr fragilen Lebenssituation zusammen. Es ist in diesem Zusammenhang wohl insgesamt eine sehr positive Entwicklung, dass seit etwa zwei Jahrzehnten auch in Deutschland, ähnlich wie dies in England, in den USA und in den skandinavischen Ländern bereits vor längerer Zeit geschehen ist, eine Akademisierung der PÁege, nicht zuletzt auch der AltenpÁege, zu beobachten ist. Dies ist einmal wichtig im Hinblick auf die Bedeutung von PÁege, die bis heute sehr gerne als nachgeordneter Hilfsberuf des medizinischen Systems betrachtet wird. Zum anderen hat die Akademisierung eine Reihe neuer Forschungsprojekte und Forschungsbestrebungen mit pÁegewissenschaftlichem Hintergrund ausgelöst, die in den unterschiedlichsten Bereichen (zum Beispiel Ernährung, Mobilität, Sturzprophylaxe, Wundbehandlung, Arbeit mit an Demenz Erkrankten, Umgang mit Sterbenden) zu hochbedeutsamen Optimierungen in der PÁegepraxis geführt haben. Die sich langsam aber sicher verstärkende Liaison zwischen Professionellen in der PÁege, Akteuren der medizinischen Versorgung einschließlich Krankengymnastik, Ergotherapie und Sprachtherapie und psychosozial orientierten Berufen gehört mit Sicherheit zu den kritischen und besonders wichtigen „neuen“ Konstellationen an Berufen, die für eine alternde Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Auch ist es wichtig, die Rahmenbedingungen und Belastungen der PÁegeberufe sehr gut im Auge zu behalten. Ge-
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sprochen wird seit einigen Jahren wohl zu Recht von einer GratiÀkationskrise der PÁegeberufe, die sich neben einer bescheidenen Entlohnung in geringem beruÁichem Prestige, geringer gesellschaftlicher Wertschätzung und starker Diskreditierung durch vor allem an einer an Skandalen ausgerichteten Medienberichterstattung materialisiert. Die entscheidende, globale Intervention auf gesellschaftlicher und politischer Ebene muss wohl schon in der nahen Zukunft dahingehen, diese GratiÀkationskrise deutlich zurückzufahren, um diese zentrale Ressource einer alternden Gesellschaft zu stärken – und nicht weiter zu schwächen. Dies muss einhergehen mit vielfältigen Aktivitäten auf der Mikroebene, wie Supervisionsangeboten und reichhaltigen Weiterbildungsmöglichkeiten. Natürlich darf bei all diesen Überlegungen nicht vergessen werden, welch bedeutsame Rolle Angehörige im Bereich der AltenpÁege spielen. Viele Studien haben mittlerweile gezeigt, dass pÁegende Angehörige, speziell jene, die Demenzkranke pÁegen, einem erhöhten Risiko von psychischer und körperlicher Erkrankung ausgesetzt sind. Nicht selten sind vor allem die Spannungen zwischen einer hohen PÁegemotivation und einem hohen Einsatz in der PÁege auf der einen Seite und den eigenen Lebenszielen, Karrierewünschen und VerpÁichtungen gegenüber dem eigenen Partner und den eigenen Kindern auf der anderen Seite so stark ausgeprägt, dass erhebliche psychische Dauerbelastungen die Folge sind. Interventionen vor allem in Gestalt von Angehörigengruppen sind hier von großer Bedeutung, jedoch nimmt nur eine relativ geringe Minderheit solche Angebote tatsächlich in Anspruch (vgl. Kapitel 16). Ferner zeigen vorliegende Studien, dass die Wirksamkeit solcher Angebote deutlich begrenzt ist, vor allem in Bezug auf jene Angehörigen, die demenzerkrankte Familienmitglieder pÁegen. Eine Erklärung hierfür liegt wohl darin, dass selbst
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die besten Angebote stets damit konfrontiert sind, dass Angehörige wieder zurück in eine Lebenssituation gehen müssen, in der die „Stressoren“ weiter vorhanden sind oder, bei Fortschreiten der Demenzerkrankung, sogar noch zunehmen. Da weiterhin etwa 80 % aller älteren PÁegebedürftigen primär von Familienangehörigen gepÁegt werden, könnte man an dieser Stelle von einer Art Achillesferse einer alternden Gesellschaft sprechen. Die Verletzlichkeit der Ressource Familie bedarf höchster Aufmerksamkeit, und die Stützung dieser Ressource muss höchste Priorität genießen. Die bisherigen Formen der Angehörigengruppen scheinen hierfür nicht ausreichend zu sein. Sie müssen ergänzt werden durch „zugehende“ Unterstützungsangebote und möglicherweise auch die verstärkte Nutzung von neuen Technologien wie dem Internet als einem noch unternutzten Kommunikations- und Beratungsforum.
Konstrukt 10: Räumliche Umweltoptimierung Wohnen ist ein so allgegenwärtiges Phänomen, dass es viel mit dem Verlauf des Alterns zu tun haben sollte (Wahl & Oswald 2008). Wie stellt sich aber die empirische Evidenz dar? Sehr sicheren empirischen Boden betreten wir, wenn wir in Bezug auf objektive Wohnfaktoren krank machende Schadstoffe und sonstige Belastungsfaktoren betrachten: Schimmelpilzbefall sowie Probleme mit der Luft- und Wasserqualität treten in Wohnungen/Häusern Älterer gehäuft auf, weil es sich insgesamt häuÀg um veralteten Baubestand handelt. Die Rolle von extrem hohen oder niedrigen Temperaturen in der Wohnung in der Folge entsprechender Außenverhältnisse und der je gegebenen Heiz- oder Kühlungsmöglichkeiten sind ebenfalls in
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den Wohnungen von Älteren gar nicht so selten. Sie können zu einer Exzessmortalität, also zu einem überdurchschnittlichen Anstieg der Todesrate, führen, wie uns die Hitzewelle am Beispiel Frankreichs im Jahre 2003 überdeutlich und geradezu beängstigend vor Augen geführt hat. In Bezug auf die Wirkung von Lärm besteht zwar in der Literatur Einigkeit darüber, dass hier ein genereller Stressfaktor vorliegt, der gesundheitliche Auswirkungen haben kann, jedoch sind die Ergebnisse im Hinblick auf eine immer wieder zu Àndende Hypothese, Älteren seien in dieser Beziehung besonders verletzlich, inkonsistent. Ältere scheinen allerdings häuÀger als Jüngere Schlafstörungen in Folge von Lärm aufzuweisen. Ebenfalls relativ sicheren empirischen Boden betreten wir im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen Barrieren im Wohnbereich und der Selbstständigkeit in Alltagsdingen und, allerdings weniger deutlich, in Bezug auf die SturzhäuÀgkeit. Auch wenn zumindest in den westlichen Industrienationen heute eine „moderne“ Wohnausstattung, speziell Áießend Kalt- und Warmwasser, separates Bad und Zentralheizung, bei Älteren die Regel ist, so liegen doch im Detail, und zwar relativ unabhängig von der Hochwertigkeit der Wohnung/des Hauses insgesamt bzw. vom sozioökonomischen Status der Beteiligten, häuÀg noch viele Barrieren, fehlende Unterstützungselemente in Wohnungen bzw. potenzielle Stolperfallen vor. In einer Studie, in der allein lebende Hochaltrige zwischen 80 und 89 Jahren in der Region Heidelberg/Mannheim untersucht wurden, fehlten Haltegriffe im Bad zwar nur in 23 % der Fälle, aber bei genauem Hinsehen und Abmessen zeigte sich, dass sie bei 18 % der besuchten Personen zu hoch und bei weiteren 45 % zu niedrig angebracht waren und damit weitgehend nutzlos blieben. Waschbecken, die nur im Stehen genutzt werden können, fanden wir in 76 % der Wohnungen. HäuÀge
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Schwachstellen in den Wohnungen waren ferner zu hohe oder zu tiefe Wandschränke und Regale, rutschige GehÁächen und schwer überwindbare Badewannen anstelle von bodengleiche Duschen. Im Übergangsbereich von außen nach innen fehlten am häuÀgsten Handläufe im Treppenbereich und Aufzüge; zudem waren Treppenstufen zu hoch, zu niedrig oder unregelmäßig und Außentüren waren zu schwer oder schlossen zu schnell. Im Nahbereich außerhalb der Wohnung betrafen die häuÀgsten Schwachpunkte fehlende Sitzgelegenheiten, schwer zugängliche Mülltonnen und unebene WegoberÁächen. Zu fragen ist nun, ob bedeutsame Zusammenhänge oder gar ursächliche Beziehungen zwischen dem Vorliegen von solchen Umweltbarrieren und gesundheitlichen Folgen wie Selbstständigkeitsverlusten in den Aktivitäten des täglichen Lebens oder Stürzen existieren. Betrachtet man alle weltweit hierzu vorgelegten, qualitativ hochwertigen Studien, so zeigt sich, dass es hier konsistent einen relativ starken Zusammenhang gibt, vor allem auch dann, wenn man sich Untersuchungen ansieht, welche die Wirkung direkter Wohnraumanpassungsmaßnahmen betrachtet haben: Diese führen zu einer bedeutsamen Steigerung der Selbstständigkeit und demzufolge zur Entlastung von Angehörigen. Nicht ganz so deutlich sind die Ergebnisse in Bezug auf Stürze. Stürze im Alter sind Ereignisse, die vielfach determiniert sind, das heißt, hier greifen viele Ursachen in komplexer Weise ineinander: Medikamente, Sehstörungen, depressive Verstimmungen, Gehschwierigkeiten, Balanceprobleme – und sicher auch Wohnmerkmale. Allerdings darf die subjektive Seite des Alterswohnens keineswegs vernachlässigt werden. So können allzu hohe und unÁexible Bindungen an die Wohnung den notwendigen Umzug bzw. notwendige deutliche Anpassungen der Wohnung verhindern. Dies können etwa jene Situationen sein, in denen
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das tiefe und lebensqualitätsunterstützende Gefühl des „Gutaufgehoben-Seins“ in den eigenen vier Wänden durch einen Sturz jäh unterbrochen wird – und dies am Ende den endgültigen Abschied von den (bisherigen) eigenen vier Wänden einläuten kann. Schließlich können sogenannte neue Wohnformen durchaus als Altersinterventionen betrachtet werden. Vieles spricht dafür, dass Wohnformen wie das Mehrgenerationenwohnen, Wohngemeinschaften oder sonstige Formen des selbstbestimmten Wohnens spürbaren EinÁuss nehmen auf eine neue Kultur des Alterns in unserer Gesellschaft, auch wenn der Anteil der Älteren, die in solchen Wohnformen leben, noch sehr gering ist (unter 1 % der über 65-Jährigen). Solch neue Wohnformen ermöglichen bislang noch wenig erprobte Formen des Generationenaustauschs bzw. die Entwicklung von noch wenig erprobten Möglichkeiten des Austauschs von älteren Menschen untereinander. Persönlicher Blick auf das Alter Wo will ich wohnen, wenn ich Pflege brauche? Andreas Kruse: Am liebsten natürlich in der eigenen Wohnung. Und doch könnten sich meine Frau und ich uns auch vorstellen, in einer Einrichtung der Altenhilfe zu leben. Entscheidend ist, dass uns die Freiräume und die intimen Räume nicht genommen werden. Beruflich sowie bei schwerer Krankheit in unserer Familie haben wir die Erfahrung gemacht, dass dieser Respekt vor dem Wunsch nach Freiräumen und intimen Räumen auch in Einrichtungen der Altenhilfe gewahrt bleibt. Man muss sich nur nach der richtigen Einrichtung umschauen. Hans-Werner Wahl: So lange wie möglich im eigenen Haus zu bleiben, das wäre uns sehr wichtig. Wir haben auch schon Pläne, in welcher Form eine möglicherweise notwendig werdende Pflegeperson bei uns mitwohnen könnte, ohne dass unsere Intimität
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beeinträchtigt werden würde. Eine Idee, die wir eine Zeitlang verfolgt hatten und die vielleicht einmal Gestalt annehmen könnte, wäre eine Form des gemeinschaftlichen Wohnens und Alterns. Wir haben einige sehr gute Freunde, mit denen wir uns dies in optimaler Weise vorstellen könnten, wobei wir sicher unseren eigenen Bereich sehr benötigen, aber dies ist bei derartigen „neuen“ Wohnmodellen ja heute selbstverständlich.
Konstrukt 11: Sterben Todesursachen Folgt man den Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, dann bilden die Krankheiten des Kreislaufsystems für beide Geschlechter jeweils mit Abstand vor bösartigen Neubildungen (Krebserkrankungen) die häuÀgste Todesursache. Bei einer geschlechtsspeziÀschen Betrachtung fällt auf, dass deutlich mehr Frauen als Männer an Krankheiten des Kreislaufsystems, an endokrinologischen Krankheiten, an Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie an Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes sterben, während psychische Störungen und Verhaltensstörungen, Verletzungen, Vergiftungen und andere äußere Ursachen sowie Unfälle (vor allem Verkehrsunfälle) bei Männern deutlich häuÀger als bei Frauen zum Tode führen. Eine für Frauen und Männer ähnliche Rangreihe der häuÀgsten Todesursachen Àndet sich auch dann, wenn man nur die 60-jährigen und älteren Menschen betrachtet. Eine altersgruppenspeziÀsche Betrachtung zeigt, dass Krankheiten des Kreislaufsystems mit fortschreitendem Alter gegenüber bösartigen Neubildungen an Bedeutung gewinnen. Bei den Frau-
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en bilden Kreislauferkrankungen ab der Altersgruppe 70 bis 74 Jahre die häuÀgste Todesursache, bei den Männern bereits ab der Altersgruppe 65 bis 69 Jahre. Die Anzahl der auf Krankheiten des Kreislaufsystems zurückgehenden Todesfälle nimmt bei Frauen zwischen dem 60. und 90. Lebensjahr kontinuierlich zu. Bei den Männern nimmt die Anzahl der Sterbefälle infolge von Kreislauferkrankungen ebenfalls bis zur Altersgruppe 75 bis 79 Jahre zu, allerdings ist die Steigerungsrate mit jener der Frauen nicht vergleichbar. Für die bösartigen Neubildungen Àndet sich sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern eine kontinuierliche Zunahme bis zur Altersgruppe 75 bis 79 Jahre, der darauffolgende Abfall der absoluten Sterbeziffern ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Vor allem an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, jedoch auch an bösartigen Neubildungen und Krankheiten des Atmungssystems sterben Frauen in einem höheren Alter als Männer. Bis zur Altersgruppe 70 bis 74 Jahre sterben mehr Männer als Frauen an Krankheiten des Kreislaufsystems und bösartigen Neubildungen, während in den höheren Altersgruppen die Anzahl der Frauen zum Teil deutlich überwiegt. Krankheiten des Atmungssystems treten bis zur Altersgruppe 75 bis 79 Jahre bei Männern häuÀger, bis zur Altersgruppe 70 bis 74 Jahre mehr als doppelt so häuÀg auf wie bei Frauen, während ab der Altersgruppe 85 bis 89 Jahre die Anzahl entsprechender Todesfälle von Frauen deutlich überwiegt. Genetische Determinanten bilden eine mögliche Ursache für die geschlechtsspeziÀschen Mortalitätsraten. So haben Frauen gerade im Hinblick auf Kreislauferkrankungen und die dafür hauptverantwortliche Arteriosklerose einen nachweisbaren Schutz durch ihren Hormonhaushalt. Bei Frauen sind bis zum etwa 50. Lebensjahr die Cholesterinwerte niedriger
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und der HDL-Spiegel höher als bei Männern gleichen Alters (das Lipoprotein gilt als Schutzfaktor gegen koronare Herzerkrankung). Der positive Effekt von Östrogen auf den Fettstoffwechsel dürfte eine der biologischen Hauptursachen für den beschriebenen Geschlechtsunterschied bei den Todesraten durch Kreislauferkrankungen sein. Denn nach der Menopause nimmt dieser Vorteil der Frauen kontinuierlich ab, bis schließlich im höheren Alter das Risiko für Frauen größer ist. Weiterhin sind psychosoziale EinÁussfaktoren zu nennen. Gerade bei den Erkrankungen des Kreislaufsystems, aber auch bei den Erkrankungen des Atmungssystems ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit stark von Risikofaktoren (hier sind vor allem sogenannte Lifestyle-Faktoren zu nennen) abhängig, die in höheren Altersgruppen bei Männern vergleichsweise häuÀger angetroffen werden. Als weiterer Erklärungsansatz kommen geschlechtsspeziÀsche Konzepte von Gesundheit und Krankheit in Betracht, die sich möglicherweise auf der Grundlage klassischer bipolarer Geschlechtsrollen entwickeln. In einer Studie von Horst Bickel (1998) wurden über einen Zeitraum von zwölf Monaten alle Sterbefälle in der Altenbevölkerung der Stadt Mannheim berücksichtigt. Per Zufallsverfahren wurde eine 40%-Stichprobe gezogen, für die detaillierte Auskünfte über das letzte Lebensjahr eingeholt wurden. Die Daten wurden in Form eines standardisierten Informanteninterviews mit den engsten Angehörigen und Hinterbliebenen erhoben. Diese Studie gibt einen umfassenden Überblick über die Lebenssituation älterer Menschen im letzten Lebensjahr und soll aus diesem Grunde ausführlicher dargestellt werden. Die Ergebnisse lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen: Das durchschnittliche Sterbealter in der Grundgesamtheit der Verstorbenen lag bei 80,2 Jahren und reichte von 65 bis zu
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108 Jahren. Die Frauen waren um knapp vier Jahre älter als die Männer (Mittel 81,8 Jahre zu 77,9 Jahren). Insgesamt waren 28,6 % der Verstorbenen zur Zeit ihres Todes Bewohner eines Heimes. Bei den Männern nahm der Heimbewohneranteil von 4,5 % in der Altersgruppe 65 bis 69 Jahre auf 50 % in der Altersgruppe 95+ zu, bei den Frauen von 8,5 % auf 55,4 %. 41 % der Heimbewohner verbrachten nur einen Teil des letzten Lebensjahres in stationärer Betreuung, das heißt, sie verstarben noch innerhalb von zwölf Monaten nach dem Heimeintritt. Auf Männer traf dies in 51,7 %, auf Frauen in 37,6 % der Fälle zu. Das gesamte letzte Lebensjahr über befanden sich 16,9 % der Verstorbenen in einem Heim – 8,2 % der Männer und 22,9 % der Frauen. 23,5 % der in Privathaushalten lebenden Männer und 61,9 % der in Privathaushalten lebenden Frauen lebten in einem Einpersonenhaushalt. 35,7 % der in Privathaushalten lebenden Männer und 40,6 % der in Privathaushalten lebenden Frauen nahmen ambulante Hilfsdienste in Anspruch.
Suizid Mit zunehmendem Alter sinkt zwar der Anteil von Suiziden an allen Todesursachen – auch in Deutschland bestätigt sich der europaweite Trend einer insbesondere in den Altersgruppen zwischen 15 und 45 Jahren hohen Sterblichkeit durch Suizid –, die absolute Zahl der Sterbefälle und die altersspeziÀschen Sterberaten je 100 000 Einwohner steigen hingegen deutlich. Zwischen dem 20. und 70. Lebensjahr steigt sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern die Anzahl der Sterbefälle durch Suizid je 100 000 Einwohner kontinuierlich an, wobei in allen Altersgruppen unter den Männern deutlich mehr Suizide auftreten. Der ab dem achten Lebensjahrzehnt zu beob-
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achtende beschleunigte Anstieg in der Anzahl der Sterbefälle je 100 000 Einwohner ist in der Gruppe der Männer deutlich stärker ausgeprägt als in der Gruppe der Frauen. Unter den Männern steigt die Anzahl der Selbsttötungen je 100 000 Einwohner von 26,1 in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen über 44,8 in der Altersgruppe der 75- bis 79-Jährigen auf 81,9 in der Altersgruppe der 85- bis 89-Jährigen, unter den Frauen von 9,7 in der Altersgruppe der 65- bis 69Jährigen über 14,4 in der Altersgruppe der 75- bis 79-Jährigen auf 23,5 in der Altersgruppe der 85- bis 89-Jährigen. Während bei den Frauen nach dem neunten Lebensjahrzehnt ein leichter Rückgang auf 22,3 in der Altersgruppe der über 90Jährigen zu beobachten ist, steigt die Anzahl der Suizide je 100 000 Einwohner unter den Männern auch im sehr hohen Alter weiter an: Von 100 000 über 90-Jährigen schieden im Jahre 2004 92,8 freiwillig aus dem Leben. Nach Depression und Suchtmittelabhängigkeit imponiert das Alter als dritthäuÀgste Gefährdungskategorie einer suizidalen Entwicklung. Gleichzeitig wird die Differenz zwischen Suizidhandlung und vollendetem Suizid mit steigendem Lebensalter immer geringer. Vor allem Frauen begehen Suizid zumeist in einem höheren Lebensalter. 65,3 % der von Frauen im Jahre 2006 verübten Suizide entfallen auf die Altersgruppe der über 50-Jährigen; bei den Männern lag der entsprechende Anteil bei 57,8 %. Dies spiegelt sich auch in einem vergleichsweise hohen durchschnittlichen Sterbealter wider. Während 1980 das durchschnittliche Sterbealter durch Suizid noch bei 52,3 Jahren lag (Männer: 49,7 Jahre; Frauen: 57,0 Jahre), hatte sich dieses für das Jahr 2006 um 3,5 Jahre auf 55,8 Jahre erhöht (Männer: 54,7 Jahre; Frauen: 59,0 Jahre). Die Zahl der Suizide in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Im Jahr 1980 lag die Zahl der
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Suizide je 100 000 Einwohner noch bei 24,6, bis zum Jahre 2004 ist ein Rückgang auf 12,2 zu verzeichnen. In der Europäischen Union sank die Anzahl der Suizide je 100 000 Einwohner unter den Männern von 16,1 für die Jahre 1980 bis 1985 auf 14,1 für die Jahre 1995 bis 1998. Bei den Frauen nahm sie in derselben Zeitspanne von 6,5 auf 4,6 ab. Gestiegen sind die Suizidraten in vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks, aber auch in Irland. So ist insbesondere in Russland ein Anstieg der Suizide junger Männer von 37,7 je 100 000 Einwohner in den Jahren 1985 bis 1989 auf 58,3 je 100 000 Einwohner in den Jahren 1995 bis 1998 zu verzeichnen. Diese Daten verdeutlichen, dass sich in der Entwicklung von Suizidraten auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen widerspiegeln: Im Laufe von Rezessionsphasen steigen die Suizidraten an, in Prosperitätsperioden sinken sie wieder; in wirtschaftlich schlechter gestellten, sozial weniger gut integrierten Gruppen Ànden sich höhere Suizidraten. Die in höheren Altersgruppen größere relative Anzahl an Suiziden wurde entsprechend vor allem aus soziologischer Perspektive mit einer unzureichenden Ausstattung älterer Menschen mit Ànanziellen Ressourcen und insbesondere mit alterskorrelierten IntegrationsdeÀziten erklärt. Dabei wurde vor allem dem Familienstand und familiären Netzwerken, aber auch anderen sozialen Beziehungen besondere Bedeutung beigemessen. Da die Angehörigen unterschiedlicher Altersgruppen häuÀg nicht in gleicher Weise von Prozessen sozialen Wandels und wirtschaftlichen Entwicklungen betroffen sind, kann die Entwicklung der Suizidraten in unterschiedlichen Altersgruppen durchaus unterschiedlichen Trends folgen. So wird in einer kürzlich erschienenen Studie berichtet, dass in den USA die Suizidraten unter den 40- bis 64-jährigen weißen Männern zwischen 1999 und 2005 um jährlich 3 %, unter den 40- bis 64-jährigen weißen Frauen sogar um jährlich 4 % zugenom-
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men haben, während die Suizidraten in dieser Altersgruppe für andere ethnische Gruppen zum Teil gleich geblieben sind, zum Teil auch – dem Gesamttrend für die USA folgend – abgenommen haben. Für England und Wales wird ebenfalls eine altersgruppenspeziÀsche Entwicklung von Suizidraten berichtet: Während sich das Suizidrisiko der 25- bis 34-Jährigen zwischen 1950 und 1998 verdoppelt hat, ist es in der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren um zwei Drittel gesunken. Der europaweite Trend abnehmender Suizidraten lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Veränderung weniger oder sogar eines einzelnen Risikofaktors zurückführen. Schon der Soziologe Emile Durkheim ging davon aus, dass soziale Integration – als ein wesentlicher EinÁussfaktor des individuellen Suizidrisikos – auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann, wobei insbesondere familiäre Beziehungen, religiöse und politische Bindungen sowie Beziehungen im Kontext der Erwerbsarbeit beachtet werden müssten. Soziologische und epidemiologische Untersuchungen sprechen für die auf Durkheim zurückgehende These, dass die zwischen verschiedenen Staaten zu beobachtenden Unterschiede in den Suizidraten zu einem guten Teil auf Unterschiede in Arbeitslosenquoten, Scheidungsraten, Alkoholmissbrauch oder religiöse Überzeugungen als Indikatoren sozialer Integration rückführbar sind. In den letzten Jahren wurden Ungleichheiten in der Einkommensverteilung als ein weiterer bedeutender Indikator sozialer Integration diskutiert. Aus Untersuchungen in England und Wales liegen Hinweise vor, dass unter den Männern im frühen und mittleren Erwachsenenalter vor allem zunehmende Scheidungsraten, eine zurückgehende Heiratsneigung und eine zunehmende Einkommensungleichheit steigende Suizidraten erklären. Gleichzeitig scheinen diese Risikofaktoren die Suizidraten von Frauen im gleichen Alter kaum zu
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beeinÁussen. Als Erklärung für diesen Befund kommen zwei Alternativen in Betracht: Zum einen könnten die genannten Faktoren für Frauen tatsächlich weniger bedeutsam sein, zum anderen könnte sich hier auswirken, dass jüngere Frauen Suizid vorzugsweise in Form von Medikamentenmissbrauch vollziehen und die toxische Wirkung einer Überdosierung von Medikamenten in den letzten Jahrzehnten deutlich geringer geworden ist. Für die Gruppe der über 60-Jährigen kann die geringere Suizidrate vor allem durch ein steigendes Bruttosozialprodukt, eine höhere Erwerbsbetätigung von Frauen, einen höheren Anteil verheirateter Personen und die häuÀgere Verschreibung von Antidepressiva erklärt werden. Nach Heuft et al. (2006) lassen sich für die Entwicklung einer suizidalen Gefährdung im Alter im Wesentlichen zwei Ursachen unterscheiden: 1) Suizidalität als Komplikation bei bestehender depressiver Störung sowie 2) die durch eine narzisstische Krise hervorgerufene Suizidalität. Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung besteht bei Depressiven ein 30-fach erhöhtes Suizidrisiko. Zwischen 40 und 80 % der depressiven Patienten leiden während einer depressiven Episode an Suizidgedanken, bis zu 60 % der depressiv Erkrankten weisen in ihrer Krankengeschichte Suizidversuche auf, 15 % sterben im Laufe ihrer Erkrankung durch Suizid. Narzisstische Krisen können auf unterschiedliche Art und Weise zu einer erhöhten Suizidgefährdung führen. Das von Heuft et al. vorgeschlagene dynamische integrative Modell zur Selbstaufgabe und Suizidalität im Alter bildet die Wechselwirkung von sozialer Desintegration, sensorischer Deprivation und narzisstischer Verletzung als Circulus vitiosus ab, der durch „aggravierende“ (verstärkende) intrapsychische Faktoren – insbesondere Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen, Suizidversuche in der Anamnese sowie Fehlen von positiven Altersimagi-
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nes und Zukunftsperspektive – und protektive („schützende“) intrapsychische Faktoren – insbesondere religiöse Bindung, SinnÀndung, positives Altersbild, Zukunftspläne und bewältigte Schicksalsschläge – beeinÁusst werden kann. Sterbeorte Menschen sterben heute überwiegend in Kliniken, Heimen und ähnlichen Institutionen. Der erwähnten Studie von Bickel zufolge ereigneten sich 70,9 % der Sterbefälle innerhalb und 29,1 % außerhalb von Institutionen. Ein höheres Sterbealter verringerte die Wahrscheinlichkeit eines Todes im Krankenhaus hochsigniÀkant, gleichzeitig war die Wahrscheinlichkeit eines Todes in einem Heim hochsigniÀkant erhöht. Nahezu 30 % der Verstorbenen verbrachten den letzten Lebensabschnitt in einem Alten- oder PÁegeheim. Die Verweildauer in Krankenhäusern ging oberhalb eines Sterbealters von 80 Jahren deutlich zurück, während die Verweildauer in Heimen kontinuierlich mit dem Alter anstieg. Insgesamt wurden etwa 30 % des letzten Lebensjahres in stationärer Versorgung durch Kliniken und Heime verbracht; die Anteile stiegen von der niedrigsten zur höchsten Altersgruppe von 15 % bis auf 50 % an. Der Anteil der Verstorbenen, die weder im Heim noch im Krankenhaus waren, betrug nur 11,4 %. Der Anteil derer, die darüber hinaus auch keine ambulanten Dienste in Anspruch nahmen, lag bei 7,4 %. Hospizhilfe Die Hospizhilfe verfolgt zwei Ziele. Das erste Ziel ist die Unterstützung der Familie bei der Begleitung sterbender
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Menschen; durch diese Unterstützung will die Hospizhilfe dazu beitragen, dass die Einweisung in eine Klinik möglichst vermieden werden kann. Die umfassende ambulante Betreuung eines Sterbenden – im Sinne der Kooperation zwischen Hausarzt, PÁegediensten, psychologisch geschulten Mitarbeitern – ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen zu Hause sterben können. Die Hospizhilfe leistet dabei einen bedeutenden Beitrag zu diesem umfassenden Betreuungskonzept, da sie sich in besonderer Weise in der PÁege und psychologischen Begleitung sterbender Menschen sowie in der Beratung und Begleitung von Angehörigen engagiert und zudem mit niedergelassenen Ärzten eng kooperiert. Hinzu kommt die Mitarbeit von Seelsorgern, die seelsorgerische Begleitung anbieten, falls dies die Patienten wünschen. Das zweite Ziel ist die Verbesserung der stationären Versorgung sterbender Menschen. Die medizinische Behandlung wird auch hier ergänzt durch eine umfassende GrundpÁege, durch psychologische Begleitung und – sofern die Patienten dies wünschen – durch seelsorgerischen Beistand. Student, Mühlum und Student (2004, S. 86 ff.) differenzieren zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Hospizkonzepten: Es ist Kernziel ambulanter Hospize und Hospizdienste, dem sterbenden Menschen bis zum Ende ein Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Nur wo dies nicht möglich ist, kommt eine Betreuung in einem stationären Hospiz infrage. Die moderne Hospizbewegung hat mit einer stationären Einrichtung begonnen (nämlich dem St. Christopher’s Hospice in London), doch bereits zwei Jahre nach der Eröffnung nahm ein ambulanter Dienst seine Arbeit auf, der nach kurzer Zeit mehr Menschen betreute als der stationäre Flügel. In einem stationären Hospiz Ànden Menschen Aufnahme, die an einer
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tödlichen Erkrankung leiden, deren Fortschreiten unaufhaltsam ist und innerhalb einer absehbaren Zeit von Tagen oder Wochen zum Tode führen wird. Sterbende können so lange im Hospiz bleiben, bis die Beschwerden so weit reduziert sind, dass die Versorgung zu Hause wieder möglich wird. Es gibt zwei Formen von Hospizen: zum einen unabhängige Häuser, die stationären Hospize im engeren Sinne, und zum anderen Sonderstationen von Akutkrankenhäusern, die in Deutschland als Palliativstationen bezeichnet werden. Die Finanzierung des unabhängigen stationären Hospizes erfolgt seit dem Jahre 1997 zu einem Teil über die Krankenkassen gemäß § 39a, SGB V. Zu einem erheblichen Teil bleibt die Finanzierung auf andere Quellen, insbesondere auf Spendenmittel, angewiesen. Einerseits kann damit vermieden werden, dass Hospize zu ProÀtunternehmen werden; andererseits, und das ist wichtiger, fördert das Spendensammeln die Integration in das jeweilige Gemeinwesen. Der sterbende Mensch und seine Angehörigen sind gemeinsame Adressaten des Hospizdienstes. Der Sterbebeistand beschränkt sich nicht auf den sterbenden Menschen, sondern er bezieht ausdrücklich die Angehörigen ein. Aufklärung der Angehörigen über den Gesundheitszustand des Patienten, über die Prognose, über Möglichkeiten der Therapie, sowie die psychologische Unterstützung der Angehörigen bilden bedeutende Aspekte des Sterbebeistands. Die Hospizhilfe geht davon aus, dass durch die Einbeziehung von Angehörigen Möglichkeiten der familiären Unterstützung und Integration des Patienten genutzt werden sowie die Beziehung zwischen dem Patienten und seinen Angehörigen positiv beeinÁusst wird. Wichtige Aspekte hierbei sind: 1) Die Angehörigen werden über den Gesundheitszustand des Patienten differenziert aufgeklärt. 2) Die Betroffenen werden durch ein interdisziplinär arbeiten-
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des Team von Fachleuten unterstützt. Zu nennen ist zunächst die enge Kooperation zwischen Ärzten und PÁegediensten. Hinzu kommen psychologische Dienste und – soweit dies vom Patienten gewünscht wird – der seelsorgerische Beistand. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen ist eine zentrale Voraussetzung für die Umsetzung eines integrativen, umfassenden Therapie- und Betreuungskonzepts. 3) Freiwillige Helferinnen und Helfer werden in den Hospizdienst einbezogen. Dabei ist großes Gewicht auf die QualiÀzierung ehrenamtlich tätiger Menschen zu legen. Die QualiÀzierung sollte dabei folgende Komponenten umfassen: a) die Vermittlung von Kenntnissen über körperliche und seelische Prozesse im Finalstadium einer Erkrankung, über die Aufgaben, die den niedergelassenen Ärzten sowie den PÁegediensten bei der Betreuung sterbender Menschen zugeordnet werden, über die Bedeutung eines integrativen Therapiekonzepts für menschenwürdiges Sterben, über Bedürfnisse sterbender Patienten und ihrer Angehörigen; b) die ReÁexion über die Motive zur Wahrnehmung dieser ehrenamtlichen Tätigkeit, über die persönliche Einstellung zu Sterben und Tod sowie über Erfahrungen, die man im Umgang mit sterbenden Menschen und ihren Angehörigen gewonnen hat; c) die Klärung jener Tätigkeitsbereiche, die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übertragen werden; d) die Begleitung bei Besuchsdiensten sowie die Supervision der Tätigkeiten, die man bei den Besuchsdiensten ausgeführt hat. 4) Das Hospizteam verfügt über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen in der lindernden Therapie. Mit diesem Prinzip sind a) die verschiedenen Komponenten der Schmerztherapie angesprochen – die vom behandelnden Arzt entwickelt und überwacht werden –, b) weitere medizinische Maßnahmen, die dazu dienen, die Krankheitssymptome zu lindern, c) Aspekte der GrundpÁege, die auf eine Linderung der
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Krankheitssymptome sowie auf die möglichst weite Erhaltung von Selbstständigkeit im Alltag zielen. 5) Hospize gewährleisten Kontinuität in der Betreuung. Patienten und Angehörigen wird die Gewissheit gegeben, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hospizdienste ständig erreichbar sind. Diese Gewissheit trägt zur Linderung von Ängsten bei. Zudem wird unter Kontinuität die Fortsetzung der Begleitung von Angehörigen nach dem Tod des Patienten verstanden – eine bedeutende Hilfe bei der seelischen Auseinandersetzung mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen.
Schmerztherapie Starke Schmerzen können die Lebensqualität des Patienten so stark einschränken, dass dieser aufgrund körperlicher und psychischer Erschöpfung nicht mehr in der Lage ist, ein selbstverantwortliches Leben zu führen. Die fachlich kompetente Schmerztherapie ist aus diesem Grunde auch als Beitrag zur Erhaltung der Selbstverantwortung im Prozess des Sterbens zu interpretieren. Dabei ist zu bedenken, dass der größte Teil der Tumorpatienten schmerzfrei sein könnte, wenn die Schmerztherapie fachlich korrekt erfolgen würde. Bereits zum Zeitpunkt der Tumordiagnose leiden 43 % der Patienten unter Schmerzen. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien geben über 80 % der Patienten Schmerzen an. 90 % der Tumorschmerzpatienten können durch eine orale medikamentöse Applikationsweise schmerztherapeutisch ausreichend behandelt werden. Die orale Schmerztherapie ist die Methode der Wahl und gilt heute als Standardverfahren. Zu den Grundregeln der medikamentösen Therapie chronischer Schmerzen gehören neben der oralen Gabe die regelmäßige
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Einnahme nach einem festen Zeitschema, die individuelle Dosierung, die kontrollierte Dosisanpassung, die Gabe der Medikamente nach dem Prinzip der Antizipation (das Analgetikum muss dem Schmerz zuvorkommen, die nächste Medikamenteneingabe muss also erfolgen, bevor der schmerzstillende Effekt der vorangegangenen Eingabe aufgebraucht ist und bevor der Patient glaubt, dass die nächste Analgetikagabe notwendig wird) sowie die Vermeidung von Nebenwirkungen durch Begleitmedikamente. Die Notwendigkeit, eine orale Schmerztherapie abzubrechen, ergibt sich am häuÀgsten bei Schluck- und Passagestörungen, bei therapie- und tumorbedingten Begleitsymptomen wie Übelkeit und Erbrechen, bei unzureichender Schmerzlinderung unter der eben noch verträglichen Dosis sowie bei nicht mehr tolerablen, dosisabhängigen Nebenwirkungen. Im Falle des Abbruchs der oralen Schmerztherapie bieten sich folgende Verfahren an: die subkutane Opioidapplikation, die intravenöse Opioidgabe sowie die rückenmarknahe Opioidgabe. Der Bonner Allgemeinmediziner Keseberg (1995), der sich intensiv mit der Schmerztherapie bei sterbenden Menschen beschäftigt hat, nennt folgende „zehn Gebote“ der Schmerztherapie: 1. Du sollst nicht davon ausgehen, dass alle Schmerzen des Patienten nur von dem Tumor herkommen. 2. Du sollst die Gefühle des Patienten beachten. 3. Die Schmerztherapie muss dem Schmerz zuvorkommen. 4. Du sollst Schmerzmittel stets in der richtigen, das heißt in der ausreichenden Menge verschreiben. 5. Du sollst es zuerst mit einem schwachen Schmerzmittel versuchen. 6. Habe keine Angst vor starken Schmerzmitteln, die der Betäubungsmittelverordnung unterliegen.
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7. Du sollst dich bei der Schmerzbekämpfung nicht alleine auf Schmerzmittel beschränken. 8. Du sollst keine Angst davor haben, einen Kollegen um Rat zu fragen. 9. Sorge dafür, dass die ganze Familie unterstützt wird. 10. Du sollst eine Atmosphäre ruhiger Zuversicht und vorsichtigen Optimismus ausstrahlen.
Palliativmedizin Die Grundsätze der Palliativmedizin lassen sich mit Radbruch und Zech (2000) wie folgt charakterisieren: Behandlung von Patienten in verschiedenen Umgebungen mit einem hohen Personen- und einem niedrigen Technologieeinsatz, effektive Betreuung auch zu Hause, multidisziplinäres Team, individuelle Behandlung jedes Patienten und Koordination des Teams durch das im Einzelfall zuständige Teammitglied, Symptomkontrolle und vor allem Schmerzbehandlung durch Spezialisten, speziell ausgebildete und erfahrene PÁegefachkräfte, Integration von ehrenamtlichen Mitarbeitern, leicht zugängliche Koordinationsstelle für das palliativmedizinische Team, VerpÁichtung zur kontinuierlichen Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen, Unterstützung der Hinterbliebenen nach dem Tod des Patienten, Forschung, systematische Dokumentation und statistische Ausarbeitung der Behandlungsergebnisse, Unterricht und Ausbildung von Ärzten, PÁegepersonal, Sozialarbeitern und Seelsorgern. Für die Palliativmedizin ist ein verändertes Verständnis von „Heilung“ wichtig, wie eine Aussage des Luzerner Kardiologen Frank Nager verdeutlicht: „Das Wort Heilung weckt zuerst die Assoziation von Kurieren und Reparieren. Wir den-
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ken an restitutio ad integrum. Bei akuten Organerkrankungen, in der Chirurgie und bei Unfällen ist diese Betrachtungsweise des Heilens hinreichend. Angesichts chronisch kranker oder sterbender Menschen ist es gut, sich an die Etymologie des Wortes Heilen und an seinen spirituell-religiösen Bezug zu Heil und Heiligem zu erinnern: an restitutio ad integritatem, das heißt an innere Unversehrtheit, an Heilen als Voranschreiten und Begleiten. Das ursprüngliche Wesen der Therapie bedeutet – etymologisch gesehen – dienend pÁegendes Beistehen, Mitschwingen, Einfühlen, Verstehen, Begleiten. Dementsprechend ist Heilkunde eine dienende Disziplin und nicht nur ein Arsenal unterwerfender Herrschaftstechniken.“ Gesundheitskosten im letzten Lebensjahr Differenziert man bei der Betrachtung der Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben zwischen jenen Personen, die in den folgenden Persönlicher Blick auf das Alter Wie will ich sterben? Wie habe ich mich vorbereitet? Andreas Kruse: Möglichst lange im Gespräch mit den Nächsten sein. Vor allem aber: wenig Pathos, wenig Aufsehen, möglichst auch Freude. Ganz wichtig: nichts verschweigen, nichts tabuisieren, offen über das bevorstehende Ende sprechen. Und sollte ich demenzkrank sein: Ich hoffe, dass mein im Kern positives Gemüt auch dann Bestand haben wird. Meine Frau und ich sprechen regelmäßig über diese Thematik des Sterbens. Zudem gibt mir mein Glaube viele Möglichkeiten, mich tagtäglich mit der Ordnung des Todes zu befassen – und dies ganz konkret, ganz persönlich, ganz nah. Und auch die wissenschaftliche Arbeit, die mich zu vielen schwer kranken Menschen führt, bietet die Möglichkeit der Vorbereitung auf den eigenen Tod. Und ein Letztes: Die Musik – vor allem jene von Johann Sebastian Bach – gibt mir viele Möglich-
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keiten der Vorbereitung auf den Tod. Höre man nur die Passionsmusik, höre man nur die Kantaten oder öffne man sich nur für die Erfahrung, dass in den Werken von Bach fast immer eine Verbindung der beiden Ordnungen – jener des Lebens mit jener des Todes – zu erkennen ist. Hans-Werner Wahl: Sterben und Tod sind Themen, mit denen ich mich immer relativ stark beschäftigt habe, und auch in Gesprächen mit meiner Frau ist diese Thematik kein Tabu, sondern oft sehr gegenwärtig. Wir erleben es als Bereicherung unseres Lebens, uns immer wieder auch die Grenze des Lebens deutlich zu machen. Vieles relativiert sich. Das ist uns beiden sehr wichtig. Wir haben uns mit Vorausverfügungen mitgeteilt, was unser Wille in bestimmten Lebens- und Krankheitssituationen ist, und dieses Gefühl gibt uns Sicherheit. Das gilt auch für das Wissen, dass der andere da sein wird. Was bislang an gemeinsam erfahrenem Gutem im Leben war, gibt uns insgesamt viel Kraft in der Auseinandersetzung mit Fragen der Endlichkeit unseres Lebens.
beiden Jahren versterben, und jenen, die diesen Zeitraum überleben, dann zeigt sich zunächst ein anhaltender Anstieg der Gesundheitsausgaben über den Zeitraum des hohen und sehr hohen Alters – wobei vom 60. bis zum 90. Lebensjahr eher ein gradueller, vom 90. bis 100. Lebensjahr eher ein sprunghafter Anstieg der Gesundheitsausgaben erkennbar ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Ausgaben für Sterbende über den Ausgaben für Überlebende liegen: In den beiden letzten Lebensjahren des Menschen sind die Gesundheitskosten am höchsten. Doch nehmen diese Kosten mit wachsendem Lebensalter ab. Dies hat vor allem damit zu tun, dass bei Patienten im hohen und sehr hohen Alter nur seltener intensivmedizinische Interventionen vorgenommen werden. In einer Studie an Medicare-Versicherten in den USA entÀelen rund 30 % der Ànanziellen Aufwendungen auf die 5 bis 6 % der Versicherten, die im Verlauf eines Jahres starben. Die Behandlungskosten
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im letzten Lebensjahr lagen um das Siebenfache über den Kosten für die Nichtversterbenden.
Zusammenführung: Was bedeutet Altern aus Sicht von Altersinterventionen? Wenn wir aus der Perspektive von Altersinterventionen auf Altern blicken, dann imponiert vor allem eines: die Veränderbarkeit von Alternsverläufen durch aktive EinÁussnahme. Das traditionelle Bild, noch immer in nicht wenigen Köpfen verankert, Altern sei ein festgefügtes und unveränderliches Programm, ist deutlich ins Wanken geraten. Heute besitzen wir gewissermaßen einen kompletten „Werkzeugkasten“, mit dessen Hilfe wir in den unterschiedlichsten Domänen guten Alterns dauerhafte, positive Veränderungen bewirken können. Das ist eine sehr gute Botschaft, die man vor 50 Jahren noch gar nicht für möglich gehalten hätte. Die Plastizität des Alterns ist nicht nur gegeben; sie kann auf vielerlei Weise genutzt und Lebensqualität somit im Alter gefördert werden. Wichtig ist auch, dass natürliches Altern in mindestens zweierlei Weise als „unfertig“ betrachtet werden kann. Auf der einen Seite können Interventionen viel dazu beitragen, Verluste, die zwangsläuÀg mit dem Alter kommen, zu reduzieren bzw. ein besseres Leben mit diesen zu unterstützen. Auf der anderen Seite stellt sich aber auch generell die Frage, was alles „noch drin“ ist. Ähnlich wie die Trecks gen Westen in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein physisch bereits bestehendes Terrain systematisch als Lebensraum eroberten, arbeiten Interventionsforscher daran, die Grenzen des heutigen
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Alterns systematisch auszudehnen – so im Bereich des kognitiven Funktionierens oder im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit. Wo diese „Ausdehnungsversuche“ hinführen werden, können wir heute wohl kaum sagen. Allerdings scheint klar zu sein, dass es keine Grenzenlosigkeit gibt. Selbst die intensivsten Trainings können nach den bisherigen Befunden ältere Menschen nicht auf den Stand von Jüngeren bringen. Altersinterventionen werfen schließlich auch unmittelbar Licht auf weiter bestehende Ungleichheiten im Alter bzw. auf die Frage, wer welche Interventionsangebote erreicht bzw. erhält. Hier spielt der Aspekt der Bildung weiterhin eine bedeutsame Rolle, das heißt die Macht des sogenannten Matthäus-Prinzips („Wer hat, dem wird gegeben“) scheint ungebrochen. Gleichzeitig stellen sich gerade vor dem Hintergrund von Altersinterventionen und ihrer Erfolge einige Grundfragen einer alternden Gesellschaft in neuer und ethisch gefärbter Weise: Sollen alternde Menschen zu bestimmten Trainings verpÁichtet werden? Sollen Menschen bereits früh in ihrem Leben systematisch dazu angehalten werden, alles dafür zu tun, dass ihr Altern in möglichst guten Bahnen verläuft, kognitive Leistungen möglichst lange erhalten und mögliche PÁegebedürftigkeit möglichst glimpÁich verläuft? Soll älteren Menschen mögliche Unterstützung, vor allem materieller Art, entzogen werden, wenn sie – wider besseres Wissen – ihr Leben mit „zu“ vielen Risikofaktoren verbracht haben? Derartige Fragen „hämmern“ bereits heute unüberhörbar an die Türen des demograÀschen Wandels. Das Hämmern wird wohl nicht zuletzt durch die Erfolge der Interventionsgerontologie in der Zukunft noch deutlich lauter werden.
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Literaturempfehlungen Böhm, K., Tesch-Römer, C., Ziese, Th. (Hrsg.) (2009). Gesundheit und Krankheit im Alter. Berlin: Robert Koch Institut. lgl, G. Naegele, G., Hamdorf, S. (Hrsg.) (2007). Reform der PÁegeversicherung – Auswirkungen auf die PÁegebedürftigen und die PÁegepersonen. Münster: LIT Verlag . Kruse, A. (2007). Präventions- und Trainingsansätze im höheren Alter. In J. Brandtstädter & U. Lindenberger (Hrsg.), Lehrbuch zur Entwicklungspsychologie der Lebensspanne (S. 624–655). Stuttgart: Kohlhammer. Kruse, A. (2007). Das letzte Lebensjahr. Zur körperlichen, psychischen und sozialen Situation des alten Menschen am Ende seines Lebens. Stuttgart: Kohlhammer. Kruse, A. (Hrsg.) (2008). Weiterbildung in der zweiten Lebenshälfte. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Kuhlmey, A. & Schaeffer, D. (Hrsg.) (2008). Alter, Gesundheit und Krankheit. Bern: Huber. Wahl, H.-W. & Tesch-Römer, C. (Hrsg.) (2008). Angewandte Gerontologie in Schlüsselbegriffen. Stuttgart: Kohlhammer. Wahl, H.-W. & Zank, S. (2006). Interventionsgerontologie. In W. D. Oswald, U. M. Lehr, C. Sieber & J. Kornhuber (Hrsg.), Gerontologie. Medizinische, psychologische und sozialwissenschaftliche Grundbegriffe (3. AuÁ., S. 225–230). Stuttgart: Kohlhammer.
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Wir hatten in Kapitel 3 bei der Einführung unserer Konstruktlandschaft darauf hingewiesen, dass es angesichts der starken interdisziplinären Ausrichtung der Alternsforschung auch sehr bedeutsam ist, Konstrukte zu identiÀzieren, die übergreifenden Charakter bzw. „Meta“-Charakter besitzen. Das bedeutet, dass diese Konstrukte besonders gut in der Lage sind, die unterschiedlichen disziplinären Zugänge miteinander zu vernetzen bzw. disziplinübergreifende Fragerichtungen zu entwerfen (Abbildung 8.1).
Konstrukt 1: Entwicklung Lange Zeit wäre man nicht auf die Idee gekommen, den Begriff der Entwicklung mit Altern in Verbindung zu bringen. Von Entwicklung wurde nur gesprochen, wenn es um die Lebensphasen der Kindheit und Jugend ging. Insgesamt ging die Vorstellung dahin, nach den „Entwicklungsgeschehnissen“ der Kindheit und Jugend gäbe es im Erwachsenenalter eine lange Zeit der Stabilität (manchmal auch verstanden als „Stillstand“) und dann eine Zeit des Niedergangs und Ver-
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Psychologie Psychologie Soziologie Soziologie
übergreifende übergreifende Konstrukte Konstrukte
Biologie Biologie
Altersinterventionen Altersinterventionen
Biologie
Psychologie
Soziologie
• genetische Programmierung • Altern als deterministischer Prozess • Altern als stochastischer Prozess • freie Radikale • Vulnerabilität • Krankheiten • Demenz • geschlechtsdifferenzielle Krankheitsverläufe • Terminal Decline • Morbiditätskompression • aktive Lebenserwartung
• Mechanik und Pragmatik • Gedächtnisprozesse • Erfahrungswissen und berufliche Leistungsfähigkeit • Lebensweisheit • Persönlichkeit und Selbst • soziale Beziehungen • Motivation und Zielprozesse • Belastungsverarbeitung und psychische Widerstandsfähigkeit • Lebenszufriedenheit, Lebensglück und Sinn
• • • • • •
• • • • •
Generation Kohorte Altersschichtung Ageism soziale Ungleichheit Geschlechtsspezifität von Alternsprozessen Migration Generativität aktives Altern Disengagement Identität
Altersintervention
Übergreifende Konstrukte
• kognitive Gesundheit und kognitives Training • körperliche Gesundheit und körperorientiertes Training • Alternsmeisterung • Bildung • Lebensqualität, Bedeutung für Demenz • Lebensqualität bei körperlicher Krankheit • Lebensqualität bei psychischer Krankheit • Rehabilitation • Pflegequalität • räumliche Umweltoptimierung • Sterben
• Entwicklung • Zeit • LebensspannenPerspektive • Mehrdimensionalität und Multidirektionalität • Diversität / Heterogenität • Person-UmweltPassung • Plastizität
Abb. 8.1 Konstruktlandkarte zu Alter(n): ausgewählte übergreifende Konstrukte.
