W
Verena Murschetz
Auslieferung und Europäischer Haftbefehl Kontinentaleuropäische und anglo-amerikanische materiell...
51 downloads
1352 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
W
Verena Murschetz
Auslieferung und Europäischer Haftbefehl Kontinentaleuropäische und anglo-amerikanische materielle Prinzipien des Auslieferungsrechts im Vergleich zum Europäischen Haftbefehl und dessen Umsetzung in Österreich
SpringerWienNewYork
ao. Univ.-Prof. Dr. Verena Murschetz, LL.M. Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie Universität Innsbruck, Österreich
Gedruckt mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Wien
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2007 Springer-Verlag/Wien Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Satz: Karson Grafik- und Verlagsservice, 1020 Wien, Österreich Druck: Börsedruck Ges.m.b.H., 1230 Wien, Österreich Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 11742456 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-211-69949-2 SpringerWienNewYork
Vorwort Die vorliegende Monographie beruht auf meiner im Sommersemester 2005 eingereichten und im Sommersemester 2006 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Leopold Franzens Universität Innsbruck angenommenen Habilitationsschrift. Judikatur und Literatur wurden bis Januar 2007 berücksichtigt. Aufrichtiger Dank gebührt Herrn o.Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer für die mir gewährte wissenschaftliche Freiheit und die Diskussionsbereitschaft während des Verfassens der Habilitationsschrift sowie für deren ausführliche Begutachtung. Für die Erstellung der weiteren Gutachten bedanke ich mich herzlich bei Herrn o.Univ.-Prof. Dr. Helmut Fuchs, Herrn o.Univ.-Prof. Dr. Otto Lagodny und Herrn o.Univ.-Prof. Dr. Andreas Scheil. Ihre Anregungen finden sich in der vorliegenden Überarbeitung der Habilitationsschrift wieder. In Dankbarkeit bin ich zudem den internen und externen Mitgliedern der Habilitationskommission verbunden. Ebenso möchte ich mich bei den Mitgliedern des Instituts für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Innsbruck für ihre Unterstützung bedanken. Zu Dank verpflichtet bin ich zudem Frau RA Dr. Ursula Pernfuss, die stets für fachliche Diskussionen Zeit fand. Der größte Dank gebührt meinem Mann, Herrn ao.Univ.-Prof. Dr. Francesco Schurr, der mir nicht nur während der Jahre der Habilitation in einfachen und schweren Zeiten stets aufmunternd und unterstützend mit Liebe und Zuversicht zur Seite stand und fachliche Diskussionen mit grenzenloser Geduld ertrug. Zu großem Dank verpflichtet bin ich schließlich meinen lieben Eltern und Geschwistern für ihren Beistand und ihre Unterstützung. Gewidmet ist die Arbeit meinem geliebten Vater, RA Dr. Peter Murschetz, der sie noch lesen konnte, den Abschluss des Habilitationsverfahrens aber leider nicht mehr miterleben durfte. Ihm verdanke ich das Interesse an der Rechtswissenschaft, die kritische Denkweise und die nötige Ausdauer für das Verfassen der Arbeit. Innsbruck, im März 2007
Verena Murschetz
Inhaltsverzeichnis Vorwort...................................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis.................................................................................. XVII Einleitung.................................................................................................................1 Abschnitt 1. Das traditionelle Auslieferungsrecht ..............................................5 I. Grundlagen des Auslieferungsrechtes ............................................................5 A. Das Wesen der Auslieferung .....................................................................5 1. Begriffe...................................................................................................5 2. Systematische Einordnung ..................................................................6 3. Die Stellung des Betroffenen – Auslieferungstheorien.....................6 B. Rechtsgrundlagen .......................................................................................8 1. Gesetzliche Regelung des Auslieferungsverfahrens – innerstaatliche Vorschriften.................................................................8 2. Zwischenstaatliche Übereinkommen .................................................8 2.1. Multilaterales europäisches Auslieferungsrecht .......................8 2.2. Bilaterale Übereinkommen .........................................................9 2.3. EU-rechtliche Übereinkommen...............................................10 3. Das Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag .................................11 4. Allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts und ihre Rangordnung.......................................................................................13 5. Ius cogens bzw ordre public und seine völkerrechtliche Rangordnung insb im Verhältnis zu den völkerrechtlichen Auslieferungsverträgen ......................................................................14 5.1. (Internationales) ius cogens – internationaler ordre public............................................................................................15 5.2. Regionales ius cogens – regionaler ordre public ......................16 5.3. Nationaler ordre public..............................................................18 II. Auslieferung und Strafgewalt ........................................................................19 A. Auslieferung und (inländische) Strafgewalt...........................................19 1. Begriffsbestimmung............................................................................19 2. Darstellung der Prinzipien des internationalen Strafrechts ...........20 2.1. Territorialitätsprinzip ................................................................22 2.2. Aktives Personalitätsprinzip – nationality (active personality) principle ..................................................................25 2.3. Schutz- (Real)prinzip – protective principle ............................28
VIII
Inhaltsverzeichnis
2.4. Passives Personalitätsprinzip – passive personality principle .......................................................................................29 2.5. Weltrechtsprinzip (Universalitätsprinzip) – universality principle .......................................................................................31 2.6. Stellvertretende Strafrechtspflege – vicarious administration of justice.............................................................41 2.7. Regelungsmechanismen für konkurrierende Strafgewalten...............................................................................42 3. Österreichische Strafgewalt ...............................................................45 3.1. Territorialitätsprinzip ................................................................45 3.2. Schutz- und Weltrechtsprinzip.................................................48 3.3. Aktives Personalitätsprinzip .....................................................50 3.4. Passives Personalitätsprinzip ....................................................50 3.5. Stellvertretende Strafrechtspflege .............................................51 B. Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt ........51 1. Innerstaatliche ne bis in idem Geltung .............................................52 1.1. Die materiell rechtskräftigen Entscheidungen nach österreichischem Recht..............................................................53 1.2. Beschlüsse nach deutschem Recht............................................56 1.2.1. Einstellungsbeschlüsse................................................... 56 1.2.2. Strafbefehl ....................................................................... 58 1.2.3. Zusammenfassung .......................................................... 59 1.3. Das idem nach österreichischem Recht ...................................59 1.3.1. Das idem bei verwaltungsrechtlichem und gerichtlichem Strafverfahren ......................................... 60 a. Die Judikatur des EGMR........................................ 60 (i) Scheinkonkurrenz und ne bis in idem ........... 63 (ii) Vereinbarkeit von Oliveira mit Gradinger, Fischer, W.F. und Sailer .............. 64 b. Die Judikatur des VfGH ......................................... 65 c. Die Judikatur des OGH – (Un)zulässigkeit der nachträglichen Verfolgung von § 80 StGB bzw § 88 StGB unter Ausschluss des § 81 Abs 1 Z 2 StGB bei erfolgter Verurteilung nach §§ 5 Abs 1 iVm 99 Abs 1 lit a StVO.............. 65 d. Zusammenfassende Darstellung der eigenen Position...................................................................... 71 e. Relevanz für das Auslieferungsverfahren .............. 71 f. Anwendbarkeit der EGMR und VfGH Rsp auf die Sperrwirkung innerhalb gerichtlicher Strafverfahren ........................................................... 73 1.3.2. Das idem innerhalb des Strafverfahrens – Überblick......................................................................... 74 a. Die Rsp des OGH zur Identität der Tat ............... 75
Inhaltsverzeichnis
2.
3. 4.
5.
6.
IX
b. Die Auffassung von Bertel/Venier ......................... 76 c. Verpflichtung zur Ausdehnung der Anklage........ 78 d. Die Wiederaufnahme als Ausnahme der Rechtskraft ................................................................ 79 1.4. Das idem nach deutschem Recht..............................................79 Internationale ne bis in idem Geltung im österreichischen Recht ....................................................................................................83 2.1. Der Strafaufhebungsgrund des § 65 Abs 4 StGB....................83 2.2. Die prozessualen ne bis in idem Bestimmungen des § 34 Abs 1 und Abs 2 StPO...............................................................87 2.3. Die prozessuale ne bis in idem Bestimmung der Einstellung nach § 192 Abs 1 Z 2 Strafprozessreformgesetz.......89 2.4. Zusammenfassung der geltenden Rechtslage ..........................90 Internationale ne bis in idem Bestimmungen im deutschen Recht ....................................................................................................91 EU-rechtliche ne bis in idem Instrumente.......................................91 4.1. Die ne bis in idem Bestimmung des § 54 SDÜ .......................92 4.1.1. Die dem Doppelverfolgungsverbot nach Art 54 SDÜ unterliegenden Entscheidungen.......................... 92 4.1.2. Das idem nach Art 54 SDÜ........................................... 95 4.1.3. Die Vorbehaltsmöglichkeiten zu Art 54 SDÜ ............ 96 4.2. Entwurf eines ne bis in idem Rahmenbeschlusses..................97 Ne bis in idem im anglo-amerikanischen Rechtskreis ....................99 5.1. Das US-amerikanische Recht (double jeopardy) ..................101 5.1.1. Überblick....................................................................... 101 5.1.2. Dual Sovereignty .......................................................... 103 5.1.3. Entscheidungen, die double jeopardy auslösen......... 105 a. Gerichtliche Entscheidungen................................ 105 (i) Freisprüche ..................................................... 105 (ii) Verurteilungen ............................................... 105 (iii) Mistrial ............................................................ 105 b. Staatsanwaltliche Entscheidungen........................ 109 (i) Formlose Verfahrenseinstellung .................. 109 (ii) Plea bargaining .............................................. 109 5.1.4. Das idem im amerikanischen Recht ........................... 112 a. Sperrwirkung bei the same offence....................... 112 b. Keine Sperrwirkung bei nova reperta und nova producta ......................................................... 116 5.2. Das englische Recht (Autrefois Acquit, Autrefois Convict).....................................................................................116 Das ne bis in idem im Verhältnis zwischen angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Staaten – internationales ne bis in idem (außerhalb der EU)........................117
X
Inhaltsverzeichnis
III.Materielle Voraussetzungen ........................................................................118 A. Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality....................................118 1. Grundsätze der beiderseitigen Strafbarkeit ...................................118 2. Qualifizierte Strafbarkeit .................................................................123 3. Umfang und Methode der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ........................................................................................125 3.1. Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit in concreto (insb Verjährung) .....................................................................125 3.2. Sinngemäße Umstellung des Sachverhaltes ...........................128 B. Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Besonderheiten bei extraterritorialem (internationalem) Strafanspruch des ersuchenden Staates – special use of double criminality......................131 1. Allgemeines .......................................................................................131 2. Für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit und der beiderseitigen Gerichtsbarkeit maßgeblicher Zeitpunkt..............136 C. Die beiderseitige Verfolgbarkeit ...........................................................142 1. Allgemeines .......................................................................................142 2. Exkurs: Immunität als Verfolgungshindernis................................144 D. Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality ...............147 1. Zuordnung.........................................................................................147 2. Rechtsschutzwirkung.......................................................................148 3. Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung..............................150 4. Umfang des Spezialitätsschutzes.....................................................150 5. Dauer der Spezialitätswirkung........................................................154 6. Rechtsfolgen ......................................................................................156 IV. Auslieferungshindernisse .............................................................................157 A. Die eigene Gerichtsbarkeit als Auslieferungshindernis......................157 B. Das Auslieferungshindernis des ne bis in idem Grundsatzes ............158 C. Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen..................164 1. Rule of non inquiry und Exportverbot innerstaatlicher sowie regionaler Grundrechte oder Grundrechte als Schranken der Auslieferung? ....................................................................................164 2. Auslieferungshindernisse aufgrund der drohenden Art der Behandlung bzw Strafe ....................................................................176 2.1. Todesstrafe – death penalty.....................................................176 2.1.1. Keine universelle Geltung des Verbotes der Todesstrafe .................................................................... 176 2.1.2. Regionales zwingendes Völkerrecht auf Ebene der EMRK-Staaten (und der EU)............................... 178 2.1.3. Zwingendes Auslieferungshindernis auf Ebene der EMRK-Staaten (gegenüber Drittstaaten, auch bei Fehlen entsprechender vertraglicher Vereinbarungen bzw bestehender Vertragspflicht) ............. 181
Inhaltsverzeichnis
XI
2.1.4. Zwingendes Auslieferungshindernis nach Art 85 B-VG (auch bei Fehlen entsprechender vertraglicher Vereinbarungen/bestehender Vertragspflicht)............................................................. 183 2.1.5. ARHG und vertragliche Vereinbarungen ................. 183 2.1.6. Auslieferung nur bei entsprechender Zusicherung des ersuchenden Staates ............................................... 184 2.2. Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung ......................................................................187 2.2.1. Zwingendes Völkerrecht – absolutes Auslieferungshindernis ................................................ 187 2.2.2. Folter – torture ............................................................. 190 2.2.3. Unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung – inhuman or degrading punishment or treatment................................................................... 191 2.3. Auslieferungsasyl – non-refoulment ......................................196 3. Auslieferungshindernisse aufgrund der prozessualen Mangelhaftigkeit des Verfahrens im ersuchenden Staat ...............197 3.1. Fair trial Verletzung – due process violation .........................197 3.2. Abwesenheitsurteil – trial in absentia....................................200 3.2.1. Grundlagen ................................................................... 200 3.2.2. Anforderungen, die an die Kenntnis vom Verfahren zu stellen sind ............................................. 202 3.2.3. Wirksame Möglichkeit des nachträglichen rechtlichen Gehörs ....................................................... 205 3.3. Ausnahmegericht – special courts ...........................................211 4. Auslieferungshindernisse aufgrund persönlicher Verhältnisse und Eigenschaften des Auszuliefernden ........................................212 4.1. Auslieferungsverbot eigener Staatsbürger .............................212 4.2. Strafmündigkeit ........................................................................216 4.3. Härtefälle...................................................................................216 D. Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung...............................................................................220 1. Politische Delikte..............................................................................220 1.1. Grundlagen ...............................................................................220 1.2. Der Begriff des politischen Deliktes ......................................222 1.3. Der Umfang des Auslieferungsverbotes................................224 2. Militärische Delikte ..........................................................................227 2.1. Grundlagen ...............................................................................227 2.2. Der Begriff des militärischen Deliktes...................................227 2.3. Der Umfang des Auslieferungshindernisses .........................228 3. Fiskalische Delikte............................................................................229 3.1. Grundlagen ...............................................................................229
XII
Inhaltsverzeichnis
3.2. Der Begriff des fiskalischen Deliktes und Umfang des Auslieferungsverbotes nach dem ARHG..............................230 3.3. Die Regelung anderer Übk und nationaler Auslieferungsgesetze – EU-rechtliche Neuerungen ............232 V. Umgehung der Auslieferung .......................................................................233 A. Abschiebung – deportation....................................................................233 1. Ausweisung – Abschiebung ............................................................233 2. Vorrang der Auslieferung ................................................................235 3. Strafverfolgungs- bzw Auslieferungshindernis nach rechtswidriger Abschiebung............................................................239 3.1. Die englische Rsp .....................................................................239 3.2. Die deutsche Rsp......................................................................241 3.3. Die Rsp des EGMR und eigene Würdigung.........................241 B. Herauslocken in einen Drittstaat – luring............................................248 1. Herauslocken als Völkerrechtsverletzung .....................................249 2. Strafverfolgungs- und Auslieferungshindernis als Konsequenz der Völkerrechtsverletzung.......................................251 3. Individualrechtsverletzung – Strafverfolgungs- und Auslieferungshindernis ....................................................................252 4. Die deutsche Rsp ..............................................................................256 5. Die US-amerikanische Rsp..............................................................258 C. Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction........258 1. Die österreichische Rsp und eigene Position.................................258 2. Die deutsche Rsp ..............................................................................260 3. Die Rsp des EGMR..........................................................................261 4. Die Rsp der USA ..............................................................................266 VI. Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen .............................................272 A. B. C. D.
Allgemeines .............................................................................................272 Einleitung des Auslieferungsverfahrens...............................................273 Gerichtliche Zuständigkeit ....................................................................275 Die Verwahrung zum Zweck der Auslieferung ..................................275 1. Voraussetzungen...............................................................................275 2. Dauer..................................................................................................276 E. Die Auslieferungshaft ............................................................................277 1. Tatverdacht........................................................................................277 2. Haftgründe ........................................................................................278 3. Verhältnismäßigkeit..........................................................................280 4. Formelle Voraussetzungen und Haftprüfungsverfahren .............282 5. Dauer der Auslieferungshaft ...........................................................283 6. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen die Auslieferungshaft.....285 7. Entschädigung...................................................................................285 F. Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens .............286 1. Vorprüfung durch das BMJ.............................................................286
Inhaltsverzeichnis
XIII
2. Das Auslieferungsersuchen .............................................................287 3. Das Verfahren vor dem U-Ri ..........................................................288 3.1. Doppelzuständigkeit des U-Ri ...............................................288 3.2. Vernehmung des Betroffenen zum Ersuchen .......................289 3.3. Die Entscheidung ohne Durchführung einer Verhandlung .............................................................................291 3.4. Die Entscheidung in öffentlicher Verhandlung ....................291 3.4.1. Formale Anforderungen an die Verhandlung ........... 291 3.4.2. Verhandlungsverlauf .................................................... 292 3.5. Die Zulässigkeitsentscheidung................................................292 3.5.1. Formelles Prüfungsprinzip – Tatverdachtsvermutung............................................... 292 3.5.2. Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse ..... 295 3.5.3. Auslieferungsbeschluss ................................................ 296 4. Rechtsmittel gegen den Auslieferungsbeschluss – Beschwerde an das OLG .................................................................296 4.1. Allgemeines...............................................................................296 4.2. Verfahren...................................................................................297 5. Die Bewilligung der Auslieferung – Das Verfahren vor dem BMJ ....................................................................................................299 Abschnitt 2. Der europäische Haftbefehl und seine Umsetzung im EUJZG .......................................................................................................................302 I. Grundlagen....................................................................................................302 A. B. C. D. E. F. G.
Entstehungsgeschichte ...........................................................................302 Das Instrument des Rahmenbeschlusses..............................................306 Die Umsetzung in Österreich ...............................................................309 Begriffe.....................................................................................................310 Systematische Einordnung ....................................................................311 Die Stellung des Betroffenen – Übergabetheorien..............................312 Systematik der Darstellung....................................................................315
II. Materielle (Übergabe)Voraussetzungen.....................................................315 A. Beiderseitige Strafbarkeit .......................................................................315 1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 2 RB-HB .....................................315 2. § 4 EU-ZG.........................................................................................321 2.1. Grundsätze der beiderseitigen Strafbarkeit...........................321 2.2. Umfang und Methode der Prüfung........................................322 2.2.1. Prüfung der Verjährung............................................... 323 B. Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Besonderheiten bei extraterritorialem Strafanspruch des Ausstellungsstaates – special use of double criminality ............................................................325 1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 7 lit b RB-HB.......................325 2. Die Umsetzung im EU-JZG ...........................................................325
XIV
Inhaltsverzeichnis
C. Die Spezialität als Übergabevoraussetzung .........................................326 1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 27 RB-HB ...................................326 1.1. Grundsätzliche Beibehaltung der Spezialität ........................326 1.2. Umfang der Spezialitätswirkung ............................................327 1.3. Dauer der Spezialitätswirkung ...............................................328 1.4. Das beschränkte Verbot der „weiteren Übergabe“ an einen Mitgliedstaat: Art 28 Abs 1 RB-HB ............................330 1.5. Das Verbot der Weiterliefung an einen Drittstaat: Art 28 Abs 4 RB HB.......................................................................331 2. Die Umsetzung in § 31 EU-JZG ....................................................331 III.Übergabehindernisse ....................................................................................333 A. Das Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt ................................333 1. Territoriale Strafgewalt des Vollstreckungsstaates .......................333 1.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 7 lit a .............................333 1.2. Die Umsetzung in Österreich: § 6 EU-JUZG......................333 1.3. Die Umsetzung in Deutschland: § 80 IRG ...........................334 2. Extraterritoriale Strafgewalt des Vollstreckungsstaates – bei gleichzeitiger Einleitung des Strafverfahrens, Entscheidung zur Nichteinleitung oder Einstellung.............................................335 2.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 2 u 3 ..............................335 2.2. Die Umsetzung in Österreich.................................................337 2.2.1. § 7 Abs 2 EU-JZG........................................................ 337 2.2.2. Ausnahmen vom Übergabehindernis bei Nichtstaatsbürgern....................................................... 339 B. Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes ...................340 1. (Endgültige) inländische Entscheidungen......................................340 1.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 2 und Z 3 erste und zweite Alt ..................................................................................340 1.2. Die Umsetzung im EU-JZG...................................................341 1.2.1. Übergabeverbot bei rechtskräftiger Entscheidung im Inland: § 7 Abs 1 EU-JZG..................................... 341 1.2.2. Übergabeverbot bei Zurücklegung der Anzeige, Einstellung und sonstiger Außer-VerfolgungSetzung: § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG ................................. 342 1.2.3. Ausnahme bei Nichtstaatsbürgern: § 7 Abs 3 Z 2 EU-JZG......................................................................... 342 2. Endgültige Entscheidungen in Mitgliedstaaten.............................343 2.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 3 Z 2, Art 4 Z 3 Alt 3 .........343 2.2. § 8 Z 1 und 2 EU-JZG .............................................................344 3. Endgültige Entscheidungen in Drittstaaten...................................345 3.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 5.....................................345 3.2. § 8 Z 3 u Z 4 EU-JZG..............................................................345 4. Endgültige Entscheidungen im Tatortstaat: § 8 Z 4 EU-JZG .....346
Inhaltsverzeichnis
XV
5. Endgültige Entscheidungen durch Internationale Gerichte ........346 C. Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen.........................347 1. Allgemeines .......................................................................................347 2. Exkurs: Europäische Verfassung ....................................................351 3. Drohende Art der Behandlung und Strafe.....................................355 3.1. Die Vorgaben des RB-HB.......................................................355 3.2. Die Umsetzung im EU-JZG...................................................356 4. Prozessuale Mangelhaftigkeit des Verfahrens: fair trial – Abwesenheitsurteil ...........................................................................356 4.1. Die Vorgaben des RB-HB.......................................................356 4.2. Umsetzung im EU-JZG ..........................................................358 4.3. Umsetzung im deutschen IRG ...............................................358 5. Persönliche Verhältnisse und Eigenschaften des Betroffenen .....359 5.1. Übergabe eigener Staatsbürger ...............................................359 5.1.1. Übergabehindernis aufgrund nationaler Strafverfolgung: § 7 Abs 2 EU-JZG........................... 360 5.1.2. Sonderbestimmung nach § 5 Abs 2 EU-JZG ............ 361 5.1.3. Übergabehindernis bei mangelnder beiderseitiger extraterritorialer Gerichtsbarkeit: § 5 Abs 3 EU-JZG......................................................................... 362 5.1.4. Vereinbarkeit dieser Auslegung mit der PupinoEntscheidung des EuGH............................................. 363 5.1.5. Fragwürdige Konsequenzen der Übergabe eigener Staatsbürger zur Strafverfolgung wegen nach österreichischem Recht strafloser Handlungen .................................................................. 364 5.2. Strafmündigkeit: § 9 EU-JZG.................................................366 5.3. Härteklausel..............................................................................366 D. Übergabehindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung .................................................................................................367 1. Politische Delikte..............................................................................367 2. Militärische Delikte ..........................................................................368 3. Fiskalische Delikte............................................................................368 IV. Umgehung der Übergabe.............................................................................369 V. Das Übergabeverfahren in Grundzügen ....................................................369 A. Allgemeines .............................................................................................369 B. Einleitung des Übergabeverfahrens und gerichtliche Zuständigkeit...........................................................................................370 C. Übergabehaft...........................................................................................371 D. Das Verfahren nach Einlangen des Europäischen Haftbefehls .........372 1. Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls...........................372 2. Das Verfahren vor dem U-Ri ..........................................................373
XVI
Inhaltsverzeichnis
2.1. Vereinfachte Übergabe gem § 20 EU-JZG iVm § 32 ARHG .......................................................................................373 2.2. Grundsätzliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 31 ARHG auf das Übergabeverfahren ...............................374 2.2.1. Formelles Prüfungsprinzip – Tatverdachtsvermutung............................................... 375 2.2.2. Übergabevoraussetzungen und -hindernisse ............ 376 2.2.3. Fristen ............................................................................ 376 Schlussbemerkung ..............................................................................................378 Literaturverzeichnis............................................................................................381 Stichwortverzeichnis ..........................................................................................405
Abkürzungsverzeichnis A.B.A.J. E-Report A.C. A.J.I.L. ABl Abs Abschn aF aff’d AIDP AJP aL All. E.R. aM Am. Soc’y Int’l Proc. Anm AnwBl ApplNr ARHG
Ark. L. Rev. Art ASIL AT AuslÜbk-EU AußenhandelsG AVG
B.U. Int’l. L.J. B.Y.U. L. Rev. BayObLG
American Bar Association E-Report Law Reports, Appeal Cases The American Society of International Law Newsletter Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt alte Fassung affirmed (bestätigt) Association Internationale de Droit Penal Aktuelle Juristische Praxis (schweizerisch) alte Lieferung All England Law Reports andere(r) Meinung American Society of International Law Proceedings Anmerkung Österreichisches Anwaltsblatt Application Number Bundesgesetz über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen 1979 BGBl 1979/529 idgF Arkansas Law Review Artikel The American Society of International Law Allgemeiner Teil Auslieferungsübereinkommen der EU Außenhandelsgesetz Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 BGBl 51/1991 (Wv) idgF Boston University International Law Journal Brigham Young University Law Review Bayrisches Oberstes Landesgericht
XVIII
Bd BG BG BGBl BGE BGH BGHSt BlgNR BMaA BMJ BPräs Brook. L. Rev. BSK StGB BT BT-Drucksache BVerfG BVerfGE B-VG bzw C.C.C. c.p. c.p.p. ca Cal.App. Cal.Rptr Case W. Res. CCE CCPR CCPR-K Cir. CML Rev Conn. J. Int’l L. Cr.App.R. Crim. L. & Criminology
Abkürzungsverzeichnis
Band Bundesgesetz (schweizerisches) Bundesgericht Bundesgesetzblatt Entscheidungen des (schweizerischen) Bundesgerichts (deutscher) Bundesgerichtshof Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshof in Strafsachen Beilagen zum Nationalrat Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten Bundesminister(ium) für Justiz Bundespräsident Brooklyn Law Review Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch Besonderer Teil Deutscher Bundestag Drucksache deutsches Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des (deutschen) Bundesverfassungsgerichts Österreichisches Bundesverfassungsgesetz beziehungsweise Canadian Criminal Cases codice penale codice procedura penale circa California Appelate Reports California Reporter Case Western Reserve University Continuing Criminal Enterprise Act Convenant on Civil and Political Rights Kommentar zum Convenant on Civil and Political Rights Circuit (Court of Appeals) Common Market Law Review Connecticut International Law Journal Court of Appeal Reports (GB) Criminal Law and Criminology
Abkürzungsverzeichnis
Davis J. Int’l L. & Pol’y dBGBl DEA Denv. J. Int’l L. & Pol’y ders DevisenG dgl dh dies DRiZ dStGB dStPO dt dVStG E E.L. Rev EBRV ecolex EFSlg EGMR EGVG
Einl EJIL EKMR Emory Int’l L. Rev. EMRK etc EU EuAlÜbk Eucrim EuGH EuGRZ EuHbG
XIX
University of California Davis Journal of International Law & Policy deutsches Bundesgesetzblatt Drug Enforcement Agency Denver Journal of International Law and Policy derselbe Devisengesetz dergleichen das heißt dieselben Deutsche Richterzeitung deutsches Strafgesetzbuch deutsche Strafprozessordnung deutsch deutsches Völkerstrafgesetzbuch Entscheidung European Law Review Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage ecolex, Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht Ehe und Familienrechtliche Sammlung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 BGBl 50/1991 (Wv) idgF Einleitung European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte Emory International Law Review Europäische Menschenrechts Konvention et cetera Europäische Union Europäisches Auslieferungsübereinkommen The European Criminal Law Associations’ Forum Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtezeitschrift (deutsch) Europäisches Haftbefehlsgesetz (deutsch)
XX
EU-JZG
Europol EuTerrÜbk
EUV EvBl
Abkürzungsverzeichnis
Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union 2004 BGBl I 36/2004 Europäisches Polizeiamt Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, vom 27.1.1977 (ETS 90) Vertrag über die Europäische Union Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der ÖJZ)
f F.2d F.3d F.L. F.R.D F.Supp. ff FinStrG FN Fordham Int’l L.J. Fordham Urb. L.J. FPG FS
folgend(e) Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Fürstentum Liechtenstein Federal Rules Decisions Federal Supplement fortfolgend(e) Finanzstrafgesetz Fußnote Fordham International Law Journal Fordham Urban Law Journal Fremdenpolizeigesetz Festschrift
GA GASP GB Geo. L. J. GG GP GS
Goldtammer’s Archiv (deutsch) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Großbritannien Georgetown Law Journal Grundgesetz Gesetzgebungsperiode Gedächtnisschrift
hA Hastings L.J. hM Hrsg HV
herrschende(r) Auffassung Hastings Law Journal herrschende(r) Meinung Herausgeber Hauptverhandlung
Abkürzungsverzeichnis
I.L.R. ICC ICJ ICTR ICTY idF idgF idR idS ieS insb IPBPR IPR IRG IRSG iSd iVm J. Int’l Crim. Just. JA JAB JABl
XXI
International Law Reports International Criminal Court International Court of Justice International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for former Yugoslavia in der Fassung in der geltenden Fassung in der Regel in diesem Sinn im engeren Sinn insbesondere Internationaler Pakt über die bürgerlichen und privaten Rechte Internationales Privatrecht (deutsches) Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (schweizerisches) Bundesgesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen im Sinne des/der in Verbindung mit
JAP JBl JGG JRP JSt JuS JZ
Journal of International Criminal Justice Justizausschuss Justizausschussbericht Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung Juristische Ausbildung und Praxis Juristische Blätter Jugendgerichtsgesetz Journal für Rechtspolitik Journal für Strafrecht Juristische Schulung (deutsch) Juristen Zeitung (deutsch)
K Kan Kap KK krit
Kommentar Kansas Kapitel Karlsruher Kommentar zur StPO kritisch
XXII
Abkürzungsverzeichnis
L.Ed
LR
United States Supreme Court Reports, Lawyers' Edition Leukauf/Steininger litera Liechtensteinische Juristenzeitung Leipziger Kommentar zum StGB Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Journal Löwe Rosenberg, Großkommentar zur StPO
mE MilStG mvN mwN
meines Erachtens Militärstrafgesetz mit vielen Nachweisen mit weiteren Nachweisen
N.Y.U. J.Int’l L. & Pol.
New York University Journal of International Law and Politics Neue Juristische Wochenschrift (deutsch) Number Nova Law Review Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (deutsch) nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (deutsch) New Zealand Association for Comparative Law New Zealand Law Reports Neue Zürcher Zeitung
L/St lit LJZ LK Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J.
NJW No Nova L. Rev. Nr NStZ nv NVwZ NZACL NZLR NZZ OECD OECD-BestechÜbk OGH Ohio App. ÖJZ ÖJZ-LSK ÖJZ-MRK OLG OVG
Organization for Economic Cooperation and Development Bestechungsübereinkommen der OECD, BGBl III 176/1999 Oberster Gerichtshof (österreichischer) Ohio Appelate Reports österreichische Juristenzeitschrift ÖJZ Leitsatzkartei EMRK-Entscheidungen in der ÖJZ Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis
P.2d P.3d P.C.I.J PJZS
XXIII
Pacific Reporter, Second Series Pacific Reporter, Third Series Permanent Court of International Justice (1920–1942), Vorgänger des ICJ Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
Que S.C.
Quebec Official Reports, Superior Court
RB RB-HB
Rahmenbeschluss Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten Recht der Wirtschaft Revista Jurídica de la Universidad Interamericana de Puerto Rico Reichsgesetzblatt Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act Revue Internationale de Droit Pénal Revue Juridique Polynésienne Rechtsprechung Regierungsvorlage österreichische Richterzeitung Randziffer
RdW Rev. Jur. U.I.P.R. RGBl RICO RIDP RJP Rsp RV RZ Rz S.C.C. S.C.R. S.Ct. SDÜ SIRENE SIS SittenpolG SJIR SK-StGB SMG sog SPG
Supreme Court of Canada Supreme Court Reports (Canada) Supreme Court Reporter Schengener Durchführungsübereinkommen Supplementary Information Request at the National Entry Schengener Informationssystem Sittenpolizeigesetz Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (deutsch) Suchtmittelgesetz BGBl I 112/1997 idgF sogenannte(n/r/s) Sicherheitspolizeigesetz BGBl 566/1991 idgF
XXIV
SSt
St. John’s L. Rev. StA Stb StEG StenProtNR StG StGB StGBl StGG
StPO StRÄG StV StVO Sup.Ct. Rev. SV T. Jefferson L. Rev. Temp. Int’l & Comp.L.J.
Abkürzungsverzeichnis
Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten St. John’s Law Review Staatsanwalt(schaft) Der Staatsbürger, in den Salzburger Nachrichten strafrechtliches Entschädigungsgesetz Stenographische Protokolle des Nationalrats Strafgesetz 1945 Strafgesetzbuch 1975 BGBl 69/1974 idgF Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Grundrechte der Staatsbürger 1867 RGBl 142 Strafprozessordnung 1975 BGBl 631/1975 (Wv) idgF Strafrechtsänderungsgesetz Strafverteidiger (deutsch) Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 159/1960 idgF Supreme Court Review Sachverständiger
Temp. L. Rev. Tex Int’l L.J. Tex.App. Tex.Cr.App.
Thomas Jefferson Law Review Temple International and Comparative Law Journal Temple Law Review Texas International Law Journal Texas Appeals Reports Texas Criminal Reports
U.C. Davis J. INt’l. L. & Pol’y U.S. U.S.C. ua uam Übk U-Haft UN
U.C. Davis Journal of International Law & Policy United States United States Code unter anderem und andere mehr Übereinkommen Untersuchungshaft United Nations
Abkürzungsverzeichnis
XXV
U-Ri USA usw uU uvm UVS
Untersuchungsrichter United States of America und so weiter unter Umständen und viele(s) mehr Unabhängiger Verwaltungssenat
v va Va. J. Int’l.
versus vor allem Virginia Journal of International Law Association Vanderbilt Journal of Transnational Law Verbotsgesetz 1945 StGBl 1945/13 idgF Übereinkommen der Europäischen Union betreffend die vereinfachte Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten österreichischer Verfassungsgerichtshof Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vergleiche Viehwirtschaftsgesetz Vorarlberg Volume Vorbemerkungen Vorbemerkung(en) Verwaltungsstrafgesetz 1991 BGBl 52/1991 (Wv) idgF (deutsches) Völkerstrafgesetzbuch Victoria University of Wellington Law Review Verwaltungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüse des Verwaltungsgerichtshofes
Vand. J. Transnat’l Law VerbotsG VereinfAuslÜbk-EU
VfGH VfSlg vgl ViehwirtschaftsG Vlbg Vol Vorb Vorbem VStG VStGB VUWLR VwGH VwSlg
Wall. Wash. U. L.Q. WDK Wheat. WK WL WoBl
Wallace’s Supreme Court Reports Washington University Law Quartely Wiener Diplomatenrechtskonvention Wheaton’s Supreme Court Reports Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Westlaw Transcripts Wohnrechtliche Blätter
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
Wv WVK
Wiederverlautbarung Wiener Vertragsrechtskonvention
Yale J. Int’l L. Yale L.J.
Yale Journal of International Law Yale Law Journal
Z zB ZEuS
Ziffer zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien (deutsch) Zivildienstgesetz Zum neuen Strafrecht, Referate bei der Österreichischen Richterwoche 1973 (I) und 1974 (II) Zusatzprotokoll Zusatzprotokoll zum europäischen Auslieferungsübereinkommen Zusatzprotokoll zur EMRK Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (deutsch) Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten 1996 BGBl 263/1996 Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof 2002 BGBl I 135/2002 zustimmend Zustellgesetz Zeitschrift für Verkehrsrecht
ZivilDG ZnStr
ZP ZP-EuAlÜbk ZPMRK ZStW ZusIntGer
ZusIStrGH
zust ZustellG ZVR
Einleitung Auslieferung ist die amtliche Überantwortung einer Person aus der Strafgewalt eines Staates in die Strafgewalt eines anderen Staates zum Zweck der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung. Sie stellt ein notwendiges und immer wichtiger werdendes Instrument der Strafrechtspflege dar. Das Zusammenwachsen Europas, die Erweiterung der Europäischen Union sowie der Abbau der Landesgrenzen innerhalb der Union ermöglichen nicht nur den freien Dienstleistungs- und Personenverkehr, sondern damit in gewissem Maße auch freien Verkehr der Kriminalität. Daneben führt die Modernisierung und Technisierung zur weltweiten Erleichterung grenzüberschreitender strafbarer Handlungen. Bedingt durch die stetig steigende Reisewilligkeit und wachsende Mobilität der Bevölkerung weisen immer mehr Delikte internationalen Bezug auf. Zur globalen Verbrechensbekämpfung schließen Staaten vermehrt völkerrechtliche Übereinkommen, deren Wirksamkeit durch Auslieferungsbestimmungen erhöht werden soll. Auch die Europäische Union setzte sich das Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln.1 Um dem Bürger ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten, wurde die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der sog „dritten Säule“2 verstärkt. Ausfluss davon ist die Vereinfachung und Beschleunigung der Auslieferung. Bisher waren die Neuerungen im EU-Raum von der Zurückdrängung der klassischen Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse geprägt. Dazu kommt nun die Erleichterung der Auslieferung durch die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Der Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren 1
2
Art 29 EUV ff; 5. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses des Rates vom 12. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/Jl), ABl 2002 L 190,1. Die Struktur der Union wird seit dem Vertrag von Maastricht anhand eines drei Säulen Modells dargestellt. Während die erste Säule, die aus den EG und der Wirtschafts- und Währungsunion besteht, ein System der supranationalen Zusammenarbeit erfasst, sind in der zweiten und dritten Säule Aufgabenbereiche der intergouvernementalen Zusammenarbeit verankert. Die zweite Säule umfasst die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die dritte die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS), Neisser/Verschraegen, Europäische Union Rz 02.002 f, zur dritten Säule siehe insb Rz 08.016. Auf die Änderungen dieses Modells durch die EU-Verfassung soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
2
Einleitung
zwischen den Mitgliedstaaten3 (RB-HB) verwirklicht diese Vorgaben: Die Auslieferung als solche zwischen den Mitgliedstaaten der EU wird abgeschafft und durch ein „System der Übergabe zwischen den Justizbehörden“ ersetzt. Eine Neugestaltung des bisherigen „Auslieferungs- und Rechtshilferechts“ für den Bereich dieser Übergabeverfahren wurde daher erforderlich und erfolgte in Österreich durch das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), das nach einer sehr knappen Begutachtungsfrist am 11.5.2004 in Kraft trat.4 Eine Umsetzung erfolgte bis 2005 zunächst in allen (damaligen) 25 Mitgliedstaaten, zuletzt in Italien.5 In Deutschland wurde das Umsetzungsgesetz von 20046 durch das BVerfG mit Urteil vom 18.7.2005 als verfassungswidrig aufgehoben7. Eine neuerliche Umsetzung erfolgte schließlich durch das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) 2006, das am 2.8.2006 in Kraft trat.8 Auch die Verfassungsgerichte Polens und Zyperns haben die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses für verfassungswidrig erklärt, weil sie die Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen an die Behörden eines anderen Mitgliedstaats ermöglichten.9 In Polen kam es daraufhin 2006 zu einer Änderung der Verfassung sowie der StPO, in der die Umsetzung des RB-HB erfolgte.10 Zudem wurde die „Verfassungsmäßigkeit“ des Haftbefehls hinsichtlich der Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit sowie seine Deckung EUV vom belgischen Schiedshof durch ein Vorabentscheidungsersuchen in Frage gestellt.11 Eine Entscheidung ist noch nicht erfolgt. Mit 1.1.2007 traten nunmehr auch die Umsetzungsgesetze Rumäniens und Bulgariens in Kraft.12 Auf den Auslieferungsverkehr mit Nichtmitgliedstaaten der EU finden diese Bestimmungen jedoch keine Anwendung. Daher gilt für Beziehungen 3 4 5
6 7 8 9
10
11 12
ABl 2002 L 190, 1. BGBl I 36/2004. Es wurde als "Disposizioni per conformare il diritto interno alla decisione quadro 2002/584/GAI del Consiglio, del 13 giugno 2002, relativa al mandato d'arresto europeo e alle procedure di consegna tra Stati membri" am 12.4.05 verabschiedet, und trat am 14. Mai. 2005 in Kraft, Gazzetta Ufficiale n. 98 del 29 aprile 2005; vgl auch den Bericht der Kommission, KOM(2005) 63 endgültig, 2. dBGBl I 2004 Nr 38, 1748, BT-Drucksache 15/1718. 2 BvR 2236/04. dBGBl I 2006 Nr 36, 1721, BT-Drucksache 16/544. Pressemitteilung des EuGH Nr. 71/06, vom 12.9.2006; Deen-Racsmany, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2006, 271. 12. September 2006 Polnisches Gesetzblatt (Dz.U.) 2006, Nr. 200, Pos, 471 f (Verfassung) sowie 2006, Nr 226 Pos 1646 f (StPO). Rechtssache C-303/05, ABl 2005 C 271, 26. Für Rumänien siehe Ratsdokument 16907/06 vom 18.12.2006, für Bulgarien Ratsdokument 17078/06 vom 21.12.06.
Einleitung
3
Österreichs mit Drittstaaten weiterhin das traditionelle Auslieferungsrecht. Neben der Anerkennung der Auslieferung als notwendiges und wichtiger werdendes Instrument der Strafrechtspflege muss aber auch ihre Eingriffsintensität in Erinnerung gerufen werden, stellt sie doch einen staatlichen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar. Daher dürfen im Zuge des Ausbaus der Überstellung von Straftätern und dem damit vielfach einhergehenden Wunsch nach Abbau der Auslieferungs- bzw Übergabevoraussetzungen Rechtsstaatlichkeit und Individualrechtsschutz nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Die eigenen verfassungsrechtlichen Vorgaben müssen ebenso eine Rolle spielen wie die regionalen völkerrechtlichen Menschenrechtskonventionen. Dies ist bereits beim Eingehen völkerrechtlicher Vertragsverpflichtungen, aber auch bei deren Anwendung durch Judikative und Exekutive zu berücksichtigen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die materiellen Grundprinzipien des traditionellen kontinentaleuropäischen Auslieferungsrechts unter besonderer Berücksichtigung Österreichs und Deutschlands herauszufiltern und denen des anglo-amerikanischen Rechts gegenüber zu stellen. Schließlich sollen das EU-JZG sowie die Vorgaben des RB-HB dargelegt und ihre Vereinbarkeit bzw Abkehr von den traditionellen, kontinentaleuropäischen Prinzipien aufgezeigt und bewertet werden. Die Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit der Auslieferung bzw der Übergabe im EU-Raum, im Sinne einer amtlichen Überantwortung einer Person aus der Strafgewalt eines Staates in die Strafgewalt eines anderen Staates. Daher findet das verhältnismäßig junge Instrument der Überstellung von Personen an supranationale Einrichtungen – wie an die beiden Ad-hocGerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR)13 und den Internationalen Strafgerichtshof (ICC)14 – hier nur rudimentär Berücksichtigung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Auslieferung zur Strafverfolgung. In concreto beginnt die Arbeit in einem ersten Abschnitt mit dem traditionellen Auslieferungsrecht. Zunächst werden eine Darstellung der Begriffe und eine Einordnung der Auslieferung in die verschiedenen Rechtsbereiche unternommen. Es folgt eine Aufzählung der für Österreich relevanten Rechtsquellen. Dabei werden zuerst die Rechtsquellen des traditionellen Auslieferungsrechts besprochen. Darunter fallen einerseits die innerstaatlichen Vorschriften (ARHG), andererseits multilaterale Übereinkommen, insb die des Europarats, welche teilweise über den Raum Europa hinausreichen, da sie auch Nichtmitgliedern zum Beitritt offen stehen, weiters die bilatera13 14
BG über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten BGBl 263/1996. BG über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof BGBl I 135/2002.
4
Einleitung
len ErgänzungsÜbk zu den verschiedensten Übereinkommen und weiterhin geltende bilaterale Verträge zwischen den einzelnen Staaten. Anschließend folgt eine Darstellung der „jüngeren“ Rechtsquellen auf EU-Ebene und des Übergabeverfahrens innerhalb der EU. Das Völkerrecht als Rechtsquelle der Auslieferung findet Berücksichtigung, ebenso wird das Verhältnis der einzelnen Rechtsquellen zueinander dargestellt. Innerhalb dieses ersten Abschnittes erfolgt die konkrete Darlegung der materiellen Voraussetzungen des traditionellen Auslieferungsrechts nach kontinentaleuropäischen sowie anglo-amerikanischen Vorgaben. Dabei sollen insbesondere Unterschiede, die bei einer Auslieferung zwischen diesen Rechtskreisen zu Komplikationen bzw Missverständnissen führen können, aufgezeigt werden. Zu Beginn geschieht eine Darstellung des Spannungsverhältnisses zwischen Auslieferung und inländischer Strafgewalt, es werden die Prinzipien des internationalen Strafrechts erläutert und insb auf ihre Verankerung im österreichischen StGB eingegangen. Das „ne bis in idem“-Prinzip als Beschränkung der inländischen Strafgewalt wird einer ausführlichen Diskussion zugeführt und auf seine internationale Geltung hin untersucht. Es folgt ein Kapitel über die einzelnen materiellen Voraussetzungen sowie die entgegenstehenden Auslieferungshindernisse. Untersucht werden zudem Alternativen bzw Umgehungsmöglichkeiten der Auslieferung, die va im USamerikanischen Raum praktiziert werden und immer größere Bedeutung erlangt haben, die aber auch auf europäischer Ebene nicht nur theoretische Probleme aufwerfen. Abschließend findet eine Darstellung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen statt. Der 2. Abschnitt ist dem europäischen Haftbefehl und der Übergabe zwischen den Mitgliedstaaten gewidmet. Die Arbeit setzt sich zunächst mit der Entstehungsgeschichte des RB-HB sowie mit dem Instrument des Rahmenbeschlusses per se auseinander. Schließlich werden die Vorgaben des RBHB und ihre Umsetzung im EU-JZG untersucht und kritisch gewürdigt. Dabei erfolgt, in Anlehnung an den im ersten Abschnitt gewählten Aufbau, die Besprechung der einzelnen materiellen Übergabevoraussetzungen und Vollstreckungshindernisse, die Umgehung der Übergabe wird problematisiert und schließlich das Übergabeverfahren dargestellt. In einer Schlussbemerkung werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.
Abschnitt 1. Das traditionelle Auslieferungsrecht I.
Grundlagen des Auslieferungsrechtes A. Das Wesen der Auslieferung
1. Begriffe Auslieferung ist die amtliche Überantwortung einer Person aus der Strafgewalt eines Staates in die Strafgewalt eines anderen Staates zum Zweck der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung.15 Da souveräne Staaten Hoheitsgewalt nur über ihr Staatsgebiet besitzen, ist es Behördenorganen grundsätzlich verboten, eigenmächtig Fahndungs- oder Verfolgungsmaßnahmen in einem anderen Staat durchzuführen.16 Die angemessene Verfolgung eines Straftäters ist daher nur durch die Mitwirkung der ausländischen Behörden zu erzielen.17 Art und Umfang bzw Grenzen und Pflichten dieser gegenseitigen Mitwirkung sind im Auslieferungsrecht geregelt. Dabei versteht man unter dem materiellen Auslieferungsrecht jene sachlichen Voraussetzungen, unter denen ausgeliefert werden kann bzw muss.18 Zum formellen Auslieferungsrecht zählen einerseits das Auslieferungsverfahren, in dem geklärt wird, ob jemand ausgeliefert wird, andererseits die für die Erwirkung der Auslieferung maßgebenden prozessualen Vorschriften.19
15
16
17
18 19
Vgl Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 4, Schwaighofer, Auslieferung 59, Vogler, Auslieferungsrecht 26; Linke, Grundriss 15, Kathrein, in WK2 Vorbem zu §§ 62–67 Rz 19. Der Begriff Überstellung wird für die Übergabe einer Person in die Verfügungsgewalt des ICC oder die ad hoc Tribunale verwendet, Kathrein, in WK2 Vorbem zu §§ 62–67 Rz 19. Davon gibt es Ausnahmen: Siehe zB die grenzüberschreitende Observation und Nacheile innerhalb der Schengenstaaten (Art 40 u 41 SDÜ) sowie die ausgebauten Befugnisse der Ad-hoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda und die des ICC. Diese Gerichtshöfe bzw ihre Organe haben die Möglichkeit, in Österreich eigenständige Verfahrenshandlungen zu setzen (§ 9 ZusIntGer, § 13 ZusIStrGH). Auf die von manchen Staaten praktizierte Entführung einer Person aus dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates wird unten Abschnitt 1.V. eingegangen. Vogel, in IRG-K Vor § 1 Rz 70. Linke, Grundriss 15.
6
Das Wesen der Auslieferung
2. Systematische Einordnung Die Auslieferung kann ihrem Wesen nach mehreren Rechtsbereichen zugeordnet werden. Sie kann als Teil des Völkerrechts angesehen werden, da sie entweder aufgrund von bi- oder multilateralen Auslieferungsverträgen zwischen souveränen Staaten oder als „vertragsloser“ bzw treffender als „freier“20 Rechtshilfeverkehr zwischen den Staaten unter Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechts zustande kommt.21 Sie ist im traditionellen Bereich dem Staatsrecht zuzuordnen, da mit ihr von den beteiligten Regierungen Hoheitsrechte ausgeübt werden.22 Dabei ist anzumerken, dass dies nicht mehr für das Übergabeverfahren innerhalb der EU gilt, da hier nur mehr die Justizbehörden eingeschaltet werden.23 Ebenso trägt die Auslieferung Aspekte des Strafrechts, denn einerseits werden Maßnahmen – wie die Auslieferungshaft – verhängt, über die die Strafrechtsbehörden nach strafrechtlichen Grundsätzen entscheiden, andererseits stellt sie eine Teilnahme an einem fremden Strafverfahren dar,24 das ohne die Auslieferung schließlich nicht zu bewerkstelligen wäre. Zudem wird die Auslieferung dem Internationalen Strafrecht zugeordnet,25 das sich va im anglo-amerikanischen Raum als Rechtsgebiet herausbildete und als Mischung zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Strafrecht ähnlich dem IPR als eigenständige Materie und Rechtsdisziplin angesehen wird.26 3. Die Stellung des Betroffenen – Auslieferungstheorien Neben der systematischen Einordnung der Auslieferung in die einzelnen Rechtsgebiete ist zudem anhand der verschiedenen Auslieferungstheorien ei-
20
21
22 23 24 25
26
Die Bezeichnung als „vertragslose“ Auslieferung ist missverständlich, da jede Auslieferung einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den beteiligten Staaten darstellt, unabhängig von ihrer Grundlage, dh auch dann, wenn sie nicht auf einem bestehenden bi- oder multilateralen Auslieferungsvertrag basiert. Zur Verwendung des Begriffs „frei“ statt „vertragslos“ siehe Lagodny, Rechtsstellung des Auszuliefernden 23. Zur Beurteilung der „freien“ Auslieferung als Völkerrechtsvertrag siehe grundlegend Vogler, Auslieferungsrecht 28 ff und Lagodny, Rechtsstellung des Auszuliefernden 11 ff. Vitzthum, in Vitzthum Völkerrecht 19, rechnet das Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht dem internen Recht, also nicht dem Völkerrecht, zu. Linke, Grundriss 16. Dazu unten Abschnitt 2.I.E. und Abschnitt 2.V.A. Trechsel, EuGRZ 1987, 70. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in IRG Einl Rz 15 (transnationales Strafund Strafprozessrecht); vgl Linke, Grundriss 27. Bantekas/Nash/Makerel, International Criminal Law 1, Bassiouni, in International Criminal Law I, Preface and Introduction, Van den Wyngaert, International Criminal Law, V.
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
7
ne Feststellung hinsichtlich ihrer Rechtsnatur zu treffen.27 Diese Überlegung ist nicht bloß rein theoretischer, sondern auch praktischer Natur, denn je nach Zuordnung können aus dem der Auslieferung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis verschiedenen Rechtssubjekten unterschiedliche Rechte und Pflichten erwachsen. Heute steht die Vertragstheorie im Vordergrund,28 derzufolge Auslieferungsersuchen und Auslieferungsbewilligung zwei wechselseitig übereinstimmende völkerrechtliche Willenserklärungen und damit einen völkerrechtlichen Vertrag darstellen. Aus dieser Rechtsnatur wurde lange der Schluss gezogen, dass die Auslieferung ein rein „zweidimensionales Modell“ darstelle, bei dem ausschließlich der Interessensausgleich zwischen den beiden beteiligten Völkerrechtssubjekten – dem ersuchenden und dem ersuchten Staat – zu beachten sei, während die auszuliefernde Person in diesem Vertragsverhältnis keine Rechtsposition besitze.29 Nunmehr wird zunehmend die treffende Auffassung vertreten, dass jeder Auslieferung neben dieser völkerrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen den beiden Souveränen auch eine innerstaatliche Rechtsbeziehung zwischen ersuchtem bzw ersuchendem Staat und dem betroffenen Individuum zugrunde liegt. Um diesem Aspekt entsprechend Rechnung tragen zu können, ist von einem „dreidimensionalen Modell“ der Auslieferung auszugehen, in dem neben den Souveränen auch die auszuliefernde Person als selbständiges Rechtssubjekt anerkannt ist und ihr daraus bestimmte Rechte erwachsen.30 Das bedeutet, dass der Auslieferungsentscheidung auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zugrunde zu legen sind und in weiterer Folge der ersuchte Staat trotz vertraglich bestehender Auslieferungspflicht aus Gründen des Individualrechtsschutzes iSe verfassungskonformen Auslegung zur Ablehnung der Auslieferung angehalten sein kann.31 Im österreichischen Auslieferungsrecht zeigt sich die Anerkennung dieses dreidimensionalen Modells nunmehr zudem insb an der mit dem StRÄG 2004 eingeführten Rechtsmittelmöglichkeit gegen die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung.32
27 28
29 30
31 32
Dazu Linke, Grundriss 19 f. Sie ist va auf Vogler, Auslieferungsrecht insb 33 ff u 43 ff zurückzuführen. Zu den früheren Theorien siehe Linke, Grundriss 17 f. Vogler, in IRG-K § 12 Rz 21 ff, ders, ZStW 105 (1993) 3 ff. Das dreidimensionale Modell ist insb auf Lagodny zurückzuführen. Zur Auseinandersetzung mit dem zweidimensionalen und der Begründung des dreidimensionalen Modells siehe Lagodny, Rechtsstellung 11 ff, zu den aus letzterem resultierenden Rechten 115 ff, 129 ff, für das dreidimensionale Modell ebenso Schwaighofer, LJZ 2000, 55, Vogel, JZ 2001, 941, Zeder, AnwBl 2003, 377; vgl dazu auch Weigend, JuS 2002, 110 f, der der Auseinandersetzung einen theoretischen Charakter zuschreibt, vgl auch Hailbronner, in Vitzthum Völkerrecht 237. Dazu ausführlich unten Abschnitt 1.IV.C.1. Dazu unten Abschnitt 1.VI.F.4.
8
Rechtsgrundlagen
B. Rechtsgrundlagen 1. Gesetzliche Regelung des Auslieferungsverfahrens – innerstaatliche Vorschriften Das innerstaatliche Auslieferungsrecht ist im Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) vom 4.12.197933 geregelt. Das ARHG bestimmt die Grenzen der Zulässigkeit der Auslieferung und das Auslieferungsverfahren, findet aber nur insoweit Anwendung, als bi- oder multilaterale Vereinbarungen nichts anderes vorsehen. Ergeben sich Auslieferungspflichten aus solchen vertraglichen Vereinbarungen, tritt das ARHG als subsidiäres Gesetz gem § 1 ARHG zurück.34 Auf das Verhältnis zwischen ARHG und den einzelnen Auslieferungsverträgen wird im Folgenden gesondert eingegangen.35 2. Zwischenstaatliche Übereinkommen Die zwischenstaatlichen Übereinkommen zur Auslieferung stehen in Österreich auf Gesetzesstufe. Sie werden als Staatsverträge vom BPräs abgeschlossen und bedürfen gem Art 50 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat, da sie gesetzesergänzend bzw gesetzesändernd sind.36 Es bestehen sowohl bi- als auch multilaterale Übk. Unterschieden werden kann zwischen reinen Auslieferungsübereinkommen wie zB dem EuAlÜbk und solchen, die grundsätzlich andere Materien bzw Spezialmaterien betreffen, daneben aber auch auslieferungsrechtliche Bestimmungen aufweisen, wie beispielsweise das OECD Bestechungsübereinkommen.37 2.1. Multilaterales europäisches Auslieferungsrecht Grundlage des Auslieferungsverkehrs zwischen den europäischen (und zwei außereuropäischen) Staaten ist das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 (EuAlÜbk), das Österreich am 19.8.1969 in Kraft setzte.38 Von den derzeit 46 Europaratstaaten haben inzwischen 44 das Übereinkommen ratifiziert, überdies Israel, Südafrika und Montenegro.39
33 34
35 36 37
38
39
BGBl 529/1979 idF BGBl I 15/2004. Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 5 f, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 401; Kathrein, in WK2 Vorbem zu §§ 62–67 Rz 19. Abschnitt 1.I.B.3. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 224 f, Linke, Grundriss 19 insb FN 8. Die Bestimmungen über die Auslieferung sind in Art 10 OECD-BestechÜbk enthalten (BGBl III 176/1999). BGBl 320/1969 idF 297/1983, I 36/2004, Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 7. Von den Europaratstaaten hat es Monaco weder unterzeichnet noch ratifiziert; San Marino unterschrieb das Übk, ratifizierte es aber bisher noch nicht. Der aktu-
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
9
Das EuAlÜbk enthält einerseits Auslieferungspflichten bei Erfüllung bestimmter Mindestvoraussetzungen – so verlangt es zB die beiderseitige qualifizierte Strafbarkeit40 –, andererseits sieht es fakultative Auslieferungshindernisse vor, wie zB wegen politischer Delikte, wegen der Gefahr politischer oder religiöser Verfolgung, oder wegen drohender Todesstrafe, ebenso kann die Auslieferung eigener Staatsbürger abgelehnt werden.41 Weiters verbrieft es ua den Grundsatz der Spezialität und macht die Weiterlieferung von der Zustimmung des ersuchten Staates abhängig.42 Ergänzende Verträge zum EuAlÜbk sind die beiden Zusatzprotokolle zum EuAlÜbk, wobei Österreich nur das 2. ZP-EuAlÜbk43 ratifizierte: Es bestimmt eine Auslieferungspflicht für fiskalische Strafsachen und enthält ein fakultatives Auslieferungshindernis bei Abwesenheitsurteilen sowie ein obligatorisches Hindernis, wenn die Tat im ersuchten Land unter eine Amnestie fällt und es auch zur Verfolgung zuständig wäre.44 Ebenfalls eine Ausdehnung der Auslieferungspflichten normiert das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus45: Darin ist eine Verpflichtung zur Auslieferung bei politischen Delikten in bestimmtem Umfang vorgesehen. 2.2. Bilaterale Übereinkommen Österreich hat mit einigen Staaten Ergänzungsübereinkommen zum EuAlÜbk abgeschlossen, so ua mit Deutschland, Italien, dem Fürstentum Liechtenstein, der Schweiz, Slowakei, Tschechien und Ungarn.46 Der Auslieferungsverkehr mit einer Vielzahl von außereuropäischen Ländern ist in Österreich durch bilaterale Auslieferungsverträge geregelt, so zB mit Australien, Kanada und den USA.47 Weiters bestehen Auslieferungsverträge ua mit den jugoslawischen Nachfolgestaaten Jugoslawien, Kroatien, Mazedonien und Slowenien.48
40 41 42 43 44 45 46
47 48
elle Ratifikationsstand kann unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ ChercheSig.asp?NT=024&CM=2&DF=3/16/2007&CL=ENG abgefragt werden. Art 2 EuAlÜbk. Vgl die Art 3, 11, 6 EuAlÜbk. Art 15 u 15 EuAlÜbk. BGBl 297/1983. Art 2 u 3 ZP-EuAlÜbk, Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 6. BGBl 446/1978. Deutschland BGBl 35/1977, Italien 559/1977, Liechtenstein 353/1983, Schweiz 717/1974, Slowenien 27/1996, Tschechien 745/1995, Ungarn 802/1994. Australien BGBl 718/1974 idF 661/1986, Kanada III 159/2002, USA III 216/1999. Jugoslawien BGBl 546/1983 idF III 156/1997, Kroatien idF 472/1996, Mazedonien idF III 92/1997, Slowenien idF 714/1993.
10
Rechtsgrundlagen
2.3. EU-rechtliche Übereinkommen Vor dem RB-HB vom 13. Juni 2002, der die Auslieferung durch eine Übergabe ersetzt, waren drei Übereinkommen auf EU-Ebene für die Auslieferung von Bedeutung: Das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juli 1990 (SDÜ), das Übereinkommen der Europäischen Union betreffend die vereinfachte Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten vom 10. März 1995 (VereinfAuslÜbk-EU)49 und das Übereinkommen der Europäischen Union betreffend die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten vom 27. September 1996 (AuslÜbk-EU)50. Alle drei Übereinkommen ergänzen das EuAlÜbk des Europarates bzw bauen darauf auf. Sie sehen eine Erleichterung bzw Vereinfachung des Auslieferungsverfahrens innerhalb der EU vor, es sollen Hindernisse abgebaut und die Dauer der Auslieferungsverfahren verkürzt werden.51 Österreich hat alle 3 Übereinkommen ratifiziert.52 Während das SDÜ für Österreich mit 1.12.1997 in Kraft trat,53 ist dies hinsichtlich der beiden anderen Übereinkommen noch nicht geschehen. Hinsichtlich beider Übereinkommen ist für das Inkrafttreten die Ratifikation Italiens ausständig,54 und Ungarns betreffend das VereinfAuslÜbk-EU sowie das AuslÜbk-EU stehen noch aus. Beide Übk sind aber zwischen den sich gegenseitig entsprechend erklärenden Mitgliedsstaaten vorläufig anzuwenden.55 Da der RB-HB alle früheren Instrumente der Auslieferung56 – einschließlich der Bestimmung des SDÜ über die Auslieferung (Art 59 bis 66 SDÜ) – ersetzt,57 haben die beiden Übereinkommen innerhalb der EU an Bedeutung verloren.58 49 50 51 52
53 54
55
56 57 58
Siehe dazu Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 21 f. Siehe dazu Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 22 ff. Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 7. SDÜ: BGBl III 90/1997, AuslÜbk-EU: BGBl III 143/2001, VereinfAuslÜbk: BGBl III 169/2000. BGBl III 90/1997, III 202/1997, III 203/1997, III 204/1997, III 205/1997. Beide Übereinkommen treten 90 Tage nach Notifikation bzw Hinterlegung durch den letzten Mitgliedstaat (vor den beiden letzten Erweiterungen) in Kraft, Art 16 Abs 2 VereinfAuslÜbk-EU, Art 18 Abs 3 AuslÜbk-EU, derzeit stehen zudem die Ratifikationen Maltas, der Slowakei, Sloweniens und Tschechiens aus. Der aktuelle Ratifikationsstand zum VereinfAuslÜbk-EU ist unter http://ue.eu.int/cms3_ Applications/applicatons/Accords/details.asp?cmsid=297&id=1995104&lang=EN &doclang=EN zum AuslÜbk-EU unter http://ue.eu.int/cms3_Applications/ applications/Accords/details.asp?cmsid=297&id=1996063&lang=EN&doclang=EN abrufbar. Art 16 Abs 3 VereinfAuslÜbk-EU, Art 18 Abs 4 AuslÜbk-EU. Der Anwendungsbereich ist unter den in der vorigen Fußnote genannten Links abrufbar. Art 31 des Rahmenbeschlusses, ABl 2002 L 190, 11. Art 31 verweist auf Titel III Kapitel 4 des SDÜ, das sind die Art 59 bis 66 SDÜ. Eine Relevanz kann sich anlässlich der Assoziierung der Schweiz und Liechtensteins zum Schengenbesitzstand ergeben (vgl für die Schweiz: Art 1 Abs 1 iVm
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
11
Für den EU-Bereich ebenfalls zu nennen ist das von Österreich ratifizierte Ne-bis-in-idem Übereinkommen der EG59, welches ein Verfolgungs- und damit Auslieferungshindernis bei bereits erfolgter Aburteilung in einem Vertragsmitgliedstaat schafft. Die weiterhin in Geltung stehenden Bestimmungen der Art 54 ff SDÜ sind nahezu wortgleich. Dennoch gelten die Abkommen jeweils nur zwischen ihren Vertragsstaaten, wobei die Art 54 ff SDÜ nunmehr für 24 Mitgliedstaaten verbindlich sind.60 Seit 1.1.2007 gelten sie zudem auch für Rumänien und Bulgarien.61 Denn auch Großbritannien und Irland haben beantragt, dass ua Art 54 ff auf sie Anwendung finden sollen. Beide Anträge wurden vom Rat angenommen,62 mit 1.1.2005 erfolgte die Inkraftsetzung des „Beitritts“ Großbritanniens.63 Der formale „Beitritt“ Irlands (durch Ratsbeschluss) steht noch aus. Die von Österreich ratifizierte Fax-Konvention der EG64 sowie das AuslÜbk-EU erlauben die Übermittlung von Auslieferungsunterlagen per Fax. Auch die Fax-Konvention wird durch den RB-HB ersetzt.65 3. Das Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag Sowohl das ARHG als auch die einzelnen bi- oder mulilateralen Verträge enthalten Bestimmungen über die Auslieferung. Nach § 1 AHRG gelten die gesetzlichen Anordnungen aber nur insoweit, als zwischenstaatliche Vereinbarungen nichts anderes bestimmen. Daher gehen vertragliche Auslieferungspflichten engeren gesetzlichen Regelungen vor. Das Gesetz gilt nur
59
60
61
62
63 64
65
Anhang B des Assoziierungsabkommens, Ratsdokument 13054/04, für Liechtenstein: KOM (2006) 752 endg vom 4.12.2006). Insofern ist nachvollziehbar, dass auch noch 2005 (Frankreich) und 2006 (Polen und Zypern) Ratifikationen erfolgten. Übereinkommen vom 25. März 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung BGBl III 1/2002. Mit der Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rechtsbestand der EU durch den Vertrag von Amsterdam wurde Art 54 SDÜ für alle 13 Schengenvertragsstaaten sofort anwendbar. Für die neuen Mitgliedstaaten ergibt sich die Anwendungsverpflichtung aus Art 3 Abs 1 der Beitrittsakte iVm Anhang I Punkt 2 (ABl 2003 L 236, 33 und 50, vom 23.9.2003). Art 4 Abs 1 des Protokolls über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union iVm Anhang II Punkt (ABl 2005 L 157, 29 und 49). GB: Beschluss vom 29.5.2000, ABl 2000 L 131, 43, Irland: Beschluss vom 28.2.2002, ABl 2002 L 64, 20. Beschluss des Rates vom 22.12.2004, ABl 2004 L 395, 70. Abkommen vom 26. Mai 1989 zwischen den Mitgliedstaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen BGBl III 136/1999. Art 31 Abs 1 lit b) des Rahmenbeschlusses, ABl 2002 L 190, 11.
12
Rechtsgrundlagen
subsidiär und besteht als solches im Bereich des freien66 Auslieferungsverkehrs sowie im Bereich des vertraglichen Auslieferungsverkehrs, wenn dort nichts Gegenteiliges vorgesehen ist.67 Da die einzelnen Auslieferungsverträge zumeist nur die materiellen Voraussetzungen der Auslieferung festlegen und keine formellen Bestimmungen enthalten, wird die Ausgestaltung des Auslieferungsverfahrens dem innerstaatlichen Recht (ARHG, StPO) überlassen. Konflikte zwischen Gesetz und Vertrag können sich ua in Bezug auf Auslieferungshindernisse, zB §§ 19, 20 und 22 ARHG, ergeben. Sind diese nur im Gesetz, nicht aber im Vertrag enthalten, so stellt sich aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 1 ARHG die Frage nach ihrer Anwendbarkeit im vertraglichen Auslieferungsverkehr. Ein Durchgriff auf den Vertrag ist schon wegen des den gesetzlichen Bestimmungen zugrunde liegenden Grundrechtsschutzes (zB Art 3, 6 und 8 EMRK in Bezug auf §§ 19, 20 und 22 ARHG) zu befürworten. Seit der Neuregelung des § 33 ARHG durch das StRÄG 2004 besteht nunmehr eine ausdrückliche Verpflichtung des Gerichts, im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit (auch) der (vertraglichen) Auslieferung über die subjektiven Rechte des Betroffenen zu entscheiden, die sich aus Gesetz und der Bundesverfassung ergeben.68 Eine diesbezügliche Vertiefung kann an dieser Stelle aber mit Verweis auf folgende Kapitel unterbleiben.69 Zudem besteht die Möglichkeit, dass Auslieferungsverträge die Anwendung eines Auslieferungshindernisses in das Ermessen des Gerichtes stellen, insofern also nur eine sog „Kann-Bestimmung“ enthalten, das Gesetz hingegen ein Auslieferungsverbot iS einer „Muss-Bestimmung“ vorsieht. Teile der Lehre lösen diesen Konflikt anhand der „lex posterior derogat legi priori“Regel, wonach alleine der Zeitpunkt des Inkrafttretens der relevanten Bestimmungen ausschlaggebend sei.70 Dem ist nicht zuzustimmen. Erklärt das innerstaatliche Recht eine Maßnahme für unzulässig und legt der später abgeschlossene Vertrag diese in das Ermessen der zuständigen Behörde, so gilt unter Berücksichtigung der klaren gesetzlichen Aussage das Verbot. Denn es handelt sich hier um eine innerstaatliche Konkretisierung des vertraglich eingeräumten Ermessens.71
66 67
68 69 70 71
Zum Begriff freier Auslieferungsverkehr siehe oben FN 20. Zum Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 41 ff, Linke, Grundriss 23 ff. Rosbaud, in IRG, ARHG § 33 Rz 4. Siehe dazu unten Abschnitt 1.I.B.5., Abschnitt 1.IV.C. Schwaighofer, Auslieferung 44. Linke, Grundriss 24.
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
13
4. Allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts und ihre Rangordnung Traditionelle Rechtsquellen des Völkerrechts sind neben dem Völkervertragsrecht72 das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.73 Gemäß Art 9 B-VG gelten die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts in Österreich als Bestandteile des Bundesrechts.74 Diese Bestimmung erfasst jedenfalls das Völkergewohnheitsrecht, nach herrschender Völkerrechtslehre auch die Allgemeinen Rechtsgrundsätze.75 Diese Rechtsquellen sind zur Interpretation der völkerrechtlichen Übereinkommen bzw bei der Beurteilung des „freien“76 Auslieferungsverkehrs heranzuziehen. Als allgemein anerkannte Regeln gelten zB die Spezialität und die Gegenseitigkeit.77 Eine klare Normenhierarchie besteht zugunsten des zwingenden Völkerrechts (es wird auch als ius cogens78 bzw internationaler ordre public bezeichnet), das aus Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht gebildet wird. Darauf, insb auf seine Unbestimmtheit, wird im Folgenden ausführlich eingegangen. Daneben besteht grundsätzlich keine völkerrechtlich anerkannte Rangordnung der drei Primärquellen. Da sie als gleichwertig gelten, müs-
72
73
74
75
76
77
78
Darunter fallen die im vorigen Kapitel 2. genannten bi- und multilateralen Übereinkommen. Vgl Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 167, Bassiouni, in International Criminal Law I 4 f; für eine eingehende Besprechung der verschiedenen Rechtsquellen siehe Vitzthum, in Völkerrecht 54 ff, 64 ff, 69 ff sowie zum Völkergewohnheitsrecht: BVerfG StV 2004, 433; Simma, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 177 ff, zum Völkervertragsrecht: Zemanek, in Neuhold/ Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 239 ff, zu den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen: Rotter, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 427 ff. Zur strittigen Frage, ob diese Umsetzung nach der Transformations- oder der Adoptionsmethode geschieht siehe Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 110 ff, Mayer, B-VG3, Art 9 Anm I.1, Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 214 ff. Ermacora/Hummer, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 584, Öhlinger, Verfassungsrecht5 Rz 112; in Frage stellend Mayer, B-VG3, Art 9 Anm I.1, Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 RZ 217. Statt der sonst gängigen Bezeichnung „vertragslos“ wird hier der Begriff „frei“ gewählt. Die Bezeichnung als „vertragslose“ Auslieferung ist insofern missverständlich, als jede Auslieferung, unabhängig von ihrer Grundlage, einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den beteiligten Staaten darstellt. Dazu oben FN 20. Für eine Besprechung siehe Linke, Grundriss 22, zur Gegenseitigkeit siehe im Kontext, zum RB-HB siehe Van der Wilt, in Handbook 71 ff. Art 53 WDK; Neuhold, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 364 ff, Vitzthum, in Völkerrecht 11 insb FN 28. Im englischsprachigen Raum wird es als jus cogens bzw peremptory norm bezeichnet, vgl zB Bassiouni, in International Criminal Law I 40 f.
14
Rechtsgrundlagen
sen die Grundsätze „lex posterior derogat legi priori“ und „lex specialis derogat legi generali“ beachtet werden.79 5. Ius cogens bzw ordre public und seine völkerrechtliche Rangordnung insb im Verhältnis zu den völkerrechtlichen Auslieferungsverträgen Vielfach werden die Begriffe ius cogens und (internationaler) ordre public synonym verwendet. Während sich diese Begriffe für manche decken,80 geht ein Teil des Schrifttums davon aus, dass sie verschiedene Rechte umschreiben und insbesondere der Umfang des aus dem IPR gebildeten internationalen ordre public umfassender sei.81 Nach der hier vertretenen Auffassung wurden die Begriffe zwar aus verschiedenen Rechtsmaterien entwickelt – einerseits aus dem Völkerrecht, andererseits aus dem IPR –, umfassen aber dieselben Rechte, sind daher gleichen Inhalts und werden synonym verwendet. Ebenso werden va im Bezug auf das Auslieferungsrecht die Begriffe zwingendes Völkerrecht, ius cogens und internationaler ordre public auf der höchsten Rangordnungsstufe, regionales ius cogens oder regionaler ordre public auf der zweiten und schließlich nationaler bzw innerstaatlicher ordre public auf der dritten Stufe verwendet und ihr jeweiliger Einfluss auf die vertraglichen Auslieferungspflichten der einzelnen Staaten beurteilt. Bei diesen Begriffen handelt es sich um Klassifizierungen des Völkerrechts bzw des IPR.82 Die aufgezeigte Rangordnung ist völkerrechtlich insofern begründbar, als auf diesen Stufen entgegenstehende Völkerrechtsquellen nachrangig sind, weshalb zB auf europäischer Ebene Auslieferungsverträge zwischen zwei EMRK-Staaten wegen Nichtigkeit anfechtbar sind, wenn sie dem europäischen ordre public widersprechen, zB eine Auslieferung bei drohender Todesstrafe vorsehen.83 Zu unterscheiden ist davon, ob die Zuordnung zu regionalem oder nationalem zwingendem Recht den völkerrechtlichen Schluss erlaubt, dass es auch im Auslieferungsverfahren mit Drittstaaten zur Anwendung kommen, dh vertraglichen Auslieferungspflichten mit
79
80 81 82
83
Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 174 ff, Vitzthum, in Völkerrecht 61 f. Heimgartner, Auslieferungsrecht B.IV.1. Lagodny, Rechtsstellung 71 f. Der Begriff des ordre public stammt aus dem IPR, vgl Lagodny, Rechtsstellung 71, 60. Widerspricht ein Völkerrechtsvertrag zur Zeit seines Abschlusses zwingendem Völkerrecht, so kann er von den Vertragsparteien wegen Nichtigkeit angefochten werden, die Nichtigkeit wirkt ex tunc, Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 368, 400. Entsteht eine neue Norm zwingenden Völkerrechts (ius cogens supervenies) so werden damit im Widerspruch stehende Verträge nichtig und erlöschen gem Art 64 WVK, siehe auch Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 369, 401.
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
15
Drittstaaten entgegen stehen kann.84 Nach rein völkerrechtlichen Gesichtspunkten ist dieser Gedanke zu verneinen, da nur das „internationale“ zwingende Recht (ius cogens) widersprechende Auslieferungspflichten aufhebt.85 Hier ist vielmehr eine grundrechtliche und verfassungsrechtliche, aber auch eine formelle Betrachtungsweise vorzunehmen, nach der der europäische und der nationale ordre public ins Auslieferungsverfahren einzugreifen vermögen: Den Grundrechten muss Wirksamkeit verliehen werden, die einzelnen Staaten dürfen nicht direkt an Grundrechtsverletzungen mitwirken. Zudem würden die innerstaatlichen und regionalen Grundrechtsgarantien ad absurdum geführt, könnte sich der ersuchte Staat mit dem Verweis auf die Grundrechtsverletzung im ersuchenden Staat und daher außerhalb seiner Zuständigkeit seiner Verantwortung entziehen. Diese Argumentation wird anlässlich der Besprechung der Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen noch besonders ausgeführt.86 5.1. (Internationales) ius cogens – internationaler ordre public Das Bestehen von ius cogens ist heute unbestritten. Zugunsten dieses zwingenden Rechts besteht eine klare völkerrechtliche Normenhierarchie: Vertragliches Völkerrecht, das im Widerspruch zu zwingendem Völkerrecht steht, ist ausdrücklich nichtig,87 weshalb eine Auslieferung, die zwingendem Völkerrecht widerspricht, auch bei bestehender Vertragspflicht abzulehnen ist. Problematisch ist hierbei nur, dass der Inhalt des ius cogens vage und zu beschränkt ist. Art 53 WVK definiert es als „Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als Norm, von der nicht abgewichen werden darf…“, enthält aber keine Aufzählung darunter fallender Rechte. Die Definition scheint aufgrund ihres Verweises auf die Gesamtheit der Staatengemeinschaft einerseits als zu formell und zu wenig auf den Inhalt, dh die Wertsubstanz der Normen, abzustellen, andererseits aber als zu wenig griffig. Die Entstehungsvoraussetzungen werden daher verschieden interpretiert und der Umfang der darunter fallenden unabdingbaren Werte ist nicht eindeutig.88 Eine Vermutung für die
84
85 86 87
88
Bejahend Schwaighofer, Auslieferung 40; verneinend Vogler, ZStW 105 (1993) 13 ff. Vgl Art 53 und 64 WVK. Siehe dazu unten Abschnitt 1.IV.C.1 und Abschnitt 1.IV.C.2.1.3. Es kann von jeder Vertragpartei angefochten werden (Art 53 Satz 1 WVK), Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 175, Vitzthum, in Völkerrecht 62, Vogler, ZStW 105 (1993) 9, Schwaighofer, Auslieferung 40. Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 364 ff, Bassiouni, in International Criminal Law I 40 ff, Janis, 3 Conn. J. Int’l L. 370, Dedeyne-Amann, JBl 2001, 332 Anm zu OGH 11 Os 139/98, Vogler, ZStW 105 (1993) 9.
16
Rechtsgrundlagen
Existenz von ius cogens besteht insb, wenn eine bestimmte Norm in jedem Übk in der Präambel bzw einem Artikel angeführt wird.89 Bedeutsam für das Auslieferungsverfahren ist, dass heute die „grundlegendsten Menschenrechte“ als zwingende Normen des Völkerrechts allgemein anerkannt werden;90 die Präzisierung dieses Überbegriffs bzw der ihr zuordenbaren Rechte dagegen ist wiederum problematisch. Nach heutiger hA fallen darunter jedenfalls das Verbot der Folter, des Völkermordes, des Sklavenhandels und der Piraterie.91 Einer Auslieferung in ein Land, in welchem dem Auszuliefernden Folter droht, steht das zwingende Folterverbot damit entgegen.92 Dem ius cogens werden noch weitere Rechte zugeordnet, doch kann eine ausführlichere Auseinandersetzung damit an dieser Stelle unterbleiben, denn es wird unten auf die einzelnen, nach der hier vertretenen Auffassung dem zwingenden Recht zugehörigen, Auslieferungsverbote eingegangen.93 5.2. Regionales ius cogens – regionaler ordre public Teile des Schrifttums verweisen auf das Bestehen eines regionalen ius cogens und subsumieren insb die Menschenrechtsgarantien der EMRK darunter, die dann als solche in die völkerrechtlichen Auslieferungspflichten (auch mit Drittstaaten) eingreifen.94 Das regionale ius cogens soll jeweils diejenigen Bestimmungen umfassen, die von einer Region als zwingend angesehen werden. Diese Auffassung ist mit der oben zitierten95 Definition des Art 53 WVK, die auf die Gesamtheit aller Staaten abstellt, nicht in Einklang zu bringen, und lässt sich daher aus dem positiven Recht nicht ableiten.96 Schwierig ist die Frage nach der Abgrenzung des regionalen ordre public vom regionalen Völkergewohnheitsrecht, das durch das subjektive Element der opinio iuris97 und
89 90
91
92
93 94
95 96 97
Vgl Bassiouni, in International Criminal Law I 41. Bassiouni, in Triffterer FS 729, Neuhold, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 31, Vitzthum, in Völkerrecht 11 FN 28, Vogler, ZStW 105 (1993) 9, ders, Auslieferungsrecht 217 ff, insb 220, Schwaighofer, Auslieferung 40, vgl Barcelona Traction Case, ICJ Reports 1970, 3. Bassiouni, in International Criminal Law I 41, Bantekas/Nash/Makerel, International Criminal Law 29. Schwaighofer, Auslieferung 40; zu den Bestrebungen das Folterverbot zu beschränken siehe unten Abschnitt 1.IV.C.1. und Abschnitt 1.IV.C.2.2.1. Siehe unten Abschnitt 1.IV.C. Zum regionalen ius cogens Verdross/Simma, Völkerrecht 334, zu dessen Auswirkung auf Auslieferungsverträge Schwaighofer, Auslieferung 40, ders, LJZ 2000, 55. Abschnitt 1.I.B.5.1. Vgl auch Dedeyne-Amann, JBl 2001, 332 Anm zu OGH 11 Os 139/98. Simma, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 191 ff, siehe dazu auch BVerfG StV 2004, 433.
Grundlagen des Auslieferungsrechtes
17
das objektive der entsprechenden Staatenpraxis98 entsteht, und insoweit eine von Rechtsüberzeugung getragene Übung verlangt. In Anlehnung an Art 53 WVK wäre zu verlangen, dass die Staaten der Region sie als unabdingbare Werte ansehen, von denen nicht abgewichen werden darf, auch nicht durch anders lautende Verträge oder Gewohnheitsrecht. Die Feststellbarkeit einer solchen Überzeugung ist wiederum fraglich. Zieht man das Beispiel EMRK heran, so kann ihre Strukturierung als Argument für die zwingende Natur herangezogen werden, denn sie weist neben der bloß bilateral vereinbarten Grundrechtsgewährung auch eine Institutionalisierung und eine Verfestigung durch die Schaffung eines gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus (EGMR) und damit ein fast einzigartiges umfassendes Rechtsschutzsystem auf.99 Der hier vertretene Standpunkt weicht jedoch von einer – wie oben dargestellt umstrittenen – rein völkerrechtlichen Begründung des regionalen ordre public ab und rechnet ihm alle wesentlichen und fundamentalen Normen zu: das sind – va im Hinblick auf das Auslieferungsverfahren – die in einer Region gewährten Menschen- bzw Grundrechte, deren vorrangiger Schutz sich aus den in dieser Region bestehenden völkerrechtlichen und innerstaatlichen Instrumenten erkennen lässt. Auf Ebene der EMRK umfasst der ordre public daher die darin verankerten Grundrechte. Zudem kann aus der regionalen Anerkennung einer Norm als „zwingend“ und „über den anderen Rechtsquellen stehend“, nicht grundsätzlich aufgrund rein völkerrechtlicher Gesichtspunkte auf ein Durchgreifen auf vertragliche Auslieferungsverpflichtungen mit Drittstaaten geschlossen werden.100 Denn Drittstaaten sind nach der WVK völkerrechtlich gerade nicht daran gebunden. An diese rein völkerrechtliche Begründung ist daher eine verfassungsrechtliche und formelle Beurteilung anzuknüpfen und das Gebot der faktischen Effektivität zu wahren.101 Denn die regionalen Grundrechtsgarantien wie zB der EMRK hätten nicht viel Wert, wären sie nur auf die von den Organen des Mitgliedstaates unmittelbar selbst ausgeführten Verstöße anzuwenden, während die aktive „Übergabe“ an einen Drittstaat, im Bewusstsein, dass dieser die Konventionsrechte des Betroffenen verletzt, nicht zur Verantwortlichkeit führte.102 Der in der EMRK verbriefte regionale ordre
98
99 100 101 102
Simma, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 179 ff, siehe dazu auch BVerfG StV 2004, 433. Dazu Ohms, JBl 2005, 15 ff. So auch Vogler, in Schmitt FS 395; aM Schwaighofer, Auslieferung 40. Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 57. Siehe EGMR Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 85 ff; ebenso UN-Menschenrechtsausschuss in Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/D/470/1991 (1993), 98 I.L.R. 426, 446 (1994), Ng v Canada, Com-
18
Rechtsgrundlagen
public verbietet Verletzungen bestimmter Rechte, und dieser Verpflichtung der Konvention gegenüber kann sich der Staat nicht einfach dadurch entziehen, dass er vor den Konsequenzen seiner eigenen Handlung die Augen verschließt, dh nicht berücksichtigt, was als Folge seines Tuns in einem anderen Staat geschieht. Jeder Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass seine Handlungen weder direkt noch indirekt zu einer Konventionsverletzung führen, egal ob durch eigene Organe, oder durch Organe im Drittstaat, dem der Betroffene übergeben wurde.103 Eine ausführliche Darstellung dieser Begründung sowie der dagegen bestehenden Kritiken findet im Kapitel über die Auslieferungshindernisse statt.104 5.3. Nationaler ordre public Auch dieser Begriff ist unbestimmt. § 73 des deutschen IRG, der vielfach als ordre-public-Klausel bezeichnet wird, verbietet Auslieferungen, die den „wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung“ widersprechen. Dies ist als Maßstab heranzuziehen und führt zu folgendem Ergebnis: Die wesentlichen Grundsätze, die jeder Staat für zwingend und der Aufhebung durch den (einfachen) Gesetzgeber entzogen hält, sind die in der Verfassung enthaltenen Grundrechte. Steht eine Auslieferung damit im Widerspruch, so ist sie unzulässig. Das deutsche BVerfG selbst legt § 73 IRG anhand einer „restriktiven Einheits- und Mischformel“ zwischen nationalem und internationalem ordre public aus, und subsumiert unter die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung einerseits einen völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard und andererseits einen nationalen Kernbereich.105 Hinsichtlich der Rangordnung zwischen Völkerrecht und entgegenstehendem innerstaatlichen Recht trifft Art 27 WVK eine ausdrückliche Aussage: Letzteres stellt keinen Rechtfertigungsgrund für die Nichterfüllung einer Völkervertragspflicht dar. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die einzelnen Staaten keine völkerrechtlichen Vertragspflichten eingehen, die ihrem innerstaatlichen Recht widersprechen. Doch können sich insb im Auslieferungsverhältnis Widersprüche zwischen der völkerrechtlichen Vertragspflicht, dem völkerrechtlichen „Müssen“, und dem innerstaatlichen Recht, dem innerstaatlichen „Dürfen“ ergeben. Wiederum kann dieser Konflikt nach rein völker- oder auch verfassungsrechtlichen Kriterien gelöst werden.
103
104 105
munication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993), 98 I.L.R. 473 (1994). Diese Auffassung steht im Spannungsverhältnis mit dem im anglo-amerikanischen Recht geltenden Prinzip der non inquiry, das besagt, dass der ersuchte Staat nicht zu hinterfragen habe, was mit dem Betroffenen nach der Auslieferung im ersuchenden Staat geschieht, siehe dazu oben Abschnitt 1.IV.C.1. Abschnitt 1.IV.C.1. Lagodny, in IRG § 73 Rz 7a, Vogel, in IRG-K § 73 Rz 51 ff, dazu unten Abschnitt 1.IV.C.1.
Auslieferung und Strafgewalt
19
Die hier vertretene Auffassung beruht auf der Überlegung, dass der Staat selbst an keinen Grundrechtsverletzungen mitwirken, dh dafür nicht kausal sein darf. Auch darauf wird in Kap IV.C. ausführlich eingegangen.
II.
