M. Frede /G. Patzig Aristoteles ,Metaphysik Z' Zweiter Band
MICHAEL FREDE / GUNTHER PATZIG
ARISTOTELES ,METAPtIYSIK Z' TEXT, DBERSETZUNG UNO KOMMENTAR
ZWEITER BAND
Kommentar
VERLAG C. H. BECK MUNCHEN
CIP-Kurztitel.ufnahme det Deutschen Bibliothek
Frede, Michael: Aristoteles "Met.physik Z" : Text, abers. u. Kommentar I Michael Frede ; Gunther P.tzig. Miinehen : Beck lSB
J 406 J 1918 1
NE: P.uig, Gunther:; Anstoteles: Mer.physik Z Bd. 1 . Kommenrar. - 1988.
ISB
©
3 406 319 I 8 I (fur Bde. IfII)
c. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), Munchen 1988 Gesamtherstellung: Passavia Passau Printed in Germany
INHALT DER BEIDEN BANDE Band I EINLEITUNG
7
Vorbemerkungen .
I. II. III.
Zum griechischen Text
Zur Obersetzung ZH als Text: Die Abhandlung )) Oher die ousia und das Seiende" IV. ZH irn Kontext det "Metaphysik" . V. Der Gedankengang von Z . . . . . VI. Die Theorie von Metaphysik Z . . VII. Eine kurze Wiirdigung def Theorie .
I,
9
18 21
VIII. Sind Formen allgemein adee individuell? TEXT UND UBERSETZUNG . . . . . . . . . . . . .
59 Band II
KOMMENTAR
.
Erstes Kapitei .
7
Zweiccs Kapitel .
9 26
Drittes Kapitel
jj
Vicrtes Kapitel .
Fiinftes Kapitel . Sechstes Kapitel Siebentes Kapitel Achtes Kapitel . Neuntes Kapitel Zehntes Kapitel . Elftes Kapitel .. Zw61ftes Kapitel Dreizehntes Kapitel
57
76 87 104 12 9 149
166 199 221
241
Vierzehntes Kapitel .
264
Fiinfzehntes Kapitei
280
Sechzehntes Kapitel
297 ,07
Siebzehntes Kapitel . AN HANG .
Literaturverzeichnis
Stellenvetzeichnis . Namenverzeichnis . Sachverzeichnis . . Verzekhnis dec sprachlichen Beobachtungen
32 5 J27 jjI
340
J43 34 6
KOMMENTAR
•
ERSTES KAPITEL
1m ersten Kapitel erklart Aristoteles, warum er. sich einer Untersuchung iiber die ousia zuwendet. Es ist die Aufgabe der Philosophen, ganz allgemein das, was ist, zu verstehen und zu erklaren. Dies aber setzt voraus, daB man zuerst einmal das versteht, was vor aHem anderen seiend
ist, namlich die ousia. Diese ist das primar Seiende, weil alles andere nur insofern seiend ist, als es eine ousia giht, an welcher es sich als etwas Seiendes findet. Diese Behauptung iiber den Vorrang der ousia (1028'29- 31) stiitzt Aristoteles auf zwei Oberlegungen, von denen freilich die zweite die erste voraussetzt: (i) Wenn man von Seiendem spricht, dann spricht man entweder yom "Was es ist H einer Sache oder einer Qualitat oder einer Quantitat usE. Unter diesen aber ist offenkundig das "Was es ist" einer Sache fundamental, wei! alles andere nur seiend ist, insofern es ein in der Weise des "Was
es ist" Seiendes gibt, an dem es als Qualitat oder Quantitat usf. auftritt. DaB abet das H Was es ist" einer Sache diesen Vorrang hat, kann natiirlich
nur darin begriindet sein, daB es die ousia ist (1028'10-20). (ii) Nur dieser Vorrang der ousia macht auch verstandlich, daB jemand die folgende Schwierigkeit haben konnte: Handelt es sich denn bei so etwas wie beim Gehen oder Gesundsein oder Sitzen iiberhaupt urn etwas Seiendes, oder ist es nicht vielmehr so, daB allen falls das Gehende, das Gesunde und das Sitzende Anspruch darauf erheben konnten, Seiendes zu sein? Dieser Eindruck kann aber nur entstehen, weil es 1m letzteren