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lusts. Man kann sich heute gar nicht deutlich genug vor Augen führen, welchen Widerstand jene Entwicklungspsychologinnen und Entwicklungspsychologen provozieren mussten, die bereits relativ früh, etwa Mitte der 1950er Jahre, den Entwicklungsbegriff als tauglich für die gesamte Lebensspanne machen wollten bzw. gemacht haben. Zu diesen „Entwicklungspionieren“ zählen etwa Robert Havighurst, Ursula Lehr, Bernice Neugarten und Hans Thomae. Es bedurfte insbesondere der Einsicht, dass Entwicklung, ausschließlich verstanden als Fortschritt und Bewegung von einer Stufe zu einer höherwertigen nächsten Stufe, generell zu kurz greift. Paul Baltes stellte sehr deutlich heraus, dass in jedem Lebensabschnitt der menschlichen Ontogenese auch Verlusterfahrungen auftreten. Die Erfahrung der Schule verhindert womöglich die weitere Entfaltung von Fantasie, die Entscheidung für einen bestimmten Beruf lässt viele andere Entwicklungsoptionen ungenutzt, die Entscheidung für einen bestimmten Partner nimmt die Möglichkeit, uns in einer intensiven Erfahrung mit anderen Menschen zu erleben. Die „Entwicklungsoffenheit“ des Menschen besteht vor allem darin, dass wir seit unseren frühesten Lebenserfahrungen einer sehr großen Bandbreite von Möglichkeiten und Wegen gegenüberstehen. Würden wir uns nicht entscheiden und würde früh im Leben nicht zunächst für uns entschieden (vor allem durch die Eltern), so würden wir von diesen Möglichkeiten völlig überrollt and am Ende völlig blockiert werden. Entscheiden und handeln wir aber, so üben wir stets Selektivität aus, lassen andere Möglichkeiten an uns vorüberziehen. Entwicklung bedeutet somit stets das Ineinandergreifen von Gewinnen und Verlusten; diese Grundeinsicht ist zentral. Ein solches Entwicklungsverständnis schließt keinesfalls ein, dass die Mischung von Gewinnen und Verlusten über die
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Lebensspanne hinweg konstant bleiben müsste. Im Gegenteil: Nahezu alles spricht dafür, dass die Gewinn-Verlust-Balance sich im Laufe des Lebens und Alterns immer stärker zuungunsten der Gewinnseite verändert. Andererseits impliziert diese Vorstellung allerdings auch, dass es bis ins allerhöchste Alter hinein auch Gewinnerfahrungen geben sollte. Und dies scheint objektiv und im subjektiven Erleben auch der Fall zu sein. So berichten beispielsweise Hochaltrige über die im früheren Leben nie so erfahrene Freude im Umgang mit Urenkeln. Und die in Kapitel 5 beschriebene hohe psychische Widerstandsfähigkeit im Umgang mit den dunklen Seiten des Alterns ließe sich auch als Gewinn deuten. Gewinne des Alterns liegen schließlich auch in den vielfachen Wechselwirkungen mit dem privaten und gesellschaftlichen Umfeld. So erleben es viele Ältere als Leistung und „Erfolg“, dass sie ihren Kindern möglichst wenig zur Last fallen und darum ringen, ihre Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten. Sie erleben es als Gewinn und „Entwicklungsfortschritt“, wenn sie mit ihrer Lebenserfahrung, ihrem Wissen und ihrer Beratungskompetenz dazu beitragen, die Entwicklung von jungen Menschen zu unterstützen. Die Vorstellung einer lebenslangen Entwicklung gehört somit zu den Grundfesten einer alternden Gesellschaft ganz allgemein.
Konstrukt 2: Zeit Altern ist auch Vergehen von Zeit. Das Vergehen von Zeit ist universell und allgegenwärtig. Zeit vergeht auf unendlich vielen Ebenen: Kulturgeschichtlich und politisch differenzierbare Epochen lösen einander ab, ebenso wie erdgeschichtlich
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bedeutsame Perioden. Im Holozän erscheint der Mensch, und seitdem gibt es eine Menschheitsgeschichte, ein menschliches Altern nicht nur im individuellen Sinne, sondern auch im Sinne der Entwicklung und des „Alterns“ des Gattungswesens Mensch. Alles verändert sich mit der Zeit, wenngleich in faszinierend unterschiedlicher Taktung, die schnell unsere Vorstellungskraft überschreitet: unvorstellbare Bruchteile einer Sekunde (zum Beispiel Lebensdauer bestimmter, äußerst instabiler, subatomarer Teilchen), Sekunden (zum Beispiel Wellenschaum), Stunden (zum Beispiel weiße Blutzellen), Tage (zum Beispiel EintagsÁiege), Wochen (zum Beispiel Würmer), Monate (zum Beispiel Schmetterling), Jahre (zum Beispiel Katze), Jahrzehnte (zum Beispiel Mensch), Jahrhunderte (zum Beispiel politische Systeme wie Demokratie), Jahrtausende (zum Beispiel das Altern der Schrift), Jahrmillionen (zum Beispiel Entwicklung von Leben), jenseits von Jahrmillionen (zum Beispiel Lebensdauer und bisheriges Altern der Erde) – und noch einmal länger (zum Beispiel Lebensdauer und bisheriges Altern unseres Sonnensystems). Und das Vergehen von Zeit bedeutet auch Veränderung: Nichts bleibt sich gleich, wir müssen im Zweifelsfalle nur lange genug warten. Das Vergehen von Zeit bedeutet nicht selten Einschränkung und „Verfall“: AuÁösung im Zuge des Vergehens von Zeit scheint alle belebte Natur zu charakterisieren, zumindest teilweise aber auch politische Epochen (zum Beispiel der Untergang des Römischen Reiches) und die Entwicklung der unbelebten Natur (zum Beispiel Bodenerosion). Und weiter: Das Vergehen von Zeit bedeutet auch häuÀg Un-Umkehrbarkeit bzw. Irreversibilität. Altern fügt sich insofern ein in das Universalphänomen des Vergehens von Zeit, ja qualiÀziert ein solches Zeiterleben durch unaufhörliche Entwicklung, un-
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aufhörliches Werden und Vergehen, durch den andauernden Wechsel von Leben und Tod und dem fortlaufenden Prozess des „Stirb und werde“.
Konstrukt 3: Lebensspannenperspektive Es ist wissenschaftlich überaus verführerisch, sich eine Lebensphase herauszugreifen und sich dann mit dieser zu beschäftigen, ohne den anderen Lebensphasen allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Der Großteil der heutigen Alternsforscherinnen und Alternsforscher geht diesen Weg. Ist es aber wirklich ein guter, ein überzeugender Weg? Welche Nachteile sind damit verbunden? Lebensspannentheoretiker gehen davon aus, dass Entwicklung nur verstanden werden kann, wenn wir alle Lebensphasen im Blick behalten und die Vernetzung der unterschiedlichen Lebensphasen miteinander zum Kern unseres Erkenntnisinteresses erheben. Die Phase der Kindheit, beispielsweise, mit all ihren An- und Herausforderungen, ist danach nur dann zu durchdringen, wenn wir diese im Kontext eines sich anschließenden „langen“ Lebens zu verstehen, aber auch zu gestalten suchen. Man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, dass für ein sehr langes, gutes Leben nichts so wichtig ist wie eine vielfältig gelungene Kindheit. Solche Überlegungen lassen sich weiter konkretisieren. So etwa ist zu erwarten, dass in einer Gesellschaft des langen Lebens, in der gleichzeitig zunehmende Flexibilität im Umgang mit Aus- und Weiterbildungen im Zuge des Berufslebens notwendig ist, die Grundlagen für eine solche Flexibilität – intellektuell, sozial und emotional – nicht zuletzt in der Kindheit
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gelegt werden. Ebenso sind präventive Anstrengungen und Erfolge früh im Lebenslauf von größter Bedeutung für die lebenslange gesundheitliche Entwicklung bis ins „ferne“ Alter. Die Phase des mittleren Erwachsenenalters gewinnt hingegen nicht zuletzt in ihrem Übergangscharakter in die Phase des Alterns, speziell auch der nachberuÁichen Zeit, ihre besondere Gestalt. Sie ist generell in der Entwicklungsforschung stark vernachlässigt worden, denn die Forschung hat sich hauptsächlich auf die Kind- und Jugendphase sowie auf alte Menschen konzentriert. Das frühe Alter („Drittes Alter“) wiederum besitzt ebenfalls eine ganz eigene Charakteristik, die sich vor allem in einer Sichtweise des Lebensphasenkontextualismus ergibt. Menschen in dieser Lebensphase sind entlastet von den Anforderungen des Berufs und verfügen aufgrund ihrer weiterhin hohen Kompetenzen sehr aktiv über die Ressource Zeit. Gleichzeitig stehen gerade in dieser Lebensphase die Anforderungen der Hochaltrigkeit („Viertes Alter“) vor der Tür. So gewinnen die einzelnen Lebensphasen ihre Reichhaltigkeit und eigene Gestalt erst im Miteinander und Reigen aller Lebensphasen. Hinzu tritt die Fundamentalannahme, dass es keine Wertigkeitsunterschiede in den einzelnen Lebensphasen gibt, das heißt, jede Lebensphase hat ihren Sinn und ihre Bedeutung. Die Lebenslaufperspektive ist somit nicht nur für jeglichen disziplinären Zugang zu Altern überaus bedeutsam, sei dies die Sichtweise der Biologie, der Psychologie oder der Soziologie. Sie ist ebenso kritisch für Altersinterventionen, denn die Frage etwa, ob und wie in den Alternsverlauf mittels Training oder Behandlung eingegriffen werden soll und mit welchen Effekten dabei zu rechnen ist, lässt sich häuÀg nur aus einer Gesamtschau der Entwicklung der betroffenen Person erschließen. Schließlich ist die Lebensspannenperspektive auch
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gesellschaftlich von eminenter Bedeutung, denn sie verbindet die unterschiedlichen Lebensalter und unterstützt damit eine Politik für alle Generationen, die eine Sichtweise und Berücksichtigung einzelner Altersgruppen zunehmend überwindet.
Konstrukt 4: Multidimensionalität und Multidirektionalität Es widerspricht jeglicher Erfahrung, Entwicklungsgeschehen nur auf eine Phänomenklasse zu reduzieren. Und dennoch Ànden sich bis heute solch reduktionistische Tendenzen immer wieder, etwa dann, wenn vor allem biologische Veränderungen als „Treibstoff“ für den Entwicklungsmotor gesehen werden, ohne psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekten ausreichend Beachtung zu schenken. Aber auch innerhalb einzelner Phänomene sind Differenzierungen des Entwicklungsgeschehens von größter Bedeutung. Ein prototypisches Beispiel ist die Unterscheidung zwischen der Mechanik und Pragmatik der geistigen Entwicklung in der Psychologie. Noch bedeutsamer wird der Aspekt der Multidimensionalität aber in der interdisziplinären Verschränkung von Zugängen bzw. Erkenntnissen zum Altern. Beispielsweise kann durch biologische Veränderungen die Selbstständigkeit im Sinne der Durchführung von Aktivitäten des alltäglichen Lebens deutlich infrage gestellt werden. Gleichzeitig kann der betroffene, alternde Mensch seine psychischen Ressourcen so organisieren, dass er keinen wirklichen Autonomieverlust erlebt, etwa indem er die erfahrene Abhängigkeit als neue Realität seines Lebens annimmt und gleichzeitig nach Möglichkeiten sucht, anderen Menschen etwas zurückzugeben, etwa durch Ànanzielle oder emotionale Unterstützung.
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Bei solchen Beispielen tritt die oft gegebene Multidirektionalität voll zutage und unterstreicht, in welcher intraindividuell unterschiedlichen Weise Entwicklung und Altern je nach betrachteten Bereichen/Dimensionen verlaufen können. Wiederum ist die Differenzierung zwischen Mechanik und Pragmatik eines der prägnantesten Beispiele: Die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit geht normativ bereits sehr früh im Lebensablauf, etwa schon ab dem 25. bis 30. Lebensjahr, deutlich zurück. Gleichzeitig wachsen Lebenswissen und Expertise langsam an und können durchaus bis ins höchste Alter erhalten bleiben. Ja, es gehört zu den fundamentalen Alternserfahrungen, dass Entwicklungen in unterschiedlichen Dimensionen bzw. Dimensionenbündel geradezu gegensätzlich ablaufen können. Die biologisch gegebenen Leistungsmöglichkeiten und -reserven gehen vermehrt verloren, während Einsichten in gutes Leben und in das, was im Leben zählt, eher anwachsen und sich zu neuen Varianten ausdifferenzieren. Diese Fähigkeit des Menschen, Verluste nicht nur zu kompensieren, sondern überzeugend vor sich selbst (und anderen) zu transzendieren, ist wohl eines der großen Geheimnisse guten Alterns bzw. eines guten Lebens.
Konstrukt 5: Diversität/Heterogenität Historisch gesehen sind Sichtweisen der Uniformität und der Gleichförmigkeit von Altern stets stark vertreten gewesen, und sie sind auch heute keineswegs ad acta gelegt. Wenn von alten Menschen bzw. von Altern die Rede ist, so scheint der „Alltagssachverstand“ schnell eine hohe Ähnlichkeit der Abläufe, nicht zuletzt im Sinne von unveränderlichen Verlustdynamiken, vorauszusetzen. Jedoch ist das Gegenteil der
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Fall. Menschen werden sich untereinander immer unähnlicher, je älter sie werden, was man wohl vor allem mit der langfristigen Akkumulation der unterschiedlichsten EinÁüsse und Verarbeitungsformen dieser EinÁüsse erklären kann. Wichtig ist, dass sich dies in den unterschiedlichen, disziplinären Zugängen zeigt. Leistungen in einem ausgewählten Indikator der kognitiven Leistungsfähigkeit sind auf unterschiedlichen Altersstufen, etwa mit 70 oder mit 90 Jahren, ebenso deutlich verschieden wie biologische Indikatoren oder medizinische Kennwerte, etwa der Blutdruck oder der Status der Alterung einzelner Organe oder Organsysteme. Keine oder keiner ist wie der andere – das gilt insbesondere für alte Menschen! Hohe Heterogenität Àndet sich auch in Bezug auf die Gestaltung sozialer Netwerke, in der Suche nach und in der Umsetzung von Formen gesellschaftlicher Beteiligung – und überhaupt in Bezug auf Ziele und Bedürfnisse. Dies bedeutet, dass gesellschaftliche Angebote für Ältere in besonderer Weise mit deren Heterogenität rechnen müssen und dass jegliches Denken in Termini von „die Alten“ völlig verfehlt wäre. Vielleicht könnte man aber auch sagen, dass das Ernstnehmen der Diversität letztlich auch eine stärkere Normalisierung der Altersphase unterstützt. Wie in jeder Lebensphase könnte zukünftig auch für alte Menschen gelten, dass diese sich vor allem in der Buntheit ihrer Lebens- und Alternsentwürfe ausdrücken und nicht so sehr in ihrem Alter als solchem. Dass dennoch die Altersphase wie jede andere Lebensphase ihre speziÀschen Anforderungen und Aufgaben besitzt, wird damit keineswegs ausgeschlossen.
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Konstrukt 6: Person-Umwelt-Passung Mit diesem Konstrukt meinen wir, dass die Entwicklung und das Altern von Menschen stets in Kontexte eingebunden sind. Diese Kontexte können auf unterschiedlichen Ebenen zu individuellem Altern besonders gut passen, dieses besonders gut und reichhaltig fördern und unterstützen oder aber eigentlich gegebene Entwicklungsmöglichkeiten und -reserven übergehen bzw. vernachlässigen. Auf der Mikroebene können etwa ungünstige räumliche Bedingungen zu Risikokonstellationen und damit zu Fehlpassungen führen, die beispielsweise die Gefahr von Stürzen erhöhen. In Bezug auf die soziale Umwelt sind möglicherweise die gegebenen Unterstützungspotenziale nicht den Bedürfnissen eines alten Menschen angepasst. Andererseits können soziale Beziehungen dergestalt sein, dass sie Anregungen und neue Impulse geben und damit bis ins höchste Alter entwicklungsförderlich sind. Allerdings darf es bei solchen Betrachtungen nicht nur um die Mikroebene gehen. Zu beachten sind auch die wechselhaften Beziehungen zwischen individuellem Altern und gesellschaftlich-politischen Umwelten. Die bereits in Kapitel 6 zitierte amerikanische Alterssoziologin Mathilda Riley (zum Beispiel Riley, Foner & Waring 1988) hat von structural lag, also einer strukturellen Lücke, gesprochen, die man auch im Sinne einer Fehlpassung zwischen den eigentlichen Möglichkeiten heutigen Alterns und den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und ihren institutionalisierten Formen deuten kann. Die Möglichkeiten der Förderung und Ausdifferenzierung von Altern hinken heute wohl noch weit den an sich existierenden Möglichkeiten des Alterns hinterher. Insofern kommt dem Konstrukt der Person-Umwelt-Passung
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letztlich auch eine bedeutsame politische Dimension zu, denn alternde Gesellschaften stehen sicherlich vor der Anforderung, die Diskrepanz zwischen dem, was alternden Menschen alles möglich ist, und dem, wie sich Alter real im individuellgesellschaftlichen Alltag darstellt, andauernd zu verringern.
Konstrukt 7: Plastizität Auch dieses Konstrukt ist für das Verständnis heutigen Alterns aus verschiedenen Gründen überaus bedeutsam. Zum Ersten galt Altern lange Zeit primär als Ablauf eines biologisch-genetisch festgelegten Programms; deutliche Abweichungen von einem solchen Programm wurden als nur in geringem Umfange möglich betrachtet. Dem widerspricht heute die klare Einsicht der hohen Heterogenität des Alterns (siehe auch Konstrukt 5). Zum Zweiten galten einmal eingetretene Verluste als irreversibel und unumkehrbar. Hier haben heute die Erfolge der Interventionsgerontologie (vgl. Kapitel 7) in vielfacher Weise gezeigt, dass es durchaus gelingen kann, bestimmte Funktionen, etwa im Bereich der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit, wiederzuerlangen bzw. deutlich zu stärken. Auch auf der neuronalen bzw. hirnorganischen Ebene ist die Evidenz im Hinblick auf Plastizität heute überaus stark; viele auch mithilfe von bildgebenden Verfahren gewonnene Befunde zeigen beispielsweise, in welcher Vielfalt und Reichhaltigkeit die Funktion von ausgefallenen Arealen von anderen Arealen übernommen werden kann. Schließlich trägt der Begriff der Plastizität auch Hilfreiches zu einem besseren Verständnis der Entwicklung von Altern
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im gesellschaftlich-kulturellen Kontext bei. Vieles von dem, was Ältere heute in großem Maßstab tun, etwa im Bereich des Reisens, des Wohnens oder sonstiger Freizeitgestaltungen, hätte man wohl vor einigen Jahrzehnten noch nicht für möglich gehalten. Die Plastizität des Alterns zeigt sich demnach auch in seiner historischen Entwicklung, und dies ist eine politisch hochbrisante Botschaft. Alter ist heute zu Leistungen und Beiträgen, auch im Sinne der Beförderung gesellschaftlicher Entwicklung, imstande, mit denen in Zeiten einer Sichtweise von Altern als „Disengagement“ kein politisch verantwortlich handelnder Akteur ernsthaft gerechnet hätte.
Literaturempfehlungen Baltes, P. B. (1990). Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze. Psychologische Rundschau, 41, 1–24. Kruse, A. & Wahl, H.-W. (2007). Psychische Ressourcen im Alter. In R. Süssmuth & A. Kruse (Hrsg.), Altern neu denken (S. 101–124). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. Wahl, H.-W. & Heyl, V. (2004). Gerontologie – Einführung und Geschichte. Stuttgart: Kohlhammer.
Teil C Zehn Weichen für den Weg in eine gute Alternszukunft
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In Teil B des Buches hatten wir die Frage gestellt, wo und wie wir heute in unserer Gesellschaft etwas über Altern lernen. Wir hatten argumentiert, dass Altern mit einer ganzen Reihe von Anforderungen verbunden ist, die wir wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres „aus dem Ärmel schütteln“ können. Und wir hatten auch gesagt, dass es wohl derzeit keine überzeugenden Wege der Vermittlung von Wissen über Altern an ältere Menschen gibt. Darüber hinaus soll nun in diesem Kapitel allgemein die Frage behandelt werden, warum in einer alternden und sich demograÀsch so stark verändernden Gesellschaft Wissen über den Lebenslauf und über Altern so zentral und warum es ebenso bedeutsam ist, sich sehr intensiv mit der Frage der richtigen, hilfreichen und efÀzienten Wissensvermittlungs- und Wissensaneignungswege auseinanderzusetzen. Grundlegend gehen wir dabei davon aus, dass die Vermittlung von Wissen über Altern eine wichtige Bildungsaufgabe ist, deren Stellenwert allerdings heute noch viel zu wenig anerkannt wird. Auch die anspruchsvolle Aufgabe der praktischen und nachhaltigen Umsetzung der Vermittlung von Wissen über Altern scheint uns noch kaum
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bearbeitet zu sein. Aus diesem Grund möchten wir im Folgenden einige Rahmenaspekte zu dieser, wie wir Ànden, überaus bedeutsamen und relevanten Herausforderung unserer alternden Gesellschaft zur Diskussion stellen.
Wissen über demografischen Wandel und Altern als schulisches Fachwissen besser etablieren Wir sind der Meinung, dass die mit Altern zusammenhängenden Veränderungen und Anforderungen sowohl für Einzelne als auch für die Gesellschaft als Ganzes so gravierend sind (siehe noch einmal die Teile A und B dieses Buches), dass wir nicht kleckern, sondern glotzen müssen, wenn es um die Vermittlung von Wissen über diese Prozesse geht. In diesem Zusammenhang ist es zunächst sehr wichtig festzustellen, dass wir heute über einen umfassenden und reichhaltigen Wissenskorpus verfügen, der auf den entsprechenden Forschungsarbeiten aufbaut und damit eine hohe Evidenzbasiertheit besitzt. Es ist eines der Hauptziele dieses Buches, genau dies anhand unterschiedlicher Disziplinen und der zugehörigen Konstrukte zu untermauern bzw. zu illustrieren und zu differenzieren. Hier muss die Bildungsaufgabe der Vermittlung von Wissen über Altern in direkter Weise anknüpfen. Warum aber sollte man solches Wissen zum schulischen Fachwissen, vielleicht sogar zum Unterrichts- und Schulfach erheben? Mehrere Aspekte sind hierfür maßgeblich. So gehört es heute – wir hatten dies bereits an verschiedenen Stellen des Buches ausgeführt – zu den bedeutsamsten Lebensanforderungen, sich Fragen eines langen Lebenslaufs und von Altern
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zu stellen. Wir sind mittlerweile von frühester Kindheit an in den unterschiedlichsten Lebensbereichen in einem Maße mit Altern bzw. älteren Menschen konfrontiert, wie dies historisch noch nie der Fall gewesen ist. Ein so noch nie dagewesener Anteil von Kindern erlebt eine durchaus mehrere Jahre andauernde Beziehung zu mindestens einem Urgroßelternteil, nicht selten sogar eine längere Zeit der Beziehung zu mehreren Urgroßeltern. Kinder waren noch nie so lange mit ihren alten Eltern konfrontiert wie heute, und es ist die Norm geworden, dass die eigenen Eltern erst dann versterben, wenn Kinder sich bereits selbst im fortgeschrittenen mittleren Lebensalter oder gar im frühen Alter beÀnden. Ältere Menschen spielen zumindest zu bestimmten Tageszeiten in bestimmten öffentlichen Räumen, beispielsweise Cafés, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Parkanlagen, eine historisch so bedeutsame Rolle wie noch nie. Ältere Menschen werden immer häuÀger zum Gegenstand medialer Information und Kommunikation, sodass diese Thematik beispielsweise auch im Rahmen des Medienkonsums von Kindern und Jugendlichen heute nahezu unvermeidlich ist. Die systematische ReÁexion dieser Erfahrungen und die systematische Aneignung von Wissen, das für eine differenzierte Sicht dieser vielfältigen Erfahrungen mit Altern notwendig ist, Ànden allerdings in unserer Gesellschaft derzeit nicht statt. Hinzu kommt, dass Wissen über den demograÀschen Wandel, die eingetretenen Veränderungen im Lebenslauf und über Altern, auch für die individuelle Lebensplanung und Lebensgestaltung hoch relevant geworden ist. So sollte die Vermittlung dieses Wissens bereits früh im Leben beginnen und nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern in institutionalisierten Formen, das heißt als reguläres Unterrichts- und Projektfach, Eingang in die Bildungssozialisation
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Ànden. Ein bedeutsamer Punkt besteht darin, dass die klassische Lebensablaufform von Bildung, Arbeit und Freizeit heute nur noch sehr beschränkt Gültigkeit besitzt. Ein einmal erlernter Beruf wird in Zukunft nur noch in seltenen Fällen ein ganzes Leben tragen. Lebenslange Bildung wird zu einer absoluten Notwendigkeit, es gilt, eine neue Haltung zu Bildung im Sinne einer lebenslang notwendigen Aktivität zu erlernen, samt den damit verbundenen Fertigkeiten im Sinne des „Lernen Lernens“, sodass ein ganzes Leben hierauf zurückgegriffen werden kann. Auch Wissen über die Rolle und Gestaltbarkeit von Gesundheit bereits früh im Leben und über die Auswirkungen von Risiko- und Schutzfaktoren auf spätere Lebensabschnitte und damit auf die noch ferne Lebensqualität spielt eine Schlüsselrolle in Bezug auf Wissen über Altern (vgl. Kapitel 15). Unterrichtsfach – aber wie? In der Tat sind uns kaum Ansätze einer curricularen Ausbuchstabierung von Wissen über Altern für junge Menschen bekannt. Klar ist für uns in jedem Fall, dass es sinnvoll ist, die Unterrichtung in Alternswissen bereits im Kindergarten anzugehen, natürlich spielerisch, mit vielen Bildern und einfachen Geschichten. Schöne Beispiele der Kinderliteratur existieren ja bereits in durchaus großer Zahl. An diesen sollte angeknüpft werden, wenn es um die sehr frühe Vermittlung von Wissen über Altern geht.
Kinder- und Jugendliteratur zu Altern (Beispiele) Neue Beziehungsmöglichkeiten zwischen Jung und Alt Härtling, P. (2008). O’Bär an Enkel Samuel. Köln: Kiepenheuer & Witsch. [Begegnung zwischen einem alternden Mann und einem lebenslustigen „Knirps“.]
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Härtling, P. (1991). Oma. Gulliver Taschenbuch. Weinheim: Beltz. [Kalles Eltern sterben bei einem Autounfall, und die resolute Oma „übernimmt“…] Demenz: Nilsson, U. (2008). Als Oma seltsam wurde. Frankfurt: Moritz Verlag. [Beschreibung einer an Demenz erkrankten Person.] Müller, D. H. (2006). Herbst im Kopf. Wien/München: Annette Betz Verlag. [Beschreibung einer an Demenz erkrankten Person.] Krankheit und PÁegebedürftigkeit: Härtling, P. (2007). Alter John. Gulliver Taschenbuch. Weinheim: Beltz. [Alter, PÁegebedürftigkeit, PÁege zu Hause bis zum Tod.] Rieckhoff, S. & Rieckhoff, J. (2007). Mit Oma ist jetzt alles anders. Stuttgart: Thienemann. [Erfahrung der Auswirkungen eines Schlaganfalls.] Sterben und Tod: Varley, S. (1996). Leb wohl, lieber Dachs. Wien/München: Annette Betz Verlag. [Der Dachs ist alt und müde. Sein Leben ist vorbei und er weiß, dass er sterben wird.] Fried, A. & Gleich, J. (1997). Hat Opa einen Anzug an? München: Hanser. [Opa liegt im Sarg und ist hoch aufgebahrt. Ob er einen Anzug anhat kann Bruno nicht sehen …] Didaktische Überlegungen zu Projekten, in denen Begegnungen zwischen jungen und alten Menschen im Mittelpunkt stehen: Fürst, A., Helbig, E. & Schmitt, V. (2000). Kinder- und Jugendliteratur. Theorie und Praxis. Troisdorf: Bildungsverlag EINS.
Auch in der Grundschule bietet sich der Rückgriff auf die entsprechende Kinderliteratur an, wobei man sich durchaus vorstellen kann, dass die entsprechenden Autorinnen und Au-
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toren dazu ermutigt werden könnten, das Genre der „gerontologischen Kinderliteratur“ noch intensiver zu bearbeiten bzw. ihre Expertise auch in die Entwicklung von didaktischen Materialien einÁießen zu lassen. Hilfreich sind mit Sicherheit auch vielfältige Projekte im Sinne „Junge Menschen begegnen alten Menschen“. Junge Menschen können im Rahmen solcher Projekte etwa ältere Menschen interviewen (zum Beispiel „Zehnjährige interviewen 100-Jährige“), was zu sehr eindrücklichen und schönen Erfahrungen „auf beiden Seiten“ führen kann. In fortgeschrittenen Bildungsphasen sollte dann, in geeigneter Form, das in den einzelnen Disziplinen angehäufte Wissen zu Altern vermittelt werden. Natürlich kann die Alternsthematik darüber hinaus in klassischen Unterrichtsfächern vielfachen Niederschlag Ànden, so beispielsweise in Deutsch (Literatur zu Altern und Generationenbeziehungen; siehe auch Kapitel 1 dieses Buches), in Ethik (zum Beispiel Entscheidungen in der Situation schwer wiegender Erkrankungen im Alter), im Englischunterricht (Harold and Maude) und in Mathematik (zum Beispiel quantitative Modelle zum Altern von Populationen anhand der eigenen Kommune durchspielen). Nicht vergessen werden sollten in diesem Zusammenhang auch Berufs- und Fachschulen, etwa Fachschulen für die Erzieher/innen-Ausbildung. Gerade in Zeiten eines „langen Lebens“ kann es etwa für Erzieherinnen und Erzieher sehr wertvoll sein, bereits im Rahmen ihrer Ausbildung jenes Leben besser kennen zu lernen, das nach der Kindheit kommt bzw. das Kindern bevorsteht. Wir schlagen vor, dass so schnell wie möglich eine hochwertige curriculare Ausdifferenzierung von Wissen über Altern erfolgt und ernsthafte Überlegungen dazu angestellt werden, wie die Vermittlung dieses Wissens bereits im Kin-
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dergarten bzw. in unterschiedlichen Schulformen erfolgen kann. Wir halten dies im Übrigen für eine überaus reizvolle Anforderung, die viel Einfallsreichtum, Kreativität und die in diesem Bereich neuartige Nutzung von Medien einschließlich Internet erfordert.
Vermittlung von Wissen über Altern an unterschiedliche Akteure Wissen über Altern gilt es nicht nur im Rahmen der schulischen Sozialisation stärker zu vermitteln; solches Wissen wird auch zunehmend von unterschiedlichen Akteuren in unserer Gesellschaft benötigt. Im Folgenden möchten wir unterscheiden zwischen Berufen, Akteuren im politischen Raum und sonstigen Akteuren von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Eine ganze Vielfalt von Berufen benötigt in unserer alternden Gesellschaft zunehmend Wissen über Altern im Sinne einer Aus- und Weiterbildungsperspektive. Einige Beispiele seien genannt: Architekten bauen immer öfter für Ältere, Akteure im Bankenbereich vermitteln zunehmend Kredite, Geldanlagen und sonstige Finanzdienstleistungen an Ältere, Möbel- und Küchendesigner müssen sich immer stärker auf die Ansprüche und Bedürfnisse von Älteren einstellen, Akustiker und Optiker sehen sich einer immer größer werdenden Anzahl von hör- und sehbehinderten Älteren gegenüber, Allgemeinpraktiker, aber auch viele andere fachmedizinische Richtungen, behandeln zunehmend auch ältere Menschen. Wissen über den demograÀschen Wandel und über Altern ist auch im politischen Raum notwendiger denn je. Angesprochen sind Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen, von
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der Kommune bis hin zum Bundestag. Ebenso muss es zunehmend zur Fortbildung des entsprechenden Berater- und Zuarbeiterstabes gehören, sich in stärkerem Maße als bislang Wissen über Altern anzueignen. Dies gilt im Grunde für alle Bereiche politischen Handelns, im Besonderen allerdings für die Bereiche Gesundheits-, Wohn-, Verkehrs-, Familien- sowie Bildungs- und Forschungspolitik. Wissen über Altern benötigen auch mehr denn je Akteure beispielsweise der Wohnungsbaugenossenschaften, der Automobil- und der Lebensmittelindustrie, Sportvereine und natürlich, in einer alternden Arbeitsgesellschaft, auch der Betriebe und Unternehmen. Wir sollten an dieser Stelle nicht voraussetzen, dass solches Wissen gewissermaßen natürlich erworben und eingesetzt wird. Im Gegenteil, vorherrschend zu sein scheinen weiterhin Unwissen, falsches Wissen und stereotypes Wissen über den Alternsprozess. Wiederum sind alle Möglichkeiten der Fortbildung zu nutzen, um solches Wissen zu vermitteln, und auch hier gilt es, neue und innovative Formen der Wissensvermittlung zu generieren, um die entsprechenden Wirkungen zu erzielen. Es sind in dieser Hinsicht regelrechte Forschungsprojekte notwendig, um zu erkunden und zu erproben, welche Formen der Vermittlung von Wissen über Altern in Bezug auf solche Akteure besonders wirkungsvoll sind.
Wissen über Altern an ältere Menschen vermitteln Wissen über Altern muss nicht zuletzt an ältere Menschen selbst sowie ihre Angehörigen vermittelt werden. Erneut möchten wir darauf verweisen, dass bislang kaum Möglichkei-
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ten in unserer Gesellschaft existieren, sich systematisch Wissen über Altern als „betroffene“ Person anzueignen. Hier kommt deshalb die gesamte Palette der in Kapitel 7 beschriebenen Formen der Alternsmeisterung zum Zuge. Es muss in einer alternden Gesellschaft zunehmend Angebote geben, welche die vielfältigen Möglichkeiten und Strategien der Auseinandersetzung mit Altern, vom Umgang mit Verlusten bis hin zu möglichen Entwicklungen in Richtung von Persönlichkeits- und kognitivem Wachstum efÀzient und „lustvoll“ vermitteln. In diesem Bereich stehen wir allerdings sehr rasch vor der „Gretchenfrage“ der Erreichbarkeit von jenen, die möglicherweise einen bedeutsamen Beratungs- und Interventionsbedarf aufweisen, jedoch nie auf die Idee kämen, zur Deckung dieses Bedarfs professionelle Interventionsangebote in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund ist weitere Forschung dahingehend zu unternehmen, besser zu verstehen, warum derartige Barrieren hoch sind und wie sie möglicherweise in einfallsreicher Weise überwunden werden können.
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Resümee Die Vermittlung von Wissen über Altern ist eine der entscheidenden Voraussetzungen zur Gestaltung des demograÀschen Wandels. Derzeit sind keine deutlichen Initiativen auszumachen, die diese Bildungsaufgabe in einer Ernsthaftigkeit und Breite angehen, wie wir dies eben argumentativ zu unterstützen suchten. Wenn diese „Weiche“ in die Zukunft guten Alterns nicht sehr bald neu gestellt wird, bleiben viele Chancen und Potenziale einer alternden Gesellschaft ungenutzt, es wird von Altersstereotypen gesteuertes Verhalten (zum Beispiel von Arbeitgebern) unnötig lange weiter toleriert, und es werden notwendige Veränderungen und Anpassungen unnötig lange in die Zukunft aufgeschoben.
10 Kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen Zum Begriff der Kreativität Als Begründer der modernen Kreativitätsforschung wird üblicherweise Joy Paul Guilford angesehen. Diesem kommt nicht nur das Verdienst zu, in einer 1950 vor der American Psychological Association gegebenen Presidential Address (Guilford 1950) für einen ungedeckten Bedarf an kreativen Personen in der US-amerikanischen Wissenschaft und Wirtschaft sensibilisiert zu haben, was zusammen mit dem Sputnik-Schock von 1957 gemeinhin als Ausgangspunkt der modernen Kreativitätsforschung bezeichnet wird. Auch die im Arbeitskreis von Guilford entwickelten Tests zur Erfassung des divergenten Denkens (welches die Fähigkeit beschreibt, bei der Lösung eines kognitiven Problems verschiedenartige Lösungsansätze zu entwickeln) haben die spätere Kreativitätsforschung nachhaltig geprägt. Aus der genannten Rede von Guilford stammt die folgende DeÀnition: „Kreativität ist der Prozess der Áüssigen, Áexiblen, ursprünglichen Erzeugung von Konzepten zur Lösung von neuartigen Problemen.“
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Im Unterschied zum konvergenten Denken, das durch logische Schlussfolgerungen zu einer einzigen oder besten Lösung gelangt (wobei das Ergebnis mehr oder weniger vollständig durch die vorhandene Information determiniert ist), liefert das divergente Denken nach Guilford mehrere alternative Lösungen, die jeweils den gegebenen Anforderungen entsprechen. Dabei gelten die Anzahl der generierten Lösungen und deren Qualität als Maß für die Ausprägung des divergenten Denkens. Mit der Verwendung der Guilford-Tests zum divergenten Denken treten sechs Aspekte von kreativem Denken in den Vordergrund: 1. Problemsensitivität, 2. Flüssigkeit in der Produktion von Lösungsansätzen, 3. Flexibilität von Denkschemata, Bezugssystemen etc., 4. RedeÀnition von Objekten und Funktionen, 5. Elaboration im Sinne von Realisierbarkeit und Praktikabilität, 6. Originalität. Wählen wir die von Hannah Arendt (1960) vorgenommene Differenzierung menschlicher Grundtätigkeiten als Ausgangspunkt, dann lässt sich Kreativität als eine Form des Handelns beschreiben. Der von ihr herausgestellte Aspekt der Gebürtlichkeit – zu verstehen als das Potenzial des Menschen, in Kommunikation mit anderen Neues zu schaffen – ist für die Kreativität in hohem Maße kennzeichnend, beruht diese doch auf einer kommunizierbaren Originalität, die sowohl auf einen Überblick über die prinzipiell verfügbaren Optionen als auch auf eine fundierte Entscheidung für eine im konkreten Fall gerade nicht naheliegende, eher untypische, selten gewählte Option zurückgeht. Da ein neues Produkt nur dann ein „kreatives Produkt“ darstellt, wenn es von einer Gruppe zu irgendeinem Zeit-
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punkt als brauchbar, hilfreich oder befriedigend angesehen werden kann – da Leistungen nur dann als kreativ gelten, wenn sie dazu beitragen, ein Problem zu lösen, einen Zustand zu verbessern oder ein Ziel zu erreichen –, liegt es nahe, ein Mindestmaß an Intelligenz als eine Voraussetzung von Kreativität anzusehen. Entsprechend wird häuÀg ein Schwellenmodell unterstellt, dem zufolge hohe Intelligenz zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung für Kreativität bildet. In gemeinsamen Faktorenanalysen von Kreativitätsund Intelligenztests mit Maßen von Motivation, Temperament, Interessen und weiteren Selbsteinschätzungsmerkmalen konstituieren Kreativität und Intelligenz zwar eine gemeinsame Dimension allgemeiner intellektueller Leistungsfähigkeit. Doch darf daraus nun nicht geschlossen werden, dass sich die interindividuellen Unterschiede in der Kreativität durch Unterschiede in den „klassischen“ Dimensionen intellektueller Leistungsfähigkeit wie Gedächtnis, Verarbeitungskapazität oder Bearbeitungsgeschwindigkeit erklären lassen. Und so Àndet sich tatsächlich in den gemeinsamen Faktorenanalysen von Intelligenz- und Kreativitätstests durchgängig die Dimension „Einfallsreichtum“, auf der die Kreativitätstests deutlich höhere Ladungen aufweisen als Intelligenztests. Welches sind zentrale Ressourcen für Kreativität, das heißt, durch welche psychologischen Merkmale wird Kreativität besondert gefördert? Sechs Ressourcen lassen sich nennen: 1. Synthetisches/dialektisches Denken und komplexes Problemlösen, 2. hoch organisierte, leicht abrufbare Wissenssysteme, 3. Toleranz gegenüber Vieldeutigkeit und Risikobereitschaft, 4. Offenheit für neue Erfahrungen, 5. zielorientierte Motivation, 6. eine anregende und fordernde sozialkulturelle Umwelt.
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Legt man der empirischen Analyse ein Zwei-KomponentenModell der Intelligenz zugrunde, dann zeigt sich, dass Kreativität stärker mit der kristallinen (erfahrungsgebundenen) als mit der Áuiden (Áüssigen) Intelligenz korreliert.
Die Verwirklichung kreativer Potenziale im Alter Das Interesse an kreativen Potenzialen älterer Menschen hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. In diesem Zusammenhang haben sich neue theoretische Ansätze entwickelt, die davon ausgehen, dass Alternsprozesse prinzipiell auch die Entwicklung von Kreativität begünstigen können. Dabei wird vor allem darauf hingewiesen, dass kreative Leistungen häuÀg weniger einmaligen Charakter als vielmehr eine zum Teil lebenslange Entstehungsgeschichte haben. Kreativität kann sich auf sehr unterschiedliche Akte und Produkte beziehen und in sehr unterschiedlichen Bereichen entwickeln: Menschen können Kreativität in der Meisterung von Dilemmata, die mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun haben, ebenso entfalten wie in künstlerisch-gestaltenden oder aber technologischen Bereichen. Unabhängig davon bewähren sich kreative Lösungen häuÀg in breiteren sozialen und kulturellen Kontexten, sodass Menschen durch die Entfaltung von Kreativität auch zum sozialen und kulturellen Wandel und damit zur weiteren Entwicklung der Gesellschaft beitragen. Ausgehend von dem skizzierten Verständnis von Kreativität stellt Leopold Rosenmayr (2002) die Frage, ob und in welchen Bereichen speziell für ältere Menschen Möglichkeiten zur Verwirklichung kreativer Potenziale bestehen. Inwieweit, so
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Rosenmayr, liegt es nahe, dass ältere Handwerker, Therapeuten, Wissenschaftler oder Künstler über elaboriertes Wissen und Urteilsvermögen verfügen, das jenes jüngerer Menschen übersteigt? Rosenmayr argumentiert hier, dass für jüngere Menschen ein deutlich höherer Druck besteht, sich an beruÁiche Anforderungen anzupassen und sich auf den Mainstream ihres Fachgebiets zu konzentrieren. Das Risiko einer Originalität, deren Vermarktungsmöglichkeiten ungewiss sind, könne zumindest am Anfang der beruÁichen Karriere nicht eingegangen werden. Kreativität in späteren Lebensabschnitten bedeute vor allem eine Reduktion von Komplexität, und gerade hier sei Lebenserfahrung in besonderem Maße nützlich. Ähnlich wie für Hans Joas (2000) ist für Rosenmayr eine „integrierte Kreativität“ eng mit dem EmpÀnden von Verantwortung und Selbstkontrolle verbunden: Ein adäquater Umgang mit eigenen Ängsten wird – nicht nur im Alter – als wesentliche Voraussetzung einer Offenheit für Kreativität angesehen. Rosenmayr argumentiert, dass die Erfahrung von Grenzen im Alter – wenn auch nicht notwendigerweise, so doch potenziell – durch ein gesteigertes Maß an Verantwortung und Kontrolle über eben jene Grenzen hinaus führt. Der Standpunkt von Leopold Rosenmayr lässt sich anhand einer Aussage verdeutlichen, die der Bonner Psychologe Hans Thomae (1951) in der Schrift Persönlichkeit – eine dynamische Interpretation getroffen hat. Diese Aussage verbindet die Art und Weise, wie Menschen mit der letzten Grenze ihres Lebens – dem Tod – umgehen, und deren prinzipielle Offenheit für neue Anforderungen und Anregungen einer Situation: „So könnte man etwa als Maßstab der Reife die Art nehmen, wie der Tod integriert oder desintegriert wird, wie das Dasein im Ganzen eingeschätzt und empfunden wird, als gerundetes oder unerfüllt und Fragment gebliebenes, wie Versagungen,
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Fehlschläge und Enttäuschungen, die sich auf einmal als endgültige abzeichnen, abgefangen oder ertragen werden, wie Lebenslügen, Hoffnungen, Ideale, Vorlieben, Gewohnheiten konserviert oder revidiert werden. Güte, Gefasstheit, Abgeklärtheit sind Endpunkte einer Entwicklung zur Reife hin, Verhärtung, Protest, ständig um sich greifende Abwertung solche eines anderen Verlaufs. Manches Dasein leiert sich auch nur noch so zum Tode hin, nachdem es zuvor verheißungsvoll begonnen hatte. Entscheidend für die Form, welche am Ende erreicht wird, dürfte das Schicksal in vielfacher Gestalt sein. Neben manchem, was sich dazu aus der individuellen Lebensgeschichte sagen lässt, ist hier vor allem ein Faktor zu nennen: Güte, Abgeklärtheit und Gefasstheit sind nicht einfach Gesinnungen oder Haltungen, die man diesen oder jenen Anlagen oder Umweltbedingungen zufolge erhält. Sie sind auch Anzeichen für das Maß, in dem eine Existenz geöffnet blieb, für das Maß also, in dem sie nicht zu Zielen, Absichten, Spuren von Erfolgen oder Misserfolgen gerann, sondern so plastisch und beeindruckbar blieb, dass sie selbst in der Bedrängnis und noch in der äußersten Düsternis des Daseins den Anreiz zu neuer Entwicklung empÀndet.“
Auch wenn Kreativität mitunter auf eine Art Schockerlebnis zurückgeht, das schlagartig fundamental neue Einsichten eröffnet, so ist sie doch eng verbunden mit einer überlegten und präzisen Problemanalyse, die die in einer Situation bestehenden Möglichkeiten in optimaler Weise ausschöpft und auf dieser Grundlage eine sorgfältige und detaillierte Planung zukünftiger Handlungen leistet – drei Faktoren, die nach Leopold Rosenmayr ältere Menschen begünstigen sollten. Besondere kreative Potenziale älterer Menschen lassen sich in diesem Zusammenhang zum einen mit einer gewissen Askese in der Nutzung bestehender und Suche nach neuer Information begründen – nur auf diese Weise erscheint es möglich, Komple-
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xität zu reduzieren und sich von Traditionen wie dominanten Paradigmen zu lösen. Zum anderen sollte die Erfahrung einer „späten Freiheit“, sei es am Ende der beruÁichen Karriere oder sei es nach dem Ausscheiden aus dem Beruf, mit einer gesteigerten Fähigkeit einhergehen, sich von früheren Gewohnheiten und VerpÁichtungen zu lösen und sich einerseits risikobereit und enthusiastisch, andererseits hinreichend kontrolliert auf neue Vorstellungen und Erfahrungen einzulassen. Untersuchungen der Kreativität älterer Menschen dürfen sich nicht auf die Frage beschränken, inwieweit ältere Menschen zu kreativen Leistungen, wie sie von jüngeren Menschen erbracht werden, in der Lage sind. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass sich Kreativität im Alter auch in qualitativ anderer Weise darstellen kann als Kreativität in früheren Lebensabschnitten: Während kreative Leistungen jüngerer Menschen vor allem durch ihre Spontanität imponieren und aus vorherigen Bemühungen gerade nicht zu erklären sind, erscheinen kreative Leistungen älterer Menschen häuÀger als das Ergebnis einer kontinuierlichen Optimierung mehrerer aufeinander aufbauender Verarbeitungsschritte. Sternberg (1997) spricht in diesem Zusammenhang von old age style of creativity. Eine solchermaßen altersspeziÀsche Kreativität zeichne sich durch vier Merkmale aus: 1. subjective experience (subjektive Erfahrung), 2. unity and harmony (Einheit und Harmonie), 3. integration of ideas (Integration von Ideen), 4. emphasis on aging (Betonung des Alterns). Menschen können auch dann geistige (wie auch seelische) Potenziale zeigen, wenn sie körperlich erkennbar geschwächt und eingeschränkt sind. Oder allgemeiner ausgedrückt: Die körperliche Entwicklung unterliegt anderen Entwicklungs-
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gesetzen als die seelisch-geistige Entwicklung. Aus diesem Grunde wäre es in hohem Maße problematisch, wollte man von den körperlichen Prozessen im Alter unmittelbar auf seelisch-geistige Prozesse schließen. In einer stark „körperorientierten“, die Jugendlichkeit des Menschen betonenden Kultur wie unserer ist die Gefahr groß, dass wir die seelisch-geistige Dimension des Menschen – speziell im Alter – übersehen und damit eine wichtige Qualität des Lebens übersehen. Über die individuellen Potenziale des Alters geben zahlreiche empirische Studien aus dem Forschungsbereich der Psychologie Auskunft. Den Ergebnissen dieser Studien zufolge sind für die Ausbildung der Potenziale dabei Entwicklungsbedingungen wie auch verwirklichte Entwicklungsschritte im Lebenslauf entscheidend. Anders ausgedrückt: Nicht das Alter per se führt zu bestimmten Potenzialen (dies anzunehmen, wäre nichts anderes als ein negatives durch ein positives Altersstereotyp zu ersetzen), sondern die reÁektierte Auseinandersetzung mit Entwicklungsanforderungen im Lebenslauf, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass die Entwicklungsbedingungen des Menschen (wie Bildungsangebote, beruÁiche Erfahrungen, soziale Integration, Ànanzielle Ressourcen) EinÁuss auf die Auseinandersetzung ausüben. Wenn der reÁektierte Umgang mit Entwicklungsanforderungen stattgefunden hat, dann verfügen Menschen im Alter über Potenziale, die sich aus psychologischer Perspektive wie folgt charakterisieren lassen: hoch entwickelte, bereichsspeziÀsche Wissenssysteme (zum Beispiel Expertenwissen in Bezug auf den ehemals ausgeübten Beruf oder in Bezug auf außerberuÁiche Interessengebiete, Wissen in Bezug auf grundlegende Fragen des Lebens), effektive Handlungsstrategien zur Bewältigung von Anforderungen in diesen speziÀschen Bereichen, Überblick über diese Bereiche, Fähigkeiten im Bereich der Kommunikation mit anderen Menschen
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sowie Offenheit für neue Anforderungen und VerpÁichtungen. Ein weiteres Potenzial, das hier wenigstens kurz erwähnt werden soll, ist die Ressource Zeit. Schon dieser kurze Überblick über die Potenziale zeigt, dass ein Großteil der älteren Generation über jene Ressourcen verfügt, die notwendig sind, um auch nach Ausscheiden aus dem Beruf ein gesellschaftlich mitverantwortliches Leben zu führen.
Altersbilder als kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen Die Innovationsfähigkeit einer alternden Gesellschaft kann auf Dauer nur dann erhalten und weiterentwickelt werden, wenn sie die kreativen Potenziale aller Altersgruppen nutzt. Dabei werden allerdings Kreativität und Innovationsfähigkeit nach wie vor primär mit jüngeren Altersgruppen assoziiert. Dies ist durch Befunde empirischer Untersuchungen in keiner Weise gedeckt. So gilt zum Beispiel in der Berufs- und Arbeitswelt die Aussage: Ältere sind nicht weniger leistungsfähig, nicht weniger kreativ als Jüngere, sie sind nur in anderer Weise leistungsfähig und kreativ. Dieser Aussage entsprechen ja auch die von uns angeführten DeÀnitionen von Kreativität. Die Innovations-, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit einer alternden Gesellschaft ist in hohem Maße an angemessene, das heißt ausreichend differenzierte Altersbilder gebunden. Wenn hier von angemessenen Altersbildern gesprochen wird, dann ist damit gemeint, dass der für die heutige gesellschaftliche Wahrnehmung des Alters nach wie vor charakteristische Belastungskurs um einen Produktivitätsdiskurs ergänzt werden, dass unsere Gesellschaft auf der Grundlage
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eines differenzierten Verständnisses von Alter Visionen gelingenden Alters entwickeln, dass die Bedeutung älterer Menschen für die wirtschaftliche Entwicklung einer alternden Gesellschaft in stärkerem Maße als eine Chance demograÀschen Wandels begriffen werden muss. Nicht zuletzt ergibt sich für eine zukunftsfähige Gesellschaft auch die Aufgabe, angesichts der Heterogenität (Verschiedenartigkeit) des Alters und der großen Unterschiede zwischen den aufeinanderfolgenden Kohorten älterer Menschen die Angemessenheit der bestehenden Altersgrenzen kritisch zu reÁektieren. Durch derartige Altersgrenzen werden auch Altersbilder geschaffen und aufrechterhalten. Wenn etwa Menschen vor Vollendung des 18. Lebensjahres nicht zur Wahl gehen oder alleine ein Fahrzeug führen dürfen, wenn Menschen mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder jenseits des 70. Lebensjahres bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten nicht mehr ausüben dürfen, dann werden damit nicht nur diesen Menschen Möglichkeiten und Gelegenheiten vorenthalten, sondern auch bei anderen Menschen Meinungen und Überzeugungen gestützt, die davon ausgehen, dass sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Dieser generellen Problematik von Altersgrenzen sollte durch eine stärkere Flexibilisierung begegnet werden. Ähnlich wie der gesetzlich festgelegte Zeitpunkt der Einschulung nach einer Prüfung des Einzelfalles vorverlegt oder zurückgestellt werden kann, sollte es für ältere Beschäftigte auch möglich sein, über das Erreichen der Altersgrenze hinaus zu arbeiten. Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Alters ist nicht zuletzt durch den politischen Diskurs über die Folgen des demograÀschen Wandels und die zukünftige Gestaltung sozialer Sicherungssysteme geprägt. Hier ist darauf zu achten, dass neben den Risiken des Alters auch die Stärken und Poten-
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ziale älterer Menschen angemessen gewürdigt werden. Ältere Menschen sind nicht lediglich eine Ànanzielle Belastung für unsere Gesellschaft, sie tragen durch familiäres und bürgerschaftliches Engagement erheblich zur Wertschöpfung bei – und dabei darf nicht übersehen werden, dass auch in diesem Engagement hohe Kreativität (zum Beispiel bei der Lösung alltagspraktischer Aufgaben, bei der Bewältigung von Belastungen, bei der Lösung von KonÁikten) liegen kann. Ältere sind nicht lediglich auf Unterstützung durch Jüngere angewiesen, intergenerationelle Beziehungen sind vielmehr vor allem durch Gegenseitigkeit geprägt. Die PÁege älterer Menschen wird zum erheblichen Teil von älteren Menschen geleistet. Auch die ausgeprägte Heterogenität des Alters und die bis ins höchste Alter bestehenden Präventions- und Interventionsmöglichkeiten müssen stärker Gegenstand politischer Debatten werden. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass Interessen der jüngeren und älteren Generation nicht gegeneinander ausgespielt und intergenerationelle KonÁiktpotenziale akzentuiert werden, für die es nach wie vor keine empirischen Belege gibt, sondern dass die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf verschiedene Altersgruppen transparent gemacht, differenziert dargestellt und begründet werden. Angesichts des demograÀschen Wandels gibt es keine Alternative zu einer stärkeren Nutzung der Ressourcen älterer Menschen, auch zu deren eigenem Wohl, denn schließlich belegen Untersuchungen, dass das Gefühl, gebraucht zu werden, im Allgemeinen mit einer höheren Lebensqualität einhergeht. Ältere Menschen verfügen über kognitive, lebenspraktische und sozialkommunikative Kompetenzen, die sie befähigen, innerhalb unserer Gesellschaft ein mitverantwortliches Leben zu führen – zum Beispiel im Sinne des Engagements in Kommune, Verein, in der Nachbarschaft und Familie (Be-
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treuung der Enkel und der eigenen Eltern). Inwieweit ältere Menschen bereit sind, diese Potenziale für andere zu nutzen, hängt auch davon ab, ob deren produktive Leistungen, die sie in vielen Bereichen für unsere Gesellschaft erbringen, angemessen gewürdigt werden, und es gelingt, ältere Menschen in weit stärkerem Maße als heute als mitverantwortliche Bürger anzusprechen. Dies heißt auch: Die gesellschaftlichen Altersbilder müssen sich in der Hinsicht wandeln, dass mit Alter in deutlich stärkerem Maße das Potenzial zu gesellschaftlicher Produktivität und Kreativität assoziiert wird. Zu den Visionen eines gelingenden Alters gehört aber auch ein selbstverantwortlicher Umgang mit Einschränkungen und Verlusten; im Umgang mit diesen Belastungen liegen ebenfalls schöpferische (kreative) Potenziale – diesmal im Sinne der Ausbildung einer in Teilen veränderten Lebenseinstellung und Zukunftsperspektive. Bleibende Einschränkungen und Verluste stellen den Menschen vor die Aufgabe, die subjektiven Kriterien für ein gutes oder zufriedenstellendes Leben wenigstens in Ansätzen neu zu deÀnieren. Hinzu treten die Bereitschaft und Fähigkeit, bestimmte Hilfen bewusst anzunehmen. Und schließlich ist hier die Kompetenz bei der Nutzung von personeller oder technischer Assistenz angesprochen. Alle drei Komponenten der Bewältigung erfordern ein hohes Maß an Kreativität, die eben im öffentlichen Diskurs nicht wirklich thematisiert wird. Würde sie thematisiert, so könnten ältere Menschen zusätzlich darin bestärkt werden, trotz eingetretener Einschränkungen und Verluste ein möglichst selbstverantwortliches Leben zu führen. Dabei darf die Vermittlung von Visionen und Perspektiven eines gelingenden Alters nicht mit einer Bewertung von individuellen Lebenslagen und Lebenswürfen verwechselt werden.