Auslieferung und Strafgewalt
A. Auslieferung und (inländische) Strafgewalt 1. Begriffsbestimmung Der Begriff der Strafgewalt umschreibt die Befugnis eines jeden Staates, bestimmte Verhaltensweisen als strafbar anzusehen und diese mit seinem nationalen Strafrecht zu sanktionieren.106 Es geht dabei einerseits um die Gesetzgebungshoheit des Staates und andererseits um sein Recht, ein bestimmtes Verhalten durch seine Gerichte verfolgen und bestrafen zu können, sie also der Zuständigkeit seiner Gerichte zu unterwerfen. Die Strafgewalt wird in Österreich durch die Strafanwendungsnormen der §§ 62 ff StGB bestimmt. Diese Normen sind daher als Geltungsvoraussetzung des nationalen materiellen Strafrechts zu betrachten. Sie erstrecken einen bestehenden Tatbestand auf eine Handlung und machen diese für den verfolgenden Staat tatbestandsmäßig.107 Die Begriffe Gerichtsbarkeit, Strafanwendungsrecht, Zuständigkeit und Strafanspruch werden in dieser Arbeit zur Vermeidung ständiger Wiederholungen als Synonyme für die Strafgewalt gebraucht.108 Der Strafanspruch eines Staates steht mit der Auslieferung in einem Spannungsverhältnis. Besteht eigene Gerichtsbarkeit, so ist diese der Auslieferung grundsätzlich vorrangig. Dies gilt aber nur für den „primären“ Strafanspruch. Davon ist der „subsidiäre“ Strafanspruch zu unterscheiden. Der primäre Strafanspruch basiert auf einem der völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkte der Gerichtsbarkeit, wie zB dem Territorialitätsprinzip, und kann unabhängig von der möglichen Auslieferung durchgesetzt werden. Daneben besteht der subsidiäre Strafanspruch, auch „Prinzip der
106 107
108
Lagodny, in Trechsel FS FN 7. Eser, in Schönke/Schröder, StGB27 Vorbem §§ 3–7 Rz 1 f, Oehler, in Grützner FS 116, zum materiellen Charakter der Strafanwendungsnormen siehe unten Abschnitt 1.III.B.2. Der Begriff Gerichtsbarkeit wird daher hier nicht iSd prozessualen Justizhoheit sondern als Synonym für die Strafgewalt verwendet. Zur Unterscheidung zwischen dem materiellen Geltungsbereich des Strafrechts und dem prozessualen Umfang der Strafgerichtsbarkeit siehe Jescheck, in Maurach FS 583 f. Auch der Begriff Strafanwendungsrecht soll in dieser Arbeit nicht bloß die rechtsanwendungsregelnde sondern die strafgewaltbegründende Funktion dieser Bestimmungen umschreiben.
20
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
stellvertretenden Strafrechtspflege“ genannt,109 der – wie es der Name bereits ausdrückt – stellvertretend für einen anderen Staat ausgeübt wird, wenn die Auslieferung an den zuständigen Staat aus bestimmten Gründen nicht möglich ist, ohne dass die Zuständigkeit einen der im folgenden erläuterten Anknüpfungspunkte der Gerichtsbarkeit, wie zB das Territorialitätsprinzip, aufweisen muss.110 Für die Erwirkung der Auslieferung ist die primäre Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates Voraussetzung. Kann jedoch der ersuchte Staat selbst einen primären Strafanspruch geltend machen, so hindert das grundsätzlich die Auslieferung, wobei § 16 Abs 1 Z 2 ARHG hiezu Ausnahmen schafft.111 Auch der RB-HB bzw das EU-JZG enthalten Übergabehindernisse bei bestehender eigener Gerichtsbarkeit.112 Die stellvertretende Strafrechtspflege als subsidiärer Strafanspruch hingegen setzt voraus, dass sich der Täter im Inland aufhält, weshalb sie keine Basis für Auslieferungsersuchen darstellen kann. Im Folgenden werden die Anknüpfungspunkte der primären und der subsidiären Strafgewalt dargestellt. 2. Darstellung der Prinzipien des internationalen Strafrechts Die Kompetenz zur Entscheidung über die eigene Strafgewalt kommt den Staaten als Ausdruck der Souveränität selbst zu.113 Doch steht dies nach der heute vorherrschenden Meinung nicht völlig in ihrem freien Ermessen, da sie die Grenze des völkerrechtlichen Gebots der Nichteinmischung114 zu beachten haben.115 Das Völkerrecht schreibt daher einen sinnvollen Anknüpfungspunkt zwischen Tat und verfolgendem Staat vor, wobei dieser räumlicher, persönlicher oder sachlicher Art sein kann und auf berechtigten Rechtsschutzinteressen basieren muss. Es sind fünf Prinzipien anerkannt, nach denen ein Staat in völkerrechtskonformer Weise seine Gerichtsbarkeit begründen kann, sie werden die Prinzipien des internationalen Strafrechts genannt: Territorialitäts-, aktives und passives Personalitäts-, Schutz- und Weltrechtsprinzip. Zumeist beruht die nationale Strafgewalt auf einer Kombination ver109 110 111
112 113 114
115
Schwaighofer, Auslieferung 63. Dazu unten Abschnitt 1.II.A.2.6. Die Auslieferung trotz primären Strafanspruchs ist aus besonderen Umständen insb im Interesse der Wahrheitsfindung möglich, dazu unten Abschnitt 1.IV.A. Dazu unten Abschnitt 2.III.A. Vgl Urteil des ICJ im Lotus Fall, Judgment 9, 1927, P.C.I.J., Series A, No. 10, 19. Der Grundsatz der Nichteinmischung stellt ein aus Art 2 Abs 1 UN-Charta abgeleitetes völkerrechtlich anerkanntes Grundprinzip dar, Ambos, NStZ 1999, 405, Pappas, Strafrechtspflege 77. Satzger, Europäisches Strafrecht 31; Zur abweichenden Ansicht einer unbeschränkten Weltgeltung der Strafgesetze siehe Binding, Lehrbuch, 372; zu Auseinandersetzung damit siehe Oehler, in Grützner FS 110 f, Vogler, in Grützner FS 149 f.
Auslieferung und Strafgewalt
21
schiedener Prinzipien. Weltweit ist ihr Geltungsumfang nicht einheitlich. Strittig ist, ob auch die stellvertretende Strafrechtspflege (völkerrechtlich) als (sechstes) Prinzip des internationalen Strafrechts zu verstehen ist.116 In der vorliegenden Arbeit wird sie zwar auf Grund des engen Konnexes im Rahmen dieser Prinzipien dargestellt, da sie jedoch nur subsidiär gilt – der Staat nimmt den Strafanspruch nur stellvertretend wahr – ist sie nicht als gleichwertiges Prinzip anzusehen. In den kontinentaleuropäischen Staaten ging man früher zum Teil von der „Weltgeltung“ des nationalen Strafrechts aus, der zufolge sich die nationale Strafgewalt grundsätzlich auf alle Sachverhalte weltweit erstreckt. Nach dieser die Souveränität der Staaten extrem betonenden Auffassung könne jeder Staat die universale Geltung seines Strafrechts ausüben oder beschränken. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ging man umgekehrt von der territorialen Geltung der staatlichen Strafgewalt aus und hielt die Erstreckung des nationalen Rechts auf Auslandstaten für völkerrechtswidrig.117 Nunmehr bildet das Territorialitätsprinzip den Hauptanknüpfungspunkt der inländischen Strafgewalt, daneben gelten auch die anderen vier Prinzipien als völkerrechtlich gesichert. Dennoch bestehen in den beiden Rechtskreisen immer noch Unterschiede in ihrer Anwendung. Während die kontinentaleuropäischen Staaten auch die anderen Prinzipien sehr umfassend in ihren Strafanwendungsnormen verankert haben,118 sieht das anglo-amerikanische Recht das Territorialitätsprinzip immer noch in einem fast ausschließlichen Sinn und anerkennt die anderen Prinzipien, insb das passive Personalitätsprinzip, nur begrenzt als Ausnahmen. Dies kann im Auslieferungsverfahren mit den USA eine Rolle spielen, da die beiderseitige Gerichtsbarkeit (über den „umgestellten Sachverhalt“119) dort idR eine Auslieferungsvoraussetzung darstellt.120 In den USA gibt es keine den kontinentaleuropäischen Strafanwendungsnormen vergleichbaren allgemeinen und umfassenden Geltungsbereichsnormen. Die Reichweite jedes Gesetzes (zum Teil auch einzelner Tatbestände) wird im Einzelnen festgelegt. Enthält es keine ausdrückliche Regelung, so gilt das Territorialitätsprinzip. Diese grundsätzliche Beschränkung auf das Territorialitätsprinzip ist verfassungsrechtlich verankert. Das VI Amendment zur Verfassung gewährt dem Angeklagten das Recht auf ein 116 117 118
119 120
Vgl die Diskussion bei Pappas, Strafrechtspflege 93. Nachweise bei Oehler, in Grützner FS 110 f. Vogler, in Grützner FS 156, kritisiert, dass die Durchbrechungen so zahlreich sind, dass von einem Grundsatz des Territorialitätsprinzips kaum noch die Rede sein kann. Zu den im StGB und StPO verstreuten Strafanwendungsnormen in Belgien siehe Reydams, Criminal Law Forum 11 (2000) 183 ff. Siehe dazu unten Abschnitt 1.III.A.3. Zur beiderseitigen Gerichtsbarkeit als Auslieferungsvoraussetzung siehe unten Abschnitt 1.III.B.
22
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Verfahren in dem Staat und dem Bezirk, in dem die Tat begangen wurde. Dies scheint in den USA einen stark geschichtlichen Hintergrund zu haben: Vor der Unabhängigkeit von England konnten in den USA begangene Taten von englischen Gerichten verfolgt werden – eine Tatsache, die zu wiederholten Protesten geführt hatte.121 Zudem ergibt sich die Wichtigkeit des Territorialprinzips in den anglo-amerikanischen Ländern aus den strengen prozessualen Beweisregeln bzw dem strengen Unmittelbarkeitsgrundsatz. Trotz dieser grundsätzlichen Beschränkung erstreckt sich die US-amerikanische Strafgewalt nunmehr auch auf bestimmte Auslandstaten. Diese Ausweitung ergibt sich entweder ausdrücklich aus den einzelnen Gesetzesbestimmungen oder wird von der Rsp durch case law begründet, die sich dabei wiederum zumeist auf den Willen des Gesetzgebers beruft.122 2.1. Territorialitätsprinzip Das Territorialitätsprinzip knüpft an den Tatort an. Es bildet die anerkannteste und grundlegendste Basis der Strafgewalt, da es den engsten Anknüpfungspunkt zum Inland aufweist und durch die Beweisaufnahme am Tatort der Gerechtigkeit und Prozessökonomie grundsätzlich am besten entsprechen kann, auch wenn es uU mit verfahrensrechtlichen Nachteilen für den Beschuldigten verbunden ist, zB weil er der Sprache nicht mächtig ist.123 Seine Ausgestaltung ist in den verschiedenen Rechtsordnungen ähnlich, in den anglo-amerikanischen Ländern aber traditionell weit reichender, da dort die anderen Prinzipien weniger anerkannt sind. Nach deutschem und österreichischem Recht liegt der Tatort dort, wo der Täter handelte, oder bei Unterlassungsdelikten hätte handeln sollen, oder wo der tatbestandsmäßige Erfolg zur Gänze oder zum Teil eintrat oder bei versuchter Tat hätte eintreten sollen.124 Das bedeutet, dass auch bestimmte – im Ausland gesetzte – Taten dem Territorialitätsprinzip unterliegen können. Sinn und Zweck besteht darin, dass im Inland durch Handlung, Unterlassung oder Erfolg eine Schädigung oder Gefährdung von Rechtsgütern eintritt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist.125 Der Rechtsgüterschutz lässt sich bei Erfolgsdelikten eindeutig zuordnen, da sie den zu vermeidenden Erfolg klar definieren. Dies ist auch bei konkreten und potenziellen Gefährdungsdelikten gegeben, in diesen Fällen stellt der Eintritt der Gefahr bzw der tatsächlichen Gefährlichkeit der Handlung im Einzelfall einen Erfolg dar, weshalb als Tatort auch der Ort in Frage kommt, in welchem die Gefährdung eintrat. So 121 122 123
124 125
Watson, 17 Yale J. Int’l L FN 20. Blakesley, 73 J. Crim. L. & Criminology 1117. Jescheck/Weigend, Lehrbuch 167, Blakesley, in Bassiouni International Criminal Law 70, Kienapfel/Höpfel, AT11 Z E 11 Rz 8; zu den möglichen Nachteilen für Täter und Opfer und Lösungsvorschlägen siehe Walther, in Eser FS 938 ff. § 67 Abs 2 StGB, § 9 Abs 1 dStGB. BGH NStZ 2004, 403, mit Verweis auf BGHSt 46, 212, 220.
Auslieferung und Strafgewalt
23
liegt der Tatort des konkreten Gefährdungsdeliktes nach § 181d StGB in Österreich, wenn durch eine in Deutschland betriebene umweltgefährdende Anlage die Gefahr einer tatbestandsmäßigen Verunreinigung in Österreich entsteht. Schlichte Tätigkeitsdelikte und (das sind) abstrakte Gefährdungsdelikte haben keinen Erfolg, der Eintritt einer Gefahr bzw die tatsächliche Gefährlichkeit der Handlung ist nicht nachzuweisen, weshalb diesfalls kein inländischer Strafanspruch aufgrund des Territorialitätsprinzips besteht.126 Bei der Beurteilung ist jeweils der dem Straftatbestand zugrunde liegende Rechtsschutz zu prüfen, der sich klar an den Grenzen des Tatbestandes zu orientieren hat. Im deutschen Schrifttum und der Rsp wird versucht, auch in Bezug auf abstrakte Gefährdungsdelikte, bei denen ein Taterfolg iSd allgemeinen Tatbestandslehre nicht vorausgesetzt wird, einen inländischen Erfolg und damit eine inländische Strafgewalt zu konstruieren.127 Ua wird die Meinung vertreten, dass abstrakte Gefährdungsdelikte neben der Handlung ein weiteres tatbestandsmäßiges Ereignis verlangen, und der Eintritt dieses Ereignisses einen zusätzlichen Erfolgsort bewirke.128 Der BGH hat in Bezug auf den Tatbestand des Zugänglichmachens volksverhetzender Schriften § 130 Abs 2 lit b dStGB einen inländischen Tatort auch in jenem Fall angenommen, in welchem eine volksverhetzende Website in Australien eingerichtet wurde.129 Es erfolgte weder eine gezielte Übermittlung ins Inland noch der Zugriff eines inländischen Nutzers. Im Ergebnis wird damit aus dem abstrakten im Einzelfall ein konkretes Gefährdungsdelikt konstruiert, was der Systematik dieser Deliktsgruppe widerspricht und zu einer überschießenden Zuständigkeit führt.130 Auch kann darin eine Anlehnung an das in den USA geltende objective territorial principle erblickt werden, welches im Folgenden erläutert wird. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird zwischen dem subjective und dem objective territorial principle unterschieden.131 Ersteres liegt vor, wenn ein constituent element, dh ein wesentlicher Bestandteil bzw ein Tatbestandselement, ganz oder zum Teil im Inland gesetzt wurde, wobei dazu of126
127
128
129 130 131
Vgl Fuchs AT6 10. Kap. Rz 43. Die konkrete Verankerung des Territorialitätsprinzips im österreichischen Recht wird unten Abschnitt 1.II.A.3.1. ausführlich dargestellt. Für Deutschland siehe BGH NStZ 2004, 403 hinsichtlich der Hehlerei als schlichtes Tätigkeitsdelikt. Siehe BGH 46, 212, 220 ff und die ausführliche Besprechung der vielen verschiedenen Auffassungen bei Tröndle/Fischer, StGB53 § 9 Rz 4a ff und Satzger, Europäisches Strafrecht 47 f, 55 ff. Hoyer, in SK-StGB § 9 Rz 7; aM Gribbohm, in LK StGB11 § 9 Rz 20, Eser, in Schönke/Schröder, StGB27 § 9 Rz 6. BGH 46, 212, 220 ff. Tröndle/Fischer, StGB53 § 9 Rz 8a, Satzger, Europäisches Strafrecht 55 ff. Silverman, in Eser/Sieber/Kreicker, Prosecution Vol 5, 437.
24
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
fenbar nur die Tathandlung, nicht auch der Erfolg gezählt werden. Nach dem objective territorial principle hingegen ist ein inländischer Strafanspruch gegeben, wenn der Erfolg oder sonst ein Effekt im Inland eingetreten ist, während die Tathandlung im Ausland gesetzt wurde. Zur Begründung des territorialen Strafanspruches genügt es nach der Rsp in bestimmten Fällen, dass der Erfolg bzw Effekt im Inland hätte eintreten sollen.132 Teile des Schrifttums lehnen dies grundsätzlich ab und verlangen, dass der Effekt im Inland tatsächlich spürbar bzw es tatsächlich zu einem Erfolgseintritt gekommen ist.133 Der Anknüpfungspunkt des im Inland spürbaren Effekts wird hingegen sehr weit interpretiert. Hier lässt sich nicht genau feststellen, wie sich dieser Effekt im Unterschied zum Erfolg dogmatisch definiert. Es scheint auf irgendwelche Auswirkungen abgestellt zu werden, die im Inland zu spüren sind. Dabei wird nicht dogmatisch untersucht, ob dieser Effekt noch tatbestandsmäßig ist, bzw woraus sich dies ableiten lässt. Im Ergebnis scheinen den einzelnen Tatbeständen jeweils sehr weite Schutzbereiche zugeordnet zu werden. So können zB auch rein wirtschaftliche Auswirkungen im Inland eine Rolle spielen.134 Die in einem Staat von einem Ehemann 1918 begangene, einer der „Vernachlässigung“ oder – mehr im wörtlichen Sinn – der „Aussetzung“ von Frau und Kind ähnliche strafbare Handlung wurde von dem Staat verfolgt, in dem sich die verlassene Ehefrau und die Kinder in der Folge niederließen. Der Strafanspruch stützte sich dabei auf das objective territorial principle, da der Effekt der Vernachlässigung in der Folge in dem Staat auftrat, in dem sich die Opfer später niederließen.135 Zur Einordnung des Begriffes „Effekt“ ist folgendes grundsätzlich zu bemerken: Das Common Law zeichnet sich nicht durch tiefgehende Dogmatik aus. ZB gibt es keine klare Einteilung der Delikte in Zustands- bzw fortgesetzte oder Dauerdelikte. Es wird vielmehr im und für den Einzelfall entschieden, was die Flexibilität des Rechtes fördert und damit auch die Berücksichtigung neu auftretender Konstellationen erleichtert. Andererseits führt die fehlende Dogmatik zur geringeren Vorhersehbarkeit der staatlichen Reaktionen. Dem Kontinentaljuristen fehlen die Zuordenbarkeit der Sachverhalte und die sich daraus ergebenden vorhersehbaren Konsequenzen und Wertungen. In den meisten Fällen, die sich auf das objective territorial principle stützen, tritt der Erfolg der Handlung im Inland ein, doch muss es sich nicht um einen „tatbestandsmäßigen“ Erfolg handeln, es können bloße Aus132
133 134
135
Die Begründungen sind unterschiedlich, vgl Simpson v State, 92 Ga 41, 17 S.E. 984 (1893), Ford v United States, 273 U.S. 593 (1927). Blakesley, in Bassiouni International Criminal Law 51 ff. Vgl Bantekas/Nash/Makerel, International Criminal Law 18 f, Blakesley, 73 J. Crim. L. & Criminology 1125; State v Wellman, 102 Kan 503, 170 P 1052 (1918). State v Wellman, 102 Kan 503, 170 P 1052 (1918), Blakesley, 73 J. Crim. L. & Criminology 1125.
Auslieferung und Strafgewalt
25
wirkung im Inland ausreichen. Diese Fälle überschneiden sich zum Teil mit der Gerichtsbarkeit aufgrund des Schutzprinzips, das unten dargestellt wird.136 2.2. Aktives Personalitätsprinzip – nationality (active personality) principle Dieses Prinzip begründet die Strafgewalt des Staates über seine Staatsbürger im In- und Ausland. Es basiert auf der engen Beziehung des Bürgers zu seiner Nation. Der Heimatstaat gewährt ihm im In- und Ausland Schutz, weshalb er im In- und Ausland zur Wahrung seiner Gesetze verpflichtet sei. Als Grundlage wird daher vielfach die Treue- und Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber seinem Heimatstaat angeführt.137 Doch hat dieses Argument durch den Nationalsozialismus einen bitteren Beigeschmack erhalten.138 Heute lässt sich die Verfolgung von Inländern für Auslandstaten jedenfalls mit dem Resozialisierungszweck der Strafe begründen. Dem kann durch die Verfolgung und Bestrafung des Täters am Ort seiner stärksten familiären und sozialen Beziehungen am besten entsprochen werden. Zudem liegt es in der Solidarität der Staaten bei der Verbrechensbekämpfung begründet.139 Legt man dem aktiven Personalitätsprinzip diese beiden Kriterien zugrunde, so ergibt sich die Notwendigkeit der Berücksichtigung der lex loci.140 Ein Verhalten, das am Tatort gar nicht strafbar ist, muss auch nicht aus Resozialisierungsgründen im Heimatstaat verfolgt werden; eine solidarische Pflicht zur Verfolgung besteht auch nicht. Sähe man dieses Prinzip ausschließlich in der Gehorsamspflicht begründet, so wäre die Verfolgung des Bürgers nach dem nationalen Recht unabhängig von der lex loci zumindest nachvollziehbar, wenn auch nicht zu befürworten.141 Im österreichischen StGB bestehen jedoch Strafanwendungsnormen, die – unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort – auf der inländischen
136 137
138
139 140
141
Abschnitt 1.II.A.2.3. Blackmer v United States, 284 U.S. 421, 427 (1932), United States v Bowman, 260 U.S. 94, 102 (1922), Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 706, Watson, 17 Yale J. Int’l L 86; Oehler, in Grützner FS 122 f, lehnt die Verpflichtung zur Beachtung des Rechts des Heimatstaates im Ausland grundsätzlich ab. Für ihn ist das aktive Personalitätsprinzip allein in der Solidarität der Staaten gelegen. Vogler, in Maurach FS 597 f, Eser, in Jescheck FS 1364. Das aktive Personalitätsprinzip bildete von ca 1940 bis Mitte der 70er Jahre in Deutschland das Grundprinzip der Strafgewalt. In Österreich war es bereits im StG 1852 der maßgebliche Anknüpfungspunkt, siehe Liebscher, AnwBl 1985, 402. Oehler, in Grützner FS 122 f, Jescheck/Weigend, Lehrbuch 169. Oehler, in Grützner FS 122 f, Vogler, in Grützner FS 157, ders, in Maurach FS 598 f; zögerlich Jescheck/Weigend, Lehrbuch 169; vgl Watson, Texas International Law Journal Vol 28 (1993) 15. Das StG 1852 sah das aktive Personalitätsprinzip unabhängig von der lex loci vor.
26
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Staatsbürgerschaft des Täters beruhen (§ 64 Abs 1 Z 1, 4a und b, 7, 9a und 10a StGB). Sie sind aber jeweils zusätzlich an weitere Prinzipien des internationalen Strafrechts geknüpft, worin eine Berechtigung gesehen werden kann. Es stellt sich dennoch die Frage, ob es hier nicht zu einer zu starken Ausdehnung der österreichischen Strafgewalt kommt. ZB verankert § 64 Abs 1 Z 7 StGB die österreichische Zuständigkeit bei Straftaten von Österreichern gegen Österreicher (aktives und passives Personalitätsprinzip), wenn beide ihren Wohnsitz bzw besonderen Aufenthalt im Inland haben, unabhängig von der Strafbarkeit dieser Handlung am Tatort. Hier kann argumentiert werden, dass sowohl Opfer als auch Täter um die Strafbarkeit der Handlung wussten, der Täter zur Einhaltung des österreichischen Rechts verpflichtet ist und das Opfer den Schutz des österreichischen Rechts genießen sollte. Andererseits fand die möglicherweise harmlose Tat in einem Land statt, in welchem diese Handlung gerade legal und von der Rechtsordnung akzeptiert ist. Daher sollte die österreichische Zuständigkeit diesfalls an einen Schweregrad des Delikts geknüpft werden. Eine weitere Ausdehnung des aktiven Personalitätsprinzip unabhängig von der lex loci erfolgte in Österreich in Kombination mit dem Weltrechtsprinzip insb im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, Missbrauchs-, Pornographie- und Drogentatbeständen, was va auf internationale Übereinkommen zurückzuführen ist.142 Überzogen scheint hier die Strafgewalt nach § 64 Abs 1 Z 4 StGB in Bezug auf § 207b Abs 3 StGB, wobei bereits die Strafbarkeit nach letzterer Bestimmung (ohne Auslandsbezug) für sich zu weit gefasst ist.143 Nach § 207b StGB macht sich strafbar, wer eine unter 18 Jahre alte Person unmittelbar durch Entgelt zu einer geschlechtlichen Handlung verleitet. Unter Entgelt ist gem § 74 Abs 1 Z 6 StGB „jede einer Bewertung in Geld zugängliche Gegenleistung“, also jede Art von Vermögensvorteil zu verstehen, worunter auch eine Einladung zum Essen, ein bezahlter Kinoaufenthalt usw fallen. War diese Einladung für die spätere geschlechtliche Handlung kausal, so stellt dies bereits ein Verleiten durch Entgelt dar; ein In-Aussichtstellen bzw Anbieten möglicherweise einen Versuch.144 Als Täter kommt jede strafmündige Person in Frage. Zudem ist anzumerken, dass der Missbrauch von Unmündigen und Jugendlichen ohnehin durch zahlreiche andere Bestimmungen (§§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 StGB145) ausreichend geregelt ist. Während die Strafbarkeit dieser Handlungen im Falle eines österreichischen Tatortes bereits bedenklich ist, schießt die Zuständigkeit der österreichischen Justiz über einen Österreicher, der eine 142 143
144
145
Dazu ausführlich unten Abschnitt 1.II.A.3.3. Dazu Bertel/Schwaighofer, BT II7 § 207b Rz 5, Murschetz/Ebensperger, JAP 2002/2003, 177 f. Bertel/Schwaighofer, BT II7 § 207b Rz 5, Murschetz/Ebensperger, JAP 2002/2003, 177. Siehe auch § 207a StGB.
Auslieferung und Strafgewalt
27
solche Handlung im Ausland setzt, wo diese legal und möglicherweise sogar gebräuchlich ist, weit über das notwendige und zweckmäßige Ziel hinaus. Auch besteht keine internationale Verpflichtung für eine solche Strafanwendungsnorm. Der Tatbestand beruht auf einem EU-Rahmenbesschluss146, weshalb innerhalb des EU-Raumes wahrscheinlich bereits mit der Strafanwendungsnorm abhängig von der lex loci das Auslangen gefunden werden kann. In den kontinentaleuropäischen Staaten ist das aktive Personalitätsprinzip ein weit verbreitetes und anerkanntes Prinzip der Gerichtsbarkeit. Traditionell war es in diesen Staaten mit dem Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsbürger verbunden. Die einzelnen Staaten lieferten ihre Staatsbürger nicht aus, verfolgten deren Straftaten im Ausland aber selbst. Damit wurde sichergestellt, dass diesen Personen die verfahrensrechtlichen Garantien ihres Heimatstaates zuteil wurden und die Gesetze auf sie Anwendung fanden, an deren Schaffung sie durch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung selbst Anteil hatten. Zudem war damit festgelegt, dass diese Personen durch die Flucht in den Heimatstaat nicht der Strafverfolgung entkamen. Nunmehr ist das Nationalitätsprinzip immer noch vorherrschend, doch der Grundsatz der Nichtauslieferung der eigenen Staatsbürger wird in den kontinentaleuropäischen Ländern immer mehr verdrängt. Vor allem die EU tritt im Rahmen der Förderung der Unionsbürgerschaft sowie des Grenzabbaues und der Schaffung eines einheitlichen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Abschaffung dieses Grundsatzes ein. Der RB-HB verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Auslieferung (Übergabe) eigener Staatsbürger innerhalb der EU unter bestimmten Umständen.147 Viele kontinentaleuropäische Staaten beanspruchen eine generalklauselartige Strafgewalt für alle im Ausland begangenen Straftaten ihrer Staatsbürger. So gelten nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB die österreichischen Strafgesetze für alle von Österreichern begangenen Auslandstaten, wenn diese auch am Tatort mit Strafe bedroht waren.148 Nach dem Recht einiger Common Law Länder besteht keine entsprechende generelle Gerichtsbarkeit auf alle Auslandstaten.149 Doch gibt es in den USA Gesetze bzw einzelne Tatbestände, deren Geltungsbereich auf Auslandstaten der eigenen Staatsbürger ausgedehnt ist. In vielen Fällen handelt es sich dabei um ratifizierte Übk, wie zB den Hostage Taking Act 1989, der auf dem Übereinkommen zum Verbot der Geisel-
146
147 148 149
Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, ABl 2004 L 13, 44. Dazu unten Abschnitt 2.III.C.5.1. Vgl § 7 Abs 1 Z 1 dStPO, dazu ausführlich Pappas, Strafrechtspflege 16 ff. So zB in den USA, Silverman, in Eser/Sieber/Kreicker Prosecution Vol 5, 438.
28
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
nahme beruht.150 Aber auch einzelne Tatbestände, die nicht auf Konventionen basieren, wie zB Steuerhinterziehung, Falschaussage, usw, können von den US-amerikanischen Gerichten verfolgt werden, wenn sie ein Staatsbürger im Ausland setzte.151 Der Military Extraterritorial Jurisdiction Act räumt den USA Gerichtsbarkeit über Personen ein, die als Zivilisten auf Militärstützpunkten arbeiten, bzw als solche stationiertes Militärpersonal begleiten.152 Stationierte Streitkräfte selbst fallen unter die amerikanische Militärgerichtsbarkeit.153 Grundsätzlich gilt das aktive Personalitätsprinzip aber nur hinsichtlich besonderer, nicht jedoch hinsichtlich der „klassischen“ Straftaten gegen Leib oder Leben oder gegen das Vermögen. In den meisten Fällen ergibt sich die Ausweitung aus einer Kombination zwischen aktivem Personalitäts- und Schutzprinzip. Für die Auslieferung zwischen den USA und vielen kontinentaleuropäischen Ländern ergeben sich aus dieser Konstellation derzeit immer noch folgende Probleme: Die USA würden ihre eigenen Staatsbürger grundsätzlich ausliefern. Doch enthalten viele Auslieferungsverträge mit kontinentaleuropäischen Staaten Klauseln über die gegenseitige Nichtauslieferung eigener Staatsbürger. Da die USA – wie erwähnt – für die sog klassischen Straftaten kein aktives Personalitätsprinzip anerkennen, kann ein US-amerikanischer Staatsbürger durch die Rückkehr in sein Heimatland der Strafverfolgung entkommen.154 2.3. Schutz- (Real)prinzip – protective principle Dieses im kontinentaleuropäischen und anglo-amerikanischen Rechtsraum weit verbreitete Prinzip dient dem Schutz der allgemeinen Rechtsgüter des Staates vor ausländischen Angriffen (zum Unterschied von den Individualrechtsgütern, die durch das passive Personalitätsprinzip gesichert werden), da diese durch das Strafrecht anderer Nationen nicht ausreichend geschützt werden.155 Es entspricht einer Art Selbstverteidigungsfunktion des Staates und ist daher nicht an die Strafbarkeit am Tatort gebunden. Unter dieses Prinzip fallen sog staatsgefährdende Delikte, die Sicherheit, Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates gefährden, wie zB Hochverrat, Straftaten ge150
151 152 153
154 155
U.S. v Yunis, 924 f.2d 1086 (1991), siehe dazu auch Heymann/Gershengorn, in Eser/Lagodny, Principles 104 f. Watson, 17 Yale J. Int’l L 53, Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 710 ff. Siehe dazu http://www.latimes.com/news/local/la-me-latasha14jul14.story. Die Gerichtsbarkeit ist in den Status of Forces Agreements (SOFA) enthalten, die die USA mit den einzelnen betroffenen Staaten abschließt, dazu unten Abschnitt 1.IV.D.2.3. Zu den Streitkräften im Ausland im Allgemeinen siehe Köck, in Neuhold/Hummer/ Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 1753 ff insb 1757. Siehe die bei Watson, 17 Yale J. Int’l L 42 f zitierten Fälle. Jescheck/Weigend, Lehrbuch 169, zur Geltung in den USA siehe Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 52 f.
Auslieferung und Strafgewalt
29
gen die Landesverteidigung oder die öffentliche Ordnung. Auch Angriffe auf die wirtschaftlichen Interessen des Staates können dessen Existenz gefährden.156 2.4. Passives Personalitätsprinzip – passive personality principle Das passive Personalitätsprinzip erlaubt die Erstreckung der nationalen Strafgewalt auf Taten, die im Ausland gegen eigene Staatsbürger gesetzt wurden. Es dient daher dem Schutz der Individualrechtsgüter der eigenen Staatsbürger im Ausland. Wiederum kann man die Begründung in der engen Bindung zwischen dem Bürger zu seiner Nation sehen. Diese Verbindung verpflichtet ihn einerseits zu Treue und Gehorsam, gewährt ihm aber andererseits auch Schutz. Damit erscheint das Prinzip als logische Kehrseite des aktiven Personalitätsprinzips.157 Auf der einen Seite hat der Bürger dem Recht seiner Nation auch im Ausland zu entsprechen und wird für Verletzungen von seinem Heimatstaat verfolgt. Auf der anderen Seite soll er sich darauf verlassen können, dass die – durch einen Angriff auf seine Güter im Ausland – erfolgte Missachtung dieses Rechts von seiner Nation geahndet wird. Hierbei ist aber zu bedenken, dass es sich bei dem Normadressaten des passiven Personalitätsprinzips meist um einen Ausländer handelt, der im Ausland, dessen Staatsbürger er möglicherweise ist, ein Verhalten setzte, das nunmehr verfolgt werden soll. Dürfte schließlich jeder Staat Verletzungen seiner Bürger im Ausland nach seinem eigenen Recht unabhängig von der lex loci verfolgen, so widerspräche das der Rechtsstaatlichkeit, da die Normen für den Täter nicht erkennbar, die strafrechtlichen Folgen seiner Handlungen nicht vorhersehbar wären. Zumeist kann er gar nicht bemerken, dass es sich bei seinem Opfer um einen Ausländer handelt, aber auch mit diesem Wissen wäre es ihm unmöglich, sich der Normen des fremden Staates auch nur bewusst zu werden, geschweige denn, sie zu kennen. Daher setzt die Strafgewalt nach diesem Prinzip voraus, dass die Tat auch nach dem Recht des Tatortes strafbar ist.158 Zudem könnte in der Anwendung des passiven Personalitätsprinzips unabhängig von der lex loci eine Verletzung des völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzips159 bzw ein Rechtsmissbrauch160 gesehen werden. Dem Tatortstaat und seinen Bürgern würde damit auf seinem Hoheitsgebiet ein fremdes Recht oktroyiert. Die Strafgewalt nach dem passiven Personalitätsprinzip (abhängig von der lex loci) kann damit begründet werden, dass einem Staat der Schutz aus156 157 158
159 160
Vogler, in Grützner FS 155. Vgl Hoyer, GA 2004, 331. Jescheck/Weigend, Lehrbuch 170; Oehler, in Grützner FS 119 hält dies für gerecht nicht aber für denknotwendig. Dazu Pappas, Strafrechtspflege 77 f, Lagodny, Gutachten 22. Jescheck/Weigend, Lehrbuch 165.
30
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
ländischer Individualrechtsgüter womöglich nicht gleich wichtig ist, wie der Schutz entsprechender inländischer Güter. Der fremde Staat lässt daher vielleicht nicht die nötige Sorgfalt walten.161 Das Prinzip erfüllt daher eine Auffangfunktion, ist aber auch in dieser Form va in den USA umstritten.162 In Österreich ist das passive Personalitätsprinzip nicht generell verankert, sondern nur in eingeschränktem Maß und nur in Kombination mit anderen Anknüpfungspunkten vorgesehen. So ist die österreichische Strafgewalt gem § 64 Abs 1 Z 7 StPO generell bei Straftaten eines Österreichers an einem Österreicher gegeben.163 Diese Bestimmung basiert auf dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip.164 Nach deutschem Recht hingegen besteht gem § 7 Abs 1 dStGB eine generelle Zuständigkeit für Auslandstaten gegen Inländer, wobei der Goßteil des Schrifttums nunmehr zu Recht davon ausgeht, dass diese Strafgewalt originär gilt und nicht als Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege zu verstehen ist.165 § 7 Abs 1 dStGB spricht von Taten gegen einen Deutschen. In Deutschland wird aber diskutiert, ob sich das passive Personalitätsprinzip auch auf juristische Personen mit Sitz im Inland bezieht. Die Rsp lehnt dies zu Recht mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte der genannten Bestimmung, dh aufgrund einer historischen Interpretation, sowie aufgrund der Wortinterpretation ab und erstreckt den inländischen Strafanspruch nur auf Verletzungen natürlicher Personen.166 Teile der Lehre stimmen darin vom Ergebnis her überein, leiten dies aber va aus dem Analogieverbot ab.167 Für andere erstreckt sich der Schutz dieser Strafanwendungsnorm auch auf juristische Personen mit Sitz im Inland.168 Im Ergebnis kann häufig doch deutsche Gerichtsbarkeit vorliegen, wenn natürliche Personen als Mitglieder der juristischen Person unmittelbar durch die Tat in ihren Rechten verletzt werden.169 Die USA stehen dem passiven Personalitätsprinzip traditionell ablehnend gegenüber. Im viel zitierten Cutting case, dem wohl bekanntesten einschlägi-
161 162
163 164 165
166 167
168
169
Oehler, in Grützner FS 118. Cutting Case, 1887 For. Rel. 751 (1888); Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 715 f; siehe aber U.S. v Yunis, 924 f.2d 1086 (1991). Beide müssen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben. Vgl § 64 Abs 1 Z 2 u Z 7 StGB. Pappas, Strafrechtspflege 15 f, Henrich, Personalitätsprinzip 38, Tröndle/Fischer, StGB53 § 7 Rz 1, zögerlich Eser, Schönke/Schröder, StGB27 § 7 Rz 1; dagegen Vogler, in Maurach FS 605. BGH NStZ 2004, 402 ff. Ausführlich Gribbohm, in LK StGB11 § 7 Rz 48 ff, nunmehr auch Tröndle/Fischer, StGB53 § 7 Rz 4. Eser, in Schönke/Schröder, StGB27 § 7 Rz 6, Oehler, Internationales Strafrecht, Rz 677. Gribbohm, in LK StGB11 § 7 Rz 51.
Auslieferung und Strafgewalt
31
gen Fall, wurde es von den USA als völkerrechtswidrig bezeichnet.170 Es ist auch heute nicht umfassend geregelt und reicht dort für sich alleine nicht als Anknüpfungspunkt für die Strafgewalt bei gewöhnlichen Vergehen oder Verbrechen aus. Doch erweitern nunmehr bestimmte Gesetze und die Rsp die US-amerikanische Gerichtsbarkeit auf Verletzungen ihrer Bürger, aber nur in Kombination mit anderen Prinzipien. Da sich die Strafgewalt in diesen Fällen zumeist auf Taten mit terroristischem Hintergrund erstreckt, kommen Schutz- und/oder Universalitätsprinzip als zusätzliche Anknüpfungspunkte in Frage.171 2.5. Weltrechtsprinzip (Universalitätsprinzip) – universality principle Dieses Prinzip liegt in der Solidarität der Staaten bei der Verbrechensbekämpfung begründet. Es beruht auf dem Gedanken, dass jeder Staat zur Verfolgung von Taten berechtigt – wenn nicht sogar verpflichtet172 – ist, die gegen die Rechtsordnungen aller zivilisierten Staaten und damit gegen die Weltgemeinschaft als solche verstoßen.173 Diese Taten werden im deutschsprachigen Schrifttum auch als Angriffe auf übernationale Kulturgüter definiert, an deren Erhaltung ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht,174 weshalb die Täter auch als hostis generis humani bezeichnet werden. Die Strafverfolgung geschieht unabhängig von Tatort und von der Nationalität des Täters bzw des Opfers.
170
171
172
173
174
Der US-Staatsbürger Cutting wurde verdächtigt, in den USA gegen einen Mexikaner das Delikt der Üblen Nachrede begangen zu haben. Mexiko machte aufgrund des passiven Personalitätsprinzip seine Strafgewalt geltend, weshalb Cutting bei einer Mexikoreise verhaftet wurde. Die USA sahen durch dieses ihrer Meinung nach völkerrechtswidrige Verhalten ihre Souveränität angegriffen und protestierten heftig. Letztendlich zog der Verletzte seine Anzeige zurück. Cutting Case, 1887 For. Rel. 751 (1888), geschildert in Watson, Texas International Law Journal Vol 28 (1993), 5 f. 18 U.S.C. § 2332 (eingeführt durch den Omnibus Dipolmatic Security and AntiTerrorism Act 1986), dazu Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 56, FN 44; United States v Yunis, 681 f.Supp.896 (D.D.C. 1988), United States v Benitez, 741 f.2d 1312 (11th Cir. 1984). Yunis hatte ein Flugzeug mit zwei Amerikanern an Bord entführt, Benitez wurde ua wegen Verabredung zum Mord amerikanischer Drogenagenten (DEA-agents) verurteilt; siehe auch Silverman, in Eser/ Sieber/Kreicker Prosecution Vol 5, 439. Nach Bassiouni, in International Criminal Law I 39, besteht bei Verbrechen gegen ius cogens (ius cogens crimes) eine Verfolgungspflicht aller Staaten im Sinne einer obligatio erga omnes, siehe auch Strapatsas, 29 Man. L. J. 13 ff; Barcelona Traction Case, ICJ (1970) Report 32. Blakesley, in Bassiouni, International Criminal Law II 70 f, Boed, in Bassiouni, International Criminal Law II 150, Randall, Texas Law Review, Vol 66 (1988) 788 f, Eser, in Trechsel FS 232 ff, Weigend, in Eser FS 965. Vogler, in Maurach FS 603.
32
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Angriffe, die gegen die Rechtsordnungen der Weltgemeinschaft verstoßen, sind solche, die Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens)175 verletzen. Dazu zählen die insoweit als Ius cogens Crimes176 bezeichneten internationalen Verbrechen wie zB Folter, Sklaverei, Piraterie und die unter die Gerichtsbarkeit des ICC (ICTY, ICTR) fallenden sog „Core Crimes“ Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.177 Ihnen liegt der völkerstrafrechtliche Schutz der Menschenrechte zugrunde. Wegen der Verschiedenartigkeit der Systeme, Rechtsordnungen und Wertmaßstäbe ist – wie oben unter III.D.1. ausgeführt – der Umfang des ius cogens und damit der Bestand sonstiger universal geschützter Rechtsgüter mitunter strittig.178 Nach dem Recht der meisten kontinentaleuropäischen Staaten wie zB Deutschland, Österreich und Belgien erstreckt sich die Strafgewalt aufgrund des Weltrechtsprinzips auch auf Drogen-, Missbrauchs- und Pornographietatbestände, Frauen- und Kinderhandel und auf Terrorismusdelikte usw, deren universale Verfolgung vielfach in internationalen Übk verankert ist. Kritik an der teilweise zu umfassenden Verankerung der österreichischen Strafgewalt wurde bereits an früherer Stelle geübt.179 Es ist umstritten, ob die Strafverfolgung aufgrund des Weltrechtsprinzips einen inländischen Anknüpfungspunkt voraussetzt, insbesondere wenn es um die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen geht.180 Der Konventionsentwurf des Europarates von 1965 über die Lösung von Zuständigkeitskonflikten stellt auf den inländischen Ergreifungsort des Täters ab.181 Entspre-
175 176
177
178
179 180 181
Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.I.B.5.1. Bassiouni, in International Criminal Law 38 ff insb 41. Zur Ablehnung dieses Begriffes und Befürwortung der Ersetzung durch customary international crime siehe Kreß, ZStW 114 (2002) 829 f, 837 f. Letzterer Begriff ist mE nicht treffend, da er auf das Gewohnheitsrecht abzielt, welches den universellen und zwingenden Charakter dieser Tatbestände (ebenso wenig wie das Vertragsrecht) zu umschreiben vermag. Zu dieser Abgrenzung und Aufzählung der ius cogens crimes siehe Bassiouni, in International Criminal Law 38 ff insb 41, Randall, Texas Law Review Vol 66 (1988) 830. Der treffende Überbegriff core crimes für die drei genannten Verbrechen (sollte der Tatbestand der Aggression definiert werden, ist er auch darunter zu subsumieren) ist in der englischsprachigen Literatur vorherrschend und wird wegen seiner Prägnanz auch in dieser Arbeit verwendet, siehe auch Wirth, International Criminal Law in Germany 2, veröffentlicht im Internet unter http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/onlinepub/Ottawa.pdf. Siehe dazu ausführlich Kreß, ZStW 114 (2002) 828 ff, Eser, in Schönke/Schröder, StGB27 Vorbem §§ 3–7 Rz 8. Abschnitt 1.II.A.2.2. Weigend, in Eser FS 955 ff. Draft European Convention on Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matter, European Consultative Assembly, Report on the settlement of jurisdiction in criminal matters (1965).
Auslieferung und Strafgewalt
33
chendes sehen auch das französische, kanadische und das Schweizer Recht vor.182 Dass die unbeschränkte Geltung des Weltrechtsprinzips und seine Ausübung durch einen Staat in Zeiten wie diesen problematisch sind, zeigt das Beispiel Belgien. Nach belgischem Recht war bis vor kurzem für die Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips kein (zusätzlicher) inländischer Anknüpfungspunkt gefordert.183 Zudem berechtigte dieses Gesetz zur Strafverfolgung unabhängig von der Immunität ratione personae eines amtierenden Funktionsträgers.184 Dh die Verfolgung von Ausländern wegen im Ausland gegen Ausländer begangener Taten war möglich, ohne dass Täter oder Opfer in Belgien anwesend, wohnhaft oder eingebürgert waren. Auf Grund dieses Gesetzes wurden vier Personen wegen Verbrechen in Verbindung mit dem Völkermord in Ruanda von einem belgischen Gericht zu Haftstrafen zwischen 12 und 20 Jahren verurteilt,185 und ua gegen Abwesende auf dem Weltrechtsprinzip basierende Vorerhebungen geführt, Haftbefehle erlassen186 und auch Auslieferungsersuchen187 gestellt. Da nach belgischem Recht Abwesenheitsurteile zulässig sind, könnte ein Täter auch in absentia verurteilt werden, wenn seine Auslieferung nach Belgien nicht möglich ist.188 Da die belgische StPO Opfern das Recht einräumt, ein Strafverfahren zu initiieren, wurden viele Verfahren durch Anzeigen auch ausländischer Opfer
182
183
184
185 186
187 188
Art 689-1 code penale; Art 8 Canadian Crimes Against Humanity and War Crimes Act (2002); Art 6bis Schweizer StGB, siehe dazu Popp, in BSK StGB, Art 6bis. Art 7 Abs 1 Loi relative a la repression des violationes graves du droit humanitaire (Act Concerning the Punishment of Grave Breaches of International Humanitarian Law) von 1999, Moniteur belge v 23.3.1999, 9286. Es basiert auf einem 1993 zur Ratifizierung der Genfer Konvention von 1949 in Kraft getretenen Gesetz, Moniteur belge vom 5.8.1993. Dazu ausführlich Ratner, American Journal of International Law 87 (2003) 888 ff, Reydams, 1 J. Int’l Crim. Just. 680 f, ders, Criminal Law Forum 11 (2000) 190 ff, Sims/Van der Borght, ASIL Insights, July 2003, www.asil.org/insights/insigh112.htm, Weigend, in Eser FS 957 f. Art 5 Abs 3 des oben genannten Gesetzes; siehe dazu Democratic Republic of the Congo v Belgium, ICJ Urteil vom 14.2.2002, abrufbar unter www.icj-cij.org.; zur Immunität ratione personae siehe unten Abschnitt 1.III.C.2. Keller, ASIL Insights, May 2001, www.asil.org/insights/insigh72.htm. Haftbefehl vom 12.4.2000 gegen den kongolesischen Außenminister Yerodia Ndombasi, Democratic Republic of the Congo v Belgium, ICJ Urteil vom 14.2.2002, abrufbar unter www.icj-cij.org. Wie im Fall Pinochet, der unten Abschnitt 1.III.B. dargestellt wird. Reydams, Criminal Law Forum 11 (2000) 191.
34
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
eingeleitet.189 Insb erfolgte eine große Anzahl von Anzeigen sowie Untersuchungshandlungen gegen Politiker: Neben dem Verfahren gegen Ariel Sharon, mit dessen Zulässigkeit sich schließlich das Kassationsgericht beschäftigte, sowie Anzeigen gegen Yasser Arafat und Saddam Hussein uvm kamen im Zuge des Irakkrieges 2003 auch solche gegen George W. Bush, Tony Blair und den US-Truppenbefehlshaber Tommy Franks hinzu.190 Einerseits resultierten daraus gröbere diplomatische Verwicklungen, im Zuge derer ua die USA Brüssel als Nato-Sitz in Frage stellten191 sowie die Schaffung eines „Anti-Weltrechtsprinzips-Gesetz“ in den USA192, auf der anderen Seite lobten Menschenrechtsaktivisten und -organisationen das belgische Gesetz als zukunftsweisend. Aufgrund des massiven politischen Drucks hat Belgien dieses Gesetz zunächst Änderungen unterzogen, es schließlich gänzlich aufgehoben und die Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dem „gewöhnlichen“ materiellen und formellen Strafrecht unterstellt. Nunmehr ist ein legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt notwendig und wird die völkerrechtliche Immunität beachtet.193 Der deutsche BGH und ein Teil der deutschen Lehre verlangten bisher einen – im Gesetz nicht vorgesehenen – „legitimierenden“ inländischen Anknüpfungspunkt,194 der sich ua aus dem inländischen Aufenthaltsort des Täters, nicht aber aus dem inländischen Aufenthaltsort des Opfers ergeben kann.195 Einige der Entscheidungen betrafen die Frage der Gerichtsbarkeit bei Völkermord, die in § 6 Z 1 dStGB geregelt ist. Der BGH scheint aber 189
190
191 192
193
194
195
Art 63 der belgischen StPO sieht den Mechanismus der constitution de partie civile vor, die den Opfern das Recht einräumt, die Einleitung eines Strafverfahrens bei dem zuständigen U-Ri zu erwirken. Ausführlich Ratner, American Journal of International Law 97 (2003) 889 ff, EUobserver.com vom 3.4.2003, The Guardian (London) vom 3.4.2003, www.orf.at vom 30.7.2003. New York Times vom 22.7.2003. Siehe Sec 6 (a) Universal Jurisdiction Rejection Act, der es dem Präsidenten erlaubt, alle notwendigen Mittel zu ergreifen, um Angehörige des Militärs, der zivilen Verwaltung der USA oder einer ihrer Alliierten aus einer Anhaltung zu befreien, die auf einer Anwendung des Weltrechtsprinzips beruht. Eine entsprechende Befugnis zur Befreiung aus dem Gewahrsam des ICC wurde dem Präsidenten bereits 2002 durch den als Hague Invasion Act bezeichneten American Servicemembers Protection Act eingeräumt. Loi relative aux violation graves du droit humanitaire (Act Concerning the Punishment of Grave Breaches of International Humanitarian Law) Moniteur belge v 7.8.2003, abrufbar unter http://www.juridat.be/cgi_loi/legislation.pl, dazu ausführlich Reydams, 1 J. Int’l Crim. Just. (2003) 684 ff, Ratner, American Journal of International Law 97 (2003) 891 f. BGH NStZ 1999, 236; 1999, 396, jeweils mit Literatur- und Judikaturnachweisen, vgl Staudinger, NJW 1999, 3099 f, ablehnend Eser, in Meyer-Gossner FS 4 ff. Für Oehler, NStZ 1994, 485 reicht auch der inländische Wohnsitz des Täter noch nicht aus.
Auslieferung und Strafgewalt
35
nunmehr, zumindest hinsichtlich der Strafgewalt nach § 6 Z 9 dStGB – die als Generalklausel die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Auslandstaten begründet, deren Verfolgung durch zwischenstaatliche Abkommen verpflichtend ist – von dieser strikten Auffassung zögerlich abgehen zu wollen.196 Der Großteil der Lehre lehnt diesen Anknüpfungspunkt ab.197 Inzwischen hat sich zudem insofern eine gesetzliche Änderung ergeben, als das im Zuge der Ratifikation des ICC-Statuts geschaffene deutsche Völkerstrafgesetzbuch198 (VStGB) für die Verfolgung der core crimes und damit auch für Völkermord keinen inländischen Anknüpfungspunkt mehr verlangt. Denn dieses Gesetz gilt gem § 1 VStGB ausdrücklich auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist.199 Die zuvor in § 6 Z 1 dStGB geregelte Strafgewalt über Völkermord ergibt sich nunmehr aus dem VStGB. Auch nach neuseeländischem Recht erstreckt sich die Strafgewalt auf die in den Geltungsbereich des ICC fallenden core crimes unabhängig vom inländischen Ergreifungsort des Täters.200 Diese Änderung erfolgte im Zuge der Ratifizierung des ICC-Statuts, ähnlich dem deutschen Recht. Wie bereits erwähnt, hat Kanada anlässlich der Ratifikation nicht diesen Weg gewählt, denn der inländische Ergreifungsort ist Voraussetzung für die Gerichtsbarkeit. Das österreichische Recht verlangt in § 64 StGB, der die Strafgewalt aufgrund des Weltrechtrechts- und des Schutzprinzips verankert, grundsätzlich einen inländischen Anknüpfungspunkt. Dieser kann in der Verletzung österreichischer Interessen, dem österreichischen Täter oder Opfer sowie der Unmöglichkeit der Auslieferung (und daher der Anwesenheit in Österreich) abgeleitet werden. Einzig § 64 Abs 1 Z 6 StGB, der die österreichische Straf196
197
198 199
200
BGH NJW 2001, 2732: „Der Senat neigt jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr 9 StGB, solche zusätzlichen legitimierenden Anknüpfungstatsachen für nicht erforderlich zu halten ... Der Senat braucht diese Frage auch jetzt nicht abschließend zu entscheiden.“ Dazu ausführlich Wirth, International Criminal Law in Germany 5 insb FN 18, veröffentlicht im Internet unter http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/ onlinepub/Ottawa.pdf. Eser, in Meyer-Gossner FS 4 ff, ders, in Schönke/Schröder, StGB27 § 6 Rz 1, Ambos, NStZ 1999, 227, ders NStZ 1999, 405 f, Kreß, NStZ 2000, 624, Satzger, NStZ 2002, 131, Schwaighofer, Auslieferung 74, ablehnend jedenfalls hinsichtlich der Verbrechen, die unter die Gerichtsbarkeit des ICC fallen, auch Triffterer, in Roxin FS 1444 . dBGBl I 2002, 2254. Dazu ausführlich Wirth, International Criminal Law in Germany 8 f, veröffentlicht im Internet unter http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/onlinepub/Ottawa.pdf, Ambos, NStZ 2006, 434 ff, Weigend, in Eser FS 959, siehe auch Hoyer, GA 2004, 323. Part 2, Section 8, (1) (c) (iii) International Crimes and International Criminal Court Act 2000 (2000 No 26).
36
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
gewalt iSe Generalklausel begründet, wenn Österreich zur Verfolgung verpflichtet ist, sieht zumindest nach dem Wortlaut keinen legitimierenden Anknüpfungspunkt vor. Da die Völkermordkonvention in Art 6 keine ausdrückliche universelle Verpflichtung zur Strafverfolgung vorsieht, sondern eine Verfolgung durch den Tatortstaat bzw einen internationalen Gerichtshof vorschreibt, lehnt die hM in Österreich eine auf § 64 Abs 1 Z 6 StGB gestützte Verfolgung von Völkermord ab.201 Sie soll vielmehr insb in den Anwendungsbereich der stellvertretenden Strafrechtspflege gem § 65 Abs 1 Z 2 StGB fallen. Aber auch die Autoren, die die Strafgewalt über Völkermord nach der Völkermordkonvention in § 64 Abs 1 Z 6 StGB begründet sehen, verlangen einschränkend die Verletzung österreichischer Interessen oder die Anwesenheit des Täters im Inland und begründen dies mit einer teleologischen Auslegung.202 Die Ratifikation des ICC-Status hat in Österreich zu keiner Neuregelung der Strafanwendungsnormen geführt, die gesetzlich nicht vorgesehene teleologische Einschränkung auf einen legitimierenden Anknüpfungspunkt ist aber in Anbetracht der folgenden Ausführungen abzulehnen.203 Der International Court of Justice (ICJ) setzte sich mit dieser Frage bisher noch nicht auseinander. Einen Anlassfall hätte das Verfahren Democratic Republic of the Congo v Belgium204 geboten. Da die Republik Kongo diesen Fragenkomplex aus ihrem ursprünglichen Vorbringen herausgenommen hatte, musste der Gerichtshof dazu nicht mehr Stellung nehmen: In diesem Fall hatte ein belgischer Richter gegen den amtierenden Außenminister Kongos wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Haftbefehl in absentia und ohne sonstigen inländischen Anknüpfungspunkt ausgestellt. Kongo klagte daher vor dem ICJ, wobei das erste Vorbringen einerseits die Frage enthielt, ob das auf dem Weltrechtsprinzip basierende Strafanwendungsrecht Belgiens völkerrechtswidrig sei, andererseits, ob der Haftbefehl die Immunität verletze. Letztendlich brachte Kongo nur die Immunitätsverletzung vor, welche in der Folge vom Gericht bestätigt wurde.205 Aus der Entscheidung selbst könnte dennoch insofern eine mögliche Bestätigung der Völkerrechtskonformität des belgischen Strafanwendungsrechts abgeleitet werden, als das Vorliegen der Gerichtsbarkeit grundsätzlich not-
201
202
203 204
205
Mayerhofer, JBl 1994, 568, Kathrein, in WK2 Vorbem zu §§ 62–66 Rz 10, Brandstetter/Hafner, in WK2 § 321 Rz 57, Liebscher, in WK § 321 Rz 33. Triffterer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 321 Rz 105, Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 64 Rz 49 f. Siehe auch Triffterer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 321 Rz 105. (Arrest Warrant of 11 April 2000), vom 14.2.2002. Das Urteil ist unter http://www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm abrufbar. Siehe dazu Kreß, ZStW 114 (2002) 818 ff. Zur Immunität siehe unten Abschnitt 1.III.C.2.
Auslieferung und Strafgewalt
37
wendige Voraussetzung für die Beurteilung der Immunitätsfrage ist.206 Ein Blick auf die von 10 Richtern getroffenen Sondervoten zeigt eine Tendenz zur Anerkennung der Völkerrechtskonformität der belgischen Ausübung des unbeschränkten Weltrechtsprinzips.207 Der deutsche BGH begründete die Notwendigkeit des Anknüpfungspunktes bisher einerseits mit dem völkerrechtlichen Gebot der Nichteinmischung und andererseits mit praktischen Überlegungen, da die Strafjustiz ohne inländischen Bezug schnell überfordert würde,208 wobei nur das praktische Element – nicht aber das völkerrechtliche – zu überzeugen vermag. Die Verfolgung vieler Angriffe auf universell geschützte Rechtgüter würde die Ressourcen eines Staates tatsächlich zwangsläufig überfordern. Daher ist die Heranziehung von Kriterien verständlich, anhand derer die Strafverfolgungsorgane eine Auswahl im Rahmen des Legalitätsprinzips treffen können. Die andere Möglichkeit besteht in der Lockerung des Legalitätsprinzips, dh in der Schaffung eines „Opportunitätsfilters“.209 Die Kompetenz zur Festlegung dieser Kriterien steht aber jedem Staat selbst zu. Dabei sollte gesichert sein, dass keine negativen Kompetenzkonflikte entstehen, die dazu führen, dass sich kein Staat für die Verfolgung zB eines Völkermordes zuständig erachtet. Das völkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip wird durch die Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip ohne den vom BGH geforderten legitimierenden inländischen Bezug aber nicht verletzt, jedenfalls soweit es sich um die klassischen – oben aufgezählten – ius cogens crimes wie Folter, Sklaverei und Piraterie bzw core crimes (Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit), also die schwersten Menschenrechtsverletzungen handelt. Die Legitimation zur Verfolgung dieser Taten durch jeden Staat ergibt sich gerade aus dem ihnen zugrunde liegenden Rechtsgut, nämlich dem völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte.210 Die Tatbestände stellen eine Gefahr für den Frieden und die Sicherheit der gesamten Menschheit dar.211 Es handelt sich daher um übernationale Rechtsgüter, deren Sicherung nicht nur für die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Staatengemeinschaft, sondern damit auch für das Bestehen jedes 206 207
208
209
210 211
Bekker, ASIL Insights, www.asil.org/insights/insigh82.htm. 5 gegen 4 Richter sprachen sich für die Völkerrechtskonformität aus, ein weiterer stellte zumindest eine Tendenz in diese Richtung fest; zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den Voten siehe Kreß, ZStW 114 (2002) 820 ff. NStZ 1999, 236; 1999, 396, siehe Eser, in Trechsel FS 228 ff, ders, in MeyerGossner FS 14 ff. Diesen Begriff verwendet Kreß, NStZ 2000, 625, übereinstimmend Weigend, in Eser FS 963 f. So auch Satzger, NStZ 2002, 131, Eser, in Trechsel FS 232 ff. Bassiouni, in International Criminal Law 42, Weigend, in Eser FS 965, ausführlich in Bezug auf die einzelnen Tatbestände siehe 971 ff, Ambos, NStZ 1999, 405.
38
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
einzelnen Staates selbst notwendig ist. An deren Erhaltung haben alle Staaten ein gemeinsames Interesse, daher müssen Verstöße dagegen auch in dem Sinne gemeinsam verfolgt werden, dass jeder einzelne Staat dazu legitimiert ist. Ambos bringt treffend das Spiegelargument vor: Da die Achtung grundlegender Menschenrechte gerade nicht zur domaine reserve der einzelnen Nationalstaaten gehöre, sondern der Weltgemeinschaft als Ganzes obliege, könne das Nichteinmischungsgebot hier nicht zur Anwendung gelangen. Denn dieses gelte naturgemäß nur in den Bereichen, die das Völkerrecht der alleinigen Regelung der einzelnen Staaten überlässt.212 Er stellt darüber hinaus fest, das die Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte ein völkerrechtliches Delikt begründet, das jeden Staat zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen berechtige, wenn nicht sogar verpflichte.213 Die nationale Strafverfolgung eines solchen Verbrechens ist die geeignete und damit notwendige (va auch gewaltlose) Gegenmaßnahme. Das bedeutet, dass ein Staat, der entsprechende Ressourcen frei hat, die Strafverfolgung aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten übernehmen darf bzw – je nach Ausformung des Legalitätsprinzips – übernehmen muss. Eine Verletzung fremder Souveränität liegt nicht vor. Naturgemäß kann ein positiver Kompetenzkonflikt entstehen, wenn sich zwei Staaten bei der Ausübung ihrer Strafgewalt auf das Weltrechtsprinzip berufen. Doch ist dies bei Zugrundelegung eines der anderen Prinzipien gleichwohl möglich. So führt die an das Territorialitätsprinzip anknüpfende Zuständigkeit zweier Staaten zu Überschneidungen, wenn sowohl der Staat des Handlungsortes als auch der des Erfolgseintrittes verfolgen wollen bzw wenn bei Dauerdelikten die Handlung in beiden Staaten gesetzt wurde. Bei konkurrierender Gerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips sind die Anknüpfungspunkte beider Staaten gleichwertig. Berufen sich zwei Länder auf das Weltrechtsprinzip, so können ihre inländischen Bezugspunkte zur Tat verschieden gewichtig sein. Die Legitimierung der Strafgewalt ergibt sich aus der Beschaffenheit des Rechtsgutes, ein weiterer Anknüpfungspunkt kann, muss aber – wie oben ausgeführt – nicht vorliegen. Sinnvoll könnte daher die Einführung eines Regelungsmechanismus sein. Weist ein Aspekt der Tat (Tatort, Aufenthaltsort des Täters oder des Opfers, Staatsbürgerschaft usw) zu einem Staat einen zusätzlichen inländischen Anknüpfungspunkt auf, so sollte dieser vorrangig zur Verfolgung berechtigt und eine weitere Verfolgung durch einen anderen Staat wegen des ne bis in idem Grundsatzes214 unzulässig sein. Dies setzt aber voraus, dass der vorrangig zuständige Staat ein demokratischer Staat mit einem fairen Rechtssystem ist. Andernfalls ist dieser Verfolgung nicht der Vorrang einzuräumen. Hat
212 213 214
Ambos, NStZ 1999, 227, NStZ 1999, 405. So auch Bassiouni, in International Criminal Law I 39 (obligatio erga omnes). Dazu unten Abschnitt 1.II.B.
Auslieferung und Strafgewalt
39
dort schon eine Verfolgung stattgefunden, so wäre von der Geltung des ne bis in idem Grundsatzes (ähnlich der Regelung des Art 10 § 2b ICTY, Art 9 § 2b ICTR bzw Art 20 ICC) bei rechtsmissbräuchlichen Verfahren eine Ausnahme zu machen: Diente die (Nicht)-Verfolgung nur dem Schutz des Täters, so wäre das Verfahren nicht anzuerkennen. Hier ist natürlich ein strenger Maßstab anzulegen. Es bestehen daher die zwei Möglichkeiten, dass entweder ein Regelungssystem mit festen Vorrangregeln gewählt oder das Legalitätsprinzip hinsichtlich der Auslandstaten gelockert wird, um den Anklagebehörden eine Abwägung zu ermöglichen. Dieser Regelungsmechanismus müsste in die Strafanwendungs- oder Prozessnormen der Staaten übernommen werden, die für die Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip keinen inländischen Anknüpfungspunkt verlangen. Der Vorschlag kommt einer Subsidiaritätsklausel nahe, soll aber nicht als stellvertretende Strafrechtspflege verstanden werden. Denn die Gerichtsbarkeit als stellvertretende Strafrechtspflege setzt eine idente Norm und damit Strafbarkeit am Tatort voraus.215 Die Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip verlangt dies aber gerade nicht, da sie wegen der Beschaffenheit des geschützten Rechtsgutes originär besteht. Das im Zuge der Umsetzung des Romstatuts des ICC ergangene deutsche Völkerstrafgesetzbuch216 geht diesen Weg sehr elegant in Verbindung mit den Bestimmungen der dStPO. Das VStGB legt eingangs fest, dass sich die deutsche Strafgewalt auf die core crimes unabhängig von einem Anknüpfungspunkt universal erstreckt. Daneben wurde durch § 153f dStPO ein prozessualer Regelungsmechanismus eingeführt, der die Ausübung der Strafgewalt unter Berücksichtigung einerseits der Knappheit der eigenen Ressourcen und andererseits der Souveränität anderer Staaten beschränkt. Die StA kann demnach von der Verfolgung absehen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind, der Täter sich nicht im Inland aufhält und dieser Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist oder wenn die Sache von einem internationalen Gericht verfolgt wird; ebenso wenn der Tatortstaat, der Heimatstaat des Täters oder der des Opfers die Sache verfolgen.217 Eine Lockerung des Legalitätsprinzips hinsichtlich aller Auslandstaten ist zudem in § 153c Abs 1 und Abs 3 dStPO verankert: Dem StA wird einerseits die Möglichkeit eröffnet, von der Verfolgung abzusehen, wenn die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf dem Territorialitätsprinzip beruht, dh weder Handlung noch Erfolg im Inland gesetzt wurden (Abs 1 Z 1),218 andererseits ist der Verfolgungsverzicht trotz territorialer Zuständigkeit ebenso 215 216 217
218
Pappas, Strafrechtspflege 10. dBGBl I 2002, 2254. Dazu ausführlich Wirth, International Criminal Law in Germany 8 f, veröffentlicht im Internet unter http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/onlinepub/Ottawa.pdf, ebenso Ambos, NStZ 2006, 424 ff, Kreß, ZStW 114 (2002) 845 ff. Thomas, Einmaligkeit 42.
40
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
möglich, wenn zwar der Erfolg im Inland eintrat, aber die Tathandlung im Ausland gesetzt wurde (Abs 3). Daneben berechtigt ua die inländische Beteiligung an einer Auslandstat zum Absehen von der Verfolgung (Abs 1 Z 1).219 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass eine auf dem Weltrechtsprinzip basierende Strafverfolgung ohne (zusätzlichen) legitimierenden inländischen Anknüpfungspunkt nicht gegen das völkerrechtliche Nichteinmischungsgebot verstößt.220 Die Beschränkung des Prinzips auf Fälle, die einen Bezug zum Inland aufweisen, eine Lockerung des Legalitätsprinzips oder/ und die Schaffung eines Regelungsmechanismus können Konflikte verhindern. Dabei ist aber auch zu bedenken, dass die einzelnen Staaten ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Verfolgung von Verletzungen der grundlegendsten Menschenrechtsverbrechen nachkommen sollten. Negative Kompetenzkonflikte müssen vermieden werden. Hinsichtlich der anderen Tatbestände, die (noch) nicht als ius cogens crimes qualifiziert werden, die zwar übernationale Rechtsgüter schützen und eine gewisse Schwere aufweisen, deren universale Verfolgung aber noch nicht ausreichend durch internationale Instrumente oder Gewohnheitsrecht legitimiert ist, wie zB Missbrauchstatbestände, Kinderpornographie, Drogendelikte, ist das Vorliegen eines weiteren Anknüpfungspunktes – wie zB des inländischen Aufenthaltsorts des Täter – zu fordern.221 Die Tatbestände sollten eine gewisse Schwere aufweisen, da das Weltrechtsprinzip zu einer Verfolgung unabhängig von der lex loci berechtigt: Es ist daher an eine Strafdrohung (mit einer Obergrenze) von mindestens 5 Jahren zu denken. Damit wären ua die Kriminelle Organisation gem § 278a StGB, die Terroristische Vereinigung gem § 278b StGB und die Terrorismusfinanzierung gem § 278d StGB umfasst sowie die schwerwiegenden Sexualdelikte gem § 201 ff StGB, nicht aber die Tatbestände nach §§ 207a Abs 1 und 207b StGB etc. Insofern kann die universale Gerichtsbarkeit in zwei Bereiche unterteilt werden, einerseits in ein absolutes Weltrechtsprinzip, aufgrund dessen die Verfolgung ohne inländischen Anknüpfungspunkt erfolgt, und ein abgeleitetes oder bedingtes Weltrechtsprinzip, das die Anwesenheit des Täters im Inland als Bedingung voraussetzt. In diese Richtung lässt sich auch das Sondervotum mehrerer Richter des ICJ zur Entscheidung Democratic Republic of
219
220 221
Siehe zu diesen Überlegungen auch Kreß, NStZ 200, 625, der eine „prozessuale Flankierung des Weltrechtsprinzips im Sinne des Subsidiaritätsprinzips“ vorschlägt. Zum Komplex Territorialitätsprinzip und Beteiligung in Österreich siehe unten Abschnitt 1.II.A.3.1. Vgl auch Cassese, EJIL Vol 13 (2002) 857 f. Eine solche Regelung sieht zB das belgische Recht in Art 10ter des Preliminary Title of the Code of Penal Procedure vor, dazu Reydams, Criminal Law Forum 11 (2000) 198.
Auslieferung und Strafgewalt
41
the Congo v Belgium (Arrest Warrant of 11 April 2000) interpretieren.222 Davon ist das Institut der stellvertretenden Strafrechtspflege zu trennen, wonach das nationale Forum stellvertretend für ein anderes verfolgt, vorausgesetzt dass die Tat auch am Tatort strafbar war, sich der Täter im Inland befindet und an das Ausland nicht ausgeliefert werden kann.223 2.6. Stellvertretende Strafrechtspflege – vicarious administration of justice Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege liegt in der Solidarität der Staaten bei der Verbrechensbekämpfung begründet. Es soll verhindern, dass Taten ungestraft bleiben. Der Anknüpfungspunkt zum Inland ergibt sich aus dem inländischen Betretungsort. Die inländische Strafgewalt gründet sich diesfalls nicht auf eines der anerkannten Prinzipien der Gerichtsbarkeit, sondern besteht subsidiär zur Auslieferung. Sie liegt daher nur vor, wenn die Auslieferung nicht möglich ist, wobei der Grund dafür, jedenfalls nach deutschem und österreichischem Recht, keine Rolle spielt,224 solange die Tat nach ihrer Art und Eigenschaft auslieferungsfähig ist. Das bedeutet, dass die Tat auch am Tatort strafbar sein muss.225 Ergänzend sieht das österreichische Recht eine lex mitior Klausel vor, nach der auch das mildere ausländische Strafmaß zu berücksichtigen ist. Eine entsprechende Regelung besteht nach deutschem Recht nicht, wird aber vielfach gefordert.226 Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege wird auch mit dem Grundsatz „aut dedere aut punire“ bzw „aut dedere aut judicare“ umschrieben.227 Es ist in den kontinentaleuropäischen Staaten vorherrschend. Die meisten Strafanwendungsnormen enthalten eine entsprechende Generalklausel. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis spielt es eine nur untergeordnete Rolle. Vor allem in den USA wird die sich aus der Nichtauslieferung ergebende nationale Strafgewalt kaum befürwortet.228
222
223
224
225 226 227
228
Judges Hivins, Kooijmans and Buergenthal, joint separate opinion, abrufbar unter http://www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm. Ebenso Kreß, ZStW 114 (2002) 844. aM Judge Guillaume, der eine Gerichtsbarkeit unabhängig vom Anknüpfungspunkt nur bei der Verfolgung der Piraterie anerkennt und ansonsten auf die stellvertretende Strafrechtspflege verweist (separate opinion Punkt 16), abrufbar unter http://www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm. Vgl Hamadi Fall, BGH NJW 1991, 3104 = NStZ 1991, 525, dargestellt in Pappas, Strafrechtspflege 39 f. Zur stellvertretenden Strafrechtspflege ausführlich Pappas, Strafrechtspflege 9 ff. Nachweise bei Pappas, Strafrechtspflege 11. Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 66, Bassiouni/Wise, Aut Dedere Aut Judicare, 1 ff, Wise, in Bassiouni International Criminal Law II 17 ff. Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 66 f. Zur Veranschaulichung siehe den Fall Hamadi, BGH NJW 1991, 3104 = NStZ 1991, 525, dargestellt in Pappas, Strafrechtspflege 39 f.
42
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass das maßgebliche Kriterium der stellvertretenden Strafrechtspflege das tatsächliche Einverständnis des originär zuständigen Staates sei.229 Weder das österreichische Recht (§ 65 Abs 2 StGB) noch das deutsche (§ 7 Abs 2 Z 2 dStGB) erfüllt diese Voraussetzung.230 Nach deutschem Recht ist ein Auslieferungsanbot an die originär zuständigen Staaten nicht notwendig. § 28 ARHG verpflichtet zwar zum Auslieferungsanbot, aber nur an den Tatortstaat (und nicht an andere originär zuständige Länder) und nur, wenn der StA zur Annahme gelangt, dass Anlass für eine Auslieferung besteht. Zudem kann der BMJ von diesem Anbot mangels Gegenseitigkeit oder wegen wesentlicher Interessen der Republik Österreich absehen,231 wobei er politische Erwägungen wie ua Sicherheitsüberlegungen zu berücksichtigen hat.232 In beiden Rechtsordnungen kann es daher vorkommen, dass stellvertretend für einen anderen Staat ohne dessen Einverständnis bzw sogar gegen dessen Willen verfolgt wird.233 2.7. Regelungsmechanismen für konkurrierende Strafgewalten Durch die verschiedenen völkerrechtlich zulässigen Anknüpfungskriterien kann eine Vielzahl von Staaten zur Verfolgung eines Verhaltens berechtigt sein. Durch die Öffnung der Grenzen und die wachsende Mobilität der Menschen steigt die Zahl der Fälle mit internationalem Bezug. Daher wurden Wege angedacht, diese Konflikte zu beseitigen.234 Als zielgerichteter Weg erscheint auf den ersten Blick die Beschränkung der nationalen Strafgewalten auf ein (eng ausgelegtes) Territorialitätsprinzip. Dies führte zu klar abgrenzbaren internationalen Strafkompetenzen und zur Verminderung von Überschneidungen. Auch ist dem Territorialitätsprinzip aus Gründen der Wahrheitsfindung und damit der Einzelfallgerechtigkeit der Vorzug zu geben. Am Tatort ist die Unmittelbarkeit der Beweismittel am ehesten gegeben. Doch können Konflikte auch damit nicht ausgeschlossen werden. Bei Dauer- und Distanzdelikten und der weiten Auslegung des Territorialitätsprinzips dahingehend, dass ein Effekt der Tat im Inland genügt,235 kommt es wiederum zu Überschneidungen. Zudem bleibt die Selbstbeschränkung der Staatengemeinschaft auf die bloße Anerkennung des Territorialprinzips eine Utopie. Zum einen ist die Erstreckung der Strafgewalt auf extraterritoriale Handlun229 230
231 232 233
234
235
Pappas, Strafrechtspflege 98, 156. Nach Auffassung von Pappas, Strafrechtspflege 192, sind daher beide Formen völkerrechtswidrig. § 28 Abs 1 iVm § 2 und § 3 ARHG. Siehe dazu unten Abschnitt 1.VI.F.1. und Abschnitt 1.VI.F.5. Vgl den deutschen Hamadi Fall, BGH NJW 1991, 3104 = NStZ 1991, 525. Zur stellvertretenden Strafrechtspflege in Österreich siehe unten Abschnitt 1.II.A.3.5. Dazu ausführlich Lagodny, Gerichtskompetenz, Gutachten 42 ff, abrufbar unter http://www.sbg.ac.at/ssk/lago.pdf, Vogler, in Grützner FS 154. Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.A.2.1.
Auslieferung und Strafgewalt
43
gen Ausdruck der staatlichen Souveränität. Zum anderen hat die Besprechung der einzelnen Prinzipien gezeigt, dass die extraterritoriale Strafgewalt vielfach an berechtigte Interessen geknüpft ist. So kann dem Resozialisierungsgedanken durch die Verfolgung und Bestrafung des Täters am Ort seiner stärksten familiären und sozialen Beziehungen am besten entsprochen werden,236 auch entfällt das Sprachproblem, dem ein Täter bei einem Verfahren im fremdsprachigen Ausland unterliegt. Konkurrierende Strafgewalten stellen daher die Realität dar, weshalb andere Regelungsmechanismen notwendig sind. Die Vorschläge reichen von der Einrichtung einer europäischen Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte zur so genannten Vorranglösung, die eine verbindliche Wertung, dh eine Rangfolge der einzelnen Prinzipien vorsieht. Diese Modelle ließen sich bisher nicht durchsetzen. Da die Besprechung aller Vorschläge den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, kann auf das Gutachten von Lagodny verwiesen werden, das die verschiedenen Möglichkeiten ausführlich darlegt.237 ME ist zumindest eine nationale Aufweichung des Legalitätsprinzips bei der Verfolgung von Auslandstaten als Mindeststandard sinnvoll und auch gangbar. Hier kann der im deutschen Recht gewählte fakultative Verfolgungsverzicht des oben genannten § 153c Abs 1 und des Abs 3 sowie des § 153f dStPO als Beispiel hervorgehoben werden.238 Eine vom Ergebnis her ähnliche Bestimmung findet sich in Österreich nur im ARHG und zwar in § 16 Abs 2 Z 2, der die Auslieferung trotz österreichischer Gerichtsbarkeit aus besonderen Gründen zulässt. Diese Bestimmung ist schon insofern notwendig, als das österreichische Auslieferungsrecht die Auslieferung grundsätzlich verbietet, wenn österreichische Strafgewalt gegeben ist. Die Möglichkeit der Auslieferung besteht auch bei einer auf dem Territorialitätsprinzip beruhenden Strafgewalt des ersuchten Staates, wobei die besonderen Gründe insb der Wahrheitsfindung in diesen Fällen sehr selten sein werden. ME ist es dennoch zielführend, bereits die Verfolgungspflicht bei Vorliegen besonderer Gründe zu beschränken. Konkurrierende Strafgewalten der Staaten führen aber nicht nur zu Staatenkonflikten, sondern haben insb das kriminalpolitisch unerwünschte und resozialisierungsfeindliche Ergebnis, den Betroffenen einer mehrfachen Verfolgung und Verurteilung auszusetzen. Va im europäischen Raum wird daher zunehmend versucht, die Folgen der Kompetenzkonflikte abzuschwächen bzw abzuschaffen. Zur Beseitigung der mehrfachen Strafverbüßung als Konsequenz der mehrfachen Verurteilung enthalten die einzelnen Rechtsordnungen Anrechnungsbestimmungen, wonach eine im Ausland verhängte 236 237
238
Linke, in Grützner FS 88. http://www.sbg.ac.at/ssk/lago.pdf, es wurde im Auftrag des deutschen BMJ 2001 erstellt. Abschnitt 1.II.A.2.5.
44
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Strafe oder Haft auf die inländische Verurteilung anzurechnen ist.239 Dies alleine ist nicht ausreichend. Der mehrfachen Strafverfolgung einer Tat sollte durch die Übernahme der Strafverfolgung und insb durch die Anerkennung eines internationalen ne bis in idem, das im Auslieferungsverfahren als zwingender Ablehnungsgrund zu berücksichtigen ist, Einhalt geboten werden. Die Beschränkung der inländischen Gerichtsbarkeit durch den ne bis in idem Grundsatz wird im folgenden Kapitel dargestellt.240 Eine Besprechung des Doppelverfolgungsverbotes als Auslieferungshindernis findet anlässlich der Besprechung der Auslieferungshindernisse statt.241 Eine klare Vorrangregel wird sich weltweit nicht durchsetzen lassen. Das gelockerte Legalitätsprinzip und die umfassende Verankerung des ne bis in idem Prinzips vermögen das vorgelagerte Konkurrenzproblem zwar nicht zu lösen, bieten aber zumindest eine Verminderung der auftretenden Problemsituationen. Innerhalb der EU wurde im Zuge des RB-HB kein klarer Regelungsmechanismus geschaffen, das Konkurrenzproblem daher nicht gelöst. Eine Wertung der Strafgewalten wurde zumindest insofern getroffen, als der RBHB dem Territorialitätsprinzip des Vollstreckungsstaates den Vorrang einräumt, da diesfalls ein (fakultatives) Vollstreckungshindernis besteht. Kommt dem Vollstreckungsstaat ein extraterritorialer Strafanspruch zu, so ist die Übergabepflicht aufgehoben, wenn der Vollstreckungsstaat bereits ein Verfahren eingeleitet hat, oder beschlossen hat, kein Verfahren einzuleiten bzw dieses Verfahren einzustellen.242 Eine Abwertung des aktiven Personalitätsprinzips kann darin gesehen werden, dass die Übergabe eigener Staatsbürger grundsätzlich verpflichtend ist.243 Daneben sieht der RB-HB in Art 16 eine Bestimmung vor, die als Leitfaden für den Umgang mit Mehrfachersuchen dient, aber keine klare Vorrangregel aufstellt. Der Vollstreckungsstaat hat diesfalls „unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände“ zu entscheiden. Dazu zählen insb die Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt der Haftbefehlserlassung, und der Zweck des Haftbefehls, dh ob er zur Strafverfolgung, oder -vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde. In jenen Fällen, in welchen die Mehrfachersuchen wegen derselben Tat gestellt wurden, sollte insofern eine Vorrangregelung eingeführt werden, als Zuständigkeiten nach dem Territorialitäts- und darauf folgend nach dem Nationalitätsprinzip vorrangig zu berücksichtigen sind, außer besondere Gründe sprechen für ein Absehen
239 240 241 242 243
Siehe zB § 66 StGB, § 51 Abs 3 dStPO. Abschnitt 1.II.B. Abschnitt 1.IV.B. Zum Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt siehe unten Abschnitt 2.III.A. Zu den Beschränkungen der Übergabepflicht hinsichtlich eigener Staatsbürger siehe unten Abschnitt 2.III.C.5.1.
Auslieferung und Strafgewalt
45
von dieser Wertung. Nunmehr liegt ein Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren auf.244 Darin wird ein Verweisungssystem vorgeschlagen, nachdem der Fall dem am besten geeigneten Gericht zugewiesen wird. Das setzt die Pflicht zur gegenseitigen Information und Kontaktaufnahme voraus. Schließlich soll auf EU-Ebene entweder ein Mediationsgremium zur allfälligen Streitschlichtung oder aber ein Gremium zur verbindlichen Entscheidung über die Zuständigkeit geschaffen werden. Inhaltliche Wertungen sieht das Grünbuch noch kaum vor. 3. Österreichische Strafgewalt Der örtliche Geltungsbereich des österreichischen Strafrechts ist in den §§ 62 ff StGB geregelt. Eine ausführliche Untersuchung und Besprechung der einzelnen Bestimmungen soll unterbleiben, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengte. Es wird jedoch im Folgenden ein Überblick über die Verankerung der oben dargestellten Prinzipien in die österreichischen Strafanwendungsnormen gegeben. Im StGB findet sich die grundsätzliche Unterteilung in den territorialen Strafanspruch, der in den §§ 62 f StGB geregelt ist (strafbare Handlungen im Inland), und den extraterritorialen, den die § 64 und § 65 StGB normieren (strafbare Handlungen im Ausland). 3.1. Territorialitätsprinzip Die Grundlage der österreichischen Strafgewalt bildet das Territorialitätsprinzip. Sie erstreckt sich gem §§ 62 und 63 StGB auf alle Taten, die in Österreich oder auf einem in Österreich registrierten Schiff oder Flugzeug (Flaggenprinzip) begangen wurden. Ein inländischer Tatort liegt gem § 67 Abs 2 StGB vor, wenn der Täter dort seine Handlung setzte bzw hätte handeln sollen (Unterlassungsdelikt) oder der Erfolg dort eintrat oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen (Versuch). Treten Handlung und Erfolg (zumindest nach Vorstellung des Täters) in verschiedenen Ländern auf, so begründet dies die primäre Strafgewalt mehrerer Länder. Den verschiedenen sich daraus ergebenden Problemstellungen hat sich Schwaighofer245 ausführlich gewidmet, weshalb im Folgenden nur besondere Punkte herausgegriffen werden. Insbesondere bei mehraktigen246 (zB §§ 142, 201 StGB) oder fortgesetzten Delikten bzw bei Dauerdelikten248 kann die primäre Zuständigkeit 247
244 245 246 247
248
KOM (2005) 696 endgültig, vom 23.12.2005. Schwaighofer, Auslieferung 64 ff. Fuchs, AT6 10. Kap Rz 57. Siehe Venier, Fortsetzungszusammenhang 7 ff, Schmoller, in Leitner, Finanzstrafrecht 53 ff, ders, Fortgesetztes Delikt 51, ders, RZ 1989, 207 ff, ders, ÖJZ 1987, 323 ff. Fuchs, AT6 10. Kap Rz 63 f.
46
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
mehrerer Länder entstehen. Für die österreichische Strafgewalt reicht bereits die Begehung eines Aktes einer Einzelhandlung bzw einer Phase im Inland.249 Der inländische Tatort liegt zB bei einer im Ausland begonnenen und im Inland fortgesetzten Freiheitsentziehung vor. Die inländische Strafgewalt umfasst dann jeweils das Gesamtgeschehen, worunter auch die im Ausland gesetzten Handlungen bzw der Erfolg fallen. Österreich hat die gesamte Tat zu verfolgen, eine Aburteilung250 verbraucht damit den Strafanspruch über die gesamte Tat. Eine folgende Auslieferung an andere primär zuständige Staaten wäre daher nach § 16 Abs 3 ARHG unzulässig. Die anderen ebenfalls zuständigen Länder haben die österreichische Entscheidung unter Zugrundelegung des ne bis in idem Grundsatzes anzuerkennen,251 weshalb eine Verfolgung unzulässig ist, wenn sich der Täter später auf ihrem Hoheitsgebiet aufhalten sollte. Anstatt selbst zu verfolgen, könnte Österreich den Täter allerdings an ein anderes primär zuständiges Land ausliefern, wenn besondere Gründe, insb der Wahrheitsfindung, Strafbemessung oder Vollstreckung dafür sprechen. Davon sind die sog Transitverbrechen252 zu unterscheiden, bei denen in Österreich kein Zwischenerfolg, sondern nur eine Zwischenursache gesetzt, es daher nur als Transitland tangiert wird, ohne dass der Transport oder der Besitz einer Sache unter eine dem Wortlauttatbestand entsprechende Ausführungshandlung subsumiert werden könnte. Fuchs verwendet folgendes Beispiel für ein Transitverbrechen: Der Täter schickt eine Briefbombe von München nach Verona, wobei diese über Innsbruck transportiert wird. Für diesen (versuchten) Mord besteht keine österreichische Strafgewalt. Wird die Bombe in Innsbruck entdeckt, so sind weder Handlung noch Erfolg in Innsbruck eingetreten bzw hätten dort eintreten sollen. Denn der Transport der Bombe mit der Post stellt keine tatbestandsmäßige Ausführungshandlung des Täters dar, weshalb tatsächlich keine österreichische Strafbarkeit gegeben wäre. Der in Österreich aufhältige Täter wäre an Deutschland (oder an Italien) auszuliefern253: Die Aufgabe der Bombe in Deutschland ist als eine ausführungsnahe Handlung zu werten, da sie nach dem Zwischenschritt „Transport durch Österreich“ direkt in die Explosion der Bombe und damit in die Ausführungshandlung „töten“ übergehen soll. Daraus ergibt sich die deutsche Strafgewalt nach dem Territorialitätsprinzip. Wegen des Ortes des geplanten Erfolgseintrittes sind auch die italienischen Gerichte zuständig. 249 250
251 252
253
Schwaighofer, Auslieferung 65, Kathrein, in WK2 § 67 Rz 3 f, 6. Welche anderen gerichtlichen oder staatsanwaltlichen Entscheidungen den Strafanspruch verbrauchen wird unten Abschnitt 1.II.B.1.1. dargestellt. Zum ne bis in idem Grundsatz unten Abschnitt 1.II.B. Fuchs, AT6 5. Kap Rz 23, Kathrein, in WK2 § 67 Rz 5, Triffterer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 67 Rz 9, Kienapfel/Höpfel, AT11 Z E 11 Rz 6. Falls sich die primäre Zuständigkeit Österreichs nicht aus einem anderen Anknüpfungspunkt ergibt.
