Antike Religionsgeschichte in räumlicher Perspektive
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Herausgegeben von JÖRG RÜPKE
Mohr Siebeck
"Römische Reichsreligion und Provinzialreligion: Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte" lautet der Titel des von 2000 bis 2007 laufenden Schwerpunktprogramms der DFG, dessen Ergebnisse hier in kurzen Beiträgen vorgestellt und bibliographisch dokumentiert werden. Eine räumliche Perspektive auf antike Religionsgeschichte wird hier gegen eine Geschichtsschreibung einzelner religiöser Kulte und Traditionen als Paradigma etabliert.
ISBN 978-3-16-149378-2
Mohr Siebeck
Antike Religionsgeschichte in räumlicher Perspektive
Antike Religionsgeschichte in räullllicher Perspektive Abschlussbericht zum Schwerpunktprogramm 1080 der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Römische Reichsreligion und Provinzialreligion"
herausgegeben von
Jörg Rüpke unter Mitarbeit von Franca Fabricius
Mohr Siebeck
JÖRG RÜPKE, geboren 1962; Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Erfurt; Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 "Römische Reichs- und Provinzialreligion".
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. ISBN 978-3-16-149378-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt unter Verwendung von TUSTEP von Diana Püschel am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Erfurt. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.
Inhaltsverzeichnis Jörg Rüpke (Erfurt) Einführung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Hubert Cancik (Tübingen/Berlin) Reichsreligion und Provinzialreligion
10
Konrad Hitzl (Tübingen) Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults
13
Heike Kunz (Tübingen) Rom und die Provinz Sicilia: Zur religiösen Identität im Imperium Romanum
16
Matthias Peppel (Tübingen) «Nicht für das römische Volk, sondern für alle guten und starken Völker» (Cicero): Die Universalisierung von Religion in der späten römischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Dorothea Mohr-Sigel (Tübingen) Neue Religion in altem Gewand? Die
Christentum und die Literaturtradition am Beispiel der hexametrischen Johannes-Paraphrase des Nonnos von Panopolis . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Dorit Engster (Göttingen) Die Verehrung orientalischer Gottheiten im römischen Britannien
24
Rainer Wiegels, Wolfgang Spickermann und Frank Biller (Osnabrück) Stadt und Hinterland: Religiöse Landschaften im südlichen Niedergermanien
31
Ralph Häussler (Osnabrück) Die Transformation religiöser Landschaften in der Gallia Narbonensis
37
Alfred Schäfer (Berlin/Köln) Religionsgeschichte der Provinz Dacia
42
Ulrike Egelhaaf-Gaiser, Jörg Rüpke und Charalampos Tsochos (ErfurtiGießen) Religion in der römischen Provinz Makedonien . . . . . . . . . . . .
50
Christopher Steimle (Erfurt) Religion im römischen Thessaloniki
66
Christoph Auffarth (Bremen) Religionsgeschichte Achaeas in römischer Zeit
73
Werner Eck und Rudolf Haensch (KölnIMünchen) Die römische Armee im Osten zwischen Staatskult und lokalen religiösen Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
VI
Inhaltsverzeichnis
Christoph Markschies und Henrik Hildebrandt (Berlin) Das Christentum und die Religionen in den römischen Provinzen Pannoniens vom dritten bis zum fünften Jahrhundert - Christentum in Stadt und Land: Religiöse Transformationsprozesse in der spätantiken Provinz Dalmatia - Die Provinz Arabia als spätantike religiöse Landschaft
89
Vera Hirschmann (Heidelberg/Düsseldorf) Erforschung der novatianischen Sonderkirche und ihrer Eingliederung in die Kultur des westlichen Kleinasiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Mareile Haase (ErfurtIToronto) Provinzialreligion in Ägypten
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Günther Schömer (Jena) Opferdarstellungen im römischen Kleinasien: Kultikonographie zwischen Adaption und Distinktion - Rituale und Ikonographie in der Africa Proconsularis: Religiöses Handeln im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und Integration: Eine Gegenüberstellung . . . . 108 Angelos Chaniotis und Gian Franco Chiai (Heidelberg/Oxford) Die Sprache der religiösen Kommunikation im römischen Osten: Konvergenz und Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Jörg Rüpke (Erfurt) Literatur als Medium und als Spiegel der Verbreitung von Religion im Römischen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Darja Sterbenc Erker (Erfurt) Stadträmische Religion in globaler Perspektive: Ovids Fastenkommentar und Dionysios von Halikarnassos' Antiquitates Romanae 1-2 . . . . . . . . 135 Katharina Waldner (Erfurt) Religion erzählen: Griechische Romane als Teil des religiösen Diskurses der Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Wolfgang Spickermann (Erfurt) Lukian und die Götter der Fremden
. . . . . 147
Corinna Brückener, Adolf Hoffmann und Ulrich Mania (Istanbul) Ägyptische Kulte in Pergamon: Die «Rote Halle» in Pergamon aus bauhistorischer und archäologischer Sicht . . . . . . . .
. . . . 152
Dirk Steuemagel (Leipzig) Erscheinung und Funktionen griechischer Tempel in der Zeit römischer Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Annette Hupfloher (Leipzig) Die mantische Praxis im Osten des Römerreiches: Personal, Region, Institutionalisierung
. . . . . . . . . . . 162
VII
Inhaltsverzeichnis
Jörg Rüpke (Erfurt) Darstellung, Legitimation und Plausibilisierung von Religion im lokalen Kontext am Beispiel religiöser Spezialisten im Römischen Reich
. . 167
Dorothee Elm von der. Osten (Erfurt) Sichtbarkeit und das Göttliche: die Performanz von Religion in den Schriften der Zweiten Sophistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172
Katja Wedekind (Erfurt) Religiöse Experten im lokalen Kontext: Kommunikationsmodelle in christlichen Quellen des ersten bis dritten Jahrhunderts n. Chr. . . . . . . . . 176 IsoldeStark (Halle) Religiöse Konflikte in Rom durch neue Götter und Kulte (von der Entstehung des Imperium Romanum bis in die Spätantike)
. . . . 183
Andreas Mehl und Christian Mileta (Halle) Vom hellenistischen Herrscherkult zum römischen Kaiserkult: Die kultische Verehrung Roms durch die Griechenstädte Kleinasiens (195 bis 29 v. Chr.) . 195 Peter Herz (Regensburg) Römischer Kaiserkult .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Annette Hupfloher (Leipzig) Herrscherkult in lokalem und regionalem Kontext: Eine vergleichende Studie zu Athen und Korinth, Olympia und Delphi . . . . . . . . . . . 201 Pedro Barcel6 und Ruth Stepper (Potsdam) Der römische Kaiser als Mittelpunkt der Reichsreligion
. . . . . . . . . 209
Michael Bachmann (Siegen) Auseinandersetzungen um Verhaltensregeln im frühen Christentum als Indizien eines Ringens um Identität und Universalisierung der Religionsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Katharina Waldner (Erfurt) Die Topographie des Martyriums: Frühchristliche Martyriumsberichte im Kontext der kaiserzeitlichen Kultur . . . . . . . . . . . .
. . . 223
Andreas Gutsfeld, Johannes Hahn und Stephan Lehmann (Münster) Christlicher Staat und <panhellenische> Heiligtümer: Zum Wandel überregionaler paganer Kultstätten im spätantiken Griechenland . . . 228 Emmanouela Grypeou (Erfurt) Der Einfluß von Globalisierungs- und Regionalisierungsprozessen in der Geschichte der Ostkirche auf die Entstehung, Ausbreitung und frühe Entwicklung des Islam im sechsten und siebten Jahrhundert: Erste Phase . . . . . 238
VIII
Inhaltsverzeichnis
Yousef Kouriyhe (Erfurt) Der Einfluß von Globalisierungs- und Regionalisierungsprozessen in der Geschichte der Ostkirche auf die Entstehung, Ausbreitung und frühe Entwicklung des Islam im sechsten und siebten Jahrhundert: Zweite Phase . . . . 243
Einführung JÖRG RüpKE
Das Thema Ziel des hier vorgestellten Schwerpunktprogramms war die Analyse von Formationen kultureller Räume unterschiedlicher Größe und Integrationsdichte innerhalb des Imperium Romanum, in dem die bestehenden mediterranen und alteuropäischen kulturellen Kontakte durch Handel, Tourismus, Migration, vor allem auch Verwaltung und Militär intensiviert wurden. Das Schwerpunktprogramm behandelte diese Problemstellung anhand der Konzentration auf Religion: Religion - das (zumal in vormodernen Gesellschaften) wichtigste Medium symbolischer Kommunikation - bildet einen wichtigen Indikator wie auch eigenständigen Faktor der Veränderungen. Dabei ist Religion nicht isoliert zu betrachten, sondern in komplexen historischen Gesellschaften zu verorten. In der und . Das Vorhaben untersuchte somit die religiöse Komponente der politischen Expansion, ihre Medien, ihre Integrationsleistung und Universalisierungsprozesse, denen die römische, die Religion des Zentrums selbst unterlag, es untersuchte die Entwicklung in der ins Verhältnis zum Zentrum gerückten Peripherie im religiösen Bereich und es untersuchte die etwa in der Mobilität bestimmter Gruppen und der Ausdehnung oberschichtlicher Kommunikation zum Ausdruck kommende Bildung kultureller Großräume ebenso wie Abschließungsprozesse in der Bildung lokaler Spezifika (etwa in Städten). Zwei Fragenkomplexe standen im Vordergrund: Zum einen die Frage nach der Formation kultureller Räume. Zu fragen war hier nach der religiösen Komponente der politischen Expansion und der religiösen Komponente der Hegemonie des Zentrums: Wieviel Religion braucht welcher Typ von Integration? Auf welcher sozialen Ebene trägt die Zentralreligion zur Integration bei (Reichsreligion)? Welche Elemente sind exportfähig? Wo bilden sich unterschiedliche Identitäten im Medium der Religion aus? Und schließlich auch: Wie verändert sich die Zentralreligion im Zentrum? Zu fragen war weiterhin nach der Ausbildung überregionaler religiöser Konzepte und Strukturen: Entstehen integrierte Religionssysteme oberhalb der Ebene der StadtIPolis «Provinzreligionem)? Schließlich war zu fragen, welche Übertragungswege von Religionen institutionalisiert werden und wie sich diese Religionen in der Ausbreitung verändern. Der zweite Fragekomplex betrifft die Komplexität und Heterogenität kultureller Räume. Zu fragen war hier nach den Effekten der Diffusion religiöser Elemente des
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Zentrums und der Reaktion auf ihre Präsenz sowie auf direkte Eingriffe des Zentrums in den administrativ neu definierten Räumen (Provinzen) und ihrer religiösen Entwicklung: Wer die aus dem Zentrum stammenden religiösen Elemente? Wie verändern sich die Strukturen indigener Religionen? Wie werden fremde Elemente aufgenommen, wann wird ihre Herkunft thematisiert? Werden sie als zugehörig zum Zentrum identifiziert? Welche Rolle spielen solche Qualifikationen in der eigenen Tradition? Zu fragen war auch nach der Pragmatik von Identität: In welchen Handlungskontexten wird Identität überhaupt zu einem Motiv oder Kommunikationsgegenstand? Und schließlich: Wo bilden sich durch Urbanisierung, Neuorientierung von Eliten oder Wanderungsbewegungen neue religiöse Systeme aus? Wie verhalten sich ihre Träger zur lokalen Gesellschaft? Wie verändert sich die Position von Religion in den lokalen Gesellschaften? Die in Form eines Schwerpunktprogramms angelegte systematische Erschließung unter religionswissenschaftlicher und altertumswissenschaftlicher Perspektive erlaubte in ihrer Anlage, die gemeinsamen Fragestellungen aufzufächern und in einer Vielzahl von Projekten mit unterschiedlichem disziplinären Zuschnitt, Methoden und Gegenständen zu bearbeiten. Der breite Zugriff wird der Tatsache gerecht, dass es sich bei Religion um den - jenseits der Alltagskultur - wohl durchgängig am stärksten profilierten Kulturbereich handelt. Zugleich stellt der historische Raum eine zentrale Epoche für die europäisch-mediterrane Religionsgeschichte bis in die Gegenwart dar. Das Förderprogramm
Die Einrichtung des Schwerpunktprogramms besaß eine längere Vorgeschichte, die sich insbesondere in drei wissenschaftlichen Tagungen konkretisierte, die den Begriffsapparat und exemplarisch einmal den Osten des Mittelmeerraums, das zweite Mal (mit den germanischen Provinzen) den Westen des römischen Reiches untersuchten. Auf dieser Grundlage entstand im Jahr 1998 der Rahmenantrag als Initiative, der im Sommer 1999 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Ausschreibung des Programms führte. Im Herbst 2000 fand dann das erste Antragskolloquium statt, wenig später eine erste Plenartagung, die der gemeinsamen Begriff-' lichkeit galt. In dieser ersten Phase wurden zweiundzwanzig Projekte für zunächst ein Jahr bewilligt. Eine erste Evaluation nach einem Jahr brachte nur geringfügige Verschiebungen, die zweite nach einem weiteren Jahr das Ausscheiden mehrerer Projekte sowie mehrere Neuaufnahmen. In der letzten Evaluation nach einem weiteren Zweijahreszeitraum, also nach insgesamt vier Jahren, standen viele Projekte nicht mehr zur Diskussion, da sie bereits ausliefen. Das verminderte Fördervolumen der Abschlussphase führte zu einer Reihe von Ablehnungen bei Neuanträgen, aus dem Kreise bisheriger Programmteilnehmer wie neuer Antragsteller. Es befanden sich danach nur noch insgesamt vierzehn Projekte in der Förderung, teils durch neue Förderzusagen, teils auslaufend nach Verzögerungen durch Mitarbeiterwechsel, Beurlaubungen und ähnliches. Das führte insgesamt zu Verschiebungen, die das Programm bis weit in das Jahr 2007 hineinlaufen ließen und in manchen Fällen mit ihrer Laufzeit das Schlusskolloquium der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Förderphasen im Juli 2007 überschreiten. Aus diesem Grunde spiegeln die im folgenden
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versammelten Berichte in einigen Fällen nicht den Stand des endgültigen Abschlusses der Arbeiten wider. Mit der genannten Projektzahl und den jährlichen Fördersummen, die in der Spitzenzeit eine Million Euro überschritten, erreichte das Schwerpunktprogramm die Größenordnung eines Sonderforschungsbereiches, unterschied sich aber davon durch die dezentrale Ansiedlung der Projekte, die von Köln bis Leipzig, und Bremen bis München reichte. Die Koordinationsstelle befand sich, gemeinsam mit mehreren Projekten, in Erfurt. Von hier aus wurden vor allem die thematischen Tagungen, die sogenannten Teilkolloquien, koordiniert und die jährlichen Berichtskolloquien vorbereitet; das Haus Hainstein unterhalb der Wartburg in Eisenach und vor allem das Augustinerkloster in Erfurt wurden dafür zu einer Heimat. Ein ortsverteiltes Schwerpunktprogramm ist ein relativ loser Verbund. Die Auswahl der Projekte wird allein durch die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingesetzte Gutachtergruppe vorgenommen; diese Projekte stehen in der Regel in unterschiedlichen Zusammenhängen ihrer je eigenen Institute oder Universitäten. Die Koordinatorin oder der Koordinator sind insofern schwach, als sie über keine Sanktionsmöglichkeiten verfügen; allein die Teilnahme am Plenarkolloquium bildet die <einklagbare> Minimalbeteiligung. Andererseits kann nur durch Beteiligung Einfluß auf das gemeinsame Arbeitsprogramm genommen werden. Zur Verfügung standen diesem Schwerpunktprogramm hier Mittel, um zwei kleinere Tagungen im Jahr auszurichten, in der Regel trafen hier ein Dutzend Angehörige des Schwerpunktprogramms sowie zwei oder drei auswärtige Referentinnen oder Referenten zusammen. Von dieser Möglichkeit haben wir intensiv Gebrauch gemacht, wie bei einern Blick auf die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit deutlich werden wird. Kontakte liefen aber nicht nur sternförmig zwischen Zentrum und Peripherie. Die durch die gemeinsamen Tagungen entstanden Kontakte haben vielfach zu bilateralen intensiveren Arbeitsbeziehungen geführt, die von der gegenseitigen Beratung und dem Materialaustausch bis zu Einladungen zu Gastvorträgen gereicht haben - im letztgenannten Fall in der Regel aus Haushaltsmitteln der beteiligten Professuren, da hierfür kaum Positionen in den Anträgen beziehungsweise Bewilligungen vorgesehen waren; nur in wenigen Einzelfällen waren Tagungen Bestandteil der Bewilligungen für Einzelprojekte. Forschungsgegenstände
Wenigstens kurz sei eine Übersicht über die Themen der im folgenden beschriebenen Projekte gegeben. Vorangestellt - nach dem komplex strukturierten Tübinger Projektverbund, der sowohl einzelne Provinzen (Sizilien) wie Praktiken (Herrscherkult) und systematische Probleme (Universalisierung von Religion) behandelte - sind zunächst Projekte, die sich mit ganzen Provinzen oder besonderen religiösen Gruppen oder Praktiken in ganzen Provinzen beschäftigen. Das betrifft Britannien und die germanischen Provinzen, die Gallia Narbonensis, Dakien, Makedonien und die römische Achaea, das Heer in den östlichen Provinzen, die Arabia und das von denselben Personen zuvor bearbeitete Illyricum, betrifft Ägypten und Nordafrika. Das zuletzt genannte Projekt zu ikonographischen Fragen, das im Zusammenhang mit einer vorangehenden Bearbeitung kleinasiatischer Opferdarstellungen steht, be-
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zeichnet einen thematischen Übergang zu Forschungen, die Medien religiöser Kommunikation und Diffusion behandelten. <Medien> umschlossen dabei ebenso Textund Bildmedien wie Architektur und Rituale. Entsprechend finden sich hier Forschungsergebnisse zur Sprache der religiösen Kommunikation im römischen Osten, zur Literatur als Medium und als Spiegel der Verbreitung von Religion im Römischen Reich, zur Sprache der Architektur der in Pergamum und zu Erscheinung und Funktionen griechischer Tempel in der Zeit römischer Herrschaft. Die im Anschluss daran vorgestellte Gruppe von Projekten konzentrierte sich auf Akteure und Institutionalisierungsformen von Religion. Das gilt ebenso für die Untersuchung der mantischen Praxis im Osten des Römerreiches wie für die Untersuchung stadtrömischer Priesterschaften und der Rolle religiöser Spezialisten für die Diffusion von religiösen Praktiken im römischen Reich. Eine letzte Gruppe thematisierte Prozesse religiösen Wandels unter den sich verändernden Bedingungen der römischen Reichsbildung, ihrer Ablösung hellenistischer politischer Formationen und schließlich Transformationsprozesse in der religiösen Fremd- und Selbstkonzeption des Kaisers. In grober chronologischer Folge werden daher Untersuchungen zu religiösen Konflikten in der römischen Republik, der Wandel vom hellenistischen Herrscherkult zum römischen Kaiserkult, Kaiserkult in Athen und die Veränderung kaiserlicher Religionspolitik von Augustus bis in die Spätantike vorgestellt. Es folgen Arbeiten zu Aspekten der Reflexion des Paulus auf die Unterscheidung von Iudentum und Christentum, auf den Umgang des christlichen Staates mit den <panhellenischen Heiligtümern> und schließlich Forschungen zum Einfluss von Globalisierungs- und Regionalisierungsprozessen in der Geschichte der Ostkirche auf die Entstehung, Ausbreitung und frühe Entwicklung des Islam im sechsten und siebten I ahrhundert. Ergebnisse formal betrachtet
Die Ergebnisse des beschriebenen Forschungsverbundes oder der beschriebenen Fördermaßnahme treten naturgemäß am besten in den Publikationen hervor, die im Anschluss an die zusammenfassenden Berichte aufgeführt sind. Über die hier genannten Literaturnachweise hinaus darf nicht vergessen werden, das einzelne Forschungsergebnisse vielfach in Form von Vorträgen, auf Postern und in Tagungen vorgestellt und so bereits veröffentlicht worden sind. Auch die Einbeziehung der bearbeiteten Fragestellungen in die Lehre, in Übungen und Seminarveranstaltungen, Vorlesungen und Kolloquien, gehört zu den Wirkungen der einzelnen Projekte wie des Schwerpunktprogramms insgesamt, die nicht unterschätzt werden dürfen und in individuellen Berichten an die Deutsche Forschungsgemeinschaft dokumentiert worden sind. In der Regel beabsichtigten die Projekte, mit Monographien abzuschließen. Der für die Buchpublikation notwendige Vorlauf bedingt, dass die Publikation häufig außerhalb, zum Teil weit außerhalb der Förderperioden erfolgt; entsprechend weist der hier vorliegende Ergebnisband unmittelbar am Ende des Programms noch viele Publikationen als oder befindlich aus. Was hier im einzelnen zu erwarten ist, wird aber durch bereits abgeschlossene Aufsatzpublikationen zumeist deutlich annonciert.
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Gewinn wie Verzögerung bedeutete und bedeutet die Verbindung der Forschungsarbeiten mit formalen Qualifikationsverfahren der Bearbeiterinnen und Bearbeiter. Auch hier weist das Programm eine gute Bilanz auf. Das gilt bereits für das Publizierte. Drei Habilitationsschriften und zwei Dissertationen sind bereits publiziert, drei Dissertationen und zwei Habilitationsschriften stehen nach Verfahrensabschluss und Arbeit an der Veröffentlichung unmittelbar davor, weitere Monographien stammen von Projektleitern. Ein genauerer Blick auf Qualifikationsverfahren, die im unmittelbaren thematischen Zusammenhang mit dem Schwerpunktprogramm stehen, lässt das Erwartbare noch deutlicher werden. Vier weitere Dissertationen und zwei Habilitationen wurden abgeschlossen, fünf Dissertationen und sechs Habilitationen sollen auf der Grundlage einschlägiger Projekte noch erfolgen. Mehr als ein halbes Dutzend Projekte standen oder stehen in keinem Zusammenhang mit Qualifikationsarbeiten; es handelt sich hier um Post-doc-Projekte ohne das Ziel der Habilitation oder Projekte bereits Habilitierter unterschiedlichen Umfangs, in einigen wenigen Fällen auch monographische Projekte Nichtpromovierter, die nicht als Dissertationen dienen sollen; hier hat es aber noch keine Buchpublikation gegeben. Ergebnisse wurden und werden natürlich auch in der Form von Zeitschriftenaufsätzen oder Beiträgen in Tagungsbänden publiziert; die Veröffentlichungsverzeichnisse der einzelnen Projekte geben einen Eindruck davon, wie breit gestreut, ja international die Verbreitung der Forschungsergebnisse dieses Schwerpunktprogramms ist. Ein französisch-deutsches Kolloquium, englischsprachige Broschüren und Internetdarstellungen, die Publikation eines englischsprachigen Zwischenberichtes und die in Vorbereitung befindliche Publikation eines englischsprachigen Bandes ausgewählter Beiträge haben dazu ebenso beigetragen wie die Publikationen auch in anderen europäischen Sprachen. Das Profil des Schwerpunktprogramms ist insbesondere durch die mittlerweile beachtliche Zahl thematischer Bände, die aus den Plenar- und vor allem Teilkolloquien hervorgegangen sind, geprägt worden. Diese haben sich zunächst mit der gemeinsamen Fragestellung und Begrifflichkeit befasst, dann aber schnell einzelne Provinzen und vor allem übergreifende Probleme fokussiert. Mit den Verlagen Mohr Siebeck und Franz Steiner fanden sich Partner, die nicht nur professionelle Produktion und Vertrieb sicherten, sondern auch die internationale Verbreitung mit dem guten Ruf dieser Häuser im juden- und christentums geschichtlichen Bereich einerseits, der Altertumswissenschaft andererseits verbanden. Neben der Publikation von Tagungsbänden und Monographien in den Reihen der <Studien und Texte zu Antike und Christentum> und der , aber auch (DAI Istanbul) oder den (Bibliopolis) möchte ich die von Hubert Cancik initiierte Reihe (Mohr Siebeck) nennen, die Ergebnisse des Schwerpunktprogramms gerade dort, wo sie für bestimmte Regionen handbuchartigen Charakter gewonnen haben, publiziert. Auch im Blick auf die internationale Sichtbarkeit, haben wir uns für einige Kolloquien oder Panels in Tagungen, wie dem Historikertag in Kiel oder den Jahrestagungen der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft, für eine Publikation in Zeitschriften entschieden.
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Es muss in aller Deutlichkeit unterstrichen werden, dass es hier nicht um Tagungen geht, die mit Mitteln des Schwerpunktprogramms eine große Zahl von Referentinnen und Referenten aus aller Welt zusammenbrachten. Das hätten wir uns zwar oft gewünscht, aber für diese Bilanz ist festzuhalten, dass die weit überwiegende Mehrzahl der in diesen Bänden publizierten Aufsätze von Mitgliedern des Programmes selbst stammt, zum Teil von den beteiligten Doktorandinnen und Doktoranden, vor allem von promovierten und habilitierten Geförderten wie zumeist professoralen Projektleitern. Dass der Ertrag in qualitativer Hinsicht überzeugt - und das ist das Entscheidende -, lassen die bisher erschienen Rezensionen vermuten, die bessere Gradmesser als die Überzeugung von der Qualität der eigenen Arbeit sind. Quantitativ ist in jedem Fall festzuhalten, dass der Umfang eine hohe Bereitschaft ausweist, gemeinsame Fragestellungen zu identifizieren und gemeinsam zu bearbeiten. Man mag sicher bedauern, dass der ein oder andere Beitrag nicht in einer Fachzeitschrift einen breiteren Leserkreis gefunden habe oder dass hier Arbeitszeit für Monographien verloren gegangen sei. Mir scheint, dass die intensive gemeinsame Arbeit in einem stabilen, aber nie abgeschlossenen Kreis relativ schnell eine Atmosphäre offenen Austausches und intensiver gemeinsamer Arbeit an Problemen der Begrifflichkeit, Methoden und an einzelnen Gegenständen wie übergreifenden Modellen geschaffen hat, der vielen der Beteiligten und ihren individuellen Arbeiten zugute gekommen ist. Kritische Bestandsaufnahme Bei den am Schwerpunktprogramm beteiligten Fächern handelt es sich durchweg um mit je lokalen und historischen Spezifika; Arbeitskonzentrationen sind daher oft nur in universitätsübergreifenden Forschungsverbünden möglich, für die das Schwerpunktprogramm ein geeignetes Instrument darstellt. In unserem Fall bildete sich eine Form der Interdisziplinarität, die nicht primär über gemeinsame Theorieelemente, sondern über die Arbeit an gemeinsamen Gegenständen, an mehr oder weniger vertrauten Quellenbeständen, an den gleichen Räumen und Epochen strukturiert wurde. Sicher ist diese Form der Interdisziplinarität weniger anspruchsvoll als die Abstraktionshöhen gemeinsamer Theoriearbeit und metaphorischer Umdeutungen hochgeneralisierter Konzepte auf die je eigenen Fragestellungen. Es war ein durchaus mühsames Geschäft, im Kreise verschiedenster Projekte und intellektueller Hintergründe über die religions wissenschaftliche Fragestellung des Rahmenantrages Brücken zwischen der Alten Geschichte, Archäologie und Klassischen Philologie, Kirchengeschichte und eben Religionswissenschaft zu schlagen. Aber die stetige Verknüpfung von Methoden- und Materialdiskussion führte zu einer klaren Auseinandersetzung mit Ausgangsannahmen und deren Weiterentwicklung. Intellektuell ist das Schwerpunktprogramm unbedingt als Erfolg zu werten. Dass daneben ein reicher wechselseitiger Lernprozess über Fragen wie Gegenstände der anderen Disziplinen stattgefunden hat, dürfte nicht zu den geringsten Erträgen der Zusammenarbeit gehören und eine Qualifikation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sein, die bei Einstellungs- und Berufungsverfahren in unseren Fächern oft nicht angemessen veranschlagt wird. Insgesamt haben sich so verschiedene interdisziplinäre Perspektiven über den Förderungszeitraum hinaus eröffnet.
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Die fachliche Bereicherung der Vernetzung von weit entfernten Standorten weist gewisse Nachteile auf. An der eigenen Universität ist zwar jede Drittmittelförderung hochwillkommen, aber die Teilnahme an einem ortsverteilten Schwerpunktprogramm erscheint leicht wie ein lästiger Anhang des Mittelzuflusses. In den Rahmen universitärer Profilbildung passt das wenig; prestigeträchtig ist dergleichen im Vergleich zu heimischen Sonderforschungsbereichen, Graduiertenkollegs und Forschergruppen wenig. Eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit - jenseits der Publikationen des Verbundes für die zwar wichtigste, aber auch eingeschränkte Zielgruppe der engeren <scientific community> - ist damit kaum möglich -, was zugleich von der Aufgabe, Logos und Hochglanzbroschüren zu produzieren, enthebt; wir hoffen, in den Buchpublikationen trotz der geringeren Auflagen wenigstens teilweise einen Ersatz geschaffen zu haben. Unter diesen Bedingungen ist der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie den Gutachterinnen und Gutachtern, für die Ausweitung der finanziellen Restriktionen der Programmvorgaben ebenso zu danken wie der Universität Erfurt für ihre finanzielle, und damit ermöglicht: personelle, und sachliche Unterstützung der Koordinationsaufgabe. Entscheidend für das Funktionieren des ortsverteilten Schwerpunktprogramms scheint die richtige Mischung der Beteiligten zu sein. Motoren des Programms waren einerseits einzelne lokale Schwerpunkte, kleine Arbeitsgruppen aus Projektleitern wie Mitarbeitern, die sich intensiv beteiligten und so auch lokal die Rückendeckung der einzelnen für ein starkes Engagement im Schwerpunktprogramm gaben; der vorangestellte Bericht der Tübinger Arbeitsgruppe gibt davon einen Eindruck. Motoren waren vor allem hoch selbständige, zum Teil <migrierende> Postdoktorandinnen und Habilitierte, die freilich oft einen <Patron> für die Antragsstellung benötigten, um eigene Stellen beantragen zu können - und denen es sogar gelang, aus <Patronen> Interessierte und selbst Engagierte zu machen. Wie schon die Publikations- und Qualifikationsbilanz deutlich gemacht hat, fanden gerade , Promovierte wie Habilitierte, in dem Schwerpunktprogramm einen Rahmen für inhaltlich, aber nicht zeit-intensiven Austausch wie daraus erwachsende große wissenschaftliche Produktivität. Isolierte Doktoranden, die sich nicht wirklich auf die Fragestellungen und Arbeitsformen des Schwerpunktprogramms einlassen konnten oder durften, trugen ein hohes Risiko, die Evaluationen nicht zu überstehen; sie fanden hier offensichtlich keine geeignete Struktur. Es muss aber auch vermerkt werden, dass gerade Doktorandinnen und Doktoranden die Arbeit in einer wissenschaftlichen Struktur, in der nicht wie in Graduiertenkolleg-Strukturen grundsätzlich zwischen Betreuern und Betreuten unterschieden wurde, als überaus anregend und motivierend empfanden auch das wird von der Qualifikationsbilanz, setzt man sie ins Verhältnis zur Teilnehmerzahl, ausgewiesen. Wichtig war schließlich jener Kreis von Projektleitern im Status von Professoren oder auf Dauerstellen, die durch die Kontinuität ihrer Beteiligung dem Programm Stabilität von der Intitativ- bis in die Schlussphase verliehen.
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Danksagung Der vorliegende Band von Abschlussberichten ist schöne wie gebotene Gelegenheit Dank zu sagen. Das kann für die Einzelprojekte nur in allgemeiner Form geschehen, es betrifft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Institutssekretariaten oder Universitätsverwaltungen, Universitätsbibliotheken wie im Zusammenhang mit Grabungen im 1n- und Ausland. Als Koordinator möchte ich insbesondere Frau Diana Püschel im Sekretariat der Vergleichenden Religionswissenschaft für organisatorische Unterstützung wie den Satz etlicher Bände und den direkten Mitarbeiterinnen in der Koordination, Frau Franca Fabricius und zuvor Frau Sabine Tautz, sowie in den ersten Jahren Herrn Manfred Petzold danken. Dem Verlag Mohr Siebeck und seinen Mitarbeiter(innen) ist für die äußerste Schnelligkeit in der Herstellung des Buches zu danken. Die Gutachtergruppe mit ihrem Sprecher Prof. Dr. Peter Funke hat die Arbeit des Programms nicht nur kritisch, sondern auch wohlwollend begleitet. Gleiches gilt für Herrn Dr. Hans-Dieter Bienert als zuständigem Referenten. Er wie andere Mitarbeiterinnen in Bonn, Frau Erika Herkommer und Frau Martina Schneider sowie die leider früh verstorbene Frau Helga Hück, standen für vielerlei Nachfragen auskunfts- und hilfsbereit zur Verfügung. Ohne die Ermutigung von Herrn Dr. Jochen Briegleb, zuständiger Referent in der Einrichtungsphase, hätte die Intiative von Hubert Cancik und die Zusammenarbeit von ihm, Christoph Auffarth, Andreas Bendlin, Peter Herz, Christoph Markschies und Jörg Rüpke nicht zur Formulierung eines geführt. Dem Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist für die Ausschreibung eines solchen religionswissenschaftlichen Schwerpunktes, noch bevor Religion brennende Aktualität in der öffentlichen Aufmerksamkeit erlangte, zu danken.
Veröffentlichungen des gesamten Schwerpunktprogramms Auffarth, Christoph (Hg.) 2007. Religion auf dem Lande: Kulte und Heiligtümer im nichturbanisierten Raum unter römischer Herrschaft, Stuttgart (im Druck). Auffarth, Christoph; Rüpke, Jörg (edd.) 2002. Epitome tes oikoumenes: Studien zur römischen Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 6). Stuttgart. Bendlin, Andreas; Rüpke, Jörg (Hgg.) 2007. Form und Funktion religiöser Diskurse in der lateinischen Literatur des 1. Jahrhunderts v. Chr. (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 17), Stuttgart (im Druck). Bendlin, Andreas; Egelhaaf-Gaiser, Ulrike; Haase, Mareile; Rüpke, Jörg; Schäfer, Alfred; Spickermann, Wolfgang 2007. , Archiv für Religionsgeschichte 2 (2000), 283-345; 5 (2003), 297-371; 9 (2007) (im Druck). Cancik, Hubert; Hitzl, Konrad (Hgg.) 2003. Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen. Cancik, Hubert; Rüpke, Jörg (Hgg.) 1997. Römische Reichs- und Provinzialreligion.Tübingen. Cancik, Hubert; Rüpke, Jörg (Hgg.) 2003. Römische Reichsreligion und Provinzialreligion: Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor, Erfurt. Cancik, Hubert; Schäfer, Alfred; Spickermann, Wolfgang (Hgg.) 2006. Zentralität und Religion (Studien und Texte zu Antike und Christentum 39), Tübingen. Cancik, Hubert; Rüpke, Jörg (Hgg.) 2008. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte: Ergebnisse und Perspektiven, Tübingen (in Vorbereitung). Egelhaaf-Gaiser, Ulrike; Schäfer, Alfred (Hgg.) 2002. Religiöse Vereine in der römischen Antike: Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung (Studien und Texte zu Antike und Christentum l3), Tübingen.
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Elm von der Osten, Dorothee; Rüpke, Jörg; Waldner, Katharina (edd.) 2006. Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 14), Stuttgart. Hildebrandt, Henrik; Hupfloher, Annette (Red.) 2007. , Das Altertum (im Druck). ' Hupfloher, Annette (Hg.)· 2007. Heiligtum und Kultpraxis im kaiserzeitlichen Griechenland (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 13), Stuttgart (in Vorbereitung). Petzold, Manfred; Rüpke, Jörg; Steimle, Christopher (Red.) 2001. , Archiv für Religionsgeschichte 3, 296-307. Rüpke, Jörg 2006. , Mitteilungen des Deutschen Archäologen-Verbandes 37, 59-66. Rüpke, Jörg; Fabricius, Franca (Red.) 2006. , Archiv für Religionsgeschichte 8, 327-342. Rüpke, Jörg (Hg.) 2007. Gruppenreligionen im römischen Reich: Sozialjormen, Grenzziehungen und Leistungen (Studien und Texte zu Antike und Christentum 43), Tübingen (im Druck). Rüpke, Jörg (Hg.) 2007. Festrituale: Diffusion und Wandel im römischen Reich (Studien und Texte zu Antike und Christentum), Tübingen (in Vorbereitung). Rüpke, Jörg (ed.) 2007. Roman Imperial and Provincial Religion, Tübingen (in Vorbereitung). Rüpke, Jörg; Scheid, John (Hgg.) 2008. Bestattung und BestattungsritualeiRites funeraires (in Vorbereitung) . Schömer, Günther; Sterbenc Erker, Darja (Hgg.) 2007. Religiöse Kommunikation im römischen Reich (in Vorbereitung). Spickermann, Wolfgang (mit H. Cancik, J. Rüpke) (Hg.) 2001. Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen.
Religion der römischen Provinzen Belayche, Nicole 2001. Iudaea-Palaestina: The Pagan Cults in Roman Palestine (Second to Fourth Century) (Religion der Römischen Provinzen 1), Tübingen. Spickermann, Wolfgang 2004. Germania superior (Religion der Römischen Provinzen 2), Tübingen. Spickermann, Wolfgang 2007. Germania inferior (Religion der Römischen Provinzen 3), Tübingen. Kunz, Heike 2007. Sicilia (Religion der römischen Provinzen 4), Tübingen.
Reichsreligion und Provinzialreligion HUBERT CANCIK
Die Tübinger Arbeitsgruppe Dieser Schlußbericht dokumentiert die Arbeit der Tübinger Gruppe im Schwerpunktprogramm vom Wintersemester 2000/01 bis zum Sommersemester 2005. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Mitglieder waren Apl. Prof. Dr. Konrad Hitzl mit dem Thema «Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults», Dr. Heike Kunz mit dem Thema «Rom und die Provinz Sicilia: Zur religiösen Identität im Imperium Romanum», Matthias Peppel mit dem Thema << (Cicero): Die Universalisierung von Religion in der späten römischen Republik» und Dorothea Mohr-Sigel mit dem Thema «Neue Religion in altem Gewand? Die Christentum und die Literaturtradition am Beispiel der hexametrischen Johannes-Paraphrase des Nonnos von Panopolis». Weitere Mitarbeiter der Arbeitsgruppe, jedoch nicht von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, waren mit verschiedenen Aufgaben und unterschiedlich lange beteiligt. Die Förderung von Frau Dr. Anne-Maria Wittke war Gegenstand von Anträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft vom 7.12.1999 für das und das , die zentrale Bedeutung für das Thema und für die Stabilisierung des Schwerpunkts als ganzes hatten. Die «Kartierungen zur Religionsgeschichte im imperium Romanum» . waren gedacht als eine zentrale Dienstleistung für alle Projekte des Schwerpunktes (Grundkarten für einzelne Provinzen, Regionen, Ortslagen: kartographische Ausstattung der Publikationen) und als Vorarbeit für einen kommentierten «Atlas zur Religionsgeschichte im imperium Romanum». In dem sollten alle Quellen zusammengestellt und ausgewertet werden, die die Konstitution der Metropole Rom als das Zentrum des imperium Romanum mit religiösen Zeichen beinhalten, also «die religiöse Konstruktion der Zentrale». Dabei sollten die archäologischen und topographischen Befunde einen Schwerpunkt bilden. Das Romprojekt wurde als «grundsätzlich förderungswürdig» erachtet; als Voraussetzung für eine abschließende Stellungnahme wurde jedoch eine Präzisierung von Zielen und Arbeitsplanung vorgeschlagen. Das Kartenprojekt wurde «grundsätzlich positiv» eingestuft (31.8.2000), aber eine Förderung - «im wesentlichen aus finanziellen Erwägungen» - erst für das zweite Förderungsjahr und nach Vorlage des Projekts als Neu-Antrag zugesagt. Die Unsicherheiten, die mit diesen Bescheiden verbunden waren, zwangen die hoch qualifizierte Mitarbeiterin, eine andere Tätigkeit aufzunehmen. Ein ebenso qualifizierter Mitarbeiter konnte - zumal zu so unsicheren Konditionen - kurzfristig nicht gefunden werden. Beide Vorhaben mußten deshalb aufgegeben werden. Der Verlust für das Gesamtprojekt ist erheblich.
Reichsreligion und Provinzialreligion
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Das Projekt, das Frau Dr. des. Mareile Haase bearbeitete, «Römische Religion in der Provinz Ägypten (30 v.-395 n. Chr.)>> beziehungsweise «Die Kulte ägyptischer Gottheiten zwischen römischer Reichs- und Provinzialreligion», wurde an der Universität Erfurt fortgeführt (siehe unten den eigenen Bericht). Für das Projekt von Frau Christiane Schmidt, «Die Städte- und Stammesbünde Griechenlands unter römischer Herrschaft» liegt eine ausführliche Projektbeschreibung (1999) vor. Darüber hinaus wurden ohne direkten Zusammenhang mit dem Schwerpunktprogramm Arbeiten im Tübinger Arbeitskreis durchgeführt, von denen zumindest einige genannt werden sollen, so die Arbeit von Dr. Jochen Derlien, «Asyl: Die religiöse und rechtliche Begründung der Flucht zu sakralen Orten in der griechischrömischen Antike» (Diss. Tübingen 2003), «Bürgerrecht und Kultteilnahme» von StefanKrauter (Diss. theol. Tübingen 2004) und die Arbeiten zur römischen Religion in Baden-Württemberg von Dr. Helmut Leibinger. Ihre Arbeiten sind teilweise eingegangen in das Projekt als ganzes und/oder in die jeweiligen Abschlußarbeiten der Mitarbeiter, teilweise markieren sie ungelöste Fragen. An den Colloquien des Arbeitskreises nahmen regelmäßig bis sporadisch die folgenden Damen und Herren mit eigenen Beiträgen darüber hinaus teil: Beate Noack, Christoph Auffarth, Holger Homauer, Christiane Schmidt, Corinne Bonnet, Fabio Ghelli, Heinz Happ, Horst Lekszas, Alexander Schilling, Alexa Bensmann, Robert Bees, Paul-Ulrich Schneider und Oliver Hülden. Veröffentlichungen Cancik, H.; Rüpke, J. (Hgg.) 1997. Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Tübingen. Spickermann, W. in Verbindung mit H. Cancik, J. Rüpke (Hgg.) 2001. Religion in den germanischen Provinzen, Tübingen. Cancik, H.; Hitzl, K. (Hgg.) 2003. Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen. Cancik, H.; Rüpke, J. (Hgg.) 2003. Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, Erfurt. Cancik, H.; Schäfer, A.; Spickermann, W. (Hgg.) 2006. Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, Tübingen. Cancik, H. 1997. «Die von (nationes, gentes) in Rom. Ein Beitrag zur Bestimmung von vom 1. Jahrhundert vor bis zum 2. Jahrhundert nach Christus», in: Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, hg. v. H. Cancik und J. Rüpke Tübingen, 129-143. Cancik, H. 1999. «The Reception of Greek Cults in Rome. A Precondition of the Emergence of an , in: Archiv für Religionsgeschichte 1, 161-173. Cancik, H. 2001. «Historisierung von Religion - Religionsgeschichtsschreibung in der Antike (Varro - Tacitus - Walahfrid Strabo)>>, in: Glenn W. Most (ed.), Historicization - Historisierung, Göttingen, 1-13. Cancik, H. 2003 «Der Kaiser-Eid. Zur Praxis der römischen Herrscherverehrung», in: H. Cancik und K. Hitzl (Hgg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen, 29-45. Cancik, H. 2006. «Caput mundi. Rom im Diskurs , in: H. Cancik, A. Schäfer, W. Spickermann (Hg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, Tübingen, 9-20. Cancik, H. 2006. «: Ein myth-historisches Modell für die Diffusion von Religion in Vergils Aeneis», in: D. Elm von der Osten, J. Rüpke, K. Waldner (Hgg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart, 31-40.
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Hubert Cancik
Cancik, H. 2006. «Wahrnehmung, Vermeidung, Entheiligung, Aneignung: Fremde Religionen bei Tertullian, im Talmud (AZ) und bei Eusebios», in: D. Elm von der Osten, J. Rüpke, K. Waldner (Hgg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart, 225-232. Cancik, H. 2007. «Haus, Schule, Gemeinde: Zur Organisation von in Rom (1.-3. Jh. n. Chr.), in: Jörg Rüpke (Hg.), Gruppenreligionen im römischen Reich: Sozialformen, Grenzziehungen und Leistungen (Studien und Texte zu Antike und Christentum 43), Tübingen, 39-56. Cancik, H. 2007. «Auswärtige Teilnehmer an stadtrömischen Festen», in: Jörg Rüpke (Hg.), Feste: Diffusion und Veränderung im römischen Reich, Tübingen (im Druck). Cancik, H. 2007. «Zu den Begriffen und >>, Das Altertum 52 (im Druck). Cancik, H. 2007. «Pistis, Fides, imperium» (im Druck). Die o.g. Publikationen (Auswahl) sind im Rahmen des Tübinger Arbeitskreises und der Teilund Plenarcolloquien des Schwerpunktprogramms gearbeitet. Dabei wurde versucht, die ursprüngliche, im Antrag und in dem von 1997 skizzierte wissenschaftliche Aufgabenstellung des Schwerpunktprograrnrns methodisch und paradigmatisch zu entwickeln und in einern sich stark verändernden Kreis von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, dessen Zusammensetzung von den Antragstellern kaum beeinflußt werden konnte, praesent zu halten. Der Versuch ist nicht immer gelungen. Die folgenden Publikationen zum Thema Reichs- und Provinzialreligion wurden in Veranstaltungen außerhalb des Schwerpunktprogramms vorgetragen: Cancik, H. 2003. «
Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults KONRAD HITZL
Ergebnisse in Thesen Der römische Herrscherkult war eine antike Religion. . Der römische Herrscherkult war eine normative reichsweit verbreitete Religion, aber keine unifizierte Reichsreligion. Der Kaiserkult war die im Imperium Romanum am weitesten verbreitete Religion. Die Bezeichnungen «Kaiserkult» oder «römischer Herrscherkult» sind Synonyme für einen unspezifizierten Dachbegriff. Der Kult der nach ihrem Tod vergöttlichten Kaiser scheint im gesamten römischen Reich in Anlehnung an die traditionellen Götterkulte problemlos praktiziert worden zu sein. Singulär und problematisch war die Verehrung des regierenden Kaisers, die neben Opfern und Vota auch Prozessionen, öffentliche Spiele, Volksfeste und gemeinsame Eide auf den Kaiser beinhaltete. Im Osten des römischen Reiches bereiteten Opfer für den regierenden Kaiser als Theos keine Probleme, im Westen wurden zunächst nur divinisierte Kaiser göttlich verehrt. In Rom wurden erst nach der Konsekration die verstorbenen Kaiser zu Staatsgöttern, für deren Kult Kollegien von Flamines zuständig waren. Die gängige Form der Verehrung des regierenden Kaisers in Rom und beim Heer waren Vota und Opfer für das Wohl des Kaisers und seiner Familie. Die singuläre Miteinbeziehung eines lebenden Menschen in eine antike Religion führte zu theologischen Problemen; man konnte bei einer Gottheit für das Wohlergehen des regierenden Kaisers bitten, aber nicht beim Kaiser für einen Gott. Im Imperium Romanum lehnten nur die Juden und die Christen Opfer an den Kaiser konsequent ab. Der erste vom römischen Senat konsekrierte Mensch war Iulius Caesar, der zum Divus Iulius wurde. Ab Augustus wurden alle konsekrierten Kaiser zu Divi Augusti, zu denen man den Divus Iulius wohl stillschweigend hinzuzählte. Die erste Diva war Drusilla, die 38 n. Chr. verstorbene Schwester des Caligula. Im Gegensatz zur gängigen Meinung wurde die Konsekration der Drusilla nach 41 n. Chr. nicht annulliert. Tiberius und Caligula wurden nicht konsekriert. Die erste damnatio memoriae galt Nero, die zweite Domitian. Der große Domitianstempel in Ephesos wurde in einen Tempel für die Theoi Sebastoi/Divi Augusti umgewidmet, worunter in diesem Fall wahrscheinlich nur Vespasian und Titus zu verstehen waren (Kolossalporträt des Titus läßt keine Kaisergalerie zu). Der Kaiserkult beginnt in Rom mit Iulius Caesar, der wohl als einziger geplant hatte, sich in der Hauptstadt schon zu Lebzeiten göttlich verehren zu lassen und daran auch scheiterte. Marcus Antonius war zum Caesar-Priester designiert worden.
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Konrad Hitzl
Ohne das Schicksal Caesars wären die Handlungsweisen des Augustus bezüglich der Verehrung seiner Person nicht verständlich. Im Osten des Reiches gestattete er auf provinzialer Ebene seinen Kult zusammen mit Dea Roma. Unterhalb dieser Ebene war die Verehrung au schließlich seiner Person freigestellt (kolossale Kultstatue im alten Tempel der Meter Theon in Olympia). Caesar, den der spätere Kaiser Augustus anfangs für seine Legitimation als Divi Filius benötigte, spielte sehr schnell keine Rolle mehr. Für Augustus sind mehr als zehnmal so viele Tempel bekannt wie für Caesar. Nach der Ermordung Caesars war in Rom jede offizielle personenbezogene Verehrung eines Menschen undenkbar. Octavian hatte als Divi Filius keinen Anteil an der Göttlichkeit des Divus Iulius. Erst über die Reform des Larenkultes 7 v. Chr. (Lares Augusti) findet der Kaiserkult durch die Statuette des Genius Augusti Eingang in die römische Religion. Im Gegensatz zu einem Genius, der an Personen und Gemeinschaften gebunden sein kann, war der 6 n. Chr. eingeführte Kult des Numen Augusti ausschließlich an den Kaiser gebunden. Nur Augustus konnte von den Göttern ein Numen empfangen, das nach seinem Tod den Göttern zurückgegeben wurde. Nach dem Tod des Augustus hörte die Verbindung von Dea Roma mit dem regierenden Kaiser fast vollständig auf. Tiberius lenkte den Kaiserkult auf den verstorbenen Augustus und lehnte ihn für sich weitestgehend ab. Auch Kaiser Claudius ließ so gut wie keinen Tempelbau für seine Verehrung zu. Erst die Flavier, denen eine Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs fehlte, forcierten den Kaiserkult vor allem im Westen des Reiches. Ein zögerliches Gewähren ist dagegen für die Politik der meisten Kaiser des zweiten Jahrhunderts n. Chr. bezüglich ihres provinzialen Kultes bezeichnend. Die römischen Provinzen waren zu heterogen, als daß eine auf Ausgleich bedachte Politik der Kaiser zu einer sukzessiven Vereinheitlichung der Kaiserkultpraxen in den Provinzen hätte führen können. Kaiserkulttempel waren topographisch herausgehoben sowie zeitlich exzeptionell. Sie dienten wohl weniger einer integrierenden gemeinsamen Religion als vielmehr der Repräsentation einzelner Städte. Anders verhielt es sich mit den Kaisareia und den Synonymen Caesarea, Sebasteia und Augustea, die der Bevölkerung vor allem als Symbole des Kaiserkults vor Augen gestanden haben dürften. SebasteiaiKaisareia mußten keine prächtigen freistehenden Bauwerke und schon gar keine Neubauten sein. Einzelne Räume in öffentlichen Anlagen genügten vollkommen, im billigsten Fall eine abgegrenzte Fläche. Wichtig dürfte aber ihre zentrale Lage gewesen sein und die Präsenz eines fest installierten oder tragbaren Altars. SebasteiaiKaisareia bildeten topographische Fixpunkte in urbanen wie ruralen Siedlungen, und sie waren überall vorhanden. Kaiserkultmysterien gab es nicht. Die immanente Exklusivität von Mysterien mußte die integrierende Intention des Kaiserkultes geradezu desavouieren. Diejenigen Quellen, die antike Kaiserkultmysterien zu belegen scheinen, sind falsch interpretiert worden. Die unmittelbarsten Zeugnisse für den antiken Kaiserkult sind nicht die tendenziellen literarischen Quellen, sondern Inschriften, architektonische Reste und vor allem die erhaltenen statuarischen Gruppen, die leider noch längst nicht alle aufgearbeitet sind. Laborandum est!
Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults
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Projektleiter: Hubert Cancik. Förderungszeitraum: 2000 bis 2002 und 2003 bis 2005. Veröffentlichungen Hubert C.; Hitzl, K. (Hg.) 2003. Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen: Mohr Siebeck. [Besprechungen: 1) Jörg Rüpke, Archiv für Religionsgeschichte 5, 2003, 321; 2) [Ohne Verfasser], New Testament Abstracts 47, 2003, 590; 3) Manfred Clauss, Historische Zeitschrift 278, 2004, 438-439; 4) Hegyi Dolores, Merleg 40, 2004, 475-477; 5) Werner Riess, Sehepunkte - Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften 4, 2004 = http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/07/5692.html; 6) Stefan Heid, Rivista di Archeologia Cristiana 81, 2005, 329-331; 7) Fran90ise Van Haeperen, L' Antiquite Classique 75,2006,447-448. Alle Besprechungen, sofern es sich nicht um reine Zusainmenfassungen handelt, sind durchweg positiv. Besonders die ausführliche InternetRezension von W. Riess äußert sich sehr lobend. «Den Sammelband zeichnen viele Vorzüge aus: ... ». «Der besondere Wert des Bandes liegt darüber hinaus ... ». «Der Band besticht nicht nur durch seinen Reichtum an wissenschaftlichen Erträgen, ... ». » ... runden den vorzüglichen Sammelband ab, der nicht nur allen am römischen Herrscherkult Interessierten eine Ptlichtlektüre sein sollte, sondern einen gewichtigen Beitrag zur antiken Religionsgeschichte insgesamt darstellt.»] Hitzl, K. 2002. «[Rez.] W. Spickermann (Hg. in Verbindung mit H. Cancik und J. Rüpke), Religion in den germanischen Provinzen Roms (Tübingen 2001)>>, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 5, 1095-1106. Hitzl, K. 2003. «Kultstätten und Praxis des Kaiserkults anhand von Fallbeispielen», in: H. Cancik - K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen, 97-127. Hitzl, K. 2003. «Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults», in: H. Cancik - J. Rüpke (Hg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor, Erfurt, 47-60. Hitzl, K. «Olympia im 2. Jahrhundert n. Chr.» [Als Beitrag für ein Beiheft der Zeitschrift Boreas mit dem Thema «Das römische Olympia» vorgesehen. Das Manuskript wurde im April 2004 abgeschlossen.].
Rom und die Provinz Sicilia: Zur religiösen Identität im Imperium Romanum HEIKE KUNZ
Vorrömische griechische und punische Kulte fanden in römischer Zeit andauernde Fortsetzung. Römische Immigranten und Magistrate in Sizilien beschränkten sich während der Republik weitgehend auf Förderung und Teilnahme an Lokalkulten; die Einbindung Siziliens in ein kohärentes religiöses System des römischen Imperium hatte keine Auswirkung auf die religiösen Traditionen der Insel. In der Kaiserzeit übernahmen die römischen Kolonien die traditionellen sizilisehen Gottheiten, ihre Kulte wurden weiter fortgesetzt, nun aber durch römische Elemente ergänzt. Römische Götter wurden nicht eingeführt. In ländlichen Gebieten waren die traditionellen Elemente der Kulte noch stärker als in den Städten. Die Formen religiöser Interaktion zwischen der Zentrale Rom und den Städten Siziliens beschränkten sich in der römischen Republik auf die Übernahme sizilischer Kulte bzw. Kultelemente nach Rom und die Diffusion weniger römischer Religionselemente nach Sizilien (zum Beispiel Podiumtempel), die sich in die lokale Kultur einlagerten. Vor allem auf einer religiös-politischen Ebene wird Sizilien in das römische Reich eingebunden; lokale Reflexe römischer Expansion in Sizilien sind selten. In der Kaiserzeit wurde vor allem auf der Ebene der Organisation von Religion (Priesterschaften, Kalender, Spiele) und des Sakralrechts stadtrömische Religion nach Sizilien verbreitet. Lokale Sonderformen der römischen Religion können für Sizilien nicht ausgemacht werden. Römische Verwaltungsstrukturen wurden nicht sakralisiert. Migration und/oder Handel spielten bei der Verbreitung zumindest stadtrömischer Religion in Sizilien kaum eine Rolle. Römische Religion verbreitete sich in Sizilien vor allem durch Kolonisation. Römische Religion wurde auch nicht durch römische Literatur verbreitet. Andererseits wurden aber Sagen, die auf Sizilien vorhanden waren, mit römischem Mythos verbunden (zum Beispiel Aeneas und die pii fratres von Catina). Die Kolonien römischer Bürger erhielten auch in Sizilien eine religiöse Grundausstattung: Dazu gehörten Auguren und Pontifices als religiöse Spezialisten, die Finanzierung und Kontrolle der Religion durch den städtischen und die Einführung des Grundstocks des römischen Festkalenders, der wohl auch kultische Realität erlangte (Vesta und Fortuna in Tauromenium, Ceres in Catina), jedoch kein Capitol als zentraler Kultort. Der römische Kalender von Tauromenium zeigt aber eindrücklich, daß stadtrömische Feste und Festdaten in die lokale Kultur eingepaßt und die römische Art der Zeitrechnung und Datierung parallel zur griechischen gebraucht wurde.
Rom und die Provinz Sicilia
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Durch Orientierung auf das römische Zentrum konnten in Sizilien neue Kultzentren beziehungsweise Zentren mit neuer religiöser Definition etwa in Hafenstädten und in Verwaltungssitzen entstehen; auch über Verkehrsadern und Verkehrsknotenpunkte verbreitete sich römische Religion. Die Religionen der römischen Kolonien und der Herrscherkult gehörten auch in Sizilien zu den wichtigsten Faktoren einer mehr oder weniger einheitlichen . Die lokalen Elemente des Herrscherkults waren auf praktischer Ebene jedoch stark; überregionale Komponente war vor allem die Person des Herrschers und dessen Selbstdarstellung, dazu gehörten auch bestimmte Handlungsanalogien (zum Beispiel der Eid auf den Herrscher). Römische Religion erreichte in Sizilien neben den städtischen Oberschichten auch die sozialen Unterschichten, die Wahrnehmung römischer Religionselemente in bezug auf ihre überregionale Bedeutung ist aber begrenzt gewesen. Die Ebene der Provinz erlangte in Sizilien keine feste religiöse Dimension. Auf lokaler Ebene findet sich die fast ausschließlich an einem Ort wieder: der . Für Sizilien existierte keine spezifische . Ein Städtebund (commune Siciliae) , der «ganz Sizilien» repräsentieren sollte, war aber wahrscheinlich an den zentralen Kulthandlungen des Provinz statthalters beteiligt. Am Untergang ganzer Ethnien, Sprachen und Kulturen haben die Römer im Unterschied zu den Griechen und Karthagern in Sizilien nicht mitgewirkt; eine Deformation der punischen und griechischen Kultur gleichermaßen ist seit der römischen Eroberung Siziliens aber sehr wohl zu bemerken. Eine kulturelle Blütezeit hat die Insel in römischer Zeit nie wieder erlangt. Projektleiter: Hubert Cancik. Förderungszeitraum: 2000 bis 2002. Veröffentlichungen Kunz, H. 2006. Sicilia. Religionsgeschichte des römischen Sizilien (Religion der Römischen Provinzen 4), Tübingen. Kunz, H. 2003. «Kaiserverehrung und Kaiserkult in der Provinz Sicilia: Traditionen - Formen Organisation», in: H. Cancik, K. Hitzl (Hgg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen, 233-248 [Die Ergebnisse wurden von Werner Riess (Sehepunkte - Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften 4, 2004) positiv bewertet. «Den Traditionen, Formen und der Organisation des Kaiserkultes in der Provinz Sizilien spürt Heike Kunz nach. Sizilien konnte auf eine lange Geschichte der hellenistischen Herrscherverehrung zurückblicken, als es von Rom provinzialisiert wurde. So verwundert es nicht, dass sich schon C. Verres im 1. Jahrhundert vor Christus gottähnlich verehren ließ. Charakteristisch für Sizilien ist die «Einbindung des Kaiserkultes in das [... ] lokale Traditionsgefüge», da der Kaiserkult «vor allem auf munizipaler Ebene bezeugt» ist, sowie die Tatsache, dass sich die Titulatur der Priesterschaften stärker an Rom ausrichtete als in den Westprovinzen (247).»] Kunz, H. 2003. «Zu einer Religionsgeschichte des römischen Sizilien», in: H. Cancik, J. Rüpke (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor, Erfurt, 94-106. Kunz, H. 2001. «[Rez.] A. Pinzone. Provincia Sicilia. Ricerche di storia della Sicilia romana da Gaio Flaminio a Gregorio Magno», in: Polifemo. Rivista di storia delle religioni e storia antica, 42--47.
«Nicht für das römische Volk, sondern für alle guten und starken Völker» (Cicero): Die Universalisierung von Religion in der späten römischen Republik MATTHIAS PEPPEL
Thema
Während der ausgehenden Republik versuchen römische in theoretischen Entwürfen, den Geltungsbereich stadtrömischer Religion zu verallgemeinern, zu universalisieren. Den einzelnen Versuchen ist das Ziel gemeinsam, die traditionelle römische Staatsreligion auf einen allgemeingültigen Begriff von Religion hin zu transzendieren. Diesen Begriff fundieren jeweils vernunftrechtliche, staatspolitische, theologische oder kulturhistorisch-anthropologische Gesamtkonzepte. Die Autoren (Cicero, Varro) nehmen dabei auch die Vorstellungen anderer Religionen im imperium Romanum auf. Zugleich entwerfen sie Normen, die es erlauben, religiöse Entwicklungen zu bewerten und zu kontrollieren. Verständlich werden diese Entwürfe vor dem Hintergrund vielfältiger universalistischer Tendenzen von der Republik bis zur frühen Kaiserzeit. In den Universalisierungsentwürfen werden für das Selbstverständnis römischer Religion zentrale Fragen wie die nach dem Geltungsbereich religiöser, moralischer und politischer Normen oder nach der Geschichte der eigenen Religion aufgeworfen. Die Analyse der (theoretischen) Universalisierung vor dem religionshistorischen Hintergrund zeigt, wie in einer Phase politischen und religiösen Umbruchs die traditionelle Auffassung von Religion innerhalb der römischen Elite reflektiert und zu universalen Konzepten im Sinne einer «Reichsreligion» weiterentwickelt wird. Methode Die Untersuchung ist eine religionshistorische und -typologische Studie und keine autorenbezogene Einzelstudie. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sind auch exemplarische Fälle von Universalisierung aus der mittleren Republik und der frühen Kaiserzeit miteinbezogen. Folgende übergreifende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Inwiefern werden die universalen Ansprüche, wie sie in der späten Republik formuliert werden, innerhalb der religionsgeschichtlichen Entwicklung bereits früher antizipiert - so etwa in selbstreferentiellen religiösen «theologischem) Äußerungen und in religionspolitischen Maßnahmen? Inwieweit löst sich die eine zunächst auf die Stadt Rom beschränkte und durch die politische Elite kontrollierte Religion im Rahmen der Ausdehnung des imperium Romanum von partikularen Charakteristika? In welchen Diskursen (genuin religiös - philosophisch, literarisch, politisch, rechtlich) und mit wel-
Universalisierung von Religion in der späten Republik
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chem Interesse werden Ansätze zu einer Uni versalisierung vertreten? Welche Rolle spielt in den Überlegungen der Elite die Entstehung der reichs weiten und reichsintegrierenden Religion des Kaiserkultes? Ergebnisse In Differenz zu jeglichem evolutionären Schema wird «Universalisierung» als ein religions wissenschaftlich operationalisierter Begriff aus der Sprache der Logik verstanden. Als solcher bezeichnet er zunächst nur die Ausweitung eines Geltungsanspruchs, der als normativ oder faktisch aufgefasst werden kann. Die allgemeine Geltung einer universalistischen Position bezieht sich im Zusammenhang der Untersuchung auf religiöse Vorstellungen und Handlungen einer bestimmten Gruppe (im weitesten Sinne aller Menschen) und wird behauptet; erstreckt sich der Geltungsanspruch auf das imperium Romanum, so ist die angestrebte universale Position als «Reichsreligion» zu bezeichnen. Ein universaler Geltungsanspruch drückt sich idealtypisch im für den Titel des Projekts gewählten Zitat aus Cicero, «De legibus» (2,35) aus. Demgegenüber erliegen un~-lineare Entwicklungsmodelle, wie sie vor allem in der Nachfolge des Hegeischen Geschichtsparadigmas konzipiert wurden, häufig der Gefahr, die Diversität religiöser Entwicklung - gerade auch in der römischen Religionunzulässig zu verkürzen. Daher dürfen neben universalistischen nicht die gegenläufigen Tendenzen übersehen werden, die etwa bei der Entlokalisierung von Religion auch wieder zu einer Relokalisierung führen können. Das gegenwärtig einflussreiche civic model etwa vernachlässigt bei seiner Reduktion römischer Religion auf ihre gemeinschaftsintegrierende Funktion diejenigen Tendenzen, welche die religiöse Praxis bereits in frühesten Zeugnissen (vor allem in der religiösen Rede über dei/omnes dei) so begründen, dass sie auf Totalität und Allgemeingültigkeit hin angelegt ist. Zentrale Kategorien neben den religiös Handelnden sind Ort und Raum sowie die zeitliche Dimension. Phänomene wie Monolokalisierung und Zentralität, Expansion und Translokalität sowie die Reduplikation von kultischen Orten (in Form der Kolonien) und Konzepte von Totalität sind ebenso der Universalisierung zuzuordnen wie temporale Vereinheitlichungen (durch den Mythos, durch Kultur- und Universalgeschichte; im Kalender und bei der religiösen und physikalischen Qualifikation von Zeit). Entscheidende Operatoren für Universalisierung sind die verschiedenen Medien (Darstellungs schemata; Ästhetisierung von Religion; Schrift als Mittel zur translokalen und transtemporalen Kommunikation; die kulturellen Medien «Theologie», «Literatur» und «Philosophie» [Cicero, Varro]). So versteht Cicero seine Religionsphilosophie als eine Form von politischer Praxis (Cic. div. 2,7), gewissermaßen als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Dabei wird auf einer Metaebene argumentiert, welche Religion in politische und naturphilosophische Kontexte einordnet. Eine ähnliche, <praktische> Auffassung seiner propagiert Varro, der sich als der römischen Religion inszeniert. Damit suggeriert der Antiquar, dass seine religionswissenschaftlichen und theologischen Ausführungen als Akt der Frömmigkeit, als eine Form religiöser Praxis aufzufassen sind. Analog dazu geht Varro in seiner Klassifikation der «dreige-
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Matthias Peppel
teilten Theologie» nicht von einer Dichotomie in und aus, sondern sieht die Formen des «Sprechens über die Götter» als verschiedene Aspekte einer Praxis an. Hintergrund dieses Selbstverständnisses ist die politische Situation der späten Republik: Die Konkurrenz der Führungsschicht um die Deutung der göttlichen Zeichen gerät allmählich aus dem Gleichgewicht. Die zunehmend verlorengehende Kontrolle über das religiöse Zeichensystem und über den damit verbundenen politischen Einfluss führt daher zum Versuch theoretischer Kompensation mit Hilfe universalistischer Konzepte (Kampf um die Deutungshoheit über den religiösen Diskurs). Die methodische Annahme performativer Strukturen lässt dies besser verstehen: Religiöse Praxis ist nicht nur wiederholende Aktualisierung einer tradierten Struktur; vielmehr wird gerade im Bereich der Religion gesellschaftliche Praxis ständig reflektiert, kritisiert und transformiert; es werden neue semantische Bezüge als Ausdruck oder Antizipation veränderter soziopolitischer Bedingungen geschaffen. Texte und theoretische Konzepte als Formen transpersonaler und translokaler Praxis spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle, können aber nur verstanden werden, wenn sie in Bezug zur religionsgeschichtlichen Entwicklung gesetzt werden. Die auf Griechisch erhaltene Asylieanerkennung für Teos, ein Sendschreiben des Prätors M. Valerius Messalla an die Gemeinde von Teos aus dem Jahre 193 v. Chr (SIG m 601), zeigt, dass die Römer ihre religiöse Praxis in den Kategorien eines bis in einzelne Formulierungen hinein vorgeprägten hellenistischen Diskurses deuten. Was die Rede über die Instanz der Götter (im Dokument: to theion to daimonion) betrifft, so ist ein vergleichbarer Grad an Abstraktion in zeitgenössischen römischen Texten nicht nachweisbar. Das Schreiben an die Gemeinde von Teos stellt somit ein eindrückliches Beispiel für eine mediterrane Koine dar, mithilfe derer das Verhältnis zu den Göttern (im Text: «das [allen gemeinsame] Göttliche» - to theion) in ähnlicher Weise für alle verständlich aufgefasst und sprachlich ausgedrückt wird. Zugleich hebt das römische Dokument - anders als die zahlreichen anderen erhaltenen griechischen Asylie-Inschriften - nicht nur die eusebeia gegenüber den Göttern hervor, sondern diese durch den Hinweis auf das für alle sichtbare «Wohlwollen», das den Römern von den Göttern zuteil geworden sei. In einem generalisierten Diskurs über das Verhalten gegenüber den Göttern formulieren die militärisch erfolgreichen Römer hier eine diskursive Machtverschiebung zu ihren Gunsten: Der Erfolg wird entsprechend der religiösen Tradition unverhohlen auf die göttliche Unterstützung zurückgeführt, um damit auch künftige Machtansprüche im Osten (und darüber hinaus) zu propagieren. Die dabei geführte Rede von der Gewissenhaftigkeit im Verhalten gegenüber den Göttern lässt sich in einen weiteren Wertekonsens einordnen, in dem neben der Götterehrung vor allem auch die Ehrung der Eltern (zusammengefasst im lateinischen Begriff der pietas) als zentrale Verhaltens norm gilt, welche die moralische Qualität (und Überlegenheit) einer Person ausmacht, ein Wertekonsens, der sich später im römischen Paradigma des Aeneas konkretisiert. Durch die Verbindung zu den im gesamten griechischsprachigen Raum verbreiteten «ungeschriebenen Gesetzen» lässt sich belegen, dass diese Normen nicht nur in der Elite, sondern auch in der breiten Bevölkerung anerkannt waren und in ihrem normativen Anspruch verstanden wurden.