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Es geht hier lediglich darum, mögliche Orientierungen aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass persönliche Sinnentwürfe auch in Situationen möglich sind, denen nach wie vor viele Menschen in unserer Gesellschaft mit großen Ängsten entgegensehen. Das Erfahrungswissen älterer Menschen ist gerade in einer alternden Gesellschaft als ein Innovationspotenzial zu werten. Zum einen kommt älteren Menschen in einer dynamischen Informations- und Wissensgesellschaft besondere Bedeutung für die Weitergabe von Wissen zu. Zum anderen wird – wie die hohe Produktivität altersgemischter Teams eindrucksvoll belegt – die Innovationsfähigkeit jüngerer Menschen durch Möglichkeiten zum Dialog mit älteren Menschen, der den bereits von Mannheim beschriebenen „neuartigen Zugang“ (vgl. hierzu die in Kapitel 6 zum Konstrukt 1 „Generation“ getroffenen Aussagen) mit dem Erfahrungswissen älterer Menschen verbindet, begünstigt. Gleichzeitig verfügen ältere Menschen dann – wenn es ihnen gelingt, für neue Perspektiven, Erfahrungen und Erkenntnisse offen zu bleiben und diese kontinuierlich in ihre Wissenssysteme zu integrieren – über erhebliche kreative und innovative Potenziale. Auch sollten die im öffentlichen Diskurs kommunizierten Altersbilder in deutlich stärkerem Maße berücksichtigen, dass die Wachstumschancen der deutschen Wirtschaft in Zukunft stark davon abhängen werden, inwieweit es gelingt, bei der Entwicklung und dem Angebot von Produkten und Dienstleistungen die Interessen und Bedürfnisse älterer Menschen gezielt anzusprechen. Dabei widerspricht eine altengerechte Gestaltung von Dienstleistungen und Produkten ausdrücklich nicht den Interessen und Bedürfnissen jüngerer Menschen, sondern ist in aller Regel auch in deren Interesse.
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Zukunft Altern
Ein Beispiel für kreativitätsfördernde Altersbilder: Die Leitbilder des 5. Altenberichts der Bundesregierung Der Bundesregierung hat die Sachverständigenkommission zur Erstellung des 5. Altenberichts Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006) beauftragt, ausgehend von einer wissenschaftlich fundierten Bestandsaufnahme Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen und politikrelevante Handlungsempfehlungen im Hinblick auf eine bessere Nutzung dieser Potenziale zu erarbeiten. Angesichts eines überwiegend durch ökonomische Belastungsargumente geprägten öffentlichen Diskurses sollten die Folgen des demograÀschen Wandels differenziert beschrieben und dabei die Chancen einer alternden Gesellschaft in das Zentrum der Argumentation gestellt werden. Im Hinblick auf die Entwicklung, die Aufrechterhaltung und die gesellschaftliche Nutzung von Potenzialen im Alter hat die Kommission fünf Leitbilder expliziert, die als wichtige Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Förderung gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit angesehen werden können. Mitverantwortliches Leben älterer Menschen und Solidarität Dieses Leitbild gründet auf dem von Oswald von Nell-Breuning in seiner christlichen Soziallehre explizierten Subsidiaritätsprinzip, das besagt, dass Probleme vorzugsweise dort zu lösen sind, wo sie entstehen, bzw. dass größere soziale Einhei-
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ten erst dann für Problemlösungen zuständig sind und unterstützend („subsidiär“) tätig werden, wenn die jeweils kleineren sozialen Einheiten nicht zu einer selbstständigen Lösung in der Lage sind. Das Subsidiaritätsprinzip betont damit gleichermaßen die Nutzung bestehender Problemlösepotenziale (des Einzelnen, der Familie, der Kommune usw.) durch Förderung von Eigenverantwortung sowie die VerpÁichtung übergeordneter sozialer Einheiten (der Familie, der Kommune, des Staates), im Bedarfsfalle unterstützend tätig zu werden. Das Leitbild eines mitverantwortlichen Lebens verweist entsprechend sowohl auf die VerpÁichtung des Einzelnen, durch eine selbstverantwortliche Lebensführung Potenziale auszubilden und für sich selbst und andere zu nutzen, als auch auf die VerpÁichtung des Staates, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die Individuen eine angemessene Ausbildung und Verwirklichung von Potenzialen ermöglichen.
Alter als Innovationsmotor stärken Diesem Leitbild liegt die Annahme zugrunde, dass angesichts des demograÀschen Wandels gesellschaftlicher Wohlstand nicht mehr alleine durch eine Verwirklichung von Potenzialen jüngerer Menschen gesichert werden kann. Mit der Alterung des Erwerbspersonenpotenzials und von Betriebsbelegschaften steigt die Notwendigkeit, die innovativen und kreativen Fähigkeiten älterer Beschäftigter und Selbstständiger zu erkennen und zu fördern. Entsprechend sind von betrieblicher und gesellschaftlicher Seite die Voraussetzungen für den Erhalt und die Entwicklung von Kreativität im Alter zu schaffen. Zu diesen Voraussetzungen zählt nicht zuletzt die Schaffung von lernfördernden Arbeitsumgebungen für Arbeitnehme-
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Zukunft Altern
rinnen und Arbeitnehmer aller Altersgruppen und von speziÀschen Bildungsmaßnahmen für ältere Beschäftigte und Arbeitssuchende. Des Weiteren berücksichtigt dieses Leitbild, dass Wirtschaftswachstum in einer alternden Gesellschaft zunehmend davon abhängt, dass den Konsumbedürfnissen älterer Menschen angemessen Rechnung getragen wird.
Nachhaltigkeit und Generationensolidarität Mit diesem Leitbild wird berücksichtigt, dass in dynamischen Gesellschaften die Chancen, die sich für eine Gruppe ergeben, nicht selten mit Risiken für andere Gruppen verbunden sind. Entsprechend ist es denkbar, dass die gezielte Förderung der Nutzung von Ressourcen des Alters zu Lasten der für nachfolgende Generationen bestehenden Möglichkeiten, ihre eigenen Ressourcen zu vermehren oder zu verwirklichen, geht, insbesondere unter der Bedingung der Knappheit von Ressourcen. Die Förderung von Potenzialen des Alters ist deshalb auch im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen, zu sehen. Eine kinderfeindliche Gesellschaft ist auf Dauer nicht überlebensfähig, eine Verwirklichung von Potenzialen des Alters langfristig nur in einer kinderfreundlichen Gesellschaft möglich. In diesem Zusammenhang sollte nicht übersehen werden, dass gesellschaftliche Innovationen subjektiv – und eben nicht notwendigerweise objektiven Gegebenheiten entsprechend – wahrgenommen und bewertet werden. So kann eine Verbesserung der Erwerbschancen Älterer von Jüngeren auch dann im Sinne einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der eigenen Generation interpretiert werden, wenn die jüngere Generation objektiv von dieser Entwicklung proÀtiert. Entsprechend
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ist eine Förderung von Potenzialen älterer Menschen nur im Kontext einer generationenübergreifenden Perspektive möglich, die sich gleichzeitig kontinuierlich um die Transparenz von Zielsetzungen und Maßnahmen bemüht.
Lebenslanges Lernen Mit diesem Leitbild wird berücksichtigt, dass technische Innovationen und eine gestiegene Lebenserwartung auch mit dem Risiko verbunden sind, dass in früheren Jahren ausgebildete Wissenssysteme und erworbene Erfahrungen veralten und nutzlos werden, die Vorstellung, man könne beruÁiche Bildungsprozesse ausschließlich auf einen frühen Abschnitt der BiograÀe konzentrieren, mithin nicht mehr zeitgemäß ist. Ebenso wie sich nachfolgende Generationen lebenslang weiterbilden müssen, sollten sich auch ältere Menschen für Bildungsangebote öffnen. Gleichzeitig betont die Kommission, dass ältere Menschen heute über einen im Vergleich zu früheren Kohorten höheren durchschnittlichen Bildungsstand sowie über eine im Durchschnitt höhere Vertrautheit im Umgang mit Bildungsangeboten verfügen, derart veränderte BildungsbiograÀen mit einer gesteigerten Lernfähigkeit im Alter einhergehen und damit die Voraussetzungen für lebenslanges Lernen auch bei älteren Menschen gegeben sind.
Prävention Mit diesem Leitbild wird zum einen berücksichtigt, dass die Voraussetzungen für eine Verwirklichung von Potenzialen im Alter zu einem guten Teil in früheren Lebensaltern geschaf-
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Zukunft Altern
fen werden, zum anderen, dass Gesundheit und Leistungsfähigkeit auch im hohen Alter noch beeinÁusst werden können und über die gesamte Lebensspanne die Möglichkeit, Neues zu lernen, besteht. Ähnlich wie der Gesundheitszustand und das Bildungsniveau haben auch Mit- und Selbstverantwortung sowie Selbstsorge im Alter ihre biograÀschen und lebenslagespeziÀschen Voraussetzungen. Wer etwa sein Leben in Kindheit, mittlerem und höherem Erwachsenenalter bereits als in hohem Maße fremdbestimmt und wenig kontrollierbar erfährt und dadurch die einer selbstverantwortlichen Lebensführung förderlichen Fertigkeiten und Gewohnheiten nur eingeschränkt ausbilden konnte, wird auch im Alter seine vorhandenen Fähigkeiten nur selten in mit- und selbstverantwortlicher Weise einsetzen. Bei aller Betonung der sozialen und biograÀschen Voraussetzungen von Potenzialen des Alters darf aber nicht übersehen werden, dass Menschen bis ins sehr hohe Alter in der Lage sind, die Entwicklung entsprechender Potenziale durch eigenes Verhalten zu fördern. So kann etwa der Gesundheitszustand bis ins sehr hohe Alter durch den Verzicht auf Risikofaktoren, gesunde Ernährung und ein ausreichendes Maß an körperlicher und geistiger Aktivität gefördert werden. Die Kommission betont, dass gegenwärtig sowohl die Möglichkeiten der Prävention für das Alter als auch die Möglichkeiten der Prävention im Alter bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind (vgl. Kapitel 15).
10 Kreativitätsfördernde Rahmenbedingungen
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Resümee Eine alternde Gesellschaft kann auf die Nutzung der kreativen Potenziale älterer Menschen nicht verzichten. Die häuÀg anzutreffende Einschätzung, ältere Menschen könnten keinen wesentlichen Beitrag zur Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft leisten, ist unbegründet. Tatsächlich bestehen – eine lebenslange Offenheit für neue Anregungen vorausgesetzt – im Alter zum Teil sogar besonders günstige Voraussetzungen für kreative Leistungen. Eine bessere Nutzung der kreativen Potenziale des Alters ist aber an eine Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen gebunden. Im Erwerbsleben ist es nötig, dass Menschen über ihre gesamte ErwerbsbiograÀe hinweg von Bildungsmaßnahmen proÀtieren, mit Jüngeren kooperieren und Verantwortung übernehmen können. Darüber hinaus benötigen wir differenziertere Altersbilder und eine auf diesen gründende bessere Ansprache älterer Menschen. Erst wenn kreative Potenziale auch angemessen nachgefragt, gewürdigt und zumindest im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Wertschätzung honoriert werden, wird es möglich sein, auch die älteren Menschen in der ihnen gebührenden Weise an gesellschaftlichen Innovationen zu beteiligen.
Teil C Zehn Weichen für den Weg in eine gute Alternszukunft
11 Engagement und Expertise
Unter der Voraussetzung, dass das Individuum in seinem Lebenslauf offen für neue Erfahrungen und Wissensinhalte gewesen ist und auch die Möglichkeit gehabt hat, neue Erfahrungen zu machen und neue Wissensinhalte zu erwerben, bedeutet „Alter“ ein Mehr und eine höhere Reichhaltigkeit an Erfahrungen und Wissen. Einen Verzicht auf dieses Wissen kann sich eine alternde Gesellschaft, wenn sie die Herausforderungen des demograÀschen Wandels bewältigen sowie wettbewerbs- und innovationsfähig bleiben will, nicht leisten. Diese Aussage gilt sowohl mit Blick auf die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen als auch mit Blick auf deren Bereitschaft, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren.
Gesellschaftliche Bedeutung des Engagements älterer Menschen Mit dem zunehmenden Anteil älterer Menschen gewinnt auch deren soziales und politisches Engagement an Bedeutung für die Erhaltung von gesellschaftlicher Produktivität und Innovationsfähigkeit. Angesichts der im Vergleich zu früheren Geburtsjahr-
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Zukunft Altern
gängen besseren Ausstattung mit den Potenzialen Gesundheit, Bildung, Ànanzielle Ressourcen und Zeit sollten die heute älteren Menschen im Vergleich zu früheren Generationen besser in der Lage sein, verantwortliche Aufgaben innerhalb der Gesellschaft zu übernehmen. Die mit dem demograÀschen Wandel verbundenen Veränderungen der Altersstruktur sollten sich deshalb weniger gravierend auf intergenerationelle Solidarität, Generationengerechtigkeit und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit auswirken als vielfach befürchtet. Denn der zunehmende Anteil älterer Menschen kann durch die Entwicklung und Verwirklichung selbst- und mitverantwortlicher Potenziale einen zunehmenden Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft leisten und damit die jüngere und mittlere Generation entsprechend entlasten. Ein derart optimistisches Szenario setzt allerdings voraus, dass es gelingt, ältere Menschen in angemessener Weise zur Übernahme einer entsprechenden Aufgabe zu motivieren. Angesichts veränderter Erwerbs- und BildungsbiograÀen wird hier häuÀg davon ausgegangen, dass in Zukunft vor allem anspruchsvolle Aufgaben und Tätigkeiten nachgefragt werden, die eigenverantwortliches Handeln zulassen und gleichzeitig Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen und zur gezielten Fort- und Weiterbildung eröffnen. Ältere Menschen könnten auch im sozialen und politischen Engagement zukünftig stärker Innovationen anstoßen. Unabhängig davon, ob neue Generationen älterer Menschen eine im Vergleich zu früheren Generationen qualitativ andere Form des Engagements bevorzugen und anstreben, spiegelt sich in der individuellen Engagementbereitschaft zum einen das Selbstbild der Person wider (Inwieweit ist diese davon überzeugt, tatsächlich einen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können?), zum anderen aber auch das Ausmaß, in dem ältere Menschen als kompetente und mitverantwortliche Bürger angesprochen und akzeptiert werden.
11 Engagement und Expertise
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Die Zielvorstellung eines zivilbürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen lässt sich nicht nur mit den Herausforderungen eines veränderten Altersaufbaus der Bevölkerung, sondern auch mit individuellen Bedürfnisstrukturen begründen. Nachdem die Frage, ob ältere Menschen in ihrem WohlbeÀnden eher durch eine fortgesetzte Aktivität oder eher durch einen Rückzug aus gesellschaftlichen Rollen proÀtieren, in den 1960er und 1970er Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wurde, besteht in der Alternsforschung heute weitgehend Konsens darüber, dass – sofern man einen angemessenen Begriff von Aktivität zugrunde legt, der nicht zu eng mit der Produktion von Gütern und dem Arbeitsmarkt assoziiert ist und insbesondere die soziale Partizipation und Integration älterer Menschen betont – ein aktiver Lebensstil im Allgemeinen eher mit erhöhtem WohlbeÀnden und erhaltener Gesundheit einhergeht. Während frühe Aktivitätskonzepte der Bedeutung ökonomischer, politischer und sozialer Strukturen ebenso wenig gerecht wurden wie der Heterogenität des Alters, hat sich ein modernes Verständnis von aktivem Altern entwickelt, das der hier vertretenen Zielvorstellung eines zivilbürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen sehr nahe kommt. Für ältere Menschen ist ihr Engagement in unterschiedlichen Lebensbereichen vielfach gleichbedeutend mit der Erfahrung, dass das Alter neue Chancen bietet und sie nach der Familien- und Erwerbsphase noch gebraucht werden. Die im Zusammenhang mit ihrem Engagement erfahrene Wertschätzung bedeutet nicht selten einen Zuwachs an subjektiv erlebter Lebensqualität. Des Weiteren trägt ein engagierter Lebensstil zur Aufrechterhaltung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit und damit zu einer selbstbestimmten Lebensführung bei. Zahlreiche empirische Untersuchungen belegen, dass sich die Entwicklung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit im
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Zukunft Altern
Alternsprozess durch regelmäßige körperliche und geistige Aktivität auch langfristig günstig beeinÁussen lässt. In Tabelle 11.1 sind Ergebnisse der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) (Schmitt, Wahl & Kruse 2008) wiedergegeben, die zeigen, dass Menschen von ihrem Engagement in vielfacher Weise proÀtieren. Die in dieser wie auch in den folgenden Tabellen aufgeführten Items wurden – sofern nicht anders vermerkt – auf einer vierstuÀgen Skala (zutreffend/eher zutreffend/eher nicht zutreffend/nicht zutreffend) beurteilt. Angegeben ist für diese jeweils der Anteil Tabelle 11.1 Persönlicher Nutzen des Engagements in den Kohorten 1930–1932 und 1950–1952. K 1930–1932 Ich habe mehr Freude und Spaß am Leben. Ich kann meine Fähigkeiten einbringen. Ich kann neue Fähigkeiten erwerben. Ich habe Kontakt zu anderen Menschen. Ich habe Freundschaften aufgebaut und vertieft. Ich habe das gute Gefühl, etwas Nützliches zu tun. Ich habe ein allgemein positiveres Lebensgefühl. Ich gestalte mein Leben aktiver. Ich erhalte soziale Anerkennung. Ich kann mir neues Wissen aneignen. Aus Schmitt, Wahl & Kruse 2008.
K 1950–1952
gesamt
78,7 %
72,8 %
75,4 %
83,7 %
90,4 %
87,4 %
49,4 %
73,9 %
63,2 %
90,2 %
94,8 %
92,8 %
69,2 %
73,0 %
71,4 %
93,5 %
97,4 %
95,7 %
76,9 %
80,9 %
79,1 %
75,8 %
76,5 %
76,2 %
50,5 %
64,3 %
58,3 %
49,5 %
67,0 %
59,2 %
11 Engagement und Expertise
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der Personen, die mit „zutreffend“ oder „eher zutreffend“ antworteten. Das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, und der Kontakt zu anderen Menschen werden in beiden Kohorten von mehr als 90 % der ehrenamtlich Engagierten genannt. Die Angehörigen der Kohorte 1950–1952 verweisen häuÀger auf Möglichkeiten, eigene Fähigkeiten einzubringen und sich neue Fähigkeiten und neues Wissen anzueignen. Soziale Anerkennung wird in der Kohorte 1950–1952 von zwei Dritteln und in der Kohorte 1930–1932 von der Hälfte der ehrenamtlich Engagierten als persönlicher Nutzen genannt. Im öffentlichen Diskurs über das Engagement älterer Menschen muss weit stärker betont werden, dass die Bereitstellung von Möglichkeiten des Engagements durch die Gesellschaft nicht im Sinne eines Zugeständnisses, sondern im Sinne der Erfüllung einer grundlegenden PÁicht anzusehen ist. In demokratischen Gesellschaften haben Menschen unabhängig von ihrem Lebensalter ein grundlegendes Recht auf soziale und politische Partizipation. Von der Ausübung dieses Rechts proÀtieren nicht nur die älteren Menschen, sondern vor allem auch die Gesellschaft, und dies nicht allein dadurch, dass durch den Einsatz erhaltener Kompetenzen und Erfahrungen für andere Leistungen erbracht werden, für die ansonsten die Solidargemeinschaft garantieren müsste. Noch wichtiger erscheint, dass durch das Engagement älterer Menschen ein unverzichtbarer Beitrag zu einem solidarischen Zusammenleben und zu einer Verwirklichung demokratischer Ideale in unserer Gesellschaft geleistet wird. Das Engagement im Alter ist auch Ausdruck einer empfundenen Verantwortung gegenüber anderen, ohne die eine demokratische Gesellschaft undenkbar ist. Im Zusammenhang mit einer solchen Verantwortung für andere ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die gesellschaftlich dominanten Altersbilder und die Art und Weise, inwieweit ältere Menschen
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Zukunft Altern
als verantwortliche Bürger angesprochen werden, ebenfalls auf das alltägliche Gelingen von Demokratie verweisen. Nicht nur im Engagement, sondern auch in der Wertschätzung und Förderung dieses Engagements ist eine wichtige Grundlage für die Wahrung intergenerationeller Solidarität zu sehen.
Genutzte und ungenutzte Potenziale des Alters Können ältere Menschen ihre Erfahrungen in die Gesellschaft einbringen? Können sie diese nutzen? Mit dieser Frage wird von Ernst Bloch eine interessante Perspektive eröffnet, die sich wie folgt charakterisieren lässt: „Wir wissen nur das, was wir auch wirklich anwenden können.“ Auf das Alter bezogen: Nur jenes im Lebenslauf erworbene Wissen hat wirklich Bestand und kann als Grundlage für Weisheit dienen, das im Alltag – sei es in den sozialen Netzwerken, sei es in der Gesellschaft – kommuniziert, eingesetzt werden kann. Die Aussage, dass wir nur das wissen, was angewendet werden kann, Ànden wir übrigens zum ersten Mal niedergelegt in Speculum Perfectionis, Caput 46 des Franz von Assisi (1181–1226), wo es heißt: „Tantum homo habet de scientia quantum operatur.“ Schon heute tragen ältere Menschen durch ihr soziales und politisches Engagement in erheblichem Maße zum Gelingen eines durch Generationensolidarität geprägten gesellschaftlichen Zusammenlebens bei. Es ist aus zahlreichen Untersuchungen bekannt, dass die Beziehungen zu Familienangehörigen der Kinder- und Enkelgeneration bis weit in das achte Lebensjahrzehnt durch Gegenseitigkeit, im Sinne eines Gleichgewichts zwischen den von anderen in Anspruch genommenen und den anderen gewährten emotionalen und ins-
11 Engagement und Expertise
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trumentellen Unterstützungsleistungen, gekennzeichnet sind. In unserer Gesellschaft wird zudem zunehmend zur Kenntnis genommen, dass zahlreiche Vereine und Initiativen ohne das ehrenamtliche Engagement älterer Menschen in ihrem Bestand gefährdet wären und ältere Menschen in erheblichem Umfang zum Gelingen der Sozialisation nachfolgender Generationen und zum Funktionieren des sozialen Sicherungssystems der Bundesrepublik Deutschland beitragen. Das ehrenamtliche Engagement älterer Menschen ist hoch und nimmt erst in der höchsten Altersgruppe deutlich ab. Die Engagementquoten der „jungen Alten“ erreichen heute nach Zuwächsen in den letzten Jahren den Stand der Bevölkerung im mittleren Alter. Im Freiwilligensurvey hat sich der Abstand zwischen den 45- bis 54-Jährigen und den 55- bis 64-Jährigen um fünf Prozentpunkte verringert und zur Angleichung auf jeweils 40 % geführt, während der Alterssurvey (Tesch-Römer, Engstler & Wurm 2006) im Zeitraum von 1996 bis 2002 sogar eine Abstandsverringerung von neun auf zwei Prozentpunkte bei den Altersgruppen der 40- bis 54-Jährigen (1996: 22 %, 2002: 23 %) und den 55- bis 69-Jährigen (1996: 13 %, 2002: 21 %) aufzeigt. Bei den Frauen haben sich vor allem in der mittleren Altersgruppe die Engagementquoten stark erhöht: im Freiwilligensurvey von 29 auf 37 % (Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen), im Alterssurvey von 9 auf 18 % (Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen). Dagegen sind, je nach Studie, in den beiden benachbarten weiblichen Altersgruppen mittlere bis gar keine Anstiege zu verzeichnen. Etwas anders liegt die Situation bei den Männern: Hier liegen die höchsten Zuwächse in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen mit einem Anstieg von 31 auf 39 % im Freiwilligensurvey bzw. von 9 auf 15 % im Alterssurvey (70 bis 85 Jahre).
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Zukunft Altern
Folgt man den vorliegenden Surveyuntersuchungen, dann ist auch die Bereitschaft, ein freiwilliges bzw. ehrenamtliches Engagement neu aufzunehmen oder ein bereits bestehendes Engagement auszuweiten, in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Bei den 55- bis 64-Jährigen kann gegenwärtig ungefähr ein Drittel und bei den 65- bis 74-Jährigen ein Fünftel der Bevölkerung zur Gruppe der Engagementbereiten gezählt werden. In den beiden bereits genannten Kohorten aus der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters hielten es über 90 % der Untersuchungsteilnehmer für wichtig, dass sich Menschen für das Gemeinwohl engagieren; jeweils fast 90 % waren der Auffassung, dass ein ehrenamtliches Engagement das eigene Leben bereichert (Tabelle 11.2). Unabhängig davon wurden aber auch potenzielle Nachteile eines Engagements gesehen: Fast die Hälfte der Untersuchungsteilnehmer sah die Gefahr, vom Staat ausgenutzt zu werden; etwa ein Drittel war der Auffassung, ein freiwilliges Engagement könne verhindern, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Auf die weiterführende Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit sich die Personen in einem potenziellen Aktivitätsbereich ehrenamtlich engagieren, wurde deutlich, dass insbesondere in der Kohorte 1950– 1952, allerdings auch von der Mehrzahl der Befragten in der Kohorte 1930–1932, erhebliche Anforderungen gestellt werden, die deutlich darüber hinausgehen, dass sich einige Menschen lediglich in den Dienst einer guten Sache stellen. Für die Angehörigen beider Kohorten ist die Aufnahme oder Ausweitung eines ehrenamtlichen Engagements offenbar an anspruchsvolle Voraussetzungen geknüpft. Insofern kann die in der Fachöffentlichkeit häuÀg anzutreffende These eines neuen Selbstbewusstseins potenziell ehrenamt-
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Tabelle 11.2 Einstellung zu ehrenamtlichem Engagement in den Kohorten 1930–1932 und 1950–1952. K 1930–1932 K 1950–1952 gesamt Es ist wichtig, dass sich Menschen für andere Personen bzw. das Gemeinwohl einsetzen. Freiwilliges Engagement für andere Personen bzw. für das Gemeinwohl bereichert das eigene Leben. Menschen, die freiwillig unbezahlte Arbeit leisten, werden vom Staat nur ausgenutzt. Freiwilliges, unbezahltes Engagement der Bürger verhindert die Schaffung von Arbeitsplätzen. Es ist nicht gut, dass es Menschen gibt, die unbezahlte Arbeit leisten. Es ist Aufgabe der Politik und nicht die von ehrenamtlichen Helfern, sich um sozial Schwächere zu kümmern.
94,0 %
93,9 %
94,0 %
87,5 %
87,9 %
87,7 %
45,6 %
50,2 %
47,9 %
33,8 %
30,2 %
32,0 %
21,3 %
18,6 %
20,7 %
69,0 %
62,3 %
65,7 %
Aus Schmitt, Wahl & Kruse 2008.
lich tätiger Menschen, das seinen Niederschlag auch in einer Neugestaltung von ehrenamtlichen Tätigkeiten Ànden müsse, als gestützt gelten. In der Kohorte 1950–1952 wäre für etwa 80 % der Befragten die Aufnahme eines ehrenamtlichen Engagements daran gebunden, selbst entscheiden zu können, wer in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt unterstützt wird. Neben dieser Verwirklichung einer weitgehenden Selbstbestimmung werden vor allem eine gute Vorbereitung auf die Tätigkeit, eine kontinuierliche fachliche Begleitung sowie Möglichkeiten, mit Gleichgesinnten
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Zukunft Altern
Erfahrungen auszutauschen, an Weiterbildungen teilzunehmen und Verantwortung mit anderen zu teilen, genannt. Der Wunsch nach Selbstbestimmung wäre demnach im Kontext einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zu sehen. Des Weiteren wurden eine versicherungsrechtliche Absicherung und eine Unterstützung bei der Erreichung des Zielortes als wesentliche Voraussetzungen genannt. Die zuletzt genannte Voraussetzung interpretieren wir im Sinne der Erwartung, dass die ehrenamtliche Tätigkeit durch andere in angemessener Weise (vielleicht auch Ànanziell) anerkannt wird. Eine Interpretation im Sinne einer Kompensation eingeschränkter Mobilität erscheint weniger naheliegend, da diese Voraussetzung in der Kohorte 1930–1932 – wie alle anderen Voraussetzungen – von einem vergleichsweise kleineren Teil genannt wird. 55 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters gaben an, kein Interesse an einem ehrenamtlichen Engagement zu haben. Der Anteil der Personen, der auf die entsprechende Frage mit „nein“ antwortete, war in der Kohorte 1930–1932 mit 78,5 % deutlich größer als in der Kohorte 1950–1952, wo ein gutes Drittel ein Interesse an bürgerschaftlichem Engagement explizit verneinte. Personen mit guter Bildung, hohem beruÁichen oder ökonomischen Status sind häuÀger engagiert als Personen mit geringer Bildung, niedrigem beruÁichen oder ökonomischen Status, Männer häuÀger als Frauen, Westdeutsche häuÀger als Ostdeutsche, „junge“ Alte häuÀger als „ältere“ Alte. Männer sind eher in prestigeträchtigeren Bereichen und im politischen Ehrenamt, Frauen hingegen eher im „sozialen Ehrenamt“ vertreten. Derartige Ungleichheiten verweisen zum einen auf die Notwendigkeit einer zielgruppengerechten Ansprache von (potenziell) engagementbereiten Personen,
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zum anderen auf die Notwendigkeit, Engagementfelder zu Ànden, die deren speziÀschen Bedürfnissen, Interessen und Präferenzen angemessen sind. Der 5. Altenbericht der Bundesregierung (2006) hat deutlich gemacht, dass gerade bei den bisher unterdurchschnittlich engagierten bildungsfernen Gruppen ein Potenzial für bürgerschaftliches Engagement liegt, das durch zielgerichtete Maßnahmen aktiviert werden kann. Hier geht es nicht nur um die Nutzung von Ressourcen für die Gesellschaft, sondern auch um eine Erhöhung der Selbsthilfepotenziale und der Erschließung von Zugängen zu politischen Entscheidungsprozessen und Ressourcen im Sinne einer Befähigung zur Selbsthilfe. Ältere Menschen wollen – ebenso wie andere Bevölkerungsgruppen – als aktive Bürger am gesellschaftlichen Leben teilhaben und vor allem in den sie betreffenden Bereichen mitentscheiden, mitbestimmen und ihr Wissen und ihre Erfahrungen zum Wohle aller einbringen. Ihre hohe Wahlbeteiligung zeigt ihr starkes Interesse am gesellschaftlichen Geschehen. Dem entsprechend wollen sie Politik mitgestalten und ihre in vielen Lebensjahren erworbenen Fähigkeiten weiterhin für sich und andere nutzen. Ältere Menschen sind die besten Anwälte in eigener Sache, auch in Vertretung von Seniorinnen und Senioren, die sich nicht selbst artikulieren können. Sie wollen ihre Ansprüche im Hinblick auf Gesundheit, PÁege, Wohnen, gesetzliche Rente, Besteuerung und als Verbraucher selbst vorbringen. Das gilt auch für ältere Menschen mit Behinderungen sowie für ältere Migrantinnen und Migranten. Der örtlichen Ebene kommt dabei als Zentrum des Lebens im Alter besondere Bedeutung zu. Ältere Menschen wollen nicht nur Empfänger sozialer Leistungen sein, sondern mit ihren Potenzialen ihr Wohnumfeld und die kommunale Politik mitgestalten.
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Entwicklungstrends im Bereich des Engagements Im 5. Altenbericht der Bundesregierung werden drei Trends beschrieben, durch die sich eine allgemeine Tendenz zur „Modernisierung“ bürgerschaftlichen Engagements kennzeichnen lässt. Erstens kann festgestellt werden, dass neben den klassischen Formen des Engagements in Verein, Partei oder Verband andere Formen und Zusammenschlüsse erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Zu nennen sind hier insbesondere die Bereiche Ökologie und Kultur, Schule, Kindergarten, Gesundheit, Geschlechterpolitik sowie der soziale Nahbereich (zum Beispiel in der Nachbarschaftshilfe). Diese Pluralisierung des Engagements ist aber ausdrücklich nicht gleichbedeutend mit der Verdrängung oder Ablösung alter Organisationsformen. Das klassische Ehrenamt wird insbesondere in den höheren Altersgruppen nach wie vor gegenüber den neuen Formen vorgezogen. Zum Zweiten stehen die Auswahl und Gestaltung von Engagementbereichen heute weit weniger als früher im Zusammenhang mit der sozialen und regionalen Herkunft oder mit geschlechtsspeziÀschen und familiären Rollen (Individualisierung). Zum Dritten ist ein Motivwandel von altruistischen Motiven (anderen helfen, gemeinwohlbezogene Aufgaben übernehmen) hin zu eher ereignis-, spaß- und selbstverwirklichungsbezogenen Motiven zu beobachten. Während Frauen insbesondere die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen, als sehr wichtig ansehen, ist für Männer der Wunsch wichtiger, früher erworbene Fähigkeiten weiterhin einsetzen sowie das eigene Wissen weitergeben zu können. Ein Engagement – auch bei älteren Menschen – kommt demnach nur noch dann zustande, wenn es zu den jeweiligen biograÀschen Situationen und ihren Anforderun-
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gen „passt“ und wenn bestimmte biograÀsche Aufgaben bzw. Präferenzen mit der Ausübung des Engagements vereinbar sind. Zudem werden deutlich häuÀger zeitlich weniger verpÁichtende, projektorientierte und abwechslungsreiche Aufgabenbereiche bevorzugt, die zugleich ein hinreichendes Maß an Selbstbestimmung und Selbstorganisation zulassen. Folgen wir den Ergebnissen der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (Wahl, Schmitt & Kruse 2008), so lässt sich zunächst die Feststellung treffen, dass im mittleren wie hohen Erwachsenenalter die Notwendigkeit des Engagements für andere Menschen sowie für die Gesellschaft erkannt und in vielen Fällen als sinnstiftend gedeutet wird. Darin zeigt sich die Bedeutung des mitverantwortlichen Lebens für ein persönlich zufriedenstellendes Alter. Zugleich machen die Ergebnisse deutlich, dass die heute im mittleren und hohen Erwachsenenalter stehenden Menschen in einer neuen Art und Weise für das ehrenamtliche Engagement motiviert, in einer neuen Art und Weise als ehrenamtlich Tätige angesprochen werden wollen. Ein zentrales Merkmal dieser Ansprache bildet die Akzentuierung der Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Erfahrungen und des Wissens eines Individuums, verbunden mit der Botschaft, dass unsere Gesellschaft auf diese Ressourcen nicht verzichten kann und will. Mit dieser Form der Ansprache wird dazu beigetragen, dass sich Menschen vermehrt als Teil des öffentlichen Raumes wahrnehmen, den sie aktiv gestalten können. Zudem verwirklicht sich in dieser Form der Ansprache ein sehr bedeutsames Moment des Subsidiaritätsgedankens, und zwar in der Hinsicht, dass die natürlich gewachsenen Netzwerke in vielen Bereichen des öffentlichen – vor allem des gemeinschaftlichen – Lebens ein höheres Maß an Produktivität und Kreativität entfalten können als Kommune und Staat.
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Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement in hohem Maße mit dem Bedürfnis nach selbstverantwortlicher Lebensgestaltung verbunden ist. Selbstverantwortliche Lebensgestaltung kann dabei im Sinne der Möglichkeit, den Alltag in einer den eigenen Bedürfnissen, Interessen und Werten folgenden Art und Weise zu gestalten, deÀniert werden. Entscheidend für die Bereitschaft, sich für andere Menschen, sich für die Gesellschaft zu engagieren, ist die Erfahrung, dass sich in diesem Engagement Möglichkeiten selbstverantwortlicher Lebensgestaltung verwirklichen lassen. Vor diesem Hintergrund sind zwei von den Untersuchungsteilnehmerinnen und -teilnehmern genannte Motive zu interpretieren: Zum einen soll das Engagement herausfordern, soll es Gewinne für die weitere psychische Entwicklung bieten; zum anderen soll es in keiner Weise als „Zwang“, als „moralische VerpÁichtung“ erscheinen, sondern als Ausdruck einer selbst getroffenen Entscheidung. Es ließen sich auch Zusammenhänge zwischen der Bereitschaft zum mitverantwortlichen Leben und der Interpretation des eigenen Alterns im Sinne von Entwicklungspotenzialen nachweisen: In dem Maße, in dem Menschen mit dem eigenen Alternsprozess potenzielle Gewinne verbinden, nimmt auch deren Bereitschaft zu, sich im „öffentlichen Raum“ zu engagieren, diesen aktiv mit zu gestalten. Auf der Grundlage dieses Befunds kann auch Antwort auf die Frage gegeben werden, was unter „altersfreundlicher“ Kultur zu verstehen ist. Unserem Verständnis nach verwirklicht sich eine altersfreundliche Kultur zum Ersten in dem Maße, in dem im öffentlichen Raum ein differenziertes Verständnis von Altern und Alter kommuniziert wird, und zwar in der Weise, dass sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Alters berücksichtigt werden. Zum Zweiten verwirklicht sie sich in
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dem Maße, in dem in der Gesellschaft überzeugend kommuniziert wird, welche Bedeutung die Stärken des Alters für das Humanvermögen besitzen. Und schließlich zum Dritten müssen ältere Menschen ausdrücklich als mitverantwortlich Handelnde angesprochen werden, auf deren aktive Mitgestaltung des öffentlichen Raumes unsere Gesellschaft nicht verzichten kann. Die in der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters ermittelten Ergebnisse verdeutlichen, dass Menschen im mittleren und hohen Erwachsenenalter eine sehr differenzierte Einschätzung ihrer Kompetenz zeigen – erst in jenen Fällen, in denen diese differenzierte individuelle Einschätzung ihre Entsprechung in einer differenzierten öffentlichen (gesellschaftlichen) Wahrnehmung Àndet, werden sich ältere Menschen motiviert sehen, vermehrt Mitverantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Die polarisierte Wahrnehmung und Darstellung von Alter – im Sinne von hoher Kompetenz oder fehlender Kompetenz – scheint hingegen der Motivation zum mitverantwortlichen Leben eher abträglich zu sein. Aus den Befunden lässt sich außerdem folgern, wie wichtig die öffentliche Kommunikation des Alters als potenzielle gesellschaftliche Ressource für die Mitgestaltung des öffentlichen Raumes durch das Individuum selbst ist: Ob Menschen diesen öffentlichen Raum aktiv gestalten oder nicht, hängt diesen Ergebnissen zufolge auch damit zusammen, wie Alter in der Gesellschaft wahrgenommen und gedeutet wird – primär als Belastung oder als Chance.
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Resümee Durch die Nutzung ihrer Erfahrungen und Wissenssysteme können ältere Menschen einen erheblichen Beitrag zum Gelingen von Zivilgesellschaft leisten. Sie tun dies bereits heute in nicht zu unterschätzendem Umfang. Im Vergleich zu früheren Generationen älterer Menschen bestehen für ein Engagement deutlich bessere Voraussetzungen: Die Menschen sind gesünder und verfügen im Durchschnitt über höhere materielle und immaterielle Ressourcen. Die Bereitschaft zum Engagement ist insgesamt hoch, viele haben allerdings kein Interesse an traditionellen Ehrenämtern. Wenn man das Engagement älterer Menschen stärken möchte, muss man ihnen verantwortliche Tätigkeiten anbieten und übertragen, in denen sie ihre speziÀschen Erfahrungen und Wissenssysteme für andere nutzen und in vielen Fällen in der gewünschten Art und Weise weiterentwickeln können. Die Tatsache, dass eine bestehende Engagementbereitschaft nicht immer in die Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit mündet, hat darüber hinaus mit den in unserer Gesellschaft nach wie vor dominanten Altersbildern zu tun, die die Potenziale des Alters erheblich unterschätzen. Solche Altersbilder bleiben nicht ohne Auswirkungen auf das Selbstbild älterer Menschen und tragen dazu bei, dass ältere Menschen Möglichkeiten aktiver Teilhabe übersehen, sich diese nicht zutrauen oder auf ein Engagement verzichten, weil sie davon ausgehen, dass andere Menschen dies nicht für angemessen halten.
12 Miteinander der Generationen Im Folgenden soll zunächst auf das Miteinander der Generationen in der Familie eingegangen werden. Hier geht es uns zunächst darum, Ergebnisse aus Surveyuntersuchungen zur HäuÀgkeit und zur erlebten Qualität intergenerationeller Beziehungen sowie zum Austausch von Unterstützungsleistungen in der Familie zu berichten. Des Weiteren möchten wir deutlich machen, dass der demograÀsche Wandel auch mit erheblichen Veränderungen in der Verfügbarkeit familiärer Unterstützungspersonen einhergeht, was wiederum zu der Frage führt, wie ein bestehender Unterstützungsbedarf in Zukunft gedeckt werden kann. Wir werden deutlich machen, dass ein scheinbar naheliegendes pessimistisches Szenario bei genauerer Betrachtung doch eher fragwürdig erscheint, da der im Allgemeinen hohen Reziprozität im Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen nicht ausreichend Rechnung getragen wird.
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Miteinander der Generationen in der Familie Über die Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb der Familie liegen für Deutschland aus Surveyuntersuchungen repräsentative Daten vor. Diese zeigen, dass die sozialen Netzwerke der meisten älteren Menschen überwiegend durch Kontakte zu Familienangehörigen mehrerer Generationen geprägt sind. Für spätere Generationen älterer Menschen wird dies jedoch nicht im selben Maße der Fall sein. Nachdem sich die niedrige Geburtenrate bis zur Generation der heute älteren Menschen vor allem auf die Kinderzahl pro Familie, nicht aber auf den Anteil der Familien ohne Kinder ausgewirkt hat, wird der Anteil der Kinderlosen in zukünftigen Generationen älterer Menschen deutlich ansteigen: Von den 1950 geborenen Frauen blieben nur 11 % kinderlos, von den 1960 Geborenen bereits 23 %, und für die 1965 Geborenen geht man von 35 % Kinderlosen aus, wobei der Anteil unter den Frauen mit akademischer Ausbildung sogar auf 40 bis 44 % beziffert wird. Ein Rückgang der Geburtenrate ist gegenwärtig in allen europäischen Staaten zu beobachten, selbst in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland, die gemeinhin als sehr kinderfreundlich gelten. Mit einer Geburtenrate von gegenwärtig 1,3 liegt Deutschland allerdings unter dem Durchschnitt der EU, und es ist nicht zu erwarten, dass familienpolitische Leistungen, so begrüßenswert diese im Allgemeinen auch sein mögen, hier mittelfristig Wesentliches verändern könnten. Das Verhältnis zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern ist mit dem Begriff der Intimität auf Abstand treffend beschrieben worden. Alte Eltern leben in der Regel nicht mit ihren Kindern im selben Haushalt. Im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten hat Deutschland in der Altersgruppe
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der 65-Jährigen und Älteren den höchsten Anteil an Einpersonen- und den niedrigsten Anteil an Mehrpersonenhaushalten. Gleichwohl ist für die verschiedenen Generationen ein hohes Maß an räumlicher Nähe ebenso charakteristisch wie eine hohe KontakthäuÀgkeit. In der Regel wohnt mindestens ein erwachsenes Kind nicht weit von dem älter gewordenen Elternteil entfernt. Im Alterssurvey gaben etwa 70 % der 70- bis 85-Jährigen an, dass zumindest ein erwachsenes Kind im selben Ort lebe. In der Altersgruppe der 40- bis 69-Jährigen liegt dieser Anteil noch einmal um etwa 10 % höher; dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in früheren Erhebungen ein noch größerer Anteil ermittelt wurde. Hier wirkt sich ein vor allem in ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer problematischer Trend aus: Im Zuge der deutschen Binnenwanderung ziehen oder pendeln Kinder zu einem neuen, weit entfernten Arbeitsort, die Eltern bleiben dagegen im Heimatort. Dabei nimmt die geograÀsche Distanz zwischen alten Eltern und erwachsenen Kindern mit steigender Bildungsschicht zu. GenerationenkonÁikte in der Familie haben in den letzten Jahrzehnten eher ab- als zugenommen. Im Arbeitskreis von Ursula Lehr und Hans Thomae vorgenommene umfangreiche Analysen spontaner Lebenslaufschilderungen der von 1890 bis 1925 Geborenen sprechen für im Vergleich zu späteren Kohorten (1930 bis 1932 Geborene und insbesondere 1950 bis 1952 Geborene, wie sie vor allem in der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters erhoben wurden) intensivere und länger anhaltende KonÁikte. Eine Ànanzielle und materielle Abhängigkeit, die früher häuÀg Anlass für anhaltende intergenerationelle KonÁikte in der Familie war, wird heute weit seltener erlebt; Gebote und Verbote werden weit weniger ausgesprochen bzw. weniger als eingreifend in die eigene Lebensgestaltung empfunden.
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Alte Eltern werden oft vorschnell als passive Hilfeempfänger betrachtet, deren Leistungen für andere Menschen zu vernachlässigen sind. Dies ist sicherlich dann der Fall, wenn ausgeprägter Hilfe- oder PÁegebedarf vorliegt, doch stehen dann die unterstützenden Kinder häuÀg bereits selbst im höheren Erwachsenenalter und Alter. Etwa 60 % jener Menschen, die bei vorliegendem Hilfe- oder PÁegebedarf die Rolle der HauptpÁegeperson übernehmen, sind selbst bereits über 55 Jahre alt. Unabhängig davon ist die Einschätzung, Unterstützungsleistungen älterer Menschen könnten vernachlässigt werden, unzutreffend. Alle Untersuchungen und Surveys zeigen, dass gerade die heutige Rentnergeneration für ihre Kinder und Kindeskinder im privaten Rahmen umfangreiche Leistungen erbringt – sei es in Form von Ànanzieller Unterstützung, in Form von Sachleistungen, Betreuungsleistungen oder auch in Form von PÁege ihrer eigenen alten Eltern. So ergibt sich aus dem Alterssurvey, dass Seniorinnen und Senioren in den Bereichen Ehrenamt, PÁege und Kinderbetreuung im Jahr ungefähr 3,5 Milliarden Stunden überwiegend unentgeltlich tätig sind. Folgt man den Ergebnissen der Berliner Altersstudie, dann leisten etwa 40 % der über 70-jährigen Berliner im Durchschnitt jährlich etwa 3 500 Euro an Ànanzieller Unterstützung für ihre erwachsenen Kinder und weitere 1 500 Euro an ihre Enkelkinder. Von den Untersuchungsteilnehmern der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters unterstützten 70 % der Mittsechziger ihre Kinder und 57 % ihre Enkelkinder in teils sehr hohem Ausmaß – und 38 % dieses Jahrgangs erbrachten zum Teil erhebliche Ànanzielle Unterstützungsleistungen für ihre Eltern und Schwiegereltern. Die Beziehung zwischen den Generationen ist innerhalb der Familie im Allgemeinen durch gegenseitige Wertschät-
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zung, regen Kontakt und einen intensiven Austausch von Unterstützungsleistungen geprägt. In den Ergebnissen des Alterssurvey zeigt sich zwar ein leichter Rückgang in den anderen Menschen gewährten und den von anderen Menschen erhaltenen Unterstützungsleistungen, dies ändert aber nichts daran, dass die Familie nach wie vor der primäre Ort intergenerationeller Unterstützungsleistungen ist. So werden gegenwärtig etwa 80 % der Menschen mit Hilfe- oder PÁegebedarf zuhause durch Familienangehörige versorgt. Der sogenannte „kleine Generationenvertrag“ ist in seinem Bestand nicht gefährdet. Die Ergebnisse des Alterssurvey sprechen ebenso wie die Ergebnisse zahlreicher früherer Studien für ein hohes Maß an Gegenseitigkeit im Austausch von Unterstützungsleistungen. Menschen sind offenbar bis ins sehr hohe Alter in der Lage, durch die Gewährung von Unterstützungsleistungen Gegenseitigkeit in sozialen Beziehungen zu Familienangehörigen zu wahren. Mit zunehmendem Alter sind Menschen zwar weniger in der Lage, instrumentelle Unterstützung zu leisten, dieser Rückgang kann aber durch andere Formen der Unterstützung ausgeglichen werden. Entsprechend schätzten fast 80 % der im Alterssurvey Befragten die Beziehung zu ihrer Familie als gut oder sehr gut ein. Für diese hohe Wertschätzung der Familie zeigt sich in aufeinanderfolgenden Untersuchungswellen sogar ein steigender Trend. Dabei schätzen Frauen ihre Familienbeziehungen insgesamt etwas positiver ein als Männer: Auch die Daten des Alterssurvey sprechen im Übrigen dafür, dass familiäre KonÁikte vergleichsweise selten sind. Während etwa ein Viertel der Befragten von KonÁikten mit anderen Menschen berichtete, wurden KonÁikte zwischen den Generationen in der Familie nur von einem Zehntel der Befragten berichtet.
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Zukünftige Generationen älterer Menschen werden nicht mehr in gleichem Umfang von innerfamiliären Unterstützungsleistungen proÀtieren wie die heute älteren Generationen. Mit dem deutlichen Rückgang in der durchschnittlichen Kinderzahl und der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen nehmen familiäre Unterstützungspotenziale notwendigerweise ab. Damit wird ein Teil jener Unterstützungen, die heute von Familienangehörigen erbracht werden, zukünftig durch professionelle Leistungen abgedeckt werden müssen. Diese Entwicklung birgt natürlich die Gefahr, dass sich Ungleichheiten in Ànanziellen Ressourcen zukünftig in deutlich stärkerem Maße auf die Versorgungssituation und Integration im Alter auswirken werden als heute. Hinzu kommt, dass die für ein erfolgreiches Erwerbsleben heute vielfach unumgängliche Mobilität zu einer Benachteiligung älterer Menschen in strukturschwachen Regionen beiträgt. Es steht zu befürchten, dass diese vielfach wichtige Kontaktpersonen verlieren und persönlich zufriedenstellende soziale Beziehungen und tragfähige Unterstützungsnetzwerke nicht mehr ohne Weiteres aufrechterhalten können. An dieser Stelle sei aber auch darauf hingewiesen, dass eine Akzentuierung der mit veränderten Familienstrukturen verbundenen Risiken einer vorschnellen Setzung von älteren Menschen als passiven Hilfeempfängern geschuldet ist. Nimmt man die zahlreichen Hinweise auf eine ausgeprägte Gegenseitigkeit im Austausch von Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen ernst, dann bedeutet dies auch, dass eine abnehmende Kinderzahl mit einem zunehmendem Engagement älterer Menschen in außerfamiliären Beziehungen einhergehen kann. Unter der Voraussetzung, dass es unserer Gesellschaft gelingt, ältere Menschen stärker als mitverantwortliche Bürger anzusprechen, könnten frei werdende Unterstützungs-
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potenziale älterer Menschen vermehrt zum Nutzen der Gesellschaft eingesetzt werden.