Auslieferung und Strafgewalt
47
Transportiert nun der Täter selbst die Bombe über Österreich nach Italien, so liegt zwischen dem Transport der Bombe und ihrer Explosion noch die Übergabe der Bombe an den Adressaten als Zwischenschritt. Aufgrund der notwendigen Übergabe ist der Transport nur als Vorbereitungshandlung zu § 75 StGB zu werten ist. Doch macht sich der Täter diesfalls nach § 175 StGB strafbar, der bereits den Besitz und damit auch den Transit von Sprengstoff, wegen seiner Gefährlichkeit, unter Strafe stellt. Somit liegt insofern territoriale Strafgewalt Österreichs vor. Ähnliches gilt auch hinsichtlich der Suchtmitteltransporte. Hier sind nach österreichischem Recht ua Einfuhr, Ausfuhr und Besitz strafbar, weshalb der Transport als solcher als inländische Handlung zu werten ist. Folgendes Beispiel lässt sich anführen: Ein Täter transportiert von Amsterdam über Österreich Suchtgift nach Italien. In der österreichischen Eisenbahn wird er entdeckt. Der Transport durch Österreich stellt eine tatbestandsmäßige Handlung dar, weshalb Österreich ein primärer Strafanspruch zukommt. Ob dies auch für die Versendung des Suchtmittels mit der Post von Amsterdam (über Österreich) nach Italien gilt, ist fraglich. Wird der Brief in Österreich abgefangen, so kann von einer Einfuhr nach Österreich und einer versuchten Ausfuhr ausgegangen werden; ungewiss bleibt, ob sich hier die notwendige subjektive Tatseite auf die Einfuhr nach Österreich nachweisen lässt. Strittig ist in beiden Fällen, ob sich der Strafanspruch dann auch auf die Ausfuhr aus dem bzw die Einfuhr in den anderen Staat und den dortigen Besitz bezieht. Dies ist zu bejahen, wenn die Taten iS eines fortgesetzten Deliktes als Gesamtgeschehen zu werten sind.254 ME ist hier schon deshalb von einer Tat auszugehen, da die Einfuhr eines holländischen Suchtmittels in Italien denknotwendig mit dem Transport durch andere Länder verbunden ist. Gesondert ist noch die Beteiligung Mehrerer an einer Tat zu betrachten. Im Inland gesetzte Beitrags- oder Bestimmungshandlungen zu Auslandstaten sind inländische Tathandlungen, die gem § 67 Abs 2 StGB der österreichischen Gerichtsbarkeit unterliegen. Fraglich ist hier zunächst, ob die österreichische Strafgewalt auch gegeben ist, wenn die Tat des unmittelbaren Täters im Ausland gar nicht strafbar ist und über diese Straftat des unmittelbaren Täters keine österreichische Gerichtsbarkeit nach dem Weltrechts- oder
254
Da die Tat nicht erst durch die – zur Ausfuhr aus dem einen Land – hinzutretende Einfuhr nach Österreich strafbar wird, liegt kein mehraktiges Delikt vor. Die Einfuhr von Suchtgift ist durch die Einfuhrhandlung abgeschlossen, weshalb grundsätzlich auch kein Dauerdelikt vorliegt, dazu Schwaighofer, Auslieferung 65 f, Epp, ÖJZ 1997, 455 f. Der OGH hingegen sieht Ein- und Ausfuhr nicht als Phasen eines Gesamtgeschehens, sondern als sebständige Tathandlungen an, wodurch das Delikt mehrfach verwirklicht wird und dem Täter auch mehrfach zugerechnet werden kann. Er überprüft die Strafgewalt hinsichtlich dieser Tathandlungen gesondert und stützt sie schließlich auf § 64 Abs 1 Z 4 wegen der Verletzung österreichischer Interessen (SSt 52/66=EvBl 1982/56=ZfRV 1982, 211).
48
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
Schutzprinzip besteht, also kein Fall des § 64 StGB vorliegt. Angenommen, eine Frau bittet ihren Arzt um einen Schwangerschaftsabbruch. Dieser lehnt jedoch ab, da die Drei-Monats-Frist bereits verstrichen ist. Er gibt ihr aber den Hinweis, dass die Fristen in bestimmten anderen EU-Staaten länger sind, bzw empfiehlt ihr dort einen Arzt. Sollte sich der Arzt diesfalls gem § 12 2. oder 3. Fall iVm § 96 StGB strafbar gemacht haben? Er weiß um die Straffreiheit im Ausland, aus diesem Grund gibt er der Patientin den Hinweis, er tut dies insb um sich selbst nicht strafbar zu machen. Er hat daher auch keinen Vorsatz, im Täter einen Tatentschluss zu einer strafbaren, tatbildmäßigen Handlung zu wecken. Diese Sachverhaltsvariante ist der Bestimmung zur Begehung eines Wahndeliktes ähnlich, auch diesfalls entstünde keine Strafbarkeit, weder des Bestimmungs- oder Beitragstäters noch des unmittelbaren Täters. Die Strafbarkeit nach österreichischem Recht wäre daher verfehlt. Zudem kommt es, auch nach den Vorstellungen des Täters, zu keiner Rechtsgutsverletzung im Inland. Der umgekehrte Fall ist ausdrücklich in § 64 Abs 1 Z 8 StGB geregelt, der besagt, dass eine im Ausland gesetzte Beteiligungshandlung an einer inländischen Tat der österreichischen Strafgewalt unterliegt und zwar unabhängig von der Strafbarkeit der Beteiligungshandlung im Ausland. Diese unterschiedliche Beurteilung ist sachlich gerechtfertigt. Im Fall des § 64 Abs 1 Z 8 StGB kommt es zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung im Inland, im Fall der im Inland gesetzten Bestimmung zur einer im Ausland straflosen Tat, geschieht dies gerade nicht. Fraglich ist zudem, ob aus der Gerichtsbarkeit über im Inland gesetzte Beteiligungshandlungen auf die inländische territoriale Strafgewalt über die Auslandstat des unmittelbaren Täters geschlossen werden kann. Die in § 64 Abs 1 Z 8 StGB getroffene Einordnung der im Ausland gesetzten Beteiligung an einer im Inland (unmittelbar) begangenen Straftat zeigt, dass der Gesetzgeber diese Handlungen zu den Auslandstaten zählt. Er geht daher nicht davon aus, dass der gesamte Sachverhalt als ein Gesamtgeschehen zu betrachten ist, bei dem zwar die Handlung (Bestimmung oder Beitrag) im Ausland, aber der Erfolg bzw eine weitere Handlung (die durch den unmittelbaren Täter ausgeführte Tat) im Inland erfolgte. Demzufolge dürfte auch hinsichtlich des im Ausland handelnden unmittelbaren Täters trotz Beitrag oder Bestimmung im Inland keine österreichische Strafgewalt nach dem Territorialitätsprinzip bestehen. Die Strafgewalt müsste sich aus einem anderen Prinzip des internationalen Strafrechts ergeben, dh nach § 64 oder § 65 StGB. 3.2. Schutz- und Weltrechtsprinzip In § 64 StGB, der die extraterritoriale Strafgewalt regelt, wurden Schutzprinzip und Weltrechtsprinzip in einer immer umfassender werdenden Bestimmung zusammengefasst und nicht wie in Deutschland in die beiden Kategorien „Auslandstaten gegen inländische“ und „gegen international ge-
Auslieferung und Strafgewalt
49
schützte Rechtsgüter“ unterteilt. Der darauf beruhende Strafanspruch besteht unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort. Dem Schutzprinzip sind etwa die Bestimmungen gegen Hochverrat und andere Angriffe gegen den Staat (§ 242 ff StGB) zuzuordnen, deren Verfolgbarkeit bei extraterritorialer Begehung in § 64 Abs 1 Z 1 StGB verankert ist, ebenso ist die Ziffer 3 darunter zu subsumieren, die dem Schutz der inländischen Gerichtsbarkeit und Verwaltungstätigkeit dient. § 64 Abs 1 Z 4 StGB ist dem Schutz- und Weltrechtsprinzip zuzuordnen und verlangt entweder die Verletzung österreichischer Interessen, oder die Tatsache, dass der Täter nicht ausgeliefert werden kann.255 Auch § 64 Abs 1 Z 2 StGB, der extraterritoriale Straftaten unter die österreichische Gerichtsbarkeit stellt, die jemand gegen einen österreichischen Beamten begeht, bzw von einem solchen begangen wurden, kann dem Schutzprinzip unterstellt werden. Es zeigt sich darin aber auch eine Komponente des aktiven sowie des passiven Personalitätsprinzips.256 Auf dem Weltrechtsprinzip basieren insb die §§ 64 Abs 1 Z 4a und b StGB, wobei jeweils als legitimierender Anknüpfungspunkt die österreichische Staatsbürgerschaft des Täters verlangt wird. Insofern besteht ein Konnex zum aktiven Personalitätsprinzip. § 64 Abs 1 Z 4 a StGB soll insb Sexualstraftaten an Unmündigen unabhängig von der lex loci der österreichischen Strafgewalt unterstellen. Dass die österreichische Strafgewalt im Falle einer im Ausland begangenen und dort nicht unter Strafe gestellten Tat nach § 207b Abs 3 StGB unverhältnismäßig ist, wurde bereits im vorigen Kapitel dargestellt.257 § 64 Abs 1 Z 4 b StGB verankert die Zuständigkeit hinsichtlich der Herstellung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch Österreicher. Daneben beruhen auch § 64 Abs 1 Z 5 (hinsichtlich der Luftpiraterie), Z 9 (hinsichtlich terroristischer Straftaten) und Z 10 (hinsichtlich der Terrorismusfinanzierung) StGB auf dem Weltrechtsprinzip und verlangen für die Gerichtsbarkeit einen inländischen Anknüpfungspunkt.258
255
256 257 258
Dazu Kathrein, in WK2 § 64 Rz 7 ff, Kienapfel/Höpfel, AT11 Z E 11 Rz 14; OGH ZfRV 1981, 227, wonach das Anbot von Suchtgift an Österreich im Ausland keine österreichischen Interessen verletzt. § 64 Abs 1 Z 4 StGB darf, soweit er auf die mangelnde Auslieferungsmöglichkeit abstellt, aber nicht zur Umgehung der ne bis in idem Regelung des § 65 Abs 1 Z 1 iVm Abs 4 StGB verwendet werden und zur Verfolgung bereits abgeurteilter Auslandstaten eines Österreichers führen, siehe aber OGH JBl 1986, 466: in dieser E wurde ein Österreicher in Deutschland wegen der Einfuhr von Suchtgift aus den Niederlanden verurteilt. Der OGH stützt die neuerliche Verurteilung in Österreich wegen desselben Delikts auf § 64 Abs 1 Z 4 StGB. Kathrein, in WK2 § 64 Rz 4. Abschnitt 1.II.A.2.2. Dazu Zerbes, in Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung, Teil Band 3, 125.
50
Auslieferung und (inländische) Strafgewalt
§ 64 Abs 1 Z 6 StGB begründet als Generalklausel die österreichische Strafgewalt über extraterritoriale Taten, zu deren Verfolgung Österreich verpflichtet ist.259 3.3. Aktives Personalitätsprinzip Gem § 65 Abs 1 Z 1 StGB besteht bei identer Norm260 eine generelle österreichische Strafgewalt über Straftaten von Inländern. Diese Bestimmung stellt keinen Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege dar, da sie nicht von der Unmöglichkeit der Auslieferung abhängt.261 Sie ist vielmehr eine Ausprägung des aktiven Personalitätsprinzips,262 deren Notwendigkeit sich neben Resozialisierungsgedanken insb daraus ergibt, dass die Auslieferung österreichischer Staatsbürger – jedenfalls bisher noch – gegen die Verfassung verstieße.263 Sie ist abhängig von der lex loci. Daneben enthält auch § 64 Abs 1 StGB Strafanwendungsnormen, die sich, in Kombination mit anderen Prinzipien, auf das aktive Personalitätsprinzip stützen, wie zB die Ziffern 2, 4a, 4b, 7, 9, 10, welche aber unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort bestehen. Kritik an dieser zum Teil zu weit reichenden Strafgewalt wurde oben geübt.264 3.4. Passives Personalitätsprinzip Anders als das aktive Personalitätsprinzip im eben darlegten § 65 Abs 1 Z 1 StGB ist das passive Personalitätsprinzip in den österreichischen Strafanwendungsnormen nicht generell verankert, sondern nur in eingeschränktem Maß in Kombination mit anderen Anknüpfungspunkten vorgesehen. So ergibt sich die Zuständigkeit in § 64 Abs 1 Z 2 StGB über Auslandstaten gegen einen österreichischen Beamten aus einer Verbindung mit dem Schutzprinzip. Daneben enthält § 64 Abs 1 Z 7 StGB eine Anwendungsklausel bei Auslandstaten eines Österreichers gegen einen Österreicher. Das deutsche Recht hingegen sieht in § 7 Abs 1 dStGB eine generelle Zuständigkeit für Auslands259
260
261
262
263
264
Siehe dazu die Ausführungen oben Abschnitt 1.II.A.2.5. Zerbes, in Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung, Teil Band 3, 129 f; vgl OGH JBl 1988, 532 mit Anm Schwaighofer. Dazu unten Abschnitt 1.III.A.3., zum Unterschied zwischen identer Norm und beiderseitiger Strafbarkeit siehe Epp, ÖJZ 1981, 198, Schwaighofer, Auslieferung 94. Kathrein, in WK2 § 65 Rz 1, Linke, Grundriss 29, Ebensperger, ÖJZ 1999, 175; aM Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 65 Rz 2, Fuchs, AT6 5. Kap Rz 34 ff, Zerbes, in Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung, Teil Band 3, 123, Sautner, ÖJZ 2005, 334. Zu dieser Einordnung der entsprechenden deutschen Vorschrift in § 7 Abs 2 Z 1 1. Fall dStGB siehe Pappas, Strafrechtspflege 19 f. Zu den Änderungen die sich für Österreich durch den Europäischen Haftbefehl ergeben, siehe unten Abschnitt 2.III.C.5.1. Abschnitt 1.II.A.2.2.
Auslieferung und Strafgewalt
51
taten gegen Inländer vor, wobei das Schrifttum nunmehr zum Großteil davon ausgeht, dass diese Strafgewalt originär gilt und nicht als Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege zu verstehen ist.265 3.5. Stellvertretende Strafrechtspflege § 65 Abs 1 Z 2 StGB normiert die stellvertretende Strafrechtspflege. Danach ist österreichische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn ein ausländischer Täter einer Auslandstat im Inland betreten wird und er – außer wegen Art oder Eigenschaft der Tat – nicht ausgeliefert werden kann. Hier übt das österreichische Gericht die Strafgewalt für einen anderen Staat aus. Dies setzt voraus, dass die Tat auch am Tatort strafbar ist und dass eine idente Norm266 in Österreich besteht. Es macht zudem die Bedingung notwendig, dass der Täter durch diese Verfolgung nicht schlechter gestellt werden darf als nach dem Gesetz des Tatortes (lex mitior). Daher muss eine geringere Strafdrohung nach dem Recht des Tatortlandes berücksichtigt werden.267 Das Legalitätsprinzip ist hier insofern eingeschränkt, als der StA nach § 9 Abs 3 ARHG auf die Verfolgung verzichten kann, wenn weder generalpräventive Gründe noch öffentliche Interessen dagegen sprechen.268 Hinsichtlich der Frage, ob ausgeliefert werden kann, ist auch auf § 28 ARHG zu verweisen. Demnach entscheidet der StA, ob Anlass zur Auslieferung besteht. Wird dies bejaht, hat das BMJ (nur) an den Tatortstaat ein Auslieferungsanbot zu stellen. Davon kann es absehen, wenn anzunehmen ist, dass kein Ersuchen gestellt wird oder die Auslieferung mangels Gegenseitigkeit oder wegen der Beeinträchtigung wichtiger österreichischer Interessen (§ 2 ARHG) abzulehnen wäre. Die stellvertretende Strafrechtspflege ergibt sich insofern aus dem Unterbleiben eines Anbots, aus dem Unterbleiben eines fremden Auslieferungsersuchens oder aus der Nichtbewilligung eines fremden Ersuchens.
B. Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt Der ne bis in idem Grundsatz besagt, dass der Beschuldigte nach einem rechtskräftigen Schuld- bzw Freispruch oder nach einem rechtskräftigen 265
266 267
268
Pappas, Strafrechtspflege 15 f, Henrich, Personalitätsprinzip 38, Tröndle/Fischer, StGB53 § 7 Rz 1, zögerlich Eser, Schönke/Schröder, StGB26 § 7 Rz 1, dagegen Vogler, in Maurach FS 605. Siehe dazu FN 260. § 65 Abs 2 StGB. Das deutsche Recht enthält in § 7 Abs 2 Z 2 dStGB keine entsprechende Einschränkung, sie wird aber gefordert, siehe Oehler, in Grützner FS 125. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 52.
52
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Einstellungsbeschluss nicht nochmals wegen derselben Tat verfolgt werden darf.269 Dies galt auf europäischer Ebene bisher fast unbestritten für innerstaatliche Entscheidungen.270 Nunmehr wird in verschiedenen Übk und Rechtsakten zunehmend die Durchsetzung eines internationalen ne bis in idem forciert. Die Relevanz dieser Problematik ergibt sich daraus, dass die Strafgewalten der einzelnen Staaten nicht auf das Territorialitätsprinzip beschränkt sind. Aus dem Anspruch der Nationen, auch im Ausland begangene Taten zu verfolgen, entsteht eine Vielzahl von Zuständigkeitsüberschneidungen, wobei es derzeit keine internationale Prioritätsregelung gibt.271 Von einem internationalen ne bis in idem Grundsatz des Völkerrechtes iS des Gewohnheitsrechts oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes kann aber nach hL und Rsp noch nicht gesprochen werden.272 Die strenge Durchführung des ne bis in idem Prinzips würde grundsätzlich neben dem Verbot, die Tat nochmals zu verfolgen, auch das Verbot mitenthalten, wegen einer solchen Tat auszuliefern. Andernfalls ermöglichte der ersuchte Staat die Verfolgung in einem anderen Land, bzw trüge dazu bei. Zur Überprüfung der Bedeutung des Grundsatzes für die Auslieferung ist zunächst sein Geltungsumfang hinsichtlich der Strafverfolgung – und zwar einerseits innerstaatlich und andererseits international – zu bestimmen. 1. Innerstaatliche ne bis in idem Geltung Die innerstaatliche rechtskräftige Entscheidung hindert die Strafverfolgung wegen derselben Tat. Dieser (innerstaatliche)273 Grundsatz ist als Menschenrecht allgemein anerkannt und in Art 4 des 7. ZPMRK für Österreich verfassungsrechtlich verankert.274 Eine entsprechende für Österreich einfachgesetzliche Regelung findet sich in Art 14 Abs 7 IPBPR. Ebenso kann dieser Grundsatz aus den Bestimmungen über die Wiederaufnahme gem § 352 StPO abgeleitet werden, denn die Wiederaufnahme lässt in ganz bestimmten Fällen eine Durchbrechung der Sperrwirkung – dh des ne bis in
269
270 271 272
273 274
Neben der Bezeichnung als ne oder non bis in idem werden im Schrifttum und verschiedenen Übk auch die Begriffe Doppelbestrafung (§ 54 SDÜ) und Doppelverfolgung verwendet, wobei nur die Bezeichnung als Verbot der Doppelverfolgung zutreffend ist. Art 4 7. ZPMRK. Dazu oben Abschnitt 1.II.A.2.7. Vogel, in IRG-K § 73 Rz 91, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in IRG Einl 73, Schwaighofer, Auslieferung 78, Ebensperger, ÖJZ 1999, 171, Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 423; EvBl 1982/66, BVerfG, E 75, 1, BGHSt 24, 334, 338 uvm. Zum Unterschied von internationalen ne bis in idem. Dazu ausführlich Thienel/Hauenschild, JBl 2002, 70 ff; siehe auch Kienapfel/ Höpfel, AT11 E 8 Rz 55a. Anders als in Deutschland in Art 103 Abs 3 V ist der Grundsatz nicht im B-VG oder StV verankert. Zu Art 103 Abs 3 V siehe SchmidtAßmann, in Maunz/Dürig, V Art 103 Rz 258, Schomburg, in Eser FS 830, 832 f.
Auslieferung und Strafgewalt
53
idem – zu.275 Der ne bis in idem Grundsatz verbietet nach einer rechtskräftigen Entscheidung die neuerliche Verfolgung wegen des idem, dh wegen der Tat, wegen der der Täter bereits verfolgt wurde. Es bezieht sich daher auf den Prozessgegenstand des ersten Verfahrens. Während sich die Sperrwirkung im anglo-amerikanischen Raum auf das angeklagte Delikt bezieht, verbietet das Doppelverfolgungsverbot nach kontinentaleuropäischem Recht mit gewissen Einschränkungen die nochmalige Verfolgung desselben historischen Sachverhaltes, dessen Umfang im Detail aber ebenso strittig ist. Es ist daher einerseits zu klären, welche Arten von Entscheidungen materiell rechtskraftfähig sind und daher eine Sperrwirkung nach sich ziehen, andererseits muss festgestellt werden, was unter dem Begriff „derselben Tat“ zu verstehen ist, wegen der nicht nochmals verfolgt werden darf. 1.1. Die materiell rechtskräftigen Entscheidungen nach österreichischem Recht Verboten ist die weitere Strafverfolgung nach erfolgtem Schuld- und Freispruch sowie nach allen rechtskräftigen Einstellungsbeschlüssen wegen derselben Tat. Die Rechtskraftwirkung des Freispruchs ist insofern eingeschränkt, als sie sich nicht auf den Freispruch mangels eines berechtigten Anklägers nach § 259 Z 1 StPO sowie auf Unzuständigkeitsurteile bezieht.276 Unter die rechtskräftigen Einstellungsbeschlüsse fallen unstrittig gerichtliche Beschlüsse nach § 109 und § 227 StPO. Die gerichtliche Einstellung nach § 90 StPO entfaltet nach einem Teil der Lehre und der Rsp unter Verweis auf § 363 Z 1 StPO nur dann eine Sperrwirkung, wenn eine verdächtige Person bereits als Beschuldigter iSd § 38 Abs 3 StPO und daher gerichtlich vernommen wurde.277 Bei einer vom StA nach § 90 StPO zurückgelegten Anzeige könnte das Verfahren demnach formlos fortgesetzt werden. Für andere Autoren ist dieses formelle Kriterium nicht ausschlaggebend, da die Zuerkennung des Beschuldigtenstatus gem § 38 Abs 3 StPO nicht von dieser
275
276
277
Dazu ausführlich Soyer, Wiederaufnahme 110 ff. Zu den Voraussetzungen der Wiederaufnahme nach Art 4 7. ZPMRK. Eine einfachgesetzliche strafprozessuale Regelung fehlt derzeit (noch). In das mit 1.1.2008 in Kraft tretende Strafprozessreformgesetz (BGBl I 19/2004) wurde das Verbot wiederholter Strafverfolgung in § 17 ausdrücklich aufgenommen. AM Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 155, 158, nach denen Fromalurteile grundsätzlich (dh Freisprüche nach § 259 Z 1, 2 und 3 letzter Satz StPO) keine ne bis in idem Wirkung auslösen können. Zieht der StA hingegen nach Sachprüfung durch das Gericht (dh nach dem Beweisverfahren) seinen Strafantrag zurück, so käme dies einer Sachentscheidung mit Rechtskraftwirkung gleich. Ebenfalls aM Schwaighofer, Auslieferung 80, für den alle Formalurteile materiell und formell rechtskräftig werden. Fabrizy, StPO9 § 363 Rz 2; SSt 43/26; widersprüchlich Bertel/Venier, StPO8 Rz 521 und 1037.
54
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
gerichtlichen Vernehmung abhängig zu machen, sondern einem materiellen Beschuldigtenbegriff der Vorzug zu geben sei.278 Demnach ist auch die staatsanwaltliche Einstellung nach § 90 mit der Sperrwirkung verknüpft, wenn StA bzw Polizei oder Gendarmerie gegen eine bestimmte Person bereits faktische Verfolgungshandlungen setzten.279 Auch das Strafprozessreformgesetz280, das mit 1.1.2008 in Kraft tritt, sieht in § 48 Abs 1 Z 1 einen materiellen Beschuldigtenbegriff vor, dh ein formal konstitutiver Akt ist für die Rechtsposition als Beschuldigter nicht mehr Voraussetzung.281 Nach dieser Bestimmung ist eine konkret verdächtigte Person Beschuldigter, sobald gegen sie ermittelt oder Zwang ausgeübt wird. Das Strafprozessreformgesetz bekennt sich darauf aufbauend zu einer umfassenderen ne bis in idem Wirkung von staatsanwaltlichen Einstellungen: Sind staatsanwaltliche Einstellungsbeschlüsse nach §§ 190, 191 des Strafprozessreformgesetzes ergangen, so kann das Verfahren nur fortgesetzt werden, wenn gegen den Beschuldigten noch kein Zwang ausgeübt und er noch nicht vernommen wurde (§ 193 Abs 2 Z 1). Eine Fortführung ist aber zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel entstehen oder bekannt werden (§ 193 Abs 2 Z 2). Wird das Verfahren diversionell mit einem endgültigen Rücktritt gem §§ 90c Abs 5, 90d Abs 5, 90f Abs 4 und 90g Abs 1 iVm 90h Abs 1 (iVm 90b) StPO erledigt, so liegt Sperrwirkung vor und das Verfahren kann gem § 90h Abs 1 StPO ausdrücklich nur mehr nach den Bestimmungen der ordentlichen Wiederaufnahme fortgesetzt werden.282 ME ist diesfalls aber nicht nach den Bestimmungen des § 352 Abs 1, sondern nach § 356 Z 3 StPO vorzugehen:283 § 352 StPO bestand bereits vor Einführung der Diversion, weshalb er auch bloß auf die „reine“ Einstellung abzielt, ohne den Sanktionsgehalt der Diversion zu berücksichtigen. § 356 StPO, der die Wiederaufnahme zum Nachteil des Angeklagten bei erfolgter Verurteilung regelt, entspricht dem Charakter der diversionellen Erledigung viel mehr.284 Denn die Diversion setzt einerseits voraus, dass aufgrund eines hinreichend geklärten Sachver278
279
280 281
282
283
284
Soyer, Wiederaufnahme 58 f, Seiler St, Anklageprozeß 35 f, Murschetz, Verwertungsverbote 75 f; VfSlg 5235/1966. Soyer, Wiederaufnahme 58 f, Schwaighofer, Auslieferung 79 f, vgl auch Epp, ÖJZ 1979, 39; widersprüchlich Bertel/Venier, StPO8 Rz 530 f und 1037. BGBl I 19/2004. Dies sahen auch die Regierungsvorlage (25 BlgNR XXII. GP), der Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes (578.017/10-II.3/2001) sowie bereits der Diskussionsentwurf (JMZ 578.017/2-II.3/1998) vor. Vgl die entsprechenden Bestimmungen in §§ 200 ff Strafprozessreformgesetz; zur Diversion nach §§ 90a ff StPO aus Schweizerischer Sicht Riklin, JRP 2002, 47 ff. Seiler St, StPO8 Rz 551, Schütz, Diversionsentscheidungen 73, nunmehr auch Bertel/Venier, StPO8 Rz 1046, vgl auch Luef-Kölbl, RZ 2002, 136 ff, Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 159, nach denen die Diversion als Verurteilung iSd Art 4 7. ZPMRK anzusehen ist; aM 14 Os 56/03 nv; Hinterhofer, RZ 2002, 73. Vgl auch Schwaighofer, Die Presse, Rechtspanorama, vom 25.7.2005.
Auslieferung und Strafgewalt
55
halts von der Schuld des Verdächtigen auszugehen ist,285 anderseits ist sie mit Auflagen verbunden, denen sanktionsähnlicher Charakter zukommt. Eine Befürwortung der Wiederaufnahme nach § 352 führte zudem aufgrund der viel weiteren Wiederaufnahmemöglichkeiten zu einer erheblichen Schlechterstellung des Verdächtigen. Denn die „Strafrahmensprünge“286 zwischen der Tat, wegen der eingestellt wurde, und der, die nunmehr vorliegen soll (§ 352 StPO), sind wesentlich weiter als die in § 356 aufgezählten Strafrahmensprünge zwischen verurteilter und nun angenommener Tat.287 Die Diversionsformen des § 90d (gemeinnützige Leistung) und § 90f (Probezeit) StPO sehen einen vorläufigen Rücktritt des Richters bzw StA vor, da diese Bedingungen an eine längere Zeitspanne geknüpft werden können.288 Ebenso ist mE bei der Diversion unter Zahlung einer Geldbuße gem § 90c StPO bei Gewährung eines Zahlungsaufschubes bzw einer Ratenzahlung vorzugehen, obwohl dies nicht ausdrücklich bestimmt ist.289 Erst nach Ablauf der Probezeit, die längstens 2 Jahre dauern kann, oder der Erbringung der gemeinnützigen Leistung innerhalb einer Frist, die längstens 6 Monate dauern darf, erfolgt der endgültige Rücktritt mit Beschluss. Richter und StA sind bei diesen Diversionsformen an ihre vorläufigen Rücktritte gebunden.290 Zwischen vorläufigem und endgültigem Rücktritt kann grundsätzlich nur das Verhalten des Verdächtigen selbst zu einer nachträglichen Einleitung des Verfahrens führen. So ist einerseits gem § 90h Abs 1 StPO fortzusetzen, wenn der Verdächtige selbst dies verlangt. Andererseits erlaubt nur die Nichterfüllung der Auflagen durch den Verdächtigen die nachträgliche Einleitung des Verfahrens durch den StA (§ 90h Abs 2 StPO).291 Insofern hat der Gesetzgeber im Abs 2 ausdrücklich die Bedingungen formuliert, unter denen eine (formlose) Fortsetzung des Verfahrens zulässig ist. Zudem können mE – analog zur Wiederaufnahme nach § 356 StPO – nur nova reperta iSd der 285
286 287
288 289 290
291
Andernfalls wäre nach den §§ 90, 109 oder 227 vorzugehen. Aus diesem Grund ist auch ein Vorgehen nach § 355 StPO, der einen Freispruch voraussetzt, abzulehnen. Diesen Ausdruck verwendet Hinterhofer, RZ 2003, 73. Ebenso Hinterhofer, RZ 2003, 73 f, der sich aber dennoch für die Anwendung des § 352 StPO ausspricht. Schließlich fänden die engeren Wiederaufnahmevoraussetzungen in der Stigmatisierung einer Verurteilung ihre Berechtigung, während dem Verdächtigen anlässlich einer Diversion keine Unbill erwachse und er auch die verlangten Leistungen freiwillig erbringe. Ab 1.1.2008: §§ 201 Abs 1, 203 Abs 1 StPO. Ebenso § 200 Strafprozessreformgesetz. Vgl aber 15 Os 126/02. In dieser Entscheidung geht der OGH davon aus, dass ein StA an die in der HV (durch einen Sitzungsvertreter) erteilte Zustimmung zur richterlichen Diversion nicht gebunden und daher eine nachträgliche Berufung zulässig sei. Zur berechtigten Kritik an dieser Entscheidung siehe Schwaighofer, JSt 2003, 130 ff. § 205 Abs 1 und 2 Strafprozessreformgesetz.
56
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
§§ 355, 356 StPO bei Vorliegen der in § 356 Z 1, 2 oder 3 StPO genannten Strafrahmensprünge, zur formlosen Fortsetzung des Verfahrens führen. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn das verletzte Opfer noch vor dem endgültigen Rücktritt stirbt und sich herausstellt, dass der Täter vorsätzlich handelte, dh tatsächlich ein Mord vorliegt. Es ist daher in diesen Fällen von einer vorläufigen oder bedingten Sperrwirkung auszugehen.292 Teile der Lehre und der OGH gehen hingegen davon aus, dass eine formlose Fortsetzung analog zu den Wiederaufnahmevoraussetzungen des § 352 StPO zulässig ist, dh wenn neue Beweismittel oder Tatsachen beigebracht werden, die die Diversion zwingend ausschließen, bzw eine Zulassungsvoraussetzung wegfällt, zB wenn der Verletzte nachträglich stirbt.293 1.2. Beschlüsse nach deutschem Recht 1.2.1. Einstellungsbeschlüsse Im deutschen Strafverfahren bestehen mehrere Einstellungsmöglichkeiten durch Anklagebehörde und Gericht. An dieser Stelle werden einige Beispiele herausgenommen und besprochen294: § 153 dStPO (als Absehung von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit bezeichnet) sieht eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips bei Vergehen295 vor, wobei diese – anders als in Österreich – eine Freiheitsstrafdrohung von weniger als einem Jahr verlangen. Weitere Voraussetzungen sind geringe Schuld und ein fehlendes öffentliches Interesse. Dabei muss die Schuld nur auf der Basis des bisherigen Ermittlungsstandes wahrscheinlich sein (ein geklärter Sachverhalt ist nicht nötig), dh es genügt eine hypothetische Schuldbeurteilung.296 Nach § 153 Abs 1 2. Satz kann der StA zurücktreten, wenn die Tat nur mit einem Monat Freiheitsstrafe bedroht ist und ausschließlich geringe Folgen hatte. Ist dies nicht der Fall, so benötigt er die Zustimmung des Gerichtes (Abs 1 1. Fall). In beiden Fällen ist diese Verfügung wieder zurücknehmbar. Nach Anklageerhebung geht die Einstellungsbefugnis auf das Gericht über, wobei die Zustimmung des StA und des Betroffenen erforderlich ist (Abs 2). Nach hL entfaltet die Einstellung des StA nach Abs 1 keine Rechtskraft, da sie zurückge-
292
293
294
295 296
In diesem Sinne auch Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 158, die von einer sofortigen Rechtskraft mit Eingehen der Diversionsvereinbarung ausgehen, und die spätere Nichterfüllung der Auflage als novum ansehen, welche die Wiederaufnahme ermöglicht; aM Ebensperger, ÖJZ 1999, 176; 14 Os 56/03 nv. OGH EvBl 2003/159=ÖJZ-LSK 2003/185=JBl 2004, 329; Hinterhofer, RZ 2003, 74 f. Zu den Kriterien der Rechtskraft im deutschen Recht allgemein siehe Radtke, Strafklageverbrauch 1 ff. § 12 Abs 1 und 2 dStGB. Beulke, in LR StPO25 § 153 Rz 35, Pfeiffer, StPO5 § 153 Rz 1.
Auslieferung und Strafgewalt
57
nommen werden kann, die des Gerichts eine (beschränkte) Rechtskraft, deren Umfang jedoch strittig ist.297 Da auch die staatsanwaltliche Einstellung bei nicht geringen Folgen an die Zustimmung des Gerichts gebunden ist, ihr aber kein Strafklageverbrauch298 zukommt, richtet sich die Sperrwirkung offensichtlich nicht vorrangig nach dem Entscheidungsträger, sondern vielmehr nach dem Verfahrensstadium. Naturgemäß kann die Beweislage nach Anklageerhebung umfassender sein als zuvor, was grundsätzlich für die Rechtskraftwirkung erst ab diesem Zeitpunkt spricht. Andererseits ist aber darauf hinzuweisen, dass die materiellen Anforderungen an den Beschluss in beiden Stadien gleich sind. Steht das Vorliegen der Voraussetzungen bereits für den StA fest, so stellt er mit Zustimmung des Gerichtes ein, werden sie aber erst nach Anklageerhebung deutlich, so ist eben das Gericht zuständig. Die Rechtslage ist daher nicht überzeugend. In § 153a dStPO ist die der österreichischen Diversion vergleichbare Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen geregelt. Diese Vorschrift unterscheidet sich hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen von § 153 dStPO nur in Bezug auf das öffentliche Interesse. Auch bei bestehendem öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung sieht sie bei Vergehen eine Einstellungsmöglichkeit unter der Bedingung von Auflagen und Weisungen durch StA bzw ab Anklageerhebung durch das Gericht vor, wobei diese Erledigungsform nach Erfüllung der Auflagen oder Weisungen durch den Beschuldigten ausdrücklich (gem § 153a Abs 1 5. Satz dStPO) zu einem Verbrauch des Strafanspruchs führt, dh bei Einstellung durch StA oder Gericht. Nach hM entfaltet aber bereits die vorläufige Einstellung eine vergleichbare (vorläufige) Sperrwirkung,299 da das Verfahren nur bei Nichterfüllung der Auflagen oder Weisungen widerrufen werden kann. Ab Erfüllung der Auflagen tritt ein endgültiges Verfahrenshindernis ein, doch ist die Sperrwirkung nach einem Teil der Lehre dennoch insofern beschränkt, als eine neue Strafverfolgung zulässig ist, wenn sich der Verdacht eines Verbrechens ergibt.300
297
298 299
300
So ist eine nachträgliche Verfolgung zulässig, wenn sich auch bloß aufgrund einer anderen rechtlichen Bewertung herausstellt, dass statt eines Vergehens ein Verbrechen vorliegt: BGH NStZ 2004, 633; Meyer-Goßner, StPO49 § 153 Rz 37 mwN; siehe auch Beulke, in LR StPO25 § 153 Rz 88 ff, Pfeiffer, StPO5 § 153 Rz 6 u 9, Schoreit, in KK StPO4 § 153 Rz 62 ff; aM Radtke, ZStW 1999, 483, für den die Einstellung der StA analog zu § 153a Abs 1, 5. Satz dStPO auch eine Sperrwirkung entfaltet. Strafklage ist mit der österreichischen Anklage gleichzusetzen. Pfeiffer, StPO5 § 153a Rz 8 f. Für andere liegt die Sperrwirkung bereits ab dem Zeitpunkt vor, ab dem die Auflage oder Weisung des StA und die entsprechende Zustimmung des Beschuldigten vorliegen, Beulke, in LR StPO25 § 153a Rz 92. Meyer-Goßner, StPO49 § 153a Rz 45, 52 f, Thomas, Einmaligkeit 233.
58
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Gem § 153b Abs 1 dStPO kann die StA eine Einstellung vornehmen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen das Gericht in der HV zum Absehen von der Strafe berechtigt ist301. Die StA ist dabei an die Zustimmung des Gerichts gebunden. Eine Rechtskraftwirkung wird dieser Einstellungsmöglichkeit dennoch nicht zugeschrieben.302 Nach (An)Klageerhebung (Einbringung des Strafantrages bzw der Anklageschrift nach österreichischem Recht) ist das Gericht gem § 153b Abs 2 dStPO bis zum Beginn der HV mit Zustimmung des StA zur Einstellung berechtigt. Auch diese gerichtliche Einstellung ist, entsprechend dem oben ausgeführten § 153 Abs 2 StPO, mit (beschränkter) Sperrwirkung verbunden.303 § 170 dStPO regelt die Abschlussentscheidung des StA über das geführte Ermittlungsverfahren ähnlich dem österreichischen § 90 StPO. Ergibt das Ermittlungsverfahren genügend Gründe für die Anklage, wird diese erhoben, andernfalls stellt der StA das Verfahren ein. Die Einstellung kann auf fehlendem hinreichenden Tatverdacht, Verfahrenshindernissen (wozu in Deutschland zB auch die Verjährung zählt) oder dem Opportunitätsprinzip beruhen. Nach hM kommt auch dieser Einstellung keine Rechtskraftwirkung zu.304 Dies wird aus einem Umkehrschluss aus §§ 174 Abs 2, 211 dStPO abgeleitet.305 Durch das in § 172 dStPO verankerte Klageerzwingungsverfahren kann der Verletzte einen nach § 170 dStPO ergangenen Einstellungsbeschluss des StA bekämpfen und eine gerichtliche Entscheidung beantragen. Einem darauf hin ergehenden gerichtlichen Verwerfungsbeschluss nach § 174 dStPO kommt (beschränkter) Strafklageverbrauch zu.306 1.2.2. Strafbefehl Die deutsche StPO regelt in §§ 407 ff ein summarisches Verfahren, bei dem die Strafe auf Antrag des StA ohne HV und Urteil durch richterlichen Beschluss (Strafbefehl) festgesetzt wird. Dabei muss die Schuld des Täters nicht feststehen, vielmehr genügt ein hinreichender Tatverdacht.307 Das Strafbefehlverfahren ist mit dem in Österreich bis zur Einführung der Diversion 301
302 303
304
305 306
307
Die Möglichkeit des Absehens von der Strafe durch das Gericht ist im materiellen Recht und zwar in den einzelnen Straftatbeständen angeordnet, für eine Aufzählung siehe Meyer-Goßner, StPO49 § 153b Rz 1. Meyer-Goßner, StPO49 § 153b Rz 2. Meyer-Goßner, StPO49 § 153b Rz 3 mit Verweis auf seine Ausführungen zu § 153 Rz 37. OLG Karlsruhe Wistra 2005, 120; Meyer-Goßner, StPO49 § 170 Rz 9, Pfeiffer, StPO5 § 170 Rz 5, Schmid, in KK StPO4 § 170 Rz 23; kritisch GraalmannScheerer, in LR StPO25 § 170 Rz 49 mwN; siehe auch OGH ÖJZ 2005, 193. Radtke, NStZ 1999, 483. Meyer-Goßner, StPO49 § 174 Rz 6, vgl Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 488; siehe auch OLG Innsbruck NStZ 2003, 663. Meyer-Goßner, StPO49 Vorbem zu §§ 407 ff Rz 1.
Auslieferung und Strafgewalt
59
geltenden Mandatsverfahren (Strafverfügung) vergleichbar.308 Die Rechtskraft des Strafbefehls steht der eines Urteils gleich. 1.2.3. Zusammenfassung Abschließend ist festzustellen, dass das deutsche Recht nach hM den Verbrauch der Anklage grundsätzlich an den Zeitpunkt der Klageerhebung und damit an die gerichtliche Einstellung knüpft. Einzig der Einstellung durch die Anklagebehörde nach § 153a Abs 1 dStPO unter der Erteilung von Auflagen oder Weisungen kommt eine (vorläufige) Rechtskraft- und damit Sperrwirkung zu.309 1.3. Das idem nach österreichischem Recht Wie oben dargelegt,310 ist der ne bis in idem Grundsatz und damit der Begriff des idem im österreichischem Recht weder in der StPO einfachgesetzlich noch im B-VG bzw StGG verfassungsrechtlich ausdrücklich geregelt. Die verfassungsrechtliche Geltung ergibt sich aus Art 4 7. ZPMRK, die einfachgesetzliche aus Art 14 Abs 7 IPBPR und den Wiederaufnahmebestimmungen nach § 352 ff StPO. Art 4 7. ZPMRK verbietet im deutschen Text die neuerliche Verfolgung wegen derselben „strafbaren Handlung“, im englischen „for an offence“ und im französischen „infraction“. Zu untersuchen ist, ob damit das Verbot der nochmaligen Verfolgung desselben Delikts oder desselben (historischen) Sachverhalts (unter möglichen Beschränkungen) gemeint ist. Zu Beginn wird die Rsp des EGMR hinsichtlich Art 4 7. ZPMRK dargestellt, die sich ausschließlich mit dem Verhältnis zwischen verwaltungsrechtlicher und gerichtlicher Verfolgung derselben Tat beschäftigt. In der Folge wird die Frage geklärt, ob diese Rsp auf die ne bis in idem Wirkung innerhalb des Strafverfahrens übernommen werden kann, dann wird die Auslegung derselben Tat innerhalb eines Strafverfahrens anhand der österreichischen strafrechtlichen Rsp und Literatur erläutert.
308
309
310
Mit In-Kraft-Treten der Diversion am 1.1.2000 wurde das bis dahin in §§ 460 ff StPO geregelte Mandatsverfahren außer Kraft gesetzt, BGBl I 55/1999. Überlegungen zur Rechtskraft staatsanwaltlicher Entscheidungen finden sich bei Graalmann-Scheerer, in LR StPO25 § 170 Rz 49 mwN, ausführlich zur Rechtskraft von Entscheidungen im deutschen Recht Thomas, Einmaligkeit 226 ff, unschlüssig hinsichtlich der Rechtskraft staatsanwaltlicher Entscheidungen Rieß, LR StPO25 Einl Abschn J 115. Abschnitt 1.II.B.1.
60
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
1.3.1. Das idem bei verwaltungsrechtlichem und gerichtlichem Strafverfahren a. Die Judikatur des EGMR Zur Auslegung der ne bis in idem Bestimmung des Art 4 7. ZPMRK liegen einige richtungweisende Entscheidungen der EKMR und des EGMR vor, die großteils Österreich betreffen. Sie legen aber nicht den Umfang der Sperrwirkung bei mehreren gerichtlichen Strafverfahren fest, sondern beschäftigen sich ausschließlich mit der Frage, wann einem Verwaltungsstrafverfahren und einem drauffolgenden gerichtlichen Strafverfahren (oder umgekehrt) dieselbe Tat zugrunde- und daher eine Doppelverfolgung vorliegt. Während die älteren Entscheidungen Gradinger, Marte/Achberger und Oliveira noch divergierten, schien der EGMR in seinen neueren Entscheidungen nunmehr einen Mittelweg gefunden zu haben. Die jüngsten E lassen wiederum einen Widerspruch erkennen. Im Folgenden sollen die relevanten E besprochen und anschließend geprüft werden, ob diese Auslegung auch zur Interpretation des idem innerhalb des gerichtlichen Strafverfahrens heranzuziehen ist. Nicht mehr von Interesse ist der von Österreich erklärte Vorbehalt zu Art 4 7. ZPMRK, wonach dieser Artikel nur innerhalb des gerichtlichen Strafverfahrens gelte. Dieser Vorbehalt wurde durch die Gradinger E vom EGMR im Jahr 1995 für unwirksam erklärt.311 In der Gradinger E wurde der Beschwerdeführer zunächst wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB verurteilt und die Qualifikation der Alkoholisierung nach § 81 Z 2 StGB ausgeschlossen. Dennoch folgte eine verwaltungsrechtliche Verurteilung wegen des Lenkens eines Fahrzeugen in alkoholisiertem Zustand gem § 99 Abs 1 lit a iVm § 5 Abs 1 StVO.312 Kommission und Gerichtshof sahen darin eine Konventionsverletzung. Zur Beurteilung des ne bis in idem stellten sie nicht auf das verfolgte Delikt, dh die materiellrechtlichen Rechtsvorschriften, sondern auf die zugrunde liegenden Fakten ab. Danach liegt eine Verletzung des Doppelverfolgungsverbotes immer dann vor, wenn der Angeklagte zwar wegen einer nach Bezeichnung, Art und Zweck anderen Rechtsvorschrift verfolgt wird, dem Verfahren aber der gleiche Lebenssachverhalt, dh das gleiche Verhalten, zugrunde lag.313
311
312
313
Gradinger v Austria, EGMR Urteil vom 23.10.1995, ApplNr. 15963/90, JBl 1997, 577 ff. Dem Verwaltungsstrafverfahren wurde ein anderer Sachverständiger beigezogen, der zu einem andern Ergebnis gelangte, als der SV im gerichtlichen Strafverfahren. EKMR Bericht v. 19.5.1994, 15963/90 Ziff 75, EGMR Urteil vom 23.10.1995, ApplNr. 15963/90, JBl 1997, 577 ff; Giese, in Kontinuität 101, Ackermann/Ebensperger, AJP/PJA 7/99, 824.
Auslieferung und Strafgewalt
61
Die Auslegung der Sperrwirkung ging im Bericht der EKMR in der E Marte/Achberger noch weiter.314 Diesem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführer randalierten auf einem Sommerfest, beschimpften die in der Folge einschreitenden Polizisten und widersetzten sich ihrer Entfernung. Sie versuchten sich loszureißen, wobei einer der Beamten verletzt wurde. Im gerichtlichen Strafverfahren wurden die Beschwerdeführer nach § 269 StGB verurteilt. Im Verwaltungsstrafverfahren folgten zwei weitere Verurteilungen wegen „Störung der Ordnung an öffentlichen Orten“ (Art IX Abs 1 Z 1 EGVG) aufgrund ihres Verhaltens vor und nach dem Eintreffen der Polizei sowie wegen „Verletzung des öffentlichen Anstandes“ (§ 18 Abs 2 Vlbg SittenpolG) aufgrund der Beschimpfung der Beamten. Auch in diesem Fall erkannte die Kommission auf eine Verletzung des Doppelverfolgungsverbotes. Es sei zwar nicht eindeutig, ob der den beiden Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt ident sei, da durch das strafgerichtliche Verfahren das Verhalten gegen die Beamten verfolgt wurde, während sich das verwaltungsrechtliche auf das Verhalten vor (Erregung öffentlichen Ärgernisses) und nach dem Eintreffen der Polizei bezog. Die „beiden“ Sachverhalte überlagerten sich jedoch in einem solchen Maß, dass doch von einem „weitgehend identen Sachverhalt“ auszugehen sei. Hier hätte die Möglichkeit bestanden, die verschiedenen Sachverhaltsabschnitte getrennt zu beurteilen,315 denn es könnte argumentiert werden, dass die verschiedenen Tatbestände unterschiedliche Rechtsgüter schützen. Doch die Kommission legte in dieser E klar den historischen Lebenssachverhalt dem Begriff des idem zugrunde, denn der zu beurteilende Sachverhalt stellte eine historische Einheit dar. Abweichend von Gradinger und Marte/Achberger entschied der EGMR im Urteil Oliveira gegen die Schweiz316, obwohl der Sachverhalt kaum von den vorgenannten Entscheidungen zu differenzieren ist: Die Beschwerdeführerin kam von der vereisten Fahrbahn ab, kollidierte mit einem entgegenkommenden Auto und verletzte dessen Lenker schwer. Sie wurde im Verwaltungsstrafverfahren wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die Straßenverhältnisse und anschließend im gerichtlichen Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Die Verwaltungsstrafe wurde auf die gerichtliche Strafe angerechnet. Während die Kommission noch davon ausging, dass zwar die verschiedenen Tatbestände verschiedene Rechtsgüter schützen, von beiden Instanzen aber dennoch derselbe Sachverhalt zu beurteilen war und daher eine Doppelverfolgung vorlag, entschied der EGMR 314
315 316
Da sich Österreich aufgrund des Kommissionsberichts zur Zahlung einer Entschädigungssumme verpflichtete, wurde der Fall aus dem Gerichtsregister gestrichen (EGMR Entscheid vom 5.3.1998, Z 64/1997/848/1055). Dorr, Doppelbestrafungsverbot 125. EGMR, Urteil vom 30.7.1998, (84/1997/868/1080), ÖJZ 1999, 77 = JBl 1999, 102 = ecolex 1998, 962.
62
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
dagegen. Er hielt abweichend von seiner bisherigen Linie fest, dass das ne bis in idem Prinzip nur vor einer doppelten Verfolgung wegen desselben Tatbestandes schütze. Da im vorliegenden Fall mehrere Tatbestände verwirklicht wurden, sei auch keine Verletzung des Art 4 7. ZPMRK erfolgt.317 In den E Fischer v Austria318, W.F. v Austria319 und Sailer v Austria320 lenkten die Beschwerdeführer jeweils ein Kfz in alkoholisiertem Zustand und töteten bzw verletzten dabei einen anderen. In allen drei Fällen erging zunächst ein verwaltungsbehördlicher Strafbescheid wegen Lenkens in alkoholisiertem Zustand (§§ 5 Abs 1 iVm 99 Abs 1 lit a StVO) und in der Folge ein Urteil wegen fahrlässiger Tötung bzw Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Abs 1 Z 2321 bzw § 88 Abs 1 u 3 StGB). Österreich wurde jeweils wegen Verletzung des ne bis in idem Grundsatzes verurteilt. In W.F. v Austria stellt der EGMR zu Beginn grundsätzlich fest, dass es Art 4 7. ZPMRK verbiete, jemanden für denselben Aspekt einer Straftat zweimal zu verfolgen oder zu bestrafen („that the person is tried or punished for the same aspect of one criminal act“).322 Erfüllt nun eine strafbare Handlung mehr als einen Tatbestand, so kann eine mehrmalige Verfolgung konventionskonform sein, doch ist dies einer genauen Prüfung zu unterziehen. Denn es kann auf den ersten Blick der Eindruck entstehen, dass ein Sachverhalt mehrere Tatbestände erfüllt, während eine genauere Betrachtung zeigt, dass faktisch nur ein Tatbestand vorliegt, da er alles Unrecht umfasst, das bereits in den anderen enthalten ist („a closer examination shows that it encompasses all the wrongs contained in the others“).323 Als „offensichtliches“ Beispiel dafür gibt der Gerichtshof eine Handlung an, die zwar zwei Tatbestände erfüllt, von denen aber der eine genau dieselben Elemente enthält wie der andere, sowie ein zusätzliches Element. Daneben seien auch noch andere Konstellationen denkbar, bei denen sich die Tatbestände leicht überschneiden. Daher müsse in den Fällen, in denen verschiedene Delikte nacheinander verfolgt werden, die auf einer Tathandlung beruhen, nunmehr jeweils untersucht werden, ob die Delikte dieselben wesentlichen,
317
318 319 320 321 322 323
„There is nothing in that situation which infringes Article 4 of Protocol No. 7 since that provision prohibits people being tried twice for the same offence whereas in cases concerning a single act constituting various offences (concours idéal d’infractions) one criminal act constitutes two separate offences“, Punkt 26 des Urteils. Zu einer ausführlichen kritischen Stellungnahme siehe Ackermann/Ebensperger, AJP/PJA 7/1999, 827 f. EGMR Urteil vom 29.5.2001 (ApplNr. 37950/97), ZVR 2001/69. EGMR Urteil vom 30.5.2002 (ApplNr. 38275/97), ÖJZ-MRK 2003/23. EGMR Urteil vom 6.6.2002 (ApplNr. 38237/97). Zum Zeitpunkt des Urteils war noch § 81 Z 3 StGB in Kraft. W.F. v Austria, EGMR Urteil vom 30.5.2002 (ApplNr. 38275/97) Punkt 23. Fischer v Austria Punkt 25, zitiert in W.F. v Austria Punkt 25, sowie in Sailer v Austria Punkt 25.
Auslieferung und Strafgewalt
63
essenziellen Tatbestandselemente haben („the Court has to examine whether or not such offences have the same essential elements).324 Der EGMR geht in diesen E auf die Konkurrenzlehre ein. Das von ihm erwähnte „offensichtliche“ Beispiel stellt einen Fall der Spezialität dar. Bei dieser Form der Scheinkonkurrenz liegt daher jedenfalls eine Doppelverfolgung vor. Eine verwaltungsbehördliche Verurteilung wegen Lenkens in alkoholisiertem Zustandes und eine gerichtliche wegen § 81 Abs 1 Z 2 StGB sind daher unzulässig. (i)
Scheinkonkurrenz und ne bis in idem
Zu überlegen bleibt, ob neben der vom EGMR ausdrücklich erwähnten Spezialität auch andere Formen der Scheinkonkurrenz dem ne bis in idem Grundsatz widersprechen.325 Im Fall der Spezialität umschließt das eine Delikt das andere aus begrifflichen und logischen Erwägungen.326 Neben der Spezialität sind laut EGMR auch andere Fälle denkbar, bei denen sich die Tatbestände leicht überschneiden. Hier bezieht sich der EGMR wohl auf Konsumtion und Subsidiarität. Diese Formen der Scheinkonkurrenz liegen vor, wenn ein Delikt anhand normativer, wertender Überlegungen von einem anderen verdrängt wird. Bei der Subsidiarität kommt der Aushilfsgedanke zum Tragen. Ein Delikt ist aus wertender Sicht nur aushilfsweise dann anwendbar, wenn die Handlung nicht bereits nach einer anderen Strafvorschrift zu bestrafen ist, wobei teleologische und systematische Erwägungen ausschlaggebend sind. Im Verwaltungsstrafrecht ist die Subsidiarität vielfach ausdrücklich gesetzlich angeordnet.327 Bei der Konsumtion wird das Delikt verdrängt, das regelmäßig und typisch in dem anderen Delikt enthalten ist. In beiden Fällen umfasst der Unrechts- und Schuldgehalt des einen Tatbestandes auch den des anderen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der gerichtliche Straftatbestand den verwaltungsbehördlichen verdrängt bzw letzterer subsidiär ist, weshalb eine neuerliche Verfolgung des subsidiären bzw konsumierten Deliktes dem Doppelverfolgungsverbot ebenso widerspräche wie die Verfolgung wegen der lex specialis nach erfolgter Verfolgung wegen der lex generalis oder umgekehrt (zB § 81 Abs 1 Z 2 StGB nach erfolgter
324
325
326 327
Fischer v Austria Punkt 25, zitiert in W.F. v Austria Punkt 25, sowie in Sailer v Austria Punkt 25; vgl auch Hauser-Sporn v Austria, EGMR Urteil vom 7.12.2006, indem sich die Tatbestandsmerkmale nicht decken. Gerichtlich und verwaltungsstrafrechtlich zu ahndende Tatbestände, die in Idealoder Realkonkurrenz zueinander stehen, können in den beiden Verfahren unabhängig von einander verfolgt werden. Zur Idealkonkurrenz und den Auswirkungen hinsichtlich der Doppelverfolgung innerhalb des Strafverfahrens siehe unten Abschnitt 1.II.B.1.3.2. Kienapfel/Höpfel, AT11 Z E 8 Rz 22. Vgl zB § 99 Abs 6 lit c und d StVO.
64
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Verurteilung wegen § 5 iVm § 99 StVO).328 Abschließend ist daher festzuhalten, dass im Verhältnis zwischen verwaltungsbehördlichem und gerichtlichem Verfahren in allen Fällen der Scheinkonkurrenz ein Verstoß gegen den ne bis in idem Grundsatz vorliegt, bei Ideal- und Realkonkurrenz eine neuerliche Verfolgung jedoch zulässig ist.329 Dies entspricht auch der Rsp des VfGH. (ii) Vereinbarkeit von Oliveira mit Gradinger, Fischer, W.F. und Sailer Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass der EGMR die Auffassung zu vertreten scheint, dass sich die Entscheidungen Oliveira auf der einen Seite und Gradinger sowie Fischer, W.F. und Sailer auf der anderen Seite voneinander abgrenzen ließen und insofern eine einheitliche Rsp vorliege.330 Doch sind diese verschiedenen E nicht miteinander vereinbar.331 Beurteilt man den Oliveira Fall nach der Rsp des EGMR in Fischer, W.F. und Sailer, so wäre auf eine Verletzung des ne bis in idem Prinzips zu erkennen. Es ist zwar nicht bereits bei abstrakter Beurteilung – dh aus der ausdrücklichen Formulierung der Tatbestände – ebenso klar ersichtlich, wie bei den Verstößen gegen §§ 5 iVm 99 StVO und § 81 Abs 1 Z 2 StGB, da § 81 StGB das Nichtanpassen der Geschwindigkeit nicht ausdrücklich nennt. Doch zeigt die entsprechend der in den E Fischer, W.F. und Sailer ausdrücklich vorgenommene genaue und daher konkrete Überprüfung,332 dass tatsächlich nur eine strafbare Handlung verfolgt werden soll, weil § 88 StGB alles Unrecht umfasst, das in der anderen Norm enthalten ist. Die wesentlichen Tatbestandsmerkmale decken sich, und nur der gerichtliche Straftatbestand enthält das zusätzliche Element der Körperverletzung. Denn gerade und ausschließlich das Nichtanpassen der Geschwindigkeit stellt den für die Fahrlässigkeitshaftung ausschlaggebenden Sorgfaltsverstoß dar. Unter Verzicht auf dieses Element bliebe für eine Verfolgung des zusätzlichen Elementes der Verletzung kein Raum mehr.333
328
329 330
331 332
333
Hier ist gesetzlich Subsidiarität angeordnet, tatsächlich liegt ein Fall der Spezialität vor. Zur Scheinkonkurrenz siehe Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 Band II § 22 Anm 4. Vgl Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 Band II § 22 Anm 4, § 30 Anm 7 und 8. Hauser-Sporn v Austria, EGMR Urteil vom 7.12.2006, Asci v Austria, Zulässigkeitsentscheidung vom 19.10.2006, Manasson v Sweden, ApplNr 41265/98, Zulässigkeitsentscheidung vom 8.4.2003, Göktan v France, ApplNr 33402/96, Urteil vom 2.7.2002, Fischer v Austria, Urteil vom 29.5.2001 (ApplNr. 37950/97) Punkt 27; Thienel/Hauenschild; JBl 2004, 77. Thienel/Hauenschild; JBl 2004, 77; aM OGH E 15 Os 154/02 (W.F. v Austria). Fischer v Austria Punkt 25, zitiert in W.F. v Austria Punkt 25 sowie in Sailer v Austria Punkt 25. Hauenschild/Mayer, Anm zu ZVR 2001/69 (Fischer v Austria ).
Auslieferung und Strafgewalt
65
b. Die Judikatur des VfGH Der VfGH hat bereits 1996, dh vor den einschlägigen EGMR E, eine einheitliche Rsp zur Beurteilung der Doppelverfolgung bei verwaltungsbehördlicher und gerichtlicher Strafverfolgung entwickelt:334 In weitgehender Übereinstimmung mit der späteren Rsp des EGMR in Fischer v Austria, W.F. v Austria und Sailer v Austria stellt die sog „Gesichtspunktetheorie“ darauf ab, ob sich Schuld- und Unrechtsgehalt der beiden Tatbestände decken, oder ob mit dem im zweiten Verfahren zu verfolgenden Tatbestand andere wesentliche Gesichtspunkte geahndet werden sollen.335 Im Ergebnis stehen daher alle Formen der Scheinkonkurrenz mit dem Doppelverfolgungsverbot im Widerspruch. Das Prinzip ist klar und dogmatisch überzeugend, seine Anwendung durch den VfGH im Einzelfall jedoch nicht immer plausibel. So erkannte der VfGH, dass ein strafgerichtlicher Freispruch wegen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 StGB die Verwaltungsstrafe wegen der Nichtbefolgung der Aufforderung des Anhaltens des Fahrzeuges nicht verbiete, da diese Tatbestände einen Schuld- und Unrechtsgehalt aufweisen, der von dem jeweils anderen nicht vollständig erschöpft bzw in jeder Hinsicht mitumfasst sei.336 c. Die Judikatur des OGH – (Un)zulässigkeit der nachträglichen Verfolgung von § 80 StGB bzw § 88 StGB unter Ausschluss des § 81 Abs 1 Z 2 StGB bei erfolgter Verurteilung nach §§ 5 Abs 1 iVm 99 Abs 1 lit a StVO In den oben dargestellten E Fischer v Austria, W.F. v Austria und Sailer v Austria hielt der EGMR die Verurteilung der Beschwerdeführer durch die Verwaltungsbehörde wegen des Fahrens in alkoholisiertem Zustand (§§ 5 Abs 1 iVm 99 Abs 1 lit a StVO) und in der Folge durch das Strafgericht wegen der durch die Alkoholisierung qualifizierten Verletzung bzw Tötung (§§ 88 Abs 3, 81 Abs 1 Z 2 StGB) für konventionswidrig. Diese Entscheidungen lassen die Frage offen, ob eine nachträgliche Verfolgung der „bloßen“ Verletzung bzw fahrlässigen Tötung nach § 88 bzw 80 StGB (unter Außer-Acht-Lassung der qualifizierenden Umstände) zulässig wäre, dh eine Doppelverfolgung dann nicht vorläge, wenn der sich offensichtlich deckende Aspekt – die Alkoholisierung am Steuer – weggelassen wird. Zur Beurteilung dieser Frage können zunächst drei neuere OGH E herangezogen werden. In der ersten E 15 Os 18/02337, der ein vergleichbarer 334
335 336
337
VfSlg 14696/1996=EuGRZ 1997, 169, ARD 5011/7/99, VfSlg 15188/1998, 15824/2000, 16245/2001, VwGH 2002/13/0222 Newsletter Menschenrechte 2005, 48; Thienel/Hauenschild; JBl 2004, 77 f, Schwaighofer, ÖJZ 2005, 175 f. VfSlg 14696/1996=EuGRZ 1997, 169, ARD 5011/7/99. Siehe die Kritik dazu bei Schwaighofer, ÖJZ 2005, 175 f, Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 81. Zur Problematik von Verwaltungsstrafverfahren, die auf justizielle Freisprüche folgen, siehe auch unten Abschnitt 1.II.B.1.3.1.e. EvBl 2002/230.
66
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Sachverhalt zugrunde lag, entschied der OGH, in Abkehr von seiner bisherigen Rsp,338 dass nicht nur die Verfolgung wegen §§ 88 Abs 3 StGB, sondern auch die Verfolgung der unqualifizierten fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB gegen das Doppelverfolgungsverbot verstoße und daher unzulässig sei, solange die Verwaltungsbehörde ihren Strafbescheid nicht nach § 30 Abs 3 VStG aufhebt. Der OGH legt damit dem ne bis in idem Grundsatz den historischen Sachverhalt zugrunde. Dieser Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen, die Begründung des OGH richtet sich jedoch nach einem rein formellen Aspekt, der alleine nicht ausschlaggebend sein kann: Da die Verwaltungsbehörde ihren Strafbescheid ausdrücklich auf die Tatsache stützte, dass die Täterin „ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt bzw in einem solchen einen Verkehrsunfall verursacht“ habe, beurteilte es laut OGH exakt denselben Sachverhalt wie das Gericht, weshalb der Strafbescheid auch den Grundtatbestand des § 88 Abs 1 StGB erfasst habe und eine neuerliche Verfolgung dessen gegen das Doppelverfolgungsverbot verstoße. Ein gerichtliches Verfahren sei erst dann möglich, wenn die Verwaltungsbehörde ihr Straferkenntnis gem § 30 Abs 3 VStG außer Kraft setzte und das Verfahren einstelle. Auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung wird unten in diesem Kapitel eingegangen. In den darauf folgenden – auf den EGMR Urteilen Sailer339 und W.F. v Austria340 basierenden – E bestätigte der OGH seine Rsp grundsätzlich. Da sich der Strafbescheid in diesen Fällen jeweils nur auf das alkoholisierte Lenken und – anders als im vorgenannten Fall – nicht ausdrücklich auch auf die Verletzung bezog, sei hier die nachträgliche Verfolgung des Grunddeliktes der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zulässig. Diese formale Frage der Nennung der Verletzung oder Tötung im Bescheid kann aber nicht ausschlaggebend sein, va da die Verwaltungsbehörde zur Ahndung dieses Umstandes weder berechtigt noch zuständig ist.341 Das formale Kriterium der Nennung der Tat im zugrunde liegenden behördlichen Akt macht nur innerhalb eines strafgerichtlichen Verfahrens in Bezug auf Ankla-
338
339
340
341
EvBl 2002/57=JBl 2002, 402=ZVR 2003/18, kritisch dazu Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 71. Beschluss vom 5.8.2003 11 Os 167/02, mit dem über einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gem § 363a StPO entschieden wurde. Beschluss vom 21.8.2003 15 Os 154/02, es handelt sich wiederum um einen Antrag gem § 363a StPO. AM Birklbauer, Anm zu 15 Os 18/02, JSt 2003/19, der diese Lösung aus Gründen der Rechtsicherheit befürwortet. Er empfiehlt den Behörden, zukünftig darauf zu achten, dass sie dem Beschuldigten den richtigen Eindruck vermitteln, dh dass nur der Sachverhalt von ihnen beurteilt wurde, der auch in ihre Kompetenz fällt. ME ist die Rechtssicherheit ist ein wichtiger Aspekt, doch kann sie diesfalls nicht entscheidend sein.
Auslieferung und Strafgewalt
67
ge und Urteil Sinn.342 Die Auffassung führt dazu, dass die gerichtliche Verfolgung eines Tatbestandes immer dann ausgeschlossen ist, wenn die Verwaltungsbehörde das diesem Tatbestand zugrunde liegende Element, wie hier die Todesfolge, in seiner Entscheidung nennt, auch wenn es zu dessen Ahndung nicht zuständig und die Nennung daher für die Entscheidung der Behörde ohne Relevanz ist. Schwaighofer verdeutlicht die Konsequenzen an folgendem Beispiel: Ein Fahrzeuglenker, der nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung ist, stößt vorsätzlich einen anderen mit dem Auto nieder und tötet ihn. Kommt die Verwaltungsbehörde dem Gericht zuvor und verurteilt ihn nach § 5 FSG, weil der Täter ohne im Besitz eines Führerscheins zu sein, ein Auto gelenkt und dabei einen anderen niedergestoßen hat, so wäre eine gerichtliche Verfolgung des Mordes nach dieser Judikatur unzulässig.343 Nach der Judikatur des EGMR läge im letztgenannten Fall wohl kein Verstoß gegen das Doppelverfolgungsverbot vor, da sich in diesem Fall die wesentlichen Tatbestandsmerkmale schon objektiv nicht decken und der Unrechtsgehalt des Mordes durch den Strafbescheid (und umgekehrt) jedenfalls nicht erfasst ist.344 Die Tatsache, dass in dem Bescheid von der Verletzung die Rede ist, kann daher nicht ausschlaggebend sein. Der letztgenannte (auf der E W.F. v Austria basierende) Beschluss des OGH345 ist zudem aus anderen Gründen erwähnenswert. Im Beschluss findet sich folgender Passus: „…zur gegenständlich nicht relevierten Verwaltungsstrafe wegen Geschwindigkeitsübertretung siehe hingegen EGMR Oliveira gegen die Schweiz“. Offensichtlich war über W.F. nicht nur eine Verwaltungsstrafe wegen Alkoholisierung, sondern auch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt worden, bevor ihn das Strafgericht gem § 88 Abs 3 StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen verurteilte. Eine Doppelverfolgung wegen der zweimaligen Beurteilung der Geschwindigkeitsüberschreitung wurde aber vor dem EGMR nicht bekämpft und wird daher vom OGH auch nicht aufgegriffen. Zudem führt der OGH aus, dass im erneuerten Strafverfahren wegen § 88 Abs 1 bzw Abs 2 Z 4 StGB hinsichtlich des Grades des Verschuldens die Alkoholisierung auszuklammern, die Geschwindigkeitsübertretung jedoch miteinzubeziehen sei. Er geht daher offensichtlich davon aus, dass hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen und der nachträglichen strafgericht342
343 344
345
Tritt man für die Auffassung des OGH ein, so müsste nach Schwaighofer, ÖJZ 2005, 177 konsequenterweise neben der Nennung im Bescheid auch miteinbezogen werden, was die Ermittlungen im Zuge des Verwaltungsverfahrens umfassten. Schwaighofer, ÖJZ 2005, 177 f. Ebenso ist auch im Fall der verwaltungsbehördlichen Bestrafung nach §§ 37 Abs 1 iVm 1 Abs 3 FSG wegen des Fahrens ohne Lenkerberechtigung und der darauf folgenden strafgerichtlichen Verurteilung nach § 136 Abs 1 StGB wegen des Fahrens ohne Einwilligung des Berechtigten zu entscheiden: OGH JBl 2004, 739. 15 Os 154/02.
68
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
lichen Verfolgung der Geschwindigkeitsüberschreitung die E Oliveira weiterhin maßgeblich sei und daher die bereits durch Strafbescheid geahndete Geschwindigkeitsüberschreitung anlässlich der nachträglichen gerichtlichen Verfolgung der Körperverletzung neuerlich zur Beurteilung herangezogen werden dürfe.346 Dass die Oliveira E mit den anderen Entscheidungen Fischer, W.F. und Sailer nicht in Einklang gebracht werden kann, und daher auch hier eine Doppelverfolgung vorliegt, wurde bereits ausgeführt. Der EGMR selbst gibt in seinen Entscheidungen keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, ob die Verfolgung der unqualifizierten Körperverletzung bzw Tötung nach § 88 Abs 1 bzw § 80 StGB nach erfolgter Verurteilung wegen §§ 5 iVm 99 StVO unter dem Gesichtspunkt von Art 4 7. ZPMRK zulässig wäre. Bei rein abstrakter und objektiver Betrachtung erscheint die Ahndung der unqualifizierten Verletzung oder Tötung möglich, da zwei unabhängige Tatbestände verfolgt werden, die sich in ihren wesentlichen Elementen nach der bloßen Deliktsbeschreibung (nach außen hin) nicht decken. Das eine Delikt bestraft das alkoholisierte Lenken eines Fahrzeuges, das andere die Tötung eines anderen. Daher schreibt Schwaighofer, dass sich diesfalls die Bestrafung wegen des alkoholisierten Fahrens und wegen der fahrlässigen Körperverletzung nicht überschneiden, auch wenn das Fehlverhalten durch die Alkoholisierung bedingt war.347 Diese rein abstrakte Beurteilung ist mE nicht ausschlaggebend, vielmehr sollte eine konkrete Betrachtung erfolgen. Es müsste im Einzelfall festgestellt werden, ob zur tatsächlichen, konkreten Überprüfung des Vorliegens der fahrlässigen Tötung nicht dennoch eine nochmalige Berücksichtigung der Alkoholisierung notwendig ist und ob es dadurch zu einer Doppelverfolgung kommt. Dabei ist zu überlegen, ob von der Alkoholisierung abstrahiert eine davon unabhängige objektive Sorgfaltswidrigkeit festgestellt werden kann. Konkret ergibt sich die soziale Inadäquanz in den vorliegenden Fällen wahrscheinlich aus einem sonstigen Fehlverhalten, wie zB einer verzögerten oder falschen Reaktion. Doch ist anlässlich der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit zu beurteilen, ob der Täter nach seinen geistigen oder körperlichen Verhältnissen befähigt war, die objektive Sorgfalt zu beachten. Da die Alkoholisierung diese Fähigkeit ausschließt, sie geradezu ausschlaggebend dafür ist, dass der Täter nicht schneller reagieren kann, muss auf die Übernahmefahrlässigkeit zurückgegriffen werden,348 weshalb der Sorgfaltsverstoß im Grunde wiederum im alkoholisierten Fahren liegt. Im Ergebnis wird also der sich deckende wesentliche Aspekt zweimal geprüft. Als Konsequenz dieser Feststellung liegt ein Verstoß gegen das Doppelverfolgungsverbot vor.349
346 347 348 349
Vgl aber VwGH 82/03/0253, 81/02/0387. Schwaighofer, ÖJZ 2005, 178 f. Dazu Kienapfel/Höpfel, AT11 Z 25 Rz 26 f, Kienapfel/Schroll, BT I § 80 Rz 44. So nun auch Bertel/Venier, StPO8 Rz 200a, vgl auch OGH JBl 2004, 741.
Auslieferung und Strafgewalt
69
Dies bedeutet aber, dass in den Fällen, in denen die Verwaltungsbehörde bereits einen Strafbescheid erlassen hat, ein gerichtliches Verfahren hinsichtlich der noch nicht verfolgten Folge ausgeschlossen ist.350 Dies erscheint unter dem Aspekt problematisch, dass die Verwaltungsbehörde in diesen Fällen gar nicht den ganzen Sachverhalt mitbeurteilen kann; es ist die verwaltungsbehördliche Verfolgung der Verletzung gesetzlich nicht vorgesehen. Doch liegt es an den zuständigen Verwaltungsbehörden, diesen Umstand zu berücksichtigen. Sie haben zu prüfen, ob der Sachverhalt in ihre oder vorrangig in die Zuständigkeit des Gerichtes fällt. Diese Feststellung dürfte insofern nicht problematisch sein, als sich die strafgerichtlichen Folgen der Tat zumeist sofort abschätzen lassen. § 30 Abs 2 VStG, der das Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen regelt, trägt den Behörden zudem auf, in Zweifelsfällen das Verwaltungsstrafverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts auszusetzen. Geschieht dies nicht, liegt wegen der sich deckenden wesentlichen Tatbestandsmerkmale eine doppelte Verfolgung derselben Tat vor. Der von Schwaighofer – in Bezug auf die Lösung dieser Frage durch den OGH – als schwer erträglich bezeichnete Fall des Mörders, der oben dargelegt wurde,351 kann anhand der hier vertretenen Auslegung rechtsstaatlich gelöst werden: Fand bereits eine Verurteilung wegen des Lenkens ohne Führerschein statt, so kann der Mord gerichtlich verfolgt werden, da der Umstand des führerscheinlosen Fahrens für die Prüfung des Mordes keine Rolle spielt. Es ist daher in jedem Fall gesondert zu prüfen, ob zur konkreten Beurteilung der Strafbarkeit derselbe Aspekt nochmals herangezogen werden muss, wie im oben genannten Fall der Alkoholisierung. Ist dies zu bejahen, so hat eine neuerliche Verfolgung zu unterbleiben, auch wenn der nachträglich zu beurteilende Tatbestand ein zusätzliches Element enthält, das durch die erste Entscheidung nicht abgegolten wurde bzw auch nicht geahndet werden kann. Abschließend ist noch auf § 30 Abs 3 VStG einzugehen. Dazu ist nochmals der Sachverhalt der OGH E 15 Os 18/02 in Erinnerung zu rufen. Die Verwaltungsbehörde hatte gegen den Unfallverursacher in Kenntnis der erfolgten Körperverletzung wegen des Fahrens in alkoholisiertem Zustand einen Strafbescheid erlassen, das Gericht verurteilte ihn zudem nach § 88 Abs 3 iVm § 81 Abs 1 Z 2 StGB. Der OGH stellte fest, dass in diesem Fall auch eine justizielle Verfolgung der fahrlässigen Körperverletzung gem § 88 Abs 1 StGB (unter Außerachtlassung des § 81 Abs 1 Z 2 StGB) dem ne bis in idem Grundsatz widerspreche, dieser Zustand aber durch Außerkraftsetzung des Strafbescheides gem § 30 Abs 3 VStG aufgehoben werden könne.352 Die350
351 352
Dies gilt jedenfalls solange die Behörde den Strafbescheid nicht nachträglich gem § 30 Abs 3 VStG aufgehoben hat. Auf die Rechtmäßigkeit dieser Aufhebung und deren Voraussetzungen wird im übernächsten Absatz eingegangen. ÖJZ 2005, 177 f. Ebenso Kienapfel/Höpfel, AT11 E 8 Rz 55c.
70
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
ser Ansicht ist nicht zuzustimmen und § 30 Abs 3 VStG in diesem Fall nicht anwendbar, da diese Bestimmung vorsieht, dass die Behörde ein Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen hat, wenn sich später ergibt, dass das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen.353 Grundsätzlich verbietet der ne bis in idem Grundsatz bereits die doppelte Verfolgung wegen derselben Tat und nicht erst deren doppelte Bestrafung. Eine zweimalige Verfolgung kann nicht dadurch verhindert werden, dass das erste Verfahren einfach aufgehoben wird. Die Verfolgung hat ja trotz der Außerkraftsetzung stattgefunden; durch sie werden nur die Folgen, insb die Verurteilung, beseitigt.354 Als Ausnahme vom Doppelverfolgungsverbot sieht Art 4 Abs 2 7. ZPMRK aber die Wiederaufnahme vor, und verlangt als Voraussetzung dafür das Vorliegen neuer Tatsachen oder schwerer Verfahrensmängel. Die Bestimmung des § 30 Abs 3 VStG ist insofern als Sonderfall der Wiederaufnahme zu verstehen,355 was bedeutet, dass die Umstände, die eine gerichtliche Zuständigkeit bewirken und eine Aufhebung des Verwaltungsbescheides zulassen, erst später, also nach Abschluss des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, bekannt geworden sein dürfen.356 Waren die Tatsachen zuvor bekannt, oder bestanden Zweifel an der Zuständigkeit der Behörde, so fehlt dieses Erfordernis. Ebenso wenig kann in diesen Fällen von einem schweren Verfahrensmangel iSd Art 4 Abs 2 7. ZPMRK ausgegangen werden, der die Wiederaufnahme rechtfertigte.357 Denn mit diesem Argument könnte das Doppelverfolgungsverbot beliebig umgangen werden und würde das Erfordernis der neuen Tatsachen ad absurdum geführt. Es kann auch nicht damit argumentiert werden, dass die Wiederaufnahme diesfalls zum Vorteil des Beschuldigten erfolgt, denn erst sie ermöglicht das umfassendere gerichtliche Strafverfahren.358 Die in § 30 Abs 3 VStG gewählte Formulierung, dass sich die Umstände erst später ergeben, ist daher im Sinne einer verfassungs- und konventions-
353
354 355 356 357
358
Bertel/Venier, StPO8 Rz 200b, ebenso Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 164 f, dies, JBl 2004, 442 Anm zu VfGH B 666/03 aber aus anderen Gründen. aM ÖJZ-MRK 2005/18. VwSlg 2040 A/1951, Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 Band II § 30 E 35. Siehe nunmehr auch Bertel/Venier, StPO8 Rz 200 b. aM Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 162: Die Erlassung eines Strafbescheides trotz Zweifel an der gerichtlichen Strafbarkeit „kann zwanglos als schwerer Mangel des früheren Verfahrens gewertet werden“; vgl auch VfGH JBl 2004, 441 mit Anm Thienel/Hauenschild. Bertel/Venier, StPO8 Rz 200b, Schwaighofer, ÖJZ 2005, 179; aM grundsätzlich Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 165, jedoch mit Verständnis für die gegenteilige Auffassung 165 f (beides § 52a VStG betreffend).
Auslieferung und Strafgewalt
71
konformen Interpretation in der aufgezeigten Weise zu verstehen.359 War der den gerichtlichen Tatbestand verwirklichende Umstand – wie im vorliegenden Fall die Verletzung – bereits bekannt, so ist eine Aufhebung und nachträgliche Durchführung des gerichtlichen Strafverfahrens konventionswidrig. Der als „Wiederaufnahmebestimmung“ titulierte § 30 Abs 3 VStG entspricht daher nur dann den Vorgaben des Art 4 Abs 2 7. ZPMRK, wenn er entsprechend restriktiv ausgelegt wird.360 d. Zusammenfassende Darstellung der eigenen Position Folgt eine gerichtliche Strafverfolgung auf ein Verwaltungsstrafverfahren, so liegt ein Verstoß gegen den ne bis in idem Grundsatz vor, wenn der (gerichtliche) Straftatbestand alles Unrecht umfasst, welches bereits in der Verwaltungsnorm enthalten ist, sich die wesentlichen Tatbestandsmerkmale daher decken. Dabei ist eine konkrete Betrachtung vorzunehmen, bei der es im Einzelfall zu untersuchen gilt, ob im darauf folgenden gerichtlichen Strafverfahren der im Verwaltungsstrafverfahren wesentliche Gesichtspunkt nochmals berücksichtigt und damit nochmals verfolgt wird. Das bedeutet, dass ein Verstoß gegen das ne bis in idem Prinzip nicht nur dann vorliegt, wenn das alkoholisierte Fahren gem § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO bestraft und in der Folge ein gerichtliches Strafverfahren wegen § 81 Abs 1 Z 2 StGB durchgeführt wird, sondern auch in den Fällen einer darauf folgenden Verfolgung wegen § 80 StGB. Keine Deckung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale liegt zB in jenem Fall vor, in welchem ein Täter von der Verwaltungsbehörde wegen des Fahrens ohne Lenkerberechtigung gem § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG bestraft wird und das Strafgericht daraufhin nach § 136 Abs 1 StGB wegen des Fahrens ohne Einwilligung des Berechtigten verfolgt.361 e. Relevanz für das Auslieferungsverfahren Die Auslieferung ist – außer im Bereich des europäischen Haftbefehles362 – grundsätzlich nur bei beiderseitiger gerichtlicher Strafbarkeit zulässig, dh ein Auslieferungsersuchen zur Verfolgung einer Verwaltungsstraftat muss vom ersuchten Land ebenso abgelehnt werden, wie ein Ersuchen wegen einer Tat, die zwar im ersuchenden Staat gerichtlich, im ersuchten Staat aber nur ver359
360
361 362
Anders Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 164, die in diesen Fällen nicht § 30 Abs 3 sondern § 52a VStG für anwendbar halten. Vgl auch Schwaighofer, ÖJZ 2005, 179, Giese, in Kontinuität 113 f; Bedenken auch bei Birklbauer, Anm zu 15 Os 18/02, JSt 2003/19; zur Verfassungswidrigkeit von § 30 Abs 2 bis 4 VStG Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 167 ff. OGH JBl 2004, 739. Das Vorliegen der Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat (dh dem ersuchten Staat) stellt gem Art 2 Abs 4 und Art 4 Z 1 RB-HB nur eine Kann-Bestimmung dar, hinsichtlich einer Liste von 32 Straftaten entfällt die Notwendigkeit der Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat, dazu unten Abschnitt 2.II.A.
72
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
waltungsbehördlich strafbar ist. Denkbar ist aber ein Auslieferungsersuchen hinsichtlich einer im ersuchenden Staat gerichtlichen Straftat, die im ersuchten Staat auch eine gerichtliche Straftat darstellt, dort aber bereits verwaltungsbehördlich bestraft wurde. Hier stellt sich die Frage, ob der ersuchte Staat die Auslieferung mit Hinweis auf die bereits erfolgte verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung ablehnen kann. Denn einerseits hat der ersuchte Staat hinsichtlich der Tat grundsätzlich einen eigenen inländischen Strafanspruch, den er aber wegen Art 4 7. ZPMRK selbst nicht mehr geltend machen kann. Andererseits entfaltet diese ne bis in idem Bestimmung laut Rsp des EGMR nur innerstaatliche Wirkung, dh sie betrifft nur die Wechselwirkung zwischen verwaltungsrechtlicher und gerichtlicher Strafverfolgung innerhalb eines Staates. Die Frage, ob ein Staat eine Person ausliefern darf bzw muss, die er selbst bereits verwaltungsstrafrechtlich verfolgt hat, und dessen gerichtliche Verfolgung dort wegen des Doppelverfolgungsverbotes unzulässig ist, wird im Kapitel IV.A. „Das Auslieferungsverbot des ne bis in idem Grundsatzes“ erörtert. Auch hinsichtlich des Europäischen Haftbefehls wird auf diese Frage eingegangen.363 Außer Betracht bleiben kann in dieser Arbeit die Beurteilung der Zulässigkeit eines Verwaltungsstrafverfahrens nach einem strafgerichtlichen Freispruch. Die Rsp erkennt darin keinen Verstoß gegen Art 4 7. ZPMRK: Die VfGH E B 344/98364 soll die Problematik veranschaulichen: Der Angeklagte war im gerichtlichen Strafverfahren wegen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§§ 80, 81 Z 2 StPO) mangels Schuldbeweises freigesprochen worden, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Opfer selbst in das Lenkrad gegriffen und damit den Unfall verursacht hatte, worauf eine Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde wegen Lenkens in alkoholisiertem Zustand folgte. Der VfGH untersuchte anhand der HVProtokolle, dem Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung, ob das Erstgericht bei seiner Entscheidung die Frage der Alkoholisierung beurteilt hatte. Er stellte fest, dass der Freispruch bloß auf der nicht erwiesenen fahrlässigen Tötung basiere, weshalb der Unrechts- und Schuldgehalt der Verwaltungsübertretung des Lenkens in alkoholisiertem Zustand durch das Strafverfahren noch nicht erschöpft worden sei und das folgende Verwaltungsstrafverfahren nicht gegen die Art 4 ZPMRK verstoße. Auch diese Fallkonstellation birgt einen interessanten ne bis in idem Aspekt, da diese materielle Betrachtungsweise des VfGH nachvollziehbar erscheint, eine formelle Betrachtung aber zu einem anderen Ergebnis führen könnte: Da die Alkoholisierung angeklagt war und wahrscheinlich auch entsprechende Beweise vorgebracht wurden, kann ebenso argumentiert werden, dass dieser Tatbestand bereits verfolgt wurde, weshalb auch dem Freispruch 363 364
Unten Abschnitt 2.III.B.1.1. ZVR 2000/100, bestätigt durch den EGMR ÖJZ-MRK 2005/9.