Universalisierung von Religion in der späten Republik
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An diesem Beispiel wird deutlich: Universalistische Argumentationsformen und Konzepte sind als Formen historischer Praxis Teil und Ausdruck eines umfassenden Entwicklungsprozesses. Dieser lässt sich als verstehen: Im sich ausdehnenden imperium Romanum und seinem weiteren Einflussbereich beziehen sich verschiedene religiöse Medien, Praktiken und Ideen in neuer Weise aufeinander. Dies geschieht teilweise unter einem starken Gefälle politischer, ökonomischer, technischer und medialer Ressourcen, sodass Formen der Globalisierung häufig solchen des (ökonomischen, politischen, kulturellen) nahe kommen. Dies belegen verschiedene Beispiele kultischer Neuerungen und theologischer Bezüge in der republikanischen Religionsgeschichte: Universalisierung heißt in diesem Zusammenhang Kompensation historischer Kontingenzen. Diese Kontingenzen betreffen zum einen die an verschiedenen Orten und in traditionell gewachsenen Verehrungsformen ausgeübte religiöse Praxis, zum anderen die (mehr oder weniger) zufällige Zusammensetzung der in ihrer Pluralität verehrten Götter - des Pantheons. Das religiöse System versucht, diese Kontingenzen auf verschiedene Weisen zu rationalisieren: durch die Identifikation der eigenen mit fremden Göttern wird deren <Existenz> über das eigene Pantheon hinaus gesichert; durch die Hinzunahme neuer Götter und Göttinnen wird der Geltungsanspruch, die Legitimität des polytheistischen Pantheon erhöht. Auch wenn die Liste offen bleibt, entsteht so der (prinzipielle) Anspruch, im Unterschied zu allen anderen Völkern, universa, alle Götter insgesamt zu verehren (Min. Fel. 6,1), eine Legitimations strategie , die man mit Cancik als «additive Universalisierung» bezeichnen könnte; durch Ausschluss (weniger aus
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Matthias Peppel
der Divinisierung (Entscheidung über den göttlichen Status des Kaisers durch den Senat) den Kaiser zu legitimieren und zu kontrollieren. - Die dabei verwendeten Argumentationsfiguren und Metaphern (der Herrscher als SonnelBild Gottes/Sohn eines Gottes) lassen sich in einen hellenistischen Diskurs über göttliche Qualitäten des Herrschers und Ansprüche an die Qualitäten seiner Regentschaft einordnen. Senecas Versuch, die Göttlichkeit des Herrschers im Sinne einer Verhaltensnorm zu funktionalisieren, ist in der Kontinuität mit Ciceros Äußerungen zur Göttlichkeit beziehungsweise Unsterblichkeit des Staatsmannes beziehungsweise Herrschers (<<Somnium Scipionis», «Pro Marcello» 8,25-9,30) zu sehen. Religiöse Entwicklungen werden in beiden Fällen mit je partikularem Interesse in einen Diskurs über universal verstandene moralische Normen eingebunden. Die sich bereits am Ende der Republik herausbildende Reichsreligion «Herrscher-» beziehungsweise «Kaiserkult» gewinnt so im Diskurs der Herrschertheologie einen universalen Anspruch ethischer Rechtfertigung. Seit Herbst 2002 ist Matthias Peppel im Schuldienst - zunächst als Studienreferendar, inzwischen als Studienrat - tätig. Daher ist die Untersuchung noch nicht abgeschlossen und bislang auch keine akademische Qualifikation erreicht. Projektleiter: Hubert Cancik. Förderung szeitraum: 2000 bis 2003. Veröffentlichungen Peppel, M. 2002. «Kosmopolitismus», in: Betz, Hans-Dieter u. a. (Hgg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, 4, Tübingen. Peppel, M. 2003. «Gott oder Mensch? Kaiserverehrung und Herrschaftskontrolle», in: H. Cancik - K. Hitzl (Hgg.), Die Praxis der Herrsche1\Jerehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen, 69-95. Peppel, M. 2003. «Römische Reichsreligion und Reichstheologie», in: H. Cancik - J. Rüpke (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor, Erfurt, 47-60. Peppel, M. 2003. «Logos: religionswissenschaftlich», in: Betz, Hans-Dieter u. a. (Hgg.), Religion in Geschichte und Gegenwart 6, Tübingen. Peppel, M. 2003. «Nomos», in: Betz, Hans-Dieter u. a. (Hgg.), Religion in Geschichte und Gegenwart 6, Tübingen.
Neue Religion in altem Gewand? Die Christentum und die Literaturtradition am Beispiel der hexametrischen Johannes-Paraphrase des Nonnos von Panopolis DOROTHEA MOHR-SIGEL
Die Paraphrase des Nonnos, im fünften Jahrhundert n. Chr. in Ägypten entstanden, exemplifizierte im Rahmen des Schwerpunktprogramms zwei Punkte. Zunächst, in zweifacher Hinsicht, eine Kontaktsituation: Zum ersten zwischen der neuen Reichsreligion und alter religiöser Tradition (Mythos als Vehikel klassischer Bildung, Form des Epos) oder parallel zum Christentum noch vorhandenen religiösen beziehungsweise philosophischen Traditionen (Dionysos-Mysterien, Neuplatonismus); zum zweiten eventuell vorhandene lokale Ausprägung des Christentums (alexandrinisch, monophysitisch) im Vergleich zu einer überrregionalen Reichsreligion (dabei wichtig: Rolle des Kaisers?). Sodann die Adaption und Integration des klassischen Epos in christlichen Kontext, die im folgenden ausgeführt wird. Diese Situation soll hier nur in Stichworten skizziert werden: Es geht um eine Überlagerung verschiedener Bezugssysteme, die darauf zu befragen sind, inwieweit sie identitätsstiftend, legitimierend, inwieweit sie Ausdruck von Pluralismus oder Einheit sind. Die Koexistenz von nichtchristlichen und christlichen Traditionen in Alexandreia in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts war einerseits durch gewaltsame Auseinandersetzungen geprägt (Ermordung der Hypatia 415, an der Kyrillos wohl nicht unbeteiligt; dessen Kommentar wurde von Nonnos benutzt), andererseits war auch friedliches Nebeneinander zu beobachten (vergleiche den Textilfund aus Panopolis). Zu den leitenden Fragen gehörte die Frage nach dem Weltbild, das mit dem Gattungswechsel zum Epos transportiert wird; die Frage nach dem Verhältnis des Epos des Nonnos zu der lateinischen Bibelepik, das heißt zur christlichen Auseinandersetzung mit klassischer Literatur in einer anderen, der lateinischen Peripherie; schließlich die Suche nach Reflexen innerchristlicher Auseinandersetzungen. Ein umfangreiches Manuskript mit einigen Lücken liegt vor; die Redaktion des Manuskriptes ist für die Zeit nach Abschluß der Familienphase geplant (vermutlich 2007). Projektleiter: Hubert Cancik. Förderungszeitraum: 2001 bis 2003.
Die Verehrung orientalischer Gottheiten im römischen Britannien DORIT ENGSTER
In vielen religions geschichtlichen Darstellungen wird die Offenheit der Römer für fremde religiöse Vorstellungen hervorgehoben; gerade die Kulte der Mysteriengottheiten werden häufig als Beispiele für synkretistische Tendenzen und das verstärkte Eindringen orientalischer Elemente angeführt. Dabei folgt man in gewisser Weise den antiken Autoren, wie zum Beispiel Juvenal, der klagt, daß Rom geradezu von östlichen Vorstellungen überschwemmt werde. l Diese Auffassung findet sich auch vielfach in modernen Abhandlungen. Vielzitiert ist die Äußerung Toutains, daß die Welt wenn nicht christlich, dann mithrisch geworden wäre. Zielsetzung der Untersuchung war es, die Verbreitung orientalischer Kulte in einer von Rom weit entfernt liegenden Provinzen zu untersuchen und auf diese Weise exemplarisch ihren Stellenwert zu bestimmen. Die Provinz Britannia bot sich auch deshalb für eine Analyse an, weil die römischen Siedlungen weitgehend ausgegraben sind und das archäologische Material sehr gut aufgearbeitet ist. Am Beispiel Britanniens sollte der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei der Verehrung von Mysteriengöttern eher um ein Randphänomen handelte oder ob die Gottheiten in das lokale Pantheon integriert wurden. In einem zweiten Schritt sollte der Charakter der Mysterienkulte selbst im Zentrum der Untersuchung stehen. Leitender Gesichtspunkt war die Frage, ob sich hinsichtlich der Kultpraxis, Ikonographie und Weiheformeln in Britannien Spezifika beobachten lassen, ob Besonderheiten festzustellen sind, die auf eine besondere «britannische Ausprägung» der Kulte hinweisen. An erster Stelle mußte die Erfassung der Funde und die Erstellung eines Katalogs stehen, in dem auch sämtliche Neufunde der letzten Jahrzehnte Berücksichtigung fanden. Der Katalog wurde dabei nach geographischen Gesichtspunkten und nicht nach Kulten gegliedert. Auf diese Weise sollten die orientalischen Kulte zunächst als Einheit aufgefaßt und erst in einem zweiten Schritt eine Binnendifferenzierung vorgenommen werden. Auf dieser Basis wurde zunächst rein quantitativ die räumliche Verteilung der Funde analysiert. Im Vordergrund stand dabei die Lokalisierung von Heiligtümern und die Identifizierung von Kultgemeinden. Besonders berücksichtigt wurden die Fundkontexte, das heißt die Situation vor Ort: handelte es sich um einen Militärstützpunkt, eine zivile Siedlung, einen Zentralort et cetera. Hieran schloß sich eine Betrachtung der einzelnen Kultzeugnisse, insbesondere des epigraphischen Materials, an. Zunächst wurden - im Anschluß an die Betrachtung der Fundorte - die Angaben hinsichtlich der Anhängerschaft analysiert. In diesem Zusammenhang sollI
Juvenal 3,62.
Verehrung orientalischer Gottheiten im römischen Britannien
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ten auch - soweit möglich - die Zusammensetzung und Strukur der Kultgemeinden, das heißt die Hierarchien und Priesterschaften genauer in den Blick genommen werden. Anschließend wurden die Weihungen im Detail betrachtet und insbesondere Weiheformeln, Epitheta, Angaben zur Motivation des Stifters untersucht. Hierbei sollten ebenfalls die speziellen Charakteristika der einzelnen Mysteriengötter herausgearbeitet und - im Vergleich mit dem Material aus dem übrigen Imperium und mit Weihungen für andere Gottheiten - die Spezifika der britannischen Weihinschriften festgestellt werden. Unter diesem Gesichtspunkt wurde dann auch die Ikonographie der Kultbilder in die Untersuchung einbezogen. Ausgehend von den Weihinschriften sowie von den in den Heiligtümern gefundenen Götterdarstellungen sollte schließlich untersucht werden, ob und wie die Verehrung von Mysteriengöttern mit der anderer Gottheiten, sowohl einheimischer wie griechisch-römischer, verbunden wurde. Nach den Weihungen wurden die Heiligtümer beziehungsweise deren Ausstattung genauer betrachtet und versucht, Rückschlüsse auf die dort vollzogenen Riten und die Kultpraxis zu ziehen. Als Grundlage der Analyse und «Referenzpunkte» wurden Erkenntnisse herangezogen, die über die jeweiligen Kultpraktiken aus Rom und anderen Provinzen vorliegen. Die Analyse sollte dabei sowohl Übereinstimmungen mit andernorts bezeugten Riten als auch gerade Abweichungen und lokale Besonderheiten berücksichtigen. Auf den ersten Blick ist die Zahl der Zeugnisse für die Mysterienkulte relativ hoch. Belegt sind der Kult des Mithras, der des Jupiter Dolichenus, der Isis und des Serapis, der Kybele und des Attis sowie - durch Einzelfunde - die Verehrung des Jupiter Heliopolitanus, der Dea Hammia, der Astarte, der Dea Syria und der Dea Caelestis. Die Kulte der beiden erstgenannten Götter sind bei weitem am besten bezeugt und bildeten den Schwerpunkt der Untersuchung. Insgesamt umfaßt der Katalog an die zweihundert Fundstücke. Mehr als ein Dutzend Heiligtümer konnten nachgewiesen werden. Auf den zweiten Blick zeigte sich allerdings, daß das Fundmaterial äußerst vielgestaltig und von unterschiedlicher Qualität ist. Während sich Reste mithrischer Tempel erhalten haben und auch große Kultbilder gefunden wurden, ist die Verehrung der ägyptischen Götter vielfach nur durch Kleinfunden belegt. Bezüglich der Verteilung der Funde waren deutliche Konzentrationen in den administrativen und militärischen Hauptorten der Provinz sowie in den Lagern am Hadrianswall zu beobachten. Allerdings darf dies nicht zu dem Schluß führen, diese Orte seien gleichsam als Zentren der orientalischen Kulte anzusehen. Vergleicht man die Fundverteilung mit der der Zeugnisse für den Kult römischer Gottheiten, so läßt sich feststellen, daß sich auch letztere in den genannten Gebieten konzentrieren. Die östlichen Kulte fanden Anhänger in den Gebieten Britanniens, die in hohem Maße romanisiert waren. Die Verbreitung ursprünglich fremder Gottheiten scheint insgesamt an die Präsenz von Truppen, administrativem Personal und römischen Händlern gebunden gewesen zu sein. Vielfach sind die Kulte an einem Ort allerding nur durch eine oder einige wenige Inschriften bezeugt. Letztendlich muß in diesen Fällen immer fraglich bleiben, ob
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Dorit Engster
man von regelrechten Kultgemeinden sprechen kann oder ob vielleicht nur ein einzelner Anhänger seinen religiösen Vorlieben Ausdruck verlieh. Immerhin impliziert das Setzen einer Inschrift, daß eine größere Gruppe VOll' Personen mit dem Namen und Kult einer Gottheit vertraut war. Betrachtet man die Anhängerschaft der einzelnen Gottheiten im einzelnen, so läßt sich feststellen, daß ihre Zusammensetzung derjenigen in Rom und in den anderen Provinzen des Reiches weitgehend entspricht. Im Falle des Dolichenus- und des Mithraskultes machen Militärangehörige den größten Teil der Anhänger aus. Auffällig ist die Setzung einer Weihung für Jupiter Dolichenus durch legati in Caerleon2 und Ribchesteil - dies ist zwar nicht singulär, die Kultzugehörigkeit der Legaten muß aber letztendlich offen bleiben. Möglich wäre, daß es sich bei der Stiftung um die Anerkennung eines Kultes handelte, der bei den untergebenen Soldaten viele Anhänger gefunden hatte. Gleiches gilt für die Weihungen von Tribunen, die in Britannien gefunden wurden. Bemerkenswert ist ferner die große Zahl von Praefekten und Centurionen unter den Stiftern. Grund für ihre überproportionale Repräsentation könnten unter Umständen aber ihre im Vergleich mit einfachen Soldaten größeren finanziellen Möglichkeiten sein. Auf letzteres dürfte auch die große Zahl von Weihungen zurückzuführen sein, die die Angehörigen einer Einheit gemeinsam stifteten. Lediglich ein Stifter, ein negotiator aus York4 ist möglicherweise eher der zivilen Sphäre zuzuordnen. Auch in diesem Fall ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß der Händler seine Geschäfte vornehmlich mit dem Militär abschloß. Nur ein Anhänger ist aufgrund seines Namens als Einheimischer zu identifizieren,5 dagegen weisen die Namen anderer Stifter eher auf eine Herkunft aus dem Osten hin. Ein ähnliches Ergebnis ergab die Analyse der Anhängerschaft des Mithras. Auch hier waren ein Legat,6 ein Tribun? und eine Reihe von Präfekten8 an den Weihungen von Inschriften beteiligt. Bei der Mehrzahl der Stifter handelt es sich allerdings um einfache Soldaten beziehungsweise um militärische Einheiten. Nur selten ließ sich die Herkunft der Soldaten genauer bestimmen, Hinweise sprachen teils für den Donauraum, Italien, Germanien, Gallien, Afrika und den Osten des Reiches. Auch im Falle des Mithraskultes ließen sich nur Vermutungen über den Anteil der Zivilisten unter den Anhängern anstellen. Dominierend waren sicherlich - wie auch sonst an den Reichsgrenzen zu beobachten - die Militärangehörigen. Über die Anhängerschaft der übrigen orientalischen Gottheiten in Britannien läßt sich anhand der geringen Zahl von Inschriften nur wenig sagen. Auffällig ist, daß die Weihungen für Isis von hochrangigen Persönlichkeiten (einem legatus 9 und einem vir clarissimus legatus lO ) gestiftet wurden. Ein weiterer Legat stiftete eine Weihung für die Dea Syria." Wie viele Anhänger diese Kulte insgesamt fanden, ob es sich bei den CCID 586. CCID 581. 4 Irby-Massie Nr. 394. 5 CCID 555. 6CIMRM 870. 7 CIMRM 876. 8 CIMRM 872, 874, 841, 845ff. 9 Irby-Massie Nr. 436. 10 Irby-Massie Nr. 392. 11 Irby-Massie Nr. 389. 2
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Weihungen nur um den vereinzelten Ausdruck persönlicher Religiosität handelt, ist aufgrund der geringen Funddichte nur schwer festzustellen. Insgesamt waren die Mysterienkulte in Britannien jedenfalls von vergleichsweise geringer Bedeutung und fanden insbesondere unter den Einheimischen kaum Anhänger.· Betrachtet man die Weihungen für die verschiedenen Götter in Form und Formulierung, so läßt sich zunächst eine generelle Übereinstimmung mit den Weihungen in anderen Provinzen - sowohl für Mysteriengötter, als auch für römische Gottheiten - feststellen. Die Mysterienhänger richteten sich nach der gängigen «epigraphical habit». Auch die Epitheta der Götter entsprechen den andernorts belegten Beinamen. Mithras wird vor allem als der unbesiegbare Gott, der deus invictus angerufen. Charakteristisch. ist weiterhin seine Identifikation mit Sol. Außergewöhnlich, wenn auch nicht ohne Parallele ist die Gleichsetzung des Gottes mit Apoll in Weihungen aus Rudchester und Whitley Castle. 12 Es finden sich allerdings durchaus auch singuläre Weiheformeln. So wird Mithras als saecularis bezeichnet, womit auf seine Herrschaft über Zeit und Kosmos verwiesen wird. 13 Bei den Weihungen für Jupiter Dolichenus zeigen sich ebenfalls nur wenige Abweichungen vom üblichen Schema. Der Gott wird in den meisten Fällen als Jupiter Optimus Maximus angerufen, ohne jede weitere Spezifizierung. Dies entspricht dem Bild, das seine Weihungen im gesamten Imperium Romanum bieten. Nur in einigen wenigen britannischen Inschriften wird von der sonst üblichen Formel abgewichen. So wird er in einer Weihung als aetemus tituliert. 14 Diese Charakerisierung findet sich allerdings auch in Inschriften aus Rom. Ungewöhnlich ist immerhin auch seine Bezeichnung als sanctus 15 sowie die Identifikation mit Jupiter Heliopolitanus in einer Weihung aus Carvoran. 16 Sowohl in den Weihungen für Mithras als auch in denen für Jupiter Dolichenus wird verschiedentlich der Anlaß der Weihung, die Motivation des Stifters genannt. Meist sind die Inschriften zum Wohl des Kaiserhauses oder der jeweiligen militärischen Einheit gesetzt, dagegen nur selten - wie andernorts bezeugt - zum Wohl eines Angehörigen. Dieses dürfte auf die Struktur der Anhängerschaft beziehungsweise den hohen Anteil an Soldaten zurückzuführen sein. Nur wenige in Britannien gefundene Weihungen gelten den ägyptischen Göttern und ihre Analyse bleibt daher wenig aussagekräftig. Zudem zeigen sich in diesen Fällen - wie bei den weiteren noch belegten Gottheiten 17 - keine Auffälligkeiten: Sarapis wird mit Jupiter identifiziert, Isis trägt keine besonderen Beinamen. Zeigen sich in den Weiheformeln nur wenige Spezifika, so gilt dies auch für die Verbindung der Kulte mit der Verehrung anderer Götter. Gewissermaßen ein Paradebeispiel für die Integration anderer Gottheiten ist das Mithräum von London, in CIMRM 843, 837B. CIMRM 861, 863, 864. 14 CCID 565. 15 Irby-Massie Nr. 397b. 16 CCID 573. 17 Kybele wird in einer Weihung aus Carrawburgh (CCCA 499) als mater deum bezeichnet, unsicher muß die Bezeichnung der Göttin als panthea bleiben (CCCA 497); Jupiter Heliopolitanus ist optimus max;mus (Irby-Massie Nr. 413), die Dea Caelestis wird als regina bezeichnet (Irby-Massie Nr. 406), die anderen Gottheiten tragen keine besonderen Beinamen. 12
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dem unter anderem Darstellungen des Serapis, des Merkur, der Minerva, des Bacchus und eines Genius gefunden wurden. 18 Es bleibt allerdings problematisch, ob von regelrechten Kultverbindungen gesprochen werden kann. Außer Frage steht, daß Mithras als höchster Gott verehrt und die anderen Gottheiten ihm nachgeordnet wurden. Dies gilt auch für die Funde von Götterdarstellungen in anderen Mithräen. 19 Bei den in den Kult integrierten Gottheiten handelt es sich um Götter, die auch sonst in Verbindung mit dem Mithraskult belegt sind - ungewöhnlich, wenn auch nicht ohne Parallele ist lediglich die Statue einer Muttergottheit im Mithräum von Carrawburgh. 20 Auch die Verehrung des Jupiter Dolichenus konnte ohne weiteres mit der anderer Gottheiten verbunden werden. In den Weihinschriften werden gemeinsam mit ihm unter anderem ein Genius,21 die Caelestis Brigantia und Salus genannt. 22 Es finden sich zudem Darstellungen unter anderem eines Genius,23 des Apoll,24 und - bemerkenswerterweise - des Aeskulap und der Hygieia,zs Der fehlende Exklusivitätsanspruch wird auch daran deutlich, dass zahlreiche in den Inschriften genannten Personen gleichzeitig als Stifter von Weihungen für andere Gottheiten bekannt sind, so zum Beispiel für Apoll,26 Mars oder Victoria. 27 Eine ähnliche Offenheit für andere religiöse Vorstellungen läßt sich - wenn auch in bescheidenerem Umfang - für die übrigen in Britannien verehrten Mysteriengötter feststellen. Auffällig bleibt allerdings, daß nur selten einheimische Götter in den Kult integriert wurden und sich das Spektrum der Gottheiten im Wesentlichen auf die Hauptgottheiten des römischen Pantheons beschränkte. Nur wenige Abweichungen von gängigen Formen lassen sich hinsichtlich der Ikonographie der Denkmäler feststellen. Die Kultreliefs des Mithras zeichnen sich reichsweit durch eine relativ hohe Homogenität aus. Auch in Britannien ist der Typus der Darstellung der gleiche: der Gott kniet über dem Himmelsstier und tötet ihn. Die Darstellungen anderer Motive, zum Beispiel der Begleiter des Mithras, der Felsgeburt und des Aion weisen ebenfalls keine signifikaten Unterschiede zu den Weihungen im übrigen Reichsgebiet auf. Es wurden aber auch zwei außergewöhnliche Zeugnisse in Britannien gefunden, die ohne direkte Parallele sind. Es handelt sich um einen Altar, auf dessen Vorderseite in einen Kranz die Weihung Deo eingeschrieben ist,28 und um eine Darstellung der Felsgeburt des Gottes, in der dieser aus dem «Weltei» geboren und mit Phanes identifiziert wird. 29 Dem üblichen Typ der Darstellungen entsprechen auch die wenigen Darstellungen des Jupiter Dolichenus. Bemerkenswert ist immerhin eine aus Chester stammende Statue der Juno Dolichena, die offensichtlich an die Ikonographie der Kaiserin angeglichen wurde. 30 Die in CIMRM 814. So den Fund einer Weihung an Mars und Victoria in Housesteads (CIMRM 861 und 865). 20 CIMRM 850. 21 Irby-Massie Nr. 394. 22 CCID 565. 23 CCID 565. 24 CCID 568. 25 CCID 558. 26 CCID 561. 27 CCID 557. 28 CIMRM 839. 29 CIMRM 860. 30 CCID 563. 18
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Britannien gefundenen Darstellungen der Kybele, des Attis, des Serapis, des Osiris, der Isis, des Harpokrates entsprechen ebenfalls den im Reich gängigen Typen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß es sich vielfach um eher kleinformatige Darstellungen sowie möglicherweise auch um Importe handelt. Der Vergleich provinzialrömischer Kultpraxis mit derjenigen in Rom wird dadurch erschwert, daß erstgenannte in den literarischen Quellen vergleichsweise wenig themasiert wird. Dies gilt gerade auch in Bezug auf die Mysterienkulte. Die auf die Kultzeremonien verweisenden Funde mußten daher - mit allen damit verbundenen Risiken - ausgehend von Beschreibungen der Riten in anderen Teilen des Reiches gedeutet werden. Festzustellen war, daß im Falle der Mithrasmysterien Lichteffekte, Opfer und Kultmähler eine große Rolle gespielt haben müssen. Nur wenige Hinweise finden sich allerdings auf die verschiedenen Weihegrade des Mithraskultes beziehungsweise auf die Einweihungsriten. Im Falle des Dolichenuskultes und der Verehrung der ägyptischen Götter lassen die Funde ebenfalls auf Opferfeiern sowie möglicherweise auf Prozessionen schließen. Ein singuläres Zeugnis liegt für die Riten des Kybelekultes vor. Es handelt sich um eine reichverzierte Zange, die vielleicht im Zusammenhang mit der rituellen Kastration der Anhänger gebraucht wurde. 31 Die Menge der Kultzeugnisse täuscht darüber hinweg, daß sich über den Umfang der Verehrung nur relativ ungenaue Aussagen machen lassen. Nur selten lassen sich Kultstätten genau lokalisieren - sichere Befunde liegen nur für die Tempel des Mithras vor. Häufig läßt sich auf die Existenz eines Heiligtums nur aufgrund der großen Zahl von Funden vor Ort schließen. Schwierig bleibt auch der Nachweis von Kultgemeinden beziehungsweise der Kontinuität der Kultpraxis an einem Ort - zum Beispiel nach Verlegung der dort ursprünglich stationierten Einheit. Nur im Falle des Mithraskultes lassen sich, ausgehend von der Größe der Mithräen, Aussagen zur Zahl der Anhänger machen und, wenn mehrere Bauphasen nachzuweisen sind, auch zur Entwicklung des Kultes. Betrachtet man die Funde insgesamt und berücksichtigt man die Bindung der Mysterienkulte an die vor Ort stationierte Anhängerschaft, wird die Annahme einer besonderen «britannischen» Form der Kultpraxis problematisch - zumal wenn man zum einen die hohe Zahl von Militärangehörigen unter den Anhängern, zum anderen die Mobilität der militärischen Einheiten in die Überlegungen miteinbezieht. Letztere erklärt, warum sich für die meisten der in Britannien gefunden Weihungen und Darstellungen Parallelen im übrigen Imperium finden. Die vorgestellten Besonderheiten der Kultpraxis dürften somit eher auf individuelle Vorstellungen und Interpretationen oder auf die Präsenz bestimmter Einheiten zurückgehen, als auf lokale Einflüsse und Traditionen.
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CCCA 489.
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Förderungszeitraum: 2001. Veröffentlichungen Engster, D. 2007. «Synkretistische Phänomene bei Gottheiten in den antiken Mysterienkulten», in: B. Groneberg und H. Spieckermann (Hrsg.), Die Welt der Götterbilder (im Druck). Engster, D. 2008. Die Verehrung orientalischer Gottheiten im römischen Britannien: Der Stellenwert fremder Kulte innerhalb des britannischen Pantheons (im Druck).
Stadt und Hinterland: Religiöse Landschaften im südlichen Niedergermanien RAINER WIEGELS, WOLFGANG SPICKERMANN UND FRANK BILLER
Ziel dieses Teilprojekt war es, als Regionalstudie im Rahmen einer Geographia sacra Germaniens die religiösen Verhältnisse des Zentralortes Colonia Claudia Ara Agrippinensium/Köln, des Legionsstandortes BonnalBonn und deren Hinterland im südlichen Niedergermanien zu analysieren. Untersucht wurden zum einen die Beziehungen der Hauptstadt der Provinz Germania inferior zu ihrem unmittelbaren Umland, das von den niederrheinischen Matronenkulten dominiert wurde. Zu prüfen war unter anderem, inwieweit die Colonia Claudia Ara Agrippinensium als zentraler Ort Niedergermaniens, der bekanntermaßen auch als Zentrum des provinzialen Kaiserkultes angelegt worden war, auch im religiösen Transfer eine zentrale Stellung einnahm oder ob und auf welche Weise umgekehrt Einflüsse des Hinterlandes aufgenommen worden sind. Zum anderen war nach der Rolle des römischen Heeres für die Kultlandschaft im genannten Gebiet zu fragen. Dabei kommt dem Legionslager und dem angrenzenden vicus in BonnalBonn sowie den von dort ausgehenden Ausstrahlungen wesentliche Bedeutung zu. Besondere Aufmerksamkeit wurde jeweils möglichen Achsenbildungen zwischen Zentralorten und Region zugedacht. Zu diesem Zwecke wurden die vorhandenen, teilweise sehr verstreuten epigraphischen und archäologischen Quellen gesichtet und - soweit nicht publiziert - über Fundverzeichnisse und Orts akten aufgenommen, um sie dann im Rahmen der oben skizzierten Fragestellungen zu interpretieren. Ziel war ferner, aus den Ergebnissen eine Kulttopographie des Untersuchungsraumes zu erstellen. Den zeitlichen Rahmen des Projektes bildet die römische Kaiserzeit bis zum Aufkommen des Christentums. Der erste Forschungsschwerpunkt behandelt die Formierung und Entwicklung regionaler Religionen zwischen Niederrhein und unterer Mosel. Im Gegensatz zur Belgica und insbesondere dem Treverergebiet, das von größeren Neuansiedlungen und Truppenkonzentrationen nur gering erfaßt worden ist, finden wir in der Germania inferior als Folge zahlreicher Um- und Ansiedlungen der frühen Kaiserzeit ein ethnisch und soziokulturell heterogenes Bevölkerungskonglomerat ohne einheitliche Identitäten und Kulttraditionen. In Niedergermanien entsteht seit dem letzten Drittel des ersten Jahrhunderts n. Chr. eine eigenständige, gallo- beziehungsweise germanorömische Provinzialreligion, die als ein neues System regionaler Religion mit primär bodenständiger Ausprägung zu definieren ist. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt behandelte die Erfassung regionaler Landschaften, insbesondere die Beziehung zwischen Stadt und Hinterland, zwischen Zentrum und Peripherie unter Berücksichtigung der Polyzentralität in der Peripherie. Dabei wurde nach der Integrationsleistung von Religion als Faktor kultureller Ver-
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Rainer Wiegels, Wolfgang Spickennann und Frank Biller
änderungsprozesse provinzialen beziehungsweise regionalen oder lokalen Charakters gefragt; des weiteren nach der Typologie (Formen und Bedingungen von Interaktionsprozessen), nach der religiösen Bedeutung von Mobilität bestimmter Gruppen, nach den dadurch ausgelösten religiösen Diffusions- und Transferprozessen sowie nach der Formation kultureller Räume in provinzialem beziehungsweise regionalem Kontext überhaupt. Kulturräume lassen sich als Verdichtungsgebiete relevanter Einzelmerkmale mit einem Kernraum innerhalb des gesamten Verbreitungsraumes definieren, der an den Rändern, wo die Verdichtung abnimmt, unscharf wird. Wichtig ist, daß solche Verbreitungsräume nicht einem Orts zentrum zugeordnet sein müssen. Auf dieser Grundlage konnte etwa die Frage, inwieweit Köln als caput provinciae auch hinsichtlich des religiösen Transfers eine signifikante Bedeutung besaß, dahingehend beantwortet werden, daß - umgekehrt - vornehmlich Einflüsse der ländlich geprägten Hinterlandes von Köln aufgenommen worden sind, das im Rahmen des Kulturraumkonzeptes als Kernraum der niederrheinischen Matronenkulte definiert werden kann. Auf Grundlage der über einhundertfünfzig epigraphischen Weihezeugnisse sowie der Bildwerke lassen sich grundsätzliche Aussagen zur spezifischen Prägung des lokalen Pantheons und der Dedikantenkreise am niedergermanischen Rheinlimes treffen, die sich von den Verhältnissen in der CCAA unterscheiden. Die Lokalisierung der Heiligtümer ergeben eindeutige Binnendifferenzierungen innerhalb der lokalen Kulttopographie, womit eine verfeinerte Abgrenzung religiöser Lokallandschaften im Kontext unterschiedlicher Siedlungs agglomerationen (castrum - canabae legionis - vicus) möglich wird. Die religiöse Lokallandschaft kann noch weiter differenziert wird. Zum Beispiel scheinen in Bonn unterschiedliche Personen- und Statusgruppen - im Rahmen einer Hierarchie lokaler Kultplätze - verschiedene Heiligtümer im Bereich des Bonner Legionärslagers frequentiert zu haben. Zudem zeichnen sich bereits eindeutige Achsenbeziehungen und Transferrichtungen von Religion im provinzialen Raum ab. Dem später in Bonn vollzogenen Kult der Matronae Aufaniae, zu deren Dedikantenkreis die munizipalen und administrativen Eliten gehörten, ging ein Transfer des Kultes aus dem niedergermanischen Hinterland nach Bonn voraus. Insbesondere über Soldaten der Bonner legio I Minervia erfolgte dann die weitere Diffusion des Aufanienkultes entlang des Rheinlimes nach Mainz, Lyon oder sogar nach Carmona in Hispanien. Bei der Auswertung des Kölner Befundes gab es gravierende Schwierigkeiten methodischer Art, was insbesondere die Identifizierung und topographische Lokalisierung betrifft. Die Auswertung und typologische Klassifizierung von über zweihundertfünfzig Weihinschriften zeigt erwartungsgemäß sozial diversifizierte Dedikantenkreise sowie ein bemerkenswert breites, im provinzialen Vergleich einzigartiges Kompositionsspektrum des städtischen Pantheons - ein Befund, der vor dem Hintergrund der religiösen Transferbeziehungen zwischen Zentralort und provinzialem Hinterland zu interpretieren war. Es war dabei zu fragen, ob beziehungsweise inwiefern das caput provinciae auch als religiöses Zentrum der Provinz Germania inferior erscheint. Des weiteren wurde der Frage nach der ortspezifischen Ausprägung der Civitas-Religion nachgegangen. Besondere Aufmerksam wurde hierbei der architektonisch gestalteten Hierarchisierung und Monumentalisierung der intraurba-
Religiöse Landschaften im südlichen Niedergermanien
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nen Kultplätze gewidmet sowie zu rekonstruieren versucht, welchen KuHen eine besondere Position innerhalb der Hierarchie des Pantheons der CCAA zugewiesen werden kann. Kultische Zentren und Matronenverehrung in der südlichen Germania inferior (F. Biller)
Die Untersuchungsschwerpunkte der Dissertation von Frank Biller wurden in enger Abstimmung mit den innerhalb des DFG-Projektes relevanten Problemstellungen formuliert und in zwei Hauptthemenfelder eingeteilt: Erstens Untersuchung und Klassifizierung religiöser Zentren, zweitens Erforschung von Wesen, Praxis und Trägerschaft der sogenannten Matronenkulte. Als religiöse Zentren wurden - gleichsam als heuristischer Ansatz - Tempel und Tempelbezirke in den ländlichen Gebieten Niedergermaniens sowie ausgewählte vici definiert. Die Untersuchung erstreckte sich auf die Matronentempel in NideggenAbenden, Zingsheim, Nöthen/Pesch, Nettersheim und Eschweiler-Fronhoven, deren archäologische Funde und Befunde sowie Epigraphica in Form eines Katalogs aufgearbeitet wurden. Hinzu kamen Ergebnisse einer Ausgrabung aus den Jahren 2000 und 2001 an den sogenannten Katzensteinen bei Mechernich-Katzvey, die zur Aufdeckung eines Diana-Tempels führte. Als Beispiele für römische Straßenvici boten Iuliacum/Jülich und Tolbiacum/Zülpich die besten Ansatzpunkte. Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, welch großen Einfluss die sogenannten Matronenkulte innerhalb der Germania inferior - und besonders innerhalb des Untersuchungsgebietes - ausübten. Nicht nur dass den bislang entdeckten Tempeln lokaler wie stadtrömischer Gottheiten ebenso viele Anlagen der einheimischen Göttertrias gegenüberstehen, auch auf dem Gebiet der Epigraphik offenbart sich eine herausragende Präsenz dieser Göttinnen innerhalb des provinzialen Pantheons. Die Matronen waren eng mit der Glaubenswelt der seit 20/19 v. Chr. aus dem Neuwieder Becken und dem Gebiet der Lahn umgesiedelten Ubier verbunden. Sie wurden von ihnen sowohl als Ahnengottheiten als auch als Fruchtbarkeitsgöttinnen verehrt. Hinweise auf die ihnen zugedachten Wirkungskreise liefern die etwa einhundert im Rheinland nachgewiesenen Matronenepiklesen. Durch die Verbindung der Kulte mit den Ubiern erscheint der bislang in der Forschung vertretene Verehrungsbeginn im Jahr 161 n. Chr. fragwürdig. Auch dass mit dem Bau eines Matronentempels unter dem Bonner Münster in diesem Jahr - als Reaktion auf die Mobilisierung der legio I Minervia für den Orient-Feldzug Mare Aurels - die Kulte der drei Muttergottheiten eingeführt wurden und Soldaten der Bonner Legion sich aufgrund des drohenden Krieges an einheimische Götter wandten, die bis dahin in Form eines Ziegenkultes verehrt wurden, ist nicht haltbar. Mehrere Gründe sprechen gegen diese These: Zum einen ist das gesamte Wesen des Kultes auf die Bedürfnisse einer landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung ausgelegt und nicht auf die Hoffnungen und Ängste von Soldaten, so dass von einer <Erfindung> der Kulte durch die Bonner Legion nicht gesprochen werden kann. Zudem weisen archäologische wie epigraphische Funde aus den ländlichen Gebieten der Germania inferior eindeutig darauf hin, dass die Kulte bereits im ersten
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Rainer Wiegels, Wolfgang Spickermann und Frank Biller
Jahrhundert n. Chr. in Tempelbezirken ausgeübt wurden und das Setzen von lateinischen Weihinschriften für die Matronen bereits Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts in Mode war. Die Trägerschaft der Matronenkulte rekrutierte sich aus allen Schichten der Provinzgesellschaft. In den großen Siedlungs zentren am Rhein, vor allem in Bonn, zeichneten sich die Dedikanten durch ihre gesellschaftliche Exklusivität aus. Sie stammten in der Regel aus den Kreisen des hohen Militärs beziehungsweise der oberen Provinzverwaltung. Je weiter man sich von den Städten der Rheinschiene entfernt, um so mehr nimmt die Prominenz der Dedikanten ab. Es finden sich dort hauptsächlich bodenständige Dedikanten, die durch das Tragen römischer Namen einen Grad an Romanisation erkennen lassen. Die fassbaren Kultpraktiken waren Ergebnisse eines Interaktionsprozesses, bei dem letztendlich bodenständige Glaubensinhalte mit Kultvorstellungen der römischen Bevölkerung (Soldaten, in villae rusticae auf dem Land niedergelassene Veteranen, Händler, Angehörige der Provinzialverwaltung) verschmolzen: Es gab private wie öffentliche Opfer und Kultbilder in den Umgangstempeln, wie Darstellungen auf Weihungen und Dedikationsinschriften beweisen. Darüber hinaus muss es religiöse Spezialisten gegeben haben, die für die korrekte Durchführung des Kultgeschehens verantwortlich waren. Sie regelten den Ablauf, führten gemeinschaftliche Kulthandlungen durch und waren für die Pflege sowie den Schutz der Anlagen verantwortlich. Das Ende der Matronenkulte wird in der Forschung in die Mitte des dritten Jahrhunderts n. ehr. gesetzt. Jedoch weisen die Funde und Befunde in den Tempelbezirken darauf hin, dass hier kultische Handlungen bis weit ins vierte Jahrhundert n. Chr. stattfanden. Es ist davon auszugehen, dass die Riten nicht verschwanden, sondern sich lediglich die Form der Verehrung wandelte. Weitere Mitarbeiter: Kresimir Matijevic und Heinz Hermann Steenken. Förderungszeitraum: 2001 bis 2004. Veröffentlichungen Biller, F.; Wagner, P. 2000. «Neufund am Straßenrand: römische Weihesteinfragmente an den Katzensteinen» , AiR 1999, KölnJBonn, 111-113. Biller, F.; Wagner, P. 2001. «Ein römischer Tempel an den Katzensteinen bei Katzvey?», AiR 2000, Stuttgart, 82-85. Biller, F. 2002. «Eine fast vergessene Matronenweihung aus Bad Münstereifel», AiR 2001, Stuttgart, 69-72. Biller, F. 2003. «Neue Denkmäler orientalischer Kulte in Niedergermanien», in: E. Schwertheim und E. Winter (Hrsg.), Religion und Region. Götter und Kulte aus dem östlichen Mittelmeerraum (Asia Minor Studien 45), Bann, 49-70, Taf. 1-2. Biller, F.; Spickermann, W.; Steenken; H. H.; Wiegels, R. 2003. «Religion in den germanischen Provinzen Roms», in: Cancik, H. und Rüpke, J. (Hrsg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor, Erfurt, 107-118. Biller, F. 2005. «Die sog. Katzensteine bei Mechernich-Katzvey. Zeugnisse römischer Präsenz am Rand der Nordeifel», in: W. Spickermann u. a. (Hrsg.), Rom, Germanien und das Reich. Festschr. für Rainer Wiegels, St. Katharinen, 271-276.
Religiöse Landschaften im südlichen Niedergennanien
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Biller, F.; Perse, M. 2006. «MinervaGaler'ie. Eine antike Göttin im Wandel der Zeit», Führer des Stadtgeschichtlichen Museums Jülich Nr. 20, Jülich. Biller, F. 2007. Kultische Zentren und Matronenverehrung in der südlichen Germania inferior, Dissertation Osnabrück 2005 (in Vorbereitung zur Drucklegung). Biller, F.; Perse, M. 2007. «Minerva im Rheinland - Zur Rekonstruktion einer antiken Göttin», AiR 2006 (im Druck). Biller, F. «Das Fragment eines Votivrades für den keltischen Radgott aus Jülich-Merzenhausen», in: M. Perse (Hrsg.), Einhundertmal. Erinnerungsschätze aus der Sammlung des Museums Jülich 1902-2002, Ausstellungskatalog (noch ohne Erscheinungstermin). Cancik, H.; Schäfer, A.; Spickermann, W. (Hrsg.) 2006. Zentralität und Religion. Zur Fonnierung urbaner Zentren im Imperium Romanum (Studien und Texte zu Antike und Christentum 39), Tübingen. Matijevic, K. 2007. «Religion im unteren Moselraum: Mayen und Umgebung», in: Kolloquium «Stadt und Land» Erfurt 2005. Matijevic, K. 2007. «Ein Altar für Apollo und Aesculapius aus Dormagen/Durnomagus, Kreis Neuss. Zur Ergänzung von AE 1977 Nr. 564,» ZPE 159, 301-302. Spickermann, W.; Cancik, H.; Rüpke, J. (Hrsg.) 2001. Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen. Spickermann, W. 2001. «Die germanischen Provinzen als Feld religionshistorischer Untersuchungen», in: W. Spickermann, H. Cancik und 1. Rüpke (Hrsg.), Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen, 3--47. Spickermann, W. 2001. «Interpretatio Romana? Zeugniss~ der Religion von Römern, Kelten und Germanen im Rheingebiet bis zum Ende des Bataveraufstandes», in: D. Hopp; Ch. Trümpler (Hrsg.), Die frühe römische Kaiserzeit im Ruhrgebiet. Kolloquium des Ruhrlandmuseums und der StadtarchäologielDenkmalbehörde in Zusammenarbeit mit der Universität Essen, Essen, 94-106. Spickermann, W. 2002. «Nouvelles reflexions relatives a la genese et aux vecteurs des cultes matronales dans la region du Rhin inferieure », Cahiers du Centre G. Glotz 13, 141-167. Spickermann, W. 2003. Germania Superior. Religionsgeschichte des römischen Germanien l. (Religion in der Römischen Provinzen, Bd. 2), Tübingen. Spickermann, W.; Steenken, H. H. 2003. «Römische Religion», in: Beck, H.; Geuenich, D.; Steuer, H. (Hrsg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA)~ Bd. 25, Berlin/New York, 111-127. Spickermann, W. 2005. «Keltische Götter in Niedergermanien? Mit einem sprachwissenschaftlichen Kommentar von Patrizia De Bernardo Stempel», in: W. Spickermann; R Wiegels (Hrsg.), Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Workshops «Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae« (F.E.R.C.AN) vom 04.-06. Oktober 2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9), Möhnesee, 125-148. Steenken, H. H. 2005. «Funktion, Bedeutung und Verortung der ara Ubiorum im römischen Köln - ein status quaestionis», in: W. Spickermann, in Verbindung mit K. Matijevic und H. H. Steenken (Hrsg.), Rom Germanien und das Reich. Festschrift zu Ehren von Rainer Wiegels anlässlich seines 65. Geburtstages (Pharos - Studien zur griechisch-römischen Antike Bd. XVllI), St. Katharinen, 104--49. Steenken, H. H. 2006. «Umgangs tempel» , in: Beck, H.; Geuenich, D.; Steuer, H. (Hrsg.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA)~ Bd. 31, Berlin/New York, 422--429. Wiegels, R 2001. «Zur Götterverehrung in römischer Zeit im unteren Neckarraum. Das Beispiel des Iupiterkultes», in: W. Spickermann, H. Cancik und J. Rüpke (Hrsg.), Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen, 193-221. Wiegels, R; Spickermann, W. (Hrsg.) 2005. Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Workshops «Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae« (F.E.R.C.AN) vom 04.-06. Oktober 2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9), Möhnesee. Wiegels, R 2006. «Zentralität - Kulturraum - Landschaft: Zur Tauglichkeit von Begriffen und Ordnungskriterien bei der Erfassung religiöser Phänomene im Imperium Romanum», in:
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Rainer Wiegels, Wolfgang Spickennann und Frank Biller
Cancik, H.; Schäfer, A. und Spickermann, W. (Hrsg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, Tübingen, 21-46. Wiegels, R. 2007. Einige Überlegungen zu den Mithras- Verehrern im gallisch-germanischen Raum (in Vorbereitung).
Die Transformation religiöser Landschaften in der Gallia N arbonensis RALPH HÄUSSLER
Dieses Teilprojekt untersucht die Transformation religiöser Landschaften zwischen der späten vorrömischen Eisenzeit (ab circa drittes Jahrhundert v. Chr.) und dem Ende der Prinzipatszeit (drittes Jahrhundert n. Chr.) auf dem Gebiet der römischen Provinz Gallia Narbonensis. Unter dem Leitbegriff der Sakrallandschaft soll hier die Lokalisierung von Kultstätten und deren Bezug zu sich schnell verändernden Siedlungsstrukturen (Urbanisierung, Munizipalisierung, Kolonialisierung, Centuriation, villae rusticae et cetera) sowie die Rolle von Religion, Mythos und Kultstätten im soziogeographischen Kontext dieser Region erforscht werden. Die Untersuchung ermöglicht wichtige Erkenntnisse zu Übernahme, Transformation, aber auch Abgrenzung zwischen zentralrömischen und regional traditionell gewachsenen religiösen Vorstellungen und den diesbezüglichen Kultpraktiken. Dies betrifft sowohl die Formation kulturelleI Räume als auch deren innere Struktur in ihrer Komplexität und Heterogenität. Statt Soldaten und Immigranten, die den Befund zur Religion in vielen westlichen Provinzen maßgeblich charakterisieren und teilweise dominieren, sind die Akteure in der Narbonensis größtenteils der einheimischen Bevölkerung zuzurechnen, deren Kultaktivitäten und Entscheidungen von einer kulturellen Interaktion zwischen einer bodenständigen, «keltischen» Religion und der gesellschaftlich und ideologisch tonangebenden griechisch-römischen Religion und Mythologie motiviert werden. Die Gallia N arbonensis ist besonders geeignet, um die Dynamik der «Romanisierungsprozesse» am Beispiel der Religion zu studieren, da man dort durch die Fülle an Material, die uns fast lückenlos Informationen zur Religionsausübung gerade auch in der brisanten Phase zwischen der späten vorrömischen Eisenzeit und der Kaiserzeit bietet, besonders gut die Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen, sozialen und kulturellen Vorstellungen der Griechen, Römer und den indigenen Bevölkerungen erkennen kann. Die Hellenisierung Südfrankreichs ist dabei nicht als Störfaktor zu betrachten, sondern als eine Chance, unterschiedliche Entwicklungen im Sozial- und Kulturwandel genauer zu untersuchen, wobei zu erklären ist, warum einhundert Jahre nach der römischen Eroberung die augusteische Epoche ein im Vergleich zur vorangegangenen, eher oberflächlichen Hellenisierung derart tief eingreifendes Ereignis für Kultur und Religion war. Wie nur selten in einer römischen Provinz zeigt sich in dem Studiengebiet die Komplexität der Religionsausübung, wodurch Modelle, wie «Polisreligion» und «Globalisierung», genauer hinterfragt werden können. So überrascht beispielsweise in dieser sozial und wirtschaftlich in das Römische Reich gut integrierten Provinz der widersprüchliche Einfluss der römischer Religionsvorstellungen, denn «typisch» rö-
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Ralph Häussler
mische Götter sind selten. An der Tagesordnung sind Fälle der interpretatio Celtica, bei dem die einheimische Bevölkerung ihre lokalen Götter in lateinischen Weihinschriften durch entsprechende lateinische Götternamen anrief. Diese Art der Identifikation von indigenen und griechisch-römischen Gottheiten in Inschriften und Kunst (Skulpturen, Statuetten) war nur der erste Schritt einer kulturellen Adaption, der längerfristig weitreichende Entwicklungen zur Folge hat, mit dem Ergebnis, daß die Religionsvorstellungen des zweiten bis dritten Jahrhunderts n. Chr. mit denen der späten Eisenzeit kaum noch etwas gemein haben. Dennoch überrascht auf den ersten Blick der vergleichsweise indigene Charakter der Religion in einer von römisch geprägten Städten und Kolonien dominierten kaiserzeitlichen Provinz, wenn man die Rolle einer «romanisierten» Elite als Stifter, Priester und Förderer von Kultstätten im urbanen und ländlichen Kontext bedenkt. Die großen prähistorischen Heiligtümer wie in Glanum (Saint-Remy, Bouches-du-Rhöne) und Nlmes (Gard) passen sich der neuen kaiserzeitlichen Gesellschaft an. Die monumentale Neugestaltung indigener Kultstätten (zum Beispiel in Glanum und Nlmes) bietet einerseits einen neuen architektonischen Rahmen, in dem Kultaktivitäten stattfinden; so fehlen oft Einrichtungen, die für die Kultausübung im zweiten bis ersten Jahrhundert v. Chr. notwendig waren. Andererseits erkennt man selbst in diesen großen urbanen Agglomerationen eine gewisse Kontinuität von Kulten und Religionsvorstellungen, deren Ursprung in der vorrömischen Epoche lagen und die den neuen gesellschaftlichen Bedingungen angepaßt wurden. Selbst die Kulte, die wir in den römischen Koloniegründungen finden, sind meist nur oberflächlich stadtrömischen Ursprungs, sondern weisen von Anfang an indigene Attribute auf. Hinter lateinischen Namen, wie Jupiter, Mars, Silvanus, Iunones, stehen wichtige indigene Gottheiten, deren Charakter man durch Beinamen (zum Beispiel die zahlreichen keltischen epitheta für Mars) und Ikonographie (Taranis-Rad für Jupiter, Hammer für den Hammergott Sucellos/Silvanus und so weiter) erschließen kann. Auch wenn im ländlichen Raum die Beharrungstendenzen zu überwiegen scheinen, so dominiert doch in der gesamten Provinz Gallia Narbonensis die Leichtigkeit, mit der römische und einheimische Religionsvorstellungen in der frühen Kaiserzeit zu etwas Neuem verschmelzen. Der archäologische und epigraphische Befund erlaubt uns einen kleinen Einblick in die Evolution lokaler Kulte in der Gallia Narbonensis. Siedlungskontinuität (wie in Glanum), keltische Ikonographie (Taranis-Rad) und über einhundert keltische Götternamen auf lateinischen Weihinschriften, sowie unrömisch anmutende Kultstätten und Opferhandlungen (wie in Lioux, Vaucluse) sind nur einige von vielen Indizien, die ein Tradieren diverser religiöser Vorstellungen vermuten lassen. Kultstätten wie in Glanum und Le Castellar (Vaucluse) zeigen aber auch, wie sehr sich Religionsvorstellungen zwischen dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und ersten Jahrhundert n. Chr. verändert haben. Es erscheint somit nur schwer vorstellbar, daß der Befund der Kaiserzeit unverändert vorrömische Religionsvorstellungen widerspiegelt. In einer Epoche, in der gesellschaftliche, politische und religiöse Strukturen nicht zu trennen sind, passen sich Kultorte und Kulthandlungen den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an. Schon in der Latenezeit gab es eine stetige Fortentwicklung der Religion. So entstanden in der späten Eisenzeit neue Kultstätten, insbesondere im Kontext der «Oppida», neue Kultbauten (porticus in zahlreichen Oppida; die inno-
Transformation religiöser Landschaften in der Gallia Narbonensis
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vative Architektur des sogenannten «fanums» von Nages), anthropomorphe Kultfiguren, gallo-griechische Weihinschriften und viele andere mehr. Aber solche Veränderungen, wie auch die entsprechenden sozialen und kulturellen Entwicklungen, fanden allmählich statt und zwar innerhalb der Mechanismen der indigenen Gesellschaft. Dagegen haben wir es in der augusteischen Epoche mit relativ umwälzenden Veränderungen zu tun. Das Ende der Latenekultur ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen Umbruches: Bisherige Hierarchien und Ideologien waren nicht mehr bedeutungsvoll und die entsprechenden Symbole der Macht verloren ihre Bedeutung. Dazu gehörte auch der indigene Ahnen- beziehungsweise Heroenkult, der den archäologischen Befund zur vorrömischen Religion seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. dominiert hat und der trotz seiner scheinbar wichtigen sozialen Rolle im Laufe des ersten Jahrhunderts v. Chr. ersatzlos aufgegeben wurde. Dabei sollten wir vermeiden, von vomeherein einen Gegensatz zwischen den religiösen Vorstellungen der Römer und der indigenen Bevölkerung zu konstruieren; letztendlich sind es die Aktionen und Vorstellungen der lokalen Bevölkerung, welche, bewußt oder unbewußt, neue religiöse Strukturen schufen, die zeitgemäß und bedeutungsvoll waren. Hier stellt sich die Frage nach den unterschiedlichen Motivationen und Ideologien der Religionsträger einerseits in voraugusteischer, hellenistischer Zeit und andererseits im Prinzipat, denn trotz der über hundertjährigen Eingliederung der Provincia in das Römische Reich war es auch hier, wie in anderen Regionen, primär die augusteische Epoche, die eine tiefgreifende Umwälzung für Kultur und Religion einleitete. Durch neue Ideale haben (vor allem indigene) Eliten, bewußt oder unbewußt, Veränderungen der religiösen Landschaft dieser Provinz initiiert. Der Wunsch nach Romanitas ist aber größtenteils auf Äußerlichkeiten wie Votivgaben und Kultarchitektur beschränkt und nicht auf die Kultinhalte. Viel wichtiger waren gesellschaftliche Konzepte wie humanitas, die von den Eliten verinnerlicht wurden und ihre Handlungen bestimmten. Dadurch wurden Auffassungen, die nicht in das Bild der kaiserzeitlichen Gesellschaft paßten (und von zeitgenössigen Autoren abgelehnt wurden, wie die topoi Menschenopfer und Schädelkult), bedeutungslos. Bereits im Laufe des ersten Jahrhunderts v. Chr. scheinen die archäologisch am besten sichtbaren Kultobjekte der Latenezeit ihre Bedeutung verloren zu haben, wie der Kopf- beziehungsweise Schädelkult (tetes coupees) und die damit assoziierten Kultfiguren im Schneidersitz (accroupis), die zum Ahnen-/Heroenkult gehören. Aber die Elite stellte nicht alleine die Protagonisten: Derartige eventuell dynastisch organisierten Ahnenkulte hatten vermutlich auch ihre Bedeutung für die große Masse der Bevölkerung verloren, nachdem alte Hierarchiestrukturen in einer urbanisierten Gesellschaft, die zudem im ersten Jahrhundert v. Chr. immer enger in die soziopolitischen Strukturen Roms involviert wurde (zum Beispiel durch die Rekrutierung für Caesars Armee), aufgebrochen worden waren. Der traditionelle Status der Elite und die Bedeutung der vorhandenen Kulte wären somit angreifbar geworden. Da der Ahnenkult gerade auf dem Gebiet von Provence und Gard für die vorrömische Gesellschaft sehr wichtig gewesen zu sein scheint, kann man vermuten, daß die Macht lokaler Eliten auch auf ihren religiösen Aufgaben beruhte; um dieser Rolle in der kaiserzeitlichen Gesellschaft gerecht zu werden, schuf man, notfalls auf privatem Grundbesitz, neue, zeitgemäße Kultstätten als Fokuspunkte für die ländliche Bevöl-
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Ralph Häussler
kerung. Dies könnte die auffällige Anhäufung von kaiserzeitlichen Kultstätten in . dieser Region erklären. Hierbei ist Religion weder ein Spielball für kulturellen Widerstand noch diente sie den Akteuren dazu, ihre persönliche Romanitas auszudrücken. Religion war dagegen ein Ausdruck einer lokalen Identität - zum Beispiel für vici und pagi - und lokale Eliten bedienten sich entsprechend mühelos Götternamen mit keltischem Ursprung. So entstanden in der Narbonensis neue Kulte, die sich von den vorrömischen Verhältnissen grundlegend unterscheiden, wenn auch mehr als einhundert Gottheiten einen keltischen Namen tragen. Eine Kategorisierung der Kulte in römisch, keltischlindigen oder gallo-römisch erscheint hierbei wenig sinnvoll: Römische Götter beinhalten indigene Elemente, während keltische Götternamen nur selten vorrömische Götter anzeigen (viele der keltischen Theonyme sind entweder topoynme Götter - Schutzgottheiten für Städte, wie Nemausus und Vasio - oder sie sind epitheta zu römischen Götternamen, wie Mars und die matres). Die Ausrichtung auf gemeinsame soziale und kulturelle Bezugspunkte im Römischen Reich (<
Transformation religiöser Landschaften in der Gallia Narbonensis
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Räußler, R 2007. «Pouvoir et religion dans un paysage . Les cites d' Apta Iulia et Aquae Sextiae», in: R. Räussler (Hrsg.), Epigraphie et romanisation, Montagnac: Editions Monique Mergoil. Räußler, R 2007. «Der sozial-politische Kontext gallo-römischer Inschriften», in: Manfred Rainzmann (Rrsg.), Auf den Spuren keltischer Götterverehrung, Wien: Österr. Akademie der Wissenschaften. Räußler, R 2007. «The dynamics and contradictions of religious change in Gallia Narbonensis», in: R Räußler und A. King (Rrsg.), Innovation and Continuity in Religion in the Roman West, Bd. 1, Portsmouth, Rhode Island, JRA supplement volume 66. Räußler, R 2007. «A new sacred landscape at the fringes of the Roman Empire: the civitas Vangionum», in: R Räußler und A. King (Hrsg.), Innovation & Continuity in Religion, Bd. 2, Portsmouth, Rhode Island, JRA supplement volume. Räußler, R 2007. «Local religion in aglobaI world. A New Sacred Landscape in Gallia Narbonensis», Accordia Research Papers 10, 2004-2005 (im Druck). Räußler, R; King, A. 2007. «The formation of Romano-Celtic religion(s)>>, in: R Räußler und A. King (edd.), Innovation & Continuity in Religion, Band 1, Portsmouth, Rhode Island, JRA supplement volume no. 66. Räußler, R 2008. Corpus-F.E.R.C.AN. - Faszikel: Gallia Narbonensis, 2 Bände, Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Räußler, R 2008. «Les rites funeraires gallo-romains et la persistance des croyances celtiques», in: J. Rüpke und J. Scheid (Rrsg.), Rites funeraires et culte des morts (in Vorbereitung). Räußler, R 2008. «Row to identify Celtic religion(s) in Roman Britain and Gaul», in: J. d'Encama~aö (Hrsg.), Divinites pre-romaines - bilan et perspectives d'une recherche.
Religionsgeschichte der Provinz Dacia ALFRED SCHÄFER
Einleitung
Das übergeordnete Ziel der Untersuchung ist eine Religionsgeschichte der römischen Provinz Dakien. Die Provinz wird nicht als geographischer Raum mit festen Grenzmarkierungen, sondern als offener Raum für religiöse Kommunikationsformen betrachtet. Unter dieser Perspektive sind reichs weite Elemente von Religion neu zu bewerten sowie regional- und lokalspezifische Charakeristika von Religion zu erschließen. Der Ansatz ist dadurch gerechtfertigt, dass er einen vorgegebenen Raum auf die ihm eigenen religiösen Elemente hin strukturieren will. Zugleich sollte man aber die Perspektive umkehren und, konsequent von den religiösen Phänomenen ausgehend, deren Bezüge und Verbindungen zu ermitteln suchen, die über den vorgegebenen Raum hinausreichen. Mit einer umfassenden Analyse vieler Einzelfälle religiöser Praxis lässt sich im Idealfall ein Netzwerk von Bezügen erfassen, das sowohl einem bestimmten Raum zu eigen ist, als auch mit benachbarten Räumen korrespondiert und sich gegebenenfalls von diesen partiell absetzt. Auf diese Weise wird die Provinz Dakien als ein offener Integrationsraum in Hinblick auf das Zeichensystem Religion untersucht. Da es nicht möglich ist, sogleich alle Kulte in ihrem städtischen und ländlichen Umfeld zu dokumentieren und auszuwerten, sind mehrere sich ergänzende Vorgehensweisen gewählt worden. Auf der einen Seite sollte ein bestimmter Götterkult auf der Ebene der Provinz untersucht werden, auf der anderen Seite alle Kulte zweier Städte. Aufgrund der guten Überlieferungslage ist der Liber Pater-Kult ausgewählt worden; als größte Siedlungskonzentrationen mit den meisten religionsgeschichtlichen Denkmälern haben sich Sarmizegetusa und Apulum angeboten. Darüber hinaus sind Themenfelder bearbeitet worden, die zu einer Religionsgeschichte Dakiens wesentlich beitragen. So ist in den militärisch geprägten Zonen das enge Verhältnis von Raum und Kommunikation auf religiöser Ebene untersucht worden. Ländlichen Sakralbezirken mit Weihaltären wurden vergleichbare städtische Heiligtümer gegenübergestellt. Am Beispiel von Versammlungslokalen in den römischen Donauprovinzen wurde die Diffusion religiöser Handlungsmuster verfolgt, die für religiöse Mahlgemeinschaften charakteristisch waren. In Arbeit sind eine Erfassung der geographischen Verteilung städtischer und ländlicher Heiligtümer und eine Analyse der Quellheiligtümer Dakiens.
Religionsgeschichte der Provinz Dacia
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Ergebnisse zum Liber Pater-Kult In der Nordwestecke der Colonia Aurelia Apulensis ist ein dionysischer Kultkomplex archäologisch erforscht worden. Es handelt sich um den Versammlungsort einer religiösen Gruppe, deren Handlungsmuster anhand der Befunde und Funde teilweise rekonstruiert werden konnten. Beispielsweise verweist die Gebrauchskeramik auf aufwendige Bankette einer Kultgemeinschaft. Bestimmte Gefäßformen, wie die turibula waren sehr wahrscheinlich mit Opferhandlungen verbunden. Manipulationen von Gefäßen innerhalb von lassen auf rituelle Niederlegungen schließen. Zwei Gruben waren über eine Rampe zugänglich. Durch die relativ großen Ausmaße der Gruben ist ein Aktionsraum für rituelle Handlungen geschaffen worden. Beispielsweise wurden Gefäße am Grubenboden intentionell zerschlagen. Die Gruben nutzte man aber ebenso zur Deponierung beziehungsweise Entsorgung von Gebrauchs- und Kultkeramik aus dem Heiligtum. Hinzu kommen Miniaturgefäße und selbst persönliche Objekte als Symbolträger, die innerhalb der religiösen Kommunikation ihre spezifische Bedeutung erlangten. Während die Weihgeschenke häufig einem bestimmten Formenrepertoire folgen, können sie sich hinsichtlich ihrer Niederlegung deutlich unterscheiden. Die Handlungen innerhalb des Heiligtums unterlagen sicherlich einer sozialen Kontrolle, so dass die persönliche Religionspraxis zumindest formal kollektiven Modellen entsprach. Andererseits konnte anhand der Detailuntersuchung der eine weniger formalisierte Verfahrens weise erschlossen werden. In einer Studie zu den Opfergruben in kaiserzeitlichen Heiligtümern bleibt das Nebeneinander von allgemein verbreiteten Vorgängen und von Ausnahmen hinsichtlich der rituellen Handlungen und hinsichtlich der geweihten Objekte zu untersuchen. Eine detaillierte Dokumentation der Erdschichten in Verbindung mit einer befundweisen Auswertung des Fundmaterials kann der Komplexität derartiger erst gerecht werden. Anhand dieser Informationen kann eine Funktionsanalyse neue Perspektiven für die religions geschichtliche Forschung eröffnen. Um die Bedeutung der Liber Pater-Heiligtümer von Apulum und Sarmizegetusa auf lokaler, regionaler und reichsweiter Ebene bewerten zu können, sind vergleichende Studien durchgeführt worden. Dionysische Kultlokale - etwa in Carnuntum, Pergamon, Ephesos, Athen, Melos oder Cosa - weisen verschiedene architektonische Lösungen auf. Trotz der Unterschiede handelt es sich immer um multifunktionale Räume, die für Gastmähler und Trinkgelage, religiöse Handlungen der Gemeinschaft sowie für die Niederlegung von Weihgeschenken genutzt worden sind. Neben der Verehrung des Dionysos/Liber Pater konnte der Kult anderer Gottheiten und göttlicher Personifikationen ebenso wie in Apulum gepflegt werden. Hinzu kam oftmals die kultische Verehrung des Kaisers. Mitunter ging die Religion des Kollektivs auf örtlich gebundene Überlieferungen zurück. Anscheinend hat es in den Vereinen verschiedene esoterische Traditionen gegeben, so dass sich lokalspezifische Götterkonstellationen und wahrscheinlich auch spezielle Mythen ausgebildet haben.