FaIle etwas Bestimmtes, namlich eine bestimmte Qllsia, gibt, die das ist, was geht, gesund ist oder sitzt. Nur deshalb konnte man den Eindruck haben, daB nicht das Gehen, sondern allenfalls das Gehende etwas Seiendes ist (1028'20- 29). Aber die ousia ist nicht nur in dem Sinne das primar Seiende, dafl aUes andere nur seiend ist, insofern es cine ousia gibt, an der es sich findet. Vielmehr hat die ousia in jeder Hinsicht Prioritat: der Formel, der Erkenntnis und der Zeit nach (1028'3 I- b2). So stellt sich hera us, daB die alte Frage "Was ist eigentlich das Seiende?" auf die Frage hinausIauft "Was ist eigentlich die ousia?", wie man ja auch schon daraus ersehen kann, daB auch die friiheren Philosophen, sieht man genau zu, die letztere Frage zu beantworten suchten (1028 b2- 7). Das Kapitel gliedert sich dementsprechend in drei Teile: 1028'10-3 I; I02Sa3I - b2; I02S h 2 - 7 ·
Erstes Kapitel
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von 5 eiendem 1m Griechischen fehlt hier die sonst iibliche Verbindungspartikel, vermutlich, weil es sich bei Z und H urspriinglich urn eine selbstandige Schrift handelte (vgl. Einleitung, S. 28 ff.).
von 5 eiendem ,;to Bv AEY£'['(lt konnte auch iibersetzt werden "De! Ausdruck ,seiend' wird auf vielfache Weise (oder: in vielen Bedeutungen) verwendet". Entsprechend konnte man meinen, es gehe Aristoteles in diesem Kapitel darum, zu zeigen, daB det Ausdruck "seiend" in seiner primaren Verwendung nur auf die ousia Anwendung findet, wahrend alles andere nur in abgeleiteter Weise "seiend" genannt werden kann. Es
scheint aber, daB Aristoteles in diesem Kapitel vie! allgemeiner von der Prioritiit der ousia vor aHem anderen spricht, und daB die Prioritat dieser Verwendung von "seiend" vor anderen Verwendungen dieses Ausdrucks nur eine det vielen Weisen ist, in denen sich diese allgemeine Priori tat
der ousia widerspiegelt. Dieser Unterschied in der Interpretation von "[0 OV macht sich auch in der Interpretation anderer Details des Kapitels bemerkbar. So geht es etwa 1028'32- 36 nicht darum, die Prioritat des allgemeinen Begriffs der ousia aufzuweisen, sondern die Prioritiit der jeweils relevanten bestimmten Art von ousia, was vollig belanglos ware, wenn es Aristoteles urn Bedeutungen des Wortes "seiend" oder die Begriffe der ousia, der Qualitiit, der Quantitiit usf. ginge. Diese Auffassung legt es nahe, die Formulierung ,,"[0 Bv AtyeWI 1tOAAUx&r;" als elliptischen Ausdruck fUr ,,"[0 Bv AtYe"[Ul
bereits in der Schrift V gl. Met. 7. Wegen der urspriinglichen Selbstiindigkeit von ZH halt Jaeger diesen Verweis auf fiir den Zusatz eines spiiteren Herausgebers. Nach allem, was wit wissen, wurde das Buch .6. erst in spaterer Zeit in die aristotelische "Metaphysik" eingefiigt. Trotzdem konnte sich Aristoteles in einer selbstiindigen Abhandlung zur ousia auf eine ebenfalls selbstiindige Schrift iiber die mannigfachen Bedeutungen berufen haben. Was stort, ist der Ausdruck ,,1tQ6'tEQOV", den Aristoteles sonst verwendet, urn auf friihere Ausfiihrungen innerhalb derselben Schrift zu verweisen. Vielleicht ware also 1tQO"[eQOV zu streichen, das auch in der Kustode am Ende des Buches E fehlt.