Miteinander der Generationen außerhalb der Familie Praktisch alle innerhalb der Soziologie vorgeschlagenen Alterstheorien kommen zu dem Schluss, dass sich der gesellschaftliche Status älterer Menschen durch eine Marginalisierung und Stigmatisierung des Alters beschreiben lässt: Die Altersschichtungstheorie betont den Verlust von sozialen Rollen im Alter ebenso wie die Disengagement-Theorie, die Austauschtheorie oder die Aktivitätstheorie. Die von Rosow vorgeschlagene Marginalisierungsthese geht davon aus, dass ältere Menschen infolge der Randständigkeit des Alters in modernen Gesellschaften nicht ausreichend motiviert sind, sich auf das Alter vorzubereiten und es zu akzeptieren, was zu einer deÀzitären Sozialisation im Alter beitrage. Butler postuliert mit seinem Ageism-Begriff eine generell altenfeindliche Gesellschaft. Dowd deutet im Kontext der Austauschtheorie negative Altersstereotype als Ideologien, deren Funktion darin besteht, gesellschaftliche Benachteiligungen älterer Menschen zu rechtfertigen. Nach Goffman konstituiert das Alter eine „beschädigte Identität“, nach Kuypers und Bengtson tragen Rollenverluste zu einer Art sozialem Zusammenbruch im Alter bei (das sog. Social Breakdown Model). Rose zufolge bilden ältere Menschen eine Art Subkultur, deren Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation erheblich eingeschränkt sind. Anders als aufgrund dieser exemplarisch angeführten Ansätze zu erwarten, hat das Alter keinen wesentlichen EinÁuss auf das Auftreten von Depressionen; empirische Befunde zum Wohl-
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beÀnden, zur Lebenszufriedenheit, zum Selbstwertgefühl sowie zu den Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen älterer Menschen belegen keine im Vergleich zu früheren Lebensabschnitten negativere emotionale BeÀndlichkeit; der Übergang in den Ruhestand, der vor allem für Männer den Übergang in die Lebensphase Alter markiert, wird im Allgemeinen nicht als negativ, krisenhaft und besonders problematisch erlebt, sondern häuÀg herbeigesehnt, begrüßt und ohne größere Probleme bewältigt. Aus soziologischer Perspektive bietet die Analyse der Salienz des Alters eine Möglichkeit, dieses Paradoxon aufzulösen. Zwar ergebe sich aus der Tatsache einer Altersschichtung unmittelbar die soziale Bedeutung des Alters: Alter sei als ein Kriterium für die Zuweisung sozialer Rollen und für den sozialen Status anzusehen. Dabei dürfe aber nicht übersehen werden, dass das Alter nur eines unter vielen Attributen eines Menschen ist, die durchaus gegensätzliche Auswirkungen auf WohlbeÀnden und Selbstbild haben können. Eine auch subjektiv empfundene Beeinträchtigung aufgrund des Alters sei nur dann zu erwarten, wenn das Alter salient, das heißt wenn dem Individuum bewusst wird, dass das Alter ein relevantes Attribut darstellt. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn bestimmte kritische Altersgrenzen erreicht werden, die Entscheidungen bezüglich zukünftiger sozialer Rollen und damit verbundener Positionen in der Gesellschaft erfordern; ansonsten werde dem eigenen Alter im Allgemeinen eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Wenn das Alter nicht oder nur in geringem Maße salient ist, dann haben Marginalisierung und Stigmatisierung des Alters auch keinen EinÁuss auf WohlbeÀnden und Identität. Als Beleg für die im Allgemeinen geringe Salienz des Alters lässt sich unter anderem anführen, dass sich ältere Menschen
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nicht durch ein gemeinsames politisches Bewusstsein oder durch die Erfahrung gemeinsamer Interessen auszeichnen und dass die Solidarität unter älteren Menschen nicht größer ist als jene zwischen den Generationen. Auch die Tatsache, dass älteren Menschen einerseits bestimmte soziale Rollen nicht mehr offenstehen, kann dazu beitragen, dass Erfahrungen, die die Salienz des Alters erhöhen würden, nicht gemacht werden. Des Weiteren bietet die in der Theorie der sozioemotionalen Selektivität hervorgehobene aktive und kompetente Gestaltung sozialer Netzwerke einen empirisch begründeten Erklärungsansatz für eine im Allgemeinen geringe Salienz des Alters. Vor dem skizzierten Hintergrund ist zunächst die Frage nach der Zentralität des Alters in sozialen Interaktionen für eine allgemeine Einschätzung intergenerationeller Beziehungen außerhalb der Familie von besonderem Interesse: Inwieweit orientieren sich Menschen in ihrer Wahrnehmung anderer Menschen und im Umgang mit diesen am Lebensalter? Diese Frage wurde in einer eigenen empirischen Studie gestellt, an der 1 275 Personen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren teilgenommen haben (Kruse & Schmitt 2006). Hierbei handelt es sich um eine nach den Merkmalen Alter (45–57, 58–64, 65–75), Geschlecht, alte versus neue Bundesländer, städtische versus ländliche Region, Region mit hoher versus niedriger Arbeitslosenquote und Erwerbstätigkeitsstatus (Berufstätige, Arbeitslose, Hausfrauen, Rentner/Vorruheständler) geschichtete Stichprobe. Entsprechend sind für die 45- bis 75-jährige deutsche Bevölkerung repräsentative Aussagen möglich. Wir konzentrieren uns hier auf diese Studie, da sie nicht nur für Deutschland aktuelle, sondern auch sehr umfassende Informationen zur Wahrnehmung von Alter und Altern im mittleren und höheren Erwachsenenalter liefert.
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Die Zentralität des Alters erwies sich als altersgebunden; die Untersuchungsteilnehmer der Altersgruppe 65 bis 75 Jahre wiesen höhere Werte auf als die 45- bis 57-jährigen und die 58- bis 64-jährigen Untersuchungsteilnehmer. Es sind also vor allem die älteren Menschen der Auffassung, dass das Alter eine wichtige Information für die Interpretation und Gestaltung von sozialen Beziehungen darstellt. Die 45- bis 57-Jährigen und die 58- bis 64-Jährigen unterschieden sich in ihren Urteilen nicht bedeutsam. Dabei ging die höhere Zentralität des Alters unter den 65- bis 75-Jährigen auf die vermehrte Erfahrung altersgebundener Verluste zurück. Insgesamt war die Zentralität des Alters für alle drei Altersgruppen relativ gering, auf der von 5 (sehr geringe Zentralität) bis 25 (sehr hohe Zentralität) reichenden Skala lag der Mittelwert für die 45- bis 57-Jährigen bei 9,3, für die 58- bis 64-Jährigen bei 9,5 und für die 65- bis 75-Jährigen bei 10,6. Dieser Befund legt die Annahme nahe, dass sich Menschen im mittleren und höheren Erwachsenenalter in der Wahrnehmung und Deutung ihrer sozialen Umwelt nur vergleichsweise selten an der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Altersgruppen orientieren. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Menschen vor allem dann auf bestehende Altersbilder zurückgreifen, wenn dies durch den sozialen Kontext nahegelegt wird (zum Beispiel wenn ein älterer Mensch in seiner äußeren Erscheinung oder in speziÀschen Verhaltensweisen in hohem Maße mit einem negativen Stereotyp übereinstimmt). Angesichts der in den drei Altersgruppen ermittelten Werte für die Zentralität des Alters ist es eher unwahrscheinlich, dass Menschen in unserer Gesellschaft im Allgemeinen allein aufgrund ihres Alters sozial benachteiligt werden. Altersbilder dürfen nicht einfach als positive oder negative Bewertungen älterer Menschen verstanden werden. Auch
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wäre die Annahme zu einfach, in den Altersbildern jüngerer Menschen spiegele sich vor allem die Tendenz wider, die eigene Person dadurch aufzuwerten, dass die Mitglieder von Gruppen, denen man selbst angehört, positiver, die Mitglieder von Gruppen, denen man selbst nicht angehört, dagegen negativer wahrgenommen und beurteilt werden. Die im Alternsprozess auftretenden biologisch-physiologischen, psychologischen und sozialen Veränderungen können in sehr unterschiedliche Richtungen weisen. Entwicklung ist über die gesamte Lebensspanne sowohl mit Gewinnen und Chancen als auch mit Verlusten und Risiken verbunden, wobei in allen Lebensaltern große Unterschiede in den individuellen Alternsprozessen beobachtbar sind. Entsprechend lassen sich unsere Vorstellungen von Alter und Altern nicht auf einige wenige Aussagen reduzieren, hinsichtlich derer wir weitestgehend übereinstimmen. Wir verfügen vielmehr über sehr unterschiedliche Altersbilder, die wir je nach Situation in unserer Wahrnehmung, unseren Urteilen und unserem Verhalten berücksichtigen, zurückstellen oder gänzlich ignorieren. Für eine Charakterisierung des Miteinanders der Generationen außerhalb der Familie ist deshalb die Frage aufschlussreich, inwieweit Menschen über hinreichend differenzierte Altersbilder verfügen, um in konkreten Interaktionen mit älteren Menschen deren Individualität gerecht werden zu können. Aus einer stärker gesellschaftlichen Perspektive stellt sich hier auch die Frage, inwieweit Menschen in der Lage sind, kreative und produktive Potenziale älterer Menschen zu erkennen und zu nutzen. In der erwähnten Untersuchung wurden aus der aktuellen wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskussion vier Altersbilddimensionen abgeleitet und ein Fragebogen zur Messung der Ausprägung dieser Dimensionen entwickelt.
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1. Entwicklungsgewinne und Chancen: Alter als eine Lebensphase, die nicht nur durch erhaltene Leistungsfähigkeit, sondern auch durch ein Mehr an Erfahrungen, eine Befreiung von VerpÁichtungen (im Sinne einer späten Freiheit) und individuelles WohlbeÀnden gekennzeichnet ist; 2. Entwicklungsverluste und Risiken: Alter als eine Lebensphase, die – im Sinne eines allgemeinen DeÀzitmodells – durch Verluste im Bereich der Selbstständigkeit, der kognitiven Leistungsfähigkeit, der sozialen Integration und Partizipation sowie durch Gefühle von Einsamkeit und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet ist; 3. Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen: Soziale Benachteiligung älterer Menschen, insofern deren Wunsch, am öffentlichen Leben teilzunehmen, nicht respektiert wird und die von älteren Menschen erbrachten beruÁichen Leistungen nicht anerkannt werden; 4. Gesellschaftliche Anforderungen und Belastungen: Bedürfnisse und Ansprüche älterer Menschen als sowohl für ihre Familienangehörigen wie auch für die Gesellschaft nicht mehr zumutbare Belastung. Der Grad der Differenzierung von Altersbildern wird bereits in der Zustimmung für jene Aussagen, die die beiden Dimensionen „Entwicklungsgewinne und Chancen“ und „Entwicklungsverluste und Risiken“ konstituieren, deutlich: Einerseits war der überwiegende Anteil der Untersuchungsteilnehmer der Auffassung, im Alter sei die glücklichste Zeit des Lebens nicht vorüber, das Alter sei eine sehr schöne Lebensphase, ältere Menschen hätten mehr innere Ruhe als jüngere und würden viel aus ihrem Leben machen. Andererseits war die deutliche Mehrheit der Untersuchungsteilnehmer der Meinung, die meisten älteren Menschen fühlten sich einsam, äl-
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tere Menschen seien häuÀg deprimiert, viele ältere Menschen hätten den Anschluss an die heutige Zeit verloren, und im hohen Alter hätten viele Menschen geistig abgebaut. Für jene Untersuchungsteilnehmer, deren Werte für die Dimension „Entwicklungsverluste und Risiken“ im oberen Quartil lagen, die also negative Aspekte des Alters besonders betonten, verteilten sich die Werte für die Skala „Entwicklungsgewinne und Chancen“ nahezu gleichmäßig über alle Quartile. Auch aus der Akzentuierung negativer Aspekte des Alters kann also nicht auf die fehlende Wahrnehmung positiver Aspekte des Alters geschlossen werden. Insgesamt sprechen die Ergebnisse für eine differenzierte Wahrnehmung von Alter und Altern in unserer Gesellschaft und damit gegen die Annahme, dass Menschen allein wegen ihres Alters abgelehnt oder diskriminiert werden (Schmitt 2004). Mit Ausnahme des Merkmals „städtische versus ländliche Region“ fanden sich für alle bei der Schichtung der Stichprobe berücksichtigten Merkmale der objektiven Lebenssituation zumindest zu einzelnen der vier Altersbilddimensionen bedeutsame Zusammenhänge. Die meisten und in quantitativer Hinsicht bedeutsamsten Zusammenhänge wurden für die Dimension „Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen“ ermittelt. Berufstätige nahmen die Einstellung der Gesellschaft gegenüber den Leistungen älterer Menschen positiver wahr als Arbeitslose und Vorruheständler, Arbeitslose gaben hier negativere Urteile ab als Rentner. Für Beamte ermittelten wir hier geringere Werte als für Arbeiter und Angestellte, für geschiedene Untersuchungsteilnehmer höhere Werte als für ledige und verheiratete Untersuchungsteilnehmer. Weiterhin zeigten sich Zusammenhänge zwischen den Werten für das Merkmal „Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen“ und materiellen Ressourcen: Untersuchungsteilnehmer mit
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Ersparnissen, Wohneigentum oder einem höheren Haushaltsnettoeinkommen wiesen tendenziell niedrigere Werte auf. Weitere Zusammenhänge fanden sich mit dem Berufsprestige und der Haushaltsgröße (je höher das Berufsprestige und je größer der Haushalt, desto günstiger die Urteile der Untersuchungsteilnehmer). Schließlich lagen die Werte auf der Skala „Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen“ für die Untersuchungsteilnehmer aus den alten Bundesländern im Durchschnitt unter jenen für die Untersuchungsteilnehmer aus den neuen Bundesländern. Im Kontext der Ageism-These von Robert Butler ist die Auffassung populär geworden, weit verbreitete negative Stereotype, Vorurteile und Diskriminierungen älterer Menschen würden dazu beitragen, dass das Alter mit nicht zu leugnenden „faktischen“ sozialen Benachteiligungen einhergeht, die auch von den älteren Menschen selbst nicht weiter hinterfragt werden. Die skizzierten empirischen Befunde belegen im Unterschied dazu, dass die Wahrnehmung des Alters heute durch Differenziertheit und Optimismus geprägt, die These einer altenfeindlichen Gesellschaft nicht aufrechtzuerhalten ist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sozialstrukturelle Merkmale einen bedeutsamen EinÁuss auf die Wahrnehmung des Alters ausüben.
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Resümee Das Verhältnis zwischen den Generationen ist innerhalb der Familie nach wie vor durch gegenseitige Wertschätzung und Solidarität geprägt. Betrachtet man die vorliegenden Ergebnisse zum Austausch von instrumentellen und emotionalen Unterstützungsleistungen, dann liegt es nahe, dass die jüngere Generation von der älteren Generation in ähnlicher Weise proÀtiert wie die ältere von der jüngeren. Auch außerhalb der Familie Ànden sich keine Hinweise auf ausgeprägte KonÁikte zwischen den Generationen. Dem Alter scheint im Allgemeinen in der Gestaltung alltäglicher Beziehungen nur eine eher untergeordnete Rolle zuzukommen. Der zunehmende Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den meisten Menschen nicht als Belastung oder gar Bedrohung empfunden. Gleichwohl wird häuÀg befürchtet, dies könne sich ändern, wenn die verfügbaren Ressourcen knapper werden und sich InteressenkonÁikte entsprechend verschärfen. Entsprechende Szenarien vernachlässigen, dass die heute älteren Menschen nicht nur über im Vergleich zu früheren Generationen deutlich bessere materielle und immaterielle Ressourcen verfügen, sondern – wie die Ergebnisse zum Austausch von Unterstützungsleistungen zeigen – auch bereit sind, diese für andere einzusetzen. Unter der Voraussetzung,
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dass sich Altersbilder weiter differenzieren und es gelingt, ältere Menschen mit ihren Stärken und Potenzialen angemessen anzusprechen, wird sich der Beitrag der älteren Menschen zum Gelingen von Gesellschaft noch einmal deutlich erhöhen. Mit fortschreitendem demograÀschen Wandel werden emotionale und instrumentelle Unterstützungsleistungen, die zuvor innerhalb der Familie erbracht wurden, in stärkerem Maße Personen außerhalb der Familie zugute kommen. Des Weiteren kann man davon ausgehen, dass unter der Voraussetzung, dass sich der Trend zu besserer Gesundheit und höherem Bildungsstand weiter fortsetzt (was zumindest einige Untersuchungen zur Entwicklung der aktiven Lebenserwartung nahelegen), die gegenwärtig schon geringe Bedeutung des Alters für die Gestaltung sozialer Interaktionen zumindest nicht zunehmen wird. Wenn es gelingt, auch die Chancen des demograÀschen Wandels zu erkennen und zu nutzen, dann wird auch das Miteinander der Generationen weiterhin durch gegenseitige Wertschätzung und Solidarität geprägt sein.
13 Menschenfreundliche Umwelten Menschenfreundlichkeit von Umwelten als zentrale Anforderung an alternde Gesellschaften Wir gehen in diesem Kapitel von der allgemeinen Annahme aus, dass die Gestaltung von Umwelten in unserer Gesellschaft bzw. die Gestaltung von Person-Umwelt-Beziehungen im privaten wie im öffentlichen Raum Potenziale für den Einzelnen wie für die Gesellschaft enthält, die noch nicht systematisch genug ausgeschöpft werden bzw. neuer Impulse bedarf. Was meinen wir mit Umwelten bzw. Person-Umwelt-Beziehungen? In jedem Falle eine ganze Vielfalt von Aspekten, die alle insbesondere dadurch charakterisiert sind, dass hier gutes und gelingendes Altern mit räumlich-dinglichen Gegebenheiten in enger Wechselwirkung steht. Ganz offensichtlich geht es zunächst um das Wohnen alter Menschen. Wir wissen aus sogenannten Zeitbudgetstudien, dass Ältere, vor allem Ältere jenseits von etwa 80 Jahren, den überwiegenden Teil ihres Lebens, etwa 80 % ihrer Zeit, in den eigenen vier Wänden verbringen. Alltag im Alter bedeutet also vor allem Wohnalltag. Ein wichtiges demograÀsches
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Faktum besteht ferner darin, dass heute etwa 93 % der über 65-Jährigen in Deutschland in Privathaushalten leben. Nur etwa 5 % der über 65-Jährigen wohnen in Heimen, jedoch steigt dieser Anteil in einer altersdifferenziellen Betrachtung deutlich an: Er liegt beispielsweise bei den 65- bis 75-Jährigen nur bei etwa 3–4 %, bei den über 90-Jährigen dann allerdings bei etwa 35–40 %. Das bedeutet allerdings wiederum im Umkehrschluss, dass etwa 70 % der über 65-Jährigen nicht in eine stationäre Wohnform übersiedeln werden. Hinter den verbleibenden 2 % stehen neue Formen des Wohnens im Alter wie Mehrgenerationenhausgemeinschaften, primär von rüstigen Älteren organisierte Wohn- und Hausgemeinschaften, neu gebaute oder „im Quartier“ eingerichtete Formen des betreuten Wohnens, hotelartig organisierte Wohnarrangements für Ältere – und zunehmend auch Hausgemeinschaften und PÁegewohngruppen für an Demenz Erkrankte. Wohnen im Alter stellt mit anderen Worten jene Sphäre dar, in der sich Altern heute in seinen verschiedensten Ausgestaltungen entfaltet und „auslebt“. Wohnen ist aber gerade durch die im hohen Alter besonders hervortretenden umweltrelevanten Fähigkeitsverluste wie Mobilitätseinbußen, sensorische Einbußen und kognitive Verluste besonders hohen Gefährdungen ausgesetzt. Es geht aber bei menschenfreundlichen Umwelten um deutlich mehr als nur den sicherlich für viele Ältere und Angehörige zentralen Aspekt des Wohnens, beispielsweise um • Gestaltungen des Wohnumfelds und von öffentlichen Räumen, • die Suche nach einer auch seniorengerechteren Urbanität, • Gestaltungen der außerhäuslichen Mobilität und außerhäuslicher Aktionsräume, • Gestaltungen von Technikumwelten,
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Gestaltungsaufgaben in Bezug auf die vielfältigsten BenutzeroberÁächen, um Technik efÀzient im Sinne des eigenen Lebenszieles nutzen zu können (prototypisch: Internet), sonstige Gestaltungsaufgaben, etwa in Bezug auf Bankund Fahrkartenautomaten, Homepagegestaltungen und andere bildschirmgestützte Kommunikationsformen, Reservierungsanzeigen bei der Deutschen Bundesbahn, Gestaltungsfragen bei Wohnungen und Häusern, Hausgeräten, Möbeln, Küchen, Bädern, Handys, Automobilen, Verpackungen, Medikamentenbeipackzetteln, öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlichen Ressourcen wie Sportplätzen, Gebäuden, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Fußgängerzonen und, und, und ...
Was meinen wir in diesem Zusammenhang mit „Menschenfreundlichkeit“? Mit diesem Begriff möchten wir insbesondere den ressourcenförderlichen (oder hinderlichen) Charakter von Umwelten in unserer Gesellschaft fokussieren. Es geht uns darum herauszustellen, wie Umwelten die Lebensführung des Menschen ganz allgemein, seine Selbstständigkeit, sein WohlbeÀnden, seine Selbstverantwortung, seine sinnlichen Erfahrungen, sein Bedürfnis nach Rekreation, auch seine Generativität und Intergenerationengerechtigkeit unterstützen, erhalten oder erweitern können – oder eben auch nicht bzw. noch zu wenig oder zu selten. Ganz bewusst gebrauchen wir dabei den Begriff der Menschenfreundlichkeit und nicht jenen der Altersfreundlichkeit. Warum? Weil wir argumentieren, dass gute Wohnformen, gute außerhäusliche/infrastrukturelle Umwelten und sonstige Umwelten vor allem deshalb „gut“ sind, weil sie menschlichen Grundbedürfnissen gerecht werden. Natürlich sind solche Grundbedürfnisse je nach Lebensalter verschieden, und deshalb geht es eigentlich darum, dass
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wir im Ensemble dieser unterschiedlichen Bedürfnisse eine ganze Bandbreite von Umwelten kreieren, die einem Maximum an Menschen gerecht werden. Unsere Gesellschaft macht dies natürlich längst, jedoch hat hier die gesamte Lebenslaufthematik, speziell die Anforderungen des hohen und höchsten Alters an Umwelten, an dieser Stelle noch nicht den ihr gebührenden Stellenwert gefunden. So ist es zum Beispiel aufgrund der hohen Vielfalt des Angebots sicherlich einfacher (wenngleich nicht immer leicht), mit 22 Jahren eine passende „Studentenbude“, mit 35 Jahren eine passende Wohnmöglichkeit für eine Familie mit zwei Kindern oder mit 50 Jahren eine passende Wohnung als „Single“ zu Ànden als beispielsweise eine angemessene Wohnform für ein 85-jähriges Paar, das im vierten Stock eines Hauses ohne Fahrstuhl wohnt. Das heißt, die Menschenfreundlichkeit des Wohnens in unserer Gesellschaft lässt insgesamt, wenn wir uns die gesamte Spannbreite der Wohnbedürfnisse von der frühesten Kindheit bis ins sehr hohe Alter vor Augen führen, deutlich zu wünschen übrig, weil die Vielfalt und Heterogenität gerade der späten Lebensphase (vgl. Kapitel 8) noch kein bedeutsamer Teil der Wohnkultur unserer Gesellschaft geworden ist. Der Vielfalt an Wohnbedürfnissen von älteren Menschen stehen zwar heute mehr, jedoch kaum genügend „bunte“ Wohnformen mit überzeugender Realisierungschance gegenüber. Hier liegen zentrale Gestaltungsaufgaben vor allem für Kommunen, die noch in sehr unterschiedlicher Weise, in sehr unterschiedlicher Kreativität und mit sehr unterschiedlichem Engagement an die Thematik des neuen Wohnens im Alter herangehen. Außerdem: Auch wenn zumindest in den westlichen Industrienationen heute eine „moderne“ Wohnausstattung, speziell Áießend Kalt- und Warmwasser, separates Bad und Zentralheizung, bei Älteren die Regel ist, so liegen doch
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im Detail, und zwar relativ unabhängig von der Hochwertigkeit der Wohnung/des Hauses insgesamt bzw. vom sozioökonomischen Status der Beteiligten, häuÀg noch viele Barrieren, fehlende Unterstützungselemente in Wohnungen bzw. potenzielle Stolperfallen vor. Wohnraumanpassungsmaßnahmen sind in diesem Zusammenhang eine notwendige und efÀziente Interventionsund Optimierungsform im bestehenden Wohnbestand (vgl. Kaptitel 7); sie führen zu einer bedeutsamen Steigerung der Selbstständigkeit bei älteren Menschen sowie zur Entlastung von Angehörigen. Wir können solche Wohnanpassungen im Sinne wirkungsvoller Kompensationen gar nicht hoch genug einschätzen: Gerade weil ältere Menschen eine sehr hohe emotionale Bindung an ihre Wohnung besitzen („Hier gehe ich nur mit den Füßen nach vorn noch einmal raus“), geht es nämlich letztlich nicht nur um die Förderung und Wiedererlangung von Alltagsselbstständigkeit, sondern letztlich um Identitätsstützung („Hier gehöre ich hin“; „Hier ist meine Heimat“) und Lebensfreude. Nun ist es in diesem Zusammenhang bedauerlich, dass gerade in Deutschland (etwa im Unterschied zu den skandinavischen Ländern, speziell Schweden und Dänemark) vor allem das präventive Potenzial von frühzeitigen Wohnanpassungsmaßnahmen noch viel zu wenig genutzt wird. Warum, so sei gefragt, lässt sich eine alternde Gesellschaft solche auf der Hand liegenden Präventionspotenziale entgehen? Vieles spricht auch hier für einen kosteneffektiven Einsatz. Mit anderen Worten: Der in Richtung Barrierearmut gehende Umbau der Wohnung ist in der Regel deutlich günstiger als die Behandlung der Folgen des Sturzes samt möglicherweise frühzeitigerer Übersiedlung in eine stationäre Wohnform. Das Thema des Wohnens von Demenzkranken im Bereich privater Haushalte ist bislang in der Forschung aller-
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dings gegenüber der Frage des Wohnens und Alterns dieser Personen in Institutionen (siehe unten) stark vernachlässigt worden. So wissen wir beispielsweise noch wenig darüber, welche Formen der Wohnraumanpassung und Umgestaltung dazu führen können, Ältere mit leichten und mittelgradigen Ausprägungen von demenziellen Erkrankungen zu unterstützen, ihre Sicherheit im Alltag zu verbessern sowie Angehörige zu entlasten. Eines scheint allerdings schon klar zu sein: Das langjährige Wohnen am selben Ort bedeutet gerade für an Demenz Erkrankte ein hoch bedeutsames Element von psychischer und physischer Sicherheit, Vertrautheit und das Selbst stützender emotionaler Bindung. Auch Dinge in der Wohnung (zum Beispiel solche, die schöne Urlaubserinnerungen, Familienfeste etc. symbolisieren) sind vielfach bedeutsame Erinnerungsmarker und wichtige Auslöser für das Erleben positiver Emotionen. Außerdem scheint es uns an dieser Stelle wie auch in genereller Perspektive klar zu sein, dass es letztlich der mehrgleisigen Intervention bedarf, um erfolgreich zu sein (vgl. Kapitel 7). Wohnanpassungen werden in der Zukunft in stärkerem Maße, als dies heute der Fall ist, auf mehreren Ebenen ansetzen, sowohl bei Demenzerkrankten als auch allgemein: Verbesserungen der physischen Wohnumgebung werden verknüpft werden mit Elementen des biograÀschen Arbeitens (gerade bei demenziell Erkrankten) und explizitem Einbezug und Stützungen von Angehörigen. Trainings in körperlicher Fitness und in Bezug auf Krafterhöhung werden verknüpft werden mit Elementen der Alternsmeisterung und des kognitiven Trainings – vor allem in Bezug auf Prävention. Die Nutzung öffentlicher Räume ist derzeit stark mit einer Segmentierung der Generationen verbunden (zum Beispiel hier Altenbegegnungsstätten, dort Jugendhäuser oder Studenten-
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cafés), das heißt, die mögliche räumlich-soziale Unterstützung des Zusammentreffens und der Begegnung der Generationen wird durch explizite Gestaltungen des öffentlichen Raumes im Sinne von neuen und attraktiven Gelegenheitsstrukturen nur wenig unterstützt. Die Nutzung von wesentlichen „Umweltressourcen“ zur Versorgung und Autonomieerhaltung, zum Transport und zur Kommunikation (zum Beispiel Bank- und Fahrkartenautomaten, Personalcomputer, Haushaltsgeräte und Medikamentenpackungen), von Bussen und Bahnen und – zunehmend auch für ältere Menschen bedeutsam – Flughäfen ist für viele Ältere schwierig bzw. mit nur schwer überwindbaren Barrieren verbunden. Menschenfreundlichkeit ist demnach an vielen dieser Stellen noch längst nicht gegeben. Für unsere alternde Gesellschaft ist es somit eine zentrale kulturell-gesellschaftliche Herausforderung, diese Zusammenhänge so zu begreifen, dass primär zu lösende allgemeine Gestaltungsaufgaben gegeben sind. Letztlich geht es – aus einer Person-Umwelt-Passungs-Perspektive – um die ressourcenförderliche Gestaltung unserer Alltagswelt, in der sich alle Lebensalter und gesellschaftlichen Gruppen einschließlich der Älteren und der Menschen mit Behinderung in ihrer Vielfalt widerspiegeln sollten. Ein Weiteres kommt hinzu: Umwelten und damit auch ihr Ressourcencharakter beÀnden sich heute mehr denn je in Veränderung bzw. müssen sich in einer Arena der Veränderungen – angestoßen nicht zuletzt durch Arbeitsmarktund Globalisierungsdynamiken – behaupten. Beispielsweise führen Wanderungsbewegungen, wie der aus beruÁichen Gründen notwendige Wegzug von jungen Menschen in vielen ländlichen Regionen, nicht nur in den neuen Bundesländern zu infrastrukturellen Nachteilen wie dem Rückbau des öffentlichen Personennahverkehrs und von Versorgungsein-
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richtungen des täglichen Bedarfs. Mit diesen Veränderungen müssen sich nicht zuletzt die „zurückbleibenden“ Älteren auseinandersetzen. Verbunden mit der geringeren räumlichen Mobilität von Älteren in veraltetem Wohnbestand führt dies zunehmend zu neuen Segregationen von älteren Menschen, die „eigentlich“ nicht gewollt sind. Die zunehmende technische Aufrüstung des öffentlichen Raumes und von öffentlichen Versorgungseinrichtungen (zum Beispiel Bank- und Fahrkartenautomaten) vermitteln vor allem Älteren Gefühle der Unsicherheit und des „Abgehängtwerdens“. Hier dürfen wir uns auch nur sehr bedingt mit dem „Kohortenargument“ trösten („Für die zukünftig Älteren kein Problem mehr“); es muss natürlich auch um die heutigen Älteren, auch die Hochaltrigen, gehen. Diese dürfen beispielsweise nicht per implizitem Rationierungsbeschluss unserer Gesellschaft von den Potenzialen der neuen Informationsund Kommunikationsmedien ferngehalten werden, und vor allem darf es keinen digital divide in einem erneuten Sinne des Matthäus-Prinzips geben: Dass nämlich wiederum jene lebenslang gebildeten und mit guten materiellen Ressourcen ausgestatteten Älteren und Hochbetagten die Chancen der neuen Technologien zunehmend efÀzient zur Gestaltung ihres eigenen Lebens und Alterns nutzen – und andere von dieser Sphäre meilenweit entfernt bleiben. Dies alles führt aus unserer Sicht gerade heute zu der wichtigen Aufgabe, Person-Umwelt-Beziehungen für Generationen – wie ein heißes Eisen – neu zu schmieden, und sie mit innovativem Impetus in neue Relationen zu transformieren. Dabei sind zentrale, häuÀg durch rein ökonomische Limits traditionell als gegeben und stabil erscheinende Person-Umwelt-Aspekte, infrage zu stellen, etwa dass es jenseits der Wohnform Privathaushalt derzeit keine wirklich
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überzeugenden Wohnalternativen in größerem Stil bzw. für größere Gruppen von Älteren gäbe, dass hohe räumliche Mobilität etwas für Jüngere bzw. „kompetente“ Individuen sei, dass sozialstaatlich getriebene Versorgungsmilieus immer ein Gefälle zwischen Geber und Empfänger aufweisen müssen, dass der Verlust von Fähigkeiten primär mit biologischen und personengebundenen Merkmalen und wenig mit Umweltausgestaltung zu tun habe.
Wohnen im Alter in stationären Wohnformen – Ein Horrorszenario? In den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben, gleich ob in Miete oder im Eigentum, gehört zu den höchsten Wertprioritäten alter Menschen und ihrer Angehörigen, und eine Übersiedlung in eine stationäre Wohnform wird nur von einer Minderheit älterer Menschen und ihren Angehörigen in Befragungen als eine zukünftig wahrscheinliche Wohnalternative angesehen. Dennoch ist sie es zu einem nicht unerheblichen Maße vor allem im hohen Alter. Wir wollen nicht, aber wir müssen? Das klingt nach einer besonders menschenunfreundlichen Person-Umwelt-Alternative, wenn es um stationäre Wohnformen geht. Und in der Tat (vgl. zu dem Folgenden auch Schneekloth & Wahl 2009): Forschungsarbeiten im Bereich des Wohnens, Lebens und Alterns in Heimen stehen vor einer besonderen Herausforderung: Sie haben einen Forschungsgegenstand im Visier, der konsistent bei Befragungen bzw. repräsentativen Survey-Studien von den meisten Menschen, speziell alten Menschen, als tragfähige Alternative zum Wohnen im
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Privathaushalt abgelehnt bzw. als möglichst zu vermeidende „Notfallentscheidung“ angesehen wird. Zudem stehen Heime andauernd in starkem Maße in der Kritik der Öffentlichkeit. Sie sind das bevorzugte Ziel medialer Inszenierungen von Missständen in der Versorgung pÁegebedürftiger alter Menschen, sie werden auch fachlich immer wieder zum Gegenstand von meist mit erheblicher Presseresonanz verbundener Qualitätskritik, oder es erfolgt gar eine grundsätzliche Infragestellung ihrer Existenzberechtigung als Wohn- und Versorgungsform für alte Menschen. Allerdings: Es lebt ein substanzieller Teil der älteren Bevölkerung, vor allem der Hochaltrigen, in Heimen (siehe oben), und Heime stellen ein quantitativ bedeutsames Berufsfeld für die PÁege sowie andere Berufe dar (zum Beispiel Ergotherapie, Physiotherapie). Es wäre wohl schlicht anmaßend, den in Einrichtungen lebenden Älteren im Unterschied zu den „zu Hause“ oder in betreuten Wohnformen lebenden Älteren ein „gutes“ Leben abzusprechen, zumal es keinerlei empirische Grundlage dafür gibt, dass ein solch „gutes“ Leben, speziell in der Situation der Hilfe- und PÁegebedürftigkeit, gleichsam automatisch schlechter und weniger qualitätsvoll ist als das Leben in PÁegebedürftigkeit im Privathaushalt. Ebenso wäre es anmaßend, stationäre Einrichtungen als professionelles Handlungsfeld grundsätzlich in Abrede zu stellen, auch wenn, wie einmütig gesehen wird, die Heraus- und Anforderungen an die dort professionell Agierenden erheblich sind. Schaeffer und Wingenfeld (2004) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „profunden GratiÀkationskrise“ (S. 484), die sich neben einer bescheidenen Entlohnung in geringem beruÁichen Prestige, geringer gesellschaftlicher Wertschätzung und starker Diskreditierung durch vor allem an Skandalen interessierte Medienberichterstattung materialisiert. Eine
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alternde und an lebenslaufbezogener Entfaltung interessierte Gesellschaft wird es sich nach unserer Einschätzung nicht mehr lange leisten können, gerade die „an den Enden der Verteilung“ agierenden Professionellen, die Erzieherinnen und Erzieher und die AltenpÁegerinnen und AltenpÁeger, relativ schlecht zu entlohnen. Dies ist einer Gesellschaft des langen Lebens unwürdig. Man muss nicht in die Geschichte der im Mittelalter aufgekommenen Siechenhäuser zurückblicken, um die andauernden Widersprüchlichkeiten des Lebens alter Menschen in einem stationären Kontext deutlich zu machen – diese Widersprüchlichkeit ist offensichtlich bis in die Gegenwart ein essenzielles Kennzeichen von Heimen: Heime stehen bis heute in unserer Gesellschaft für die Marginalisierung des Alters, speziell des hohen, kranken und pÁegebedürftigen Alters, und gleichzeitig gelten sie als jene Versorgungsform, die auch dann „noch“ trägt (tragen muss?), wenn alle anderen Versorgungsoptionen versagen. Es fällt schwer, in einer Zeit des „neuen Alters“ und der häuÀgen Rede von „erfolgreichem Altern“ Ältere in Heimen als gute Beispiele anzuführen. Gleichzeitig sind Heime aber eben auch plan- und gestaltbare Umwelten, in denen fachliche PÁegequalität, Organisation, Technologie und gebaute Umgebung in einer idealen Diktion gesehen so ineinandergreifen können wie in kaum einer anderen Wohnform. Insofern bieten sie vor allem für spezielle Gruppen von Älteren mit schwerwiegenden Einbußen, prototypisch Älteren mit demenziellen Erkrankungen, grundsätzlich ein sehr bedeutsames PÁege- und Therapiepotenzial, das nicht ohne Weiteres durch alternative Versorgungsformen zu ersetzen ist. Heime besitzen ferner – grundsätzlich betrachtet – in einer Gesellschaft des langen Lebens mit ständigem Anstieg der fernen Lebenserwartung auch konzeptionell eine wichtige Rolle.
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Paul Baltes (zum Beispiel 2006) hat von der Unvollendetheit der menschlichen Ontogenese gesprochen, die im Vierten Alter, häuÀg eingegrenzt auf die Lebenszeit jenseits des 85. Lebensjahres, ihre radikalste Ausprägung erfährt. In dieser extremen, jedoch immer häuÀger anzutreffenden Lebensphase nehmen die Fragilität und Verletzlichkeit des „Systems Mensch“ nicht selten Ausmaße an, welche die traditionell negativen Erwartungen an Altern geradezu übererfüllen: schwere Mehrfacherkrankungen, häuÀg in einer komplexen Konstellation von kognitiven Einbußen und mehreren somatischen Funktionsverlusten in den Bereichen der Sensorik und Motorik, in Kombination mit schwerwiegenden weiteren kritischen Lebenserfahrungen wie dem Tod des Ehepartners und jenseits von 95. Jahren stark zunehmend bereits dem Tod von eigenen Kindern. Offensichtlich brauchen stark alternde Gesellschaften „Schutzräume“ vor allem für das Vierte Alter, und es scheint außer Zweifel zu stehen, dass zumindest in der Gegenwart Heime in starkem Maße diese „Schutzraumfunktion“ für das Vierte Alter übernehmen. Schon vor einem solch konzeptionellen Hintergrund bedürfen Einrichtungen für Ältere einer besonders hohen gesellschaftlichen Aufmerksamkeit in kritischer wie konstruktiver Hinsicht. Sie sind einerseits ständig dahingehend zu hinterfragen, inwieweit sie ihrer Aufgabe als anspruchsvoller Schutzraum vor allem des Vierten Alters qualitätsgerecht nachkommen. Gleichzeitig sind sie als gestalt- und veränderbare Umwelten einer der bedeutsamen Gradmesser dafür, wie alternde Gesellschaften mit den verletzlichsten Formen des Alters umgehen. Dies alles hat längst, im Gegensatz zum häuslichen Milieu, dessen Stellenwert weitgehend unhinterfragt in der öffentliche Fachmeinung an der obersten Stelle „guter“ Versorgung steht, zu einer andauernden Standortneubestimmung der Versor-
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gungsform Heim geführt, und wir erwarten, dass die notwendige gesellschaftliche Diskussion im Hinblick auf eine solche stetige Standortbestimmung und -revision in Zukunft noch deutlich an Dynamik gewinnen wird. Die dabei wichtigsten Aspekte sind bekannt: starker Anstieg der Hochaltrigkeit, Anstieg der Zahl der an Demenz Erkrankten, aber auch der PÁegebedürftigen insgesamt, Rückgang des familiären PÁegepotenzials, Anstieg singulärer Lebens- und Beziehungsformen. Wir brauchen eine andauernde und beharrliche Fachdiskussion, die immer wieder zur Differenzierung beiträgt, denn eines scheint klar zu sein: Die Debatte um den Stellenwert von Heimen neigt immer wieder zu einer nicht hilfreichen Pauschalität und in normativer Perspektive schnell zu einem Primat des Negativen; beides wird der Realität der existierenden Heimversorgung nicht ausreichend gerecht und verhindert die Entfaltung der möglichen Entwicklungsoptionen des Versorgungsformats Heim – im Reigen eines insgesamt zunehmend bunteren Wohnens und Lebens im Alter und damit einer menschenfreundlichen Umweltgestaltung insgesamt.
Zur Menschenfreundlichkeit des Wohnumfelds Je nach Untersuchungsinteresse und -perspektive kann der Begriff „außerhäusliche Umwelten“ so unterschiedliche Bereiche wie das nähere Wohnumfeld oder eine ganze Stadt, rücksichtslose Verkehrsteilnehmer oder neue Internetfreunde, ländlich geprägte Regionen oder die Dienstleistungs- und Verkehrsinfrastruktur eines Wohnquartiers umfassen. In jedem Fall sind mit außerhäuslichen Umwelten immer öffentliche
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Räume oder halböffentliche Übergangsbereiche gemeint, die sozial produziert und historisch gewachsen sind (Mollenkopf, Oswald & Wahl 2006). Traditionell wird zumeist differenziert nach städtischen und ländlichen Regionen. Unterschiede bestehen aber nicht nur zwischen Stadt und Land. Auch innerhalb von Städten haben sich unterschiedliche Stadtteiltypen und Wohngegenden herausgebildet, zum Beispiel in Westdeutschland innerstädtische Altbauquartiere mit einer hohen Konzentration von Alleinlebenden, vor allem alten Frauen, Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand und im Umland der Kernstädte, die Hochhaussiedlungen der 1960er/1970er Jahre, die allmählich mit ihren Bewohnern altern, oder Stadtteile mit altem Ortskern, die ursprünglich selbstständige Kommunen waren und irgendwann von den wachsenden Städten eingemeindet wurden. Jeder dieser Stadtteiltypen weist als Rahmenbedingung für ein selbstbestimmtes Altern speziÀsche Vor- und Nachteile auf. In Ostdeutschland dagegen sind die Altenanteile in den Städten – abgesehen von den „altindustrialisierten“ Gebieten im Süden – eher gering, die Stadtbezirke sozialstrukturell weniger segregiert und hohe Altenanteile eher auf dem Lande zu Ànden – eine Verteilung, die sich in Zukunft noch verstärken wird. Außerhalb ihrer Wohnung halten sich Ältere an Werktagen im Durchschnitt etwa vier Stunden auf. Mit diesen quantitativen Relationen ist allerdings noch nichts über die Bedeutung des Wohnumfelds, von Nachbarschaft und außerhäuslicher Mobilität ausgesagt. Es ist anzunehmen, dass die wenige draußen verbrachte Zeit – und damit auch der Aktionsraum, das Umfeld draußen vor der Tür – im Alter immer wichtiger wird, gerade weil der in der Wohnung verbrachte Anteil der Zeit wächst und der Aktionsradius und das Aktivitätsspektrum außerhalb der Wohnung abnehmen. Dies wird durch Aussa-
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gen älterer Frauen und Männer untermauert, die in offenen Interviews danach gefragt wurden, was es für sie bedeutet, aus dem Haus gehen zu können. Die Antworten lassen sich folgenden inhaltlichen Schwerpunkten zuordnen: 1) Mobilität als abstraktes Erleben (Schwerpunkt: emotionale Aspekte), 2) Mobilität als intrinsisches Bedürfnis (physische Bewegung als Selbstzweck), 3) Mobilität als Bewegung in der natürlichen Umwelt (die Bedeutung von Natur als Erlebnisraum), 4) Mobilität als Voraussetzung für gesellschaftliche Integration (soziale Bedürfnisse), 5) Mobilität als Voraussetzung für Autonomie (Aspekte von Freiheit und Selbstbestimmung), 6) Mobilität als Quelle neuer Eindrücke (Anregung und Abwechslung) sowie 7) Mobilität als Ausdruck von (noch vorhandener) Lebenskraft (bei Antizipation des nahenden Lebensendes). Der Umwelt außerhalb der eigenen vier Wände kommt demnach insgesamt eine zentrale Bedeutung für ein selbstbestimmtes Altern, für die Entfaltung von Entwicklungspotenzialen und die Lebensbewältigung im Alter zu. Das Verlassen der Wohnung, die alltäglichen Wege und Fahrten sind Voraussetzung für eine selbstständige Lebensführung, für haushaltsübergreifende Kontakte und bürgerschaftliches Engagement, und sie können der Strukturierung des Alltags, der Bestätigung eigener Fähigkeiten, der Selbstdarstellung und der Aufrechterhaltung von Identität dienen. Wie zentral das unmittelbare Wohnumfeld und das Wohngebiet für die alltäglichen Aktivitäten Älterer sind, lässt sich aus den relativ engen Aktions- oder Handlungsräumen schließen, in denen sie sowohl alltägliche Besorgungen erledigen als auch sozialen oder physischen Aktivitäten nachgehen. Die meisten Wege legen sie dabei zu Fuß zurück. Da mit höherem Alter das Auftreten umweltrelevanter Kompetenzeinschränkungen wie Seh- und Geheinbußen wahrscheinlicher wird, wächst die
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Bedeutung des Zugangs zum unmittelbaren Wohnumfeld. Ungünstige Umweltbedingungen wie bauliche Hindernisse oder schwierige Verkehrsverhältnisse können den Aktionsradius zusätzlich einschränken. Für die Chancen alter Menschen, an ihrer sozialen und räumlichen Umwelt teilzuhaben und eine eigenständige Lebensführung aufrechtzuerhalten, sind deshalb die Art und Lage einer Wohnung und die Infrastruktur des näheren und weiteren Wohnumfelds – also die Erreichbarkeit von Geschäften, Dienstleistungseinrichtungen und medizinischer Versorgung, von Grünanlagen und kulturellen Einrichtungen sowie eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrssysteme in Wohnungsnähe – zentrale Voraussetzungen. In Städten sind diese infrastrukturellen Bedingungen im Allgemeinen gut, und auch in kleineren Orten scheint die Versorgung zumindest in einigen Regionen Westdeutschlands relativ befriedigend zu sein. Am ungünstigsten ist die alltägliche Versorgung offensichtlich in den von uns untersuchten ländlichen Regionen Ostdeutschlands, denn dort war das durchschnittliche Zufriedenheitsniveau am niedrigsten. Wie zufrieden ältere Frauen und Männer insgesamt mit der Gegend sind, in der sie wohnen, hängt nach den Ergebnissen derselben Untersuchungen aber nicht nur von der Versorgung mit Geschäften und anderen Einrichtungen ab, sondern auch davon, wie sicher sie sich in ihrer außerhäuslichen Umwelt fühlen. Diesbezügliche Ängste bestehen insbesondere in urbanen Regionen; sie sind subjektiv stark ausgeprägt und schränken vielfach eigentlich erschließbare und nutzungsgewünschte Aktionsräume deutlich ein, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Daneben ist für die Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld entscheidend, welche Mobilitätsmöglichkeiten bestehen – sei es, dass ein Auto im Haushalt vorhanden ist oder dass der öffentliche Nahverkehr zufriedenstellend ist.
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Insgesamt muss unsere alternde Gesellschaft auch in Bezug auf die Menschenfreundlichkeit der außerhäuslichen Umwelten bzw. der Nutzung derselben durch das gesamte Spektrum an Lebensaltern noch eine weitaus höhere Sensibilität entwickeln. Bisweilen hat man den Eindruck, dass in den Köpfen von Stadtplanern, von Automobilclubakteuren, von Verantwortlichen im Bereich des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs – um nur einige naheliegende Beispiele zu nehmen – die massiven demograÀschen Veränderungen, die längst unmittelbar in ihre Wirkungs- und Planungsbereiche Einzug gehalten haben, letztlich noch nicht so recht angekommen sind. So muss man sich fragen: Ist dies demograÀsche Vogel-Strauß-Politik? Oder sind hier weiterhin Alternsängste und Altersstereotype am Werk? Oder schlicht Unwissen bzw. die mangelnde Bereitschaft (und Fähigkeit?), aus dem vorhandenen Wissen kreative, engagierte und nachhaltige Schlüsse zu ziehen? Wir vermuten, dass es sich um eine „komplexe“ Melange all dieser Gründe handelt, die derzeit noch vorherrschend ist und das notwendige Handeln im Hinblick auf die Menschfreundlichkeit von außerhäuslichen Umwelten noch nicht in genügendem Maße hervortreten lässt.
Technikumwelten – Gefahr eines Verlusts an Menschlichkeit? An mehreren Stellen des vorliegenden Buches war es uns ein besonderes Anliegen, auch auf die Rolle der Technik für alternde Gesellschaften einzugehen, und in diesem Kapitel nahmen wir ganz bewusst auch auf die Bedeutung technischer Umwelten für ältere Menschen Bezug. Die fortschreitende Technisierung der Informationsgesellschaft wird auch vor den Wohnungen
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der alten Menschen nicht Halt machen. Wohnungen, vor allem im Falle von PÁegebedürftigkeit, werden technisch aufgerüstet werden. Die Stichworte sind sogenannte „Smart Homes“, das heißt technisch vielfach unterstützte Wohnungen/Häuser, und Telekommunikation auf den unterschiedlichsten Ebenen wie internetgestützten Therapie-, PÁege-, Rehabilitations- und Präventionsangeboten, vielfältigen Dienstleistungen und der Bereitstellung von virtuellen Welten als Kompensation für nicht mehr mögliche aktive Außenwelterschließung. Diese Aspekte werden auch die an Demenz erkrankten älteren Menschen und ihre Angehörigen in vielfältiger Weise tangieren. Gerade in diesem, aber nicht nur in diesem Bereich wird die (im weitesten Sinne) PÁegerobotik einen zunehmend Áächendeckenden Einzug halten mit dem Anspruch, Verluste alternder Menschen vielfältig, efÀzient und verlässlich zu kompensieren. Auch in Bezug auf außerhäusliche Umwelten wird Technik auf vielen Ebenen eine wesentliche Rolle für individuelles, aber auch für gesellschaftliches Altern einschließlich der „Wirtschaftskraft Alter“ (vgl. Kapitel 14) spielen. AutomobilÀrmen müssen mit weiterentwickelten Produkten noch besser das bereits große und weiter anwachsende Segment der älteren Autofahrerinnen und Autofahrer bedienen. Der öffentliche Personenverkehr muss seine technischen Systeme in noch stärkerem Maße im Hinblick auf die sehr heterogenen Bedürfnisse älterer und hochbetagter Menschen hin optimieren und damit generell Menschenfreundlichkeit in unseren Umweltgegebenheiten verbessern. Informations- und Kommunikationstechnologien, speziell das Internet, werden heute vor allem von den jungen Alten zunehmend genutzt (etwa für gesundheitsrelevante Informationen). Für einen Teil dieser Älteren hat, wie Studien zeigen, das Internet zwischenzeitlich schon mit dem Status und der
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Rolle des Facharztes für Allgemeinmedizin als einem guten Ratgeber/einer guten Ratgeberin gleichgezogen. Gleichzeitig zeigt sich gerade bei Älteren (aber nicht selten auch bei jüngeren Menschen), dass sie schnell von den Möglichkeiten des Internets, den vielfältigen Suchstrategien und den notwendigen Integrationen und Bewertungen überfordert sind – und falsche Schlüsse für ihr Leben und ihre Gesundheit daraus ziehen. Hier liegt demnach eine ganz besonders wichtige Bildungsaufgabe alternder Gesellschaften (vgl. Kapitel 7). Insgesamt sehen wir in der Anwendung und Nutzung von neuen Technologien große Chancen für alternde Gesellschaften und speziell für die Stützung und Förderung der Lebensqualität des sehr hohen und damit zunehmend fragilen Alterns. Gefahren müssen dabei dennoch sehr genau im Auge behalten werden, denn die technische Entwicklung (es sind ja häuÀg junge, hochbegabte Ingenieure und Designer) schießt nicht selten über das Ziel hinaus, überschätzt die lebensqualitätsbezogene Wirksamkeit ihrer Produkte bzw. unterschätzt mögliche unerwünschte Nebenwirkungen. Gleichzeitig ist es sehr gut, dass solche Technikentwicklungen (Navigationssysteme, PÁegerobotik, Sturzsensorik, Smart-Home-Technologie, Handytechnologie usw.) auch in Deutschland in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung genommen haben. Eine naheliegende Möglichkeit, Fehlentwicklungen und nicht genutzte Optimierungsmöglichkeiten frühzeitig zu erkennen, besteht darin, die gesamte Bandbreite (also nicht nur rüstige Ältere!) nahtlos und frühzeitig in Entwicklungsprozesse einzubeziehen. Expertenpanels und evaluativ angelegte Feld- und Laborstudien können ein Weiteres leisten, werden jedoch noch zu selten und zu unsystematisch durchgeführt.
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Zu beachten ist schließlich auch: Zukünftige Kohorten Älterer werden im Laufe ihres Lebens andere Erfahrungen gemacht, andere Erwartungen und Verhaltensweisen entwickelt und andere Lebensstile praktiziert haben als die heutigen alten Menschen. So sind für die Zukunft Veränderungen im Hinblick auf neue Wohn- und Mobilitätsmuster und das Technikverhalten von Älteren zu erwarten. Solch individuelle Veränderungen auf der Seite der Älteren bedürfen der Ergänzung im Sinne einer verstärkten Zusammenarbeit von Industrie und Design, Sozial- und Ingenieurwissenschaften sowie Stadt- und Verkehrsplanung, um nur einige der bedeutsamen Akteursgruppen anzuführen. Politik muss die auf diesem Gebiet existierenden Synergien fördern und gleichzeitig Maßnahmen evozieren, die Fehlentwicklungen mithilfe von Evidenz und „Best Practice“ frühzeitig erkennen helfen.