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Alfred Schäfer
Ergebnisse zur Sakraltopographie von Sarmizegetusa Die Einwohner von Sarmizegetusa haben aufgrund ihrer kulturellen Erfahrung sakrale Räume auf unterschiedliche Weise gestaltet. In den Heiligtümern haben sich die Elemente der eigenen Religion, fremde Traditionen und stetig neue Einflüsse zu einem heterogenen Erscheinungsbild zusammengefügt. Dieser Formierungsprozess ist in der Habilitationsschrift des Verfassers erschlossen und die neu entstandene Provinzialreligion in ihrer spezifischen Ausprägung beschrieben worden. Aufgrund der unterschiedlichen regionalen Herkunft der Zuwanderer hat sich in der Metropole Dakiens ein reiches und heterogenes Bild von individuell praktizierter Religion ergeben. Verehrt worden sind zahlreiche lokal- und regionalspezifische Gottheiten, wie der syrische Iuppiter Optimus Maximus Heliopolitanus, der iranische Nabarzes, die griechische Core, die italische Fortuna Praenestina, der hispanische Mars Singili(s) oder so genannte keltisch-germanische Gottheiten, wie Mars Camulus, Apollo Grannus, Sirona, die Quadruviae und das Götterpaar Mercurius und Rosmerta. Zur Trägerschaft dieser Götterkulte sind in einem hohen Maße Personen zu rechnen, für die eine größere räumliche Mobilität vorauszusetzen ist: Veteranen, Soldaten, kaiserliche und lokale Würdenträger sowie Fernhändler. Einheimische Gottheiten des innerkarpatischen Raumes, die in die Provinzialreligion integriert worden sind, fehlen demgegenüber völlig. Dieser Sonderfall ist vermutlich damit zu erklären, dass eine indigene Bevölkerung zwar in den ländlichen Zonen der Provinz, nicht aber in den Städten nachweisbar ist. Die bodenständige Bevölkerung besaß allem Anschein nach eine andere Religion als die von einem ausgesprochenen Statusdenken geprägte Bewohnerschaft römischer Städte. Betrachtet man die Heiligtümer und Weihe gaben in ihrer Gesamtheit, so ist die Fülle der überlieferten Zeugnisse bemerkenswert. Sakral genutzte Räume finden sich im innerstädtischen Bereich beinahe in allen ergrabenen Arealen. Zu nennen sind hier die Kurie, die Basilika und die Vereinslokale am forum vetus, die area sacra innerhalb des Prokuratorensitzes und das Kapitol, das eventuell auf dem forum novum zu lokalisieren ist. Außerhalb der Umwehrung erschließt sich eine vielgestaltige Sakrallandschaft. Im Norden gehören zum Bezirk der Heilgötter zwei gallorömische Umgangstempel unterschiedlicher Form und mehrere Kapellen. Unweit des monumentalen Liber Pater-Tempels und des so genannten Großen Tempels liegen kleinere Kultlokale und Schreine. Im Bereich dieses weiträumigen Heiligtumsbezirks ist der Standort der ara Augusti zu vermuten. Ob auch ein Podiumtempel zur zentralen Kaiserkultstätte der Provinz gehört hat, muss derzeit offen bleiben. Prinzipiell kommt die ara Augusti ohne einen Sakralbau aus. Südwestlich der colonia ist ein Mithräum und auf einem westlich gelegenen Hügel ein syrischer Tempel errichtet worden. Den vorgestellten Anlagen ist gemeinsam, dass sie mit marmornen Weihgeschenken ausgestattet worden sind. Häufig haben die Statuenbasen, Altäre, Statuetten und Reliefs dicht gedrängt nebeneinander ihren Platz gefunden. Unter den Stiftern hat sich eine gesteigerte Konkurrenz herausgebildet, so dass nicht nur vergängliche Materialien geopfert worden sind. Den religiösen Akteuren ist es ein besonderes Anliegen gewesen, den Namen des göttlichen Adressaten, ihren eigenen und mitunter den Anlass der Weihung längerfristig zu dokumentieren. Wenn es die Situation verlangt,
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lässt sich ein Altar aus Rasenstücken improvisieren oder aus anderen Materialien wie Holz zusammenfügen. Ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. werden marmorne Altäre als Weihgeschenke allerdings zur Regel. Auf diese Weise wird zugleich die zentrale Bedeutung, die der Altar in der Durchführung des Opferrituals einnimmt, herausgestellt. Der Weihaltar wird als zusammenfassendes Zeichen für den komplexen Ritus eingesetzt. Aufgrund der Verteilung der zahlreichen Weihaltäre im Stadtbild wird das Opfer allgegenwärtig, dauerhaft verortet und fordert zugleich zu weiteren Gaben an die Götter heraus. Ergebnisse zum religiösen Gefüge von Apulum Neben den öffentlich finanzierten Festen und Heiligtümern existierten in Apulum zahlreiche privat getragene Götterkulte. Religiöse Gruppen, die sich aus Mitgliedern oder Eingeweihten konstituieren, sind beispielsweise durch mehrere Mithras- und Iuppiter Dolichenus-Gemeinden und ein jüngst ergrabenes Liber Pater-Heiligtum belegt. Die öffentlichen wie die privat getragenen Heiligtümer bildeten den äußeren Rahmen für eine Stifter- und Weihetätigkeit, die sich im Denkmälerbestand deutlich widerspiegelt. Die kollektiven Feierlichkeiten der Stadtgemeinde sind hingegen inschriftlich kaum bezeugt. Beispielsweise vermisst man Hinweise zu den städtischen Feiern an kaiserlichen Ehrentagen, die doch mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgefunden haben. Dies mag daran liegen, dass die sacra publica generell aus städtischen Geldern gesichert worden sind. Sie wurden im lokalen Festkalender verzeichnet, so wie es die leges municipales vorschrieben, und waren daher allgemein bekannt. Anhand der religions geschichtlichen Zeugnisse von Apulum wird nachvollziehbar, dass kleinere Sakralbauten religiöser Gruppen kein Gegenmodell zu den zentralen Heiligtümern der Stadtgemeinde darstellen, sondern als ein ergänzendes, gleichzeitiges Angebot zu verstehen sind. Besonders deutlich wird dies anhand der Trägerschaft des Mithras-Kultes. Zwei Mithrasanhänger sind nachweislich flamin es gewesen. Unter den hohen militärischen Amtsträgern ist der Legionslegat Marcus Valerius Maximianus zu nennen, der gegenüber Sol Invictus Mithras sein Gelübde erfüllt hat. Es handelt sich um einen Kreis von Personen, die aufgrund ihrer Amtstätigkeit zu den wichtigsten Trägern der öffentlich-städtischen Kulte bzw. der offiziellen Heeresreligion gehört haben. Ein Augustale der Kolonie finanzierte, als er Patron des collegium Pontobithynorum geworden war, die Türen des Iuppiter-Heiligtums von Apulum und deren Einfassung. Einzelne Vereinsmitglieder konnten öffentliche Kulte unterstützten und sich in den Stifterinschriften zugleich als Mitglieder religiöser Gruppen zu erkennen geben. Nicht ein Gegensatz, sondern ein Miteinander der öffentlichen und privat getragenen Kulte ist in Apulum vorherrschend gewesen. Soldaten als religiöse Akteure Ein charakteristischer Aspekt des provinzialen Raumes ergibt sich aus den Aktivitäten der hier stationierten Truppen. Dakien wird zu Recht als eine stark vom Militär geprägte Provinz bezeichnet, was unter anderem im Verhältnis der Militärlager und zivilen Siedlungen sowie im Spektrum der überlieferten Heiligtümer zum Ausdruck kommt. Das enge Verhältnis von Raum und Kommunikation auf religiöser Ebene ist in den militärisch geprägten Zonen der Provinz besonders gut nachvollziehbar.
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Kultische Bedeutung für die Truppen des zweiten und dritten Jahrhunderts n. ehr. hatte ganz allgemein die Staatsreligion, die vor allem mit dem Kaiserkult und dem Kult des höchsten Gottes Iuppiter verbunden gewesen ist. Daneben wurden von der Gesamtheit der Truppe bestimmte Kulte gepflegt, von denen wiederum das weite Spektrum individuell praktizierter Religion der Soldaten zu unterscheiden ist. Wie diese drei Bereiche der Religionen im Heer gestaltet worden sind, welche Schwerpunkte und Traditionen in Dakien vorliegen und welche Abhängigkeiten untereinander bestanden haben, konnte in zwei Studien dargelegt werden. Im Vordergrund standen Orte religiöser Kommunikation in den und außerhalb der Truppenlager . Herausgestellt wurden weniger organisatorische, als vielmehr räumliche Gesichtspunkte. Dieser Perspektivenwechsel gestattete detaillierte Einblicke in die Provinzialreligion Dakiens, die durch eine enge Verbindung von Militär und Zivilbevölkerung geprägt worden ist. Grundsätzlich sind für die Formierung religiös definierter Gruppen zwei Modelle denkbar. In dem einen Sinn wird ein spezifischer, etwa aus Syrien impOltierter Kult von eingewanderten Angehörigen der betreffenden Region getragen und zur Stabilisierung ihrer kulturellen Identität gepflegt. Dieses Modell konnte anhand kollektiv gepflegter Kulte des römischen Heeres in Dakien nachvollzogen werden, die auf das ursprüngliche Rekrutierungsgebiet der Einheiten zurückgehen. Auf der anderen Seite geht man bei vielen Kulten, etwa beim Mithras-Kult, davon aus, dass sie mehr oder minder rasch über den sozialen und kulturellen Kreis der ursprünglichen Träger hinaus Akzeptanz fanden, sich nahezu reichsweit verbreiteten und dadurch kaum mehr dieser kulturellen Identität einer bestimmten Volksgruppe dienen konnten. Auf der Basis der vorliegenden Untersuchung lässt sich die Diffusion der vom Militär importierten Kulte hingegen nur auf lokaler und regionaler Ebene annäherungsweise erschließen. Zur Verbreitung der Kulte dürfte die lokale Rekrutierungspraxis beigetragen haben. Hinzu kommen die räumliche Lage der vom Militär gepägten Heiligtümer in den zivilen Siedlungen und schließlich die Integration der Veteranen in die lokalen Gemeinschaften. Von einem zwischen Militär und Zivilbevölkerung auf religiöser Ebene kann wie in anderen Provinzen des Römischen Reiches nicht gesprochen werden, denn Soldaten sind als religiöse Akteure sowohl innerhalb als auch außerhalb der Truppenlager zu fassen. Insgesamt scheinen die integrativen Elemente der nach Dakien importierten Götterkulte für die Formierung der provinzialen Gemeinschaften von besonderer Bedeutung gewesen zu sein. Ländliche Heiligtümer Kultbezirke, in denen Weihaltäre im Freien dicht nebeneinander aufgestellt worden sind, finden sich häufig in ruralen Kontexten der römischen Provinz Dakien. Meist liegt eine größere Anzahl von Altären vor, deren Inschriften ein offenes Pantheon aus reichsweit verbreiteten, aber auch importierten lokal- und regionalspezifischen Gottheiten überliefern. Aufgrund der Vielzahl der Götternamen ist eine Gottheit, der der jeweilige Bezirk geweiht sein könnte, in der Regel nicht zu erschließen. Architektonisch sind die Heiligtümer unterschiedlich gestaltet. Es kann sich um eine area sacra mit einer einfachen Mauerumfriedung, um einen Sakralbezirk mit Kultnischen, Kapellen und Versammlungsbauten oder auch um einen kleineren Podiumtempel mit
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Vorhof handeln. In der Mehrzahl liegen diese Sakralbezirke außerhalb der großen Städte. Trotz der gemeinsamen Aufstellungspraxis, Altäre nebeneinander aufzureihen, liegen verschiedene Stifterkreise, Panthea und auch orts typische Altarformen vor. In der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die Gestalt der Sakralbezirke weniger von topographischen als von funktionalen Parametern bestimmt worden sind. Die Ansammlungen von Weihaltären in ländlichen Heiligtümern Dakiens gehen in erster Linie auf individuelle Opfer zurück. Neben der persönlichen Krisenreligion spielte die kollektiv getragene Religion kleinerer Siedlungsgemeinschaften eine wichtige Rolle. Unterschiede zwischen Stadt und Land ergaben sich vor allem aus den infrastrukturellen Gegebenheiten eines Heiligtums, welche die Handlungen der religiösen Akteure auf unterschiedliche Art und Weise beeinflussen konnten. Religiöse Mahlgemeinschaften
Im Blickpunkt eines Kolloquiumbeitrages zu den Räumen und Ritualen des Mithras-, Juppiter-Dolichenus- und Liber-Pater-Kultes stand die Architektur der so genannten Podiensäle. Ausgewählt wurden Saalbauten mit fest installierten Liegepodien, die in den römischen Donauprovinzen überliefert sind. Die Forschungsperspektive richtete sich zum einen auf das wechselseitige Verhältnis von Raum und Ritual und zum anderen auf das Phänomen der Diffusion religiöser Handlungsmuster, die für die Feste kleinerer Kultgemeinschaften charakteristisch waren. Folgende Ergebnisse konnten festgehalten werden. Für die Architektur und Ausstattung der Podiensäle waren vor allem funktionale Aspekte prägend, die auf die Bedürfnisse einer religiösen Mahlgemeinschaft zurückgingen. Der langrechteckige Saalbau war häufig auf ein kultisches Zentrum ausgerichtet. So besaß beispielsweise das Bel-Heiligtum in Porolissum ein Adyton. Die eingebauten Liegepodien strukturierten und ordneten den Raum des Festgelages. Bestimmte Liegeplätze einzelner Personen konnten der internen Hierarchie der Gruppe Ausdruck verleihen. Die fest gefügte Bankettarchitektur, zu' der eingebaute Podien und eben nicht Klinen gehörten, begründeten die relative Dauerhaftigkeit der versammelten Gemeinschaft. Küchen und Kochgeschirr sprechen für die Zubereitung oder das Aufwärmen von Speisen. Mischgefäße mit applizierten Schlangen und Trinkgeschirr sprechen für einen demonstrativen Weinkonsum. Die Qualität der Festlichkeiten scheint zumindest partiell in der Quantität des Nahrungsangebot zum Ausdruck zu kommen. Differenzierungen zwischen den einzelnen Kultgemeinschaften beruhen auf der Auswahl der Opfertiere. Ein Kulttransfer zwischen den religiösen Gemeinschaften einer Stadt konnte dort wahrscheinlich gemacht werden, wo die Gebäude dicht beieinander liegen. Die enge Nachbarschaft der Kultgemeinschaften dürfte auf städtischer Ebene eine Konkurrenz im Fest befördert haben. Hervorzuheben ist die Austauschbarkeit religiöser Handlungsmuster zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen. Mit Angelos Chaniotis ist in Anlehnung an sprachliche Formationsregeln von der Rekursivität von Ritualen zu sprechen und zwar unabhängig von der jeweils verehrten Gottheit einer Gemeinschaft. Der gebräuchliche Begriff des ist damit aus archäologischer Perspektive zu hinterfragen. Rituale, die ausschließlich mit einer bestimmten Gottheit zu verbinden sind, konnten anhand der ausgewählten Versammlungsbauten nicht oder nur einge-
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schränkt nachgewiesen werden. Eigenheiten eines Kultes, wie beispielsweise legendäre Erzählungen, Tänze oder Musik, bleiben uns aus archäologischer Perspektive in der Regel verborgen. Hinsichtlich der Weihepraktiken und der kultischen Mahlzeiten fanden sich hingegen bei der Analyse archäologischer Hinterlassenschaften zahlreiche Gemeinsamkeiten, die auf individuelle als auch kollektive Handlungsmuster zurückgingen. Weitere Projektleiter: Henning Wrede und Detlef Rößler. Weitere Mitarbeiter(innen): Manuel Fiedler und Constanze Höpken. Förderungszeitraum: 2002 bis 2007. Veröffentlichungen Fiedler, M.; Höpken, C. 2004. «Wein oder Weihrauch? - aus Apulum», in: C. Roman - C. Gazdac (edd.), Orbis antiquus. Studia in honorem Ioannis Pisonis. Cluj-Napoca. 510516. Fiedler, M. 2005. «Kultgruben eines Liber Pater-Heiligtums im römischen Apulum (Dakien)>>, Germania 83. 95-125. Höpken, c.; Fiedler, M. 2002. «Die römischen Gläser von der Grabung eines Liber PaterHeiligtums in Apulum (Rumänien) - ein Vorbericht», Kölner Jahrbuch 34, 375-389. Höpken, C. 2004. «Die Funde aus Keramik und Glas aus einem Liber Pater-Bezirk in ApulumEin erster Überblick», in: M. Martens - G. de Boe (Hrsg.), Roman Mithraism. The Evidence of the Small Finds. Kongreß Tienen 2001, Archeologie in Vlanderen 5, Brüssel, 239-258. Schäfer, A. 2002. «Raurnnutzung und Raumwahrnehmung im Vereinslokal der Iobakchen von Athen», in: U. Egelhaaf-Gaiser - A. Schäfer (Hrsg.), Religiöse Vereine in der römischen Antike, 173-220. Schäfer, A. 2003. «, Forschungsbericht Römische Religion (1999-2002)>>, Archiv für Religionsgeschichte 5, 325-327. Schäfer, A. 2003. «Sakrale Räume und Kultpraktiken in städtischen Zentren Dakiens», in: H. Cancik - J. Rüpke (Hrsg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungsund Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, 168-174. Schäfer, A. 2003. «Transfer von stadtrömischer Religion in die Provinz Dakien», in: P. Noelke (Hrsg.), Romanisation und Resistenz, 421-439. Schäfer, A. 2004. «The diffusion of religious belief in Roman Dacia: a case-study of the gods of Asia Minor», in: W. S. Hanson -I. P. Haynes (Hrsg.), Roman Dada, 179-190. Schäfer, A. 2004. «Religiöse Erkennungszeichen», in: C. Roman - C. Gazdac (Hrsg.), Orbis antiquus. Studia in honorem Ioannis Pisonis, 125-131. Schäfer, A. 2005. «Durchbrochen gearbeitete Weihreliefs aus Dakien», in: M. Sanader - A. Rendi9 Miocevi9 (Hrsg.), Akten des VIII. internationalen Kolloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens, 337-342. Schäfer, A. 2005. «Das Beispiel Dacia: Reichsreligion als Rückgrat einer neu zu besiedelnden Provinz?», in: A. Reiterneier - G. Fouquet (Hrsg.), Kommunikation und Raum. 45. Deutscher Historikertag in Kiel vom 14. bis 17. September 2004, 90. Schäfer, A. 2006. «L'associazionismo dionisiaco come fenomeno urbano dell'epoca imperiale romana», in: C. Bonnet - J. Rüpke - P. Scarpi (Hrsg.), Religions Orientales - culti Misterici: Neue Perspektiven - nouvelles Perspectives - Perspettive nuove, 53-63. Schäfer, A. 2006. «Sarmizegetusa als urbanes und regionales Zentrum der Provinz Dakien», in: H. Cancik - A. Schäfer - W. Spickermann (Hrsg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, 195-243. Schäfer, A. 2007. Tempel und Kult in Sarmizegetusa, Habilitationsschrift, Scriptorium Verlag (im Druck). Schäfer, A. 2007. Rezension zu:
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Religion in der römischen Provinz Makedonien ULRIKE EGELHAAF-GAISER, JÖRG RüpKE UND CHARALAMPOS TsOCHOS
Die Fragestellung «Religion in der römischen Provinz Makedonien» gehörte zu jenen Teilprojekten, die das von Hubert Cancik erfundene und im Rahmenantrag in Analogie zu Provinzialarchäologie profilierte Wort «Provinzialreligion» aufgriffen: Germanien, Dakien, Sizilien, Achaia, Ägypten waren Gegenstand vergleichbarer Zugriffe. Das Konzept «Provinzialreligion» hatte dabei zwei Implikationen, die miteinander verbunden sind. Das eine war die Grundannahme des gesamten Schwerpunktprogramms: Die politische Expansion Roms, die Ausbildung des Imperium Romanum wurde begleitet von einem Export stadtrömischer Religion, in Form von rituellen Praktiken, religiösen Zeichen, Göttern und nicht zuletzt entsprechend sozialisierten religiösen Akteuren. Insofern mußte die Eingliederung von Gebieten in diese politische Großstruktur für die jeweiligen regionalen Religionsgeschichten einen Einschnitt, eine Zäsur bilden. Genau diesen Einschnitt und seine religionsgeschichtlichen Folgen, genau diesen Globalisierungsprozeß unter römischem Vorzeichen galt es zu beschreiben. Die zweite Implikation war konträr zur ersten, und folgte ihr doch. Wenn die Provinzwerdung ein religionsgeschichtlicher Faktor war, mußten auch die neuen Provinzgrenzen religionsgeographische Faktoren sein: Provinzen waren, so die Arbeitshypothese, damit geeignete räumliche Einheiten zur Beschreibung spezifischer, je unterschiedlicher regionaler Entwicklungen, waren der Rahmen, Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte zu erfassen. Diese zweite Hypothese erwies sich als ebenso falsch wie fruchtbar. Fruchtbar, weil Provinzen - Germania inferior oder superior, Sicilia - oder Provinzgruppen tres Daciae - sich in der Tat als geeignete Untersuchungsräume mittlerer Größe erwiesen, das Darstellungsschema nach Provinzen leicht Forschungs- und Publikationstraditionen aufnehmen konnte. Monographien diesen Typs bilden die Reihe zur «Religion der römischen Provinzen». Die Hypothese erwies sich aber auch als falsch oder genauer: modifikationsbedürftig. Es waren nicht die so dünnen, eher punktuell in Statthaltersitzen und Gerichtstagungsorten - als flächendeckend-territorial greifbaren römischen Provinzialverwaltungen, die den wichtigsten Faktor religiösen Wandels bildeten. Wichtiger waren die durch Straßen, Wasserstraßen, Häfen definierten lokalen Kontaktzentren, war die punktuelle Präsenz fremder militärischer Einheiten, war die neue politische und kulturelle Orientierung lokaler Eliten, die sich aus traditionellen Räumen - poleis, civitates, koina - heraus auf Rom, auf den Kaiser hin orientierten. Wolfgang Spickermann prägte den Begriff der «neuen Provinzialreligion», der nun nicht mehr das neue Stadium einer regionalen Entwicklung romanisierte Religion sozusagen - bezeichnen sollte, sondern das auch gegenüber
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dem römischen Muster «Neue» betont: «Provinzialreligionen» als originelle Religionsschöpfungen durch Provinziale. Geographisch waren diese Entwicklungen nur gelegentlich und zufällig mit römischen Verwaltungsgrenzen deckungsgleich, die Geschichte der militärisch-politischen Expansion Roms trat hier in eine Interaktion mit älteren groß- und kleinräumigen Kulturräumen; in vielen Fällen - das gilt auch für das Makedonienprojekt - erwiesen sich gerade lokale Religionsgeschichten als Muster dessen, worauf «Reichs- und Provinzialreligion» zielte: die «Neuformatierung» religiöser Symbolsysteme in einer größer gewordenen Welt. Die größer gewordene Welt war keine allein romzentrierte. Zahlreiche Detailergebnisse in den verschiedenen Projekten erhärteten und explizierten die im Rahmenantrag formulierte Vermutung, daß der neue politische Großraum die Möglichkeit einer polyfokalen kulturellen Orientierung steigern müsse. Bezieht man das Begriffspaar «Peripherie und Zentrum» allein sternförmig auf Rom und seine Provinzen, übersieht man die zahlreichen Bewegungen innerhalb dieser Peripherie, von Britannien in die Balkanprovinzen, von Ägypten nach Griechenland und Nordafrika. Die Ausbreitungswege des Christentums liefern hier die vielleicht schlagendsten Beispiele. Dieser Befund hebt auch die typologische Isolierung der so auffällig im Griechischen verbleibenden östlichen Provinzen auf: Rom fällt auch im griechischen Osten als Faktor kultureller Transfers nicht aus, konkurriert aber - selbstverständlich - mit Athen oder Alexandria oder Antiochia, die zum Teil auf ältere oder intensivere Austauschrouten zurückgreifen können. Globalisierung ist nicht mit Zentralisierung gleichzusetzen. Religion erweist sich in diesen Prozessen als ein sehr vielfältiges Medium. Funktional - und auch das stellt eine Präzisierung des heuristischen Begriffes «Reichsreligion» dar - übernimmt sie nur geringe Funktionen für eine direkte Integration von römischen «Untertanen» welchen Statusses auch immer (das römische Militär einmal ausgeklammert). Kein Tempelbauprogramm, kein einheitlicher Festkalender, kein Teilnahmezwang für Feiern bestimmter Götter. Eng definiert als «Präsenz von Elementen stadtrömischer Religion in den Provinzen» fand Reichsreligion kaum statt. Aber gerade in ihrer polytheistisch-additiven Form bot Religion zahlreiche Möglichkeiten. In ihrer «eingebetteten», von politischen Ritualen, Rollen und Verfahren 'nicht zu unterscheidenden Form ermöglichte sie es, die Kontinuität lokaler politischer Eliten und Identitäten gegebenenfalls auch kontrafaktisch fortzuführen oder aber solche Eliten und Identitäten - etwa in neu gegründeten Kolonien - zu formieren. In ihrem Bezug auf transzendente, extralokale Sozialpartner ermöglichte es Religion, Veränderungen in überregionalen Bezugssystemen zu thematisieren, überregionale Herrschaft, sei es des Statthalters, sei es des römischen Kaisers, lokal zu konstruieren. In ihrer euergetischen Form erlaubte es Religion, soziale Mobilität beziehungsweise ökonomischen Aufstieg in gesellschaftliches Ansehen und Positionen zu transformieren. In ihren intimeren Kommunikationsformen erlaubte Religion' Herkunftsidentitäten oder neue Gruppenidentitäten zu stabilisieren und zugleich, typischerweise in Form legaler Vereinsaktivitäten, zu integrieren. In ihren intellektualistischen Formen erlaubte es Religion ebenso, grundsätzliche Alternativen in neue Formen von Lebensführung und überregionalen Kontakten zu gießen, wie lokales und konformes Verhalten mit universalistischen Maßstäben zu rechtfertigen.
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Religion gewann im Laufe der römischen Kaiserzeit an Bedeutung. Die Befunde des Schwerpunktprogramms legen aber nahe, diese Entwicklung nicht länger als einen Mentalitätswandel zu betrachten, der keine angebbare Ursache hätte oder kompensatorisch auf die zunehmenden Unzulänglichkeiten des römischen Reiches - Barbareneinfälle, Wirtschaftskrise, Entwurzelung - reagierte. Vielmehr ist an eine positive Korrelation zu denken: Es sind die politischen Entwicklungen, die - unter den gegebenen sozialen, kulturellen und technischen Bedingungen des antiken Mittelmeerraumes - diesen Aufstieg von Religion begünstigen und ebenso zur Ausdifferenzierung von Religion wie ihrer funktionalen Wieder-Vereinnahmung führten. Das Adjektiv «positiv» darf dabei selbstverständlich nicht als Stellungnahme zu militärischer Expansion, Unterdrückung und Zwangsumsiedlung verstanden werden. Charakteristika Makedoniens Ziel des Projektes war zunächst, anhand ausgewählter politischer und religiöser Orte die Merkmale für die Sakrallandschaft der römischen Provinz Makedonien herauszuarbeiten. Makedonien erschien dabei in mehrfacher Hinsicht paradigmatisch: Anhand der Via Egnatia ließen sich Transportwege und -korridore von Religion in Anbindung an Handels- und Armeerouten thematisieren. Die enge Kombination von Kaiserverehrung und Triumphalarchitektur, städtischem Bildungszentrum und Palastarchitektur erlaubte es, die lokal- und zeitspezifische Ausprägung des Kaiserkultes sowie die religiösen Konsequenzen aus der Aufwertung des Provinzzentrums Thessaloniki zur kaiserlichen Residenzstadt differenziert zu untersuchen. Das ausgeprägte Vereinswesen in Städten wie Thessaloniki und Philippi ließ für die Region neue Ergebnisse im Hinblick auf das Modell des , von Angebot und Nachfrage sowie der Konkurrenz mit alternativen Freizeitangeboten - Theater, Amphitheater, Spiele et cetera - erwarten. Mit Philippi und Thessaloniki als den ältesten christlichen Gemeinden auf europäischem Boden konnte auch die Ausbreitung des Christentums als Horizont vorangehender, aber eben gerade weiterlaufender Entwicklungen präsent gehalten werden. Die große Bedeutung von Kulten aus dem östlichen Mittelmeerraum in dem untersuchten Raum eröffnete eine Vergleichsebene zu weiteren Importkulten, unter denen vor allem den ägyptischen Göttern eine prominente Stellung zukommen mußte. Und schließlich bildete das Dreieck Makedonien-Samothrake-Rom ein gutes Beispiel, die Polyzentralität in den Provinzen sowie die Fernrouten von Religion unter Überschreitung politischer Grenzen zu untersuchen. Bei alldem eröffnete die ausführliche Überlieferung in römischen Quellen, insbesondere Nachrichten zur Vorgeschichte und Formierung der Provinz, die stadtrömische Wahrnehmung provinzialer Religion und Kultur im Spiegel dieser literarischen Zeugnisse zu beleuchten. Auch chronologisch ist Makedonien von besonderem Interesse. Der in den drei Makedonenkriegen ausgetragene Konflikt mit den letzten Herrschern der Antigoniden (Philipp V., Perseus) stellte die erste große Auseinandersetzung der Römer mit den hellenistischen Reichen im Osten dar. Das in dieser Epoche entwickelte Konzept der Kriegführung, der Gebietsorganisation und -verwaltung und des Umgangs mit dem Beutegut sowie der (propagandistischen) Darstellung der Ereignisse in Rom wirkte in den östlichen Teilen des Reiches modellbildend für die folgenden J ahrhun~ derte der Machterweiterung.
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Der Bau der Via Egnatia erleichterte den Handelsverkehr und die Truppenbewegungen auf der Ost-Westachse (von Dyrrachium bis Byzantium) und leitete den Aufschwung der römischen Provinz Makedonien ein: Entlang der Straße wurden Städte und Handelszentren wiederbelebt, welche die Niederlassung römischer Händler förderten. Als militärisches Durchzugsgebiet besaß die Provinz Veteranenkolonien: Aufgrund ihrer stark römischen Prägung von besonderem Interesse ist die augusteische Koloniegründung Philippi. Im Zusammenhang mit dem Niedergang der alten Hauptstadt Pella - eine Folge der Eroberung Makedoniens durch die Römer erlebte Beroia eine neue Blüte. Als Hauptkonkurrentin zu Thessaloniki wurde diese Stadt Sitz des makedonischen koinon. Dion, das alte Bundesheiligtum der Makedonen, blieb auch in römischer Zeit als städtisches, kulturelles und religiöses Zentrum von Bedeutung: Dies wird durch die Vielzahl und Größe der (sub)urbanen Heiligtümer belegt. Philippi und Thessaloniki bildeten später, wie schon gesagt, neben Beroia die ältesten christlichen Zentren auf europäischem Boden. Makedonien ist aber nicht nur eine frühe Provinz. Noch in der Spätantike gewann Makedonien zunehmend an Bedeutung: Die Provinzhauptstadt Thessaloniki entwickelte sich als Residenzstadt des Galerius zur wichtigsten Metropole Nordgriechenlands; diesem abschließend durch die Gerda-Henkel-Stiftung finanzierten Teilprojekt Christopher Steimles gilt der Bericht im folgenden Kapitel. Samothrake, Philippi, Dion Dion, Philippi und Samothrake zeigen im Vergleich bereits in ihrer strategischgeographischen Lage, aber auch in ihren örtlichen topographischen Bedingungen Unterschiede, die an der Herausbildung ihrer Eigenheiten beteiligt waren. Für die Entstehung der jeweiligen Sakraltopographie (Cancik) sind aber vor allem Gegebenheiten, die in der jeweiligen Zusammensetzung der Bevölkerung sowie in historischen Entwicklungen begründet liegen, bestimmend. Die Geschichte von Samothrake ist untrennbar mit dem Heiligtum der Kabirender in der epigraphischen Überlieferung - verbunden. Die ersten archäologischen Belege zum Heiligtum stammen aus der spätarchaischen Zeit. Den Höhepunkt seiner Bedeutung erreichte es fraglos in der hellenistischen Zeit mit dem bedeutenden Engagement des makedonischen Königshauses. Die Überlieferung berichtet zum einen über die regelmäßige Kultteilnahme und über die Einweihung makedonischer Könige in die Mysterien. Deren Spendenbereitschaft sowie später jener der Ptolemäer verdankt das Heiligtum bedeutende und prächtige Bauten. Das Heiligtum sollte ganz offensichtlich für die Könige Makedoniens einen Gegenpol zu den etablierten «klassischen» Mysterien- und Orakelheiligtümern Südgriechenlands bilden und dabei genauso wie jene einen weitreichenden Ruf in der Außenwelt erlangen. In römischer Zeit setzt sich der Betrieb des Heiligtums in etwas bescheidenerer Weise fort, ohne den Glanz der makedonischen Ära in königlicher Beteiligung zu erreichen. Ein überregionales Interesse von Römern an der Insel war vorrangig literarischer Art und blieb auf die Aitiologien Varros beschränkt, der in Samothrake die Urheimat der römischen Penaten sah.
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Geht man von den Theorien Varros aus, so würde man erwarten, daß sich das Heiligtum auf der Insel zu einem wichtigen Pilgerziel für Römer entwickelt hätte. Die epigraphische und die archäologische Überlieferung vermitteln aber ein anderes Bild. Besuche etwa von Kaisern, die andere Heiligtümer wie zum Beispiel Eleusis, Delos oder Delphi regelmäßig aufsuchten, bleiben aus. Senatsmitglieder oder prominente Persönlichkeiten sind ebenfalls nur vereinzelt und selten belegt. Aber auch für aus Rom oder Italien stammende Pilger gibt es keine Zeugnisse. Nur diejenigen römischen Amtsträger und Offiziere, deren Sitz sich mit großer Wahrscheinlichkeit in den benachbarten Gebieten befindet, unternehmen Reisen auf die Insel und lassen sich bei dieser Gelegenheit in die Mysterien einweihen. Aber auch ihre Präsenz nimmt mit der Zeit ab, und ab dem dritten Jahrhundert n. Chr. werden nur noch sporadische Besuche registriert. Auch in den literarischen Quellen wird Samothrake immer seltener erwähnt. Die archäologischen Funde belegen, daß das Heiligtum bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts n. Chr. in Betrieb blieb. Es lassen sich zwar keine umfangreicheren baulichen Veränderungen mehr feststellen, aber Renovierungsarbeiten hielten das Heiligtum im alten Glanz und voll funktionsfähig. Samothrake fehlt die Verbindung mit einem wichtigen historischen Ereignis in römischer Zeit, wie dies der Fall mit Philippi, war, als in der Nähe der Stadt die gleichnamige Schlacht zwischen Octavianus Augustus und den Cäsarenmördern stattfand. Philippi hatte für Augustus aber nur einen symbolischen Charakter für den Beginn einer neuen Ära, ohne daß die Stadt im Sinne überregionaler Bedeutung davon profitiert hätte. In Philippi wurden nach der gleichnamigen Schlacht Veteranen der augusteischen Truppen sowie andere Kolonisten angesiedelt und die Stadt bekam den Namen Colonia Iulia Augusta Philippensis. Im zweiten Jahrhundert n. Chr. erreichte sie ihre Blütezeit, indem das Forum neu errichtet wurde, öffentliche Bauten wie Thermen, die Bibliothek und Villen entstanden sind. Der römische Charakter der Stadt ist nicht nur an den monumentalen Bauten, sondern auch an den Inschriften zu erkennen, in denen das Lateinische die vorherrschende Sprache bildete. Dennoch konnte die griechische Sprache nicht ganz verdrängt werden, ab dem ausgehenden dritten Jahrhundert gewann sie wieder an Bedeutung. Die Sakraltopographie von Philippi zeigt Merkmale, die sich aufgrund allgemeiner topographischer Gegebenheiten weder in Dion noch in Samothrake finden lassen. Die Stadt und ihre Umgebung erscheint hierbei in drei Bereiche aufgeteilt, die ihre jeweiligen Kultmerkmale aufweisen: Das Forum als Stätte des Kaiserkultes, die Akropolis mit verschiedenen Heiligtümern sowie den zahlreichen Felsreliefs, sowie schließlich die sogenannten ländlichen Heiligtümer, die von Dionysos und dem Thrakischen Reiter (Heros Auloneites) beherrscht werden. Diese sakraltopographische Teilung wäre unter den Städten Makedoniens fast nur mit Dion zu vergleichen. Anders aber als in Dion, wo die exzentrische Ansammlung bewußt betrieben wurde, erlebt man in Philippi eine Öffnung der kultischen Bereiche nach innen und nach außen, eine wechselseitige Durchdringung in mehreren Fällen. In Philippi fehlt es an namhaften Heiligtümern oder Kulten, trotz der großen Vielfalt, die Philippi in den Stand erheben würden, ein über die Grenzen Ostmake-
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doniens hinaus bedeutsamer, für Pilger attraktiver, religiöser Zentralort zu sein. Seine religiöse Entwicklung ist vielmehr das Ergebnis des Zusammentreffens unterschiedlicher Komponenten, wie der einheimischen und importierten Kulte und der Traditionen, zumindest am Anfang der neugegründeten Kolonie, die die verschiedenen Gruppen mit sich· brachten. Politisch und religiös blieb die Stellung der Stadt in römischer Zeit im Hinblick auf eine überregionale Ausstrahlung eher bescheiden. Eine besondere religionsgeschichtliche Bedeutung der Stadt ergab sich erst aus dem Rückblick auf das Wirken des Apostels Paulus und der Entstehung der ersten christlichen Gemeinde und - über die Zwischenzeit läßt sich nichts sagen - des Bischofsitzes im frühen vierten Jahrhundert auf europäischem Boden. Philippi entwickelte sich ab dieser Zeit zu einem bedeutenden religiösen Zentralort Ostmakedoniens, wie die vielen und großräumigen Basiliken der nachfolgenden Jahrhunderte beweisen. Was Dion angeht, ist auch hier keine spektakuläre Entwicklung zu verzeichnen. Die Stadt setzte in der Kaiserzeit ihre Funktion als Archiv des makedonischen Koinon fort; neue Bauten wie die Thermen innerhalb der Stadtmauer oder das römische Odeion in der Nähe des Zeus-Heiligtums sowie die prächtigen Villen zeigen zwar eine Prosperität, aber keine Veränderungen im Sinne von überregionaler Bedeutung, die sie in der hellenistischen Zeit besessen hatte; dies liegt sicher auch daran, daß das Koinon selbst eine eher beschränkte Funktion hatte. Hiermit steht im Einklang, daß in dem bislang nur spärlich publizierten epigraphischen Material als Auftraggeber der Texte größtenteils Einheimische erscheinen. Es blieb nach wie vor das Kultzentrum der unmittelbar nahe gelegenen Umgebung, das in römischer Zeit politische Rechte erhielt, deren Ausdruck unter anderem die Prägung eigener Münzen war. Dennoch blieb es im Schatten des benachbarten Beroia und des unweit gelegenen Thessaloniki, die politisch zu den wichtigeren Städten des römischen Makedoniens zählten. In Dion erschienen jahrhundertealte Kulttraditionen konserviert und fortgesetzt, die auch von den Veteranen und den italischen Bürgern, die sich in der Stadt niederließen, kaum verändert wurden. Die Tatsache, daß die Neuankömmlinge im Laufe der Zeit größtenteils die griechische Sprache und vermutlich auch spezifische Weihepraktiken der einheimischen Bevölkerung angenommen haben, ist ein deutliches Zeichen für die Übernahme religiöser Traditionen. Erneuerungen sind meistens im baulichen Bereich zu registrieren. Die religiösen Inhalte scheinen hingegen nach wie vor dieselben zu bleiben, es sind keine völlig neuen Kultimporte zu vermerken. Wenn man Dion in seiner Funktion als makedonisches Heiligtum mit Samothrake vergleicht, liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen ihm und dem Kabirion im jeweiligen Verhältnis zur benachbarten Stadt: Das Heiligtum auf Samothrake nimmt vielleicht eine führende Rolle ein,. in Dion hingegen liegt eine prosperierende Stadt vor, in der sich Veteranen und italische Bürger niederließen, und die zur gleichen Zeit eine ganze Reihe von wichtigen Heiligtümern besaß; diese waren zu einem süd- und südöstlich der Stadtmauer zusammengefaßt. Das Bild von Religion variiert bezüglich der Mittel, die für ihre Verbreitung verwendet werden. Die literarischen Quellen über Samothrake und Dion sind in der Kaiserzeit eher beschränkt, dagegen besitzt man über Philippi etwas umfangreichere Informationen, die teilweise mit dem Wirken des Apostel Paulus in Verbindung stehen und gerade nicht die jeweils aktuelle religiöse Entwicklung reflektieren. Das epigraphische Ma-
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terial, das aus Ehren-, Weih- oder Grabinschriften besteht, bildet an allen Orten die wichtigste Informationsquelle über Gottheiten und deren Kulte sowie das Kultpersonal. Hinzu treten an allen drei Orten archäologische Quellen. Eine gegenseitige Wahrnehmung scheint unter den drei untersuchten Gebieten nicht besonders intensiv gewesen zu sein. Zwischen Samothrake und Philippi gab es gewisse Kontakte, die durch spärliche epigraphische Belege bestätigt werden. Anders als mit Philippi gibt es zwischen Samothrake und Dion keine Belege über mögliche Kontakte. Eine Konkurrenz zwischen den bei den Orten wegen ihrer Rolle als religiöse Zentren kann kein ernsthafter Grund sein, denn beide sind, aus kultischer Perspektive gesehen, unterschiedlich strukturiert und vertreten einen anderen Stil religiöser Praktiken. Insgesamt sind Kulte betreffende Kontakte zwischen Samothrake, Philippi und Dion, aber auch zwischen anderen makedonischen Städten allenfalls in Einzelfällen zu erahnen. Bei den nur geringen Gemeinsamkeiten Philippis zu Dion, aber auch zu Thessaloniki spielt vermutlich auch deren geographische Entfernung eine Rolle. Daß Ferne oder Nähe ein Faktor ist, der Kontakte begünstigt oder erschwert, zeigt die N achbarschaft Dions zu Thessaloniki und Beroia. Das Kultspektrum in Makedonien kann nur untersucht werden, indem man die Kultphänomene einzeln am jeweiligen Ort erforscht. Vielfach bestehen Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen Orten, manche von ihnen reichen bereits in die hellenistische oder noch frühere Zeit zurück. Dennoch kann nicht von einem einheitlichen Bild die Rede sein, denn jede Stadt oder Region zeigen ihre Besonderheiten im religiösen Bereich. Bei der Untersuchung von Dion treten in den Kulten der Stadt zwischen der klassisch-hellenistischen und der römischen Zeit keine wesentlichen Unterschiede zutage. Einige der in römischer Zeit verehrten Gottheiten wie Zeus oder Demeter sind bereits in spätarchaischer Zeit belegt, andere wie Dionysos, Artemis oder Asklepios kommen in hellenistischer Zeit hinzu, wieder andere nehmen - wie Isis Lochia - den Platz älterer Gottheiten und führen dabei deren Zuständigkeiten fort. Die meisten der Heiligtümer existierten bereits vor der Zeit, als Dion um die Zeitenwende zur römischen Kolonie erhoben wurde. Der Kaiserkult ist in Dion mit einem bescheidenen Bau am Westrand der Agora, fern vom eigentlichen Kultzentrum vertreten. Einige wenige Inschriften des zweiten Jahrhunderts belegen Weihungen an die Kaiser, ohne daß aber die Intensität, die in Beroia, Thessaloniki oder Philippi zu beobachten ist, erreicht wird. Das Heiligtum der Kabiren auf Samothrake vermittelt ein anderes Bild. Es exis~ tiert viele Jahrhunderte bevor die ersten Römer seine Existenz wahrgenommen haben und Varro seine Theorien über die Penaten entwickelte. Die Römer fanden ein gut funktionierendes und prosperierendes Heiligtum, das sie weiterhin der lokalen Verwaltung überlassen haben, wie es von Livius erwähnt wird. Insbesondere auf Samothrake ist die Kultkontinuität viel geprägter als in Dion, denn die Mysterienrituale scheinen über die Jahrhunderte hinweg unverändert geblieben zu sein. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Dion und Samothrake ist, daß sich die Kultzentren außerhalb der urbanen Siedlung befanden.
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Für die in fast allen makedonischen Städten belegten Kulte der Kaiser und ihrer Familien sowie der Dea Roma gibt es im epigraphischen Material aus Samothrake keinerlei Belege. Der starke religiöse Charakter des Heiligtums und das Fehlen anderer Kulte wie auch der Kaiserkult liegen vielleicht in der Unabhängigkeit des Heiligtums vom zugehörigen städtischen Gemeinwesen. In Philippi zeigt das Kultspektrum eine wesentlich größere Vielfalt an Gottheiten. Inschriftlich sind in den Jahrhunderten von der ersten Gründung der Stadt in der spätklassischen Zeit bis zur römischen Neugründung und der spätantiken Christianisierung über dreißig verschiedene Gottheiten bekannt, von denen viele nur in der literarischen Überlieferung belegt sind. Viele von ihnen wurden bereits in hellenistischer Zeit verehrt, oft wurde ihr Kult nach der Gründung der Kolonie unter einem römischen Namen fortgesetzt oder andere haben wiederum mit der Ankunft der Römer an Bedeutung verloren, und schließlich welche, die überhaupt erst von den italischen Zuwanderern eingeführt wurden. Der Kaiserkult, der Kult des Silvanus oder das Fest der Rosalia sind die neuen Elemente, die das religiöse Leben von Philippi bereichern. Insbesondere der Kult des Silvanus und die Rosalia sind hierbei ein Spezifikum, das in ganz Makedonien nur in Philippi beobachtet werden kann. Auch bestimmten Götterbeinamen wie Regina für Isis, Tasibastenus für Liber Pater oder den thrakischen Lokalgottheiten Suregethes und Rincaleus begegnet man nur in dieser Region. Das besondere am Kultspektrum von Philippi ist die Verehrung gleicher Götter, deren Benennung nur von der Sprache der Weihenden abhängig ist, ohne daß man oft zwischen ursprünglich griechischer oder römischer Herkunft unterscheiden kann. Die Thraker sind in dieser Hinsicht leichter zu erkennen, weil sie unabhängig von der Inschriftensprache entweder einen thrakischen Namen tragen oder einen bestimmten Beinamen für die verehrte Gottheit hinzufügen, - mit ihren Praktiken fügen sie sich aber ganz in das Gesamtspektrum ein. Eine Eigentümlichkeit von Philippi ist, wie das religiöse Geschehen in- und außerhalb der Stadt verteilt ist. Auch wenn die Stadt, wie bereits erwähnt, kein überregional bedeutendes Kultzentrum darstellt, findet man hier differenzierte Formen von Kultplätzen. Innerhalb der Stadtmauer sind dies zum einen das Forum mit dem offiziellen Kult des Kaisers, zum anderen die Akropolis mit ihren Felsreliefs verschiedener Gotth{fiten sowie mit dem Heiligtum der ägyptischen GöUer, das zwar innerhalb der Mauer, aber abseits vom Stadtzentrum liegt. Einen dritten Bereich, diesmal außerhalb der Stadtmauern, bilden die ländlichen Heiligtümer des Dionysos und des Heros (Thrakischer Reiter oder auch Heros Auloneites) in der näheren Umgebung der Stadt. Diese Polyzentralität steht im Gegensatz zum Kultzentrum von Dion und zum Heiligtum von Samothrake und bildet eine Situation, die kein Vergleichsbeispiel im makedonischen Raum besitzt. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die aus vers~hiedenen Ethnien zusammengesetzte Bevölkerung, die vermutlich in unterschiedlichem Maße urbanisiert war. Eine wichtige Rolle spielen die geographische Lage, die Bevölkerungszusammensetzung sowie die Position in der Verwaltungshierarchie der Provinz. Die räumliche Lage Samothrakes oder Dions jeweils am Rande der Provinz sind sicher Ursachen dafür, daß diese Orte politischen, kulturellen oder religiösen Veränderungen
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weniger intensiv ausgesetzt waren. Auf der anderen Seite vollziehen Städte wie Thessaloniki und Beroia, aber auch solche kleinerer Größe wie Philippi, eine Reihe von Veränderungen, die unter anderem in der Entwicklung neuer religiösen Tendenzen und der Neuformierung alter Kulttraditionen zu beobachten sind, wie im Falle des Dionysos, der Rosalia oder des Thrakischen Reiters, der von allen Bevölkerungsteilen und -schichten in Philippi angenommen wird. Im Falle Philippis scheint besonders die geographische Lage der Stadt an der Via Egnatia den Kontakt zu neuen Strömungen zu fördern. Die Stadt selbst steht Neuerungen gegenüber offen. Samothrake und Dion zeigen hingegen keine solche innovative Entwicklung im Kultgeschehen, dort ist eher eine starke Tradition zu beobachten. An der Vermittlung von Religion waren vielfältige Trägerkreise beteiligt, die von Ort zu Ort naturgemäß variieren. Es handelte sich dabei nicht nur um Stadtfremde oder Zugewanderte, die Neues mit sich brachten, sondern auch um einheimische Bevölkerungsteile, deren Kulte etabliert waren und in Berührung mit dem Neuen kamen. Mit dem Wort Fremde sind einerseits Zuwanderer gemeint, die seßhaft wer- . den, andererseits Durchreisende, meistens Händler oder Militäreinheiten. Makedonien war ein ausgesprochenes Transitland, was eine hohe Präsenz von verschiedenen mobilen Personengruppen zur Folge hatte. Eine solche Situation könnte man etwa für Philippi vermuten, dessen Lage an der Ostwestachse zwischen Rom und den östlich gelegenen Provinzen sowie seine Nachbarschaft zum Hafen von Neapolis (heutiges Kavala) den Kontakt mit kurzzeitig präsenten Personen ermöglichte. Eine ähnliche Funktion hatte Makedonien auch im militärischen Sinne, insbesondere nach der Einverleibung der nördlich gelegenen Provinzen. In beiden Fällen kann nicht von permanenter Ansiedlung die Rede sein, die zur Einführung und Etablierung von neuen kultischen Tendenzen beitragen würde, die unter Umständen langfristigen Prozeduren unterworfen sind. Da Makedonien im Laufe des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zur Binnenprovinz wurde, war die Stationierung von Militär hier eher beschränkt. Die Belege sind auffallend spärlich und sind nicht in der Lage das religiöse Bild zu verändern, auch wenn die Militärpräsenz im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert zugenommen hatte. Trotz der Neugründung der Kolonien Philippi und Dion setzte sich das städtische Leben unter dem neuen Namen und teilweise neuer Verwaltung natürlich fort. Nach wie vor sind somit einheimische Träger und Beteiligte an bereits existierenden Kulten. Zu ihnen stoßen zunächst Veteranen des Augustus, die wohlgemerkt nicht nur Römer waren. Sie kommen hier mit lokalen Kulten in Berührung, die sie, wie dies epigraphisch belegt ist, annehmen und praktizieren. Im Allgemeinen kann jedoch gesagt werden, daß die lokalen Kulte die tieferen Wurzeln besitzen und ihr Einfluß auf die neuen Bewohner stärker ist, als umgekehrt der Einfluß mitgeführter Kulte auf die altansässige Bevölkerung. Neben den mobilen Gruppen der Händler und der Soldaten ist es in Philippi die ansässige Bevölkerung, die zur Entwicklung und Fortsetzung der Kulte am jeweiligen Ort beiträgt. Das Spektrum der Weihenden ist wesentlich breiter. Auffällig treten meistens die thrakischen Beinamen von Gottheiten hervor, die vorrangig der thrakischen Bevölkerung zugeschrieben werden können, das heißt diese Götter werden
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vorwiegend von Thrakern verehrt. Einzige Ausnahme bildet der thrakische Reiter, der Anhänger auch unter den Griechen und Römern hat. Vielen dieser Beinamen begegnet man auch im thrakischen Kernland. Es ist anzunehmen, daß zwischen der thrakischen Bevölkerung Makedoniens und jener in den benachbarten Provinzen enge Kontakte bestanden. Über die Präsenz von kurzfristig anwesenden Stadtfremden in Dion, etwa Händlern, liefern die Inschriften aus Dion aber keine Angaben. Auch wenn manche der Weihenden keine Einheimischen sein sollten, so sind im Gesamtspektrum der Inschriften keine Auffälligkeiten zu bemerken, die man mit äußeren Einflüssen erklären müßte. Als einziges Beispiel der «makedonischen koine» wäre der Isiskult mit vergleichbaren Weihungen zu erwähnen, der vielleicht durch römische Händler im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. hervorgerufen wäre. Auf Samothrake kann man, anders als in den anderen makedonischen Regionen, sicher mit Berechtigung von «Touristen» am Kultort sprechen, Reisenden also, die nicht wie Händler aus geschäftlichen Gründen einen Ort aufsuchten, sondern deren eigentlicher Anlaß die Teilnahme am Kult war. Die Inschriften liefern keine Informationen über kultische Veränderungen oder Veränderung der Kultpraxis, die man beobachten kann, bis auf die Tatsache, daß die Weihegrade ab dem ersten J ahrhundert n. Chr. innerhalb eines Tages vergeben werden konnten. Diese «Touristen» scheinen die Sakraltopographie der Insel nicht im geringsten zu verändern, sie tragen im Gegenteil zu ihrer Konservierung über mehrere Jahrhunderte bei. Was das Kultpersonal angeht, findet man die meisten Zeugnisse in Philippi, obwohl deren Nennung auf einen verhältnismäßig geringen Teil der dort bekannten Kulte beschränkt ist. Die meisten Belege finden sich im Umkreis des Kaiserkultes, das zeigt die soziale Position und den hohen Organisationsgrad dieses Kultes. Vereinzelte Informationen besitzt man auch über andere Kulte, wie beispielsweise den der ägyptischen Götter, des Dionysos und Silvanus. Auch bei den zahlreichen Inschriften dionysischer thiasoi fehlen Ämterangaben der Mitglieder, wie wir sie in zahllosen Beispielen aus dem übrigen Reich kennen. Einzige Ausnahme hierzu bildet eine noch unpublizierte Felsinschrift auf der Akropolis von Philippi, die Mitglieder eines dionysischen Vereins und deren Ämterbezeichnungen aufführt und auch hier eine differenzierte Struktur zeigt. Das weitgehende Fehlen von Nennungen dieser Personen sowie von Spezialisten ist ein gemeinsames Charakteristikum für alle drei untersuchten Gebiete. Umfangreicheres Kultpersonal würde man vor allem auf Samothrake erwarten, dennoch sind wir nur über die Mysten und deren Weihegrade informiert. Neben dem Kultpersonal im Dienste der verschiedenen Gottheiten bildet die Bevölkerung die Basis, auf die sich das Kultspektrum stützt. Es sind die Einwohner einer Stadt und ihrer Umgebung, die dem jeweiligen Kult Leben verleihen. Überliefert ist allerdings selten, ob die Gesamtbevölkerung an der Ausübung von Religion im privaten oder öffentlichen Bereich teilgenommen hatte. Manche Inschriften vermitteln Informationen über das Amt eines agonotheten zu Ehren einer bestimmten Gottheit oder des Kaisers. Daraus kann man erschließen, daß Agone ein Bestandteil der Kultausübung waren, an denen ein Großteil der Bevölkerung teilgenommen hat. Es sind nirgendwo in der literarischen oder archäologischen Überlieferung Prozes-
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sionen oder Opfer belegt, die zweifellos wichtige Bestandteile großer Feste waren. Ungewiß bleibt damit auch die Breitenwirkung der meisten Kulte. Beim Vergleich der drei Regionen wird deutlich, daß sie nicht in ein gemeinsames Schema eingeordnet werden können, weil ihre Entstehung, ihr politischer Status und ihre Entwicklung unterschiedlichen Bedingungen unterlag, auch wenn sie sich in der gleichen politischen Einheit, wie das makedonische Königtum oder das Provinzsystem des römischen Reiches, befanden. Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten, die aber nicht maßgebend für das Gesamtbild sind. Öfter tritt der Fall ein, daß zwischen zweien der drei Orte Ähnlichkeiten bestehen, aber nie zwischen allen dreien gleichzeitig. Die religiöse Entwicklung der untersuchten Orte war stets das Ergebnis der Umstände und des Interesses, die in der jeweiligen Region herrschten, und die zum Teil die zentrale Verwaltung gezeigt hat. Es ist nicht gewagt zu sagen, daß Veränderungen im kultischen Bereich nur in Philippi in größerem Umfang zu registrieren sind. Ein gemeinsames Merkmal ist für alle drei Regionen der Umstand, daß sie in ihrer jeweiligen Region eine zentrale Rolle gespielt haben und dabei sowohl in hellenistischer als auch in römischer Zeit eine gewisse Kultkontinuität mit unterschiedlicher Intensität und Entfaltung vorweisen können. Zugleich herrscht aber keine «religiöse Stagnation», denn die Ansiedlung von Veteranen, die Präsenz von Militär oder die Gründung von Handelsniederlassungen Neuerungen und Veränderungen mit sich führen. Ein solcher Umstand kann einerseits von Vorteil sein, was die Einführung von neuen Tendenzen und Ideen für die Erforschung eines Kultes betrifft, andererseits aber kann es auch zu einem gewissen Widerstand gegenüber fremden Einflüssen führen, der vom Konservatismus begleitet ist. Ebenso von Bedeutung kann eine solche Ta~sache sein, indem das gleiche religiöse Phänomen über die Jahrhunderte hinweg beobachtet werden kann. Die Bedingungen, die zu Veränderungen oder zur Konservierung von Religion geführt haben, gelten für alle drei erforschten Gebiete, wie die Zusammensetzung der Bevölkerung, die geographische und politische Lage der Region, die Tradition sowie die Einstellung der zentralen Verwaltung gegenüber dem jeweiligen Ort. Typisches Beispiel dafür ist zum einen der Kult der Isis in Thessaloniki und Dion einerseits und in Philippi andererseits. Man kann unterscheiden zwischen einer westmakedonischen Koine, die in Dion, Beroia und Thessaloniki anzutreffen ist, und Philippi, wo die Göttin mit anderen Beinamen auftritt. Zum anderen steht die Verehrung des Kaisers, die in Beroia und Thessaloniki besondere Dimensionen erreicht, dafür aber auf Samothrake völlig bedeutungslos zu sein scheint. Makedonien wurde nie tiefgreifend «romanisiert», wie es auch nicht «makedonisch» geblieben oder einheitlich «griechisch» geworden ist, soweit dies anhand der Aufnahme und Assimilierung neuer religiöser Formen innerhalb der einheimischen Bevölkerung gesagt werden kann. Es sind weniger die stationierten Truppen, die die religiösen Angelegenheiten bestimmen. Reisende und Händler, als Träger neuer religiöser, politischer und kultureller Ideen, sind für die Entwicklung religiöser Strukturen weniger von Bedeutung. Vielmehr sind es die dauerhaft zugewanderten, seßhaft gewordenen Bevölkerungsgruppen, die Neues einführen und Altes annehmen. Die Wechselbeziehungen gelten für beide Gruppen, die Kolonisten, die mit den
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religiösen Traditionen Makedoniens· in Berührung kommen und die Einheimischen, die religiöses Importgut aufnehmen. Dabei bestimmend ist, daß nach der Ansiedlung von Zuwanderern ein Annäherungsprozeß begonnen hatte, der in vielen Bereichen zu Verschmelzungsprozessen und schließlich dazu führte, daß sich die Bevölkerung in sprachlich-kultureller Hinsicht in den Quellen überwiegend als eine homogene Einheit darstellt.
Rom, Makedonien und die Nachbarprovinzen Wie wurde Makedonien in Rom wahrgenommen? Aufgrund des disparaten Materials hat sich die literarische Textanalyse auf ambivalent besetzte Erinnerungsorte (Samothrake, Amphipolis, Philippi, Aineia, Dion) und prominente Autoren des ersten Jahrhunderts konzentriert, die sowohl die Epoche der Makedonenkriege (Livius) als auch die Zeit der Bürgerkriege (Dionysios von HaI., Livius, Vergil, Ovid) reflektieren. Makedonien wurde als exemplarisches Eroberungsgebiet beleuchtet; andererseits wurde die Relevanz des Trojamythos für die Formation alter und neuer Gedächtnisorte diskutiert. Dabei war zu eruieren, in welcher Weise der Aspekt der Religion in den Dienst der Erzählung tritt. Die literarische Textinterpretation zielte also nicht auf die Klärung historischer Fakten, sondern auf die literarische Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Ereignissen aus der Perspektive eines stadtrömischen Lesers. Die Texte erlaubten eine differenzierte Analyse von Religion als einem komplexen Kommunikationssystem, in dem es Umfang und Selektion der Informationen, Formen der Wissensvermittlung sowie publikumsbedingte Modifikationen der Botschaft herauszuarbeiten galt. So entfaltet Livius vor dem römischen Lesepublikum in ethnographischem Gestus die makedonischen Besonderheiten bei einer Entsühnung des Heers (182 v. Chr.; Liv. 40,6,1-5), um die Hierarchie im engen Umfeld des Königs zu visualisieren. Die ethnographischen Erläuterungen über die Völker und Hauptorte Makedoniens (Liv. 45,30,2-8) wiederum sind bewußt nicht den makedonischen Kriegen vorangestellt, wie es historiographischer Tradition entspricht, sondern mit der ausführlichen Darlegung der neuen Provinzorganisation durch Aemilius Paullus kombiniert, um aus aktuellem Anlaß den femen Stadtrömer über die neu gewonnenen Provinzgebiete zu informieren. Um von Aemilius Paullus den bloßen Verdacht eines solch verschwenderischen, auf den kurzzeitigen Genuß orientierten Luxus femzuhalten, verweist Livius nachdrücklich auf die ebenso sorgsame wie zweckorientierte Selektion der in Amphipolis ausgestellten Siegesbeute. Demnach sind die königlichen Schätze aus Pella, die römischer Kulturbesitz werden sollen, weit höher als die Kunstbestände der Ptolemäer zu schätzen. Denn im Gegensatz zum zeitbegrenzten Schauwert der alexandrinischen Luxuswaren, die als traditioneller Bestandteil der herrscherlichen Schatzkammern den Mitgliedern der hellenistischen Königshöfe vorbehalten blieben und der Bevölkerung nur an den großen Festlichkeiten vorgeführt wurden, sind die im Makedonenkrieg erbeuteten Kunstwerke und Luxusgüter über die punktuelle Präsentation im Triumph hinaus zum langfristigen - und öffentlichen! - Gebrauch gedacht (Liv. 45,33,5-7): Die makedonischen Königsschiffe werden, nachdem sie ihren Zweck in der glanzvollen Tiberfahrt des Aemilius Paullus erfüllt haben, auf das Marsfeld
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verbracht und dort als spektakuläre Schaustücke dem stadtrömischen Publikum zugänglich gemacht (Liv. 45,42,12). Während der Sieg über das makedonische Reich in der Haupstadt Rom durch ausgewählte Beutestücke präsent gehalten wurde, haben die einmaligen Spiele in Amphipolis keine bleibenden Spuren hinterlassen: Was nicht in die römischen Museen gelangte, ging bei dem Opfer für Mars, Minerva, Lua und «die anderen Götter» in Flammen auf (45,33,1-2). Trotz zahlreicher Augenzeugen ist es somit auf Dauer allein Livius' Geschichtsschreibung, die der makedonischen Siegesfeier des Aemilius vor Ort - nämlich durch Eintrag in seiner imperialen mental map - einen literarischen Gedenkstein setzt und zugleich dem raum- und zeitfernen Leser die geistige Vergegenwärtigung und Partizipation an den Festspielen erlaubt: Mit seinem Geschichtswerk hat Livius dem römischen Imperium ein Siegesmal geweiht, das in seiner Dauerhaftigkeit und Qualität mit jedem Triumphmonument konkurrieren kann. Aufschlußreich ist das Verhältnis von politischen beziehungsweise militärischen Brennpunkten und sakralen Zentren. Aus den literarischen Quellen ließen sich provinzübergreifende Sakrallandschaften rekonstruieren und Heiligtümer von überregionaler Strahlkraft - namentlich Samothrake und Dion - als Multiplikatoren von Information und Orte reichsweiter Kommemoration identifizieren. Dabei nimmt neben Rom und dem in verschiedensten Textgattungen und Kontexten (Geographie, Historiographie, Fachliteratur, Dichtung) erwähnten Samothrake vor allem Delphi eine prominente Stellung ein: Von der dadurch begründeten Konkurrenzsituation gibt etwa die pointierte Gleichstellung von Samothrake und Delphi Zeugnis, die Livius (45,5,11) dem Makedonenkönig Perseus in den Mund legt. Über Orakel, Weihungen und Siegesdenkmäler vielfach mit Makedonien verknüpft, fungiert Delphi noch in der hohen Kaiserzeit als Zielpunkt von Gesandtschaften und Festort der pythischen Spiele für ganz Griechenland einschließlich Makedonien als Vorbild und Maßstab. Anhand der symbolträchtigen Erinnerungsorte Aineia und Philippi wurde der Frage nachgegangen, inwiefern das Bildemblem des gefallenen und wiedererstandenen Troja- für die augusteischen Literaten - und zwar für die Historiker wie für die Dichter - aufgrund seiner Anschaulichkeit und des konkreten Ortsbezugs besonders geeignet war, um auf der Folie historischer Gegebenheiten ihre eigenen Geschichtsbilder literarisch zu profilieren. Diese sind - entsprechend der italischen Herkunft der Autoren und ihres Zielpublikums - aus stadtrömischer Perspektive entwickelt und liegen daher zumeist quer zur Lokaltradition vor Ort. Die literarische Textinterpretation zielte dabei nicht auf die Klärung historischer Fakten, sondern auf die literarische Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Ereignissen. Der Aspekt der Religion wurde dabei im Dienst der Erzählung thematisiert. In der Textanalyse war nachzuweisen, daß einerseits Livius den Gedächtnisort Aineia, der in den historischen Quellen - etwa Dionysios von Halikarnaß - als eine der vielen von Aeneas gegründeten Pflanzstädte in einer das ganze Mittelmeergebiet umspannenden Trojalandschaft fest verortet war, in ein neues, makedonienzentriertes Großraumsystem überträgt, das eine klare Negativbewertung der Königsherrschaft impliziert und den dritten maked6nischen Krieg präfiguriert. In seiner Kurzbeschreibung der trojansischen Pflanzstadt Aineia überdeckt Livius die positive Erinnerung an den «frommen» Stadtgründer Aeneas mit dem Schreckensbild des ma-
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kedonischen Frevlers Philipp und leitet daraus ein raum- und zeitübergreifendes Geschichtskonzept der fatalen Fernwirkung historischer Schuld und der Forderung eines sühnenden Ausgleichs ab. Ovid dagegen nutzt den Trojamythos nicht in erster Instanz zur historischen Erklärung der Größe Roms, sondern als einen idealen Gesprächsfundus, der im Medium der vergänglichen Kartenskizze - und zumal auf der Folie des älteren Vorbilds Vergil - immer neue Konturen gewinnen kann. Das Potential des exemplarischen «Stadtmodells Troja» liegt demnach für Ovid nicht primär in einer verbindlichen Geschichtsdeutung, sondern vielmehr in den vielfältigen Gestaltungsoptionen der Erzählung. Selbst wenn er wie im trojanisch-philippensischen Stadtemblem des Penelopebriefs (epist. her. 1) das frühaugusteische Bürgerkriegstrauma fortschreibt und dabei Vergils Vorbild rhetorisch überbietet, sucht er durch die literarische Brechung und kunstreich inszenierten Straten der Erzählung systematisch und bewußt geschichtliche Distanz zu erzeugen. Als Bildsymbol der ovidisehen Erzählkunst soll die bewußt unvollständig belassene Trojaskizze den Leser dazu motivieren, über die Qualitäten einer guten Geschichte und die richtige Rezeptionshaltung zu reflektieren. Im Medium der virtuellen Landkarte können Autor und Leser in enger Zusammenarbeit die trojanische Stadttopographie nach Belieben konturieren, die Zeichnung löschen und neu überschreiben. Die Symbolkraft des zerstörten, neubesiedelten und doch unauslöschlichen Troja liegt nicht mehr in der verbindlichen Geschichtsdeutung, sondern in dem faszinierenden Erzählpotential und der hohen Literarizität. Weitere Mitarbeiter(imlen): Amd Brandl, Markus Eckart, Franca Fabricius, Miriam Fischer, Dirk Gruppe, Kristin Linke, Julia Helena Schäfer, Jan Schenkenberger, Friederike Stratmann, Claudia Ungefehr-Kortus. Förderungszeitraum: 2000 bis 2005. Veröffentlichungen Egelhaaf-Gaiser, U. 2001. «Träger und Transportwege von Religion am Beispiel des Totenkultes in den Germaniae», in: W. Spickermann; H. Cancik; 1. Rüpke (Hgg.), Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen: Mohr Siebeck, 225-257. Egelhaaf-Gaiser, U. 2002. «Religions ästhetik und Raumordnung am Beispiel der Vereins gebäude in Ostia», in: U. Egelhaaf-Gaiser; A. Schäfer (Hgg.), Religiöse Vereine in der römischen Antike: Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung (Studien und Texte zu Antike und Christentum 13), Tübingen: Mohr Siebeck, 123-172. Egelhaaf-Gaiser, U. 2002. «Panegyrik, Denkmal und Publikum: Plinius epist. 8,4 und die Kommemoration der Dakertriumphe im Orts- und Medienwandel», in: Ch. Auffarth; 1. Rüpke (Hgg.), Epitome tes oikoumenes: Studien zur römischen Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 6), Stuttgart: Steiner, 99-122. Egelhaaf-Gaiser, U. 2003. «Orakel», in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6, 4. Aufl. Tübingen, 603. Egelhaaf-Gaiser, U. 2005. «Der triumphierende Leser. Die Siegesfeier von Amphipolis in der Geschichtserzählung des Livius», in: D. Elm von der Osten; 1. Rüpke; K. Waldner (Hgg.), Konstruktion und Verbreitung von Religion in Texten der Kaiserzeit, Stuttgart, 41-61. Egelhaaf-Gaiser, U. 2005. «Exklusives Mysterium oder inszeniertes Wissen? Die ägyptischen Kulte in der Darstellung des Pausanias», in: A. Hoffmann (Hg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des Römischen Reichs. Internationales Kolloquium am 5. und 6. September 2003 in Bergama/ Türkei, Byzas 1, Istanbul, 259-280.