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bedeutct }}seicnd(( Diese Zeilen lassen sich kaum wortlich iibersetzen, weil Aristoteles mit einer Leichtigkeit, die fiir uns kaum ertraglich ist, zwischen der Rede iiber Gegenstande und der Rede iiber die entsprechenden Ausdriicke (also zwischen Objektsprache und Metasprache, in Terminologie) hin- und herwechselt: 1m ersten Satz ist vom Seienden die Rede, obwohl man den Satz zur Not auch als einen Satz iiber den Ausdruck "seiend" auffassen konnte. Damit ware die Harte vermieden, die dadurch entsteht, daB nur ein Ausdruck Subjekt von Cl"lll1uivEl sein kann. Aber diesel be Harte liegt im dritten Satz vor, in dem Aristoteles einen Gegenstand, und nicht den entsprechenden Ausdruck, Subjekt von ,,0"lll1UiVel" sein laBt. Dies Schwan ken zwischen inhaltlicher und formaler Redeweise kehrt bei Aristoteles standig wieder. Uns heute wird die Unterscheidung durch den Gebrauch von Anfiihrungszeichen sehr erleichtert. Auch wir sind iibrigens in unserer Umgangssprache nicht immer konsistent. Aber die Unbekiimmertheit des Aristoteles geht iiber das, was wir uns erlauben, so weit hinaus, daB wir uns oft gezwungen sehen, die Worte des Aristoteles sinngemaB so zu iibersetzen, daB die auftretenden Harten etwas geglattet werden. Obrigens benutzt Aristoteles anstelle von Anfiihrungszeichen ofters, wie im Griechischen iiblich, den bestimmten Artikel ,,16" als Hinweis darauf, daB iiber einen isolierten Ausdruck gesprochen werden soil, und "on" als Zeichen der direkten Rede (Beispiele fiir ,,16": Anal.pr. A I, 24b20f., 28- 30; Met. A7, IOlt27- 30; A12, IOI9b30- 33; fur "on"; Met. !J.7, loq' ll f.; Anal. post. B6, 92'16f.). Die entsprechende Verwendung von ,,16" wird von Bonitz im Aristoteles-Index (44 j a) nicht vermerkt. Damit hangt vielleicht zusammen, daB Bonitz solche Vorkommnisse von ,,16" gelegentlich aus dem iiberlieferten Text der "Metaphysik" streicht (!J.12, 1019b28; !J.'4, 1020' 33). Jaeger fo lgt Bonitz darin; andererseits fiihrt er gelegentlich auch Anfiihrungszeichen ein (!J. 7, 1017'18; !J. 12, 1019'10; Z ,6, 1040b34), ohne daB ein Prinzip fiir dieses Schwan ken in der Notation zu erkennen ware. das "Wczs etwas ist" und ein Dies von der Art Manche Kommentatoren (z. B. Ross, S. 'j9; Owen, PAS 79, S. 2- 3; die Londinenses in den "Notes on Z", S. I) meinen, der Ausdruck "das ,Was etwas ist' und ein Dies von der Art" fasse zwei Seiten der aristote1ischen Auffassung der ousia zusammen, die zueinander in einer gewissen Spannung stehen, von der nicht sicher sei, ob Aristoteles sie
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Ersles Kapitel
stets habe unter Kantrolle halten ader gar ausgleichen konnen. Das "ein Dies von def Art" scheint erstens cincn konkreten Gegenstand zu bezeichnen, wahrend "Was etwas ist", so mcint man, etwas an einem Gegenstand bezeichnet, etwa sein Wesen ader etwas, das ihm natwendig zukommt. Entsprechend scheint es zwei verschiedene Bedeutungen von "ousia" zu geben: Einmal ware "ousia" ein einstelliges Pradikat, das cinen einzelnen Gegenstand als solchen charakterisiert, dann abet auch ein zweistelliges Pradikat, insofern die Dusia bisweilen als die Dusia von etwas behandelt wird. Zweitens, so konnte man meinen, verweist das "ein Dies von de! Art" auf etwas Individuelles, wahrend das "Was etwas ist" einer Sache etwas Allgemeines zu sein scheint. Denn