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Resümee Unsere alternde Gesellschaft muss im Hinblick auf die Verbesserung der Menschenfreundlichkeit unserer Umwelten weitere Schritte unternehmen. Wohnen ist ein zentraler Kontext des Alterns, jedoch ist die Reichhaltigkeit der Wohnoptionen für Ältere und Hochbetagte noch längst nicht mit jenen der jüngeren Lebensalter zu vergleichen. Auch wird das präventive Potenzial von Wohnanpassungsmaßnahmen noch viel zu wenig ausgereizt, und die Rolle des Wohnens für kognitiv Beeinträchtigte ist noch nicht genügend erforscht. Außerhäusliche Umwelten tragen ebenfalls sehr Bedeutsames zur Lebensqualität im höheren Lebensalter bei. Auch hier vermissen wir eine ausreichende Sensibilität unserer alternden Gesellschaft für neue, die bisherigen Schritte ergänzenden Weichenstellungen. Sicher geht es stets um ein Ensemble an Veränderungen: Gefordert sind die alternden Menschen selbst (zum Beispiel verantwortungsvolle Entscheidungen dahingehend, wann man mit dem Autofahren aufhören sollte), politische Akteure (zum Beispiel Stadtplaner, die Betreiber des öffentlichen Verkehrs) sowie die Privatwirtschaft (zum Beispiel AutomobilÀrmen) und Verbände (zum Beispiel Automobilclubs). Technische Umwelten bringen bedeutsame Potenziale der Kompensation und Optimierung in das Leben der heute und morgen alternden Menschen, jedoch muss mehr dafür getan werden, um Fehlentwicklungen zu verhindern.
14 Konsumentenverhalten und Wirtschaftskraft Alter Alte Menschen als ernst zu nehmende Konsumenten und „Markt“-Akteure, ja als Elemente eines Wachstumsmotors und der Schaffung von Arbeitsplätzen – diese Vorstellung wäre lange Zeit vielen als absurd und unsinnig vorgekommen. Alte Menschen galten traditionell als dankbare Nutzer und Objekte vor allem von öffentlich bereitgestellten sozialen und pÁegebezogenen Dienstleistungen und nicht als kritisch handelnde und Angebote lenkende Subjekte, die etwas auf dem Markt bewegen und verändern können. Diese Sichtweise hat sich zwischenzeitlich sehr deutlich verändert, und die Wirtschaftskraft des Alters heute und morgen hat sich vor allem in den zurückliegenden zehn Jahren unübersehbar als breit gestreuter Marktfaktor fest etabliert.
Für die Seniorenwirtschaft besonders bedeutsame Trends Die Welt des Alters und Alterns – es kann nicht oft genug heraus gestellt werden – hat sich in relativ kurzer historischer Zeit, grob gesprochen etwa im Laufe der vergangenen 100
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Jahre, gravierend verändert. Der sichtbarste Ausdruck dieser Entwicklung ist die Verlängerung der Lebensphase von, wiederum grob gesprochen, etwa 45 Jahren um 1900 auf im Mittel 80 Jahre heute. Diese Veränderungsdynamik hat etwa in den letzten 50 Jahren durch individuelle und gesellschaftliche „Anreicherungen“ des Alterns deutlich an Fahrt gewonnen. Alte Menschen sind heute eine völlig andere Entität als noch in den 1950er Jahren; der heute 80-jährige Mann und die heute 80-jährige Frau haben kaum mehr etwas mit jenen gemein, die Mitte des 20. Jahrhunderts ein solches Alter erreicht hatten. Was hat dies nun alles mit der Seniorenwirtschaft zu tun? Natürlich sehr viel. Im Folgenden nur die wichtigsten Einsichten: Noch nie hatten wir eine so lange nachberuÁiche Lebensphase wie heute: Diese will gestaltet, mit neuen Lebensprojekten unterfüttert, nicht zuletzt mit Konsumentenverhalten ausgefüllt werden. Es geht um viele Menschen in unserer Gesellschaft, und es geht um Jahrzehnte des Lebens – auch für den Markt! Ältere Menschen sind wirtschaftlich gesehen heute überaus potent (vgl. Kapitel 2), auch wenn die Sorge zu äußern ist, dass hinsichtlich der Einkommen und zu erwartenden sonstigen Vermögen (vor allem Erbschaften) die Schere innerhalb des Alters in Zukunft deutlich auseinandergehen wird. Es wird aber eine zumindest stabil bleibende, möglicherweise sogar noch wachsende Gruppe von wirtschaftlich sehr gut gestellten Seniorinnen und Senioren in sehr substanzieller Größenordnung auch in Zukunft geben. Ältere Menschen heute und morgen sind gesundheitlich und im Durchschnitt gesehen auch im Hinblick auf ihre kognitive Leistungsfähigkeit so gut aufgestellt wie noch nie. Sie besitzen damit die besten Voraussetzungen für eine aktive, zielgerichtete, investitions- und kauffreudige, aber auch kritische Konsumentenrolle vor allem in Marktsegmenten jen-
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seits der traditionell bei Älteren dominierenden sozialen und pÁegerischen Dienstleistungen; gemeint sind anspruchsvolles Wohnen, anspruchsvolle Mobilität, anspruchsvolle Wellness-Angebote, anspruchsvolles Reisen, anspruchsvolle Haushaltsprodukte und die anspruchsvolle Teilhabe an der Informationsgesellschaft ganz allgemein. Ältere Menschen heute sind zudem durch andere, neue Werthaltungen gekennzeichnet, wenngleich eine hohe Heterogenität zu verzeichnen ist. Neue Lebensstile älterer Menschen zeigen eine immer stärkere Ausdifferenzierung, was auch damit zu tun hat, dass Ältere immer besser gebildet sind, wobei in Zukunft der sich stetig verstärkende Trend zur lebenslangen Bildung ein Übriges tun wird (vgl. Kapitel 7). Somit ist der Aspekt der möglichen und gewollten Bildungsinvestitionen seitens der heute und morgen Älteren keinesfalls als Wirtschaftsfaktor zu unterschätzen. Ältere Menschen heute und morgen sind sich ferner ihres „Marktwertes“ wohl bewusst, sie fühlen sich vielfach „selbstwirksam“, wissen um ihre „Marktmacht“. Sie scheinen auch deutlicher als frühere Ältere bereit zu sein, ihr Geld „zu Lebzeiten“ in größerem Maße auszugeben und ihre Sparquote zu reduzieren, ohne das für Generativität weiterhin sehr bedeutende Element des Vererbens von Wohlstand über Gebühr zu vernachlässigen. Zudem sind innerhalb des alternden Segments unserer Gesellschaft längst markante Differenzierungen eingetreten, die unmittelbare Marktrelevanz besitzen. Genannt sei beispielsweise die Singularisierung, zunehmend nicht nur durch das Ereignis der Verwitwung, sondern auch als (mehr oder weniger freiwillig) gewählte Lebensform (vgl. Kapitel 5; Baas, Schmitt & Wahl 2008). Die bereits etablierten Angebote (Reise, Ernährung, sonstige Freizeitgestaltung) für Singles müssen noch deutlicher auf alternde Singles fortgeschrieben werden. Natür-
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lich ist an dieser Stelle die Differenzierung nach unterschiedlichen Kompetenzgraden sehr bedeutsam, die sich vor allem in der Unterscheidung zwischen einem aktiven und gesundheitlich wenig eingeschränkten Dritten und einem vielfach verletzlichen und funktional beeinträchtigten Vierten Alter ausdrückt. Die Palette der Technikangebote zur Stützung des Vierten Alters, Aspekte der PÁege, der Intervention und Rehabilitation, der Ernährung, der Wohnformen, der noch möglichen Formen von Teilhabe wie des Reisens und der Nutzung von Kultur etc., ist noch längst nicht ausgereizt und dürfte viele derzeit noch wenig entwickelte Marktpotenziale beinhalten.
Zentrale Themenfelder der Seniorenwirtschaft Gibt es Segmente des Marktes, die Senioren nicht betreffen? Natürlich, diese gibt es für Senioren ebenso wie für Kinder, Jugendliche oder Familien mit Kindern. Die Babyabteilung von Drogerien dürfte für Senioren nicht ganz so interessant sein wie für Familien mit gerade auf die Welt gekommenem Nachwuchs. Es ist aber, umgekehrt, faszinierend zu sehen, was alles auf dem „Markt“ auch alternde Menschen betrifft bzw. einer altersbezogenen ReÁexion bzw. Konsumentendifferenzierung bedarf. Um die Viefalt nur anzudeuten: Medikamente, Medientechnik, Haushaltsgeräte, Küchen, Verkehr (Automobil, öffentlicher Personennahverkehr), Fitnessindustrie, Kosmetik, sonstige KörperpÁege, Blutdruckmessgeräte, Wohnformen, Beratungen (zum Beispiel Wohnen, Finanzen), Handys, Reisen, Reiseausstattung (zum Beispiel Trolleys), Verpackungen, Supermarktgestaltung, klassische Hilfsmittelindustrie, Notruftechnologie, Navigationstechnologie, Smart-Home-Tech-
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nologie, sonstige Robotik, Ernährung, Kultur (zum Beispiel Museen, Theater, Musicals, Bildung, Sportveranstaltungen) und, und, und … Werfen wir nun einmal einen genaueren Blick auf einige zentrale Elemente des Seniorenmarktes.
Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit Hier geht es um alle Produkte und Dienstleistungen, die Selbstständigkeit unterstützen bzw. – im Falle von bedeutsamen Kompetenzeinbußen – verbliebene Elemente von Selbstständigkeit fördern und bewahren helfen. Zu denken ist beispielsweise an eine ganze Palette von Technologien, von der Smart-HomeTechnik über PÁegerobotik bis hin zu Notruftechnologie. Hier ist demnach die ganze Vielfalt komplementärer Dienste angesprochen, die zunehmend, ergänzend zur bzw. im Vorfeld der sozialstaatlichen Vorhaltung, privat Ànanziert werden, weil sie gerade bei beginnenden Einschränkungen unmittelbar lebensqualitätsfördernd sind und man deshalb bereit ist, in die eigene Geldbörse zu greifen. Zudem wird die Inanspruchnahme solcher Dienste zukünftigen Älteren deutlich leichter als den heutigen fallen, weil ihnen die Nutzung bestimmter Dienste (wie Putz- und Reinigungshilfen) bereits aus ihrem früheren Leben zur Gewohnheit geworden ist.
Gesundheit und Krankheitsmanagement Hier agiert die gesamte Bandbreite der Gesundheitsberufe wie Ärzte, Fachärzte, Apotheker, PÁegedienste, Ergound Physiotherapeuten, Krankenkassen, Kliniken usw. auf
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dem Seniorenmarkt. Es geht beispielsweise um qualitätsvolle Beratung und ein breit gefächertes Angebot an Gesundheitsdienstleistungen, auch jenseits der traditionellen „medizinischen Grundversorgung“. Vieles spricht dafür, dass zukünftig alternde Menschen sehr viel stärker als die heutigen in die Erhaltung ihrer Gesundheit und in (nachgewiesen efÀziente) Präventionsangebote investieren werden. Außerdem werden sie mehr als die heutigen Älteren chronische Krankheiten proaktiv im Sinne von Disease-Management-Strategien angehen (vgl. Kapitel 7), und diesbezüglich hochwertige Beratungs- und Interventionsformen werden zunehmend Abnehmer vor allem im Segment der alten Menschen Ànden.
Wohnungs- und Städtebau Die große Bedeutung des Wohnens und des Wohnumfelds gerade für ältere Menschen ist vielfach nachgewiesen (vgl. Kapitel 13) und wird vor allem auch subjektiv von den meisten Älteren als eine sehr hohe Lebenspriorität angesehen. Insofern wird die mögliche Vielfalt von Dienstleistungen und Maßnahmen rund ums Wohnen den zukünftigen Seniorenmarkt wohl noch deutlich stärker bestimmen, als dies bereits heute der Fall ist. Es wird, angesichts des immer bunter werdenden Wohnens im Alter, ein wachsendes Bedürfnis nach frühzeitiger und kompetenter Wohnberatung, bereits im mittleren Lebensalter, entstehen, das derzeit noch nicht gut abgedeckt ist. Sodann geht es um die vielfältigen Möglichkeiten barrierearmen Bauens samt neuer Bauformen und -modelle, die neue Anforderungen an die Architektur und an die Stadtplanung stellen, jedoch eben auch neue Marktchancen eröffnen, wenn
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diesbezüglich Expertise und Kompetenz entwickelt und angeboten werden.
Kultur, Freizeit, Tourismus Ältere verfügen heute als einzige Konsumentengruppe nicht nur über ausreichende materielle Ressourcen, sondern auch über Zeitressourcen. Zudem benötigt das „lange Leben“ neue Sinngestalten und Formen der sinnvollen Nutzung von Zeit. Das Seniorenreisen hat bereits ein sehr bedeutsames Marktsegment erobert, und diese Entwicklung wird sich verstärkt fortsetzen. So werden Arbeitsplätze nicht nur bei uns, sondern auch in vielen anderen Ländern nicht zuletzt aufgrund der Seniorenwirtschaft neu geschaffen werden. Ältere Menschen reisen zudem gerne qualitätsvoll, was für die Hotelbranche sehr bedeutsam ist. Ebenso bedeutsam werden Bildungsangebote bleiben und vermutlich aufgrund generell höher gebildeter zukünftiger Senioren noch weiter ansteigen.
Sport und Wellness Deutliche Anzeichen im Hinblick auf Imageveränderungen im Bereich der Sportstudios und sonstigen Sportangebote hinsichtlich einer verbesserter Ansprache auch von älteren Menschen sind bereits klar zu erkennen. Die Präventionsmöglichkeiten (etwa Krafttraining) werden von den Älteren zunehmend erkannt und genutzt werden. Wellness-Angebote sind bereits heute zum Teil von älteren Menschen stärker als von jüngeren nachgefragt.
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An den Rahmenbedingungen arbeiten Trotz der Potenziale der Seniorenwirtschaft bleibt noch viel zu tun: in unseren Köpfen, aber auch darüber hinaus. Ähnlich wie der Übergang von einem DeÀzitbild des Alters hin zu einem differenzierten Bild alter Menschen mit vielfachen Stärken, aber auch Schwächen und hoher Verletzlichkeit noch keineswegs abgeschlossen ist (und man bisweilen auch hie und da in unserer Gesellschaft den Eindruck gewinnen kann, als hätte sich noch kaum etwas verändert), so ist auch der Paradigmenwechsel von der Rolle des abhängigen und genügsamen Klienten von sozial-pÁegerischen Dienstleistungen hin zu einem unabhängigen und selbstbewussten Verbraucher und Angebotsgestalter einer breiten Palette an Konsumgütern noch keines abgeschlossen. Sicher, die entsprechenden Angebote und Dienstleistungen haben längst die Wirtschaftskraft Alter erkannt und ihre Produkte darauf hin abgestellt. Und das ist gut so. Uns geht es aber an dieser Stelle vor allem auch um den gesellschaftlich-politischen Aspekt: Alte Menschen in ihren speziÀschen Bedürfnissen und vor allem in ihrer hohen Heterogenität in diesen Bedürfnissen (wie sie wohl in keiner anderen Konsumentengruppe so stark ausgebildet ist) ernst zu nehmen und Handeln am Markt daran zu orientieren – hierin zeigt sich auch und keinesfalls zuletzt die gesellschaftlich-politische „Annahme“ des Alters im Sinne eines relevanten Faktors. So geht es gerade bei der Thematik der Wirtschaftkraft des Alters aus unserer Sicht nicht an erster Stelle um die bislang noch nicht genügend erfolgte Ausschöpfung von Konsumpotenzialen und damit letztlich um das verstärkte Einbringen materieller Möglichkeiten der älteren Generation in den Marktkreislauf. Es geht vielmehr darum, die hoch bedeutsame gesellschaftlich-politische und damit auch wirtschaftliche Rolle des Alters nicht nur anzuerkennen, sondern systematisch
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zu fördern und zukunftsfähig zu gestalten. Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam, dass die Hervorhebung und Nutzung der Wirtschaftskraft Alter auch dem sogenannten Belastungsdiskurs in unserer Gesellschaft, der Altern vor allem als Problem und Kostenfaktor sieht, entgegenarbeiten. Dass dabei auch der Seniorenmarkt, wie jedes Handeln am Markt, geeigneter Rahmenbedingungen bedarf, die erst in Ansätzen geschaffen sind und noch nicht in genügender Weise in die Breite wirken, ist selbstverständlich. Gerade in Bezug auf alte Menschen und Hochbetagte, nicht selten kognitiv eingeschränkte Menschen, gilt es, neue Formen von Beratung und Verbraucherschutz und damit neue Formen von (auch) marktbezogenen Elementen eines „Empowerment“ zu etablieren, um die im Bereich der privaten Märkte besonders große Gefahr der Ausbeutung und des „Abzockens“ zumindest zu verringern und in vertretbaren Grenzen zu halten. Wir sehen, ein weiteres Mal, auch an dieser Stelle sehr reizvolle Entwicklungs- und Gestaltungsaufgaben alternder Gesellschaften, bei denen etwa Verbraucherzentralen und -schutzverbände, rechtliche Instanzen, Seniorenorganisationen und die unterschiedlichsten Akteure der privatwirtschaftlichen Seite neue und verantwortungsvolle Kooperationsformen herausbilden und damit auch neue Varianten partnerschaftlicher Marktpräsenz entstehen können. Heute sind viele derartige Bemühungen bereits zu erkennen; sie Ànden zunehmend häuÀger auch in institutionellen Formen (wie Verbraucherzentralen, Geschäftsstellen für Seniorenwirtschaft, Handwerkskammern, Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) eine Plattform – eine, wie wir Ànden, sehr erfreuliche Entwicklung. Ebenso erfreulich ist, dass die (angewandte)
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Alternsforschung diese Thematik nicht nur erkannt hat, sondern auch vielfältige Anstrengungen unternimmt, den Seniorenmarkt evidenzbasiert zu informieren und zu fördern. Hier geht es etwa um Formen von Partizipation und Mitbestimmung, um Bedürfnisforschung, aber auch beispielsweise um Produktevaluationsforschung und die Suche nach efÀzienten Kommunikationsformen – in Richtung der alternden Menschen, aber auch in Richtung Marktanbieter, Firmen und sonstiger Akteure. Zu nennen sind an dieser Stelle etwa das Institut für Gerontologie bzw. die Forschungsgesellschaft für Gerontologie der Technischen Universität Dortmund (unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Naegele) und das Meyer-Hentschel-Institut in Saarbrücken.
Resümee Die Potenziale der Wirtschaftskraft Alter sind heute so deutlich wie nie zuvor. Die stetig anwachsende Seniorenwirtschaft wird in nicht allzu ferner Zukunft ein nicht mehr zu vernachlässigender Faktor im Bereich der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sein. Wenn deutsche Unternehmen, etwa aus den Bereichen unterschiedlichster Technologie, des Bauens und der Mobilität, nicht ihre Chance verschlafen, könnten sich aus der einen oder anderen guten Idee Exportmöglichkei-
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ten, wenn nicht gar Exportschlager entwickeln, denn auch in anderen Ländern liegen nicht oder unzureichend abgedeckte Bedürfnisse älterer Menschen gewissermaßen „auf der Straße“. Qualitätsvolle Produkte aus Deutschland können hier durchaus längerfristig gesehen einen erfolgreichen Weg gehen und damit zur Lebensqualität von Älteren in anderen Ländern beitragen. Dass zur erfolgreichen Weiterentwicklung des Seniorenmarktes auch die Rahmenbedingungen insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes noch deutlich verbessert werden müssen, liegt auf der Hand und bedarf zukünftig der verstärkten Aufmerksamkeit.
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Prävention meint das gesamte Spektrum an Maßnahmen, Verhaltensweisen (einschließlich Vorsorgeuntersuchungen) und sonstigen Aktivitäten (zum Beispiel Umweltgestaltung bzw. Toxen am Arbeitsplatz), die dazu dienen, die Wahrscheinlichkeit möglicher krankhafter Entwicklungen zu reduzieren bzw. deren Auftreten zu verhindern (Kruse 2007c). Eine klassische und sehr bekannte Unterscheidung ist in diesem Zusammenhang jene zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention. Primäre Prävention umfasst alle Maßnahmen, die das Auftreten von Krankheiten und Behinderungen gänzlich verhindern. Dies ist offensichtlich der Königsweg präventiver Arbeit, jedoch zeigt die Alltagserfahrung, dass es zumindest derzeit nicht gelingt, primäre Prävention so stringent zu betreiben, dass ein solches Ziel vollständig erreicht würde. Zudem existieren eine Reihe von Krankheiten, beispielsweise die Alzheimer Demenz, für die derzeit keine wirksamen Präventionsstrategien bekannt sind. So muss es auch darum gehen, die Folgen einmal eingetretener Erkrankungen und Kompetenzverluste möglichst zu minimieren. Dies ist das Bestreben sekundärer Prävention. Eingetretene Krankheiten sollen möglichst rasch und möglichst
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efÀzient behandelt werden, sodass möglichst geringe Langzeitfolgen zurückbleiben. Einem solchen Ziel dienen Heilanschlussbehandlungen, Rehabilitationsanstrengungen und Maßnahmen, um eventuell mit der Erfahrung von Krankheit verbundene psychische Risiken (etwa Depression) soweit wie möglich abzumildern. Insbesondere geht es auch darum, die sogenannte ChroniÀzierung von Krankheiten zu verhindern, das heißt, eingetretene Krankheiten sollen möglichst nicht zu einem das weitere Leben auf vielfältige Weise belastenden Dauerzustand, möglicherweise bis zum Ende des Lebens, werden. Leider gelingt auch dies vielfach nicht vollständig. Das Ziel der tertiären Prävention besteht somit darin, die Folgen von chronischen Krankheiten und Leidenszuständen möglichst zu begrenzen, etwa indem Rehospitalisierungen oder das Auftreten von weiteren Erkrankungen in Folge der bereits eingetretenen ChroniÀzierung auf ein Minimum beschränkt werden. In Bezug auf Altern ist die Präventionsthematik durch eine zweifache Dynamik geprägt. Auf der einen Seite gilt: „So früh wie möglich Risikofaktoren vermeiden und Schutzfaktoren fördern.“ Auf der anderen Seite gilt aber auch: „Es ist für präventive Anstrengungen nie zu spät.“ Es gehört heute zu einer vielfach empirisch gestützten Einsicht, dass die Vermeidung von Risikofaktoren möglichst frühzeitig im Leben überaus viel mit dem Verlauf des Alternsprozesses zu tun hat. Diesen Zusammenhang herzustellen zwischen „frühem Tun oder Lassen“ und „späten Folgen“, ist für individuelles Altern wie für gesellschaftliches und gesundheitliches Handeln überaus zentral. Die Bedeutung von Risikofaktoren bzw. Risikoverhaltensweisen wie Rauchen, übermäßigem Alkoholkonsum, Übergewicht, Bewegungsmangel und risikoreichen Sportarten bzw. Interessen und Hobbys für die Entstehung der „großen
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Töter“ wie Herz- und Kreislauferkrankungen, Karzinomerkrankungen, Schlaganfallerkrankungen, Stürze und Unfälle, aber auch der „großen Belaster“ wie Diabetes, Arthrose/Arthritis und Verschlusskrankheit ist heute völlig unbestritten. Diese Erkrankungen, nicht selten verbunden mit einem erhöhten Risiko für kognitive Verluste, besitzen erhebliche Auswirkungen auf Altern. So werden durch frühe Risikofaktoren die Wege für die im Alter so häuÀge und gefürchtete Multimorbidität geebnet. In keiner anderen Lebensphase ist die Wahrscheinlichkeit so hoch, dauerhaft nicht nur an einer, sondern an mehreren, im Mittel an etwa drei bis vier Erkrankungen zu leiden. In Längsschnittstudien ist mehrfach bestätigt worden, dass bei Vorliegen einer höheren Ausprägung von Risikofaktoren bereits früh im Leben spätere Hilfe- und PÁegebedürftigkeit länger und gravierender verläuft im Vergleich zu jenen Personen, bei denen solche Risikokonstellationen früher im Leben weniger ausgeprägt waren. Es existiert demnach zunehmend Evidenz dafür, dass wir über weite Strecken selbst „unseres Alters Schmied“ sind, das heißt Risikoverhaltensweisen früh im Leben in deutlichem Maße das uns zwar subjektiv noch ferne Alter objektiv bereits bedeutsam mitbestimmen. Es ist allerdings auch nie zu spät. Viele Untersuchungen unterstützen heute die Annahme, dass die Vermeidung von Risikokonstellationen selbst im sehr hohen Alter noch deutlich messbare positive Folgen besitzt. So ist beispielsweise gefunden worden, dass die Aufgabe des Rauchens mit 85 Jahren bereits wenige Monate später spürbare Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit und die Lungenfunktion nach sich zieht. Wir haben insbesondere in Kapitel 7 gezeigt, dass heute vielfache Trainings- und Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um ungünstigen Entwicklungen im Verlauf des Alterns in efÀzienter Weise entgegenzutreten. Bedeutsam
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ist die Aussage, dass eine solche Argumentation auf einer robusten empirischen Evidenz aufbauen kann, das heißt kein reines Wunschdenken darstellt. Dies alles gilt zudem für den Bereich der kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit ebenso wie für die psychische Seite guten Alterns. Auch hat sich gezeigt, dass solche Interventionen die Alltagskompetenz länger erhalten helfen und damit zur Vermeidung der zu Recht von Älteren gefürchteten Stürze beitragen. Unterstützt werden auf diesem Wege auch fundamentale Lebensziele älterer Menschen wie etwa jenes nach dem möglichst langen Verbleib in den eigenen vier Wänden und dem Erhalt einer möglichst hohen Autonomie bis ans Lebensende. Nicht zu verwechseln sind solche Überlegungen und Anwendungsoptionen, die wir sehr unterstützen, mit dem, was schon seit längerer Zeit unter Anti-Aging Àrmiert. Wir sehen schon, dass dieser Begriff zwischenzeitlich tief in die Alltags- und Konsumwelten des Alters vorgedrungen ist (Kosmetikprodukte, Wellness-Angebote, Hautbehandlungen etc.). Dennoch möchten wir uns – vielleicht ein wenig auf verlorenem Posten, denn wir unterschätzen nicht die Macht der Werbung und des weiterhin vorherrschenden Jugendwahns – von diesem Begriff distanzieren. Der Glaube, dass ein ständiger Kampf gegen Altern die Essenz guten Alterns ist, halten wir für einen schädlichen Irrglauben, der einer alternden Gesellschaft nicht zuträglich ist. Hier werden Wunschvorstellungen genährt, die im Kern das infrage stellen, was wir alle zunehmend in der Lebensrealität erfahren: eine sehr lange Phase des Alterns. Diese will vielfach gestaltet sein – das ist wohl wahr. Jedoch eine Fundamentaldynamik dieser Phase, eben ihre besondere Verwobenheit mit Altern und damit auch ihre Verletzlichkeit, zu negieren, ist in etwa so, als ob wir in der Jugendzeit keine wichtigere Aufgabe sehen würden, als „er-
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15 Regeln für gesundes Älterwerden (Kruse 1999) I. Altwerden als eine lebenslange Aufgabe 1. Regel: Seien Sie in allen Lebensaltern körperlich, geistig und sozial aktiv. 2. Regel: Leben Sie in allen Lebensaltern gesundheitsbewusst. 3. Regel: Nutzen Sie Vorsorgemaßnahmen. 4. Regel: Es ist nie zu spät, den eigenen Lebensstil positiv zu verändern. 5. Regel: Bereiten Sie sich auf Ihr Alter vor. II. Aktives und selbstverantwortliches Leben im Alter 6. Regel: Nutzen Sie freie Zeit, um Neues zu lernen. 7. Regel: Bleiben Sie auch im Alter offen für positive Ereignisse und neue Erfahrungen. 8. Regel: Begreifen Sie das Alter als Chance. 9. Regel: PÁegen Sie auch im Alter Kontakte. 10. Regel: Geben Sie der Zärtlichkeit eine Chance. 11. Regel: Trauen Sie Ihrem Körper etwas zu. III. Alter ist nicht Krankheit – Selbstständigkeit erhalten und wiedererlangen 12. Regel: Gesundheit ist keine Frage des Alters. 13. Regel: Nehmen Sie Krankheiten nicht einfach hin. 14. Regel: Suchen Sie nach guter Hilfe und PÁege. 15. Regel: Haben Sie Mut zur Selbstständigkeit.
wachsen“ zu werden. Die Infragestellungen des grundlegenden Charakters jeglicher Lebensphase kann, so meinen wir, grundsätzlich nicht hilfreich sein und hat nichts mit einer aus unserer Sicht sehr zu fördernden Normalisierung der Alternsphase unseres Lebens zu tun. Es geht in Bezug auf gutes Altern, das ist eben bereits angeklungen, aber nicht nur um die Vermeidung von Risikover-
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haltensweisen, sondern auch um die dezidierte Stärkung von Schutzfaktoren im Sinne einer bedeutsamen präventiven Strategie. So kann die generelle Förderung der Fähigkeit, sich mit dem späteren Alter auseinanderzusetzen, einen Beitrag dazu leisten, bedeutsame Vorbereitungen der unterschiedlichsten Art zu treffen, sich zum Beispiel Informationen (etwa für den Fall von PÁegebedarf) zu beschaffen, Versorgungsmöglichkeiten abzuklären, das eigene Wohnen vor dem Hintergrund einer Bandbreite möglicher Entwicklungen zu reÁektieren bzw. neue Betätigungsfelder und Interessensgebiete frühzeitig auszuwählen und anzugehen. Keinesfalls zu vernachlässigen ist die andauernde Sorge um die eigene psychische Gesundheit. Vieles spricht dafür, dass eine ungünstige psychische Gesundheit bereits früh im Leben negative Auswirkungen auf den Alternsverlauf nach sich zieht. So wissen wir heute, dass depressive Erkrankungen neben ihren psychischen Auswirkungen bedeutsame körperliche Langzeitfolgen besitzen, beispielsweise eine deutliche Erhöhung kardiovaskulärer Erkrankungen. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Person (vgl. Kapitel 5) und grundlegende Einsichten in die eigene Problembewältigungskompetenz können dabei helfen, spätere psychische Belastungen wie Mehrfacherkrankungen oder die Erfahrung der Verwitwung besser zu verarbeiten.
15 Prävention
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Resümee Noch nie war die menschliche Lebens- und damit auch Alternsphase so lange wie heute, aber noch nie war auch unser Wissen über EinÁussmöglichkeiten in Bezug auf gutes Altern so ausgeprägt wie heute. Evidenz zur Plastizität des Alternsprozesses besitzen wir zwar immer noch nicht in ausreichendem Maße, aber doch in einer so bedeutsamen und vielschichtigen Weise, dass eine breit angelegte Anwendung nicht nur vertretbar ist, sondern in weitaus stärkerem Maße, als dies heute bereits der Fall ist, zur Umsetzung kommen sollte. Wir verfügen insbesondere über eine breite Palette an Interventionsmöglichkeiten, um ungünstige Entwicklungen im Alter zwar nicht gänzlich zu verhindern, jedoch in ihren Wirkungen abzuschwächen und verbliebene Kompetenzen deutlich zu stärken. Wir verfügen komplementär über neue empirische Einsichten dahingehend, wie langes Altern mit neuen Entwicklungschancen und neuen Wachstumsmöglichkeiten versehen werden kann. Wir verstehen nicht, dass dieses Potenzial in unserer alternden Gesellschaft nicht schon in einem viel intensiveren Maße genutzt wird. Es geht um Lebensqualität im Alter in einem weiten und differenzierten Sinn, aber nicht zuletzt auch um Kosten bzw. die Reduzierung derselben. Wie lange leistet es sich unsere alternde Gesellschaft noch, evidenzbasierte Formen der EinÁussnahme auf Altern
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in nicht genügendem Maße zu fördern und damit auch mögliche Präventionsstrategien sträÁich zu vernachlässigen? Allerdings: Diese Frage zielt nicht nur in Richtung gesellschaftlicher und politischer Akteure, sondern richtet sich auch an alternde Menschen selbst (vgl. Teil D des Buches).
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Ein umfassendes Verständnis von Gesundheit In seiner Schrift Über die Verborgenheit der Gesundheit (1993) stellt der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer die Annahme auf, dass der Mensch dann, wenn ihm nichts fehle, keine Antwort auf die Frage geben könne, was Gesundheit sei. Erst wenn eine Krankheit eingetreten sei, könne sich eine grundlegende Vorstellung von dem entwickeln, was Gesundheit bedeute: „Nämlich das, was dem Menschen nun fehlt.“ Mit dieser Aussage weist Gadamer auf die Relativität des Gesundheitsbegriffs hin: Menschen bilden ein individuell sehr verschiedenartiges Verständnis von Gesundheit aus. Sie sind dabei beeinÁusst von den Gesundheitsvorstellungen der Gesellschaft, in der sie leben, weiterhin von der Art und Weise, wie Menschen, mit denen sie sich identiÀzieren, Krankheiten zu bewältigen versuchen. Schließlich sind die in der BiograÀe gewonnenen Erfahrungen bei der Verarbeitung von Krankheiten entscheidend für das subjektive Verständnis von Gesundheit.
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Zukunft Altern
Es besteht heute Einigkeit darüber, dass die „klassische“ GesundheitsdeÀnition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – nämlich das völlige Freisein von körperlichen, seelischen und sozialen Einschränkungen – zum einen unrealistisch, zum anderen auch gefährlich ist: Denn eine solche DeÀnition verstellt den Blick auf die mögliche Kreativität des Menschen in der Erzeugung von Gesundheit – eine Kreativität, die vor allem dann an Bedeutung gewinnt, wenn Erkrankungen eingetreten sind. Ganz in diesem Sinne ist jene DeÀnition von Gesundheit zu verstehen, die Viktor von Weizsäcker, einer der Begründer der psychosomatischen Medizin, gegeben hat: Danach stellt Gesundheit kein Kapital dar, das der Mensch nach und nach „aufzehrt“, sondern vielmehr ist sie nur dort anzutreffen, wo sie vom Menschen „stets neu erzeugt“ wird. Danach können auch jene Menschen Gesundheit verwirklichen, bei denen schwere chronische Erkrankungen vorliegen. Hier sind Parallelen zur Existenzpsychologie des Wiener Arztes und Begründers der Logotherapie, Viktor Frankl (2005), erkennbar: Dieser sah in der Verwirklichung von Werten – nämlich jenem des Erzeugens (homo faber), des Erlebens und Liebens (homo amans), des Erleidens (homo patiens) – die Grundlage für Gesundheit. Dabei, und dies ist im Zusammenhang mit der Frage: „Was ist Gesundheit?“ besonders wichtig, deutete er den Wert des Erleidens als den höchsten aller drei Wertformen: Denn dieser, so Frankl, lasse sich nur verwirklichen, wenn es dem Menschen gelinge, zu einer veränderten Lebenseinstellung zu gelangen. Diesem Verständnis zufolge besteht Gesundheit vor allem in der Fähigkeit, neben der Suche und Inanspruchnahme von fachlicher Hilfe das Schöpferische in sich selbst zu entdecken, das dabei hilft, mit der Krankheit zu leben. Dies erfordert von Ärzten – wie auch von jenen anderen Berufsgruppen, die mit der Betreuung von Patien-
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ten befasst sind – eine grundlegende Fähigkeit, die sich wie folgt umschreiben lässt: das Wesen des Patienten zu erkennen und dessen Fähigkeit anzusprechen, trotz der bestehenden Erkrankung ein selbstständiges, selbstverantwortliches und persönlich sinnerfülltes Leben zu führen. Damit die Medizin, damit die anderen Berufsgruppen dies können, bedarf es zunächst eines ausreichenden Maßes an Zeit – denn nur die konzentrierte Zuwendung zum Patienten ermöglicht es, dessen Wesen zu erkennen. Darüber hinaus ist ein Perspektivenwechsel notwendig: nämlich von der „Verordnung“ hin zur „Begleitung“. Die klassische DeÀnition von Gesundheit wird heute eigentlich von niemandem mehr ernsthaft geteilt. Und auch die Weltgesundheitsorganisation entwickelte in der OttawaDeklaration aus dem Jahre 1986 ein neues Gesundheitsverständnis: Gesundheit stellt danach einen Oberbegriff dar, der fünf Merkmale umfasst (Kruse 2002): Aktivität, Lebenszufriedenheit, subjektiv erlebte Gesundheit, Gesundheitsverhalten und gesunden Lebensstil. Damit erweitern sich die Ziele der Therapie und PÁege: Nicht allein die Überwindung oder Linderung einer Krankheit steht im Zentrum, sondern auch die Unterstützung des Menschen bei der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Selbstständigkeit und sozialer Teilhabe sowie bei seinem Bemühen um Bewältigung der Krankheit. Damit verbunden ist die vermehrte Zuwendung zur Lebenswelt des Patienten: Wie sind dessen Wohn- und Wohnumfeldbedingungen beschaffen? In welchem Maße ist dieser in ein tragfähiges soziales Netzwerk integriert? Inwiefern kann dieser durch professionelle Dienste unterstützt werden? Welche Vorstellungen von Teilhabe hat dieser, und was ist zu tun, damit sich diese persönlichen Vorstellungen verwirklichen können? Zudem ist bei der Behandlung von Patienten
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Zukunft Altern
mit chronischen Erkrankungen die seelisch-geistige Dimension vermehrt anzusprechen – und zwar in der Hinsicht, dass diese den Krankheitsprozess besser verstehen, dass sie durch ihr eigenes Gesundheitsverhalten Therapie- und PÁegemaßnahmen unterstützen, dass sie Lebensbereiche erkennen und verwirklichen, die ihnen helfen, neue psychische Kraft zu schöpfen und zu neuer Lebensperspektive zu Ànden. Gehen wir nun auf die Ottawa-Deklaration der Weltgesundheitsorganisation (1986) und die dort vorgeschlagene DeÀnition von Gesundheit ausführlicher ein. Den Kern dieser DeÀnition bildet das Konstrukt „Aktivität“ (active state): Aktivität wird hier als zentraler Indikator für Gesundheit betrachtet. Im Gegensatz zum klassischen Modell betont das neue Modell bei der Auswahl von (lebenslaufbezogenen) Indikatoren von Gesundheit sehr viel stärker die Aktivität des Individuums, die Lebenszufriedenheit, die subjektiv wahrgenommene Gesundheit und das gesundheitsbewusste Verhalten. Die im klassischen Modell enthaltenen Indikatoren deuten auf eine stärkere Orientierung an einem Gesundheitsbegriff hin, der vor allem Störungen bzw. das Freisein von Störungen in den Mittelpunkt rückt. In dem neuen Modell ist hingegen eine stärkere Orientierung an (persönlich sinnerfüllter) Aktivität erkennbar, die zwar nicht losgelöst von Funktionen und Fähigkeiten betrachtet werden darf, die aber auch nicht allein durch Funktionen und Fähigkeiten erschöpfend erklärt werden kann – vielmehr sind auch Antrieb und Motivlage des Menschen und der Anregungsgehalt der Situation zu berücksichtigen. Allerdings wird in dem Modell der Begriff der Aktivität nicht genauer deÀniert. Es wird hier folgende DeÀnition von Aktivität vorgeschlagen: Sie beschreibt die bewusste, gezielte, auf Erhaltung oder Herstellung eines Zustands in der Person und/oder in ihrer Umwelt gerichtete, in ihrer Ausfüh-
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rung kontinuierlich kontrollierte Handlung. In dem neuen Modell von Gesundheit werden zwei Konzepte eingeführt, zu denen im Folgenden eine kurze Erläuterung gegeben werden soll – jenes der aktiven Lebenserwartung (active life expectancy) und jenes der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit (perceived health). Diese beiden Konzepte sind für ein angemessenes Verständnis der Prävention für das Alter und der Prävention im Alter von großer Bedeutung. Dem bereits in Kapitel 4 betrachteten Konzept der aktiven Lebenserwartung bzw. jenem der behinderungsfreien Lebenserwartung liegt die Annahme zugrunde, dass Erkrankungen nicht zu Behinderungen führen müssen (Robine & Michel 2004). Weiterhin wird angenommen, dass sich Erfolge der Prävention, Therapie und PÁege nicht allein in der Kompression der Morbidität (Fries 2005), sondern auch im späteren Auftreten von Behinderungen widerspiegeln (Dinkel 1999). Eine zentrale Frage, die im Kontext dieses Konzepts gestellt wird, lautet: Wie viele Jahre leben ältere Menschen ohne Einschränkungen ihrer Funktionstüchtigkeit? Dabei wird von einem breiten Spektrum von Funktionen ausgegangen, die sensomotorische, kognitive, sozialkommunikative und emotionale Funktionen umfassen. Dieses Konzept ist für einen lebenslauforientierten Ansatz in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens hebt es die Notwendigkeit hervor, bereits in früheren Lebensaltern physische, kognitive und alltagspraktische Kompetenzen aufzubauen und systematisch zu erweitern, die sich positiv auf die physische und kognitive Leistungskapazität sowie auf die Selbstständigkeit im Alter auswirken – zum einen dadurch, dass Menschen mit besseren KompetenzproÀlen in das Alter eintreten, zum anderen dadurch, dass ältere Menschen im Falle eingetretener Erkrankungen eine höhere Kompensationsfähigkeit und damit höhere Rehabilitationspotenziale aufweisen, die sie eher
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Zukunft Altern
in die Lage versetzen, auch bei chronischer Erkrankung ihre Mobilität sowie ihre physische und kognitive Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Zweitens betont es die Notwendigkeit, auch im hohen Alter Maßnahmen zur Förderung der physischen, der kognitiven und der alltagspraktischen Kompetenz anzuwenden, um auf diese Weise die Ausbildung von Hilfe- oder PÁegebedarf bei chronischen Erkrankungen zu vermeiden: Aus diesem Grunde wird in der Teilnahme älterer Menschen an präventiv ausgerichteten, umfassend konzipierten Bildungsangeboten wie auch in speziÀschen Schulungsund Trainingsprogrammen für chronisch erkrankte Menschen ein zentraler Beitrag der funktionellen Prävention für die Erhaltung von physischer und kognitiver Leistungskapazität sowie von Selbstständigkeit im Alter gesehen. Das Konzept der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit besitzt eine speziÀsche, gegenüber dem objektiven Gesundheitszustand eigenständige Bedeutung: Die subjektiv wahrgenommene Gesundheit ist nicht als eine Abbildung der objektiv gegebenen Gesundheit zu verstehen, sondern vielmehr als eine Bewertung der Gesundheit aus subjektiver Sicht, wobei diese Bewertung sowohl von Personmerkmalen (zum Beispiel Widerstandsfähigkeit, Kontrollüberzeugungen und Bewältigungstechniken) als auch von Umweltmerkmalen (zum Beispiel Ausmaß und Art der sozialen Unterstützung, Bewertung der Gesundheit durch andere Menschen) beeinÁusst ist. Es bestehen, wie bereits in Kapitel 5 beschrieben, enge Zusammenhänge zwischen subjektivem Gesundheitszustand einerseits und Lebenszufriedenheit sowie Kontrollüberzeugungen andererseits; in der subjektiven Gesundheit spiegelt sich nicht nur die objektiv gegebene körperliche Situation wider, sondern auch die allgemeine Zufriedenheit des Menschen mit seiner Lebenssituation sowie dessen Überzeugung, die bestehende
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gesundheitliche Situation durch eigenes Handeln beeinÁussen zu können. Der vergleichsweise positive subjektive Gesundheitszustand trotz eingetretener gesundheitlicher Belastungen wird als Ausdruck von psychologischer Widerstandsfähigkeit gedeutet. Diese lässt sich deÀnieren als Fähigkeit des Menschen, nach Eintritt von Einschränkungen und Verlusten das frühere Niveau von psychologischer Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Kapitel 5). Die eigenständige Bedeutung der subjektiven Gesundheit gegenüber der objektiven Gesundheit kommt in empirischen Befunden zum Ausdruck, die auf eine erhöhte Mortalität älterer Menschen bei schlechter subjektiver Gesundheit deuten: Eine negative subjektive Gesundheit ist ein Vorhersagefaktor für verringerte Lebenserwartung. Die subjektive Gesundheit – als zentrales Merkmal von Gesundheit – ist ebenfalls Gegenstand präventiver, umfassender konzipierter Bildungsangebote: Deren Aufgabe mit Blick auf ältere Menschen ist darin zu sehen, neben der Informationsvermittlung (zum Beispiel über gesundheitsförderliches Verhalten, über Präventionspotenziale, über bestehende gesundheitliche Dienstleistungen) kognitive, psychische und alltagspraktische Strategien zu verstärken (oder neu zu vermitteln), die zum einen auf die Erhaltung oder Wiedergewinnung von Kompetenz und WohlbeÀnden gerichtet sind und durch die zum anderen Kontrollüberzeugungen – und damit die subjektive Gesundheit – gefördert werden. Aus dieser umfassenden DeÀnition von Gesundheit werden in der Literatur folgende Gesundheitsziele abgeleitet: • Vermeidung von Erkrankungen und Funktionseinbußen, • Erhaltung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, • Erhaltung der aktiven Lebensgestaltung, • Vermeidung von psychischen Erkrankungen aufgrund von Überforderung,
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•
Zukunft Altern
Aufrechterhaltung eines angemessenen Systems der Unterstützung.
Gesundheit im Alter Das 30. Lebensjahr wird in der Literatur als ein Zeitpunkt genannt, an dem sich im Organismus eine Wende vollzieht: An die Stelle von Wachstum und Reifung des Organismus tritt vermehrt der langsam fortschreitende Abbau physiologischer Funktionen. Es handelt sich dabei um normale Alternsprozesse, mit denen eine zunehmende Verletzlichkeit des Organismus verbunden ist; als deren Folge nimmt die innere Krankheitsdisposition zu. Tabelle 16.1 zeigt die Veränderung von Organfunktionen im höheren Lebensalter bei gesunden Menschen. Eine optimale Organfunktion wird im 30. Lebensjahr mit 100 % angenommen. Im Vergleich dazu ist der Funktionsverlust in Prozenten im höheren Lebensalter (>60 Jahre) dargestellt. Die Prozentangaben stellen einen Mittelwert mit breiter Streuung dar; die Variabilität der Leistungsfähigkeit der Organe ist im Alter intraindividuell und interindividuell sehr groß. Die häuÀgsten Erkrankungen im Alter sind in Abbildung 16.1 nach Geschlecht und Altersstufen getrennt dargestellt. Auffallend ist der unterschiedliche Verlauf der Erkrankungen mit zunehmendem Alter. Eine deutliche Zunahme ist bei zerebrovaskulären Erkrankungen und bei der HerzinsufÀzienz zu beobachten. Erkrankungen der Wirbelsäule und des Fettstoffwechsels nehmen eher ab, der prozentuale Anteil an Patienten mit Bluthochdruck bleibt unverändert. Die im Alter vielfach chronisch verlaufenden Erkrankungen stehen untereinander in Wechselwirkung, was Diagnos-
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16 Gesundheit, Krankheit, Pflege
Tabelle 16.1 Organsystem und ihre Veränderungen im höheren Lebensalter beim gesunden älteren Menschen. Organsystem
Parameter
Nervensystem
1. Nervenzellen 2. Gehirngewicht 3. Gehirnvolumen 4. Gehirndurchblutung 5. Nervenleitungsgeschwindigkeit
Funktion vermindert
–20 %
unverändert
–10 % –50 %
Lunge
1. Vitalkapazität 2. totale Lungenkapazität 3. Residualvolumen 4. Atemgrenzwert 5. maximale Sauerstoffaufnahme
–50 %
Niere
1. glomeruläre Filtrationsrate 2. Nierendurchblutung 3. Nierenkörperchen 4. Nierengewicht
–30–50 % –50 % –30–40 %
Muskulatur
1. Muskelmasse 2. maximale Dauerleistung 3. maximale Spitzenleistung 4. Handmuskelkraft
–30 % –30 % –60 % –45 %
Sinnesorgane
1. Linsendichte 2. Akkommodation
Ding-Greiner & Lang 2004.
erhöht
–3 % –6–11 %
1. Herzleistung HerzKreislauf- 2. Herzgewicht 3. Schlagvolumen System in Ruhe
3. Hörverlust hoher Frequenzen 4. Hörverlust tiefer Töne
unverändert
+20–30 % –30 %
unverändert +50 % –60–70 % –60–70 %
–20–30 %
+200 % –11Dioptrien von 20 kHz auf 4 kHz –10–15 db
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Zukunft Altern Männer
Frauen Bluthochdruck, Hypertonie Herzinsuffizienz ischämische Herzkrankheit zerebrovaskuläre Krankheiten Diabetes mellitus Störungen des Lipidstoffwechsels Arthrose, Arthritis Dorsopathien chronische Bronchitis, Emphysem, chronische Atemwegsobstruktionen
45 40 35 30 35 20 15 10 60 bis 79
5
0
0
5
10 15 20 25 30 35 40 45
80 und älter
Abb. 16.1 Anteil der Patienten mit ausgewählten Diagnosen in der ambulanten ärztlichen Primärbetreuung (Kruse et al. 2002).
tik und Therapie erheblich erschwert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, altersspeziÀsche Besonderheiten in der Symptomatik, in dem zu erwartenden Krankheitsverlauf sowie in der speziÀschen Therapieindikation (hier ist vor allem auch an Unverträglichkeiten und unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu denken) zu beachten. HäuÀg lässt sich bei älteren Patienten die Bildung von Krankheitsketten beobachten. Therapeutische Maßnahmen zur Linderung einer Erkrankung können durch Nebenwirkungen oder durch Begleiteffekte eine Dekompensation anderer, latent bestehender Erkrankungen hervorrufen. Weiterhin ist zu beachten, dass insbesondere chronische Erkrankungen nicht nur eine Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch Störungen des psychischen Gleichgewichts bedingen können und dass die mit speziÀschen Erkrankungen einhergehenden Funktionseinschränkungen nicht selten einen Risikofaktor für die selbstständige Lebensführung der Patienten darstellen. Während bei jüngeren Pa-
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tienten in der Regel die Heilung einer akuten Erkrankung oder die Rückkehr in ein „normales“ Alltags- und Berufsleben im Vordergrund steht, hat bei der Behandlung älterer Patienten die Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Selbstständigkeit Priorität. Entsprechend werden für die Therapieplanung in der Geriatrie neben einer differenzierten Diagnostik erhaltener und geschädigter Funktionen auch detaillierte Kenntnisse über die in der jeweiligen Wohnung im jeweiligen Wohnumfeld zu erwartenden Probleme und Anforderungen sowie die für deren Bewältigung jeweils verfügbaren sozialen und ökonomischen Ressourcen benötigt. Dieser Notwendigkeit wird mit dem Konzept des umfassenden geriatrischen Assessments Rechnung getragen. Die Unvermeidbarkeit einer Behinderung nach Eintreten chronischer Erkrankungen im Alter wurde durch die Ergebnisse gerontologischer Forschung grundlegend infrage gestellt. Verschiedene chronische Erkrankungen haben unterschiedliche Auswirkungen im Hinblick auf Behinderungen bei älteren Menschen. Um ein Beispiel zu geben: Hypertonie und andere Herzerkrankungen in der Anamnese stellen die eindeutigsten Prädiktoren von Behinderung dar. Arthritis ist ein weiterer bedeutsamer und konsistenter Prädiktor für Behinderung. Erwachsene, die an einer leichten Arthritis leiden, werden eher eine geringe Behinderung zeigen; ist die Arthritis hingegen stark ausgeprägt, so muss auch mit einer schweren Behinderung gerechnet werden. Des Weiteren bestimmen Merkmale der Person, ihrer Lebenslage sowie ihrer sozialen und räumlichen Umwelt mit, inwieweit chronische Erkrankungen zu Behinderungen führen. Der Grad der Behinderung nach chronischer Erkrankung ist von den drei folgenden Faktoren beeinÁusst: 1) Wie erlebt das Individuum die Erkrankung, und wie reagiert es auf diese? 2) Wie nehmen
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Zukunft Altern
andere Menschen die Erkrankung wahr, und welche Erwartungen richten sie an den erkrankten Menschen? 3) Inwieweit tragen die Merkmale der räumlichen Umwelt zur Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit bei, und inwieweit erschweren sie diese? Multimorbidität tritt nicht nur in den höheren Altersgruppen vermehrt auf, sondern ist in allen Altersgruppen vorhanden, zeigt aber eine steigende Tendenz mit dem Lebensalter (Weyerer, Ding-Greiner, Marwedel & Kaufeler 2008). In der Population mit Multimorbidität erkranken Frauen im Durchschnitt mit 43, Männer mit 48,5 Jahren. Mehr als die Hälfte der Frauen ist ab dem 40. bis 45. Lebensjahr als multimorbid einzustufen, bei den Männern trifft dies erst ab dem 55. bis 60. Lebensjahr zu. In der Gruppe der 60- bis 79-Jährigen weisen 13 % der Männer und 8 % der Frauen keine Erkrankung, 19 % der Männer und 13 % der Frauen eine Erkrankung, 21 % der Männer und 16 % der Frauen zwei Erkrankungen, 20 % der Männer und 21 % der Frauen drei Erkrankungen, 11 % der Männer und 15 % der Frauen vier Erkrankungen, 6 % der Männer und 8 % der Frauen fünf Erkrankungen sowie 9 % der Männer und 17 % der Frauen sechs und mehr Erkrankungen auf. Frauen haben im Durchschnitt 2,3, Männer 1,5 Krankheiten. Frauen zeigen in allen Altersgruppen eine höhere jährliche Prävalenzrate der Multimorbidität. Bis zum Alter von 40 Jahren ist diese bei Frauen doppelt so hoch; in der Altersgruppe 60–80 haben Frauen im Durchschnitt 3,4, Männer 2,7 Krankheiten. Die höhere Prävalenz von Multimorbidität bei Frauen wird in der nationalen wie auch in der internationalen Literatur beschrieben. Schon Mitte der 1990er Jahre wurden Arbeiten veröffentlicht, die sich mit der Frage befassten, inwieweit sich Merkmale der Geschlechterrolle auf die
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Diagnostik auswirken können. Folgende Merkmale werden darin genannt: Bei Frauen Ànden sich mehr Informationen zu reproduktiven Funktionen als bei Männern; sie neigen eher dazu, auf körperliche Signale zu achten, sie beschreiben häuÀger körperliche BeÀndlichkeiten, bei ihnen sind häuÀger psychosomatische Erkrankungen erkennbar. Die Überlebenszeit nach Diagnosestellung oder Therapiebeginn ist bei multimorbiden Männern kürzer; diese leiden häuÀger an schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen. Bei Männern treten chronische Erkrankungen mit lebensbedrohlichem Charakter früher auf und zeigen eine höhere Prävalenz. Bei Frauen Ànden sich eher chronische, nicht lebensbedrohliche Erkrankungen, sie leiden häuÀger unter funktionellen Einschränkungen. Mit 80 Jahren steigt die Inzidenz multimorbider, schwerwiegender Erkrankungen bei Frauen rasch an und ist höher als jene bei Männern. Die Einschränkung der körperlichen Funktionsfähigkeit ist bei Frauen ausgeprägter.