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Religion im römischen Thessaloniki CHRISTOPHER STEIMLE
Thessaloniki stellt unter den kaiserzeitlichen Städten des griechischen Festlandes eine Besonderheit dar: Die Stadt, die als Provinzhauptstadt und später als Tetrarchensitz zu einer der bedeutendsten Metropolen ihrer Zeit werden sollte, liegt in einem Bereich, der in vorrömischer Zeit bestenfalls als Randgebiet der griechischen Welt wahrgenommen worden war. Auch handelte es sich, erst 315 v. ehr. gegründet, nicht um eine der traditionsreichen griechischen Städte, die wie Korinth oder Athen ihren alten Ruhm und damit verbundene kultische Überlieferungen in römischer Zeit erneuern konnten, sondern gewissermaßen um eine Stadt, die in vorrömischer Zeit allenfalls als strategischer Punkt bei Militäraktionen in Erscheinung getreten war. Der Parvenu unter den Griechenstädten des Festlandes verfügte nach unserer Kenntnis über nur wenige kulturelle und dabei auch religiöse Traditionen. Zum Teil ist dieser Mangel sicherlich in einem Quellenproblem begründet, welches sich jüngst durch den Wegfall des - nun als frühkaiserzeitlichen Wandertempels erwiesenen - <archaischen Dionysostempels> als eines Hinweises auf einen örtlich vorhandenen Dionysoskult eher noch verschärft hat. Doch auch erkennbar hellenistische Traditionen - etwa eines städtischen Dionysoskultes fanden in späterer Zeit keine Fortführung, was im konkreten Fall vermutlich in einer gewandelten organisatorischen Grundlage des Kultes (kaiserzeitliches Vereinswesen) begründet war. Hierin zeigt sich, daß selbst in einer Stadt von Fortbestand mit Umschichtungen und Verschiebungen in der Einbettung ihrer Kulte ins städtische Leben zu rechnen ist. Zudem erscheint das überlieferte Kultspektrum selbst Einzelbelege und bildliche Darstellungen miteingerechnet - relativ schmal für eine Großstadt, die als durch Synoikismos gegründete Einheit eine Vielzahl von kultischen Traditionslinien erwarten lassen könnte und überdies im Laufe ihres vor allem kaiserzeitlichen Anwachsens den Stamm ihrer Einwohner noch wesentlich um Zuwanderer erweitert hat. Was ist römisch am römischen Thessaloniki? Auf Seiten der in Thessaloniki wirkenden oder dort ansässigen Römer ist eine Thematisierung des .Römischen äußerst selten. Den einzig greifbaren Beleg hierfür bilden die Weihungen der synpragmateuomenoi Rhomaioi (unter anderem IG X 2.1, 32. 33) der augusteischen Zeit: Hier stellt sich eine Händlervereinigung selbstbewußt als zugewanderte Gruppe dar, gleichzeitig lassen die gemeinsam mit der Stadt getätigten Ehrungen und deren Publikation im Umfeld der Agora das Maß politischer Relevanz erkennen, das sie in Thessaloniki für sich in Anspruch nahm. Neben ihrer ausdrücklichen Eigenbezeichnung als Römer - was auch immer dies ethnisch heißen mag, vielleicht waren es Italiker aus Delos - nehmen sie Bezug auf die Kaiserverehrung,
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also einen für die Bewohner Thessalonikis deutlich als wahrnehmbaren Bereich. Interessanterweise liegt gerade in dieser ungewöhnlich deutlichen ethnischen Abgrenzung auch ein unverkennbar integrierender Aspekt: Daß die Rhomaioi auf der Kulte ausgerechnet jene der ägyptischen Götter. Die - beim Heiligtum in Thessaloniki sicherlich mittelbare - ägyptische Herkunft macht klar, daß auch die hier praktizierte Religion einst das Ergebnis bedeutender Transformationsprozesse gewesen ist. Zudem werden als diejenigen, die zu diesem griechischen Bild sowie zur Entstehung einer griechisch geprägten Koine der ägyptischen Kulte in Makedonien beigetragen haben, auch und gerade Römer sichtbar. Gestaltungsmäglichkeiten von Religion Integration in städtisches und dabei zwangsläufig auch in religiöses Leben war in vielerlei Weise präsent. Integrative Qualitäten von Religion bildeten in Thessaloniki aber offenkundig nur einen der Aspekte, die bei der Entscheidung, an einem Kult mitzuwirken, von Bedeutung waren. In vielen Fällen kann ein geradezu gegenläufiger Beweggrund ausgemacht werden: Nicht Integration war hier gefragt, sondern eine Abhebung vom Umfeld, eine Zuordnung zu einer kleineren Einheit von im Kult verbundenen Personen. Als Formen solcher Abgrenzung kommen vor allem Modelle von Gruppenbildungen in Frage, sei es im Kreise von gleichgesonnenen Anhängern an einen bestimmten, in der Stadt sonst nicht vertretenen Kult, sei es in der Anlehnung an einen einflußreichen , den prostates. Im Kult der ägyptischen Götter ist der Fall anzutreffen, daß sich eine Gruppe von hieraphoroi synklitai (IG X 2.1, 58) gebildet und einem Patron unterstellt hatte. Die zweigliedrige Bezeichnung legt nahe, daß die Gruppe als hieraphoroi ein Amt im Kult des Sarapis oder der Isis besaßen, sich daneben aber eine Organisation als synklitai unter der Obhut des Patrons gegeben hatte. Die überwiegend römischen Namen der nur grob zwischen 50 v. ehr. und 50 n. ehr. zu datierenden Inschrift können vermuten lassen, daß es eben solche außerhalb der Kultteilnehmerschaft liegenden Gemeinsamkeiten waren, die den Zusammenschluß als synklitai begründet hatten. Umgekehrt läßt sich aber vermuten, daß gerade dieser außerhalb der eigentlichen Kultausübung liegende Verband
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auf die Besetzung der Kultämter Einfluß hatte. Das im Heiligtum der ägyptischen Götter so deutlich zu beobachtende Moment der Integration ist hier also in eine abgrenzende Gegenbewegung übergegangen. Das Begriffspaar Integration und Abgrenzung bildet dabei aber keinen Gegensatz, vielmehr kann in den hieraphoroi synklitai eine Organisationsform ausgemacht werden, innerhalb derer sich beide Aspekte ineinander verbunden finden. Eine andere Form der Ausgestaltung von Religion weist das Modell einer Mystenvereinigung des Zeus Dionysos Gongylos (IG X 2.1, 259; erstes Jahrhundert n. ehr.) auf. Sein Kult, zu dessen Treffen mitternächtliche Speisungen gehören, ist nur in Thessaloniki belegt. Der Tatsache, daß der Gott im Kultspektrum der Stadt ansonsten offenbar nicht vertreten war, begegnete die Vereinigung mit der Einrichtung eines Vereinsheiligtums, das im Kultbezirk der ägyptischen Götter seinen Platz gefunden hat. Es liegt hier also ein vor, welches aufzeigt, daß in einem neuen Modell der auch eine begrenzte Interessengruppe die Möglichkeit hatte, in einem finanziell kalkulierbaren und selbstbestimmbaren Rahmen Religion auszuüben. Sehr ähnlich hierzu ist die Situation in einem anzunehmenden Vereinsheim im Bereich der Acheiropoietos-Basilika. Was hier erschlossen werden kann, ist die Anwesenheit mehrerer Dionysosvereine, die als <Mietparteiem an diesem Ort zeitlich aufeinandergefolgt sein könnten: Auch hier fand also statt, was nichts über die architektonische Ausgestaltung des Ortes aussagt als vielmehr über das Fehlen eines Heiligtums als einer Organisationsform, welche auch unabhängig von der Vereinigung hätte bestehen können. Ein solcher Kult war existentiell . an seine finanzielle Ausstattung gebunden, die insbesondere nach dem Tod des Vorsitzenden akut wurde. Im Falle der Gongylos-Vereinigung ebenso wie durch das bekannte Testament der Dionysospriesterin Euphrosyne (IG X 2.1, 260; drittes Jahrhundert n. ehr.) wurde ein Fortbestand der Vereinigungen aus den Erträgen vererbter Weinberggrundstücke gesichert. Eine im Text enthaltene Verfügung über die Weiterreichung des Erbes zeigt dabei, daß mit einem Erlöschen solcher Vereinigungen durchaus gerechnet werden mußte.
Was ist das Besondere an der Religion Thessalonikis? In einer Gesamtbetrachtung fällt auf, daß Thessaloniki in seinen Kulten mit vielen außergewöhnlichen, ja singulären Erscheinungen aufwarten kann. Viel Zufälliges ist darunter, vieles wohl eher aus heutiger Sicht bedeutsam. Anderes ist in der Antike hingegen bewußt ausgewählt worden: Manches, um sich zu machen, wie etwa der Alexanderkult; manches ist aber auch Ergebnis einer freien Umgestaltung dessen, was anderswo entlehnt wurde. Weitergehende Besonderheiten, die Thessaloniki von zeitgenössischen Städten Griechenlands abheben, liegen hingegen in einem umfassenderen Bereich: So war es ihr als einziger der in hellenistischer Zeit gegründeten Städte des griechischen Festlandes vergönnt, zu einer Bedeutung zu gelangen, die spätestens in der hohen Kaiserzeit jene Athens oder Korinths zu erreichen, später sogar zu überflügeln begann. Gleichzeitig - und der Befund des augusteischen Wandertempels deutet an, daß dies so empfunden wurde - herrschten in der jungen Großstadt kulturelle Defizite. Dies
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mag zu Teil damit zusammenhängen, daß sie - als königliche Gründung und in hellenistischer Zeit mit einem Statthalter versehen - nur eine beschränkte Autonomie hatte entwickeln können. Als Orientierungspunkte dafür, wie solche Defizite auszugleichen waren, kamen die alten Orte des klassischen Griechentums mit ihrem grundlegend anderen Charakter aber kaum in Frage, zumal sich keine von ihnen zu einem wirtschaftlichen und politischen Zentrum von der Bedeutung Thessalonikis entwickelt hatte. Orte vergleichbarer Größe und Bedeutung waren eher im Osten der Ägäis zu finden. Als Vorbilder einer jungen Großstadt, die sich ihrer wachsenden Bedeutung bewußt war und die sich mit großzügigen baulichen Anlagen und einer aufwendigen Festkultur ein repräsentatives Auftreten sichern wollte, kamen deshalb vor allem Großstädte des Ostens in Frage. Zufällig war dies kaum, standen jene doch - zuweilen ebenfalls hellenistische Gründungen - in ähnlich kurzen Traditionslinien und zugleich, in einer veränderten Weltordnung, gewandelten städtebaulichen, aber auch kulturellen Aufgaben gegenüber, für die zum Teil gemeinsame Lösungen gefunden werden konnten. Immer wieder fällt so in verschiedensten Bereichen die gezielte Orientierung an Gepflogenheiten kleinasiatischer Städte auf. Das dort Entlehnte war jedoch deutlichen Umwandlungen unterworfen. Aufschlußreich hierbei ist das Beispiel der Neokorien: Für Griechenland völlig singulär wird hier durch Beroia und Thessaloniki eine Institution übernommen, die ansonsten einzig für kleinasiatische Städte Bedeutung hatte. Sie war dort bekanntlich ein wichtiges Instrument eines Konkurrenzsystems gewesen, dessen wesentliche Bestandteile neben dem Neokorietitel und dem damit verbundenen Kult die zugehörigen Spiele umfaßte, welches sich darüber hinaus aber auch im Wetteifern der architektonischen Ausgestaltung der Städte mit Thermenanlangen, Bibliotheken und Theatern äußerte. In der makedonischen Übernahme der Neokorie zeigt sich dabei eine gründliche Umformung des kleinasiatischen Vorbilds: Bedeutendster, sich in einer reichsweit singulären Münzserie äußernder Unterschied ist der ganz offensichtlich auf das Koinon übertragene Neokorietitel Beroias. Fernab der kleinasiatischen Vorbilder konnte man also eigene Modalitäten entwickeln, und dabei hebt sich der Konkurrenzgedanke, der den kleinasiatischen Neokorien meist zugeschrieben wird, deutlich von diesen ab. Er zeigt dabei durchaus ambivalente Züge in einem Spannungsfeld zwischen Rivalität und Homonoia: Hinsichtlich des Neokorietitels herrscht - nach anfänglichen Begehrlichkeiten Thessalonikis - offenbar Einigung über dessen Aufteilung unter den Mitgliedern des Koinon. Ein Wetteifern herrschte somit offenbar weniger innermakedonisch, sondern vielmehr - Rom immer im Blick - den klein asiatischen Städten gegenüber. Welche Religion gibt sich Thessaloniki? Die Religion Thessalonikis ist unmittelbar am Ort entstanden, unter vielfältigsten Einflüssen und Bezugsrichtungen, aber immer auch aus den Gegebenheiten des Ortes und der Zeit erklärbar. Thessaloniki, eine kulturell schöpferische Stadt mit kosmopolitischer, im Wortsinne weltoffener Bevölkerung ist somit als Urheberin all dessen anzusehen, was uns in den unterschiedlichsten Quellen als Äußerungen ihrer Religion entgegentritt. Wesentliche Charakteristika dieser Religion sollen thesenhaft resümiert werden:
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Erstens: Religion wird nicht vom Reichszentrum aus über die Provinz verteilt; die Provinz schafft sich ihre Religion. Die Bezugspunkte sind hierbei vielfältig: Sie befinden sich durchaus in Rom, daneben aber auch in anderen Zentren, die im Falle von Thessaloniki sehr oft in Kleinasien zu suchen sind. Doch die römische Blickrichtung bringt nicht hervor: Auch der auf Rom, auf den Herrscher bezogene Kult bleibt stets Hervorbringung der Provinz und dabei in deren Abhängigkeit vom Zentrum Rom bedingt. Selbst wie die in Thessaloniki jahrhundertelang perpetuierten Leichenspiele für Fulvus sind kein Kult, der sich im dritten Jahrhundert in Rom wiedergefunden hätte. Die Formen der Kaiserverehrung, Agone und Feste, sind - wenngleich zeitgemäß um Tier- und Gladiatorenkämpfe erweitert - Teil griechischer Festkultur, im Osten, in Kleinasien, nicht im Westen abgeschaut. Die Bezugnahmen auf Rom und römischer Einfluß allenthalben führen nicht zum Entstehen von . Damit ist die Religion Thessalonikis kaiserzeitliche Reichsreligion im beispielhaftesten Sinne: Sie erklärt sich aus der Auseinandersetzung der Provinz mit dem Reich. Bei ihrer Herausbildung werden gleichzeitig die eben durch dieses Reich erst geschaffenen Auswahlmöglichkeiten aus Formenrepertoires eines breiteren geographischen und kulturellen Rahmens genutzt. Zweitens: Die gängigen und vielfach verlockenden Etikettierungen und stellen zunehmend keine geeigneten Kriterien für die Beschreibung von provinzialer Religion mehr dar. Ethnische Kategorien verwischen. Wurden sie in der Anfangszeit griechisch-römischer Konfrontation noch kalkuliert eingesetzt, waren saubere Trennungslinien schon zu dieser Zeit nicht mehr möglich: Römische Wohltäter werden in den Formen für hellenistische Philhellenen geehrt, der Wandertempel präsentiert sich nach außen gut griechisch, beherbergt unter seinem Dach hingegen primär für Rom bedeutsame Gedanken. Schon früh liegen also deutliche Vermischungen und Neuinterpretationen römischer ebenso wie griechischer Kontexte vor. Waren vom Beginn römischer Einwanderung an deutlich integrative Bestrebungen der in Thessaloniki Zugewanderten in das griechischsprachige Umfeld auszumachen, so sind begleitende Abgrenzungsfunktionen nun charakteristischerweise nicht mehr ethnisch, sondern überwiegend sozial definiert. Auffallend wird ein im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert thematisiertes Makedonentum, das in einen Zusammenhang mit der Kaiserverehrung gestellt wird und dort wohl kaum mehr realen Abstammungslinien der Kultbeteiligten zuzuordnen war. Als verbindlich griechisch erweist sich immerhin die Sprache, die zur raschen und offenbar unausweichlichen Absorption eines jeden Neuankömmlings geführt zu haben scheint. Doch selbst dann, wenn sich frisch angekommene Römer in den Quellen noch als solche zu erkennen geben, ist dies im Grunde ohne Belang: Das, was die römischen Händler aus Delos in die Kulte der ägyptischen Götter in Thessaloniki einbringen, ist kein römischer, sondern griechisch umgeformter <ägyptischen Kult. Drittens: Die in Thessaloniki ausgeübten Religionen sind : Dieses nicht, weil sie vorrangig pragmatische Beweggründe bedient hätten, sondern weil bei ihnen deutlich Gestaltungsmöglichkeiten angewandt wurden, mit denen sie bestimmten Bedürfnissen angepaßt werden konnten. Innerhalb öffentlicher Kulte ist hierfür in der Regel Finanzkraft und Einfluß nötig; sind diese gegeben, können selbst
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Einzelne wie der aus den Einladungsplakaten von der Agora bekannte Spielegeber Claudius Rufrius Menon auf die Gestaltung auch sakraler Aspekte Einfluß nehmen. Weniger einflußreiche Kreise finden Gestaltungsfreiheiten in privaten Weihungen, wobei die Bestandsdauer solcher Innovationen zumeist gering gewesen sein dürfte. In personell umfangreicherem Rahmen bieten sich Vereine an, um besondere, andernorts in der Stadt nicht abgedeckte kultische Bedürfnisse zu versorgen. Daß auch der Bestand der Vereine beschränkt sein konnte, macht die unmittelbare personelle Abhängigkeit von Patron und Stifter deutlich. Diese Abhängigkeit zeigt aber auch, wie umfangreich die Ausgestaltungsmöglichkeiten auf der Ebene von Einzelpersonen sein konnten. Viertens: Nur wandlungsfähige Religion ist beständig. Wandlungsfähigkeit und Offenheit für Umdeutungen erweist sich als wichtige Voraussetzung für den Bestand von Kulten, wie sich gerade an den bestbelegten - und somit offenkundig erfolgreichen - Kulten in Thessaloniki erweist. Für Isis gilt dies ebenso wie für den in seiner reichsweiten Singularität scheinbar so exzeptionellen Fulvus: Während letzterer gerade nicht über eine spezifische personelle Bindung wie jene seines Vorgängers Antinoos verfügte und sein Kult darum langandauernden Bestand haben sollte, zeigt Isis in den ihr zuteil gewordenen Weihungen eine universelle, vielen Bedürfnissen gerecht werdende Ansprechbarkeit. Wandlungsfähigkeit zeigt sich daneben nicht nur im einzelnen Kult: Im Vereinswesen beweist diese sich allerdings gerade nicht im Fortbestand einzelner Vereine, sondern im Gesamtsystem des Vereinswesens, das mit Auflösung und Neuformierung einzelner Einheiten auf aktuellste Bildungen und Auflösungen etwa von Patronatsverhältnissen reagieren konnte. In dieser Beweglichkeit ist der Grund dafür zu suchen, daß, wie dies für Dionysos angenommen werden kann, an Tempel gebundene Kulte tendenziell von kleineren Einheiten abgelöst werden, die ihre Kultformen und -orte selbst gestalten können. Fünftens: Tabula rasa - was nicht bestehen kann, weicht. Thessaloniki zeigt sich als junge, fast traditionslose und sich in Abständen neu erfindende Stadt. Es ist bezeichnend, daß sich seine ältesten in der Kaiserzeit noch nachweisbaren Kulte den flexiblen Nachzüglern des griechischen Pantheons, nämlich Isis und Sarapis, widmen. Das Schicksal der Kulte folgt zuweilen recht pragmatischen Gründen: Ein seltenes Zeugnis für das Ende eines Kultes, jenes des Antinoos nach dem Tode des Hadrian, läßt sich in Thessaloniki ganz konkret mit mangelnder Bestandsfähigkeit in veränderter Situation verbinden. Seine <Wandlungsfähigkeit> besteht hier also allenfalls darin, daß er scheinbar ohne Zögern durch den mutmaßlich funktionell gleichartigen Kult des Fulvus ersetzen wurde. Andere, aus unbekannten Gründen weniger beständige Kulte werden bei Bedarf neu erfunden, etwa jener des Kabeiros, der sein Wiederaufleben offenbar einem offizielleren Beschluß der Stadt verdankt; der einst städtisch verehrte Dionysos hingegen findet sich in organisatorisch gewandelter Form in der Obhut privater Vereine wieder. Bei den von der Forschung gewöhnlich als aufgefaßten - zum Teil auch früh in Thessaloniki belegten - Kulten dominieren in ihrer kaiserzeitlichen Überlieferung also deutliche Brüche, die gerade auch in der beanspruchten Tradition des Kabeiros als Gott deutlich werden.
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Die Religion Thessalonikis zeigt durchwegs ein buntes, vielgestaltiges Bild, das keineswegs monoton ist und zudem viele heraus stechende Besonderheiten aufweist. Als durchgängiges Merkmal scheint dabei ihre Wandlungsfähigkeit auf, auf welche die vielfach vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten und dabei auch die in den vielfältigsten Bereichen mitgestaltenden Personen hindeuten. Diese Wandlungsfähigkeit stellt die Voraussetzung dar, welche die Stadtreligion Thessalonikis zu einem über Jahrhunderte lang in sich stabilen, bestandsfähigen Modell für eine ständig wandelnden Bedingungen gegenübergestellte Gesellschaft hat werden lassen. In ihrer großen, untrennbar mit ihrem Lebensumfeld verwachsenen, aber gleichzeitig kosmopolitisch ausgerichteten Gestaltungskraft besteht das, was die imperiale Großstadtreligion Thessalonikis ausmacht. Stadtreligion bedeutet hier nicht eine einheitliche Polisreligion, sondern ein stetig sich veränderndes Ensemble von Kulten, welche Orte wechseln oder gegenseitig abtreten konnten und nicht mit den - etwa in der Münzprägung - nach außen hin konstruierten Vergangenheitsbildern wie Kabeiros, Alexander, Fulvus und Venus in Konflikt gerieten. Das Erfurter Dissertationsprojekt war fachlich in das DFG-Projekt eingebunden, wurde aber über eine Anschubfinanzierung der Universität Erfurt (MitarbeitersteIle) sowie durch ein Stipendium der Gerda Henkel Stiftung (Düsseldorf) finanziert. Die Arbeit wurde im Herbst 2005 eingereicht, die Publikation ist noch für das Jahr 2007 geplant. Veröffentlichungen Steimle, Ch. 2002. «Neue Erkenntnisse zum Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki. Ein unveröffentlichtes Tagebuch des Archäologen Hans von Schoenebeck», AErgoMak 16, 2002 [2004], 291-306. , Steimle, Ch. 2006. «Das Heiligtum der ägyptischen Götter in Thessaloniki und die Vereine' in seinem Umfeld», in: C. Bonnet - J. Rüpke - P. Scarpi (Hrsg.), Religions orientales - culti misterici. Neue Perspektiven - nouvelles perspectives - prospettive nuove (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 16), Stuttgart, 27-38. Steimle, Ch. 2007. Religion im römischen Thessaloniki, Tübingen (im Druck). Steimle, Ch. 2007. To lEp6 'tffiV atyu1t'tlffiV 8EroV 0''t11 8EO'O'UAoviKll, in: Ausstellungskatalog des Archäologischen Museums Thessaloniki (im Druck).
Religionsgeschichte Achaeas in römischer Zeit CHRISTOPH AUFFARTH
Das Projekt im Rahmen des Schwerpunktprogramms Obwohl die griechische Religion in römischer Zeit die am besten belegte Epoche der griechischen Religionsgeschichte bildet, wurde diese Epoche allenfalls beiläufig beachtet und zumeist aus ihren Zeugnissen frühere Zeiten der griechischen Religion erschlossen. Das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft «Römische Reichsreligion und Provinzialreligion» ergab jedoch in vergleichender Perspektive drei Ebenen: Veränderungen der innergriechischen Tradition, Veränderungen, die mit der römischen Herrschaft eingeführt wurden und diese repräsentieren und die Einführung von neuen Kulten, die mit Hilfe der durch die römische Herrschaft gesetzten Strukturen bekannt, importiert und etabliert wurden. Die bisherige Forschung war an einer Theorie des schrittweisen Verfalls der Polisreligion orientiert oder betont umgekehrt die Persistenz der Polis und ihrer Religion bis in die Spätantike. Im Rahmen dieses Schwerpunktprogramms ist eine vergleichende und systematische Perspektive auf das Funktionieren der Herrschaft unter dem besonderen Aspekt der Religion erarbeitet worden. Die Modelle der Romanisierung als Herrschaftsakt, der Religionspolitik, und des Kaiserkultes als wichtigste Veränderung sind im Laufe der gemeinsamen Arbeit im Schwerpunktprogramm weitgehend aufgegeben zugunsten der Frage nach der Metamorphose von Religion. Methodische und systematische Fragestellungen Für das vieldiskutierte Problem der «lokaler Religionsgeschichte» bildet die griechische Religion, die sich nicht auf Offenbarung, eine kanonische Heilige Schrift und einen gemeinsamen Ursprung beruft, sondern als Gemeinschaft autonomer Einheiten versteht, einen grundlegenden Perspektivenwechsel. Polis-Religion ist nicht die mikrohistorische Bearbeitung des Teils für das Ganze, sondern ergibt sich als Ganzes nur aus den einzelnen Teilen. Auf der Bremer Tagung 1993 hat der Organisator Hans G. Kippenberg die Weite der Fragestellung initiiert, angefangen bei der Wahl der (theophoren) Namen für die Kinder über die regionale Abwandlung von Schriftreligion, die lokale Aneignung von Religion, um eine «passende» Funktion gegenüber den sozialen, anthropogeographischen Bedingungen beziehungsweise Entwicklungen und den bereits vorhandenen religiösen Traditionen zu übernehmen, bis zu Revitalisierungsbewegungen ihrer lokalen Ursprünge. Die gräzistische Religionswissenschaft diskutierte das Modell am Idealtypus der entstehenden, archaischen Polis. Dabei wurde die identitätsstiftende Funktion der Religion und ein Entwicklungsmodell der Polis in Form einer Doppelstruktur von
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einem religiösen Zentrum in der Stadt und einem zweiten auf dem Lande herausgestellt. Setzt man jedoch die Polis-Religion in eine historische Perspektive, erweisen sich die funktionalistischen und die strukturalistischen Erklärungsmodelle als zu kurz gegriffen. Religion geht nicht in der entstandenen Polis auf, ist nicht statisch konstruiert, sondern ein Medium, das soziale, regionale Konflikte und Koalitionen durch das Zeichensystem Religion darstellt. Dank der Polysemie können Zeichen über historische Veränderungen hinweg tradiert werden und eine neue Bedeutung erhalten. Der Prozess der Provinzwerdung Griechenlands bestimmte die historischen Bedingungen, an denen das Problem näher untersucht und durch systematische Vergleiche mit anderen Regionen, auch Gegenfragen gestellt werden können. Damit lassen sich die Prozesse der Universalisierung und Globalisierung begrifflich neu fassen; die Gegenkräfte liegen dabei weniger in der Polis-Religion als in der Zwischenebene einer Regionalisierung. Eine Religionsgeschichte der römischen Provinz Achaea steht vor einer Reihe von methodischen und quellenmäßigen Problemen. So müssen alle Daten entsprechend der quellenkritischen Methodik geprüft werden; für die archäologischen Befunde können das nur Fachleute tun, weshalb der Projektleiter sich dieser Qualifikation versicherte. Eine archäologische Befundaufnahme erwies sich als zu umfangreich, um eine Gesamtaufnahme zu begründen. Dementsprechend ist eine vertiefte Konzentration erfolgt. Das Problem lokaler Religionsgeschichte als Polis-Religion gewinnt im Kontext der Einheit Provinzialreligion und Reichsreligion neue Qualitäten. Die Forschungsfragen und -ergebnisse zur frühen Polis-Religion lassen sich nicht auf die römische Zeit übertragen; zu deutlich ist das Element des distinkt Fremden, die scharfe soziale Trennung, des Ausländeranteils (Sklaven, römische Siedler, Händler und Touristen). So stehen die lokalen Religionen mit den sie tragenden Schichten unter dem Anspruch der imperialen Präsenz, allerdings weniger der politisch-militärischen Herrschaft, die in der Provinz Achaea seit der Schlacht von Aktion nur noch wenig direkt auftritt. Römische Herrschaft beruht weitgehend auf einem Konsens zwischen römischen Machtvertretem und lokalen Eliten. Von hoher Bedeutung ist dabei die «Repräsentation»: teils als Präsenz eines Vertreters des aktuell Herrschenden, teils als abstrakte Personifizierung, wie der Roma oder der von der jeweilige Dynastie bevorzugten Gottheit, wobei diese in schon bestehende Panthea integriert wurden. Dabei gilt es in ihrer lokalen, sozialen, historischen und politischen Differenzierung zu untersuchen: ob eine doppelte Religionsstruktur der importierten stadtrömischen Kulte einerseits und der traditionellen Kulte andererseits ausgebildet wurde, ob eine Veränderung von Kultformen im Opferverhalten oder der Divinationspraktik zu sehen ist und wie die drei Ebenen, auf denen es Kontinuitäten und Brüche geben kann, zu unterscheiden sind. Auf der Ebene der Semantik ist recht häufig eine Kontinuität zu beobachten: Der Name der Gottheit, der Mythos, die Architektur wird beibehalten, der Kult fortgeführt. Das bedeutet aber nicht Kontinuität auf der Ebene der Kultpragmatik. Die neuen Träger der Religion verstehen den Kult anders, alte Rituale verlieren ihre frühere Funktion. Auf der Ebene der Syntaktik erhält die alte poliadische Gottheit einen neuen Kontext, in dem ihre alte Funktion eingeschränkt und durch den theologischen Zusammenhang verändert wird; dazu wird der Sinn der Einzelgottheiten in einer philosophischen Religion neu gefasst.
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Die andere Seite stellen die neugegründeten Orte und die Zusammenschlüsse auf provinzialer Ebene dar. Werden sie auf Dauer in das bestehende System lokaler Religion integriert oder bleiben sie «fremd»? Anhand des römischen Patras ließ sich bei Pausanias herausstellen, wie er die «Verräter» griechischer Identität nicht verurteilt, sondern die Unterschiede zwischen der römischen und griechischen Religion verwischt. Damit ist Pausanias als Quelle auch kritischer zu befragen; das ist nicht einfach Widerstand. So ergeben sich für die römische Zeit andere Problematiken als für die archaische oder klassische Religion. Der Herrscherkult, eines der auffälligsten Elemente, ist nur für bestimmte Phasen gut dokumentiert. Doch: Nutzt die römische Herrschaft auf Provinzialebene bereits bestehende religiöse Zusammenschlüsse, um über dieses Medium Herrschaft zu organisieren, oder bilden sie das Potential von Widerstand und Selbstbewusstsein? Damit verbunden ist eine grundsätzlichere Frage, ob, wo und wann sich Religion ablöst und ausdifferenziert zu einem eigenen Subsystem.
Griechische Religion in Römischer Zeit:· Die Provinz Achaea Die von Ingrid Laube im Rahmen des Projekts aufgebaute Datenbank stellt zum einen die literarischen Quellen verbunden mit den archäologischen Befunden unter dem Fundmuster des lokalen Zugriffs zusammen, um letztlich auch nach typischen Ritualen fragen zu können, liefert dazu eine vernetzte Bibliographie der archäologischen Zeitschriften und der Fundberichte. Pausanias bleibt die wichtigste Quelle, die jetzt allerdings konsequent als zeitgenössische Quelle der Religion in römischer Zeit befragt wird im Vergleich mit den vielfach erst in den letzten Jahren als eine Epoche eigener Qualität wahrgenommenen Befunden am Ort, wobei die Veränderungen der griechischen Heiligtümer zunächst einmal die auffälligsten Veränderungen darstellen, die es zu interpretieren gilt. Wichtig ist - auch für das Konzept des Pausanias - die Ästhetisierung der Religion in der Kaiserzeit. Die Ekphrasis von Kult-Bildern hat enorme Auswirkungen auf die Diskussion über die Sichtbarkeit der epiphanen Götter in menschlicher Gestalt, über die Primitivität, Archaismus, das Angemessene. Auch hier ist das Vergleichen archäologischer Daten und die Gattungsgeschichte der EkphrasislKunstliteratur die Voraussetzung für die Untersuchungen. Die Geschichte des Kultbildes des Zeus in Olympia und seiner Musealisierung, der Diskurs über das ideale Gottesbild bei Strabon, Pausanias, Dion Chrysostomos und Lukian können mit dem Diskurs der Christen über das wahre Bild des Gott-und-Mensch Christus verglichen werden und führen zusammen zum spätantiken Verehrungsbild in der neuen Reichsreligion. Der Versuch vor allem von S. Alcock, die bis dahin vorliegenden Ergebnisse für die frühe Kaiserzeit in Griechenland erstmals wieder zusammenzufasst, enthebt nicht der Notwendigkeit, alle Landschaften erneut archäologisch aufzunehmen. Denn viele der Surveys standen noch in der Anfangsphase und waren noch nicht ausgewertet. Für die Befundaufnahme standen in der ersten Phase die Landschaften der Peloponnes im Vordergrund, dann die großen panhellenischen Heiligtümer, sowie in Athen und Attika die archäologischen Hinterlassenschaften der mittleren und späteren Kaiserzeit. Während des Aufenthaltes von Frau Laube in Athen 2003 wurde vor allem die Literatur zu den neueren Grabungsergebnissen systematisch gesichtet. Frau Fel-
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ten hat in ihrer Dissertation Veränderungen in den baulichen Befunden während der römischen Kaiserzeit ausgewertet, und konnte sie mit Blick auf eine religionsgeschichtliche Auswertung in das Projekt einbringen. Eine zusätzliche Bereicherung stellte ihre Kompetenz im Bereich der Münzprägungen dar, die alS Quelle von hoher Bedeutung sind, aber in der Begrenzung der Aussage nur mit entsprechender Kenntnis bewertet werden können. Die Untersuchung des Verhältnisses von ländlichen Heiligtümern zur <Stadt> ergab, dass die archäologischen Zeugnisse erstens in ihrer Datierung selten klar bestimmbar und daher kaum als Zeichen für eine Kultunterbrechung zu gebrauchen sind. Zweitens sind kultische Einrichtungen zwar erkennbar, nicht in jedem Falle aber die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Polis aufzuzeigen. Im Rahmen der thematischen Tagung des Schwerpunktprogramms, die Ch. Auffarth im Herbst 2005 organisierte, ergab sich für die Achaea im Vergleich zu anderen Provinzen eine große Intensität der ländlichen Heiligtümer und ihre zeitliche «Tiefe». Die von Alcock (1994) behauptete Kluft von der späthellenistischen Zeit zur Spätantike muss daher differenziert werden. Die besondere Situation bestimmter Landschaften, die Verstetigung und Monumentalisierung der panhellenischen Heiligtümer, die Einrichtung von dauerhaften Unterkünften und Kultstätten für einen stetigen <sakralen Tourismus> sind belegte Phänomene. Dazu wurden die kaiserzeitlichen attischen Bestattungsplätze behandelt, um Veränderungen in der Wahl des Bestattungsortes und des Ritual zu erfassen. Es fiel dabei zwar eine Kontinuität bei der Wahl des Bestattungsplatzes auf, beziehungsweise eine Aufnahme alter Bestattungsorte in der mittleren Kaiserzeit, jedoch beschränken sich die Berichte meist auf eine sehr unsichere oder grobe Datierung. Für gesicherte Aussagen bedarf es jedoch einer gezielten Untersuchung der Nekropolen im Hinblick auf den Wandel von Brand- zu Körperbestattungen. Dies ist noch nicht umfassender untersucht und kann daher nur als Desiderat formuliert werden. Zunächst wurde im Hinblick auf das Ziel einer Religionsgeschichte der Provinz Achaea die Hypothese aufgestellt, dass sich im Sinne homologer Äußerungen einer kollektiven Mentalität der Rekurs auf ältere Vorbilder und die Diskussion antiquarischen Wissens im zweiten Jahrhundert sowohl in den literarischen Quellen als auch im Bereich der Sakralarchitektur wiederfinden lässt. Öffentlich ausgeübte Religion war durch die Person des Kaisers eng mit dem öffentlich-politischen Leben verbunden. Gerade Hadrian gestaltete aktiv Religionspolitik, indem er durch neue Sakralbauten und Restaurierungen ein «Stadtbild» plante. Die strukturellen Gemeinsamkeiten sollten im Hinblick auf eine normative Selektion der Vergangenheiten und damit des Epochenbewusstseins des zweiten Jahrhunderts n. Chr. erarbeitet werden, um aus der Perspektive verschiedener Ausdrucksweisen die Grundlagen der kulturellen und damit auch religiösen Identität der römischen Welt in der Kaiserzeit zu gewinnen. Pausanias beschrieb und überlieferte Kulte und lokale Mythen. Gleiches kann für die materielle Bewahrung von Heiligtümern nachgewiesen werden. So ließ Hadrian Naoi oder Kultbilder schützen und restaurieren. Die stets mit seinem privaten Interesse erklärten Maßnahmen entsprach den Eliten im östlichen Imperium, für die die bauliche Gestaltung sakraler Orte ein Betätigungs- und Abgrenzungsfeld bot. Die Sorge um unbekannte Kulte diente genauso wie extravagantes religiöses
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Wissen der Demonstration von Bildung und damit der Distinktion. Vertreter wie Antoninus Pythodoros in Epidauros, Priscus luventianus in Isthmia oder Herodes Atticus in Athen stifteten Gebäude und ließen ihre aktive Teilnahme am Kult prominent öffentlich anzeigen. Die Monumentalisierung lokaler Kulte wie auch die Restauration bestehender ist dabei als retardierendes Moment zu begreifen. Nicht eine zentrale, von Rom aus gesteuerte Macht setzte neue Kulte ein oder veränderte die jeweilige <Sakrallandschaft> mit dem Ziel eines oder Reichsideologie. Statt dessen wurde durch die Anerkennung und Bewahrung lokaler Traditionen eine Bindung erzeugt, bei der der Kaiser als Wohltäter auftreten konnte. Daneben kennt man Wechselwirkungen: Der Kult der Dea Roma ist in Korinth nachweisbar, nachdem die Göttin unter Hadrian in Rom einen Tempel erhalten hatte. Besonders die Entwicklungen in Attika sind nicht mit einem reichsweiten Programm Hadrians zu erklären, sondern in der regionalen Tradition zu betrachten. Dazu kommen Untersuchungen, wie die der Bedeutung von Hafenstädten, einerseits als Import-Stelle für die Verbreitung neuer Kulten, andererseits für die Konstanz und Umformung der traditionellen Kulte. In der Materialsammlung der mittleren Phase (Stefan Lehmann) spielte das Ende der Heiligtümer eine wichtige Rolle. Dabei haben sich die Untersuchungen an den großen pan-hellenischen Heiligtümern als so lohnend erwiesen, sie in einem eigenen Forschungsprojekt umfassend aufzuarbeiten. Die erste Untersuchung von Lehmann/Gutsfeld 2007 ist im Erscheinen und wird mit den Ergebnissen des Projektes der Olympia-Grabung zu vergleichen sein. Die Befunde lassen erkennen, dass die Spiele und die dazu gehörigen Kulte noch weit in die Phase nach der Konstantinischen Wende hineinreichen und ausgeübt wurden. Das Bild einer gewaltlosen Übernahme antiker Tempel und ihre Umwandlung in christliche Kirchen erst nach einer Phase in der der Kult bereits erloschen war und die Tempel zerfielen, hat sich nach den neueren Befunden als haltlos erwiesen. Dabei lassen sich die Befunde selten nach dem Schema exklusiver Monotheismus versus aufnahmefähiger Polytheismus bewerten. Vielmehr fanden sich an den einzelnen Orten unterschiedliche Formen, in den lokalen Kontexten die neue Religion zu etablieren (etwa durch Umbenennen von Gottheiten und Heroen). Auch hier wird deutlich, dass die archäologischen Befunde kräftige Revisionen der Religionsgeschichte verlangen. Dabei erweist sich als notwendig zusammenzuführen: - Die Städte als religiöse Landschaften, bestehend aus einer Vielzahl einzelner Heiligtümer: Die Rekonstruktion von längerfristigen Planungen und umfassenden Konzepten (wie die colonia Korinth oder Hadrians Athen) ist dabei eine Perspektive; die Kontingenz und Hervorhebung einzelner Plätze in einem bereits vorhandenen Ensemble eine andere. Das Verhältnis der urbanen Elite-Familien oder der Städte untereinander spielen dabei eine wichtige Rolle, doch geht die Religion in der römischen Achaea darin nicht auf. - Auch «Religiöse Bedürfnisse», die Veränderung von Städte, Migration und Mobilität, lebens weltlichen Krisen und Formen ritueller Bewältigung lassen sich beschreiben. Diese Faktoren wurden in einem Modell der religio migrans zusammengefasst, das beide Aspekte berücksichtigt und auf der Grundlage der Religion in der Globalisierung neu fasst und zu bewertet.
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So müssen in einem umfassenden Prozess Daten und religions wissenschaftliche Theorie zusammengeführt werden, um anhand einzelner Beispiele, kontextualisiert durch archäologische Befunde, literarische Texte und Inschriften die «Religion» der. Provinz Achaea als Ganzes begreifbar zu machen. Weitere Mitarbeiter(innen): Ingrid Laube, Stefan Lehmann und Margarita FeIten. Förderungszeitraum: 2001 bis 2006. Veröffentlichungen Auffarth, Ch. 2001. <Sind heilige Stätten transportabel? Axis Mundi und soziales Gedächtnis>, in: Axel Michaels; Fritz Stolz (Hrsg.), Noch eine Chance für die Religionsphänomenologie ? (Jahrbuch Studia Helvetica Religiosa 5, 2000/2001), Bem, 235-257. Auffarth, Ch. 2001. [Rez] <Simon Price: Religions of the Ancient Greeks. Cambridge 1999>, Historische Zeitschrift 273, 142f. Auffarth, Ch. 2001. [Lemmata] , in: RGG4 , Bd. 4. Tübingen. Auffarth, Ch. 2001. [Lemma] , Der Neue Pauly, 903-910. Auffarth, Ch., Rüpke J. (Hrsg.) 2002. Epitome tes oikoumenes: Studien zur römischen Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 6), Stuttgart, darin Einleitung (9-14) und der Aufsatz <Ein Hirt und keine Herde. Zivilreligion zu Neujahr 1900>, 203-223. Auffarth, Ch. 2002. [Rez.] <Jörg Rüpke: Römische Religion>, ThLZ127 (2002), 1264f. Auffarth, Ch. 2002. , in: Christoph Auffarth; Jutta Bemard; Hubert Mohr (Hrsg.), Metzler Lexikon Religion, Band 4, Stuttgart/Weimar. Auffarth Ch. 2003. , in: Hubert Cancik; Jörg Rüpke (Hrsg.). Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte. Ein Forschungsprogramm stellt sich vor. Erfurt, 129-142. Auffarth, Ch. [gemeinsam mit Hubert Mohr] 2003. , in: Christa Dommel (Hrsg. in Verbindung mit Jürgen Heumann; Gert Otto) , Werte schätzen. Religiöse Vielfalt und Öffentliche Bildung. FS für ]ürgen Lott zum 60. Geburtstag, FrankfurtlLondon, 160-178. Auffarth, Ch. 2003. [Lemmata] , in: RGG4 , Bd. 5, Tübingen. Auffarth, Ch. 2003. [Lemmata] , in: RGG4 , Bd. 6, Tübingen. Auffarth, Ch. 2003. , in: Hubert Cancik; Konrad Hitzl (Hrsg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen: Mohr, 283-317. Auffarth, Ch. 2003. , Zeitschrift für Antikes Christentum 7, 14-26. Auffarth, Ch. 2004. [Lemma] <Synkretismus. IV. Antike>, in: RGG4 , Bd. 7, Tübingen, 19621964. Auffarth, Ch. 2004. , in: Monika Fikus; Volker Schürmann (Hrsg.), Die Sprache der Bewegung. Sportwissenschaft als Kulturwissenschaft, Bielefeld, 123-138. Auffarth, Ch. Rüpke, J. (Hrsg.) 2005. Burkhard Gladigow, Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft. Kleine Schriften, Stuttgart [u. a.]; darin Einführung. Auffarth, Ch. 2005. «<Weltreligion» als ein Leitbegriff der Religionswissenschaft im Imperialismus>, in: Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Mis-
Religionsgeschichte Achaeas in römischer Zeit
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FeIten, M. 2007. , in: Christoph Auffarth (Hrsg.), Religion auf dem Lande. Kulte und Heiligtümer im nicht-urbanisierten Raum unter römischer Herrschaft (Potsdamer AItertumswissenschaftliche Beiträge 17), Stuttgart. Gutsfeld, A.; Lehmann, S. 2006. Olympia in der Spätantike, Tübingen.
Die römische Armee im Osten zwischen Staatskult und lokalen religiösen Kulturen WERNER ECK UND RUDOLF HAENSCH
Ziel des Projektes Ziel des Vorhabens war es, die Rolle der in der östlichen Hälfte des Reiches stationierten Heeresverbände im Schnittpunkt zwischen den verschiedenen religiösen Kulturen von der augusteischen Zeit bis ins späte vierte Jahrhundert, also bis zur endgültigen Durchsetzung des Christentums, auf der Basis literarischer, epigraphischer und papyrologischer Quellen möglichst präzise zu erforschen. Es war zu untersuchen, wie sich die Interaktion zwischen römischem Staatskult, der den offiziellen Alltag der Soldaten weitgehend bestimmte, den an den jeweiligen, recht unterschiedlichen Stationierungsorten vorherrschenden religiösen Systemen und den von den Angehörigen dieser Armee mitgebrachten Kulten gestaltete. Neben dieser Frage, inwieweit die Angehörigen der römischen Armee von den sie umgebenden religiösen Kulturen beeinflußt wurden, sollte geklärt werden, inwieweit sie die in der östlichen Reichshälfte bestehenden religiösen Kulturen veränderten. Schließlich war zu fragen, ob sich im Verlaufe dieser Prozesse unterschiedliche Charakteristika der verschiedenen in diesem Reichsteil stationierten Heeresverbände herausbildeten. Damit sollte am Beispiel eines möglichen zentralen Vermittlungsträgers religiöser Kulturen den wechselseitigen, auf verschiedenen Ebenen und in zahlreichen Medien verlaufenden, Beeinflussungsprozessen zwischen Reichsreligion und lokalen/regionalen Kulten nachgegangen werden. Begründung für die Wahl des Gegenstandes Die Armee des römischen Reiches ist aus zwei Gründen ein besonders gutes Objekt für das Studium religiöser Austauschprozesse: Die gerade angeführten allgemeinen Überlegungen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß in ihrem Falle verschiedene religiöse Kulturen nicht nur nebeneinander bestanden, sondern sich auch gegenseitig beeinflußten. Zweitens gibt es eine im Vergleich zu anderen Institutionen bzw. sozialen Gruppen (wie zum Beispiel Händlern) große Zahl von Quellen für diese Austauschprozesse; denn die literarisch-historiographischen Quellen haben sich immer für das militärische Geschehen und damit auch die Armee interessiert; die Soldaten gehörten zweifelsfrei ganz besonders zu dem Teil der Bevölkerung, der vom epigraphic habit geprägt war; und militärische Einrichtungen sind auch archäologisch vergleichsweise leicht zu identifizieren.
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Bezug zum Gesamtrahmen des Schwerpunktprogrammes Nirgendwo dürften sich im Osten des Reiches römische Religion und römischer Staatskult und lokale/regionale Kulte so oft und intensiv berührt haben wie im Heer. Nirgendwo anders dürfte die Quellenlage für die zu untersuchenden religionsgeschichtlichen Prozesse so gut sein. Das Projekt stand im Schnittpunkt fast aller Themen des Schwerpunktprogrammes. Forschungslage Die Frage nach der Rolle der Armee als Medium der religiösen Diffusion zwischen den verschiedenen lokalen Kulturen des Reiches wurde bisher nur für den Westen intensiver untersucht. Mit der Armee im Osten hat man sich von althistorisch-epigraphischer Seite Jahrzehnte lang unter dem Gesichtspunkt der Religion nur in zweierlei Hinsicht eingehender beschäftigt: Erstens erörterte man gerne an den aus der Region bekanntgewordenen offiziellen Dokumenten, wie insbesondere dem Feriale Duranum, die generelle Bedeutung und die allgemein verbreiteten Formen des offiziellen römischen Staatskultes in der Armee. Zweitens wurde immer wieder danach gefragt, ob die ursprünglich im Osten des römischen Reiches rekrutierten Formationen der Commageni, der Palmyreni, der Hemeseni et cetera eine besondere Rolle für die Verbreitung syrischer Kulte im Westen des römischen Reiches gespielt hätten. Die jüngst vorgelegte Habilitationsschrift von O. Stoll (die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht bekannt war) beschäftigte sich zwar unter anderem auch mit den von den östlichen Heeresverbänden ausgehenden Austauschprozessen. Aber sie untersuchte nur die im syrisch-arabischen Raum stationierten Heeresverbände und ließ insbesondere die für Ägypten typische papyrologische Dokumentation bis auf wenige, gut bekannte Zeugnisse außer Acht. Schließlich erörterte sie vor allem die Auswirkungen der offiziellen Armeekulte auf die Angehörigen dieser Armee und ihre Umgebung und nicht die Diffusionsprozesse all der anderen Kulte, die auf die Soldaten einwirkten und von ihnen ebenfalls möglicherweise weitergegeben wurden. Hinter dieser Forschungslage steht zudem der grundsätzliche Mangel der bisherigen religionsgeschichtlichen Forschung, daß sie sich reichs weit auf Einzelkulte konzentrierte und nirgendwo die Religionsgeschichte einer Region oder eines Reichsteils in ihrer Totalität nachzuzeichnen versuchte. Auch ist der Osten des Römischen Reiches provinzialgeschichtlich noch viel weniger erforscht als der Westen. Zum Vorgehen
Im Gegensatz zur Vorgehensweise der bisherigen Forschung ging die Untersuchung weder von einzelnen Kulten noch von einzelnen Formationen des Heeres, sondern von den verschiedenen sozialen Gruppen im gesamten Heer aus; denn Untersuchungsgegenstand waren die religiösen Austauschprozesse und ihre Träger. Aus einer Reihe von Gründen waren von vorne herein erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Armeeangehörigen bei den von ihnen ausgehenden und auf sie einwirkenden religiösen Diffusionsprozessen zu erwarten: während die einfachen Soldaten, aber auch die principales (<
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kaIen Kulten vertraut waren, galt dies nur noch für einen Teil der centuriones und einen vergleichsweise geringen Prozentsatz der höheren Offiziere. Umgekehrt forderten zum Beispiel die Dienstpflichten von den hohen Offizieren viel häufiger und in viel intensiverem Maße im Rahmen der staatlichen römischen Kulte tätig zu werden, als dies für die breite Masse der Soldaten galt. Welche Auswirkungen diese sozialen, ethnischen und funktionalen Unterschiede auf die sich innerhalb der römischen Armee vollziehenden kulturell-religiösen Austauschprozesse hatten, das ist auch für die vergleichsweise viel besser untersuchten Einheiten im Westen noch nie systematisch erforscht worden. Eine entsprechende Untersuchung setzte allerdings voraus, daß zunächst einmal möglichst präzis zusammengestellt wurde, was den Quellen über die ethnische Zusammensetzung der Heeresformationen in den großen Regionen des untersuchten Gebietes (Kleinasien, der syrische Raum, Ägypten) entnommen werden kann. Probleme bei der Durchführung des Projektes Trotz der vergleichweise guten bis sehr guten Quellenlage für die untersuchten sozialen Gruppen - unter anderem mehr als fünfhundert Inschriften; sowie mindestens fünfundsiebzig Papyri, die Aufschluß über die Religiosität einfacher Soldaten, einer für uns ansonsten wenig fassbaren Gruppe, gewähren - ergaben sich schon bei der Zusammenstellung der Quellen einige schwerwiegende und so nicht erwartete Einschränkungen. So fehlt es insbesondere trotz einer doppelten, sowohl themenorientierten wie auch systematischen, Suche - also sowohl anhand der Literatur zum Heer im römischen Osten und zu den dortigen Kulten als auch in Form der systematischen Durchsicht von einschlägigen archäologischen Zeitschriften durch Frau Weiler - an den erwarteten archäologischen Befunden. Die archäologische Erforschung der im Osten des Reiches gelegenen Militäranlagen hinkt mit wenigen Ausnahmen - insbesondere Dura Europus und Luxor - in einem ursprünglich nicht erwarteten Ausmaß hinter derjenigen der Lager im Westen zurück. Viele östliche Lager wurden oft nur anhand von Luftbildern identifiziert (mit den entsprechenden Unsicherheiten) oder bei kurzfristigen Surveys erkundet. Auch bei genaueren Untersuchungen galt das erste Interesse normalerweise den Mauern und der militärischen Gesamtanlage und nicht den Binnenstrukturen. Viele militärische Anlagen sind zudem im Laufe des letzten Jahrhunderts durch die rasch wachsende Bevölkerung zerstört worden - bei Raubgrabungen, aber auch «nur» durch Überbauung oder die Nutzung als Quelle billigen Baumaterials. Für die schlechte Kenntnis der Innenbebauung römischer Lager in diesem Reichsteil ist aber nicht nur die Forschungslage verantwortlich. Offensichtlich sind in der Spätantike eine ganze Reihe derartiger Einrichtungen planmäßig geräumt worden. Angesichts des fast völligen Mangels an exakten Untersuchungen von Lagern fehlt es auch an Publikationen von Kleinfunden wie zum Beispiel Götterstatuetten aus militärischem Zusammenhang. Gerade Objekte wie Amulette oder magische Täfelchen könnten Aufschluß über religiöse Vorstellungen von Soldaten gewähren, die in Inschriften nicht zu fassen sind. Voraussetzung wäre allerdings, daß sie durch Herkunft und Fundumstände eindeutig einer der hier interessierenden Personengruppen - also Soldaten oder ihren Angehörigen - zugeordnet werden könnten. Wenn
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solche Objekte also beispielsweise in Nekropolen gefunden wurden, müßte der Tote entweder durch Inschrift oder funerären Kontext (Militärnekropole) als Angehöriger der römischen Armee identifizierbar sein. Alle diese Bedingungen sind aber in der untersuchten Region nicht gegeben. Derartige Objekte befinden sich zwar zu Tausenden in den örtlichen Museen, aber zumeist ohne zuverlässige Angaben zur Provenienz. Bei der Auswertung stellte sich immer wieder das Problem, wie repräsentativ das Bild war, das sich den Quellen entnehmen ließ. Das gilt natürlich nicht für all dasjenige, was institutionell festgelegt war, also zum Beispiel den Armeekalender oder die zu den Armeekadem gehörenden~
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heiten repräsentierten: der Schakal für Anubis, der Falke für Horus und der Greif für IsislNemesis. Ganz offensichtlich liegt eine Beeinflussung mindestens zweier religiöser Kulturen vor: die ägyptische Religion ist durch die Symboltiere verschiedener Götter vertreten, griechisch-römische Vorstellungen schlagen sich in der Opferdarstellung nieder. Aber woher - in sozialer wie lokaler Hinsicht - stammte der Soldat, der seinen lateinischen Namen aller Wahrscheinlichkeit nach entsprechend der örtlichen Praxis erst beim Eintritt in den Heeresdienst bekam? Hatte er die Darstellungen bewusst ausgewählt oder ließ er sich von anderen - der Steinmetzwerkstatt, den auf einem bestimmten Gräberfeld üblichen Monumenten - leiten? Ähnliche Interpretationsprobleme stellen sich bei vielen knappen Weihinschriften, zumal dann, wenn die Soldaten römische «Allerweltsnamen» verliehen bekommen hatten, was offensichtlich im Osten eine weitverbreitete Praxis war. Inschriften wie der Bericht des tesserarius Athenodoros über seine Wunderheilung im Tempel der Hatschepsut in Deir el-Bahari2 oder die sogenannte «Vision des Maximus» vom Tempel des Gottes Mandulis in KalabschalTalmis 3 sind äußerst selten.
Wichtige inhaltliche Ergebnisse Die untersuchten Zeugnisse für die religiösen Praktiken einzelner Armeeangehöriger belegen vor allem eines: Die große Bedeutung lokal herausragender Götter für den einzelnen Armeeangehörigen. Diese wenden sich in ihren individuellen religiösen Äußerungen - also bei den in Papyri faßbaren Gebeten, aber auch im Falle ihrer Weihaltäre - viel häufiger an solche Gottheiten als an die Götter des römischen Pantheons oder an die sogenannten Mysteriengottheiten. Im Falle der Inschriften einfacher Soldaten können wir zwar oft nicht entscheiden, ob dies deshalb der Fall war, weil den aus der Region rekrutierten Soldaten solche Gottheiten schon von Jugend an vertraut waren oder weil sie davon ausgingen, daß diese vor Ort besonders mächtig seien. Die Papyri deuten aber daraufhin, daß vor allem das erstere der Fall war: Die Primärsozialisation erwies sich als wirkmächtiger als die sekundäre im Bereich der Armee. Das gleiche läßt sich auch bei den Offizieren feststellen, die sich oft an die auch so genannten dei patrii, also solche Götter wandten, die in ihren Herkunftsorten eine große Rolle spielten. Wenn aber die während der Dienstzeit praktizierten Kulte nicht so wirkmächtig waren wie diejenigen, die die Armeeangehörigen in ihrer Jugend kennen gelernt hatten, dann wird es sehr fraglich, ob die einzelnen Armeeangehörigen als solche für die Verbreitung römischer Kulte im Osten von größerer Bedeutung waren. Eine solche Argumentation widerspricht natürlich der sich aus religionswissenschaftlichen Überlegungen ergebenden These, bei der Armee handele es sich um eine für antike Verhältnisse hochmobile Gruppe, die schon deshalb an der Ausbreitung von Kulten intensiv beteiligt gewesen sein müsse. Doch berücksichtigt eine solche These wohl zu wenig, wie sehr die römische Armee zumindest nach Hadrian, aber im Osten wohl eher schon fruher, standortgebunden war. Auch die weitverbreitete Anschauung von der großen Geschlossenheit der römischen Armee und dem dadurch 2 Bataille, A. 1951. Les inscriptions grecques du Temple de Hatshepsout Nr. 126. 3IGR I 1331 = SEG 8, 814.
a Deir El-Bahari, 85ff.,
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entstehenden Anpassungsdruck für den einzelnen Angehörigen dieses Heeres steht wohl nur im scheinbaren Widerspruch zu dem genannten Ergebnis; denn für die meisten Armeeangehörigen war der Anpassungsdruck ganz offensichtlich im religiösen Bereich weit geringer als zum Beispiel im hierarchisch-disziplinaren. Die meisten Armeeangehörigen waren nur in sehr beschränktem Maße in die Rituale des offiziellen Armeekultes eingebunden, jedenfalls nicht eigentlich aktiv. Diese Rituale liefen zwar kaum nur an ihnen vorbei, die Soldaten hatten vielmehr zum Beispiel auch Weiheformeln zu sprechen, wenn ihr Kommandeur bestimmte Opfer vollzog. Aber in größerem Masse aktiv tätig wurden sie denn doch nicht. In diesem Zusammenhang spielte in diesem Reichsteil zweifelsfrei auch die Sprachenbarriere eine Rolle. Sicherlich war Latein offizielle Kommandosprache, aber die Muttersprache der meisten Soldaten war ebenso zweifelsfrei Griechisch oder eine der anderen Sprachen dieser Region. Und dieser sich sehr schnell nach der Stationierung römischer Legionen im Osten entwickelnde Graben zwischen den aus der Region rekrutierten einfachen Soldaten mit ihrer jeweiligen regions spezifischen Muttersprache und ihren Vorgesetzten - vom centurio bis zum senatorischen Legionskommandeur - aus dem lateinischsprachigen Westen blieb zumindest bis zum fortgeschrittenen dritten Jahrhundert bestehen. Auf allen höheren sozialen Ebenen des Offizierskorps kamen, solange wir diese Fragen verfolgen können, weniger als ein Viertel aller Vertreter aus der griechischsprachigen Welt. Die binnenregionale Zusammensetzung der aus dem Westen stammenden Offiziere änderte sich - aus der Narbonensis kamen nur im ersten Jahrhundert viele Ritter, Nordafrika wurde erst im zweiten Jahrhundert ein wichtiges Rekrutierungsreservoir - und war auch bei den einzelnen Rängen unterschiedlich, aber insgesamt kamen die Offiziere vor allem aus dem Westen und zu einem erheblichen Teil sogar aus Italien - auch noch im späten zweiten Jahrhundert. Die religionswissenschaftliche These von der großen Bedeutung der Soldaten als Vermittler von Kulten hat sich immer ganz wesentlich auf die Zeugnisse für bestimmte Kulte wie den des Mithras oder des Iupiter Dolichenus gestützt. Nun ist es ein altbekanntes Phänomen, daß im Westen vergleichsweise zahlreiche Inschriften belegen, daß Soldaten die sogenannten orientalischen Mysteriengottheiten verehrten, daß aber für den Osten entsprechende Zeugnisse kaum bekannt sind, obwohl die Soldaten dort diese Götter als erste verehrt haben müßten. Diese Diskrepanz bleibt auch bei dieser unserer Bestandsaufnahme, die die Neufunde der letzten Jahrzehnte berücksichtigte, bestehen. Angesichts dessen muß man erneut sehr klar die Frage stellen, welche Rolle Soldaten für die Ausbreitung dieser Kulte spielten. Die These liegt nahe, daß es sich bei den entsprechenden Belegen aus dem Westen bei den Soldaten nur um den Teil der Anhänger handelte, die in besonderem Maße Inschriften setzten. Das gilt insbesondere dann wenn man berücksichtigt, daß nach den neueren grundsätzlichen Überlegungen über die Auswertung von Inschriften zwei zentrale Annahmen der bisherigen Forschung höchst problematisch sind: so die Annahme, daß das früheste datierbare epigraphische Zeugnis für einen Kult mit seinem Beginn am jeweiligen Ort gleichzusetzen sei und die inschriftlich faßbaren Träger des Kultes repräsentativ für die Anhänger der Kultgemeinden seien. Beides hat sich im Lichte der Forschungen zum sogenannten epigraphic habit als nicht haltbar er-
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wiesen. Wenn man in den Soldaten im Westen aber nicht mehr die Missionare dieser Kulte sieht, sondern nur diejenigen, die im besonderen Maße solche Gottheiten mit epigraphischen Monumenten ehrten, dann ist man nicht mehr zu der Annahme gezwungen, daß Soldaten in dem einen Reichsteil bestimmte Kulte verbreiteten, in dem anderen aber nicht. Dann braucht man nur die Annahme, daß die Soldaten im Westen und im Osten im unterschiedlichen Maße Inschriften setzten. Daß die epigraphic habits von Soldaten im Osten und im Westen aber unterschiedlich waren, das liegt zum Beispiel auch deshalb nahe, weil aus dem Osten keine Weihebezirke von Benefiziariern bekannt wurden. Wir wissen aus mehr als dreißig Papyri, daß in Ägypten seit dem frühen zweiten Jahrhundert Benefiziarier vor Ort stationiert waren, aber es gibt aus dieser Provinz keinen einzigen Altar einer solcher Charge. Wenn die einzelnen Soldaten eine kleinere Rolle bei der Verbreitung von Kulten insbesondere den römischen und den Mysterienkulten - spielten, als man dies bisher häufig unterstellte, bedeutet dies allerdings nicht, daß die Armee insgesamt nicht eine Funktion als Verbreiterin römischer Kulte in den Provinzen gehabt hätte. Denn wenn die offizielle Heeresreligion auch auf die einzelnen Soldaten anscheinend keinen so nachhaltigen Einfluss hatte und diese als Individuen folglich eher selten zur Verbreitung römischer Kulte in ihrem zivilen Umfeld beitrugen, so konnten die Truppenkörper als Kollektive doch an ihrem jeweiligen Standort als ihr Vermittler wirken; denn von keiner anderen Institution wurden so häufig und regelmäßig römische Kulthandlungen vollzogen. Dies geschah allerdings oft in Formen, die für uns nur schwer zu fassen sind - zum Beispiel durch gemeinsame Zeremonien an bestimmten Festtagen unter Beteilung der örtlichen Zivilbevölkerung, insbesondere deren Führungsschichten, wie sie zum Beispiel Plinius, aber auch ein Papyrus erwähnen -, und daher noch weniger in ihren Auswirkungen beurteilt werden können. Wenn allerdings die Teilnahme an den Kulten zumindest bei den Soldaten im Osten so wenig Spuren hinterließ, sollte man die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung auch keinesfalls überschätzen. Wenn die einzelnen Soldaten als Individuen aber weniger stark durch die Armeekulte beeinflusst wurden, als man dies gerne unterstellt, verwundert nicht mehr so sehr, daß eines der Ergebnisse des Projektes in dem Nachweis besteht, daß die Armee im vierten Jahrhundert viel schneller «offiziell» christianisiert wurde, als man dies gerne annimmt. Individuelle Überzeugungen und offizielle Kulthandlungen klafften eben auch in dieser Armee wie in vielen anderen weiter auseinander, als man das für das vierte Jahrhundert immer wieder fordert. Daran hatte auch nichts geändert, daß es nach einem anderen Ergebnis des Projektes im fortgeschrittenen dritten Jahrhundert in der römischen Armee zu einer Professionalisierung religiöser Funktionen kam. Hatten bis dahin die Kommandeure der Einheiten auch auf religiösem Gebiet für ihre Verbände stellvertretend gehandelt, wobei sie normalerweise allem Anschein nach abgesehen von den Senatoren noch nicht als Priester in anderem Zusammenhang fungiert hatten, so traten seit Ende des ersten Drittels des dritten Jahrhunderts professionelle Armeepriester zumindest neben sie, wenn nicht gar an ihre Stelle. Sie wurden dann sehr schnell unter den christlichen Kaisern durch solche des neuen Kultes der Herrscher ersetzt.