Auslieferung und Strafgewalt
73
eine Sperrwirkung zukommen muss.365 In der vorliegenden Arbeit kann dieser ne bis in idem Aspekt aber außer Betracht bleiben, da er das Auslieferungsrecht nicht tangiert. Denn es darf wegen einer Verwaltungsübertretung weder ein Auslieferungsersuchen gestellt noch eine Auslieferung bewilligt werden. Auch nach dem RB-HB ist die gerichtliche Strafbarkeit im Ausstellungsstaat (ersuchenden Staat) eine Übergabevoraussetzung. Ist die Tat jedoch im Ausstellungsstaat gerichtlich strafbar, erfolgte aber im Vollstreckungsstaat (ersuchter Staat) ein gerichtlicher Freispruch, so ergibt sich die Unzulässigkeit einer Übergabe aus der rechtskräftigen Entscheidung gem Art 3 Abs 2 RB-HB bzw aus § 6 oder § 7 EU-JZG. f. Anwendbarkeit der EGMR und VfGH Rsp auf die Sperrwirkung innerhalb gerichtlicher Strafverfahren Es stellt sich nun die Frage, ob die Judikatur des EGMR bzw des VfGH auf die Doppelverfolgung innerhalb des gerichtlichen Strafrechts zu übernehmen ist. Die Scheinkonkurrenz regelt, wie bereits erwähnt, die Fälle, in denen trotz abstrakter Verwirklichung mehrerer Tatbestände aus logischer, normativer oder wertender Sicht tatsächlich nur die Anwendung eines Delikts möglich ist, da dieses den Unrechts- und Schuldgehalt des anderen bereits mit umfasst. Liegt Scheinkonkurrenz vor, so handelt es sich innerhalb des Strafverfahrens ebenso wie bei verwaltungsstrafrechtlicher und gerichtlicher Zuständigkeit jedenfalls um dieselbe Tat. Nach Rsp und einem Teil der Lehre ist das Gericht zur Aburteilung und Ahndung aller in Idealkonkurrenz begangener Handlungen zuständig und daher dazu verpflichtet, alle idealkonkurrierenden Aspekte innerhalb eines Strafverfahrens zu berücksichtigen. Daraus folgt aber, dass diese Aspekte später nicht nochmals in einem gerichtlichen Verfahren verfolgt werden dürfen. Bertel/Venier gehen hingegen davon aus, dass diese umfassende Verfolgungspflicht nur insoweit besteht, als die idealkonkurrierenden Delikte zumindest dasselbe Rechtsgut verletzen.366 Nach beiden Auffassungen ist die Rechtskraftwirkung innerhalb des gerichtlichen Strafverfahrens jedenfalls umfassender als im Verhältnis zwischen gerichtlichem und verwaltungsrechtlichem Strafverfahren. Denn stehen sich verwaltungsstrafrechtliche und gerichtliche Delikte in Idealkonkurrenz gegenüber, ist eine Verfolgung durch Behörde und Gericht zulässig. Nur wenn es sich um einen Fall der Scheinkonkurrenz handelt, liegt eine Tat vor, die lediglich in einem Verfahren verfolgt werden darf. Diese Rechtslage war nicht selbstverständlich. Österreich ging lange davon aus, dass das Doppelverfolgungsverbot nur innerhalb des gerichtlichen 365
366
Vgl dazu Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 167 f; aM in Übereinstimmung mit dem VfGH Kienapfel/Höpfel, AT11 E 8 Rz 55d. Bertel/Venier StPO8 Rz 651 ff. Zum Tatbegriff, dh zur Identität der Tat, im gerichtlichen Strafverfahren siehe ausführlich unten Abschnitt 1.II.B.1.3.2.
74
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Strafrechts gelte, weshalb es auch einen entsprechenden Vorbehalt zu Art 4 7. ZPMRK abgegeben hatte. Dieser wurde jedoch durch den EGMR als konventionswidrig aufgehoben. Daraufhin wurden im Verwaltungsstrafrecht Subsidiaritätsklauseln eingeführt, die die Nachrangigkeit der Verwaltungstatbestände regeln. Da dies aber nur teilweise geschah, ist im Wege des ne bis in idem Grundsatzes eine Doppelverfolgung von scheinkonkurrierenden Tatbeständen hintanzuhalten. Im folgenden Kapitel soll „dieselbe Tat“ im gerichtlichen Strafverfahren dargestellt werden. 1.3.2. Das idem innerhalb des Strafverfahrens – Überblick Das Doppelverfolgungsverbot verbietet die neuerliche Verfolgung der Tat, wegen der der Täter bereits verfolgt wurde. Es ist daher festzustellen, welche Tat dem ersten Strafverfahren zugrunde lag. In diesem Kapitel wird der Begriff „Tat“ zur Umschreibung des der Sperrwirkung unterliegenden idem verwendet, der Begriff „Delikt“ bzw „Straftatbestand“ hingegen bezieht sich auf die Bestimmung des StGB, unter welche das Verhalten des Täters subsumiert werden kann. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist die verfolgte Tat das im ersten Verfahren verfolgte Delikt, dh der vorgeworfene Straftatbestand. Nach kontinentaleuropäischem Recht wird unter der Tat vorwiegend die Tat im „prozessualen Sinn“ verstanden:367 Das Doppelverfolgungsverbot ist Ausfluss der materiellen Rechtskraft.368 In materielle Rechtskraft erwächst der dem Urteil zugrunde liegende Prozessgegenstand, und dieser muss mit dem Vorwurf der Anklage ident sein. Die „Identität der Tat“ stellt somit die Gegenprobe dar.369 Es kommt ihr zum einen eine positive Funktion zu, indem sie sowohl als Element des Anklagegrundsatzes den Gegenstand der Anklage bestimmt, und auch als Element des Instruktionsgrundsatzes umschreibt, was das Gericht in einem anhängigen Verfahren aufzuklären und abzuurteilen hat. Zum anderen hat sie eine negative Funktion, da sie das darstellt, was – als rechtskräftig erledigt – keiner weiteren Strafverfolgung zugrunde liegen darf.370 Dh der Sperrwirkung liegt die Identität der Tat zugrunde. Notwendig wird die Identität aufgrund des Anklagegrundsatzes gem Art 90 B-VG, der die strikte Trennung von Ankläger und Richter vorsieht und es letzterem lediglich erlaubt, über das zu urteilen, was der Ankläger verfolgen wollte. Ergibt sich im Laufe des Verfahrens, dass der Beschuldigte anders gehandelt oder einen weiteren Straftatbestand erfüllt hat, so muss das Gericht fest-
367
368
369 370
Thomas, Einmaligkeit 188, Birklbauer, JAP 2001/2002, 98: „prozessuale Theorie“, Ratz, in WK StPO § 281 Abs 1 Rz 502, ders, in WK2 Vorbem §§ 28–31 Rz 19 ff. Und umgekehrt ist die materielle Rechtskraft Ausfluss des Doppelverfolgungsverbotes. Birklbauer, JAP 2001/2002, 103. Rieß, LR StPO25 Einl Rz 60, Birklbauer, JAP 2001/2002, 97.
Auslieferung und Strafgewalt
75
stellen, ob noch dieselbe angeklagte oder eine weitere Tat vorliegt. Liegt keine Identität der Tat – also nicht mehr dieselbe – Tat vor, so ist das Gericht nicht zur Aburteilung befugt. Diesfalls ist aber der StA dazu befugt, entweder einen Antrag auf Ausdehnung hinsichtlich des weiteren Faktums zu stellen oder einen Verfolgungsvorbehalt zu erklären. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so verschweigt er sich hinsichtlich dieser Fakten, was zur Folge hat, dass auch sie in Rechtskraft erwachsen.371 Das bedeutet, dass nach österreichischem Recht im Ergebnis die Rechtskraft der Entscheidung nicht nur die idente Tat umfasst, sondern auch jene Fakten, die in der Hauptverhandlung aktenkundig waren, zu deren Verfolgung sich der StA aber nicht äußerte. Nach deutschem Recht deckt sich die Sperrwirkung umfassender als in Österreich mit der Identität der Tat, denn einerseits wird der historische Lebenssachverhalt weit interpretiert und es besteht andererseits keine Verpflichtung zur sofortigen Anklageausdehnung bzw zum Verfolgungsvorbehalt. Das entsprechende Instrument stellt die Nachtragsanklage dar, die auch noch nach dem Verfahren erhoben werden kann. Im Folgenden werden die österreichische und die deutsche Rechtslage in Bezug auf die Identität der Tat dargestellt. Innerhalb Österreichs differieren die Auffassungen, was als dieselbe Tat bezeichnet werden kann, weshalb in der Folge die beiden Hauptansatzpunkte dargestellt werden sollen.372 a. Die Rsp des OGH zur Identität der Tat Der OGH umschreibt in seinen Entscheidungen zur Identität der Tat die angeklagte Tat als „Gesamtverhalten“. Der der Anklage zugrunde liegende Sachverhalt als Gesamtheit (Gesamtverhalten) ist vom Gericht in jede Richtung zu beurteilen, weshalb auch in Idealkonkurrenz stehende Delikte als Erscheinungsform derselben Tat (Tateinheit) vom Gericht verfolgt werden müssen, ohne dass eine Überschreitung der Anklage vorliegt.373 Die Beschuldigtenrechte werden dadurch gewahrt, dass der Gerichtshof die Parteien ü-
371 372
373
Birklbauer, ÖJZ 2004, 294. Zur Rsp und den verschiedenen Lehrmeinungen ausführlich Birklbauer, JAP 2001/2002, 98 ff. Laut OGH EvBl 2000/221 liegt bei Tateinheit stets nur eine Tat im Sinne des Prozessrechts vor. In dieser E lautet der Anklagevorwurf auf gewerbsmäßigen Schmuggel nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG und vorsätzlichen Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit b FinStrG. Sachverhaltsmässig wurde diese Anklage damit begründet, dass der Täter die Zigaretten, welche er anlässlich seiner Anreisen über das Zollamt Kl nach Österreich geschmuggelt hat, an L geliefert hatte. Das Gericht verurteilte den Täter wegen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und Monopolhehlerei nach § 46 Abs 1 lit a FinStrG.
76
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
ber die geänderten rechtlichen Aspekte zu hören hat.374 In Realkonkurrenz stehende Taten (Tatmehrheit) darf das Gericht nur verfolgen, wenn beide angeklagt wurden. Problematisch ist hier oftmals die Differenzierung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit, dh zwischen Ideal- und Realkonkurrenz. Verletzt A den B am Körper (§ 88 StGB) und lässt ihn dann im Stich (§ 94 StGB), so sind dies nach der Rsp zwei Tathandlungen, weshalb Realkonkurrenz vorliegt.375 Klagt der StA nur die Verletzung an und stellt sich in der HV heraus, dass der Täter nach der Verletzung wegfuhr, ohne die erforderliche Hilfe zu leisten, müsste der StA die Anklage auf § 94 StGB ausdehnen, da nach österreichischer Auffassung kein einheitlicher historischer Sachverhalt, sondern Tatmehrheit vorliegt.376 Fraglich ist, ob nach der Rsp das Gericht zur Aburteilung des § 94 StGB berechtigt wäre, wenn der StA zwar nur § 88 StGB angeklagt, den Vorwurf in der Anklage aber mit dem ganzen Geschehen, dh auch mit dem Wegfahren, begründet hätte. Ginge man – unter Heranziehung der OGH Rsp zu Art 4 7. ZPMRK betreffend der Konkurrenz zwischen verwaltungsbehördlichem und gerichtlichem Strafverfahren377 – davon aus, dass dies der vorgeworfene Sachverhalt sei, so könnte das Gericht auch darüber absprechen.378 Wohl eher ist dies als bloße Illustration der Anklage zu verstehen, weshalb dem Gericht ohne Ausdehnung der Anklage eine Beurteilung des § 94 StGB untersagt ist.379 b. Die Auffassung von Bertel/Venier Bertel/Venier gehen von einem eingeschränkteren Tatbegriff aus. Für sie ist maßgeblich, ob die Tat einen „Teil derselben Verletzung desselben Rechtsguts“ darstellt.380 Welche Rechtsgutsverletzung der Anklage zugrunde lag, ergibt sich aus den Gesetzesstellen, die der Ankläger in der Anklage anführte, welche Verletzung, an den Umständen, wie Tatzeit, Tatort, Begehungsweise, Person des Geschädigten usw, mit denen der Ankläger die Tat indivi374
375
376
377
378 379 380
§ 262 StPO. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung sollte daher „an sich“ nichtig sein, vgl die differenzierte Auffassung des OGH EvBl 2000/221. Siehe auch die entsprechende Hinweispflicht nach § 265 dStPO, dazu unten Abschnitt 1.II.B.1.4. ZVR 1981/103 mit Anm Melnizky; aM BGHSt 35, 14, der zwar Realkonkurrenz annimmt, aber von einem historischen Sachverhalt ausgeht, weshalb Identität der Tat vorliegt, zum deutschen Recht siehe unten Abschnitt 1.II.B.1.4. OGH E ZVR 1981/103 mit Anm Melnizky. In dieser E war der Verletzungsvorwurf nach § 90 StPO eingestellt und nur § 94 StGB angeklagt worden, weshalb das Gericht über die Verletzung nicht mehr absprechen durfte; Ratz, in WK StPO § 281 Abs 1 Rz 505. Vgl die oben genannten E EvBl 2002/230, Beschluss vom 5.8.2003 11 Os 167/02, Beschluss vom 21.8.2003 15 Os 154/02. Siehe auch Ratz, in WK StPO § 281 Abs 1 Rz 505. SSt 47/30; Bertel/Venier, StPO8 Rz 656. Bertel/Venier, StPO8 Rz 651 f, ausführlich zur Theorie der Rechtsgutsverletzung Bertel, Identität 134 ff.
Auslieferung und Strafgewalt
77
dualisiert. Daher sind nach ihrer Ansicht weder realkonkurrierende Delikte noch solche, die ideal konkurrieren, aber verschiedene Rechtsgüter verletzen, Erscheinungsformen derselben Tat, sondern „andere Taten“, wenn sie nicht in der Anklage angeführt sind. Sachverhalte, die der Ankläger nur zur Illustration in die Anklage nimmt, sind ihnen zufolge nicht Teil des Anklagevorwurfs.381 Ergibt sich im Verfahren, dass ein Sachverhalt neben der angeklagten Rechtsgutsverletzung die Verletzung eines weiteren Rechtsgutes darstellt, so handelt es sich daher nach Bertel/Venier nicht mehr um eine idente Tat. Das Gericht darf darüber nur absprechen, wenn der StA die Anklage diesbezüglich ausdehnt. Der E OGH EvBl 1996/69 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: A ist der Beteiligung an der Veruntreuung des B angeklagt. Er soll dem B bei der Veruntreuung eines Autos dadurch geholfen haben, dass er den Diebstahl des Autos bei der Polizei bestätigte. Er wurde gem § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf des § 133 StGB freigesprochen, da das Auto tatsächlich gestohlen worden war (aber zu einem anderen Zeitpunkt und in einem anderen Land), aber wegen der Falschaussage vor der Behörde nach §§ 298 Abs 1 und 289 StGB verurteilt. Hier fehlte es nach Rsp und Bertel/Venier an einer identen Tat, weshalb die Verurteilung rechtswidrig war. Eine neuerliche Verfolgung der Taten ist ebenso unzulässig, da der StA in der HV keinen Antrag auf Ausdehnung der Anklage stellte. Da es sich um verschiedene Rechtsgutsverletzungen handelte, ist die Auffassung von Bertel/Venier nachvollziehbar. Nicht ganz klar ist jedoch, warum auch der OGH die Tat nicht als ident ansieht, da tatsächlich derselbe Sachverhalt vorlag, der anders zu werten ist. Die Meldung bei der Polizei stellt nicht die Zueignungs-, sondern die Vortäuschungshandlung dar. Bei den verschiedenen Ansätzen zum Umfang des Tatbegriffs handelt es sich nicht bloß um rein theoretisch-dogmatische Überlegungen, sondern um Fragen von praktischer, rechtsstaatlicher Konsequenz.382 Die weitere Interpretation der Rsp kann die Verteidigungsposition des Angeklagten in der HV erschweren, da sich dieser auf neu hinzukommende bzw geänderte Fakten einzulassen hat. Diese Wirkung wird zwar dadurch etwas gemildert, dass der Gerichtshof die Parteien über die geänderten rechtlichen Aspekte zu hören hat. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung stellt jedoch für sich alleine nach der Rsp noch keinen Nichtigkeitsgrund dar.383 Zudem führt die weite Auslegung dazu, dass der StA von der Verfolgung idealkonkurrierender Delikte nicht zurücktreten kann, da eine Trennung nur bei Vorliegen mehrer Taten möglich ist.384 Dem Gericht hingegen wird eine weite Kognitionsbe-
381 382 383 384
Bertel/Venier, StPO8 Rz 651 f. Rieß, in LR StPO25 Einl Abschn J Rz 61. Vgl OGH EvBl 2000/221. §§ 34 Abs 2 und 57 Abs 1 StPO, Bertel/Venier, StPO8 Rz 655.
78
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
fugnis eingeräumt, die der Verfahrensökonomie zugute kommt. Während der Schutz des Angeklagten während der Hauptverhandlung vermindert wird, vergrößert er sich nach der Rechtskraft des Verfahrens: Werden die Grenzen der Tat weit bestimmt, so führt dies zu einer umfassenderen Rechtskraftwirkung, die den Schutz des Angeklagten erhöht. Das Gericht wiederum ist zu einer umfassenderen und genaueren Aufklärung und Aburteilung gezwungen, eine „Nachkorrektur“ wird zumindest erschwert.385 Umgekehrt führt die enge Auslegung der Identität der Tat zu einem größeren Schutz des Angeklagten in der HV, da er vor unvorhergesehenen Ausweitungen und damit vor einer Beschränkung seiner Verteidigungsrechte bewahrt wird.386 Andererseits erfolgt eine Begrenzung der gerichtlichen Aburteilungsbefugnis. Die Sperrwirkung bezieht sich diesfalls aber auf einen eingeschränkten Tatbegriff, was den Schutz des Angeklagten vor einer neuerlichen Verfolgung verringert und in dem Maße die Möglichkeit der nachträglichen Berücksichtigung anderer Fakten ermöglicht.387 Vorzuziehen ist die Auffassung von Bertel/Venier. Denn das primäre Gewicht des Strafverfahrens kommt der Hauptverhandlung und den dem Beschuldigten darin zu gewährenden Verteidigungsrechten zu. Diese werden durch die enge Auslegung der Identität der Tat stärker gewahrt, insbesondere als die Rsp die mangelnde Anhörung der Parteien hinsichtlich der geänderten rechtlichen Aspekte per se nicht als mit Nichtigkeit sanktioniert ansieht. Zudem werden die negativen Konsequenzen der engen Sperrwirkung zumindest dadurch vermindert, dass im Falle einer nachträglichen Verurteilung nur eine Zusatzstrafe verhängt werden darf und diese so zu bemessen ist, dass das (fiktive) Gesamtmaß das bei gleichzeitiger Verfolgung mögliche Strafmaß nicht überschreitet. c. Verpflichtung zur Ausdehnung der Anklage Die tatsächliche Rechtskraftwirkung deckt sich nach österreichischem Recht, wie bereits angesprochen, nicht notwendig mit der Identität der Tat: Kommen im Zuge des Verfahrens Vorwürfe zutage, die außerhalb des angeklagten Sachverhaltes liegen, darf das Gericht nicht mehr darüber absprechen. Wird zB in einem Mordprozess in der HV aufgrund eines vom Angeklagten verfassten selbstbelastenden Briefes ein früherer nicht verjährter Mord bekannt, darf das Gericht diesen nicht behandeln. Der StA ist vielmehr gem § 263 Abs 1 u 2 StPO dazu verpflichtet, die Ausdehnung der Anklage auf diese
385
386
387
Siehe dazu die Besprechung der Wiederaufnahme im folgenden Punkt Abschnitt 1.II.B.1.3.2.d. Eine Ausdehnung der Anklage auf Antrag des StA ist nach § 263 Abs 2 StPO nur zulässig, wenn der Beschuldigte zustimmt. Rieß, in LR StPO25 Einl Abschn J Rz 61.
Auslieferung und Strafgewalt
79
weitere Tat bzw einen Verfolgungsvorbehalt zu beantragen.388 An die Zustimmung des Angeklagten ist diese Ausdehnung innerhalb der Hauptverhandlung nur insofern gebunden, als die Tat unter ein strengeres Strafgesetz, dh einen Tatbestand mit strengerer Strafdrohung fiele. Stellt der StA keinen Ausdehnungsantrag, so verschweigt er sich und kann diese neue Tat später nicht mehr verfolgen.389 Denn Anklagegrundsatz und Legalitätsprinzip verpflichten den StA zur Verfolgung aller Taten; werden diese in der HV aktenkundig, so muss er darauf reagieren, was der Rechtssicherheit für den Beschuldigten dient. Tut er das nicht, können diese Sachverhaltsaspekte nicht mehr verfolgt werden, außer die Wiederaufnahmebestimmungen finden Anwendung. Das bedeutet praktisch, dass sich der Verbrauch der Anklage in Österreich nicht nur auf den Anklagevorwurf, also das der Anklage zugrunde liegende historische Geschehen, sondern auch auf das in der Hauptverhandlung hervorgekommene historische Geschehen beziehen kann. d. Die Wiederaufnahme als Ausnahme der Rechtskraft Das österreichische Strafverfahren enthält va im Vergleich zur deutschen StPO umfassende Wiederaufnahmebestimmungen, die die Wiederholung eines materiell rechtskräftig beendeten Verfahrens auch zu Ungunsten des Verurteilten in größerem Maße zulassen. So kann ein mit Freispruch beendetes Verfahren gem § 355 Z 2 StPO bei Vorliegen von nova reperta wiederaufgenommen werden. Das sind neue Tatsachen oder Beweismittel, die in der Hauptverhandlung nicht nur aus Versehen des Gerichts oder der Strafverfolgungsbehörden unbekannt oder unbenutzt geblieben sind.390 Diese Bestimmung liegt innerhalb der in Art 4 Abs 2 7. ZPMRK festgelegten Grenzen, die die Wiederaufnahme bei neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen erlauben. 1.4. Das idem nach deutschem Recht Im deutschen Recht ist das innerstaatliche ne bis in idem durch Art 103 III GG verfassungsrechtlich verankert. Es stellt ein Grundrecht dar, das dem Schutz des Angeklagten dient. Es gewährt Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Daneben wird ihm auch Sanktionsfunktion zugeschrieben, in dem Sinne, dass es die am Verfahren mitwirkenden Personen zur sorgfältigen und lückenlosen Erforschung und umfassenden rechtlichen Würdigung des Tatge-
388
389 390
Zu Anklageausdehnung und Verfolgungsvorbehalt siehe ausführlich Birklbauer, ÖJZ 2004, 298 ff. Birklbauer, ÖJZ 2004, 294, vgl auch Bertel/Venier, StPO8 Rz 609. Bertel/Venier, StPO8 Rz 1045, laut OGH, JBl 1997, 672, sind es Tatsachen oder Beweismittel, die das Gericht nicht kannte und nicht kennen konnte; aM Fabrizy, StPO9 § 355 Rz 2 nach denen das Verschulden des Anklägers für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme nicht von Relevanz ist.
80
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
schehens motivieren soll.391 Nach deutschem Recht deckt sich der – Anklage und Urteil zugrunde liegende – prozessuale Tatbegriff gem §§ 155 und 264 StPO mit dem – der ne bis in idem Wirkung zugrunde liegenden – Tatbegriff des Art 103 III GG: Dieselbe Tat des Art 103 III GG bezeichnet „den geschichtlichen Vorgang, den das Gericht im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses abzuurteilen rechtlich in der Lage war“.392 Dies ist nach herrschender Rsp und Lehre gegeben, soweit der „durch die Anklage dem Gericht unterbreitete geschichtliche Vorgang nach der Lebensauffassung eine Einheit bildet.“393 Es wird dabei auf den vorgebrachten Sachverhalt abgestellt und geprüft, ob die hinzugetretenen Fakten mit dem angeklagten Sachverhalt eine Einheit bilden. Nicht ausschlaggebend ist, ob ein bestimmtes Geschehen in der Anklage genannt wurde, sondern, ob es mit den in der Anklage bezeichneten Vorkommnissen noch einen einheitlichen Vorgang bildet.394 Über diesen einheitlichen Lebensvorgang hat das Gericht rechtskräftig abzusprechen, unterlässt es dies, erwächst auch dieser Sachverhaltsaspekt in Rechtskraft. Ähnlich wie in Österreich ist auch im deutschen Schrifttum der Umfang des Tatbegriffs umstritten. Tatidentität bilden nach hM Qualifikationen einer Tat, Idealkonkurrenzen, aber auch in Realkonkurrenz stehende selbständige Geschehnisse, und zwar dann, wenn sie in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang miteinander stehen und in ihrem Unrechtsgehalt vergleichbar sind.395 Auch hier ist das Gericht (nach § 265 dStPO) dazu verpflichtet, den Angeklagten auf die geänderten rechtlichen Gesichtspunkte hinzuweisen. Das Unterbleiben des Hinweises stellt einen Revisionsgrund dar, der nur dann zur Aufhebung des Verfahrens führt, wenn er sich für den Angeklagten nachteilig ausgewirkt hat.396 Die Identität der Tat und auch die damit verbundene Sperrwirkung sind folglich nach deutschem Recht weiter gefasst als nach österreichischem Recht. Es liegt zB – anders als nach österreichischem Recht – eine Tat im prozessualen Sinn vor, wenn der Täter einen Unfall mit Körperverletzung verursacht und in der Folge wegfährt, ohne die erforderliche Hilfe zu leisten.397 391 392 393
394 395
396
397
Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 50 Rz 8. BGH 6, 59, Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 50 Rz 11. Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 20 Rz 5 mwN, Meyer-Goßner, StPO49 § 264 Rz 2, Rieß, in LR StPO25 Einl Abschn J Rz 69 ff, mwN, Engelhardt, in KK StPO4 § 264 Rz 3. Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 20 Rz 6. Rieß, in LR StPO25 Einl Abschn J Rz 69 ff, Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 20 Rz 5, Engelhardt, in KK StPO4 § 264 Rz 1, 5 f. Wenn sich „zweifelsfrei“, „mit Sicherheit“ ausschließen lässt, dass sich der Angeklagte bei Einhaltung der Bestimmung erfolgreicher hätte verteidigen können, siehe die Nachweise bei Engelhardt, in KK StPO4 § 265 Rz 33. Vgl dazu die differenzierte Auffassung des OGH EvBl 2000/221, dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.3.2.a. insb FN 374 und Abschnitt 1.II.B.1.3.2.b. bei FN 383. BGHSt 23, 141, 270.
Auslieferung und Strafgewalt
81
Wer wegen Jagdwilderei verurteilt wurde, da er im Wald erfolglos auf ein Wild geschossen habe, kann nicht mehr des Mordes angeklagt werden, wenn er mit dem Schuss tatsächlich den Mann seiner Geliebten getötet hatte.398 Kommen diese Fakten erst nach dem Verfahren hervor, erwachsen sie in Rechtskraft, da sie in einem so engen zeitlichen Zusammenhang stehen, dass offenbar noch von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgegangen wird. Eine Verfolgung des Mordes wäre daher unzulässig. Auch eine Wiederaufnahme wäre in diesem Fall nicht möglich, da die Wiederaufnahmebestimmungen nach §§ 359 ff dStPO sehr begrenzt sind. Anders als nach österreichischem Recht lassen neue Tatsachen oder Beweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Angeklagten grundsätzlich nicht zu. Sie ist gem § 363 dStPO nur möglich, wenn in der HV zu seinen Gunsten eine falsche oder verfälschte Urkunde, eine Falschaussage oder ein falsches Gutachten verwendet wurde, ein an der Urteilsfindung beteiligter Richter oder Schöffe in Bezug auf die Strafsache eine strafbare Amtspflichtverletzung begangen hat, oder der Freigesprochene später ein glaubwürdiges Geständnis ablegt.399 Die Interpretation des einheitlichen Lebenssachverhaltes geht so weit, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen des Fahrens ohne Führerschein (§ 21 Abs 1 dStVG) tatsächlich einer weiteren Verfolgung wegen während der Fahrt begangener Sexualdelikte entgegensteht.400 Auch wenn der Täter während dieses Fahrens ohne Führerschein zwischendurch einen Bankraub (räuberische Erpressung) begeht, liegt nach Ansicht des BGH noch ein einheitlicher Lebensvorgang vor.401 Andererseits scheint diese Einheit nicht gegeben zu sein, wenn ein Abtreibungsversuch zur Geburt des Kindes führt und dieses in der Folge getötet wird. Hier sieht die Rsp zwei Taten verwirklicht, da das rechtlich missbilligte Verhalten, die geschützten Rechtsgüter und der Unrechtsgehalt hier zu unterschiedlich seien.402 Weshalb dieser Schluss nicht auch im Fall des Fahrens ohne Führerschein und des währenddessen unternommenen Sexualdelikts bzw Raubes gezogen wird, kann nicht ganz nachvollzogen werden. Die Rechtsgutsverletzungen und insb der Unrechtsgehalt dieser verschiedenen Vorwürfe sind vollkommen andersartig. Die sich aus dieser für den österreichischen Juristen unglaublich weiten Interpretation des Tatbegriffs ergebende Rechtskraft hat in Verbindung mit den engen Wiederaufnahmebestimmungen eine sehr umfassende Wirkung. Daher gibt es insb im Schrifttum zahlreiche Bestrebungen, den Prozessge-
398 399 400 401
402
Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 50 Rz 13. Dazu Meyer-Goßner, StPO49 § 362 Rz 3 ff. BGH NStZ 1984, 135; Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 50 Rz 13. BGH NStZ 1996, 41, 1984, 135. Diese Fälle werden unter die Idealkonkurrenz subsumiert, Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 20 Rz 8. BGHSt 13, 21.
82
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
genstand und damit die Identität der Tat durch bestimmte Kriterien genauer zu definieren und va einzuschränken. Die Vorschläge gehen ua dahin, den Prozessgegenstand auf die Tateinheit oder die Übereinstimmung des Unrechtsgehaltes bzw der Rechtsgutsverletzungen zu beschränken.403 Roxin nennt diesbezüglich Bertels Einschränkung der Identität der Tat auf dieselben Rechtsgutsverletzungen.404 Zu bedenken ist aber, dass der Verbrauch der Strafklage damit weiter eingeschränkt würde als das nach österreichischem Recht geschieht, da der auf die angeklagte Rechtsgutsverletzung beschränkte Prozessgegenstand nach österreichischem Recht den StA dazu verpflichtet, in der Hauptverhandlung seiner Anklagefunktion durch Antrag auf Anklageausdehnung nachzukommen. Das Recht auf effektive Verteidigung wird zumindest insofern gewahrt, als der Angeklagte damit vor späteren „verborgenen“ Vorwürfen geschützt wird. Eine Zustimmung des Angeklagten zur Ausdehnung ist aber nur erforderlich, wenn er durch die Änderung unter ein strengeres Strafgesetz fiele. Die Rechtskraftwirkung nach österreichischem Recht kann daher nicht zwingend mit der Identität der Tat gleichgesetzt werden, sondern umfasst auch den in der HV hervorgekommenen Sachverhalt, sofern der StA sich dazu nicht äußert. Andererseits führen die im Vergleich zum deutschen Strafverfahrensrecht weit gefassten Wiederaufnahmebestimmungen nach §§ 355 f StPO zu einer stärkeren Durchbrechung der materiellen Rechtskraft. Stellt sich in einem Verfahren vor einem deutschen Gericht in der HV ein zusätzlicher Vorwurf heraus, der nicht mehr von dem historischen Sachverhalt gedeckt ist und daher eine andere Tat darstellt, darf dieses nicht darüber absprechen. Wird zB in einem Mordprozess in der HV aufgrund eines vom Angeklagten verfassten selbstbelastenden Briefes ein früherer nicht verjährter Mord bekannt, darf das Gericht nicht über diese weitere Tat absprechen. Der StA ist diesfalls nach § 266 dStPO zu einer Nachtragsanklage innerhalb der HV berechtigt, nicht aber verpflichtet.405 Während der StA nach österreichischem Recht eine Ausdehnung der Anklage beantragen muss, da dieses Faktum andernfalls in Rechtskraft erwächst, ist dies dem deutschen StA freigestellt. Er kann entweder in der HV eine Nachtragsanklage stellen oder die Tat in einem eigenen Verfahren verfolgen, ohne dass ein Verfolgungsvorbehalt ausgesprochen werden muss. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Prozessgegenstand in Deutschland weiter gefasst ist und sich mit dem Umfang der Rechtskraftwirkung deckt. Insofern entspricht die Sperrwirkung der Aburteilungsbefugnis des Gerichts. Nach österreichischem Recht ist die Identität der Tat 403
404 405
Siehe die Nachweise bei Rieß, in LR StPO25 Einl Abschn J Rz 70 ff, Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 50 Rz 16. Strafverfahrensrecht § 50 Rz 14. Siehe dazu Meyer-Goßner, StPO49 § 266 Rz 4.
Auslieferung und Strafgewalt
83
enger gefasst, doch ist der StA bei Hervorkommen neuer Tatsachen zur Anklageausdehnung bzw zu einem Verfolgungsvorbehalt verpflichtet. Unterlässt er dies, erwachsen auch diese Fakten in Rechtskraft. Nach österreichischem Recht kann die Sperrwirkung daher die angeklagte Tat sowie die sich im Verfahren ergebenden weiteren strafbaren Handlungen umfassen. Doch bekennt sich die deutsche StPO durch eng gefasste Wiederaufnahmebestimmungen zu Ungunsten des Verurteilten zu einer umfassenderen Rechtskraftwirkung. 2. Internationale ne bis in idem Geltung im österreichischen Recht 2.1. Der Strafaufhebungsgrund des § 65 Abs 4 StGB In Bezug auf ausländische Strafverfahren kommt in Österreich dem Strafaufhebungsgrund des § 65 Abs 4 StGB eine zentrale Bedeutung zu,406 wobei zahlreiche bi- und multilaterale Übereinkommen dieser Norm vorgehen.407 Grundvoraussetzung ist das Vorliegen einer im Ausland strafbaren Auslandstat, hinsichtlich der sich die inländische Gerichtsbarkeit aus dem aktiven Personalitätsprinzip408 oder dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege409 ergibt. Besteht die inländische Gerichtsbarkeit hingegen aufgrund der Strafanwendungsnormen des § 64 StGB, so ist ein bereits im Ausland durchgeführtes Verfahren nicht zu berücksichtigen, (sofern keine anders lautenden völkerrechtlichen Verpflichtungen bestehen). In diesen Fällen greift zumindest das Anrechnungsprinzip des § 66 StGB, das zwar nicht die Unbill der doppelten Verfolgung verhindert, aber zur Anrechnung der verbüßten auf die im Inland verhängte Strafe verpflichtet. Hat ein ausländisches Gericht den Täter wegen einer nach § 65 Abs 1 StGB der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegenden Auslandstat (idem) rechtskräftig verurteilt, so entfällt die Verfolgbarkeit, wenn die Strafe vollstreckt oder erlassen wurde, die Vollstreckbarkeit verjährt ist (§ 65 Abs 4 Z 3 StGB) oder die Vollstreckung ganz oder teilweise ausgesetzt wurde (§ 65 Abs 4 Z 4 StGB). „Erlassen“ wurde eine Strafe durch Begnadigung oder Amnestie oder durch endgültige Nachsicht iSd §§ 43 Abs 2, 48 Abs 3 StGB. Vor der endgültigen Nachsicht, dh während der Probezeit (nach deutschem Recht Bewährungs-
406 407 408
409
In § 17 ARHG wurde die nahezu wortgleiche Bestimmung aufgenommen. ZB § 54 f SDÜ, sowie das Ne bis in idem Übk der EU. § 65 Abs 1 Z 1, der Täter ist Österreicher; zu diesem Prinzip siehe oben Abschnitt 1.II.A.2.2. und Abschnitt 1.II.A.3.3. § 65 Abs 1 Z 2, der Täter wurde im Inland betreten und kann aus einem anderen Grund als wegen der Art oder Eigenschaft seiner Tat nicht ans Ausland ausgeliefert werden, dazu oben Abschnitt 1.II.A.2.6. und Abschnitt 1.II.A.3.5.
84
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
zeit) bei bedingter Strafnachsicht410 oder bedingter Entlassung411, liegt eine „Aussetzung“ der Vollstreckbarkeit vor.412 Zudem entfällt die Verfolgbarkeit einer so beschaffenen Auslandstat (idem) bei einem rechtskräftigen Freispruch bzw einer Außerverfolgungsetzung, aber nur, wenn dies durch das ausländische Tatortgericht geschah (§ 65 Abs 4 Z 2 StGB).413 Fraglich ist einerseits, ob unter dieses Erledigungsprinzip nur ausländische gerichtliche oder auch E der StA fallen, und andererseits, ob auch die – bei der Schaffung des § 65 StGB zumindest in Österreich noch nicht geltende – (staatsanwaltliche oder gerichtliche) Diversion davon umfasst ist, bzw welche Ziffer zur Anwendung kommt. Die besondere Relevanz ergibt sich daraus, dass einige Länder ähnliche Bestimmungen kennen, wie zB die Transactie nach belgischem und niederländischem Recht oder die bereits besprochene Einstellung nach § 153a dStPO.414 Für die EU-Staaten wurde beides durch eine E des EuGH betreffend Art 54 SDÜ bejaht.415 Entscheidend für § 65 Abs 4 StGB ist jedenfalls, dass es sich um eine meritorische Erledigung handelt, die das Verfahren endgültig beendet, also den Strafanspruch verbraucht.416 Dies trifft, wie bereits erwähnt,417 auf (gerichtliche) Diversionsbeschlüsse zu. Nach dem endgültigen Rücktritt gem §§ 90c Abs 5, 90d Abs 5, 90f Abs 4 und 90g Abs 1 iVm 90h Abs 1 (iVm 90b) StPO kann das Verfahren jedenfalls nur mehr nach den Bestimmungen der Wiederaufnahme fortgesetzt werden. Daher verhindert auch die endgültige Einstellung durch ein deutsches Gericht nach § 153a dStPO wegen des ne bis in idem Grundsatzes eine neuerliche Verfolgung in Österreich. Die Diversionsformen des § 90d (gemeinnützige Leistung) und § 90f (Probezeit) StPO sehen einen vorläufigen Rücktritt des Richters bzw StA vor, da die Bedingungen an eine längere Zeitspanne geknüpft werden können. Aus den oben genannten Erwägungen418 ist auch bei im Ausland ergangenen und diesen beiden vorläufigen Einstellungen entsprechenden Erledi410 411 412 413
414
415
416 417 418
§ 43 ff StGB. § 46 StGB. Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 65 Rz 36 f. In die Richtigkeit von Erledigungen im Tatortstaat wird wegen der geringsten Beweisschwierigkeiten das höchste Vertrauen gesetzt. Zu diesen und vergleichbaren Instrumenten in den EU-Mitgliedstaaten siehe Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussantrag in den Rechtssachen Gözütok und Brüve, C-187/01 und C-385/01, EuGRZ 2002, 561. Gözütok und Brügge, C-187/01 und C-385/01, dazu ausführlich unten Abschnitt 1.II.B.4.1.1. Zur Verbindlichkeit hinsichtlich der Mitgliedstaaten siehe oben Abschnitt 1.I.B.2.3. Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 65 Rz 26 ff mwN. Abschnitt 1.II.B.1.1. Abschnitt 1.II.B.1.1.
Auslieferung und Strafgewalt
85
gungsformen von einem vorläufigen Verbrauch der Anklage auszugehen.419 In diesen Fällen wurde die Vollstreckung bzw die Bedingung mit sanktionsähnlichem Charakter „ausgesetzt“, wie es § 65 Abs 4 Z 4 StGB verlangt; nach der Terminologie des Art 54 SDÜ „wird sie gerade vollstreckt“. Das bedeutet, dass ein Verfahren, welches in Deutschland nach § 153a Abs 2 StPO vorläufig gerichtlich eingestellt wurde, in Österreich nicht weiter verfolgt werden dürfte.420 Der Gesetzgeber spricht in § 65 Abs 4 StGB aber auf den ersten Blick nur von Entscheidungen ausländischer Gerichte. Rsp und ein Teil der Lehre gehen daher von einer Geltung nur in Bezug auf gerichtliche Einstellungen aus.421 Zutreffend argumentiert Schwaighofer, dass eine Einschränkung auf gerichtliche Entscheidungen nur dann sachlich gerechtfertigt sei, wenn diese qualitativ hoch stehender seien als Einstellungen einer Anklagebehörde.422 Dies sei aber weder bei der Einstellung nach § 90 StPO noch bei der nach § 153a dStPO der Fall. Gem § 90 Abs 1 StPO wird eine Zurücklegung des StA nur dann zu einem gerichtlichen Einstellungsbeschluss, wenn noch eine gerichtliche Verfügung zu treffen ist.423 Daher hängt es mehr oder weniger vom Zufall ab, ob es zu einer Einstellung des Gerichtes oder der Anklagebehörde kommt. Zudem ist der Untersuchungsrichter bei Zurücklegung der Anzeige durch den StA und Übersendung der Akten an ihn zur Einstellung der Vorerhebungen verpflichtet.424 Gleiches gilt auch in Bezug auf Diversionsbeschlüsse gem § 90a ff StPO: Auch hier ist die Entscheidung des StA der des Richters gleichwertig. Ist der Sachverhalt bereits im Vorverfahren geklärt und das Vorliegen der Diversionsbedingungen eindeutig, so nimmt der StA eine Diversion vor. Ergibt sich das Vorliegen der Diversionsvoraussetzungen erst in der HV oder hat der StA eine Diversion verabsäumt, so muss der Richter entsprechend vorgehen. Es ist daher in beide Entscheidungen dasselbe Vertrauen zu setzen. Daher sollte vergleichbaren Entscheidungen eines ausländischen StA eine die Strafgerichtsbarkeit ausschließende Wirkung zuerkannt werden.425 Auch § 153a dStPO stellt an die staatsanwaltliche Einstellung keine geringeren Anforderungen als an die des Gerichtes. Ausschlaggebend ist allein 419 420
421
422 423 424 425
AM Ebensperger, ÖJZ 1999, 176. Im deutschen Verfahrensrecht wird der vorläufigen Einstellung gem § 153a dStPO Sperrwirkung zugebilligt. Fabrizy, StGB9 § 65 Rz 9, Leukauf/Steininger, StGB3 § 65 Rz 19; SSt 56/7; vermittelnd Kathrein, in WK2 § 65 Rz 16, zögerlich Ebensperger, ÖJZ 1999, 176 FN 48. Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 65 Rz 26 Rz 31 f. Mayer, StPO-Commentar, 1. Teil/I, § 90 Anm. 2, Fabrizy, StPO9 § 90 Rz 1. Mayer, StPO-Commentar, 1. Teil/I, § 90 Anm. 8. Auch Epp, ÖJZ 1979, 39, geht vom Erlöschen des österreichischen Strafanspruches bei einer ausländischen staatsanwaltlichen Einstellung nach § 90 StPO aus, zustimmend Kathrein, in WK2 § 65 Rz 16.
86
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
das Verfahrensstadium. Daher knüpft das deutsche Recht an beide Erledigungsfälle die Sperrwirkung an. Wie schon oben dargelegt, ist diese Ansicht zu übernehmen. Die Einstellung durch die deutsche Anklagebehörde gem § 153a StPO macht eine weitere Verfolgung im Inland unzulässig. Zu diesem Ergebnis gelangte nunmehr auch der EuGH in der E Götzütok u Brügge, der § 54 SDÜ zugrunde lag.426 Zur Beurteilung der Erledigungswirkung einer ausländischen staatsanwaltlichen Entscheidung (Entfall der Verfolgbarkeit bei Außerverfolgungsetzung durch das ausländische Tatortgericht gem § 65 Abs 4 Z 2 StGB) sind folgende zwei grundsätzliche Überlegungen anzustellen: Erstens ist festzustellen, welche rechtliche Relevanz der staatsanwaltlichen Einstellung in der konkreten ausländischen Rechtsordnung zukommt, dh ob dort ohne weiteres das Verfahren fortgesetzt werden könnte. Kommt dieser Entscheidung Sperrwirkung zu, so liegt eine Außerverfolgungsetzung vor, die die weitere Verfolgbarkeit im Inland hindert. Andernfalls wäre als zweiter Punkt zu überprüfen, ob eine entsprechende Einstellung nach der eigenen Rechtsordnung Rechtskraftwirkung entfalten würde und bei Bejahung dieser Frage ebenfalls die nochmalige Verfolgung abzulehnen. Als weiterer Punkt ist zu klären, unter welche Ziffer des § 65 Abs 4 StGB die im Ausland ergangene diversionelle Erledigung subsumiert werden könnte. Z 2 spricht von Freisprüchen und Außerverfolgungsetzung durch das Tatortgericht, Z 3 und 4 von der Verurteilung durch ein Gericht. Es müsste wohl eine Kombination aus den Ziffern gewählt werden, die sich weniger aus der Wortinterpretation, sondern vielmehr aus teleologischer Interpretation ergeben könnte. Die Einstellung mit Diversionsbeschluss stellt eine E sui generis dar. Sie kommt einerseits einem Außerverfolgungsetzen gleich, da sie mit einer Einstellung durch Beschluss endet, andererseits verlangt sie aber, dass aufgrund eines hinreichend geklärten Sachverhaltes die Schuld des Betroffenen erwiesen ist. Zudem beinhaltet diese Form der Erledigung die Verhängung von sanktionsähnlichen Auflagen wie zB die Geldbuße oder die Erbringung gemeinnütziger Leistungen. Die Stigmatisierung durch die Verurteilung soll wiederum verhindert werden, weshalb die genannten Bedingungen gerade keine Strafen darstellen. Daher kämen sowohl die Ziffer 2 als auch Ziffer 3 in Frage, wobei es keinen Unterschied machen darf, ob das ausländische Strafverfahren am Tatort oder einem Drittstaat durchgeführt wurde. Es handelt sich jedenfalls nicht um einen Freispruch oder nur ein bloßes Außerverfolgungsetzen, dem das Inland nur dann genügend Vertrauen schenkt, wenn es vom Tatortstaat entschieden wurde. Die Diversion setzt einen geklärten Sachverhalt und die Überzeugung des Anklägers von der Schuld des Täters voraus, zudem kommt ihr aufgrund der Auflagen sankti-
426
Ausführlich dazu unten Abschnitt 1.II.B.4.1.1.
Auslieferung und Strafgewalt
87
onsähnlicher Charakter zu.427 Läuft die Probezeit der Diversion noch, so wäre iSd § 65 Abs 4 Z 4 StGB von der Aussetzung der Vollstreckung auszugehen. Doch ist eine Subsumtion unter § 64 Abs 4 Z 2 und 3 de lege lata wohl nur unter Überschreitung der Wortlautgrenzen möglich. Durch die internationalen Vereinbarungen hinsichtlich der Anerkennung von Entscheidungen verliert diese Bestimmung zunehmend an Bedeutung, dennoch ist aus Gründen der Rechtssicherheit de lege ferenda eine Erweiterung in Richtung Anerkennung der (staatsanwaltlichen) Diversion auch in dieser Bestimmung zu befürworten. Unter den im SDÜ verwendeten allgemeineren Begriff der Aburteilung lässt sich die diversionelle Erledigung eindeutiger subsumieren.428 Daher wäre es wünschenswert, die Ziffern 2, 3 und 4 unter den Begriff der Aburteilung entsprechend § 54 SDÜ zusammenzufassen. Die Unterscheidung zwischen einem im Tatortstaat und Drittstaat verhängten Freispruch ist ebenso abzulehnen wie der in Art 55 SDÜ vorgesehene Territorialvorbehalt.429 Teilt der Gesetzgeber diese Ansicht nicht, sollte er die diversionellen Erledigungen in die Ziffer 3 nehmen. 2.2. Die prozessualen ne bis in idem Bestimmungen des § 34 Abs 1 und Abs 2 StPO Durch das StRÄG 1998 wurde in § 34 Abs 1 2. Satz StPO im Hinblick auf die neueren Übk ein prozessuales Verfolgungshindernis eingefügt, wonach bei Auslandstaten von der Verfolgung abzusehen oder zurückzutreten ist, wenn internationale Übk dazu verpflichten.430 Damit kann den Entwicklungen auf internationaler Ebene umgehend entsprochen und eine Doppelverfolgung bei bestehender Verpflichtung ausgeschlossen werden. Denn anders als § 65 Abs 4 StGB sieht diese Bestimmung weder eine Beschränkung in Bezug auf die inländische Strafanwendungsnorm (§ 65 StGB stellt auf das aktive Personalitätsprinzip bzw Stellvertretende Strafrechtspflege ab) noch auf die im Ausland ergangene Entscheidung vor.431 Daneben wurde in § 34 Abs 2 vorletzter Satz StPO in Bezug auf Auslandstaten ein fakultativer Verfolgungsverzicht des StA vorgesehen, wenn 427 428 429
430 431
Dazu schon oben Abschnitt 1.II.B.1.1. Zum SDÜ unten Abschnitt 1.II.B.4.1.1. So auch Vogler, in IRG-K § 73 Rz 26 (aL), zu den Vorbehaltsmöglichkeiten nach Art 55 SDÜ siehe unten Abschnitt 1.II.B.4.1.3. BGBl I 153/1988, Auer, RZ 2000, 52. Zunächst war die Übernahme dieser Bestimmung in einen neuen § 65b StGB vorgesehen, dem prozessualen Verfolgungshindernis schließlich jedoch der Vorzug gegeben, da dies dem traditionellen dogmatischen Rechtsverständnis eher entspreche und die Möglichkeit gewähre, flexibler auf andere Formen der Verfahrenseinstellung reagieren zu können, EBRV 1230 BlgNR XX. GP 30, Ministerialentwurf, JMZ 318.009/9-II.1/98, Erläuterungen 6 ff insb 9.
88
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
es keines inländischen Strafausspruches bedarf, die Tat im Ausland begangen und der Täter dort bestraft oder nach außergerichtlichem Tatausgleich oder bedingter Verfahrensbeendigungen außer Verfolgung gesetzt worden ist. Fragwürdig ist die Anordnung dieser Bestimmung in § 34 Abs 2 StPO: Dieser Absatz setzt nämlich grundsätzlich voraus, dass dem Beschuldigten mehrere Straftaten zur Last gelegt werden, und ermöglicht dem StA nur in diesen Fällen den Rücktritt von der Verfolgung einzelner Taten, wobei die Begründung dafür in der Prozessökonomie liegt, denn neben zahlreichen Delikten sollen einige mehr nicht ins Gewicht fallen.432 Den Verfolgungsverzicht bei ausländischen Entscheidungen hat der Gesetzgeber von diesen Voraussetzungen im Aufbau dieses Absatzes nicht sichtbar abgegrenzt, wie etwa durch Setzen eines Abstandes bzw einer Freizeile (Absatzzeichens).433 Doch zeigt sich die Abgrenzung deutlich in der Formulierung der Bestimmung, denn sie lautet: „Der StA kann ferner von der Verfolgung einer im Ausland begangenen strafbaren Handlung absehen … , wenn der Täter schon im Ausland dafür bestraft … worden ist“. Das Erfordernis mehrerer Straftaten ist hier nicht genannt und widerspräche auch Sinn und Zweck dieser Bestimmung. Es handelt sich um eine internationale ne bis in idem Vorschrift, nach der bei bestimmten ausländischen Verfahrenserledigungen hinsichtlich einer Auslandstat von einem neuerlichen Strafverfahren abgesehen werden kann. Zur noch weniger geglückten Formulierung in § 192 Strafprozessreformgesetz siehe unten.434 Auffällig ist weiters, dass die in § 34 Abs 2 vorletzter Satz StPO aufgezählten ausländischen Verfahrenserledigungen, welche zur Einstellung berechtigen, keinen Freispruch enthalten. Ein ausländischer Freispruch scheint die StA daher nach dieser Bestimmung nicht zum Verfolgungsverzicht zu berechtigen. Dafür gibt es keine Gründe. Denn es handelt sich nicht um ein mit § 65 Abs 4 StGB vergleichbares zwingendes „Hindernis“, sondern um einen fakultativen Verfolgungsverzicht, der es dem StA ermöglicht, nach Ermessen im Einzelfall zu entscheiden, und dabei auch die Qualität der ausländischen Entscheidung zu berücksichtigen. Daher sollten auch im Ausland ergangene Freisprüche von dieser Bestimmung erfasst sein. Unklar ist zudem der in § 34 Abs 2 vorletzter Satz StPO verwendete Begriff der bedingten Verfahrenseinstellung. Bei der Auslegung dieses Begriffs ist zu berücksichtigen, dass diese Bestimmung noch vor der Einführung der Diversion in Kraft trat. Die Materialien sind zum Teil aufschlussreich: Nach den EBRV ist jedenfalls ausdrücklich nicht ihre formelle Bezeichnung im 432 433
434
Fabrizy, StPO9 § 34 Rz 2. Dieselbe Problematik lag auch schon vor der Änderung des § 34 Abs 2 durch das StRÄG 1998 vor. Abschnitt 1.II.B.2.3.
Auslieferung und Strafgewalt
89
Ausland, sondern die inhaltliche Vergleichbarkeit ausschlaggebend.435 Sie sprechen von Verfolgungsverzichten bei „sanktionsähnliche(n) diversionelle(n) Maßnahmen (Geldbußen, Auflagen und andere(n) bedingte Verfahrenseinstellungen, außergerichtlicher Tatausgleich)“.436 Diese Wortfolge und das Fehlen des Freispruchs legen den Schluss nahe, dass der Gesetzgeber ausländische Verfahrenseinstellungen meinte, die unter einer Bedingung im Sinne einer Auflage stehen. Der Gesetzestext selbst ist mehrdeutig, denn als bedingte Verfahrenseinstellung ist auch eine nicht endgültige, sondern bloß vorläufige Einstellung anzusehen. Wie oben ausgeführt,437 entfalten nach der hier vertretenen Auffassung auch vorläufige Verfahrenseinstellungen eine sog bedingte Sperrwirkung, (weshalb auch sie vom Strafaufhebungsgrund des § 65 Abs 4 StGB umfasst sind). Erfüllt der Verdächtige die Auflagen nicht, so kommt es im Ausland zu einem ordentlichen Verfahren, welches in der Folge mit einer wiederum anzuerkennenden Aburteilung endet. Aus diesen Überlegungen heraus unterliegen neben den ausländischen Verfahrenseinstellungen, die an eine Auflage geknüpft sind (worunter mit allen Diversionsfällen der StPO vergleichbare Entscheidungen fallen), auch vorläufige Einstellungen einer ausländischen Behörde bzw eines ausländischen Gerichts als bedingte Verfahrensbeendigungen dem fakultativen Verfolgungsverzicht des § 34 Abs 2 vorletzter Satz StPO. 2.3. Die prozessuale ne bis in idem Bestimmung der Einstellung nach § 192 Abs 1 Z 2 Strafprozessreformgesetz Das am 1.1.2008 in Kraft tretende Strafprozessreformgesetz438 sieht an der Stelle des oben dargestellten § 34 StPO die Einstellungsmöglichkeit nach § 192 vor, wobei diese Bestimmung wenig geglückt scheint. Zunächst ist festzustellen, dass ein § 34 Abs 1 2. Satz StPO entsprechendes obligatorisches Verfolgungshindernis aufgrund internationaler Verpflichtungen fehlt. An der (vorrangigen) Anwendbarkeit dieser internationalen Verpflichtungen ändert sich dadurch zwar nichts, doch wäre eine ausdrückliche Verankerung im Interesse der Rechtssicherheit wünschenswert. Wie schon § 34 Abs 2 vorletzter Satz StPO berechtigt auch § 192 Strafprozessreformgesetz nicht zur Einstellung, wenn im Ausland ein Freispruch ergangen ist. Vielmehr muss eine Verurteilung oder diversionelle Erledigung vorliegen und darf eine höhere Strafe im Inland nicht zu erwarten sein. Zudem sind, wie schon bei § 34 Abs 2 letzter Satz StPO, auch hier die Voraussetzungen der Einstellung (in Bezug auf das Vorliegen einer oder mehrerer Taten) nicht eindeutig. Die Überschrift des § 192 lautet auf „Ein435 436 437 438
EBRV 1230 XX. GP, 30. EBRV 1230 XX. GP, 31. Abschnitt 1.II.B.1.1. BGBl I 19/2004.
90
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
stellung bei mehreren Straftaten“. Die Formulierung des Paragraphen ist unklar: Der StA kann „einstellen, wenn dem Beschuldigten mehrere Straftaten zur Last liegen und (Z 2) der Beschuldigte schon im Ausland für die ihm zur Last liegende Straftat bestraft“ wurde. Die Kriterien „mehrere Straftaten“ auf der einen und „Verurteilung für die ihm zur Last liegende Straftat“ auf der anderen Seite lassen sich schwer in Einklang bringen. Die Formulierung könnte so ausgelegt werden, dass dem Beschuldigten mehrere Straftaten zur Last liegen müssen und der StA dann von der Verfolgung derjenigen Straftat absehen kann, welche bereits im Ausland verfolgt wurde.439 Doch ist dies einerseits nicht eindeutig aus dem Wortlaut herauszulesen, andererseits kann der Sinn dieser Beschränkung nicht nachvollzogen werden. Da die Verfolgung im Ermessen des StA liegt, kann er ein allfälliges Strafbedürfnis berücksichtigen; ob dem Beschuldigten noch andere Taten vorgeworfen werden, darf daher keine Rolle spielen. Liegt eine ausländische Verurteilung oder Diversion wegen einer Tat vor, so kann der StA auf die Verfolgung dieser verzichten, wenn nicht anzunehmen ist, dass das inländische Verfahren zu einer strengeren Strafe führen wird. 2.4. Zusammenfassung der geltenden Rechtslage Zusammenfassend ist daher hinsichtlich eines im österreichischen Recht primär verankerten internationalen ne bis in idem folgendes festzuhalten: § 65 Abs 4 StGB sieht einen zwingenden Strafaufhebungsgrund bei ausländischen Entscheidungen über Auslandstaten vor, hinsichtlich derer österreichische Gerichtsbarkeit aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips oder der stellvertretenden Strafrechtspflege besteht. § 34 Abs 1 2. Satz StPO enthält einen zwingenden prozessualen Verfolgungsverzicht hinsichtlich aller Auslandstaten, sofern völkerrechtliche Übk dazu verpflichten. Zudem sieht § 34 Abs 2 Z 2 letzter Satz StPO einen fakultativen prozessualen Verfolgungsverzicht für alle Auslandstaten vor, sofern eine Verurteilung oder eine Diversion erfolgte. Taten, deren Verfolgung im Ausland mit einem Freispruch endete, unterliegen der Verfolgungspflicht. Diesen beschränkten Vorschriften gehen die Bestimmungen des SDÜ innerhalb des EU-Raumes vor.440 Besteht keine inländische Gerichtsbarkeit (sie steht der Auslieferung gem § 16 Abs 1 ARHG entgegen), stellt sich die ne bis in idem Problematik im Auslieferungsverfahren. Diesbezüglich enthält § 17 ARHG ne bis in idem Bestimmungen, die unten im Kapitel „ne bis in idem als Auslieferungshindernis“ besprochen werden.441
439 440 441
So wohl Birklbauer, ÖJZ 2004, 299. Dazu unten Abschnitt 1.II.B.4. Siehe unten Abschnitt 1.IV.B.
Auslieferung und Strafgewalt
91
3. Internationale ne bis in idem Bestimmungen im deutschen Recht Der bereits oben anlässlich der Darstellung des Weltrechtsprinzips442 besprochene § 153c dStPO regelt die Nichtverfolgung von Auslandstaten. Während Abs 1 dem StA einen generellen Verfolgungsverzicht bei extraterritorialen Straftaten einräumt, bzw wenn eine Beteiligungshandlung zu einer Auslandstat im Inland gesetzt wurde, und Abs 3 auch bei Beruhen des Strafanspruch auf dem Territorialitätsprinzips unter besonderen Umständen zum Absehen von der Verfolgung berechtigt443, enthält Abs 2 eine eng gefasste, nur fakultative ne bis in idem Bestimmung bzw eine Anrechnungsklausel: Demnach kann der StA von der Verfolgung absehen, wenn im Ausland ein Freispruch erfolgte, oder wenn dort bereits eine Strafe vollstreckt wurde und die zu erwartende Strafe nach der Anrechung nicht mehr ins Gewicht fiele.444 4. EU-rechtliche ne bis in idem Instrumente Dem Verbot der doppelten Strafverfolgung wurde lange von den einzelnen Staaten nur nationale Geltung zugeschrieben. Nunmehr hat die Anerkennung eines internationalen ne bis in idem Grundsatzes zunehmend in Internationalen Übk Niederschlag gefunden. Insb auf europäischer Ebene haben va die Europäische Union und auch der Europarat entsprechende Instrumente erarbeitet. So verbietet das SDÜ in Art 54 die doppelte Strafverfolgung innerhalb der EU,445 zudem wurde dieses Verbot in Art 50 der Grundrechtscharta der EU aufgenommen.446 Daneben besteht seit 1987 das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über das Verbot der doppelten Strafverfolgung.447 Auf Ebene des Europarates wurde das ne bis in idem Prinzip zB in Art 35 ff Übk über die Übertragung der Strafverfolgung448, in Art 53 ff Übk über die internationale Geltung von Strafurteilen449, uvm berücksichtigt. Auf die ne bis in idem Bestimmung des AuslÜbk-EU wird weiter unten eingegangen.450 Die 442 443
444 445 446
447
448 449 450
Abschnitt 1.II.A.2.5. Ein ausländisches Urteil wird nicht den besonderen Umständen (öffentliches Interesse oder Gefahr eines schweren Nachteils für den Staat) zugerechnet, Thomas, Einmaligkeit 44. Ausführlich Thomas, Einmaligkeit 42 ff. BGBl III 90/1997 und 205/1997. ABl 2000 C 364, 1. Dazu insb im Zusammenhang mit der Europäischen Verfassung siehe unten Abschnitt 2.III.C.2. BGBl III 1/2000 und 107/2000. Dieses Übk wurde nicht von allen Mitgliedstaten ratifiziert und ist daher nur innerhalb des Rechtskreises der Vertragsstaaten anwendbar; Appl, in Vogler GS 112 f. Übk v 15.5.1972, ETS Nr 73, BGBl 259/1980. Übk v 28.5.1970, ETS Nr 70, BGBl 249/1980. Abschnitt 1.IV.B.
92
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Besprechung aller Instrumente würde den Umfang dieser Arbeit sprengen, weshalb hier nur auf das SDÜ und EU-rechtliche Reformbestrebungen eingegangen wird. 4.1. Die ne bis in idem Bestimmung des § 54 SDÜ 4.1.1. Die dem Doppelverfolgungsverbot nach Art 54 SDÜ unterliegenden Entscheidungen Art 54 SDÜ verbietet nach erfolgter Aburteilung in einem Vertragsstaat die nochmalige Verfolgung wegen derselben Tat (for the same acts) in einem anderen Vertragsstaat; vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion entweder bereits vollstreckt wurde, gerade vollstreckt wird, oder nicht mehr vollstreckt werden kann.451 Diese Bestimmung ist für 24 EUMitgliedstaaten verbindlich. Seit 1.1.2007 gelten sie zudem auch für Rumänien und Bulgarien.452 Das SDÜ ist unmittelbar anwendbares Recht, weshalb Art 54 im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten der österreichischen ne bis in idem Bestimmung des § 65 Abs 4 StGB vorgeht. Das Verhältnis zu Drittstaaten wird dadurch nicht berührt. Unter den Begriff der Aburteilung fallen sowohl Schuld- als auch Freisprüche. Bei der Verurteilung zu einer bedingten Strafe wird die Sanktion während des Laufs der Probezeit gerade vollstreckt. Im Fall der endgültigen Nachsicht kann die Sanktion nicht mehr vollstreckt werden.453 Strittig war bisher, ob dieser Begriff der Aburteilung auch gerichtliche und staatsanwaltliche Verfahrensbeendigungen umfasst. Während das BMJ noch davon ausging, dass nur gerichtliche Entscheidungen in Urteilsform Erledigungswirkung entfalten,454 billigte der Großteil des Schrifttums diese Wirkung auch rechtskräftigen gerichtlichen Einstellungsbeschlüssen zu.455 Nunmehr hat der EuGH in der kürzlich ergangenen E Gözütok und Brügge456 klargestellt, dass ebenso ein Beschluss der Staatsanwaltschaft, der das Verfahren 451
452
453 454
455
456
Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 422 ff, dies, NStZ 2003, 281f, Appl, in Vogler GS 111 ff. Zu den Mitgliedstaaten, die Art 54 anwenden, siehe oben Abschnitt 1.I.B.2.3.; ausführlich zu Art 54 SDÜ siehe unten Abschnitt 1.II.B.4.1. Auer, RZ 2000, 53, Ebensperger, ÖJZ 1999, 183, Schomburg, JBl 1997, 557. JABl 1997/42; ebenso die deutsche Bundesregierung, Denkschrift der Bundesregierung in BT-Drucks 12/2453, 93. Plöckinger, ÖJZ 2003, 99, Ebensperger, ÖJZ 1999, 183 mwN, Höpfel, in Jesionek FS 337 f, mit überzeugenden Argumenten insb auch hinsichtlich einer französischen ordonannce de non lieu (pour raisons de fait) Bohnert/Lagodny, NStZ 2000, 639 f; vgl auch die Rechtskraft gerichtlicher Beschlüsse nach §§ 90, 109 u 227 StPO, und die entsprechende Rechtslage in Deutschland, dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.1. u Abschnitt 1.II.B.1.2. Verbundene Rechtssachen C-187/01 und C-385/01.
Auslieferung und Strafgewalt
93
beendet, eine ne bis in idem Wirkung entfalten kann.457 Der Gerichtshof führte aus, dass es nicht auf verfahrensrechtliche oder formale Aspekte (Mitwirkung des Gerichts, Urteil) ankomme, sondern Sinn und Zweck im Vordergrund stünden (Punkte 31 und 35). Ausschlaggebend ist demnach, dass eine zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege berufene Behörde entscheidet, und diese Verfahrensbeendigung die Strafklage endgültig verbraucht. Zudem spricht der EuGH in den Punkten 27, 29 und 30 sowie im Urteilsspruch von Auflagen, die dem Beschuldigten erteilt wurden, insbesondere von der Geldbuße, und davon, dass bei deren Erfüllung die Sanktion als vollstreckt anzusehen sei. Ebenso heißt es, dass durch ein solches Verfahren das vorgeworfene unerlaubte Verhalten geahndet wird. Dies wirft folgende Frage auf: Hängt die ne bis in idem Wirkung bei Einstellungen durch die Anklagebehörde von der Erteilung (und Erfüllung) einer Auflage ab? Oder aber sind die Auflagen nur im konkreten Fall relevant, da dieser E eine mit Auflagen verbundene Verfahrensbeendigung zugrunde lag? ME ist letzterem Argument zu folgen: Das Kriterium der Auflage, insb der Geldbuße, wurde nur deshalb in das Urteil des EuGH aufgenommen, da die beiden Ausgangsverfahren solche Auflagen enthielten. Denn der Gerichtshof ist im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahren zur Lösung einer zwar abstrakt formulierten, jedoch auf ein ganz konkretes Verfahren bezogenen Fragestellung des nationalen Rechts berufen.458 Das Verfahren gegen Gözütok wurde in Belgien nach der Zahlung einer Geldbuße mit einer Transactie beendet (Punkt 11 der E). Im Verfahren gegen Brügge kam es in Deutschland ebenfalls nach der Zahlung eines Geldbetrages gem § 153a dStPO zur Einstellung (Punkt 21 der E). Der Gerichtshof prüfte daher konkret, ob die ne bis in idem Bestimmung des Art 54 SDÜ den Ausgangsverfahren entsprechende Beschlüsse umfasst (Punkt 25). Das bedeutet nicht, dass nur Einstellungen, die mit Auflagen insb Geldbußen verbunden sind, unter die ne bis in idem Wirkung des Art 54 SDÜ subsumiert werden können.459 Die Auflage ist kein ausschlaggebendes Kriterium bzw kann auch die 457
458 459
Ebenso OGH EvBl 2004/34; kritisch zur Vergleichbarkeit gerichtlicher und staatsanwaltlicher Entscheidungen Nehm, in Steininger FS 382; kritisch zur EuGH E Gözütok/Brüve Conway, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2005, 279 ff, Appl, in Vogler GS 118 ff, Radtke/Busch, NStZ 2003, 282, ff. Radtke/Busch, NStZ 2003, 283. AM OGH ÖJZ 2005, 193, in obiter dicta wonach Art 54 SDÜ eine Auflage mit Sanktionscharakter verlangt, bezugnehmend auf Radtke/Busch, NStZ 2003, 283, nach denen der EuGH in der Gözütok/Brügge E eine Verfahrensbeendigung verlangt, „dessen Wirkung von einer durch die Behörde einseitig bestimmten „Sanktion“ im Sinne einer „Ahndung“ des unerlaubten Verhaltens des Beschuldigten abhängt“. Radtke/Busch selbst sprechen sich aber dafür aus, dass der Sanktionsgedanke keine zentrale Rolle spielen, sondern die materielle Rechtskraft der nati-
94
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
bloße Probezeit mit Zustimmung des Beschuldigten als solche gewertet werden.460 Alle rechtskraftfähigen staatsanwaltlichen (und damit argumentum a minore ad maius gerichtlichen) Einstellungsbeschlüsse sind von dem Doppelverfolgungsverbot des Art 54 SDÜ gedeckt. Darunter fallen jedenfalls in Österreich ergangenen gerichtlichen Einstellungen nach §§ 90, 109 u 227 StPO sowie alle endgültigen diversionellen Erledigungen. Ebenso aber auch die vorläufigen Einstellungen gem §§ 90d Abs 1 und 90f Abs 1 StPO sowie nach § 153a dStPO, da diesen Erledigungsformen – wie oben dargestellt – eine vorläufige bzw bedingte Sperrwirkung zukommt. Während der Zeitspanne zwischen vorläufigem und endgültigem Rücktritt „wird die Sanktion iSd § 54 SDÜ gerade vollstreckt“.461 ME kommt aus den oben dargelegten Gründen auch der staatsanwaltlichen Einstellung nach § 90 StPO innerstaatlich Sperrwirkung zu, weshalb darauf aufbauend auch diese Verfahrensbeendigung von Art 54 SDÜ erfasst sein sollte. Festzuhalten ist, dass der EuGH in dieser E davon ausgeht, dass sich die Zuerkennung der ne bis in idem Wirkung nach der Rechtslage des ersten Entscheidungsstaates richtet, auch wenn das vom „zweiten“ Gericht anzuwendende Recht zu einem anderen Ergebnis führte.462 Das bedeutet, das zweite Gericht hat die umfassendere ne bis in idem Wirkung des ersten Gerichts zu akzeptieren. Zur Bewerkstelligung des nötigen Informationsaustausches ist auf Art 57 SDÜ zu verweisen, der einen Konsultationsmechanismus zwischen den Behörden der Vertragsstaaten vorsieht. Interessant ist zudem, dass der Gerichtshof in seiner Begründung auf den freien Personenverkehr verweist, nicht aber auf grundrechtliche Aspekte eingeht.463 Fraglich ist, ob das SDÜ auch verwaltungsstrafrechtliche Entscheidungen umfasst, soweit diese wie zB die des österreichischen Verwaltungsstrafrechts einer weiteren gerichtlichen Strafverfolgung im ersten Entscheidungsstaat entgegenstehen. Ebenso betrifft dies Fälle, in denen der erste Entscheidungsstaat die Handlung verwaltungsrechtlich ahndet, wie zB Österreich wegen
460 461
462
463
onalen verfahrenserledigenden Entscheidung ausschlaggebend sein muss (NStZ 2003, 284 f). Diese materielle Rechtskraft ist wiederum an strenge Kriterien zu knüpfen (dies, NStZ 2003, 287). So Schroll, in WK StPO § 34 Rz 49. So auch Plöckinger, ÖJZ 2003 FN 31, Schwaighofer, in Burgstaller FS 440, aM Ebensperger, ÖJZ 1999, 183. Punkt 33: Der in Art 54 SDÜ geregelte ne bis in idem Grundsatz impliziert zwingend, dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des in einem anderen Mitgliedsstaat geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Anwendung seines eigenen Strafrechts zu einem anderen Ergebnis führen würde. So schon Lagodny, NStZ 1997, 265 f. Für Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer stellt die ne bis in idem Regel ein Grundrecht des Bürgers dar, Punkt 114 u 115 der Schlussanträge, EuGRZ 2002, 565.
Auslieferung und Strafgewalt
95
einer Trunkenheitsfahrt nach § 5 StVO, und das Gericht des zweiten Staates dieselbe Tat strafgerichtlich verfolgen will, wie zB Deutschland nach § 316 dStGB. Das österreichische Gericht könnte den Tatbestand diesfalls per se mangels gerichtlicher Strafbarkeit nicht gerichtlich verfolgen und dürfte diesen Aspekt bei gerichtlicher Strafbarkeit wegen einer im Zuge dessen erfolgten Verletzung ebenso wenig nochmals gerichtlich beurteilen. Das SDÜ spricht von der Aburteilung, einem auf den ersten Blick unbestimmten Begriff, unter den nach der Rsp des EuGH nicht nur gerichtliche Urteile, sondern auch staatsanwaltliche Einstellungen zu subsumieren sind, soweit sie eine Sperrwirkung auslösen. Die österreichische verwaltungsstrafrechtliche Entscheidung steht einer weiteren gerichtlichen Verfolgung entgegen, dies ergibt sich, wie oben aufgezeigt, aus dem punitiven Charakter der verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidung.464 Die Strafe stellt keine bloß administrative Maßnahme zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, sondern ein vom Gesetzgeber dem sanktionierten Verhalten gegenüber ausgesprochenes Unwerturteil dar. Gerade aus diesem Grund sind auch in Verwaltungsstrafsachen die unabhängigen Verwaltungssenate als zweite Instanz mit voller Rechts- und Tatsachenkognition zuständig, die dem in Art 6 EMRK geforderten unabhängigen und unparteiischen Tribunal entsprechen. Dies zeigt, dass der Großteil des österreichischen Verwaltungsstrafrechts materiell dem gerichtlichen Strafrecht gleichzusetzen ist, weshalb diese verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidungen auch unter die Aburteilung des Art 54 SDÜ subsumiert werden sollten.465 4.1.2. Das idem nach Art 54 SDÜ Der deutsche Text des Art 54 SDÜ stellt auf „dieselbe Tat“466, der französische auf „memes faits“ und der niederländische Text auf „dezelfde feiten“ ab. Auch die englische Version lautet auf „the same acts“.467 Schon diese Wortwahl zeigt, dass dieselbe Tat im prozessualen Sinn und nicht dasselbe Delikt dem Doppelverfolgungsverbot des Art 54 SDÜ unterliegt.468 Auch das Ne464 465
466 467 468
Vgl dazu Öhlinger, Verfassungsrecht6 613. Zustimmend Hecker, StV 2001, 309 f, vorsichtig Sautner, ÖJZ 2005, 338; ablehnend BayObLG StV 2001, 263. Zum Unterschied von derselben Straftat bzw desselben Delikts. EuGH Gözütok/Brügge, Punkt 8 Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 51; vgl OGH EvBl 2004/34, wonach sich das Verfolgungshindernis des Art 54 SDÜ auf „nach ihrem historischen Geschehen idente Sachverhalte“ bezieht. Wobei in dieser E die Beurteilung der Sachverhalte als nicht ident fraglich ist. Einerseits ist der im Spruch genannte Tatzeitraum vom „September 1998 bis 11.10.1999“ (dieses Datum wurde wohl gewählt, da sich der Betroffene ab diesem Zeitpunkt in der ausländischen U-Haft befand) sehr weit und wird nicht von dem – dem ausländischen Verfahren zugrunde liegenden – Tatzeitraum abgegrenzt. Andererseits lässt sich aus der E nicht erkennen, ob tatsächlich der Gegenstand des gesamten ausländischen Verfahrens oder
96
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
bis-in-idem Übk469 der EG verbietet im deutschen Text die nochmalige Verfolgung wegen derselben Tat und im englischen „for the same facts.470 Andererseits nennt der das ne bis in idem verankernde Art 50 der derzeit noch nicht rechtsverbindlichen471 Grundrechtscharta der EU in der deutschen Version die Straftat und im englischen Text „the same offence“, was auf das Delikt schließen lässt. Im deutschen Schrifttum bestanden Zweifel darüber, ob sich Art 54 SDÜ auf dieselben Fakten oder auf das der Anklage zugrunde liegende Delikt bezieht.472 Die Bedenken gründen ua auf den unterschiedlichen Definitionen des idem im britischen (also anglo-amerikanischen) Recht, das auf dasselbe Delikt abstellt, und im kontinentaleuropäischen Recht, das auf dieselbe Tat abzielt, welche sich wiederum aus den unterschiedlichen Prozessgrundsätzen dieser Rechtssysteme ergeben. Doch sind diese Zweifel schon aufgrund der Formulierung des Textes des SDÜ unbegründet. Klargestellt hat dies nunmehr auch der EuGH. Er hat entschieden, dass Art 54 SDÜ nicht auf die rechtliche Qualifizierung also nicht auf das Delikt, sondern auf die „unlösbar miteinander verbundenen Tatsachen“ abstellt. Weiters hat er festgestellt, dass die Identität der geschützten rechtlichen Interessen nicht ausschlaggebend ist.473 Das bedeutet, dass auch eine Beschränkung der Identität der Tat auf die angeklagte Rechtsgutsverletzung – wie es in Österreich beispielsweise Bertel/Venier vertreten – damit nicht vereinbar wäre. Idealkonkurrierende Delikte basieren auf demselben Sachverhalt und wären daher unter Art 54 SDÜ zu subsumieren. Bei Delikten, die mit dem verfolgten Tatbestand real konkurrieren, wären dennoch verschiedene Lösungen möglich, was bereits am Beispiel Österreich und Deutschland aufgezeigt wurde.474 Klarheit wird hier die Rsp des EuGH schaffen. 4.1.3. Die Vorbehaltsmöglichkeiten zu Art 54 SDÜ Zum SDÜ ist anzumerken, dass nach Art 55 drei Vorbehalte zu Art 54 möglich sind, die auch von Österreich übernommen wurden.475 Der „Territorialvorbehalt“ erlaubt eine neuerliche Strafverfolgung, wenn die Tat im
469 470
471
472 473
474 475
aber nur der der ausländischen Verurteilung bzw des Freispruches 2. Instanz berücksichtigt wurde. BGBl III 1/2000, 107/2000. Siehe den Abdruck des englischen Texts in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, Hauptteil III E, Seite 894; anders Thomas, Einmaligkeit 204. Zur Änderung durch die Ratifikation der EU-Verfassung siehe unten Abschnitt 2.III.C.2. Thomas, Einmaligkeit 203, mwN. Rechtssache C-436/04 (van Esbroeck), Urteil vom 9.3.2006, Rechtssache C-150/05 (van Straaten), Urteil vom 28.9.2006. Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.3.2. und Abschnitt 1.II.B.1.4. Zu den Vorbehalten Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 52.
Auslieferung und Strafgewalt
97
eigenen Hoheitsgebiet begangen wurde. Bei teilweiser Begehung im ersten Entscheidungsstaat gilt die Ausnahme jedoch nicht (Abs 1 lit a).476 Daneben gibt es den „Sicherheitsvorbehalt“, der noch Reste des Schutzprinzips beinhaltet. Demnach ist eine weitere Verfolgung zulässig, wenn die Tat eine gegen die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen gerichtete Straftat darstellt (Abs 1 lit b). Schließlich ist ein „Beamtenvorbehalt“ vorgesehen, wenn die Tat von einem Bediensteten der den Vorbehalt erklärenden Vertragspartei unter Verletzung der Amtspflicht begangen wurde (Abs 1 lit c).477 Alle drei Vorbehalte, va aber der Territorialvorbehalt, stellen eine insgesamt zu weit reichende Ausnahme dar, deren Berechtigung va in Anbetracht des immer stärker werdenden Zusammenwachsens und der Vereinheitlichung der Rechtordnungen der Schengenstaaten stark anzuzweifeln ist. 4.2. Entwurf eines ne bis in idem Rahmenbeschlusses Seit 2003 liegt ein Vorschlag Griechenlands zu einem „ne bis in idem“ Rahmenbeschluss vor, der Art 54 ff SDÜ ersetzen soll.478 Diese Initiative wirkt aber noch wenig ausgereift. Sie scheint eine Einbeziehung des EuGH Urteils Gözütok/Brügge zu bezwecken, wobei sich ihre Reichweite nicht eindeutig ausmachen lässt. Der Vorschlag soll im Folgenden kritisch dargestellt werden; anzumerken ist zudem, dass nach der hier vertretenen Auffassung eine Überarbeitung bzw Spezifizierung des SDÜ sinnvoller erscheint.479 In der englischen Version wird in Art 1 lit b der Begriff „judgment“ als „any final judgment, delievered by a criminal court ... convicting or acquitting the defendant, or definitely terminating the prosecution, ... and also any extrajudicial mediated settlement in a criminal matter” umschrieben. Im deutschen Text umfasst nach Art 1 lit b der Begriff „Entscheidung“ „jede von einem Strafgericht ... erlassene rechtskräftige Entscheidung, bei der es sich um eine Verurteilung oder einen Freispruch oder eine endgültige Einstellung ... handeln kann, sowie das Ergebnis einer außergerichtlichen Schlichtung in Strafsachen.“ Dies könnte so ausgelegt werden, dass grundsätzlich nur gerichtlichen Einstellungsbeschlüssen die ne bis in idem Wirkung zukommt, während Einstellungen durch die Anklagebehörde nur dann Sperrwirkung entfalten, wenn sie auf einer außergerichtlichen Schlichtung
476
477 478 479
Vgl dazu OGH JSt 2004/21 mit Anmerkung Soyer/Stuefer: Der Täter war in Italien vom Kassationsgerichtshof freigesprochen und später von Deutschland nach Österreich ausgeliefert worden. In Österreich wurde die Voruntersuchung wegen derselben Taten eingeleitet. Zu den Vorbehalten Jung, in Schüler-Springorum FS 499 f. ABl 2003 C 100, 12. Vgl Maßnahme 1 des Maßnahmenprogrammes der EU zur Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, OJ 12, 15.1.2002.
98
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
oder Mediation beruhen. Das wirft wiederum die Frage auf, welche Anforderungen an eine Schlichtung oder Mediation zu stellen sind. Schließlich bestehen hier keine länderübergreifenden Kriterien. Dem EuGH Urteil Götzütok u Brügge480 lagen zB Verfahren zugrunde, die jeweils mit einer Geldbuße endeten, weshalb der Gerichtshof von Auflagen sprach. Österreich sieht auch die Diversion unter der Anordnung einer „bloßen“ Probezeit vor. Hier ist fraglich, ob die staatsanwaltliche Einstellung durch die Erteilung einer Probezeit zu einem Ergebnis außergerichtlicher Schlichtung führt. Diese vage Bestimmung sollte herausgenommen und die ne bis in idem Wirkung allen Einstellungen der StA zuerkannt werden, die zu einem Verbrauch der Anklage führen. Art 2 birgt weitere Unklarheiten: Nach der gerade besprochenen Begriffsbestimmung in Art 1 lit b (im englischen text „final judgement“) regelt Art 2 Abs 1 die Kriterien für die ne bis in idem Wirkung. Im englischen Text heißt es „whoever ... has been finally judged ... cannot be prosecuted for the same acts ... if he has already been acquitted or, if convicted, the sentence has been served or is being served or can no longer be enforced...“. Warum hier das Wort „acquitted“ aufgenommen wurde, ist fraglich, denn nach der in Art 1 lit b verwendeten Begriffsbestimmung fallen unter die Worte „finally judged“ gerade nicht nur Freisprüche und Verurteilungen, sondern auch extrajudicial mediated settlements. Es ist wohl davon auszugehen, dass man in Art 2 Abs 1 für den Fall der Verurteilung die Tatsache der Vollstreckung ausdrücklich erwähnen wollte und dabei versehentlich auch den Freispruch anführte. Der deutsche Text bringt keinen Aufschluss, da er dieselben Formulierungen enthält. Nachdem Art 1 lit b den Begriff „Entscheidung“ definiert, verbietet Art 2 Abs 1 die doppelte Strafverfolgung in den Fällen, in denen eine Person „rechtskräftig abgeurteilt worden ist … wenn sie freigesprochen wurde oder im Fall einer Verurteilung die Strafe bereits verbüßt wurde“. Wiederum ist unklar, warum in Art 2 Abs 1 das Wort „freigesprochen“ vor „oder im Falle einer Verurteilung ...“ eingefügt wurde, da es den Eindruck erweckt, dass nur diese Arten der Verfahrensbeendigung eine ne bis in idem Wirkung entfalten. In Verbindung mit Art 1 lit b ist davon auszugehen, dass Art 2 Abs 1 die neuerliche Strafverfolgung verbietet, wenn gegen die Person eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, wobei im Fall der Verurteilung die Strafe bereits verbüßt wurde, noch verbüßt wird usw. Der Bezug auf den Freispruch sollte daher gestrichen werden. Art 3 sieht bei Rechtsanhängigkeit in einem Mitgliedstaat einen Konsultationsmechanismus vor: Die vorrangige Zuständigkeit richtet sich gem Art 3 lit a nach den vier Kriterien Territorialitäts-, aktives Personalitäts-, passives Personalitätsprinzip und Ergreifungsort. Wobei hier scheinbar keine 480
Ausführlich dazu unten Abschnitt 1.II.B.4.1.1.
Auslieferung und Strafgewalt
99
Rangordnung vorgenommen wurde: Sind mehrere Mitgliedstaaten zuständig, so können die Behörden nach gegenseitiger Konsultation unter Berücksichtigung dieser Kriterien einen als vorrangig bestimmen. Um Unsicherheiten vorzubeugen wäre es überlegenswert, die Kriterien zu gewichten, dh obligatorische Vorrangregeln vorzusehen. So könnte zumindest dem Territorialitätsprinzip Vorrang eingeräumt werden. Zu bisherigen Initiativen hinsichtlich einer Vorrangregelung siehe oben.481 Als positiv hervorzuheben ist die Definition und damit Klarstellung des idem in der Begriffsbestimmung von Art 1 lit e des Vorschlags.482 In der deutschen Version ist es die „Tatsache, dass der zweiten strafbaren Handlung unabhängig von ihrer rechtlichen Einstufung ausschließlich derselbe oder im Wesentlichen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt“. Die englische Version spricht von „the same, or substantially the same facts, irrespective of its legal character“. Daraus folgt, dass einer anderen rechtlichen Beurteilung der Tat keine Bedeutung zukommt, sondern jeweils zu überprüfen ist, ob der nunmehr zu verfolgenden Tat im Wesentlichen derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, wie der ersten Verfolgung. Die Sperrwirkung bezieht sich daher auf den historischen Sachverhalt, dh die Tat im prozessualen Sinn, unabhängig von ihrer rechtlichen Qualifikation. Dies führt die Bestimmungen des Art 54 SDÜ fort und konkretisiert sie auch im Sinne der nunmehr vorliegenden Rsp des EuGH.483 Die Regelung orientiert sich damit an dem in Deutschland bzw von der Rsp in Österreich verwendeten Begriff und lehnt einen gemischt prozessual-materiellen Tatbegriff ab, weshalb auch eine Beschränkung der Identität der Tat auf die angeklagte Rechtsgutsverletzung nicht darunter subsumierbar wäre. 5. Ne bis in idem im anglo-amerikanischen Rechtskreis Im anglo-amerikanischen Rechtskreis werden statt „ne bis in idem“ andere Bezeichnungen für das Doppelverfolgungsverbot verwendet. In England heißt das Verbot neuerlicher Verfolgung nach einem Freispruch Autrefois Acquit, nach einer Verurteilung Autrefois Convict. Die USA bezeichnen es als „protection against double jeopardy“. Das Doppelverfolgungsverbot dieser Staaten ist grundsätzlich enger gefasst als sein kontinentales Gegenstück. Bei der Beurteilung des idem wird nicht der auf die Fakten abstellende kontinentale, sondern der auf das zugrunde liegende Delikt abstellende Tatbegriff verwendet.484 Zudem wird eine internationale Geltung in den USA (an-
481 482 483
484
Abschnitt 1.II.A.2.7. Zum Begriff des idem im Auslieferungsverfahren Epp, 1979, 37 f. Rechtssache C-436/04 (van Esbroeck), Urteil vom 9.3.2006, Rechtssache C-150/05 (van Straaten), Urteil vom 28.9.2006, dazu oben Abschnitt 1.II.B.4.1.2. Lagodny, in Trechsel FS 261, Blakesley, in Trechsel FS 204.