Das Verständnis von Pflege Unter PÁege ist aus anthropologischer Perspektive ein Prozess zu verstehen, der die verschiedenen Dimensionen des Menschen berührt – die körperliche, die seelisch-geistige, die soziale Dimension. Die körperliche Dimension (in ihren für die PÁege relevanten Aspekten) umfasst die sensorischen und motorischen Funktionen sowie die sensomotorischen Fertigkeiten; hinzu kommen die physiologischen Bedürfnisse des Menschen. Die sensorischen und motorischen Funktionen sowie die sensomotorischen Fertigkeiten bilden die Grundlage für die selbst-
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ständige Ausführung der Aktivitäten des täglichen Lebens. Es wird dabei zwischen den basalen Aktivitäten (die für die Selbstständigkeit im Alltag zentral sind) und den instrumentellen Aktivitäten (in denen sich eher die individuelle Gestaltung des Alltags widerspiegelt) unterschieden. In Bezug auf die körperliche Dimension stehen – aus der Perspektive der PÁege – die Unterstützung bei der Erfüllung physiologischer Bedürfnisse, die Anregung des Sensoriums und die Aktivierung motorischer Funktionen sowie sensomotorischer Fertigkeiten mit dem Ziel, die Mobilität und Selbstständigkeit im Alltag (als zentrales Merkmal der Selbstverantwortung) zu erhalten und zu fördern, im Vordergrund. Die „therapeutische aktivierende PÁege“ – als eine bedeutende Ergänzung der GrundpÁege – gewinnt hier besondere Bedeutung. Die seelisch-geistige Dimension umfasst zum einen das Erleben des Menschen, zum anderen dessen Versuche, die eingetretene Erkrankung, die Hilfs- oder PÁegebedürftigkeit seelisch zu verarbeiten. Hinzu treten Denkvermögen, Lern- und Gedächtniskapazität. In mehreren Studien zur psychischen Situation schwer kranker Menschen konnte gezeigt werden, dass es einem Teil der pÁegebedürftigen Menschen gelingt, die eingetretenen Einschränkungen und Verluste zu verarbeiten, dass jedoch in der Gruppe der PÁegebedürftigen der Anteil jener Menschen, bei denen seelische Erschöpfungszustände, Resignation und Niedergeschlagenheit vorliegen, im Vergleich zu selbstständig lebenden oder hilfsbedürftigen Menschen deutlich höher ist. Dieses Ergebnis verdeutlicht, wie wichtig die seelisch-geistige Dimension im Prozess der PÁege ist, das heißt dass sich die PÁege keinesfalls nur auf körperliche Prozesse beschränken darf. Das Eingehen auf Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Erwartungen des pÁegebedürftigen Menschen bildet eine Voraussetzung für den Ausdruck von
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Emotionen, die emotionale Expressivität wiederum stellt eine Voraussetzung für die seelische Reifung in dieser Grenzsituation dar. In diesem Zusammenhang sei eine Aussage angeführt, die Patienten in unseren Studien zur Verarbeitung von chronischen Erkrankungen und zum Erleben der eigenen Endlichkeit immer wieder getroffen haben: Die psychologisch begleitete oder unterstützte PÁege sei eine zentrale Voraussetzung für eine fachlich und menschlich ansprechende PÁege. Die soziale Dimension beschreibt die Relation zwischen Nähe (im Sinne des Kontakts zu anderen Menschen) und Distanz (im Sinne des Für-sich-Seins), die bestehenden sozialkommunikativen Fertigkeiten des Menschen sowie dessen soziale Teilhabe. Eine fachlich ansprechende PÁege ist zum einen darauf gerichtet, die für den einzelnen Menschen optimale Relation zwischen Nähe und Distanz zu erkennen und diesen Menschen dabei zu unterstützen, diese Relation möglichst weit zu verwirklichen – es sei darauf hingewiesen, dass dies auch entsprechende räumliche Bedingungen erfordert. Eine fachlich ansprechende PÁege versucht weiterhin, durch klare und ruhige Ansprache die sozialkommunikativen Fertigkeiten des Menschen anzuregen und zu stützen. Und schließlich ist sie darauf gerichtet, Angebote zu entwickeln und zu unterbreiten, durch die zur sozialen Teilhabe pÁegebedürftiger Menschen beigetragen wird (zum Beispiel durch Treffpunkte in einer stationären Einrichtung, die begleitet werden). Für die ambulante PÁege gilt hier in besonderem Maße die „vermittelnde“ Funktion zwischen pÁegebedürftigen und pÁegenden Familienmitgliedern. Diese vermittelnde Funktion ist bedeutsam für die Vermeidung oder Linderung von KonÁikten innerhalb der Familie. Die heute bestehenden PÁegekonzepte können den Anspruch erheben, personen- und kompetenzorientiert zu sein. Zum
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einen werden in diesen Konzepten die verschiedenen Dimensionen des Menschen sowie deren Bezüge zur räumlichen und sozialen Umwelt berücksichtigt. Zum anderen wird in den PÁegekonzepten der Erhaltung und Förderung von Funktionen und Fertigkeiten (durch Aktivierung und Mobilisierung sowie durch Schaffung einer anregenden räumlichen und sozialen Umwelt) große Bedeutung beigemessen. Ein entscheidendes Problem für die Praxis der PÁege wird darin gesehen, dass 1) diese PÁegekonzepte derzeit nicht generell (das heißt im Sinne von allgemein verbindlichen Standards) in die Ausbildung eingehen, 2) ausgebildete PÁegerinnen und PÁeger vielfach nicht die Möglichkeit haben, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten im beruÁichen Alltag einzusetzen, und 3) der PÁegeberuf aufgrund der vielfach zu beobachtenden Konzentration auf die GrundpÁege an Anreizen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbüßt.
Häufigkeit von Pflegebedürftigkeit, Inanspruchnahme von Hilfeund Pflegeleistungen In der Bundesrepublik Deutschland waren Ende des Jahres 2003 etwa 2,1 Millionen Menschen pÁegebedürftig nach Maßgabe des PÁegeversicherungsgesetzes (SGB XI). 31 % aller pÁegebedürftigen Menschen (640 000) wurden in Heimen versorgt. Während bei den zu Hause Versorgten der Frauenanteil bei 64 % lag, fand sich in der Heimbewohnerschaft ein mit 78 % deutlich höherer Frauenanteil. 45 % der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner mit PÁegebedürftigkeit waren 85 Jahre und älter (in Privathaushalten belief sich der entsprechende
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Anteil nur auf 26 %). Der Anteil pÁegebedürftiger Frauen und Männer mit der höchsten PÁegestufe betrug in den Heimen 21 %, bei den zu Hause Versorgten 10 %. Ungefähr 400 000 Heimbewohnerinnen und Heimbewohner leiden an einer Demenz (Weyerer 2007). Heute gibt es in der Bundesrepublik Deutschland etwa 8 800 stationäre, von den PÁegekassen anerkannte Alten- und PÁegeheime. Die Gesamtzahl der Heimplätze beläuft sich dabei auf ungefähr 615 000. Die Prävalenz der PÁegebedürftigkeit hat sich bei älteren Menschen in Privathaushalten von 1991 bis 2002 kaum verändert: Im Jahre 1991 waren von den 75- bis 84-Jährigen 8,9 %, von den 85-Jährigen und Älteren 31,4 % regelmäßig pÁegebedürftig, im Jahre 2002 von den Ersteren 8,2 %, von den Letzteren 30,4 % (Schneekloth & Wahl 2006). Es kam hingegen zu einer deutlichen Zunahme schwer pÁegebedürftiger Menschen in den Heimen. Einer Untersuchung zufolge (Schäufele, Hendlmeier, Teufel, Köhler & Weyerer 2007), die auf drei Erhebungen im Zeitraum von 1995 bis 2003 mit einem identischen Erhebungsinstrument gründet, ist in diesem Zeitraum der Anteil von Heimbewohnerinnen und -bewohnern mit mittelschwerer oder schwerer Demenz von 54,7 auf 65,3 %, jener mit starken Einschränkungen in den Alltagsfertigkeiten von 56,3 auf 62,9 %, jener mit Einschränkungen der Gehfähigkeit (diese konnten keine 50 Meter mehr alleine oder mit Hilfe gehen) von 37,5 auf 43,5 %, jener mit Bettlägerigkeit von 17,9 auf 22,1 % gestiegen. „Kein europäisches Land (hat) ein so umfassendes – umfassend hinsichtlich des geschützten Personenkreises, hinsichtlich des Leistungsspektrums und hinsichtlich der Behandlung informeller PÁegepersonen – System zum Schutz bei LangzeitpÁege (…), wie es in Deutschland der Fall ist“ (Igl 2007, S. 77).
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Es wird angenommen, dass durch die demograÀsche Entwicklung und den dadurch bedingten Anstieg des PÁegebedarfs sowie durch den Rückgang an familialen Hilfepotenzialen die Zahl der PÁegeplätze bis zum Jahre 2050 um 600 000 bis 800 000 erhöht werden muss. Unter den in Privathaushalten lebenden Menschen wurden 85,5 % der Männer und 82 % der Frauen im letzten Lebensjahr im Krankenhaus behandelt. Unter den Heimbewohnern lag der Anteil der Männer, die im letzten Lebensjahr im Krankenhaus behandelt wurden, bei 76,4 %, der Anteil der Frauen bei 71,2 %. Die durchschnittliche Zahl von Krankenhausepisoden lag in Privathaushalten bei 1,6 (Frauen) bzw. 1,7 (Männer), in Heimen bei 1,3 (Frauen) bzw. 1,6 (Männer). Die Gesamtdauer der Krankenhausaufenthalte lag bei den in Privathaushalten lebenden Personen bei 4,8 Wochen (Frauen) bzw. 5,3 Wochen (Männer), bei den in Heimen lebenden Personen bei 4,2 Wochen (Frauen) bzw. 6,0 Wochen (Männer). Die Wahrscheinlichkeit eines Klinikaufenthalts nahm dabei mit steigendem Alter des Patienten ab. So stellt Bickel (1998) fest: „Obwohl eine stationäre Behandlung im letzten Lebensjahr eher die Regel als die Ausnahme war, ergaben sich in Abhängigkeit von demograÀschen Variablen, von der Wohnform und vom Grad der PÁegebedürftigkeit deutliche Inanspruchnahmeunterschiede. So wurden die Hochbetagten seltener als die jungen Alten in Kliniken eingewiesen, die Frauen seltener als die Männer, die Verwitweten und Geschiedenen seltener als die Verheirateten, die PÁegebedürftigen seltener als die NichtpÁegebedürftigen und die Bewohner von Heimen und Mehrpersonenhaushalten seltener als die Bewohner von Ein- oder Zweipersonenhaushalten. Bei wechselseitiger Kontrolle der Faktoren traten diese Zusammenhänge mit Einzelmerkmalen
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indessen zurück. In der multivariaten Analyse wirkte sich lediglich das Alter auf die Wahrscheinlichkeit einer stationären Aufnahme aus und zwar in dem Sinne, dass sich mit steigendem Alter die Inanspruchnahme verringerte“ (Bickel 1998, S. 199).
In einer Untersuchung zur ärztlichen Versorgung in PÁegeheimen, an der bundesweit 782 Heime (dies sind knapp 9 % aller Alten- und PÁegeheime) mit 64 588 PÁegeplätzen (von einer gesamten Heimkapazität mit etwa 615 000 PÁegeplätzen) teilgenommen haben, wurde zunächst die Frage nach der Mobilität der Heimbewohnerinnen und -bewohner – als bedeutende Voraussetzung des Zugangs zu ambulanten medizinischen Leistungen – gestellt (Hallauer et al. 2005). Bei 18,5 % war die Mobilität voll erhalten und bei 10,7 % leicht eingeschränkt (auf Gehstock angewiesen); 25,9 % der Bewohnerinnen und Bewohner waren mittelgradig (auf Rollator angewiesen) und 31,4 % stark eingeschränkt (auf Rollstuhl angewiesen); 13,5 % waren völlig immobil. Weiterhin wurden bei 72 % eine Harninkontinenz und bei 53 % eine Demenz festgestellt. 81 % der Bewohnerinnen und Bewohner haben keine Arztbesuche außerhalb des Heimes unternommen, 16 % unternahmen Arztbesuche außerhalb des Heimes nur in Begleitung, 3 % selbstständig. Die in der Untersuchung berichteten Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Arztbesuche werden in aller Regel durch das PÁegepersonal der Heime veranlasst. Die Versorgung durch Ärzte für Allgemeinmedizin erfolgt in hoher Dichte. Allerdings erschwert die hohe Zahl verschiedener im Heim tätiger Ärzte die Umsetzung medizinischer Behandlung durch die PÁegekräfte. Es wird ausdrücklich eine bessere Koordination der Ärzte untereinander sowie eine Einbeziehung medizinischer Diagnostik und Behandlung in das Fallmanagement der PÁegekräfte empfohlen. Die
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fachärztliche Versorgung weist erhebliche Lücken auf. Nur ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner werden von Psychiatern und Neurologen erreicht, die Versorgung durch Frauen-, Augen- und HNO-Ärzte fehlt fast völlig. Auch die Betreuung durch Urologen und Orthopäden wird als unzureichend eingestuft. Während Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes medikamentös entsprechend der HäuÀgkeiten dieser Krankheiten behandelt werden, unterbleibt die Medikation bei Demenz und bei Harninkontinenz weitgehend. Dafür wird vor allem die geringe oder fehlende Betreuung der Bewohner durch die entsprechenden Facharztdisziplinen verantwortlich gemacht. Schließlich wird der Weiterbildungsbedarf des allgemeinen PÁegepersonals auf den Gebieten der Demenz, der Depression, des Schmerzes und der Sturzprophylaxe als überdurchschnittlich groß gewertet. Die Ausbildungscurricula und Fortbildungsprogramme in der AltenpÁege sollten diesem festgestellten Bedarf Rechnung tragen. Internationalen Untersuchungen zufolge liegen die Verordnungsraten von Psychopharmaka bei Bewohnerinnen und Bewohnern von Altenheimen zwischen 34 und 75 % (Stelzner et al. 2001). In einer differenzierten Studie zum Psychopharmakagebrauch in einem AltenpÁegeheim mit 142 Bewohnerinnen und Bewohnern in fünf Wohnbereichen wurde gezeigt, dass trotz des hohen Qualitätsstandards der untersuchten Einrichtung Probleme im Hinblick auf die Verordnung von Psychopharmaka bestanden. Vor allem Aspekte der Dokumentation, der Indikation, der Auswahl der Medikation und der Dauer der Verordnungen erwiesen sich als medizinisch problematisch. Bei 46 % der Bewohnerinnen und Bewohner fehlte die Dokumentation der Indikation und der Zielsymptomatik für die Gabe des Psychopharmakons am ersten Tag der Einnahme, bei 45 % waren in der Heimdokumentation keine
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psychiatrische Diagnose oder schwerwiegende Verhaltensauffälligkeit als Indikation für die Verordnung genannt. 48 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer litten unter einer mittelschweren bis schweren kognitiven Beeinträchtigung, doch nur 12 % erhielten eine antidementive Therapie. 50 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden trotz der Tatsache, dass die Unterlagen in vielen Fällen auf keine klinischen, den Indikationsrichtlinien tatsächlich entsprechenden Auffälligkeiten hindeuteten, Neuroleptika verabreicht (Müller et al. 2007). 92 % aller nach den Kriterien der PÁegeversicherung PÁegebedürftigen erhalten private Hilfeleistungen durch Angehörige oder andere Bezugspersonen. Etwa zwei Drittel dieser Menschen werden ausschließlich privat gepÁegt, erhalten also ein PÁegegeld als Aufwandsentschädigung für privat organisierte PÁegeleistungen. Die im Jahre 2005 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Repräsentativerhebung zu den Möglichkeiten und Grenzen selbstständiger Lebensführung – in dieser wurden insgesamt 25 095 Haushalte erfasst, von denen in 3 622 hilfe- oder pÁegebedürftige Menschen lebten – weist für private PÁegepersonen einen durchschnittlichen Zeitaufwand von 36,7 Stunden je Woche oder 5,2 Stunden für PÁege, hauswirtschaftliche Versorgung und (soziale) Betreuung je Tag aus (Schneekloth & Wahl 2006). Die für private PÁegeleistungen aufgewendete Zeit variiert nicht nur mit der PÁegestufe, also dem Grad der PÁegebedürftigkeit, sondern auch mit der Art des PÁegebedarfs (PÁegebedarf infolge körperlicher Einschränkungen oder infolge psychischer Erkrankungen einschließlich Demenz), der Verfügbarkeit der HauptpÁegeperson (Wohnort, Erwerbstätigkeit), der Art der Beziehung (PÁege durch Partner, Kinder oder sonstige Bezugspersonen) sowie dem Bildungsstand der pÁegenden Angehörigen.
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Über 60 % der pÁegenden Angehörigen sind 55 Jahre oder älter. Des Weiteren wird familiäre PÁege nach wie vor zum weit überwiegenden Teil von Frauen geleistet. Allerdings ist der Anteil der pÁegenden Männer in den letzten 15 Jahren um über 50 % gestiegen. Während im Jahre 1991 der Anteil der männlichen HauptpÁegepersonen noch bei 17 % lag, liegt er heute bei 27 %. Gleichzeitig ist der Anteil der PartnerpÁege in diesem Zeitraum stark rückläuÀg: 1991 waren 37 % der HauptpÁegepersonen Ehepartner, 15 Jahre später nur noch 28 %. Die Einführung der PÁegeversicherung hat dazu beigetragen, dass die Rolle der HauptpÁegeperson zunehmend auch von anderen Familienangehörigen übernommen wird. Vor dem Hintergrund des demograÀschen Wandels spricht diese für die Anpassungsfähigkeit häuslicher PÁegearrangements. In der erwähnten Untersuchung gaben 83 % der HauptpÁegepersonen starke oder sehr starke Belastungen an, 12 % bezeichneten sich als eher wenig und 5 % als gar nicht belastet. Der Vergleich mit der Situation im Jahre 1991 zeigt, dass die Einführung der PÁegeversicherung den Grad der im Durchschnitt erlebten Belastung der HauptpÁegepersonen nur unwesentlich reduziert hat. Die Repräsentativerhebung spricht dafür, dass gegenwärtig etwa 14 % der PÁegebedürftigen nicht genügend pÁegerische Hilfen und 12 % unzureichende hauswirtschaftliche Hilfen erhalten. Auf der Grundlage dieser Daten lässt sich schließen, dass sich die Qualität der Versorgung pÁegebedürftiger Menschen in den letzten 15 Jahren nicht nur nicht verbessert, sondern sogar leicht verschlechtert hat. Auf der Grundlage von Stichproben des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) lässt sich der Anteil der pÁegebedürftigen Menschen, bei denen ein unzureichender PÁegezustand festgestellt werden muss, auf
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9 % beziffern. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen auch, dass eine unzureichende pÁegerische Versorgung in jenen Fällen wahrscheinlicher ist, in denen kognitiv beeinträchtigte Menschen versorgt werden müssen und nächtlicher Hilfebedarf besteht. Des Weiteren sind Menschen mit geringerer PÁegestufe und geringem Einkommen eher von einer unzureichenden pÁegerischen Versorgung betroffen. Nahezu jede zweite HauptpÁegeperson greift nicht auf professionelle Beratungs- und Unterstützungsangebote zurück, lediglich 16 % der privaten HauptpÁegepersonen geben an, dies regelmäßig zu tun, 37 % greifen zumindest ab und an auf entsprechende Möglichkeiten zurück. Da offenbar für fast die Hälfte der privaten PÁegearrangements festgestellt werden muss, dass eine Einbindung der HauptpÁegeperson in die Strukturen der Altenhilfe nicht gegeben ist, kann angenommen werden, dass die Möglichkeiten einer auf den individuellen Fall optimal abgestimmten pÁegerischen Versorgung bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Daraus leitet sich die Forderung ab, vermehrt niederschwellige Angebote für PÁegebedürftige und ihre Angehörigen zu schaffen. In diesem Zusammenhang wäre etwa an ehrenamtliche Hilfen in Form von freiwilligen Besuchsdiensten zu denken, die unentgeltlich genutzt werden können. Wenn es gelänge, PÁegebedürftige so in die Angebote der Altenhilfe einzubinden, könnte in einem weiteren Schritt notwendige professionelle Beratung vermittelt und zu einer stärkeren Inanspruchnahme benötigter Dienstleistungen beigetragen werden. Die in „Good-PracticeProjekten“ gewonnenen Erfahrungen sprechen dafür, dass derartige niederschwellige Angebote durch eine Förderung von Selbsthilfepotenzialen zu einer nachhaltigen Stabilisierung der häuslichen PÁege beitragen können.
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Selbstbestimmung und Selbstaktualisierung bei Pflegebedürftigkeit Die genuine Zielsetzung der PÁege besteht nicht in der Erhaltung und Förderung von Selbstständigkeit bzw. Autonomie im Sinne einer Maximierung dessen, was Menschen selbst tun. Die selbstständige Ausführung von Alltagsaktivitäten stellt lediglich eine unter mehreren Möglichkeiten der Verwirklichung von Selbstbestimmung bzw. Autonomie dar. Diese zeigt sich darin, dass Menschen in der Lage sind, individuelle Bedürfnisse, Zielvorstellungen und Präferenzen zu artikulieren und zur Grundlage ihres eigenen Handelns oder auch zur Grundlage des Handelns anderer Personen zu machen. Dies heißt: Neben die Selbstbestimmung tritt als weitere zentrale Kategorie die Selbstaktualisierung des Menschen (Kruse 2007c). In der psychologischen Alternsforschung wird die Verfolgung selbstgesetzter Ziele als zentrales Merkmal erfolgreichen Alterns hervorgehoben, das Primat der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstständigkeit kommt etwa darin zum Ausdruck, dass das Individuum im Kontext handlungstheoretischer Konzeptionen als Gestalter seiner eigenen Entwicklung betrachtet wird. Demgegenüber konzentriert sich die Mehrzahl der – nach wie vor einÁussreichen – klassischen PÁegetheorien auf fehlende Kompetenzen und SelbstpÁegefähigkeiten. Auf deren Grundlage wird die Notwendigkeit professioneller PÁege abgeschätzt und begründet. Anders als dem Grad der Selbstständigkeit in der Ausführung von Alltagsaktivitäten und dem Ausmaß der Unterstützung durch andere Personen wird individuellen Autonomiebedürfnissen allenfalls untergeordnete Bedeutung beigemessen. Dies lässt sich zum Teil auf ein doppeltes Miss-
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verständnis zurückführen: Eine Orientierung an individuellen Autonomiebedürfnissen kann auf den ersten Blick angesichts der Tatsache, dass zum einen viele PÁegebedürftige im juristischen Sinne nicht mehr geschäftsfähig sind, zum anderen viele PÁegebedürftige darauf verzichten, in zentralen sie betreffenden Fragen selbst zu entscheiden, und sich an Urteilen und Präferenzen von Bezugspersonen orientieren, als unangemessen erscheinen. Hier ist festzustellen, dass der Verlust der formalen Geschäftsfähigkeit das individuelle Bedürfnis nach Selbstbestimmung ebenso wenig berührt wie Einbußen in der Fähigkeit, Bedürfnisse, Ansprüche und Präferenzen verbal zu artikulieren. Untersuchungen zur Rehabilitation von Schlaganfallpatienten machen deutlich, dass die Möglichkeit, auch im Falle bestehender Erkrankungen und funktioneller Einbußen an persönlich bedeutsamen Lebensbereichen teilzuhaben, für Menschen mit Betreuungs- oder PÁegebedarf eine Grundlage für Sinnerleben und Lebenszufriedenheit darstellt. Des Weiteren konnte in Untersuchungen zur PÁege demenzkranker Menschen sowie zur Kompetenzförderung bei älteren Menschen mit geistiger Behinderung gezeigt werden, dass bei Menschen mit schweren oder schwersten psychischen Einschränkungen zwar vielfach andere Formen der Kommunikation eingesetzt werden müssen, dass man diese aber auch mit Erfolg einsetzen und so Einblick in das emotionale Erleben wie auch in die Bedürfnisse und Wünsche des Menschen gewinnen kann. Bei jenen demenzkranken Frauen und Männern, die zur verbalen Kommunikation nicht mehr fähig waren, zeigte die Analyse der Mimik, dass die Teilhabe an persönlich bedeutsamen Lebensbereichen mit WohlbeÀnden oder Freude einherging. Die Aufgaben der professionellen PÁege beschränken sich nicht darauf, fehlende Kompetenzen und SelbstpÁegefähigkeiten zu kompensieren. Professionelle PÁege hat vielmehr
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immer die Frage zu stellen, inwieweit eine vollständige Übernahme, eine Aktivierung oder eine bloße Begleitung notwendig ist. Hinzufügen möchten wir an dieser Stelle, dass auch der Begriff der Aktivierung nicht selten missverstanden wird. Dieser sollte nicht allein auf die Förderung von Selbstständigkeit, sondern auch auf die Wiedergewinnung von Autonomie sowie auf die Möglichkeiten zur Selbstaktualisierung bezogen werden. Grundlegendes Ziel von PÁege ist entsprechend die Rehabilitation bzw. Reaktivierung der pÁegebedürftigen Person. Entscheidend ist die subjektiv gewünschte Teilhabe am sozialen Leben. Dabei ist es für das Teilhabeziel sekundär, ob individuelle Teilhabebedürfnisse durch selbstständiges Handeln oder durch stellvertretendes Handeln anderer Menschen verwirklicht werden.
Resümee Gesundheit im Alter beschreibt auch die Fähigkeit des Menschen, mit einer Krankheit zu leben und trotz dieser Krankheit ein selbstständiges und selbstverantwortliches Leben zu führen. Der Gesundheitsbegriff zentriert sich nicht allein um das Fehlen (oder das Auftreten) von Krankheiten. Mindestens genauso wichtig sind die vom Individuum gefunde-
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nen und beschrittenen Wege zur persönlich sinnerfüllten Aktivität. In dem Maße, in dem diese Aktivität entfaltet werden kann, verwirklicht sich auch Gesundheit. Gerade im Hinblick auf das hohe Alter – in dem die Verletzlichkeit des Menschen zunimmt – stellt sich die Frage nach sinnerfüllter Aktivität wie auch nach sozialer Teilhabe besonders deutlich. In diesem Kontext kommt der Rehabilitation und PÁege eine hervorgehobene Bedeutung zu. Diese stellen wichtige Methoden der Aktivierung zur Verfügung, durch die zur Selbstständigkeit und sozialen Teilhabe beigetragen wird. Der demograÀsche Wandel mit seiner besonderen Dynamik in den höchsten Altersgruppen wird Altersmedizin, geriatrische Rehabilitation und PÁege immer stärker in den Fokus des Versorgungssystems stellen. Doch darf dabei nicht die lebenslang bestehende Prävention vernachlässigt werden, durch die dazu beigetragen wird, dass Menschen über eine sehr viel längere Zeitspanne bei (relativer) Gesundheit und (relativer) Selbstständigkeit bleiben.
17 Endlichkeit und Grenzen des Daseins Bei der Beschreibung der psychischen Situation schwer kranker und sterbender Menschen beziehen sich viele Autoren auf Phasenmodelle der Belastungsverarbeitung, die jedoch nicht frei von Kritik geblieben sind. Das in der Öffentlichkeit bekannteste Phasenmodell der psychischen Verarbeitung des herannahenden Todes wurde von Elisabeth Kübler-Ross (1969) in ihrem Buch On death and dying (deutsch 1971: Interviews mit Sterbenden) vorgestellt. Kübler-Ross schildert sowohl die Entwicklung ihres Zugangs zu sterbenden Patienten als auch die speziÀschen Probleme, die mit einer wissenschaftlichen Analyse des Erlebens sterbender Patienten verbunden sind. Die von Kübler-Ross differenzierten fünf Phasen bilden das Ergebnis einer Befragung von etwa 200 Patienten. Sie beschreibt diese Phasen als „seelische Mechanismen zur Bewältigung einer Periode tödlicher Erkrankung“. Die erste Phase ist durch Leugnung (Nichtwahrhabenwollen) und Isolation, die zweite durch Ärger und Zorn (sowohl gegenüber Angehörigen als auch vermeintlich inkompetenten oder ihre PÁichten vernachlässigenden Ärzten und PÁegekräften), die dritte durch das Bemühen, das Unvermeidliche durch eine Art
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Handel hinauszuschieben (Verhandeln), die vierte durch Niedergeschlagenheit und Depression, die fünfte Phase schließlich durch Akzeptanz gekennzeichnet. Das geschilderte Prozessmodell hat ohne Frage für das Verständnis des Sterbeprozesses und den Umgang mit Sterbenden hohen heuristischen Wert. Kübler-Ross hat den von ihr postulierten Lernprozess immer wieder an ausführlichen Falldarstellungen verdeutlicht und dabei – was leider häuÀg übersehen wird – darauf hingewiesen, dass der Prozess der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod nicht unabhängig von der biograÀschen Entwicklung gesehen werden kann. So schreibt sie in der Einführung zu ihrem Buch Leben bis wir Abschied nehmen: „Jeder der von uns ausgewählten Patienten reagierte anders auf seine Krankheit. Jeder hatte seinen eigenen Kampf zu bestehen. Bei jedem hatte das stabilisierende System seine individuelle Ausprägung und seine individuelle Begrenzung“ (1978, S. 12).
Vor allem wegen der Annahme, die von ihr differenzierten Phasen bildeten einen psychischen Entwicklungsprozess ab, der beim größeren Teil der Sterbenden zu beobachten sei, wurde Kübler-Ross kritisiert. Die genannte Phasensequenz, so lautet die Kritik, trifft nur auf einen Teil der Sterbenden zu, sie darf nicht verallgemeinert werden. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an Phasenmodellen der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ist darin zu sehen, dass die Bedeutung der sozialen Umwelt als ein zentraler Kontext dieses Entwicklungsprozesses unterschätzt wird. Eine veränderte Haltung des Sterbens geht nicht notwendigerweise auf einen Prozess der individuellen Auseinandersetzung zurück, sondern kann
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durchaus auch als eine Reaktion auf Entwicklungen in der sozialen Umwelt zurückgeführt werden. Schließlich ist unseres Erachtens zu berücksichtigen, dass die soziale Umwelt unter Umständen auch eine Entwicklung im Prozess des Sterbens erheblich erschweren oder sogar verhindern kann. Im Folgenden wollen wir deshalb zunächst auf die in der klassischen Untersuchung von Glaser und Strauss differenzierten Bewusstseinskontexte der Kommunikation mit Sterbenden eingehen, ehe wir die Selbstverantwortung als ein zentrales Qualitätsmerkmal der Sterbebegleitung und die bewusst angenommene Abhängigkeit als eine Haltung gegenüber eigener Endlichkeit und Grenzen des Daseins behandeln, die ja durchaus als Endpunkt eines Prozesses der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod interpretiert werden kann. Bewusstseinskontexte der Kommunikation mit Sterbenden In einer schon im Jahre 1965 veröffentlichten Studie von Glaser und Strauss wurde gezeigt, dass Stationsschwestern auf einen (durch Klingelzeichen gegebenen) Notruf sterbender Patienten sehr viel langsamer antworteten als auf den Notruf von Patienten, die nicht an einer tödlichen Krankheit litten. Die Zeit, die vom Notruf bis zum Besuch des Patienten verstrich, war in der Gruppe der sterbenden Patienten im Durchschnitt doppelt so lange wie in der Gruppe nicht tödlich erkrankter Patienten. Diese Untersuchungsergebnisse, die durch nachfolgende Studien bestätigt wurden, interpretieren Glaser und Strauss als Zeichen des „sozialen Todes“, den sterbende Patienten zum Teil lange vor dem biologischen Tod erleiden. Der Begriff des „sozialen Todes“ beschreibt die
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wachsende Isolation Sterbender im Vorfeld des Todes. Er ist nicht mit „Nachlässigkeit“ oder gar „bösem Willen“ zu erklären, sondern mit einer Scheu der Bezugspersonen vor offener Kommunikation mit Sterbenden. Auf der Grundlage einer direkten Beobachtung der Kommunikationsmuster sterbender Patienten in öffentlichen und privaten Krankenhäusern sowie von Interviews mit PÁegekräften gelangten Glaser und Strauss zu einer Differenzierung von vier Bewusstseinskontexten, die jeweils durch speziÀsche Formen des Umgangs zwischen Sterbenden und ihren Bezugspersonen gekennzeichnet sind. Auf diese Bewusstseinskontexte möchten wir nachfolgend ausführlicher eingehen, da sie in besonderer Weise den großen EinÁuss der sozialen Umwelt auf den Sterbensprozess widerspiegeln. 1. Geschlossene Bewusstheit: Der Patient erkennt nicht, dass er im Sterben liegt, weil er durch Familienangehörige und PÁegekräfte bewusst getäuscht oder nicht informiert wird. Dieser Bewusstseinskontext ist insbesondere dann, wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert und Veränderungen in der medizinischen Behandlung eintreten, mit Spannungen verbunden, weil „improvisierte Erklärungen“ und Beschwichtigungen unglaubwürdig werden. Zu den strukturellen Bedingungen, die die Entstehung geschlossener fördern, gehören: a) fehlende Vertrautheit der meisten Patienten mit Anzeichen des bevorstehenden Todes, b) Zurückhaltung der Ärzte, wenn es darum geht, den Patienten davon zu unterrichten, dass er wahrscheinlich sterben wird, c) Wunsch der Familie, den Patienten abzuschirmen und zu schützen, d) Vertraulichkeit medizinischer Information im Gesundheitssystem, e) Fehlen von Bezugspersonen, die nicht in die „Konspiration des Schweigens“ einbezogen sind.
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2. Argwöhnische Bewusstheit: Der Patient ahnt, dass er sterben wird, und versucht, PÁegepersonal und Familienangehörige zu Widersprüchen zu verleiten. Dieser Bewusstseinskontext wird dadurch gefördert, dass das PÁegepersonal häuÀg vorzieht, den Patienten selbst herausbekommen zu lassen, dass er sterben wird, und Antworten auf direkte Fragen vermeidet. 3. Wechselseitige Täuschung: Obwohl alle Beteiligten (Patient, Familie, Personal) wissen, dass der Patient sterben wird, verhalten sie sich weiterhin so, als sei dies nicht der Fall. Wie in neueren Arbeiten hervorgehoben wird, ist dieser Bewusstseinskontext zum einen für die Wahrung einer emotionalen Distanz zum sterbenden Patienten hilfreich, zum anderen kann er die Bemühungen des Patienten um Privatheit, Würde und Kontrolle unterstützen. Nicht übersehen werden sollte aber, dass dieser Bewusstseinskontext auch die Gefahr einer Entfremdung in sich birgt und nicht selten von allen Beteiligten als unerträglich empfunden wird. 4. Offene Bewusstheit: Alle Beteiligten wissen, dass der Patient im Sterben liegt, und bringen dies auch in ihren Interaktionen zum Ausdruck. Dieser Bewusstseinskontext ermöglicht es dem Patienten, mit dem Sterben verbundene Aufgaben wie den Abschluss von Beziehungen, die ReÁexion des eigenen Lebens, die Auseinandersetzung mit Ängsten oder die Regelung des Nachlasses zu bewältigen. Auch wenn die offene Bewusstheit im Allgemeinen den anderen Bewusstseinskontexten vorzuziehen ist, so ist doch zu bedenken, dass eine Aufrechterhaltung dieses Bewusstseinskontexts in vielen Fällen nicht möglich und mitunter auch nicht wünschenswert ist, da nicht immer alle Beteiligten über die Voraussetzungen für eine offene Interaktion über den Tod ver-
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fügen, weil sie etwa Ängste haben, den Anforderungen einer entsprechenden Kommunikation nicht gewachsen zu sein, oder dazu neigen, Negation als Abwehrmechanismus einzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Abwehrmechanismus der Negation in vielen Fällen eine sinnvolle, wenn nicht sogar notwendige Form der Auseinandersetzung darstellt, wobei drei Formen der Negation differenziert werden können: Negation erster Ordnung im Sinne einer Leugnung der medizinischen Fakten, Negation zweiter Ordnung im Sinne einer Leugnung von Implikationen der Erkrankung und Negation dritter Ordnung im Sinne einer Leugnung der Tatsache, dass die Krankheit nicht heilbar ist und zum Tode führen wird.
Selbstverantwortung im Prozess des Sterbens Das Sterben des Menschen ist in der medizinischen Ethik eng mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen selbstverantwortlichen Lebens in der letzten Phase unseres Lebens verknüpft. Die Lebensqualität sterbender Menschen wird dabei auch als Ergebnis einer medizinischen Behandlung und pÁegerischen Betreuung gewertet, die auf die Erhaltung eines möglichst hohen Maßes an Selbstverantwortung zielt. Auch bei der Behandlung und Betreuung jener Menschen, die aufgrund eingetretener Veränderungen ihres Bewusstseins nicht mehr zu einer selbstverantwortlichen Lebensführung in der Lage sind, gilt der Grundsatz einer möglichst weiten Orientierung an den Werten und Bedürfnissen, die diese vor dem Eintritt der Bewusstseinsveränderungen geäußert haben und die im Kontakt zu diesen wahrgenommen werden. Darüber hinaus ist gerade in solchen Situationen die Orientierung an einer allgemeinen Anthropologie notwendig, zu der auch die
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ReÁexion über grundlegende menschliche Werte und Bedürfnisse gehört. Entscheidend für jegliche Form des Sterbebeistands ist die Rücksichtnahme auf die Individualität des Menschen auch in der letzten Grenzsituation seines Lebens. Dieses Leitbild eines menschenwürdigen Sterbebeistands, das sich um die Erhaltung der Selbstverantwortung des sterbenden Menschen und um die Erkennung und Berücksichtigung seiner Werte und Bedürfnisse zentriert, wird in der Medizin und PÁege wie folgt umschrieben: Voluntas aegroti suprema lex („Der Wille des Patienten ist das höchste Gesetz“). Dieser Grundsatz gilt allgemein für die Behandlung und Betreuung des Menschen. Er gewinnt aber zusätzlich an Bedeutung, wenn sich Menschen in einem körperlichen und seelischen Zustand beÀnden, in dem es ihnen schwerfällt, ihre Werte und Bedürfnisse zu artikulieren. In dieser Situation ist die psychologische Kompetenz sowohl von Medizinern und PÁegern als auch von anderen Berufsgruppen, die an der Sterbebegleitung beteiligt sind, besonders gefordert. Mit Selbstverantwortung ist die ReÁexion des Menschen über die eigenen Leitbilder eines guten (glücklichen, gelungenen) Lebens sowie über die Grundlagen seiner Entscheidungen und Handlungen in einer konkreten Situation angesprochen. Diese Kategorie zielt also in besonderer Weise auf die ReÁexionsfähigkeit des Menschen, wobei angenommen wird, dass sich das Individuum in der Deutung seines Lebens wie auch im Prozess der Entscheidung und Handlung in einer konkreten Situation nicht allein von aktuell wirksamen Bedürfnissen, Zielen und Interessen leiten lässt, sondern auch von Themen, in denen zeitlich überdauernde, zentrale Anliegen zum Ausdruck kommen und die zudem eine bedeutende Grundlage des Sinnerlebens darstellen.
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Dabei möchten wir zwischen sechs Aspekten der Selbstverantwortung differenzieren, denen aus unserer Sicht bei der Begleitung schwer kranker und sterbender Menschen große Bedeutung zukommt (Kruse 2004). 1. Selbstständigkeit: Diese beschreibt die Fähigkeit des Individuums, ein von Hilfen anderer Menschen weitgehend unabhängiges Leben zu führen oder im Falle des Angewiesenseins auf Hilfen diese so zu gebrauchen, dass ein selbstständiges Leben in den für die Person zentralen Lebensbereichen möglich ist. Auch vor dem Hintergrund der Bedeutung, die Selbstständigkeit für das menschenwürdige Sterben besitzt – eine der größten Ängste und Belastungen sterbender Menschen betrifft den zunehmenden Verlust an Selbstständigkeit –, stellen wir die Forderung nach Stärkung der aktivierenden PÁege im Prozess des Sterbens auf. Dabei ist zu vermeiden, dass sich die Diskussion des Sterbebeistands ausschließlich auf Erkrankungen sowie Möglichkeiten und Grenzen der Therapie beschränkt. Die Erhaltung der Selbstständigkeit ist eine genauso bedeutsame Aufgabe. 2. Autonomie in der Alltagsgestaltung: Inwieweit bietet sich dem Menschen die Möglichkeit zur Ausübung persönlich bedeutsamer Tätigkeiten und Interessen, inwieweit nutzt er diese Möglichkeit? Auch im Prozess des Sterbens suchen die meisten Menschen nach Tätigkeiten, die positive Erfahrungen vermitteln, die ihnen das Gefühl geben, am Leben teilzuhaben, die sie dabei unterstützen, mit der eingetretenen Grenzsituation besser umgehen zu können. Für eine gute Sterbebegleitung ist aus unserer Sicht auch entscheidend, dass an sterbende Menschen explizit die Frage gerichtet wird, wie sie ihren Alltag gestalten wollen, und dass sie dabei unterstützt werden, den Alltag in einer möglichst selbstbestimmten Weise zu gestalten.
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3. Sich bewusst mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen und sich auf das eigene Sterben einstellen: Gerade in Bezug auf diesen Aspekt der Selbstverantwortung gewinnt unseres Erachtens die Frage der psychologischen und – sofern dies vom Patienten gewünscht wird – der seelsorgerischen Begleitung besondere Bedeutung. Eine erste Aufgabe dieser Begleitung ist darin zu sehen, dass Sterbende die Möglichkeit haben, Wünsche zu artikulieren, deren Erfüllung sie als wesentlich für ein menschenwürdiges Sterben erachten. Zu nennen ist hier vor allem der Wunsch nach einer angemessenen Schmerztherapie, die den sterbenden Menschen vielfach erst in die Lage versetzt, sich bewusst auf das Sterben einzustellen. Zu nennen ist weiterhin der Wunsch nach Kontinuität in den Kontakten zu nahestehenden Menschen, der als bedeutende Hilfe für die Entwicklung einer Dialogform angesehen wird; dabei ist die Dialogform eine bedeutende Grundlage für die bewusste Auseinandersetzung mit einer Grenzsituation. Zu nennen ist schließlich die Zuverlässigkeit in den Absprachen mit Medizinern und PÁegefachkräften; diese gibt Gewissheit, auch im Falle des Wiederauftretens von Symptomen oder im Falle neu auftretender Symptome Hilfe zu erhalten. Dieser Aspekt der Selbstverantwortung ist unseres Erachtens bei der Begleitung jener sterbenden Menschen ausdrücklich zu beachten, die zur verbalen Kommunikation nicht mehr fähig, in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt, in ihrer Persönlichkeit verändert sind. Studien zum emotionalen Erleben demenziell erkrankter Menschen belegen, dass durch die Herstellung von Situationen, die die Patienten in ihrer BiograÀe positiv erlebt haben, das emotionale Erleben positiv beeinÁusst werden kann. Ein Beispiel bildet die Präsentation von Bildern, die den Patienten an posi-
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tiv erlebte Situationen in der BiograÀe erinnern, sowie von Musikstücken oder Texten. In diesem Kontext weisen wir ausdrücklich auf die Bedeutung von religiösen Texten und Handlungen hin. 4. Selbstbestimmung des Patienten bei der Gestaltung von Beziehungen: Vor allem in den Beziehungen zu Angehörigen ist auf Selbstbestimmung zu achten: Welches Verhältnis von Nähe und Distanz ist für den Patienten ideal? Ist sichergestellt, dass der Patient von den Angehörigen weder vernachlässigt noch übermäßig versorgt, betreut und damit bedrängt wird? Die Annahme, im Prozess des Sterbens müssten permanent Menschen anwesend sein, an die sich der Sterbende wenden könne, ist in dieser Verallgemeinerung nicht richtig. Vielmehr zeigen Erkenntnisse, die bei der Begleitung sterbender Menschen gewonnen wurden, dass Sterbende den ständigen Kontakt mit anderen Menschen nicht immer als eine wirkliche Hilfe wahrnehmen; vielmehr wird der Wechsel zwischen Phasen des Alleinseins und Phasen des Kontakts als Hilfe erlebt. 5. Fähigkeit des Patienten, den Krankheitsprozess zu verstehen sowie einzelne Therapie- und PÁegemaßnahmen in ihren möglichen Wirkungen nachzuvollziehen: Die Entscheidung hinsichtlich der zu wählenden ärztlichen Maßnahmen ist auf zwei Ebenen zu treffen: auf der Ebene der instrumentellen Vernunft und auf der Ebene der praktischen Vernunft (Ethik). Die Ebene der instrumentellen Vernunft spiegelt sich in folgender Frage wider: Ist die diagnostische oder therapeutische Maßnahme indiziert und durchführbar? Die Ebene der praktischen Vernunft kommt in den beiden folgenden Fragen zum Ausdruck: Ist das Ziel des Handelns gut und vernünftig sowie moralisch vertretbar?
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Dient es dem Heil des Patienten, und zwar auch im umfassenden Sinne, nämlich jenem der personalen Integrität? Erst die positive Entscheidung auf beiden Ebenen rechtfertigt unseres Erachtens die Einleitung einer bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme. 6. Entscheidung des Patienten für den Ort des Sterbens: Die Entscheidung des Patienten für den Ort des Sterbens ist ein bedeutender, nicht immer ausreichend bedachter Aspekt der Selbstverantwortung. In Bezug auf diese Thematik ist die Erkenntnis wichtig, dass das Zuhause nicht notwendigerweise der ideale Sterbeort ist und von Patienten auch nicht generell als idealer Sterbeort gewertet wird. Vielmehr ist das Sterben zu Hause an bestimmte Bedingungen geknüpft, die in der Fachwelt wie folgt charakterisiert werden: Der Patient ist über seinen Zustand informiert und möchte nach Hause. Es sind nur noch schmerzlindernde und keine heilenden Maßnahmen mehr angezeigt. Es gibt im Haushalt des Kranken eine Person als HauptpÁegekraft. Bei Bedarf sind Unterstützungen in Schmerztherapie und TerminalpÁege durch professionelle KrankenpÁegekräfte erreichbar. Für das Sterben in der häuslichen Umgebung sprechen Möglichkeiten einer individuellen Gestaltung des Umfeldes (Würde und Kontrolle), Gelegenheit zu sozialen Kontakten, Wachsen im gegenseitigen Teilen von Gefühlen mit den Angehörigen, Kosteneinsparung gegenüber der stationären PÁege. Gegen ein Sterben zu Hause sprechen vor allem starke körperliche und seelische Belastung der Angehörigen durch die PÁege, unzureichende medizinisch-pÁegerische Versorgung durch Laien sowie der Wunsch des Patienten, die Familie nicht mit seinem Sterben zu belasten.
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Bewusst angenommene Abhängigkeit im Prozess des Sterbens Die bewusst angenommene Abhängigkeit stellt unseres Erachtens eine zentrale psychologische Anforderung im Prozess des Sterbens dar. Sie beschreibt die Fähigkeit des Menschen, die in seiner Lebenssituation notwendigen Hilfen anzunehmen und die Abhängigkeit als ein natürliches Phänomen des Menschseins zu deuten. Sie beschreibt weiterhin dessen Fähigkeit, Einschränkungen und Verluste, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, anzunehmen, wobei diese Fähigkeit auch gefördert wird durch Hilfen, die dazu beitragen, Einschränkungen und Verluste in Teilen zu kompensieren oder deren subjektive Folgen erkennbar zu verringern. Die bewusst angenommene Abhängigkeit kann sich nur einstellen, wenn der Hilfeleistende dem Bemühen des Hilfeempfangenden um Erhaltung oder Wiedererlangung der Selbstständigkeit mit Respekt begegnet und alle Handlungen vermeidet, die zu einer „dysfunktionalen Abhängigkeit führen, das heißt zur Abhängigkeit trotz gegebener Fähigkeiten zu einem selbstständigen Leben“ (Baltes 1996). Damit gerät die Person des Hilfeleistenden in den Blick unserer Analyse. Inwiefern gelingt es dieser, die Abhängigkeit des anderen von seiner Hilfe auch dann zu bejahen, wenn diese Hilfe nicht mehr in der Heilung von einer Krankheit besteht, sondern vielmehr in der Linderung einer chronischen Erkrankung oder – noch radikaler – in der Palliation im Falle einer sehr schweren, langfristig zum Tode führenden Erkrankung? Dabei weisen wir darauf hin, dass sich der Begriff der Palliation vom lateinischen pallium für „Mantel“ ableitet, sodass Palliation verstanden werden kann als das „Legen eines Mantels
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um den Patienten“ – und zwar mit dem Ziel, diesen im letzten Lebensabschnitt soweit wie möglich vor belastenden Krankheitssymptomen, vor allem vor Schmerzen, zu schützen. Erst dann, wenn es gelingt, die Aufgabe der Linderung oder der Palliation wirklich anzunehmen und auszufüllen, wird auch auf Seiten des Patienten die Annahme dieser neuen Form der Abhängigkeit von Hilfe (vor allem ärztlicher und pÁegerischer Hilfe) gefördert.
Resümee Die Heterogenität des Alters spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung mit Grenzsituationen wider. Die am Lebensende eingenommene Haltung gegenüber der eigenen Endlichkeit und den Grenzen des Daseins kann als das Ergebnis eines individuellen Entwicklungsprozesses gedeutet werden, der in seinem Ablauf durch die soziale Umwelt wesentlich mitbestimmt wird. Bei der Begleitung von Sterbenden stellt sich die Aufgabe, deren Selbstverantwortung zu respektieren und nach Möglichkeiten zu unterstützen. Zu vermeiden sind dagegen alle Formen vermeidbarer Abhängigkeit, auch wenn diese scheinbar zum Wohle des Patienten beitragen. Unter der Voraussetzung, dass dysfunktionale Abhängigkeiten vermieden werden und Selbstverantwortung gewahrt bleibt, kann es dem Sterbenden gelingen, notwendige
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Hilfen anzunehmen und unabänderliche Verluste im Bereich von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu akzeptieren. Die bewusst angenommene Abhängigkeit ist deshalb im Sinne einer gelungenen Auseinandersetzung mit der letzten Grenzsituation unseres Lebens zu interpretieren.
18 Alternsforschung neu positionieren Alternsforschung, so mag mancher Leser, manche Leserin, jetzt nahe am Ende dieses Buches, einwenden, sollte nicht nur auf die ungelösten Aufgaben der Gesellschaft in Bezug auf Altern verweisen, sondern sich auch an die eigene Nase fassen. Wir stimmen dem zu und möchten deshalb noch eine zehnte und letzte Weiche in eine gute Alternszukunft stellen, eben die Neupositionierung der Alternsforschung selbst. Am Ende von Teil B unseres Buches hatten wir einige Überlegungen dahingehend angestellt, warum die guten Botschaften der heutigen Alternsforschung häuÀg nicht ankommen bzw., wenn sie ankommen, häuÀg nicht gehört werden. Am Ende von Teil C des Buches möchten wir nun fragen, was zu tun ist, damit die guten Botschaften der Alternsforschung effektiver ankommen bzw. effektiver aufgegriffen und umgesetzt werden.