man beantwortet die Frage, was etwas sei, durch einen Hinweis auf etwas Allgemeines: es sei ein Mensch, ader ein Lebewesen (vgl. 1028'16- 18). Man sallte sich freilich nicht varschnell diesen Meinungen anschlieBen und dann den Text van Z in ihrem Licht sa lesen, als sei ihre Wahrheit etwas Gegebenes. Vielmehr scheint es sich urn Varurteile zu handeln, die, so natiirlich sic auch erscheinen mogen, sich im Verlauf von Aristoteles' Ausfiihrungen in Z als falsch erweisen. Wer sagt, Sakrates sei ein Mensch, sagt in der Tat, was Sakrates ist. Und es ist ohne Zweifel sa, dall wir es fast fUr selbstverstandlich halten, daB in einer salchen Aussage Sakrates etwas Allgemeines - die Eigenschaft, Mensch zu sein - zugeschrieben wird. Wir fragen uns dann allenfalls nach, ab man sagen kann, daB es sich urn eine besondere Art van allgemeiner Eigenschaft, namlich urn eine wesentliche Eigenschaft handelt. DaB es sich urn etwas Allgemeines handelt, gilt uns dagegen als ausgemacht. Nun bestreitet Aristoteles keineswegs, daB Priidikatsausdriicke wie "Mensch" oder "Kugel" allgemein verstanden werden kennen, wie man etwa ZIO, IOJ5b27ff., ader in ZIJ sieht. So verstanden gibt der Satz "Sokrates ist ein Mensch" an, was fur eine Art von Form und was fur eine Art von Matetie Sokrates konstituieren. Aristoteles scheint aber zu bestreiten, daB det Satz, so verstanden, das Was des Sokrates, seine ausia, angibt. Er argumentiert namlich dafiir, -var aHem in Z 1J, daB ein allgemeiner Pradikatsausdruck, so allgemein verstanden, keine ousia bezeichne. Das ist die Auffassung der Platoniker, und Aristateles setzt sich im Verlauf van Z wiederhalt und ausfiihrlich mit der Auffassung auseinander, bei der ousia des Sokrates konne es sich urn so etwas wie das Universale "Mensch" handeln. Wenn aber "Mensch", als etwas Allgemeines verstanden, nicht eine ousia bezeichnen kann, dann kann es auch nicht das "Was etwas ist" einer Sache bezeichnen. Denn das "Was etwas ist" sol1 ja gerade die ousia sein, nach der wir suchen.
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Aber gibt es eine andere Art und Weise, den Satz "Sokrates ist ein Mensch" zu verstehen, als den Ausdruck "Mensch" auf etwas Allgemeines, etwa die allgemeine Eigenschaft, ein Mensch zu sein, zu beziehen, derarr, dall der Satz genau dann wahr ist, wenn Sokrates diese Eigenschaft hat? • Die Antwort auf die Frage, was eine Sache ist, hangt auch davon ab, was fiir eine philosophische Ansicht man davon hat, wie solehe Fragen zu beantworten sind. Eine Art der Antwort, die Aristoteles zwar zuriickweist, aber doch wenigstens fiir sinnvoll moglich halt, ware die These, So hates sei dies Gewebe, diese Knochen und Sehnen, aber auch die These, Sakrates sei nichts anderes als eine Ansammlung von Atomen; und damit meinte man eine kankrete Ansammlung von konkreten, indi viduellen Atomen, auch wenn man nicht in der Lage ware, die Atome als Individuen zu identifizieren, und sich auf sie daher nur auf eine allgemeine Weise beziehen konnte. (Dabei kann offenbleiben, ob dies tatsachlich der Theorie des Demokrit entspricht.) Aristoteles halt eine solehe Antwort auf die Frage, was Sokrates ist, rucht deshalb fiir unangemessen, weil er meint, die Antwort masse eine zugleich wesentliche und allgemeine Eigenschaft des Sokrates namhaft machen, sondern deshalb, weil sich nach seiner Meinung Sokrates nicht mit seinen