100
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
ders als in England) kaum anerkannt. Daher bestehen die meisten internationalen ne bis in idem Übk auf europäischer Ebene. Die inhaltlichen Unterschiede der ne bis in idem Grundsätze beider Rechtskreise resultieren zum Teil aus den verschiedenen Prozessgrundsätzen der Strafverfahrensordnungen. Grundsätzlich beschränkt in beiden Systemen der Anklagegrundsatz die Entscheidungskompetenz des Gerichtes, da es sich nur mit der unter Anklage gestellten (identen) Tat beschäftigen darf. Während unter dieser Tat in Österreich und Deutschland mit gewissen Einschränkungen das vorgebrachte historische Geschehen verstanden wird, ist die Tat im anglo-amerikanischen Raum das in der Anklage vorgeworfene Delikt. Daneben gilt in den kontinentaleuropäischen Ländern die Instruktionsmaxime bzw das Prinzip der materiellen Wahrheitsfindung, dem zufolge das Gericht den Sachverhalt selbst durch freie Beweiswürdigung ermittelt und zur Untersuchung des angeklagten Geschehens in rechtlicher Hinsicht verpflichtet ist.485 Der Schwerpunkt liegt auf dem Legalitätsprinzip, das den StA dazu verpflichtet, alle sich aus einem zusammenhängen Sachverhalt ergebenden Delikte zu verfolgen. Wie bereits besprochen muss der StA in Österreich die Anklage ausdehnen, wenn während der HV Anschuldigungen hervorkommen, die nicht Gegenstand der Anklage waren.486 Unterlässt er dies, so tritt hinsichtlich dieser Fakten Sperrwirkung ein. Nach deutschem Recht steht in diesen Fällen das Instrument der Nachtragsanklage im freien Ermessen der Anklagebehörde,487 eine „Verschweigung“ ist nicht vorgesehen. Im anglo-amerikanischen Rechtsraum gilt hingegen das Opportunitätsprinzip, das dem StA ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, welche Tatsachen bzw Aspekte eines historischen Geschehens und welche Delikte er verfolgen will. Nach US-amerikanischem Recht steht es im freien Ermessen des StA, ob er einen Fall untersucht, Straffreiheit im Gegenzug für Kooperation gewährt, einen plea bargain abschließt, ob und welche Delikte er anklagt, ebenso wann und wo er sie verfolgt.488 Ein Sachverhalt muss auch nicht als eine Strafsache verfolgt werden. Wird der Beschuldigte verdächtigt, 6 Teilnehmer eines Pokerspiels beraubt zu haben, so kann der Staatsanwalt 6 von einander unabhängige Verfahren wegen der Raube an jedem der Opfer einleiten.489 Als Begründung für das umfassende Ermessen wird die Gewal-
485
486
487 488
489
Roxin, Strafverfahrensrecht25 94 f, Bertel/Venier, StPO8 Rz 37, 651, Thomas, Einmaligkeit 198. Bertel/Venier, StPO8 Rz 605 ff, zur Identität der Tat siehe oben Abschnitt 1.II.B.1.3.2. § 266 dStPO. Zum plea bargaining und der bloßen Verfahrenseinstellung siehe unten Abschnitt 1.II.B.5.1.3.b. Vgl Ashe v Swenson, 397 U.S. 436 (1970).
Auslieferung und Strafgewalt
101
tenteilung angeführt.490 Nach der hier vertretenen Einschätzung ist es auf den streng durchgeführten Parteiprozess (adversarial trial) zurückzuführen. Aus diesem Grund kennt das US-amerikanische Strafverfahren auch nicht den Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung.491 Es herrscht die Antragsmaxime, nach der das Gericht bzw die Geschworenen lediglich über die in der Anklage vorgebrachten Delikte entscheiden dürfen, wobei nur die sog lesser offences, das sind die im angeklagten Delikt mitenthaltenen Delikte, als im Anklagevorbringen inkludiert gelten. Doch erfolgt die Definition der lesser offences nach sehr strengen Kriterien, denn es fallen nur solche Tatbestände darunter, die exakt dieselben Elemente wie das angeklagte Delikt aufweisen.492 Das bedeutet, dass – umgelegt auf das österreichische Recht – nicht alle Fälle der Scheinkonkurrenz darunter fallen, sondern nur Erscheinungsformen der Spezialität, wie insb Grunddelikte im Verhältnis zu Qualifizierungen. Daran wird zudem ersichtlich, dass die im österreichischen Recht geltenden Regeln der Scheinkonkurrenz und der echten Konkurrenz nicht auf das anglo-amerikanische Recht umgelegt werden können. Nur die Spezialität wird wie ein Fall der Scheinkonkurrenz behandelt. Um eine Beurteilung anderer Delikte im laufenden Verfahren zu ermöglichen, müsste dort eine Anklageausdehnung stattfinden. Da es keine „Verschweigung“ bei Unterlassen der Ausdehnung gibt, kann der StA andere Delikte, die sich aus demselben Sachverhalt ergeben, auch später verfolgen. Ist eine Verurteilung nur aufgrund einer beträchtlichen rechtlichen oder tatsächlichen Abweichung möglich, müsste der Beschuldigte freigesprochen werden. Die neuerliche Verfolgung wäre wiederum grundsätzlich zulässig, da sich der Strafanklageverbrauch nur auf das der Anklage zugrunde liegende Delikt bezieht und andere Delikte nicht mitumfasst.493 5.1. Das US-amerikanische Recht (double jeopardy) 5.1.1. Überblick In den USA ist das Doppelverfolgungsverbot durch die double jeopardy clause des 5. Amendments verfassungsrechtlich verankert.494 Es lautet ... nor shall any person be subject for the same offence to be twice put in jeopardy of life or limb. Frei übersetzt bedeutet es, dass niemandes Leib oder Leben für 490 491
492
493 494
91 Geo. L. J. 188. Die Parteien stellen die zur Wahrheitsfindung nötigen Ermittlungen an und führen die Beweisaufnahme im Prozess selbst durch, der Richter entscheidet über die Verwertbarkeit der Beweise, zum Parteiprozess siehe Murschetz, Verwertungsverbote 20. LaFave/Israel/King, Criminal Procedure, § 24.8 (d) ff., siehe dazu auch unten Abschnitt 1.II.B.5.1.4.a. Thomas, Einmaligkeit 198 f. Amendment 5, US Constitution.
102
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
dasselbe Delikt zweimal in Gefahr gebracht werden darf.495 Zum Verständnis der Tragweite dieser Bestimmung ist ein Blick auf das Verhältnis zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern und ihre jeweilige Gesetzgebungskompetenz zu werfen. Die USA sind von einem sehr starken Föderalismus geprägt, der unterschiedliche Regelungen auf Bundesebene und in den 50 Einzelstaaten zur Folge hat, was wiederum zu einem Nebeneinander von bundes- und einzelstaatlichem Recht führt.496 Die grundlegende Gesetzgebungskompetenz steht den Einzelstaaten zu. Doch unterliegen bestimmte in Art 1 Section 8 der Verfassung aufgezählte Bereiche der Bundeskompetenz.497 Diese beziehen sich ua auf Gebiete, die vergleichbar mit den hinter dem Schutzprinzip stehenden Überlegungen die Erhaltung der Souveränität und Sicherheit sowie das Funktionieren der ganzen Nation betreffen. ZB fallen das Steuerrecht, Verteidigungswesen, internationaler Handel, die Regelung der Post und die Währung der USA darunter. Der Bund ist berechtigt, die für die Durchsetzung dieser Befugnisse notwendigen Gesetze zu erlassen. Daher liegt die Kompetenz zur Erlassung von Straf- und Strafprozessrechtsgesetzen zwar hauptsächlich bei den Einzelstaaten, doch weisen viele Sachverhalte (auch) einen Berührungspunkt zu Bundesinteressen auf, die wiederum eine (zusätzliche) Bundeszuständigkeit begründen können. Daher gibt es auf der einen Seite bundesrechtliche und auf der anderen einzelstaatliche Straftatbestände sowie Strafverfahrensrechte. Während das materielle (und prozessuale) Strafrecht der Einzelstaaten (state law) durch common law und daneben durch kodifiziertes Recht geschaffen wird, basieren die bundesrechtlichen Delikte (federal law) ausschließlich auf vom Kongress erlassenen Gesetzen. Dem Richterrecht kommt dabei allerdings eine umfassende Interpretationsfunktion zu.498 Die Bundesgerichte sind zur Verfolgung der Verstöße gegen Bundesrecht berufen (federal prosecution), die Gerichte der Einzelstaaten zur Ahndung von Verletzungen des state law (state prosecutions), wobei Rechtszüge von den Gerichten der Einzelstaaten zu Bundesgerichten insb dem Supreme Court möglich sind. Da bestimmte Sachverhalte unter Bundes- und Landesrecht bzw mehrere Landesrechte fallen, können sich auch mehrere Zuständigkeiten ergeben. Die sich daraus ergebende ne bis in idem Problematik wird im Folgenden dargestellt.
495
496 497
498
Obwohl der Wortlaut nur die mehrmalige Gefährdung von Leib und Leben verhindert, erstreckt sich der Schutz auch auf Delikte, die mit reinen Geldstrafen bedroht sind, Ex parte Lange, 85 U.S. (18. Wall) 163 (1873). Der Wortlaut verdeutlicht, dass es nicht auf ein Urteil sondern auf die Gefährdung ankommt, weshalb auch mistrials vom Schutzbereich umfasst sind, dazu unten Abschnitt 1.II.B.5.1.3.a(iii). Murschetz, Verwertungsverbote 17. Gem dem 10. Amendment besitzen die Einzelstaaten eine generelle Kompetenz, außer diese ist von der Verfassung auf den Bund übertragen. Thomas, Einmaligkeit 67 f.
Auslieferung und Strafgewalt
103
5.1.2. Dual Sovereignty Das Verbot der double jeopardy entfaltet bloß eine innerstaatliche und – selbst in diesem Bereich – nur eine beschränkte Geltung.499 Entscheidungen fremder Souveräne berühren dieses Grundrecht im Allgemeinen nicht, was als dual sovereignty rule bezeichnet wird. Dahinter steht die Überlegung, dass sich jede Straftat gegen die Souveränität der Regierung richte. Verletze ein Täter die Gesetze mehrerer Souveräne, so begehe er auch mehrere unterschiedliche Taten. Daher stehe jedem Souverän eine selbständige Strafbefugnis über die Tat zu.500 Neben den anderen Nationen gelten aber auch die einzelnen Bundesstaaten der USA im Verhältnis zueinander als fremde Souveräne, weshalb eine neuerliche Verfolgung in einem anderen Bundesstaat für zulässig erachtet wird. Ebenso sind Bund und Einzelstaaten untereinander selbständige Souveräne. Daher erlaubt die dual sovereignty rule ein Bundesstrafverfahren (federal prosecution) nach einem bereits erfolgten Einzelstaatsverfahren (state prosecution) und umgekehrt.501 So wurde ein Täter des Raubes einer unter Bundesbeteiligung stehenden (federally insured) Bank im Bundesverfahren (federal prosecution) freigesprochen und anschließend im Verfahren in dem Einzelstaat (state prosecution), in welchem sich die Bank befand, wegen desselben Raubes verurteilt.502 In einem anderen Fall erfolgte wegen Herstellung, Transportes und Besitzes von Alkohol entgegen der Bestimmungen des Prohibitionsgesetzes eine Verurteilung im Staat Washington. Danach wurden die Täter wegen desselben Verstoßes gegen das bundesrechtliche Prohibitionsgesetz verurteilt.503 Im Schrifttum wird die dual sovereignty rule zum Teil als verfassungswidrig abgelehnt.504 Die Doppel-Verfolgung kann sogar so weit gehen, dass zuerst auf Vorschlag der zuständigen Bundesbehörden das Verfahren im Einzelstaat aufgenommen wird, Mitglieder der Bundesbehörden mit den state attorneys (Landesstaatsanwälten) auf der Anklageseite sitzen und an der Beweiserhebung mitwirken und schließlich dieser state attorney dann beim darauf folgenden Bundesverfahren als Sonderberater (special assistant) des Bundesstaatsanwaltes (U.S. Attorney) fungiert.505 Grundsätzlich besteht zwar 499
500
501 502 503 504
505
Bassiouni, in International Criminal Law II 246, Wise/Podgor, International Criminal Law 446, Blakesley, in Trechsel FS 205 FN 65 mit weiteren Entscheidungsnachweisen. 260 U.S. v Lanza, 377, 359, Abbate v U.S. 187, Heath v Alabama, 474 U.S. 82, 88 (1985). Blakesley, in Trechsel FS 204 f, 206 FN 73. Bartkus v Illinois, 359 U.S. 121 (1959). United States v Lanza, 260 U.S. 377 (1922). Cranman, 14 Emory Int’l L. Rev. 1679, Matz, 24 Fordham Urb. L.J. 353 (1997), Guadalupe, 28 Rev. Jur. U.I.P.R. 201 (1994), Dawson, 102 Yale L.J. 281, 299 (1992). United States v Figueroa-Soto, 938 f.2d 1015 (9th Cir. 1991).
104
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
die sogenannte „sham exception“ (sham bedeutet Schein, Heuchelei), wonach eine Doppelverfolgung bei kollusivem Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden unzulässig ist, insb wenn ein Souverän nach „erfolgloser“ Strafverfolgung einen anderen zur Wiederverfolgung drängt bzw diesen bei der Wiederverfolgung unterstützt.506 Sie basiert auf der Überlegung, dass die beiden Souveräne im Grunde als einer handelten. Doch wird diese sham exception, wie auch der zuvor geschilderte Fall zeigt, sehr restriktiv angewandt.507 Das Doppelverfolgungsverbot gilt im Verhältnis der verschiedenen Einzelstaaten der USA nur in den Fällen, in denen dies gesondert geregelt ist.508 Entscheidungen fremder Nationen werden aufgrund der dual sovereignty rule ebenso nicht anerkannt, dh es besteht kein internationales ne bis in idem.509 Eine Ausnahme dazu bildet das Auslieferungsrecht:510 Einige Auslieferungsverträge der USA, wie auch der mit Österreich, enthalten ne bis in idem Bestimmungen.511 Es soll nun im Folgenden untersucht werden, welche Entscheidungen dem double jeopardy-Schutz unterliegen und wie das idem im amerikanischen Recht definiert wird. Dabei wird eine übersichtliche und klare Darstellung angestrebt, die sich aber mitunter als schwierig erweist, da dieses Rechtsgebiet stark von Einzelfallentscheidungen geprägt und sein Umfang sehr unklar bzw umstritten ist. Der Supreme Court selbst schreibt „the decisional law in the area is a veritable Sargasso Sea which could not fail to challenge the most intrepid judicial navigator“,512 und fügt hinzu, dass die Entscheidungen kaum als Modelle der Konsistenz und Klarheit charakterisiert werden könnten.513
506 507 508
509
510 511
512 513
Vgl auch Thomas, Einmaligkeit 76 f. U.S. v Basile, 109 f.3d 1304 (8th Cir. 1997), U.S. v Trammell, 133 f.3d 1343 (1998). Einzelne Staaten haben solche Bestimmungen in ihre Verfassungen aufgenommen bzw einzelgesetzlich geregelt, LaFave/Scott, Criminal Law, 126. Während der Supreme Court noch keinen diesbezüglichen Fall entschieden hat, gehen die Berufungsgerichte einheitlich davon aus, dass die dual sovereignty rule in diesen Fällen greift, siehe dazu Cranman, 14 Emory Int’l L. Rev. 1641 FN 11 und 1656 f. Lopez, 33 Vand. J. Transnat’l Law 1279. Art 6 des Auslieferungsvertrages zwischen den USA und Österreich, BGBl III 216/1999, siehe dazu unten Abschnitt 1.IV.B. Albernaz v United States, 450 U.S. 333, 343 (1981). Burks v United States, 437 U.S. 1, 9 (1978).
Auslieferung und Strafgewalt
105
5.1.3. Entscheidungen, die double jeopardy auslösen a. Gerichtliche Entscheidungen (i)
Freisprüche
Wurde ein Angeklagter von einem Geschworenen- oder Berufsgericht freigesprochen, so ist dieses Urteil unanfechtbar und zwar auch dann, wenn sich neue Beweise oder Tatsachen ergeben oder die Entscheidung auf einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung basierte.514 Es wird daher mit Verkündung formell und materiell rechtskräftig und verbietet eine neuerliche Verfolgung innerhalb eines Souveräns. Aufgrund der dual sovereignty rule ist die Verfolgung durch einen anderen zuständigen Souverän jedoch zulässig. Ebenso kann der Sachverhalt neuerlich verfolgt werden, wenn die Tathandlung neben dem bereits verfolgten ein anderes Delikt erfüllt, denn das Doppelverfolgungsverbot bezieht sich auf das Delikt und nicht auf die zugrunde liegende Handlung.515 (ii) Verurteilungen Wurde der Angeklagte wegen eine Deliktes bereits verurteilt, so ist eine neuerliche Verfolgung unzulässig, wobei auch hier auf die enge Auslegung des Begriffs „the same offence“ und auf die diesbezüglichen Erläuterungen im Folgenden zu verweisen ist.516 (iii) Mistrial Die double jeopardy clause besagt, dass niemand zweimal gefährdet werden darf, weshalb nicht erst die Aburteilung, sondern bereits die Gefährdung nicht wiederholt werden darf. Laut Rsp tritt diese Gefährdung in Geschworenenverfahren mit der Beeidigung der Geschworenen, in Verfahren vor Berufsrichtern mit der Beweisaufnahme und zwar mit der Beeidigung des ersten Zeugen ein, weshalb die ne bis in idem Wirkung bereits ab diesem Zeit-
514
515 516
United States v Ball, 163 U.S. 662, 16 S.Ct. 1192, 41 L.Ed. 300 (1896), Sanabria v United States, 437 U.S. 54 (1978); LaFave/Israel/King, Criminal Procedure § 25.3 (b), (c). Ein Grund für die Unbekämpfbarkeit eines Freispruches liegt darin, dass es den Geschworenen erlaubt ist, sich durch das Instrument der jury nullification über das Recht hinwegzusetzen und einen Angeklagten freizusprechen, obwohl sie ihn für tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handelnd halten, dazu Horowitz/Kerr/Niedermeier, 66 Brook. L. Rev. (2001) 1207. Dazu unten Abschnitt 1.II.B.5.1.4. Dazu unten Abschnitt 1.II.B.5.1.4. Wurde eine Verurteilung aufgehoben, weil die zweite Instanz entschied, dass zuwenig Beweise für die Verurteilung vorlagen (nicht Fehler in der Beweiswürdigung, sondern Nichtvorhandensein von Beweisen) vergleichbar mit § 281 Abs 1 Z 5a bzw 9a StPO, so ist eine neuerliche Verurteilung wegen dieser Tat im 2. Rechtsgang unzulässig, La Fave/Israel/King, Criminal Procedure § 25.4 (b).
106
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
punkt eintritt.517 Von diesem Moment an können prozessbeendende Formalurteile, sog mistrials ergehen, die zum Unterschied vom kontinentaleuropäischen Recht bereits einen double jeopardy Schutz auslösen können.518 Als mistrial bezeichnet man den im Ermessen des Richters stehenden „Abbruch“ eines laufenden Verfahrens, der auf Antrag des Beschuldigten, des StA oder von Amts wegen geschehen kann. Das gegenständliche Verfahren wird durch den Abbruch beendet, weshalb die Geschworenen entlassen werden. Für ein neues Verfahren muss eine neue Geschworenenbank selektiert und vereidigt werden. Die Gründe für ein mistrial sind vielfältig und nicht in allen Fällen ist damit eine ne bis in idem Wirkung verbunden. Eine Sperrwirkung ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Angeklagte selbst ein mistrial beantragte oder ihm zustimmt.519 Gleiches gilt, wenn eine offensichtliche, objektive Notwendigkeit, die sog manifest necessity, für den Prozessabbruch bestand. Der Supreme Court entschied, dass das Gericht mit der Befugnis ausgestattet sei, die Geschworenen von der Urteilsfällung zu entbinden, wenn nach Ansicht des Gerichtes unter Berücksichtigung aller Umstände eine offensichtliche Notwendigkeit dafür bestehe oder andernfalls die öffentliche Gerechtigkeit vereitelt würde.520 Doch kann diese offensichtliche Notwendigkeit nicht allgemein definiert und anhand starrer Kriterien dargelegt werden, sondern es ist auf die zahlreichen Einzelfallentscheidungen zu verweisen, die nicht immer übereinstimmen. Ein mistrial wurde nach der Rsp zB für notwendig gehalten, als die Geschworenen zu keiner Entscheidung gelangen konnten,521 einer der Geschworenen bereits als Mitglied der grand jury522 über die Anklage geurteilt hatte, oder sonst nachträglich die Befangenheit eines Geschworenen festgestellt wurde523. Vor allem Gründe, die die Unabhängigkeit des Gerichtes in 517 518 519
520
521
522
523
La Fave/Israel/King, Criminal Procedure § 25.1 (d). Thomas, Einmaligkeit 255, 263. United States v Dinitz, 424 U.S. 600 (1976). Dies gilt nicht, wenn die Anklagebehörde den Angeklagten durch absichtliches Fehlverhalten zum Antrag auf oder zur Zustimmung zum Verfahrensabbruch brachte, Oregon v Kennedy, 456 U.S. 667 (1982), vgl auch People v Batts, 68 P.3d 357, 134 Cal.Rptr.2d 67. United States v Perez, 22 U.S. (9 Wheat) 579 (1824), siehe Thomas, Einmaligkeit 257. United States v Perez, 22 U.S. (9 Wheat) 579 (1824). Geschworenenurteile müssen einstimmig ergehen. Können sie trotz umfangreicher Beratungen zu keiner Einigung kommen, so spricht man von einer sog hung jury. Diesfalls gibt der Vorsitzenden der Geschworenen die aussichtlose Lage zu Protokoll und für gewöhnlich werden auch die anderen Geschworenen vom Richter dazu gehört. Die grand jury ist eine mit Laien besetzte Anklagebank, die im Rahmen einer Anhörung über die Anklageerhebung gegen den Beschuldigten entscheidet, dazu Murschetz, Verwertungsverbote 26 f. Thompson v United States, 155 U.S. 271 (1894), Simmons v United States, 142 U.S. 148 (1891).
Auslieferung und Strafgewalt
107
Frage stellen (vergleichbar mit den Ausschließung und Ablehnungsgründen), machen ein mistrial und in der Folge ein neues Verfahren zwingend. Lag für die Anordnung des Verfahrensabbruches keine offenbare Notwendigkeit vor, so ist die nochmalige Verfolgung derselben Tat unzulässig. Mehrere Überlegungen können als wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung herausgearbeitet werden: war die Anklagebehörde für die Umstände, die zum Verfahrensabbruch führten, verantwortlich; hatten die Verantwortlichen unrechte bzw böswillige Motivation; erlitt der Angeklagte durch den Verfahrensabbruch besondere Nachteile; und insbesondere: gab es sinnvolle Alternativen zur Verfahrensbeendigung, deren Berücksichtung der Richter unterließ. Können mehrere dieser Kriterien bejaht werden, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anordnung des mistrials nicht offenbar notwendig war und ein neues Verfahren unzulässig ist. Da es sich aber um Einzelfall-Beurteilungen handelt, stellt dies keinen zwingenden Schluss dar. In Downum v United States524 erkannte der StA am Tag der HV, dass sein Hauptbelastungszeuge betreffend zwei der sechs525 Anklagepunkte, nicht geladen und auch nicht auffindbar war.526 Er hatte zuvor der Vereidigung der Geschworenen zugestimmt, da ihm die Frau des Zeugen versprochen hatte, sich im Falle seines Auffindens zu melden. Da der Zeuge zur HV nicht erschien, beantragte der StA schließlich den Abbruch des gesamten Verfahrens, während der Angeklagte um Einstellung hinsichtlich dieser zwei Anklagepunkte ersuchte. Der Verhandlungsrichter gab dem Antrag des StA statt und ordnete ein mistrial an. Im neuen Verfahren erfolgte eine Verurteilung des Angeklagten. Der Supreme Court hob die Verurteilung auf, da keine offenbare Notwendigkeit für ein mistrial bestanden hätte, und das zweite Verfahren daher in seiner Gesamtheit unzulässig gewesen sei. Das Höchstgericht unterschied nicht zwischen den verschiedenen Anklagepunkten. Die Begründung liegt wohl darin, dass das Nichterscheinen des Zeugen für den StA vorhersehbar war. Grundsätzlich soll der double jeopardy Schutz bei Fehlern der Anklagebehörde verhindern, dass mistrials ergehen, weil die StA erkennt, das sie den Fall womöglich verliert.527 Ebenso kann er hintanhalten, dass die StA ein Verfahren sozusagen als Probelauf beginnt und dieses dann zB wegen einer dünnen Beweislage abbrechen lässt, um später mit besseren Beweisen vor neuen unvoreingenommen Geschworenen eine Verurteilung zu erzielen.
524 525 526 527
372 U.S. 734 (1963). Die E nennt anfangs acht und in der Folge nur mehr sechs Anklagepunkte. Die Auswahl und Ladung der Zeugen steht allein im Ermessen der Parteien. Da sich im reinen Parteiprozess adversarial trial, die Parteien als Gegner gegenüberstehen, und der StA nicht zur Objektivität verpflichtet ist, gilt ein Freispruch als Niederlage für die Anklageseite.
108
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
In Illinois v Somerville528 erkannte der StA nach der Vereidigung der Geschworenen, dass die Anklageschrift keine Angaben zur subjektiven Tatseite enthielt, was einen nachträglich nicht korrigierbaren Mangel darstellt. Auf Antrag des StA brach der Richter das Verfahren ab, im zweiten Verfahren, basierend auf einer neuen Anklageschrift, wurde der Beschuldigte verurteilt. Auch hier handelte es sich um einen bereits vor Vereidigung der Geschworenen bekannten, vorhersehbaren Fehler seitens des StA. Der Supreme Court unterschied diesen Fall jedoch von Downum mit der Begründung, dass eine offenbare Notwendigkeit für ein mistrial dann bestehe, wenn zwar eine Verurteilung erreicht werden könnte, diese aber von den höheren Instanz wegen eines offensichtlichen prozessualen Mangels jedenfalls aufgehoben werden müsste. Insofern könne nicht verlangt werden, dass die StA einen nutzlosen Prozess führe.529 Solange eine Verurteilung zu erwarten ist, macht diese Überlegung Sinn. Fraglich ist dabei einerseits, inwiefern überhaupt eine verlässliche Prognose zum Verfahrensausgang möglich ist und andererseits, was in den Fällen geschehen soll, in denen ein Freispruch zu erwarten ist. Denn ein Freispruch wird sofort formell und materiell rechtskräftig, dh es besteht auch bei offensichtlichen prozessualen Fehlern keine Möglichkeit ihn zu bekämpfen. Ein mistrial würde den Angeklagten hier krass benachteiligen, weshalb hier ein weiteres Verfahren wohl nicht zulässig wäre. In United States v Jorn530 gelangte der Richter zur Überzeugung, dass die Zeugen der Anklageseite nicht begriffen, wie sehr sie sich durch ihre Aussage selbst belasten könnten. Um den Zeugen eine Kontaktaufnahme mit einem Rechtsbeistand zu ermöglichen, entließ er die Geschworenen, was ein mistrial bedeutet. Der Supreme Court lehnte das Vorliegen einer klaren Notwendigkeit für den Prozessabbruch ab, da sich der Richter keinerlei Gedanken über Möglichkeiten der Fortführung gemacht und er so abrupt gehandelt habe, dass es den Partien unmöglich war, Alternativen vorzuschlagen bzw gegen einen Abbruch zu argumentieren. Der Richter habe keine Anstrengungen zu einer rechtlich umsichtigen Ermessensausübung vorgenommen, um sicherzustellen, dass eine offenbare Notwendigkeit zur Verfahrensbeendigung tatsächlich bestand.531
528 529 530 531
410 U.S. 458 (1973). 410 U.S. 464 (1973). 400 U.S. 470 (1971). 400 U.S. 487 (1971), siehe auch State v Stevens, 126 Idaho 822, 892 P.2d 889 (1995), Brown v State, 907 S.W.2.nd 835 (Tex.Cr.App. 1995); Thomas, Einmaligkeit 258 f.
Auslieferung und Strafgewalt
109
b. Staatsanwaltliche Entscheidungen (i)
Formlose Verfahrenseinstellung
Nach US-amerikanischem Recht steht es im Ermessen des StA, einen Fall zu untersuchen, Straffreiheit für Kooperation zu gewähren, einen plea bargain abzuschließen usw. Das in den USA geltende Opportunitätsprinzip räumt dem StA ein freies Ermessen hinsichtlich der Anklageerhebung ein und bindet ihn weder an formelle noch materielle Einstellungsvoraussetzung, dh für den StA gelten keine mit der Einstellung nach § 90 StPO oder der diversionellen Erledigung nach §§ 90a ff StPO vergleichbare Bestimmungen. Die in der Praxis vielfach wahrgenommene Möglichkeit der „bloßen“ Nichtverfolgung strafbarer Handlungen kann zwar als sog faktischer Strafklageverbrauch gewertet werden,532 doch erwächst dem Betroffenen kein Recht auf „dauernde“ Nichtverfolgung. Denn der double jeopardy Schutz beginnt erst mit der gerichtlichen Anhängigkeit der Sache.533 Vor diesem Zeitpunkt ist die Sperrwirkung ausgeschlossen. (ii) Plea bargaining Dabei handelt es sich um eine Absprache zwischen Angeklagtem und StA, bei dem sich ersterer bestimmter Vorwürfe schuldig bekennt und letzterer im Gegenzug dafür bestimmte Zugeständnisse macht.534 Dieser Vergleich findet für gewöhnlich noch vor der HV (Anklageerhebung) statt, ist aber auch während des eigentlichen Gerichtsverfahrens denkbar. Ziel des Handels ist das Schuldeingeständnis des Angeklagten, welches in jedem Fall eine streitige Verhandlung ersetzt. Der Richter hat diesfalls nur mehr die Verurteilung auszusprechen und in dem getrennt durchzuführenden Strafzumessungsverfahren, dem sog sentencing hearing, eine Strafe zu verhängen.535 Unterschieden wird zwischen dem charge bargain und sentencing bargain, je nach dem, ob sich die Zugeständnisse des StA auf das Ausmaß der Anklage beziehen und dabei nur minderschwere Delikte oder bestimmte Straftatbestände gar nicht angeklagt werden oder ob die Zugeständnisse nur das Strafmaß bzw eine bedingte Verurteilung betreffen.536 Ein charge bargain steht grundsätzlich im freien Ermessen des StA. Da das Gericht an die Anklage gebunden ist und 532 533 534
535
536
Thomas, Einmaligkeit 263. Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.B.5.1.3.a(iii). Zu einer sehr ausführlichen kritischen Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen des plea bargaining siehe Weigend, Absprachen 48 ff, 55 ff, 74 ff, ebenso Thomas, Einmaligkeit 268 ff. Allgemein zu den Absprachen im (deutschen) Strafverfahren siehe Meyer-Goßner, in Vogler FS 161 ff. Im US-amerikanischen Verfahren findet erst nach der Entscheidung über Freispruch oder Verurteilung, das davon unabhängige sentencing hearing statt, eine Anhörung bei der über die Strafe entschieden wird. Weigend, Absprachen 38 ff, Thomas, Einmaligkeit 265 f, Murschetz, Zwangsmaßnahmen 23.
110
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung nicht gilt, kann es nicht wegen anderer, sondern nur wegen des angeklagten Delikts verurteilen,537 worauf sich das Schuldeingeständnis des Angeklagten bezieht.538 Hier scheint es – zumindest in der Praxis der Untergerichte – insofern zu Umgehungen zu kommen, als zB nicht (mehr) angeklagte Delikte zwar nicht bei der Verurteilung, aber bei dem getrennt durchzuführenden Strafzumessungsverfahren (sentencing hearing) als Erschwerungsgründe berücksichtigt werden.539 Der sentencing bargain greift in die richterliche Kompetenz ein und unterliegt daher der gerichtlichen Genehmigungspflicht, wobei der Richter auf sein Ermessen verzichten kann. Das plea bargainging stellt eine zulässige und anerkannte Form der Verfahrenserledigung dar, die das streitige Verfahren in den USA schon seit langem überflügelt bzw bis auf ein Minimum verdrängt hat. Im Jahr 2002 beruhten nur ca 3,4% der Verurteilungen in U.S. District Courts auf einem „ordentlichen“ Verfahren.540 Sobald das Gericht den guilty plea, dh das Schuldeingeständnis des Angeklagten, akzeptiert und die Verurteilung des Beschuldigten ausspricht, kann der Angeklagte wegen derselben Tat nicht mehr verfolgt werden.541 Diese ohne vorhergehende Verhandlung auf einem guilty plea basierende Verurteilung ist hinsichtlich der Rechtskraftwirkung einem Schuldspruch nach einem ordentlichen Verfahren grundsätzlich gleichzuhalten. Das bedeutet aber nur, dass – entsprechend „regulärer“ Verurteilungen – die dem Eingeständnis zugrunde liegende Tat und darin enthaltene leichtere Taten – sog lesser included offences – nicht nochmals verfolgt werden dürfen.542 Anklagebehörden anderer Souveräne sind aufgrund der dual sovereignty Doktrin jedenfalls nicht an die Absprache gebunden, weshalb Verfolgungen in einem anderen Staat bzw im Bundesverfahren bei Absprache im Verfahren in einem
537 538
539
540
541 542
Weigend, Absprachen 38. Rule 11 der Federal Rules of Criminal Procedure verlangt auch bei der Einstellung hinsichtlich weiterer Vorwürfe im Zusammenhang mit einem charge bargain die Zustimmung des Gerichts. State v Namack, 2002 WL 31163306 (Ohio App. 7 Dist.). In diesem Fall lag zwar ein grand jury indictment, dh eine Anklage durch die grand jury wegen Drogenbesitz, Drogenhandels und eines weiteren Deliktes vor, doch einigten sich StA und Angeklagter in der Folge auf die ausschließliche Verfolgung des Drogenbesitzes, dessen sich der Angeklagte auch schuldig bekannte. Das Gericht verhängte die Höchststrafe für Drogenbesitz; dies sei hier gerechtfertigt, da der Angeklagte auch Drogenhandel begangen habe. United States Department of Justice, Bureau of Justice Statistics, Sourcebook of Criminal Justice Statistics 2002, 437. La Fave/Israel/King, Criminal Procedure § 25.1 (d). Zu den lesser included offences siehe Weigend, Absprachen 38 FN 97, ebenso unten Abschnitt 1.II.B.5.1.4.a.
Auslieferung und Strafgewalt
111
Einzelstaat und umgekehrt davon nicht betroffen sind.543 Innerhalb des Bundesverfahrens ist nur die Anklagebehörde des Districts, in dem der bargain getroffen wurde, daran gebunden.544 Qualifizierungen, sog greater offences, könnten später jedenfalls verfolgt werden, wenn der Verzicht auf deren Verfolgung nicht Teil des bargains war. Zu prüfen ist weiters, ob greater offences und andere Vorwürfe, auf deren Verfolgung der StA im Rahmen eines plea bargains verzichtet hat, tatsächlich in Rechtskraft erwachsen oder ob der am Handel beteiligte bzw ein anderer StA diese später dennoch verfolgen könnte. Dazu gibt es in Rsp und Schrifttum keine einheitlichen, allgemeinen Stellungnahmen, jedenfalls wird dieser Komplex nicht als Aspekt des double jeopardy-Schutzes behandelt. Es gibt vielmehr Entscheidungen und Literatur, die von der grundsätzlichen Pflicht des StA sprechen, sich an seine Abmachung zu halten, wobei sich diese Pflicht aus dem Vertragsrecht ergebe. In Santobello v New York545 hatte die StA als Gegenleistung für ein Schuldeingeständnis zugestanden, kein bestimmtes Strafmaß zu fordern. Der Sitzungsvertreter verlangte jedoch die Höchststrafe, welche schließlich auch verhängt wurde. Der Supreme Court meinte, wenn ein Schuldeingeständnis großteils auf einem Versprechen des StA beruhe, so dass davon ausgegangen werden könne, dass dieses einen Teil der Abwägung ausmachte, so müsse dieses Versprechen auch gehalten werden.546 Das Gericht bezeichnete aber weder das verletzte Recht, noch welche Rechtsbehelfe dem Beschuldigten zustünden, sondern verwies die Sache im Interesse der Gerechtigkeit zum Erstgericht zurück, welches über die Rechtsfolgen zu entscheiden habe. In Frage käme einerseits die Erfüllung der Abmachung andererseits die Ungültigerklärung des guilty pleas. Vor allem die Untergerichte gehen davon aus, dass die Absprachen rein nach dem allgemeinen zivilrechtlichen Vertragsrecht zu beurteilen sind.547 Daher müsse zB der Beschuldigte nachweisen, dass der StA zur Abgabe des Zugeständnisses berechtigt war, und er darauf vertraute.548 Auch Inhalt und 543
544 545 546 547
548
Zu dual sovereignty rule siehe oben Abschnitt 1.II.B.5.1.2.; vgl People v Kreitenberg, 2003 WL 178660 (Cal.App. 2 Dist.). Siehe die in 91 Geo. L. J. 365 FN 1238 zitierten E. 404 U.S. 257 (1971). 404 U.S. 257, 262 (1971). U.S. v Panarella, 277 f.3d 678, 683, 687 (3d Cir. 2002), U.S. v Ballis, 28 f.3d 1399, 1410 (5th Cir. 1994), U.S. v U.S. Currency in the Amount of $228,536.00, 895 f.2d 908, 914 (2d Cir. 1990); vgl Peavy v U.S., 31 f.3d 1341, 1346 (6th Cir. 1994), U.S. v Schilling, 142 f.3d 388, 394 (7th Cir. 1998) in der das Gericht anmerkt, dass plea bargains zwar als Verträge anzusehen und nach Vertragrechts auszulegen sind, dabei das Recht des Beschuldigten auf fundamentale Fairness mitberücksichtigt werden muss. U.S. v Flemmi, 225 f.3d 78, 84–85 (1st Cir. 2000).
112
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Umfang des Handels werden nach Vertragsrecht beurteilt, ebenso sind nur freiwillige und bewusste Willenserklärungen gültig. Als vertraglich geregelt gilt, was tatsächlich besprochen wurde. Die Partei, die eine Verletzung der Abmachung geltend macht, hat diese auch zu beweisen, was für den Angeklagten praktische Schwierigkeiten mit sich bringen kann: Während an den sentencing bargains ein Richter beteiligt ist, der beide Seiten hört, werden charge bargains oft nur mündlich zwischen StA und Angeklagtem getroffen.549 Da die Vereinbarung nicht in Schriftform ergeht, kann es für den Angeklagten mitunter schwierig sein, den Umfang des Handels zu beweisen.550 Zusammenfassend ist festzuhalten, das ein plea bargain innerhalb eines Souveräns hinsichtlich des Deliktes zum Verbrauch der Anklage führt, dessen sich der Beschuldigte schuldig erkannte (und der lesser included offences). Delikte, auf deren Verfolgung der StA im Gegenzug für das Schuldeingeständnis verzichtete, können (innerhalb eines Souveräns) grundsätzlich nicht mehr verfolgt werden, wobei anlässlich eines Verstoßes des StA gegen diese Abmachung die Beweislast beim Beschuldigten liegt. 5.1.4. Das idem im amerikanischen Recht Wie bereits erwähnt, ist der Inhalt des ne bis in idem Prinzips in den USA beschränkter als im kontinentaleuropäischen Raum. Denn es bezieht sich grundsätzlich nicht auf die Tat im prozessualen Sinn, dh auf den zugrunde liegenden Sachverhalt,551 sondern auf das verfolgte Delikt „the same offence“. Es soll hier ein Überblick über bzw eine Zusammenfassung der amerikanischen Rechtslage gegeben werden. Wobei eine übersichtliche und eindeutige Darstellung des Schutzbereiches schwierig ist, da dieses Gebiet stark von Einzelfallentscheidungen geprägt und sein Umfang sehr unklar bzw umstritten ist. a. Sperrwirkung bei the same offence Ob mehreren Verfahren dasselbe oder verschiedene Delikte zugrunde liegen, richtet sich nicht allein danach, ob ein Sachverhalt mehrere Straftatbestände erfüllt, sondern es wird anhand des sog Blockburger Tests geprüft, ob jeder dieser Tatbestände ein Element enthält, das dem anderen fehlt.552 Ist dies der Fall, so liegen zwei Taten vor. Enthält ein Tatbestand dieselben Elemente wie der andere und kein zusätzliches, so handelt es sich um the same offence, was eine neuerliche Verfolgung verbietet, wenn die weiteren Fakten während 549
550 551 552
Vgl aber Rule 11 der Federal Rules of Criminal Procedure, nach der auch bei charge bargains eine gerichtliche Genehmigung verlangt wird, wenn der StA auf die Verfolgung weiterer Vorwürfe verzichtet. Thomas, Einmaligkeit 267. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.3.2. und Abschnitt 1.II.B.1.4. Blockburger v U.S. 284 U.S. 299, 304 (1932); Lopez, 33 Vand. J. Transnat’l Law 1282 f.
Auslieferung und Strafgewalt
113
der HV bekannt waren. Zur Beurteilung werden die Tatbestände gegenübergestellt. In U.S. v Felix553 entschied der Supreme Court, dass die Verabredung zu einer mit Strafe bedrohten Handlung nicht dasselbe Delikt wie die Ausführung der verabredeten Straftat sei, da jeder Tatbestand ein Element enthalte, das dem anderen fehle: Der Tatbestand des Verabredungsdeliktes verlange eine Abmachung zwischen mehreren Personen, der Tatbestand der auszuführenden Straftat selbst enthalte dieses Element hingegen nicht, verlange aber zusätzlich die für diese Straftat notwendigen Tatbestandmerkmale. In Brown v Ohio554 hatte der Angeklagte ein fremdes Auto am 29. November 1973 auf einem Parkplatz in Betrieb genommen, neun Tage später, am 8. Dezember, erfolgte die Festnahme in diesem Auto. Er wurde wegen des Delikts des joyriding (vergleichbar mit dem Unbefugten Gebrauch eines Fahrzeuges nach § 136 StGB) am oder um den 8. Dezember verurteilt und zu 30 Tagen Freiheitsstrafe und $ 100,- Geldstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung erfolgte eine Anklage wegen Diebstahls des Autos am oder um den 29. November 1973. Da der Tatbestand des unbefugten Gebrauches nach amerikanischem Recht wortwörtlich mit dem Diebstahls übereinstimmt, letzter nur zusätzlich den Vorsatz auf dauernden Entzug aus dem Gewahrsam verlangt, handelte es sich laut Supreme Court um ein Delikt, dessen nochmalige Verfolgung unzulässig sei. In dieser E wird nicht thematisiert, ob der Angeklagte das Auto zuerst nur befristet gebrauchen und dann wegnehmen wollte. Die in den beiden Anklagen genannten Tatzeiten sprechen eher dafür, dass einerseits der Diebstahl wegen der Wegnahme des Autos und andererseits der spätere unbefugte Gebrauch verfolgt wurden. Nach österreichischem Recht wäre diesfalls nur der Diebstahl zu verfolgen: Wer den Diebstahl vollendet und das Auto später unbefugt gebraucht, begeht eine in bloßer Scheinkonkurrenz stehende und daher straflose Nachtat.555 Man hätte die Unterscheidung treffen müssen, ob sich der Angeklagte bereits bei oder aber erst nach der Wegnahme dafür entschieden hatte, sich das Auto zuzueignen und sich daran zu bereichern. Denn diesfalls hätte er neben § 136 StGB auch eine Anschlussunterschlagung gem § 134 Abs 2 StGB verwirklicht.556 Nach österreichischem Recht läge Idealkonkurrenz vor, die dieselben Rechtsgüter betrifft, weshalb auch Identität der Tat vorläge. Eine Verurteilung nach § 136 StGB (wie in Brown v Ohio) zöge daher Sperrwirkung nach sich, und eine Verfolgung der
553 554 555 556
503 U.S. 378 (1992). Brown v Ohio, 432 U.S. 161 (1977). Vgl Bertel/Schwaighofer, BT I9 § 136 Rz 15. OLG Wien ZVR 1989/209.
114
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
Unterschlagung wäre auch im Wege der Wiederaufnahme nicht mehr möglich.557 Beide E zeigen, dass das US-amerikanische Recht keine dem österreichischen Recht vergleichbaren materiell strafrechtlichen Konkurrenzregeln kennt, sondern offensichtlich erst im Wege der double jeopardy über Konkurrenzfragen entscheidet. Es kann aber zumindest die grundsätzliche Regel aufgestellt werden, dass Privilegierungen und Qualifikationen im Verhältnis zum Grunddelikt und umgekehrt immer dieselbe Tat darstellen. Denn diese stimmen mit dem Grunddelikt überein, enthalten aber ein zusätzliches qualifizierendes oder privilegierendes Element, während das Grunddelikt jeweils kein zusätzliches Element enthält. Wurde nur das geringere verfolgt und abgeurteilt, so kann auch die Qualifikation nicht mehr angeklagt werden.558 Das bedeutet, dass in den USA Taten, die zum Zeitpunkt des ersten Verfahrens zueinander in Real-, Ideal- oder zum Teil sogar nur in Scheinkonkurrenz stehen, mehrmals verfolgt werden können, wenn sie jeweils, dh beide Tatbestände, ein anderes Element enthalten. Blakesley nennt folgendes Beispiel:559 Das US-amerikanische Recht enthält eine Bestimmung, die den illegalen Transport von Drogen in einem Flugzeug bestraft. Daneben besteht der Tatbestand des illegalen Transportes in die USA. Zudem gibt es die Straftat des Besitzes von Drogen an Bord eines Flugzeuges ohne die nötigen Papiere. Ein Täter kann nacheinander wegen aller drei Delikte verurteilt werden, da jedes Delikt ein Element enthält, welches in den anderen nicht vorkommt. Die Prüfung des zusätzlichen Elementes lässt daher eine neuerliche Verfolgung in Subsidiaritäts- und zum Teil in Konsumtionsfällen zu. Bei dem genannten Drogen-Beispiel läge nach österreichischem Recht zumindest hinsichtlich des ersten und des dritten Tatbestandes Konsumtion vor. Der Besitz von Drogen ohne die nötigen Papiere in einem Flugzeug ist regelmäßig und typisch im illegalen Transport von Drogen in einem Flugzeug enthalten. Da die Spezialität hingegen voraussetzt, dass das speziellere Delikt sämtliche Merkmale des verdrängten Deliktes enthält,560 scheint eine nachträgliche Verfolgung des verdrängten Delikts in Spezialitätsfällen auch im US-ameri-
557 558
559 560
§ 356 StPO. Eine Ausnahme besteht aber, wenn die qualifizierenden Umstände trotz Sorgfalt des StA erst nachher bekannt werden oder erst später auftreten (Brown v Ohio, 432 U.S. 161, 169 FN 7), dazu und zum Vergleich mit der Wideraufnahme nach österr Recht unten Abschnitt 1.II.B.5.1.4.b. Blakesley, in Trechsel FS 205 f. Kienapfel/Höpfel, AT11 E 8 Rz 22.
Auslieferung und Strafgewalt
115
kanischen Recht aufgrund des Blockburger Tests wegen des fehlenden zusätzlichen Elementes ausgeschlossen.561 Die E U.S. v Felix562 hinsichtlich der Verabredung zu einer Straftat und der späteren Ausführung derselben macht deutlich, dass sich der Blockburger Test nach rein formalen Kriterien richtet, während im österreichischen Recht neben der rein begrifflichen und logischen auch eine wertende und normative Betrachtung erfolgt.563 Nach österreichischem Recht läge in diesem Fall Subsidiarität vor, die schon materiellrechtlich zur Anwendbarkeit nur eines Delikts führt. Die Beurteilung, ob es sich um dasselbe Delikt handelt, richtet sich streng nach den Tatbestandsmerkmalen; unerheblich ist, ob zum Nachweis beider Delikte dieselben Beweise notwendig sind. Vergleichbar ist der Blockburger Test aber mit der nunmehr von EGMR, VfGH und VwGH zur Beurteilung von Verletzungen des Art 4 7. ZPMRK bei gleichzeitiger verwaltungsrechtlicher und gerichtlicher Zuständigkeit herangezogenen „Gesichtspunktetheorie“.564 Wie bereits oben besprochen,565 wird zB anlässlich eines Unfalls in alkoholisiertem Zustand geprüft, ob sich die wesentlichen Tatbestandsmerkmale der §§ 5, 99 StVO und § 88 Abs 4 StGB decken, ob mit dem einen Verfahren der Schuld- und Unrechtsgehalt des anderen Verfahrens bereits mit umfasst wurde. Der US-amerikanische Test als solcher ist zum Teil weiter und zum Teil enger gefasst, da er jedoch nur innerhalb des gerichtlichen Strafrechts gilt, ist der Schutzbereich jedenfalls als geringer anzusehen. Einerseits ist eine weitere Verfolgung nur dann möglich, wenn beide Delikte ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal enthalten. Wurde nur die Alkoholisierung verfolgt, so könnte die in diesem Zustand verursachte Verletzung nicht nochmals verfolgt werden. Dies ergibt sich wohl aus der Überlegung, dass lesser included offences gemeinsam verfolgt werden müssen und bei der Urteilsfindung jedenfalls vom Gericht mitberücksichtigt werden können. Andererseits erfolgt die Beurteilung der zusätzlichen Elemente nach streng objektiven und nicht nach wertenden Kriterien, zudem wird nicht bloß auf die wesentlichen Merkmale abgestellt.
561
562 563 564
565
Siehe aber Blakesley, in Trechsel FS 205 f, der erwähnt, dass eine neuerliche Verfolgung nach der Rsp auch dann zulässig ist, wenn das zweite Delikt ganz in dem bereits abgeurteilten Delikt aufgehe, er verweist dabei auf die neuen Gesetze RICO und CCE. Zu diesen Gesetzen siehe Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 209 ff, Sicalides, 62 Temp. L. Rev. 1281, Dinga, 7 B.U. Int’l. L.J. 329 ff. 503 U.S. 378. Kienapfel/Höpfel, Strafrecht AT11 E 8 Rz 26 ff. Schwaighofer, ÖJZ 2005, 175, Grabenwarter, Anm zur Gradinger E JBl 1997, 580 ff. Abschnitt 1.II.B.1.3.1.a.
116
Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt
b. Keine Sperrwirkung bei nova reperta und nova producta Eine neuerliche Verfolgung derselben Handlung nach einer Verurteilung ist in den USA jedoch immer zulässig, wenn neue Tatsachen erst nachträglich auftreten (wie zB der spätere Tod des verletzten Opfers) oder wenn die Fakten zwar bereits im Verfahrenszeitraum vorlagen, der Anklagebehörde aber trotz Sorgfalt (due diligence) nicht bekannt waren.566 Daher schließt die Verurteilung wegen einer Körperverletzung nicht eine spätere Verurteilung wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang aufgrund einer nachträglich hinzugetretenen Todesfolge aus.567 Nach österreichischem Recht wäre hier nur eine Wiederaufnahme gem § 356 Z 2 StPO möglich. Ebenso ist eine nachträgliche Verfolgung wegen fährlässiger Tötung nach Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung zulässig, wenn das Opfer später stirbt. Das österreichische Recht verbietet diesfalls die neuerliche Verfolgung absolut, dh auch eine Wiederaufnahme wäre unzulässig. 5.2. Das englische Recht (Autrefois Acquit, Autrefois Convict) Das Autrefois Acquit und das Autrefois Convict des englischen Rechts sind nicht verfassungsrechtlich geregelt, sondern durch Richterrecht entwickelt worden.568 Es bezieht sich auf Freisprüche und Verurteilungen eines zuständigen569 Strafgerichts. Zum Unterschied vom US-amerikanischen double jeopardy erfasst es auch Entscheidungen ausländischer Souveräne, weshalb von einer internationalen ne bis in idem Wirkung gesprochen werden kann.570 Ebenso wie im US-amerikanischen Recht erstreckt sich das Doppelverfolgungsverbot inhaltlich auf das einzelne, konkret zu beurteilende Delikt und nicht auf den zugrunde liegenden Sachverhalt. Erfüllt die Tat neben dem der Entscheidung zugrunde liegenden Delikt auch noch einen anderen Tatbestand, so ist eine neuerliche Verfolgung grundsätzlich zulässig.571 Während ein weiteres Strafverfahren nach US-amerikanischem Recht dann erlaubt ist, wenn die zuvor verfolgte und nunmehr zu verfolgende Tat jeweils ein voneinander unabhängiges Element enthalten, ist in England eine weitere Verfolgung unzulässig, wenn die zweite Straftat „dieselbe oder im wesentlichen dieselbe“ Straftat ist wie das der ersten Verurteilung zugrunde liegen-
566 567 568
569 570 571
Vgl Brown v Ohio, 432 U.S. 161, 169 FN 7. Vgl Lagodny, in Trechsel FS 261. Zu den beiden Bestimmungen des geschriebenen Rechts siehe Thomas, Einmaligkeit 54 ff. Thomas, Einmaligkeit 57, nennt es ein kompetentes Gericht. Thomas, Einmaligkeit 58. Sehr ausführlich zu Umfang und Inhalt nach englischem Recht, Thomas, Einmaligkeit 192 ff.
Auslieferung und Strafgewalt
117
de Delikt.572 Die englische Regelung ist insofern umfassender, als sich die für diese Beurteilung maßgeblichen Kriterien nicht nur aus einem Vergleich der Tatbestände nach ihrem Wortlaut ergeben, sondern auch aus einer Betrachtung äußerer Umstände. Insofern können Beweismittel zur Identität der Personen, zu Daten und Fakten beigebracht werden, um aufzuzeigen, dass es sich im Wesentlichen um dasselbe Delikt handelt. Diese Bestimmung deckt sich mit der Österreich betreffenden Rsp des EGMR zur ne bis in idem Wirkung bei verwaltungsrechtlichen und gerichtlichen Strafverfahren.573 Später hinzutretende Fakten, wie der nachträgliche kausale Tod des Opfers einer bereits verfolgten Körperverletzung, sind – wie in den USA – nicht vom ne bis in idem erfasst. Eine neuerliche Verfolgung ist zulässig.574 6. Das ne bis in idem im Verhältnis zwischen anglo-amerikanischen und kontinentaleuropäischen Staaten – internationales ne bis in idem (außerhalb der EU) Eine einheitliche internationale ne bis in idem Regelung für Staaten zu schaffen, in denen hinsichtlich der Identität der Tat, der Verfolgungsmaxime, der Verpflichtung zu einer umfassenden Anklage sowie der Rechtskraft von Entscheidungen unterschiedliche Regelungen gelten, erscheint höchst problematisch und mit dem Fairnessgebot schwer in Einklang zu bringen. In der Praxis legen die einzelnen Staaten derzeit internationalen Fallkonstellationen ihr eigenes innerstaatliches ne bis in idem Verständnis zugrunde. In den bilateralen vertraglichen Vereinbarungen, wie insbesondere in den Auslieferungsverträgen, zwischen anglo-amerikanischen und kontinentaleuropäischen Staaten finden sich beispielsweise beide idem Begriffe.575 So verbietet der deutsche Text des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA in Art 6 die Auslieferung bei erfolgter Aburteilung derselben Tat, während die englische Version von der Aburteilung des Deliktes (offence) ausgeht. Die Interpretation dieser Verträge geschieht wiederum nach nationaler Rechtsauffassung.576 Ein internationales ne bis in idem ließe sich nur durch die Vereinheitlichung aller Rechtsordnungen schaffen. Neben dieser utopischen Lösung erscheint im Ergebnis ein Kompromiss als die rechtsstaatlichste Variante: Zur Beurteilung der Erledigungswirkung einer ausländischen Entscheidung soll572
573 574
575 576
„... if the crime in respect of which he is being charged is in effect the same or substantially the same as the ... crime of which he is being acquitted...“, Conelly v DPP (1964) 48 CrAppR 212 ff. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.3.1.a. Thomas, Einmaligkeit 199, zur US-amerikanischen und österreichischen Rechtslage siehe, oben Abschnitt 1.II.B.5.1.4.b. Dazu unten Abschnitt 1.IV.B. Vgl United States v Jurado-Rodriguez, 907 f.Supp. 568 (E.D.N.Y. 1995).
118
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
ten zwei Kriterien beachtet werden. Der Staat sollte überprüfen, ob im Urteilsland bestimmte Fakten noch angeklagt werden dürften. Ist dies der Fall, so sollte es, um mit seinem eigenen Grundrechtsverständnis nicht in Konflikt zu geraten, zudem beurteilen, ob nach dem eigenen Recht eine Verfolgung zulässig wäre. Können beide Fragen bejaht werden, ist die neuerliche Verfolgung zulässig. Muss eine der beiden Fragen verneint werden, steht das ne bis in idem Gebot der neuerlichen Verfolgung entgegen. Innerhalb der EU wird die Vereinheitlichung durch Art 54 SDÜ und die entsprechende Rsp des EuGH vorangetrieben. Es hat sich die Tat im prozessualen Sinn durchgesetzt: nicht das Delikt, sondern die zugrunde liegenden Tatsachen unterliegen dem ne bis in idem Prinzip. Der EuGH geht davon aus, dass das Doppelbestrafungsverbot ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in die jeweiligen Strafjustizsysteme impliziere, sowie dass jeder Mitgliedstaat die Anwendung des im anderen Mitgliedstaat geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Anwendung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde. In Konfliktfällen sollte mE auch innerhalb der EU die oben genannte doppelte Prüfung vorgenommen werden.
III. Materielle Voraussetzungen A. Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality 1. Grundsätze der beiderseitigen Strafbarkeit Das Prinzip der beiderseitigen (oder gegenseitigen) Strafbarkeit erlaubt die Auslieferung nur wegen solcher Taten, die sowohl im ersuchenden als auch im ersuchten Staat gerichtlich strafbar sind.577 Zusätzlich wurde bisher verlangt, dass diese gerichtliche Straftat eine bestimmte Mindestschwere besitzt, was als qualifizierte beiderseitige Strafbarkeit bezeichnet wird.578 In allen bisher von Österreich ratifizierten bi- und multilateralen Auslieferungsübereinkommen sowie im ARHG ist dieser Grundsatz verbrieft. Er ist in den multilateralen Übk des Europarats enthalten und kann als weltweit anerkannte Grundvoraussetzung der Auslieferung bezeichnet werden.579
577
578
579
Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 8, Schwaighofer, Auslieferung 92 f. Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 8, dazu unten Abschnitt 1.III.A.2. Bantekas/Nash/Makerel, International Criminal Law 140 f, Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 739 ff, Swart, in Eser/Lagodny Principles 520, Williams, 15 Nova L. Rev. 581. Bassiouni, in International Criminal Law II 230, bezeichnet es sogar
Materielle Voraussetzungen
119
Dennoch ist die beiderseitige Strafbarkeit als klassisches Auslieferungserfordernis im europäischen Raum und insb auf Ebene der EU rechtspolitisch umstritten. Art 3 Abs 1 AuslÜbk-EU sieht, wenn die Handlung im ersuchenden Staat den Tatbestand der Verabredung einer Straftat oder der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung erfüllt, in bestimmten Fällen ein völliges Abgehen von diesem Grundsatz vor.580 Der RB-HB anerkennt die beiderseitige Strafbarkeit grundsätzlich, verzichtet aber hinsichtlich eines Kataloges von 32 „Straftaten“ darauf.581 Die beiderseitige Strafbarkeit wird einerseits als unangefochtenes Prinzip582 und Jahrhunderte alter Eckpfeiler des Auslieferungsrechts angesehen,583 von anderen als unnötig,584 als Fremdkörper585 und ihre Abschaffung als Hauptforderung des bestehenden Auslieferungsrechts bezeichnet.586 Va in der deutschen Literatur findet sich eine lebhafte Auseinandersetzung über die Notwendigkeit dieses Prinzips innerhalb Europas.587 Es wird ua argumentiert, dass dessen Abschaffung zu einer Beschleunigung, Erleichterung und Übersichtlichkeit der Auslieferung führe. Naturgemäß bringt der Verzicht auf diese materielle Voraussetzung eine wesentliche Vereinfachung, doch kommt ihr eine maßgebliche Berechtigung im Auslieferungsverfahren zu. Im Folgenden findet eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Kritikpunkten statt. Vorauszuschicken ist, dass die Auslieferung im kontinentaleuropäischen Raum heute ausschließlich der Rechtshilfe und nicht der Strafrechtspflege zugeordnet wird. Denn sie stellt keine eigene Strafverfolgung des ersuchten Staates, sondern nur eine Hilfe zur (fremden) Strafverfolgung im ersuchenden Staat dar.588 Daher wird dem Prinzip nulla poena sine lege bereits durch die „bloße“ Strafbarkeit der Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates Genüge getan. Die beiderseitige Strafbarkeit ist also nicht aus diesem Prinzip ableitbar. Im anglo-amerikanischen Raum wird wiederholt angeführt, dass
580 581
582
583 584 585 586 587
588
als Völkergewohnheitsrecht, so auch Shearer, Extradition, 138 und Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 194. Schwaighofer, ÖJZ 1997, 21. Art 2 Abs 2 RB-HG; es handelt sich dabei um 32 völlig unbestimmte Begriffe bzw Begriffskategorien, dazu unten Abschnitt 2.II.A.1. Schwaighofer, ÖJZ 1994, 304, vgl auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 62, der sie als dringend beizubehaltenden Grundsatz bezeichnet. Schünemann, ZRP 2003, 188, ders, GA 2002, 507. Schomburg, StV 1998, 157. Vogel, JZ 2001, 942. Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 47, vgl auch Meyer, in Eser FS 804. Vgl die ausführliche Stellungnahme von Lagodny, ZStW 101 (1989) 996 (372) ff, siehe auch ders, in Eser FS 783 ff. Vogel, JZ 2001, 942, Schwaighofer, Auslieferung 93, Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 19, Weigend, JuS 2000, 107.
120
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
die beiderseitige Strafbarkeit auch im nulla poena sine lege-Grundsatz begründet sei.589 Sie versichere dem ersuchten Staat, dass der Betroffene nicht für ein Verhalten bestraft werde, welches nach seiner Rechtsordnung nicht strafbar sei.590 Dies erweckt den Eindruck einer teils staatspolitischen, teils rechtsstaatlichen Argumentation, liefert aber tatsächlich keine Begründung, warum der ersuchte Staat ein Recht auf diese Versicherung habe. Ursprünglich wurde die beiderseitige Strafbarkeit aus dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Gegenseitigkeit abgeleitet591: Ein Staat soll nicht wegen einer Handlung ausliefern müssen, wegen der er selbst keine Auslieferung begehren könnte. Dem wird entgegnet, dass es den Staaten ohne weiteres möglich ist, gegenseitig auf die beiderseitige Strafbarkeit zu verzichten. Dann könnte der ersuchte Staat im umgekehrten Fall zwar keine Auslieferung wegen dieser, wohl aber wegen einer anderen Handlung begehren, die nur nach seinem Recht strafbar sei. Daher ließe sich dieses Prinzip gar nicht aus der Gegenseitigkeit ableiten.592 Natürlich führt jeder gegenseitige Verzicht wiederum zur Gegenseitigkeit. Die Gegenseitigkeit ist Anknüpfungspunkt nicht aber alleiniger Ursprung der beiderseitigen Strafbarkeit, denn die Gegenseitigkeit ist Ausfluss der Souveränität der Staaten. Diese Souveränität würde eingeschränkt, gäbe ein Staat mehr als der andere zu geben bereit ist („do ut des“). Die Gegenseitigkeit basiert daher auf rein staatspolitischen Überlegungen und dient nicht dem Schutz des Betroffenen. Der beiderseitigen Strafbarkeit kommt aber darüber hinaus eine eigenständige Bedeutung zu: Sie verfolgt nicht staatspolitische, sondern kriminalpolitische Ziele593 und kann aus dem liberalen Rechtsstaatsprinzip und dem Prinzip der Achtung der eigenen Rechtsanschauung abgeleitet werden.594 Wiederum ist vorauszuschicken, dass die Auslieferung keine eigene Strafverfolgung des ersuchten Staates darstellt. Doch obwohl der ersuchte Staat nur zur Durchsetzung des Rechts des ersuchenden Staates beiträgt, muss die Strafbarkeit im ersuchten Staat eine Rolle spielen,595 da die Auslieferung unbestritten zu einem schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit des
589
590 591
592 593 594
595
Bantekas/Nash/Mackarel, International Criminal Law 140, Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 739, Williams, 15 Nova L. Rev. 582. Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 739. Lagodny, in IRG § 3 Rz 2, ders, Rechtsstellung des Auszuliefernden 48 ff, Weigend, JuS 2000, 107, zur Gegenseitigkeit siehe Van der Wilt, in Handbook 71. Vogel, JZ 2001, 942. Schwaighofer, Auslieferung 93. Linke, Grundriss 39, weitere Nachweise bei Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 19 f, va FN 49. aM Vogel, JZ 2001, 942 bezeichnet sie als Fremdkörper im System des Auslieferungsrechts.
Materielle Voraussetzungen
121
Betroffenen führt.596 Sowohl Auslieferungshaft als auch die eigentliche Auslieferung, also der Transfer des Betroffenen, sind Zwangsmaßnahmen. Auch wenn der Staat seinen Machtapparat bloß in fremde Dienste stellt, so sollte er dies nur dann tun, wenn das zugrunde liegende Verhalten auch nach seinem Rechtssystem strafrechtlich verfolgt werden könnte, dh wenn die Zwangsmaßnahmen nach seinem Recht zumindest möglich wären.597 Das gebietet die Rechtsstaatlichkeit.598 Nun wird argumentiert, dass es die beiderseitige Strafbarkeit nicht brauche, um der Rechtsstaatlichkeit Genüge zu tun. Diese sei dadurch gewahrt, dass die Auslieferung in Einzelfällen, wenn die „Inkriminierung … nicht akzeptabel erscheint“ mit Verweis auf den nationalen ordre public abgelehnt werden könne,599 wie es beispielsweise § 73 IRG für Deutschland vorsehe. Nach dieser Bestimmung ist die Auslieferung ausgeschlossen, wenn sie den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widerspräche. Dieses Argument ist problematisch, da Unklarheit besteht, ob die bzw welche Inkriminierung einer Tat gegen den ordre public verstößt. Die Gerichte der einzelnen Staaten legen diesen nationalen ordre public im Auslieferungsverfahren mitunter zu „eng“ aus. Insb der deutsche BGH verlangt einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Mindeststandard bzw einen nationalen Kernbereich.600 Teile der Lehre lehnen eine generelle Berücksichtigung bzw eine Eingriffsermächtigung des innerstaatlichen ordre public auf entgegenstehende vertragliche Auslieferungspflichten grundsätzlich ab.601 Va wenn die Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit auf die Vereinfachung und Vorhersehbarkeit der Auslieferung abzielt, so ist mit dem Abstellen auf den innerstaatlichen ordre public nicht viel gewonnen. Steht das Verhalten im ersuchten Staat nicht unter Strafdrohung, bleibt der Ausgang der Auslieferung für den ersuchenden Staat wiederum ungewiss. Es ist abzuwarten, ob die Strafverfolgung dem innerstaatlichen ordre public entspricht. Denn die Auffassungen der einzelnen Staaten hinsichtlich der wesentlichen Grundsätze ihrer Rechtsordnungen decken sich nicht. Anhand eines Beispieles soll die Schwierigkeit aufgezeigt werden, im Einzelfall zu differenzieren, wann die Strafverfolgung den wesentlichen Grundsätzen widerspricht und wann nicht: Bis vor kurzem war eine geschlechtliche Handlung eines 19jährigen Mannes mit einem 17-jährigen
596
597 598 599 600 601
Schwaighofer, Auslieferung 92, ders, ÖJZ 1994, 305, Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 19. Schwaighofer, Auslieferung 93; aM Lagodny, ZStW 101 (1989) 997. Schwaighofer, Auslieferung 92, Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 20. Weigend, JuS 107, Lagodny, in Eser FS 783 ff insb 785. Dazu ausführlich Lagodny, in IRG § 73 Rz 7 f. Dazu unten Abschnitt 1.IV.C.1.
122
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
männlichen Jugendlichen in Österreich strafbar.602 Hätte die Auslieferung des deutschen Täters an den Tatortstaat Österreich zur Strafverfolgung die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verletzt? War neben dem Täter auch das vermeintliche „Opfer“ ein deutscher Staatsbürger, fände dann durch die Auslieferung an den Tatortstaat Österreich eine Verletzung der wesentlichen Grundsätze statt? Va in Anbetracht der strengen Auslegung des § 73 IRG durch BGH und BVerfG ist dies fraglich. Jedenfalls scheint es rechtsstaatlich nicht richtig, dass Deutschland seinen Machtapparat im Dienste Österreichs für ein Verhalten in Gang bringt, das in Deutschland als Ausdruck sexueller Selbstbestimmung erlaubt ist. Dem Strafrecht kommt insofern auch eine große politische Dimension zu, wie dies die Diskussionen zur Abtreibung und zur Euthanasie immer wieder zeigen. Mit der Entscheidung, ein Verhalten zu kriminalisieren, missbilligt der Staat eine Handlung nach seiner sozialethischen Wertung. Nur anlässlich einer solchen Handlung sollte der ersuchte Staat in die Rechte des Betroffenen eingreifen. Die Beachtung des innerstaatlichen ordre public stellt einen wichtigen und notwendigen Grundsatz zur Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit im Auslieferungsverfahren dar. Die beiderseitige Strafbarkeit muss daneben aber weiter bestehen.603 Auf gleicher Ebene wird argumentiert, dass die Anerkennung eines europäischen Grund- und Menschenrechtsvorbehalts, in dem Sinne, dass ein zu erwartender Verstoß gegen die Menschrechtsgarantien der EMRK im ersuchenden Land ein Auslieferungshindernis darstellt, einen Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit erlaubt.604 Denn ein Verstoß gegen die Menschenrechte liege nur vor, wenn die Strafverfolgung wegen der – im ersuchten Staat nicht strafbaren – Tat gegen die europäischen Grund- und Menschenrechte verstieße. Als Beispiel wird angeführt, dass im ersuchenden Staat jede kritische Meinungsäußerung über Regierungsmitglieder strafbar sei. Die Geltung der Menschenrechte der EMRK – wie auch der innerstaatlichen Grundrechte – ist im Auslieferungsverfahren keineswegs in Frage zu stellen. Die dazu angestellten Überlegungen sind an anderer Stelle ausführlich dargelegt.605 Der Menschenrechtsvorbehalt besteht insofern bereits, als die Grundrechtsgarantien der EMRK auch im Auslieferungsverfahren mit Drittstaaten zu beachten sind, bzw Verstöße dagegen zur Verantwortlichkeit des ersuchten Staates führen. Daneben ist auch eine ausdrückliche Verankerung eines europäischen Grund- und Menschenrechtsvorbehaltes in den 602
603 604
605
§ 209 wurde erst mit 14.8.2002, BGBl I 134/2002, aufgrund des VfGH-E, G 6/02-11 vom 21.6.2002, aufgehoben, dazu Murschetz/Ebensperger, JAP 2002/2003 Nr. 3, 175 f. So auch Vogler, in IRG-K § 3 Rz 2, ebenso Vogel, in IRG-K § 73 Rz 62. Schomburg, StV 1998, 157, Vogel, JZ 2001, 941 f; vgl aber ders, in IRG-K § 73 Rz 62. Dazu unten Abschnitt 1.IV.C.
Materielle Voraussetzungen
123
Auslieferungsübk sowie in den Auslieferungsgesetzen unbedingt zu befürworten. Die beiderseitige Strafbarkeit als Auslieferungsvoraussetzung sollte aber ebenso beibehalten werden, denn ihr Gehalt lässt sich nicht bloß auf den angeführten Kern reduzieren. Solange die europäischen Staaten nicht jeweils die gleichen Handlungen missbilligen und darauf mit der Strafbarkeit als ultima ratio reagieren, sollten diese Unterschiede auch im Auslieferungsrecht berücksichtigt werden. Kein Staat sollte seine Zwangsgewalt für ein Verhalten in fremde Dienste stellen, das er selbst nicht für strafwürdig hält. Erst wenn alle Staaten tatsächlich dasselbe Verhalten gleich kriminalisieren, macht die Aufhebung der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsverfahren einen Sinn.606 Eine so umfassende Harmonisierung erscheint jedoch auch auf EU-Ebene (derzeit) nicht realistisch. Auch bleibt zu fragen, ob sie wünschenswert ist. Denn die unterschiedlichen nationalen materiellen Strafrechtsnormen ergeben sich aus verschiedenen nationalen historischen und sozial-ethischen Zusammenhängen bzw sind aus diesen Wurzeln gewachsen, die sich nur schwer ignorieren lassen. Auch soll den einzelnen Staaten nicht die Möglichkeit genommen werden, unterschiedlich auf bestimmte Verhaltensweisen zu reagieren, bzw auf gesellschaftliche Veränderungen einzugehen. 2. Qualifizierte Strafbarkeit Zusätzlich zur Strafbarkeit der Handlung nach den Rechtsordnungen beider Staaten wird traditionell die qualifizierte (beiderseitige) Strafbarkeit verlangt:607 Danach muss die gerichtliche Straftat eine Mindestschwere besitzen, die in einer bestimmten Strafdrohung ihren Ausdruck findet. Die qualifizierte Strafbarkeit wird auch, va in Deutschland, mit dem Prinzip der „Auslieferungsfähigkeit“ des Deliktes umschrieben.608 In den kontinentalen Rechtssystemen bestimmt sich die Auslieferungsfähigkeit nunmehr nach der Eliminationsmethode,609 dh anhand der Höhe der für das Delikt angedrohten Sanktion. Insb in den Common Law Ländern wurden die auslieferungsfähigen Delikte in den Auslieferungsverträgen ein-
606
607 608
609
Zu diesem Ergebnis gelangte auch die AIDP 1999, Van den Wyngaert, General Report for the 4th Section of the AIDP Congress in Budapest (September 1999), RIDP 1999, 1333 (197). Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 8. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 22 insb FN 66, Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, in IRG Einl Rz 65, Lagodny, in IRG § 3 Rz 1 u 23 ff. Im englischsprachigen Raum „formula approach“ oder „no list approach“ im Vergleich zum „list approach“ genannt, Bassiouni, in International Criminal Law II 230, Williams, 15 Nova L. Rev. 583 und 599 f.
124
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
zeln aufgezählt, was man als Enumerationsmethode bezeichnet.610 Auch dort wird nun zunehmend nach der Eliminationsmethode vorgegangen.611 Ihre Begründung findet diese materielle Voraussetzung im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nur schwere Taten sollen Anlass zur Auslieferung geben.612 Zudem sei die Beschränkung auf schwerere Delikte wegen der hohen Kosten eines Auslieferungsverfahrens sinnvoll, bzw würde sich eine Auslieferung erst dann lohnen.613 Die qualifizierte Strafbarkeit wird aber nach und nach abgebaut. Während das ARHG eine Strafdrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe nach dem Recht des ersuchenden und dem des ersuchten Staates fordert, genügt nach dem EuAlÜbk eine jeweilige Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.614 Auf EU Ebene macht das AuslÜbk-EU die Auslieferung nur mehr von einer Strafdrohung von sechs Monaten Freiheitsstrafe im ersuchten und einem Jahr im ersuchenden Staat abhängig. Begründet wird diese Erweiterung der Auslieferungspflichten mit dem Interesse an einer effizienteren Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus und des organisierten Verbrechens. Die Herabsetzung auf sechs Monate lässt allerdings die Auslieferung von Bagatelldelikten zu und steht mit dem genannten Anliegen nicht mehr im Einklang.615 Der RB-HB sieht für die Fälle, in denen die beiderseitige Strafbarkeit nicht überhaupt aufgegeben wird, zumindest einen einseitigen Verzicht auf die qualifizierte Strafbarkeit vor: Während die Handlung im Ausstellungsstaat (ersuchenden Staat) mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sein muss, genügt die bloße Qualifikation der Handlung als Straftat im Vollstreckungsstaat (ersuchten Staat). Der Abbau der Auslieferungshindernisse und -voraussetzungen ist seit längerem ein Anliegen vieler Staaten zur Gewährleistung einer effizienteren Verbrechensbekämpfung, insb in Bezug auf Terrorismus und die organisierte Kriminalität. Das sind Verbrechensformen, die viele Staaten betreffen, grenzüberschreitend praktiziert werden und die Stabilität der Weltordnung angreifen. Die Ermöglichung einer rascheren, vereinfachten und unkomplizierten Reaktionsmöglichkeit der Staaten durch gegenseitige Rechthilfe und Auslieferung ist ein begründetes Interesse. Doch der Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit ist kein Mittel des Kampfes gegen den Terrorismus oder die organisierte Kriminalität. Damit im Zusammenhang stehende Straftaten 610 611
612
613 614 615
Williams, 15 Nova L. Rev. 583 und 599 f. Für die USA siehe Bassiouni, in International Criminal Law II 230, Williams, 15 Nova L. Rev. 600, für Großbritannien und Kanada ebenso Williams, 15 Nova L. Rev. 597 ff und 602 ff. Schwaighofer, Auslieferung 102, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in IRG Einl Rz 65. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in IRG Einl Rz 65, § 3 Rz 23. Art 11 ARHG, Art 2 EuAlÜbk. Schwaighofer, ÖJZ 1997, 20, Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe 8.
Materielle Voraussetzungen
125
sind bereits in den „friendly nations“, mit denen die Auslieferung funktioniert, gerichtlich strafbar. Daher und aus den oben genannten Gründen ist der Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit abzulehnen. Der vollkommene Abbau der qualifizierten Strafbarkeit lässt zudem Auslieferungen wegen Bagatelldelikten zu. Wiederum ist der Hinweis auf die Terrorismusbekämpfung nicht stichhaltig. Dennoch kann hier argumentiert werden, dass, solange die Tat zumindest in beiden Staaten gerichtlich strafbar ist, der ersuchende Staat wegen einer solchen Tat seinen eigenen Machtapparat in Gang setzen könnte. Daher kann bei Beibehaltung der beiderseitigen Strafbarkeit auf die qualifizierte Strafbarkeit verzichtet werden: Die Auslieferungsfähigkeit des Delikts muss sich nicht nach einer Mindestschwere richten, sondern es genügt das Vorliegen der Strafbarkeit. 3. Umfang und Methode der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit 3.1. Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit in concreto (insb Verjährung) Die beiderseitige Strafbarkeit verlangt, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates gerichtlich strafbar ist. Anlässlich der Überprüfung dieser Voraussetzung beschränkt sich der ersuchte Staat auf die Beurteilung der eigenen inländischen Strafbarkeit. Die rechtliche Würdigung der Handlung und damit das Vorliegen der Strafbarkeit im ersuchenden Staat sind dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen. Das Bestehen der Gerichtsbarkeit im ersuchenden Staat wird generell als selbstverständlich vorausgesetzt.616 Entscheidungsgrundlage bei der Überprüfung der Strafbarkeit durch den ersuchten Staat ist der im Auslieferungsersuchen bekannt gegebene Sachverhalt. Dabei handelt es sich um ein ganz bestimmtes historisches Ereignis, das im Auslieferungsersuchen hinsichtlich Subjekt, Objekt, Begehungsweise, Zeit, Ort und gegebenenfalls Erfolg konkretisiert sein muss. Diesen Sachverhalt und nicht den gesetzlichen Tatbestand der ausländischen Strafnorm hat der ersuchte Staat zu beurteilen.617 Denn die Zulässigkeit der Auslieferung hängt nicht von einer Übereinstimmung der gesetzlichen Tatbestände ab. So ist die Wertung eines Sachverhalts im Ausland als Veruntreuung und im Inland als Unterschlagung hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung nicht relevant.618 Nach zahlreichen US-amerikanischen, engli-
616 617
618
Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 43, Linke, Grundriss 41, Schwaighofer, Auslieferung 94. Siehe Keijzer, in Handbook 143. Zur Relevanz der rechtlichen Würdigung bei der Spezialität siehe oben Abschnitt 1.III.D.4.
126
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
schen und kanadischen Gerichten ist bereits ein „substantially similar“ oder analoger inländischer Tatbestand ausreichend.619 Die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt in Deutschland und Österreich konkret. Eine bloß abstrakte Prüfung, ob der Sachverhalt unter eine innerstaatliche Strafnorm zu subsumieren ist, wäre ungenügend. Das deutsche IRG verlangt in § 3 im Gegensatz zum ARHG sogar ausdrücklich, dass die Tat auch nach nationalem Recht eine rechtswidrige Tat darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Die Auslieferung ist nur dann zulässig, wenn es sich um eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat handelt. Der Großteil der Lehre und Rsp verlangt darüber hinaus zu Recht das Vorliegen objektiver Bedingungen der Strafbarkeit sowie das Nicht-Vorliegen von Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen.620 Der Strafaufhebungsgrund der Verjährung im ersuchten Staat ist nach § 18 ARHG und Art 10 EuAlÜbk ein ausdrückliches und obligatorisches Auslieferungshindernis.621 Da die Verjährung die beiderseitige Strafbarkeit ausschließt, wird sie bereits an dieser Stelle und nicht erst im Kapitel über die Auslieferungshindernisse erwähnt. Das (nicht in Kraft getretene aber zwischen den Ratifikationsstaaten vorläufig anwendbare) AuslÜbk-EU sowie der europäische Haftbefehl sehen dieses obligatorische Hindernis der Verjährung nicht mehr vor. Demnach besteht nur mehr ein fakultativer Ablehnungsgrund, und zwar nur dann, wenn der ersuchte bzw der VollstreckungsStaat eigene Gerichtsbarkeit über die Auslieferungstat besitzt.622 Gem Art 62 SDÜ, der durch den RB-HB und das am 1.5.2004 in Kraft getretene EU-JZG ersetzt wurde, sind hinsichtlich der Verjährung allein die Vorschriften des ersuchenden Staates relevant. Zudem geht ein großer Teil der Lehre zu Recht davon aus, dass die Auslieferung bei nicht schuldhaftem Handeln unzulässig sei. Darunter fällt insb 619
620
621
622
Zur us-amerikanischen Rsp siehe Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 741 ff, ders, Triffterer FS 197, Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 198 ff, zur englischen und kanadischen Rechtslage Williams, 15 Nova L. Rev. 590 ff, 603 ff. Zu den Problemen bei in den USA gerichtlich strafbaren Verstößen gegen die Gesetze RICO und CCE siehe Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 209 ff, ebenso Sicalides, 62 Temp. L. Rev. 1281, Dinga, 7 B.U. Int’l. L.J. 329 ff. Schwaighofer, Auslieferung 96, ders ÖJZ 1994, 305, Linke, Grundriss 40, Epp, ÖJZ 1981, 198 f, Vogler, in IRG-K § 3 Rz 5, 10, 12; aM Lagodny, in IRG § 3 Rz 16, der die beiderseitige Strafbarkeit grundsätzlich ablehnt, und daher ihre Anwendbarkeit so zu beschränken sucht, Oehler, ZStW 96 (1984), 555, 557 f. Siehe ebenso Art 7 des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA. Zur Prüfung der Verjährung im Auslieferungsverfahren Linke, Grundriss 53 f. In Deutschland ist die Verjährung kein materieller Strafaufhebungsgrund sondern ein Verfolgungshindernis, weshalb sie dort unter der beiderseitigen Verfolgbarkeit berücksichtigt wird, dazu unten Abschnitt 1.III.C.1. Art 8 AuslÜbk-EU, Art 4 Z 4 RB-HB, dazu unten Abschnitt 2.II.A.2.2.1.
Materielle Voraussetzungen
127
die Schuldunfähigkeit (insb die Strafmündigkeit), das Vorliegen von Entschuldigungsgründen sowie die Zurechnungsunfähigkeit.623 Auf die Notwendigkeit der Strafmündigkeit nach dem Recht des ersuchenden sowie des ersuchten Staates zum Tatzeitpunkt weist das ARHG in § 21 sogar ausdrücklich hin.624 Wäre über den zurechnungsunfähigen Täter aber statt der Strafe eine vorbeugende Maßnahme625 zu verhängen, die mit Freiheitsentzug verbunden ist, so ist die Auslieferung zu gewähren.626 Auf diese vorbeugenden Maßnahmen wird sowohl im ARHG als auch in den entsprechenden Übk ausdrücklich Bezug genommen.627 Anzumerken ist, dass im Auslieferungsverfahren das formelle Prüfungsprinzip gilt. Eine Schuldverdachtsprüfung in dem Sinne, dass die Begründetheit der Annahme der Tatbegehung durch den Betroffenen überprüft wird, findet im kontinentaleuropäischen Raum idR nicht statt.628 Denn die Überprüfung der Stichhaltigkeit des Tatverdachts im Auslieferungsverfahren führte zu einem antizipierten Strafverfahren, was aus rechtlichen Gründen (Beweisprobleme) und praktischen Überlegungen (Verfahrensverzögerungen) unerwünscht ist.629 Der ersuchte Staat hat sich bei der Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit daher an die im Auslieferungsersuchen geschilderte Tat und die dargelegte Begründung zu halten. Ergibt sich daraus zweifelsfrei, dass die Tat bei Anwendung des inländischen Rechts unter einen die Strafbarkeit beseitigenden Tatbestand (zB einen Rechtfertigungsgrund) fiele, ist das Auslieferungsersuchen abzulehnen. In diesem Sinne „zweifelsfreie“ Fälle werden in der Praxis eher selten sein.630 Bestehen Zweifel über das Vorliegen eines solchen Grundes, so soll die Einholung von Beweisen aus den oben genannten Gründen unzulässig sein. Da die Vernehmung des Betroffenen zumeist für den ersuchten Staat das einzig verfügbare Beweismittel darstellt, wird sie als solche für die Ablehnung der Auslieferung kaum ausreichend sein. Vom Betroffenen angebotene Entlastungsbeweise, die ohne Verzug und ohne Schwierigkeiten nachgeprüft
623
624 625 626 627
628
629 630
Schwaighofer, Auslieferung 96 f, ders ÖJZ 1994, 305, Vogler, in IRG-K § 3 Rz 9, aM Epp, ÖJZ 1981, 198, Lagodny, in IRG § 3 Rz 15. Siehe dazu auch unten Abschnitt 1.IV.C.4.2. § 21 StGB; vgl die Maßregeln der Besserung und Sicherung im deutschen Recht. Schwaighofer, Auslieferung 97 f, Vogler, in IRG-K § 3 Rz 8. § 11 ARHG, Art 2 EuAlÜbk: Maßnahme der Sicherung und Besserung, Art 2 AuslÜbk-EU: Maßregel der Besserung und Sicherung, uvm. Siehe unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Nach anglo-amerikanischem Recht wird die Erbringung eines prima facie cases gefordert. Dh der ersuchende Staat muss – für den ersuchten Staat nachvollziehbar – durch Beweise dartun, dass die Tatbegehung durch den Betroffenen wahrscheinlich ist. Siehe dazu Art 10 Abs 3 lit c des Auslieferungsvertrages mit den USA. Schwaighofer, Auslieferung 106. Vogler, in IRG-K § 3 Rz 13.
128
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
werden können, müssen aber aufgenommen werden.631 Können sie einen die Strafbarkeit ausschließenden Tatbestand zweifelsfrei nachweisen, ist die Auslieferung abzulehnen. Im anglo-amerikanischen Recht findet grundsätzlich eine Schuldverdachtsprüfung statt: Es wird ein prima facie case verlangt, dh der ersuchende Staat muss – für den ersuchten Staat nachvollziehbar – durch Beweise dartun, dass die Tatbegehung durch den Betroffenen wahrscheinlich ist.632 Hinsichtlich der beiderseitigen Strafbarkeit wird die Frage der konkreten oder abstrakten Prüfung unterschiedlich beantwortet. US-amerikanische Gerichte tendieren dazu, eine rein abstrakte Kontrolle vorzunehmen, insofern, als das Vorliegen eines entsprechenden Tatbestandes kontrolliert wird. Die weiteren Prüfschritte, ob der Täter konkret zu bestrafen wäre, oder ob Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe zur Anwendung gelangen, werden nicht gesetzt.633 In einer häufig zitierten kanadischen E aus 1860, die damals noch von einem englischen Berufungsgericht entschieden wurde, erfolgte hingegen eine konkrete Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Das Gericht verweigerte die Auslieferung, da die Tat im ersuchten Staat unter einen Rechtfertigungs- bzw Entschuldigungsgrund fiel.634 3.2. Sinngemäße Umstellung des Sachverhaltes In den meisten Fällen werden Auslieferungsersuchen wegen (für den ersuchten Staat) im Ausland begangener Taten eines Ausländers gestellt. Subsumiert man die Sachverhalte direkt unter das inländische Recht, so ergibt sich in vielen Fällen keine Strafbarkeit. Zumeist mangelt es an einem inländischen Anknüpfungspunkt iSd §§ 62 ff StGB und damit am inländischen Strafanspruch: Stellen die USA ein Auslieferungsersuchen an Österreich, weil einer ihrer Staatsbürger in den USA durch Betrügereien US-amerikanische Opfer 631
632
633
634
Vgl Schwaighofer, Auslieferung 106; aM Vogler, in IRG-K § 3 Rz 13. Zur Überprüfung des Tatverdachtes siehe unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Siehe dazu das Erfordernis des hinreichend geklärten Sachverhalts bei der Diversion nach § 90a ff, bzw 7 JGG, das im JA 1988 mit einem prima-facie-Beweis verglichen wird. Blakesley, Utah Law Review 1988 (4) 744 mit Nachweisen aus der Rsp, ders, in Trechsel FS 192; vgl aber das ausdrückliche Auslieferungshindernis der Verjährung nach Art 7 des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA. Vgl Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 199 ff, der unter die Prüfung in abstracto bzw concreto, die Frage subsumiert, ob die gesetzlichen Tatbestände in beiden Staaten übereinstimmen müssen, oder bereits eine grundsätzliche Strafbarkeit nach ähnlichen Gesichtspunkten genügt. Dazu oben Abschnitt 1.III.A.3. Es handelte sich um einen Mord, der ausgeführt wurde, um der Sklaverei zu entgehen, Blakesley, Utah Law Review 1988 (4) 744 unter Berufung auf Ex parte Anderson, ders, in Trechsel FS 192. Der Autor subsumiert die Berücksichtigung der Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründe im Auslieferungsverfahren unter eine „human rights exeption“ bzw “exemption“.