Neue Vermittlungsstrategien für gerontologische Evidenz Forscherinnen und Forscher der Alternsforschung müssen mehr Engagement und mehr Einfallsreichtum bei der Vermittlung von Befunden der Alternsforschung bzw. von ihren
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Befunden zeigen. So sind sich viele unserer Kolleginnen und Kollegen bis heute zu schade, eine systematische und gute Pressearbeit zu unternehmen bzw. die unterschiedlichen Medien einschließlich des Internets systematisch und zielgerichtet für die Kommunikation von Forschungsbefunden einzusetzen. Was wir meinen, sind proaktive Strategien, die sich daran orientieren, dass unterschiedliche Arten von wissenschaftlichen Ergebnissen unterschiedliche mediale Zugänge benötigen. Nicht alle Befunde sind beispielsweise bildtauglich bzw. die Frage der Wahl des Kommunikationsmediums sollte stets gut abgewogen werden. Befunde etwa zu Gewalt in der PÁege, zu PÁegebedürftigkeit und Sterben und Tod sind möglicherweise sachlicher, efÀzienter und nachhaltiger in Rundfunk- oder Zeitungsmedien zu vermitteln, denn Bilder geraten in diesen Bereichen häuÀg zu Zerrbildern und Überzeichnungen, die unter Umständen Vorurteile in unzulässiger Weise bestärken und notwendige Differenzierungen verhindern bzw. deutlich erschweren. Wo lernen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Alternsforschung solche proaktiven Strategien? Abgesehen von „Naturbegabungen“, die es immer gibt, sind die Lernfelder hier bislang wenig ausgeprägt und von hoher Unsystematik. Mit proaktiven Kommunikationsstrategien meinen wir aber eben den zielgerichteten Einsatz von Medien, nicht das heute weitaus üblichere passive Reagieren – auf Anfragen des Fernsehens, des Radios oder von Zeitungsmedien. Hier sind Schulungen und Erfahrungslernen notwendig, und deshalb sollte es zum „PÁichtfach“ der Nachwuchsförderung in der Alternsforschung werden, anhand von hochwertiger wissenschaftsjournalistischer Expertise Wissen und Können zu vermitteln, wie das häuÀg als spröde und uninteressant empfundene Wissen über Altern interessant, stimulierend und attraktiv dargeboten und vermittelt werden kann. Aber nicht
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nur der Nachwuchs, auch die sogenannten Senior Researcher der Gerontologie bedürfen auf diesem Gebiet vielfach einer intensiven Weiterbildung – die noch viel zu wenig stattÀndet. Ferner sollten Alternsforscherinnen und Alternsforscher auch häuÀger den Spagat wagen zwischen Publikationen in den sogenannten highly ranked journals, also in den hochanerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften, und anwendungsnahen Medien, die große Gruppen von Professionellen in der Altenarbeit wie PÁegekräfte, Ergotherapeuten oder Krankengymnasten ansprechen bzw. informieren. Auch gilt es, die notwendigen neuen Kommunikationsbühnen, so wie sich diese vor dem Hintergrund einer Lebenslauforientierung ergeben, viel intensiver als bislang zu nutzen. Dabei meinen wir beispielsweise die Vermittlung von Wissen über Altern an Kinder (zum Beispiel im Rahmen von Kinderuniversitäten), jugendliche Schüler (zum Beispiel im Rahmen der gymnasialen Ausbildung) und Auszubildende (zum Beispiel im Rahmen von Berufsschulen). Hier spüren wir noch eine ganze Menge Berührungsängste seitens der Alternsforschung, wenn nicht gar so etwas wie ein Gefühl von „dafür sind wir uns zu schade“. Nein, genau an diesen Stellen ist die Vermittlung von Wissen über Altern aus erster Hand, also von den Alternsforscherinnen und Alternsforschern selbst, notwendig und hilfreich.
Mehr Investment in Translational Research So wichtig Grundlagenforschung auch ist, wir brauchen sehr viel mehr sogenanntes Translational Research in der Alternsforschung. Der Begriff der Translation hat in den zurückliegen-
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den Jahren erheblich an Kultur gewonnen. Warum? Weil es alles andere als selbstverständlich oder trivial ist, in welcher Weise Befunde der Grundlagenforschung in unterschiedliche Anwendungsfelder bzw. in den Alltag von Professionellen oder alternden Menschen „übersetzt“ werden. Vielmehr bedarf es eigener Forschungsanstrengungen, um die efÀzienten und nachhaltigen Wege der Umsetzung von Erkenntnissen erst einmal zu identiÀzieren und effektiv zu nutzen. Nehmen wir noch einmal das wichtige Thema der Prävention, das ja eine eminent bedeutsame lebenslange Komponente besitzt, also nicht nur ältere Menschen anspricht. Eine der zentralen Fragen der auf Altern bezogenen Präventionsforschung besteht darin, wie die ermutigenden Ergebnisse großer Studien bzw. der entsprechenden Laborforschung in den Alltag von handelnden Menschen übertragen werden können. Präventionsstrategien müssen demnach so gestaltet sein, dass sie sich möglichst nahtlos und „störungsfrei“ in Alltagsgeschehen, gekennzeichnet etwa durch beruÁichen Stress und die vielfachen Herausforderungen durch soziale Beziehungen und FamilienverpÁichtungen, integrieren lassen. Die im Labor bzw. in Studiendesigns existierenden „reinen“ Trainingsbedingungen stimmen eben nicht mit denen im Alltag überein, und deshalb laufen derartige Interventionen stets Gefahr, in der Breitbandanwendung in alltäglichen Kontexten verwässert und damit in ihrer EfÀzienz unterminiert zu werden. Ebenso geht es hier um die Rolle der vielfachen Akteure, die in einem interdisziplinären Setting von Interventionen notwendig sind und miteinander in ihren Handlungen efÀzient verschaltet werden müssen: „Agenten“ für kognitives Training, Sporttherapeuten, Ergotherapeuten, Psychologen, Ärzte, Physiotherapeuten, möglicherweise zunehmend auch Technikexperten, müssen in ihrem Tun koordiniert werden, und diese Aufgabe ist bislang erst in Ansätzen überhaupt erkannt worden.
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Translational Research im Bereich der Alternsforschung muss weiterhin vielfache Ressourcenförderung mit großer Bedeutung für unsere alternde Gesellschaft zum Ziel haben, und auch hierzu bedarf es weiterer Forschungsanstrengungen. So müssen angewandte Forschungsarbeiten weiter verstärkt werden, welche die Ressourcen der Familie als jene Instanz, in der heute und morgen vor allem mit PÁegebedürftigkeit umgegangen wird, so weit und effektiv wie möglich unterstützen. Diese Ressource läuft heute durchaus Gefahr, überfordert und „ausgepowert“ zu werden, pÁegende Angehörige sind vielfach zu belastet und nehmen, aus unterschiedlichen Gründen, verfügbare Hilfe nicht in genügendem Maße in Anspruch. Genau dies sind aber die Fragestellungen, die noch stärker durch Forschungsprojekte bearbeitet werden müssen: Wie kann es gelingen, die eigentlich verfügbaren Hilfestellungen efÀzienter und möglichst frühzeitig zu implementieren? Wie können diesbezügliche Barrieren und Vorbehalte, oft nicht nur auf Seiten der Angehörigen, sondern auch bei zu PÁegenden vorhanden, überwunden werden? Ressourcenförderung gilt es allerdings auch bei den älteren Menschen selbst vielfach zu betreiben. Hier kommen erneut alle Möglichkeiten der Alternsmeisterung (vgl. Kapitel 7) ins Spiel und damit vor allem auch die Frage, wie das Problem der Erreichbarkeit besser gelöst werden kann, sodass wir die heute vor allem gegebene Situation des Vorherrschens des Matthäus-Prinzips („Wer hat, dem wird gegeben“) zumindest langfristig verbessern und auch jene alternden Menschen besser erreichen, die vor allem durch Bildungsferne eine deutlich geringere Chance besitzen, sich gut auf ihr eigenes Altern vorzubereiten. In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu fordern, dass sich Alternsforscherinnen und Alternsforscher zunehmend einmischen – bei wichtigen Akteursgruppen und Institutio-
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nen, die für die zukünftige Gestaltung des Alterns hoch bedeutsam sind, zum Beispiel Akteure im Bereich des Wohnens (Wohnungsbaugesellschaften, Träger betreuten Wohnens und von sogenannten neuen Wohnformen, Architekten und nicht zuletzt angehende Architekten im Rahmen ihrer universitären Ausbildung), Betriebe bzw. die entsprechenden Chef- und Personaletagen, Akteure im Bereich der Gestaltung öffentlicher Räume wie Stadtplanungsämter oder Landschaftsarchitekten. In der Regel werden Alternsforscherinnen und Alternsforscher hier nicht gleichsam automatisch beteiligt bzw. gefragt. Aus diesem Grunde ist aktive Einmischung die Devise. Überaus bedeutsam halten wir in diesem Zusammenhang auch die Beteiligung von Älteren bzw. von Seniorenorganisationen an gerontologischen Forschungsprojekten. Eine solche Beteiligung ist letztlich zum einen die beste Garantie dafür, dass die untersuchten Forschungsfragen möglichst viel mit konkretem Altern zu tun haben. Zum anderen können auf diesem Wege Aspekte der Umsetzung besonders gut vorbereitet werden, denn es ist immer besonders hilfreich, wenn ältere Menschen selbst bzw. Seniorenorganisationen eine solche Umsetzung direkt unterstützen.
Zu wenig beleuchtete Forschungsthemen verstärkt bearbeiten Wir glauben auch, bei selbstverständlicher Anerkennung aller Freiheit bei der Auswahl und Bearbeitung von Forschungsthemen, dass Alternsforschung wesentliche, wenn nicht überlebenswichtige Fragen einer alternden Gesellschaft deutlich
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stärker bearbeiten muss. Einige Themen seien beispielhaft benannt: Forschungsarbeiten zur noch prägnanteren IdentiÀkation der Potenziale von älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für eine alternde Arbeitsgesellschaft überaus essenziell, werden aber zu wenig in den Mittelpunkt von empirischen Untersuchungen gestellt. Das von uns immer wieder beleuchtete Thema der Nutzung von neuen Technologien für ein gutes Altern führt in Deutschland weiterhin als Forschungsfragestellung ein recht kümmerliches Dasein. Über diese Thematik darf nicht länger bloß geredet werden (denn es ist natürlich medial stets sehr schön, einen älteren Menschen mit einem Roboter in Szene zu setzen), es müssen groß angelegte und ernsthafte Forschungsanstrengungen erfolgen, um die Chancen und Grenzen von Technologie für Altern differenziert abzubilden. In diesem Zusammenhang sei auch auf das für die Gesamtgesellschaft so wichtige Thema des älteren Autofahrers/der älteren Autofahrerin hingewiesen. In einer nicht zuletzt durch Mobilität charakterisierten Gesellschaft wie der unsrigen spielen heute Ältere, als Opfer und „Täter“, eine herausragende Rolle. Diese Rolle muss effektiver und reichhaltiger erforscht werden, und es müssen die evidenzbasierten Strategien zur Förderung, aber auch (etwa im Falle von kognitiven und sensorischen Verlusten und Demenz) zur Begrenzung der Automobilität im hohen Alter deutlicher im Sinne von brauchbaren Handlungsleitlinien umgesetzt werden. Heute wird an dieser Stelle von Ärzten und Familien nicht selten improvisiert, bisweilen in einer Haltung der Überforderung (Wie krieg ich meinen Vater nur dazu, mit dem Autofahren aufzuhören?), bisweilen aber auch in einer ethisch fragwürdigen Haltung des Verbots (Wir haben dein Auto abgemeldet, weil der Arzt gesagt hat, du darfst nicht mehr Auto fahren).
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Auch die Thematik der Demenz darf nicht der rein biologisch-medizinischen Forschung, so grundlegend diese auch ist, überlassen bleiben. Demenz ist heute primär eine Thematik im Sinne der An- und Herausforderung für den Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen, und es gilt, alles dafür zu tun, Handlungsoptionen zu erweitern, Belastungen zu reduzieren und den Betroffenen selbst eine möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen. Alternsforschung, vor allem sozial- und verhaltenswissenschaftliche Alternsforschung, kann durch ihre Befunde in erheblichem Maße zur Ausdehnung von Möglichkeitsräumen im Verhalten und Erleben beitragen, jedoch geschieht dies noch zu selten und zu wenig nachhaltig. Aus unserer Sicht kommt vor allem Forschung zu Altersinterventionen (vgl. Kapitel 7) in Deutschland viel zu kurz. Die aus der internationalen Forschung verfügbaren Evidenzen im Hinblick auf die Möglichkeiten, die Entstehung und den Verlauf von Hilfe- und PÁegebedürftigkeit und damit häuÀg auch einer Heimübersiedlung zumindest deutlich hinauszuzögern, in nicht seltenen Fällen sogar weitgehend zu verhindern, müssen nun auch in Deutschland in groß angelegten Interventions- und Präventionsstudien repliziert und erweitert bzw. an die deutsche Situation adaptiert werden. Es ist schwer zu verstehen, warum an dieser Erkenntnisschraube mit überaus erheblichen Auswirkungen auf die Lebensqualität von älteren Menschen und ihren Angehörigen, aber auch auf monetäre Kosten, nicht nachhaltiger gedreht wird. Warum leistet es sich unsere Gesellschaft nicht, hier alle Potenziale der Forschung auszuloten und diese natürlich dann auch möglichst efÀzient umzusetzen? Wir sind sehr sicher, dass sich eine solche Forschungsstrategie mittel- und längerfristig sehr gut rechnen wird.
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Größere Beachtung verdienen schließlich auch Tabuthemen der Alternsforschung. Genannt seien etwa Forschungsarbeiten zu Gewalt in der PÁege, zu Sterben und Tod und zu Vorausverfügungen. Auch Forschung in Institutionen (PÁegeheimen) hat in den letzten Jahren, obgleich es sich hier traditionell um ein prototypisches Forschungsgebiet der sozialen Gerontologie handelt (vor allem in den 1970er und 1980er Jahren), eher wenig systematische Aufmerksamkeit gefunden. Fast hat man den Eindruck, als hätten Alternsforscherinnen und Alternsforscher das Interesse an Heimen verloren, nachdem diese so von an Demenz erkrankten Älteren dominiert werden. Alternsforschung hat hier die Aufgabe, derartige Themen aus ihrer Tabusphäre herauszulösen (und dabei eigene Berührungsängste abzubauen), denn die entsprechenden Befunde werden in unserer alternden Gesellschaft unmittelbar benötigt bzw. bedürfen die entsprechende Bereiche weiterhin der Stützung mit Forschungsbefunden in Ergänzung zu „Best Practice“, aber auch zur Vermeidung von „Worst Practice“. Wir meinen, dass Alternsforscherinnen und Alternsforscher selbst derartig unterbeleuchtete Forschungsfelder deutlicher erkennen und vermehrt bearbeiten sollten. Gleichzeitig bedarf es Anreize, und hier sind Ministerien, Stiftungen und Forschungsfördergeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft nach wie vor überaus gefragt. Zunehmend gilt es, derartige Themen im Kanon der „bedeutsamen“ und karriereförderlichen Forschungsthemen genauso anzuerkennen wie traditionell in dieser Beziehung „hoch“ gehandelte Themen, etwa die Untersuchung von Ungleichheit in der Soziologie des Alterns und von kognitiver Entwicklung in der Alternspsychologie.
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Notwendigkeit neuer Forschungsstrategien Wir glauben, dass die Alternsforschung neue Strategien in unterschiedlichen Hinsichten benötigt. Zum Ersten sollten die notwendigen Lebenslaufbezüge der Alternsforschung besser erkennbar werden. So benötigt die Alternsforschung unabdingbar Erkenntnisse zum mittleren Erwachsenenalter, denn dieses Lebensalter ist ja gewissermaßen das „Scharnier des Alters“, das heißt, hier, nahe am Alter, werden die Weichen für das spätere Alter in besonders nachhaltiger Weise gestellt bzw. besitzen Risikofaktoren eine besonders deutliche Wirkung bis ins Alter hinein. Es sollte aber auch zu einer der „vornehmsten“ Aufgaben der Alternsforschung werden, jüngere Lebensalter einzubeziehen. In einer Gesellschaft des langen Lebens gewinnt beispielsweise der Aspekt der frühzeitigen Lebensplanung einen hohen Stellwert – vor allem für die Gestaltung der eigenen Ausbildung und des Berufsweges, der sozialen Beziehungen und der mittelfristigen (eigene Kinder) und längerfristigen (Sorge für die eigenen Eltern) Familienplanung, der Freizeitinteressen, der Gesundheit und des eigenen Wohnens, für vorausblickendes Lebenslaufmanagement ganz allgemein. Alternsforschung ist wohl vor allem jenes Wissenschaftsfeld, das hierzu weitere Forschungsarbeiten vorlegen sollte. Wie kann es etwa gelingen, solche Antizipation bereits früh im Leben zu stimulieren, möglichst lustvoll anzuregen, sich mit dem, was da noch alles kommt, ernsthaft und „lebenslauÀnteressiert“ auseinanderzusetzen? Denkbar wären beispielsweise Simulationen, mehr spielerische Vorwegnahmen von möglichen Lebenswegen, für die es, und das ist noch einmal wichtig festzustellen, historisch keine Vorbilder gibt.
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Wir denken, dass es gilt, die bisweilen zu starke Kluft zwischen der experimentellen Grundlagenforschung bzw. Laborforschung und dem Alltag des Alterns immer wieder zu thematisieren und zu problematisieren. So hatten wir in Kapitel 5 gefragt, wie es eigentlich nach der Fülle recht konsistenter „Verlust“-Befunde der kognitiven Alternsforschung überhaupt sein kann, dass der deutlich größere Teil der älteren Menschen und sogar der Hochaltrigen nicht permanent stürzt, nicht andauernd kognitiv gravierende Fehler begeht, weitgehend selbstständig ist und außerhäusliche Mobilität im Mittel sehr gut bewältigt. Hier muss wohl die Alternsforschung noch viel über die Flexibilität alltäglicher Kontexte lernen, die in Laborforschungsansätzen bisweilen bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Wir haben bereits erwähnt, dass Interventionsforschung letztlich eine solche Alltagsorientierung benötigt, damit deren wertvolle Erkenntnisse auch tatsächlich in Alltagsroutinen integriert und damit nachhaltig wirksam werden. Notwendig sind in der Alternsforschung auch neue interdisziplinäre Liaisons, die bisweilen neuen Mut verlangen, denn auf den ersten Blick scheinen sie nicht immer gerade mit akademischen Ehren verbunden zu sein, sondern sie handeln sich unter Umständen eher den Vorwurf ein, die eigene Disziplin und deren Standards möglicherweise zu verwässern. So kann man etwa argumentieren, dass die Verknüpfung von Psychologie, Ergotherapie und geriatrischer Medizin noch bislang weitgehend ungenutzte Potenziale entfalten kann. Hier geht es um das gesamte Spektrum an Selbstständigkeit des Handelns älterer Menschen in speziÀschen räumlich-sozialen Umgebungen, um die dabei hoch bedeutsame Rolle der Kognition und Motivation sowie die Rolle all dieser Aspekte für geriatrische Rehabilitation und Intervention. Die kognitive Alternspsy-
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chologie sollte ferner vertiefte Liaisons mit Technikforschung und Mensch-Maschine-Forschung eingehen. Hier können wir Erhebliches über externe Kompensationen von altersabhängigen Verlusten und die Bewahrung von Handlungskompetenz selbst nach eingetretenen schwerwiegenden gesundheitlichen Einbußen lernen und dann im Sinne einer Lebensqualitätserhöhung umsetzen. In diesem Kontext spielt auch eine Rolle, dass bestimmte Disziplinen gerade in Deutschland und gerade durch die neuen Fragen unserer alternden Gesellschaft eine weitere Akademisierung erfahren müssen. So ist es beispielsweise bedauerlich, dass es etwa im Gegensatz zu England, den Niederlande, den USA und Kanada sowie den skandinavischen Ländern in Deutschland noch keine Akademisierung der Ergotherapie und Physiotherapie gibt. Andere Länder zeigen uns, wie wertvoll Forschung in diesen Disziplinen für Lebensqualität im Alter ist. Wie lange kann sich das alternde Deutschland eine solche Situation noch leisten?
Forschung, um über den eigenen nationalen Tellerrand zu blicken So wertvoll die Konzentration auf die eigenen Alternsherausforderungen und Alternsforschungsfragen ist, der Blick in die „Internationalität des Alterns“ im Sinne eines immer stärker zusammenwachsenden Europas bzw. der Globalisierung wird unabdingbar, und er wird zunehmend hilfreicher zur Bewältigung der eigenen Alternsherausforderungen. Wir können viel lernen, wenn wir uns einmal fragen, wie andere Länder, etwa die asiatischen Staaten, mit den Herausforderungen der Demenz umgehen. Wir können viel lernen, wenn wir uns stärker
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um die Wohnlösungen für alte Menschen in anderen Ländern kümmern und Modelle der quartiersnahen Versorgung aus anderen Ländern besser kennenlernen. Insofern ist es gut, dass die europäischen Forschungsprogramme spätestens seit dem sogenannten 5. Rahmenprogramm, das bereits Ende der 1990er Jahre aufgelegt wurde, auch vergleichende Alternsforschung in substanzieller Weise gefördert haben. In derartigen Forschungsansätzen liegt ein bedeutsames Moment des learning from each other, also des gegenseitigen Lernens, auch wenn die Anforderungen einer wirklich komparativen Alternsforschung sicherlich nicht trivial sind: Es gilt etwa, die unterschiedlichen Alters-, Kranken- und PÁegeversicherungssysteme gut im Auge zu behalten und auch aus dieser Warte Befunde auf der sogenannten Mikroebene, also der Ebene des alltäglichen Handelns und Erlebens von Älteren und ihren Angehörigen, zu interpretieren und einzuschätzen. Noch einen Schritt weitergehend möchten wir hier für eine wachsende Ethno-Gerontologie plädieren, also den systematischen Vergleich des Alterns der eigenen Gesellschaft und Kultur mit Alternsformen aus anderen Gesellschaften und Kulturen. Auf diesem Wege kann unter Umständen besonders deutlich werden, welche Altersbilder (noch) in unserer Gesellschaft vorherrschend sind bzw. was alles alten Menschen möglich ist, wenn sie in anderer Weise betrachtet und behandelt werden, als dies in unserer Kultur (noch) der Fall ist.
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Resümee Auch im Hinblick auf die Zukunft der Alternsforschung gilt es, so manche Weiche neu zu stellen, damit die Passung zwischen dem, was Alternsforschung leisten kann, und jenem, was alternde Gesellschaft wie die deutsche benötigen, sich noch weiter verbessert. Dazu müssen sich Alternsforscherinnen und Alternsforscher deutlich stärker, kreativer und kompetenter engagieren, um ihre guten und hoch relevanten Befunde effektiv in die Gesellschaft zu kommunizieren. Die Übersetzung von Befunden (Translational Research) bedarf vielfältiger neuer, auch forschungsgetriebener Anstrengungen, damit das in weiten Teilen bereits sehr robuste Wissen auch tatsächlich Altern verbessern kann (siehe zum Beispiel Altersinterventionen). Bislang zu wenig beachtete Forschungsthemen (etwa Altern und Technik) bedürfen einer deutlich höheren Aufmerksamkeit, verbunden mit neuen interdisziplinären Liaisons (etwa zwischen der kognitiven Psychologie und der Technikentwicklung). Schließlich kann Alternsforschung nicht zuletzt einen Beitrag dazu leisten, die Sicht auf Altern zu internationalisieren und auf diesem Wege den Stärken, aber auch den Schwachstellen der eigenen Gesellschaft und Kultur im Umgang mit den Potenzialen des Alterns Prägnanz zu verleihen.
Teil D Neue Anforderungen
19 Neue Anforderungen an gesellschaftliche Akteure Ziel unserer Argumentation und Ziel dieses Buches ist es, die Thematik des Alterns unserer Gesellschaft in „neuer Mächtigkeit“ auf die Bühne zu heben. Dabei geht es uns nicht um billige Schaumschlägerei zu den Themen Alter, DemograÀe und PÁege, wie sie häuÀg in den Medien, vor allem dem Fernsehen, zu Ànden ist. Da sitzen dann Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder „Stars und Sternchen“ in Talkrunden und berichten über die Belastungen der PÁege der eigenen Eltern – oder ihr eigenes Altern. Von dieser Art der „Alternsinformation“ haben wir bereits überreichlich in Deutschland – diese Art von wenig informierter, wenngleich öffentlichkeitswirksamer Auseinandersetzung mit Altern brauchen wir nicht verstärkt, sondern weniger. Ganz vermeiden lässt sie sich in einer stark medial agierenden Gesellschaft und politischen Diskussionskultur wohl kaum, aber sie trägt nur wenig zu dem bei, was wir als eine gute und damit eine durch wissenschaftliche Befunde informierte Kultur eines neuen Alterns verstehen würden. Eine solche Kultur entsteht nicht gleichsam von selbst, obgleich es mehr als beachtlich erscheint, was hier in den letzten Jahren geschaffen und ausdifferenziert wurde: nicht zuletzt von den älteren Menschen selbst, die ihr Wohnen,
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ihren Umgang mit Hilfe- und PÁegebedürftigkeit, die Gestaltung ihrer Aktivitäten und ihrer sozialen Beziehungen sowie ihre Rolle und Bedeutung als veritable Konsumentinnen und Konsumenten längst in neue, weithin sichtbare Bahnen gelenkt haben. Zu nennen sind natürlich an dieser Stelle auch die vielfältigen Engagementformen der Senioreninitiativen und -verbände, speziell der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Auch in der Politik hat sich auf allen Ebenen ein neues Verständnis und Engagement für unsere alternde Gesellschaft entwickelt, wenngleich, vor allem auf der so wichtigen kommunalen Ebene, noch immense Unterschiede in der Intensität, dem Stand der Informiertheit, der Kreativität und Flexibilität im Umgang mit Fragen des Alterns bzw. des Miteinanders der Generationen zu beobachten sind. Eine zunehmende Anzahl von Kommunen setzt diesbezüglich innovative Akzente und nimmt den Sachverstand der wissenschaftlichen Erforschung des Alterns zunehmend auf, der größere Teil der Kommunen scheint nach unserem Eindruck aber noch (zu) stark in tradierten Denk- und Planungsmustern verhaftet zu sein. Für die einen stehen Fragen der Unterstützung eines „neuen Alterns“ auf den vielfältigsten Ebenen ganz im Vordergrund, ohne die Schattenseiten des Alterns zu negieren (zum Beispiel neue Wohnformen für an Demenz Erkrankte); für die anderen geht es (noch) vor allem um PÁegebedarfsplanungen und die Abschätzung von Heimplätzen in der Zukunft. In diesem Zusammenhang verdienen nach unserer Einschätzung auch die Forschungs- und Praxisinitiativen der Bertelsmann Stiftung und der Robert Bosch Stiftung besondere Erwähnung, die in den letzten Jahren beispielsweise darauf abzielten, anhand von Modellvorhaben einen neuen „Alternsgeist“ bzw. „DemograÀegeist“ in die Kommunen
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zu tragen und die PÁege und medizinische Behandlung alter Menschen anhand von wissenschaftlicher Evidenz bzw. efÀzienter Nachwuchsförderung zu unterstützen. Eine neue Kultur des Alterns in unserer Gesellschaft braucht aber in noch viel stärkerem Maße das Engagement von Akteuren der unterschiedlichsten Provenienz – das dürfte nach den Ausführungen dieses Buches, speziell in Teil C, sehr deutlich geworden sein. So möchten wir in diesem Kapitel im Grunde nur noch einmal zusammenführen, was wir bereits an den unterschiedlichsten Stellen unseres Buches erläutert haben. Es geht um neue Anforderungen an Akteure, die nach unserem Eindruck die Zeichen der Zeit und die Zukunftsmacht der Alternsthematik noch nicht in vollem Maße erkannt haben. Wir möchten exemplarisch einige der uns besonders bedeutsam erscheinenden Akteursgruppen herausgreifen. Ein Berufsstand, der bislang die Alternsthematik noch viel zu wenig als seine begreift, sind die Lehrerinnen und Lehrer der unterschiedlichen Schulformen. Wir hatten in Kapitel 9 argumentiert, dass Wissen über Altern in völlig neuer und nachhaltiger Art in die Gesellschaft und vor allem an unterschiedliche Lebensalter, insbesondere auch junge Menschen, kommuniziert werden muss. Unseres Wissens ist der Lehrinhalt des Alterns und demograÀschen Wandels bislang in keinem Lehrplan bzw. Curriculum der Gymnasialausbildung, der Realschulen, der Fachschulausbildung (jenseits der AltenpÁegeausbildung), der berufsbildenden Schulen, der Hauptschulen usw. substanziell verankert. In der Lehrerausbildung spielt Altern bestenfalls eine Zufallsrolle, etwa wenn man in einer Vorlesung zur Entwicklungspsychologie mit einem Dozenten/einer Dozentin konfrontiert ist, der/die das mittlere und höhere Lebensalter thematisiert. Gerade hier ist die „Denke“ noch weit verbreitet, dass die menschliche Entwicklung
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spätestens nach dem frühen Erwachsenenalter keine wissenschaftliche Bedeutung mehr besitzt und vernachlässigt werden kann. Wir möchten niemandem einen Vorwurf machen, jedoch besitzt die Ausbildung hier deutliche weiße Flecken, die vor allem durch die Fachausbildung ergänzende Studieninhalte, wenn nicht durch „Schlüsselkompetenzkurse“, so schnell wie möglich kompensiert werden müssen. In Bezug auf Curricula sind die Oberschulämter bzw. Regierungspräsidien gefragt, jedoch scheint hier das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer lehrplanbezogenen Verankerung der Alternsthematik noch nicht signiÀkant von null abzuweichen. Dies alles schließt keineswegs aus, dass engagierte Pädagoginnen und Pädagogen in den unterschiedlichsten Schulformen (und auch im Kindergarten) Projekte mit Älteren erfolgreich initiieren. Dies geschieht immer häuÀger, wenngleich die Lehrmaterialien hierzu noch sehr begrenzt sind (vgl. Kapitel 9). Akteure in Betrieben und Firmen beginnen das „Alter“ als eine bedeutsame, wenn nicht entscheidende Stellgröße der Entwicklung und zukünftigen Marktpositionierung zu entdecken. Dieses „Entdecken“, wenngleich hoch relevant, vollzieht sich noch zu langsam bzw. die daraus zu ziehenden Konsequenzen müssen schneller, nachhaltiger und noch deutlicher in die Fläche gehend umgesetzt werden. Betriebe müssen mehr in ihre alternden Belegschaften investieren, mit an Sport und Bewegung orientierten Programmen, mit einem im Hinblick auf das Alter weitgehend unbeschränkten Zugang zu Weiterbildungsangeboten, mit dem Mut zur Implementierung von neuen Arbeitsformen (zum Beispiel altersgemischten Teams, explizierten Rollen und Potenzialen für ältere Arbeitnehmer), mit ArbeitszeitÁexibilität, um etwa die PÁege der eigenen Eltern zu erleichtern bzw. zu unterstützen. Auch müssen betriebliche Leitbilder weiterentwickelt werden; diese
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dürfen sich nicht länger an einem noch stark vorherrschenden DeÀzitbild des Alters orientieren bzw. an dem Bestreben, die Älteren möglichst effektiv loszuwerden. Einzelne Branchen, wir hatten darüber bereits in Kapitel 2 und 5 berichtet, haben sich durch den bewussten Einbezug von älteren Menschen (etwa älteren Managern) neu am Markt positionieren können. In der Schweiz haben einzelne Banken durch Einstellung von älteren Bankexperten neue Zugänge zu ihren älteren Kunden gefunden, das heißt, in manchen Dienstleistungsgewerben kann die Überlegung zentral werden, dass nicht nur die Belegschaften altern, sondern auch die Kunden. Wir vermissen in diesem Bereich weiterhin klare Positionierungen des Alterns und seiner Potenziale auf der Ebene der Verbände, sei es von Seiten der Arbeitgeberverbände oder der Gewerkschaften. Alterssensibilität ist zu einem gewissen Grade bereits vorhanden (siehe etwa die entsprechende Beiträge in den Kommunikationsorganen der Verbände), aber aus unserer Sicht längst nicht in ausreichender Weise. Hier müssen alle Akteure klotzen, nicht kleckern, um das Bewusstsein für die alternde Arbeitsgesellschaft zu fördern und zu stärken, denn gerade auf diesem Gebiet liegt ein Stück Zukunftsentscheidung und -weichenstellung für den (rohstoffarmen) Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Auch wenn bereits viel geschehen ist, muss sich der gesamte Gesundheits- bzw. Krankheitsbehandlungssektor in unserer Gesellschaft noch viel deutlicher und engagierter auf das Alter einstellen. Therapiepessimismus, aufgrund der verfügbaren Evidenz nicht begründet (vgl. Kapitel 7), herrscht noch allenthalben vor, unter anderem bei Fachärzten für Allgemeinmedizin. Alter scheint nach wie vor eine bequeme Möglichkeit darzustellen, eine ärztliche Prognose zu begründen („Da kann man nichts mehr machen, das ist das Alter, das ist
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Altersverschleiß“; „Hunde, wollt ihr ewig leben?“). Bedenkt man gleichzeitig, dass ältere Menschen heute etwa 60–70 % der Klientel von Haus- und vielen Fachärzten darstellen, so kann man sich eigentlich nur, was den Expertisestand und das Fachwissen angeht, wundern, wenn nicht verzweifeln. Die Alternsthematik gewinnt allerdings – eine sehr gute Entwicklung – in der Medizinausbildung langsam an Bedeutung; dieser Prozess muss verstärkt und ausgebaut werden. Neben der rein fachlichen Ebene ist es aber weiterhin vor allem die Unfähigkeit zur Kommunikation, die im Medizin- und Pharmasystem den Umgang mit den älteren Menschen über weite Strecken prägt: Transparente Aufklärung, etwa im Zuge einer Kataraktoperation, ist insbesondere bei Hochaltrigen oft nicht ihrem Wissen angemessen, die Vermittlung von Diagnosen geschieht oft nicht psychosozial kompetent und nicht selten mit einer gewissen „Altersgrobheit“, Beipackzettel sind weiterhin in vielen Fällen für Ältere nicht lesbar, Beratungen im Hinblick auf Präventions-, Interventions- und Rehabilitationsmöglichkeiten sind vielfach nicht nachhaltig genug (denn dies würde ja, etwa bei einem schwerhörigen älteren Menschen, unnötig viel Zeit in Anspruch nehmen). An dieser Stelle sind auch Kranken- bzw. Gesundheitskassen gefordert, sich für eine sehr große Gruppe ihrer Mitglieder stark zu machen. Dies geschieht noch zu wenig, und auf der Ebene der Sachbearbeitung ist noch zu häuÀg ein vorurteilsgeladenes Bild von Alter anzutreffen. Auch in den vielen anderen Gesundheitsberufen – beispielsweise der PÁege, der Logopädie, der Krankengymnastik, der Ergotherapie – muss Wissen über Altern, auch über normales Altern, sehr viel stärker in der Aus- und Weiterbildung verankert werden. Vor allem muss aber ein Bewusstsein der Notwendigkeit des gemeinsamen Agierens (managed care) verstärkt werden, das heißt, es muss die Einsicht
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gestärkt und gefördert werden, dass nur im Miteinander der Professionen (also nur multiprofessionell) die besten Ergebnisse für Ältere erzielt werden können. Die Fähigkeit, „über den Tellerrand“ der eigenen Profession und Professionalität zu blicken, muss regelrecht eingeübt werden, und hier sehen wir derzeit kaum Foren, wo ein solches Lernen efÀzient und in einer ausgewogenen Mischung von wissenschaftlicher Evidenz und Praxiswissen stattÀndet. Politische Akteure sind schließlich in noch stärkerem Maße als bislang gefordert, Position zu beziehen, ausgewogene Altersbilder zu kommunizieren und Entwicklungen im Hinblick auf eine neue Kultur des Alterns effektiv anzustoßen. Die große Kunst scheint unseres Erachtens auf der einen Seite darin zu bestehen, die Belange der Älteren gut im Auge zu behalten und zu fokussieren und dabei den verfügbaren wissenschaftlichen Sachverstand deutlich einzubeziehen. Auf der anderen Seite darf die Verbindung zu anderen Lebensaltern nicht abreißen, muss im Gegenteil sogar explizit gepÁegt und „kultiviert“ werden im Sinne einer Generationenpolitik. Dazu bietet jedoch gerade die verfügbare wissenschaftliche Evidenz sehr gute Brücken an: Prävention beispielsweise, so haben wir gezeigt, ist ein genuin lebenslaufbezogenes Thema und muss stets alle Altersgruppen im Blick behalten, um wirkliche Erfolge zu generieren. Fragen des Wohnens berühren stets auch gesamtgesellschaftliche Aspekte und sollten niemals isoliert nur für eine Gruppe bzw. ein Lebensalter behandelt werden. Wohngemeinschaften für Ältere, zum Beispiel, können ein Quartier insgesamt bereichern, die Sorge für Barrierearmut in und um Wohnbereiche dient auch Familien mit Kindern und behinderten Menschen, die Förderung von ehrenamtlichem Engagement im höheren Lebensalter kommt nicht selten anderen Generationen zugute, die Unterstützung
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familiärer PÁege ist Sorge für die PÁegebedürftigen, die pÁegenden Angehörigen und ihre Kinder zugleich. In unserem höchsten politischen Gremium, dem Bundestag, scheint die Alternsthematik in ihrer notwendigen Differenziertheit – die deutliche Berücksichtigung der Stärken und Potenziale der Älteren für unsere alternde Gesellschaft und die Sorge für ihre Schwächen, Verletzlichkeiten und damit die bedeutsamen sozial- und gesundheitspolitischen Unterstützungsbedarfe – noch nicht in einer wohlinformierten und ausgewogenen Weise angekommen zu sein. Wir möchten hier Fortschritte, die es in jedem Fall gibt, keineswegs leugnen oder gering schätzen, aber der Bedeutung des Alterns, so wie viele sehr gute Argumente dies wissenschaftlich und gesellschaftlich begründen (siehe unser Buch), wird der Deutsche Bundestag insgesamt derzeit noch nicht gerecht. Dies mag auch daran liegen, dass wir zu wenig ältere Bundestagsabgeordnete haben. Den tieferen Grund sehen wir allerdings darin, dass die Alternsthematik von Politikerinnen und Politikern weiterhin gerne vermieden wird, sie kommt vielfach bei Jüngeren längst nicht so gut an wie andere bedeutsame gesellschaftliche Themen (zum Beispiel Familienpolitik, Arbeitsplatzfragen, ökologische Herausforderungen), wirkt eher bedrohlich und schwer einschätzbar, sie besitzt wenig an Konnotationen des Chancenreichtums und gesellschaftlicher Entwicklungspotenziale, und sie ist möglicherweise wenig „charismafördernd“. Hier scheint uns eine entscheidende Aufgabe der Alterspolitik bzw. ihrer Akteure zu liegen: die Behandlung der Alternsthematik deutlich forcieren, die Chancen und Potenziale des Alters ohne Übertreibung so herausstellen, wie wir dies auch für andere Gruppen der Gesellschaft tun, den Zusammenhang mit anderen Generationen stets einbeziehen und „kultivieren“ und damit auch eine Normalisierung des Alters unterstützen.
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So wie wir über Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sprechen, mit allen Konnotationen von Chancenvielfalt, Entfaltungsreichtum, Sorgen, Nöten, Handlungsanforderungen und offenen Fragen, so sollten wir auch über ältere Menschen sprechen. Eine solche politische Haltung und Kommunikationskompetenz bedarf allerdings der Auseinandersetzung mit Befunden und Einsichten der wissenschaftlichen Alternsforschung und einer „Reibung“ mit denselben. Wir hoffen, dass unser Buch dazu einen kleinen Beitrag leisten kann.
20 Neue Anforderungen an Ältere – und an alle Generationen In den vorangegangenen Kapiteln dieses Buches wurde deutlich, dass Altern als ein lebenslanger Prozess aufzufassen ist, der in seinem Verlauf zwar erheblich durch die in unterschiedlichen Lebensabschnitten jeweils vorgefundene soziale und räumliche Umwelt beeinÁusst ist, unabhängig davon aber immer auch das Resultat individueller Handlungen und Handlungsunterlassungen darstellt. Menschen sind – unabhängig von den jeweils vorliegenden Rahmenbedingungen – „Agenten“ eigener Entwicklung und damit für den Verlauf ihrer Entwicklung mitverantwortlich. Des Weiteren wurde deutlich, dass die im individuellen Entwicklungsverlauf auftretenden Veränderungen in sehr unterschiedliche Richtungen weisen. Während sich in einigen Fähigkeiten und Fertigkeiten noch im Alter Zuwächse zeigen, Àndet sich in anderen Stabilität, während wieder andere von substanziellen Rückgängen, zum Teil auch DeÀziten, betroffen sind. Auch im Alter Ànden sich Stärken und Potenziale, die für die Wertschöpfung in der Gesellschaft genutzt werden können. Andererseits konfrontiert uns das Alter mit unabänderlichen Grenzen: Diese gehören ebenfalls zu unserem Leben und müssen im öffentlichen Raum kommuniziert werden.
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Aus dem jeweils erreichten Entwicklungsstand, den jeweils bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten und den individuellen wie gesellschaftlichen Entwicklungszielen und -prioritäten ergeben sich in allen Lebensaltern speziÀsche Anforderungen an die Gestaltung der eigenen Entwicklung. In der Entwicklungspsychologie wird diesem Umstand traditionell mit dem Begriff der Entwicklungsaufgabe Rechnung getragen. Wenn hier von neuen Anforderungen gesprochen wird, dann soll damit deutlich gemacht werden, dass sich gesellschaftliche und individuelle Entwicklung wechselseitig beeinÁussen und sich die heute älteren Menschen in ihrem Entwicklungsstand und ihren Entwicklungsmöglichkeiten von früheren Generationen älterer Menschen ebenso unterscheiden wie in den für ihr Bemühen um eine Gestaltung ihrer eigenen Entwicklung maßgebenden individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungszielen. Im Zuge eines fortschreitenden demograÀschen Wandels stellen sich nach unserer Auffassung durchaus qualitativ neue Anforderungen an die Gestaltung eigener Entwicklung, und zwar für alle Generationen. Es sei an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen, dass sich die Neuartigkeit von Anforderungen allein oder auch nur primär aus einem veränderten Altersaufbau der Gesellschaft ergibt. Der demograÀsche Wandel ist Teil eines umfassenden sozialen Wandels, der sich dynamischen Gesellschaften unabhängig von Veränderungen der Altersstruktur beobachten lässt und gerne auch als allgemeiner gesellschaftlicher Fortschritt beschrieben wird. Im letzten Jahrhundert hat sich nicht nur die Lebenserwartung bei Geburt deutlich erhöht, auch die heute älteren Menschen verfügen im Vergleich zu früheren Generationen über eine höhere Restlebenserwartung. Mit dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beruf verfügen die heute älteren Menschen im Vergleich zu früheren Generationen im Durchschnitt
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über deutlich bessere körperliche, geistige und Ànanzielle Ressourcen, die sie für die Gestaltung der Nacherwerbsphase nutzen können. Gleichzeitig ist die nachberuÁiche Lebensphase länger geworden, nicht nur wegen der höheren Lebenserwartung, für viele auch infolge eines früheren Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Aus dem demograÀschen Wandel leiten sich unseres Erachtens eine Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen ab. Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird nur dann in seiner gegenwärtigen Bedeutung erhalten bleiben, wenn es gelingt, die kreativen und produktiven Potenziale des Alters in deutlich stärkerem Maße zu nutzen als bisher. Wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten bleiben, wenn die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft nachhaltig gesichert werden soll, dann ist es notwendig, dass die heute älteren Menschen in stärkerem Maße Verantwortung übernehmen, und dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen ist es notwendig, dass unnötige Belastungen für die Gemeinschaft vermieden werden. Wenn Alternsprozesse als lebenslang gestaltbar bezeichnet werden, dann ist damit auch gemeint, dass durch ein ausreichendes Maß an körperlicher und kognitiver Aktivität, durch angemessenes Gesundheitsverhalten und durch eine verantwortliche Auseinandersetzung mit Entwicklungsaufgaben die im gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor häuÀg einseitig hervorgehobenen Belastungen der sozialen Sicherungssysteme in Grenzen gehalten werden können. Darüber hinaus geht es aber auch darum, sich um die Weiterentwicklung vorhandener Potenziale zu bemühen und diese im Interesse der Gemeinschaft zu nutzen. Wir haben in diesem Buch gezeigt, dass ältere Menschen sich heute in erheblichem Maße engagieren, und dies nicht lediglich im Bereich der Familie, sondern auch im Kontext von Vereinen und Initiativen,
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die ohne ihre älteren Mitglieder überhaupt nicht existieren könnten. Die Wahrung intergenerationeller Solidarität kann in einer dynamischen Gesellschaft auf Dauer nicht einfach verfügt oder gar von einer bestimmten Generation eingefordert werden. Intergenerationelle Solidarität kann es unseres Erachtens ohne Generationengerechtigkeit auf Dauer nicht geben, was gleichbedeutend damit ist, dass ältere Menschen ihre Potenziale für andere einsetzen müssen, wenn sie von diesen in der Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse, Anliegen und Ziele Unterstützung beanspruchen wollen. Wir haben im Kontext der Altersschichtungstheorie erläutert, dass individuelle und gesellschaftliche Entwicklung eng miteinander verbunden sind. Eine verantwortliche Gestaltung des eigenen Alternsprozesses verweist entsprechend auf die Notwendigkeit lebenslangen Lernens. Gesellschaftliche Innovationen haben notwendigerweise zur Folge, dass in früheren Jahren ausgebildete Wissenssysteme als zumindest in Teilen unvollständig, wenn nicht überholt betrachtet werden müssen, Lebenserfahrung nicht mehr in der gewohnten Form angewendet werden kann. Karl Mannheim hat in seiner klassischen Arbeit zum Problem der Generationen deutlich gemacht, dass im Kontext der Weitergabe kulturellen Wissens nicht lediglich die jüngere Generation von der älteren lernt, sondern zugleich die ältere Generation, indem sie sich dem „neuen Zugang“ späterer Generationen öffnet, in erheblichem Maße von der jüngeren Generation proÀtiert. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass sich lebenslanges Lernen nicht primär und schon gar nicht allein im Kontext formaler Bildung verwirklichen muss. Während in jüngeren Jahren Bildung primär an formale Kontexte gebunden ist, werden mit zunehmendem Alter nonformale und informelle Kontexte immer bedeutsamer. Die für die Aufrechterhaltung sozialer Teilhabe not-
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wendigen Lerninhalte können durchaus – eine hinreichende Offenheit der älteren Generation vorausgesetzt – im Kontext intergenerationeller Beziehungen erworben werden. Unabhängig davon wäre es wünschenswert, wenn Institutionen der Erwachsenenbildung in Zukunft eine größere Bedeutung für Lernprozesse im Alter gewinnen würden. Gerade wenn es darum geht, kreative und produktive Potenziale des Alters in effektiver Weise weiterzuentwickeln und zu nutzen (etwa im Bereich anspruchsvoller freiwilliger Tätigkeiten), wären informelle Lernprozesse durch formale Angebote zu ergänzen. Ältere Menschen sind nicht lediglich passive Rezipienten gesellschaftlicher Entwicklung, sie sind auch Teil derselben und gestalten diese aktiv mit. Wir haben im Kontext der Altersschichtungstheorie dargelegt, dass Veränderungen in individuellen Alternsprozessen auf Dauer auch veränderte gesellschaftliche Altersstrukturen zur Folge haben. Ein „neues Altern“ wirkt sich dabei aber nicht unmittelbar auf gesellschaftliche Altersstrukturen aus – deren Unangemessenheit wird erst mit zeitlicher Verzögerung problematisiert und korrigiert. Die für die Wechselwirkung von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung charakteristische strukturelle Divergenz oder Diskrepanz wird in alternden Gesellschaften – schon durch die veränderte Altersstruktur – zunehmend zum Problem. Wenn sich die angesichts eines „neuen Alters“ notwendige Veränderung gesellschaftlicher Strukturen möglichst schnell und reibungslos vollziehen soll, dann ist es notwendig, dass ältere Menschen die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich nutzen – dies nicht allein in ihrem eigenen Interesse. Inwieweit eine alternde Gesellschaft wirtschaftlich konkurrenzfähig bleibt, hängt nicht zuletzt auch davon ab, inwieweit es ihr gelingt, Wachstumspotenziale zu realisieren, die sich aus
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der Wirtschaftskraft älterer Menschen ergeben. Entsprechend sind ältere Menschen aufgefordert, ihre Produktinteressen und -präferenzen in angemessener Weise zu artikulieren bzw. auch an der Entwicklung innovativer Produkte zu partizipieren. In ähnlicher Weise wird sich auch die Kommunalpolitik in Zukunft stärker an den Interessen der älteren Wähler orientieren müssen. Es wäre wünschenswert, dass es älteren Menschen in Zukunft besser gelingt, sich über ihre Interessen und Präferenzen klar zu werden und diese in entsprechende Entscheidungsprozesse in geeigneter Weise einzubringen. Wenn wir von der Notwendigkeit lebenslangen Lernens sprechen, dann bezieht sich diese ausdrücklich auch auf die Vertretung und Wahrung eigener Interessen. Wir haben im vorliegenden Buch deutlich gemacht, dass Grenzen zum menschlichen Leben gehören. Dies gilt natürlich nicht nur im Alter, wenngleich das Alter zunehmend mit Grenzen konfrontiert und die Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Endgültigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die höhere Lebenserwartung hat nicht nur zu einem Mehr an in Gesundheit und Aktivität verbrachten Jahren, sondern auch zu einer Zunahme an chronisch-degenerativen Erkrankungen geführt. Die Anzahl der von PÁegebedürftigkeit und demenziellen Erkrankungen betroffenen Menschen wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich zunehmen. Für viele ältere Menschen stellt die Erwartung, selbst einmal pÁegebedürftig zu werden oder an einer Demenz zu erkranken, ein durchaus realistisches Szenario dar, auch wenn dieser Umstand gerne verdrängt wird. Vor dem Hintergrund einer nicht zu leugnenden Zunahme der Verletzlichkeit im hohen Alter ergibt sich für die heute älteren Menschen in weit stärkerem Maße als für frühere Generationen die Anforderung, sich mit den Grenzsituationen des menschlichen Lebens auseinanderzusetzen.
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Nach Erikson bildet die psychosoziale Krise „Ich-Integrität versus VerzweiÁung“ die letzte und abschließende Phase lebenslanger Identitätsentwicklung. In Darstellungen dieser psychosozialen Krise wird betont, dass sich Menschen um eine gewisse Kontinuität bemühen müssen, die es ihnen ermöglicht, gelebtes wie ungelebtes Leben zu akzeptieren. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Identität auf Zukunft ebenso verweist wie auf Vergangenheit. Mit fortschreitendem demograÀschen Wandel werden die Grenzsituationen am Ende unseres Lebens deutlich sichtbarer. Viele ältere Menschen erleben in der Beziehung zu ihren hochbetagten Eltern, dass PÁegebedürftigkeit und Demenz vieles von dem infrage stellen können, womit man sich in früheren Lebensabschnitten identiÀziert hat. Die Beziehung zu pÁegebedürftigen oder demenzkranken Eltern ist für die meisten Menschen zweifellos mit hohen Belastungen verbunden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Konfrontation mit Krankheit, Sterben und Tod auch die Chance eröffnet, eigene Existenz in neuartiger Weise zu reÁektieren und so in der Auseinandersetzung mit dieser Grenzsituation zu sich selbst zu Ànden und zu einer qualitativ neuen Art von Beziehung zu den eigenen Eltern zu gelangen, die in der Literatur als Àliale Reife beschrieben worden ist. Die Auseinandersetzung mit Grenzsituationen des Alters lässt sich auch unter dem Aspekt der Verwirklichung von emotionaler Produktivität beschreiben. Vor dem Hintergrund eines umfassend konzipierten Produktivitätsbegriffs wird deutlich, dass die Art der Auseinandersetzung mit Krankheit, Sterben und Tod nicht allein für die betroffenen älteren Menschen, sondern auch für Angehörige nachfolgender Generationen von erheblicher Bedeutung ist. Aus dieser Perspektive wäre den älteren Menschen durchaus eine gewisse Vorbildfunktion zuzuerken-
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nen. Wie sich Angehörige nachfolgender Generationen auf ihr eigenes Alter vorbereiten, inwieweit sie in der Lage sind, mit Grenzen zu leben und in Grenzsituationen neue Perspektiven zu Ànden, ist auch von den Haltungen beeinÁusst, die ältere Menschen in den betreffenden Situationen einnehmen. Diese Aussage verdeutlicht zunächst, dass wir einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs über Grenzsituationen benötigen. Des Weiteren macht sie deutlich, dass intergenerationelle Beziehungen grundsätzlich als von allen Beteiligten mitgestaltete Austauschbeziehungen zu verstehen sind, unabhängig davon, ob die beteiligten Menschen von gravierenden Einschränkungen betroffen und in hohem Maße auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind oder nicht. Wir haben an verschiedenen Stellen des vorliegenden Buches darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten der Entwicklung und Verwirklichung von Potenzialen des Alters auch von den in einer Gesellschaft jeweils dominanten Altersbildern abhängen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Entwicklung differenzierter Altersbilder, die der Heterogenität des Alters gerecht werden, als eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe beschreiben. Ältere Menschen benötigen hinreichend differenzierte Altersbilder, um zukünftige Entwicklungsaufgaben antizipieren, notwendige Ressourcen entwickeln und verfügbare Ressourcen in der Auseinandersetzung mit Entwicklungsaufgaben effektiv einsetzen zu können. Auch jüngere Menschen proÀtieren in der Gestaltung ihrer eigenen Entwicklung von angemessenen Altersbildern. Darüber hinaus benötigen sie differenzierte Altersbilder, um die Stärken und Potenziale älterer Menschen ebenso wie speziÀsche Leistungsgrenzen und Unterstützungspotenziale in alltäglichen Interaktionen erkennen und auf diese angemessen reagieren zu können. Damit ergibt sich für alle Mitglieder einer altern-
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den Gesellschaft die Notwendigkeit, sich in stärkerem Maße mit Alter zu beschäftigen und eine altersfreundliche Kultur zu verwirklichen. Der Begriff der altersfreundlichen Kultur kann dabei in dreifacher Weise bestimmt werden: Erstens verstehen wir unter dieser einen sozialkulturellen Kontext, der ältere Menschen – deren Ressourcen ebenso wie deren Werte, Bedürfnisse und Interessen – in gleicher Weise in die Mitte des öffentlichen Raumes stellt wie jüngere Menschen. Dieser Kontext eröffnet älteren Menschen in gleicher Weise wie jüngeren Menschen die Möglichkeit zur Übernahme von Mitverantwortung sowie zur sozialen Teilhabe. Zweitens verstehen wir unter altersfreundlicher Kultur einen sozialkulturellen Kontext, in dem die Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten des Menschen in gleicher Weise repräsentiert sind und bejaht werden wie die Entwicklungs- und Handlungsgrenzen – zum Beispiel die Fragilität, die Endlichkeit, die Unvollkommenheit der individuellen Existenz. Menschen werden in einer altersfreundlichen Kultur nicht wegen dieser Grenzen abgewertet, diskriminiert oder ausgegrenzt. Unter altersfreundlicher Kultur verstehen wir schließlich die Balance zwischen Selbstverantwortung des Einzelnen, Mitverantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft und Verantwortung der Gemeinschaft für den Einzelnen. Diese Balance ist konstitutiv für die Subsidiarität. Die Subsidiarität muss dabei, wenn sie aus der Perspektive des Alters betrachtet wird, heute in einer veränderten Weise betrachtet werden: Heute sind Ältere nur vergleichsweise selten die Bedürftigen und vergleichsweise häuÀg jene, die Bedürftige in den nachfolgenden Generationen wie auch in ihrer eigenen Generation unterstützen (oder unterstützen könnten). Wandlungen im Verständnis von Subsidiarität speziell mit Blick auf die ältere Generation sind auch vor dem
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Hintergrund der Solidarität zwischen den Generationen zentral. Dieses gewandelte Verständnis ist heute – wenn überhaupt – nur in Ansätzen erkennbar. „Und dieses Einst, wovon wir träumen, es ist noch nirgends, als in unserm Geist; wir sind dies Einst, uns selbst vorausgereist im Geist, und winken uns von seinen Säumen, wie wer sich selber winkt.“
In diesem Epigramm von Christian Morgenstern (aus Stufen) kommt ein Motiv zum Ausdruck, das als charakteristisch für unsere Gesellschaft, für unsere Kultur angesehen werden kann: Wir stehen vor der Herausforderung, eine veränderte Sicht des Alters zu entwickeln, die auch auf die seelisch-geistigen Kräfte in dieser Lebensphase Bezug nimmt und darstellt, in welcher Weise unsere Gesellschaft von der Nutzung dieser Kräfte proÀtiert. Bislang stehen eher die negativen Bilder des Alters im Vordergrund des öffentlichen Diskurses: Alter wird primär mit Verlust an Kreativität, Neugierde, Offenheit und Produktivität gleichgesetzt. Dieses einseitige Bild des Alters engt – indem es offene oder verborgene Altersgrenzen fördert – nicht nur die Zukunftsperspektiven älterer Menschen ein, es trägt auch dazu bei, dass die potenziellen Kräfte des Alters gesellschaftlich nicht wirklich genutzt werden: Und dies kann sich gerade eine alternde Gesellschaft nicht leisten.