materiellen Bestandteilen identifizieren lallt. Was Sokrates ist, das sind nicht Gewebe, Knochen und Sehnen, sondern das ist ein Mensch. Wenn gesagt wird, Sokrates sei ein Mensch, dann sprechen wir von einem bestimmten, einzelnen Menschen, niimlich dem, an dem sich aile die Widerfahrnisse finden, die wir Sokrates zuschreiben. Er ist das, was Sokrates selbst, im Gegensatz zu seinen akzidentellen Eigenschaften, ist. Wenn man sich auf ihn nur in allgemeiner Weise bezieht, indem man sagt, dall es sich bei Sokrates urn einen Menschen handelt, dann heillt das nach nicht, es k6nne sich bei dem, was Sokrates ist, nicht urn ein bestimmtes Individuum handeln. Auch aus der These, Sokrates sei nichts als eine Menge von Atomen, folgt ja nicht, dall Sokrates etwas Allgemeines sei, weil doch von Atomen dabei nur in allgemeiner Weise gesprochen werde. Das, was eine Sache ist, ihr "Was etwas ist", ist also die Sache selbst im WTdeifiihrnissen. Danerwar" es'aucn"irrefUhiend, sich das "Was etwas ist" alser'was-vorzustellen, was sich an einer Sache findet, was also nur die ousia von ihr ist. Es ist vielmehr so, dall das "Was es ist" die Sac he selbst ist, die dann, jedenfalls nach der Auffassung des Aristoteles, zusammen mit den Widerfahrnissen, den komplexen Gegenstand iiberhaupt erst ausmacht, der uns in der Erfahrung begegnet. Dieser Gegenstand aber, insofern er bereits aile Widerfahrnisse miteinbe-
Erstes Kapitei
schliellt, ist nicht die Sache selbst, die ousia. Die ousia ist vielmehr die ousia dieses komplexen Gegenstandes; diese aber ist nichts anderes als die Sache selbst. Es ist also moglich, den Satz "Sokrates ist ein Mensch" nicht nur so zu verstehen, dan er sich mit dem Pradikatsausdruck "Mensch" auf etwas Allgemeines bezieht, zu dem Sokrates in einer bestimmten Beziehung stehen muG, wenn der Satz wahr sein 5011, sonclern er kann auch so verstanden werden, dan er sich mit clem Ausdruck "Mensch", wenn auch auf allgemeine Weise, auf eine bestimmte individuelle Sache bezieht, die ist, was der Gegenstand der Erfahrung eigentlich ist. Und in der Tat scheint es so zu sein, dafl auch Aristoteles davon ausgeht, clan ein Satz wie "Dies ist ein Mensch" auf die zweite Weise verstanden werden kann. Denn in Z 8 spricht er wiederholt (1033'30; lO33 b3) davon, dall eine konkrete eherne Kugel eine Kugel ist, dall aber die Kugel, die sie ist, nicht dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist, wahrend die konkrete Kugel entsteht und vergeht. Von dieser Kugel aber, welche die konkrete Kugel ist, meint er, sie existiere nur gerade so lange, wie die konkrete Kugel existiert (vgl. die Anmerkung zu 1033b6). Er mull also meinen, daB es sich bei dieser Kugel, welche eine konkrete eherne Kugel ist, nicht urn etwas Allgemeines, allen Kugeln Gemeines handelt. Denn dieses existierte zeitlos oder zumindest solange, wie es iiberhaupt Kugeln gibt. Vielmehr mull es sich urn etwas Bestimmtes, Individuelles handeln, eben das Was oder die ousia der konkreten ehernen Kugel, genauer gesagt, wie man aus 10"b j - 6 ersieht, ihre Form. Darauf beziige sich also "Kugel" in "Dies ist eine Kugel". Dazu pallt auch, dall Aristoteles Eh nicht nur von einer Form spricht, die von etwas ausgesagt wird, sondern ebendort die Form, die von etwas ausgesagt wird, als ein "Dies von der Art" bezeichnet (1049' , j), also als etwas Individuelles. Es ist also keineswegs