Materielle Voraussetzungen
129
schädigte,635 so wäre dieses Verhalten, direkt unter das StGB subsumiert, nicht strafbar, da mangels Anknüpfungspunkt keine Gerichtsbarkeit bestünde. Bei der Beurteilung eines Auslieferungsersuchens ist der Sachverhalt daher sinngemäß auf das inländische Recht umzustellen. Dieses Erfordernis ist im deutschen IRG636 anders als im ARHG bzw den meisten Übk ausdrücklich geregelt, gilt jedoch unbestritten.637 Dabei sind neben den strafrechtlichen Elementen die Sachverhaltselemente mit staats- oder völkerrechtlichem Bezug umzustellen, aus denen der ersuchende Staat seinen Strafanspruch ableitet.638 Der ausländische Tatort, sowie Staatsangehörigkeit oder Eigenschaften des Täters oder des Opfer sind als österreichischer Tatort usw zu beurteilen. Der geschilderte Betrug in den USA ist als von einem Österreicher an Österreichern in Österreich begangen anzusehen. Ebenso kommt es vor, dass das österreichische Strafrecht wegen der manchen Tatbeständen immanenten Schranken unanwendbar ist.639 Während das österreichische Strafrecht sowohl inländische als auch ausländische Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben, oder Vermögen usw schützt, beschränkt sich bei den sog allgemeinen Rechtsgütern, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben, die Schutzfunktion des Strafrechts grundsätzlich auf innerstaatliche Interessen. Dies ist als Grundsatz unbestritten. Differenzen ergeben sich hinsichtlich einzelner Deliktsgruppen: Außer Frage gestellt ist, dass sich strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt gegen österreichische Behörden oder Beamte richten müssen, außer die ausländischen wurden den inländischen durch Staatsvertrag ausdrücklich gleichgestellt.640 So ist der Widerstand gegen einen italienischen Beamten grundsätzlich, außer im Rahmen der Nacheile nach dem SDÜ, nach österreichischem StGB nicht strafbar. Ebenso können bestimmte Delikte gegen die Amtsgewalt nur von bzw an ös-
635
636 637
638 639 640
Vgl den Sachverhalt im Fall Sholam W, OGH EvBl 2002/154 = JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller und AnwBl 2004/7913 mit Anm Hollaender = JBl 2004, 191 mit Anm Bertel, dazu unten Abschnitt 1.IV.C.2.2.3., Abschnitt 1.IV.C.3.1. und Abschnitt 1.IV.C.3.2. § 3 Abs 1 IRG. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 20, Danek, in WK2 § 269 Rz 39, Epp, ÖJZ 1981, 197, Lagodny, in IRG § 3 Rz 7, Schwaighofer, Auslieferung 94 ff, ders, ÖJZ 1994, 305, Linke, Grundriss 40 f, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 415 f; siehe auch Section 2 (2) Extradition Act 1989 (Großbritannien): equivalent conduct in corresponding circumstances; Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 737, spricht von Gerichtsbarkeit under similar, but obverse, circumstances. Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305, ders, Auslieferung 95. Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305, Danek, in WK2 § 269 Rz 37. Wie durch Art 42 SDÜ oder durch bilaterale Verträge, wie zB mit Ungarn (BGBl 796/1992), siehe Bertel/Schwaighofer, BT II7 § 269 Rz 1, Danek, in WK2 § 269 Rz 38, Schwaighofer, Auslieferung 95.
130
Beiderseitige Strafbarkeit – double criminality
terreichischen Beamten begangen werden.641 Auch strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden schützen ein ausschließlich inländisches Rechtsgut.642 Hinsichtlich der Rechtspflegedelikte herrscht Uneinigkeit. Die hL geht davon aus, dass unter den dort genannten Gerichten und Behörden tatbestandsimmanent nur österreichische Gerichte und Behörden zu verstehen sind,643 die falsche Zeugenaussage eines Österreichers vor einem deutschen Gericht daher von § 288 StGB nicht umfasst sei. Epp ist hinsichtlich der gerichtlichen Rechtspflege anderer Meinung. Unter den Gerichten iSd StGB könnten auch ausländische verstanden werden, sofern diese die nach österreichischem Verfassungsrecht verlangten Garantien erfüllen.644 Eine genauere Auseinandersetzung kann an dieser Stelle aber unterbleiben, da die beiderseitige Strafbarkeit jedenfalls durch die Umstellung des Sachverhaltes gegeben ist: insofern ist der italienische Beamte in einen österreichischen Beamten, das deutsche Gericht in ein österreichisches Gericht „umzuwandeln“. Relevant ist die Diskussion über den Schutzbereich hinsichtlich der Frage, ob eine idente Norm645 besteht, dh ob ein Staat die Verletzung eines allgemeinen ausländischen Rechtsgutes innerstaatlich ahnden kann, also einen inländischen Strafanspruch besitzt. Diesfalls erfolgt keine Umstellung des Sachverhalts. Elemente, die bereits einen innerstaatlichen Bezug aufweisen, sind naturgemäß nicht umzustellen.646
641
642
643
644 645
646
So zB § 302 StGB. Täter des § 304 StGB können dagegen auch Beamte der EU, Tatobjekte des § 307 StGB neben den österreichischen und den EU-Beamten auch andere ausländische Beamte sein. Zur Unterscheidung zwischen Beamten eines anderen Mitgliedstaates der EU, Gemeinschaftsbeamten und ausländischen Beamten siehe § 74 Abs Z 4a, 4b und 4c StGB. Steininger, in WK2 Vorbem zu §§ 274 Rz 8 ff: nur §§ 277, 286, 287 besitzen einen übernationalen Schutzzweck. Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305 FN 8 mit vielen Nachweisen, bloß feststellend Linke, Grundriss 40 f. Epp, ÖJZ 1981, 199. Zur Unterscheidung zwischen identer Norm und beiderseitiger Strafbarkeit siehe Epp, ÖJZ 1981, 198, Schwaighofer, Auslieferung 94. Burgstaller, Auslieferungsüberkeinkommen 20, Lagodny, in IRG § 3 Rz 7, Schwaighofer, Auslieferung 94 ff, Linke, Grundriss 40 f.
Materielle Voraussetzungen
131
B. Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Besonderheiten bei extraterritorialem (internationalem) Strafanspruch des ersuchenden Staates – special use of double criminality 1. Allgemeines Zur Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ist der Sachverhalt immer so umzustellen, dass die Tat vom ersuchten Staat im gleichen Blickwinkel betrachtet wird, wie vom ersuchenden Staat.647 So ist der oben besprochene in den USA begangene Betrug eines US-Amerikaners an seinen Landsleuten als von einem österreichischen Staatsbürger an Österreichern mit Tatort Österreich begangen anzusehen. Da diese drei Elemente für den ersuchenden Staat USA im Inland gelegen sind, hat das für den ersuchten Staat auch zu gelten. Aufgrund der weltweiten Geltung des Territorialitätsprinzips stellt sich bei diesen reinen Inlandstaten nicht das Problem, ob der ersuchte Staat den vom ersuchenden Staat geltend gemachten Strafanspruch anerkennen muss. Basiert das Auslieferungsersuchen aber auf einer Tat, die in einem – vom ersuchenden Staat verschiedenen – Drittstaat, also extraterritorial, begangen worden ist, so stellt sich die Frage, ob für die Zulässigkeit der Auslieferung nach dem Recht des ersuchten Staates auch ein (extraterritorialer) Strafanspruch bestehen muss, dh es stellt sich die Frage nach der beiderseitigen Gerichtsbarkeit. Zu denken ist dabei an folgenden Fall: Ein Ägypter ermordet auf einer kanadischen Yacht auf hoher See zwei Franzosen.648 Der Ägypter flieht nach Österreich, worauf Frankreich ein Auslieferungsersuchen an Österreich stellt. Der Strafanspruch Frankreichs stützt sich auf Art 689-1 code de procedure penale, der ein passives Personalitätsprinzip für Verbrechen statuiert. Unbestritten ist der Sachverhalt hinsichtlich der Tatopfer umzustellen, sie sind als Österreicher anzusehen. Da Tatsubjekt und Tatort für Frankreich ausländisch sind, hat dieses Element wohl auch für Österreich zu gelten. Die umgestellte Tat ist daher die Ermordung zweier Österreicher durch einen Ägypter auf einer kanadischen Yacht auf hoher See. Dh der Tatbestand des Mordes ist erfüllt; hätte Österreich aber hinsichtlich dieser (umgestellten) Sachverhaltskonstellation einen Strafanspruch? Ein dem französischem Recht entsprechendes passives Personalitätsprinzip kennt das österreichische Strafrecht nicht. Gem § 65 Abs 1 Z 2 StGB, der die stellvertretende Strafrechtspflege regelt,649 bestünde nur dann Gerichtsbarkeit, wenn der Täter 647 648 649
Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305. Siehe OLG Graz Ns 167/92, Schwaighofer, ÖJZ 1994, 304 ff. Kathrein, in WK2 § 65 Rz 1, Linke, Grundriss 29, Ebensperger, ÖJZ 1999, 175, aM Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 65 Rz 2, der beide Ziffern des Abs 1 zur stellvertretenden Strafrechtspflege zählt. Zur stellvertre-
132
Beiderseitige Gerichtsbarkeit
nicht an das Ausland ausgeliefert werden kann. Dh es besteht ein nur bedingter Strafanspruch Österreichs.650 Das Vorliegen dieser Bedingung, und zwar die Unmöglichkeit der Auslieferung, ist durch ein Auslieferungsanbot an den Tatortstaat abzuklären. Österreich stünde die Verfolgung des Ägypters bei umgestelltem Sachverhalt daher erst dann zu, wenn von der kanadischen Regierung eine rechtswirksame Erklärung vorliegt, dass auf die Verfolgung verzichtet wird, oder Kanada trotz Anbot innerhalb der gesetzten Frist kein Auslieferungsersuchen stellt. Auch einem Auslieferungsersuchen Ägyptens als Heimatstaat des Täters müsste entsprochen werden, da das aktive Personalitätsprinzip in § 65 Abs 1 Z 1 StGB generell statuiert ist. Doch wäre ein zusätzliches Auslieferungsangebot an Ägypten zur Begründung der stellvertretenden Strafrechtspflege in diesem Fall nicht notwendig. Gem § 28 ARHG und hL genügt das Anbot an den Tatortstaat, um den bedingten Strafanspruch in einen unbedingten zu verwandeln.651 Das bedeutet, dass Österreich über den geschilderten Sachverhalt keine Strafgewalt besäße. Es bleibt zu überlegen, ob das Fehlen der extraterritorialen Gerichtsbarkeit ein Auslieferungshindernis darstellt. Die beiderseitige Strafbarkeit ist sowohl im AHRG als auch das EuAlÜbk ausdrücklich als Auslieferungsvoraussetzung normiert, indem die Anforderungen an das Auslieferungsdelikt genannt werden. Die Umstellung des Sachverhaltes ist nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber unstrittig. Die beiderseitige Gerichtsbarkeit ist im ARHG nicht ausdrücklich genannt. Das EuAlÜbk (in Art 7 Abs 2) hingegen wie auch nunmehr der RB-HB (in Art 4 Z 7 lit b) normieren die beiderseitige (extraterritoriale) Gerichtsbarkeit ausdrücklich als fakultatives Auslieferungshindernis. Das EU-JZG, das den RB-HB in Österreich umsetzt, enthält sogar ein entsprechendes zwingendes Auslieferungshindernis. Im angloamerikanischen Rechtskreis stellt die beiderseitige Gerichtsbarkeit ebenso ein Erfordernis dar, wie in Kontinentaleuropa, zB in Frankreich.652 Für das deutsche Recht hingegen wird die Notwendigkeit des inländischen extraterritorialen Strafanspruches verneint.653 Lagodny begründet dies damit, dass sich im deutschen IRG keine dem Art 7 Abs 2 EuAlÜbk entsprechende Bestimmung findet.654 Nach Jescheck und Vogler stellt es gar eine „doktrinäre Übertreibung“ dar, wollte man über die Normidentität die Prin-
650 651
652 653
654
tenden Strafrechtspflege allgemein siehe oben Abschnitt 1.II.A.2.6., zu ihrer Verankerung im österreichischen Recht Abschnitt 1.II.A.3.5. Zu diesem Begriff Schwaighofer, Auslieferung 75. Schwaighofer, Auslieferung 75 und 135 f, Linke/Epp/Dokoupil/Felsenstein, Internationales Strafrecht § 13, 49. Abu Daoud E, siehe die Nachweise bei Blakesley, in Trechsel FS 202. Lagodny, in IRG § 3 Rz 8, Paulus, NJW 1999, 2645; OLG Karlsruhe, Justiz 1989, 200. Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 90.
Materielle Voraussetzungen
133
zipien des eigenen, internationalen Strafrechts in Anwendung bringen.655 Dadurch setze man Ausliefern mit Strafen gleich. Ob der ersuchte Staat die Auslandstat verfolgen könnte, sei unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten belanglos, und gerade diese Gesichtspunkte sollten im Auslieferungsrecht im Vordergrund stehen.656 In Deutschland dürfte die Notwendigkeit einer internationalen Strafanwendungsnorm keine großen Probleme bereiten, da sowohl das passive657 als auch das aktive Personalitätsprinzip658 generell gelten. Es werden sich daher nur wenige Fälle ergeben, in denen es an der Gerichtsbarkeit über eine Auslandstat mangelt. Ein Teil der österreichischen Lehre weist diese Kritik (der doktrinären Übertreibung) zurück. Sie vertritt die Meinung, dass es an der beiderseitigen Strafbarkeit fehlt, wenn der ersuchte Staat über den umgestellten extraterritorialen Sachverhalt keinen innerstaatlichen Strafanspruch besitzt.659 Die beiderseitige Gerichtsbarkeit wird daher als Bestandteil der beiderseitigen Strafbarkeit angesehen. Ihre Geltung nach dem ARHG ergebe sich daher (trotz fehlender ausdrücklicher Verankerung) aus § 11, der die beiderseitige Strafbarkeit als zwingende Auslieferungsvoraussetzung vorsieht. Auch mE stellt die beiderseitige Gerichtsbarkeit eine sinnvolle und notwendige Auslieferungsvoraussetzung dar. Sie ist aber nicht als Bestandteil der beiderseitigen Strafbarkeit, sondern vielmehr als der beiderseitigen Strafbarkeit gleichwertig anzusehen. Denn das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Tatbestandes iSd besonderen Teiles des StGB ist vom Vorliegen des Geltungsbereiches iSd allgemeinen Teiles des StGB zu unterscheiden.660 Beide stellen eigenständige Voraussetzungen im nationalen Strafrecht dar. Anhand der beiderseitigen Strafbarkeit ist zu prüfen, ob der Sachverhalt einen inländischen gesetzlichen Tatbestand erfüllt, anhand der beiderseitigen (extraterritorialen) Gerichtsbarkeit ist zudem festzustellen, ob auch der inländische Geltungsbereich des Tatbestandes gegeben ist. Das bedeutet, dass beide Voraussetzungen in einem engen Zusammenhang stehen, die Gerichtsbarkeit jedoch keinen Bestandteil der Strafbarkeit darstellt.
655
656 657 658 659
660
Jescheck zitiert in Vogler, ZStW 81 (1969), 172, Vogler, in IRG-K § 3 Rz 17, ablehnend auch Williams, 15 Nova L. Rev. 617, solange beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist. Vogler, in IRG-K § 3 Rz 17, ders, ZStW 81 (1969), 172. § 7 Abs 1 dStGB. § 7 Abs 2 Z i dStGB. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 33 insb FN 120, Schwaighofer, ÖJZ 1994, 307, siehe auch Rosbaud, in IRG, ARHG § 11 Rz 2; aM Linke/Epp/Dokoupil/Felsenstein, Internationales Strafrecht 264. Der Gesetzgeber trifft eine Strafbarkeitsentscheidung, indem er bestimmtes Verhalten strafbar macht oder sich für die Straflosigkeit ausspricht, diese Entscheidung wiederum beansprucht einen Geltungsbereich.
134
Beiderseitige Gerichtsbarkeit
Die Geltung der beiderseitigen Gerichtsbarkeit ist nach dem EuAlÜbk, dem RB-HB und dem EU-JZG, sowie in zahlreichen Auslieferungsverträgen ausdrücklich verankert und daher eindeutig. Fraglich bleibt ihre Geltung im ARHG. Da sie im ARHG nicht ausdrücklich vorgesehen ist, wird sie dort wohl nicht als Auslieferungsvoraussetzung gelten. In zahlreichen anglo-amerikanischen Ländern bildet die Anerkennung des im Auslieferungsersuchen geltend gemachten (extraterritorialen) Strafanspruchs im eigenen (inländischen) Recht eine Voraussetzung für die Bewilligung der Auslieferung. Dies wird als special use of double criminality bezeichnet.661 Da die Strafanwendungsnormen der anglo-amerikanischen Länder grundsätzlich auf dem Territorialitätsprinzip basieren und die anderen Prinzipien nur als Ausnahmen – wenn auch in zunehmenden Maße – anerkannt sind, spielt die special use of double criminality eine häufige Rolle im Auslieferungsverkehr mit diesen Staaten. Das US-amerikanische Recht verlangt im allgemeinen, dass das Prinzip, auf den sich der Strafanspruch des ersuchenden Staates gründet, auch nach den in den USA geltenden Vorschriften anerkannt wird bzw der Strafanspruch aus einem anderen Prinzip abgeleitet werden kann.662 Traditionell wurde in den US-amerikanischen Auslieferungsverträgen die sehr allgemeine Textierung verwendet, dass die Handlung „within the jurisdiction“ also innerhalb der Gerichtsbarkeit einer der beiden Vertragsstaaten begangen worden sein muss. Die Formulierung „within the jurisdiction“ wurde von der Rsp dahingehend interpretiert, dass darunter nur die Gerichtsbarkeit nach dem Territorialitätsprinzip zu verstehen sei.663 Dh die der Auslieferung zugrunde liegende Tat musste innerhalb des Territoriums des ersuchenden Staates stattgefunden haben. So wies die USA ein Auslieferungsersuchen Mexikos ab, welches sich auf das passive Personalitätsprinzip stützte.664 Nunmehr wird davon teilweise abgegangen.665 661
662
663
664
665
Für die USA siehe Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 735, ders, in Trechsel FS 202 ff, Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 62 ff, Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 214 ff, 219 ff; für Großbritannien siehe Williams, 15 Nova L. Rev. 598, die von der duality of jurisdictional basis spricht; siehe ebenso House of Lords, R. v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte, (No 3), 1999, veröffentlicht in Woodhouse, Pinochet 201 ff, ebenso in 2 All. E.R. 97, dazu unten in diesem Kapitel, für Kanada siehe ebenso Williams, 15 Nova L. Rev. 615 f. Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 735 ff, Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 49 f, 62 ff, Hafen, 1992 B.Y.U. L. Rev. 214 ff, 219 ff. Ausführlich Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 735 ff, Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 51 mwN, 63. Cutting Case, 1887 For. Rel. 751 (1888), geschildert in Watson, Texas International Law Journal Vol 28 (1993), 5 f, siehe dazu FN 170, vgl auch In re Stupp, 23 Fed.Cas 281, 11. Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 64.
Materielle Voraussetzungen
135
Die Formulierungen in den US-amerikanischen Auslieferungsverträgen variieren. Ob die special use of double criminality eine Auslieferungsvoraussetzung darstellt, richtet sich nach der Interpretation des Vertragstextes. Die Formulierung „the request need not be honored unless the laws of the requesting State and those of the requested State authorize prosecution of such offence“ im Auslieferungsvertrag mit Schweden wurde von einem Berufungsgericht (nicht vom Supreme Court) dahingehend interpretiert, dass es ein Ermessen zulasse. Es wurde in diesem Fall dem Auslieferungsersuchen stattgegeben, obwohl die USA den umgestellten Sachverhalt mangels Gerichtsbarkeit nicht verfolgen hätten können.666 Sieht der Vertrag ein Ermessen vor, so ist die Anerkennung des geltend gemachten Strafanspruches nicht zwingend. Fehlt dieses Ermessen im Vertrag, so muss die special use of double criminality berücksichtigt werden.667 Der Auslieferungsvertrag mit Österreich besagt „extradition may be granted for an extraditable offence regardless of where the act or acts constituting the offence were committed“.668 Auch diesfalls liegt es wohl im Ermessen des amerikanischen Gerichtes, die Anerkennung des vom ersuchenden Staat geltend gemachten Strafanspruchs nach inländischem Recht zu verlangen. Eine dogmatische Begründung für Beibehaltung oder Ablehnung der beiderseitigen Gerichtsbarkeit konnte in der Literatur nicht gefunden werden. Wie angemerkt, ist alleine der Vertragstext ausschlaggebend und dieser basiert letztendlich auf rein staatspolitischen Gesichtspunkten. Wie die jüngst ergangene und höchst umstrittene Pinochet Entscheidung669 verdeutlicht, verlangt auch das Auslieferungsrecht Großbritanniens, dass der ersuchte Staat den dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden umgestellten Sachverhalt selbst als Auslandstat verfolgen könnte. Der erste von einem spanischen U-Richter ausgestellte internationale Haftbefehl warf dem ehemaligen chilenischen Diktator die Ermordung von Spaniern in Chile vor. Ein daraufhin in England erlassener Haftbefehl wurde aufgehoben, da die englischen Gerichte den umgestellten Sachverhalt mangels Anerkennung des passiven Personalitätsprinzips nicht verfolgen hätten können.670
666 667 668 669
670
Matter of Assarsson, 635 f.2d 1237 (7th Circuit 1979). Blakesley, Utah Law Review 1984 (4) 750. Article 2 Z 6, BGBl 216/1999. House of Lords, R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte, (1999) in Woodhouse, Pinochet 201 ff, ebenso 2 All. E.R. 97. Diese E kann als Nr. 3 bezeichnet werden. In seiner ersten E hob das House of Lords (3:2) die Ablehnung des Auslieferungsersuchens auf. Mit der zweiten E wurde die erste wegen des Verdachts der Befangenheit eines der Lords aufgehoben. Darauf folgte die 3 E. Alle drei sind in Woodhouse, Pinochet 135 ff veröffentlicht. Seyedin-Noor, 6 U.C. Davis J. Int’l L. & Pol’y 49, Woodhouse, in Woodhouse, Pinochet 2 f, White, 50 Case W. Res. 144 ff.
136
Beiderseitige Gerichtsbarkeit
Der zweite Haftbefehl und das Auslieferungsersuchen basierten auf dem Vorwurf der Folter, des Völkermordes und des Terrorismus, im Zeitraum von 1973 bis 1990. Spanien stützte seinen Strafanspruch hier hauptsächlich auf das Weltrechtsprinzip. Hinsichtlich dieses Ersuchens genehmigte das House of Lords die Auslieferung letztendlich nur wegen nach 1988 begangener Folterhandlungen; das sind nur mehr 3 der ursprünglich 31 Vorwürfe. Als Begründung dafür wurden bis dahin fehlende innerstaatliche Strafanwendungsnormen angeführt: Da England erst 1988 der UN-Folterkonvention beitrat, hatte England nach Meinung der Law Lords erst ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, eine im Ausland begangene Folter innerstaatlich zu verfolgen.671 Und jede Auslieferung sei nur dann zulässig, wenn der umgestellte Sachverhalt der (Auslands)Straftat zum Zeitpunkt seiner Begehung – also nicht erst zum Zeitpunkt des Auslieferungsersuchens – auch innerstaatlich hätte verfolgt werden können. 2. Für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit und der beiderseitigen Gerichtsbarkeit maßgeblicher Zeitpunkt Nach der Pinochet E verlangt das Auslieferungsrecht Großbritanniens, dass die innerstaatliche Strafanwendungsnorm zum Zeitpunkt der Begehung des Auslieferungsdeliktes und nicht erst zum Zeitpunkt des Ersuchens vorliegen muss.672 Lord Browne-Wilkinson begründet dies mit einer historischen Interpretation der anzuwendenden Gesetze. Die Formulierung des geltenden Extradition Acts von 1989 ist unklar. Section 2 (2) besagt nur, „in corresponding circumstances equivalent conduct would constitute and extra-territorial offence against the law of the United Kingdom“. Der vorherige Extradition Act von 1870 enthielt aber noch eine ausdrückliche Bestimmung, wonach das Verbrechen zum Zeitpunkt der Tatbegehung strafbar sein muss. Da der geltende Extradition Act von 1989 diesen Satz nicht mehr enthalte, und diese Änderung in den Materialien mit keinem Wort bedacht worden seien, sei der genannte Satz in den neuen Text hinein zu interpretieren.673 Auch Lord Millet, der als einziger eine Auslieferung wegen aller – auch der bereits vor 1988 begangenen – Foltervorwürfe befürwortete, stützte seine Auffassung nicht auf die Verfolgbarkeit der im Ausland begangen Folter zum Zeitpunkt des Auslieferungsersuchens. Seiner Meinung nach steht je671
672
673
R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), (1999) 2 All. E.R. 97, 107, 135 ff, aM Lord Millet, dazu in der folgenden FN, ebenso noch die erste E des House of Lords: Lord Nicholls in Woodhouse, Pinochet 174. R v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), in Woodhouse, Pinochet 208. R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), in Woodhouse, Pinochet 207 f, Murphy, 32 VUWLR (2001) 479 f.
Materielle Voraussetzungen
137
dem Staat die aus dem völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht abgeleitete Gerichtsbarkeit über solche Verbrechen zu, die ius cogens verletzen, und von einer solchen Schwere sind, dass sie gegen die international legal order verstoßen. Folter sei schon 1973 so beschaffen gewesen. Daher habe es schon vor der ausdrücklichen Regelung in der Folterkonvention den Status eines solchen Verbrechens eingenommen, das nach internationalem Recht einen Strafanspruch aller Nationen nach dem Weltrechtsprinzip begründe. Da das Völkergewohnheitsrecht ein Teil des Common Law und dieses wiederum ein Teil des nationalen Rechts sei, habe Großbritannien eine im Ausland begangene Folter auch schon vor dem Beitritt zur Folterkonvention verfolgen können.674 Die Pinochet E wirft auch für das österreichische Recht die Frage auf, zu welchem Zeitpunkt die beiderseitige Strafbarkeit, also eine gesetzliche Strafnorm, im ersuchten Staat vorhanden sein muss, und andererseits, zu welchem Zeitpunkt die beiderseitige Gerichtsbarkeit, also eine innerstaatliche Strafanwendungsnorm, des ersuchten Staates über den umgestellten Sachverhalt vorliegen muss (soweit diese eine Auslieferungsvoraussetzung darstellt)675. In der österreichischen Literatur ist die Auseinandersetzung auf diesem Gebiet dürftig. Zum ersten Punkt: ME setzt die beiderseitige Strafbarkeit voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung und nicht erst bei Stellung des Auslieferungsersuchens in beiden Staaten unter eine gesetzliche Strafnorm fällt. Aus dem im nullapoena-sine-lege Grundsatz enthaltenen Rückwirkungsverbot im Strafrecht ergibt sich, dass ein Täter nur wegen solcher Taten bestraft werden darf, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar waren.676 Nun gilt das Rückwirkungsverbot als solches gerade nicht für die Auslieferung, da es sich dabei nicht um materielles Strafrecht handelt.677 Aus diesem Grund geht die deutsche Lehre und Rsp offensichtlich davon aus, dass erst der Zeitpunkt des Übergabeaktes für die Beurteilung der beidseitigen Strafbarkeit ausschlagge-
674
675
676
677
R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), in Woodhouse, Pinochet 276 f, zustimmend Ambos, JZ 1999, 565; aM Paulus, NJW 2045, da das Völkergewohnheitsrecht die extraterritoriale Gerichtsbarkeit nur erlaube, nicht aber anordne. Wie zB in den Fällen des Art 7 Abs 2 EuALÜbk, sowie nach § 5 Abs 3 EU-JZG und nach dem Recht bestimmter Auslieferungsverträge. § 1 StGB, Art 7 Abs 1 EMRK, vgl Art 18 B-VG; Fuchs AT6 4. Kap Rz 37 ff. Eine Ausnahme gilt hinsichtlich der Taten, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar waren, Art 7 Abs 3 EMRK. AM offensichtlich Linke, Grundriss 40 mit Nachweis auf OLG Wien, 14 Ns 200/73, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 416.
138
Beiderseitige Gerichtsbarkeit
bend sei.678 Doch liegt die Begründung der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsverfahren darin, dass der ersuchte Staat als Hilfestellung für den ersuchenden Staat seine eigenen Zwangsmittel gegen den Betroffenen einsetzt, und er dies aus rechtsstaatlichen Überlegungen eben nur dann tun darf, wenn er das umgestellte Verhalten auch in seinem Staat verfolgen, insb deswegen seine Zwangsmaßnahmen einsetzen könnte. Wurde eine Tat vor der Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes begangen, so könnte der ersuchte Staat den umgestellten Sachverhalt selbst nicht verfolgen.679 Daher ist der Zeitpunkt der Tatbegehung für die Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit ausschlaggebend.680 Hinsichtlich des zweiten Punktes, der Frage, ab welchem Zeitpunkt eine innerstaatliche Strafanwendungsnorm hinsichtlich des umgestellten Sachverhaltes vorliegen muss, ist folgende Konstellation zu beurteilen: Es besteht eine beiderseitige gesetzliche Strafnorm, unter die die Handlung, wegen der ausgeliefert werden soll, subsumiert werden kann, es mangelte aber zum Zeitpunkt ihrer Begehung an der inländischen Gerichtsbarkeit über die Auslandstat (zum Zeitpunkt des Ersuchens liegt die inländische Gerichtsbarkeit vor). Wiederum ist zuerst zu prüfen, ob sich das Rückwirkungsverbot grundsätzlich auch auf die Bestimmungen der §§ 61 ff StGB beziehen. Als Beispiel kann der durch das StRÄG 1996 geschaffene § 64 Abs 1 Z 4a StGB genannt werden, der ua im Ausland begangene Taten nach § 207a StGB (pornographische Darstellungen Minderjähriger) unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort der österreichischen Gerichtsbarkeit unterstellt.681 § 207a StGB selbst wurde bereits 1994 ins StGB eingefügt.682 Es ist daher die Frage zu stellen, ob eine bereits vor Inkrafttreten des § 64 Abs 1 Z 4a StGB im Ausland begangene nach § 207a StGB tatbestandsmäßige Handlung nach dessen Inkrafttreten von einem österreichischen Gericht verfolgt werden könnte.
678
679 680
681 682
Bubnoff, Haftbefehl 28, Lagodny, in IRG § 3 Rz 21, Paulus, NJW 1999, 2645; OLG Karlsruhe, NJW 1985, 2096. So auch Vogler, in IRG-K § 3 Rz 21. Sein Kommentar hinsichtlich des Rückwirkungsverbotes bei § 73 Rz 27 scheint sich nur auf Auslieferungen zu beziehen, bei denen sich der Vorwurf auf ein Gesetz stützt, das zur Tatzeit im ersuchenden Staat noch nicht galt. Im umgekehrten Fall fehlte es an der beiderseitigen Strafbarkeit. Siehe die ausdrückliche gesetzliche Regelung in Neuseeland, Part 1, Section 4 (3) Extradition (Amendment) Act 2002. Im Ergebnis ebenso Linke, Grundriss 40 mit Nachweis auf OLG Wien, 14 Ns 200/73, der dies aber aus der Geltung des Rückwirkungsverbotes ableitet, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 416. BGBl I 762/1996. BGBl 622/1994, inzwischen idF BGBl 762/1966, I 134/2002.
Materielle Voraussetzungen
139
Das Rückwirkungsverbot ist in § 1 StGB einfachgesetzlich und in Art 7 EMRK verfassungsrechtlich abgesichert.683 Es ist in Verbindung mit § 61 StGB zu lesen. Das Rückwirkungsverbot dient dem Schutz des Bürgers vor willkürlicher staatlicher Gewalt und soll die Vorhersehbarkeit strafrechtlicher Unrechtsfolgen gewährleisten. Der einzelne soll strafbares Verhalten erkennen und sein Verhalten danach bestimmen können.684 Sein Geltungsbereich erstreckt sich auf alle materiell-rechtlichen Bestimmungen, die die Voraussetzungen für den Schuldspruch (also Rechtsbedingungen) und die darauf basierenden gerichtlichen Anordnungen (also Rechtsfolgen) bilden.685 Das sind neben den objektiven und subjektiven Tatbestandmerkmalen auch die auf der Schuldebene liegenden Entschuldigungs-, Strafausschließungsund Strafaufhebungsgründe. Auch die im StGB geregelte Verjährung ist nach der hL ein Strafaufhebungsgrund und daher eine Vorschrift des materiellen Rechts, so dass sie vom Rückwirkungsverbot gedeckt ist.686 Das Rückwirkungsverbot bezieht sich nach österreichischer Auffassung jedenfalls nicht auf verfahrensrechtliche Vorschriften.687 Denn es soll gewährleisten, dass sich der einzelne informieren kann, ob und mit welcher Strafe die Tat bedroht ist, nicht aber, dass der einzelne bereits vor Begehung der Tat das Ob und Wie der Verfolgbarkeit der Tat erkennen kann.688 Das österreichische Schrifttum geht im Allgemeinen davon aus, dass die Strafanwendungsnormen dem materiellen Recht zuzuordnen sind.689 Auf die Geltung des Rückwirkungsverbotes für die Strafanwendungsnormen
683
684
685
686
687
688 689
Anders als das in § 1 StGB verbriefte Rückwirkungsverbot, gilt das des Art 7 EMRK nur für Strafen, nicht auch für vorbeugende Maßnahmen. Steininger, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 1 Rz 3, Nowakowski, in WK, § 1 Rz 13. Eser, in Schönke/Schröder, StGB26 § 2 Rz 3 ff, Steininger, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 1 Rz 20 ff, 55, L/St, StGB3 § 1 Rz 24. MwN Steininger, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 1 Rz 22, Tischler, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 57 Rz 2 und 4, L/St, StGB3 § 57 Rz 1, Fabrizy, StGB9 § 57 Rz 2. Dennoch ist die mit BGBl 153/1998 geregelte Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 58 Abs 2 Z 3 StGB für bestimmte Sexualdelikte gem Art 5 Abs 3 StRÄG 1998 auch auf solche Taten anzuwenden, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden und noch nicht verjährt sind. Im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot ist die Verfassungskonformität dieser Bestimmung fraglich. Die gegenteilige Meinung nimmt ein Verfolgungshindernis an. Steininger, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 1 Rz 27 ff mwN; zur – va wegen der prozessualen Einordnung der Verjährung – strittigen Rechtslage in Deutschland, siehe Eser, in Schönke/Schröder, StGB26 § 2 Rz 6 f. Steininger, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 1 Rz 28. Höpfel, in WK2 § 61 Rz 1, Liebscher, in WK § 61 Rz 3, Miklau, ZnStr 1973 (I), 111, vgl auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 716, Triffterer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K § 61 Rz 8.
140
Beiderseitige Gerichtsbarkeit
wird nicht ausdrücklich eingegangen. Den EBRV 1971690 ist lediglich zu entnehmen, dass die Bestimmungen der §§ 62 ff StGB die Anwendbarkeit der Strafdrohungen des besonderen Teils auf im Ausland oder von Ausländern begangene strafbare Handlungen regeln: „Fehlte eine solche Regelung, so wären die Strafdrohungen anwendbar, wo immer ... und von wem immer die Handlung begangen worden ist, zumal völkerrechtliche Schranken in dieser Hinsicht nicht bestehen; nur die Tätigkeit der Staatsorgane wird durch das Hoheitsgebiet begrenzt.“ Diese Aussage bezieht sich wohl nur auf den örtlichen und personellen nicht aber auf den zeitlichen Geltungsbereich der Strafanwendungsnormen. Als weiteres Untersuchungsobjekt kann § 64 Abs 1 Z 6 StGB herangezogen werden. Diese Bestimmung weitet die Strafgewalt Österreichs auf Straftaten aus, zu deren Verfolgung es nach seinen internationalen Übk verpflichtet ist. Grundsätzlich sollte diese Bestimmung auf künftige internationale Übk abzielen.691 Doch kann die Ziffer 6 nach einem Teil der Lehre auch auf Übk angewendet werden, die bereits vor Inkrafttreten des StGB ratifiziert worden waren.692 Das ist aber so zu verstehen, dass auch solche Auslandstaten der österreichischen Strafgewalt unterliegen, die nach Inkrafttreten des § 64 Abs 1 Z 6 StGB begangen wurden, zu deren Verfolgung sich aber Österreich bereits früher durch entsprechende Übk verpflichtet hat, weshalb auch diese Betrachtung wenig Aufschluss über die Geltung des Rückwirkungsverbotes für die Strafanwendungsnormen gibt. Knüpft man an die prozessuale Geltendmachung der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit an, so ergeben sich divergierende Ansichten: Der jüngeren Judikatur des OGH zufolge stellt das Fehlen inländischer Gerichtsbarkeit ein Verfolgungshindernis dar, welches mit § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO geltend zu machen sei.693 Das Schrifttum nimmt dagegen den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO an.694 Zutreffend ist, dass die Strafanwendungsnormen neben ihrem materiellen Gehalt auch eine verfahrensrechtliche Bedeutung haben. Doch überwiegt ihr materieller Charakter:695 Die §§ 62 ff geben darüber Auskunft, auf welche Taten welcher Täter sich das nationale StGB bezieht. Erst durch diese Strafanwendungsnormen erlangt das innerstaatliche Recht überhaupt Geltung. Man kann sie daher als
690 691 692
693 694
695
30 BlgNR XIII. GP 169. L/St, StGB3 § 64 Rz 22. Kathrein, in WK2 § 64 Rz 18, Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K, § 64 Rz 48 unter Berufung auf Triffterer, AT2 34; aM Mayerhofer, StGB5 § 321 Anm 8. OGH EvBl 1995/140, 1982/30. Siehe die Nachweise bei Schwaighofer, in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud, StGB K Vorbem §§ 62–66 Rz 37. Liebscher, in WK § 61 Rz 3.
Materielle Voraussetzungen
141
Bedingungsbereich des Strafrechts bezeichnen.696 Daher sind die §§ 62 ff StGB ausschließlich dem materiellen Recht zuzuordnen und auch vom Rückwirkungsverbot umfasst.697 Auch nach dem deutschen Schrifttum sind die Strafanwendungsnormen der §§ 3 ff dStGB dem materiellen Recht zuzuordnen,698 weshalb sie ein Teil der Lehre als dem Rückwirkungsverbot unterliegend ansieht.699 Zutreffend wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um Strafanwendungsnormen in dem Sinn handle, dass sie dem deutschen Recht überhaupt erst Geltung und Anwendbarkeit verschaffen. Sie seien insofern keine bloßen „Sekundärnormen“, sondern bereits konstitutiver Teil der primären Strafrechtsnormen.700 Erst das Strafanwendungsrecht macht die Tat zu einer strafbaren Handlung.701 Obwohl sie dem materiellen Recht angehören, begründet ihr Mangel nach hL und Rsp ein Prozesshindernis, was zur Einstellung und nicht zum Freispruch führt.702 Bezugnehmend auf das oben erwähnte Beispiel bedeutet das im Ergebnis, dass die Verfolgung einer im Ausland begangenen Tat gem § 207a StGB in Österreich nur zulässig ist, wenn diese nach Inkrafttreten der Strafanwendungsnorm des § 64 Abs 1 Z 4a StGB begangen wurde. Es stellt sich in der Folge die Frage, ob dies auch im Auslieferungsverfahren zu berücksichtigen ist. Wäre die Auslieferung eines Deutschen an Deutschland wegen einem vor Inkrafttreten des § 64 Abs 1 Z 4a StGB in einem Drittstaat begangenen § 207a StGB zulässig?703 Aufgrund des oben aufgezeigten Ergebnisses könnte der ersuchte Staat Österreich den umgestellten Sachverhalt nicht selbst verfolgen, da zum Tatzeitpunkt keine Strafanwendungsnorm vorlag. Doch die Tat war im ersuchten und im ersuchenden Staat zur Tatzeit strafbar und zum Zeitpunkt des Ersuchens lag die bei-
696
697
698
699
700 701 702
703
Höpfel, in WK2 § 61 Rz 1 unter Berufung auf Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 716. Daher ist auch das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit mE mit § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO geltend zu machen. Jescheck, in LK StGB11 Einl Rz 6; BGH 20, 25; 27, 8, Düsseldorf NJW 79, 61, so auch Gribbohm, in LK StGB11 § 2 Rz 5, (der die Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts aber an anderer Stelle, LK StGB11 Vor § 3 Rz 1, eine Verfahrensvoraussetzung nennt). Oehler, in Bockelmann FS 771 f, Tröndle/Fischer, StGB53 § 2 Rz 7; aM Ambos, JZ 1999, 16 f. Eser, in Schönke/Schröder, StGB26 Vorbem §§ 3–7 Rz 1. Oehler, in Grützner FS 116. Tröndle/Fischer, StGB53 Vorbem § 3 Rz 1, Eser, in Schönke/Schröder, StGB26 Vorbem §§ 3–7 Rz 2, beide mwN. Dabei ist vorauszusetzen, dass die Tat am Tatort nicht strafbar war. Andernfalls läge bei Umstellung des Sachverhaltes ein Strafanspruch Österreichs nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB vor.
142
Die beiderseitige Verfolgbarkeit
derseitige Gerichtsbarkeit vor. Dies ist mE ausreichend. Die Handlung war zu diesem Zeitpunkt im Inland strafbar, aber der Gesetzgeber hat sich wohl aus ökonomischen und aus Gründen der Wahrheitsfindung704 dazu entschlossen, sein nationales Recht nicht für solche Sachverhalte in Geltung zu bringen. Der ersuchte Staat könnte den umgestellten Sachverhalt zwar nicht selbst verfolgen, aber eine Hilfestellung an den ersuchenden Staat scheint diesfalls rechtsstaatlich zulässig.
C. Die beiderseitige Verfolgbarkeit 1. Allgemeines Zu problematisieren ist weiters, ob neben der beiderseitigen Strafbarkeit und Gerichtsbarkeit auch die beiderseitige Verfolgbarkeit zu beachten ist, inwieweit also auch prozessuale Verfolgungshindernisse im ersuchten Staat zu berücksichtigen sind.705 Im Schrifttum wird dies großteils abgelehnt.706 Bei der Beantwortung dieser Frage sind zunächst die Fälle heranzuziehen, in denen der ersuchte Staat über die Tat keine eigene inländische Gerichtsbarkeit hat, sondern sich diese erst durch die sinngemäße Umstellung des Sachverhaltes ergibt. Für diese Fälle normiert das ARHG ausdrücklich, dass das Fehlen einer nach inländischem Recht notwendigen Ermächtigung bzw eines Antrages die Auslieferung nicht hindert. Auch alle anderen im ARHG nicht ausdrücklich genannten Verfolgungshindernisse spielen nach hL keine Rolle.707 Für Schwaighofer sind hier Gerechtigkeitsüberlegungen ausschlaggebend: Bewirke die Nichtbeachtung des Hindernisses Unrecht, sei die Auslieferung abzulehnen, ist das Hindernis aber nur Ergebnis sonstiger, außerstrafrechtlicher Überlegungen, so sei die Auslieferung zu gewähren. Als Beispiel für letzteres nennt er Immunität und Exterritorialität: Da sie nicht die Strafwürdigkeit der Tat beträfen, hätten sie bei der Auslieferung unberücksichtigt zu bleiben.708 Zur Immunität als Verfolgungshindernis ausführlich unten.709 In den Fällen, in denen dem ersuchten Staat selbst Strafgewalt zukommt, ist zwischen der primären und der subsidiären Gerichtsbarkeit zu unter-
704
705
706 707 708 709
Bei Auslandstaten ergibt sich für das urteilende Gericht oft ein Beweismittelproblem. Liegt im ersuchenden Staat ein prozessuales Verfolgungshindernis vor, so wird das Auslieferungsersuchen nicht gestellt. Darauf kann im Auslieferungsverkehr vertraut werden. Linke, Grundriss 42, Epp, ÖJZ 1981, 198, ders, ÖJZ 1986, 198. Linke, Grundriss 42, Epp, ÖJZ 1981, 198, ders, ÖJZ 1986, 198. Schwaighofer, Auslieferung 102; aM Linke, Grundriss 29. Abschnitt 1.III.C.2.
Materielle Voraussetzungen
143
scheiden.710 Hat Österreich als ersuchtes Land selbst primäre Gerichtsbarkeit, so muss im Falle einer Auslieferung die beiderseitige Verfolgbarkeit vorliegen. Denn eine Auslieferung ist bei primärer Gerichtsbarkeit grundsätzlich nach § 16 Abs 2 Z 2 ARHG nur aus besonderen Überlegungen (Wahrheitsfindung usw) zulässig, der Betroffene darf aber durch die Verfolgung im Ausland nicht schlechter gestellt werden als im Inland. Liegt hier nach inländischem Recht ein Verfolgungshindernis vor, so darf der Betroffene nicht in ein Land ausgeliefert werden, das dieses Hindernis nicht kennt. Der Betroffene würde schlechter gestellt, als bei einer Verfolgung im Inland, und der ersuchte Staat könnte durch die Auslieferung seine eigenen Prozessvorschriften umgehen.711 Ist Österreich nur subsidiär zuständig, dh handelt es sich um einen Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege, so sind nach Schwaighofer hinsichtlich nicht im ARHG genannter Verfolgungshindernisse die oben besprochenen Gerechtigkeitsüberlegungen anzustellen.712 Für die hL sind Verfolgungshindernisse im ersuchten Staat unbeachtlich. Zudem sind in den Fällen, in denen inländische Strafgewalt besteht, verfahrensbeendende Entscheidungen durch ein österreichisches Gericht zu berücksichtigen (ne bis in idem). Gem § 16 Abs 3 erster Satz ARHG ist die Auslieferung unzulässig, wenn der Betroffene bereits rechtskräftig abgeurteilt713 oder sonst außer Verfolgung gesetzt wurde. Die Urteilsverkündung eines österreichischen Gerichtes bewirkt grundsätzlich das temporäre Verfolgungshindernis der res judicata,714 und mit Eintritt der Rechtskraft entsteht die Sperrwirkung, dh der ne bis in idem Grundsatz kommt zum Tragen. Bei bloß subsidiärer Zuständigkeit des Gerichtes kann ein noch nicht rechtskräftiges Urteil unter Bedachtnahme auf ein Auslieferungsersuchen aufgehoben werden, wodurch das vorläufige Verfolgungshindernis wegfällt und die Auslieferung zulässig wird. Liegt bereits ein rechtskräftiges inländisches Urteil vor, so hindert das Doppelverfolgungsverbot die Auslieferung.715 Nationales und internationales ne bis in idem wurden oben ausführlich besprochen.716 Die ausführliche Besprechung des ne bis in idem Grundsatzes als Auslieferungshindernis erfolgt unten.717
710 711 712 713
714 715 716 717
Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.II.A.1. Schwaighofer, Auslieferung 102. Auslieferung 102. Davon ausgenommen sind ua das Unzuständigkeitsurteil und der Freispruch mangels eines berechtigten Anklägers gem § 259 Z 1 StPO. SSt 51/5 = EvBl 1980/186 = JBl 1980, 438 = ÖJZ-LSK 1980/79. Schwaighofer, Auslieferung 101 f. Abschnitt 1.II.B. Abschnitt 1.IV.B.
144
Die beiderseitige Verfolgbarkeit
Nach deutschem Recht ist die beiderseitige Verfolgbarkeit nur beachtlich, wenn Deutschland ein primärer Strafanspruch über die Tat zukommt.718 Diesfalls ist gem § 9 Z 2 IRG die Auslieferung unzulässig, wenn die Tat verjährt ist oder einem Amnestiegesetz unterliegt. § 9 Z 1 IRG enthält zudem Regelungen hinsichtlich des ne bis in idem Grundsatzes als Auslieferungshindernis, da die Auslieferung bei einer erfolgten Aburteilung719 und anderen Entscheidungen mit entsprechenden Rechtswirkungen unzulässig ist, wobei bestimmte Entscheidungen ausdrücklich aufgezählt sind. Besteht keine primäre Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, so sind Verfolgungshindernisse unbeachtlich. Nach US-amerikanischem Recht sind prozessuale Verfolgungshindernisse sowie die des materiellen Rechts im Auslieferungsverfahren grundsätzlich unbeachtlich.720 2. Exkurs: Immunität als Verfolgungshindernis Schwaighofer nennt Immunität und Exterritorialität als Beispiele für jene Fälle, in denen ein Verfolgungshindernis nicht die Strafwürdigkeit der Tat betrifft, weshalb dem Betroffenen durch ihre Nichtbeachtung kein Unrecht geschieht, und sie bei der Auslieferung nicht zu berücksichtigten sind.721 Nach einem Teil der Lehre bewirkt die völkerrechtliche Exemtion von der Gerichtsbarkeit des ersuchten Landes grundsätzlich ein Auslieferungshindernis.722 Für das Strafverfahren ist die Immunität in § 61 StPO geregelt, wonach bestimmte privilegierte Personen nicht der österreichischen Gerichtsbarkeit unterliegen. Dabei werden ua Diplomaten und Staatsoberhäupter genannt. Diese Privilegierung ist daher nach österreichischem Recht jedenfalls kein persönlicher Strafaufhebungsgrund, sondern ein prozessuales Verfolgungshindernis.723 Neben dieser Verankerung in § 61 StPO ist die Immunität als Teil des Völkergewohnheitsrechts gem Art 9 Abs 1 B-VG Bestandteil des na-
718
719
720
721 722
723
Ausführlich Vogler, in IRG-K § 9; nach Lagodny, in IRG § 9 Rz 1 und 3 ff, hingegen scheint auch die Einleitung eines Strafverfahrens eine zwingende Vorraussetzung zu sein. Laut Vogler braucht die Aburteilung nicht rechtskräftig zu sein, in IRG-K § 9 Rz 7. Blakesley, in Trechsel FS 192. Zur bloß abstrakten Prüfung der Strafbarkeit siehe oben Abschnitt 1.III.A.3.1. Auslieferung 102. Linke, Grundriss 29, Regner/Reinisch, ÖJZ 1995, 556, zu Immunität und Auslieferung siehe Blakesley, Bassiouni, Swart und Dinstein, in Richardson, Report, 84 Am. Soc’y Int’l Proc. 391 ff, 393 f, 394 ff, 404 ff. Höpfel, in WK2 § 62 Rz 20.
Materielle Voraussetzungen
145
tionalen Rechts.724 Zudem ist die Immunität auch in multilateralen Übereinkommen geregelt, wie insb die der diplomatischen Missionen im Wiener Übk über die diplomatischen Beziehungen (WDK). Bei der Beurteilung der Immunität als Auslieferungshindernis ist zunächst zwischen den einzelnen Organen und dem Umfang ihrer Immunität zu unterscheiden. Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister genießen während ihrer Amtszeit nach Völkergewohnheitsrecht absolute Immunität.725 Diese als Immunität ratione personae bezeichnete Exemtion, nimmt die genannten Personen grundsätzlich von der Gerichtsbarkeit und sonstigen faktischen Amtshandlungen jedes Staates aus.726 Einem neueren Urteil des ICJ zufolge genießen auch amtierende Außenminister im fremden nicht aber im eigenen Staat Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung.727 Nach Beendigung des Amtes besteht die Immunität nur noch ratione materiae, dh nur mehr für amtliches Handeln fort. Auch die diplomatische Immunität728 gilt während der Amtszeit absolut, und nach Beendigung des Amtes nur mehr als ratione materiae. Zum Unterschied von der Immunität der Staatsoberhäupter wirkt sie aber nur im Empfangsstaat und grundsätzlich nicht in Drittstaaten.729
724
725
726
727
728
729
Bassiouni, Extradition 442 f, Liebscher, in WK § 62 Rz 15; zu Art 9 Abs 1 B-VG siehe oben Abschnitt 1.I.B.4. Die absolute Immunität der Außenminister nach Völkergewohnheitsrecht wurde nunmehr durch den ICJ bestätigt, Democratic Republic of the Congo v Belgium (Arrest Warrant of 11 April 2000), Urteil vom 14.2.2002, abrufbar unter http://www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm. Im Schrifttum besteht über die Immunität von Regierungschefs und Außenminister Uneinigkeit, siehe dazu die Nachweise bei Van den Wyngaert, in ihrem Sondervotum zum ICJ Urteil, 6 ff, 10 f. Hailbronner, in Vitzthum Völkerrecht 167 ff, Köck, in Neuhold/Hummer/ Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 1765 ff. Eine Ausnahme vom Verbot der Zwangsgewalt besteht hinsichtlich der Präventivmaßnahmen. Die weiteren Ausnahmen betreffen ICTY, ICTR und den ICC. Vor diesen drei Gerichten genießen auch amtierende Staatsoberhäupter keine Immunität, siehe Art 7 Abs 2 ICTY-Statut, Art 6 Abs 2 ICTR-Statut, Art 27 ICC-Statut. Democratic Republic of the Congo v Belgium (Arrest Warrant of 11 April 2000), das Urteil des ICJ vom 14.2.2002 ist unter http://www.icj-cij.org/icjwww/ idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm abrufbar. Zur Frage, welchen Organen diplomatische Immunität zusteht und zur Immunität von Konsulaten, Sonderbotschaftern und den Vertretern der Internationalen Organisationen siehe ausführlich Hailbronner, in Vitzthum Völkerrecht 171 ff, Köck, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 1765, ff; zur Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments siehe Kreicker, GA 2004, 643 ff. Eine Ausnahme gilt nur während der Durchreise durch Hoheitsgebiet eines Drittstaates Hailbronner, in Vitzthum Völkerrecht 172, Köck, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 1783.
146
Die beiderseitige Verfolgbarkeit
Für die Auslieferung ergeben sich daher folgende Konsequenzen: Ein amtierendes Staatsoberhaupt ist von der Gerichtsbarkeit sowie von Zwangsmaßnahmen jeglicher Staaten ausgenommen.730 Sollte dennoch ein Auslieferungsersuchen gestellt werden, so darf diesem nicht entsprochen werden, da die Auslieferung eine faktische Amtshandlung darstellt. Die Immunität von im Amt befindlichen Staatsoberhäuptern stellt daher ein Auslieferungshindernis dar. Akkreditierte Diplomaten genießen nur im Empfangsstaat Immunität, weshalb eine in einem Drittstaat verübte strafbare Handlung dort auch verfolgt werden darf.731 Befindet sich der Diplomat im Empfangsstaat, besteht wiederum ein Auslieferungshindernis, da die Auslieferung einer faktischen Amtshandlung bedarf, die dem Empfangsstaat untersagt ist. Ein Drittstaat hingegen kann den Diplomaten an den ersuchenden Drittstaat ausliefern. Beantragt der Entsendungsstaat selbst die Auslieferung, so muss geprüft werden, ob damit auch auf die Immunität des Diplomaten verzichtet wurde. Gem Art 32 WDK ist ein ausdrücklicher Verzicht notwendig. Ehemalige Staatsoberhäupter und Diplomaten genießen nur Immunität ratione materiae, dh die Immunität wirkt nur hinsichtlich der amtlichen bzw dienstlichen Handlungen fort.732 Da Zwangsmaßnahmen hinsichtlich amtlicher Handlungen unzulässig sind, hat das um Auslieferung ersuchte Gericht zu überprüfen, ob die Tat eine amtliche Handlung darstellt. Von der Immunität jedenfalls ausgenommen sind strafbare Handlungen, die bloß dem persönlichen Vergnügen bzw Nutzen dienen. Liegt eine amtliche Handlung vor, muss die Auslieferung im Allgemeinen abgelehnt, andernfalls kann sie genehmigt werden. Nunmehr wird zudem überlegt, ob Verbrechen gegen zwingendes, humanitäres Völkerrecht (ius cogens)733, wie zB Folter, überhaupt noch von der Immunität ratione materiae umfasst sein können, dh auch wenn sie im Zuge der Amtsausübung vorgenommen wurden. Diese Fragestellung wird am Fall Pinochet deutlich, in dem dem ehemaligen Staatschef ua Folter vorgeworfen wurde. Die Mehrheit der Richter (der dritten E) des House of Lords leitete den Ausschluss der Immunität aus der Folterkonvention selbst ab. Diese um-
730
731 732
733
Dies gilt heute noch absolut. Der zunehmende völkerstrafrechtliche Schutz der Menschenrechte weist aber eine Tendenz in die Richtung auf, dass Verbrechen gegen humanitäres ius cogens von der Immunität ausgenommen werden. So gilt die Immunität nicht vor den internationalen Tribunalen. Vgl BGH NStZ 2004, 402. Siehe dazu die Pinochet E des House of Lords, R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), (1999) in Woodhouse, Pinochet 201 ff, zu dieser Entscheidung: Ambos, JZ 1999 16 ff, 1999, 564ff, Wedgwood, 40 Va. J. Int’l. 829 ff, Sison, 78 Wash. U. L.Q. 1583 ff, Taylor, 24 T.Jefferson L. Rev. 101 ff, der auf den Seiten 104 ff die Immunität im usamerikanischen Recht beleuchtet. Siehe dazu oben Abschnitt 1.I.B.5.
Materielle Voraussetzungen
147
schreibt in Art 1 Folter als eine Handlung, die von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person verursacht wurde. Da Folter öffentliches Handeln voraussetze, führte man die Konvention ad absurdum, ließe man den Einwand der Immunität zu.734 Ein Teil der Lehre sowie die Mehrheit der Richter der ersten, aufgehobenen Pinochet E gehen jedoch davon aus, dass die Immunität ratione materiae (also ehemaliger Staatsoberhäupter) bei Verbrechen gegen ius cogens grundsätzlich ausgeschlossen ist, dh ohne Notwendigkeit eines entsprechenden völkerrechtlichen Übereinkommens.735 Einen Trend in diese Richtung zeigt der Ausschluss der Immunität, insb auch für amtierende Staatsoberhäupter, vor den Tribunalen ICTY, ICTR und vor dem ICC, die zur Ahndung der Völkerstrafrechtsverbrechen (core crimes) berufen sind.736 Völkergewohnheitsrechtlich gilt die Immunität ratione personae amtierender Staatoberhäupter und Außenminister derzeit aber jedenfalls noch unbegrenzt. Dies hat der ICJ erst kürzlich in der Entscheidung Democratic Rebublic of the Congo v Belgium bestätigt.737
D. Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality 1. Zuordnung Die Spezialität stellt eines der Grundprinzipien der Auslieferung dar. Sie ist in den meisten innerstaatlichen Auslieferungsgesetzen und fast allen Auslie734
735
736 737
R. v Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrates and others, ex parte Pinochet Ugarte (No. 3), (1999) in Woodhouse, Pinochet 215 f; ausführlich Ambos, JZ 1999, 565 f. Paulus, NJW 1999, 2646 f, leitet dies aus der Staatenimmunität ab: Da bei der Verfolgung von Verbrechen gegen zwingendes Völkerrecht nicht ein Staat über den anderen richte, sondern die Weltordnung verteidige, stünde die Qualifizierung solcher Taten als dienstliche Handlungen damit im Widerspruch. Lord Nicholls, Ex Parte Pinochet (No. 1), (1998) in Woodhouse, Pinochet 172ff und Lord Steyn, Ex Parte Pinochet (No. 1), (1998) in Woodhouse, Pinochet 178 f, vgl ausführlich Ambos, JZ 1999, 21 ff, siehe auch Blakesley, in Richardson 84 Am. Soc’y Int’l Proc. 391 ff. Siehe oben Abschnitt 1.II.A.2.5. (Arrest Warrant of 11 April 2000) Urteil des ICJ vom 14.2.2002, http://www.icjcij.org/icjwww/idocket/iCOBE/iCOBEframe.htm; siehe dazu Bekker, ASIL Insights February 2002, im Internet abrufbar auf www.asil.org/insigh82.htm . Belgien hatte in diesem Fall einen Haftbefehl gegen den amtierenden Außenminister Kongos erlassen. Der Strafanspruch stützte sich auf ein sehr umstrittenes und inzwischen abgeschwächtes belgisches Gesetz, das den Einwand der Immunität bei Kriegsverbrechen nicht zuließ und eine Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip ohne inländischen Anknüpfungspunkt ermöglichte, dazu ausführlich oben Abschnitt 1.II.A.2.5.
148
Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality
ferungsverträgen ausdrücklich geregelt.738 Daneben stellt sie einen völkerrechtlichen Grundsatz dar und wird von manchen sogar dem zwingenden Völkerrecht zugezählt.739 In Österreich proklamiert § 23 ARHG den Grundsatz der Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Auslieferung. Nach § 23 Abs 1 ARHG ist die Auslieferung nur zulässig, wenn gewährleistet ist, dass die betroffene Person „weder wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen Handlung, auf die sich die Auslieferungsbewilligung nicht erstreckt, noch ausschließlich wegen einer oder mehrerer für sich alleine nicht der Auslieferung unterliegender Handlungen verfolgt, bestraft, in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt oder an einen dritten Staat weitergeliefert wird.“ Enthält ein Auslieferungsvertrag keine ausdrückliche Spezialitätsbindung, so kann diese aus der Zulässigkeitsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit abgeleitet werden. Ansonsten stünde es dem ersuchenden Staat frei, im Ersuchen nur die Tat anzugeben, die der beiderseitigen Strafbarkeit unterliegt, und nicht darunter fallende Taten wegzulassen, da diese nach der Übergabe jedenfalls verfolgt werden dürften. Insofern ist die Spezialität als notwendige Konsequenz der beiderseitigen Strafbarkeit anzusehen.740 Die konkludente Geltung des Spezialitätsgrundsatzes ist zudem auch aus ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Geltung abzuleiten.741 Ein völkervertraglicher Ausschluss dieses Grundsatzes kann nur angenommen werden, wenn dies im Einzelfall anhand der Materialien eindeutig festzustellen ist.742 2. Rechtsschutzwirkung Zunächst ist der der Spezialität zugrunde liegende Rechtsschutz bzw ihr Zweck darzulegen. In Anlehnung an das früher vielfach vertretene zweidimensionale Modell der Auslieferung diente der Spezialitätsgrundsatz lange
738
739
740 741
742
Siehe § 23 ARHG, § 11 IRG, § 38 IRSG, Art 14 EuAlÜbk, Art 19 des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA. Ua ist der Spezialitätsgrundsatz in allen US-amerikanischen Auslieferungsverträgen enthalten: Bassiouni, in International Criminal Law II 238. Für die Geltung als Völkergewohnheitsrecht Bassiouni, in International Criminal Law II 236, als allgemeine anerkannte Regel des Völkerrechtes Vogler, in IRG-K § 11 Rz 2, Schwaighofer, Auslieferung 122; für zwingendes Völkerrecht Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1. Vogler, in Spendler FS 874, 890. Diese Auffassung wird auch von der Rsp in den USA vertreten, United States v Rauscher, 119 U.S. 467 (1886), die ansonsten bei der Annahme einer sich aus dem Völkerrecht ergebenden Beschränkung eines Auslieferungsvertrages sehr vorsichtig sind. So wird aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Entführungsverbotes in einem Auslieferungsvertrag geschlossen, dass die Entführung anstatt der Auslieferung zulässig ist, siehe United States v Alvarez-Machain, 405 U.S. 655, 112 S.Ct. 2188, 119 L.Ed. 2d 441 (1992). Lagodny, in IRG § 11 Rz 5.
Materielle Voraussetzungen
149
ausschließlich dem Schutz des ersuchten Staates.743 Dieser beschränkt durch die Gewährung der Auslieferung seine Hoheitsrechte und ermöglicht fremdes hoheitliches Handeln. Im Gegenzug muss er sich darauf verlassen können, dass der Umfang dieser Beschränkung und damit seine Souveränität vom ersuchenden Staat klar respektiert werden. Die offensichtliche Schutzwirkung auch dem Betroffenen gegenüber wurde, wenn überhaupt, nur als Reflexwirkung aus der Beschränkung der Verfügungsgewalt des ersuchenden Staates interpretiert.744 Darauf aufbauend wurde die Meinung vertreten, dass nur der ersuchte Staat, nicht aber der Betroffene selbst auf die Einhaltung der Spezialität rechtswirksam verzichten könne.745 Nach der heute großteils vertretenen Auffassung kommt dem Spezialitätsgrundsatz neben dem Schutz des ersuchten Staates auch Individualrechtsschutz zu.746 Dies ergibt sich schon daraus, dass die Auslieferung grundsätzlich nicht mehr nur eine völkerrechtliche Regelung darstellt, sondern auch dem Rechtsschutz des Betroffenen dient, und dieser als solcher das dritte Rechtssubjekt in diesem Vertrag darstellt (dreidimensionales Modell).747 Die Gültigkeit dieser Auffassung im österreichischen Recht zeigt sich va daran, dass (neben dem ersuchten Staat) auch der Betroffene selbst gem § 32 ARHG rechtswirksam auf den Spezialitätsschutz verzichten kann. Das ARHG verlangt keinen ausdrücklichen politischen Verzicht.748 Dies trifft auch auf das Schweizerische Auslieferungsrecht zu. Die entsprechende Bestimmung findet sich in § 38 IRSG.749 In Deutschland hingegen ist der Verzicht des Betroffenen auf den Spezialitätsschutz bei der vereinfachten Auslieferung zusätzlich gem § 41 Abs 2 IRG von der Zustimmung der Bewilligungsbehörde abhängig.750 Dies gilt jedoch aufgrund der Bestimmung des Art 27 Abs 3 lit e und f RB-HB nicht mehr für die Übergabe innerhalb der 743 744 745 746
747 748
749 750
Blakesley, in Trechsel FS 209. Für viele Vogler, in Spendler FS 881 mwN. Vogler, in Spendler FS 881. Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1., Weigend, JuS 2000, 109, Schwaighofer, Auslieferung 189, Bassiouni, in International Criminal Law II 237, siehe dazu auch United States v Rauscher, 119 U.S. 404, 422 (1886): „The treaty, the Acts of Congress, and the proceedings by which he was extradited, clothe him with the right to exemption from trial for any other offence”. Die us-amerikanischen Gerichte sind diesbezüglich aber uneins, siehe dazu die Darstellungen bei Bassiouni, in International Criminal Law II 237 f, Blakesley, in Trechsel FS 209 ff. Dazu oben Abschnitt 1.I.A.3. siehe auch unten Abschnitt 1.V.A. AM Schwaighofer, Auslieferung 165, der von der Notwendigkeit der Zustimmung des ersuchten Staates ausgeht, dann aber anmerkt, dass der ersuchende Staat im Fall der vereinfachten Auslieferung einen stillschweigenden Verzicht des ersuchten Staates annehmen kann. Das zeigt aber, dass im Innenverhältnis doch alleine die Zustimmung des Betroffenen ausschlaggebend ist. Dazu Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1; vgl dazu Popp, Rechtshilfe Rz 339. Siehe dazu Vogler, ZStW 105 (1993) 4.
150
Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality
EU, diesfalls ist der Verzicht des Betroffenen gem § 83 h Abs 2 Z 5 IRG ausreichend.751 Der Individualrechtsschutz und damit die Gültigkeit des Verzichtes durch den Betroffenen ergeben sich zudem daraus, dass einem freiwilligen weitergehenden Aufenthalt des Betroffenen im ersuchenden Staat über eine bestimmte Zeitspanne hinweg nach Abschluss des Strafverfahrens die Bedeutung eines konkludenten Verzichtes auf die Spezialitätswirkung beigemessen wird. Diese Möglichkeit ist ua im ARHG, IRG sowie EuAlÜbk vorgesehen.752 3. Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung Die Spezialität stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung dar, weshalb das zuständige Gericht eine Prognose hinsichtlich ihrer Einhaltung durch die Behörden des ersuchenden Staates zu treffen hat. Eine positive Prognose muss rechtlich begründet sein. Sie kann sich daraus ergeben, dass sich die Staaten vertraglich zu ihrer Einhaltung verpflichtet haben, wie dies durch das EuAlÜbk und in fast allen bilateralen Auslieferungsverträgen geschehen ist. Bestehen keine solchen Verpflichtungen, so ist im Einzelfall die Zusicherung der Spezialität zu verlangen. In beiden Fällen ist zudem konkret festzustellen, ob die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung oder der Zusicherung in dem ersuchenden Staat auch tatsächlich gegeben sein wird.753 Existieren aufgrund der Situation in diesem Staat begründete Zweifel, die sich nicht ausräumen lassen, so ist die Auslieferung abzulehnen. Es besteht daneben auch die Möglichkeit, die Zulässigkeitsentscheidung an die Bedingung zu knüpfen, dass der ersuchende Staat das Ergebnis des Strafverfahrens auf Verlangen mitteilt.754 4. Umfang des Spezialitätsschutzes Durch die Spezialität werden die Hoheitsrechte des ersuchenden Staates in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Erstens ist seine Strafgewalt insofern beschnitten, als er den Ausgelieferten nicht wegen vor der Übergabe begangener Taten verfolgen oder bestrafen darf, auf die sich die Auslieferungsbewilligung nicht bezieht. Zweitens ist es ihm untersagt, wegen anderer Taten als des Auslieferungsdeliktes die persönliche Freiheit des Betroffenen durch sonstige Maßnahmen zu beschränken, und drittens darf er den Betroffenen wegen vor der Übergabe begangener Taten nicht an einen Drittstaat weiterliefern. 751 752 753
754
Siehe dazu OLG Karlsruhe NJW 2005, 1207 f. Dazu unten Abschnitt 1.III.D.5. BVerfG EuGRZ 1983, 259; Vogler, in Spendel FS 885 f, ders, in IRG-K § 11 Rz 10, Lagodny, in IRG § 11 Rz 10. So Vogler, in Spendel FS 885.
Materielle Voraussetzungen
151
Von der Spezialitätswirkung sind nur Taten umfasst, die vor der Auslieferung, dh vor der tatsächlichen Übergabe, begangen wurden. Taten, die der Ausgelieferte nach diesem Zeitpunkt setzt, können vom ersuchenden Staat verfolgt werden; auch eine Weiterlieferung ist zulässig. Der Betroffene darf also nur wegen der Taten verfolgt werden, auf die sich die Auslieferungsbewilligung bezieht. Hier ist im Einzelfall festzustellen, ob der dem Strafverfahren im ersuchenden Staat zugrunde liegende Tatbestand noch dieselbe Tat wie im Ersuchen bzw in der Bewilligung darstellt, weshalb ähnlich der Beurteilung des ne bis in idem die Identität der Tat zu untersuchen ist.755 Zur Bewertung der Identität der Tat kann auf die oben angestellte Untersuchung verwiesen werden.756 Nach österreichischem Verständnis besteht die Identität der Tat innerhalb des Strafverfahrens in dem durch den historischen Sachverhalt gesteckten Rahmen und umfasst nach der Rsp alle miteinander in Idealkonkurrenz stehende Taten, nach Bertel/Venier nur jene in Idealkonkurrenz stehende Taten, welchen dieselbe Rechtsgutsverletzung zugrunde liegt. Eine Einschränkung im Verhältnis zu der Anklage und Urteil zugrunde liegenden identen Tat ergibt sich im Auslieferungsverfahren aber insoweit, als eine neue rechtliche Würdigung nur dann zulässig ist, wenn wegen des nunmehr angenommenen Delikts eine Auslieferung ebenso zulässig wäre.757 Daher ist es zur Feststellung der Identität der der Bewilligung und dem Strafverfahren im ersuchenden Staat zugrunde liegenden Tat sinnvoll, die von Bertel/Venier getroffene Einschränkung anzuwenden. Denn bei Taten, die verschiedene Rechtsgutsverletzungen darstellen, kann unklar sein, ob das andere Rechtsgut im ersuchten Staat strafrechtlich geschützt ist und überhaupt der beiderseitigen Strafbarkeit unterliegt. Insofern wäre die Einholung einer Auskunft bzw Zustimmung notwendig.758 Qualifikationen sind daher von der Tat ebenso umfasst wie die Feststellung einer anderen als der zunächst angenommenen Täterschaftsform. Schwieriger ist die Beurteilung einer in der HV hervorkommenden Privilegierung, die möglicherweise dazu führt, dass der für die Auslieferungsfähigkeit geforderte Strafrahmen unterschritten wird. Diesfalls wäre die Ausliefe755
756
757
758
Dazu ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 179 ff, Vogler, IRG-K § 11 Rz 14 ff, Lagodny, in IRG § 11 Rz 13 f, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1; BGH NStZ 2003, 684. Zur Identität der Tat im österreichischen Recht siehe Abschnitt 1.II.B.1.3.2., zum deutschen Recht siehe Abschnitt 1.II.B.1.4. § 23 Abs 1 Z 2 ARHG. Für Deutschland Vogler, IRG-K § 11 Rz 16, Lagodny, in IRG § 11 Rz 13. Im deutschen IRG besteht keine ausdrückliche Regelung, dort ergibt sich diese Einschränkung aus dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit. Schwaighofer, Auslieferung 181.
152
Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality
rung wegen der Tat ebenso unzulässig, wie wenn sich aufgrund einer anderen rechtlichen Würdigung ein Delikt mit einem milderen Strafrahmen ergäbe. Die deutsche hL vertritt die Auffassung, dass Privilegierungen von der Tat umfasst sind und daher verfolgt werden dürfen, auch wenn durch deren Anwendung die für das Auslieferungsdelikt geforderte Mindeststrafhöhe nicht mehr erreicht würde.759 Denn diese Mindeststrafdrohung bestehe aus Gründen der Verfahrensökonomie und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, und beiden könne nach erfolgter Auslieferung nicht mehr Rechnung getragen werden. Dem ist aufgrund der sich diesfalls bietenden Umgehungsmöglichkeiten nicht zuzustimmen:760 Der ersuchende Staat könnte stets, um sich der Auslieferung zu versichern, nicht vorhandene Qualifikationen nennen bzw privilegierende Umstände im Ersuchen außer Acht lassen. Eine Abwendung dieser Gefahr ist hingegen schon dadurch möglich, dass eine Zustimmung des ersuchenden Staates eingeholt wird. Schließlich steht es den Gerichten dieses Staates zu, über die Spezialität zu urteilen und der Verfolgung zuzustimmen. Während sich die Sperrwirkung (double jeopardy) nach US-amerikanischem Recht auf das Delikt und damit auf die rechtliche Würdigung bezieht,761 richtet sich die Identität der Tat zur Beurteilung der Spezialitätswirkung nach dem historischen Sachverhalt. Die meisten US-amerikanischen Auslieferungsverträge enthalten hierzu Klauseln, nach denen eine andere rechtliche Würdigung der Tat bei gleich bleibendem Sachverhalt zulässig ist, wenn es sich dabei um ein auslieferungsfähiges Delikt handelt. Es wird – entsprechend der deutschen Auffassung – in den meisten Auslieferungsverträgen zudem ausdrücklich festgestellt, dass eine andere rechtliche Würdigung bei gleichem Sachverhalt auch dann zulässig ist, wenn die Tat einen geringeren Strafrahmen enthält.762 Das bedeutet, dass die Unterschreitung einer Mindeststrafdrohung insofern nicht relevant wäre. Der Grundssatz der Spezialität verbietet die Verfolgung, Bestrafung, Weiterlieferung oder sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit des Ausgelieferten wegen eines anderen als des Auslieferungsdeliktes. Es sind daher alle Verfolgungshandlungen unzulässig, die erst durch die Auslieferung ermöglicht wurden. Der ersuchende Staat darf weder ein Strafverfah759
760
761 762
Vogler, IRG-K § 11 Rz 16, Lagodny, in IRG § 11 Rz 13, für die Schweiz siehe ebenso Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1.; aM Popp, Rechtshilfe Rz 295. Siehe auch Schwaighofer, Auslieferung 181; vgl aber Art 19 Abs 1 lit a des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.5.1.4. Art 19 Abs 1 lit a des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA, Art 19 Z 2 lit a und b des Auslieferungsvertrages zwischen Frankreich und den USA, Art 16 Z 3 lit a und b des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und den USA.
Materielle Voraussetzungen
153
ren wegen dieser Delikte durchführen, noch die Tat sonst zum Nachteil des Angeklagten im Rahmen einer Verfolgung werten. Dh sie kommt nach der hL in Deutschland und Österreich weder als Erschwerungsgrund bei der Strafzumessung noch als Schuldindiz in Bezug auf das Auslieferungsdelikt in Frage.763 Ebenso wenig ist es zulässig, nicht von der Bewilligung erfasste Taten zur Entscheidung über einen Widerruf der bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung heranzuziehen, da in beiden Fällen die nicht der Auslieferung unterliegende Tat zur Bestrafung herangezogen würde.764 Nach US-amerikanischem Recht hingegen ist sowohl die Berücksichtigung anderer früherer Taten als Erschwerungsgrund bei der Strafzumessung im sentencing hearing765 zulässig, als auch deren Heranziehung bei der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung.766 Unzulässig sind auch Verfolgungshandlungen wegen anderer vor der Übergabe begangener nicht gerichtlich strafbarer Übertretungen, wie zB wegen Verwaltungsübertretungen, disziplinarrechtlicher Verstöße usw, da eine Auslieferung deretwegen jedenfalls unzulässig wäre. Daneben sind auch alle sonstigen Zwangsmaßnahmen wegen von der Auslieferung nicht erfasster früherer Taten untersagt. Auch diese Beschränkung erstreckt sich nicht nur auf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung, sondern auch im Zusammenhang mit allen anderen Übertretungen, aufgrund derer freiheitsbeschränkende Maßnahmen zulässig sind.767 Grundsätzlich erlaubt sind aber Verfolgungshandlungen, deren Vornahme nicht erst durch die Auslieferung ermöglicht wurde und die auch in Abwesenheit des Ausgelieferten getroffen werden dürfen. Diese Bestimmung ist im deutschen IRG in Anlehnung an Art 14 Abs 2 EuAlÜbk – anders als im ARHG – ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber teleologisch aus dem Sinn der Spezialität: Der ersuchende Staat soll durch die Auslieferung nicht schlechter gestellt werden.768 Dabei ist insb an Verfügungen zu denken, die den Lauf der Verjährungsfrist unterbrechen. Das Abwesenheitsverfahren setzt nach österreichischem Recht gem § 427 StPO eine gerichtli763
764
765 766
767 768
Schwaighofer, Auslieferung 185, Linke, Grundriss 88, Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 40, Vogler, in Spendel FS 875 ff, ders, in IRG-K § 11 Rz 27 u 30; aM hinsichtlich der Heranziehung als Schuldindiz ist der deutsche BGH 22 307, 310 f. Schwaighofer, Auslieferung 185, Vogler, in Spendel FS 878, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1.; aM die Rsp in den USA, siehe dazu die Nachweise bei Blakesley, in Trechsel FS 214. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.5.1.3.b(ii) insb FN 535. Zur Heranziehung als Erschwerungsgrund bei der Strafbemessung zum Widerruf siehe Blakesley, in Trechsel FS 214 f mwN. Schwaighofer, Auslieferung 185, Vogler, in Spendel FS 878. Poncet/Gully-Hart, in Bassiouni International Criminal Law II 305.
154
Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality
che Vernehmung und die persönliche Ladung des Betroffenen voraus. Da beides erst durch die Auslieferung des Betroffenen ermöglicht wird, fällt das Abwesenheitsverfahren nicht unter die zulässigen Maßnahmen.769 Neben dem Verbot der Verfolgung, Bestrafung oder sonstigen Beschränkung der persönlichen Freiheit im ersuchenden Staat ist es diesem auch untersagt, eine solche Maßnahme in einem Drittstaat zu ermöglichen, weshalb auch die Weiterlieferung unzulässig ist. Entsprechende Regelungen sind in § 23 Abs 1 ARHG, § 11 Abs 1 Z 2 IRG wie auch in § 15 EuAlÜbk vorgesehen. In diesem Zusammenhang ist das deutsche IRG hervorzuheben, das diesbezüglich die vorbildlichste und konsequenteste Regelung enthält, denn es verbietet gem § 11 Abs 1 Z 2 ausdrücklich nicht nur die Weiterlieferung, sondern auch die Abschiebung. Andernfalls könnte die Abschiebung jeweils als unzulässige Umgehung der Weiterlieferung angewendet werden.770 In Österreich wiederum ist der Vorrang der Auslieferung vor der Abschiebung nach § 13 ARHG ausdrücklich geregelt, womit diese Umgehungsmöglichkeit verboten wird.771 Art 14 Abs 2 EuAlÜbk hingegen erlaubt die Abschiebung. Da diese Regelung als reine Kann-Bestimmung ins Ermessen des Gerichtes gestellt ist, geht ein ausdrückliches innerstaatliches Verbot, wie es § 11 Abs 1 Z 3 IRG enthält, vor.772 5. Dauer der Spezialitätswirkung Die Spezialitätswirkung kann unter bestimmten Voraussetzungen entfallen. Wie bereits erwähnt, ist der ersuchende Staat zu Verfolgung der Taten berechtigt, wenn der ersuchte Staat dazu seine Zustimmung erteilt. Diese Möglichkeit ist in § 23 Abs 2 ARHG, wie auch in den Auslieferungsverträgen vorgesehen.773 Sie stellt eine Erweiterung der zunächst genehmigten Auslieferung dar, weshalb nach § 40 ARHG ein neuerliches sog nachträgliches Auslieferungsverfahren durchzuführen ist, welches sich nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen richtet. Wiederum haben das Gericht über 769
770 771
772 773
Schwaighofer, Auslieferung 184. § 14 Abs 2 EuAlÜbk scheint das Abwesenheitsverfahren nach der deutschen Übersetzung zu erlauben. Es handelt sich dabei aber um einen Übersetzungsfehler, denn es sind nur Handlungen in Abwesenheit erlaubt, die zur Unterbrechung einer Verjährungsfrist gesetzt werden: „The requesting Party may, … take … any measures necessary under its law, including proceedings by default, to prevent any legal effects of lapse of time.“ Siehe dazu Lagodny, in IRG § 11 Rz 21. Lagodny, in IRG § 11 Rz 23; aM Vogler, in IRG-K § 11 Rz 23. Zur Umgehung der Auslieferung durch Abschiebung siehe unten Abschnitt 1.V.A. Zum Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag siehe oben Abschnitt 1.I.B.3. Siehe ua Art 14 Abs 1 lit a EuAlÜbk, Art 19 Abs 1 lit c des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und den USA.
Materielle Voraussetzungen
155
die Zulässigkeit und der BMJ über die Bewilligung zu entscheiden. Es ist eine formelle Erklärung nötig. Einige Gerichte der USA scheinen hingegen im Strafverfahren gegen den Ausgelieferten eine konkludente Zustimmung genügen zu lassen, von der sie bereits ausgehen, wenn der ersuchte Staat nicht protestiert.774 Sollte dies den Usus in den USA widerspiegeln, so wäre dies Grund genug für eine negative Spezialitätsprognose bei der Zulässigkeitsentscheidung hinsichtlich einer Auslieferung in die USA. Der Betroffene selbst kann bereits vor der Auslieferung gem § 32 ARHG in die vereinfachte Auslieferung, dh in die Übergabe an den ersuchenden Staat ohne förmliches Auslieferungsverfahren, einwilligen. Mit der Zustimmung zu dieser formlosen Übergabe verzichtet er auch, nach ausdrücklicher Belehrung, auf den Spezialitätsschutz. Daneben wird auch dem Verhalten des Betroffenen nach der Auslieferung unter einer gewissen Zeitspanne (Schonfrist) eine die Spezialität beendende Bedeutung beigemessen. Entsprechende Bestimmungen finden sich in den meisten innerstaatlichen Auslieferungsgesetzen und in Auslieferungsverträgen: Gem § 23 Abs 3 Z 1 ARHG endet die Spezialitätswirkung, wenn der Betroffene nach Abschluss des Strafverfahrens, für welches die Auslieferung bewilligt worden war, den ersuchenden Staat innerhalb von 45 Tagen nicht verlässt, obwohl er dies durfte und konnte. Entsprechendes gilt gem Art 14 Abs 1 lit a EuAlÜbk. Das deutsche IRG sieht eine Monatsfrist vor.775 Diesfalls wird die Zustimmung des Betroffenen vermutet und er verliert seinen Status als „Ausgelieferter“.776 Das setzt einerseits den Abschluss des Verfahrens voraus, was nach einer endgültigen Verfahrenseinstellung, einem Freispruch oder nach endgültiger Vollstreckung der verhängten Strafe gegeben ist, und andererseits die tatsächliche Möglichkeit zur Ausreise. Wurde der Betroffene bedingt verurteilt oder entlassen und ihm Auflagen oder Weisungen erteilt, die einen Aufenthalt im Inland voraussetzen, so ist das Verfahren nicht endgültig abgeschlossen, bzw durfte und konnte er das Land zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlassen. Das ist zB der Fall, wenn er unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers gestellt wurde. Gleiches gilt, wenn ihm die Ausreise zB wegen Krankheit oder auch mangelnder finanzieller Mittel nicht möglich war.777 Diesfalls kann eine konkludente Zustimmung nicht ange774 775 776 777
Blakesley, in Trechsel FS 208, 209 ff. § 11 Abs 2 Z 2 IRG. Schwaighofer, Auslieferung 187 f. Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.1, Schwaighofer, Auslieferung 188. Lagodny, in IRG § 11 Rz 31 stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob dem Mittellosen diesfalls eine finanzielle Unterstützung zur Ausreise zu gewähren ist. Zu Recht kann dem, dem die Ausreise finanziell unmöglich ist, nicht unterstellt werde, dass er aufgrund seines weiteren Aufenthaltes konkludent auf seinen Status als Ausgelieferter verzichtet hätte. Da beide Parteien auf den Spezialitätsschutz ver-
156
Die Spezialität als Zulässigkeitsvoraussetzung – Speciality
nommen werden. Soll der Ablauf der Schonfrist einem konkludenten Verzicht gleichkommen, so setzt dies zudem die Kenntnis des Betroffenen über Frist und Folgen seines Verbleibens im Inland voraus. Dazu sind eine Belehrung und deren Protokollierung erforderlich.778 Verlässt der Betroffene den ersuchenden Staat, in welchen er ausgeliefert wurde, vor dieser 45 Tage Frist, kehrt er aber freiwillig dorthin zurück, so begibt er sich des Spezialitätsschutzes. Sein nunmehriger Aufenthalt im ersuchenden Staat ist nicht mehr an die frühere Auslieferung geknüpft, weshalb er auch den Status als Ausgelieferter nicht mehr beanspruchen kann. Eine Belehrung wie im Fall des fortgesetzten Aufenthaltes ist in Anbetracht der Unmissverständlichkeit der Handlung des Betroffenen und der Sachlage nicht notwendig. Es ist unzweifelhaft, dass die freiwillige und unabhängige Einreise in einen Staat nicht mehr im Zusammenhang mit einer früheren Auslieferung dorthin steht. Eine vergleichbare Regelung findet sich im österreichischen, deutschen und Schweizerischen Auslieferungsgesetz.779 6. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen einer Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes richten sich nach dem ihm zugrunde liegenden Rechtschutz, der zum einen dem ersuchten Staat, zum anderen dem Ausgelieferten dient. Der ersuchte Staat kann gegen die Souveränitäts- und Vertragsverletzung protestieren und zu völkerrechtlichen Sanktionen greifen. Dabei ist auch an einen Restitutionsanspruch zu denken, der die Freilassung und Rücküberstellung des Ausgelieferten beinhaltet.780 Daneben stellt die Spezialität im ersuchenden Staat ein Verfahrenshindernis dar, das von Amts wegen zu beachten ist. Verstöße dagegen müssen zur Unwirksamkeit der Verfahrenshandlung führen und dem Betroffenen, als Rechtsschutzsubjekt, dagegen ein Rechtsmittel offen stehen. So wäre ein Schuldspruch wegen einer nicht der Auslieferung unterliegenden Tat nichtig und nach österreichischem Recht mit Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 Abs 1 Z 9 b StPO wegen des Vorliegens eines Verfolgungshindernisses bekämpfbar.781
778
779 780 781
zichten können, steht es dem ersuchenden Staat frei, entweder dem Betroffenen finanziell unter die Arme zu greifen, eine bessere finanzielle Situation abzuwarten oder die Zustimmung des ersuchten Staates einzuholen. Schwaighofer, Auslieferung 188, Lagodny, in IRG § 11 Rz 35 spricht von der Aufklärungspflicht; Vogler, in IRG-K § 11 Rz 48, hingegen nennt die Belehrung ein nobile officium. § 23 Abs 2 lit b ARHG, § 11 Abs 2 Z 3 IRG, Art 38 Abs 2 lit b Z 1 IRSG. In re Dilasser, 9 I.L.R. 377 zitiert in Blakesley, in Trechsel FS 210 FN 89. Ausführlich zu den Rechtsfolgen Schwaighofer, Auslieferung 189 f, siehe auch Heimgartner, Auslieferungsrecht E.III.3.