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Erinnern wir uns am Ende noch einmal an den Ausgangsund Startpunkt für dieses Buch: Noch nie gab es eine Gesellschaft solch langen Lebens, aber noch nie gab es auch ein solch umfassendes und differenziertes Wissen zu Aspekten des Alterns und zu ihren gesellschaftlichen Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Wissenschaftliche Befunde und theoretische Vorstellungen darüber, wie diese Befunde zu interpretieren und anzuwenden sind, ermöglichen heute das Zeichnen eines überaus farben- und facettenreichen Bildes von Altern – wissenschaftlich und in Bezug auf die reichhaltigen Möglichkeiten von Interventionen und gesellschaftlichen Veränderungen. Was sind nun die wichtigsten Erkenntnisse unserer Arbeit? Wir möchten Ihnen dazu das Folgende mit auf den Weg geben: Punkt 1: Altern erscheint heute auf allen fundamentalen Analyseebenen (biologisch, sozial, psychologisch, gesellschaftlich und interventionsbezogen) als ein höchst heterogenes und vielfältiges Geschehen, dessen größter wissenschaftlicher und gesellschaftlicher „Feind“ die Suche nach einer „Einfachstruktur“ ist. Begreifen Sie Altern als ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, das keine Einseitigkeiten (seien diese zu negativ oder zu positiv) verträgt und das uns gleichzeitig
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auffordert, Widersprüche und Paradoxien auszuhalten. Wir verfügen im Altern auf der einen Seite immer weniger über jene Ressourcen, die wir bräuchten, um frühere Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite ist Altern, vor allem das hohe Alter, die Zeit der endgültigen Verankerung im Leben (Generativität, Ich-Integrität), nicht unerhebliches Auskosten des Lebens und der verbliebenen Ressourcen (Zeit, Geld, soziales Miteinander, anderen etwas geben) und gleichzeitig die Zeit der Abschiednahme und der Anerkennung einer Grenze des Lebens. Das ALLES ist Altern, es geht stets um die Wahrung der Mehrdimensionalität und Ganzheitlichkeit, ganz individuell, in der wissenschaftlichen Betrachtung und in gesellschaftlich-politischen Engagement- und Sorgeformen für das Alter. Punkt 2: Wir verstehen Altern wissenschaftlich weiterhin nur in engen Grenzen. Sicher, unsere Konstruktlandkarte kann Orientierung geben und hat Ihnen hoffentlich ein wenig geholfen, die Vielfältigkeit der heutigen Alternsforschung besser zu überblicken und Vernetzungen zwischen den Disziplinen eingehender zu verstehen. Müssen wir aber ein Phänomen vollständig verstehen, um es verändern und gestalten zu können? Nein, eher umgekehrt: Ab einem gewissen, guten Erkenntnisstand ist es sinnvoll, unseren Forschungsgegenstand mutig, mit Bedacht, mit unerwarteten Ideen und natürlich ethisch vertretbar zu verändern – und damit Neues über ihn zu erfahren. So lernt die Alternsforschung bis heute in erheblicher Weise von Altersinterventionen, die ein immer prägnanteres Bild der Reichhaltigkeit der Plastizität des menschlichen Alterns zeigen. So war es überaus wichtig, dass Alternsforscherinnen und Alternsforscher die systematische Gestaltbarkeit des Alterns früh zum Forschungsprogramm erhoben und das Belächeltwerden, zum Beispiel bei den ersten kognitiven
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Trainings Anfang der 1970er Jahre oder im Bereich des Krafttrainings mit PÁegeheimbewohnern Anfang der 1980er Jahre, ausgehalten haben. Heute verfügen wir über eine gut gefüllte „Toolbox“ an Interventionsverfahren, die vor allem die Bereiche der Prävention und Rehabilitation in völlig neue Sphären gebracht haben. Diese „Toolbox“ umfassend und nachhaltig anzuwenden, würde wahrscheinlich unser Gesundheitssystem, unsere „Public Health“-Landschaft in Bezug auf die Möglichkeiten, auch mit den fragilen Seiten des Alterns produktiv umzugehen, revolutionieren. Vielleicht dürfen wir aber auch die Latte nicht zu hoch hängen: An dieser Stelle deutlich mehr als bisher zu erreichen, wäre schon sehr viel. Hier war es unser Anliegen aufzuzeigen, was heute schon alles möglich ist. Punkt 3: Unsere Gesellschaft hat in den letzten zwei Jahrzehnten durchaus viel getan, um die Alternsthematik als gesellschaftliche „Entwicklungsgelegenheit“ zu erkennen, das heißt sie nicht nur als Belastung und Kostenfaktor, sondern als Chance und Potenzial zu begreifen. Dennoch müssen die grundlegenden Weichen noch einmal neu gestellt werden, um diesem Ziel beharrlich näher zu kommen. Was wir brauchen, ist die nicht immer leichte, aber stets reizvolle Melange aus Globalität und Lokalität. Es geht, global, um große und anspruchsvolle Themenfelder mit weitreichenden Implikationen: 1) Wissen über Altern besser vermitteln, 2) kreative Formen der Einbindung und Förderung von alternden Menschen anstoßen und umsetzen, 3) die Möglichkeiten des Engagements und des Einbringens der weitreichenden Expertiseformen des Alters noch stärker „entfesseln“, 4) das Miteinander der Generationen als eine Fundamentalanforderung alternder Gesellschaften und ihrer Kultur begreifen, 5) auf menschenfreundliche Umwelten höchsten Wert legen, 6) den Seniorenmarkt als bedeutsamen Faktor des Wirtschaftsstandortes
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Deutschland weiter ausbauen, 7) die erheblich unternutzten Präventionsmöglichkeiten in Bezug auf gutes Altern besser in die Alltagswelten des Alterns transportieren, 8) den qualitätsvollen Umgang mit Krankheit und PÁegebedürftigkeit als „vornehme“, wenn nicht „vornehmste“ Aufgabe einer alternden Gesellschaft verstehen, 9) das Thema des Sterbens und der Endlichkeit der menschlichen Existenz in stärkerem Maße als individuelle und gesellschaftliche Aufgabe verstehen und 10) neue Anforderungen an die Alternsforschung selbst richten. Auf diese „zehn Gebote“, so unser Argument, kommt es in unserer alternden Gesellschaft heute und morgen in besonderer Weise an, hier müssen wir HEUTE die Weichen richtig stellen, damit wir MORGEN dem Globalziel einer „alten“ Gesellschaft mit gut austarierten Interessen, gegenseitiger Wertschätzung der Generationen, kurz, einem produktiven Miteinander, ohne die unterschiedlichen Bedürfnisse von Teilgruppen unserer Gesellschaft zu vernachlässigen, noch deutlich näher kommen, als dies heute bereits der Fall ist. Aber auch das lokale Element ist hoch bedeutsam: Die vielen innovationsträchtigen und kreativen Ansätze einer neuen Kultur des Alterns, viele kommen „von unten“, bedürfen einer noch überzeugenderen Anerkennung, Förderung, kritisch-konstruktiven Begleitung. Und gleichzeitig gilt es, neue Impulse zu geben, in enger Abstimmung mit Erkenntnissen und Evidenzen der Alternsforschung. Hier liegen die Aufgaben guter Seniorenpolitik oder guter Generationenpolitik, die vor allem auf der kommunalen Ebene in der Fläche gesehen noch besser zur Entfaltung kommen muss. Punkt 4: Altern individuell zu gestalten, alternde Gesellschaften zu gestalten – das geht ohne eines nicht: etwas dafür zu tun! Menschen müssen ihr eigenes Altern noch engagierter und bewusster in die Hand nehmen, die Aufgabe der Ge-
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staltung eines langes Lebens noch besser begreifen, hier eine noch „höhere Verarbeitungstiefe“ erreichen. Das kann nur im Wechselspiel mit lebenslangen Bildungsangeboten geschehen, die, so unser Argument, früh im Leben beginnen müssen. Dies alles sind reizvolle Aufgaben, so hatten wir immer wieder gesagt. Aber ebenso gilt: Die unterschiedlichsten Akteursgruppen sind gefordert. Es muss auch von professioneller Seite noch mehr dafür getan werden, die Herkulesaufgabe einer Gestaltung der alternden Gesellschaft nicht primär nach dem Kodex des Belastungsdiskurses, sondern vor allem nach dem Kodex der Chancenmaximierung für alle Generationen und der Entfaltung und „Entfesselung“ neuer Potenziale im Sinne der Weiterentwicklung unserer Kultur anzugehen und einer Lösung zuzuführen. Einen Schlüssel hierzu sehen wir in dem Begriff der Mitverantwortung in einem mindestens zweifachen Sinne: Nicht zuletzt die Älteren selbst mit ihrer historisch so noch nie dagewesenen Ressourcenausstattung haben Verantwortung für die alternde Gesellschaft zu übernehmen, diese mitzugestalten und auszudifferenzieren. Viele tun dies bereits; Seniorenorganisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) leisten vielfältige Beiträge, dies zu fördern und in immer neue Bahnen zu lenken. Aber auch die von uns immer wieder adressierten Akteure stehen hier mit in der Verantwortung, müssen ihren Teil leisten, damit Altern zu einer Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden kann – und, wie wir meinen, auch werden wird.
Literatur
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Bildnachweis
Leistungsfähigkeit im Alter. In K. U. Mayer & P. B. Baltes (Eds.), Die Berliner Altersstudie (S. 351–377). Berlin: Akademie Verlag, S. 368 Abb. 5.4: Aus: Pohl, R. (2007). Das autobiograÀsche Gedächtnis. Die Psychologie unserer Lebensgeschichte. Stuttgart: Kohlhammer, S. 20. Abb. 5.5: Nachgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Ursula M. Staudinger nach: Staudinger, U. M., & Baltes, P. B. (1996). Weisheit als Gegenstand psychologischer Forschung. Psychologische Rundschau, 47, 57–77, S. 67. Abb. 5.6: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart. Abb. 5.7: Nachgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Jochen Brandtstädter nach: Brandtstädter, J. (2006). Das Áexible Selbst. Selbstentwicklung zwischen Zielbindung und Ablösung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, S. 185. Abb. 5.8: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Ulman Lindenberger modiÀziert nach: Smith, J., & Baltes, P. B. (1996). Altern aus psychologischer Perspektive: Trends und ProÀle im hohen Alter. In K. U. Mayer & P. B. Baltes (Eds.), Die Berliner Altersstudie (S. 221–250). Berlin: Akademie Verlag, S. 510. Abb. 7.2: Copyright © 2009 by the American Psychological Association. Angepasst mit Genehmigung nach: Baltes, P. B., Dittmann-Kohli, F., & Kliegl, R. (1986). Reserve capacity of the elderly in aging-sensitive tests of Áuid intelligence: Replication and extension. Psychology and Aging, 1(2), 172–177, S. 174. Abb. 7.3: Baltes, P. B., Lindenberger, U., & Staudinger, U. M. (1995). Die zwei Gesichter der Intelligenz im Alter. Spektrum der Wissenschaft, 52–61, S. 55.
Sach- und Personenindex
A Abhängigkeit bewusst angenommene 488, 490 dysfunktionale 488f Abhängigkeitsorientierung 287 Abrufstrukturen 142 Acetylcholin 102 active life expectancy 453 active state 452 Adaptation 285 Adecco Institute 46, 55 Adult Development and Enrichment Project 252 aerobe Fitness 32 Ageism 213 Begriff 397 Theorie 404 These 213, 241, 404 „Agenten“ eigener Entwicklung 517 Akkommodation 176, 178, 189 Aktionsradius 420 aktive Lebenserwartung 109
aktives Altern 227–230, 242 Aktivierung 474 Aktivität 111, 192, 229, 232f, 451f, 474, 519, 522 basale 462 instrumentelle 462 Aktivitätskonzepte 377 Aktivitätstheorie 227f, 231, 397 Alkoholkonsum 442 Allardt, E. 283 Alltagsanforderungen 127 Alltagsgestaltung, Autonomie 484 Alltagssituation 124 Altenbericht der Bundesregierung 75, 368, 386 AltenpÁegeheim 468 Altenquotient 35 Alter 3–5, 7–9, 25, 121, 190, 215, 335, 338f, 368, 372, 388, 398f, 401, 429, 456, 500 Alterdiskriminierung 57 älterer Autofahrer 497
548
Sach- und Personenindex
Altern 7–9, 13, 15, 80, 84, 86f, 114, 119, 122, 132, 139, 149, 152, 161, 195, 211, 215, 241f, 247f, 254, 261f, 300, 302, 305, 332f, 336f, 339f, 345–347, 351f, 388, 399, 401, 429, 444, 494, 527f, 530 alternde Gesellschaft 346, 413, 423, 425 Alternsforschung 79, 491–493, 495, 499–501, 504 Alternsmeisterung 261f, 264f, 353, 495 Altersbilder 42, 213f, 242, 278, 363, 366, 368, 379, 390, 400–402, 524 Altersbiologie 13 altersfreundliche Kultur 525 Altersgrenzen 7, 364 Altersintervention 247, 326f, 335, 498 Altersmanagement 57 Altersmedizin 13 Alterspolitik 514 Altersschichtung 208–211, 213, 398 Altersschichtungstheorie 207, 212, 520 Alterssicherung, Systeme 75 Altersstereotyp 247, 354, 362, 397, 423 Alterssurvey 381, 394f Altersvorsorge, betriebliche 72 Alzheimer-Demenz 102
American Association for the Advancement of Science (AAAS) 32 Angehörige 305, 307, 319, 469f pÁegende 304 Angehörigengruppe 305 Anpassungsniveau 188 Anregungen 125 Anti-Aging 81, 444 Antidepressiva 316 Apoptose 92, 113 Arbeitsgedächtnis 132f Arbeitsmotivation 274 Arbeitsplatzgestaltung 143 Arbeitsplatzrotation 59 Arbeitswelt 6, 44, 215, 223 Arbeitszeiten, Áexible 59 Architektur 434 Arendt, H. 38, 76, 356 Aristoteles 11 Armut, Risiko 69, 73 Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 70 arterielle Verschlusskrankheit 183 Arteriosklerose 101, 104, 311 Arthritis 443 Arthrose 101, 443 Assimilation 176, 178, 189 Assisi, F. von 380 Atchley, R. 233 Atmungsorgane 101 Atmungssystem 104 Aufmerksamkeit 132
Sach- und Personenindex
Prozesse 130 Austad, S. N. 95 Austauschtheorie 397 autobiograÀsche Erinnerung 132 Autonomie 472, 474 Autonomiebedürfnisse 472 Autorengruppe Bildungsberichterstattung 67 B Baas, S. 431 Babyboomer 173 Bach, J. S. 20, 22 Backes, G. M. 243 Baltes, M. M. 178, 225, 245, 488 Baltes, P. B. 120, 127, 148, 183, 191, 245, 252, 255, 341, 418 Barrierearmut 513 Basic Needs Approach 283f Bayley, J. 16 Beauvoir, S. de 14 Becker, S. 285 bedeutsame Andere 282 Begley, L. 16 BehindertenpÁege 287 Behinderung 109, 453, 459 Belastung 180, 188, 192, 263 kognitive 144 psychische 144 Verarbeitung 180, 477 Belastungsdiskurs 363, 531 Benn, G. 15f
549
Berichtssystem, Weiterbildung 272 Berliner Altersstudie 120, 183, 190, 221, 298 Bertelsmann Stiftung 62, 76, 508 beruÁiche Leistungsfähigkeit 144 beruÁicher Status 276 Berufsbiografen 71 Beschäftigungsquote 48f Besuchsdienste 321 Bevölkerung, Altersaufbau 34 Bevölkerungsszenarien 30 Bewältigung 180 emotionsregulierende 188 handlungsorientierte 188 interpersonal orientierte 188 intrapersonal orientierte 188 Bewältigungsstrategie 189 Bewegungsmangel 442 Bewusstseinskontexte 479–481 argwöhnische Bewusstheit 481 geschlossene Bewusstheit 480 offene Bewusstheit 481 wechselseitige Täuschung 481 Bickel, H. 311, 467 Big Five 151 Bildung 31, 64, 68, 122, 125f, 191, 217f, 224, 229, 265f, 269, 327, 384, 431
550
Sach- und Personenindex
Partizipation 67 Sozialisation 347 Bildungsabschluss 276 Bildungsangebote 362, 371, 435, 455 Bildungsbenachteiligungen 218 Bildungsinteresse 274f Bildungsmotivation 271 Bildungspolitik, präventive 268–270 Bildungsschicht 217f, 393 Bildungsstand 67, 279, 286, 371, 406 Bilger, F. 66f, 76 BiograÀe 238, 485f BiograÀearbeit 238 Biomorphose 9, 92 Bluthochdruck 108, 456 Böhm, K. 328 Böll, H. 15 Bonner Gerontologische Längsschnittstudie 232, 234, 238 Borkenau, P. 154 Börsch-Supan, A. 52f bösartige Neubildungen 310 Brand, M. 114 Brandtstädter, J. 176f, 179, 196 Brecht, B. 15 Brendel, A. 20, 23, 27 Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) 437, 508, 531
Bundesministerium für Arbeit und Soziales 70, 74, 76 für Bildung und Forschung 272 für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 77f, 368, 437, 469 Bundestag 513 Butler, R. 213, 397, 404 C Caenorhabditis elegans 91 Cannstatt 12 Carstensen, L. 161f, 178, 235 Casals, P. 20, 25–27 Cato 134 Cholesterinwert 311 Cicero 11, 134 Clemens, W. 243 Colcombe, S. J. 32 Commitment 226 Computer 137 Concern 226 Costa 151, 154 Cranach, L. 18 Cumming, E. 232 Curricula 350 D Daseinsvorsorge 37 Deka-Bank 60 Dekodierung 130
Sach- und Personenindex
Demenz 9, 16, 31f, 101f, 127, 129, 132, 190, 280f, 298, 305, 408, 412f, 419, 465, 497–499, 502, 508 Alzheimer 102, 106 vaskuläre 102 DemograÀetools 56 demograÀsche Entwicklung 466 demograÀscher Fitness-Index 46f demograÀscher Wandel 29, 56, 222, 229, 346f, 351, 364f, 375, 518f, 523 Denken 118, 145, 252 dialektisches 357 divergentes 355f Flexibilität 356 Flüssigkeit 356 konvergentes 356 kreatives 356 logisches 117 Originalität des 356 schlussfolgerndes 117 synthetisches 357 Depravation 284 Depression 102, 127, 186, 298, 313, 397, 442, 468 depressive Störung 316 Depressivität 163, 165, 259 deterministische Prozesse 91, 113 deterministische Ursachen 92 Diabetes 108, 126, 183, 258, 443
551
Dialogform 485 Dienstleistungen 367, 424, 431, 433f Dienstleistungseinrichtungen 422 Diewald, M. 243 Ding-Greiner, C. 457 Dinkel, R. 453 Disease Management 297 Programme 294–297 Strategien 434 Disengagement 161, 231, 341 Theorie 158, 231, 234, 397 Diskriminierung 213 Dittmann-Kohli, F. 252 Diversität 337f DNA 92f chromosomale 91, 93 mitochondriale 93 Drittes Alter 335 duale Aufgaben 122 Dürenmatt, F. 15 E Ebbinghaus, H. 128 Ehrenamt 320, 364 ehrenamtliche Tätigkeit 383 ehrenamtliches Engagement 513 Eingliederungsbereitschaft 224 Einkommen 73, 122, 191, 218, 220, 471 Alterseinkommen 72 Haushaltsnettoeinkommen 277
552
Sach- und Personenindex
Nettoäquivalenzeinkommen 70 Struktur 71 Ungleichheit 73, 316 Vermögen 70 Einkommenssituation 70 Einpersonenhaushalt 393 Einsamkeit 158, 163, 263 Emotion 135, 295 Emotionalität 295f, 300 Empowerment 229, 437 Endlichkeit 156, 477, 485, 525, 530 Engagement 41f, 155, 158, 223, 229, 232, 365, 375, 377–381, 386, 388, 390, 396, 422 bürgerschaftliches 384–386 ehrenamtliches 264, 382–384, 387 freiwilliges 382 politisches 376 Quoten 381 zivilgesellschaftliches 377 Engagementbereitschaft 390 Engstler, H. 381 Enkodierung 130 Enquéte-Kommission „DemograÀscher Wandel“ des Deutschen Bundestages 45 Entspannung 296 Entwicklung 329, 331 Entwicklungsaufgabe 54, 60, 153, 156, 264, 518 Entwicklungschancen 447 Entwicklungsgewinne 402f
Entwicklungsmöglichkeit 339 Entwicklungsverluste 402f epigenetisches Prinzip 237 Erbanlage 89f Erfahrungswissen 140f erfolgreiches Altern 227 Ergotherapie 304 Erikson, E. H. 140, 193, 225, 227, 236f, 243, 523 Erinnerungsfunktion 24 Erlebnisschichtung 203f Erwachsenenbildung 218 Erwerbsbeteiligung 219 Erwerbsbevölkerung 45 ErwerbsbiograÀe 69 Erwerbspersonenpotenzial 44, 49f, 52f Erwerbstätigkeit 276 Eschenbach, W. von 14 Ethno-Gerontologie 503 Europäische Kommission 58f Eurostat 48 Evolution 119, 163 evolutionäre Perspektive 163 Evolutionsphysiologie 95 Existenzpsychologie 450 Expertenleistung 143 Expertise 119, 142, 248, 337, 375 Extraversion 151 F Fachärzte für Allgemeinmedizin 511 Fähigkeitseinbußen 108
Sach- und Personenindex
Failure of Success 107 Fallmanagement 467 Familie 166, 229, 305, 365, 391f, 394f, 397, 513 familiäre Ressourcen 171 familienfreundliche Beschäftigungsstruktur 56 Àliale Reife 523 Fitness 95 Flexibilität 54, 58, 334 Flexicurity 58 Áexible Anpassung 178 Flüter-Hoffmann, C. 59 Foner, A. 206, 210, 212, 339 formale Bildung 530 Forschungsgesellschaft für Gerontologie der Technischen Universität Dortmund 438 Forschungsstrategie 500 Fort- und Weiterbildung 47 Fragilität 525 frailty 99 Frankl, V. 450 Franzen, J. 16 freie Radikale 93f, 113 Freiwilligensurvey 381 Freizeit 435 Freud, S. 237 Fried, A. 349 Fries, J. F. 109, 453 Fürst, A. 349 G Gadamer, H.-G. 449 Gebrechlichkeit 99
553
Geburtenrate 33 Gedächtnis 128, 133, 135, 357 Arbeits- 129–132, 142, 249 autobiograÀsches 131 deklaratives 131 episodisches 130 Funktion 128–130 Intervention 254 Modelle 129 prospektives 131 prozedurales 131f Prozesskapazität des Arbeitsgedächtnisses 134 semantisches 131 Training 137, 254 Gehlen, A. 136 geistige Leistungsfähigkeit 138, 140 gelingendes Alter 366 Gene Mutation 97 pleiotrope 94f Generation 42, 56, 73, 199, 201–203, 206, 241, 248, 250, 336, 370f, 376, 391–396, 399, 405, 517f, 520f, 523f Balance 56 Einheit 204 kleiner Generationenvertrag 395 Lagerung 201f, 204f Wechsel 202f Generationenfolge 205 Generationengerechtigkeit 376
554
Sach- und Personenindex
GenerationenkonÁikte 393 Generationenpolitik 513 Generationensolidarität 370, 376, 380 Generationszusammenhang 202, 204, 241 Generativität 4f, 19, 24, 193, 225–227, 242, 409, 528 Generativitätsskript 226f genetische Determinanten 104 genetische Programmierung 89 Genotyp 91 Geriatrie 12 geriatrische Rehabilitation 301, 475 geriatrisches Assessment 459 Gerontologie 12 Gerotranszendenz 194, 239f Gesamtquotient 35 Geschäftsfähigkeit 473 Geschlecht 208, 217, 269, 456 Geschlechterrolle 460 Geschlechtsrollenerwartung 221 Geschlechtszugehörigkeit 276 Gesellschaft 201–203, 205, 207–212, 215, 227, 231, 241, 248, 266f, 289, 327, 347, 353, 358, 366, 379–381, 387, 410, 430, 503, 526 Abwertung 402–404 Anforderungen 402 gesellschaftliche Akteure 507 gesellschaftliche Altersstruktur 521
gesellschaftliche Integration 421 Gesetz der Mortalität 89 gesetzliche Rentenversicherung 75 gesunde Organisationen 63 Gesundheit 192, 258, 269f, 286, 311, 348, 372, 376f, 406, 433f, 449–452, 455f, 474f, 522 Ausgaben 324 Behandlungskosten 326 kognitive 249 Kosten 324, 326 psychische 249, 446, 455 Risikofaktoren der 442f Schutzfaktoren der 442 subjektiv erlebte 451, 453–455 Gesundheitsangebote, betriebliche 62 Gesundheitsbegriff 449, 452, 474 Gesundheitsberufe 433, 512 Gesundheitsdienstleistung 434 Gesundheitsförderung 62 Gesundheitsverhalten 451, 519 Gewinne 331, 401 Entwicklungsgewinne 188 Gewinn-Verlust-Balance 332 Gewissenhaftigkeit 152f Glaser, B. G. 479f Gleich, J. 349 Goethe, J. W. von 14 Gogh, V. van 18f Gompertz 89
Sach- und Personenindex
GratiÀkationskrise 416 Grenzen 188, 517 Grenzsituation 139–141, 483f, 523f Grimm, J. 12 Großeltern 164 Großmütter 164f Großmutterthese 164 Großväter 164f Gu, X. 108 Guilford, J. P. 355f gutes Leben 483 Gutzmann, H. 114 H Häfner, H. 28, 114 Hallauer, J. 467 Hamdorf, S. 328 Händel, G. F. 20 Handlungsstrategien 142, 362 Hans-Böckler-Stiftung 62 Harmonie 361 Härtling, P. 348f hartnäckige Zielverfolgung 179 Haupteffekt 166 HauptpÁegeperson 469–471 Hausgemeinschaft 408 Havighurst, R. 227, 331 Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei demenzkranken Menschen (HILDE) 285 Heilen 324 Heilung 324 Heime 408, 416–419, 467f Heimbewohner 465
555
Helbig, E. 349 Hemingway, E. 15 Henry, W. E. 231f Herzerkrankung 459 koronare 108 Kreislauf-Erkrankungen 103, 126, 258, 310, 443 HerzinsufÀzienz 183, 456 Hesse, H. 15f Heterogenität 6, 216, 228, 242, 337f, 340, 364f, 377, 410, 431, 436, 489, 524 Heuft, G. 316 Heyl, V. 28, 181, 197, 341 Higgins, C. 15 Hilfebedarf 394 Hilfebedürftigkeit 508 Hilfeformen 171 Hilfesysteme 167 homo amans 450 homo faber 450 Homogenität 216 homo patiens 450 Horaz 11 Hospize 321 Hospizhilfe 318, 320 ambulante 319 Dienste 319 Hospizteam 321 stationäre 319 Huchs, R. 17 Humankapitalhypothese 217f Humanvermögen 42, 388f Hyperlipidämie 183 Hypertonie 183, 459
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Sach- und Personenindex
I Ich-Identität 226, 233, 236–240, 398, 422 Ich-Integrität 140, 194, 237, 523, 528 Igl, G. 328, 465 Immunsystem 90, 101 Individualisierung 170 Industrialisierung 228 Informationsgesellschaft 431 Informationsmedien 414 Informationstechnologie 425 Informationsverarbeitung 107, 117, 133f Geschwindigkeit der 7, 142, 144, 249, 337 Verarbeitungskapazität 357, 143 informelle Kontexte 520 Initiative Neue Qualität der Arbeit 57 Innovationen 520 Innovationsfähigkeit 44, 363, 373, 375, 519 Innovationsmotor 369 Innovationspotenzial 367 Innovationsschub 209 Institut der deutschen Wirtschaft 55 Institut zur Zukunft der Arbeit 50f Intelligenz 250, 252, 357 Áuide 358 Forschung 13
kristalline 358 Mechanik der 336 Pragmatik der 336 Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters 378, 382, 384, 387, 389, 393f Interesse 357 intergenerationelle Beziehung 365 intergenerationelle KonÁiktpotenziale 365 intergenerationelle Solidarität 520 Internationalität des Alterns 502 Internet 305, 409, 425 Intervention 256, 501 Interventionsgerontologie 245, 264, 340 Interventions-Kontroll-Studie 251 Intimität 160, 162 auf Abstand 392 J Jahresarbeitszeitkonten Jaspers, K. 141 Joas, H. 359
60
K Kalbermatten, N. 272 Kansas City Study of Adult Life 232 kardiovaskuläre Erkrankungen 446
Sach- und Personenindex
Karzinomerkrankungen 258, 443 Kaufmann, F. X. 76 Keseberg, A. 322 Kirkwood, T. B. 95, 98f Kliegel, M. 196 Kliegl, R. 252 Kognition 295 kognitive Verluste 408 Köhler, H. 41 Kohli, M. 243 Kohorte 206–209, 211f, 241, 371 Kolland, F. 274 Kommunalpolitik 522 Kommunen 43, 270 Kommunikation 291, 473, 479, 482, 485 Barrieren 292 Verhalten 292 Kommunikationsmedien 414 Kommunikationstechnologie 425 Kompensation 4 Kompetenz 5f, 38, 42, 63, 109f, 291, 303, 365f, 389, 432, 453–455, 472f Alltags- 124, 444 beruÁiche 57 Verhaltens- 290 Kompetenzeinbußen 433 Komplexität 359–361 KonÁikte 192 Können 118 Konstrukte 82, 84–86, 329
557
Konsumenten 429 Konsumentendifferenzierung 432 Konsumentengruppe 435 Konsumentenrolle 430 Konsumentenverhalten 429f Konsumgüter 436 Kontinuität 154, 233f, 236, 523 äußere 233 innere 233 Kontinuitätstheorie 233f Kontrolle 178, 288, 359 primäre 178 sekundäre 178 Überzeugungen 398, 454f Koronare Herzkrankheit 183 körperliche Leistungsfähigkeit 458 Kräfte des Alters 40 Krafttraining 112 Krankengymnastik 304 Krankenhausaufenthalt 466 Krankheit 293f, 309, 311, 449f, 523, 530 Krankheitsdisposition 456 Krankheitsmanagement 433 Kray, J. 117, 120 kreative Potenziale 358, 363, 366 Kreativität 20, 59, 195, 225, 355–361, 363, 365, 369, 387, 450, 526 integrierte 359 Kreativitätsforschung 355 Krebserkrankungen 101 Krebsrisiko 112
558
Sach- und Personenindex
Krebszellen 90, 92 Kreislauferkrankungen 311 Kreislaufsystem 104 Krisen 237 Kruse, A. 27f, 50, 56, 59f, 76, 196, 247, 258, 290, 328, 341, 378, 387, 399, 441, 445, 451, 458, 472, 484 Kübler-Ross, E. 477f Kuhlmey, A. 328 Kultur 435, 503, 507, 526 altersfreundliche 388 des Alterns 509 eines neuen Alterns 507 Kurzzeitspeicher 129 L Laborforschung 123 Lang, E. 457 Lang, F. 158, 196, 225 Langlebigkeit 90 Langzeitspeicher 129, 132 Lärm 306 Lawton, M. P. 292 Lebensarbeitszeitkonten 60 Lebensbewertung 292 Lebensende 489 Lebenserfahrung 119, 138, 140, 195, 248, 359 Lebenserwartung 30–32, 220, 522 aktive 109, 113, 453 behinderungsfreie 109, 453 Lebensfond 205 Lebensgestaltung 347, 455 Lebensglück 192, 196
lebenslange Bildung 348 lebenslanges Lernen 267, 278, 371, 520 Lebenslauf 4, 9, 207, 212, 221, 335, 345–347, 380 Lebensphasen 61 Lebensqualität 39, 183, 186, 280–283, 290–294, 297f, 301, 321, 425, 438, 482, 498, 502 Circumplex-Modell von 285 Lebensrückblick 135, 194, 238 Lebensspanne 332, 372 individuelle 91 Verkürzung der 98 Lebensspannenperspektive 334f Lebensstil 234, 259, 269, 377, 451 Lebensstruktur 282 Lebenszufriedenheit 189f, 192, 196, 232, 289, 398, 451, 454, 473 Lehr, U. 245, 331 Lehrerinnen und Lehrer 509 leichte kognitive Beeinträchtigung 249 Leistung, Rückgänge 182 Leistungseinbußen 143, 263 Leistungsfähigkeit 7, 56, 114, 195, 249, 269, 372, 377, 456 beruÁiche 54, 62, 143 biologische 60 geistige 121, 126, 340 intellektuelle 357 kognitive 60, 105, 251, 338, 430, 444, 454
Sach- und Personenindex
körperliche 259, 327, 340, 444 physische 454 Leistungsgrenze 143 Leistungskapazität kognitive 453 physische 453 Lernen 134 formales 65 informelles 65, 268 latentes 164 lebenslanges 133 nonformales 65, 268 Lernfähigkeit 371 Leukozytenantigen 91 Level of Living Approach 280, 284f Ansatz 282f Levinson, D. 282 Lifestyle-Faktor 311 Lindenberger, U. 117, 120f, 255 Logotherapie 450 Luther, M. 18 M Mackensen, F. 17 Makula 295 Makuladegeneration 184, 295 Malignome 183 managed care 512 Mannheim, K. 201–205, 520 Manton, K. G. 108 Marginalisierung 397f, 417 Marginalisierungsthese 397 Markowitsch, H. J. 114
559
Martin, M. 28, 196 Mayer, K. U. 120, 183, 243 McAdams, D. P. 225f McCrae 151, 154 Meander 11 Mechanik der Intelligenz 115, 117–120, 124, 140 Medikation 468 Medizinausbildung 512 Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) 470 Mehrdimensionalität 194, 528 Mehrdirektionalität 194 Mehrgenerationenhausgemeinschaft 408 Mehrgenerationenwohnen 156, 170, 308 Mehrpersonenhaushalt 393 Meier-Baumgartner, H.-P. 245 Melanchthon, P. 18 menschenfreundliche Umwelt 407f, 420, 423, 427 Menschlichkeit 424 Mensch-Maschine Forschung 502 Mix 173 Menuhin, Y. 20, 24f Metchnikoff, E. 12 Meyer-Hentschel-Institut 438 Migranten 223 Migration 222, 269 Mikrozensuserhebung 2002 279 mild cognitive impairment 249
560
Sach- und Personenindex
Mimik 473 Mindestsicherung 75 mitochondriale DNA 93 Mitochondrien 94 Mitverantwortung 38f, 41f, 209, 368f, 388, 525, 531 Mobilität 185, 421, 431, 462 Einbußen 408 Muster 426 Modersohn, O. 18 Mollenkopf, H. 420 Morbidität 220 Kompression der 107–109, 113, 453 Risiken 217 Morgenstern, C. 526 Mortalität 94, 106, 220 Gesetz der 89 Raten 104, 311 Risiken 217 Motivation 135, 357 Motivlage 452 Mühlum, A. 318 Müller, D. H. 349 Müller, R. 469 Multidimensionalität 336 Multidirektionalität 336f Multimorbidität 294, 443, 460 Musikalität 24f Muskelkraft 100, 112 N Nachbarschaft 420 Nacherwerbsphase 519 Nachhaltigkeit 370
Naegele, G. 328, 438 Nager, F. 324 narzisstische Krise 316f narzisstische Verletzung 316f Nascher, I. L. 12, 245 2. Nationaler Bildungsbericht 67 Nell-Breuning, O. von 368 NEO FFI 154 Nervenleitgeschwindigkeit 118 Nervenzellen 92 Neubildungen, bösartige 103 neue Kultur des Alterns 530 neue Wohnformen 508 neues Alter 208, 521 Neugarten, B. 227, 331 Neurotizismus 151, 153, 156 Nierenfunktion 100 Nilsson, U. 349 nonformale Kontexte 520 O OECD 48f Offenheit 152, 155, 173, 175, 331, 357, 359, 363, 526 Zukunfts- 162 öffentliche Räume 38–40, 408, 413, 517 öffentlicher Diskurs 368 Opioidgabe 322 Organfunktion 456 Organisation, gesunde 63 Organreserven 101 Organsystem 457
Sach- und Personenindex
Originalität 356, 359 Ostendorf, F. 154 Osteoarthrose 183 Osteoporose 101, 183 Oswald, F. 305, 420 Oswald, W. D. 256 Ottawa-Deklaration 451 der Weltgesundheitsorganisation 452 P Paarbeziehung 170 Palliation 488 Palliativmedizin 323f pallium 488 Parsons, T. 231 Partizipation 57, 63, 204, 338, 397, 451 PartnerpÁege 470 Partnerschaft 169 Peck, R. 237 Pensionierung 184 perceived health 453 Person 452 Personalentwicklung 60 Personalentwicklungsmaßnahmen 52f Persönlichkeit 149f, 152, 187, 195, 237 Eigenschaften 151, 153 Merkmale 166 Wachstum 157, 248, 447 Person-Umwelt Beziehung 407, 415 Interaktion 289
561
Passung 339 PÁege 302f, 432, 449, 475 Akademisierung der 303 Dokumentation 468 körperliche Dimension 461 seelisch-geistige Dimension 462 soziale Dimension 463 therapeutische aktivierende 462 PÁegebedarf 36, 165f, 394, 446, 473 PÁegebedürftige 470 PÁegebedürftigkeit 183, 186, 188, 248, 327, 417, 462, 464f, 508, 522, 530 PÁegefachkräfte 287 PÁegefachpersonen 286 PÁegekonzepte 463f pÁegende Angehörige 167 PÁegepotenzial 418 PÁegequalität 302f, 418 PÁegerobotik 424, 426 PÁegestufe 469 PÁegeversicherung 166 PÁegeversicherungsgesetz 464 Phänotyp 91 Phasenmodell des Sterbens 477f Phasen- und Stufenmodelle 238 PISA-Studie 224 Planungsprozess 259 Plastizität 54, 247, 250, 326, 340f, 528
562
Sach- und Personenindex
Platon 11 Pohl, R. 129f politischer Diskurs 364 Positivitätseffekt 135 Potenziale 356, 362–371, 380, 390, 401, 405, 447, 514, 517, 519, 524 Gesellschaft 354 kreative 358, 363, 366 Veränderung 38 Präferenz 472f Pragmatik der Intelligenz 115, 118–120, 138 Prävention 62, 371f, 441, 475 Ansätze 31 funktionelle 454 primäre 441 sekundäre 441 Strategien 447 tertiäre 442 Präventionsforschung 494 Präventionspotenziale 260, 455 Primärbetreuung 458 Privathaushalt 408, 415, 465f Problemlösen 296 Problemlösepotenziale 369 Produktinteresse 522 produktive Potenziale 519, 521 Produktivität 44, 56, 59, 225, 274, 375, 387, 523, 526 Produktivitätsdiskurs 363 professionelle Dienste 451 Programmierung 91 progressive Muskelentspannung 296
p53-Protein 92 Proteinbiosynthese 93 Prozesse deterministische 92 stochastische 92 psychische Widerstandsfähigkeit 180 Psychoanalyse 299 Psychomotorik 142 Psychopharmaka 468 psychosomatische Medizin 450 psychosoziale Präferenz 290f Psychotherapie 298f Puffereffekt 166 Q Quality of Life 281f Ansatz 282–285 Quetelet 12 R Radbruch, L. 323 räumliche Umweltoptimierung 305f Regulationsmechanismen 98 Rehabilitation 245, 301, 432, 473, 501 Rehabilitationspotenziale 110, 453 Reichies, F. M. 121 Reifung 10 Reinkemeier, M. 114 Reisen 431f Religiosität 315 Reminiszenz 238 Renner, G. 177
Sach- und Personenindex
Rentenversicherung, gesetzliche 75 Reparaturfunktion 97 Reproduktionsphase 96 Reservekapazität 127 Resilienz 187, 195, 332, 454f BeeinträchtigungsRessourcen-System 187 Ressourcen 5, 43, 73, 122f, 221, 241, 280, 282, 286, 288–290, 363, 385, 387, 405, 519, 524 Aufmerksamkeits- 122 des Alters 370 Ànanzielle 43, 68, 71, 187, 209, 314, 362, 376 geistige emotionale 22 gesellschaftliche 389 kognitive 124f, 132, 255 materielle 403, 411 psychische 336 soziale 158 zeitliche 164 Rieckhoff, J. 349 Rieckhoff, S. 349 Riley, M. 206f, 210, 212, 339 Risikobereitschaft 357 Risikofaktoren 372 Risikokonstellation 339, 443 Risikoverhaltensweise 445f Roboter 171 Robotik 143, 433 Rollen 232, 234, 240 Rollenverluste 397 Rosenbladt, B. von 66f, 76 Rosenmayr, L. 358 Rosow 397
Roth, P. 17 Rubenstein, L.
563
245
S Salthouse, T. A. 133 Schaeffer, D. 328, 417 Schäufele, M. 465 Scheidung 174 Schlaganfall 105 Schlaganfallerkrankungen 443 Schmerztherapie 321f Schmitt, E. 399, 403 Schmitt, M. 378, 387, 431 Schmitt, V. 349 Schneekloth, U. 416, 465, 469 Schulunterricht 278 Schwächen 6f, 81, 139, 213, 388, 436, 514 Seelsorge 485 Selbst 149, 178, 239f, 282 Selbstaktualisierung 472, 474 Selbstbestimmung 291, 383f, 472, 486, 490 Selbstbild 398 Selbsthilfe 385 Selbstorganisation 43 Selbstorganisationspotenziale 270 SelbstpÁegefähigkeit 472f Selbstsicherheit 263 Selbstsorge 37, 372 Selbstständigkeit 7, 109f, 266, 270, 278, 280, 286f, 291, 295, 300, 306f, 336, 409, 422, 433, 451, 453, 455, 459f, 462, 472–475, 484, 490
564
Sach- und Personenindex
Verluste 307 Selbstständigkeitsorientierung 287 Selbstverantwortung 42, 372, 409, 462, 482f, 489, 525 Aspekte der 484 Selbstverwirklichung 284 Selbstwertgefühl 398 Selbstwirksamkeit 168, 264, 433 Überzeugung 398 Selektion, evolutionäre 112f Selektionsdruck 94f Selektionsschatten 94 self-management 296 Seniorenmarkt 434 Seniorenreisen 435 Seniorenwirtschaft 429f, 432, 435f, 438 sensorische Einbußen 408, 497 Serotonin 102 Sexualität 174 Shakespeare, W. 14 Silbermarkt 69 Singles 169f, 174, 410, 431 Singularisierung 431 Sinn Lebenssinn 192, 196 Sinnerleben 225 Sinnverlust 186 Smart-Home-Technologie 426 Smith, J. 191 Solidarität 229, 368, 526 soziale Beziehungen 158–162, 167, 184–186, 235, 314, 400 soziale Desintegration 317
soziale Differenzierung 8 soziale Gerontologie 13 soziale Integration 315, 362 soziale Kontakte 235 soziale Kontexte 124 soziale Lagerung 201 soziale Netzwerke 159, 162, 170, 235f, 263, 290, 338, 392, 399, 451 Unterstützungsnetzwerke 396 soziale Teilhabe 269f, 278, 463, 474f, 520, 525 soziale Ungleichheit 63, 69, 215, 218, 242, 316, 384, 396 soziale Unterstützung 165–167, 192 sozialer Tod 479 sozialkommunikative Fertigkeiten 463 Sozialkontakte 232, 234 Sozialpartner 171, 173 sozial-pÁegerische Dienstleistungen 436 Sozialschichten 268 sozioemotionale Selektivität 161, 234f, 399 sozioökonomischer Status 411 Spiritualität 194 Spontanität 361 Sport 435 Sprachtherapie 303 St. Aubin, E. de 225f St. Christopher’s Hospice 318 Städtebau 434
Sach- und Personenindex
Stadtplanung 434 Stärken 6f, 81, 139, 190, 213, 364, 388, 436, 514, 517 beruÁiche 141 des Alters 40, 43 stationäre Wohnformen 415f Statistisches Bundesamt 33f, 36f Staudinger, U. 28, 114, 147, 148, 197, 255 Stelzner, G. 469 Sterbealter 312, 317 Sterbebegleitung 483 Sterbebeistand 319f, 483 Sterben 156, 179, 300, 309, 320, 479, 482, 484, 486–488, 499, 523, 530 Finalstadium 320 Sterbeorte 317, 487 Sterbewahrscheinlichkeit 89 Sterblichkeit Kindersterblichkeit 30 Sterbewahrscheinlichkeit 89 Sterblichkeitskurve 89 Sternberg, R. J. 361 Stigmatisierung 397f stochastische Prozesse 92f, 113 Strauss, A. L. 479f Stressimmunisierung 263 strukturelle Divergenz 521 strukturelle Lücke 339 Strukturwandel 209 Student, J.-C. 318 Student, U. 318
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Studie Advanced Cognitive Training for Independent and Vital Elderly 256 Bedingungen der Erhaltung und Förderung von Selbstständigkeit im höheren Lebensalter 256 Stufenleiter der Natur 9 Sturz 307, 443 HäuÀgkeit 306 Prophylaxe 468 Sturzsensorik 426 subjektives WohlbeÀnden 289, 292 Subsidiarität 43, 387, 525 Subsidiaritätsprinzip 368f Suchtmittelabhängigkeit 313 Suizid 313f Handlung 313 Versuche 316 vollendeter 313 Suizidalität 316f Suizidraten 314–316 Suizidrisiko 186, 315f systolischer Blutdruck 100f T tacit knowledge 261 Teamfähigkeit 145 Technik 143, 409, 424, 5040 BiograÀe 173 Entwicklung 426, 504 Technikforschung 502
566
Sach- und Personenindex
Technisierung der Informationsgesellschaft 423 Technologie 433 Teilhabe 281, 284 Teilnahmebarriere 271 Teilungsstopp 92 Telekommunikation 424 Terminal Decline 105, 113 Tesch-Römer, C. 328, 381 Therapiepotenzial 418 Thomae, H. 154, 238, 331, 359 Tod 156, 179, 185, 231, 300, 320, 359, 479, 481, 499, 523 Todesursache 96, 309f, 312 Tornstam, L. 194, 239 Tourismus 435 Training 3, 251–254, 258–260, 263 Gedächtnistraining 255 kognitives 254 Krafttraining 435 Trainingseffekte 142 Trainingsforschung 253, 257 Translational Research 493, 495, 504 Trauer 165 Trauma 187 Tuljapurkar, S. 32 Tumordiagnose 321 Tumorpatient 321 U Übergewicht 442 Überlebenswahrscheinlichkeit 97
Überlebenszeit 461 Umstellungsfähigkeit 142 Umwelt 357, 414, 421, 423f, 452, 460 altersfreundliche 409 Barrieren 307 menschenfreundliche 409f Ressourcen 413 soziale 479, 489 Technik- 408, 424 Unterstützungsleistungen 395, 405 Unterstützungspotenziale 339, 396 Unzufriedenheitsdilemma 284 V Varley, S. 349 vaskuläre Demenz 102 Veenhoven, R. 285f, 288f Verantwortung 4, 37, 40 Verbraucherzentrale 437 Verhaltenstherapie 299 kognitive 299f Verletzlichkeit 99, 156, 188, 436, 444, 475, 514, 522 Verluste 180, 190, 327, 331, 337, 340 Erfahrungen 181, 186 kognitive 497 nonnormative 181 normative 181f Vernunft instrumentelle 486 praktische 486 Verträglichkeit 152f, 156
Sach- und Personenindex
Verwitwung 184, 431 Viertes Alter 292, 335, 418f, 431 Vinci, L. da 19 Voice Control 136 Vorsorgekontexte 291 Vorwissen 142 W Wachstum 10, 353 Wachstumshypothese 189 Wachstumsmotor 429 Wachstumspotenziale 521 Wahl, H.-W. 28, 181, 196f, 296, 298, 305, 328, 341, 378, 387, 416, 420, 431, 465, 469 Wahlbeteiligung 385 Walker, A. 229, 243 Waring, J. 206, 210, 212, 339 Weisheit 140, 147–149, 157, 195, 248 Lebens- 139, 147 Weiterbildung 54, 57, 64, 67, 270, 272, 274, 278, 334, 351, 384 beruÁiche 68 Beteiligung 67, 273 Weiterbildungsbarrieren 275f Weizsäcker, V. von 450 Wellness 81, 431, 435 Angebote 435, 444 Weltgesundheitsorganisation (WHO) 228, 450–452 Werte 289 Wertschöpfung 517 Wertverwirklichung 291
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Weyerer, S. 465 Widerstandsfähigkeit 286 Willis, S. 245 Wilson, R. S. 105 Wingenfeld 416 Wirtschaftskraft Alter 425, 429, 436f, 522 Wirtschaftsstandort Deutschland 511, 519 Wissen 118, 362 Erfahrungs- 140f, 157, 367 Fakten- 147 Lebens- 119, 149, 337 Strategie- 147 Systeme 142, 149, 187, 357, 362, 367, 371, 389f WohlbeÀnden 160, 165, 189f, 235, 259, 280–283, 285, 377, 397f, 409, 455 Wohlfahrt 281 Wohlstand 70f Wohnalltag 407 Wohnbedingungen 451 Wohnbedürfnisse 410 Wohnberatung 434 Wohnbestand 414 Wohnen 407f, 434, 496, 507 barrierefreies 412 Barrieren 124 betreutes 408, 416, 496 neues 410 Wohnraumanpassungsmaßnahme 411, 413 Wohngemeinschaft 170, 408 für Ältere 513
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Sach- und Personenindex
Wohnumfeld 408, 420–423, 434 Wohnumfeldbedingung 451 Wohnung 421f, 424 Barrieren 306 intelligente 136 Wohnungsbau 434 Wohnungsbaugesellschaft 496 Wurm, S. 381 Z Zank, S. 114, 297, 328 Zapf, W. 284 Zärtlichkeit 174 Zech, D. 323 Zeit 332f, 335, 376, 421 Erleben 333
Zell-Todesgene 92 Zentralität 400 des Alters 399f Zentralnervensystem 106f Ziele 175–178, 193, 288, 338, 472 Lebens- 444 Zielsetzung 226 Ziese, Th. 328 Zivilgesellschaft 389 Zufriedenheit 293 Zufriedenheitsparadox 285 Zukunftsperspektive 185, 235, 317 Zuwanderungssaldo 33, 35f Zuwanderungsüberschuss 33