so, daB Aristoteles, wie man vielleicht erwarten wiirde, davon ausgeht, daB das, was ausgesagt wird, eben deshalb schon allgemein ist. Vielmehr scheint Aristoteles hier anzunehmen, dall sich der Pradikatsausdruck auch auf etwas Individuelles, etwa die Form, beziehen kann, wie sich schon in Kapitel Z 8 zeigte. Es kann also keine Rede davon sein, daB sich der Ausdruck "Was etwas ist" auf etwas Allgemeines und damit auf einen allgemeinen Aspekt der ousia beziehen mufl . Denn wie wir gesehen haben, gibt zwar der Satz "Dies ist ein das Was def Sache an; aber er wird von Aristoteles so verstanden, dall er nicht auf etwas Allgemeines verweist, sondern eben, wenn auch auf allgemeine Weise, auf die besondere ousia, die das ist, was der Gegenstand eigentlich ist. Noch kann davon die Rede sein, dall die Ausdriicke "Was etwas ist"
If
und "ein Dies von der Art" zwei Aspekte des aristotelischen ousiaBegriffs andeuten, die einer Unterseheidung eines einstelligen und eines zweistelligen Gebrauches von "ousia" entsprechen. Oenn wenn die Dusia
das ist, was ein Gegenstand der Erfahrung mit all seinen Eigensehaften eigentlich ist, dann ist die Dusia imme! schon zugleich die Dusia von etwas . Selbst wenn "ousia" im Sinne des Zugrundeliegenden verstanden wird, handelt es sieh nieht urn den Erfahrungsgegenstand selbst, sondern urn seine Dllsia, eben das, was den Eigenschaften, weIche mit zur Konsti -
tution des Erfahrungsgegenstandes gehoren, zugrunde [iegt. So spricht denn auch Aristoteles zu Beginn von Kapitel 3 von det "ousia einer jeden Sache" (1028b3 j), selbst im Faile des Zugrundeliegenden (vgl. die Anmetkung zur Stelle).
und ein Dies von der Art Da das ti tcrn auf verschiedene Weise verstanden werden kann, z. B. als etwas Allgemeines, und zumal da Aristoteles selbst, wie z. B. in der Kategorienschrift, das ti tcrn noeh so verstanden hatte, dall es die Art und die Gattung zumindest miteinbezog, prazisiert Aristoteles, wie er hier das ti tcrn verstanden wissen will, namlieh als etwas Individuelles, indem er, epexegctisch, "und ein Dies von det Art" hinzufi.igt. Denn cin
Dies von der Art ist immer etwas Individuelles. Dall es sich bei xai t68e n in der Tat urn einen epexegetischen Zusatz zu ti tcrn handelt, ergibt sich aueh aus der Parallele 1'] oucria xai to xali' ;;xacrtOv in '27 und insbesondere daraus, dall Aristoteles darauf in '30 mit 8tu taUtllV zuriickverweist. Die Verwendung von taUtllV statt taiha ist nur verstandlich, wenn xai to xali' ExacrtOV als epexegetischer Zusatz zu 1'] oucria dient. Die genaue ErkJarung des Ausdrucks "t68e n" ist umstritten: Einmal versteht man ,;tooe n" als formelhaften Ausdruck fur so etwas wie "liv9QOJ7t6<; n<;", wobei das "n" die Rolle des ,;n<;". das ,,-r60e" die Rolle von "liv3QOJ1toC;" iibernirnrnt; dann aber kann der Ausdruck auch so verstanden werden, daB es sich bei ,,'t6oe" urn das iibliche Demonstrativ-
pronomen handelt (vgl. z. B. 1028'15 noiov n t68e), wahrend das "n" die Art vertritt, durch die der mit "t68e" bezeichnete Gegenstand bestimmt ist. Ohne die Frage entscheiden zu k6nnen, neigen wir dec zweiten
Auffassung zu. Die Stelle °7,1049'3 j, sprieht eher fUr die erste Interpretation; ahnlieh auch Z4, 103ob, I - H. Es ist aber auch nieht auszuschlieflen, dall Aristoteles beide Auffassungen nebeneinander gelten liell und sie jeweils in verschiedenen Zusammenhiingen verwandte.