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Weitere Mitarbeiter: Dirk Koßmann und Gabriele Weiler. Förderungszeitraum: 2002 bis 2007. Veröffentlichungen Haensch, R. 2004. «La christianisation de l'armee romaine», in: Y. Le Bohec/C. Wolff (ed.), L'armee romaine de Diocletien a Valentinien Ier, Actes du Congres de Lyon (12-14 septembre 2002), Lyon, 525-531. Haensch, R. 2004. «Römische Provinzverwaltung im 1. Jh.»; «Das römische Heer und die Heere der Klientelkönige im 1. Jh.», in: K. ErlemannIK. L. Noethlichs (Hrsg.), Neues Testament und Antike Kultur, Band 1: Prolegomena - Quellen - Geschichte, Neukirchen Vluyn, 149-165. Haensch, R. 2005. «Antiochia», in: K. Scherberich (Hrsg.), Neues Testament und Antike Kultur, Band 2: Familie - Gesellschaft - Wirtschaft, Neukirchen - Vluyn, 133-135. Haensch, R. 2006. «L. Egnatius Victor Lollianus: la rhetorique, la religion et le pouvoir», in: A. Vigourt u. a. (ed.), Pouvoir et religion dans le monde romain: Hommage a Jean-Pierre Martin, Paris, 289-302. Haensch, R. 2006. «Provinzhauptstädte als «religiöse Zentren»? Die Situation in Kaiserzeit und Spätantike», in: H. Cancik, A. Schäfer, W. Spickermann (Hrsg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, Tübingen, 125-144. Haensch, R. 2006. «Heidnische Armeepriester und die kaiserlichen Maßnahmen zur Stärkung paganer Religionen», in: L. de Blois u. a. (Hrsg.), The Impact of Imperial Rome on Religions, Ritual and Religious Life in the Roman Empire. Fifth Workshop of the International Network Impact of Empire, Münster 2004, LeidenIBoston, 208-218. Haensch, R. 2006. «Religion und Kulte im juristischen Schrifttum und in rechtsverbindlichen Verlautbarungen der Hohen Kaiserzeit», in: D. Elm von der Osten u. a. (Hrsg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart, 233-247. Haensch, R. 2007. «Calendars, Dedications and others. Inscriptions as Sources of Knowledge for Religions and Cults in the Roman World of Imperial Times», in: J. Rüpke (Hrsg.), The Blackwell Companion to Roman Religion (im Druck). Haensch, R. 2007. «Une nouvelle inscription de Hippos (Sussita) et les monuments votives des cornicularii», in: Y. Le Bohec/C. Wolff (ed.), Quatrieme congres sur l'armee romaine: L'armee romaine et la religion (im Druck). Haensch, R. 2007. «Tod in der Provinz. Grabmonumente für die während ihrer Tätigkeit in der Provinz verstorbenen hohen Vertreter Roms», in: Akten des Deutsch-Französischen Kolloquiums «Bestattungsrituale und TotenkultiRites funeraires et culte des morts» (Paris, 1.-2. März 2007) (im Druck). Koßmann, D.; Haensch, R. 2007. Die Angehörigen der römischen Armee im Osten zwischen Staatskult und lokalen religiösen Kulturen (von D. Koßmann ausgearbeitete zusammenfassende Monographie zum Projekt von augenblicklich 283 Seiten. Sie muß von R. Haensch noch überarbeitet und um Einleitung und Schluß ergänzt werden, soll aber im Laufe dieses Jahres in Druck gehen). Koßmann, D. 2007. «Römische Soldaten als Teilnehmer von Festen», in: J. Rüpke (Hrsg.), Festrituale: Diffusion und Wandel im römischen Reich (in Vorbereitung). Koßmann, D.; Eck W. 2007. «Votivaltäre in den Matronenheiligtümern in Niedergermanien. Ein Reflex der städtischen und ländlichen Gesellschaften einer römischen Provinzstadt», in: Ch. Auffarth (Hrsg.), Religion auf dem Lande: Kulte und Heiligtümer im nicht-urbanisierten Raum unter römischer Herrschaft, Stuttgart (im Druck). Koßmann, D.; Haensch, R. 2007. «Die Römische Armee im Osten zwischen Staatskult und lokalen religiösen Kulturen», in: Altertum (im Druck).
Das Christentum und die Religionen in den römischen Provinzen Pannoniens vom dritten bis zum fünften Jahrhundert Christentum in Stadt und Land: Religiöse Transformationsprozesse in der spätantiken Provinz Dalmatia Die Provinz Arabia als spätantike religiöse Landschaft CHRISTOPH MARKSCHIES UND HENRIK HILDEBRANDT
Ausgangsfragen und Zielsetzung der Projekte Gegenstand der Arbeitsprojekte war die Ortsbestimmung des Christentums innerhalb des religiösen Gesamtsystems bestimmter Regionen des römischen Reiches in der Spätantike. Bei diesen Regionen handelte es sich zunächst um das lateinischsprachige Westillyricum. Der Zeitrahmen der Arbeit ist nach vorn durch die neue religionsgeschichtliche Situation der Severerzeit und nach hinten durch das Ende überregionaler Organisationsstrukturen des römischen Reiches in dem untersuchten Gebiet abgesteckt. Nach der Untersuchung der Grenzregion Illyricum - als Grenzraum sowohl gegenüber dem als auch gegenüber dem griechischsprachigen Ostteil des Reiches - wurde zum methodischen Vergleich mit der Provinz Arabia eine weitere, allerdings ganz anders strukturierte Grenzregion fokussiert. Dieser Arbeitsansatz implizierte von vornherein eine zweifache Fragestellung: Zum einen wurde nach dem religiösen Gesamtsystem der Region gefragt, wie es sich in den Ausdrucksformen kultischer Praxis darstellt; zum anderen wurde das Christentum als konkrete spätantike Religion aus dem Gesamtsystem herausgegriffen und seine spezifische Gestalt zu bestimmen versucht. Die Arbeit in den einzelnen, geographisch orientierten Einheiten erfolgte dabei zunächst anhand der Leitfrage: Wo wird welche Gottheit von wem in welcher Form verehrt? Die Grundlage der Bearbeitung bildeten die im Arbeitsprojekt erstellten Indizes, die die in Sammlungen und Einzelpublikationen veröffentlichten Inschriften des lateinischen Illyricums lokal, prosopographisch und nach Gottheiten aufschlüsseln. Diese Indizes wurden durch die Aufnahme von während der Laufzeit des Projekts neu erschienenen epigraphischen Sammelbänden und Veröffentlichungen gepflegt und durch eine Sammlung der Inschriften der Arabia ergänzt. Das Ziel einer solchen Vorgehensweise war es im Rahmen dieses Arbeitsvorhabens, für die Zeit großer religiöser Heterogenität des dritten und vierten Jahrhunderts durch die Betrachtung einzelner Siedlungs gebiete Aussagen über verschiedene religiöse Mikrokulturen innerhalb des untersuchten Gebiets sowie über deren regionale Interaktivitäten treffen zu können. Darauf aufbauend wurde der Fortgang der kirchen- und theologiegeschichtlichen Entwicklungen in den Blick genommen.
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Darstellung der erreichten Ergebnisse: Pannonia Die religions- und christentums geschichtlichen Arbeitsschritte unterschieden sich nicht im methodischen Ansatz, sondern vor allem in den vorliegenden Quellenarten. Die geographische Verteilung der Votivinschriften zeigt nur selten lokale Spezialisierungen auf; meist sind sie aus dem Kontext zu erklären. Es hat sich das Bild bestätigt, dass sich eine Geschichte der Religion in Pannonien mit dem zur Verfügung stehenden Material nicht wird schreiben lassen. Aber eine religiöse Topographie Pannoniens ließ sich aus dem Inschriftenbefund gewinnen. Als Beispiel für die Arbeitsweise und dafür, dass die Gesamtentwicklung eines Ortes auch an den Momentaufnahmen seines religiösen Inventars ablesbar ist, soll der relativ überschaubare Fundkontext von Aquae Iasae, einem Thermalkurort in Pannonia superior südlich der Drave dienen. Der römische Kurbetrieb an diesem Ort mit seinen schwefelhaltigen Quellen geht auf das erste Jahrhundert nach Christus zurück und wurde, wenn auch wohl mit Unterbrechungen, mindestens bis ins vierte Jahrhundert aufrechterhalten. Die Namengebung nach dem Stamm der Iasi, deren munizipales Zentrum in römischer Zeit circa einhundertdreißig Kilometer weiter östlich lag, deutet allerdings auf schon vorrömische Verwendung der Quellen hin. Zuerst bestand eine sehr bescheidene Anlage ohne Heizungssystem, die vor allem von Angehörigen des Militärs von der noch nahen Grenze frequentiert wurde. Weiheinschriften richten sich vorwiegend an die Heilung bringenden iasischen Nymphen (Nymphae salutares, Nymphae Iasae), also an lokale Gottheiten. Der Dank für erfahrene Linderung von Gebrechen zieht sich über die gesamte Zeit des Kurbetriebes hin und bildet so ein Element. der Kontinuität in der Weihepraxis. Mitte des zweiten Jahrhunderts wurden die Badanlagen bedeutend erweitert, und es entstand ein lokales Zentrum mit Forum und Tempeln für die kapitolinische Trias also für eine reichsweite Kultform. Ein neuer Thermenkomplex mit den dazugehörigen Wasserbecken unterschiedlicher Temperatur sowie mit einer Basilika wrirde errichtet. Dieser Bedeutungszuwachs zog ein repräsentationswilliges Publikum auch aus der weiteren Region an. Diese provinziale Elite stellt sich durch Weihe gaben an die kapitolinischen Götter selbst dar und zeigt so ihre Loyalität zu Rom wie auch ihren Anspruch auf Teilhabe an der römischen Kultur. Die religiöse Akzentverschiebung zeigt sich auch an anderen Beispielen: So präsentiert L. Claudius Moderatus, decurio der claudischen Kolonie Savaria und des aelischen Munizipiums Salla sowie Kaiserpriester der Provinz Pannonia superior, den Benutzern der Therme eine Monu mental statue der Minerva. 1 Ein der Iuno regina gegebenes Geschenk verewigen die Bürger Poetovios durch einen Altar für die Göttin, die hier zusammen mit Fortuna verehrt wird? Dass der Kurort auch lokales Kultzentrum wurde, zeigen die von Stifterinnen gestellten Votivaltäre für Diana und die Silvanae. Nochmals fünfzig Jahre später, zu Beginn des dritten Jahrhunderts war Aquae Iasae bereits ein Ort, wo sich ranghöchste Senatoren ehren ließen. Dies belegt ein dem Pollux geweihter Altar des Freigelassenen Menander, bei dem allerdings weniger der angerufene Gott als vielmehr der ehemalige Herr des Stifters im Zentrum 1 2
ILJug 1169 = AB 1979,468 ILJug 1168.
= AB 1983,774: Minervam [!] ... posuit.
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des Interesses steht, für dessen Heil' die Gabe dargebracht wird. 3 Es handelt sich um L. Fabius Cilo, der um 200 n. Chr. Statthalter der Provinz Pannonia superior war, außerdem «Erzieher» des Prinzen Caracalla, später Inhaber verschiedenster hoher Ämter, amicus Augustoru,m und schließlich Stadtpräfekt von Rom. Aquae Iasae war offensichtlich ein gut besuchtes und bekanntes Erholungsziel geworden, auf dessen Forum ein breites Publikum Raum für Repräsentation suchte und fand. Dieser Bedeutungswandel des Ortes ist auch in den Momentaufnahmen seiner Kultgeschichte ablesbar. Nach Zerstörungen wur~e der Thermenkomplex in monumentaler Weise im vierten Jahrhundert renoviert und erweitert. Davon gibt neben der archäologisch festgestellten neuen Bauphase, aus der noch zahlreiche Freskenreste mit geometrischen Mustern in silu erhalten sind, eine Bauinschrift Kaiser Konstantins4 Nachricht. Aquae Iasae erhielt außerdem einen sonntäglichen Markt, für den vielleicht die ergrabene Thermenbasilika genutzt wurde. Diese Deutung der Überreste spricht gegen die Deutung als christliche Kirche. Ein Freskenfragment der Basilikadecke, auf dem mit Mühe ein Kopf mit Nimbus in Frontalansicht zu erkennen ist, stellt vermutlich einen Angehörigen der Kaiserfamilie dar, vielleicht den Renovator selbst, der im übrigen auch das Kapitolium wiederherstellen ließ und den Thermenbetrieb aufrechterhielt. So interpretiert zeigt dieser Fund eine weitere Form der politischen Selbstdarstellung, wobei auch hier eine religiöse Konnotation besteht. 5 Aufgrund von kulttopographischen Einzeluntersuchungen wie der hier vorgeführten lassen sich im Hinblick auf die Fragestellung des Schwerpunktprogramms summarisch einige Ergebnisse des Arbeitsprojekts herausgreifen. Zunächst zum Themenkomplex Reichsreligion. Auf Provinzialebene äußert sich der kultische Bezug auf das personifizierte Reich in Kultakten der jährlichen concilia provinciae an der ara Augusti. Frühestes Zentrum des Kaiserkultes in Pannonia war die unter Claudius gegründete Kolonie Savaria an der Bernsteinstraße. Dort wurde im ersten Jahrhundert die Verehrung des divus Claudius durch flamines organisiert sowie der Augustusaltar der Provinzialversammlung errichtet. Nach der Organisation Pannonias in zwei Provinzen durch Trajan entstand in Gorsium für Pannonia inferior ein zweites Kaiserkultzentrum, welches auch archäologisch nachgewiesen ist. Nach den Zerstörungen während der Markomannenkriege existierte dort ein Tempel des vergöttlichten Marcus Aurelius. 6 Der Augustustempel wurde durch Septimius Severus und Caracalla wiederhergestellt. 7 Vor allem die Weihungen an die verschiedenen Götter innerhalb der area sacra wurden analysiert; ein besonders interessantes Ergebnis dieser Analyse betrifft die Einbindung der Iuppiter Dolichenus-Verehrung in den Kaiserkult durch die Priester der gesamten Provinz. 8 Dieser im Militär beliebte syrische Himmelsgott wurde bereits zur Zeit Hadrians in Camuntum durch einen Jugendverein verehrt,9 und sein Kult fand in Pannonien über soldatische Kreise hin3 4
eIL m 4120 = AIJ 466. eIL m 4121 = AIJ 469.
5 Zum Thennenkomplex und dem Freskenfragment vgl. B. Migotti 1997. Evidencefor Christianity in Roman Southern Pannonia (Northern Croatia) (BAR Int. Series 684), Oxford, 25-27. 33-35. 6 eIL III 3345 = RIU 1498. 7 eIL m 3342 = RIU 1537. 8 eIL III 2243 = RIU 1528. 9 AE 1936, 132.
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aus weiteste Verbreitung (epigraphisch bezeugt in Acumincum, Aquae Balissae, Aquincum, Brigetio, Burgenae, Carnuntum, Gardellaca, Gorsium, Intercisa, Lussonium, Matrica, Mursa, Poetovio, Praet. Latobicorum, Savaria und Sirmium). Es ist anzunehmen, dass diese Prominenz des Kultes nicht auf syrische Bevölkerungsteile oder besondere kaiserliche Bevorzugung zurückgeht, sondern durch pannonische Soldaten selbst von der Ostgrenze importiert wurde. In der repräsentativen Aufnahme dieses Kultes in den Kaiserkultort zeigt sich die militärisch bestimmte Identität Pannoniens. Bei der Verehrung des Baal von Doliche setzt Pannonien offenbar eher reichsweite Standards, als dass es ihnen folgt. Auf munizipaler und kolonialer Ebene ist Reichsreligion öffentlich präsent durch die capitolia. Die entsprechenden Zeugnisse und Inschriften wurden ausgewertet; auffällig ist dabei, dass Weihungen an die kapitolinische Trias zahlenmäßig weit hinter solchen für das göttliche Herrscherpaar luppiter Optimus Maximus und luno Regina zurückstehen. Dieser Trend zur Verehrung eines Götterpaares setzt sich sogar bei einer von der umgebenden Provinzialbevölkerung weitgehend getrennten Gruppierung wie den emesenischen Truppen im Militärlager Intercisa durch. Nach den Verlusten im Markomannenkrieg an die Donau versetzt, konstruiert diese Bevölkerungsgruppe entgegen ihrer heimatlichen Tradition einer Göttertrias in Pannonien ein Syrien und Italien verbindendes Götterpaar aus luppiter Optimus Maximus Elagabalus und Diana Tifatina und weiht den entsprechenden Kult dem Heil des severischen Kaiserhauses. 10 Auf lokaler Ebene schließlich wurden im Arbeitsprojekt die Inschriften mit Ausrichtung auf die Kaiser und damit auf das Reich untersucht; neben zahlreichen pro salute Aug(g).-Weihungen verstärkt sich im dritten Jahrhundert die Häufigkeit der direkten Widmungen an maiestas/genius/numen der Kaiser. Im Bereich des Themenkomplexes Provinzial- und Lokalreligion wurde besonders deutlich, dass bereits die Aufnahme der religiösen Ausdrucksform der Altarweihungen in Pannonien Zeichen der Romanisierung ist. Eine Übertragung dieser Form auf die religiösen Inhalte der vorrömischen Bevölkerung lässt sich selbst sporadisch kaum nachweisen. Es ist zunächst die durch Handelsniederlassungen, vor allem aber durch die Truppenstationierungen eingewanderte römische Bevölkerung, die römische Kultpraktiken in Pannonien vollzieht; indigene Bevölkerungsteile übernehmen entsprechende Praktiken hauptsächlich in Gestalt der lokalen Nobilitäten, die ihre soziale Stellung in der nach römischem Muster organisierten Gesellschaft erhalten wollen, sowie in Gestalt der rekrutierten Soldaten und ihrer Familien, die als Veteranen angesiedelt werden. Adressaten der von römischen und romanisierten Stiftern gestellten Weihungen sind häufig römische Gottheiten der Naturbeherrschung, vor allem Silvanus, der durch Epitheta in den unterschiedlichsten Lebensbereichen angerufen wird - das Spektrum reicht vom conservator bis zum bellator. Daneben sind Diana, Liber, die Nymphen sowie Weggottheiten besonders häufig Weiheempfänger. Die Erklärungsalternativen - interpretatio romana indigener Gottheiten oder eine besondere Affinität dieser römischen Gottheiten zur Landesnatur - schließen sich nicht aus. Auffällig ist die Häufigkeit, mit der durch Götterkumulation Reichsreligion und Lokalreligion verbunden werden, so etwa durch die Verbindung des lup10
RIU 1059; 1104.
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piter Optimus Maximus mit verschiedenen lokalen Genii, mit Silvanus Domesticus oder Terra Mater. Die genauere Analyse der Trägerschaft entsprechender Weihungen zeigt, dass es sich um den religiösen Ausdruck einer zugleich römischen und pannonischen Identität handelt. Die gleichzeitige Identifikation mit der globalen Größe «Reich» und mit einer ethnisch oder religiös eng begrenzten Gruppierung zeigt sich auch an einer Reihe weiterer Beispiele, so der bereits erwähnten Einbindung des Iuppiter Optimus Maximus Elagabalus in den Kaiserkult in Intercisa; so auch in der Verbindung von Reich und Judentum am selben Ort mit einer Weihung an deus aeternus für das Heil der Kaiser. 11 Die Verbindung des obersten Gottes der keltischen Eravisker um Aquincum, Teutanes, mit Iuppiter Optimus Maximus ist ein weiteres Beispiel einer solchen Identifikation. Auf den militärischen Ursprung der römischen Bevölkerung in Pannonien weist auch die weite Verbreitung von mithräischen Kultgemeinschaften hin. Dieser Kult wirkte in besonderer Weise identitätsstiftend, da in der Teilnahme an ihm wiederum reichsweite Gemeinschaft und Gemeinsamkeit in die spezifische Geschichte und Lebenssituation der römischen/romanisierten Bevölkerung der Provinzen integriert werden konnten. In Pannonien wurden die solaren Elemente des Kultes überdurchschnittlich stark betont. Das christliche Inschriftenmaterial, das aus dem Sepulkralbereich ab der Mitte des vierten Jahrhunderts vorliegt,12 zeigt wenig Besonderheiten und folgt in Inhalt und Stil sowie in dem erkennbaren Brauch der Bestattung ad sanctos allgemeinchristlichen Standards. Ein von dem aus epigraphischem Material gewonnenen abweichendes Bild ergab sich aus der Untersuchung der literarischen christlichen Texte. Hier scheint eine Geschichte als Abfolge von Ereignissen (Verfolgungen, Synoden, Exile) erkennbar zu werden, aber kaum die dem zugrunde liegenden situativen Kontexte. Ausgangspunkt der Arbeiten war die Analyse der Schriften, die von dem Bischof Victorinus von Ptuj aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts erhalten sind. Sie zeigt, dass das Lokalkolorit des pannonischen Christentums ebenso wie auch in anderen Gegenden des Reiches sehr stark durch importierte Theologumena und übernommene Strukturen bestimmt war. Die Gemeinde in Poetovio, für die Victorin schreibt, befindet sich nach Verfolgungs situationen in der Mitte des dritten Jahrhunderts in einem Stadium der Festigung und sucht nach Richtlinien des Gemeindelebens und des Schriftverständnisses, offenbar auch in Abgrenzung gegenüber jüdischer Religiosität. Dass Victorin die entsprechende Literatur lateinisch verfasst, obwohl er sicher neben lateinischen auch griechische Schriften benutzt, deutet am ehesten auf eine gemischte Gemeinde aus Lateinern und Orientalen hin; letztere kamen zum Beispiel als Sklaven nach Poetovio, wo sie am Sitz der Steuer- und Zollverwaltung des illyrischen Zollbezirks arbeiteten. Sowohl seine exegetische Methodik als auch seine durch einen chronologischen Text belegte Palästinareise, bei der er sich Abschriften aus Werken der christlichen Bibliothek von Jerusalem anfertigte, zeigen Victorins Orientierung am palästinischen Christentum. Seine Gemeinde eIL III 10301 = RIU 1051; für jüdische Gemeinden in Pannonien vgl. eIL III 10998 = RIU 440 1995, 1257 für Brigetio und ILJug 3092 mit ILJug 1066 für Mursa. 12 Ältester Beleg ist eine griechische Grabinschrift aus Sirmium von 352 n. ehr. (ILJug 3021).
II
=
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und er selbst waren an der direkten Partizipation an apostolischen Traditionen zum Beispiel über die Lebensdaten Jesu Christi besonders interessiert. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Victorin bestehende Kontakte der griechischsprachigen Bevölkerungsgruppe seiner Gemeinde nutzte, als er in den Orient reiste, sogar möglich, dass er durch sie zu seiner Reise angeregt wurde. Dieser Vorgang ist somit ein Beispiel für die bewusste Aufnahme vermeintlich reichsweiter christlicher Standards in das religiöse Leben einer pannonischen Gemeinde. In Sirmium ist die Geschichte der christlichen Gemeinde des vierten Jahrhunderts durch Sepulkralinschriften im Umkreis von Märtyrermemorien an die Verfolgungszeit unter Diokletian zurückgebunden. Den Hauptteil der Arbeit an den literarischen Quellen nahm daher die Untersuchung der pannonischen Märtyrertexte als Zeugnisse der Christentumsgeschichte und als konkrete Beispiele der christlichen Literaturgattung der Passiones ein. Als frühes Beispiel einer erzählenden Passio wurde die Passio sanctorum quattuor coronatorum untersucht. Der Text verdeutlicht am Beispiel des Verhaltens von fünf christlichen Steinmetzen, die vor Diokletian angeklagt werden, paränetisch die Grenzen christlicher Toleranz gegenüber heidnischen Kultpraktiken in einer Zeit der religiösen Koexistenz. Die Passio des sirmischen Bischofs Irenäus stellte sich sowohl historisch als auch ihrer literaturgeschichtlichen Stellung innerhalb der pannonischen Textproduktion nach als primär heraus; sie hat für einige weitere pannonische passiones Vorbildcharakter (Passio Quirini, Acta Floriani). Die genaue Analyse dieses Textes ergibt einen engen Bezug auf nordafrikanische Martyriumskonzeptionen, wie sie in den Schriften Cyprians von Karthago formuliert wurden und mit deren Verbreitung literarische Wirksamkeit entfalteten. Die direkte Orientierung des Passioverfassers an dem cyprianischen Brief ad Fortunatum mit seiner strikt biblisch orientierten Martyriumsparänese lässt den Schluss zu, dass zumindest eine Fraktion des Christentums in Sirmium deutlich lateinisch-westlich geprägt war, wobei Norditalien und auch Poetovio, dessen Bischof Victorin bereits cyprianische Schriften kennt, als VerInittlungsraum anzunehmen sind. 13 Dieser lateinische Charakter wird durch die Passio Sereni gestützt, in der die Ortsfremdheit des «Griechen» Serenus als eine Besonderheit deutlich herausgestellt wird. Dass sich die Trägerschaft der Passio Irenaei dezidiert als ecclesia catholica bezeichnet und sich dadurch von anderen christlichen Gruppierungen in Sirmium abzuheben versucht, weist auf eine Entstehungszeit des Textes vor circa 375 hin, als mindestens drei solcher Gruppen in der Kapitale Pannoniens existierten. Die Bezeichnung Valentinians I. als christianissimus vir in der Passio Pollionis lectoris wird mit der endgültigen Vertreibung des längst verurteilten Ortsbischofs Photin in Verbindung gebracht. Als Dokument der zeitgenössischen Situation wird ein theologisches Streitgespräch des Ortsbischofs Germinius mit nizänischen Christen aus Sirmium untersucht (Altercatio Heracliani laici cum Germinio episcopo Sirmiensi von 366/367 [PLS 1,345-350]). Die Debatte mobilisiert bereits die gesamte Bevölkerung der Stadt; ein Anzeichen für den Grad der Durchsetzung, die das Christentum erlangt hat. Durch die Erwähnung der Bischöfe Euse13 Zu den heiden genannten Passio-Texten jetzt Hildehrandt, H. 2006. «Early Christianity in Roman Pannonia - Facts among Fiction?», in: Young, F.M.; Edwards, M.; Parvis, P. (edd.), Studia patristica XXXIX - Historica, Biblica, Ascetica et Hagiographica, Leuven, 59-64.
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bius von Vercelli und Hilarius von Poitiers bindet der Text die sirmischen Auseinandersetzungen in die reichsweiten theologischen Debatten der Zeit ein. Gerrninius wird dadurch als Verbündeter des homöischen Bischofs Auxentius von Mailand gezeichnet, gegen den Eusebius und Hilarius 363/364 intervenieren. Ein wichtiges gemeinsames Element der Polemik ist die Charakterisierung der Gegner als verurteilte Exilanten sowohl durch Auxentius als auch durch Germinius-. Die Analyse von Textfragmenten dieses und anderer pannonischer Bischöfe des vierten Jahrhunderts rundet die durchgeführten Arbeiten ab. Dalmatia Den deutlichsten Bezug auf römische Staatlichkeit im dalmatischen Kultsystem stellt der Kaiserkult dar. Entsprechend der ursprünglichen politischen Teilung der Provinz in die Stammesgebiete der Liburnier und Delmaten konzentrieren sich die Zeugnisse des Kaiserkultes auf die beiden Zentren Scardona und Epidaurum beziehungsweise später Doclea und die dort stattfindenden Versammlungen. 14 In dem flavischen munieipium Doclea ist ein entsprechender Tempel mit Giebeldarstellung der dea Roma nachgewiesen; ein Magistratsmitglied fungierte als flamen des vergöttlichten Titus. 15 In Oneum macht eine Inschrift die Verbindung von Provinz und Imperium besonders augenfällig, indem der divus Augustus, Roma und der genius loei zusammengestellt werden. Eine direkte Imitation römischer Kulttopographie, wie sie zum Beispiel in den Städten der Bernsteinstraße mit ihren Kapitolien zu finden sind, weisen dalmatische Städte relativ selten auf. Neben der iulischen Kolonie Salona, der so genannten urbs vetus, sind entsprechende Bauten nur für lader bekannt. Die intensive Beschäftigung mit den epigraphischen Zeugnissen der Provinz ergab dennoch kaum Besonderheiten bei der Adaption römischer oder «östlicher» Religionsausübung. Die religiösen Ämter sind in den ordines der Kolonien und Munizipien der Provinz breit belegt; einheimische Familien nehmen an der römischen Kultpraxis teil, sobald sie im Verlauf des zweiten Jahrhunderts - in die städtischen Ehrenstellungen gelangen. Freigelassene und ihre Nachkommen agieren als augustales. Für überregional organisierte Religionsformen sei nur ein Beispiel genannt: Besondere Prominenz erlangte der Kult der Mater Magna. Dabei fungierte Salona eindeutig als Zentrum, da hier der Tempel der Göttin nachgewiesen ist. 16 Der Kultvorsteher mit der Bezeichnung eines archigallus salonitanus reiste - als religiöser Spezialist, so ist anzunehmen - durch die Provinz; auf einer solchen Reise starb er in der Hafenstadt lader. I7 Die Anfänge des Christentums in der bedeutenden Hafenstadt Salona bleiben wie in so vielen Fällen weitgehend im Dunklen. Zwei Stellen des Neuen Testaments, genauer des Corpus Paulinum weisen darauf hin, dass Dalmatien zur Peripherie des paulinischen Missionsgebiets gehört haben kann (Röm 15,19; 2Tim 4,10). Diese Nachrichten werden jedoch von der dalmatischen Kirchenhierarchie nicht aufgegrif14 Scardona: ara Liburnorum CIL III 2810; ara Augusti Liburniae CIL III 2802; Doclea: ara Caesaris CIL III 13827. 15 CIL III 12695, vgl. CIL III 12918 = CIL III 13910 für Salona (Vespasian), ILJug 2833 für Asseria (Claudius). 16 ILJug 674. 17 CIL III 2920. Möglicherweise fand der Kult durch bekannte eigene Gottheiten indigene Anhänger; darauf deutet die Verehrung einer Mehrzahl von Göttinnen hin (ILJug 2052).
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fen. Die erste in einem klar datierbaren Dokument erscheinende christliche Figur in Dalmatien ist Bischof Maximus 1. von Salona. Er ist einer der Adressaten eines Rundschreibens, das die im Jahr 342/43 in Philippopolis versammelten Bischöfe des Ostens in den Westen sowie nach Alexandria senden und in dem sie für ihre trinitätstheologische Position werben. Aus dieser Tatsache ist nur vage darauf zu schließen, dass der salonitanische Bischof für die trinitäts theologische Option der Kirchenversammlung empfänglich gewesen sein könnte. Diese Vermutung wird durch das Verhalten eines seiner Nachfolger, des Bischofs Leontius erhärtet, der offenbar erst kurz vor der Verurteilung auf dem Konzil von Aquileia 381 zu der sich durchsetzenden Theologie des Damasus von Rom und des Ambrosius von Mailand umgeschwenkt ist. Im vierten Jahrhundert verehrten die salonitanischen Christen eine Reihe von Märtyrern an ihren jeweiligen Grabstätten inmitten der allgemeinen Friedhöfe im Norden der Stadt. Diese Märtyrer sind der Zeit der diokletianischen Verfolgung zuzuordnen. Darunter befindet sich der erste namentlich bekannte Bischof der Stadt, Domnio, der vermutlich auch aus Salona selbst stammte. 18 Nicht nur die relativ hohe Zahl der sowohl epigraphisch als auch durch frühe Martyrologien bezeugten verurteilten Christen, sondern auch die Architektur der ältesten bekannten Gemeinderäume am Rand der östlichen Vorstadt Salonas - der so genannten urbs nova - verweisen auf den Beginn einer christlichen Gemeinde bereits im dritten Jahrhundert. Der einzige erhaltene Martyriumstext, der nach hagiologischen Kriterien als einigermaßen glaubwürdig betrachtet werden kann, belegt sowohl die Zentrumsfunktion Salonas in der Christenverfolgung durch den dauernden Aufenthalt des senior Augustus Diokletian als auch den Ursprung des salonitanischen Märtyrerkultes in den privaten Mausoleen christlicher Bürgerfamilien, in die die Märtyrer übergeführt werden. Außerhalb des salonitanischen Gebietes muss klar zwischen Norddalmatien, beziehungsweise Liburnien und dem Süden unterschieden werden. Während der Norden ab der Mitte des vierten Jahrhunderts von Aquileia christlich beeinflusst ist Hieronymus und seine Gefährten, zum Beispiel der spätere Inseleremit Bonosus sind Zeugen dafür - gilt der Süden noch um 365 aus christlicher Sicht als barbarische Einöde, in die sich ein Einsiedler ohne Furcht vor Belästigung durch Christen zurückziehen kann - jedenfalls solange er keine Wunder tUt. 19 Im vierten Jahrhundert ist für Salona mit einer Koexistenz der Christen und der (wenigen) Juden mit den Römern zu rechnen. Ein beredtes Beispiel dafür sind die bekannten Inschriften eines Grabbaus, die den potentiellen Grabschändern zornige numina androhen, seien sie Römer, Juden oder Christen. 2o Der Stifter, der sich offensichtlich den «Römern» zuordnet, räumt die Wahrscheinlichkeit ein, dass ein 18 Dafür spricht ganz einfach die Beobachtung, daß sein Nachfolger Primus zugleich sein Neffe (CIL m 14897 = ILJug 2360) und die Familie also in Salona beheimatet war. Möglicherweise hat sich in der Legendentradition die korrekte Nachricht über die syrische Herkunft seiner Familie erhalten (Farlati, D. 1751. Illyrici sacri tomus primus: Ecclesia Salonitana, ab ejus exordio usque ad Saeculum quartum Aerae Christianae, Venedig, 414 u.ö.) 19 Hieran. vita Hilar. 38. 20 AE 1959, 251 = ILJug.131 = HO I, Dal3. Ausführlich dazu Egger, R. 1965. Von Römern, Juden, Christen und Barbaren (SOAW.PH 247/3), Wien.
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Angehöriger einer dieser Gruppen auf dem allgemeinen Friedhof die Grabkammer passiert. Der gemeinsame Nenner der drei Gruppen besteht für ihn in der Verehrung der Manen. Darin äußert sich ein unaufgeregtes Desinteresse an den für ihn fremden Gemeinschaften. Grabschändung traut er aber auch den Angehörigen der eigenen Gruppe zu. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass im vierten Jahrhundert keine gesellschaftliche Gruppe die Macht oder das Interesse gehabt zu haben scheint, die anderen zu verdrängen, ein Zustand, der in Dalmatien offenbar auch im fünften Jahrhundert, also zur Zeit der weitgehenden politischen Unabhängigkeit fortbestanden hat. Ein Beleg für die selbstverständlich weiter bestehenden Kulte sind die Mithräen des bosnischen Hinterlandes, die im vierten Jahrhundert entstanden. 21 Stadtkirchen finden sich entweder außerhalb des Forumbereichs, wie in Doclea,22 oder an der Stelle von tabernae des Forums, ohne Tempel zu ersetzen, wie in Iader. 23 Die bei der großen Zahl der dalmatischen Kirchen verschwindend wenigen Fälle, in denen der Kirchenbau ein paganes Heiligtum ersetzt und so christianisiert, sind spät anzusetzen, so dass mit einer Kultkontinuität mindestens im fünften Jahrhundert gerechnet werden kann. 24 Nun noch einige Bemerkungen zur weiteren Kirchengeschichte Dalmatias. Salonas Vorrangstellung in der christlichen Organisation der Provinz wird in der Korrespondenz des römischen Bischofs Zosimus mit Hesychius deutlich, der wichtigsten Bischofsfigur Salonas. Sein neu gewonnener Einfluss drückt sich durch den Bau einer neuen städtischen Basilika aus; er korrespondiert nicht nur mit Rom, sondern auch mit dem exilierten Bischof von Konstantinopel, Johannes Chrysostomus, und mit Augustinus von Hippo. Die Überlegungen des Hesychius zur Datierbarkeit des Weltendes, die einen milden Biblizismus erkennen lassen, wurden von Augustinus einer eingehenden Korrektur unterzogen. 25 Provinziale Synoden in Salona, die der Stellung und dem Kirchenbau entsprechen, sind erst für die frühe justinianische Zeit im sechsten Jahrhundert überliefert. Die kirchliche Organisation muss aber bereits im fünften Jahrhundert umfassend gewesen sein. Das belegen die Kirchenbauten dieser Zeit, in der Dalmatia wie gesagt zeitweilig politisch selbständig war, zum Beispiel die Stadtkirchen von Narona. 26 Dabei orientierte sich die kirchliche an der staatlichen Realität: Auf Salona als Zentrum waren die Kirchen des ostgotischen Herrschaftsbereichs zu Beginn des sechsten Jahrhunderts ausgerichtet. So erklärt sich die Teilnahme des zuvor pannonischen Bistums Siscia an den salonitanischen Synoden von 530 und 533. Hierin besteht eine Parallele zwischen vorchristlicher und christlicher Kultorganisation. Das Zugehörigkeitsgefühl zum kirchlichen Zentrum Rom drückt sich in der Küstenregion und auf den Inseln nicht zuletzt durch ein aktives Bemühen 21 Darunter eines der spätesten Mithräen überhaupt, dasjenige von Konjic am Oberlauf der Neretva, vgl. Clauss, M. 1990. Mithras, München, 1I8f.; Basler, D. 1993. Spätantike und frühchristliche . Architektur in Bosnien und der Herzegowina (ÖAW.BK Ant. Abt. 19), Wien, 41. 22 Die Stadt gehörte freilich seit der diokletianischen Neuordnung der Provinzen zu Praevalitana. Plan bei Wilkes, J.J. 1969. Dalmatia, London, Abb. 17, 364. 23 lader 1 (4./5. Jh.): Chevalier, P. 1995. Ecclesiae Dalmatiae I (Salona II/l), RomJSplit, 100-107. 24 Mithräum: Kasic-Banjevacki (6. Jh.), Chevalier 1995, 134f., vielleicht auch Solin-Rupotine 2 (6. Jh.), ebda. 215 f.; Silvanus- und Nymphenheiligtum: Klapavica (6. Jh.), ebda. 206-208, vgl. ILJug 2003. 25 Aug., ep. 197-199. 26 Narona 1 (Anfang 5. Jh.): Chevalier 1995, 433-436; Narona 2 (5. Jh.): ebda. 436-438.
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um Reliquien stadtrömischer Märtyrer wie zum Beispiel Laurentius und entsprechender Kirchenweihungen aus. Ein weiteres Arbeitsfeld des Projektes, das bereits zur mittelalterlichen Kirchengeschichte Dalmatiens überleitet, stellt die Analyse der salonitanischen Märtyrerlegenden dar. In diesen Texten wird die zielgerichtete Fiktion aufgebaut, dass die Kirche Salonas von einem Schüler des Petrus begründet wurde. Analoge Entwicklungen sind aus anderen bedeutenden Bischofssitzen des Alpen-Adriaraumes, aber auch aus Gallien bekannt. Die jeweiligen Kirchengründungslegenden haben dabei die Funktion, das Verhältnis zur Metropole Rom mit ihrem sich herausbildenden päpstlichen Primat zu verdeutlichen. Damit wird eine Unterordnung unter Rom anerkannt, zugleich aber eine vom römischen Kirchenpatron Petrus abgeleitete indirekte Apostolizität der jeweiligen Kirche behauptet, mit deren Hilfe die Vorrangstellung innerhalb der Provinz vor den Nachbarkirchen gesichert werden soll. So folgen die Kirchen in ihrer Legendenbildung einer Konzeption apostolischer Patronage, wie sie unter anderen Vorzeichen von Ambrosius in Mailand durch die Erbauung einer Apostelkirche und den Erwerb von Apostelreliquien begründet wurde. Während im Fall der norditalienischen Metropolen Mailand (mI. Vitalis, Gervasius, Protasius) und Aquileia (mI. Markus, Hermagoras) die einflussreiche Stellung des vierten Jahrhunderts gesichert werden soll, sind Zentren wie Ravenna (HI. Apollinaris), Arles (HI. Trophimus) und eben auch Salona (HI. Domnio) daran interessiert, die kirchenpolitische Vorrangstellung in den betreffenden Diözesen zu erlangen. Arles und Salona treten zu diesem Zweck in direkte Verhandlungen mit Rom, um die Stellung eines Vikariats zu erlangen, was zeitweilig auch gelang. In dieser Situation am Beginn des fünften Jahrhunderts, so die in dem Projekt entwickelte These, entsteht auch der Kern der Legende, in der der Märtyrerbischof Domnio zum Apostelschüler wird. Das unterscheidende Merkmal im Fall Salonas ist die Tatsache, dass mit Domnio die lokal überragende Märtyrergestalt so «umfunktioniert» wird, anders als beispielsweise in Aquileia, wo eine importierte Heiligengestalt zum Kirchengründer wird. Die dalmatinischen Bischofslegenden bieten damit die Gelegenheit, das Wachstum des frühmittelalterlichen päpstlichen Anspruches in einer dafür ungewöhnlichen Textgattung zu beobachten. Arabia
In einem weiteren Projekt wurde die Christentums geschichte der Provinz Arabia als Teil ihrer spätantiken Religionsgeschichte untersucht. Grundlegend dafür ist die mittlerweile nahezu etablierte Einsicht, dass es sich bei der betreffenden Region um einen komplexen, zum Teil disparaten, in jedem Fall aber hoch entwickelten und eigenständigen Kulturraum handelt. 27 Dem steht das bereits aus der Antike stammende Vorurteil gegenüber einer nicht näher differenzierten· Gruppe der "ApaßE<; 27 Grundlegend für diese Einsicht ist Graf, D.F. 1989. «Rome and the Saracens. Reassessing the Nomadic Menace», in: Fahd, T. (Hg.), L 'Arabie preislamique et san environnement histarique et culturel, Actes du Callaque de Strasbaurg 24-27 Juin 1987 (Travaux du Centre de Recherche sur le Proche-Orient et la Grece Antiques 10), Leiden, (341-400) 372 f. (= ders. 1997. Rome and the Arabian Frontier: From the Nabataeans to the Saracens (CSS 594), Aldershot, Nr. X).
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entgegen, die als räuberisch und insgesamt unkultiviert gelten. 28 Da der erste bekannte Bischof der Provinz dezidiert als «Bischof der Araber von Bostra» bezeichnet wird,29 musste die Frage nach der spätantiken Bedeutung dieser ethnischen Gruppenbezeichnung im vorliegenden Projekt ebenfalls behandelt werden. Die Epoche der Spätantike, also der geschichtliche Zeitrahmen für die geplante Untersuchung, ist dabei für den betreffenden Raum mit der Zeit identisch, in der die Provinz Arabia existiert. Eine leitende Fragestellung für die Untersuchungen bestand in dem Versuch, die aus der Grenzlage der untersuchten Provinz resultierenden gesellschaftlichen und religiösen Spezifika zu ermitteln und mit den Befunden aus der Betrachtung der entsprechenden Größen in den illyrischen Grenzprovinzen zu vergleichen. Innerhalb eines religionsgeschichtlichen Arbeitsfeldes wurden Spezifika einzelner Kulte sowie Formen religiöser Kommunikation und Repräsentation untersucht. Es wurde nach provinzumspannenden Organisationsformen indigener Kulte und nach lokalen Besonderheiten von Kultanlagen gefragt. Des Weiteren wurden die Formen und Inhalte individueller religiöser Äußerungen, wie sie - in mannigfaltig standardisierter Art - in Weihgaben und Inschriften zum Ausdruck kommen, auf der Basis des erreichten Forschungsstandes analysiert. Die publizierten Quellen wurden zu dieser Analyse herangezogen. Das epigraphische Textmaterial wurde in einer umfangreichen digitalen Sammlung aus den entsprechenden Korpora und Einzelpublikationen zusammengestellt. Dazu kamen numismatische und literarische Zeugnisse, wozu im Bereich der Provinz Arabia auch Papyri gehören, sowie die Publikationen der archäologisch ermittelten topographischen und bauhistorischen Befunde. Im Rahmen des Schwerpunktprogramms bestand ein besonderes Forschungsanliegen an Ausprägungen reichsweiter Kulte, beispielsweise des Kaiserkultes - einem innerhalb der Provinz «anschlussfähigen» Kult, da es bereits im nabatäischen Staat Formen der Vergöttlichung von Herrschern gab. Weitere Beispiele, die bei der Untersuchung im Mittelpunkt standen, sind die Isis- oder Zeus Hammon-Verehrung, letztere im Kontext des römischen Heeres, aber auch das Judentum und das entstehende Christentum. Die religiöse Repräsentation der Größe «Römisches Reich» innerhalb der Provinz wurde dabei genauer untersucht. Hier besteht eine enge Verbindung der Arbeitsfelder, da zum Beispiel in der Zeit des Kaisers Julian die Repräsentationshoheit für diese kulturelle Größe «Reich» umstritten ist - die Vertreter des Kaisers übernehmen in diesem Streit sogar religiöse Formeln des Gegners wie die Er<; 8Eo<;-Formel auf den Meilensteinen der Stadt Gerasa30 -, während nach dem Konzil von Chalzedon im fünften Jahrhundert die Repräsentation von byzantinischem Kaiser und Reich von einer christlichen Konfession übernommen wird, nun in Abgrenzung zu regionenspezifischen Christentumsformen. Eine weitere Aufgabe innerhalb des ersten Arbeitsfeldes bestand in der Analyse von Berichten über religiöse Konfrontationen in der Arabia. Als Beispiel sei auf den Konflikt der nichtchristlichen und der christlichen Bewohner Bostras in der Zeit des Bischofs Titus und des Kaisers Julian verwiesen. 3l 28 Einige Beispiele für dieses Vorurteil bei Bowersock, G.W. 1983. Roman Arabia, Cambridge, Mass./London, 123 f. 29 Eus. H. E. VI 20,2. 30 Vgl. zuletzt Seigne, J.; Agusta-Boularot, S. 1998. Milliaires anciens et nouveaux de Gerasa (MEFRA 110),261-295; Conti, S. 2004. Die Inschriften Kaiser Julians, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 10, Stuttgart.
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Im Folgenden werden einige Beispiele für Arbeitsschritte innerhalb des christentumsgeschichtlichen Arbeitsfeldes genannt: Ein erster Arbeitsschritt betraf die Frage nach dem Beginn und den frühen Ausprägungen des Christentums in Arabia. Der bereits erwähnte,32 erste namentlich bekannte Bischof von Bostra, Beryllos, trug mit dem profiliertesten christlichen Theologen des dritten Jahrhunderts, Origenes, einen christologischen Disput aus und ließ sich im Rahmen einer Synode von dessen Standpunkt überzeugen. Origenes hatte schon zuvor von Alexandria aus auf Einladung des Provinzstatthalters die Provinz Arabia bereise 3 und übte auch von Caesarea in Palaestina aus Einfluss auf die Form des Christentums in der Provinz aus, unter anderem durch weitere Lehrdispute auf arabischen Synoden. Art und Inhalt der entsprechenden Beziehungen zwischen den ersten Organisatoren einer einheitlichen christlichen Kirche in der Provinz, dem palästinischen Lehrzentrum des Origenes in Caesarea sowie dem christlichen Zentrum Jerusalem, in dessen Bibliothek sich nach Auskunft des Eusebius die Schriften und Akten der betreffenden Personen und Synoden in seiner Zeit auffinden und einsehen ließen, wurden und werden eingehender untersucht. Die einflussreiche Schrift des Titus von Bostra gegen die Manichäe2 4 wurde in einem weiteren Arbeitsschritt auf ortspezifische Charakteristika und Informationen hin analysiert. Ganz allgemein wurde ebenfalls der Frage nachgegangen, welche Rolle Bischöfe der Region in den reichsweiten theologischen Debatten des vierten Jahrhunderts, auch im Vorfeld des Konzils von Konstantinopel 381, spielten. Als letztes Beispiel für einen Arbeitsschritt sei die Betrachtung der Missionsversuche an den nomadischen Arabern genannt, die ab dem fünften Jahrhundert in Arabia, Palaestina und Syria halbsesshaft wurden und sich zum Christentum bekehrten. Diese Bekehrungen sind weitgehend auf anachoretische christliche Wundertäter zurückzuführen. Ein Vorläufer dieser Missionstätigkeit ist bereits im vierten Jahrhundert der Mönch Hilarion, von dem Hieronymus in seiner Vita die Bekehrung arabischer Hirten in den Städten des Negev berichtet. 35 Im fünften Jahrhundert ist es der Einsiedler Euthymius, der im Jordanraum Araber christianisiert und ihnen sogar eine vom Patriarchen von Jerusalem organisierte kirchliche Verfassung unter eigenen Bischöfen vermittelt. Die Vita dieses Anachoreten wurde im sechsten Jahrhundert von dem mit der Region vertrauten Mönch Cyrill von Skythopolis verfasst. 36 In dem Arbeitsprojekt wurde der Problemkomplex untersucht, wie innerhalb der Spätantike und frühen byzantinischen Zeit Affinitäten von Frömmigkeitsformen, christlIchen Theologien und ethnischen Identitäten entstehen, beispielsweise bei der bereits angesprochenen Relation von monastisch geprägter Lebensform, monophysitischer Christologie und Zugehörigkeit zum arabisch-ghassanidischen Herrschaftsbereich. Soz., H. E. V 15,11 f.; Julian, epist. 114 (52). S.o., Anm. 17. 33 Eus., H. E. VI 19,15. 34 CPG II, 3575; Nagel, P. 1973. «Neues griechisches Material zu Titus von Bostra», in: Irmscher, J., Nagel, P. (Hgg.), Studia Byzantina II (Berliner Byzantinische Arbeiten 44), Berlin, 285-350. Zu der Schrift vgl. die Monographie von Pedersen, N.A. 2004. Demonstrative Proof in the Defense of God (NHMS 56), Leiden. 35 Hieron. vita Hilar. 25. 36 Schwartz, E. 1939. Kyrillos von Skythopolis (TU 49/2), Berlin - zum Thema der «Wüstenbischöfe» ausführlich Markschies, Chr. 1997. «Stadt und Land. Beobachtungen zur Ausbreitung des Christentums in Palästina», in: Cancik, H., Rüpke, J. (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Tübingen, (264-298) 290-294. 31
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Da das Projekt eine Laufzeit bis Ende März 2007 umfasste, können die erzielten Ergebnisse an dieser Stelle noch nicht differenzierter zusammengefasst werden; dies wird an anderer Stelle geschehen. Förderungszeitraum: 2001 bis 2007. Veröffentlichungen Hildebrandt, H. 2001. «I1lyricum», in: H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski u. E. Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. IV, 4. Auflage Tübingen, Sp. 56f. Hildebrandt, H. 2001. , ZAC 5, 371-374. Hildebrandt, H. 2003. «Niketas von Remesiana», in: H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski u. E. Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VI, 4. Auflage Tübingen, Sp. 323 f. Hildebrandt, H. 2004. «Methodische Perspektiven des Schwerpunktprogramms Römische Reichsreligion und Provinzialreligion der DFG», ZAC 8, 41~11. Hildebrandt, H. 2005. «Viktorin von PettaulPtuj», in: H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski u. E. Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VIII, 4. Auflage Tübingen, Sp. 1115. Hildebrandt, H. 2006. «Early Christianity in Roman Pannonia - Facts among Fiction?», in: Frances M. Young/Mark EdwardslPaul Parvis (edd.), Studia patristica XXXIX - Historica, Biblica, Ascetica et Hagiographica, Leuven, 59-64. Hildebrandt, H. 2007. «Vom Mehrwert eines Apostelschülers - Vorstellungen frühen Christentums in Salona», Das Altertum 52 (in Vorbereitung). Hildebrandt, H. 2007. «Genius provinciae - plebs Christi». Christentum unter den Religionen der spätantiken römischen Provinzen Pannonia und Dalmatia (Dissertation, in Vorbereitung). Markschies, Ch. 1997. «Stadt und Land. Beobachtungen zur Ausbreitung des Christentums in Palästina», in: H. Cancik u. 1. Rüpke (Hrsg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Tübingen, 264-298. Markschies, Ch. 1997. «Reichsreligion und Provinzialreligion», ZAC 1, 147f. Markschies, Ch. 2001. «KirchengeschichtelKirchengeschichtsschreibung ill. Christlich-orientalische Kirchengeschichte/Kirchengeschichtsschreibung 2. Übriger christlicher Orient», in: H. D. Betz, D. S. Browning, B. Janowski u. E. Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. IV, 4. Auflage Tübingen, Sp. 1194. Markschies, Ch. 2001. Rez. «Deutsches Archäologisches Institut. Repertorium der christlichantiken Sarkophage. Zweiter Band: Italien mit einem Nachtrag Rom und Ostia, Dalmatien. Museen der Welt, bearbeitet von Jutta Dresken-Weiland. Vorarbeiten von Giuseppe Bovini und Hugo Brandenburg, Mainz 1998», Anzeiger für Altertumswissenschaft 54, Sp. 242-244. Markschies, Ch. 2001. Rez. «R. PillingerN. Popova/B. Zimmermann (Red.), Corpus der spätantiken und frühchristlichen Wandmalereien Bulgariens, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Schriften der Balkan-Kommission. Antiquarische Abteilung Nr. 21, Wien 1999», Anzeiger für Altertumswissenschaft 54, Sp. 244-246. Markschies, Ch. 2002. «Lehrer, Schüler, Schule: Zur Bedeutung einer Institution für das antike Christentum», in: U. Egelhaaf-Gaiser u. A. Schäfer (Hrsg.), Religiöse Vereine in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung (Studien zu Antike und Christentum 13), Tübingen, 97-120. Markschies, Ch. 2004. «Apostolizität und andere Amtsbegründungen in der Antike», in: Th. Schneider u. G. Wenz (Hrsg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. I Grundlagen und Grundfragen, mit Beiträgen von J. Frey u. a., für den Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen, Dialog der Kirchen 12, Freiburg im Breisgau/Göttingen, 296-334.
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Markschies, Ch. 2005. Ambrosius von Mailand, De Fide fad Gratianum]. Über den Glauben fan GratianJ, übersetzt und eingeleitet von Ch. Markschies, Fontes Christiani 47/1-3, Tumhout. Markschies, Ch. 2006. «Intellectuals and Church Fathers in the Third and Fourth Centuries», in: O. Limor and G. Stroumsa (edd.), Christians and Christianity in the Holy Land. From the Origins to the Latin Kingdoms (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 5), Leiden, 239-256. Markschies, Ch. 2006. «Die Kirche in vorkonstantinischer Zeit. Teil B: Von der Mitte des 2. bis zum Ende des 3. Jahrhunderts», in: B. Moeller (Hrsg.), Ökumenische Kirchengeschichte Bd. 1 Von den Anfängen bis zum Mittelalter, von M. Ebner, W. Hartmann, B. Kötting, R. Kottje, Ch. Markschies u. A. Schindler, Darmstadt, 59-98 (samt Bibliographie S. 251-255). Markschies, Ch. 2007. Einheit und Vielheit des spätantiken Christentums in Palästina (im Druck für ZDPV).
Erforschung der novatianischen .sonderkirche und ihrer Eingliederung in die Kultur des westlichen Kleinasiens VERA HIRSCHMANN
Ist die in den Quellen l betonte zahlenmäßige Stärke der Novatianer im westlichen Kleinasien durch Parallelen zwischen der indigenen paganen Religion und wesentlichen Elementen des Novatianismus 2 erklärbar, wie es sich beispielsweise für die montanistische Bewegung nachweisen läßt?3 So lautete die Fragestellung des Projektes. Im Gegensatz zu den bisherigen theologisch4 oder kirchenhistorisch5 ausgerichteten Untersuchungen der novatianischen Sonderkirehe wurden die epigraphischen Quellen sowie die Schriften Novatians unter der genannten Fragestellung ausgewertet und mit parallelen Elementen der paganen Kulte verglichen. Da das Projekt nur ein Jahr im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1080 integriert war, lassen sich umfassende und differenzierte Ergebnisse erst für die Wiederaufnahme des Projektes 2005 an der Universität Heidelberg aussagen. 6 Das erste Projektjahr zeigte jedoch, dass sich erhebliche Parallelen zwischen den sogenannten kleinasistiaschen Beichtinschriften7 und der Bußdisziplin der Novatianer feststellen lasssen. Weitere Übereinstimmungen sind in der Verehrung der kleinasiatischen paganen Engel8 und der in der novatianischen Schrift De Trinitate zutage tretenden Engelschristologie Novatians erkennbar. Parallel zur Quellenforschung wurde der Aufbau einer Literaturdatenbank aufgenommen, die zukünftig über das Netz der Universität Heidelberg zugänglich sein soll.9 Bereits im ersten Projektjahr wurde deutlich, dass die ursprüngliche Fragestellung sowohl regional als auch thematisch ausgeweitet werden muß. Die literarischen Zeugnisse, insbesondere die detailreichen Informationen des Kirchenhistorikers Sokrates, machten die genaue Erforschung der novatianischen Kirche in Konstantinopel notwendig. Das epigraphische Material des kleinasiatischen Hinterlandes wies auf eine gesellschaftliche Etablierung novatianischer Christen im ländlichen Geschehen hin,' die ihren Widerhall in der Bedeutung und Funktion der Novatianer in Konstantinopel findet. Als Gegenpol zur Entwicklung der novatianischen Kirche im Osten Vgl. Socr. H. E. 4, 28. Z. B. der Bußrigorismus oder das Gottesbild. Dazu Mitchell St. 1993. Anatolia Il. The Rise of the Church, Oxford, 97. 3 Dazu Hirschmann 2005. 4 Z. B. Vogt, H. J. 1968. Coetus Sanctorum. Der Kirchenbegriff Novatians und die Geschichte seiner Sonderkirche (Theophaneia 20), Bonn. 5 Z. B. Mitche1l1993, 93-108. Wallraff, M. 1997. , ZAC 1, 251-279. 6 Leitung: V. Hirschmann. 7 Petzl, G. 1994. Die Beichtinschriften Westkleinasiens (EA 22), Bonn. S Dazu Hirschmann: 2007. 9 Verantwortlich: S. Jawor-Jussen. I
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wird gegenwärtig auch das Fortleben der novatianischen Sonderkirche im Westen (mit Schwerpunkt Rom) untersucht. Das Ziel ist eine sozial-historisch ausgerichtete Monographie, die eine Ergänzung zu der Arbeit von Vogt aus dem Jahr 1968 anbieten soll und neue Einblicke in die Entwicklung der frühen Kirche gewährt. Der ursprünglich angestrebte Vergleich zwischen der montanistischen Bewegung und der novatianischen Sonderkirche erwies sich als thematische Überfrachtung und wurde in ein eigenes Projekt ausgegliedert. 10 Projektleiter: Anthony R. Birley. Weitere Mitarbeiterin: Simone Jawor-Jussen. Förderungszeitraum: 2001. Veröffentlichungen Hirschmann, V. 2005. Horrenda Secta. Untersuchungen zum frühchristlichen Montanismus und seinen Verbindungen zur paganen Religion Phrygiens, Historia Einzelschirften 179, Stuttgart 2005. Hirschmann, V. 2007. «Zwischen Menschen und Göttern. Die kleinasiatischen Engel», Epigraphica Anatolica (im Druck).
10 Hirschmann, V. Die phrygische Opposition. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der christlichen Sondergruppen der Montanisten und Novatianer (in Vorbereitung).
Provinzialreligion in Ägypten MARElLE HAASE
Gegenstand der Untersuchung war die Frage nach der im Zuge der Provinz erhebung Ägyptens veränderten Wahrnehmung des geographischen Ortes im Medium der Religion «Kognitive Kartell». Soweit innerhalb des Förderzeitraums von zwei Jahren möglich, wurde diese Fragestellung, ausgehend von einer Fokussierung auf den Kult der Gottheit Isis, am Beispiel ausgewählter Orte zunächst innerhalb, aber auch anhand einzelner repräsentativer Orte außerhalb Ägyptens behandelt. Unter den konkreten Mechanismen, die der Veränderung der Raumwahrnehmung zugrunde liegen können, wurde hier besonders nach einer möglichen Bedeutung der im Zuge der Provinzerhebung durchgeführten politisch-administrativen Eingriffe auf die konkrete räumliche Struktur Ägyptens und auf den administrativen Status ägyptischer Orte gefragt. Über die Frage nach der Raumwahrnehmung wurde ein Zugang zur Frage nach einer Provinzialreligion sowie einer Reichsreligion und ihrem Status gesucht. Mit ist das geistige Wahrnehmungsbild einer sakralen Topographie gemeint, innerhalb dessen bestimmte Kultelemente an bestimmten geographischen Orten lokalisiert werden. Das Modell ermöglicht die im Dachantrag zum Schwerpunktprogramm geforderte Unterscheidung zwischen dem konkreten geographischen Raum und der durch individuelle Erfahrung geprägten subjektiven Wahrnehmung dieses Raumes. wird so nicht einfach als Gesamtheit von Kultelementen gefaßt, die innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes zu einer bestimmten Zeit überliefert sind. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit, anhand der möglicherweise unterschiedlichen Raumwahrnehmung durch verschiedene Gruppen gerade die möglicherweise geringe kulturelle Homogenität eines geographischen Raumes aufzudecken. Das Modell eröffnet ferner parallel zwei Wege einer Annäherung an die Frage nach Reichs- und Provinzialreligion: auf einer diachronen Ebene kann nach Verschiebungen in der Raumwahrnehmung nach dem Zeitpunkt der Provinzerhebung gefragt werden; auf einer räumlichen Ebene kann die Binnenwahrnehmung der Bezüge zwischen ägyptischen Gottheiten und Kulten gegen eine Wahrnehmung von außerhalb Ägyptens, von anderen Orten des Imperium aus, abgeglichen werden. Die ägyptischen Kulte und speziell der Isis-Kult sind besonders geeignet, die Ebene der von möglichen höheren Ebenen «Reich>?; stadtrömische Kulte?) abzusetzen und ihre wechselseitige Dynamik zu beleuchten. Bei der Frage nach den möglichen Mechanismen, die zu einer Veränderung von Religion im Zuge der Provinzerhebung führen können, kommt den administrativen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu. Neben einer Definition als geographisches Gebiet oder Gesamtheit kultureller Räume ist auch eine Definition von als Verwaltungseinheit möglich. Diese Ebene läßt sich in Ägypten anhand der
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Mareile Haase
besonderen Quellenlage besonders gut abgreifen. Durch die zahlreichen Papyri bietet Ägypten einen <mikroskopischen> Zugriff auf konkrete sozialgeschichtliche Konstellationen einer römischen Provinz, wie er sonst kaum je gegeben sein dürfte. Ein Schwerpunkt der Arbeit im Förderzeitraum lag auf der Verfeinerung der für die Beleginterpretation angewandten Methode. Dieser Arbeitsschritt konnte weitgehend abgeschlossen werden. Arbeiten aus der Geographie, der Städteplanung und der· Verhaltensforschung erwiesen sich insofern als weniger einschlägig für das vorliegende Projekt, als sie häufig Probleme der konkreten Wegfindung zum Gegenstand haben. Dagegen lassen sich Forschungen aus der Kognitions- und Entwicklungspsychologie für das römerzeitliche Ägypten fruchtbar machen, die das Erlernen und Umlernen Kognitiver Karten untersuchen. Denn bereits der Titel des Schwerpunktprogramms impliziert die Existenz kollektiver, provinz- oder reichsweiter Wissensordnungen. Zusätzlich zu dem Entwurf eines auf das kaiserzeitliche Ägypten anwendbaren methodischen Modells Kognitiver Karten wurden die Begriffs- und die Ideengeschichte dieses Konzeptes untersucht, Aspekte, die trotz einer umfangreichen interdisziplinären Forschungsliteratur zum Thema bisher nicht aufgearbeitet sind. Die Ergebnisse zur Begriffsgeschichte wurden auf der Dritten Arbeitstagung des Schwerpunktprogramms im Mai 2002 in Erfurt vorgestellt: Im Rahmen des vorliegenden Projektes, dessen Gegenstand nicht der geographische Raum der Provinz Aegyptus ist, sondern dessen Wahrnehmung im Kontext religiöser Reflexion und religiösen Handeins, wird das Modell Kognitiver Karten innerhalb einer religionswissenschaftlichen Handlungstheorie verortet. Die Suche nach antiken Konzepten zur Raumwahrnehmung im Rahmen einer Untersuchung ideengeschichtlicher Aspekte führte in die antike Rhetorik. In den entsprechenden antiken Texten wird, auf philosophischer Grundlage, räumliche Orientierung als mentaler Prozeß beschrieben; insofern konnte das im Rahmen der Begriffs geschichte identifizierte Konzept auf das antike zurückgeführt werden. Neben der Aufnahme und Auswertung der Belege zu den räumlichen Bezügen aus griechisch-römischer Zeit innerhalb des Isis-Kultes, die in erster Linie Gegenstand des vorliegenden Projektes sind, wurden auch die ägyptischen Textbelege aus pharaonischer Zeit berücksichtigt. Die im Verlauf der Projektbearbeitung vorgenommene Konzentration auf Kulte der Gottheit Isis hat sich auch hier als sinnvoll erwiesen: Die Anordnung ägyptischer Panthea nach lokalen Kriterien ist ein häufig gewähltes Muster nicht nur innerhalb der modemen Religionsgeschichtsschreibung des Alten Ägypten, sondern auch innerhalb der traditionellen altägyptischen Theologie selbst. Anhand der Sekundärliteratur wurde ein Überblick über die formale und semantische Systematik altägyptischer Epitheta erarbeitet. Die Auswertung der Belege in den klassischen Sprachen war bei Förderungsende im Gange und wurde erweitert durch vertiefte Interpretationen einzelner zentraler Quellen. Ebenfalls in Arbeit war die Aufnahme und Interpretation kaiserzeitlicher Belege in ägyptischer Sprache. Die Frage nach der Rolle von Administration im Projekt wurde im Zuge der Projektbearbeitung konkretisiert: Eine Fokussierung auf die administrativen Maßnahmen zur Raumorganisation Ägyptens in der Kaiserzeit erwies sich hier als sinnvoll.
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Der vorstehende Bericht wie die Publikationsliste beziehen sich auf die Laufzeit der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Nach Ende der zweijährigen Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde das Forschungsprojekt aus anderen Mitteln weiterfinanziert; ein zweijähriges Qualifikationsstipendium aus Mitteln des Hochschul- und Wissenschaftsprogramms erlaubte die Fortführung. So konnten die im Zuge der DFG-Förderung angelegte Belegsammlung ergänzt und die begonnenen Interpretationen weitergeführt und vertieft werden. Dies konnte vor dem Hintergrund einer umfangreichen Übersicht über die konkreten Isis-Kultorte innerhalb Ägyptens geschehen, die im weiteren Verlauf des Projektes erarbeitet wurde und vor deren Hintergrund die örtlichen Bezüge in den Texten als nicht zufällige Selektion erklärt werden müssen. I Grundsätzlich trat inhaltlich nach der Ausgliederung aus dem Schwerpunktprogramm der komparatistische Aspekt (Vergleich mit anderen Provinzen des Römischen Reiches vor allem im Bereich der Administration) zugunsten einer möglichst detaillierten Betrachtung der Region selbst (Kulttopographie; Repertoire archäologisch belegter Kultelemente) in den Hintergrund. Ein sechsmonatiges Auslandsstipendium des DAAD und der Maison des Sciences de l'Homme für das College de France in Paris im Jahr 2003 ermöglichte die Arbeit in einer ausgezeichneten Bibliothek und die Fortsetzung bestehender sowie das Knüpfen neuer Kontakte zu französischen Kollegen, die ebenfalls zum römischen Ägypten arbeiten. Projektleiter: Jörg Rüpke. Förderungszeitraum: 2000 bis 2002. Veröffentlichungen Haase, M. 2000. «Forschungsbericht Römische Religion (1990-99): Ägypten», Archiv für Religionsgeschichte 2, 312-315 [die Folge wurde 2003 und wird 2007 fortgesetzt] . Haase, M. 2001. «Isis/Osiris 11: Griechisch-römische Antike», Religion in Geschichte und Gegenwart4 4, 249. Haase, M. 2002. [Review] «David Frankfurter, Religion in Roman Egypt», Numen 49, 350f. Haase, M. 2002. «Theoi Patrioi», Der Neue Pauly 12/1, 358. Haase, M. 2002. «Aretalogien», Der Neue Pauly 12/2, 902f. Haase, M. 2002. «Mumienporträt und <1udenbild> 1933 - 1943 - 1996», in: C. Auffarth, J. Rüpke (Hgg.), Epitome tes oikoumenes: Studien zur römische Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 6), Stuttgart: Steiner, 237-261. Haase, M. 2003. [Review] «David Frankfurter, Religion in Roman Egypt», Zeitschrift für Antikes Christentum 7, 350-353. Haase, M. 2004. «Kulte der Isis in den germanischen Provinzen», in: Y. Le Bohec, L. Bricault (Hg.), Isis en Occident: Deuxieme congres international des etudes isiaques, Table ronde Lyon 2002. Leiden: BrilI, 107-136.
I Vgl. für die Heiligtümer Haase, M. 2005. «Zu einem Repertoire der Isis-Heiligtümer im kaiserzeitlichen Ägypten», in: A. Hoffmann (Hg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des römischen Reiches, Internationales Kolloquium 5./6. September 2003 in Bergama (Türkei), 197-208.