Auslieferungshindernisse
157
Einige US-amerikanische Gerichte machen das dem Betroffenen zustehende Rechtsmittel von einem förmlichen Protest des ersuchten Staates gegen die Erweiterung des Strafverfahrens abhängig.782 Da der ersuchte Staat oftmals von dem Ergebnis des Strafverfahrens nichts erfährt, ist dieses Kriterium als Bedingung schon rein praktisch völlig ungeeignet. Daneben widerspricht es völker- und grundrechtlichen Maßstäben. Der ersuchende Staat begeht die Völkerrechtsverletzung schon durch die Nichteinhaltung der Spezialität, ob der ersuchte Staat dagegen protestiert, ist irrelevant. Auch der der Spezialität nach der hier vertretenen Auffassung zugrunde liegende Individualrechtsschutz wird dadurch verkannt.
IV. Auslieferungshindernisse Die Auslieferung an einen anderen Staat ist nur bei Vorliegen der oben genannten materiellen Voraussetzungen erlaubt. Daneben können Auslieferungshindernisse einer ansonsten zulässigen Auslieferung entgegenstehen. Diese sind entweder fakultativ als „Kann-Bestimmungen“ oder verpflichtend als „Muss-Bestimmungen“ formuliert. Auslieferungshindernisse können sich aus zwingendem Völkerrecht ergeben, wie das Auslieferungshindernis bei drohender Folter,783 oder bi- bzw multilateral vertraglich geregelt sein. Nach der hier vertretenen und in der Folge dargelegten Auffassung vermögen aber auch Verstöße gegen Grundrechtsgarantien des ersuchten Staates zur Ablehnung der Auslieferung zu führen. Auslieferungshindernisse sind sowohl innerstaatlich im ARHG wie auch zwischenstaatlich in den einzelnen Verträgen vorgesehen. Das Nichtvorliegen der Auslieferungshindernisse ist als Zulässigkeitsvoraussetzung vom Auslieferungsgericht zu prüfen. Im Folgenden werden die verschiedenen Auslieferungshindernisse besprochen.
A. Die eigene Gerichtsbarkeit als Auslieferungshindernis Der Strafanspruch eines Staates steht mit der Auslieferung in einem Spannungsverhältnis. Besteht eigene Gerichtsbarkeit, so wird der ersuchte Staat im Allgemeinen ein inländisches Verfahren durchführen und die Auslieferung ablehnen wollen. Da sich der Verdächtige im Inland befindet, scheint ein Vorrang der eigenen Gerichtsbarkeit vor der Auslieferung grundsätzlich sinnvoll. Der Zweckmäßigkeit sind aber Grenzen gesetzt: Zunächst gilt der Vorrang der eigenen Strafverfolgung nur in jenen Fällen, in welchen dem ersuchten Staat selbst ein primärer Strafanspruch zukommt, sich die Strafgewalt also auf einen völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkt der 782
783
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Blakesley, in Trechsel FS 211, kritisch dazu Bassiouni, in International Criminal Law II 238. Zum Auslieferungsverbot bei Folter siehe unten Abschnitt 1.IV.C.2.2.
158
Das Auslieferungshindernis des ne bis in idem Grundsatzes
Gerichtsbarkeit, wie zB das Territorialitätsprinzip, stützt.784 Dies ist in § 16 Abs 1 ARHG geregelt. Trotz primärer Strafgewalt kann sich die Strafverfolgung im ersuchenden Staat aus besonderen Umständen, insbesondere aus Gründen der Wahrheitsfindung oder der Strafbemessung oder -vollstreckung als zweckmäßiger erweisen. Dies ist insb gegeben, wenn sich sämtliche Beweise im ersuchenden Staat befinden und/oder der Täter Staatsbürger dieses Staates ist. § 16 Abs 2 Z 2 ARHG erlaubt die Auslieferung trotz primärer Zuständigkeit in diesen Fällen. Besteht der Strafanspruch im ersuchten Staat hingegen nur subsidiär, dh ergibt er sich nach dem „Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege“,785 so steht dies gem § 16 Abs 2 Z 1 ARHG der Auslieferung nicht entgegen. Dies stellt die logische Kehrseite der Strafgewalt dar, die bloß stellvertretend für einen anderen Staat mit primärem Strafanspruch besteht. Führte der ersuchte Staat das Strafverfahren selbst durch, so steht einer Auslieferung wegen desselben Deliktes das Verbot der Doppelverfolgung entgegen, worauf im Folgenden näher eingegangen wird. Das deutsche Recht hingegen wertet die eigene primäre Gerichtsbarkeit nicht als Auslieferungshindernis. Gem § 9 IRG führt die deutsche Gerichtsbarkeit nur in Verbindung mit Verfolgungshindernissen wie der Verjährung oder der Amnestie oder aber in Verbindung mit dem ne bis in idem Grundsatz zur Unzulässigkeit der Auslieferung.
B. Das Auslieferungshindernis des ne bis in idem Grundsatzes Der ne bis in idem Grundsatz besagt, dass der Beschuldigte nach einem rechtskräftigen Schuld- bzw Freispruch oder nach einem rechtskräftigem Einstellungsbeschluss nicht nochmals wegen derselben Tat verfolgt werden darf.786 Dies galt bisher fast unbestritten für inländische Entscheidungen. Nunmehr wird in verschiedenen Übk zunehmend die Durchsetzung eines internationalen ne bis in idem forciert. Von einem Grundsatz des Völkerrechtes iS des Gewohnheitsrechts oder eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes kann aber nach hL und Rsp noch nicht gesprochen werden.787 Die strenge Durchführung des ne bis in idem Prinzips enthält grundsätzlich neben dem Verbot, die Tat nochmals zu verfolgen, auch das Verbot, wegen einer solchen Tat auszuliefern. Andernfalls ermöglichte der ersuchte Staat die Verfolgung 784 785 786 787
Dazu oben Abschnitt 1.II.A. Schwaighofer, Auslieferung 63. Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.II.B. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in IRG Einl 73, Schwaighofer, Auslieferung 78, Ebensperger, ÖJZ 1999, 171; EvBl 1982/66, BVerfG, E 75, 1, BGHSt 24, 334, 338 uvm.
Auslieferungshindernisse
159
in einem anderen Land, bzw trüge er dazu bei. Daher wurde der Strafaufhebungsgrund des § 65 Abs 4 StGB, der die österreichische Strafgewalt über bestimmte Auslandstaten bei Vorliegen von rechtskräftigen Entscheidungen beschränkt, fast wortgleich in § 17 ARHG übernommen.788 Hinsichtlich des Umfanges und – in Folge dessen – der Auswirkungen des ne bis in idem Grundsatzes auf die Auslieferung ist zunächst auf die oben im Kapitel „Ne bis in idem als Beschränkung der (inländischen) Strafgewalt“ gewonnenen Erkenntnisse zurückzugreifen.789 Daneben ist die Berücksichtigung des ne bis in idem Grundsatzes im Auslieferungsverfahren selbst durch verschiedene Übk auf unterschiedliche Weise verankert. Das ARHG enthält in §§ 16 und 17 ne bis in idem Bestimmungen. Nach § 16 Abs 1 führt die österreichische Gerichtsbarkeit grundsätzlich zu einem zwingenden Auslieferungshindernis. Nur bei bloß stellvertretender Gerichtsbarkeit oder wenn die Verfolgung im Ausland aufgrund besonderer Umstände geeigneter ist, kann gem § 16 Abs 2 ARHG dennoch ausgeliefert werden. Die innerstaatliche ne bis in idem Wirkung ist in § 16 Abs 3 ARHG umfassend verankert: rechtskräftige Verurteilungen, Freisprüche und sonstige – auch staatsanwaltliche790 – Außerverfolgungsetzungen verbieten die Auslieferung. Die in Abs 2 genannten Einschränkungen gelten nicht. Fraglich ist an dieser Stelle, ob eine in Österreich erfolgte verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung der Auslieferung ebenso entgegensteht, soweit sie dieselbe Tat, also dieselben wesentlichen Tatbestandsmerkmale betrifft. Der Wortlauttatbestand lässt diese Auslegung offen, denn § 16 Abs 3 ARHG spricht von der rechtskräftigen Verurteilung ohne einen Entscheidungsträger zu nennen. Eine ausdrückliche Verankerung wird im ARHG schon aus dem Grund nicht erfolgt sein, als der österreichische Gesetzgeber bis 1995 die Meinung vertrat, dass das Doppelverfolgungsverbot nur innerhalb des gerichtlichen Strafrechts gelte, weshalb auch ein entsprechender Vorbehalt zu Art 4 7. ZPMRK erklärt wurde. Dieser Vorbehalt wurde aufgehoben, die Einbeziehung des Verwaltungsstrafrechts ist – wie oben erläutert791 – nunmehr unstrittig. Das ARHG anerkennt aber offensichtlich ein umfassendes Auslieferungsverbot im Falle der eigenen Gerichtsbarkeit und insb im Falle der eigenen Verfolgung. Wenn nun eine (verwaltungsrechtliche) Strafverfolgung im Inland stattfand, die rechtskräftig wurde und einer weiteren gerichtlichen Verfolgung entgegensteht, so ist nicht ersichtlich, warum diesfalls eine neuerliche Verfolgung derselben Tat im Ausland erlaubt sein sollte. Es sind keine materiellen Argumente erkennbar, die eine Unterscheidung zwischen der nationalen verwaltungsrechtlichen und strafgerichtlichen Verfolgung 788 789 790
791
Dazu oben Abschnitt 1.II.B.2. Oben Abschnitt 1.II.B. Das ergibt sich aus der in Abs 3 verwendeten Wendung „oder aus anderen als den in § 9 Z 3 angeführten Gründen“. Abschnitt 1.II.B.1.3.1.
160
Das Auslieferungshindernis des ne bis in idem Grundsatzes
rechtfertigten. Es geht hier auch nicht wirklich um ein internationales ne bis in idem, sondern um das nationale Doppelverfolgungsverbot, das der Auslieferung entgegensteht. § 17 ARHG ist auf § 65 Abs 4 Z 2 ff StGB abgestimmt. Wurde eine Person wegen einer Auslandstat792 von dem Gericht eines Tatortstaats rechtskräftig freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt, so ist die Auslieferung unzulässig. Ebenso wenn ein ausländisches Gericht den Täter wegen einer Auslandstat rechtskräftig verurteilte und die Strafe vollstreckt oder (bedingt) nachgesehen wurde, oder die Vollstreckbarkeit verjährte. Unter das Auslieferungshindernis des § 17 ARHG sollten auch ausländische staatsanwaltliche (vorläufige und endgültige) diversionelle Erledigungen fallen, die mit § 90a ff StPO vergleichbar sind, wie zB die Einstellung nach § 153 dStPO.793 Ebenso sollten mit § 90 StPO vergleichbare Einstellungen der Staatsanwaltschaft darunter subsumiert werden können, wenn ihnen nach ausländischem Recht eine Erledigungswirkung zukommt. Wiederum bildet aber der Wortlauttatbestand die Grenze und ist wie schon in Bezug auf § 65 Abs 4 StGB eine Änderung zu fordern.794 Auch hier stellt sich die Frage inwieweit eine fremde verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung der Auslieferung entgegensteht. Der Tatbestand ist eng gefasst und stellt ausdrücklich auf Entscheidungen eines Gerichts ab, an dieser Schranke wird die Subsumtion halt machen. Wiederum ist in Erinnerung zu rufen, dass das ARHG nur für den “freien“ Auslieferungsverkehr gilt. Viele bilaterale Auslieferungsverträge und multilaterale Übereinkommen enthalten weitergehende ne bis in idem Bestimmungen, die dem ARHG derogieren. Das EuAlÜbk enthält ein beschränktes Doppelverfolgungsverbot: Art 9 Abs 1 verbietet die Auslieferung bei rechtskräftiger Aburteilung der Handlung durch die Behörden des ersuchten Staates. Nach Abs 2 bewirkt die Verfahrenseinstellung nur ein fakultatives Auslieferungshindernis und Entscheidungen von Drittstaaten sind nach diesem Übk grundsätzlich unbeachtlich.795 Im jüngeren Schrifttum wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass die Aburteilung des Abs 1 neben Verurteilungen und Freisprüchen auch gerichtliche Einstellungen umfasst, während sich die Kann-Bestimmung des Abs 2
792
793
794 795
Bei der Inlandstat greift das Auslieferungsverbot des § 16 ARHG wegen österreichischer Gerichtsbarkeit. Vgl auch OLG Innsbruck, NStZ 2000, 663: dem Beschluss mit dem die Auslieferung nach Frankreich abgelehnt wurde, lag ein Klageerzwingungsverfahren in Deutschland zugrunde, das gem § 174 dStPO gerichtlich verworfen worden war. Siehe dazu auch Schomburg, in Eser FS 833, ders NJW 2000, 1838. Abschnitt 1.II.B.2.1. Dänemark, Irland, Luxemburg, Niederlande und die Schweiz haben den Geltungsbereich des Art 9 auf Urteile von Drittstaaten ausgedehnt.
Auslieferungshindernisse
161
auf alle staatsanwaltlichen Einstellungen bezieht.796 Dieser Interpretation ist zu folgen. In der älteren Literatur wurde davon ausgegangen, dass sowohl die staatsanwaltlichen als auch die gerichtlichen Einstellungen nur zu einem fakultativen Auslieferungshindernis führen.797 Die verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung ist in diesem Übk, wie auch in allen anderen, nicht verankert. Soweit feststellbar besteht dieses Sonderproblem der doppelten Zuständigkeit nur in Österreich. Soweit eine österreichische verwaltungsstrafrechtliche Entscheidung vorliegt, die die weitere Verfolgung verhindert, sollte sie einer Auslieferung entgegenstehen. Das 1. Zusatzprotokoll zum EuAlÜbk erweitert in Art 2 ua die ne bis in idem Geltung auf Aburteilungen in Drittstaaten, die zugleich Vertragsstaaten sind. Österreich hat dieses Protokoll, anders als 37 Vertragsstaaten, nicht ratifiziert.798 Österreich hat aber mit einigen Staaten bilaterale Ergänzungsverträge zum EuAlÜbk abgeschlossen, in denen die ne bis in idem Bestimmungen erweitert werden.799 Mit einigen Staaten, die nicht Vertragsstaaten des europäischen Auslieferungsübereinkommens sind, hat Österreich Auslieferungsverträge geschlossen, in denen das Doppelverfolgungsverbot berücksichtigt wurde.800 Auf die Bestimmungen des Auslieferungsvertrages mit den USA wird im Folgenden noch ausführlich eingegangen. Das deutsche IRG kennt kein Auslieferungshindernis wegen abschließender Beurteilung der Tat in einem anderen Staat. Gem § 9 Abs 1 IRG verbieten nur bestimmte innerstaatliche Erledigungen die Auslieferung an ein anderes Land, wobei die darunter fallenden Einstellungsformen taxativ aufgezählt sind.801 Die ne bis in idem Bestimmungen der Art 54 ff SDÜ wurden oben va im Lichte des EuGH Urteils Gözütok und Brügge ausführlich dargestellt.802 Art 54 SDÜ verbietet die neuerliche Strafverfolgung, wenn die Tat bereits in einem EU-Mitgliedstaat abgeurteilt wurde, sofern im Falle der Verurteilung die Sanktion vollstreckt oder bedingt nachgesehen wurde. Unter den Begriff der Aburteilung fallen neben Frei- und Schuldspruch auch gerichtliche und 796 797
798
799 800
801 802
Dorr, Doppelbestrafungsverbot 170. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 36 insb FN 129, Lagodny, ZStW 101 (1989) 1006 f. Der Ratifikationsstand kann unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ ChercheSig.asp?NT=086&CM=2&DF=3/16/2007&CL=ENG abgefragt werden. Dazu ausführlich Dorr, Doppelbestrafungsverbot 157 ff. Vgl die umfassende Regelung in Art 5 des Vertrages mit den Bahamas BGBl 125/1981. Zu den weiteren Staaten siehe Dorr, Doppelbestrafungsverbot 183 ff. Vogler, in IRG-K § 9 Rz 8. Abschnitt 1.II.B.4.
162
Das Auslieferungshindernis des ne bis in idem Grundsatzes
staatsanwaltliche Einstellungen.803 Das Doppelverfolgungsverbot des SDÜ stellt ein Verfahrenshindernis dar. Es beschränkt die Gerichtsbarkeit der Vertragsstaaten und muss daher auch als Auslieferungshindernis wirken:804 Da ein Vertragsstaat im Fall einer endgültigen Entscheidung eines anderen Schengenstaates keinen Strafanspruch über die Tat besitzt,805 darf er auch kein Auslieferungsersuchen wegen dieser Tat stellen. Geschieht dies doch, so ist das Ersuchen vom ersuchten Staat mit Hinweis auf Art 54 SDÜ abzulehnen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tat durch den ersuchten oder einen anderen Vertragsstaat abgeurteilt wurde. Fraglich ist, ob der ersuchte Staat über das mögliche Vorliegen dieses Auslieferungshindernisses Untersuchungen anzustellen hat. Grundsätzlich kann der ersuchte Staat darauf vertrauen, dass der ersuchende Staat einen Strafanspruch besitzt.806 Ist das Auslieferungshindernis bekannt, weil die Tat im ersuchten Staat abgeurteilt wurde, muss es jedenfalls berücksichtigt werden. Im Zweifel ist das Vorliegen des Auslieferungshindernisses innerhalb des ersuchten Staates schnell geklärt. Die Aburteilung in einem DrittSchengenstaat muss vom ersuchten Staat als Auslieferungshindernis, dh als fehlender Strafanspruch des ersuchenden Staates, berücksichtigt werden, wenn sie ihm bekannt ist.807 In Zweifelsfällen sollte der in Art 57 SDÜ geregelte Konsultationsmechanismus in Anspruch genommen werden. Auch der RB-HB anerkennt die internationale ne bis in idem Wirkung im Auslieferungs- bzw Übergabeverfahren. Die Aburteilung in einem Mitgliedstaat ist als obligatorisches, die Aburteilung durch einen Drittstaat als fakultatives Übergabehindernis geregelt. Darauf wird unten ausführlich eingegangen.808 Die ne bis in idem Bestimmung des Art 4 7. ZPMRK sowie Art 14 Abs 7 IPBPR gelten nach derzeitiger Auslegung nur im nationalen Kontext und nicht zwischenstaatlich.809 Hinsichtlich des anglo-amerikanischen Rechtsraumes ist hauptsächlich auf die USA zu verweisen. Dort kommt dem Doppelverfolgungsverbot – wie oben dargestellt810 – nur beschränkte innerstaatliche Wirkung zu. Zudem gilt ein bestehendes Verbot neuerlicher Verfolgung nur hinsichtlich des 803
804
805 806 807 808 809 810
Zu einer Auseinandersetzung mit den (österreichischen) verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidungen siehe oben Abschnitt 1.II.B.4.1.1. Siehe auch OLG Innsbruck NStZ 2000, 665; vgl Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner, in IRG Einl Rz 69 f. Außer es liegt ein Vorbehaltsfall nach Art 55 SDÜ vor. Vgl Schwaighofer, ÖJZ 1994, 305. Siehe auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 93. Abschnitt 2.III.B. Zum IPBPR vgl U.S. v Duarte-Acero, 208 f.3d 1282 (11th Cir. April 13, 2000). Abschnitt 1.II.B.5.1.
Auslieferungshindernisse
163
Strafverfahrens und wirkt sich nicht auf die Auslieferung aus. Doch haben die USA den ne bis in idem Grundsatz in einige Auslieferungsverträge mit kontinentalen Staaten aufgenommen.811 So enthält Art 6 des Auslieferungsvertrages zwischen den USA und Österreich eine ne bis in idem Klausel.812 Schwierigkeiten ergeben sich dennoch bei der Interpretation dieser Bestimmungen, da sich die Sperrwirkung nach US-amerikanischem Recht auf das verfolgte Delikt und nicht die Tathandlung bezieht. Manche Verträge legen fest, ob bei der Beurteilung das Recht des ersuchten oder des ersuchenden Staates anzuwenden ist. Fehlt eine entsprechende Bestimmung, so ziehen die Staaten jeweils ihr eigenes (nationales) Rechtsverständnis heran.813 Der Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Österreich enthält keine solche Bestimmung. Der Vertragstext ist zudem nicht eindeutig, da die deutsche und die englische Fassung abweichende Formulierungen enthalten. Der deutsche Text des Art 6 verbietet die Auslieferung bei erfolgter Aburteilung der strafbaren Handlung im ersuchten Staat, während die englische Version von der Aburteilung des Deliktes „offence“ ausgeht. Beide Fassungen sind ausdrücklich gleichermaßen authentisch. Nach der englischen Version ist daher eindeutig nur das abgeurteilte Delikt mit Sperrwirkung verknüpft. In der deutschen Übersetzung wurde die Formulierung „strafbare Handlung“ gewählt, es wird also auf die der Anklage zugrunde liegende Handlung abgestellt, die nach dem Recht beider Staaten strafbar sein muss. Nicht ausschlaggebend ist laut Art 2 Abs 4 lit a des Vertrages die rechtliche Qualifikation bzw Bezeichnung der strafbaren Handlung. Damit wird die Handlung und nicht das verwirklichte Delikt der ne bis in idem Wirkung zugrunde gelegt. Ein österreichisches Gericht kann die Auslieferung einer Person an die USA verweigern, wenn diese wegen einer strafbaren Handlung in Österreich abgeurteilt wurde, obwohl das amerikanische Recht dieses gleiche historische Ereignis rechtlich anders werten würde; insb dann, wenn die Handlung nach amerikanischem Recht einen zusätzlichen Tatbestand erfüllte.814 Großbritannien und Irland haben das EuAlÜbk – nicht aber das 1. Zusatzprotokoll – ratifiziert. Nunmehr sind auch die Bestimmungen der Art 54 ff SDÜ auf Großbritannien anwendbar. Eine formale Inkraftsetzung für Irland steht noch aus.815
811
812 813 814 815
Bassiouni, in International Criminal Law II 246, Wise/Podgor, International Criminal Law 446; zum Auslieferungsvertrag mit Luxemburg siehe United States v Jurado-Rodriguez, 907 f.Supp. 568 (E.D.N.Y. 1995). BGBl III 216/1999. Lopez, 33 Vand. J. Transnat’l Law 1283. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.5.1.4. Siehe dazu oben Abschnitt 1.I.B.2.3.
164
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
C. Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen 1. Rule of non inquiry und Exportverbot innerstaatlicher sowie regionaler Grundrechte oder Grundrechte als Schranken der Auslieferung? Eine zentrale und in jüngerer Zeit nicht nur in Europa verstärkt auftretende Diskussion betrifft die Frage, ob innerstaatliche oder regional gewährte Grund- und Menschenrechte – wie zB die der EMRK – im vertraglichen Auslieferungsverkehr – bei genereller Vertragspflicht – Anwendung finden und daher als Schranken wirken sollen, oder ob sie nur innerstaatlich oder regional gelten und damit sozusagen einem Exportverbot unterliegen. Letzteres würde bedeuten, dass entsprechend dem traditionellen angloamerikanischen Auslieferungsrecht die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens bzw der Strafen oder Behandlung im ersuchenden Staat nicht hinterfragt werden darf (rule of non inquiry)816. Im freien Auslieferungsverkehr ist die Anwendung der Grundrechte hingegen weitgehend unstrittig.817 Das „Nichthinterfragen“ des auf die Auslieferung folgenden Verfahrens und der Strafe bzw Behandlung im ersuchenden Land (durch das Auslieferungsgericht) war als „rule of non inquiry“ im anglo-amerikanischen Raum lange als vorrangiger Grundsatz anerkannt. Heute wird er weiterhin rigoros von den USA vertreten,818 während Großbritannien als EMRK-Staat der klar gegenläufigen EGMR-Rsp unterliegt und Kanada nunmehr seit 2001 durch die E United States v Burns819 davon abgekehrt ist. Diesem Grundsatz der non inquiry liegen folgende Überlegungen zugrunde: Zum einen gelte die eigene Verfassung nur innerhalb des eigenen Staatsgebietes, zum Teil wird auch vertreten, dass sie nur hinsichtlich dort begangener Straftaten Anwendung finde, weshalb sich dann auch amerikanische Staatsbürger im Auslieferungsverfahren wegen einer Auslandstat nicht darauf berufen können.820 Wendete man die eigene Verfassung im Auslieferungsverfahren an, so spreche man ihr eine extraterritoriale Geltung zu, die 816
817
818
819 820
Dazu ausführlich Powers, 37 Tex Int’l L.J. (2002) 314 ff, Rose, 27 Yale J. Int’l L. (2002) 193, Van Cleave, 13 Temp. Int’l & Comp.L.J. (1999) 27, Shea, 17 Yale J. Int’l L. (1992) 93 ff, Williams, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. (1991) 799, Lowenfeld, 23 N.Y.U. J.Int’l L. & Pol. (1991) 723. Für das deutsche Recht Lagodny, in IRG § 73 Rz 7 mwN; vgl auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 2 ff. Rose, 27 Yale J. Int’l L. 208 ff, Bassiouni, in International Criminal Law II 232 ff, der die rule zum Völkergewohnheitsrecht zählt. 1 S.C.R. (2001) 283, dazu Rose, 27 Yale J. Int’l L. 206 f. Neely v Henkel, 180 U.S. 109, 122 f. (1901), diese E begründete die Doktrin der non inquiry.
Auslieferungshindernisse
165
sie nicht besitze.821 Dies kann als Souveränitätsargument verstanden werden. ME steht es in engem Zusammenhang mit dem im anglo-amerikanischen Recht vorherrschenden Territorialitätsprinzip.822 Zum anderen wird als formales Argument angeführt, dass ein Auslieferungsverfahren kein Strafverfahren sei, in welchem die verfassungsrechtlichen Schranken zu beachten seien.823 Dieses Argument zeigt auch ein Abstellen auf die bloß zweidimensionale Sichtweise, nach der die Auslieferung ein rein zwischenstaatliches Verhältnis darstellt, in dem nur die beteiligten Staaten, nicht aber der Auszuliefernde, als Rechtssubjekte auftreten.824 Überdies wird die Gewaltenteilung als Argument herangezogen: Das Bestehen eines Auslieferungsvertrages weise auf das Vertrauen beider Vertragsparteien in die gegenseitige Rechtsstaatlichkeit hin, schließlich würden Auslieferungsverträge nur mit den Staaten geschlossen, deren Rechtsstaatlichkeit man anerkenne.825 Die Entscheidung der Exekutive, einen Auslieferungsvertrag mit einem bestimmten Staat abzuschließen, sei daher von den Gerichten grundsätzlich nicht zu hinterfragen. Diese hätten nur das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen, also der Auslieferungsfähigkeit zu überprüfen, wozu die beiderseitige Strafbarkeit sowie das Bestehen eines prima facie Falles826 zählen, nicht aber die Einhaltung der Grundrechte. Ob die Auslieferung letztendlich aus humanitären Gründen abzulehnen sei, falle ausschließlich in die Zuständigkeit der Exekutive, und zwar des für die Bewilligung zuständigen Außenministers, des Secretary of State.827 Nach dieser Auffassung
821
822 823
824 825
826 827
Canada v Schmidt, 1 S.C.R. (1987) 530; aM Justice Wilson in ihrem Dissent zu der Schmidt E, 1 S.C.R. (1987) 532 f. Dazu oben Abschnitt 1.II.A.2.1. Vgl für Deutschland ebenso Vogler, Auslieferungsrecht 207, mit dem Argument, dass das Auslieferungsverfahren für die Frage nach der Schuld bzw Unschuld keinen Raum ließe. Auf das anglo-amerikanische Recht trifft dies gerade nicht zu, denn dort führt die Voraussetzung der prima facie Überprüfung zu einer vorgelagerten Schuldprüfung, dazu unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Dazu oben Abschnitt 1.I.A.3. Glucksman v Henkel, 221 U.S. 508, 512 (1911), Ahmad v Wigen, 726 f.Supp. 389, 411 (E.D.N.Y. 1989), aff’d, 910 f.2d 1063 (2d Cir. 1990), ebenso BVerfG EuGRZ 2003, 519, 521; Van der Wilt, in Handbook 85. Dazu unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Gallina v Fraser, 278 f.2d 77, 78 (2d Cir. 1960), Ahmad v Wigen, 726 f.Supp. 389 (E.D.N.Y. 1989), aff’d, 910 f.2d 1063 (2d Cir. 1990), der Betroffene wandte erfolglos ein, im ersuchenden Staat Israel der Folter bzw unmenschlichen Strafe unterworfen zu werden; zustimmend auch Lowenfeld, 23 N.Y.U. J.Int’l L. & Pol. (1991)748, darstellend Bassiouni, in International Criminal Law II 234; kritisch Powers, 37 Tex. Int’l L.J. 314 f und 326 f; für Kanada (vor der Burns E) siehe Argentina v Mellino, 33 C.C.C. 3d 334, 345 (1987) (S.C.C.), United States v Kindler, 22 C.C.C. 3d 90 (Que S.C. 1985); Williams, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. 799 (815 ff); siehe auch Keijzer, in Handbook 187 f hinsichtlich der ähnlichen nieder-
166
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
wird der Judikative die Interpretation der Auslieferungsverträge entzogen und alleine der Exekutive zuerkannt. Zudem wird vorgebracht, dass man sich bei der Interpretation von Auslieferungsverträgen nach ihrem Sinn und Zweck zu richten habe, der gerade in der vereinfachten gegenseitigen Übergabe von Straftätern zur internationalen Verbrechensbekämpfung liege, weshalb Beschränkungen möglichst restriktiv anzuwenden seien und der Auslieferung im Zweifel Vorrang zukomme.828 Der kanadische Supreme Court hat bereits vor der – vom Prinzip der non inquiry abkehrenden – Burns E829 zumindest inzidenter ein der gerichtlichen Prüfung unterliegendes Auslieferungshindernis bei bestehender Vertragspflicht bejaht, wenn im ersuchenden Staat eine Behandlung drohe, die das Gewissen der Menschheit schockiere, bzw gegen die fundamentalen Rechtsprinzipien verstoße.830 Damit scheint der Supreme Court eine ius cogens Lösung anzusprechen, da dem universellen zwingenden Völkerrecht zurechenbare Prinzipien über dem Völkervertragsrecht stehen.831 (Diese ius cogens Lösung wird im Folgenden noch dargelegt.) Im Vergleich dazu stellte ein US-amerikanisches Rechtsmittelgericht lediglich in den Raum, dass es Fälle geben könnte, die den Vorstellungen des Gerichtes von Anstand so widersprächen, dass sie ein Überdenken des non inquiry Grundsatzes erforderlich machten.832 Unklar bleibt hier, ob das Gericht auf einen völkerrechtlichen Mindeststandard oder auf einen innerstaatlichen Kernbereich abstellt. Hinsichtlich des deutschen und österreichischen Auslieferungsrechts kann nicht von der Geltung des non inquiry Prinzips gesprochen werden, da die drohende Verletzung bestimmter Grund- und Menschenrechte der Auslieferung jedenfalls entgegensteht. Im Schrifttum wie auch in der Rsp beider Länder finden sich aber zum Teil Übereinstimmungen mit dem angloamerikanischen Ansatz, zumindest hinsichtlich bestimmter Argumentationsansätze.833 Nach bisheriger hL und Rsp galten die im deutschen GG und der
828 829 830
831 832
833
ländischen Rechtslage. Zur Bewilligung der Auslieferung siehe unten Abschnitt 1.VI.F.5. Siehe die Besprechung bei Williams, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. 799 (801 ff). 1 S.C.R. (2001) 283. “… that shock the conscience, or violate the principles of fundamental justice…”, Canada v Schmidt, 1 S.C.R. (1987) 520 ff. Zum ius cogens siehe oben Abschnitt 1.I.B.5.1. „… situations … so antipathetic to a federal court’s sense of decency as to require a reexamination of the principle…“, Gallina v Fraser, 278 f.2d 77, 78 f (2d Cir. 1960), vgl In re Singh, 123 f.R.D. 127, 132 (D.N.J. 1987), wonach die Gallina E nur als Vorschlag aufzufassen sei, den Grundsatz unter bestimmten Umständen zu überdenken. Vgl BVerfG EuGRZ 2003, 519, 521 hinsichtlich der Bedeutung des Bestehens eines Auslieferungsvertrages für die Einschätzung der Rechtsstaatlichkeit des ersu-
Auslieferungshindernisse
167
österreichischen Verfassung verbrieften Menschenrechte jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit als Schranken im Auslieferungsverfahren. In Österreich hat sich aber durch die Änderung des ARHG im Zuge des StRÄG 2004 insofern eine Neuerung ergeben, als der neu gefasste § 33 ARHG den über die Zulässigkeit entscheidenden Richter ausdrücklich zur Beachtung der aus der Verfassung fließenden subjektiven Rechte des Betroffenen verpflichtet.834 Zunächst soll aber auf die in der deutschen und bereits vor dem StRÄG 2004 in der österreichischen Rechtsordnung anerkannten grundrechtlichen Auslieferungsschranken eingegangen werden. Das deutsche IRG enthält in § 73 als Generalklausel eine ordre public Bestimmung, wonach eine Auslieferung, die den „wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung“ widerspricht, unzulässig ist. Diese Bestimmung stellt eine vom Auslieferungsgericht zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung dar. Im vertraglichen Auslieferungsverkehr, dh in manchen deutschen Auslieferungsverträgen, fehlen aber entsprechende Bestimmungen. Ebenso ist eine solche ausdrückliche Bestimmung nicht im EuAlÜbk vorgesehen.835 Das deutsche BVerfG anerkennt die Geltung dieser ordre public Klausel des § 73 IRG im vertraglichen Auslieferungsverkehr nur insoweit, als sie sich auf einen völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard bezieht, der nur einen Kernbereich und zwar nur die „unabdingbaren Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung“ Deutschlands enthält.836 Auch der BGH anerkennt eine völkerrechtliche Grundrechtsschranke im Auslieferungsrecht.837 Das österreichische ARHG sah bis zur Änderung des § 33 ARHG, der nunmehr zur Berücksichtigung der Bundesverfassung verpflichtet,838 für den freien Auslieferungsverkehr einzelne gesetzlich definierte grundrechtliche Auslieferungshindernisse vor, die der Prüfungskompetenz des Auslieferungsgerichts unterliegen. Diese Bestimmungen gelten auch weiterhin. Zunächst enthält § 22 ARHG eine sog Härteklausel, nach der die Auslieferung abzulehnen ist, wenn sie den Auszuliefernden im Verhältnis zur Schwere seiner Straftat wegen seines jugendlichen Alters, seit längerem bestehenden inländischen Wohnsitzes oder aus anderen schwerwiegenden, in seinen persönlichen Verhältnissen liegenden Gründen offenbar unverhältnismäßig hart
834 835 836 837
838
chenden Staates, OGH EvBl 2002/154 mit Anm Bertel=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller. So auch Rosbaud, in IRG, ARHG § 33 Rz 4. Vogel, in IRG-K § 73 Rz 8. BVerfG EuGRZ 2003, 518, 520, EuGRZ 1983, 274, 276. JZ 2002, 464 mit Anm Vogel, zur deutschen Rsp Wolff, StV 2004, 156; siehe die ausführlichen Nachweise und die angeschlossene Kritik bei Vogel, in IRG-K § 73 Rz 51 ff, sowie bei Lagodny, in IRG § 73 Rz 11. BGBl I 15/2004.
168
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
träfe.839 Diese Bestimmung lässt sich va auf Art 3 und 8 EMRK zurückführen.840 Daneben gelten nach §§ 19 und 20 ARHG im ersuchenden Staat zu erwartende (oder bereits geschehene) Verstöße gegen Art 3 und 6 EMRK, sowie gegen das Verbot der Todesstrafe ausdrücklich als der Zulässigkeit widersprechende Auslieferungshindernisse. Nicht alle von Österreich geschlossenen Auslieferungsverträge enthalten jedoch entsprechende Bestimmungen, so fehlt zB im EuAlÜbk eine Art 22 ARHG entsprechende Härteklausel. Das österreichische ARHG enthält zudem in § 2 einen allgemeinen Vorbehalt, nachdem ein Auslieferungsersuchen abzulehnen ist, wenn dadurch die „öffentliche Ordnung“ oder „andere wesentliche österreichische Interessen“ verletzt werden. Dieser Vorbehalt wird im Schrifttum als ordre public Klausel bezeichnet.841 Denn es wird davon ausgegangen, dass sich der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ mit dem ordre public deckt,842 und dieser auf die „wesentlichen Grundsätze der österreichischen Rechtsordnung“ abstellt und insofern die elementaren Ge- und Verbote des Grundrechtsschutzes betrifft.843 Dazu ist folgendes anzumerken: Bisher wurde generell angenommen, dass sich § 2 ARHG in seiner Gesamtheit zunächst an den über die Bewilligung entscheidenden BMJ richtet. Das ergab und ergibt sich auch seit dem StRÄG 2004 weiterhin insb daraus, dass § 30 ARHG, der das verwaltungsbehördliche Bewilligungsverfahren regelt, ausdrücklich auf § 2 ARHG verweist. Das würde bedeuten, dass der BMJ sowohl über den in der „öffentlichen Ordnung“ enthaltenen ordre public als auch über „andere wesentliche (politische) Interessen der Republik Österreich“ zu entscheiden hätte. Seit dem VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/2002844, welchem durch das darauf folgende StRÄG 2004 grundsätzlich – bis auf den missglückten Verweis in § 30 ARHG – Rechnung getragen wurde, ist klargestellt, dass eine doppelte Kompetenz des Gerichtes und des BMJ gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstößt und ausschließlich das Gericht über die inner- und zwischenstaatlichen Auslieferungshindernisse zu befinden hat, die sich auf die Rechtsstellung des Betroffenen beziehen. Daraus ergibt sich, dass sich der Vorbehalt in § 2 ARHG, soweit er auf die „öffentliche Ordnung“ und damit
839 840 841
842 843
844
Zur Härteklausel siehe unten Abschnitt 1.IV.C.4.3. Linke, Grundriss 45. Siehe Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 406, Schwaighofer, Auslieferung 48 f. So auch der JAB 144 BlgNR XV. GP. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 48 ff. Zur Umschreibung des regionalen ordre public siehe auch oben Abschnitt 1.I.B.5.3. =JBl 2003, 437.
Auslieferungshindernisse
169
den ordre public abstellt, ausschließlich an das über die Zulässigkeit entscheidende Gericht richtet. Der BMJ hat hingegen nur die in § 2 ARHG genannten „wesentlichen Interessen der österreichischen Republik“ im Sinne der völkerrechtlichen Beziehungen und der politischen Erwägungen bei der Bewilligungsentscheidung zu beachten. Es wäre daher anlässlich des StRÄG 2004 eine Änderung und Klarstellung des § 30 ARHG insofern sinnvoll gewesen, als nur der Verweis auf die in § 2 enthaltenen „anderen wesentlichen Interessen“ in diese Bestimmung hätte aufgenommen werden sollen.845 Bis zur Änderung der Rechtslage durch das StRÄG 2004 ging auch die hL in Österreich davon aus, dass Grundrechte im vertraglichen Auslieferungsverkehr nur in dem Maße zu beachten seien, als sie den „grundrechtlichen Kernbereich der EMRK“ betreffen.846 Der österreichische OGH ist zuletzt sogar noch davon ausgegangen, dass ausschließlich jene Verstöße, welche im ARHG ausdrücklich unter den Zulässigkeitsvoraussetzungen genannt sind, wie Verletzungen der in §§ 19 und 20 ARHG aufgezählten Konventionsrechte (Art 3 und 6 EMRK und das Verbot des Todesstrafe) vom Auslieferungsgericht als Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen seien.847 Ein weiteres Prüfungsermessen stünde allenfalls nur dem BMJ zu. Diese begrenzte Auslegung wurde jedoch vom VfGH ausdrücklich abgelehnt: Anlässlich einer Beschwerde gegen die genannte OGH E hat der VfGH in VfSlg 16772/2002848 und daraufhin auch der Gesetzgeber durch das StRÄG 2004849 festgestellt, dass das Gericht alle sich aus den zwischenstaatlichen Vereinbarungen und dem innerstaatlichen Recht ergebenden Auslieferungshindernisse zu prüfen hat. Denn gem § 33 Abs 3 ARHG ist der Richter nunmehr ausdrücklich dazu verpflichtet, „die Zulässigkeit der Auslieferung in rechtlicher Hinsicht einschließlich aller sich aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden Voraussetzungen und Hindernisse … umfassend unter dem Gesichtspunkt der der betroffenen Person nach Gesetz und Bundesverfassung zukommenden subjektiven Rechte zu prüfen“. § 33 Abs 3 ARHG ist insofern als formell- und materiellrechtliche Mischnorm zu
845 846
847
848 849
Siehe dazu Abschnitt 1.VI.F.5. Matscher, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002, Burgstaller, JBl 2002, 676 Anm zu 14 Os 8/02, ebenso die Generalprokuratur in ihrer NBzWdG, die zu eben dieser Entscheidung führte, wiedergegeben in OGH EvBl 2002/154 mit Anm Bertel=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller. OGH EvBl 2002/154 mit Anm Bertel=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller in Bezug auf den nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung zu prüfenden Art 2, 7. ZPMRK. Dagegen fällt Art 8 EMRK nach einer etwas älteren OGH E unter diese gerichtlich zu beachtenden Auslieferungshindernisse, obwohl diese Bestimmung in § 22 ARHG nicht ausdrücklich genannt ist: OGH JBl 2001, 331 mit Anm DedeyneAmann, zu Anerkennung des Art 5 EMRK siehe OLG Wien EuGRZ 1996, 214. =JBl 2003, 437. BGBl I 15/2004.
170
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
verstehen, die einerseits eine Zuständigkeitsverteilung vornimmt, andererseits aber den gerichtlichen Prüfungsumfang anlässlich der Zulässigkeitsentscheidung im Auslieferungsverfahren inhaltlich bestimmt. Dies zeigt sich aufgrund der Systematik des § 33 ARHG, der in Abs 2 den inhaltlichen Prüfungsumfang des Gerichtes in Bezug auf den hinreichenden Tatverdacht, in Abs 3 den Prüfungsumfang in Bezug auf die Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse regelt. Beide Bestimmungen gelten auch im vertraglichen Auslieferungsverkehr, außer der jeweilige Vertrag sieht diesbezüglich etwas Gegenteiliges vor (§ 1 ARHG). Wird die Tatverdachtsprüfung oder aber die Prüfung bestimmter Grundrechte im Vertrag nicht ausdrücklich angegeben, so bedeutet dies gerade nicht, dass der Vertrag etwas anderes vorsieht. Dass § 33 Abs 3 ARHG nicht auf die Prüfung im freien Auslieferungsverkehr beschränkt ist, offenbart sich auch bereits aus dem Gesetzestext, der nicht auf die nur nach diesem Gesetz, also dem ARHG, zu prüfenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen verweist. Vielmehr nennt § 33 Abs 3 ARHG ausdrücklich die sich aus den zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden (Auslieferungs-)Voraussetzungen und Hindernisse, die wiederum umfassend unter dem Gesichtspunkt der nach Gesetz und Verfassung zukommenden subjektiven Rechte zu prüfen sind. Es wird daher ausdrücklich auf die jeweiligen Auslieferungsverträge Bezug genommen und eine Prüfung der Grundrechte auch diesfalls vorgeschrieben. Es ergibt sich daher aus der Wortlautinterpretation wie auch aus einer teleologischen und historischen Interpretation, dass nicht nur die dem Kernbereich zuordenbaren, sondern alle sich aus der Verfassung ergebenden subjektiven Rechte der gerichtlichen Prüfungskompetenz im freien wie auch im vertraglichen Auslieferungsverkehr zu unterstellen sind.850 Damit sind auch alle in der EMRK verankerten Grundrechte auslieferungsrelevant. In den Materialien ist hierzu angegeben, dass nicht nur die in den Auslieferungsverträgen bzw im innerstaatlichen Auslieferungsgesetz ausdrücklich erwähnten drohenden Grundrechtsverletzungen als Auslieferungshindernisse zu prüfen sind, sondern auch die Grundrechtsbestimmungen der EMRK, deren drohende Verletzung nach der Rsp des EGMR einer Auslieferung entgegen steht.851 ME ist nicht ersichtlich, warum nur jene Konventionsrechte als Auslieferungshindernisse gelten sollen, hinsichtlich welcher eine entsprechende Rsp des EGMR besteht. Schließlich stecken die Konvention und damit auch der EGMR durch seine Rsp nur die äußersten Grenzen ab. Es ist den innerstaatlichen Gerichten unbenommen, den Schutzbereich eines Konventionsrechtes weiter zu interpretieren. Eine Verletzung der Auslieferungspflicht ergibt sich nicht, da die Konventionsrechte als solche bereits bestehen und sie die Auslieferung nach klarem gesetzgebe-
850 851
So auch Rosbaud, in IRG, ARHG § 33 Rz 4, Hollaender, Beschwerde 28. EBRV 294 BlgNR XXII. GP 33.
Auslieferungshindernisse
171
rischem Willen beschränken. Die Interpretation ihres Schutzbereiches kann und muss insofern auch das innerstaatliche Gericht vornehmen. Schließlich ist es zur Auslegung der Rechtsnormen berufen. Nach österreichischem Recht ist daher nunmehr davon auszugehen, dass grundsätzlich alle aus der Verfassung ableitbaren subjektiven Rechte auch der vertraglichen Auslieferung entgegenstehen können und insofern keine Beschränkung auf den Kernbereich der EMRK besteht. Das deutsche Recht und die bisherige hL und Rsp in Österreich anerkennen im vertraglichen Auslieferungsverkehr nur die Geltung eines auf den Kernbereich begrenzten, völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards. Unklar ist hinsichtlich dieser Auffassungen, ob dieser Kernbereich dem ius cogens entspricht, was als zwingendes Völkerrecht jedenfalls entgegenstehenden Vertragsverpflichtungen vorgeht, oder ob er weiterreicht.852 Die innerstaatlichen Grundrechte in ihrer Gesamtheit jedoch scheinen zumindest nach deutschem Recht insoweit einem „Exportverbot“ zu unterliegen.853 Dies wird in Deutschland mit dem Souveränitätsargument begründet, das die Rücksichtnahme auf fremde Rechtsordnungen ge- und einen „Grundrechts-Imperialismus“ verbietet.854 Auch würde der Staat ansonsten dem eigenen Recht über den Umweg der Auslieferung zur Allgemeinverbindlichkeit verhelfen.855 Das Exportverbot der Grundrechte ist insb auf das überholte zweidimensionale Modell der Auslieferung zurückzuführen, nach dem die Auslieferung historisch einen zweiseitigen völkerrechtlichen Vertrag zwischen zwei Staaten darstellt, in dem der Betroffene kein Partizipant mit Subjektstellung ist und Grundrechtsschranken daher nur zu beachten sind, wenn sie auch vertraglich vereinbart wurden.856 Untermauern lässt sich diese einschränkende Auffassung einerseits anhand von Art 27 WVK, der besagt, dass die Nichterfüllung eines Vertrages nicht mit entgegenstehendem innerstaatlichem Recht gerechtfertigt werden kann, und andererseits anhand von Art 53 Satz 1 WVK, der bestimmt, dass zwingendes Völkerrecht (ius cogens) dem Völkervertragsrecht vorgeht.857 In852
853
854
855
856 857
Dazu Vogler, in IRG-K § 73 Rz 7 ff (aL), der selbst von der Geltung einer „ius cogens Schranke“ ausgeht, siehe dazu auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 9, insb 33 ff und 36 ff; siehe auch oben Abschnitt 1.I.B.5.1. Vogel, IRG-K § 73 Rz 27, demzufolge der nationale ordre public den vertraglichen Auslieferungspflichten nicht entgegensteht; zum Ausdruck „Exportverbot“ siehe Lagodny, in IRG § 73 Rz 14a, ders, Rechtsstellung 213. Vogler, NJW 1994, 1436, ders, Auslieferungsrecht 192 unter Verweis auf den BverfG. Es ist auch von der Diskriminierung fremder Rechtsordnung und chauvinistischer Überheblichkeit die Rede, Vogler, Auslieferungsrecht 209. Vogler, in IRG-K § 73 Rz 4, 8, (aL) und § 8 Rz 8, vgl aber BGH JZ 2002, 464 insb 465. Zu einer kritischen Auseinandersetzung damit oben Abschnitt 1.I.A.3. Dazu oben Abschnitt 1.I.B.5.1.
172
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
sofern scheint das Exportverbot der eigenen Grundrechte neben der Anerkennung eines völkerrechtlichen (zwingenden) Mindeststandards den Konflikt zwischen der Vertragserfüllungspflicht einerseits und der Verpflichtung zur Wahrung der eigenen Verfassung andererseits zu lösen und mit dem zweidimensionalen Verhältnis in Einklang zu stehen.858 Doch geschieht diese Lösung ausschließlich zugunsten des Völkerrechts, während die innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen vollkommen negiert werden. Zudem ergeben sich Schwierigkeiten daraus, dass dieser völkerrechtliche Mindeststandard umstritten bzw dass nicht geklärt ist, ob sich dieser überhaupt mit dem Umfang des geltenden ius cogens deckt, oder er, wie zum Teil im Schrifttum vertreten, über dessen Gehalt hinausreicht. Denn für manche besteht, und dies scheint als völkerrechtliche Interpretation angedacht zu sein, neben dem universellen auch ein regionales ius cogens, worunter manche (aber nicht unbedingt alle) Grundrechtsgarantien der EMRK zu subsumieren sind, und welches im Hinblick auf seine Durchschlagskraft auf Auslieferungsverträge (auch mit außerregionalen Staaten) universellem ius cogens gleichzuhalten sei. Dass diese umfassende Durchschlagskraft nicht aus einer völkerrechtlichen Interpretation insb aus Art 53 WVK abzuleiten ist, wurde bereits zu Beginn dieser Arbeit dargestellt.859 Vielmehr muss auch als Begründung für diese Ansicht auf eine verfassungskonforme Interpretation und formelle Kriterien, insb auf das Gebot faktischer Effektivität860, zurückgegriffen werden, die im Ergebnis auch zu einer Geltung der innerstaatlichen Grundrechte, des innerstaatlichen ordre publics, im vertraglichen Auslieferungsverkehr führen müssen. Für andere kann sich der im Auslieferungsverfahren zu beachtende völkerrechtliche Mindeststandard nur auf das universelle ius cogens beziehen und ist dementsprechend eng zu begrenzen.861 Dies stellt aus rein völkerrechtlichen Gesichtspunkten, insb unter Bedachtnahme auf Art 53 WVK, die korrekte Auffassung dar. Sie ist aber ebenso unter Hinweis auf gleichermaßen zu berücksichtigende verfassungsrechtliche Aspekte abzulehnen. Problematisch ist an dieser Ansicht zudem, dass bereits der Gehalt des ius cogens umstritten ist und keine klaren Definitionen bestehen.862 Nach heute hM fal858 859 860 861
862
Vogler, Auslieferungsrecht 220, ders, in IRG-K § 73 Rz 7 f (aL). Abschnitt 1.I.B.5.2.; siehe auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 37. Dazu Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 75. Für Vogler, Schmitt FS 392, ders, Auslieferung 227, ders, in IRG-K § 73 Rz 12, 14 ff, 28 ff (aL) zählt Art 3 EMRK zum zwingenden Völkerrecht. Daneben können einzelne in Art 6 EMRK gewährte Verteidigungsrechte darunter fallen, wie das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht und das Verbot von Abwesenheitsurteilen, dazu unten Abschnitt 1.IV.C.3.2. und Abschnitt 1.IV.C.3.3. Dazu ausführlich oben Abschnitt 1, III.4.1.; Lagodny, in IRG § 73 Rz 33 f, Vogel, in IRG-K § 73 Rz 35.
Auslieferungshindernisse
173
len darunter jedenfalls das Folterverbot iVm dem Verbot von unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, das Verbot des Sklavenhandels sowie des Völkermordes. Doch zeigen aktuelle Bestrebungen, dass sogar an der Zugehörigkeit des Folterverbotes zum zwingenden Völkerrecht gezweifelt wird.863 So existieren Bestrebungen dahingehend, Folter nur im Wiederholungsfall strafbar zu machen, sowie sie zum Schutz übergeordneter Interessen insb zur Gefahrenabwehr und Terrorismusbekämpfung zu rechtfertigen bzw zu erlauben. Diese Einschränkungen sind entschieden abzulehnen. Die zwingende Natur des Folterverbotes steht auch aufgrund seiner umfassenden, weltweiten Verankerung in den Völkerrechtskonventionen insb der UN-Folterkonvention außer Frage.864 Im Folgenden soll die Problematik der Begrenzung auf den völkerrechtlichen Mindeststandard, unabhängig davon, ob sich dieser nun auf universelles oder auch regionales ius cogens bezieht, und des Exportverbotes innerstaatlicher Grundrechte aufgezeigt werden. Vorweg ist festzustellen, dass das völkerrechtliche Dürfen alleine das innerstaatliche Dürfen nicht begründen kann. Die genannte Begrenzung bewirkt anstatt eines Imports fremder Grundsätze eine einschränkende Interpretation der eigenen Grundrechte zugunsten anderer Staaten, wobei fraglich ist, ob das Völkerrecht hierzu verpflichtet.865 Auch ist das Argument nicht stichhaltig, dass damit der eigenen Rechtsordnung zur Allgemeinverbindlichkeit verholfen bzw den anderen Staaten der Respekt versagt werde, ihr Verfahren und ihre Sanktionen frei zu wählen.866 Zum einen wird die eigene Rechtsordnung schon deshalb nicht allgemein verbindlich, weil nicht dem ersuchenden Staat der eigene Maßstab oktroyiert wird, sondern dieser Maßstab nur innerstaatlich Anwendung findet, insb indem man den Betroffenen, anstatt ihn auszuliefern, im Rahmen der stellvertretenden Strafrechtspflege einem rechtsstaatlichen Verfahren zuführt. Zum anderen ist es jedem Staat unbenommen, seine Rechtsordnung nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, und mit den sich auf seinem Hoheitsgebiet befindlichen Personen danach zu verfahren. Dies respektiert der ersuchte Staat, und er achtet diese Souveränität auch dann, wenn er eine 863
864 865 866
Zu den Bestrebungen siehe einen entsprechenden Antrag der italienischen Regierung: ORF online: http://orf.at/040511-74145/index.html, bzw die in Spiegel online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,299381,00.html abgedruckten Aussagen. Hier ist zudem insb auf die anlässlich des in Deutschland geschehenen „Frankfurter Falles“ (siehe den Ausdruck bei Saliger, ZStW 116 (2004) 37 ff) vorgebrachten Rechtfertigungs- bzw Tatbestandsausschließungsgründe zu verweisen, Miehe, NJW 2003, 1219 f, Schreiber, NJW 2003, 12, 16, Brugger, JZ 2000, 165 ff; ablehnend Perron, in Weber FS 143 ff, Saliger, ZStW 116 (2004) 39, 45 ff. Siehe dazu ausführlich unten Abschnitt 1.IV.C.2.2.1. Dazu unten Abschnitt 1.IV.C.2.2.1. Lagodny, Rechtsstellung 214 ff, ders, in IRG § 73 Rz 17. So Ballhausen, NJW 1988, 2656, Vogler, in IRG-K § 8 Rz 8, ders, Auslieferungsrecht 215.
174
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Auslieferung ablehnt. Er selbst darf aber niemanden einer, von einem anderen Staat gewählten, aber gegen die eigenen Grundrechte verstoßenden Behandlung zuführen. Die eigenen Grundrechtsgarantien wären illusorisch, dürften sie bei der Übergabe an einen anderen Staat keine Berücksichtigung finden. Das bedeutet, dass der Staat und insb seine Gerichte keine Akte setzen dürfen, die in direkter Konsequenz zu einem Grundrechtsverstoß führen, da sie ihm zuzurechnen sind. Davon geht auch der EGMR seit der E Soering v United Kingdom867 in Bezug auf die Vorgaben der Konvention aus, womit er dieser – insb hinsichtlich Art 2, 3, 5, 6 und 8868 – eine extraterritoriale Wirkung zuerkennt, die auch im Auslieferungsrecht zu beachten ist:869 Die Grundrechtsgarantien hätten nicht viel Wert, wären sie nur auf die von den Organen des Mitgliedstaates unmittelbar selbst ausgeführten Verstöße anzuwenden, während die aktive „Übergabe“ an einen Drittstaat, im Bewusstsein, dass dieser die Konventionsrechte des Betroffenen verletzt, nicht zur Verantwortlichkeit führte.870 Die Verantwortung kann nicht mit dem Verweis auf die Verletzung in einem anderen Staat außerhalb der eigenen Zuständigkeit abgetan werden. Sind die Folgen der Auslieferung im ersuchenden Staat vorhersehbar, so hat der ausliefernde Staat daran mitgewirkt und daher ebenfalls eine Grundrechtsverletzung begangen.871 Der Grundsatz der faktischen Effektivität der Garantien der EMRK gebietet diese Vorgangsweise.872 Auf dieses Argument wird unten anlässlich der Besprechung der Todesstrafe als Auslieferungshindernis ausführlich eingegangen.873 Zurecht hebt Lagodny hervor, dass die multilateralen Menschrechtskonventionen EMRK und IPBPR aber jeweils nur Mindeststandards und folglich auch Meistbegünstigungsklauseln enthalten, nach denen weitergehende 867 868
869
870
871
872 873
Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217). In Bezug auf diese Grundrechtsgarantien wurde die extraterritoriale Wirkung ausdrücklich festgestellt. Kritisch dazu Matscher, in Trechsel FS 28 ff; für die Geltung der EMRK im vertraglichen Auslieferungsverkehr Vogel, in IRG-K § 73 Rz 50. Siehe EGMR Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 85 ff; ebenso UN-Menschenrechtsausschuss in Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/D/470/1991 (1993), 98 I.L.R. 426, 446 (1994), Ng v Canada, Communication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993), 98 I.L.R. 473 (1994). Ausführlich Lagodny, Rechtsstellung 115 f, vgl auch für Österreich Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 753; aM Vogler, Auslieferungsrecht 202, der die „Beihilfe“ des ersuchten Staates wohl unter Berücksichtigung des in Deutschland geltenden Teilnahmesystems, bzw der Akzessorietät ablehnt, siehe auch 211 f mit Verweis auf Morvay. Siehe diesen Ausdruck bei Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 57. Abschnitt 1.IV.C.2.1.3.
Auslieferungshindernisse
175
innerstaatliche Regelungen nicht durch einen Verweis auf den geringeren Schutz der Konvention beschränkt werden dürfen.874 Ebenso entscheidet der EGMR über die Konventionsrechte einzelfallbezogen und steckt nur die äußersten Grenzen ab. Er sichert bloß einen Mindeststandard. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die Weiterentwicklung der Grundrechte nicht durch die Berufung der Einzelstaaten auf die Erfüllung dieses völkerrechtlichen Mindeststandards gehemmt wird. Die sich aus dem Abstellen auf die völkerrechtliche Vertragserfüllungspflicht ergebende, im US-amerikanischen Recht verfestigte, ausschließliche Verlagerung auf die vertragsschließende Exekutive führt dazu, dass allein diese im Auslieferungsrecht zur Erhaltung und Achtung der Grundrechte berufen ist. Doch ist auch die Judikative an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden und darf deren Einhaltung bei der Entscheidungsfindung nicht im bloßen Vertrauen darauf unberücksichtigt lassen, dass die Exekutive die Vorgaben bei der Vertragsschließung (bzw die genehmigende Legislative) beachtet hat bzw bei der Entscheidung über die Bewilligung der Auslieferung beachten wird.875 Im Gegenteil, die Gerichte selbst haben die innerstaatliche Ermächtigung zur Auslieferung zu prüfen, während die völkerrechtliche Verpflichtung von der Exekutive zu berücksichtigen ist. Die Gerichte haben sich bei der Zulässigkeitsentscheidung an die Verfassung zu halten, die in der innerstaatlichen Rangordnung höherwertig ist als ein Gesetz bzw ein völkerrechtlicher Vertrag. Stehen der Auslieferung Grundrechtsschranken entgegen, fehlt die innerstaatliche Ermächtigung und ist die Auslieferung iS einer verfassungskonformen Interpretation gerichtlich abzulehnen.876 Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung der eigenen verfassungsrechtlich gewährleisteten Menschenrechte nicht außer Acht gelassen werden kann, auch wenn manche darin einen ungerechtfertigten, unzulässigen Verstoß gegen die völkerrechtliche Vertragserfüllungspflicht sehen. Denn auch unter dieser Prämisse hat letztendlich eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter stattzufinden, deren Ergebnis ein Überwiegen der Menschenrechte – insb des Rechtes auf Leben, auf ein faires Verfahren, das Verbot der Folter usw, – über die vertraglichen Rechte des ersuchenden Staates aufzeigen muss.877 Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Anerkennung der Grundrechtsschranken im Auslieferungsverfahren nicht dazu führen, dass Verdächtige ungeschoren davon kommen und für sie insofern ein sicherer Hafen geschaffen würde. In all diesen Fällen hat der ersuchte Staat seiner aus dem Grund874
875 876 877
Lagodny, in IRG § 73 Rz 17. Zum Bewilligungsverfahren siehe unten Abschnitt 1.VI.F.5. Lagodny, in IRG § 73 Rz 30. Lagodny, in IRG § 73 Rz 43. Vgl Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.a.
176
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
satz aut dedere aut punire (bzw judicare)878 fließenden (stellvertretenden) Verfolgungspflicht nachzukommen, die in Österreich und Deutschland, wie in den meisten kontinentaleuropäischen Staaten, durch das Instrument der stellvertretenden Strafrechtspflege879 ausreichend verankert ist. Lehnt Österreich die Auslieferung zB wegen einer drohenden Folter ab, so ist es grundsätzlich nach § 65 Abs 1 Z 2 StGB selbst zur Verfolgung verpflichtet.880 Es lässt sich daher zusammenfassen, dass nach der hier vertretenen Auffassung erstens zwingendes Völkerrecht jedem Völkervertragsrecht vorgeht, zweitens auch entgegenstehende regionale Grundrechte als unabdingbare Werte (dh als zwingendes regionales Völkerrecht bzw als regionaler ordre public), wie die Grundrechte der EMRK, den Vertragsverpflichtungen mit Drittstaaten vorgehen und dass drittens auch die in Verfassungsrang stehenden innerstaatlichen Grundrechte (nationaler ordre public) bei der Auslieferung iS einer verfassungskonformen Interpretation zur Anwendung gelangen und insofern widersprechenden Vertragsverpflichtungen vorgehen müssen. Im Zuge der Besprechungen der einzelnen Auslieferungshindernisse, insb anlässlich der Darstellung der Todesstrafe, wird nochmals auf diese Problemstellung konkret eingegangen. Die Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers, durch das StRÄG 2004 die Zulässigkeitsentscheidung des Gerichtes nach § 33 Abs 3 ARHG neben der Anknüpfung an zwischenstaatliche Vereinbarungen ausdrücklich an die dem Betroffenen nach Gesetz und Verfassung zukommenden subjektive Rechte zu koppeln, ist daher vollends zu begrüßen. Österreich nimmt damit eine Vorreiterrolle im kontinentaleuropäischen Auslieferungsrecht ein, wie bereits anlässlich der Schaffung des ARHG 1979, mit dem das Auslieferungsrecht damals ausdrücklich den fundamentalen Prinzipien der EMRK untergeordnet wurde. 2. Auslieferungshindernisse aufgrund der drohenden Art der Behandlung bzw Strafe 2.1. Todesstrafe – death penalty 2.1.1. Keine universelle Geltung des Verbotes der Todesstrafe Das Verbot der Todesstrafe gilt (anders als das Folterverbot) nach hA bis heute noch nicht als zwingendes Völkerrecht,881 weshalb daraus jedenfalls 878 879 880 881
Siehe dazu Wise, in Bassiouni International Criminal Law II 17 ff. Abschnitt 1.II.A.2.6. Zur stellvertretenden Strafrechtspflege siehe oben Abschnitt 1.II.A.3.5. Heimgartner, Auslieferungsrecht 125 mwN, Weiß, in Todesstrafe 432, Bubnoff, Auslieferung 69, Nanda, 23 Fordham Int’l L.J. (2000) 1369 (1379), Vogler, in IRG-K § 8 Rz 2, ebenso Vogel, in IRG-K § 73 Rz 35 u 94.
Auslieferungshindernisse
177
noch kein universelles Auslieferungsverbot abgeleitet werden kann. Auf UN-Ebene erlaubt Art 6 IPBPR die Todesstrafe als Ausnahme zum Recht auf Leben, schränkt sie in den Absätzen 2 und 5 aber zumindest insofern ein, als sie nur bei schwersten Verbrechen, nur bei Taten von über 18-Jährigen und nicht über schwangere Frauen verhängt werden darf.882 Daneben statuiert nunmehr Art 1 2. ZP zum IPBPR das Verbot der Todesstrafe, es wurde bisher von 60 Staaten ratifiziert.883 Der UN-Menschenrechtsausschuss hat eine Verletzung von Art 6 IPBPR festgestellt, wenn das Strafverfahren, in dem die Todesstrafe verhängt wurde, nicht den Vorgaben des Paktes entsprach, insb wenn prozessuale Garantien nicht eingehalten wurden. Darunter fallen ua das Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht, die Unschuldsvermutung, minimale Garantien für die Verteidigung und das Recht auf Anrufung einer höheren Instanz. War der Betroffene im Rechtsmittelverfahren ohne wirksame Verteidigung, so verstößt dies ebenfalls gegen Art 6 IPBPR.884 Die Todesstrafe kann nach Ansicht des UN-Menschenrechtsausschusses jedoch eine nach Art 7 IPBPR verbotene unmenschliche oder erniedrigende Strafe darstellen, wenn die drohende Hinrichtungsmethode nicht das geringste mögliche psychische und physische Leid verursacht.885 Der Blick auf die erst vor kürzerer Zeit geschaffenen ad hoc Tribunale ICTY und ICTR sowie auf den (ständigen) ICC zeigt eine Tendenz der Staatengemeinschaft hin zur Abschaffung der Todesstrafe, denn alle drei Gerichte können sie nicht verhängen.886
882
883
884
885
886
Dazu Nowak, CCPR-K 23 ff, zur Praxis in den USA siehe Kreuzer, in Vogler GS 169, 172. Der aktuelle Ratifikationsstand kann unter http://www.ohchr.org/english/ countries/ratification/12.htm abgefragt werden. Reid v Jamaica, Communication no 250/1987, UN Human Rights Committee, July 20, 1990, Wright v Jamacia, Communication no 459/1991, UN Doc CCPR/C/55/D/459/1991 (1995), Lubuto v Zambia, Communication no 390/1990, UN Doc CCPR/C/55/D/390/1990 (1995); zum Menschenrechtsausschuss und dem quasi-gerichtlichen Verfahren siehe Nowak, CCPR-K 540 ff, Herndl, in Zemanek FS 203, Hummer, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 1349 f. Ng v Canada, Communication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993), 98 I.L.R. 473 (1994), dazu unten Abschnitt 1.IV.C.2.2.3. Zur Bewertung der in den USA praktizierten Hinrichtungsmethoden siehe Kreuzer, in Vogler GS 173 ff. Siehe Art 24 ICTY Statut, Art 23 ICTR Statut, Art 77 ICC Statut. Allgemein zur Aktualität der Todesstrafe siehe Kreuzer, in Vogler GS 163 ff, Weiß, in Todesstrafe 427 ff.
178
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
2.1.2. Regionales zwingendes Völkerrecht auf Ebene der EMRK-Staaten (und der EU) Auf Ebene der EMRK-Staaten hat sich das Verbot der Todesstrafe (fast vollständig) durchgesetzt. Art 3 EMRK verbietet Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Strafen. Zwar erlaubt Art 2 Abs 1 EMRK noch ähnlich Art 6 IPBPR die Todesstrafe unter bestimmten begrenzten Voraussetzungen als zulässige Einschränkung des Rechtes aufs Leben. 1985 trat jedoch das 6. ZPMRK in Kraft, das die Abschaffung der Todesstrafe in Europa beinhaltet und das nunmehr 45 der inzwischen 46 EMRK-Staaten ratifiziert haben. Einzig Russland hat es noch nicht ratifiziert.887 Art 1 dieses 6. ZPMRK proklamiert „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, eine Ausnahme im Kriegsfall ist aber weiterhin nach Art 2 6. ZPMRK erlaubt. Nunmehr ist 2003 das 13. ZPMRK in Kraft getreten, das die Todesstrafe auch in Kriegszeiten verbietet. Dieses wurde innerhalb der 5 Jahre, die es zur Unterschrift aufliegt, bereits von 38 Mitgliedstaaten ratifiziert.888 Mit der Frage, ob die Todesstrafe per se nunmehr gegen Art 3 EMRK verstoße und Art 2 Abs 1 derogiert sei, setzte sich der EGMR in den E Soering v United Kingdom und Öcalan v Turkey auseinander. 1989 in Soering, einer Auslieferungsentscheidung, entschied der Gerichtshof noch, dass, obwohl die Todesstrafe de facto in keinem der Mitgliedstaaten mehr gelte, sie nicht durch die einheitliche Staatenpraxis abgeschafft worden sei, da das Bestehen des 6. ZPMRK darauf hinweise, dass die Mitgliedstaaten diesen ausdrücklichen Vertragsweg als Abschaffungsinstrument wählten.889 Das Gericht kam in Soering aber zum Schluss, dass die Art und Weise des Vollzugs der Todesstrafe zu einer Verletzung des Art 3 EMRK führen könne: Im konkreten Fall hielt es die Auslieferung von Großbritannien an die USA für konventionswidrig, da den Betroffenen dort das death row phenomenon, das sog Todeszellensyndrom, erwarte, worunter das lange Warten und die extremen Bedingungen des Aufenthaltes im Todestrakt verstanden werden. In dieser E fanden zudem auch das jugendliche Alter und der Geisteszustand des Betroffenen sowie die Großbritannien offen stehende Möglichkeit der Auslieferung an seinen Heimatstaat Deutschland Berücksichtigung.890
887
888
889
890
Zum aktuellen Ratifikationsstand siehe http://conventions.coe.int/Treaty/ Commun/ChercheSig.asp?NT=114&CM=2&DF=3/19/2007&CL=ENG. Zum aktuellen Ratifikationsstand siehe http://conventions.coe.int/Treaty/ Commun/ChercheSig.asp?NT=187&CM=2&DF=3/19/2007&CL=ENG. Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 102 f; dazu auch Matscher, in Trechsel FS 30. Soering war zum Tatzeitpunkt 18, es bestanden Hinweise auf seine verminderte Zurechnungsfähigkeit und zudem hatte sein Heimatstaat Deutschland, in dem die Todesstrafe abgeschafft war, ebenso wie die USA ein Auslieferungsersuchen gestellt.
Auslieferungshindernisse
179
2003 entschied der EGMR den aus vielen Aspekten891 interessanten Fall Öcalan v Turkey.892 Wiederum beleuchtete er die Staatenpraxis und stellte fest, dass bis auf Russland, in dem die Todesstrafe de facto nicht mehr verhängt wird, alle Mitgliedstaaten die Todesstrafe de jure abgeschafft sowie zudem 41 der 44 Mitgliedstaaten das 6. ZPMRK ratifiziert hätten und die Abschaffung der Todesstrafe nunmehr Aufnahmekriterium für die Europaratsmitgliedschaft sei. Diese Praxis könnte als Signal dafür angesehen werden, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine Aufhebung bzw Abänderung des Art 2 geeinigt hätten. Auch das nunmehr zur Unterzeichung aufliegende 13. ZPMRK,893 das die absolute Abschaffung der Todesstrafe – also auch in Kriegszeiten – zum Ziel hat, sei als letzter Schritt eine Bestätigung dafür.894 Daher könne gesagt werden, dass die Todesstrafe in Friedenszeiten nunmehr als untragbare – wenn nicht unmenschliche – Form der Strafe angesehen werde, die nicht mehr von Art 2 gedeckt sei. Im Anschluss an diese Würdigung geht der Gerichtshof dann aber einen Schritt zurück. Er befindet einschränkend, dass nicht mehr ausgeschlossen werden könne, dass die Staatenpraxis zu einer Modifikation des Art 2 Abs 1 EMRK geführt habe, und dass argumentiert werden könne, dass die Verhängung der Todesstrafe als unmenschliche und erniedrigende Strafe gegen Art 3 EMRK verstoße. Er müsse aber zu keinem endgültigen Ergebnis in dieser Frage gelangen (it is not necessary ... to reach any firm conclusion), da das Verfahren gegen Öcalan selbst unfair gewesen sei, weshalb die Verhängung der Todesstrafe schon aus diesem Grund gegen die EMRK verstoße. Die zweite Instanz (Große Kammer) stimmt hinsichtlich der Modifizierung des Art 2 EMRK mit der ersten Instanz überein und bleibt im Ergebnis mit Verweis auf das unfaire Verfahren ebenso eine Antwort schuldig.895 Sie ist aber in ihrer Argumentation in Bezug auf die Vereinbarkeit der Todesstrafe mit Art 3 EMRK konkreter. Denn sie weißt darauf hin, dass dieser Artikel notstandsfest ist und daher eine Abweichung davon auch in Kriegszeiten untersagt ist. Ginge man nun von einer gewohnheitsrechtlichen Abänderung des Art 2 EMRK dahingehend aus, dass die Todesstrafe in Friedenszeiten verboten sei, so ließe das nicht auch zwingend auf einen Verstoß gegen Art 3 EMRK schließen, da dieser ja keine Abweichung zulässt. Das Gericht überlegt ein gewohnheitsrechtlich begründetes generelles Verbot der Todesstrafe (auch in Kriegszeiten) und schreibt dazu vorsichtig: die Tatsache, dass eine große Zahl von Saaten das 13. ZPMRK noch zu unterzeichnen bzw zu ratifizieren habe, könnte das Gericht davon abhalten, davon auszugehen, 891 892
893 894 895
Zu male captus bene detentus siehe unten Abschnitt 1.V.C. Urteil vom 12.3.2003, ApplNr 46221/99 bestätigt in der zweiten Instanz mit Urteil vom 12.5.2005. Es trat mit 1.7.2003 in Kraft. Öcalan v Turkey, Urteil vom 12.3.2003, ApplNr 46221/99, Punkt 195 ff. Öcalan v Turkey, Urteil vom 12.5.2005, Punkt 163 ff.
180
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
dass es Praxis der Saaten sei, die Todesstrafe als unmenschliche oder erniedrigende Strafe iSd Art 3 anzusehen.896 Im Ergebnis bleibt sie aber ebenso wie die erste Instanz mit Verweis auf das unfaire Verfahren eine konkrete Antwort schuldig. ME kann nunmehr von einer gewohnheitsrechtlichen Abschaffung der Todesstrafe innerhalb des EMRK-Raumes auch in Kriegszeiten ausgegangen werden. Art 2 EMRK wurde durch übereinstimmende Staatenpraxis modifiziert, weshalb die Todesstrafe in Europa als solche nicht mehr als Ausnahme zum Recht auf Leben gilt und daher gegen Art 2 EMRK verstößt. Zwar zeigt die Tatsache des Bestehens der beiden ZPMRK, dass die Staaten zunächst von einer vertraglichen Änderung der Konvention Gebrauch machen wollten, doch lässt sich eine Modifikation auch aus der Staatenpraxis erschließen.897 Die Abänderung völkerrechtlicher Verträge durch übereinstimmende Staatenpraxis ist völkerrechtlich anerkannt.898 Da es sich hier um eine Staatenpraxis handelt, die den Schutzgehalt eines menschenrechtlichen Übereinkommens erweitert und nicht beschränkt, ergeben sich auch aus diesem Blickwinkel keine Bedenken.899 Es liegt eine einheitliche, dauernde und konstante Staatenpraxis vor. Auf den Rechtsbindungswillen kann einerseits aus der de jure Abschaffung der Todesstrafe in allen EMRK-Staaten geschlossen werden, andererseits daraus, dass das Verbot der Todesstrafe nunmehr eine unabdingbare Voraussetzung für Aufnahme in den Europarat darstellt.900 Dies wird insb auch durch den neuesten Ratifikationsstand der beiden ZPMRK bestätigt. Das 6. ZPMRK wurde von 45 der 46 EMRK-Staaten ratifiziert. Das 13. ZPMRK wurde von allen bis auf 2 Vertragsstaaten unterzeichnet und eine Ratifikation erfolgte innerhalb der 5 Jahre, in der das Protokoll zur Unterschrift auflag, bereits durch 38 Staaten. Die fehlenden 8 Ratifikationen können der Tatsache zugeschrieben werden, dass die Staaten die Ratifikation auf einen für sie günstigen Zeitpunkt verschoben haben.901
896
897
898
899 900 901
Öcalan v Turkey, Urteil vom 12.5.2005, Punkt 165: „For the time being, the fact that there are still a large number of States who have yet to sign or ratify Protocol No. 13 may prevent the Court from finding that it is the established practice of the Contracting States to regard the implementation of the death penalty as inhuman and degrading treatment contrary to Article 3 of the Convention, since no derogation may be made from that provision, even in times of war.” Vgl Schomburg/Hackner, in IRG § 8 Rz 8; aM Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 10, Kühne, JZ 2003, 673. Siehe Zemanek, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 345. Zum Völkergewohnheitsrecht als Rechtsquelle generell, siehe Simma, in Neuhold/Hummer/Schreuer Handbuch4 Bd 1 Rz 177 ff. Siehe dazu auch Breuer, EuGRZ 2003, 453. Kritisch dazu Breuer, EuGRZ 2003, 453. Sondervotum von Richter Garlicki, Öcalan v Turkey, Urteil vom 12.5.2005 Punkt 5.
Auslieferungshindernisse
181
Zudem verbietet Art 3 EMRK Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Strafe oder Behandlung.902 Eine Strafe, die gegen das Recht auf Leben verstößt und das „Menschsein“ als solches beendet, kann nur eine unmenschliche Strafe darstellen und verstößt daher mE auch per se gegen Art 3 EMRK. Auf EU-Ebene ist die Todesstrafe derzeit in allen Mitgliedstaaten de jure abgeschafft. Ein entsprechendes Verbot ist in Art 2 Abs 1 der Charta der Grundrechte903 verbrieft und wurde in Art II-2 Abs 2 des Verfassungsentwurfes übernommen.904 2.1.3. Zwingendes Auslieferungshindernis auf Ebene der EMRK-Staaten (gegenüber Drittstaaten, auch bei Fehlen entsprechender vertraglicher Vereinbarungen bzw bestehender Vertragspflicht) Wie eben dargestellt,905 gilt das Verbot der Todesstrafe nicht als zwingendes Völkerrecht, weshalb noch kein diesbezügliches absolutes Auslieferungshindernis besteht. Andererseits ist die Todesstrafe auf mehreren regionalen Ebenen abgeschafft, so widerspricht sie – nach der hier vertretenen Meinung – ua der EMRK (und dem Recht der EU). Es ist daher anhand der im vorigen Kapitel aufgestellten Kriterien nochmals darauf einzugehen, ob dieses regionale Verbot im Auslieferungsverkehr zwischen EMRK-Staaten und Drittstaaten auch bei bestehender Vertragspflicht durchschlägt, oder ob dies eine illegitime Verantwortung der Mitgliedstaaten für Handlungen außerhalb ihrer Zuständigkeit bewirke und zudem eine unzulässige Unterwerfung des Drittstaates unter die EMRK bedeute. In Soering v UK906 erkannte der EGMR, dass unter den konkreten Umständen das im Drittstaat drohende death row phenomenon als unmenschliche und erniedrigende Strafe gegen Art 3 EMRK verstoße, und daher Großbritannien durch die Auslieferung Soerings an die USA, ohne wirksame Zusicherung auf Nichtverhängung der Todesstrafe, eine Konventionsverletzung begehe. Der Gerichtshof nimmt dabei Bezug auf die ausdrücklichen Vorgaben hinsichtlich des Auslieferungsverbotes in der Folterkonvention, welches er auch in Art 3 EMRK impliziert sieht. Da die Todesstrafe in diesem konkreten Fall als unmenschliche und erniedrigende Strafe eine vorhersehbare
902 903
904 905 906
Dazu unten Abschnitt 1.IV.C.2.2. ABl 2000 C 364, 1, dabei handelt es sich um eine unverbindliche Proklamation, die aber zumindest eine Bestandsaufnahme der geltenden Grundrechte darstellt (ausgenommen sind die „neuen Grundrechte“ wie das Recht auf eine gute Verwaltung) Neisser/Verschraegen, Europäische Union Rz 14.189. ABl 2003 C 169, 1 vom 18.7.200, dazu unten Abschnitt 2.III.C.2. Oben Abschnitt 1.IV.C.2.1.1. Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217).
182
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Konsequenz (forseeable consequence) bzw ein reales Risiko (real risk) der Auslieferung sei, verletze Großbritannien als Mitgliedsstaat die Konvention, denn für solche vorhersehbaren Folgen habe jeder Vertragsstaat Verantwortung zu übernehmen. Der EGMR weist darauf hin, dass durch diese Entscheidung keinem Nichtmitgliedstaat eine Vertragsverpflichtung auferlegt, sondern nur der Mitgliedstaat zur Verantwortung gezogen werde, dessen Handlung eine direkte vertragsverletzende Konsequenz habe.907 Die Formulierung im Auslieferungsvertrag scheint dabei keine Rolle zu spielen. Zuzustimmen ist dem – im Abstellen auf die Folterkonvention liegenden – materiell-völkerrechtlichen Argument. Hierzu ist anzumerken, dass in den Fällen, in denen die im ersuchenden Staat drohende Strafe unter die in der Folterkonvention als zwingendes Völkerrecht verbotene unmenschliche und erniedrigende Strafe subsumiert werden kann, jedenfalls ein universelles Auslieferungsverbot besteht, das den einzelnen Vertragsverpflichtungen vorgeht.908 Daneben ist aber va dem vom Gerichtshof zuletzt genannten auf die faktische Effektivität der Grundrechte abstellenden Argument beizupflichten. Denn die Konvention stellte ein zahnloses Gebilde dar, wäre sie nur auf die von den Organen des Mitgliedstaates tatsächlich selbst ausgeführten Verstöße anzuwenden, während die aktive „Übergabe“ an einen Drittstaat, im Bewusstsein, dass dieser die Konventionsrechte des Betroffenen verletzt, nicht zur Verantwortlichkeit führte.909 Die Konvention verbietet Verletzungen bestimmter Rechte und dieser Verpflichtung der Konvention gegenüber kann sich der Staat nicht einfach dadurch entziehen, dass er vor den direkten Konsequenzen seiner eigenen Handlung die Augen verschließt, dh nicht berücksichtigt, was als Folge seines Tuns in einem anderen Staat geschieht. Jeder Staat muss dafür Sorge tragen, dass seine Handlungen nicht direkt zu einer Konventionsverletzung führen, egal ob durch eigene Organe, oder durch Organe im Drittstaat, dem der Betroffene übergeben wurde.910 Der ersuchte Staat trüge sonst zu einer Konventionsverletzung bei.911
907
908
909
910
911
Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 85 ff. Vgl Heimgartner, Auslieferungsrecht Kap E.II.1.4.a, zum Folterverbot siehe unten Abschnitt 1.IV.C.2.2. Ebenso UN-Menschenrechtsausschuss in Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/D/470/1991 (1993), 98 I.L.R. 426, 446 (1994), Ng v Canada, Communication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993), 98 I.L.R. 473 (1994); siehe auch Garlick, in Handbook 173 ff. Diese Auffassung steht im Spannungsverhältnis mit dem im anglo-amerikanischen Recht geltenden Prinzip der non-inquiry, das besagt, dass der ersuchte Staat nicht zu hinterfragen habe, was mit dem Betroffenen nach der Auslieferung im ersuchenden Staat geschieht, siehe dazu oben Abschnitt 1.IV.C.1. Siehe dazu OLG Wien EuGRZ 1996, 214 allerdings in Bezug auf Art 5 EMRK.
Auslieferungshindernisse
183
Aufgrund dieses und der bereits im vorigen Kapitel912 angeführten Argumente ist daher nunmehr jede Auslieferung von einem EMRK-Staat in einen Drittstaat abzulehnen, der das angeklagte Delikt mit Todesstrafe bestraft und keine ausreichende Zusicherung der Nichtverhängung (bzw Nichtvollstreckung) abgibt, unabhängig von den etwaigen entgegenstehenden vertraglichen Verpflichtungen.913 Eine eindeutige Regelung besteht in Österreich nunmehr aufgrund von § 33 Abs 3 ARHG. 2.1.4. Zwingendes Auslieferungshindernis nach Art 85 B-VG (auch bei Fehlen entsprechender vertraglicher Vereinbarungen/bestehender Vertragspflicht) Art 85 B-VG bestimmt, dass die Todesstrafe abgeschafft ist. Daraus ergibt sich das subjektive Grundrecht des Einzelnen, nicht zur Todesstrafe verurteilt bzw hingerichtet zu werden, weshalb kein österreichisches Organ daran mitwirken darf, dass ein Mensch der Todesstrafe unterworfen wird.914 Aus den oben gewonnenen Erkenntnissen915 folgernd und unter Hinweis auf § 33 ARHG besteht daher für Österreich schon aufgrund Art 85 B-VG die Verpflichtung, eine Auslieferung abzulehnen, falls der ersuchende Staat das Auslieferungsdelikt mit Todesstrafe bedroht, andernfalls führten die Handlungen der entscheidenden Organe direkt zur Verletzung des genannten Grundrechtes.916 2.1.5. ARHG und vertragliche Vereinbarungen Für den freien Auslieferungsverkehr normiert das ARHG in § 20 ein Auslieferungsverbot bei drohender Todesstrafe. Einem Ersuchen wird nur stattgegeben, wenn gewährleistet ist, dass sie nicht ausgesprochen wird.917 Die Auslieferungsverträge der meisten EMRK- und EU-Staaten enthalten Auslieferungsverbote bei drohender Todesstrafe. Doch sind diese zum Teil nur als Fakultativbestimmungen vorgesehen. So kann Österreich gem Art 8 Abs 1 des Auslieferungsvertrages mit den USA die Auslieferung verweigern, sofern nicht eine Zusicherung der Nichtverhängung (bei Übernahme zur Strafvoll-
912 913
914 915 916
917
Abschnitt 1.IV.C.1. AM Heimgartner, Auslieferungsrecht Kap E.II.1.4.a., dar darin einen Verstoß gegen den völkerrechtlichen Grundsatz sieht, nach dem kein Vertrag eine bindende Wirkung auf Dritte haben darf. Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 746. Abschnitt 1.IV.C.1. Berka, Grundrechte Rz 366, vgl Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 753, für Deutschland ebenso Schomburg/Hackner, in IRG § 8 Rz 11 ff; aM Vogler, in IRG-K § 8 Rz 3 ff, 10, Heimgartner, Auslieferungsrecht Kap E.II.1.4.a. Dasselbe gilt für Strafen, die Art 3 EMRK widersprechen, Art 20 Abs 3 ARHG, zur Zusicherung siehe Abschnitt 1.IV.C.2.1.6.