Erstes Kapitel 1028'12
daft es durch eine Qua/itat
Wir folgen, wie in der Einleitung, S. '3 ff., begrundet, dem Konsensus der beiden Handschriften E und J uberal! dort, wo nicht starke Gegengrunde vorliegen. Das on von E und J, das in Ab und Ps.-Alexander fehlt, ergibt aber einen guten Sinn. Worum es an dieser Stelle geht, ist nicht, dall der Ausdruck "seiend" viele Bedeutungen hat, sondern dall das Seiende sich auf die verschiedenste Weise mit Hilfe des Ausdrucks "dvat", bzw. "Ecrnv" oder "ov", charakterisieren biBt: Einmal ist davon die Rede, was die Sache ist, ein anderes Mal etwa davon, daB ein Gegenstand auf die-und-die Weise quantitativ oder qualitativ bestimmt ist. Denselben Sinn des Satzes erhielte man auch ohne on, wenn man statt 1
in dieser Weise namlich in der Weise, wie eine Qualitat oder eine Quantitat ausgesagt wird, 1m Unterschied zu der Weise, in der ein "Was es ist" und ein Dies
von der Art ausgesagt werden.
welches ja die ousia bezeichnet Der Gedankengang scheint der folgende zu sein: Die Zeilen '5 - ,8 suchen die Behauptung zu rechtfertigen, dall das, was das Was einer Sache bezeichnet, die ousia bezeichnet. Dall dasjenige, welches das Was einer Sache bezeichnet, die ousia bezeichnet, soll der Grund darnr sein, dall das "Was es ist" das ist, was primar seiend ist. Demnach muBte Aristoteles das folgende Argument im Auge haben: Es ist offenkundig (vgl.
ousta
Die Obersetzung von "oucriu" hat schon in der Antike Schwierigkeiten bereitet, wo man zunachst zwischen "essentia" (vgl. Augustin, Migne VII, 350) und "substantia" (vgl. Seneca, Ep.mor. 58, ,6) schwankte.
"substantia" hat sich dann unter dem uberwaltigenden Einflull der lateinischen Versionen der Kategorienschrift durchgesetzt. Mit dem Ausdruck hat sich aber auch die Vorstellung durchgesetzt, bei der aristotelischen ousia handle es sich stets urn die Substanz der aristotelischen Kategorienschrift, den konkreten Gegenstand als Trager der verschiedenen unwesentlichen Eigenschaften.
17
Der Ausdruck "Substanz" ist freilich in mehrfacher Hinsicht irrefiihrend. Einmal verdeckt er die Tatsache, dall Aristoteles, wenn er von der ousia spricht, von derselben Sache zu sprechen gedenkt, von der auch Platon und die Platoniker reden, wenn sie von der ousia sprechen. Schon die oberflachliche Lektiire von Met. Z zeigt, dall Aristo'teles seine Theorie der ousia als Alternative zu einer platonistischen Theorie de! ousia versteht, mit der er sich in Met. Zimmer wieder auseinandersetzt. Die platonistische Theorie der ousia aber ist offenkundig nicht eine Theorie der aristotelischen Substanz im traditionellen Sinn. Zweitens steUt Aristoteles selbst in Met. Z den Begriff, den er sich in der Kategorienschrift 7 von de't'"'J(;;ia,.gemacht hatte, radikal in Frage und kommt zu dem Ergebnis, dall der Kategorienschrift allenfaUs in einem abgeleiteten Sinn als ousia betrachtet werden kann. Was jetzt in den Vordergrund tritt, ist eine Vorstellung von der ousia, wonach es sich bei ihr um den Grund des Seins einer Sache handelt. Nur eine besondere Theorie edaubt es Aristoteles, noch weiter an der Vorstellung festzuhalten, bei der ousia handle es sich letztlich auch um den Trager der verschiedenen unwesentlichen Eigenschaften, eine Theorie namlich, wonach es letztlich die Form ist, die das Subjekt aller Eigenschaften darstellt, die man einem Gegenstand zuschreibt. Aber eben weil Aristoteles auch noch in der "Metaphysik" daran festhalt, dall es sich bei der ousia um das handelt, was letztlich Trager all der Eigenschaften ist, die man einem Gegenstand zuschreibt, ist auch die in deutschen Ubersetzungen weit verbreitete Wiedergabe von "ousia" dutch "Wesen" oder "Wesenheit" clem aristotelischen Begriff unangemessen: Wir lassen daher "ousia" uniibersetzt. (Zur Begriffsgeschichte von "ouaia", "urrocr-rU(H<;", "substantia", "essenria" vgl. C. Arpe, Substantia, Philologus 94, 1941, S. 65 - 78.)