Opferdarstellungen im römischen Kleinasien: Kultikonographie zwischen Adaption und Distinktion Rituale und Ikonographie in der Africa Proconsularis: Religiöses Handeln im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und Integration: Eine Gegenüberstellung GÜNTHER SCHÖRNER
Fragestellung und Methoden Die beiden Projekte und beschäftigten sich in erster Linie mit der Ikonographie von religiösen Ritualen in ausgewählten Bereichen des Imperium Romanum. Beide Regionen wurden zunächst aufgrund ihres Materialreichtums ausgewählt, erwiesen sich aber nicht nur in rein kunsthistorisch-bildgeschichtlicher Hinsicht ergiebig, sondern boten Möglichkeiten, komplexere Fragen zur Konzeption und Nutzung religiöser Bildsprache zu diskutieren, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie sich gegenseitig in den Nutzungsoptionen für religiöse Bildsprache ideal ergänzten. gehört zu den frühesten Teilprojekten und wurde bereits im Herbst 2000 beantragt und bis Ende 2004 gefördert. Zusammen mit dem in den Jahren 2005 bis 2006 anschließenden Pendant-Unternehmen war Kultikonographie somit ein Thema, das während der gesamten Laufzeit im Schwerpunktprogramm vertreten war. Als <Ein-Mann-Unternehmen> konzipiert und durchgeführt, wurde es jedoch auch immer in zwei kleineren Projekten behandelt. Grundlegend für beide Projekte war zunächst eine möglichst komplette Erfassung des archäologischen Materials, das heißt der bildlichen Darstellungen und ihrer unterschiedlichen Träger. Konkret bedeutete das, dass über eintausendfünfhundert Votivreliefs, Stelen, Altäre, Architekturteile und Münztypen aufgenommen und untersucht wurden. Für Kleinasien bestand die Erschließung der Denkmäler in vielen Fällen in primärer Forschungsarbeit mit der Aufnahme auch unveröffentlichter - und dem Wiederentdecken verschollener - Denkmäler. Für Afrika konnte zwar insbesondere für die Monumente des Saturnkultes auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden, das gesamte Spektrum an Denkmälern für unterschiedliche Kulte sowie vor allem die Einbettung in einen größeren Kontext und ihr genaues Aussehen aber konnte nur in Autopsie in Erfahrung gebracht werden. Umfangreiche Reisen in beide Regionen des Imperium Romanum waren deshalb unabdingbare Voraussetzungen für eine wissenschaftlich sinnvolle Beschäftigung mit den Materialgruppen und ihre fundierte Analyse.
Kultikonographie im römischen Kleinasien und Africa
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Lag zunächst der beabsichtigte Schwerpunkt auf Bildtypologie und Ikonographie im engeren Sinne, so wurde sehr schnell bereits in der ersten Phase des Schwerpunktprogramms klar, dass eine Ausweitung der Fragestellung über einen engeren kunsthistorischen Ansatz und vor allem eine Öffnung zu religionswissenschaftlichen Fragestellungen notwendig war. In der grundSätzlichen Erschließung neuer Frageoptionen und Zugriffsmöglichkeiten lag der besondere Reiz und meines Erachtens das spezifische Potential der beiden Projekte. Großer Fortschritt war, archäologische Monumente für die kulturwissenschaftliche Dimension der Religionswissenschaft nutzbar zu machen. Dies bedeutete konkret, dass die traditionelle Engführung auf Ikonographie oder Antiquaria deutlich ausgeweitet werden und traditionelle Muster von <Motivbiographien> aufgelöst werden konnten. Raum Ein besonders wichtiger Parameter für das Schwerpunktprogramm war allgemein das Raumkonzept, spezielles Interesse galt den Mechanismen bei der Formierung kultureller Räume und der Bildung lokaler Spezifika im Sinne des Gesamtproblems . Um die beiden Teilprojekte für die Fragestellung nutzbar zu machen, war deshalb eine genauere Beschäftigung mit dieser Kategorie erforderlich. Wie bei anderen Teilprojekten (vergleiche zum Beispiel das Makedonien-Projekt) erwies sich der ursprüngliche Versuch, eine Provinz als geographischen Untersuchungsraum herauszugreifen und insbesondere durch Analyse der Opferdarstellungen als materialinhärente sinnvolle Raumgröße zu etablieren, als nicht erfolgreich. Die Verwaltungseinheit war bis auf wenige Ausnahmen (so der Ikonographie des als Gottheit aufgefassten römischen Senats, der Hiera Synkletos) für die Kultikonographie irrelevant. Selbst in rein ikonographischer Hinsicht erwies sich die ursprünglich vorgesehene Einschränkung auf eine auch noch so vielfältige Provinz, nämlich Asia, als nicht materialadäquat: Zum einen zeigte sich nämlich die Provinz als zu kleinräumige Einheit, da Bildformeln identifiziert werden konnten, die im vor allem griechisch geprägten, das heißt dem gesamten westlichen und südlichen Teil Kleinasiens, also auch in Lycia et Pamphylia oder Pontus et Bithynia, verbreitet sind, so vor allem das Motiv des isoliert stehenden, an einem Ring festgebundenen Rind. Einzelne spezifische Bildtypen wiederum sind lokal eng begrenzt und besitzen distinktive Merkmale auf regionaler und städtischer Ebene. Die Einbeziehung des Materials der kleinasiatischen Nachbarprovinzen der Provinz Asia war deshalb aus inhaltlichen Gründen unvermeidlich. Über die rein ikonographische Ebene hinaus konnte erst die Ausweitung auf den gesamt-kleinasiatischen Rahmen zeigen, wie sehr die Opferdarstellungen medien spezifisch geprägt waren, das heißt wie sehr ihr Vorkommen im Wesentlichen von der Bindung an entsprechende Medien und ihre Einbettung in einen spezifischen kulturellen Funktionszusammenhang abhing. Nicht ganz so eindeutig konträr zum Konzept der im wörtlichen Sinn sich verhaltend, aber dieses trotzdem konterkarierend erwies sich die Situation in Nord afrika. Auch hier sind vor allem durch die Bindung der größten Gruppe von Opferdarstellungen an den Saturnkult zwei stark differierende Raumgrößen zu unterscheiden: Zunächst meint das den Großraum, in dem der Saturnkult
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Günther Schörner
in der Form praktiziert wurde, dass regelmäßig Stelen aufgestellt wurden, und der nicht mit Africa Proconsularis übereinstimmt, sondern einerseits auch Numidia und Teile von Mauretania umfasst, andererseits die Tripolitania als östlichen Bereich der Africa Proconsularis ausspart. Schließlich gliedert sich dieser kulturelle Großraum in viele kleine Zonen, die einzelne Heiligtümer oder Cluster von ein paar wenigen Heiligtümern umfassen, die sich aufgrund der Ikonographie und des Stils der dort aufgestellten Votivstelen enger zusammenschließen lassen. Besonders fruchtbringend für die Charakterisierung von Opferdarstellungen war die Frage nach den Möglichkeiten der Konstituierung einer Zentrum-PeripherieRelation. Da nicht Rom direkter Bezugspunkt war, sondern andere kleinasiatische Städte, erwies sich die Hypothese, dass die Hauptstadt auch Kultikonographie nutzt, um sich als Zentrum zu etablieren, als falsch. Der Zentrum-Begriff gewann dadurch eine neue Dimension, da Anstrengungen unternommen werden müssen, die eigene Zentralität gegenüber den konkurrierenden Nachbarstädten zu etablieren. In Folge dieser gegenseitigen Bezugnahme müsste auf einer Karte für die kleinasiatischen Provinzen ein Nebeneinander verschiedener Zentralorte verzeichnet werden. In Nordafrika ist die Situation ganz anders als in Kleinasien zu beurteilen: Gerade durch die - relativ wenigen - Opferdarstellungen im öffentlichen Raum, die nicht mit Saturn verbunden sind, zeigt sich deutlich der direkte Einfluss Roms. Bestes Beispiel ist der Gens Augusta-Altar aus Karthago, der ein explizit stadtrömisches Bildprogramm zeigt nicht nur hinsichtlich der mythologischen Szenen, sondern auch in Bezug auf die Wiedergabe eines Opfers mit dezidiert hauptstädtischer Ikonographie. Aber auch andere weniger bekannte Denkmäler beweisen die direkte Abhängigkeit von einem Zentrum, das auch stilistisch-ikonographisch als solches konstituiert wird. Diese Abhängigkeit zeigt sich jedoch nur in einem speziellen Teilbereich der Kultikonographie, während die Opferdarstellungen auf den Saturnstelen ähnlich wie in Kleinasien nur mit anderen Mitteln und einer anderen Zielstellung eine Polyzentralität herstellen. 1 Doch die Relation Provinz-Hauptstadt ist nicht die einzige räumliche Bezugsgröße: Als Beweis für den hohen Grad an Integration im Imperium Romanum kann die Tatsache interpretiert werden, dass auch in Nordafrika ikonographische Eigenheiten auftauchen, die in Kleinasien entwickelt wurden, so vor allem das an einem Ring festgebundene Opferrind. Wie in vielen anderen Bereichen zeigt sich hiet;, dass auch im Hinblick auf Kultikonographie Globalisierung nicht identisch ist mit Zentralisierung. Zeit Als wesentlich problematischer als die räumliche Komponente erwies sich die temporäre: Übergreifende Schlüsse in chronologischer Hinsicht sind aufgrund der Schwierigkeiten, die meisten Monumente mit Ausnahme der Münzen und einzelner Reliefs zu datieren, grundsätzlich nur unter Vorbehalten möglich. Als signifikante Phasen können zumindest sowohl für Kleinasien als auch für Nordafrika die augusteische Zeit und das frühe und mittlere zweite Jahrhundert bezeichnet werden, so dass grundsätzlich eine Formierungsphase und eine entwickelte Phase unterschieden werden können. In der frühen Kaiserzeit erfolgte vor allem in Nordafrika die Über-
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nahme hauptstädtischer Ikonographie durch teilweise recht genaue Imitationen stadtrömischer Denkmäler. Für Kleinasien können die ersten Opferdarstellungen auf Münzen in diese Zeit datiert werden. Gleichzeitig brachte die augusteische Zeit auch das Ende einzelner Traditionslinien, die sich noch auf vorrömische Zeit zurückverfolgen lassen, so in Kleinasien die Abfolge von Wejhreliefs mit Opferzug, die bereits in der späten Klassik beginnt. Die mittlere Kaiserzeit seit den Antoninen, in Vorgriffen schon seit den Flaviern, besitzt schon aufgrund der sehr großen Anzahl von Opferdarstellungen eine eigene Qualität. Trotz der sehr unterschiedlichen sozialen Verankerung und Funktion der Bilder und ihrer Träger in Nordafrika einerseits und Kleinasien andererseits ist die Zeit vor allem von circa 150 bis 250 n. Chr. in beiden Regionen die materialreichste. Der hohe Bedarf an Kultdarstellungen ist durch unterschiedliche Gründe bedingt, folgt aber allgemein der in diesen Reichsteilen üblichen Mengenverteilung anderer monumentaler Kulturäußerungen wie Architektur und Skulptur. Gleichzeitig mit diesem quantitativen Maximum erfolgte im Laufe des zweiten Jahrhunderts eine weitgehende Verfestigung des ikonographischen Repertoires im Zusammenspiel mit einer immer routinierteren Anwendung in den jeweiligen Funktionszusammenhängen. Darstellungscharakteristik
In Kleinasien sind grundsätzlich verschiedene Formen von Opferdarstellungen anzutreffen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Zunächst gibt es seit klassischer Zeit Opferdarstellungen in einer allgemeinen griechischen Tradition, die einen Opferzug zeigen in einer Phase, die dem Töten des Opfertieres vorausgeht, wobei das blutige Opfer nur mittelbar Bildinhalt ist. Vermutlich im Hellenismus wird dann ein Modus von Darstellungen entwickelt, der signifikante eigene Züge trägt. Besonders charakteristisch für diese Form ist die Thematisierung des Tötens durch Wiedergabe eines angebundenen Opfertieres, obwohl auch diese Gruppe noch die Phase vor der Schlachtung wiedergibt. In Nordafrika ist neben wenigen, stark an der Hauptstadt orientierten Monumenten das Gros der Opferdarstellungen auf Stelen an Saturn, seltener an Demeter zu finden. Ausführliche, figurenreiche Erzählsequenzen sind bei diesen Denkmälern selten, wesentlich häufiger findet sich die isolierte Wiedergabe von Opfertieren - bei Saturn Schaf und Rind, bei Demeter Schwein - oder die Darstellung der Tötung durch einen Opferdiener. Diese Form der auch räumlich abgesonderten Darstellung steht wohl in punisch-indigener Tradition. Durch den Vergleich mit italischen, vor allem hauptstädtischen Monumenten konnten wesentliche Unterschiede in der Konzeption der Opferdarstellung in den ausgewählten Kulturräumen festgestellt werden. Den Ausgangspunkt bildete die Frage, wie häufig die unterschiedlichen Phasen des Opfers als Sujet dienten. Grundsätzlich wurde in Rom wesentlich häufiger die Phase vor der eigentlichen Tötung (prekill) gezeigt, während in Kleinasien diesem Moment, dem kill, besondere Aufmerksamkeit galt. Noch gravierender ist freilich, dass die häufigste Form der Opferdarstellung in Kleinasien und in noch stärkerem Maße in Nordafrika non-narrativ ist, während in Rom diese Art relativ selten vorkommt. Bei non-narrativen Opferdarstellungen wurde auf eine erzählerische Komponente ganz verzichtet, in Kleinasien
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wurde entweder das Opfertier und ein Altar oder Opfertier, Altar und eine Gottheit gegenübergestellt, derweil in Afrika die Opfertiere vorwiegend allein oder paarweise dargestellt wurden. Während in Kleinasien und Nordafrika das Opfertier somit besonders betont und häufig durch diese non-narrative Darstellungsform herausgestellt wurde, war das erzählerische Moment in Rom viel wichtiger. Entscheidend war die Wiedergabe der vollständigen Ritualsequenz mit der typischen Zusammenschau von Voropfer mit dem Protagonisten und der zeitgleichen Bereitstellung des Opfertieres oder dem etwas seltener dargestellten, später stattfindenden Hauptopfer. Neben Unterschieden in der Wahl der dargestellten Phasen konnte auch die Darstellungsweise ganz unterschiedlich sein: Zeigt eine Tötungszene in Rom die beteiligten Opferdiener in großer Genauigkeit beziehungsweise ist als Ausschnitt einer ausführlichen Darstellung erkennbar, konnte in Kleinasien und Nordafrika eine entsprechende Szene wesentlich knapper geschildert werden und näherte sich in der Sparsamkeit der verwendeten erzählerischen Mittel einer non-narrativen Darstellung an. In Kleinasien bestand sie häufig nur aus einer Gegenüberstellung von Opfertier und dem Tiertöter mit Messer, während in Mrika die Darstellung der Tötung beziehungsweise die vorgeschaltete Betäubung mit einem Opferdiener mit Keule oder Axt verbunden wurde. Durch die besondere Manier, wie Opfer ikonographisch umgesetzt wurden, waren das Voropfer mit der Hauptperson und die Tötung des Opfertieres in Kleinasien nur selten gemeinsames Bildthema. Kleinasiatische Opferdarstellungen konnten deshalb auch Einzelpersonen nur selten zu repräsentativen Zwecken herausstreichen, dann häufig in unrealistischer Art und Weise, wie es bei den kleinen von Frauen begleiteten Opferrindern auf Säulensarkophagen der Fall war, oder man fand andere Formen der Repräsentation wie zum Beispiel am Fries des Theaters von Perge, wo sich die Honoratioren der Stadt stolz als ßO'\Ytp6
Um die Konzentration auf die Ikonographie aufzugeben und die Darstellungen in einen weiteren Kontext einzubinden, war es in einem ersten Schritt notwendig, die jeweiligen Bildträger mit ihren spezifischen Eigenheiten zu erfassen. Dabei konnte
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eine Typologie von Monumenten, .die als Träger von Ritualdarstellungen dienen konnten, erstellt werden: Sakralbauten, Altäre und andere religiöse Anlagen, an denen in Relief ein Ritual szenisch oder emblematisch wiedergegeben wurde, sind sowohl in Nordafrika als auch Kleinasien relativ selten. Tempelanlagen mit Opferfriesen sind kaum überliefert (eventuell KIzllcabölük), etwas häufiger sind Altäre, vor allem in Kleinasien auch monumentale öffentliche Anlagen (Altar des Domitianstempel in Ephesos, PartherMonument) mit Darstellungen, die auf den betreffenden Kult Bezug nahmen. Gerade die Opferdarstellung des Parther-Monuments ähnelt mit seiner großen Anzahl an anonymen sakralen Funktionsträgern den ausführlichen Schilderungen der Ara Pacis. In Nordafrika können vergleichbare Denkmäler nur aus Einzelreliefs oder Fragmenten erschlossen werden. Votivdenkmäler, insbesondere Weihreliefs an Saturn, bilden mit Abstand die größte Denkmälergruppe in Nordafrika. Szenische Schilderungen von Opfern sind selten, der Realitätsbezug scheint gering, zumal die Reliefs auf den Stelen viel zu ungenau und zu variabel sind, um als wirklich praktikable Handlungsanweisung gelten zu können. Sie sind nur verständlich, wenn sie in ein Handlungsschema eingebunden werden können. In Kleinasien ist die Monumentengruppe der Votivreliefs vor allem mit zwei Serien vertreten, den Weihreliefs der beiden letzten vorchristlichen Jahrhunderte in Mysien und den kaiserzeitlichen Reliefs an Men aus Antiocheia ad Pisidiam. Die pisidischen Denkmäler besitzen non-narrativen Charakter, die mysischen Beispiele sind sehr stark klassischen Vorstellungen verpflichtet. Nur bei den Darstellungen mit Rinderopfern auf diesen Weihreliefs kommt es zu innovativen Bildlösungen, die realistisch wirken. Das relativ abrupte Ende dieser Reliefs im späteren ersten Jahrhundert v. Chr. beziehungsweise zu Beginn des ersten Jahrhunderts n. Chr. zeigt, wie der Wandel des kulturellen Milieus Änderungen der materiellen Manifestationen nach sich zieht. Während die nordafrikanischen Opferdarstellungen sich im Wesentlichen auf Objekten dieser beiden Gruppen befinden, wird die Sonderrolle Kleinasiens dadurch deutlich, dass bei ihnen öffentliche Bauwerke und Monumente, die nicht mit einer speziellen Person verbunden waren, die wichtigste Rolle als Medien spielen: Theaterfriese im großen Format sowie lokale Münzprägungen im kleinen Format sind wichtige Träger für Opferdarstellungen unterschiedlicher Charakteristik, aber identischer Aufgabe. Sie waren eingebettet in eine spezifische Kommunikationsform, die unter dem Stichwort <Städtekonkurrenz> subsumiert werden kann. Öffentliche Denkmäler, mit denen die Rühmung einer Person verbunden war, das heißt politische Funktionsbauten, Ehren- und Siegesdenkmäler zum Ruhm des römischen Staates und vor allem des römischen Kaisers, die auch Opferdarstellungen trugen, sind in Kleinasien im Gegenzug sehr selten, wobei freilich Münzen, die den opfernden Kaiser zeigen, ambivalent aufgefasst werden können. In Nordafrika sind einzelne solcher Monumente vor allem aus Tripolitanien bekannt, wie das Theater von Sabratha und der Bogen von Lepcis zeigen. Sie belegen eine stärkere Bindung an römisch-italische Praktiken der Funktionalisierung von Ritualdarstellungen, die der öffentlichen Repräsentation und bildlichen Umsetzung von Tugenden dienen, doch bleiben diese Monumente isoliert.
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Auch aufwändige, mehrgeschossige Grabdenkmäler mit Opferdarstellungen kommen zwar in Nordafrika, nicht jedoch in Kleinasien vor. Auch hier sind sie gut mit römischen Monumenten vergleichbar. Eine indigene Besonderheit ist jedoch die wichtige Rolle des Totenkults, die sich im besonders hohen Aufwand bei Opfern für die Verstorbenen äußert (Ghirza, eventuell Mactar) und der auch bildlich umgesetzt wird. Im Unterschied zu Italien spielen Kultdarstellungen in Gattungen der privaten Sphäre in Kleinasien anscheinend keine Rolle. Ritualikonographie ist ein öffentliches Phänomen. In Nordafrika kommen Opferdarstellungen nur vereinzelt und nur in spezifischen Bildzusammenhängen vor, zur Charakterisierung von Monaten als Bestandteil eines Festes (Thysdrus) oder in dionysischem Kontext (Cuicul). Erstaunlich ist, dass die Prominenz des Satumkultes nicht auch ihren Niederschlag im privaten Umfeld findet; anscheinend findet keine Form der Anschlusskommunikation über das Geschehen im Heiligtum statt. Funktionszusammenhänge
Die Analyse von Opferdarstellungen in Kleinasien und Nordafrika führte schließlich zur sicher grundlegenden Frage, in welchem Kontext und zu welchem Zweck die Bilder und ihre Träger verwendet wurden. Geradezu zwingend wurde diese Frage durch die auffälligen Unterschiede beider Bereiche, die einen direkten Vergleich herausforderten. Kontrastiert man nämlich Kultikonographie in Kleinasien und Nordafrika miteinander, so wird ein grundsätzlicher Unterschied in der Funktion deutlich: Während in Nordafrika die meisten Opferdarstellungen selbst aus einem rituell bestimmten Kontext stammen, das heißt im Wesentlichen selbstreferentiell sind, besteht in Kleinasien überwiegend ein nicht primär oder nicht ausschließlich durch die religiöse Praxis bestimmter Zusammenhang. Die in Nordafrika besonders auf Votivstelen an Saturn präsentierten Opferdarstellungen sind in einem fest definierten Bedeutungsfeld verankert, das keinen interpretativen Spielraum zulässt. In Kleinasien sind dagegen Münzen die häufigsten Träger von Opferdarstellungen. Sie sind deshalb nicht direkt mit den wiedergegebenen Ritualen verbunden, eine Interpretation ist demgemäß entschieden offener beziehungsweise anders orientiert. Die wichtigste Voraussetzung für eine gebrauchsadäquate Analyse der Kultdarstellungen liegt deshalb in ihrer Medialisierung, zumal archäologische Kategorien wie Typus, Werkstatt oder Werkstattgruppe bis hin zu Stil als einer autonomen, quasi eigengesetzlichen Größe, die bisher die entscheidende Rolle in der Analyse auch· römischprovinzialer Kunst spielten, keine hilfreichen Beschreibungs- und Ordnungskriterien darstellten und nur als Hilfsmittel für die Datierung oder als Hilfskonstruktionen zur Beschreibung des Produktionsprozesses genutzt werden konnten. Das große umfassende Thema für Kleinasien ist die <Städtekonkurrenz> als einem typischen Phänomen des griechisch geprägten, auf die Polis bezogenen kaiserzeitlichen Kleinasiens. Greifbar ist diese Auseinandersetzung vor allem in der Form, dass die einzelnen Städte auf unterschiedlichen Gebieten um Ehrentitel, die vom Kaiser vergeben wurden, wetteiferten. Da auch Kult und Mythos wichtige Argumentationsfelder in dieser Konkurrenz waren, spielen Opferdarstellungen deshalb eine wichtige Rolle. Besonders geeignet waren Rituale, die polis-spezifisch waren und so als dis-
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tinktive Merkmale benutzt werden konnten, aber auch Kultverbindungen zu wichtigen (Kult-) Zentren, besonders hoher Kultaufwand und natürlich Kaiserbesuche mit Opfern waren Argumente, die die besondere Rolle der Polis und ihrer Rituale bewiesen und somit symbolisches Kapital in diesem Wettkampf erbrachten. Die Stelen für Saturn als dem wichtigsten Bildträger für Opferdarstellungen in Nordafrika sind dagegen nur als primäre Kultmedien verständlich, während die meisten Opferdarstellungen in Kleinasien nicht im direkten Bezug zum dargestellten Ritual stehen, sondern mittelbar genutzt wurden, um die religiös begründete Qualität der Polis herauszustellen. Aber auch in Nordafrika war nicht die Opferdarstellung das primäre Element, da die Stelen als Bildträger dazu dienten, ein Opferdepot zu markieren und zu dokumentieren. Nicht das Bild an sich, sondern der Bildträger als Marker war entscheidend. Die Funktion des Reliefs ist also nicht vergleichbar mit den Reliefs in Kleinasien, selbst ein Weihrelief im klassischen Sinn besitzt keine so enge Beziehung räumlich und sächlich - zum memorierten Ritual, da hier die feste Einbindung in die rituelle Aktion nicht so unmittelbar ist. In einem weiteren Schritt erwies sich der Begriff der Identität als wichtige gemeinsame Kategorie sowohl für die kleinasiatischen als auch die afrikanischen Monumente: Während die Stelen in Afrika von Saturnheiligtum zu Saturnheiligtum stark differierten, waren sie innerhalb der einzelnen Heiligtümer relativ einheitlich gestaltet. Wie in Kleinasien im Rahmen der Städterivalität eine Polis-Identität auch mit Hilfe von Opferdarstellungen geschaffen werden konnte, so gilt dies auch, nur mit unterschiedlichem Bezug, für Nordafrika: Die Ähnlichkeit der Monumente in einem Heiligtum und ihre visuelle Erfassbarkeit als Stelenwald im Heiligtum sind entscheidende Mittel zur Formierung einer kollektiven Identität. Stifter von Stelen und Opfernde müssen sich ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Zusammengehörigkeit bei jedem Besuch des Heiligtums bewusst gewesen sein. Gerade durch diese Einbettung in ursprüngliche funktionale Kontexte erwiesen sich Opferdarstellungen über antiquarische und ikonographische Detailuntersuchungen hinausgehend als lohnendes Forschungsobjekt. Ausschlaggebend war als methodischer Ansatz für beide Projekte vor allem das Modell von Religion als Kommunikation. Fasst man Religion in diesem Sinn als medial umgesetzten Kommunikationsprozess auf, so erlaubt dieses Modell eine gleichberechtigte Untersuchung der beteiligten - literarischen und materiellen - Medien. Opferdarstellungen in Kleinasien und in Nordafrika stellen durch ihre unterschiedliche Anwendung und geradezu komplementär wirkende Funktion ein besonders gutes Beispiel für die Zweckmäßigkeit dieses Ansatzes dar. Weitere Mitarbeiter(innen): Torsten Kleinschmidt, Yvonne Tremel, Andrea Dannenberg, Sebastian Muhs. Förderungszeitraum: 2001 bis 2004 (Kleinasien) und 2005 bis 2006 (Nordafrika). Veröffentlichungen Schörner, G. 2001. «Opferdarstellungen im römischen Kleinasien: Kultikonographie zwischen Adaption und Distinktion (Projektvorstellung)>>, Archiv für Religionsgeschichte 2001, 301.
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Schörner, G. 2003. «Opferdarstellungen im römischen Kleinasien: Kultikonographie zwischen Adaption und Distinktion», in: H. Cancik - J. Rüpke (Hrsg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, 185-191. Schörner, G. 2005. «Imperialismus, Kolonialismus und Postkolonialismus in der Romanisierungsforschung», in: G. Schörner (Hrsg.), Romanisierung - Romanisation: Theoretische Modelle - praktische Fallbeispiele. Beiträge eines Graduiertenkolloquiums an der Friedrich-Schiller Universität lena 200312004 (BAR International Series 1427), Oxford, 25-34. Schörner, G. 2005. «Das Zentrum - Peripherie - Modell in der Romanisierungsforschung», in: Romanisierung - Romanisation: Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele (a. 0.), 95-99. Schörner, G. 2005. «Sepulkralrepräsentation im kaiserzeitlichen Phrygien: Elite ohne Negotation?», in: Romanisierullg - Romanisation: Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele (a. 0.), 253-264. Schörner, G. 2006. «Wild animals and domestic animals in the Roman sacrificial ritual: Distinctions between and animals ?», in: TRAC 2005, Theoretical Roman Archeology Conference Birmingham, Oxford, 99-110. Schörner, G. 2006. «Opferritual und Opferdarstellung: Zur Strukturierung der Zentrum;-Peripherie-Relation in Kleinasien», in: H. Cancik - A.Schäfer - W. Spickermann (Hrsg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, Tübingen, 69-94. Schörner, G. 2006. «Opferritual und Opferdarstellung: Ein Testfall für das Zentrum - Peripherie - Modell», in: L. de Blois - P. Funke - 1. Hahn (Hrsg.), The Impact of Imperial Rome on Religions, Ritual and Religious Life in the Roman Empire. Proceedings of the 5th Workshop ofthe International Network , Münster, lune 30 - luly 4, 2004, 138-149. Schörner, G. 2006. «Sacrifices and their representation in Roman Asia Minor: Reconsidering the Core-Periphery-Concept», in: The Proceedings of the XVIth International Congress of Classical Archaeology, Boston 2003, Oxford, 71-74. Schörner, G. 2007. «Von der Initiation zum Familienritual: Der Saturnkult als Gruppenreligion», in: Rüpke, Jörg (Hrsg.), Gruppenreligionen im römischen Reich: SozialJonnen, Grenzziehungen und Leistungen (Studien und Texte zu Antike und Christentum 43), Tübingen, 189-212. Schörner, G. 2007. «Wildtiere und Haustiere im antiken Opferritual: Unterscheidung von <menschlichen> und Tieren?», in: Mensch und Tier in der Antike - Grenzziehung und Grenzüberschreitung; Internationales Kolloquium Rostock, April 2005, (im Druck). Schörner, G. 2007. «Saturn rural: Überlegungen zur Charakteristik ländlicher Heiligtümer im römischen Nordafrika», in: ehr. Auffarth (Hg.), Religion auf dem Lande: Kulte und Heiligtümer im nicht-urbanisierten Raum unter römischer Herrschaft, Stuttgart (im Druck). Schörner, G. 2007. «New pictures for old rituals: The Saturn stelai as media of personal cult in Roman North Africa», in: TRAC 2006 (im Druck).
Die Sprache der· religiösen Kommunikation im römischen Osten: Konvergenz und Differenzierung ANGELOS CHANIOTIS UND GIAN FRANCO CHIAI
Fragestellung
Die Existenz verschiedener Bevölkerungsgruppen sowohl in den städtischen als auch in den ländlichen Zentren des kaiserzeitlichen Kleinasiens hat zu kulturellem Austausch geführt, für dessen Auswertung die Inschriften lehrreiches und nicht immer ausreichend erforschtes Material bieten. Anatolier, Griechen, Galater, Iraner, Juden und römische Soldaten unterschiedlicher Herkunft lebten nebeneinander und mussten gemeinsame Kommunikationsformen finden. Die Sprache und die Ausdrucksweise fungierten dabei nicht nur als Verständigungsmittel; sie demonstrierten auch kulturelle Identität und religiöse Zugehörigkeit. Im religiösen Bereich mussten unterschiedlich (ethnisch, sozial, religiös und kulturell) definierte Gruppen und Gemeinden die eigenen Vorstellungen in religiösen Texten vielfältigen Inhaltes (Weihungen, Kultvorschriften, Gebete, Hymnen, Verwünschungen, Grabinschriften, , Akklamationen) zum Ausdruck bringen. Die sprachlichen Mittel in diesem Prozess waren zum Teil alte, traditionelle Begriffe, denen zuweilen eine neue Bedeutung oder ein neuer Akzent gegeben wurde, zum Teil Neuschöpfungen. Manchmal passte eine religiöse Gruppe ihre Ausdrucksweise jener einer anderen an, und so verstecken sich im gleichen Wort unterschiedliche Konnotationen; manchmal wurde ein ganz neues Wort eingeführt, um unterschiedliche Vorstellungen deutlich von einander zu trennen. Diese Phänomene sind im Kontext der gestiegenen Mobilität im römischen Reich und, damit verbunden, der Homogenisierungsprozesse zu sehen, für deren Charakterisierung der irreführende Begriff gewiss nicht ausreicht. Unter der von der kaiserzeitlichen Panegyrik gefeierten Einheit des Reiches erkennt man unschwer die beharrende Heterogenität lokaler Gemeinden (Ethne, Städte, dörfliche Gemeinden), verschiedene Gegensätze (zum Beispiel Stadt-Land, Zentrum-Peripherie, Elite-Volk) und latente oder evidente Konkurrenzen. Vor diesem Hintergrund stellte dieses Projekt mehrere übergreifende Fragen in Bezug auf Konvergenzen und Divergenzen in der Sprache der religiösen Kommunikation im Osten des römischen Reichs (circa erstes bis drittes Jahrhundert n. Chr.): Gibt es semantische Differenzierungen im Gebrauch von Begriffen durch unterschiedliche Gemeinden und Gruppen? Kann man Zweideutigkeiten in religiösen Texten der alltäglichen Kultpraxis erkennen? Wie drückt die Sprache den religiösen Austausch unter verschiedenen Kultgemeinden aus? Welche Faktoren prägten die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache der religiösen Kommunikation und Divergenzen von dieser Koine?
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Angelos Chaniotis und Gian Franeo Chiai
Die beschränkte Laufzeit des Projektes ließ keine Möglichkeit für eine flächendeckende Sammlung und Analyse des schriftlichen Quellenmaterials (Inschriften, literarische Quellen) und machte eine selektive und exemplarische Vorgehensweise erforderlich. Die Ikonographie der epigraphischen Denkmäler konnte nur zum Teil berücksichtig werden. l Der Projektleiter (Angelos Chaniotis) und der wissenschaftliche Mitarbeiter (Gian Franco Chiai) setzten in ihrer Arbeit unterschiedliche Akzente: die monotheistischen Tendenzen im Osten des römischen Reichs und die Konkurrenz von Kultgemeinden2 beziehungsweise die Orts gebundenheit göttlicher Mächte, die Medien der religiösen Kommunikation in ländlichen Gemeinden und die Konstruktion göttlicher (All)Macht in religiösen Texten. 3 Es wurden insgesamt circa zweitausend Inschriften, vor allem aus Kleinasien, gesammelt und ausgewertet. 4 Im folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse, die in detaillierter Form in einer Reihe von Aufsätzen präsentiert werden (siehe Anmerkungen 3 und 4), zusammengefasst. Henotheismus, <pagan monotheism>, Megatheismus 5 Die Veröffentlichung des Bandes Pagan Monotheism im Late Antiquitl hat die Diskussion über die Existenz monotheistischer Tendenzen in der kaiserzeitlichen heidnischen Religiosität und Kultpraxis wieder belebt. Inwieweit solche Tendenzen größere Schichten, jenseits des Kreises einer philosophisch gebildeten Elite, erreicht haben, ist eine Frage, die vor allem im Lichte des epigraphischen Materials studiert werden kann. Die Untersuchungen von Stephen Mitchell zur Beziehungen zwischen dem Kult des Theos Hypsistos, dem theosophischen Orakel von Apollon Klarios 7 und der Gruppe der theosebeis 8 haben die Existenz einer einheitlichen religiösen Bewegung zwar nicht bewiesen,9 die enge Verknüpfungen zwischen religiösen StröI Die Bedeutung der Ikonographie der epigraphischen Denkmäler betonen z. B. Frei, P. 2001. «Inschriften und Reliefs. Ein Beitrag zur lokalen Religionsgeschichte Anatoliens», in: S. Buzzi u. a. (Hgg.), Zona Archeologica. Festschrift für Hans Peter Isler zum 60. Geburtstag, Bonn, 135-158 (Weihungen) und Gordon, R. 2004. «Raising a Sceptre: Confession-narratives from Lydia and Phrygia», Journal of Roman Archaeology 17, 177-196 (Beichtinschriften). S. auch unten, Anm. 3. 2 Einschlägige Veröffentlichungen: Chaniotis 2007, 2008a-b. 3 Zwischenergebnisse wurden in Vorträgen präsentiert. S. auch Chiai 2007a-c und 2008a. 4 Eine von G.F. Chiai eingerichtete und betreute Datenbank von Inschriften diente als Quellenbasis für sein Projekt; A. Chaniotis hat in den letzten Folgen des <Epigraphic Bulletin for Greek Religion> (EBGR, in Kernos 16, 2003 ff.) entsprechendes Material kommentiert (z. B. EBGR 2000, Nr. 3, 15, 53, 127, 128, 174, 193,200; EBGR 2001, Nr. 88, 120-122, 133; EBGR 2002, Nr. 13,20-21, 149; EBGR 2003, Nr. 116). 5 Zum folgenden s. Chaniotis 2008a. 6 Athanassiadi, P.; Frede, M. (Hgg.) 1999. Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford. 7 SEG XXVll 933: [A]U1:ocpuTJ<;, UOiOaK1:o<;, UIlTJ1:00P, U(J'tUCPEA1K1:0<;, I ouvolla IlTJ xooprov, 1tOAUmvull0<;, ev 1tupi Vaioov ,I 1:0U1:0 SEO<;· IlElKpa OE SEOU IlEpi<; aV')'EAot T!IlEi<;. I ToU'w 1tEUSOIlEVotm SEOU 1tEPl öcr't1<; U1tUPXE1, I ai[S]E[p]a 1taVOEpK[i'j SE]OV EVVE1tEV, Ei<; ÖV 6prov1:a<; I EUXEcrS' itmou<; 1tpo<; UVa1:oAillv ecropro[v]1:a]<;]. 8 Mitchell, S. 1998. «Wer waren die Gottesfürchtigen?», Chiron 28, 55-64 und Mitchell, S. 1999. «The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews, and Christians», in: Athanassiadi; Frede 1999, 81-148; vgl. Mitchell, S. 2003. «Inscriptions from Melli (Kocaaliler) in Pisidia», Anatolian Studies 53, 139-159. 9 S. die Kritik von Stein, M. 2001. «Die Verehrung des Theos Hypsistos: Ein allumfassender pagan-jüdischer Synkretismus?», Epigraphica Anatolica 33, 119-126; Bowersock, G.W. 2002. «The Highest God with Particular Reference to North-Pontus», Hyperboreus 8, 353-362; Walraff, M. 2003. «Pagan Monotheism in Late Antiquity», Mediterraneo Antico 6, 534--535; Belayche, N. 2005. «Hypsistos. Une voie de l'exaltation des dieux dans le polytheisme greco-romain», Archiv für Religionsgeschichte 7, 34--55; vgl. Ustinova, Y. 1999. The Supreme Gods of the Bosporan Kingdom, Leiden.
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mungen dennoch nahegelegt. Eine nähere Betrachtung der Quellen zeigt gegenseitige Beeinflussungen, aber auch Unterschiede in den religiösen Vorstellungen trotz der Benutzung ähnlicher Begriffe (zum Beispiel EI<; eEa<;, ~E'Ya<; eEa<;, eEa<; Ü'lflO"'to<;). Eine neue Weihung an Thea Hypsiste, Beschützerin der Gemeinde der Kla[-]toi, in Kula \0 zeigt beispielsweise eindeutig, daß das Epitheton Ü'IflO"'to<; für eine lokale, anonyme-Göttin in Lydien verwendet wurde, die mit der Gruppe der eEOO"EßEi<; und dem theosophischen Orakel von Klaros wohl nichts zu tun hat. Andererseits aber gibt es Texte, die wohl auf den Einfluß des Orakels des Apollon Klarios zurückzuführen und den theologischen Vorstellungen der Verehrer des Theos Hypsistos zuzuweisen sind. Besonders charakteristisch ist in dieser Hinsicht etwa eine Weihung aus Amastris: ll "Dem höchsten Gott! Auf Geheiß des Langhaarigen (Apollon) (hat aufgestellt) diesen Altar des höchsten Gottes, der alles umfasst und nicht gesehen wird, aber auf alles Übel blickt, damit das Verderben von den Menschen abgewehrt wird" (Übersetzung ehr. Marek). In der sehr verbreiteten Suche nach einem (aber nicht einem einzigen) mächtigen, stets präsenten und wirksamen Gott, dessen Macht sichtbar ist, zu dem der Mensch eine persönliche Beziehung herstellen kann,12 und der eine kontinuierliche Lobpreisung verlangt, beobachtet man Konvergenzen im Sprachgebrauch, um doch divergierende religiöse Vorstellungen - oft im Kontext einer Konkurrenz unter den Kultgemeinden - zum Ausdruck zu bringen. 13 Der Begriff des <Monotheismus>, der die exklusive Verehrung eines einigen Gottes impliziert, ist nicht geeignet, die religiösen Tendenzen der Kaiserzeit zu beschreiben; auch der Begriff des 14 setzt einen zu starken Akzent auf den einen Gott. Der zeitgenössische Sprachgebrauch und vor allem die in Inschriften erhaltenen Akklamationen 15 legen nahe, statt dessen den Begriff des Megatheismus zu verwenden,16 der der Beliebtheit der Akklamation ~E'Ya<; eEa<; Rechnung trägt. Ein charakteristisches Beispiel eines solchen ist Mes in einer besonderen Ausprägung, der man in Inschriften des zweiten und dritten Jahrhunderts begegnet: ein mächtiger, gerechter, beschützender und bestrafender Gott,17 der wie SEG XLIX 1588: E>[E](t YmViO"'t'Q KAa[ ..... ]'toov npOKaSllJlE[VU --]. Marek, Chr. 2000. , Epigraphica Anatolica 32, 129-146, hier: l35-137 (SEG L 1225): E>E$ lnvlO"'tqJ. 'OJlqrQ UKEPO"EKOJlOU ßOOJlOV StoU lnvlO"'toto, öe; Ka'tu mlv'toov EO"'tt Kat ou ßAEnE'tat, dO"opaq. OE oEiJlaS' önooe; anaAaAKll'tat ßPO'toA01:yta SVll'tOOv. 12 Z. B. SEG L 1222: E>E$ apiO"'tqJ JlEylO"'tqJ e1t11KoqJ O"OYtfipt eau'tou Kat 'tOOV 'tEKVOOV au'tou Kat nav'toov 'tOOV [ßo]rov ... ; O"Ot JlaKapOOV K'60tO"'tE ,tpae; 'tOOE TEpyoe; E81lKEV I EU'tUK'tOV Mo[u]O"oov ypaJlJlam ypa,!,aJlEVOe; IO"ue; xapt'tae;, JlEi aptO"'tE, cptAilKoE, KoipaVE KOO"JlOU IO"Ot 0' au~oe; 'tE JlEAOt 'tEKVa 'tE Ka[t K'tE]lava. 3 Die Konkurrenz geht u. a. aus der Verwendung solcher göttlicher Attribute, die die Existenz weniger mächtiger Gottheiten implizieren (etwa aSava'toe;, aAU'tOe;, SauJla'toupyoe;, a'!'Euoile;, nav'toouvaO"'tTJe;, aet Kat nav'taxou eni)KoOe;). s. z. B. SEG XXXV 589; xxxvm l335; TAM V.1.75. Zu diesem Thema s. Chaniotis, A. 2003. , Kemos 16, 177-190; Chiai 2007a; Chaniotis 2007, 2008a. 14 Vgl. Versnel, H.S. 1990. Insconsistencies in Greek and Roman Religion. I. Ter Unus. Isis, Dionysos, Hermes: Three Studies in Henotheism, Leiden. 15 Z .B. SEG LI 6l3-631 (Queyrel, F. 2001. «Inscriptions et scenes figunSes peintes sur le mur de fond du xyste de Delphes», BeH 125, 333-387); Malay, H. 2003. «A Praise on Men Artemidorou Axiottenos», Epigraphica Anatolica 36, 13-18. Zu religiösen Akklamationen s. Belayche 2005; Chaniotis 2007 und 2008b. 16 Chaniotis 2008a. 10
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Angelos Chaniotis und Gian Franco Chiai
ein Herrscher einem Rat «Senat» von zwölf Göttern bevorsteht. 18 So wie Götter als ÜYfEAot eine Vermittlerfunktion zwischen Theos Hypsistos und Menschen übernehmen, so übernehmen Götter die gleiche Funktion in der Verehrung des Mes 19 und Hosion kai Dikaion erscheinen oft als seine <Engel>. 20 In solchen Konstruktionen von göttlicher Macht erkennt man sowohl Konvergenzen von Sprache als auch eine Annäherung religiöser Vorstellungen. Dies macht die Zuweisung von Inschriften an eine bestimmte religiöse Gruppe manchmal unmöglich. 21
Ortsgebundenheit religiöser Phänomene 22 Die göttlichen Epitheta, die oft auf Akklamationen zurückgehen,23 gehören zu den wichtigsten sprachlichen Medien religiöser Kommunikation. 24 Sie drücken nicht nur den Macht- und Wirkungsbereich einer Gottheit aus, sondern sie werden auch als Mittel einer Überzeugungsstrategie eingesetzt, um das Eingreifen göttlicher Mächte in menschliche Angelegenheiten zu bewirken. Indem sie Eigenschaften der Götter beschreiben, fordern sie die Götter heraus, diese Eigenschaften unter Beweis zu stellen. 25 Die Untersuchung sowohl von Epitheta als auch von Weihungsformeln hat ergeben, dass diese sprachlichen Mittel sehr oft dazu dienten, die besondere Verbindung einer Gottheit zu einem Ort zu unterstreichen und somit ihre stetige schützende Präsenz herbeizuführen. Die territoriale beziehungsweise lokale Dimension zahlreicher Götter findet ihren Ausdruck in Epitheta, die sich von Ortsnamen ableiten; solche Epitheta sind in Kleinasien besonders verbreitet, vor allem in kleinen ländlichen Gemeinden - möglicherweise mehr verbreitet hier als im Gebiet der urbanen Zentren des griechischen Festlands, der Inseln und der Küstenstädte Kleinasiens (zum Beispiel Zeus Petarenos, Zeus Orochoreites, Meter Zizimene, Apollon Lairbenos und viele andere). Im Unterschied zum Judentum und Christentum - oder zu einigen heidnischen Kulten mit monotheistischen/megatheistischen Tendenzen -, die sich ihren Gott als allgegenwärtig und allmächtig vorstellen und lokale Attribute kaum verwenden, l~gt die große Zahl der häufig nur als religiöse Beinamen belegten Ethnika die Vermutung 17 Zentrale Begriffe sind etwa ouval.t:l~, apE'tll, E1tt<paVEta, VEJ.lEcn~, oiKalOv, öcnov, oupavlO~, E~KOO~. I Z. B. Malay 2003: J.lEya <Jot 'to t'lrooEKa8cov 'to napa O"ot KEKn<JJ.lEVOV; Herrrnann, P.; Malay, H. 2007. New Documents trom Lydia, Wien, 113-116 Nr. 85: ... EPO)'troV'tE~ 'tou~ 8cou~'Miiva MO'tUAAi'tTJV Kai t'lia I.aßaslOV Kai "Ap'tEJ.llV ÄvaEtnV Kai J.lEyaATlV <Juva'to~ Kai <JUVKATI'tOV 'trov 8EroV ... ; Petz!, G. 1994. Die Beichtinschriften Westkleinasiens (Epigraphica Anatolica 22), Bonn, Nr. 5: itpro'tTJJ.laivo~ uno 'tfi~ <JUVKAit'tou ... 19 Z. B. Petzl 1994, Nr. 5: E<JXa napaKATI'tov 'tov t'lEiav. 20 Für die Bedeutung von Vermittlern in der Religiosität der Kaiserzeit s. auch die Analyse des Hymnus Hadrians an Eros (rG VII 1828) durch Goukowsky, P. 2002. «Sur une epigramme de Thespies», in: I. Dion (Hg.), L'epigramme de l'Antiquite au XVIIe siecle ou Du ciseau Cl la pointe, Nancy,217-246. 21 S. z. B. die von Marek 2000 edierten und kommentierten Texte (s.u.); vgl. Chaniotis, A. 2002a. , Scripta Classica Israelica 21, 209-242. 22 Zum folgenden s. Chiai 2007a. 23 Zu den Epiklesen s. jetzt die Beiträge in Belayche, N. u. a. (Hgg.) 2006. Nommer [es dieux. Theonymes, epitetes, epicleses dans ['Antiquite, Rennes. 24 Zu diesem Thema s. Chiai 2007b-c und 2008. 25 Chaniotis, A. 2004.
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nahe, dass die betroffenen Gottheiten als besondere Schutzgottheiten kleiner Dorfgemeinden konzipiert wurden und für alle Bereiche des menschlichen Alltagslebens zuständig waren (siehe unten). Mit dieser Konzeption verbunden ist auch die Vorstellung, dass ein Gott einem König ähnlich ein Territorium und seine Einwohner beherrscht und beschützt. 26 Beispiele lassen sich oft in formelhaften Akklamationen in Beichtinschriften finden. Die Inschriften religiösen Inhaltes aus dem kaiserzeitlichen Kleinasien sind reich an Epitheta, die, der Sprache der Politik und des Rechtes entlehnt (zum Beispiel ßamAEuc;, riptoC;, 'tupavvoc; und so weiter),27 nicht nur allgemein die göttliche dynamis preisen, sondern auch oder vor allem die einer säkularen Herrschaft angeglichenen Verantwortung der Götter für eine Gemeinde in Erinnerung rufen. Apollon Lairbenos, dessen Heiligtum sich unter der Kontrolle der Stadt Hierapolis befand, wird doch in einer Inschrift von der Gemeinde der Motylenoi beansprucht. 28 Interessanterweise geschieht dies mit einer Formel, die ihre nächsten Parallelen in Bezeichnungen von Schutzgottheiten großer urbaner Zentren findet. 29 Gerade diese Ähnlichkeit lässt einen erheblichen Einfluss der großen städtischen Gemeinden auf die Peripherie feststellen. Durch den Einsatz derartiger Epitheta konnten ländliche Gemeinden betonen, dass auch sie, gleich den urbanen, ihre eigenen Schutzgottheiten hatten. Auch die in Weihungen häufig verwendeten Formeln Ka'tu KEAEumv, Ka'tu npoO"'ta')'lla und so weiter zeigen die besondere Beziehung einer Person zum Göttlichen und die wirksame Präsenz einer Gottheit. 30 Konstruktionen göttlicher Macht
Die Erforschung der in den Weihungen belegten Gebetsformeln (zum Beispiell>1tEP ßorov, tl1tEP Kapnrov, l>1tEP 'trov 'tEKVffiV O"OYtllpiac; und so weiter) ermöglicht eine Rekonstruktion der Kompetenzen lokaler Götter (zum Beispiel Apollon Lairbenos, Zeus Bronton, Zeus Alsenos und so weiter). Auf dem ersten Blick erscheinen diese Götter als Beschützer aller Bereiche des menschlichen Alltagslebens: Gesundheit, Fruchtbarkeit der Äcker, Wetter, gute Verfassung der Arbeitstiere und so weiter. Ihre Einmischung in zwischenmenschlichen Konflikten scheint eine ihrer wichtigsten 26 Vgl. Belayche, N. 2006. <<, in: Virgout, A. u. a. (Hgg.), Pouvoir et religion dans le monde romain. En hommage JewI-Pierre Martin, Paris, 257-269. Z. B. Petzl 1994, Nr. 3: Meym; Md<; Ä~lO't'tT\VO<; Tapm ßamAEurov. 27 Z.B. SEG I 79: ZEu<; ßamAtKo<;; MAMA V 12: ZEu<; Tupavvo<;; Petz11994, NI. 47: MEyUAOl SEai Neav KrollllV Ka'texov'tE<;. 28 SEG L 1270 Z. 4-6: 6 1t(X'tplO<; TJllälV E1ttcpaVe(na'to<; 'lUlO<; ÄnoAArov AmpllllVo<; 6 npoEO"'tw<; 't0'Ü ÖTJIlOU 'tmv MO'tUAllVmV (< as Servant of the Deity in the Greek World» , in: Versnel, H.S. (Hg.), Faith, Hope and Worship: Aspects 0/ Religious Mentality in the Ancient World, Leiden, 152-192, hier: 154-156. Zu einem neuen Beispiel persönlichen religiösen Erlebnisses, das zur Gründung eines Kultortes führte, s. Lehrnler, c.; Wörrle, M. 2006. «Neue Inschriften aus Aizanoi IV: Aizanitica Minora», Chiron 36, 45-111, hier: 76-78: [K]a'tE1tATJxSll ÖEi[vm<; Kai] EK'tlCJSll ZEu<; Meya<; MllvocpiAOU.
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Funktionen, wie vor allem die 32 aus Neokaisareia, das die Bitte um Rache für die Ermordung eines Jungen enthält. 33 Ein anonymer Gott (ein heidnischer, der jüdische, der christliche?) wird mit der Wendung KUPlf. Hav'WKPe):trop' 0"1) IlE EK'ttO"f.~ ("Herr, Allmächtiger! Du hast mich erschaffen") angerufen. Die Attribute pantokrator und kyrios sind in jüdischen und christlichen Texten anzutreffen. 34 Die Vorstellung des Schöpfergottes (ektises lS hängt ferner vielleicht indirekt mit der Vorstellung des Ktistes-Gottes, des Gründers einer Stadt (zum Beispiel Apollon, Herakles, Zeus, mehrere römische Kaiser), zusammen. Die Allmächtigkeit des Gottes wird schliesslich durch Verwendung des juristischen Begriffes kyrios verstärkt, der das Verfügungsrecht über eine Sache oder eine Person zum Ausdruck bringt. In der Repräsentation göttlicher Eigenschaften in religiösen Texten werden oft trotz der unterschiedlichen Vorstellungen vom Göttlichen ähnliche Formulare und Anrufungsformeln verwendet. Dies ist längst in Bezug auf den Ausdruck f.{~ ef.6~ beobachtet worden, der in heidnischen, jüdischen und christlichen Texten gleichermaßen begegnet. 36 Dies gilt auch für andere Formeln wie zum Beispiel aeava'to~ ef.6~.37
Petzl 1994; s. zuletzt Chaniotis 2004 und 2008b mit der älteren Bibliographie. Zu diesem Begriff s. Versnel H.S. 1991. «Beyond Cursing: The Appeal to Justice in Judicial Prayers», in: C.A. Faraone; D. Obbink (Hgg.), Magika Hiera: Ancient Greek Magic and Religion, New York/Oxford, 60-106, hier: 68-75, 81-93; Versnel H.S. 2002. «Writing Mortals and Reading Gods. Appeal to the Gods as a Strategy in Social Control», in: D. Cohen (Hg.), Law, Society, and Social Control, München, 37-76, hier: 48-50; Jakov, D.; Voutiras, E. 2005. «Gebet, Gebärden und Handlungen des Gebetes», in: Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum III, Los Angeles, 104-141, hier: 129 f. 33 Marek 2000, 137-146 (SEG L 1233). 34 Z. B. MAMA m 112 (christlich): TaBE Ae)'tt Kupto~ IIaV'toKpa'tCOp; HO I, Ach. 70 (jüdisch): a~üj) I 'tov 0EOV 'tov 'Y\jft<J'tov 'tov I Kuptov 'tOOV 1tVEUjla'tcov I Kai 7taCJ1l~ <JapKO~. 35 Zum Gott als Schöpfer der Seele vgl. z. B. Merkelbach, R; Stauber, J. 1998. Steinepigramme aus dem griechischen Osten, Band 1, Die Westküste Kleinasiens von Knidos bis Ilion, Stuttgart-Leipzig, 1'fr. 04/05/07 (Lydien): jlf\'tE[p] MEAtnVTI, 8pf\vov Al7tE, 7taUE yoOto, ",uxf\~ jlvTI<J[alllevTI, l1v jlOt ZEu~ 'tEp7ttK[ep]auvo~ 'tEu~a~ a8ava'tov Kai a'Y'lpaOV l1jla'ta [7t]a.v'ta ap7ta~a~ Exojlt[<J<J1 Ei~ oupavov a<J'tEpo[Ev'ta] (<<Mutter Melitine, lass die Klage, höre auf mit dem Trauern, erinnere dich an (meine) Seele, welche der blitzfrohe Zeus unsterblich und alterslos auf alle Tage gemacht und hinweggerafft und an den gestirnten Himmel versetzt hat»). 36 Heidnische Beispiele: SEG LI 614: [er~ 8]EO~' jley[a~] 8EO~' jl[eyt<J't]ov öv[ojla 't]ou 8E[OU]; SEG LI 626: E{~ 8[EO~ EV 't4> oupa]v4>; TAM V.1.75: er~ 8EO~ EV oupavoi~, jlEya~ MTJv oupavto~ jleyaATI Buvajlt~ 'tOU a8ava'tou 8mu; vgl. TAM V.1.246: 'tOU evo~ Kai jlOVOU 8EOU
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Perspektiven: die Mobilität der religiösen Ausdrucksweise
Die römische Welt war eine Welt gestiegener Mobilität, und die Bewegung von Personen erleichterte die Mobilität von Ideen und Ausdrucksweisen. Wenn ein in Dyrrhachion, in Illyrien, verstorbener Phryger, weit von der Heimat entfernt, die potentiellen Schänder seines Grabes verflucht, so tut er dies, indem er die ihm aus der Heimat bekannte Fluchformel verwendet. 38 Als ein Senator aus Pamphylien eine Kultstätte in Panoias in Portugal gründete, verfasste er einen Teil der Kultvorschriften auf Griechisch. 39 Eine Inschrift in Phrygien bezeichnet die Kultgemeinde eines heidnischen Heiligtums als Aao~ und verwendet somit den zeitgenössischen Begriff für jüdische Gemeinden. 40 Solche Fälle, aber auch die Konvergenz in Sprache und Mentalität in magischen Texten,41 insbesondere in ,42 manifestieren die große Mobilität religiöser Ideen und Praktiken. Die Mechanismen hierfür waren vielfältig. Manchmal war dies das Ergebnis der Bewegung von Bevölkerungsgruppen, manchmal handelt es sich aber um die ge zielte religiöse Propaganda kultischer Zentren. 43 Ein oft in den Inschriften der Kaiserzeit beobachtetes Phänomen ist die gegenseitige Beeinflussung von Griechisch und Latein. Auch die Sprache der religiösen Kommunikation bietet einschlägige Beispiele; die lateinischen Formeln ex iussu und ex imperio entsprechen zum Beispiel den Griechischen Ka'ta. KEAtUmV, Ka't' em'tarflv, Ka'ta. npoO''ta'YJ,la und Ähnliche; das lateinische ex visu findet seine genaue Entsprechung in Ka't' övap. Eine bemerkenswerte Parallelität findet man auch in den Formeln gegen Grabschänder. 44 Die Wendung habebit deos iratos in einer Inschrift aus Rom (ILS 8182) lässt sich mit dem Griechischen 'tou~ eEOU~ KEXOAo)~EVOU~ EXOl vergleichen; in einem anderen lateinischen Text (ILS 8202) findet man den Ausdruck habeat deos superos et inferos iratos, welchem das Griechische 'tou~ enoupaviou~ Kat Ka'taXeoviou~ eEOU~ KEXOAO~EVOU~ EXOlO'av (zum Beispiel 1. Magnesia 28) entspricht. Manchmal lässt sich die Parallelität nur indirekt feststellen, zum Beispiel in der Beliebtheit von Superlativen in der lateinischen Sprache, die entsprechende Wendungen im Griechischen der Kaiserzeit geprägt hat. Dass das 'YAuri)'ta'to~ der grie38 I.Dyrrachion 58: Ei bE 'tu; TJIlE't€POV 'tUIlßOV O'('t)ytAA:rlV 'tE 8EAT]0'1] O'KÜAat EV uAAoba1t'ij 'tol:a 'tElcrJ Ka8ibot. 39 Alföldy, G. 1997. «Die Mysterien von Panoias (Vila Real, Portugal)>>, Mitteilungen des deutschen Archäologischen Instituts (Madrider Abteilung) 38, 176-246. 40 Kommentar von H.V. Pleket zu SEG XLVII 1751. Für weitere Beispiele s. Chaniotis 2008b. 41 Zur Verbreitung magischer Handbücher, die zur Vereinheitlichung der Sprache der Magie beitrug, s. z. B. Faraone, c.A. 2000. «Handbooks and Anthologies: The Collection of Greek and Egyptian Incantations in Late Hellenistic Egypt», Archiv für Religionsgeschichte 2, 195-214. 42 Zu diesem Begriff s.o. Anm. 32. Ein gutes Beispiel ist SEG XLIX 1405: A: U1tEP EIlOU Ka[i] U1tEP 'trov Ellrov 'tol:<; Ka'tu 'i\bTJV bibOOlll, 1tapabiboolll NEtKiav Kat TEtllT]V Kat 'tau<; a[A]Aou<; oi<; blKaioo<; Ka'tT]pamxIlTJv. B: pro me pro meis devotos defixos inferis devotos defixos inferis, Timen et Niclrm et ceteros quos merito devovi supr[a. pro} me pro mei[s} Timen Nician Nicia[n}. 43 Im Falle des Alexander von Abonouteichos wird dies direkt überliefert (Chaniotis, A. 2002b. , in: Dabrowa, E. (Hg.), Tradition and Innovation in the Ancient World (Electrum 6), Krokow, 67-85, mit Bibliographie); im Falle des Orakels von Klaros wird dies nur vermutet; s. Mitchell 2003. 44 Strubbe, J. 1997. i\pai E1tt'tUIlßtot. Imprecations against Desecrators ofthe Grave in the Greek Epitaphs of Asia Minor. A Catalogue, Bonn.
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chis ehen Grabinschriften der Kaiserzeit nach dem dulcissimus lateinischer Grabtexte gebildet wurde, kann man nur vermuten; daß aber die Superlative in ZEu<; Kp6:nO"'to<; ME"{lO"'to<; pOV'tlO"'tT]<; (SEG XXXI 1069) und m::ßaO"~tOYta't11 Ä, in: J. Rüpke (Hg.), Festrituale: Diffusion und Wandel im römischen Reich (Studien und Texte zu Antike und Christentum) (im Druck). Chaniotis, A. 2008a. <Megatheismus: The Search of the Almighty God and the Competition of Cults> , in: S. Mitchell; P. van Nuffelen (Hgg.), The Concept of Pagan Monotheism in the Roman Empire (im Druck). Chaniotis, A. 2008b. , in: C. Auffarth (Hg.), Religion auf dem Lande (im Druck). Chiai, G.F. 2007b. <Medien religiöser Kommunikation im ländlichen Kleinasien>, in: G. Schörner; D. Sterbenc Erker (Hgg.), Religiöse Kommunikation im römischen Reich (im Druck). Chiai, G.F. 2007c. , Das Altertum (im Druck). Chiai, G.F. 2008. , in R. Häußler (Hg.), Romanisation et epigraphie (im Druck). Chiai, G.F. 2008a. , in: J. Rüpke; J. Scheid (Hgg.), Rites funeraires et culte des mortes, Kolloquium, Paris (in Vorbereitung).
Literatur als Medium und als Spiegel der Verbreitung von Religion im Römischen Reich JÖRG RüpKE
Fragestellung Die Frage nach der Ausbreitung von Religionen, insbesondere römischer Religion, im antiken Mittelmeerraum ist vor allem anhand von Merkmalen wie der Verbreitung einzelner Kulte oder Weihungen an Gottheiten, der Verbreitung lokaler Kultpraktiken oder bestimmter Organisationsformen (etwa Priesterschaften) oder Architekturtypen verfolgt worden. Ergebnisse stellen sich dann in Form von Verbreitungskarten oder der Identifikation von Trägerschichten, ihrer Mobilität und ihrer neuer oder Modifikation alter Kulte dar. Die Entscheidung, was dabei als zählt, ist dem wissenschaftlichen Beobachter überlassen: Kultgebäude, -geräte und Gottheiten dazuzurechnen, dürfte unstrittig sein. Angesichts des Fehlens eines antiken Religionsbegriffs sind solche Entscheidungen unumgänglich. Der Blick auf gegenwartszentrierte Globalisierungsforschung zeigt aber, dass nicht nur die faktische Ausbreitung von Phänomenen ausmacht. Die wirtschaftliche Vernetzung wäre dann zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bereits enger gewesen als heute, prinzipiell war die gesamte Welt schon im neunzehnten Jahrhundert erschlossen. Entscheidender scheinen heute aber die überall verbreitete Wahrnehmung dieser Vernetzung, ihre Diskussion in verschiedenen Medien und die sich daraus ergebenden Reaktionen und Handlungsspektren zu sein. Für eine religions geschichtliche Fragestellung bedeutet das, nicht einfach als etwas Gegebenes zu untersuchen, sondern zu fragen, in welchen überregionalen Kommunikationsräumen bestimmte Bilder von konstruiert und verbreitet werden. Die Frage nach verlagert sich dadurch von einer funktionalistischen Betrachtung reichsweit verbreiteter Phänomene - <Was ist im ganzen Imperium vorhanden und stärkt so den Zusammenhalt des politischen Gebildes?> - auf die Frage nach Selbstbeschreibungen: Welche Beiträge liefert die vor allem in literarischen Texten geführte Diskussion über die für die Beteiligten akzeptable, ihrer Gegenwart angemessene Religion? Um was für ein Bild von Religion wird hier gerungen? Wer ist an dieser Diskussion beteiligt, und mit welchen rhetorischen Strategien wird sie geführt? Für das Imperium Romanum lässt sich ein solcher umfassender Kommunikationsraum in überlieferten literarischen Texten fassen. Diese Texte sind in lateinischer oder griechischer Sprache abgefasst, aber diese Sprachengrenzen bilden in der (vermutlich) weitgehend oberschichtlichen Kommunikation keine Grenzen von Kommunikationsräumen. Texte beider Sprachen werden (wenn auch in unterschiedlicher Intensität) wechselseitig wahrgenommen, die Wahl derselben Sprache erfolgt durch
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Autoren unterschiedlicher ethnischer und geographischer Herkunft. Die Kommunikation erfolgt im Rahmen römischer Herrschaft und auf der Grundlage eines intensiven kulturellen Austausches, auch wenn beides nur gelegentlich explizit gemacht wird. Zugleich können die Texte dazu beitragen, die konkrete Ausbreitung religiöser Praktiken oder Zeichen zu befördern und verständlich zu machen: Dieser Typ von ist nur in Bezug auf die tatsächlichen lokalen religiösen Praktiken verständlich. Erst beides, die Veränderung des gemeinsamen Verständnisses von Religion und der Austausch oder Zuwachs an religiösen Zeichen (Göttern, Symbolen, Ritualen), ergeben ein vollständiges Bild der Veränderung lokaler oder regionaler religiöser Traditionen im politisch-kulturellen Großraum des römischen Reiches. Das Forschungsprojekt griff ein zentrales Forschungsfeld des Rahmenantrages auf: die Frage nach der Rolle antiquarischer, philosophischer oder theologischer, aber auch narrativer Selbstbeschreibungen römischer und kaiserzeitlich- Religion für die Verbreitung dieser Religion. Damit erfuhren zum einen die Betonung lokaler und regionaler Entwicklungen, zum anderen die in zahlreichen Projekten problematisierte Vorstellung eines durch bloße Verbreitung als qualifizierten Komplexes römischer Rituale und Götter eine wesentliche Ergänzung: Das Imperium Romanum erscheint nicht nur als Verkehrsraum für den Transport von Religionen, sondern als einheitlicher Kommunikationsraum, zumindest eines Typs oberschichtlicher Kommunikation, nämlich literarischer Kommunikation. Damit wurde gerade in der Schlussphase des Programms ein neuer methodischer Versuch unternommen, die in Begriffspaaren wie oder Bildungen wie enthaltene Dialektik der Beziehungen einer primär lokalen oder regionalen Religionsgeschichte zum politischen Großraum des römischen Reiches angemessen zu beschreiben. Das Projekt setzt ein bei einem lokalisierbaren Intellektualisierungsprozess, den Entwicklungen der römischen Republik seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. Die Anfänge römischer Literatur, von spätrepublikanischen Forschern wie Varro und Cicero in ein handliches Gerüst von Daten, Erfindern und Sukzessionslisten gepackt, sind durch diesen Filter hindurch kaum noch fassbar. Unstrittig ist eine Präsenz griechischsprachiger Literatur und Argumentationsformen weit vor dem dritten Jahr:" hundert v. Chr., die den wichtigsten Einzelfaktor der römischen Entwicklungen ausmachen dürfte. Zugleich ist zu konstatieren, dass erst seit dem dritten Jahrhundert institutionalisierte Öffentlichkeiten greifbar werden, die diese Präsenz in der römischen Gesellschaft folgenreich werden lassen und zu Adaptations- und Übersetzungsprozessen führen. Religion ist gemäß griechischen Konventionen Teilliterarischer Darstellung in den frühen lateinischen Epen wie Komödien - mit Folgen, die über den hinausreichen und weniger auf bloße denn komplizierte Transformationsprozesse weisen. Mit Ennius und Fulvius Nobilior werden zu Beginn des zweiten Jahrhunderts v. ehr. Ansätze systematischer Reflexion über Religion greifbar, die bis zu den religionsphilosophischen Werken der späten Republik mit der diesen eigenen Systematisierung wie Universalisierung römischer Religion führen. Vor allem aber in antiquarischen <Selbstbeschreibungen> wird die
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systematisierende Interpretation der eigenen lokalen Tradition vor dem Hintergrund neuer Rationalitätsstandards greifbar. Charakteristisch für diese Entstehung eines römischen ist, dass sie in stetem Austausch mit griechischen und griechischsprachigen Außenperspektiven erfolgt. Weder die griechische Ethnographie noch die lateinische antiquarische, philosophische oder historische Selbstbeschreibung sind dabei interesselos: Die gegenseitige Verortung in einem Raum, der ebenso durch die Expansion hellenischer Kultur wie römischer Militärrnacht geprägt ist, ist von existentieller Bedeutung für Überleben und Machterhalt. Griechische Überlieferung kann Rom als hellenische Polis erweisen, römisches Wissen (Varro) die samothrakischen Priester über die Ursprünge ihrer Mysterien belehren. Lokale Rituale werden in literarischer Kommunikation zu systematisch legitimierbaren Teilen eines kulturellen Systems umgeformt, das ebenso Kompatibilität, allgemeine Passfähigkeit - genau das wäre dann -, wie lokale Identität gewährleisten kann. Diese Religion ist dann einerseits gegenüber dem Raum neutral, lässt sich von ihm abstrahieren, ist andererseits aber fähig, Lokalkolorit zu transportieren, intensiv lokal inkulturiert zu werden. Griechische wie lateinische kaiserzeitliche Literatur arbeiten, wie die Textanalysen zeigten, mit diesem Konzept von Religion und entwickeln es weiter, für literarische Zwecke nicht weniger als für die pragmatischen Zwecke einer Elite, deren Aktions- und Kommunikationsraum zunehmend das gesamte Imperium Romanum ist. In diesem Sinne kann ein solches Konzept auch Niederschläge in rechtlichen Normen wie den aus Funden auf der iberischen Halbinsel bekannten Stadtgesetzen finden. Die sich hier entwickelnde Kommunikation geht über weit hinaus: Bezugspunkte sind die tatsächlich vorfindbaren religiösen Institutionen, Bräuche und Vorstellungen. Gerade der selektive Umgang mit der praktizierten Lokalreligion in der literarischen Darstellung ist damit von besonderem Interesse. Mit den beiden - ganz unterschiedlichen angelegten, aber gleichermaßen systematisierende Interessen verfolgenden - Darstellungen stadtrömischer Religion durch Dionysios von Halikarnassos und Ovid, deren Untersuchung durch Darja Sterbenc Erker im Folgekapitel erfolgt, ergibt sich die seltene Gelegenheit zu einem direkten Vergleich unterschiedlicher, aber zeitgenössischer Beschreibungen. Beide erheben in ihrer Darstellung, die einmal Priesterschaften, das andere Mal den Kalender betrifft, einen systematischen Anspruch, zeichnen sich jedoch tatsächlich durch ein stark auswählenden Zugriff aus. In beiden Fällen liegen dabei ebenso Binnen- wie Außenansichten vor: Dionysios ist , aber zugleich Bewohner Roms, Ovid , aber zugleich exilierter Umbrier. Auch der im zweiten Jahrhundert schreibende Lukian, produktiver Verfasser von Werken, die Religion thematisieren, hilft die Beschränkung einer mit ethnischen Kategorien arbeitenden Interpretation wechselseitiger Wahrnehmung von und zu überwinden. Im Rahmen des Gesamtprojektes steht er in der von Wolfgang Spickermann betriebenen und im drittnächsten Kapitel dargelegten Untersuchung exemplarisch für jene Intellektuelle der , die den kaiserzeitlichen mitprägen. Die von Katharina Waldner betriebene Analyse der Thematisierung von Religion in griechischen Romanen, der das übernächste Kapitel gewidmet ist, schließt sich, wie die Ergebnisse zeigen, direkt daran an.