drei Ellen lang oder Nach Bonitz (p. 295) hatte Aristoteles in den Zeilen 1j - 18 nicht der Qualitat die Quantitat und das Was der Sache, spater dem Was der Sache die Qualitat und die Quantitat gegeniibersetzen soUen, sondern erst die Qualitat clem "Was etwas ist", danach die Quantitat clem "Was etwas ist",
und schliefilich das "Was etwas ist" beiden zusammen. Er vermutet, es kiinnte etwas ausgefaUen sein. Ross halt den Ausdruck "tQt"'lXU ij" fiir "irrelevant" und vermerkt im Apparat Susemihls Streichung. Er meint namlich, zu Unrecht, es gehe in der Klammer datum, die ousia von der Qualitat zu unterscheiden, wahrend es in Wirklichkeit darum geht, zu zeigen, daB das "Was etwas ist" die ousia ist. Es scheint klar, daB Aristoteles sich hier nur nicht allzu pedantisch ausdriicken woUte: Wer von der Qualitat einer Sache spricht, redet nicht von ihrer Quanritat oder von
Erstes Kapitel
der ousia, wer hingegen davon redet, was die Sache ist, spricht nicht von ihrer Qualitat oder Quantitat, sondern von der ousia. Eine entsprechende Bemerkung tiber die Quantitat soll sich der Leser selbst erganzen.
an dem in diesem Sinne Seienden Diese Redeweise scheint merkwtirdig umstandlich zu sein. Aristoteles hatte auch, so k6nnte man meinen, einfach "an dec ousia" schreiben konnen. In Wirklichkeit aber erfordert das Argument, wenn wir es richtig rekonstruiert haben, dall Aristoteles hier von dem spricht, was in der Weise des "Was es ist" seiend ist. Und iiberdies ist es auch fur die Entwicklung des ganzen Gedankenganges von Z wichtig, dall Aristoteles von vornherein von der ousia als dem "Was es ist" spricht. 1028'21
jeweils fur sich genommen, um ein Seiendes handelt oder nicht
Ross will statt ij Ill'] ov (E und J) vielmehr crTllla[VEt lesen, das Ab bietet. Nur so sei die grammatische Rolle von Itxa<Jwv aUTliiv zu erklaren: "Whether the words ,to walk', etc., imply that each of these things is existent" (S. 160). ,,<Jlllla[vel exa<Jwv acmiiv ov" ist aber kaum verstandliches Griechisch. Itxa<Jwv aUTliiv steht vielmehr in Apposition zu den drei vorhergehenden Infinitiven und sol1 darauf hinweisen, dall die erwahnte Schwierigkeit besonders dann naheliegt, wenn man so etwas wie Gehen oder Gesundheit isoliert, d. h. ohne Bezug auf ein Subjekt, betrachtet. Die von uns bevorzugte Lesart findet sich auch bei Ps.-Alexander und Asclepius.
von der Art Wir folgen der einhellig tiberlieferten Lesart Jaeger streicht als eine bloI3e varia lectio zu ouva'tov in i24 unter Hinweis darauf, dall auch Ps.-Alexander es nicht gelesen habe. Daraus, dall Ps. Alexander den Ausdruck nicht benutzt, folgt aber nichts tiber seine Textvorlage. Gegen den tiberlieferten Text gibt es mehrere Bedenken: (a) die Verbindung "l