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Bei der in diesem Projekt vorgenommenen Rekonstruktion von als , geht es, auch wenn einzelne Autoren und Texte jeweils im Mittelpunkt stehen, nicht um die Rekonstruktion individueller Theologien. Das in wichtigen Teilen erst zu Beginn des Jahres 2008 abzuschließende Projekt macht den aus den Texten erschließbaren Kommunikationsraum insgesamt zum Gegenstand der Untersuchung, biographisch-sozialgeschichtlich wie über die Identifizierung von Spuren von Auseinandersetzungen in den Texten und den darin erkennbaren . Zwar lässt die geringe Alphabetisierungsrate antiker Gesellschaften nur einen kleinen Prozentsatz von Leser(innen) diesen Typs von Texten erwarten, aber die Präsenz in rednerischer Form oder die gelegentliche inschriftliche Publikation im öffentlichen Raum (Stadtgesetze oder der Kalenderkommentar des Verrius Flaccus) darf nicht unterschätzt werden. In der Analyse der entstehenden religiöse Diskurse in der späten römischen Republik wie in den neuen Kommunikationsstrukturen des römischen Reiches hat sich der Ausgangspunkt vorn Begriff der und dem Konzept· der <sozialen Rolle> (nicht: ist in der Regel - das Wort weist auf gelegentliche Konflikte und Statusdissonanzen - nicht Außenseiter. Gleichwohl ist er aber durch eine weitgehende Autonomie seiner literarischen Diskurse charakterisiert. Der bereits antik für die Mitglieder der der Römischen Kaiserzeit geprägte Begriff des pepaideumenos 1 beschreibt diese sozial- wie kulturgeschichtlich komplexe ~Geist Macht>-Konstellation für die Kaiserzeit ebenso unzureichend wie der in der modernen Forschung übernommene Sammelausdruck der . Im Gegensatz zu diesen Begrifflichkeiten erlaubte das hier vorgeschlagene, in der altertumswissenschaftlichen Debatte aber nur unzureichend reflektierte begriffliche Instrumentarium der <sozialen Rolle des Intellektuellen>2 über die spezielle Situation der hinaus eine differenziertere Diskurs- und Rollenanalyse für die republikanische und die Kaiserzeit: Die Rolle des Intellektuellen ist nicht notwendigerweise identisch mit der des Experten oder religiösen Spezialisten oder derjenigen des politisch Handelnden. Der Intellektuellen-Diskurs geschieht zwar mit Bezug auf die politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, er ist aber gleichzeitig sozusagen autonom - und wird als autonom (und damit potentiell systernkritisch) von einern spätrepublikanischen oder kaiserzeitlichen Publikum auch wahrgenommen. Schon jetzt zeigt sich, dass die gewählte Heransgehensweise erlaubt, den römischen beziehungsweise kaiserzeitlichen zum einen in die Geschichte des griechisch-römischen Kulturaustausches einzuordnen und zum an1 Aufgegriffen von Graham Anderson 1998. «L'intellettuale e il primo impero romano», in: Salvatore Settis (Hrsg.), I Greci: storia, cultura, arte, societc[. Bd. 2,3. Turin: Einaudi, 1123-1146; s.a. Anderson, G. 1993. The Second Sophistic. cultural phenomenon in the Roman Empire, London: Routledge. 2 Zum Begriff und zu den akuten Forschungsdesideraten zuletzt Matthias Haake 2003. «Warum und zu welchem Ende schreibt man Perl basilefas? Überlegungen zum historischen Kontext einer literarischen Gattung im Hellenismus», in: Karen Piepenbrink (Hg.), Philosophie und Lebenswelt in der Antike, Darmstadt: WBG, 83-138, hier 97-100.
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deren einen Anschluss an die sonst isoliert betrachtete christliche Entwicklung eines und die Prozesse der so erfolgreichen Narrativierung des Christentums in Evangelien, Aposteltaten, Märtyrer- und Heiligenerzählungen sowie Predigten3 zu gewinnen. Die Entstehung eines rationalen Diskurses über Religion in der römischen Republik und der kaiserzeitliche Export seiner Ergebnisse
Die Frage nach dem eröffnet für die Religionsgeschichte des dritten bis ersten Jahrhunderts v. Chr. eine neue Perspektive: Wie wird ein System ritueller Praktiken zu einem Gegenstand von Literatur? Diese Form der Frage erschließt nicht nur einen weitgehend übersehenen Aspekt republikanischer, vor allem antiquarischer Literatur, sondern zwingt dazu, mehrere typischerweise getrennte Forschungsstränge zu verbinden: die Frage nach den Kommunikationsräumen, die religiöse Rituale selbst eröffnen, und jenen, in denen Religion zum Thema wird (Geschichte der Öffentlichkeit); die Frage nach dem kulturellem Austausch, der griechische Formen der Argumentation und Systematisierung in Rom verbreitet (Rationalitäts- und Literaturgeschichte); sowie die Frage nach dem Niederschlag dieser Prozesse in der Politik und im Recht (Institutionengeschichte ). Die Literatur der Römischen Republik schließt mit einer Reihe von Werken, in denen Religion - im heutigen Verständnis - zum alleinigen oder doch wichtigen Gegenstand geworden ist: Lukrezens De rerum natura räumt nicht nur der Theologie im engeren Sinne, der physikalischen Beschreibung der Götter, Raum ein, sondern formuliert die Lehre Epikurs insgesamt als eine (oder, vielleicht weniger anstößig, Lebensphilosophie), die eine Alternative zu einer mit religiösen Praktiken und Gottesfurcht assoziierten Weltdeutung darstellt (Lucr. 2,600-659. 1090ff.; 3,322; Buch 6). M. Tullius Cicero diskutiert in breiter Darstellung älterer und jüngerer griechisch-hellenistischer Positionen die Frage nach dem Wesen der Götter und ihrer Beziehung zu den Menschen im Dialog De natura deo rum; in den Werken über (De fato) und <Über die Wahrsagung> (De divinatione) vertieft er Spezialprobleme. M. Terentius Varro schließlich fasste in seinen Antiquitates rerum divinarum spätrepublikanisches Wissen über religiöse Institutionen und die durch sie verehrten Götter in einer Art und Weise zusammen, dass damit für die gesamte Kaiserzeit in positiver Rezeption wie polemischem Bezug ein kanonischer Ausgangspunkt geliefert wurde, der uns selbst durch eben diese Breite der Verwendung in Umrissen und Fragmenten bekannt ist. Eine Fülle weiterer zeitgenössischer Literatur ist nur noch in Titeln oder dürftigen Fragmenten erhalten: Die Auseinandersetzung mit kultisch wie politisch relevanten Institutionen wie der Divination und den Festen des römischen Jahres steht dabei an der Spitze. Die erhaltenen Werke lassen einen großen Einfluss attisch-hellenistischer Philosophie erkennen. Philosophiegeschichtlich bilden sie noch immer zentrale Quellen zur Rekonstruktion griechischer Philosophie der hellenistischen Epoche, während sie sich selbst gerade als Versuche verstanden, deren Gedanken einem römischen Publikum nahezubringen, zu erschließen. Trotz der (für einen philosophischen Text) 3 Siehe etwa Averil Cameron 1991. Christianity and the rhetoric of empire: The development of Christian discourse, Sather Classical Lectures 55, Berkeley: University of California Press.
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ungewohnten Sprach wahl - Latein - und der Bemühungen um römische Beispiele liegt das Charakteristikum dieser Werke in ihrem rationalen Diskurs über Religion: Die Gültigkeit religiöser Annahmen wird an nichtreligiösen Prämissen und Evidenzen überprüft. Dass das Verfahren des reddere rationern, dass die Evidenzkriterien nicht kulturunabhängig sein können, kann diese prinzipielle Charakteristik nicht in Frage stellen. Neben dieser Form des rationalen Diskurses über - wie oben betont, ein moderner Sammelbegriff, dem ein antikes Äquivalent fehlt - findet sich eine Form der Verschriftlichung von Religion, die anderen Regeln folgt, die sogenannte antiquarische Literatur. Es ist gerade Varros Werk (welches doch einen philosophischen-rationalen Rahmen um einen antiquarischen Kern legt), das diese Charakterisierung anklingen lässt. Ansonsten verraten die Titel nur wenig über die Ausrichtung der so überschriebenen Werke, auch wenn es naheliegt, einen antiquarischen Zugriff um so eher zu unterstellen, je konkreter, institutionenbezogener, objektnäher die Titel klingen: De natura deorum und De divinatione erreichen andere Abstraktionsebenen als De auspiciis oder de anno Romanorum. Auseinandersetzung mit, ja weitgehende Inspiration durch und Wiedergabe von griechischen Positionen ist für die erstgenannte Werkgruppe zentral. Fassbar wird diese Linie schon im Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. mit dem Ennianischen Euhemerus, doch bleibt diese Abhandlung und der Ennianische Vorstoß (etwa in der naturphilosophisch-reduktionistische Iuppiter-Deutung von fr. 39 Courtney = var. 54-58 V: ... Iuppiter ... quem Graeci uocant aerem ... ) isoliert: Weder im Inhalt noch in der Form - die erste lateinische literarische Prosa? - lassen sich unmittelbare Anschlüsse benennen. Angesichts einer Lücke, die daher nicht nur die Überlieferung, sondern vielleicht auch die Produktion betreffen könnte, diskutiert Claudia Moatti in ihrem 1997 erschienenen Werk die Datierung dieser Geburt nicht explizit, aber es ist Cicero, den sie als frühesten Kronzeugen dafür anführt. Die zweite Textgruppe, die zuvor als charakterisiert worden ist, lässt sich aber deutlich weiter zurückverfolgen, sie beginnt sicher schon in der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Ein lateinisches Buch über das (ius pontificale), das wohl Sero Fabius Pictor, wohl als Flamen Quirinalis Mitglied des Pontifikalkollegiums, scheint das erste literarische Produkt dieser Art darzustellen. Weitere Werke aus der Hand senatorischer Autoren folgten; zu nennen sind etwa Q. Fabius Maximus Servilianus ' De iure pontificio oder De potestatibus des M. Iunius Congus, vielleicht auch die monumenta des M'. Manilius, Konsul von 149 V. Chr. Auch hier ist die Möglichkeit des Kontaktes mit und der Inspiration durch entsprechende griechische Texte nicht auszuschließen: Neben der Attidographie, die vielleicht die engsten Parallelen aufwies, kann man auch an die Geschichtsschreibung, Fachliteratur und aitiologische Dichtung Kallimacheischen Typs denken. Den primären Auslöser muss man aber in Rom selbst suchen: in der Reaktion auf das Aufbrechen von Traditionen in einer Gesellschaft, die durch ihre schnelle Expansion und auch ihrer noch einmal intensivierten Begegnung mit griechischer, hellenistischer, punischer Kultur - um nur die wichtigsten zu nennen - seit dem Zweiten Punischen Krieg in einem schnellen inneren Wandel begriffen war. Die
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sche Literatur> reagiert hier mit dein Sammeln von Traditionen, ihrer Systematisierung und Verschriftlichung - rund einhundertfünfzig Jahre nachdem, zu Beginn des dritten Jahrhunderts, schriftliche Aufzeichnungen laufender Geschäfte in öffentlichen Institutionen begonnen hatten. Schon die schriftliche Fixierung und die Systematisierung von Traditionen ist eine Form der Rationalisierung; die Reflexion von Traditionen und ihrer Gefährdung, die präzisierende Zuspitzung beobachteter und erzählter Praktiken, die Ordnung und Klassifikation unterschiedlicher kultureller Praktiken ist grundsätzlich impliziert. Ob gewollt oder nicht tritt die verschriftlichte Tradition als ganze in einen Diskursraum, in den sie zuvor nur als Zitat von Unverfügbarem (wenn auch oft genug im Modus der Modifikation, Fälschung und Erfindung) eingegangen will'. Diese Modi selbst verändern in der textbasierten Diskussion, in der Diskussion festgestellter Traditionen ihren Status. Gleichwohl wird dieser Diskurs in den antiquarischen Texten nach den Kriterien korrekter Mimesis, zuverlässiger Quellen und schlichter Effizienz geführt - eine Nähe zur gleichzeitig entstehenden Fachliteratur (zu nennen ist Catos De agricultura) ist unverkennbar. Diese Beobachtung führen zu einer Ausweitung der Perspektive. Die Entwicklung eines ist eingebettet in einen differenzierten Rationalisierungsprozess, der nicht losgelöst vom kulturellen Austausch mit der griechischen Welt gesehen werden muss. Dabei ist die lange vorlaufende griechische Präsenz in Rom nicht nur ein Faktor, sondern auch Indikator: griechische Präsenz ist zunehmend Folge des römischen Imports von Statuen, Bibliotheken und Menschen. Griechisches tritt damit doppelt, als Einfluss wie als Konstrukt, in den Blick und verliert sein Monopol als Erklärungsfaktor. Die Verbreitung hellenistischer Rationalität hat viele Facetten. Gerade Religion als ein System von Zeichen und Handlungen, für die eine tradition ale Legitimation charakteristisch ist und Annahmen über Außeralltägliches konstitutiv sind, wird durch den Rationalisierungsschub in einer neuen Weise explizit. Systemtheoretisch kann das als Ausdifferenzierung beschrieben werden, handlungstheoretisch, aus der Sicht der einzelnen Beteiligten, wird damit ein neuer Bereich und werden neue Kommunikationsformen eröffnet. Religion wird diskursiv. Das gilt dann auch und verstärkt für andere kulturelle Bereiche, wenn selbst ein gesellschaftlich so zentrales Wertreservoir wie Religion davon erfasst wird. Rationalisierung - hat auch eine soziale Dimension. Rationales Argumentieren tritt in Konkurrenz zu traditionaler Autorität - der Widerstand gegen die lateinische Rhetorik macht das sehr klar. Das lässt sich gesellschaftlich klar verorten: Tradition ist eine Autoritätsquelle, über die die Nobilität in besonderer Weise verfügt (Thomas Habinek), auch wenn hier konkurrierende Ansprüche auftreten können. Aber im Zweifelsfall können Traditionalitätsbehauptungen auch durch Macht gesichert werden. Wissen und Argumentation verlagern tendenziell Autorität in die Hände von Spezialisten. Für Rom zeigt das Zusammenspiel von Dramen-Produzenten und Spielgebern, dass Spezialistentum und andere Autorität gut miteinander auskommen können - aber die Geschichte des hochliterarischen Dramas nach dem zweiten Jahrhundert v. Chr., der der öffentliche Aufführung mehr und mehr Formen des Mimus einräumt, zeigt auch, dass es sich um prekäre Balancen handelt. Im übrigen dominieren im zweiten Jahrhundert noch die <Spezialisten> aus der Nobilität, dominiert
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noch die Personalunion; alternative Modelle werden durch Vertreibungen von marginalen Spezialisten - Rhetoren, Astrologen, Philosophen - zurückgedrängt; erst im Übergang zur Sullanischen Zeit treten Annalisten und Grammatiker, die nicht der Oberschicht angehören, in den Vordergrund, finden sich Ansätze zu einem Professionalisierungsprozess. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an den Konflikt zwischen L. Accius, wohl dem Vorsitzenden des collegium poetarum, und C. Iulius Caesar Strabo, dem Patrizier, vor dem sich Accius nicht erhob. Die argumentationsgeschichtliche Analyse zeigt, wie stark Denkmuster in oberschichtliche Kommunikation eingeflossen sind. In der sich - trotz vielfacher Widerstände - seit der Gracchenzeit ausbreitenden Rhetorik gewinnen die Angehörigen dieser Führungsschicht das Instrument, diese Gewinne politisch fruchtbar zu machen. Sozial relevant wird aber das vielschichtige Spezialistenwissen nur dort, wo es eine Integration in eine Nutzung für politische und Machtdiskurse bekommt, hier entfaltet die rationale Argumentation auch ihre besondere Brisanz, indem sie Paketlösungen, die soziales Ansehen, die Sequenzierung oder Temporalisierung von Ansprüchen beinhalten, diskreditiert. Faktisch ist bei allen Exzessen, dem Mord an Tiberius Gracchus etwa, das Konsenspotential noch ziemlich breit, wie die zahheichen gelungenen Gesetze und ihre Haltbarkeit zeigen. Aber gerade hier zeigt sich die Ambivalenz des Prozesses. Die Texte gewinnen ein Eigenleben. Gleichwohl zeichnet sich bei aller Streuung der Macht eine Konzentration auf Personen ab, die sich etwa im späten zweiten und frühen ersten Jahrhundert im Augurenkollegium und seinem Umfeld bewegen. Das mag Zufall gewesen sein; in jedem Fall aber gewinnt Divination einen Stellenwert, den sie bis zum Ende der Republik im politischen Geschäft nicht mehr verlieren wird. Der bewusste Einbau von Divination in Entscheidungsprozesse, die nicht nur Personen - also Wahlen -, sondern nun auch zunehmend Normen - also Gesetzgebung - betreffen, ist zentraler Bestandteil des Rationalisierungsprozesses. Diese aus der Genese der Regelungen, die das politische Spiel der ausgehenden Republik prägen, gewonnene Charakterisierung lässt sich in einer näheren Analyse der dadurch organisierten Entscheidungsprozesse bestätigen. Der hohe Stellenwert des Kollegiums der Auguren ist kein Zufall. Das führt noch einmal auf die anfangs genannten Texte und Kommunikationsformen zurück. Oberschichtliche Religionsausübung wird im Rom der späten Republik durch Texte begleitet, die als angesprochen werden können und sich selbst so verstehen. Die populärste Form, Dichtung, in der Terminologie Varros: das genus mythicon, steht sicherlich voran. Philosophische Theologie ist präsent, aber kaum öffentlich. Philosophieren erfolgt weitgehend in griechischer Sprache, ist in Rom Gespräch mit griechischen Gästen oder Flüchtlingen im eigenen Haus, ist literarische Kommunikation mit geringer Breitenwirkung. Die Versuche, das zu ändern, wurden benannt - und sie nennen selbst die Probleme. Cotta, der Pontifex und Dialogpartner in Ciceros Abhandlung über die Götter, lässt philosophisches Räsonieren über Religion für den Bereich traditionellen religiösen HandeIns gar nicht zu (Cie. nato 3,6). Tatsächlich baut das verbreitetste Modell religiöser Diskurse, in Historiographie wie antiquarischer Literatur, auf der narrativen Evidenz genetischer Erklärungen und
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der schlichten Verschriftlichung auf. Es sind Angehörige des Senats, oft, keinesfalls zwingend, Angehörige der großen Priesterkollegien, die dieses Verschriftlichung vornehmen. Trotz der überlieferten Titel - <Über Auguralrecht> oder ähnliches - darf man sich, wie die Varronischen Fragmente zeigen, die Systematik dieser Texte nicht zu straff vorstellen, wenn auch ein Systematisierungsvorsprung gegenüber den chronologischen Protokollen der Priesterschaften, die im dritten Jahrhundert ihre allerersten Anfänge haben, zu postulieren ist. Widmungen, ja Nachrichten über Auftragsproduktionen zeigen, dass es sich durchaus um handeln kann. Verbindungen solcher Texte mit Augusteischen Reformen und - wichtiger - Fiktionen, die dann historisch legitimiert beziehungsweise cachiert werden, unterstreichen das: Reformpraxis, bewusst beschleunigte Modifikation von Traditionen, und unsystematische Weiterentwicklung gehen mit der Verschriftlichung einher. Auf dieser Grundlage müssen auch die spätrepublikanischen Munizipal- und Koloniegesetze verstanden werden. Sie bieten gerade keine inhaltlichen Systematisierungen von Religion, sondern Einzelregelungen, oft mit polemischem Hintergrund, die das Modell römischer Religion erkennen lassen: einer Religion, die ebenso durch den Versuch magistratischer Kontrolle wie das Zugeständnis eines eigenen Wirkungs- und Institutionalisierungsraumes charakterisiert ist. Weitere Mitarbeiter(innen): Kerstin Anton, Andreas Bendlin, Alexandra Dalek, Miriam Fischer, Blossom Stefaniw, Astrid Willenbacher. Förderungszeitraum: 2005 bis 2007. Veröffentlichungen Ando, c.; Rüpke, J. (eds.) 2006. Religion and Law in Classical and Christian Rome (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 15), Stuttgart: Steiner. Ando, c.; Rüpke, J. 2006. , in: Ando, C.; Rüpke, J. (eds.), Religion and Law in Classical and Christian Rome (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 15), Stuttgart: Steiner, 7-13. Barchiesi, A.; Rüpke, J.; Stephens, S. (edd.) 2004. Rituals in Ink: A Conference on Religion and Literary Production in Ancient Rome, Held at Stanford University in February 2002 (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 10), Stuttgart: Steiner. Bendlin, A. 2006. , in: Dorothee Elm von der Osten, Jörg Rüpke, Katharina Waldner (Hgg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 14), Stuttgart: Steiner, 159-207. Elm von der Osten, D.; Rüpke, J.; Waldner, K. (Hgg.) 2006. Literatur als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 14), Stuttgart: Steiner. Rüpke, J. 2004. , in: Barchiesi, A.; Rüpke, J.; Stephens, S. (edd.), Rituals in Ink: A Conference on
Religion and Literary Production in Ancient Rome, Held at Stanford University in February 2002 (Potsdamer altertums wissenschaftliche Beiträge 10), Stuttgart: Steiner, 23-43. Rüpke, J. 2004. , Jahrbuch für Antike und Christentum 47, 5-15. Rüpke, J. 2005. <Buchreligionen als Reichsreligionen? Lokale Grenzen überregionaler religiöser Kommunikation>, Mittellateinisches Jahrbuch 40, 197-207. Rüpke, J. 2005. , in: Justin Stagl, Wolfgang Reinhard (Hgg.), Grenzen des Menschseins: Probleme einer Definition des Menschlichen (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie 8), Wien: Böhlau, 435-468.
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Rüpke, J. 2005. , in: Christoph Bultmann, Claus-Peter März, Vasilios N. Makrides (Hgg.), Heilige Schriften, Münster: Aschendorff, 189-202, 248-249. Rüpke, J. 2005. Narro's tria genera theologiae: Religious thinking in the late Republic>, Ordia prima 4, 107-129. Rüpke, J. 2006. , in: Robert Morstein-Marx, Nathan Rosenstein (Hgg.), The Blackwell Companion to the Roman Republic, Oxford: Blackwell, 215-235. Rüpke, J. 2006. <Ennius' fasti in Fulvius' Temple: Greek Rationality and Roman TraditioD>, Arethusa 39, 489-512. Rüpke, J. 2006. , in: Elm von der Osten, D.; Rüpke, J.; Waldner, K. (Hgg.), Literatur als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 14), Stuttgart: Steiner, 209-223. Rüpke, 1. 2006. , in: Ando, c.; Rüpke, J. (eds.), Religion and Law in Classical and Christian Rome (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 15), Stuttgart: Steiner, 34--46. Rüpke, 1. 2006. , in: Lukas de Blois, Peter Funke, Johannes Hahn (edd.), The Impact of Imperial Rome on Religions, Ritual and Religious Life in the Roman Empire: Proceedings ofthefifth workshop ofthe internationalnetwork Impact of Empire (Roman Empire, 200 B.C.-AD. 476) Münster, June 30-July 4, 2004, Leiden: Brill, 11-23. Rüpke, J. 2007. , in: Dirk Uffelmann, Holt Meyer (Hgg.), Religion und Rhetorik (Religionswissenschaft heute 4), Stuttgart: Kohlhammer (im Druck).
Stadtrömische Religion in globaler Perspektive: Ovids Fastenkommentar und Dionysios von Halikarnassos' Antiquitates Romanae 1-2 DARJA STERBENC ERKER
Dionysios von Halikarnass und Ovid, beide Intellektuelle Augusteischer Zeit, beschreiben die spezifisch stadtrömische Religion, Dionysios in den Antiquitates Romanae 1-2 entlang der Entstehung Roms, Ovid in den Fasti entlang dem römischen Festkalender. Das Projekt konzentrierte sich auf die räumlichen Bezüge der Religion Roms, die den translokalen kulturellen Charakter sicherstellen. Im Mittelpunkt standen die religiösen Institutionen Roms, deren Entstehung die beiden Autoren in die Zeit vor der Gründung Roms bis zum Ende der Königszeit datieren. Ein besonderes Interesse galt jenen Darstellungen römischer Feste, deren griechischer oder arkadischer Ursprung durch beide Autoren betont wird. Die Frage galt der Formation lokaler stadtrömischer Religion durch griechische Einflüsse und konkreter durch Religionsgründer aus griechischen Städten (zum Beispiel Euander und seine Mutter Carmenta; Hercules). Es wurde hinterfragt, wie und mit welchen Intentionen beide Autoren die griechischen oder anderen «fremden» religiösen Praktiken Roms darstellen. Zudem wurde untersucht, auf welche Art und Weise Ovid stadtrömische religiöse Einrichtungen mit hellenisierten Formen (griechischer Mythos) beschreibt. Gerade in der Verwendung von «griechischer» Kultur und «griechischen» Religionsgründern für die Universalisierung römischer Lokalreligion zeigte sich, wie problematisch eine ethnische Deutung solcher kultureller Konnotationen ist. Dionysios von Halikarnass schildert die Religion der Tiberstadt einem griechischsprachigen Publikum, das sich seiner hellenistischen Wurzeln versichert, Ovid kommentiert selbst noch am Schwarzen Meer den stadtrömischen Kalender. Der aus dem kleinasiatischen Raum stammende Intellektuelle schildert die Polisreligion einer griechischen Stadt, die römischen Festtraditionen des Umbriers werden in den Rahmen einer universalen Religion eingeordnet. «Reichsreligion» erscheint in diesen bei den Texten nicht als eine Schicht religiöser Praktiken oberhalb lokaler Religion, sondern als Rekonstruktion einer griechisch-römischen, das heißt in zeitgenössischer Perspektive: einer universalen Stadtreligion, in den Grenzen akzeptabler lokaler Variationen. Beide Autoren betonen die religiösen Kontakte zwischen den verschiedenen Kulturen des römischen Reiches. Sie benennen die Gründer der religiösen Institutionen Roms und legen dar, wie es zu den griechischen Einflüssen auf die römische Religion kam. Zunächst wurde der Anspruch des Dionysios von Halikarnass analysiert, seine Autorität und Glaubwürdigkeit als griechischer Historiker Roms zu etablieren. Der Historiker konstruierte Prinzipien einer «wissenschaftlichen» Methode und griff auf
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römische und griechische Annalisten zurück. Seine historische Methode sucht nach dem Wahrscheinlichen in den Berichten der Vorgänger und beruht auf «wissenschaftlichen» Standards (zum «Rationalismus» siehe oben S. 137). Dionysios beweist mittels der römischen Überlieferungen, dass die Ursprünge der Stadt griechisch waren, diese Vorstellung wurde in Ovids Schilderung der griechischen Gründer der römischen Religion fortgeführt. Ovids Wiederaufnahme der Erzählungen über die griechischen Gründer zeigt, dass der griechische Ursprung der römischen Religion und Kultur keineswegs eine marginale Ansicht war, sondern eine verbreitete Narration, die die «fremden» Ursprünge einzelner aristokratischer gentes verdeutlichte, die ihre Vorfahren bis auf die griechischen Stadtgründer zurückführten. Ovid unterwarf seinen Autoritätsanspruch einigen der Kriterien von Dionysios' «wissenschaftlicher» Methode (<
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logien der Feste, manchmal parallel zu den römischen Legenden. Das griechische Kulturgut zeigte sich somit als ein fester Bestandteil der römischen Kultur. Was die Bezüge zur augusteischen Gegenwart betrifft, ist wahrnehmbar, dass Ovid an seinem elegischen Gedicht Fasti zu schreiben anfing, nachdem Dionysios Rom verlassen hatte. Es fand ein Wandel im politischen Klima statt, der Primat des Princeps wurde gegen 2 v. Chr. deutlich spürbar. Dionysios von Halikarnass lobt die augusteischen Werte und Tugenden, das Land (laudes Italiae), die römischen aristokratischen gentes und die politische Vernunft der Römer sowie der Gründer der politischen Institutionen. Diese Themen greift Ovid auf, wobei in den Fasti das Lob der domus Augusta stärker in den Vordergrund tritt, vor allem in den Passagen, die er im Exil überarbeitet hat. Es hat sich erwiesen, dass die Darstellungsinteressen beider Autoren bezüglich des Kybelekultes in Rom stark divergieren. Dionysios von Halikarnass verweist auf den Unterschied zwischen öffentlichen (oberschichtlichen) und privaten Ritualen, indem er sich stets bemüht hervorzuheben, dass in der öffentlichen Religion Roms keine «verpönten» Rituale durchgeführt wurden. Obwohl die römischen Sitten zu seiner Zeit im Vergleich zu den ursprünglichen korrumpiert seien, gebe es in der öffentlichen Religion Roms keine ekstatischen, korybanthischen, bacchischen Rituale, kein rituelles Betteln, keine geheimen Initiationen oder gemeinsame nächtliche Vigilien von Männern und Frauen. Die von Dionysios aufgezählten rituellen Praktiken wurden laut Ovid sichtbar in Rom vollzogen, sie passen aber nicht in Dionysios' Idealbild von den Römern. Der Historiker lobt die römischen Bräuche, die sich in öffentlichen Ritualen der Oberschicht manifestieren und die damit verbundene Moral. Sein Katalog der verpönten Rituale hat sich als eine Aufzählung der unerwünschten rituellen Praktiken aus der Sicht der oberschichtlichen Moral erwiesen. Dies war zugleich ein Kanon der «fremdartigen» Riten, die nicht mit dieser Moral vereinbar waren. Ovid betont dagegen ausdrücklich, dass die ekstatischen Tänze der Kybelepriester (Galli) und die typische Musik symbolisch den (griechischen) Mythos von Iuppiters Jugend auf Kreta vergegenwärtigten. Ovid stellt die «phrygischen» Rituale und ekstatischen Elemente in einem archaischen Kontext dar (das Spielen der Musik im Kybeleritual als Nachahmung der Koureten von Kreta) und schreibt ihnen eine positive Bedeutung zu. Die Kybelerituale, die in Dionysios' moralistischem Diskurs als «fremd» diffamiert wurden, werden bei Ovid ein integraler Bestandteil der stadtrömischen Festkultur. Am Beispiel des Ceresmythos in den Fasti wurden Ovids Universalisierungsstrategien untersucht. Cicero und augusteische Autoren verwiesen auf die Aitiologie des Cereskultes in Form des Koreraubmythos, die sich durch Rezeption der griechischen Demeter-«Theologie» entwickelte. Antike Autoren hoben die zivilisatorischen Errungenschaften, die mit dem Cereskult verbunden waren und deren «griechische» Herkunft hervor, so wurde Ceres als «Gesetzgeberin» zur Schutzherrin der civitas und der bürgerlichen Ordnung. Ovid verweist mit der Nacherzählung des Koreraubmythos auf die Universalität des zivilisatorischen Cereskultes und schildert die römische religiöse Identität als der griechischen sehr nahe stehend. Ovid bedient sich in den Fasti des Koreraubmythos als Aitiologie des Cereskultes, um die eigene Religion als allgemein gültig und zugleich als zentrale Religion aller Völker darzu-
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stellen. Diesen Universalitäts anspruch gewann der Cereskult in Rom aufgrund des politischen Modells, das er repräsentierte und durch die Parallelen, die er im politischen System mediterraner poleis hatte. Ein größerer Teil der Arbeit zu den Strategien beider Autoren, die Kultur und Religion Roms als universell darzustellen, wird noch fortgeführt, hier werden einige Themen erwähnt. Ein einheitliches Bild der Urgeschichte Roms wurde als grundlegend für die Ausführungen beider Autoren aufgezeigt. Beide Autoren ordnen die Geschichte Roms in den Rahmen der Universalgeschichte der Welt ein. Im Gegensatz zu Dionysios, der mit der Besiedlung der Siculi, Aborigines und Pelasgi auf der italischen Halbinsel beginnt (ant. rom. 1,9), greift Ovid noch weiter zurück und erwähnt die kosmologische Vergangenheit, das Urchaos und seine Gliederung in vier Elemente: fast. 1,103-118; 5,11-24, darauf folgt das Goldene Zeitalter und die Königsherrschaft von Saturnus und Ianus (1,193-194). Anders als Dionysios, der die Geschichte Roms zum großen Teil linear erzählt, erwähnt Ovid die mythisch-historische Entwicklung Roms in verschiedenen Passagen, ohne sich an eine chronologische Ordnung zu halten. Ausschlaggebend für die Reihenfolge der Episoden aus der römischen Vergangenheit ist für Ovid die Kalenderstruktur, verschiedene Aspekte aus der Geschichte Roms werden dargelegt, um die mythische Entstehungszeit der religiösen Institutionen zu erläutern. Diese Arbeitsweise verwendet auch Dionysios, wenn er die Entstehung religiöser Institutionen erklärt, für die er auf die Ereignisse aus der Urgeschichte Roms zurückgreift (das Ritual an den Kapellen der Argei sei ein Ritus aus dem saturnischen Zeitalter gewesen). Beide Autoren verdeutlichen die wichtige Rolle Roms in der Weltgeschichte, was einen engen Bezug zur Selbstdarstellung der Stadt Rom unter dem Princeps Augustus hat. Im Rahmen der Fragestellung nach der Einordnung römischer ritueller Praktiken in die Weltgeschichte und universale griechische Kultur wurden die Schilderungen des öffentlichen Totenkultes analysiert. Ovid und Dionysios von Halikarnass erwähnen mehrere Feiern des öffentlichen Totenkultes in Rom: die Parentalia im Februar, die Larentalia im Dezember sowie die Feier der Argei im Mai. Am ersten Tag der Parentaliawoche (13.-21. Februar) brachte die oberste Vestalin eine Libation an «Tarpeias Grab» dar, an den Larentalia (23. Dezember) war der Flamen Quirinalis für das Trankopfer am Grab der Larentia zuständig. Es war von Belang, die Identität der Adressatinnen beider öffentlicher Libationen für die Toten zu bestimmen. In, den Erzählungen über die Gründung Roms wurden ihnen widersprüchliche Rollen zugewiesen, die die ambivalente Identität weiblicher Vorfahren in Rom aufzeigen, die im öffentlichen Kult verehrt wurden. Diese historisierenden Erzählungen betrachten zudem die Religion und die daraus konstruierte Identität als eng mit dem stadtrömischen Raum verbunden. Ovid und Dionysios von Halikarnass geben jedoch Indizien in den Aitiologien zu den öffentlichen Totenfeiern über die griechischen Einflüsse auf Rom. So erinnert Ovid zufolge die Argei-Feier an die ersten Einwohner Roms, die aus griechischen Städten Argos und Pallantium stammten. Es hat sich erwiesen, dass eine in der Forschung häufig hervorgehobene Deutung der Argei als «Sündenbockopfer» oder «apotropäisches Opfer» nicht ausreichend ist und die Darstellungsintentionen Ovids und Dionysios' verfehlt. Die stadtrömischen Kultstätten für die Griechen (Argei) sowie die Behandlung des Argei-Festes im Mai belegen die kulti-
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sche und literarische Tendenz, die Einwohner Roms seit der Gründung der Stadt als Griechen darzustellen. Ein weiteres Beispiel für die Zu schreibung eines «fremden» Ursprungs der römischen Religion ist Ovids Angabe, dass die Rituale der Totenfeier im Februar (Parentalia) trojanischen Ursprungs seien, da Aeneas sie gegründet habe. Diese ethnische Zuschreibung ist im Kontext der oberschichtlichen Ideologie zu deuten, die die Ursprünge römischer Religion auswärts, im zivilisationsstiftenden Griechenland oder in Troja sucht, um ihre soziale und politische Überlegenheit zu verdeutlichen und legitimieren. Nach Dionysios' Ansicht haben die Römer die paideia besser bewahrt als die Griechen, was sich an zahlreichen Stellen der Antiquitates Romanae äußert, in denen Dionysios die römische Religion und Kultur als abgeleitet von einer idealisierten griechischen schildert. Dionysios propagiert die griechische Bildung und römische Moral im Kontext der Etablierung der Reichseinheit durch Augustus als ein für Römer und Griechen in gleicher Weise erreichbares Ideal. Das griechisch-römische Ideal der klassizistischen paideia wurde durch die augusteische Anwendung zu einem der stärksten identitätsstiftenden und integrierenden Faktoren, da sich mit dieser paideia auch Nicht-Griechen und Nicht-Römer in die kulturelle Welt des Imperiums einfügen konnten. In den Fasti und in den Antiquitates Romanae wird das Römische Imperium als ein von Rom durchaus kulturell und religiös angeeigneter Raum inszeniert. Die Religion des politischen Zentrums, welche die «fremden» Kulte und Mythen einst von den Griechen und Trojanern übernommen hatte, wird als universell dargestellt sowie als Medium religiöser Globalisierung. Förderungszeitraum: 2006 bis 2007. Veröffentlichungen Sterbenc Erker, D. 2007. , in: Schörner, G.; Sterbenc Erker, D. (Hgg.), Religiöse Kommunikation (in Vorbereitung). Sterbenc Erker, D. «, in: Die religiösen Rollen römischer Frauen in «griechischen» Ritualen (Habilitationsschrift eingereicht im WS 200612007 an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt). Sterbenc Erker, D. , ebd.
Religion erzählen: Griechische Romane als Teil des religiösen Diskurses der Kaiserzeit KATHARINA WALDNER
Gegenstand und Methodik Im Mittelpunkt des Projektes standen die fünf in voller Länge erhaltenen griechischen Romane: Chariton, Kallirhoe; Xenophon von Ephesos, Ephesiaka (allerdings eventuell eine Epitome); Achilleus Tatios, Leukippe und Kleitophon; Longos, Daphnis und ehloe; Heliodor, Aithiopika. Die darüber hinaus überlieferten Fragmente sowie die Epitome des dem Lukian zugeschriebenen Eselsroman wurden nur kontrastierend und ergänzend in die Untersuchung miteinbezogen. Die in der bisherigen Forschung vernachlässigte! oder aber überinterpretierte (Reinhold Merkelbachs «Mysterienthese» )2 Frage nach der Rolle von Religion in diesen Texten wurde eingebettet in den Zusammenhang des gesamten Projektes - auf einer neuen Ebene gestellt: Als Produkte der sogenannten «Zweiten Sophistik» sind die griechischen Romane erstens Teil eines philosophischen, universalisierenden Diskurses über Religion in der Kaiserzeit. Inwieweit nehmen sie an den dort geführten Debatten über Religion teil und welchen besonderen Beitrag leistet dabei das «Medium» der fiktiven Erzählung? Zweitens wurde vor dem Hintergrund der Arbeiten Denis C. Feeneys3 zum Epos gefragt, ob und wie die Romanautoren zum Problem der Repräsentation des Göttlichen in ihren Texten Stellung nehmen und inwiefern diese Problematisierung als Teil eines universalisierenden, für die Kaiserzeit typischen religiösen Diskurses gelesen werden kann. Umgekehrt stellte sich, drittens, aus religionshistorischer Sicht die Frage nach der Funktion des Erzählens als Medium religiösen Wissens. Die Parallele zur gleichzeitig entstehenden christlichen Literatur ebenso wie zu älteren jüdischen Erzählungen (wie etwa Joseph und Aseneth) liegt auf dieser Ebene'(und nicht in der Übernahme einzelner Motive, wie etwa der Kreuzigung). Die Analyse der Darstellung und Funktion von Religion in den Texten wurde unter fünf Gesichtspunkten durchgeführt: Religion als Spektakel; «Frömmigkeit» der Protagonisten; religiöse Selbstinszenierung der Autoren; die Darstellung der Religion der «Anderen»; Religion und Philosophie. Eine ausführliche Studie zur Aitiologie in hellenistischen Texten und ihrer Rezeption in der römischen Literatur lieferte darüber hinaus einen breiteren Hintergrund für die Frage nach der Entwicklung des religiösen Diskurses in der Literatur in Hellenismus und Kaiserzeit. 4 1 Z. B. Whitmarsh, T. 2001. Greek literature and the Roman Empire: the politics 0/ imitation, Oxford: University Press. 2 Merkelbach, R. 1962. Roman und Mysterium in der Antike, Berlin: De Gruyter. 3 Feeney, D. C. 1991. The Gods in Epic. Poets and Critics 0/ the Classical Tradition, Oxford: Clarendon Press, Pb. 1993 e1991).
Religion erzählen
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Ergebnisse Es stellt sich heraus, dass sich die erhaltenen Romane im Hinblick auf die Thematik Religion klar in zwei Gruppen aufteilen lassen: Auf der einen Seite stehen die «historischen» oder «historisierenden» Romane von Chariton, Xenophon von Ephesos und Heliodor: Der religiöse Diskurs dieser Texte lässt sich vor dem Hintergrund des Epos und der Geschichtsschreibung beschreiben - er bezieht sich explizit auf diese beiden Modi des Erzählens vom Göttlichen und gestaltet doch etwas ganz Neues, eine rein fiktive, die Vorstellungen und Ideale der zeitgenössischen Leser reflektierende Welt. Selbst die Figur des Autors, der sich im Text selbst vorstellt, kann als Teil der Fjktion aufgefasst werden. Auf der anderen Seite stehen Achilleus Tatios' Leukippe und Kleitophon und Longos' Daphnis und ehloe, die man als «philosophische» oder «philosophierende» Romane bezeichnen könnte. Auch sie verwenden den bereits kanonischen Plot der Liebes- und Abenteuergeschichte; Religion erscheint in ihnen jedoch als philosophisches Sujet so verbinden sie die Liebesgeschichten mit der seit Platon gängigen philosophischen Verwendung der Mysterienterminologie und reflektieren über die Möglichkeiten der Repräsentation des Göttlichen. Heliodor allerdings lässt sich in einigen Aspekten seines Textes durchaus auch zur zweiten Gruppe zählen. Die drei
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realen, berühmten Heiligtümer der Göttin Aphrodite, sondern die Beziehung zwischen Göttin und Protagonistin. Diese bildet den roten Faden, der die Erzählung zusammenhält. Auch in Xenophons Ephesiaka schafft die Religion Ordnung in einer ausgesprochen unübersichtlichen Welt - allerdings in einer dem Vorgehen Charitons genau entgegen gesetzten Art und Weise: Die Protagonisten kommunizieren jeweils nur mit einer einzelnen, für den Ort typischen Gottheit: 7 In Ephesos natürlich mit Artemis, auf Rhodos mit Helios, in Ägypten mit Isis; der Zorn von Eros reicht überall hin, aber gerettet werden die Protagonisten jeweils von den «lokalen» Gottheiten. Für die für Hellenismus und Kaiserzeit inschriftlich und archäologisch belegte religiöse Vielfalt und lokale Spezifität öffentlicher und privater Kulte ist kein Platz. Bei Heliodor schließlich verknüpft sich die durch die religiösen Kulte geschaffene räumliche Ordnung auf eine neue Weise mit der Identität der Protagonisten. Die Handlung wird durch drei Heiligtümer und ihre Götter strukturiert: Delphi (Apollon), Memphis (die ägyptischen Götter) und schließlich Meroe (mit den Hauptgottheiten Helios und Selene); die Hauptpersonen des Romans sind diesen Gottheiten und Heiligtümern jeweils durch Priesterämter verbunden. Auch die zeitliche Ordnung, der Verlauf der Handlung wird nicht durch Mythologie, sondern durch Religion, durch die Kommunikation zwischen Menschen und Göttern, bestimmt. Zwar deuten Chariton und Xenophon durch die Motive «Zorn der Aphrodite» beziehungsweise «Zorn des Eros» noch so etwas wie einen «Götterapparat» an - doch die Ereignisse werden durch Tyche bestimmt. So lässt Chariton seine Kallirhoe am Ende zu ihrer Lieblingsgöttin Aphrodite sagen: «Ich mache dir keinen Vorwurf, Herrin, wegen der vielen Leiden, die ich erdulden musste. Sie waren mir von Tyche bestimmt» (8,6,5). Hier übernimmt der Roman eindeutig die in der Geschichtsschreibung seit dem Hellenismus übliche Redeweise vom Göttlichen. Dabei vermittelt uns die Überlieferungslage ein nur unzureichendes Bild: inschriftliche Fragmente zeigen, dass es außerhalb eines «Klassikers» wie Polybios und' insbesondere in der Lokalgeschichtsschreibung durchaus üblich war, von Träumen, Orakeln und dem wundersamen, rettenden Eingreifen göttlicher Mächte zu berichten. 8 Der Leser der Romane kann beobachten, wie sich Orakelsprüche und Träume mit Regelmäßigkeit erfüllen; die Gewissheit einer göttlich garantierten Wahrheit und Gerechtigkeie hat er den Protagonisten allerdings oft voraus, da diese - in die,Handlung verwickelt - die göttlichen Zeichen gelegentlich falsch deuten. Bei Heliodor wird gar der Leser selbst als Deuter von Zeichen vom Erzähler in die Irre geführt, bis ihm das Ende der Erzählung die ganze «Wahrheit» enthüllt; 10 was allerdings bedeutet es, dass diese «Wahrheit» eine vom Autor erfundene Geschichte ist, die der wirklichen Geschichtsschreibung nur ähnlich sieht? Gerade im Fall Heliodors, der durch 7 Diese Orts gebundenheit von Gottheiten gilt auch bei Heliodor; so erscheinen beispielsweise dem ägyptischen Priester und Magier Kalasiris in Delphi die Götter Artemis und Apollon (und nicht etwa die ägyptischen Götter). 8 Vgl. Chaniotis, A. 2005. War in the Hellenistic World. A Social and Cultural History, MaIden (MA.) u. a.: Blackwell Publishing, 157-160; 217-220. 9 Vgl. dazu Waldner 2006. 10 Winkler, J. J. 1982. «The mendacity of Kalasiris and the narrative strategy of Heliodoros' Aithiopika,» Yale Classical Studies 27, 93-158; Morgan, J. R. 2003. «Heliodorus», in: Gareth Schmeling (Hrsg.). The Novel in the Ancient World, Oxford; Leiden: Brill 22003 (1996),417-456;
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diese eigenartige, erzählerische Darstellung des bereits kanonischen Plots nicht nur zu den historischen, sondern gleichzeitig auch zu den «philosophischen» Romanen zu rechnen ist, stellt sich diese Frage mit besonderer Dringlichkeit. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welche Rezeptionshaltung wir den antiken Leserinnen und Lesern unterstellen möchten - und da die Romane in keinem literaturtheoretischen Werk der Antike Erwähnung finden, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Vergegenwärtigen wir uns beispielsweise die im Oeuvre Lukians (Teilprojekt 3) fassbaren Diskussionen um «Wahrheit» und «Lüge»,ll so ist es unwahrscheinlich, dass antike Leser die Romane des Chariton, Xenophon und Heliodor nicht von Lokalgeschichtsschreibung und - beispielsweise - Aretalogie unterscheiden konnten. Doch dies beantwortet noch nicht die Frage, wie sie die in den Romanen geschilderte, rein griechische, eine gerechte Ordnung garantierende, universale Polisreligion der Protagonisten beurteilten: Als Schilderung der Realität? Als erstrebenswertes Idealbild? Als ein erkennbar aus der kanonischen griechischen Literatur «gebasteltes» Konstrukt, das aber immerhin den identitätstiftenden Charakter eben dieser Literatur l2 bestätigte? Die Ergebnisse der Untersuchung des religiösen Diskurses in den Romanen des Achilleus Tatios und Longos, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen, zeigen zumindest, dass eine kritische Lektüre dieser auf den ersten Blick so naiv wirkenden narrativen Darstellungen universal-griechischen Frömmigkeit durchaus möglich war. Die Romane des Achilleus Tatios und des Longos zeichnen sich durch hohe Selbstreflexivität aus; gerade deshalb gelten sie als besonders typische Produkte der Zweiten Sophistik. 13 Was aber bedeutet dies für die Analyse ihres religiösen Diskurses? In beiden Romanen erscheint Religion nicht als strukturierendes Element des Plots (dieser ist bereits gattungstypisch vorausgesetzt), sondern als «Bildungsgut», als Bestandteil der paidda. Dies zeigt sich bereits in der Inszenierung der Erzählerfiguren: Während bei Chariton und Heliodor der Erzähler sich am Anfang beziehungsweise Ende des Textes mit einem Namen (der für uns mit dem Namen des Autors zusammenfällt) vorstellt und dieser Name sich mit der religiösen Dimension der Erzählung in Verbindung bringen lässt (Chariton stammt aus Aphrodisias, das heißt der «Stadt der Aphrodite» und Heliodor «aus dem Geschlecht des Helios») bilden bei Achilleus Tatios und Longos die für den Diskurs der paide{a so typische, gebildete Exegese von in Tempeln aufbewahrten Kunstwerken die Verbindung zwischen Erzählerfigur und Religion. So gibt der Roman des Achilleus Tatios die IchErzählung des Kleitophon wieder, die dieser dem namenlos bleibenden Erzähler in einem Heiligtum der Astarte in Sidon anvertraut. Anlass des Gespräches ist die Betrachtung eines als Weihgeschenk aufgestellten Bildes der Entführung der Europa. Bei Longos berichtet ein ebenfalls anonym bleibender Erzähler, wie er zufällig in einem Nymphenheiligtum auf Lesbos auf ein Gemälde stößt. Der Roman ist der Versuch des Erzählers, dieses Gemälde, das ihm von einem einheimischen exegetes erst erklärt werden muss, im Hinblick auf die Darstellung der erotika zu übertreffen. 11 Vgl. Bowersock, G. W. 1994. Fiction as history. Nero to Julian, Berkeley: University of Califomia Press. 12 Vgl. Whitmarsh 2001. 13 Z. B. Whitmarsh 2001.
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Religion ist Teil des gelehrten Diskurses der paidefa, ein Phänomen, das sich beispielsweise auch in den Werken Lukians beobachten lässt (siehe das folgende Kapitel). Die Proömien beider Romane stellen aber auch die in philosophischen (auch christlichen!) Texten der ersten drei Jahrhunderte häufig diskutierte Frage nach den verschiedenen Modi der Wahrnehmung (beziehungsweise Wahrnehmbarkeit) und Repräsentation des Göttlichen. 14 Wie in allen Romanen so versagen auch iJ;l jenem des Achilleus Tatios die menschlichen Institutionen der Wahrheits- und Urteilsfindung; anders jedoch als bei Chariton und Xenophon ist es nicht die Stimme eines allwissenden Erzählers, die das Eingreifen von Göttern zur Korrektur menschlicher Justizirrtümer schildert. Es sind die Protagonisten selbst (unter ihnen auch der IchErzähler), die die Ereignisse so - und oft auch durchaus untereinander widersprüchlich - interpretieren. 15 Frömmigkeit - so ließe sich etwas überspitzt formulieren - ist eine Frage der Interpretation von Geschichten. Umgekehrt zeigt der Roman des Longos, dass die Existenzform eines Gottes davon bestimmt ist, welche Form der Geschichte über ihn erzählt wird. So verwickelt er den Leser (und die Protagonisten des Romans) in ein raffiniertes Spiel, bei dem letztlich offen bleibt, ob seine eigene Erzählung eine historia (ethnologische Abhandlung), ein mythos (mythologische, traditionelle Erzählung) oder ein logos (philosophische Rede) über den Gott Eros sei. 16 Sowohl Achilleus Tatios als auch Longos sprechen von den «Mysterien» (teletal) des Eros. Sie stellen sich damit in die platonische Tradition der philosophischen Verwendung der Mysterienterminologie. Durch den Rückbezug der bereits im philosophischen Diskurs metaphorisch verwendeten Terminologie auf konkrete, heterosexuelle Liebesgeschichten wird ein humoristischer, provokativer Effekt erzielt; dies gilt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich Mysterienkulte in der kaiserzeitlichen Religion großer Beliebtheit erfreuten. Durch die Rede von den «Mysterien des Eros» wird deren Pathos relativiert - und nicht, wie Merkelbach 17 behauptete, allegorisch repräsentiert. Es ist plausibel, die Anfänge des griechischen Romans als typisches Phänomen des Hellenismus zu betrachten; 18 allerdings sollte die Ähnlichkeit der Romane mit der Historiographie (die ältesten Beispiele wie der Ninos-Roman und Chariton sind historische Romane) nicht dazu verleiten, die Gattung genealogisch aus eier Geschichtsschreibung abzuleiten. Dass es sich um «Fiktionen» im modernen Sinn des Wortes handelte, muss den antiken Lesern klar gewesen sein,19 zumal sich zumindest seit Aristoteles auch in der Antike ein Bewusstsein für «Fiktionalität» nachweisen lässt. 20 Dann allerdings stellt sich die Frage, warum sich dieser sehr weit verbreitete 14 Vgl. z. B. Graf, F. 2005. «Plutarch und die Götterbilder», in: Hirsch-Luipold, R. (Hrsg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder-Gottesbilder-Weltbilder. Berlin; New York: De Gruyter, 251-266. 15 Vgl. dazu Waldner 2006. 16 Waldner 2007b. 17 Merkelbach, R. 1988. Die Hirten des Dionysos. Die Dionysos-Mysterien der römischen Kaiserzeit und der bukolische Roman des Longus, Stuttgart: Teubner. 18 So z. B. Holzberg, N. 1986. Der Antike Roman, München/Zürich: Arternis, 1986 CZ200l), 34-51. 19 Holzberg 1986, 50. 20 Rösler, W. 1980. «Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike», Poetica 12, 283-319.
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Typ von Erzählungen ausgerechnet im Hellenismus herausbildete und welche besonderen Leistungen diese Texte als Medium des religiösen Diskurses sowohl im Hellenismus als auch in der Kaiserzeit auszeichneten. Wie bereits festgestellt, übernimmt der Roman eindeutig die in der hellenistischen Geschichtsschreibung übliche Redeweise vom Göttlichen, das sich in diesen (oft inschriftlich festgehaltenen) Erzählungen durch Epiphanien, Peripetien und in der Gestalt rettender Herrscher und Feldherren ebenso manifestiert wie in sich erfüllenden Träumen und Orakeln. Als Beispiel dafür kann nicht nur die bereits genannte, fast völlig verlorene Lokalgeschichtsschreibung dienen, sondern auch die forschungsgeschichtlich leider immer noch zu oft isoliert betrachtete21 jüdische Historiographie (Makkabäerbücher, Buch Esther, Joseph und Aseneth et cetera). Nicht nur die hellenistische Geschichtsschreibung, auch die ebenfalls im Hellenismus entstehende aitiologische Dichtung ebenso wie neue Typen antiquarischer Literatur (wie etwa die Atthidographie; aber auch Schriften über Opferrituale, Städtegründungen, Feste et cetera) konstruierten Religion als lokalspezifisches, ortsgebundenes Phänomen. 22 Dem gegenüber steht die Beobachtung, dass durch andauernde Kriege, durch wandernde Söldner und Kaufleute ebenso wie durch Flucht und Vertreibung sich die lokalen Panthea dramatisch und schnell ändern konnten, was nicht immer ohne Konflikte vor sich ging. 23 Die Erzählungen der Romane konstruieren - möglicherweise oft lediglich aus Gründen der erzählerischen Ökonomie - ein diesen Entwicklungen gerade entgegengesetztes Bild von Religion. Sie erfüllen damit genau jene Aufgabe, die Aristoteles in seiner Poetik der Dichtung im Gegensatz zur Historiographie zuweist: «Der Unterschied besteht darin, dass der eine [sc. der Geschichtsschreiber] tatsächlich Geschehenes (ta gen6mena) vermittelt, der andere [sc. der Dichter] hingegen, was geschehen könnte. Deshalb ist Dichtung auch etwas Philosophischeres und Erhabeneres als Geschichtsschreibung. Denn die Dichtung vermittelt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung aber das Besondere» (Poetik 9, 1451 a36-l45l b7). Das Epos erfüllte in Bezug auf die Religion das Bedürfnis nach Allgemeingültigkeit nicht mehr - oder es bedurfte zumindestens der Ergänzung durch andere Typen von Dichtung, die der für den Hellenismus spezifischen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern, wie sie in der Lokalgeschichtsschreibung und den in Heiligtümern aufgestellten aretalogischen Berichten zum Ausdruck gebracht werden konnte, auf neue Weise gerecht wurde. Die äußere Form spielte dabei keine Rolle mehr; auch hier nimmt Aristoteles die Entwicklung vorweg, wenn er an der eben zitierten Stelle bemerkt, dass das Werk Herodots Geschichstsschreibung bleiben würde, auch wenn man es in Metren setze. Umgekehrt ist in diesem Sinne also auch «Dichtung» ohne Metrum möglich. Bemerkenswerterweise vollzieht sich hier ein Schritt - die Verallgemeinerung des lokalspezifischen religiösen Diskurses zu einer universalen, allgemeingültigen Rede vom Göttlichen - der sich auch bei der Aneignung der hellenistischen aitiologischen Dichtung durch römische Autoren beobachten lässt und in Ovids Metamorphosen gipfelt. 24 21 Vgl. Rajak, T. 2002. The Jewish Dialogue with Greece and Rome. Studies in Cultural and Social Interaction, Boston; Leiden: Brill. 22 Vgl. Waldner 2007. 23 Vgl. dazu z. B. Chaniotis 2005.
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Dies führt zu der Frage nach der Funktion dieser neuen, das Epos ergänzenden narrativen Redeweise vom Göttlichen in der Kaiserzeit, stammen doch die uns vollständig bekannten Texte aus dem ersten bis dritten (oder vierten) Jahrhundert n. ehr. Es ist plausibel, hier zunächst der jüngeren Forschung zur Zweiten Sophistik zu folgen: Die aus dem Hellenismus ererbte Erzähltradition des Liebesromans eignet sich in besonderem Maße zur Vergewisserung der Identität der Griechisch sprechenden Eliten der östlichen Reichshälfte. Welche Rolle aber spielt hier die Religion? Wie Andreas Bendlin25 gezeigt hat, zeichnet sich ausgerechnet die östliche Reichshälfte im zweiten und dritten Jahrhundert durch eine auffällige Zunahme an Inschriften aus, in denen ausführlich und detailliert von der Stiftung von Festen, der Einrichtung von Kulten und ähnlichem berichtet wird; der Euergetismus der Oberschicht der größeren Städte konzentrierte sich auf das Feld der Religion. Parallel zu dieser Entwicklung beanspruchten die Intellektuellen, Philosophen, Rhetoren und Sophisten zunehmend Expertise auf religiösem Gebiet (dies gipfelt in der Figur des Apollonios von Tyana). Dies erklärt die zunehmende Selbstreflexivität der Romanautoren, wie sie sich bei Achilleus Tatios, Longos und Heliodor zeigt. Die von der Gattung bereits geleistete Universalisierung und Idealisierung griechischer Polisreligion und die damit verbundenen Kommunikationsweisen können nun durch Selbstreflexivität auf eine neue - noch allgemeingültigere, da philosophische ~ Ebene gehoben werden. Dies zeitigt einen überraschenden Effekt, den J. R. Morgan im Hinblick auf Heliodor folgendermaßen beschreibt: «The entire divine plan which supports the plot is, in one sense, cypher for the author' s own control of a properly formed story» (2003, 445). Es ist von hier ein kleiner Schritt zu der sich parallel entwickelnden christlichen Sichtweise, nach der durch einen Autor immer nur die göttliche Wahrheit sprechen könne. 26 Förderungszeitraum: 2005 bis 2007. Veröffentlichungen Waldner, K. 2006. «Die poetische Gerechtigkeit der Götter: Recht und Religion im griechischen Roman», in: Elm von der Osten, Dorothee; Rüpke, Jörg; Waldner, Katharina (Hrsg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart: Steiner, 101-123. Waldner, K. 2007. «Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen», in: Bierl, Anton et al. (Hrsg.), Literatur und Religion: Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen, Tübingen: SaUf (im Druck). Waldner, K. 2007a. «Erzählungen als Medium von Religion in der Antike: <pagane> und christliche Liebesromane», in: Malik, Jamal et al. (Hrsg.), Medien der Religion - Religion in den Medien. (Ringvorlesungen des «Interdisziplinären Forum Religion» der Universität Erfurt), Münster: Aschendorff (im Druck). Waldner, K. 2007b. «Die Erfindung des auf Lesbos: Religion in Longos' Daphnis und ehloe», in: G. Schömer, D. Sterbenc Erker (Hgg.), Religion als Kommunikation, Stuttgart: Steiner (im Druck). Vgl. dazu Waldner 2007. Bendlin, A. 1997. «Peripheral Centres - Central Peripheries: Religious Communication in the Roman Empire», in: Cancik, Hubert; Rüpke, Jörg (Hgg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, Tübingen: Mohr Siebeck, 35-68. 26 Cameron, A. 1991. Christianity and the rhetoric 0/ empire: fhe development 0/ Christian discourse, Sather Classical Lectures 55, Berkeley: University of California Press. 24 25
Lukian und die Götter der Fremden· WOLFGANG SPICKERMANN
Bekanntlich war Lukian von Samosata (circa 120 bis circa 180 n. Chr.) ein Hauptvertreter der sogenannten Zweiten Sophistik. Gerade er gilt als Exponent einer «Intellektuellenreligion», de~sen literarische Diskurse sich an Mitglieder der soziopolitischen Oberschichten des Römischen Reiches richten. So geht und ging es in der wissenschaftlichen Diskussion entweder um den eigenen Gegenwartsbezug des Autors und - damit verbunden - dessen Funktion als Vermittler einer aktuellen verbindlichen kulturellen Identität oder anders dessen Traditionalismus, also dessen Rekurs auf klassische Vorlagen und ideologische Rückwärtsgewandtheit. Dabei wurde und wird oft behauptet, dass Lukian fast jeden Gegenwartsbezug vermissen lasse, ja Themen wie , <Synkretismus> und vollkommen ausspare. I In Anschluss und Ergänzung zu Dorothee Elms Studie zu der lukianischen Schrift «Alexander oder der Lügenprophet»2 beschäftigte das beschriebene Projekt unter dem Oberthema des literarischen Niederschlags einer «Reichsreligion» mit dem «Pantheon» des Lukian. Welche Vorstellungen von Religion und ihren möglichen Inhalten werden konstruiert und überregional verbreitet? Was ist im gesamten Reich vorhanden und stärkt so den politischen Zusammenhalt? Was hält Lukian für eine akzeptable, für die Gegenwart angemessene Religion und wie grenzt sich diese von anderen ab? Ausgangspunkt für eine grundsätzlicher Untersuchung ist insbesondere die Frage, welche Rolle die exotischen, fremden Gottheiten in den religiösen Diskursen des Lukian spielen. Was ist fremd, was wird im Gegensatz dazu als Eigenes angesehen? Religionsgeschichtlich bedeutsam ist hier vor allem auch die Schrift «Dea Syria», da es hier um die konkrete Auseinandersetzung mit einem fremden und exotischem Kult geht. Zentrale Schriften sind ferner das , wo die alte olympische Götteraristokratie vor dem Zustrom neuer Gottheiten gewissermaßen karikiert wird, sowie die Schriften «Iupiter confutatus», «Iupiter tragoedus», der Ikaromenippus und die «Göttergespräche». Nicht die Einstellung des Philosophen zu den Göttern und ihrem Einfluss auf die Welt, sondern die Ordnung seines Pantheons und die Frage nach dem «Fremden» und «Exotischen» stand im Mittelpunkt der Untersuchung. Was sollten die Zuhörer des zweiten Jahrhunderts n. Chr. als griechisch beziehungsweise was als anders und fremdartig empfinden? In der «Götterversammlung» bedient Lukian sich des Mittels des Bürgerrechtes, um den Unterschied I Caster, M. 1937. Lucien et la Pensee religieuse de son Temps, Paris Repr. New York u. a. 1987, 175 ff.; vgl. Bompaire, J. 1958. Luden Ecrivain. Imitation et Creation, Paris, 493 f. 2 Vgl. Eim von der Osten, D. 2006. «Die Inszenierung des Betruges und seiner Entlarvung: Divination und ihre Kritiker in Lukians Schrift , in: Eim von der Osten, D.; Rüpke, J.; Waldner, K. (Hrsg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 14), Stuttgart 2006, 141-157.
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zwischen alten und hinzugekommenen Gottheiten klarzumachen. Zeus beruft eine Ekklesia der Götter ein, die er präsidiert. Einziger Tagesordnungspunkt ist die Frage der unwürdigen Gottheiten, also der Fremden, die zu Unrecht an der Tafel der rechtmäßigen Götter sitzen. 3 Lukian fasst dies in einen Dialog zwischen Zeus und Momos, dem Gott des Tadels, wobei Momos Redeführer vor der Versammlung ist und Zeus immer wieder reagiert, Einwürfe macht oder nachfragt. Während Momos selbst Zeus kritisiert, der mit seinen Bastarden den Himmel bevölkere und Herakles als ehemaligen Sklaven des sterblichen Eurystheus bezeichnet,4 richtet er seine Anwürfe zuletzt gegen fremde Gottheiten wie Attis, Korybas, Sabazios, Mithras, der kein Wort Griechisch könne, den Sklaven Zalmoxis und die tiergesichtigen ägyptischen Gottheiten, die sich im Olymp heimlich eingeschlichen hätten. Schließlich kritisiert er noch das verbreitete Orakelunwesen, welches Menschen zu Göttern mache. Insbesondere das «Mornosdekret», welches zu Abhilfe der Missstände von Zeus erlassen wird, zeigt die von Lukian häufig thematisierten Gegensätze zwischen alten und neuen, fremden Göttern wobei aber Sujets einer gebildeten Oberschicht der mittleren Kaiserzeit bedient werden, welche sich durch einen großen Teil des lukianischen Oeuvres ziehen. Thematisch eng verbunden mit der «Ekklesia der Götter» ist der ZEu~ Tpa'Y0)86~, ein erheblich längerer Text. s Auch hier ruft Hermes als Herold eine Ekklesia auf dem Olymp ein, die von ihm selbst und Hera gegen die Bedenken der Athena vorgeschlagen wurde. 6 Dort sollen die Götter ihrem Rang nach platziert werden, also die goldenen zuerst, dann die silbernen, die elfenbeinenen, die Bronzenen und so weiter, wobei entscheidend ist, ob sie von Künstlern ersten Ranges geschaffen sind. Die schlecht gearbeiteten und schmutzigen sollen sich in einem Winkel zusammendrucken. Die Folge ist, dass die fremden Göttern vor den griechischen sitzen dürfen, da ihre Statuen aus Gold und Silber bestehen und die griechischen sich bitter darüber beschweren. Der Grund der Versammlung ist ein Streit zwischen dem Epikuräer Damis, einem Atheisten, und dem Stoiker Timokles um die Existenz der Götter. Wieder ist Momos der Wortführer, der die versammelten Götter wegen ihrer Machtlosigkeit und ihr Desinteresse am Leben der Menschen tadelt und Apollon wegen seiner Orakel als Scharlatan bezeichnet. Bei dieser Versammlung kommt es jedoch nicht zu einem Psephisma, da die Götter nur Zuschauer des Disputes sein können, der die klassischen Argumente liefert, und ihnen ein Eingreifen unmöglich ist. Als Damis als Sieger lachend davongeht, schlägt Hermes vor, so zu tun als sei nichts geschehen, da der größte Teil des gemeinen Volkes und die Barbaren weiter an die Götter glauben würden. 7 Ein eng verwandter Text ist der Ikaromenippos des Lukian. Der in den Himmel geflogene kynische Philosoph Menippos darf einer Ekklesia der Götter beiwohnen, bei der es um die Behandlung der Philosophen geht. 8 Die Versammlung gerät nach dem Bericht des Zeus in Krawall und fordert schließlich, die Philosophen zu zerDeor. Conc. 3, 7. Vgl. dazu Oliver 1980, 306. 5 Vgl. Jones, C. P. 1986. Culture and Society in Lucian, Cambridge Mass.lLondon, 39. 6 JTr. 5,8f. 7 JTr. 53,4f. 8 Ikaromenipp 28,2. 3
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schmettern. 9 Zeus verschiebt dies wegen der heiligen Festzeit auf das nächste Jahr. Bei dem vorhergegangenen Mahl der Götter muss Menippos als Sterblicher neben den zweifelhaften Pan, den Korybanten, Attis und Sabazios sitzen, die als Metöken bezeichnet werden. 10 Eine der Schlüsselstellen ist in diesem Zusammenhang auch die unter dem Titel Herakles bekannte Prolalia, welche Lukian gewissermaßen als Comeback nach einer längeren Abstinenz von der Tätigkeit als Redner gehalten hat. 11 Hierbei erwähnt er einen Herakles Ogmios, dessen Bild er selbst in Gallien gesehen habe und auf dem der Gott als dunkelhäutiger, kahlköpfiger Greis mit Löwenfell, Keule und Bogen dargestellt gewesen sei. Das Erstaunlichste an dem Bild sei aber gewesen, dass jener alte Herakles an feinen Ketten aus Gold und Bernstein eine große Menge Menschen nach sich gezogen habe. Diese Ketten seien an der durchbohrten Zungen spitze des Herakles und den Ohren der ihm folgenden Menschen befestigt gewesen. Ein Gallier habe ihm daraufhin erklärt, dass sich die Kelten die Kraft der Beredsamkeit nicht wie die Griechen durch Hermes, sondern - seiner größeren Stärke wegen - durch Herakles personifiziert vorstellten. Als Greis werde Herakles aber deswegen abgebildet, weil die Redekraft erst im Alter zur vollen Entfaltung gelange. Auf diese Erwähnung des Ogmios bei Lukian ist oft Bezug genommen worden - erinnert sei nur an Albrecht Dürers Bild eines Hermes (!) Ogmios. Vor allem aber unter den Altertumswissenschaftlern hat sich ein Forschungsdisput entwickelt, zumal der keltische Name des Gottes zwar nicht auf Weihinschriften, aber doch auf zwei defixiones aus Bregenz überliefert ist. 12 Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob hier Hercules Psychopompos gemeint ist oder gar eine Verbindung zum irischen Ogma besteht, der als Erfinder der Schrift gilt. Übersehen wird häufig, dass es Lukian gar nicht um die korrekte Beschreibung eines konkreten bei den Galliern praktizierten Herculeskultes geht, den er angeblich aus eigener Anschauung kennt, sondern dass er sich des Exoten Ogmios bedient, um die reichs weite Wertschätzung der Redekunst zu unterstreichen und das Interesse der Zuhörer zu wecken. Es konnte dabei erarbeitet werden, dass nicht viel von der Authentizität des Herculesbildes bleibt. Lukian hält seine Prolalia als alter Mann. Hierzu bedient er sich des Bildes des alten Hercules, den er in ein exotisches Umfeld nach Gallien versetzt, also außerhalb der unmittelbaren Erfahrungswelt seiner Zuhörer und im Grunde auch außerhalb der engeren römisch-griechischen Welt. Dabei benutzt er die Technik der Ekphrasis und lehnt sich in der Beschreibung seines Bildes eng an die Tabula Kebetis an, die ihm als Schrift wohl bekannt war, da er sie mehrfach zitiertY Außer der Tatsache, dass es im griechisch-römischen Raum Tempelbilder mit allegorischen Darstellungen gab, weist nichts auf das tatsächliche Vorhandensein eines solchen Bildes in einem gallischen Heiligtum. Und auch der hinzutretende Weise ist ein alter Ikaromenipp 33,l. Ikaromenipp. 27,5. 11 Lucien de Samosate, Discours, Hercule, 1-7, trad.: Guyonvarc'h 1997. 12 Wagner, F. 1956/57. Neue Inschriften aus Rätien. Nachtrag zU F. Vollmer Inscriptiones Baivariae Romanae, Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 37-38, 215-264, NT. 8 + 9. Zur Forschungsdiskussion vgl. u. a. Green, M. 1992. Dictionary of Celtic Myth and Legend, London, 165f.; u. zuletzt Euskirchen, M. 2001. «Ogmios. Ein wenig bekannter Gott», in: Rom und die Provinzen. Gedenkschrift H. Gabelmann (Beihefte Bonner Jahrbücher 53), Mainz, 119-124, hier: 119ff. 13 De mercede conductis 42; Rhetorum praeceptor 6. 9
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Bekannter: Favorinus von Arelate, der auch dem Publikum des Lukian ein Begriff sein musste. Hier wirkt die Szenerie ebenfalls konstruiert. Letztlich bleibt nur der Beiname des gallischen Herakles, Ogmios, der ja nun auch inschriftlich bezeugt ist, wenn auch nicht in Gallien. Die gefundenen Täfelchen lassen aber lediglich darauf schließen, dass es sich um einen Unterweltgott handelt, nicht aber um einen Gott der Beredsamkeit. Möglicherweise bewog das parallele Bild des Psychopompos Lukian zur Erwähnung dieses Gottes, dessen Namen er vielleicht aus Gallien kannte. Hier hätte natürlich die Verbindung mit Hermes näher gelegen, aber Lukian brauchte das Bild der Kraft einerseits und andererseits galt Herakles auch als Patron der Kyniker, dem damit ebenfalls eine gewisse Beredsamkeit zukam. 14 Selbst die durchbohrte Zunge des Herakles ist ja nichts eigentlich Exotisches, gibt es dafür in der antiken Komödie Beispiele, wie Lukian (Herc. 5) anführt. Wie dem auch sei, der Text verdeutlicht die lukianische Arbeitsweise, seine Beispiele und Bilder scheinen plausibel: Es gibt allegorische Tempelbilder, es gibt einen Ogmios, doch ihre Komposition ist fiktiv und damit eben lukianisch. Ein HerculeslHerakles Ogmios ist genauso wenig bezeugt wie die Darstellung eines alten Hercules als Gott der Beredsamkeit auf einem gallischen Tempelbild. Auch Atargatis, die in Rom Dea Syria genannt wird und die Lukian gleich zu Beginn seines gleichnamigen Werkes mit der griechischen Hera gleichsetzt, ist eine fremde Gottheit. Letzteres geht sicherlich auch darauf zurück, dass die Göttin zumeist im Verbund mit dem Gott Hadad auftritt, der wiederum mit Zeus gleichgesetzt wurde. 15 In der Forschung kamen immer wieder Zweifel auf, dass Lukian, der Satiriker, den man für profan orientiert und zu oberflächlich hielt, eine so ernsthafte religions geschichtlich orientierte Schrift verfassen konnte. Aber schon Christoph Martin Wieland stellte fest, dass die Dea Syria ein Imitation der Schriften Herodots ist, nicht nur in Sprache und Diktion, sondern auch wegen seiner «Vorstellungsart, seine lebhafte und naive Manier im Erzählen, und besonders seine mit etwas Leichtgläubigkeit schattierte Meinung, unglaubliche und märchenhafte Dinge unter die wahre Geschichte zu mengen». Wenn also Lukian ein Stück in der Imitation Herodots schreiben wollte, konnte er nichts Besseres finden als den Tempel von Hierapolis oder umgekehrt, wenn er etwas über Hierapolis schreiben wollte, dann konnte er das am besten im Stile Herodots' tun. «Indessen wird der feinere Leser gleichwohl hier und da die Ohren spitzen des Lucianischen Fauns unter der angenommenen Treuherzigkeit des Homers der Geschichtsschreiber hervorstechen sehen, und dadurch um so mehr in dem Glauben an die Aechtheit dieser Schrift bestärkt werden.»16 Dennoch hat Marcel Caster in seine Monographie über das religiöse Denken zur Zeit des Lukian diese wichtige Schrift nicht aufgenommen. In der modemen Forschung gehen die Meinungen weit auseinander. Sie liegen zwischen der Annahme, dass es sich bei dem Autor der Schrift um einen hellenisierten Orientalen gehandelt hat, nicht Lukian, der seine Schrift fast in missionarischer Absicht verfasst hat und eben nicht unterhalten will (Dirven) und der Meinung, dass es sich um eine spätantike Peregr. 4. Vgl. Lightfoot, J. L. (ed.) 2003. Lucian. On The Syrian Goddess, 48. 16 Wieland, Lukian von Samosta. Sämtliche Werke Bd. III. Nachdruck d. Ausg. Leipzig 1788/89, Darmstadt 1971, 290; vgl. Lightfoot 2003, 185. 14
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Schrift eines heidnischen Apologeten handelt, der seine zerstörte Kultur gegen die Christen verteidigen will (Pohinski).17 Ich folge Jane Lightfoot, die für die Autorschaft des Lucian plädiert. Die Prolalia «Der Geschichtsschreiber Herodot» könnte die Präambel des Werkes darstellen, welches so unmittelbar beginnt. Vor diesem Hintergrund könnte die ~Dea Syria> ein Werk des jungen Lukian gewesen sein, der sich 161/62 in Samosata und 163/64 in Antiochia aufhielt. So könnte die Schrift entweder eine literarische Übung gewesen sein oder aber einem griechisch-syrischen Publikum gegolten haben, den Griechen exotische Wunder. im Stile des Herodot, den hellenisierten Syrern, die bekannte religiöse Traditionen literarisch und gelegentlich komisch. 18 Förderungszeitraum: 2005 bis 2008. Veröffentlichung Spickermann, W. 2007. «Ekphrasis und Religion: Lukian und der Hereules Ogmios», in: G. Schörner/K. Waldner (Hg.), Religiöse Kommunikation im Imperium Romanum, Tübingen (in Vorbereitung).
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Lightfoot 2003, 200ff. Lightfoot 2003, 207 f.
Ägyptische Kulte in Pergamon: Die «Rote Halle» in Pergamon aus bauhistorischer und archäologischer Sicht CORINNA BRÜCKENER, ADOLF HOFFMANN UND ULRICH MANIA
Ziele Die Rote Halle in Pergamon wurde bisher nach der vorherrschenden Forschungsmeinung als ein Heiligtum ägyptischer Gottheiten betrachtet. Da bei dieser Deutung jedoch zentrale Aspekte des Gebäudes sowie seiner funktionalen Einbauten unberücksichtigt geblieben waren und die Rote Halle mit ihrer prominenten Stellung im Zentrum der römischen Unterstadt und ihrer außergewöhnlichen Bauweise weiterführende Erkenntnisse zu den wichtigen Fragen kaiserzeitlicher Religions- und Baupolitik versprach, galten unsere Untersuchungen ab 2002 zunächst der Erforschung der Baustruktur der Roten Halle, ihrer Funktionen und Besonderheiten. Unsere ersten Ergebnisse zeigten deutlich, dass sich die Funktion des Baukomplexes wohl kaum ausschließlich auf die Verehrung ägyptischer Gottheiten beschränkte, sondern dass vielmehr von einer Multifunktionalität der Anlage auszugehen ist. Zudem konnte bereits im Folgeantrag des Forschungsprojekts im Jahre 2004 festgestellt werden, dass «sowohl die bautypologischen Charakteristika der Gesamtanlage als auch zahlreiche bautechnische Details wichtige Zeugnisse des Exports stadtrömischer Bauformen und Bautechniken in die Provinz» darstellen. Einen solchen Export vermuteten wir auch in Bezug auf die ägyptisierende Ausstattung des Bauwerks aufgrund enger Parallelen insbesondere zu Ausstattungen kaiserlicher Bauten in Rom und Italien. Vor dem Hintergrund einer Umbruchsituation des religiösen Lebens in Westkleinasien und mit dem Ziel, dessen Bedingungen nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Entwicklung im Zentrum des Reiches zu erkunden, weiteten wir für den zweiten Untersuchungszeitraum von 2005 bis 2006 unsere Fragestellung auf folgendes Ziel aus: Es galt zu klären, warum in Pergamon, aus dem nur ganz wenige Zeugnisse des Kultes ägyptischer Gottheiten stammen, ein so gewaltiger Baukomplex für die Verehrung jener Götter errichtet wurde und ob dieses Heiligtum überhaupt die ihm zugedachte Akzeptanz erhielt. Somit zielten unsere Arbeiten am Beispiel eines Baukomplexes mit überwiegend kultischer Funktion auf die Offenlegung möglicher Beziehungen zwischen Zentrum und östlicher Provinz, die vermutlich unter kaiserlichem Einfluss standen. Methoden
Durch kombinierte archäologische und bauhistorische Untersuchungen wurde zunächst der Bestand des gesamten Baukomplexes vollständig dokumentiert und so aufbereitet, dass er einer weiterführenden wissenschaftlichen Analyse zugänglich gemacht werden konnte.
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Die von Corinna Blückener durchgeführte zeichnerische Aufnahme und bautechnische Untersuchung des Bauwerks mit seinen architektonischen Ausstattungselementen sowie die Erforschung der städtebaulichen Einbindung der Anlage im Hinblick auf die gesamte römische Unterstadt von Pergamon, wurden im vergangenen Jahr abgeschlossen. Die von Ulrich Mania vorgenommenen Grabungen, deren Auswertung sowie die Aufnahme des gesamten Fundmaterials und insbesondere der figürlichen Ausstattung konnten im Jahr 2005 zu Ende gebracht werden. Mit diesen Arbeiten ist eine umfassende Grundlage geschaffen worden, die eine fundierte Neubewertung des Baukomplexes erst ermöglicht. Die Aufbereitung des gewonnenen Materials und die interpretierenden Auswertungen wurden jeweils außerhalb der sommerlichen Arbeitskampagnen in Pergamon vorgenommen. Ergebnisse
Die Datierung des Baukomplexes konnte anhand der Fundkeramik aus den Fundamentsondagen, anhand der figürlichen Ausstattung des Baukomplexes und seiner Bauornamentik mit unterschiedlicher Genauigkeit bestimmt werden. Während die Fundkeramik nur eine grobe Einordnung des Baukomplexes ins zweite Jahrhundert n. Chr. gestattet, kann mit Hilfe der Bauornamentik die Datierung auf hadrianische bis antoninische Zeit eingegrenzt werden. I Parallelen in der Blattgestaltung an Kapitellen und Konsolen zu Arbeiten des hadrianischen Bauprojektes in Athen machen es wahrscheinlich, dass die Bauornamentik der Roten Halle nicht vor späthadrianischer Zeit und unter Beteiligung von Werkleuten entstanden ist, deren Arbeitsstil stark von den hadrianischen Bauvorhaben in Athen geprägt wurde. 2 Diesem zeitlichen Ansatz folgt auch die Skulpturausstattung des Baukomplexes. Die Augenbildung an mehreren Fragmenten erlaubt keine Einordnung vor hadrianischer Zeit. Engste stilistische Parallelen zwischen den baulich eingebundenen Stützfiguren aus der Roten Halle und den Provinzpersonifikationen im stadtrömischen Hadrianeum weisen nicht nur auf eine zeitliche Einordnung der Figuren in späthadrianisch-antoninischer Zeit hin, sondern auch auf einen starken stadtrömischen Einfluss in ihrer Ausführung. 3 Die Rekonstruktion der figürlichen Stützen und ihre ikonographische und formale Gestaltung lassen den Schluss zu, dass deren ägyptisierende Ausformung nicht auf die kopienhafte Wiederholung ägyptischer Vorbilder zurückgeht. Vielmehr spielte bei ihrer Konzeption nachweislich die Anschauung baugebundener Plastik in Ägypten selbst eine zentrale Rolle sowie der freie Umgang mit ikonographischen Elementen aus der ägyptischen Skulptur. Diese Elemente wurden mit solchen aus der Gewandgestaltung griechisch-römischer Skulptur verbunden, was zu Neuschöpfungen mit ägyptisierend-exotischem Charakter führte. Vergleichbare Arbeiten sind weder aus Kleinasien noch aus den kaiserzeitlichen Iseen von Benevent oder Rom I Koenigs, W., Radt, W. 1979. «Ein kaiserzeitlicher Rundbau (Monopteros) in Pergamon», IstMitt 29,317-345; Strocka, V. M. 1988. «Wechselwirkungen der stadtrömischen und kleinasiatischen Architektur unter Trajan und Hadrian», IstMitt 38, 291-307. 2 Rohmann, J. 1998. Die Kapitellproduktion der römischen Kaiserzeit in Pergamon, PF 10, Berlin. 3 Sapelli, M. 1999. Provinciae fideles: il fregio deZ Tempio di Adriano in Campo Marzio, Milano.
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bekannt, die vor allem mit Ägyptiaca oder Nachahmungen ägyptischer Werke ausgestattet waren. 4 Vergleichbar erscheinen in der Neuinterpretation der rezepierten Elemente lediglich die ägyptisierenden Arbeiten aus der Villa Hadriana5 oder auch die Figuren aus dem Iseum des Herodes Atticus bei Marathon. 6 Die Herkunft dieser Werke aus der kaiserlichen Villa beziehungsweise aus der eines bedeutenden Stifters mit engem Kontakt zum Kaiserhaus in hadrianisch-antoninischer Zeit verweist auf den kulturellen Hintergrund, der für die Konzeption solcher Figuren eine Rolle spielt und der eng mit dem Wirken des Kaisers und insbesondere Hadrians verbunden ist. 7 Somit wird kaiserlicher Einfluss nicht allein anhand der formalen Gestaltung des Baukomplexes und des Imports verschiedener Bautechniken für den Rohbau wie auch den Baudekor wahrscheinlich gemacht, sondern lässt sich ebenso an der Konzeption und Ausführung der figürlichen Ausstattung demonstrieren. 8 Dabei zeigen unsere Untersuchungen am Bauwerk der Roten Halle, dass die ägyptisierenden Stützfiguren aus den Seitenhöfen offensichtlich nicht zur ursprünglichen Konzeption der Anlage gehören, sondern erst im Rahmen einer Planänderung dem Ensemble hinzugefügt wurden. Im Hinblick auf die eng verwandte ägyptisierende Ausstattung des Canopus in der Villa Hadriana, deren Entstehung zweifellos erst infolge der Ägyptenreise Hadrians entstand, möchten wir auch für die Ägyptisierung der Roten Halle annehmen, dass diese nicht vor der Rückreise Hadrians aus Ägypten im Jahr 131 n. Chr. vorgenommen worden ist. Da zu jenem Zeitpunkt der Planänderung der Bau beziehungsweise die Gesamtkonzeption der Anlage bereits weit fortgeschritten waren, ist von einem Baubeginn bereits in den zwanziger Jahren auszugehen. Eine Verbindung der Baugeschichte der Roten Halle mit der Reisetätigkeit Hadrians erscheint nicht nur im Rahmen der Beziehung zwischen dem Ägyptenbesuch und der Ägyptisierung des Baukomplexes möglich. Wie eine Analyse des Innenraums der Roten Halle selbst zeigt, ist dessen bauliche Konzeption mit Podium, Podienraum, flankierender Säulenstellung und Dachtreppen maßgeblich durch die Architektur syrischer Tempelbauten bestimmt. 9 Bei einem postulierten Baubeginn in den zwanziger Jahren des zweiten Jahrhunderts n. Chr. könnte diese für Pergamon 4 Müller, H. W. 1969. Der Isiskult im antiken Benevent (Münchner Ägyptologische Studien), Berlin; Lembke, K. 1994. Das Iseum Campense in Rom. Studie über den Isiskult unter Domitian (Archäologie und Geschichte 3); Roullet, A. 1972. The Egyptian and Egyptianizing Monuments of Imperial Rome (EPRO 20), Leiden. 5 Raeder, J. 1983. Die statuarische Ausstattung der Villa Hadriana bei Tivoli (Europäische Hochschulschriften Reihe 38, Archäologie 4), Frankfurt; Grenier, J. C. 1989. «La decoration statuaire du <Serapeum> du de la Villa Hadriana. Essai de reconstitution et dinterpretation», MEFRA 101, 925-1019. 6 Dekoulakou, I. 2001. NEa
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außerordentlich fremdartige Raumkönzeption in Zusammenhang mit den Verhandlungserfolgen Hadrians im Jahre 123/4 im römischen Osten mit den Parthern und seiner anschließenden Reise durch Kleinasien in Beziehung stehen, auf welcher der Kaiser auch Pergamon einen Besuch abstattete. 10 Die Funktion des Gebäudekomplexes ist durch unsere Untersuchungen mit neuen Aspekten zu präzisieren. Zuvor hatten Besonderheiten des Baues und seiner Ausstattung zahlreiche, aber hauptsächlich die Funktion des Gebäudes als Tempel für ägyptische Gottheiten und den Ablauf dieses Kultes betreffende Spekulationen ausgelöst: die wasserbaulichen Einrichtungen im Inneren der Roten Halle sollten - in Verbindung mit dem Fluss Selinus, der das Areal diagonal unterfließt - die Nachstellung symbolischer Nilfluten ermöglicht haben. Unterirdische Gänge wurden als übergeordnetes Wegenetz der Gesamtanlage interpretiert, von dem ein Gang bis in ein Kultbild führte und dazu gedient haben soll, dieses zum Sprechen zu bringen. Wie unsere Bauuntersuchung gleich zu Beginn der Arbeiten zeigten, ist keine dieser Hypothesen haltbar: das unterirdische Gangsystem ist nie in Betrieb genommen worden; die Flussüberbauung ein rein städtebaulich begründetes Ingenieurbauwerk, die Nilflut in der Roten Halle technisch nicht realisierbar und der vermeintliche Zugang in die Kultstatue bei näherer Betrachtung nicht einmal existent. Mit diesen Ergebnissen wird jedoch die Nutzung von Bereichen des Gebäudekomplexes als Tempel ägyptischer Gottheiten nicht ausgeschlossen. Ein Streiflicht auf die kultische Funktion des Bauwerks wirft die Stiftungsinschrift IvP 336Y Die Angaben aus der Inschrift lassen sich zum Teil direkt mit den archäologischen Befunden aus der Roten Halle verbinden, so dass eine Beziehung zwischen Inschrift und Heiligtum als gesichert gelten kann. Priester der Isis haben dem Text zufolge die Bilder verschiedener Gottheiten im Heiligtum aufgestellt. Die Götterbilder stellen ägyptische Gottheiten dar, die auch andernorts gemeinsam mit Isis verehrt werden aber auch Helios, die Dioskuren und Ares. Vermutlich handelt es sich bei der Roten Halle folglich um ein Heiligtum, in dem eine Vielzahl unterschiedlicher Gottheiten verehrt wurde. Dieser Vermutung entsprechen auch die baulichen Befunde im Inneren des Hauptbaues (syrischer Tempel, siehe oben) in Verbindung mit den ägyptisierten Seitenhöfen und der Existenz zweier Götterbilder, die der Roten Halle zugeschrieben werden können und Kybele sowie Zeus-Serapis darstellen. Dass es sich bei einem solchen polytheistisch orientierten Heiligtum auch um einen Kaiserkulttempel handeln könnte, legt eine Parallele zu Athen nahe. Dort hatte Hadrian ein Heiligtum aller Götter geschaffen, das zugleich Kaiserkultstätte gewesen ist. 12 Der Gesamtkomplex wird indessen multifunktional genutzt worden sein und auch städtische Funktionen übernommen haben, wie es von Plätzen und Foren des römischen Städtebaus bekannt ist 10 Halfmann, H. 1986. Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich (Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigrafische Studien 2), Stuttgart; Habicht, C. 1969. Die Inschriften des Asklepieions (AvP VIII, 3), Berlin. 11 Fränkel, M. 1895. Die Inschriften von Pergamon. Römische Zeit. - Inschriften auf Thon (AvP VIII, 2, 2), Berlin. 12 Willers, D. 1990. Hadrians panhellenisches Programm. Archäologische Beiträge zur Neugestaltung Athens durch Hadrian (Antike Kunst, 16. Beiheft), Basel 1990; vgl. Burrell, B. 2004. Neokoroi. Greek Cities and Roman Emperors (Cincinatti Classical Studies New Series IX), Leiden; Kranz, P. 1990. «Hadrianische Religionspolitik», in: C. Börker et al. (Hrsg.), Das antike Rom und der Osten. Festschrift für Klaus Parlasca zum 65. Geburtstag, Erlangen, 125-142.
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und sich aus der Lage im Zentrum der Stadt und die Einbindung des Komplexes in das über das Quartier hinausreichende Straßensystem ableiten lässt. Ohne neue inschriftliche Belege wird sich über diese Ergebnisse freilich keine absolute Gewissheit erringen lassen. Zweifellos stellt die Rote Halle aber ein Monument dar, welches eindrücklich kaiserlichen Einfluss in der Provinz belegt. Dieser Einfluss beschränkt sich nicht nur auf den Import neuer Bauformen und -techniken sondern bezieht sich auch auf den Kult ägyptischer Gottheiten, deren Verehrung in Pergamon zuvor eine absolut untergeordnete Rolle spielte. 13 Weitere Projektleiter: Helmut Kyrieleis und Ulrike Wulf-Rheidt. Förderungszeitraum: 2002 bis 2006. Veröffentlichungen Brückener, c. 2005. «Die Rote Halle aus bauhistorischer Sicht - Neue Dokumentationsarbeiten», in: Hoffmann, A. (Hrsg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des römischen Reiches. Internationales Kolloquium, 5./6. September 2003 in Bergama, Türkei, Byzas 1, Istanbul, 35-46. Brückener, C. 2006. «Die in Pergamon. Forschungsgeschichte und neue Untersuchungen», in: 43. Tagungsbericht der Koldewey-Gesellschajt, 141-147. Hoffmann A. 2003. «Pergamon'daki kIzIl avlu: Gelecege yönelik perspektiflerle aynntIll bir ara~trrma tarih<;esi», in: AnadoluiAnatolia 25, 37-52. Hoffmann A. (Hrsg.) 2005. Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des römischen Reiches. Internationales Kolloquium, 5./6. September 2003 in Bergama, Türkei, Byzas 1, Istanbul. Hoffmann A. 2005. «Die Rote Halle in Pergamon - Eine komplizierte Forschungsgeschichte mit Zukunftsperspektiven», in: Hoffmann (Hrsg.) 2005, 3-20. Mania, U. 2005. «Neue Ausgrabungen - neue Aspekte in der Erforschung der Roten Halle», in: Hoffmann (Hrsg.) 2005, 21-34. Mania, U. 2006. «Die Rote Halle in Pergamon und die Umwandlung eines paganen Heiligtums zur Kirche», in: M. Altripp et al. (Hrsg.), Architektur und Liturgie. Akten des Kolloquiums vom 25. bis 27. Juli 2003 in Greifswald, 73-82. Mania, U. 2007. «Eine neue Werkstatt früher türkischer Keramik - Miletware aus Pergamon», IstMitt 56. Mania, U. Zur Funktion der Aegyptiaca Romana in Heiligtümern (in Druckvorbereitung). Mania, U. «Die figürliche Ausstattung der Roten Halle in Pergamon», PF 15 (in Druckvorbereitung). Mania, U. «Hadrian, Ägypten und die Rote Halle in Pergamon», in: Akten des Internationalen Kolloquiums «Austausch und Inspiration. Kulturkontakt als Impuls architektonischer Innovation» vom 28.-29. 4. 2006 in Berlin (in Druckvorbereitung).
13 Radt, W. 2005. «Spuren ägyptischer Kulte in Pergamon», in: A. Hoffmann (Hrsg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des römischen Reiches. Internationales Kolloquium, 5./6. September 2003 in Bergama, Türke (Byzas 1), Istanbul, 59-79.
Erscheinung· und Funktionen griechischer Tempel in der Zeit römischer Herrschaft DIRK STEUERNAGEL
Was ist ein Tempel? Die Neuzeit hat den Tempeln der griechischen Welt, im Mutterland ebenso wie in Kleinasien oder den von Griechen kolonisierten Gebieten Nordafrikas, Unteritaliens und Siziliens, in erster Linie als prototypischen Denkmälern der griechischen Baukunst Beachtung geschenkt. Schon seit den Tagen, als das gebildete Europa die Tempel von Paestum für sich neu entdeckte, versucht man durch genaue Aufnahme und Vermessung der erhaltenen Substanz den zugrunde liegenden Plan wieder zu gewinnen. Die Rekonstruktion der Entwurfsprinzipien und ihrer Entwicklung soll auf die Spur des griechischen Geistes führen, des praktischen Sachverstandes der Baumeister und diesen regierender rational-mathematischer Denkstrukturen. Weit weniger interessiert oft die weitere Geschichte der Bauten, nachdem sie einmal errichtet waren, und ihre tatsächlichen Funktionen. So fasst denn auch die Bezeichnung Gebäude zusammen, für die es keinen antiken Oberbegriff gibt. Tempel sagt man zu ihnen heute unabhängig davon, ob sie den Zweck erfüllten, ein kostbares Götterbild zu bewahren, einen Altar oder eine Orakelstätte zu umschließen oder alles zugleich. Dennoch erscheint die nach modemen Kriterien definierte und antiker terminologischer Vielfalt (naos, hieron, oikos, sekos und so weiter) nicht adäquate Gruppe von Sakralbauten ein geeigneter Untersuchungs gegenstand, um Fortleben, Umwertung und Neubesetzung religiöser und kultureller Traditionen unter römischer Herrschaft nachzuzeichnen. Ist doch allen gemein, dass sie ein Heiligtum in besonders markanter Art und Weise nach außen hin architektonisch kennzeichneten. Schon in der römischen Antike wurden sie deswegen als Kultstätten genauso wie als (oft im Wortsinne) herausragende Monumente einer Identität stiftenden Vergangenheit gesehen. Dies aufzuzeigen und das Verhältnis der an überkommene Sakralarchitektur heran getragenen Interessen näher zu bestimmen, war ein wesentliches Ziel des Projektes. Tempel als Museen? Ist die Rede von der Nutzung griechischer Tempel in der Römerzeit, die damals schon alt waren, fällt sehr oft das Schlagwort <Musealisierung>. Ausgehend von einem Aufsatz von Konrad Wernicke über den Heratempel von Olympia, aus dem Jahr 1894, setzte sich die Auffassung durch, dass dieser und auch andere Tempel unter den Römern zur Aufbewahrung von unter «kunsthistorischen Gesichtspunkten» ausgesuchten Objekten umgenutzt wurden. Während Wernicke jedoch der Meinung
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war, dass «das Heraion nicht mehr ausschließlich Cultzwecken diente, sondern darin eine Reihe erlesener Kunstwerke wie in einem Museum zusammengestellt war» (meine Hervorhebung), ist die Vorsicht der Formulierung bei manchen jüngeren Autoren gänzlich geschwunden. In der Einschätzung von Karim Arafat, hundert Jahre nach Wernicke, erscheint denn der Tempel nur noch als «storeroom», in dem der Kult im Grunde keinen Platz mehr hatte. Derartige Zuspitzungen sind kaum hilfreich. Erstens einmal übersehen sie, dass kultische Aktivitäten innerhalb der Tempel ohnehin meist von der Art waren, die keine archäologisch fassbaren Spuren hinterlässt, wie zum Beispiel Gebete vor dem Bild der Gottheit. Zum Zweiten dienten griechische Tempel seit jeher zur Aufbewahrung besonders kostbarer Besitztümer der Gottheit, so dass eine, wenn nicht gar die hauptsächliche Funktion der Tempel nicht erst für die römische Zeit als diejenige von <Schatzhäusern> beschrieben werden kann. Schließlich waren geweihte Gegenstände in den Augen der Griechen immer auch historische Dokumente und ihre Aufbewahrung an einem prominenten Ort wie dem Tempel unterstrich diese Bedeutung. ~olche Votive waren Bausteine für prospektive Konstruktionen einer Erinnerungskultur, die dem Weihenden und manchmal dem ausführenden Handwerker einen Platz im Gedächtnis der Nachwelt sicherten. Spätestens im Hellenismus kommen Re-Konstruktionen von Vergangenheit hinzu. Ein wichtiges Zeugnis hierfür ist der inschriftliche Katalog von Weihungen im Athenatempel von Lindos (Rhodos), der bekannte Stifter aus mythisch-heroischen Zeiten ebenso nennt wie solche der jüngsten Geschichte, von Kadmos bis zu Philipp V. Falsch ist es also nicht, von griechischen Tempeln als Museen zu sprechen. Nur sind sie dies, wenigstens teilweise, schon immer gewesen. Allerdings gewinnen von dem Punkt an, als Rom die griechische Welt zu dominieren beginnt, retrospektive Um- und Neubewertungen von Tempeln und Tempelschätzen an Relevanz. Die rhodische Inschrift, aus dem Jahr 99 v. Chr., fällt in diese Umbruchphase. Neue Kontexte für alte Tempel
Ein bis zur Römerzeit völlig unbekanntes Verfahren stellt die Verpflanzung von ganzen Tempelbauten an einen neuen Ort dar, die in Thessalonike und mehrfach in Attika bezeugt ist. Am bekanntesten ist sicher der Fall des sogenannten Arestempels von der Athener Agora. Wie der Fund des zu diesem Tempel passenden Fundaments des fünften Jahrhunderts v. Chr. im attischen Demos Pallene Mitte der 1990er Jahre gezeigt hat, war dieser Bau ursprünglich jedoch keineswegs dem Ares, sondern der Athena Pallenis geweiht gewesen. Zum Tempel des Kriegsgottes wurde er erst auf der Agora, durch die Verbindung mit dem ebenfalls, aus Acharnai, dorthin überführten Kult und Altar für Ares und Athena Areia. Die Neuartigkeit dieses Konstrukts wurde gleichsam verschleiert durch das klassische Design des Bauwerks, das durch die enge Verwandtschaft mit dem nahen Hephaistostempel sofort ins Auge springen musste. Areskult und Arestempel konnten somit vielleicht dazu beitragen, die Aufwertung des Rates vom Areshügel, des Areiopags, zum wichtigsten Verfassungsorgan des römischen Athen als Wiederbelebung alter Traditionen erscheinen zu lassen. Auch wenn Tempel an Ort und Stelle verblieben, konnten sie in ganz neue Bezüge gerückt werden. Am besten lässt sich dies am Beispiel der beiden großen Tempel im
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Territorium von Korinth zeigen, da 'hier eine Zäsur von mindestens hundert Jahren die vorrömischen von den römischen Nutzungsphasen trennt. Der Poseidontempel, im Heiligtum am Isthmos, wurde sicher erst im mittleren ersten Jahrhundert n. Chr. wieder in Stand gesetzt, als man begann, die panhellenischen Wettkämpfe wieder an ihrer früheren Stätte auszutragen. Welche kultische Funktion der Tempel nunmehr erfüllte, bleibt unklar: Anders als im benachbarten, neu geschaffenen Kultbezirk für den Heros Palaimon fehlen Hinweise auf Opferhandlungen; den alten Altar vor der Front des Tempels hatte man nicht wieder hergestellt. Außerdem war der Tempel gegen Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. durch eine Einfriedung vom Rest des Heiligtums räumlich isoliert. Ähnlich verhält es sich mit dem Apollontempel im Stadtzentrum von Korinth: Auch ihn hat man restauriert. Äußerlich fast unverändert, stach er deutlich gegen die Marmorpracht der Neubauten des Forums ab. Der Kontrast wurde noch verstärkt dadurch, dass nun Säulenhallen den Tempel rahmten und dieser zum Mittelpunkt einer nach dem Prinzip von Symmetrie und Axialität konzipierten Platzanlage wurde. Ein Altar ist innerhalb dieser Anlage wiederum nicht nachgewiesen. Der Schluss liegt nahe, dass die beiden Tempel, gerade wegen ihrer altertümlichen Gestalt, zeichenhaft die historische Rückbindung der römischen colonia an das alte Korinth bekunden sollten. Inschriften, Münzen und vereinzelte literarische Zeugnisse spiegeln nämlich eine Art , die in Korinth während der frühen Kaiserzeit in Gang kam. Betrieben wurde diese wohl von der munizipalen Elite römisch-italischer Herkunft, in dem Bemühen, ihr gegenüber bestehende Vorbehalte der griechischen provinzialen Honoratioren auszuräumen. Neuer Schmuck für alte Tempel
Weitgehend Instandsetzung steht oft neben mehr oder weniger behutsamer Modernisierung, und zwar auch an ein und demselben Tempel. Bei dem schon erwähnten isthmischen Poseidontempel erhielt beispielsweise die Cella durch kostbare Marmorinkrustationen ein völlig neues Antlitz. Ähnliche Ausschmückungen gerade der Innenräume sind an vielen alten Tempeln zu beobachten. Besonders aufschlussreich sind vielleicht Ausgestaltungen von Bauten, die bis zur römischen Zeit unvollendet geblieben waren oder nach starken Zerstörungen umfassend erneuert werden mussten. Ein solcher Fall ist der gewaltige Apollontempel von Didyma, mit dessen Bau zu Beginn der hellenistischen Epoche begonnen worden, der aber ein Torso geblieben war. So standen von dem geplanten doppelten Säulenkranz um den Kernbau nur einige Säulen der inneren Reihe. In der Kaiserzeit schritten die Arbeiten wieder voran, ohne freilich zu einem endgültigen Abschluss zu gelangen. Dabei orientierte man sich an den von den hellenistischen Bauhandwerkern vorgegebenen Ornamentformen. Umso auffälliger sind dann Bereicherungen der Bauschmucks, die sich zumal an der Ostseite, der Eingangsseite des Tempels bemerkbar machen. An den Säulen des äußeren Säulenkranzes etwa sind verschiedene Varianten der ionischen Säulenbasis aufgegriffen worden, und zwar solche unterschiedlicher historischer Herkunft (kleinasiatisch, samisch, attisch). Es wurden aber keineswegs alte Formen reproduziert. Vielmehr weicht die Gestaltung einzelner Elemente deutlich von den Vorlagen ab, außerdem ist die Ornamentik insgesamt verfeinert und durch zahlreiche neue Details ergänzt worden. Offenbar hegte man
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den Ehrgeiz, die Alten an Kunstfertigkeit und Erfindungsreichturn noch zu übertreffen. Damit wie überhaupt mit dem Weiterbau des Tempels signalisierte man, dass die künstlerischen und religiösen Traditionen weiterlebten, weder die Baukunst Ioniens abgestorben noch das Orakel von Didyma verstummt war. Die Ausstattung der Tempelinnenräume mit Bildwerken gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Durch Pausanias (1,18,6) ist bekannt, dass Hadrian ein riesiges Gold-Elfenbein-Bild des Zeus in dem von ihm vollendeten Olympieion von Athen aufstellen ließ. Er folgt darin einer seit dem Hellenismus feststellbaren Tendenz, sich an den berühmten phidiasischen Götterstatuen in Olympia und Athen zu orientieren, wenn man neue Kultbilder schuf. Hadrians Stiftung scheint dann wiederum die griechischen Bürger von Kyrene inspiriert zu haben, als sie ihren im jüdischen Aufstand (115 bis 117 n. Chr.) zerstörten Zeustempel herrichteten. Die Cella gestalteten sie dabei in der Weise um, dass eine riesige Akrolithstatue des Zeus Olympios Platz fand, von der sich Teile der Basis, des Thrones und der Figur selbst erhalten haben. Diese Statue war gleichsam ein Verweis auf das hadrianische Athen, das Zentrum des panhellenischen Bundes, dessen Mitglied Kyrene in jenen Jahren geworden war. Die Zugehörigkeit zum Panhellenion wie auch der Tempel mit seinem neuen Kultbild bekräftigten, vor dem Hintergrund des Konfliktes mit den Juden, den griechischen Ursprung und Charakter der Stadt.
Veränderte Raumkonzepte und kultische Nutzung Am schwierigsten aus der archäologischen Perspektive zu beurteilen sind, wie im Abschnitt über das Problem der <Musealisierung> bereits angedeutet, die Formen der kultischen Nutzung von alten Tempeln während der Römerzeit, zumal die Ausstattung der Tempel mit Bildwerken und Gerätschaften in aller Regel verloren ist. Immerhin vage Hinweise auf veränderte Nutzungsformen liefern Umbauten der Tempelinnenräume selbst. Einige solcher Maßnahmen, etwa die Entfernung von Innensäulen, stehen wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Aufstellung von neuen, kolossalen Kultbildern und verraten an sich noch nichts über damit verbundene rituelle Handlungen. Interessanter sind Befunde, die auf neuartige Inszenierungen der Götterstatuen hindeuten, im Sinne ihrer Isolierung vom Betrachter und quasi Ausgliederung aus der Cella. Damit setzt sich eine von Hans-Ulrich Cain an hellenistischen Beispielen beschriebene Tendenz fort; sie lässt sich hier und da aber doch mit einer spezifischen Orientierung an römischen Vorbildern erklären. So wurden im so genannten Herculestempel von Agrigent und wohl auch im Athena-/Minervatempel (so genannter Cerestempel) von Paestum die Kultbilder in nachträglich eingebauten, verschließbaren Naiskoi im rückwärtigen Teil der Cella aufgestellt, die möglicherweise ähnlichen Schreinen in den Tempeln für Jupiter Stator und Juno Regina in der Porticus Metelli in Rom nachgebildet waren. Das Anfügen von Treppen an den Frontseiten der Tempel kann als weitere häufige Umbaumaßnahme römischer Zeit genannt werden, die Auswirkungen auf das Kultgeschehen gehabt haben mag. Durch sie erhielten einerseits alte Ringhallentempel eine eindeutige, frontale Ausrichtung und es wurde die streng axiale Bindung an den Altar unterstrichen. Dies entspricht einem erkennbar schon hellenistischen Tempelneubauten unterliegenden Konzept. Darüber hinaus forderten die oft weit ausladen-
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den Fronttreppen den Besucher des Heiligtums geradezu dazu auf, das Innere des Tempels zu betreten und die Götterbilder zu schauen. In etwas anderer Weise geschah dasselbe beim Haupttempel von Priene, der als Tempel für Athena Polias und Augustus zu Beginn der römischen Kaiserzeit fertig gestellt worden war. Beide Gottheiten waren am Altar und am Architrav des Tempels in gleich lautenden Inschriften genannt, so dass das Auge des Betrachters unmittelbar von dem einen zum anderen geleitet wurde. Von der Vorhalle, dem Pronaos des Tempels führten ebenfalls seit augusteischer Zeit drei Marmorstufen über die immerhin 0,74 Meter hohe Schwelle in die Cella. Hier trat der Besucher den Statuen der Mitglieder des julisch-daudischen Kaiserhauses gegenüber, die hinter einer Absperrung und im Halbkreis um die der phidiasischen Parthenos nachempfundene Athenastatue versammelt waren und so die Kultgemeinschaft von Stadtgöttin und Kaiser ins Bild setzten. Schluss Plutarch, selbst ein römerzeitlicher Grieche, schreibt in seiner Periklesbiographie (12,1): «Was aber Athen am meisten zum Schmuck und zur Zierde gereichte, was den anderen Völkern die größte Bewunderung abnötigte und heute allein noch dafür Zeugnis ablegt, dass Griechenlands einstiges Glück, dass der Ruhm seiner früheren Größe nicht leeres Gerede sei, das waren seine prachtvollen Tempel und öffentlichen Bauten» (Übersetzung: K. Ziegler). Dieses Zitat untermauert, was die zahlreichen Umbauten und Neuausstattungen alter griechischer Tempel vermuten ließen: dass sie nicht einfach als Relikte einer vergangenen Epoche in die Zeit der römischen Herrschaft hinein ragten und ihre Nutzung nicht einer bloßen Fortschreibung immer schon praktizierter Riten entsprach. Sondern dass in vielen Fällen die städtische religiöse Tradition, zuweilen auch eine übergeordnete, allgemein griechische Tradition an den Tempeln und ihrer Ausstattung vergegenwärtigt wurde. Man vergewisserte sich der Vergangenheit oder schuf sich ein Bild von ihr an Hand der Tempel. Dadurch kreierte man eine politische und soziale Identität der griechischen Gemeinwesen, was in Krisen- und Umbruchsituationen nötiger denn je war, ob beim Wiederaufbau von Kyrene, bei der Neubegründung von Korinth oder bei Verfassungsreformen in Athen.
Weitere Mitarbeiterin: Corina Winkler. Förderungszeitraum: 2005 bis 2007. Veröffentlichungen Steuernagel, D. 2007. «Griechische Tempel in der Zeit römischer Herrschaft», Das Altertum 52 (in Druckvorbereitung). Steuernagel, D. 2007. «Der Apollontempel von Didyma und das Orakel in der römischen Kaiserzeit. Stätte und Medium religiöser Kommunikation», in: D. Sterbenc Erker, G. Schörner (Hgg.), Religiöse Kommunikation im Imperium Romanum (in Druckvorbereitung).
Die mantische Praxis im Osten des Römerreiches: Personal, Region, Institutionalisierung ANNETTE HUPFLOHER
Mantische oder: divinatorische Techniken wie Leberschau, Losewerfen und Orakelbefragung sind wichtiger Teil antiker religiöser Praxis und waren im ganzen Mittelmeerraum verbreitet. Verstanden als rituelle Kommunikation mit den Göttern war ihr Ziel, Entscheidungsprozesse in komplexen Angelegenheiten durch Strukturation zu erleichtern und Kontingenzerfahrungen me!1tal zu bewältigen. Abhängig von Zeit, Ort und historischem Umfeld variieren die dabei verwendeten Techniken und der Stellenwert, den verschiedene Gesellschaften diesen Techniken einräumten. Während die Situation im archaischen und klassischen Griechenland und im republikanischen Rom als intensiv untersucht gelten kann, wurde jene der römischen Kaiserzeit bisher weniger und lediglich in Ausschnitten erforscht. Das Forschungsprojekt richtete sich daher auf diesen Zeitraum und konzentrierte sich auf die Ebene des Handeins. Ziel war, die Besonderheit der kaiserzeitlichen mantischen Praxis - im Kontrast zum literarischen Diskurs, im Kontrast zur mantischen Praxis vorangehender Epochen herausarbeiten. Als Instrumente dabei fungierten Fragen nach den agierenden Spezialisten, nach ihrer institutionellen Einbindung und die Focusierung auf eine besonders gut dokumentierte Region, das sogenannte Griechische Mutterland. Mantische Spezialisten Durch die prosopographischen Untersuchungen von P. Kett und P. Roth l sind wir über die mit mantischen Praktiken befaßten religiösen Spezialisten archaischer und klassischer Zeit gut unterrichtet. Faßbar ist der Typus der wandernden Seher, die nur zeitweise und locker an griechische Poleis gebunden waren, und deren wichtigstes Aktionsgebiet die Beratung in militärischen Angelegenheiten war, die sie durch Opferschau und durch die Deutung von Götterzeichen mehr anregten als ausschlaggebend bestimmten? Diese Untersuchungen enden jedoch in hellenistischer Zeit. Um Veränderungen gegenüber vorangehenden Epochen erkennbar zu machen, ist es nötig, die prosopographische Untersuchung für die Kaiserzeit fortzusetzen; dies wurde für den Osten des Römerreiches hier unternommen. Dabei zeigte sich, daß es in der Kaiserzeit einerseits Texte von Statuen- und Grabmonumenten sind, die dazu Daten liefern, andererseits epigraphische Dokumente in der Form von Beamtenlisten und Ehrendekreten. Die im allgemeinen wenig ausführlichen Texte der Statuen- und I Kett, P. 1966. Prosopographie der historischen griechischen Manteis bis auf die Zeit Alexanders des Grossen, Diss. Erlangen-Nümberg; Roth, P. 1982. Mantis. The Nature, Function, and Status of a Greek Prophetie Type, PhD Bryn Mawr. 2 Vemant, J.-P. 1991. «Speech and mute signs», in: Zeitlin, F. (ed.), Mortals and Immortals, Princeton, 303-17.
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Grabmonomente sind dabei hauptsächlich statistisch relevant; für Kleinasien überliefern sie mit dem Amt des mantiarches «Ober-Mantis» und einer generell elaborierteren Terminologie jedoch durchaus regionale Besonderheiten. Die zahlenmäßig größten Bestände von manteis in Form von Beamtenlisten und Ehrendekreten stammen von der Peloponnes; wo sich in Olympia und Sparta große Seherfamilien bis in die römische Kaiserzeit hielten und aktiv waren. Im Falle von Olympia ist es in Laufe der Zeit zu einer administrativen und funktionalen Spezialisierung gekommen, 3 die Zeichendeutung wohl nur noch gelegentlich umfaßte, in Sparta hingegen waren die manteis in ihrem traditionell definierten Aktionsfeld tätig, als Eingeweideschauer bei Schlachtopfern. Man findet sie sowohl in religiösen Vereinen als auch in öffentlichem Kontext amtieren, wobei eine weibliche mantis, Alkibia Teisamenou, auftaucht, die im Rahmen der kaiserzeitlichen Amtsträger ein Einzelfall ist, in diachronischer Perspektive hingegen durchaus Parallelen findet. 4 Weibliche Eingeweideschauer sind bereits in klassischer Zeit im arkadischen Mantineia und in hellenistischer Zeit im thessalischen Larisa bezeugt. Die kaiserzeitlichen großen Quellenbestände von der Peloponnes erwiesen sich als gut vergleichbar mit epigraphischen Dokumenten aus Attika, Nordwestgriechenland (Akarnanien: Thyrreum) und Kleinasien (Ephesos, Boubon), wo ebenfalls Gruppen von öffentlichen Funktionsträgem als Agierende beim öffentlichen Schlachtopfer der Städte überliefert sind: hieropoioi beziehungsweise hierothytai, mageiroi, auletai et cetera werden zusammen mit den manteis in Opferkollegien aufgeführt. In der römischen Kaiserzeit ist diese Praxis, deren Anfänge in hellenistischer Zeit in Athen und in den attischen Einflußgebieten gut faßbar sind, weit verbreitet und fest institutionalisiert. In Hinblick auf die spätantiken Regulationsversuche und Verbote mantischer Praxis von seiten der Kaiser ist daher zu fragen, ob diese Institutionen einschließlich ihrer Funktionsträger absichtlich oder über unbeabsichtigte Nebeneffekte von der Gesetzgebung betroffen waren. Der Sozialstatus der kaiserzeitlichen manteis variiert beträchtlich von möglichen Sklaven (anhand der Namenformen) bis hin zu Angehörigen der Mittel- und Oberschicht der kaiserzeitlichen Städte. Die Sakraltopographie der Provinz Achaia: Orakelstätten und Heil-Kultstätten Sakrallandschaften5 konstituieren sich durch eine Vielfalt menschlicher Aktionsweisen: durch regelmäßig wiederkehrende Rituale, durch die Anhäufung von Votivgaben, durch <;lie architektonische Fassung und repräsentative Ausgestaltung häufig begangener Plätze (Kultorte oder -stätten, Heiligtümer). Nimmt man eine ganze Region mit der Fragstellung nach solchen Aktionsweisen in den Blick und konstruiert so , so zeigt sich dem modemen Betrachter, der antike Religion meist in systematischer Gliederung kennengelernt hat, ein differenzierteres und vielschichtigeres Bild. Manche Orte wurden selten, in jährlichem oder vierjährigem Turnus von vielen gleichzeitig aufgesucht, während andere häufig, aber von 3 Vgl. Hupfloher 2006, 256; Zoumbaki 2001, 118-22; Hupfloher, A. 2005. Rez. , Klio 87, 242-4. 4 Vgl. Hupfloher 2005 und Hupfloher 2007. 5 Alcock, S. 1993. Graecia capta, Cambridge, 172-214; Alcock, S./Osborne, R. (ed.) 1994. Placing the Gods, Oxford.
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Kleingruppen nur, für ihre Rituale genutzt wurden. Einige Kultstätten weisen überregionale Bekanntheit und damit Fernkontakte auf, die sich im Votivspektrum niederschlagen, andere gehörten sicherlich zum sozialen und räumlichen Nahbereich der Akteure. Die Formen der Rituale unter den Bedingungen der Absenz übergreifender Regelungen variierten beträchtlich. Antike Divinationstechniken sind in großer Vielfalt durch literarische Dokumente überliefert, archäologisch faßbar sind sie jedoch nur selten, da die meisten dieser Praktiken wenige oder keine materiellen Zeugnisse hinterlassen. Will man die Dichte und Intensität divinatorischer Akte im kaiserzeitlichen Griechenland untersuchen, so bietet sich neben dem Zugang über die agierenden Spezialisten an, jene Orte zusammenzustellen und zu untersuchen, an denen mantische Praxis in spezialisierten Kultstätten fest institutionalisiert war: die Orakelstätten und die Heil-Kultstätten. Beide Typen von Kultstätten sind nicht scharf voneinander abgrenzbar; sie antworteten auf die Bedürfnisse von Ratsuchenden, die sich für die religiöse Option entschieden hatten und ihr Anliegen - direkt oder indirekt, durch Medien verschiedener Art - den Gottheiten vortragen wollten und eine Antwort erwarteten, die zur Problemlösung beitrug. Wie hoch war die Dichte und wie die Verteilung solcher Kultstätten in Achaia? Die Erforschung dieser Fragen liefert ein Segment der religiösen Topographie Achaias, gleichzeitig kontextualisiert sie Asklepios, den bekanntesten und am weitesten verbreiteten Heilgott der Antike, und Apollon, den Orakelgott par excellence; sie stellt diesen beiden viele weniger bekannte, ebenfalls auf Beratung und Heilung spezialisierte Gottheiten zur Seite. Sie situiert auch die großen und berühmten Orakelstätten und die Asklepieia im Umfeld vieler kleiner, teils hochspezialisierter Heiligtümer. Die Anzahl der bekannten Orakelstätten6 in der Provinz Achaia ist gering und korrespondiert nicht mit den Orten, für die mantische Spezialisten epigraphisch bezeugt sind: Pausanias überliefert gut zwanzig Orakelstätten in seiner , wobei er in zeittypisch retrospektivem Diskurs bei einigen kleineren Stätten hinzusetzt, sie seien zu seiner Zeit nicht mehr aktiv. Die Gesamtschau ergibt eine Reihe großer und überregional berühmter Heiligtümer, die sich in der kleinen Region
Vgl. Hupfloher, A. Zur religiösen Topographie: Orakelstätten in der Provinz Achaia.
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Antike Heiligtümer, die auf Kralikenheilung spezialisiert waren/ galten seit der vermehrten Ausbreitung des Aslepioskultes hauptsächlich diesem Gott, wobei der dort provozierte Traumschlaf (Incubation) die bevorzugte Technik war. Die Analyse des Pausaniastextes zur kaiserzeitlichen Provinz Achaia ergibt neben den AsklepiosHeiligtümern eine größere Anzahl weiterer Kultstätten, die ebenfalls auf Krankenheilung spezialisiert, jedoch anderen Gottheiten gewidmet waren und zum Teil einer Sub-Spezialisation unterlagen, die die Forschung bisher wenig beschäftigt hat. Das Spektrum der Heil-Gottheiten ist mit Apollon (verschiedene Epikleseis), Dionysos, Athena, Demeter, diversen Wassergottheiten, stark profilierten Lokalheroen wie Herakles, Hippolytos, Trophonios und Amphiaraos, und Asklepiossöhnen und -enkeln, die durchaus eigenständig verehrt wurden, sehr breit. Eine Sub-Spezialisation von Heil-Kultstätten auf bestimmte Nutzergruppen und Krankheitsbilder fand sich im besonderen bei den Wassergottheiten der westlichen Peloponnes (Nymphen-Heiligtümer bei Samikon und Herakleia; Pamisos) und bei den messenischen Lokalheroen Machaon, Nikomachos und Gorgasos, die als Söhne und Enkel dem Asklepios wohl erst sekundär zugeordnet wurden. Hinsichtlich' der Verteilung und Dichte von HeilKultstätten wurden Asklepieia und spezialisierte Kultstätten anderer Kultadressaten zusammengenommen und gemeinsam interpretiert. Regionalspezifika ließen sich dabei vor allem für die westliche Peloponnes feststellen (siehe oben), während die anderen Landschaften der Halbinsel sich als gleichmäßiger strukuriert erwiesen. Selbst die östliche Argolis mit dem großen und einflußreichen Kultzentrum in Epidauros macht hier keine Ausnahme: neben diesem Asklepieion gab es eine größere Anzahl kleinerer Asklepieia und auch Kultstätten anderer Heilgötter. Dies führt zu der Erkenntnis, daß in einer Typologie von Heil-Kultstätten der Einzugsbereich einer Kultstätte stärker zu berücksichtigen ist: offenbar existierten neben den großen und berühmten Heil-Kultstätten in höherer Dichte kleine Heil-Kultstätten für den
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Vgl. Hupfloher, A. 2007a.
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Hupfloher, A 2007. «Leberbeschau durch Frauen? - Zur Divinationspraxis im Osten des Römerreiches», Altertum (im Druck). Hupfloher, A 2007a. «Zur religiösen Topographie: Heil-Kultstätten in der Provinz Achaia», in: Auffarth, eh. (Hg.), Religion auf dem Lande: Kulte und Heiligtümer im nicht-urbanisierten Raum unter römischer Herrschaft, Stuttgart (im Druck). Hupfloher, A, Zur religiösen Topographie: Orakelstätten in der Provinz Achaia (Manuscript). Hupfloher, A, Divinationstechniken und Geschlechterdifferenz (Manuscript).
Darstellung, Legitimation und Plausibilisierung von Religion im lokalen Kontext am Beispiel religiöser Spezialisten im Römischen Reich JÖRG RüpKE
Fragestellung des Gesamtprojektes
Das politisch weitgehend befriedete Imperium Romanum ermöglichte eine erhöhte Migration rund um das Mittelmeer und bis weit nach West- und Mitteleuropa. Mit dieser Migration war die Diffusion religiöser Systeme verbunden: ägyptische Kulte finden sich in Germanien, syrische in Rom, griechisches Christentum breitete sich im lateinischsprachigen Nordafrika aus und wurde dort selbst latinisiert. Die Diffusion von Religionen und Kulten hatte aber nicht nur eine neue religiöse Topographie zur Folge; auch innerhalb der Religionen lassen sich zahlreiche Veränderungen feststellen. Für ortsfeste Religionen ändert sich das lokale Umfeld durch neue Kulte und Kontakte; die migrierenden Religionen erfahren sowohl durch neue lokale Kontexte als auch durch den Transport selbst Veränderungen und beeinflussen in Wechselwirkung mit anderen Bereichen der antiken Gesellschaft ihrerseits den Wandel sozialer Rollen und kultureller Normen. Einen Beitrag zu leisten, die Bedingungen jener Vermittlung von religiösen Optionen im Römischen Reich zu erhellen, war das systematische Ziel der Arbeit. Das Forschungsprojekt ergänzte den Zugriff über räumliche Einheiten (Provinzen) oder religiöse Phänomene (Kaiserkult), wie er im Rahmenantrag dargestellt war, methodisch durch die Konzentration auf die Träger und Anbieter religiöser Optionen und ihre Rolle in der Situation des Kontaktes. Hinzu kam eine konsequente Orientierung am lokalen Rahmen, in dem übergeordnete Räume und entfernte Zentren als Argumente und Assoziationen präsent sind. Mit der Konzentration auf das zweite und dritte Jahrhundert n. Chr. in den in den folgenden Kapiteln von Dorothee Elm von der Osten und Katja Wedekind beschriebenen Teilprojekten wurde nicht die Formation neuer Provinzgesellschaften, sondern die religiöse Kommunikation innerhalb des stabilisierten Großraums in den Blick genommen. Um die in der wissenschaftlichen Literatur vielfach anzutreffende plakative Gegenüberstellung von Religionen innerhalb des Römischen Reiches - etwa versus - aufzubrechen und die Existenz unterschiedlicher religiöser Optionen und deren gegenseitige Beeinflussung angemessener darstellen zu können, wurde Wert auf eine systematische Analyse der diskursiven Strategien religiöser Spezialisten gelegt. Hierbei war insbesondere zu klären, wie sich religiöse
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Jörg Rüpke
Kommunikation gestaltet, und wie die lokale Kommunikation über religiöse Phänomene durch die reichs weit miteinander vernetzte Elite dargestellt und verbreitet wird. Aufgrund der Koexistenz einer Vielzahl religiöser Optionen galt es für jeden Teilnehmer am religiösen Diskurs, den eigenen Standpunkt im öffentlichen Raum darzustellen. Bei dieser Inszenierung standen mehrere Strategien zur Verfügung, die sich unter die Begriffe Legitimierung und Plausibilisierung subsumieren lassen. Eine zentrale Strategie dieser Legitimierung und Plausibilisierung ist die Performanz der direkten Kommunikation der Gottheit mit dem religiösen Spezialisten: die Inszenierung des Göttlichen. Dabei ist die Frage von besonderem Interesse, wie sich die Inszenierung des Göttlichen einerseits auf lokaler Ebene in der direkten Konfrontation (face-ta-face) und andererseits überregional durch rhetorisch-literarische Strategien durchsetzt. Der Schwerpunkt des Projektes wurde - erstens - auf religiöse Spezialisten gelegt, die durch die intentionale Vermittlung einer religiösen Option charakterisiert sind (dabei wurde davon ausgegangen, dass der Typus des Spezialisten selbst Ergebnis von Kommunikation und sozialer Einigung unter Einbeziehung immer wieder neu auszuhandelnder Variablen ist), und - zweitens - auf Autoren, die durch die literarische Darstellung religiöser Spezialisten über Religion reflektieren, kommunizieren und so normativ tätig werden. Grundlegend war hierbei die detaillierte Textanalyse, die auch klassische rhetorische Strategien, wie etwa die Technik der Ekphrasis ( bearbeitete Fragestellung entwickelt. Über die zunächst genannten Schwerpunkte hinaus wurde, wie im folgenden dargestellt wird, das Thema unter der institutionengeschichtlichen Frage nach den institutionalisierten -Rollen und den rechtlichen Rahmenbedingungen solchen Agierens sowie der Frage, inwieweit sich diese Rollenträger an der Ausbildung eines literarischen theologischen Diskurses beteiligten, bearbeitet. Priesterrollen in Rom Welche Spezialistenrollen waren verbreitet? Wie wurden sie wahrgenommen? Welche Kommunikationsformen eröffneten sie? Dieses Fragebündel umschreibt das zuletzt angesprochene, dritte Arbeitsgebiet des Gesamtprojektes. Die Grundlage für diese Arbeit bildeten zunächst prosopographische Daten aus der römischen Zentrale des Imperium. Die stadtrömischen Daten zeigen einerseits weit ausdifferenzierte sakrale Strukturen in den verschiedensten Kulten, zeigen andererseits eine im Laufe der Kaiserzeit zunehmend verengte Terminologie für die entsprechenden sakralen Rollen und vielfache Angleichungen in den Fremd- wie Selbstbildem. Für verschiedene Kulte lassen sich sogar Prozesse der Umstrukturierung religiöser Spezialistenrollen in der Stadt Rom nachweisen (Iuppiter Dolichenus, Mithras, eventuell auch im Juden- und Christentum), die eine spezifisch religiöse Autorität zugunsten sozialer Faktoren zurückdrängen. In den aus republikanischer Zeit stammenden Lokalkulten werden insbesondere die Flamines einem Prozeß der Einebnung unterworfen, der sie zunehmend schwieriger zu identifizieren macht.
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Eine durch terminologische Stichproben in den Provinzen abgesicherte Untersuchung des ersten greifbaren , der Lex coloniae Iuliae Genetivae Ursonensis, führte zu der Hypothese, dass seitens der Hauptstadt von einer förmlichen Verbreitung einer bestimmten Struktur städtischer Priesterämter abgesehen wurde; Pontifices und Auguren weisen zwar die höchste Frequenz auf, waren aber nicht Teil oder gar unverzichtbarer Teil eines administrativen Modells. Das eröffnet einerseits große Freiräume für die Ausbildung oder Rezeption religiöser Spezialistenrollen im Imperium Romanum, legt aber eher deren unspezifisch-generische Deutung nahe. Vor dem Hintergrund einer Vielzahl durch die Senatoren wie Ritter im Mittelmeerraum vorgestellter Rollen beziehungsweise Funktionsbezeichnungen wurde weder ein einheitlicher Begriff <sacerdos> ausgebildet noch ein Spektrum unterschiedlicher Funktionen fixiert; die Untersuchung von Katja Wedekind zog aus dieser Befundlage auch terminologische Konsequenzen, um nicht als verdecktes Synonym von zu verwenden. Die Ausgangshypothese, dass gerade die senatorischen Priesterschaften Raum für Reflexion des Rituals und damit die Entstehung religiöser Literatur in Rom bieten könnten, ließ sich trotz einer Reihe von Autoren gerade unter den Auguren und den mit den sybillinischen Büchern betrauten Decem- beziehungsweise Quindecimvirn nicht erhärten. Vielmehr zeigte sich, dass für die Ausbildung einer derartigen literarischen Kommunikation über Religion in Rom anderen Faktoren größeres Gewicht beizumessen war, insbesondere dem beschleunigten sozialen Wandel und dem kulturellen Austausch mit Griechenland. Ausgangspunkt war hierfür zunächst M. Terentius Varro am Ende der Republik, der gegen die verbreitete Rezeption der Behauptung Cichorius' gerade nicht Mitglied der Quindecimviri sacris faciundis war: Seine Antiquitates stellen sich gerade nicht primär als Publikation priesterlichen Wissens dar, sondern als eine besondere Form der Rechtfertigung römischen Kultes unter den Bedingungen universalisierender griechischer Philosophie und des zunehmenden universalen römischen Herrschaftsanspruchs. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, zum einen rückwärts, insbesondere ins zweite Jahrhundert v. Chr. hinein, die Textanalyse auszudehnen, zum zweiten die kaiserzeitliche Rezeption zu betrachten und zum dritten wissenschaftsgeschichtlich das Entstehen der anderslautenden communis opinio zu rekonstruieren. Während der erste Teil auf das oben beschriebene Folgeprojekt zur Literatur verschoben werden musste, konnten zu den beiden weiteren Punkten bereits wichtige Einzelbeiträge erarbeitet werden: Varro wurde etwa bei den frühen lateinischen christlichen Apologeten nicht als neutrales Handbuch, sondern gerade auch in seinem Raumbezug wahrgenommen. Für die modeme Wahrnehmung der Varronischen Antiquitates rerum diuinarum als
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