184
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
streckung eine Zusicherung der Nichtvollstreckung) abgegeben wird.918 Liegt die Zusicherung vor, so ist Österreich gem Abs 2 zur Auslieferung verpflichtet und die USA haben sich an ihre Zusicherung zu halten. Das Auslieferungsabkommen zwischen der EU und den USA919 enthält in Art 13 eine ähnliche „Kann-Bestimmung“. Doch ist bereits die Anwendung des Art 13 per se für die Mitgliedstaaten nur fakultativ, denn nach Art 3 Abs 1 lit j des Abkommens kann der ersuchte Staat Art 13 anstelle oder in Ermangelung entsprechender Bestimmungen bilateraler Verträge anwenden.920 ME ist in den Fällen, in denen ein bilateraler Vertrag mit den USA kein Auslieferungshindernis wegen drohender Todesstrafe vorsieht, jedenfalls eine verpflichtende Anwendung von Art 13 zu statuieren. Auch das EuAlÜbk sieht in Art 11 ein fakultatives Auslieferungshindernis vor, das Österreich durch seinen Vorbehalt zu einem zwingenden Auslieferungsverbot erhob. Dass die hier aufgezählten vertraglich als fakultative Auslieferungshindernisse ausgestalteten Bestimmungen für österreichische Gerichte jeweils als „Muss-Bestimmungen“ zu verstehen sind, ergibt sich bereits aus dem ausdrücklichen Auslieferungsverbot des ARHG. Insofern werden die vertraglichen Ermessensentscheidungen durch das gesetzliche Verbot konkretisiert bzw determiniert.921 Dies gilt aber im Lichte der Soering E und der – nach der hier vertretenen Auffassung – nunmehrigen Abänderung des Art 2 EMRK922 ebenso für alle EMRK-Staaten: Auch sie haben Art 11 EuAlÜbk als zwingendes Auslieferungshindernis anzusehen. 2.1.6. Auslieferung nur bei entsprechender Zusicherung des ersuchenden Staates Die Auslieferung kann an einen Staat, in dem die Todesstrafe droht, unter der Bedingung gewährt werden, dass der ersuchende Staat eine entsprechende Zusicherung abgibt, wobei hinsichtlich des Standards und der Ausgestaltung dieser Zusicherung Unterschiede bestehen. Manche Verträge bzw innerstaatlichen Gesetze sehen die Zusicherung der Nichtverhängung, manche die der Nichtvollstreckung vor. Das österreichische ARHG verlangt in § 20 918 919
920
921
922
BGBl III 216/1999. ABl 2003 L 181, 27 vom 19.7.2003; dazu Spinellis, in Eser FS 874 ff, Wouters/Naert, CML Rev 2004, 931 ff. Siehe auch die engl Fassung: „Art 13 may be applied ... in the absence of, bilateral treaty provisions governing capital punishment“; kritisch dazu Spinellis, in Eser FS 875 ff. Linke, Grundriss 24; dazu oben Abschnitt 1.I.B.3; vgl auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 95 zu § 8 IRG. Dazu oben anlässlich der Besprechung der Öcalan E Abschnitt 1.IV.C.2.1.2.
Auslieferungshindernisse
185
für den außervertraglichen Raum, dass gewährleistet wird, dass die Todesstrafe nicht ausgesprochen wird. In Übereinstimmung damit sieht der Auslieferungsvertrag Österreichs mit den USA in Art 8 für die Auslieferung zur Strafverfolgung die Zusicherung der Nichtverhängung, bei Auslieferung zur Strafvollstreckung die der Nichtvollstreckung vor. Das EU-USA Auslieferungsabkommen923 wiederum nennt in Art 13 einerseits die Bedingung, dass die Todesstrafe im ersuchenden Staat nicht verhängt wird; ist dies aus Verfahrensgründen nicht möglich, so genügt die Zusicherung der Nichtvollstreckung. Art 11 EuAlÜbk sieht eine als ausreichend erachtete Zusicherung der Nichtvollstreckung vor. Die Problematik hinsichtlich der Nichtverhängung liegt darin, dass die Zusicherung von der Exekutive abgegeben wird, die Bestimmung der Strafart und des Strafmaßes jedoch zumeist in die Kompetenz des unabhängigen Richters fällt. Daher wird argumentiert, dass nur eine Zusage der im Exekutiv-Bereich liegenden Nichtvollstreckung akzeptabel sei.924 Andererseits wird vorgebracht, dass alleine die Versicherung, den Betroffenen gar nicht erst zu Tode zu verurteilen, eine tatsächliche Gewähr biete.925 Letzterer Auffassung ist beizupflichten. Es muss die Nichtverhängung vom ersuchenden Staat zugesagt werden. Wird die Strafe dort aber von einem weisungsfreien Richter festgesetzt, weil er unabhängig davon entscheidet, welche Strafe der StA beantragte, oder weil der StA – wie in Österreich – nicht zur Beantragung einer bestimmten Strafe berechtigt ist, so muss die Zusicherung als nicht ausreichend angesehen werden und dies zur Ablehnung des Auslieferungsersuchens führen. Wäre der Richter nach dem Rechtssystem des ersuchenden Staates an die beantragte Strafart gebunden, so genügte eine entsprechende Versicherung des zuständigen StA.926 Daneben ist die Zusicherung der Nichtverhängung auch dann ausreichend, wenn die Gerichte des ersuchenden Staates auf Grund einer innerstaatlichen Transformationsnorm an zwischenstaatliche Bedingungen gebunden sind. Eine solche Norm sieht zB das deutsche Recht in § 72 IRG, das österreichische in § 4 ARHG vor.927 Die Zusage der Nichtvollstreckung ist dann hinreichend, wenn die Todesstrafe im Wege des Gnadenrechts in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann, und eine entsprechende Versicherung der zuständigen Behörde abgegeben wurde.
923 924
925 926
927
ABl 2003 L 181, 27 vom 19.7.2003. Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.a mwN in FN 845, zur Problematik solcher Zusicherungen (in Bezug Abwesenheitsurteile) Vogel, JZ 2002 468, dazu auch unten Abschnitt 1.IV.C.3.2. Schwaighofer, Auslieferung 125, siehe auch Linke, Grundriss 65 f. Vgl Einhorn v France, ApplNr 71555/01, vom 16.10.2001, ÖJZ-MRK 2003/1, dazu unten Abschnitt 1.IV.C.3.2. Vogel, JZ 2002, 468.
186
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Ausreichend ist eine Zusicherung nur, wenn sie das Risiko der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe tatsächlich ausschließt und keine Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit bestehen.928 Illustrativ für die sich stellenden Probleme ist der Fall Soering. Der zuständige StA des Bundesstaates Virginia erklärte eidesstattlich, bei dem sentencing hearing929 den Wunsch Großbritanniens vorzubringen, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt werde. Die US-Bundesregierung bestätigte, das Vorgehen der staatlichen Behörden zu respektieren.930 Im Laufe des Verfahrens wurde mitgeteilt, dass der zuständige StA keine zusätzlichen Zugeständnisse plane und er beabsichtige, die Todesstrafe zu beantragen. Nach Angaben des englischen Außenministers entsprach die Zusicherung des StA, den Wunsch Großbritanniens vorzubringen, der üblichen Vorgangsweise im Auslieferungsverkehr mit den USA. Nach geltendem Landesrecht Virginias kann das englische Vorbringen vom zuständigen Richter wie auch vom Gouverneur anlässlich eines Gnadengesuchs berücksichtigt werden. Der Gouverneur hat das uneingeschränkte Recht, eine Todesstrafe abzuändern, gibt aber ein darauf abzielendes Versprechen vor Urteilsfindung und Straffestsetzung aus Prinzip (as a matter of policy) nicht ab, und hat eine solche Aussetzung der Todesstrafe in der Zeit zwischen 1977 bis zur Soering E nie verfügt.931 Im vorliegenden Fall stellte sohin die Erklärung des zuständigen StA, den Richter vom Wunsch Großbritanniens zu informieren, insb im Hinblick auf seine gleichzeitige Erklärung, die Todesstrafe jedenfalls zu beantragen, keine
928
929
930
931
Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 98, Schomburg/Hackner, in IRG § 8 Rz 15 f. Die Zusicherung stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung dar, weshalb deren Vorliegen bzw Verlässlichkeit von den Gerichten zu überprüfen ist, Schomburg/Hackner, in IRG § 8 Rz 18 f, Vogler, in IRG-K § 8 Rz 12 ff, 22. Das ist die von der Urteilsfindung unabhängige Anhörung, bei der über die Strafe entschieden wird, siehe oben Abschnitt 1.II.B.5.1.3.b(ii). Der Auslieferungsverkehr zwischen den USA und Großbritannien findet auf Bundesebene statt. Handelt es sich – wie im konkreten Fall – bei der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Tat um einen Verstoß gegen Landesrecht, ist nur die Landesbehörde zur Abgabe einer rechtlich bindenden Zusicherung berechtigt. Diesfalls kann die Bundesbehörde die Erklärung abgeben, die Zusicherung der Landesregierung zu respektieren, Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 69. Zum Unterschied und den Implikationen von Verstößen gegen State und Federal Law siehe oben Abschnitt 1.II.B.5.1.1. und Abschnitt 1.II.B.5.1.2. Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 60.
Auslieferungshindernisse
187
ausreichende Zusicherung dar, weshalb die Auslieferung gegen die EMRK verstieße.932 2.2. Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung 2.2.1. Zwingendes Völkerrecht – absolutes Auslieferungshindernis Das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ist Teil zwingenden Völkerrechts (ius cogens), das in der Normenhierarchie über den Verträgen steht.933 Eine Auslieferung, die zwingendem Völkerrecht widerspricht, ist daher jedenfalls auch bei bestehender Vertragspflicht abzulehnen.934 Folter wurde weltweit durch die UN-Antifolterkonvention verboten, die in Österreich als unmittelbar anwendbares Recht gilt.935 Ein entsprechendes Verbot enthält Art 7 IPBPR.936 Daneben verbietet der in Österreich in Verfassungsrang stehende Art 3 EMRK diese Formen der Strafe oder Behandlung.937 Das B-VG selbst enthält kein explizites Verbot, doch ist das Folterverbot ein Ausfluss der Menschenwürde, die der VfGH als „allgemeinen Wertungsgrundsatz“ der österreichischen Rechtsordnung anerkennt.938 Das Verbot der Folter gilt absolut, obwohl es immer wieder Bestrebungen gibt, dies in Zweifel zu ziehen. So hat die italienische Regierung kürzlich
932
933 934
935
936
937
938
Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 98. Lagodny, in IRG § 73 Rz 90 f, Nowak, CCPR-K Art 7 Rz 1. Zum ius cogens siehe Abschnitt 1.I.B.5. Neuhold/Hummer/Schreuer, in Handbuch4 Bd 1 Rz 175, Vitzthum, in Völkerrecht 11, 63, Schwaighofer, Auslieferung 40; zum zwingenden Auslieferungsverbot bei drohender Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe Schwaighofer, Auslieferung 126, Linke, Grundriss 67, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b., vgl auch Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 753. BGBl 492/1987; Murschetz, Verwertungsverbote 101 f. Als Überwachungsorgan wurde ein internationaler Ausschuss eingerichtet, Nowak, in Ermakora FS 493, ders, CCPR-K Art 7 Rz 2. Nowak, CCPR-K Art 7 Rz 1 ff. Es ist auch Ausfluss des in Art 3 der universalen Deklaration der Menschenrechte der UNO statuierten Rechtes auf Leben, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b. Zu Art 3 EMRK siehe Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 20 ff. Im Zusammenhang mit Art 3 EMRK wurde durch die europäische Antifolterkonvention ein Ausschuss zur Verhütung der Folter eingeführt, der uneingeschränkte Visitationsrechte in Haftanstalten genießt, BGBl 74/1989 idgF, siehe dazu Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 182, Nowak, CCPR-K Art 7 Rz 2. VfSlg 13.635/1993; Berka, Grundrechte Rz 378.
188
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
vorgeschlagen, Folter nur im Wiederholungsfall strafbar zu machen.939 Va seit dem 11. September 2001 werden immer mehr Stimmen laut, nach denen Folter zur Abwehr einer Straftat bzw zur Terrorismusbekämpfung zulässig sei.940 Der israelische Supreme Court hat dies bereits seiner Rsp zugrunde gelegt.941 In Deutschland führte zudem va die im sog „Frankfurter Fall“ vorgenommene Androhung von Folter durch den Vize-Polizeipräsidenten zur Entdeckung des Aufenthaltsortes des Opfers zu einem Aufleben der Diskussion über die Absolutheit des Folterverbotes.942 Die Tragik des Falles lässt die Erhitzung der Gemüter und die vielfach vorgebrachte Rechtfertigung der gesetzten Maßnahme zumindest nachvollziehbar erscheinen. Dennoch ist eine Einschränkung des Folterverbotes im Sinne einer Rechtfertigung, Entschuldigung oder Tatbestandausschließung zur Gefahrenabwehr durch staatliche Organe unzulässig.943 Die absolute und zwingende Natur des Folterverbotes steht va aufgrund seiner umfassenden, weltweiten Verankerung in den Völkerrechtskonventionen insb der UN-Folterkonvention außer Frage.944 Die Auslieferung an einen Staat, in dem Folter oder ein unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung durch staatliche Organe oder Dritte droht, ist immer – auch bei sonstiger Auslieferungsverpflichtung – unzulässig, das entspricht der Rsp des EGMR, des VfGH sowie den Feststellungen des UN-Menschrechtsausschusses.945 Zum Teil enthalten die Auslie939
940
941 942
943
944
945
Zum italienischen Änderungsantrag siehe ORF online: http://orf.at/04051174145/index.html. Vgl die Aussagen des ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten Pat Buchanon sowie des Geschichtsprofessors an der Bundeswehr Universität in Deutschland, Wolffsohn, zitiert in Spiegel online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,299381,00.html, siehe darin ebenso die Aussagen von Alan Dershowitz, des bekannten Harvard Strafrechtsprofessors, ebenfalls zitiert in Jerouschek/Kölbel, JZ 2003, 614 FN 6. Siehe dazu Brugger, JZ 2000, 165 insb FN 2. Dazu ua Perron, In Weber FS 143 ff, Saliger, ZStW 116 (2004) 37 ff, Jerouschek/Kölbel, JZ 2003, 613 ff, Miehe, NJW 2003, 1219 f, Kubink, NJW 2003, Heft 24 XII f, Schreiber, NJW 2003, Heft 23, XII ff; StV 2003, 325 ff und 327 f mit Anm Weigend, StV 2003, 436. Perron, in Weber FS 143 ff, Saliger, ZStW 116 (2004) 37 ff, Niggli/Keshelava, NZZ vom 23./24.4.05, 57, vgl Linemann, NZZ vom 23./24.4.05, 59; aM Miehe, NJW 2003, 1220, Schreiber, NJW 2003, Heft 23, XII ff, Brugger, JZ 2000, 165 ff. Dazu auch oben Abschnitt 1.IV.C.1. Siehe auch Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 36. EGMR: Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 14038/88 (1/1989/161/217), Chahal v United Kingdom, ÖJZ-MRK 1997/20 (AbschiebungsE), Jabari v Turkey, ÖJZ-MRK 2002/2 (AbschiebungsE), Hilal v United Kingdom, ÖJZ-MRK 2002/17 (AbschiebungsE), UN-Menschenrechtsausschuss: Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/D/470/1991 (1993), VfGH VfSlg 14.116/1995, 14.998/1997, BverfG StV 2005, 286; Öhlinger,
Auslieferungshindernisse
189
ferungsverträge entsprechende Bestimmungen; für den freien Auslieferungsverkehr verbietet § 20 ARHG die Auslieferung bei einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Strafart, § 19 Z 2 ARHG erklärt sie für unzulässig, wenn der zu erwartende Vollzug einer an sich zulässigen Strafe Art 3 EMRK widerspräche. Der Betroffene hat die drohende Gefahr zu bescheinigen.946 Bestehen Bedenken, so sind mancherorts praktizierte Auflagen bzw das bloße Beobachten bzw Verfolgen des Vorgehens des ersuchenden Staates nach der Auslieferung mangels wirksamer Durchsetzungsmechanismen nicht ausreichend,947 sondern ist die Auslieferung abzulehnen.948 Es sollte an die Bescheinigung kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, sondern das konkrete Vorliegen von Folterpraktiken für fallspezifische Sachverhalte im ersuchenden Staat, dh eine bekannte Gefährdungslage, zur Annahme des Auslieferungshindernisses führen.949 Insb sollten amnesty international Berichte ernst genommen werden.950 Gehört der Betroffene einer Volksgruppe an, die laut aiBerichten wiederholt von Folterungen betroffen war, so sollte dies genügen. Im Umkehrschluss können Nachweise über die Aufhebung bzw drastische Verminderung der Gefahrenlage im ersuchenden Staat die Zulässigkeit der Auslieferung bewirken. Zweifel am Bestehen der Voraussetzungen des Auslieferungshindernisses haben daher zugunsten des Verfolgten zu gehen.951
946
947
948 949
950 951
Verfassungsrecht6 Rz 753, Villinger, EMRK Rz 297 ff, Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 27 f. Murschetz, Verwertungsverbote 102 f; vgl Villinger, EMRK Rz 292: Der Betroffene hat die Verletzung grundsätzlich vordergründig (prima facie) zu belegen. Er kritisiert an dieser Stelle mit gutem Grund die Praxis des EGMR, nur auf die im vorherigen innerstaatlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zurückzugreifen, anstatt selbst eine Prüfung vorzunehmen. Im Falle der Auslieferung werde der schlüssige Nachweis der Gefahr verlangt (Rz 302). Auch dies kommt mE noch keiner Beweislast gleich. Zum Verfahren siehe unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.2. Vgl diese Praxis in der Schweiz, BGE, 123 II 511, 526 zitiert in Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b.; vgl auch OVG Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 26.5.2004 (8 A 38252/03), wobei diesfalls umfassende Beobachtungen der Vorgänge im ersuchenden Staat und zwar durch Presse, Menschenrechtsorganisationen und EU-Kommission als für die Minderung der Foltergefahr ausschlaggebend angesehen wurden. OLG Karlsruhe StV 2004, 442. OLG Karlsruhe StV 2004, 442 hinsichtlich der Auslieferung an die Türkei; Schwaighofer, Auslieferung 127, ruft hier die einzelnen Staaten auf, die Auslieferung als Instrument aktiver Menschenrechtspolitik einzusetzen; vgl aber Villinger, EMRK Rz 302 f unter Hinweis auf die Rsp des EGMR. Vgl BVerfG NVwZ 2004, 324. OLG Karlsruhe StV 2002, 443 f, welches die Auslieferung an die Türkei für unzulässig erklärte, da sich noch nicht verlässlich feststellen ließe, ob die ernsthaften und rigorosen Reformen zur Bekämpfung der Folter in der Türkei bereits in naher Zukunft durchgreifende Wirkung zeigen.
190
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Großteils genügt der Praxis, insb der Rsp des EGMR und des BVerfG, jedoch der Nachweis nicht, dass im ersuchenden Staat in Art 3 EMRK widersprechender Art und Weise vorgegangen wird, also zB Folterungen von Gefangenen stattfinden. Es wird verlangt, dass zudem im konkreten Einzelfall in Bezug auf den Betroffenen ernste Befürchtungen hinsichtlich der Verletzungen bestehen, wobei ein hoher Maßstab verlangt wird:952 Nach dieser Rsp ist die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen.953 Der Nachweis konkreter Anhaltspunkte bzw stichhaltiger Gründe scheint nur verzichtbar, wenn der ersuchende Staat eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweist. Berichte von amnesty international und des deutschen Auswärtigen Amtes zB, denen zufolge Folterungen und Misshandlung von Verdächtigen im ersuchenden Staat weit verbreitet seien und Folter eine häufig von der Polizei angewandte Vernehmungsmethode darstelle, reichen offensichtlich nicht aus, insb wenn die Folter im ersuchenden Staat nunmehr gesetzlich verboten ist und nicht durch den Staat zielgerichtet gefördert wird.954 Dass letztere beiden Argumente keine Aussagekraft in Bezug auf das tatsächliche Auftreten dieser Methoden besitzen, scheint irrelevant. 2.2.2. Folter – torture Folter wird definiert als eine Handlung, durch die einer Person vorsätzlich zu einem bestimmten Zweck große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zB um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, oder um sie zu strafen.955 Sie kann von staatlichen Organen oder Dritten ausgehen.956 Der EGMR verlangt, insb zur Abgrenzung von der ebenso konventionswidrigen, aber unter der Schwelle
952
953 954
955
956
BVerfG EuGRZ 2003, 518, 520 f, vgl auch OGH EvBl 2004/64, Villinger, EMRK Rz 302 f, Frowein, in Frowein/Peukert, EMRK Art 3 Rz 21, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b.; aM im Ergebnis OLG Karlsruhe, StV 2004, 443. Villinger, EMRK Rz 302 f mit Verweis auf die Rsp des EGMR. BVerfG EuGRZ 2003, 520; vgl auch H.L.R. gegen Frankreich und siehe die Sondervoten von De Meyer, Pekkanen, Vilhjalmsson, Rocha, Lomus und Jambrek abgedruckt in ÖJZ-MRK 1998/16. Vgl den Text der UN-Folterkonvention, BGBl 492/1987; Nowak, CCPR-K Art 7 Rz 6 f; nach Saliger, ZStW 116 (2004), 42, sollte jede staatliche Gewaltanwendung als Folter gelten; abweichend Schreiber, NJW 2003, 16. Zwar verlangt der Text der UN-Folterkonvention (BGBl 492/1987), dass diese Behandlung von einem Organ oder mit dessen Einverständnis angeordnet wurde, doch ist die Drittwirkung unbestritten, EGMR ÖJZ-MRK 1998/16; Popp, Rechtshilfe Rz 352, Nowak, CCPR-K Art 7 Rz 7, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b.
Auslieferungshindernisse
191
zur Folter liegenden unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe, dass Schmerzen von besonderer Intensität und Grausamkeit zugefügt werden.957 2.2.3. Unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung – inhuman or degrading punishment or treatment Neben der Folter sind unmenschliche oder erniedrigende Strafen oder Behandlungen verboten. Erniedrigend sind Strafen, die zwar keine schweren Schmerzen verursachen, aber herabwürdigend oder demütigend wirken.958 Dies trifft va auf körperliche Züchtigungsstrafen zu.959 Unter der unmenschlichen Behandlung wird die (absichtliche) Zufügung von starkem psychischem oder physischem Leid verstanden, ohne dass dieses die Schwelle der Folter erreicht.960 In dieser unzulässigen Art der Behandlung ist zugleich stets das Element der Erniedrigung enthalten. Nach der Rsp des EGMR stellen psychische oder physische Gewaltanwendungen, die nicht durch das Verhalten des Betroffenen notwendig wurden, im Allgemeinen eine solche Art der Behandlung dar.961 Es hängt von den Umständen des Einzelfalls, insb der Dauer der Behandlung, ihrer physischen und mentalen Folgen und, in manchen Fällen, vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen ab.962 Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, wenn der Auszuliefernde schwer krank und transportunfähig ist, oder im ersuchenden Staat die lebenswichtige medizinische Versorgung fehlt.963 957
958
959 960
961
962
963
Siehe dazu die unterschiedlichen Auffassungen von Kommission und EGMR hinsichtlich der gegen IRA-Mitglieder angewandten „fünf Techniken“ in Ireland v United Kingdom, ApplNr 5310/71, Urteil vom 18.1.1978; Villinger, EMRK Rz 275 und 278 mwN, Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 22, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b. Ilascu et al v Moldova and Russia, ApplNr 48787/99, Urteil vom 8.7.2004, Aronica v Germany, ApplNr 72032/01, Urteil vom 18.4.2002 Punkt 1=ÖJZ MRK 2003/16; Frowein, in Frowein/Peukert, EMRK Art 3 Rz 7 f, Villinger, EMRK § 15 Rz 274, Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 25. Siehe Nachweise aus der Rsp des EGMR bei Villinger, EMRK Rz 295. Ilascu et al v Moldova and Russia, ApplNr 48787/99, Urteil vom 8.7.2004. Auch sie kann entsprechend der Folter von staatlichen Organen oder Privatpersonen verursacht werde, siehe oben Abschnitt 1.IV.C.2.2.2. Wieser v Austria, ApplNr 2293/03, Urteil vom 22.2.2007, Newsletter Menschenrechte 2007/1, 30, Ribitsch v Austria, ApplNr 18896/91, Urteil vom 4.12.1995, Punkt 38. G.B. v Bulgaria, ApplNr 42346/98, Urteil vom 11.3.2004, Messina v Italy, Zulässigkeitsentscheidung, ApplNr 25498/94, Urteil vom 8.6.1999, Ramirez Sanchez v Frankreich, ApplNr 59450/00, Urteil vom 27.1.2005, Newsletter Menschrechte 2005/1, 19. EGMR D. v United Kingdom, ApplNr 30240/96, Urteil vom 2.5.1997 (Ausweisungsfall), siehe dazu auch unten Abschnitt 1.IV.C.4.3.
192
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Va die Haftbedingungen im ersuchenden Land können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen.964 Als solche qualifizierte der EGMR das death row phenomenon, wobei va das lange und unsichere Warten auf die Exekution verbunden mit den extremen Haftbedingungen in den Todeszellen dafür ausschlaggebend sind.965 Nach dem UN-Menschenrechtssausschuss hingegen stellt die lange und unbestimmte Zeit in der Todeszelle unter einem extremen Aufsichtsregime keine Verletzung von Art 7 IPBPR dar, da die Dauer der dort verbrachten Zeit von den vom Betroffenen erhobenen Rechtsmitteln abhängt, die zu seinen Gunsten bestehen.966 Eine Verletzung könne sich aber im Einzelfall aufgrund der besonderen Bedingungen im Todestrakt sowie der Hinrichtungsmethode ergeben. Denn es sei die Methode zu wählen, die das geringste physische und psychische Leid verursache. So stellte der Ausschuss in Ng v Canada fest, dass die Hinrichtung durch Vergasung diesem Standard nicht entspreche, da der Todeskampf dabei bis zu 10 Minuten dauern könne.967 Der EGMR erkannte zudem in Öcalan v Turkey, dass die Verhängung einer Todesstrafe, die nach 3 Jahren durch Gesetzesänderung aufgehoben und in lebenslänglich abgeändert wurde, gegen Art 3 EMRK verstößt, wenn sie das Ergebnis eines unfairen Verfahrens war und der Betroffene 3 Jahre lang die Konsequenzen dieser Verhängung erdulden musste.968 Eine Isolationshaft im Sinne einer völligen Abschottung ohne Möglichkeit einer sozialen Kontaktaufnahme verstößt gegen Art 3 EMRK.969 So stellt eine 8 Jahre dauernde Einzelhaft mit einer bloß einstündigen menschlichen Kontaktmög964
965
966
967
968
969
EGMR Kalashnikov v Russia, ApplNr 47095/99, Urteil vom 15.7.2002, BVerfG StV 2004, 440 f, vgl auch BVerfG StV 2005, 286; Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 33 ff; Popp, Rechtshilfe 358. Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), wobei in diesem Fall das Alter des Betroffenen sowie seine mentale Verfassung erschwerend hinzukamen, Ilascu et al v Moldova and Russia, ApplNr 48787/99, Urteil vom 8.7.2004. Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/ D/470/1991 (1993), 98 I.L.R. 426 (1994), Ng v Canada, Communication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993), 98 I.L.R. 473 (1994), Hylton v Jamaica, Communication No 600/1994 (1996), Wanza v Trinidad and Tobago, Communication No 683/1966 (2002). Communication No. 469/1991, UN Doc CCPR/C/49/D/469/1991 (1993). Die Vergiftung durch Injektion entspricht offensichtlich den Vorgaben: Kindler v Canada, Communication No. 470/1991, UN Doc CCPR/C/48/D/470/1991 (18.11.1993). Zu den in den USA praktizierten Hinrichtungsmethoden und iherer Bewertung siehe Kreuzer, in Vogler GS 173 ff. ApplNr 46221/99, vom 12.3.2003 Punkt 211 ff, daneben verstieß das Verfahren gegen Art 6 Abs 1 u Abs 3 lit b u c EMRK. Obiter dicta in Messina v Italy, Zulässigkeitsentscheidung, ApplNr 25498/94, vom 8.6.1999, sowie in Ramirez Sanchez v Frankreich, ApplNr 59450/00, vom 27.1.2005, abgedruckt im Newsletter Menschrechte 2005/1, 19.
Auslieferungshindernisse
193
lichkeit pro Tag eine unmenschliche Strafe dar, insb wenn keine außergewöhnlichen Sicherheitsrisiken dafür sprechen.970 Als nur relative soziale Isolierung („es kann von einer völligen Abschottung nicht die Rede sein“) und daher nicht gegen Art 3 verstoßende Haft betrachtet der EGMR eine 8 jährige Einzelhaft, während welcher der Beschwerdeführer zwar keine Kontaktmöglichkeit zu anderen Häftlingen oder Wärtern hatte, jedoch 2 mal pro Woche von einem Arzt, einmal pro Monat von einem Priester und ansonsten von seinen Anwälten aufgesucht wurde, wobei in der Entscheidung keine Aussage über die Häufigkeit der anwaltlichen Besuche getroffen wurde. In diesem Fall spielte die Gefährlichkeit des Betroffenen eine ausschlaggebende Rolle, weshalb der Gerichtshof dem Rückgriff auf außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen Verständnis entgegen brachte.971 Die Haftbedingungen im ersuchenden Land müssen bei der Auslieferungsentscheidung durch das Gericht unbedingt mitberücksichtig werden.972 Gegen die EMRK verstößt auch eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne jede Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung bzw Begnadigung.973 Dies wurde vom EGMR bisher nur inzidenter bejaht und auf eine tatsächliche Verletzung nicht erkannt.974 In Einhorn v France975 hielt der EGMR die (abstrakte) Möglichkeit der Umwandlung der lebenslangen in eine begrenzte Freiheitsstrafe durch den Gouverneur ohne eine entsprechende Zusicherung für ausreichend. Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Gerichtshof hier die theoretische Möglichkeit zur vorzeitigen Entlassung genügen lässt und sich nur begrenzt mit der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit auseinandersetzt.976 Eine Bekräftigung dieses Grundsatzes erfolgte aber nunmehr durch den RB-HB,
970
971
972
973
974
975 976
G.B. v Bulgaria, ApplNr 42346/98, vom 11.3.2004, vgl auch Ilascu et al v Moldova and Russia, ApplNr 48787/99, Urteil vom 8.7.2004. Ramirez Sanchez v Frankreich, ApplNr 59450/00, vom 27.1.2005, abgedruckt im Newsletter Menschrechte 2005/1, 19. BVerfG StV 2004, 440 f; zu Haftbedingungen, die zur Ablehnung der Auslieferung führen müssen siehe auch Schwaighofer, Auslieferung 129, zu den Haftbedingungen bei Untersuchungs- und Strafhaft siehe Villinger, EMRK Rz 279 ff. Böse, Anm zu OLG Wien 22 Ns 2/02, NStZ 2002, 671 ff, Peukert, in Vogler GS 158 ff, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b., siehe auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 97; vgl auch das dtBVerfG NStZ 2006, 104, NJW 1994, 2884 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1977, 1525; aM schweizer BGE 121 II 296, 299 f; Popp, Rechtshilfe 358, Matscher, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002, vgl auch die Generalprokuratur in ihrer NBzWdG gegen den OLG Beschluss, 22 Ns 2/01, im Fall Sholam W. hinsichtlich der in den USA angedrohten Gesamthaftstrafe von 845 Jahren für qualifizierte Betrugstatbestände, zitiert in OGH EvBl 2002/154=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller, ebenso OLG Wien 22 Ns 8/02 nv. Einhorn v France, ApplNr 71555/01, Punkt 27, vom 16.10.2001, ÖJZ-MRK 2003/1, ebenso Nivette v France, ApplNr. 00044190/98, vom 3.7.2001. ApplNr 71555/01, vom 16.10.2001, ÖJZ-MRK 2003/1. Dies gilt auch für den Beschluss des OLG Wien 22 Ns 8/02 nv im Fall Sholam W.
194
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
demzufolge zumindest nach der Rechtspraxis des Ausstellungsstaates (ersuchender Staat) ein Anspruch auf Aussetzung der Strafe nach 20 Jahren bestehen muss, andernfalls kann die Übergabe abgelehnt werden.977 Eine disproportional hohe Strafe kann ebenso unmenschlich sein und daher die Auslieferung hindern.978 Problematisch ist hier die Beurteilung der Unangemessenheit der Höhe, bzw ist fraglich, ob eine feste Grenze oder Formel herangezogen werden kann. Eindeutig sind jedenfalls die Fälle, in denen ein Betroffener aufgrund des Kumulationsprinzips zu mehreren hundert Jahren Haft verurteilt wird. Diese Strafen haben für den Betroffenen zumeist ohnehin eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne vorzeitige Entlassungsmöglichkeit innerhalb ihrer Lebenserwartung zur Folge,979 was wiederum – außer es erfolgt eine entsprechende Zusicherung – für sich nach der hier vertretenen Auffassung eine unmenschliche Strafe darstellt.980 Anschaulich ist der Fall Sholam W., in welchem der Betroffene wegen reiner Vermögensdelikte in den USA zu 845 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, was einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleichkommt. Hier gab sich das österreichische Gericht (OLG Wien) mit der rein hypothetischen Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung zufrieden.981 Daneben kann zB die Kumulation von Strafen für mehrere geringe Taten nach Auffassung des ersuchten Staates zu einer im Verhältnis zur Schwere des einzelnen Delikts unverhältnismäßig hohen Strafe führen, ebenso kann für eine Tat eine disproportionale Strafe verhängt werden. Um nicht gegen Art 3 EMRK zu verstoßen, muss die Strafe laut EGMR noch in Relation zum Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat stehen.982 Nach der Rsp des deutschen BVerfG reicht es nicht, dass die Strafe zu hart erscheint; mit Verweis 977 978
979
980
981
982
Vogel, in IRG-K § 73 Rz 97, siehe dazu auch unten Abschnitt 2.III.C.3. OLG Stuttgart NStZ 2005, 48 f=StV 2004, 546 (hinsichtlich der Übergabe nach dem EuHbG), BverfG NJW 1987, 2155, NJW 1994, 2884; Trechsel, EuGRZ 1987, 73, Bubnoff, Auslieferung 67, Popp, Rechtshilfe Rz 359, aM Matscher, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002. Siehe zB den Fall Sholam W., dazu oben FN 973; er wurde zu 845 Jahren verurteilt, dazu Böse, Anm NStZ 2002, 671 ff. Siehe auch den US-amerikanischen Fall des Krankenpflegers Cullon, der zu 13 lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurde und daher erst nach 127 Jahren vorzeitig entlassen werden kann, http://www.nytimes.com/2004/04/30/nyregion/30nurse.html?th. Vorsichtig Hollaender, AnwBl 2002, 380; aM Generalprokuratur und OLG Wien im Fall Sholam W., dazu oben FN 973. OLG Wien 22 Ns 8/02 nv. Über diesen Fall (Shalom Weiss v Austria, ApplNr 74511/01) mußte der EMGR nicht entscheiden, da der Beschwerdeführer seine Eingabe zurückzog, nachdem es der EGMR zuvor abgelehnt hatte, der ursprünglich angeordneten einstweiligen Maßnahme durch Verlängerung Wirksamkeit zu verleihen. Zu einer Prüfung trotz Rücknahme der Eingabe konnte sich der EGMR offensichtlich nicht entscheiden, zu Recht kritisch Peukert, in Vogler GS 153 ff. Rosenmayr, in Ermacora/Nowak/Tretter, EMRK 171 f.
Auslieferungshindernisse
195
auf den verfassungsrechtlichen Mindeststandard geht das Verfassungsgericht davon aus, dass erst eine unerträglich harte, unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen erscheinende Strafe die Auslieferung hindere.983 Laut BGH kann eine prozentuelle Grenze, wie zB das Übersteigen der im Inland zu verhängenden Strafe um 100%, nicht gezogen werden. Tatsächlich ist es problematisch, die Strafzumessungsregeln des eigenen Landes heran-, bzw eine solche Grenze zu ziehen. Ist das Delikt im Inland mit 1 Jahr Freiheitsstrafe bedroht, so machte – unter Heranziehung der 100% Regel – eine drohende 2-jährige Strafe im Ausland die Auslieferung unzulässig. Es muss wohl im Einzelfall – nach der hier vertretenen Auffassung anhand der innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben – beurteilt werden, ob die verhängte oder drohende Strafe zur Schwere der Tat und dem Unrecht des Täters in keinem sachlich gerechtfertigen Verhältnis steht, also dem Verhältnismäßigkeitsgebot widerspräche. Ist dies der Fall, so muss dies als Verstoß gegen den österreichischen und europäischen ordre public zur Ablehnung der Auslieferung führen.984 Der VfGH hält eine Strafe für erniedrigend, wenn sie eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Misshandlung des Betroffenen als Person ausdrückt. Darunter fallen zB das Ziehen an den Haaren, Versetzen von Fußtritten, die Verwendung von Gummiknüppeln, außer sie sind notwendig, ebenso Leibesvisitationen, außer sie sind aus sachlichen Gründen dringend geboten, sowie Ohrfeigen oder menschenunwürdige Haftbedingungen.985 In diesem Zusammenhang sind auch die Vorkommnisse im US-amerikanischen Abu Ghraib (Ghoreib) Gefängnis im Irak in Erinnerung zu rufen. Die in den Medien abgebildeten Aufnahmen zeigen ua Häftlinge, die nackt aufeinander liegen, die nackt an Hundeleinen geführt werden, die in sexuellen Positionen verharren oder nackt – wie erlegtes Wild – von Soldaten präsentiert werden.986 In all diesen Fällen wird die Nacktheit als Mittel sexueller
983
984
985
986
NJW 1987, 2155, auch zitiert in BverfG NJW 1994, 2884; zu einer Auflistung der diesbezüglichen dt Rsp siehe Vogel, in IRG-K § 73 Rz 99 f. Nach OLG Wien, 22 Ns 8/02, ist diese Schwelle bei einer Freiheitsstrafe von 845 Jahren für qualifizierte Betrügereien offenbar noch nicht erreicht. AM Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.4.b., der befürchtet, dass uU Auslieferung in Staaten mit Kumulationsprizip ausgeschlossen wäre; aber gerade das stellt ja den Sinn dieser Überlegung dar: ist die Strafe disproportional hoch, so ist die Auslieferung abzulehnen. Öhlinger, Verfassungsrecht6 Rz 750 f, Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 1392. Siehe http://www.washingtonpost.com/wp-srv/world/iraq/abughraib/swornstatements 042104.html, mit dem Link zu Bildern, Bericht vom 5.5.2004 aug n nt-v.de, http://www.n-tv.de/335141.html.
196
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Demütigung verwendet. Diese Art der Behandlung ist jedenfalls herabwürdigend, erniedrigend und ebenso unmenschlich, da sie starkes psychisches Leid verursacht, weshalb sie gegen Art 3 EMRK und Art 7 IPBPR verstößt. Andere Bilder zeigen Häftlinge, die in ein Kapuzengewand gehüllt auf einem Podest stehen müssen, bzw völlig erschöpft, durch Handschellen angekettet an einer Brüstung hängen. Ebenso schreckliche Berichte liegen über die Haftanstalt auf der US-Militärbasis auf Guantanamo Bay vor.987 Diese Fälle zeigen die Zufügung von starkem psychischem und physischem Leid, weshalb von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. US-amerikanische Auslieferungsersuchen, die vermutlich zu einer Anhaltung in diesen Haftanstalten führen, sind abzulehnen. 2.3. Auslieferungsasyl – non-refoulment § 19 Z 3 ARHG verbietet eine ansonsten zulässige Auslieferung, wenn der Auszuliefernde im ersuchenden Staat wegen seiner Abstammung, Rasse, Religion, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volks- oder Gesellschaftsgruppe, seiner Staatsangehörigkeit oder wegen seiner politischen Anschauungen einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder aus einem dieser Gründe anderer schwerwiegende Nachteile zu erwarten hätte. Dieses Verbot bildet einen Teil des umfassenderen und über den Bereich der Strafrechtspflege bzw Rechtshilfe hinausgehenden non-refoulment-Prinzips. Es wird heute zumindest dem Völkergewohnheitsrecht zugerecht.988 Diese Bestimmung steht in engem Zusammenhang einerseits mit dem Auslieferungsverbot wegen politischer Delikte989, sowie andererseits mit dem Auslieferungsverbot wegen drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.990 § 19 Z 3 ARHG entsprechende Bestimmungen finden sich in fast allen Auslieferungsverträgen. Während der RB-HB das Auslieferungsasyl (nur) im 12. Erwägungsgrund nennt, wurde es in § 19 Abs 4 EU-JZ als ausdrücklicher Ablehnungsgrund verankert.991
987
988 989 990 991
Der Spiegel vom 14.6.2005 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518, 360460,00.html, siehe auch http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185, OID4302068_REF1_NAV_BAB,00.html. Popp, Rechtshilfe Rz 135. Unten Abschnitt 1.IV.D.1. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 116 ff. Dazu unten Abschnitt 2.III.C.1.
Auslieferungshindernisse
197
3. Auslieferungshindernisse aufgrund der prozessualen Mangelhaftigkeit des Verfahrens im ersuchenden Staat 3.1. Fair trial Verletzung – due process violation Nicht nur im ersuchenden Staat zu erwartende Verletzungen völkerrechtlich statuierter – zB durch die EMRK –, sondern auch vom ersuchten Staat innerstaatlich gewährter Grundrechte sollten bei grundsätzlich bestehender Auslieferungspflicht die Unzulässigkeit der Auslieferung bewirken. Diese wurde bereits oben ausführlich dargestellt.992 Eine bedeutende Rolle spielen dabei die grundrechtlichen Garantien des fairen Verfahrens. Umfassende und unverzichtbare Verfahrensgarantien im Sinne eines rechtsstaatlichen Mindeststandards, deren Verletzung zur Unzulässigkeit der Auslieferung führen, gewährt auf multilateraler europäischer Ebene Art 6 EMRK993, sowie im Bereich der UN Art 14 IPBPR994. Daneben enthalten die Grundrechtskataloge der einzelnen demokratischen Staaten zum Teil weitergehende Vorgaben an einen fairen Strafprozess, die im Auslieferungsverkehr zur Anwendung gelangen. Strittig ist, ob die grundlegenden Verfahrensgarantien dem zwingenden Völkerrecht zuzuordnen sind.995 Für den freien Auslieferungsverkehr verpflichtet § 19 ARHG ausdrücklich zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze. Dieser Bestimmung zufolge ist die Auslieferung unzulässig, wenn das Strafverfahren Art 6 EMRK nicht entsprach bzw entsprechen wird. Auch bei grundsätzlich bestehender Vertragspflicht haben geschehene oder zu erwartende Verletzungen des fairen Verfahrens die Unzulässigkeit der Auslieferung zu bewirken. Dies ergibt sich für Österreich nunmehr insb aus § 33 Abs 3 ARHG.996 Aus der folgenden Besprechung wird das Abwesenheitsurteil aufgrund seiner Aktualität und seines häufigen Vorkommens in Auslieferungsverfahren ebenso wie das Verfahren vor einem Ausnahmegericht herausgenommen und beides in einem eigenen Punkt gesondert behandelt. Zu den Garantien des Art 6 EMRK, deren Verletzung die Unzulässigkeit der Auslieferung bewirkt, zählt zunächst das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (Abs 1).997 Die Unparteilichkeit des Gerichtes ist im Einzelfall zu prüfen. Sie kann aber jedenfalls aus der Verletzung der inner-
992 993
994 995
996 997
Abschnitt 1.IV.C.1. Villinger, EMRK Rz 412 ff, Peukert, in Frowein/Peukert, EMRK Art 6 Rz 1 ff; siehe auch Renzikowski, Lampe FS, 791 ff, Liebscher, JBl 1978, 507 ff. Dazu Nowak, CCPR-K Art 14 Rz 1 ff. Dafür schweizerischer BG, BGE 117 Ib 64, 91; aM Heimgartner, Auslieferungsrecht E.1.5.b. Vgl zu Deutschland Vogel, in IRG-K § 73 Rz 76 ff. Ausführlich zu diesen Kriterien Villinger, EMRK Rz 418 ff.
198
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
staatlichen Ausschließungsgründe der §§ 67–69 StPO abgeleitet werden,998 da diese als Ausformulierung der Vorgaben des Art 6 Abs 1 EMRK zu verstehen sind. Die EKMR hielt ua einen (vorsitzenden) Richter für parteiisch, der bereits als Staatsanwalt in derselben Sache fungiert hatte. Unter die Grundrechte des Art 6 EMRK fallen zudem die Unschuldsvermutung (Abs 2), das Recht, über Art und Grund der Anschuldigung in einer verständlichen Sprache informiert zu werden (Abs 3 lit a), sowie innerhalb einer angemessenen Frist abgeurteilt zu werden (Abs 3 lit a), das Recht auf eine wirksame Verteidigung durch angemessene Zeit, auf die Wahl oder Beigebung eines Verteidigers, die Möglichkeit der Ausübung des Fragerechts und wirksamer Rechtsmittel (Abs 3 lit b und c) sowie das Recht auf Beigebung eines Dolmetschers999 während der Verhandlung (Abs 3 lit e).1000 Art 14 IPBPR entspricht Art 6 EMRK insofern großteils, enthält zudem in Abs 5 eine Rechtsmittelgarantie. Diese wurde auch in Art 2 7. ZPMRK umfassend verankert: Jeder Verurteilte hat demnach das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht überprüfen zu lassen, wobei sich dieses Recht, insb die Gründe der Ausübung, nach dem Gesetz richten. Ausnahmen sind nur bei geringfügigen Straftaten zulässig sowie in den Fällen, in denen das oberste Gericht in erster Instanz entschied, oder das Urteil auf einen Freispruch erfolgt, gegen den ein Rechtmittel erhoben wurde.1001 Dieses ZP ist 1988 in Kraft getreten und wurde bisher neben Österreich1002 von 39 der 46 EMRK-Staaten ratifiziert.1003 Art 2 7. ZPMRK stellt für Österreich eine inhaltliche Ergänzung bzw Erweiterung und damit auch einen Bestandteil der Garantien des Art 6 EMRK dar.1004 Als verfassungsgesetzlich gewährleistetes Grundrecht ist es nach der hier vertretenen Auffassung vom Auslieferungsgericht als Zulässigkeitsvoraussetzung zu prüfen.1005 Sieht das Verfahren im ersuchenden Staat eine solche Rechtsmittelmöglichkeit nicht vor und
998 999 1000
1001 1002 1003
1004
1005
AM für das deutsche Recht Vogler, in IRG-K § 73 Rz 32 (aL). Siehe dazu BVerfG NJW 1988, 1462. Zu einer Besprechung des Umfangs des fairen Verfahrens und seine Auswirkung auf die Auslieferung siehe Vogel, in IRG-K § 73 Rz 76 ff. Dazu ausführlich Villinger, EMRK Rz 99 ff. BGBl 628/1988 idgF. Der Ratifikationsstand kann unter http://conventions.coe.int/Treaty/ Commun/ ChercheSig.asp?NT=117&CM=8&DF=3/19/2007&CL=ENG abgefragt werden. Peukert, in Vogler GS 155 f mwN, siehe auch die Generalprokuratur im Fall Sholam W. OGH EvBl 2002/154=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller, die im Ergebnis allerdings dennoch eine Anwendung dieser Bestimmung auf Auslieferungsverfahren ausschließt, da sie nicht zum grundrechtlichen Kernbereich der ERMK zähle. OLG Wien (Erstentscheidung im Fall Sholam W.) NStZ 2002, 669 mit zust Anm Böse, Bertel, JBl 2004, 194, Anm zu OGH 14 Os 30/03 (Fall Sholam W.), Fuchs, JBl 2002, 642 mwN.
Auslieferungshindernisse
199
wird keine entsprechende Zusicherung abgegeben, so ist die Auslieferung daher als unzulässig abzulehnen.1006 Der OGH ging zunächst – in Anwendung einer reinen Wortinterpretation – davon aus, dass nur Verstöße gegen Art 3 und 6 EMRK als Zulässigkeitsvoraussetzung vom Auslieferungsgericht zu prüfen seien, da § 19 ARHG anstatt eines Pauschalverweises auf die EMRK nur einen ausdrücklichen Verweis auf diese beiden Artikel enthält. Daher stelle die Einhaltung des Art 2 7. ZPMRK keine Zulässigkeitsvoraussetzung dar und falle eine eventuelle Berücksichtigung dieser Bestimmung in die Zuständigkeit des BMJ.1007 Der VfGH erklärte diese Ansicht zur Kompetenzverteilung zwischen Gericht und BMJ jedoch für verfassungswidrig,1008 weshalb sich der OGH diesbezüglich nunmehr einlenkend zeigt.1009 In materieller Hinsicht geht der OGH aber unter Verweis auf einen Teil der Lehre davon aus, dass die Rechtsmittelgarantie nicht zum grundrechtlichen Kernbereich der EMRK zähle, weshalb ihr Fehlen der Zulässigkeit einer Auslieferung nicht entgegenstehe.1010 Seit der Novellierung des ARHG durch das StRÄG 2004, die dem Gericht eine Prüfung aller Voraussetzungen und Hindernisse unter dem Gesichtspunkt der dem Betroffenen nach Gesetz und Bundesverfassung zukommenden subjektiven Rechte aufträgt, ist die gerichtliche Zulässigkeitsprüfung nicht mehr auf den Kernbereich der Grundrechte beschränkt und umfasst daher auch die Einhaltung der Rechtmittelgarantie im ersuchenden Staat.1011 Da die Einhaltung der Rechtsmittelgarantie bei Abwesenheitsverfahren Probleme in Bezug auf Art 2 7. ZPMRK und auch Art 6 EMRK aufwirft, insb wenn dem Betroffenen alleine auf Grund seiner Abwesenheit das Recht auf ein Rechtsmittel verweigert wird, findet eine weitere Auseinandersetzung damit anlässlich der Besprechung der Abwesenheitsurteile statt.1012 Bei der Überprüfung eines Verstoßes gegen Art 6 EMRK verlangt der EGMR zum Teil etwas unkonkret eine „flagrante“ Rechtsverweigerung.1013 Für den österreichischen VfGH bedeutet dies, dass das ersuchte Land nur 1006 1007 1008 1009 1010
1011 1012 1013
AM Burgstaller, JBl 2002, 676, Anm zu OGH 14 Os 8/02 (Sholam W.). OGH EvBl 2002/154=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller. JBl 2003, 439. JBl 2004, 191 mit Anm Bertel=AnwBl 2004, 110 mit Anm Hollaender. OGH JBl 2004, 194 mit Anm Bertel=AnwBl 2004, 112 mit Anm Hollaender; Burgstaller, JBl 2002, 676, Anm zu OGH 14 Os 8/02, mit Verweis auf die ebensolche Auffassung der Generalprokuratur, Matscher, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002. Zu dieser Neuerung oben Abschnitt 1.IV.C.1. Unten Abschnitt 1.IV.C.3.2. Siehe Einhorn v France Admissibility decision, ApplNr 71555/01, vom 16.10.2000, Punkt 33=ÖJZ-MRK 2003/1, VerfGH dazu unten Abschnitt 1.IV.C.3.2.
200
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
offenkundige Verstöße gegen Art 6 EMRK wahrzunehmen hat. Dies sollte nicht als Beschränkung auf außergewöhnlich schwere Grundrechtsverletzungen verstanden werden, zumal die Offenkundigkeit der Verletzung durch ein zu erwartendes Verfahren schwierig zu fassen ist. Daneben garantiert auch Art 5 EMRK, der das Recht auf Freiheit und Sicherheit schützt, bestimmte Verfahrensrechte insb in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Haft. Da diese Bestimmung va zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auslieferung bei Umgehungen der Auslieferung durch Kidnapping in einem Drittstaat herangezogen wurde,1014 findet eine Auseinandersetzung damit im Kapitel „Umgehung der Auslieferung“ statt.1015 3.2. Abwesenheitsurteil – trial in absentia 3.2.1. Grundlagen Die diesbezügliche Problematik stellt sich va bei Ersuchen um Überstellung zur Strafvollstreckung. Wurde gegen den Betroffenen im ersuchenden Staat in seiner Abwesenheit ein Prozess geführt und er verurteilt, so ist zu überlegen, ob eine Auslieferung zum Antritt dieser in Abwesenheit verhängten Strafe zulässig ist, denn das Recht auf persönliche Teilnahme am Verfahren zählt zu den grundlegendsten Garantien des fairen Verfahrens. In den USA führt dieser Einwand aufgrund der oben dargestellten rule of non inquiry ins Leere.1016 Einer dieses Prinzip manifestierenden Entscheidung, Gallina v Fraser1017, lag ein in Italien ergangenes Abwesenheitsurteil zugrunde. Der Betroffene brachte vor, in Abwesenheit verurteilt worden zu sein und im Falle der Auslieferung keine Rechtsbehelfsmöglichkeit dagegen zu haben. Das US-amerikanische Gericht stellte fest, dass es nicht seine Aufgabe sei, das fremde Verfahren auf dessen Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Verfahren zu überprüfen, und dass die Entscheidung über eventuelle Bedingungen, wie zB die Möglichkeit der Verfahrenswiederholung, ausschließlich in die Zuständigkeit der Exekutive falle. Auf die Problematik hinsichtlich italienischer Abwesenheitsurteile wird im Folgenden noch eingegangen. Im Auslieferungsverkehr mit EMRK-Staaten ist eine Verurteilung in Abwesenheit des Angeklagten als Auslieferungshindernis zu beachten, da sie einen Verstoß gegen die in Art 6 EMRK garantierten Verteidigungsrechte darstellen kann. Das Anwesenheitsrecht des Angeklagten an der Verhandlung zählt zu den grundlegenden Elementen des fairen Verfahrens.1018 Es er1014 1015 1016 1017 1018
OLG Wien EuGRZ 1996, 214. Abschnitt 1.V. Abschnitt 1.IV.C.1. 278 f.2d 77, 78 (2d Cir. 1960). Peukert, in Frowein/Peukert, EMRK Art 6 Rz 94.
Auslieferungshindernisse
201
gibt sich aus seinem Recht auf ein faires, öffentliches Verfahren und insb aus dem Recht, sich selbst zu verteidigen und Fragen an die Belastungszeugen stellen zu können.1019 Hatte der Angeklagte keine Kenntnis von der Verhandlung, so widerspricht ein Verfahren und eine Aburteilung in seiner Abwesenheit Art 6 EMRK, es sei denn, dem Angeklagten steht ab Erlangung der Kenntnis die Möglichkeit der Wiederaufnahme offen.1020 Blieb der Betroffene jedoch in Kenntnis der HV dem Verfahren fern, so liegen ein Verzicht auf die Anwesenheit und keine Verletzung von Art 6 EMRK vor, wenn weitere Rechtsschutzgarantien, insb sein Recht auf Vertretung durch einen Verteidiger, eingehalten wurden.1021 Die angestellten Überlegungen gelten nicht nur für die HV, sondern in bestimmten Fällen auch für die Verhandlung im Rechtsmittelverfahren. In diesem Stadium kommt dem Betroffen ein auf dem Verteidigungsrecht gegründetes Anwesenheitsrecht nach der Rsp des EGMR jedenfalls in jenen Fällen zu, in welchen das Rechtsmittelgericht Tatsachen anders als die Vorinstanz werten darf, diese Überlegung eine signifikante Rolle spielen und das Ergebnis zu schwerwiegenden Nachteilen für den Betroffenen führen kann.1022 Das BVerfG anerkennt das Anwesenheitsrecht daher in allen Berufungsverfahren, die die Rechtsfolgen der Tat betreffen.1023 Zudem ist bei Abwesenheitsverfahren ein Verstoß gegen die in Art 2 7. ZPMRK enthaltene Rechtsmittelgarantie denkbar. Nach deutschem Verfassungsrecht vermögen Abwesenheitsurteile dem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) sowie der Menschenwürde des Einzelnen (Art 1 Abs 1 GG) zu widersprechen.1024 Hinsichtlich der Auslieferung innerhalb der EMRK-Staaten wurde das Abwesenheitsurteil im 2. ZP zum EuAlÜbk ausdrücklich berücksichtigt: Art 3 Abs 1 sieht ein fakultatives Auslieferungshindernis bei Abwesenheitsurteilen vor, wenn in dem dem Urteil zugrunde liegenden Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt wurden, die anerkanntermaßen jedem einer strafbaren Handlung Beschuldigten zustehen.1025 Doch ist
1019 1020
1021
1022 1023 1024
1025
Villinger, EMRK Rz 473 ff. Peukert, in Frowein/Peukert, EMRK Art 6 Rz 94. Auf die Anforderung hinsichtlich der Wiederaufnahmemöglichkeiten sowie der Kenntnis des Verfahrens wird in den folgenden beiden Punkten eingegangen. Zu den Anforderungen, die an die Kenntnis zu stellen sind siehe unten Abschnitt 1.IV.C.3.2.2. Kremzow v Austria, Urteil vom 21.9.1993, ApplNr 12350/86. BverfG StV 2005, 284 ff. BVerfG StV 2004, 439 mwN, BGH JZ 2002, 464 mit Anm Vogel, OLG Karlsruhe StV 2004, 444; Vogel, in IRG-K § 73 Rz 85, ebenso Vogler IRG-K § 73 Rz 15 (aL). „… the proceedings leading to the judgment did not satisfy the minimum rights of defence recognized as due to everyone charged with criminal offence.“ Siehe Krapac, in Handbook 122 f.
202
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
die Auslieferung zu gewähren, wenn der ersuchende Staat die Gewährung der Verfahrenswiederholung unter Einhaltung der Verteidigungsrechte ausreichend zusichert. Dieses ZP wurde bisher von 40 der 46 Mitgliedstaaten ratifiziert. Auf die Regelung nach dem RB-HB bzw dem EU-JZG wird unten eingegangen.1026 Im ARHG findet sich die Berücksichtigung des Abwesenheitsurteils für den freien Auslieferungsverkehr in dem in § 19 Abs 1 enthaltenen zentralen Verweis auf die Verfahrensgarantien der EMRK: Die Auslieferung ist unzulässig, wenn das Verfahren im ersuchenden Staat (neben Art 3) Art 6 EMRK nicht entsprechen wird oder nicht entsprochen hat. Die Konventions- und Verfassungsmäßigkeit eines in Abwesenheit des Angeklagten ergangenen Urteils hängt wie oben angemerkt insb von folgenden Kriterien ab: einerseits davon, ob der Betroffene über Durchführung und Abschluss des Verfahrens gegen ihn unterrichtet und im folgenden Verfahren seine Verteidigungsrechte gewahrt wurden und andererseits davon, ob ihm zumindest nach Erlangung dieser Kenntnis die tatsächliche Möglichkeit eingeräumt wird, sich nachträglich rechtliches Gehöhr zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen.1027 3.2.2. Anforderungen, die an die Kenntnis vom Verfahren zu stellen sind Es soll nun auf das oben genannte erste Kriterium genauer eingegangen werden, nämlich der Frage nach der tatsächlichen Kenntnis von der Durchführung eines Verfahrens. Der deutsche BGH umschreibt die Sachverhalte, in denen der Verfolgte vom gegen ihn in Abwesenheit geführten „Verfahren, dem Hauptverhandlungstermin oder gar zudem von dem Urteil“ unterrichtet war, als auslieferungsrechtlich „regelmäßig unproblematisch“.1028 Bevor dieser Schluss gezogen werden kann, ist zu überlegen, welche Anforderungen an diese tatsächliche Kenntnis vom Verfahren zu knüpfen sind. Mit Vogel sind hierzu vier Überlegungen anzustellen:1029 Erstens ist zu fragen, was der Betroffene wissen muss, zweitens woher dieses Wissen stammt und drittens wer die Beweislast dafür zu tragen hat. Viertens muss berücksichtigt werden, dass das Verfahren auch bei unentschuldigtem Fernbleiben des über die HV informierten Angeklagten menschenrechtlichen
1026 1027
1028
1029
Abschnitt 2.III.C.4. BVerfG NStZ 2006, 102, StV 2004, 438=NVwZ 2004, 587, NJW 1991, 1411, BGH JZ 2002, 464 mit Anm Vogel, OLG Karlsruhe StV 20024, 444; Vogel, in IRG-K § 73 Rz 86. BGH 4 ARs 4/01, Beschluss vom 16.10.2001, II.2. abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de, zum Teil veröffentlicht in JZ 2002, 464, siehe dazu die kritische Anm Vogel, JZ 2002, 468, vgl auch BVerfG StV 438 (440). JZ 2002, 468 f.
Auslieferungshindernisse
203
Mindestanforderungen entsprechen muss; hier ist va auch auf die Rechtsmittelgarantie einzugehen. Hinsichtlich der ersten und zweiten Frage ist festzustellen, dass nach der Rsp des EGMR1030, einer Mehrheit der deutschen OLG sowie einem Großteil des deutschsprachigen Schrifttums die vage und informelle Kenntnis eines anhängigen Verfahrens nicht ausreicht, sondern der Betroffene vielmehr über Ort und Zeit der HV aufgrund einer amtlichen Mitteilung Bescheid wissen muss.1031 Ein Teil der deutschen Rsp und Lehre lässt es hingegen genügen, dass der Verfolgte wusste, dass ein Verfahren anhängig ist, wobei sogar privates Wissen auszureichen scheint.1032 Der durch das deutsche EuHbG eingefügte § 83 IRG lässt es auch genügen, wenn der Betroffene „auf andere Weise“ von der Verhandlung erfahren hat.1033 Dies ist strikt abzulehnen, ein Verzicht des Angeklagten auf Teilnahme an der HV kann nur dann angenommen werden, wenn er über Ort und Zeit der HV offiziell informiert wurde, also eine förmliche gerichtliche Ladung vorliegt. Der bloße Umstand, dass der Betroffene ein Strafverfahren möglicherweise erwartete oder erwarten musste, und er sich diesem schon im Voraus durch Flucht entzieht, kann für sich alleine nicht zu seinem Nachteil ins Gewicht fallen.1034 Nur der Betroffene, der vom konkreten Verfahrensstadium – insb der Hauptverhandlung – amtlich in Kenntnis gesetzt wurde und nunmehr seine Verteidigungsrechte wirksam ausüben könnte, sich derer aber durch Flucht freiwillig begibt, verwirkt seinen Anspruch auf Anwesenheit. Er verwirkt aber dadurch nicht seinen Anspruch auf Rechtsschutz in diesem Verfahren, weshalb insb sein Recht auf Vertretung durch einen Verteidiger gewahrt werden muss. Zur dritten Frage, wer die Beweislast für die Kenntnis zu tragen hat, tritt Vogel für die Übernahme des „für die menschenrechtliche Beurteilung des Strafverfahrens entwickelten Grundsatzes“ im Auslieferungsverfahren ein, wonach nicht der Verfolgte seine Unkenntnis, sondern die Strafverfolgungsbehörden seine Kenntnis nachweisen müssen.1035 Dies hat jedenfalls in den Fällen zu gelten, in denen – wie nach italienischem Verfahrensrecht – die Abwesenheit sogar gerichtlich festgestellt wurde und die Zustellung nur an 1030 1031
1032
1033 1034 1035
Dazu EGMR ÖJZ MRK 1993/13, T v Italy, OLG Hamm NStZ 1987, 194 f. Für viele OLG Hamm NStZ 1997, 195, OLG Düsseldorf NStZ 1987, 466; Lagodny, in IRG § 73 Rz 80 f mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen, ebenso Vogel, JZ 2002, 468, Linke, Grundriss 58 f, Schwaighofer, Auslieferung 128, siehe auch Fabrizy, StPO9 § 79 Anm 8. OLG Karlsruhe NStZ 1983, 225; nach Bubnoff, Auslieferung 83, genügt es, wenn die Kenntnis mittelbar auf amtlichen Mitteilungen beruht, siehe auch die Nachweise bei Lagodny, in IRG § 73 Rz 80 f. Zur Auslegung dieser Bestimmung unten Abschnitt 2.III.C.4. OLG Hamm NStZ 1997, 195, OLG Düsseldorf NStZ 1987, 466. JZ 2002, 468.
204
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
einen Pflichtverteidiger erfolgte. Davon umfasst sind weiters Fälle, bei denen sich die Wirksamkeit der Zustellung sonst aus einer gesetzlichen Vermutung, ohne Nachweis im Sinne einer eigenhändig unterfertigten Empfangsbestätigung bei der Ersatzzustellung, oder eines Abholscheines nach einer Hinterlegung, ergibt.1036 Beides wird im Folgenden ausführlich dargestellt.1037 Viertens sind auch, wie bereits erwähnt, bei unentschuldigtem Fernbleiben in Kenntnis des Verfahrens menschenrechtliche Mindestanforderungen zu wahren.1038 Es ist daher auch diesfalls vom Auslieferungsgericht zu prüfen, ob dem Auslieferungsersuchen ein faires Verfahren zugrunde liegt. Insbesondere setzt dies voraus, dass dem Verteidiger des abwesenden Angeklagten nicht der Zugang zum Verfahren verwehrt wird,1039 und dem Angeklagten, aufgrund seines Verzichtes an der Teilnahme am Verfahren, nicht auch ein Verzicht auf Rechtsmittel unterstellt wird. Denn es darf dem in Abwesenheit Verurteilten nicht das Recht auf die ihm – wie allen anderen Verurteilten – zustehenden Rechtsmittel verwehrt werden.1040 Einen solchen implizierten Verzicht sieht jedoch das im US-amerikanischen Recht vorgesehene „Prinzip des Berechtigungsverlustes durch Flüchtige“1041 vor. Dieses Prinzip ist zunächst im Hinblick auf die Vorgaben des von Österreich ratifizierten Art 2 7. ZPMRK abzulehnen und eine Auslieferung in solchen Fällen unzulässig. Zudem ist auch auf eine Verletzung des Art 6 EMRK zu erkennen. Art 6 EMRK selbst enthält zwar keine Rechtmittelgarantie, wird diese jedoch durch einen Staat gewährt, weil seine Verfahrensordnung ein Rechtsmittel zulässt (wie es die USA tut), so ist Art 6 EMRK auch auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden.1042 Doch ist diese Auffassung nicht unbestritten.1043 1036
1037 1038
1039
1040
1041
1042 1043
Vgl aber die bei Peukert, in Frowein/Peukert, EMRK Art 6 FN 356 dargestellten Sorgfaltspflichten des (abwesenden) Betroffenen. Unten Abschnitt 1.IV.C.3.2.3. Van Geyseghem v Belgium, ApplNr 26103/95, Urteil vom 21.1.1999, Lala v the Netherlands, ApplNr 14861/89, Urteil vom 22.9.1994, BVerfG StV 2007, 438 (440), NJW 1991, 1411. Van Geyseghem v Belgium, ApplNr 26103/95, Urteil vom 21.1.1999, Lala v the Netherlands, ApplNr 14861/89, Urteil vom 22.9.1994, BVerfG StV 2007, 438 (440), NJW 1991, 1411. Vogel, JZ 2002, 468, ders, in IRG-K § 73 Rz 87 dritter Punkt, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.d, vgl auch EGMR Poitrimol v France, Urteil vom 23.11.1993, Punkt 38. Siehe dazu die Hinweise in OGH EvBl 2002/154=JBl 2002, 670 mit Anm Burgstaller und OGH JBl 2004, 191 mit Anm Bertel=AnwBl 2004, 110 mit Anm Hollaender, beide den Fall Sholam W. betreffend. Peukert, in Vogler GS 155 f mwN insb der EGMR Rsp. Vgl Burgstaller, JBl 2002, 676, Anm zu OGH 14 Os 8/02 (Fall Sholam W.) mit Verweis auf die entsprechende Auffassung der Generalprokuratur, Matscher, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002.
Auslieferungshindernisse
205
Es ist daher darauf zu achten, dass auch dem (zu Recht) in Abwesenheit Verurteilten im ersuchenden Land eine inhaltliche Rechtsmittelmöglichkeit gegen das Verfahren zusteht, um Verfahrensfehler bekämpfen zu können. Das Abwesenheitsurteil nach österreichischem Recht entspricht, im Gegensatz zum US-amerikanischem Recht, diesen Vorgaben: Ein in Abwesenheit ergangenes Urteil ist dem Angeklagten gem § 427 StPO persönlich zuzustellen.1044 Erst mit der wirksamen persönlichen Zustellung beginnt die gewöhnliche Rechtsmittelfrist zu laufen. Daher steht demjenigen, der in Kenntnis des Verfahrens durch sein Fernbleiben auf die Anwesenheit am Verfahren verzichtete und damit zu Recht in Abwesenheit verurteilt wurde, dennoch ab persönlicher Zustellung des Urteils ein wirksames Rechtsmittel zu. Daneben gewährt § 427 StPO einen einfachen Rechtsbehelf, den Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil, mit dem der mangels tatsächlicher Kenntnis vom Verfahren zu Unrecht in Abwesenheit Verurteilte, bzw derjenige, der aus anderen wichtigen Gründen nicht teilnehmen konnte, die Verfahrenswiederholung erwirken kann. Auf diesen Rechtsbehelf wird in der Folge noch eingegangen. 3.2.3. Wirksame Möglichkeit des nachträglichen rechtlichen Gehörs Dabei geht es um das oben aufgeworfene zweite Kriterium, nämlich die Überlegung, dass demjenigen, dem mangels Kenntnis am Verfahren das rechtliche Gehör zunächst verwehrt wurde, nachträglich eine wirksame Möglichkeit in die Hand zu geben ist, sich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich nunmehr wirksam zu verteidigen, dh im Ergebnis eine Aufhebung und Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken. Nur diesfalls entspricht das Abwesenheitsverfahren den Vorgaben eines fair trial.1045 Zur Frage, welche Anforderungen an dieses nachträgliche Instrument zu stellen sind, ist va die strenge deutsche Rsp als Maßstab heranzuziehen: Die eingeräumten Möglichkeiten müssen tatsächlich wirksam sein, was nur dann gegeben ist, wenn eine Rechtsmittelbelehrung ergeht und dem Betroffenen ein einfacher Rechtsbehelf zu Verfügung steht, der keine besondere Darlegungs- bzw Beweislast verlangt und zur Verfahrenswiederholung führt.1046 Ein Großteil der betreffenden deutschen Entscheidungen bezieht sich auf das italienische Recht, das vorab dargstellt werden soll: Die italienische Strafprozessordnung (codice di procedura penale – c.p.p.) sieht ein Verfahren 1044 1045
1046
Zur persönlichen Zustellung unten Abschnitt 1.IV.C.3.2.3. Siehe dazu Vogel, in IRG-K § 73 Rz 87 und Rz 88, in der die Rechtmäßigkeit von Abwesenheitsurteilen bestimmter Länder beurteilt wird. BVerfG StV 2004, 438=NVwZ 2004, 587, BGH JZ 2002, 464 ff, OLG Karlsruhe StV 2004, 445, OLG Düsseldorf NStZ 1987, 466 f; Lagodny, in IRG § 73 Rz 85 mvN; ebenso EKMR Stamoulakatos v Greece, ApplNr 12806/87, Bericht vom 20.5.1992.
206
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
in Abwesenheit des Beschuldigten vor, wobei dies als Säumigkeitsverfahren (Verfahren in contumacia) bezeichnet wird.1047 Vom Verfahren in Abwesenheit hingegen wird gesprochen, wenn der Angeklagte an der Teilnahme an der HV (bzw der Vorverhandlung) verhindert ist und ihrer Durchführung in seiner Abwesenheit zustimmt, oder der inhaftierte Angeklagte die Teilnahme daran verweigert.1048 Ein Säumigkeitsverfahren ist zulässig, wenn der Betroffene wirksam geladen wurde, wobei sowohl die Ersatzzustellung an andere Personen1049 als auch die Hinterlegung als Zustellungsarten nach Art 157 c.p.p. vorgesehen sind. Über beide wird der Betroffene per Einschreiben informiert, ab Empfang des Einschreibens gilt die Zustellung als wirksam.1050 Konnte die Zustellung auf diesem Weg nicht erfolgen oder der Aufenthalt einer Person nicht ermittelt werden, so sieht das italienische Recht in Art 159 c.p.p. die gerichtliche Feststellung der Unauffindbarkeit vor, die dazu berechtigt, für den Betroffenen einen Pflichtverteidiger zu bestellen, an den nunmehr rechtswirksam zugestellt werden kann1051 und der ihn in der folgenden HV verteidigt. Der Nachweis einer persönlichen Ladung bzw eine gerichtliche Vernehmung des Betroffenen ist daher zur Durchführung der HV gerade nicht vorgesehen. Die rechtswirksame Zustellung ergibt sich vielmehr daraus, dass ihm die Ladung gerade nicht persönlich zugestellt werden kann, da seine Abwesenheit zuvor gerichtlich festgestellt wurde.1052 Der dem „säumigen“ Betroffenen diesfalls gem Art 175 c.p.p. eingeräumten Wiedereinsetzungsmöglichkeit spricht die deutsche Rsp – va unter Berufung auf die strenge italienische Praxis – zurecht eine mängelheilende Wirkung ab, da dem Betroffenen für die Wiedereinsetzung eine Frist von nur 10 Tagen offen steht und ihm darüber hinaus eine zu umfassende Beweislast aufgebürdet wird: Der – gerichtlich als unauffindbar deklarierte – Betroffene hat nicht nur seine Nichtkenntnis vom Verfahren, sondern auch sein Nichtverschulden daran nachzuweisen, sowie dass er sich nicht bewusst der
1047
1048
1049
1050
1051
1052
Art 484 Abs 2bis iVm Art 420quater c.p.p. Siehe dazu ausführlich Vogel, JZ 2002, 466, siehe auch Hackner, NStZ 2005, 313, Linke, Grundriss 58 f. Art 484 Abs 2bis iVm Art 420quinquies c.p.p., siehe dazu Perchinunno, in Pisani/Molari/Perchinunno/Corso, Manuale die Procedura Penale6 478 f. Gem Art 157 c.p.p. ist die Aushändigung an Personen zulässig, die mit dem Betroffenen zusammenleben, in Ermangelung derer an den Hausmeister. Laut Gesetz scheint auch die Ersatzzustellung am Arbeitsplatz zulässig zu sein, wobei dem Gesetzestext nicht klar zu entnehmen ist, an wen sie zu erfolgen hat. Art 157 Abs 3 und 8 c.p.p.. Die Notwendigkeit des Einschreibens ist nur hinsichtlich der Aushändigung an den Hausmeister ausdrücklich geregelt, wird aber wohl analog auch hinsichtlich der Mitbewohner gelten. Art 159 Abs 2 c.p.p.: „Le notificazioni in tal modo eseguite sono valide a ogni effetto.” Dazu auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 82 FN 63.
Auslieferungshindernisse
207
Kenntnisnahme des Verfahrens entzog.1053 In diesen Fällen könnte nur eine ausreichende Zusicherung auf Verfahrenswiederholung die Auslieferung ermöglichen. Im deutschen Strafverfahren ist die Durchführung der HV gegen einen Abwesenden gem § 232 dStPO zulässig, wenn dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf die Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit hingewiesen wurde. Zudem darf die zu erwartende Strafe 180 Tagessätze nicht übersteigen.1054 Als ordnungsgemäße Ladung gilt auch die Ersatzzustellung, was eine tatsächliche Unkenntnis des Angeklagten vom HV-Termin bedeuten kann.1055 Das Urteil ist dem Angeklagten oder seinem Wahl- oder Pflichtverteidiger zuzustellen. Als wirksame Handhabe im Fall der Unkenntnis steht dem Angeklagten binnen einer Woche nach Zustellung dieses Abwesenheitsurteils die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem § 235 dStPO offen, wodurch das Abwesenheitsurteil hinfällig wird.1056 Hatte der Angeklagte keine Kenntnis von der Ladung, so ist kein Nachweis des Nichtverschuldens nötig.1057 War er zwar von der Ladung in Kenntnis gesetzt, jedoch aufgrund eines unabwendbaren Zufalles an der Teilnahme verhindert war, so ist ein fehlendes Verschulden nachzuweisen. Neben dieser Wiederaufnahmemöglichkeit stehen dem Angeklagten die Rechtmittel der Berufung und Revision zu. Nach § 427 der österreichischen StPO ist ein landesgerichtliches Verfahren in absentia nur unter der Voraussetzung zulässig, dass der Betroffene bereits als Beschuldigter gerichtlich vernommen und ihm die Ladung zur HV persönlich zugestellt wurde. Zudem ist ein Abwesenheitsverfahren nur wegen Vergehen, das sind Straftaten mit einer Strafdrohung von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe, zulässig. Im bezirksgerichtlichen Verfahren entfällt die Notwendigkeit der gerichtlichen Einvernahme.1058 Zwar stellt die Zustellung durch Hinterlegung gem § 17 Abs 3 ZustellG bereits eine persönliche Zustellung dar,1059 doch gilt dies nicht, wenn sich ergibt, dass der Betroffene wegen Abwesenheit nicht rechtzeitig Kenntnis nehmen konnte.1060 Die Beweislast 1053
1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060
BVerfG StV 2004, 438=NVwZ 2004, 587, BGH JZ 2002, 464 mit Anm Vogel; OLG Thüringen StV 1999, 265, OLG Karlsruhe StV 1999, 268, 270, OLG Düsseldorf StV 1999, 270, OLG Nürnberg StV 1997, 648 f; siehe auch in Bezug auf das griechische Recht EKMR Stamoulakatos v Greece, ApplNr 12806/87, Bericht vom 20.5.1992, aM OLG Frankfurt JZ 2002, 464. § 230 Abs 1 dStPO, vgl auch 285 dStPO, dazu auch Vogel, JZ 2002, 466. §§ 232 iVm 216 iVm 37 dStPO, dazu Meyer-Goßner, StPO49 § 216 Rz 2. Roxin, Strafverfahrensrecht25 § 42 Rz 42. Meyer-Goßner, StPO49 § 235 Rz 4. §459 StPO. Fabrizy, StPO9 § 427 Rz 5. Bertel/Venier, StPO8 Rz 195, dazu auch ausführlich Schedlberger, AnwBl 1992, 281 ff, Schwaighofer, AnwBl 1983, 379 ff.
208
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
für die Rechtswirksamkeit der Zustellung obliegt der Behörde.1061 Gegen das Abwesenheitsurteil im landesgerichtlichen Verfahren steht dem Betroffenen der Einspruch gem § 427 Abs 3 StPO und die Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 Abs 1 Z 31062 bzw die Nichtigkeitsberufung gem § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 3 StPO und bei Fristversäumung die Wiedereinsetzung gem § 364 StPO offen. Im bezirksgerichtlichen Verfahren steht dem Betroffenen nur der Einspruch gem § 478 StPO zu. Im landesgerichtlichen Verfahren werden mangels gerichtlicher Einvernahme selten Abwesenheitsurteile gefällt. Es ist aber der folgende, auslieferungsrechtlich relevante, hypothetische Sachverhalt zu überdenken, der zur Darstellung des Procedere aufgezeigt werden soll: Dem abwesenden Betroffenen, dessen gerichtliche Vernehmung im Rahmen der Vorerhebungen bereits stattgefunden hat, wird die Ladung zur HV durch Hinterlegung zugestellt und er in der Folge in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe wegen eines Vergehens verurteilt. Auch die Urteilszustellung erfolgt im Wege der Hinterlegung. Im Ausland wird der Betroffene wegen des inzwischen ergangenen Haftbefehls in Auslieferungshaft genommen und erfährt möglicherweise erst dadurch von dem gegen ihn geführten weiteren Verfahren (Hauptverhandlung) und insb seiner Verurteilung. Er hat nun zunächst die Möglichkeit, die unwirksame Zustellung des Urteils aufgrund seiner Abwesenheit zu behaupten, worauf ihm das Urteil neuerlich rechtswirksam zuzustellen ist. Innerhalb der 14-tägigen Frist stehen dem Betroffenen nunmehr sowohl Einspruch als auch Nichtigkeitsberufung bzw -beschwerde offen, die miteinander verbunden werden können.1063 Diesfalls ist der Zustellungsmangel nach der Rsp als Verfahrensmangel im Verfahren über den Nichtigkeitsgrund und nicht im Einspruchsverfahren zu erledigen.1064 Eine Beweislast trifft ihn bei der Erhebung des Rechtsmittels wegen Nichtigkeit nicht. Wird nur der Einspruch erhoben, so ist der Zustellungsmangel jedenfalls in diesem Verfahren zu berücksichtigen: Das ergibt sich schon daraus, dass die Anmeldefrist für die Nichtigkeitsbeschwerde nur drei Tage beträgt.1065 Lehre und Rsp äußern sich dazu nur vage.1066 Im Einspruch müsste der Betroffene nach der Rsp 1061
1062 1063
1064 1065
1066
Fabrizy, StPO9 § 79 Anm 9 mwN aus der Rsp; laut Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren2 Bd I § 17 Anm 22, E 65 f, E 67 ff, E 77, trifft den Betroffenen eine Verpflichtung zur Mitwirkung, bzw habe er die behauptete Abwesenheit zu bescheinigen. Diese käme im schöffengerichtlichen Verfahren wegen § 274 oder § 275 in Frage. Diesfalls gilt die 14-tägige Frist für beide, § 427 Abs 3 StPO, Bertel/Venier, StPO8 1073. Mayerhofer, StPO5 Bd 2, § 427 E 36, Fabrizy, StPO9 § 427 Anm 10, 13. Siehe §§ 284 Abs 1, 489 Abs 1 iVm 466 Abs 1 StPO, zur Ausführung des Rechtsmittel stehen 4 Wochen zur Verfügung, §§ 285 Abs 1, 489 Abs 1 iVm 467 Abs 1 StPO. Mayerhofer, StPO5 Bd 2, § 427 E 36, Fabrizy, StPO9 § 427 Anm 10, 13, SSt 19/157.
Auslieferungshindernisse
209
nachweisen („nicht nur behaupten, sondern auch unter Beweis stellen“1067), dass ihn ein unabweisbares Hindernis an der Teilnahme hinderte.1068 Da aber die Beweislast über die Wirksamkeit der Zustellung iSd § 17 Abs 3 ZustellG bei der Behörde liegt, hat dies auch bei einem Einspruch analog zu gelten. Das ergibt sich auch aus der ausdrücklichen Regelung hinsichtlich des Einspruchs gegen das bezirksgerichtliche Abwesenheitsurteil.1069 Diese Rechtsbehelfe bzw -mittel müssen dem Betroffenen eine schnelle und wirksame Außerkraftsetzung des ersten Verfahrens ermöglichen. Für die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ist in Anlehnung an den EGMR zu verlangen, dass bei fehlender Kenntnis vom Verfahren, die darauf beruht und immanent auch schon dadurch nachgewiesen ist, dass der Aufenthalt des Betroffenen nicht ermittelt werden kann, wie im Fall der Unerreichbarkeitsfeststellung nach Art 159 c.p.p., die Beweislast für die dennoch rechtswirksam erfolgte Zustellung der Staat zu tragen hat, die er in der Regel nicht erbringen kann.1070 Ist der Aufenthalt grundsätzlich bekannt und findet eine Ersatzzustellung oder Hinterlegung ohne unterfertigten Abholschein oder Empfangsbestätigung statt,1071 so kann dem Betroffenen die Bescheinigungslast auferlegt werden. Eine darüber hinausgehende Beweislast, insbesondere auch der Nachweis des Nichtverschuldens, darf ihm nicht aufgebürdet werden, da sich die persönliche Zustellung wiederum nur aus der gesetzlichen Fiktion, ohne einen tatsächlichen Nachweis, ergibt.1072 Der Beweis der wirksamen Zustellung muss der Behörde obliegen. Entspricht das dem Betroffenen im ersuchenden Staat zustehende Instrument diesen Kriterien, so hat der ersuchte Staat von einer wirksamen Möglichkeit des nachträglichen rechtlichen Gehörs auszugehen. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so kann die Auslieferung dennoch zulässig sein, wenn der ersuchte Staat die Zusicherung abgibt, dem Betroffenen eine neuerliche Verhandlung zu gewähren. Auch zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Abwesenheitsurteils ist der anlässlich der Todesstrafe formulierte Maßstab heranzuziehen, ob die Grundrechtsverletzung eine vorhersehbare Konsequenz der Auslieferung darstellt, bzw ob eine Zusicherung des ersuchenden Staates auf Verfahrenswiederholung rechtsstaatlich ausreichend ist. Hinsichtlich der Zuverlässig1067 1068 1069
1070
1071 1072
Mayerhofer, StPO5 Bd 2, § 427 E 42. Mayerhofer, StPO5 Bd 2, § 427 E 41a ff. Gem § 478 steht dem Beschuldigten der Einspruch offen, „wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist, oder er nachweisen kann, dass er durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sei“. Sofern man dieser Art des Säumnisverfahrens überhaupt Verfassungsmäßigkeit zuerkennt. Vgl § 17 Abs 3 öZustellG sowie Art 157 iVm Art 159 c.p.p.. Siehe auch EKMR Stamoulakatos v Greece, ApplNr 12806/87, Bericht vom 20.5.1992, Vogel, JZ 2002, 468, Lagodny, in IRG § 73 Rz 85 ff mvN.
210
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
keit der Zusicherung stellt sich auch hier das – bereits anlässlich der Besprechung der Todesstrafe als Auslieferungshindernis aufgezeigte1073 – Problem, dass diese von der Exekutive gegeben wird, über Zulässigkeit und Erfolg des Rechtsmittels bzw Rechtsbehelfes jedoch ein unabhängiges Gericht entscheidet, dessen Bindung an die Zusicherung fraglich ist.1074 Nach der hier vertretenen Auffassung ist an die Zusicherung ein strenger Maßstab zu stellen. Der folgende Fall soll die Schwierigkeiten verdeutlichen, die sich bei der Beurteilung eines Abwesenheitsurteils ergeben können: Im EGMR-Urteil Einhorn v France1075 wurde das US-amerikanische Auslieferungsersuchen zum Vollzug einer in absentia verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes mit dem Hinweis auf die fehlende Rechtsbehelfsmöglichkeit zunächst vom französischen Auslieferungsgericht abgelehnt. Erst nach einer entsprechenden Gesetzesänderung in den USA, aufgrund derer in bestimmten Fällen eine Überprüfungsmöglichkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besteht, wurde das neuerliche Ersuchen bewilligt, und zwar unter der Bedingung der Zusicherung durch StA und State Department, dass dem Betroffenen im vorliegenden Fall die Verfahrenswiederholung ermöglicht werde.1076 Der Beschwerdeführer wandte ein, dass es sich bei dem Gesetz um ein für ihn erlassenes Anlassgesetz handle, welches zudem gegen die Gewaltenteilung verstoße und daher verfassungswidrig sei, was er durch diverse Gutachten untermauerte. Dies ist insofern bedeutsam, als ein verfassungswidriges Gesetz nicht nur mit der Aufhebung durch das Höchstgericht bedroht ist, sondern jedes US-amerikanische Gericht aus eigener Macht zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes berufen und daher im Ergebnis daran auch ohne formelle höchstrichterliche Aufhebung nicht gebunden ist.1077 Der EGMR hielt die Auslieferung unter der genannten Bedingung dennoch für konventionskonform. Er räumte ein, dass der Beschwerdeführer zwar ernste Fragen zur Verfassungswidrigkeit aufwarf („…serious questions arise…“), die dazu beigebrachten Rechtsgutachten dies aber nicht klar beweisen konnten, wozu wohl auch nur ein Gericht des ersuchenden Landes imstande wäre. Es könnten daraus keine wesentlichen Gründe abgeleitet werden, nach denen eine Verfahrenswiederholung unmöglich sei bzw eine „flagrante“ Rechtsverweigerung vorliege. Zudem sei es nicht die Aufgabe des ersuchten Staates, eine solche Überprüfung eines fremden Gesetzes vorzunehmen. 1073 1074 1075 1076
1077
Abschnitt 1.IV.C.2.1.6. Vogel, JZ 2002, 468. Admissibility decision, ApplNr 71555/01, vom 16.10.2001=ÖJZ-MRK 2003/1. Die zuständige StA versicherte dies in eidesstattlicher Erklärung, in der sie zudem festhielt, dass auch alle zukünftigen zuständigen StA daran gebunden seien, Einhorn v France, Punkt 12. Einhorn v France, Punkt 17 u 19.
Auslieferungshindernisse
211
Im Ergebnis erachtete er auch die Zusicherung der Exekutive als ausreichend, die USA völkerrechtlich zur Einhaltung der eingegangenen Bedingung der Verfahrenswiederholung zu verpflichten. Auch für den Fall der Verfassungswidrigkeit gab sich der Gerichtshof überzeugt, dass die Spezialität einen Vollzug der in Abwesenheit verhängten Strafe verbiete.1078 Die besondere Problematik bei der Beurteilung der fair trial Garantien ergibt sich daraus, dass sowohl bei der Auslieferung zur Strafverfolgung als auch bei Abwesenheitsurteilen jeweils nur eine Prognose erstellt, nicht aber geschehenes Verhalten beurteilt werden kann. Der vorliegende Fall ist insofern kritisch zu beurteilen, als sich die Zusicherungen der Exekutive nicht ausreichend mit der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des Anlassgesetzes beschäftigten.1079 Hier hätte auf diplomatischem Weg eine weitere Klärung zumindest versucht werden sollen. In Zweifelsfällen ist ein strenger Maßstab heranzuziehen. Das bedeutet nicht, dass der Beschuldigte in diesen Fällen ungeschoren „davonkommt“, vielmehr greift das Institut der stellvertretenden Strafrechtspflege, wodurch den Strafverfolgungsinteressen entsprochen werden kann. 3.3. Ausnahmegericht – special courts Die Auslieferung zur Strafverfolgung durch ein Ausnahmegericht bzw zur Vollstreckung eines Urteils durch ein solches Gericht ist unzulässig, da dieses nicht den Anforderungen eines fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK entspricht.1080 Zum einen steht es im Widerspruch zur Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Gerichts, zum anderen werden die notwendigen Verteidigungsrechte in Verfahren vor diesen Gerichten meist beschnitten. Ob ein Spruchkörper ein Ausnahmegericht darstellt, ist im Einzelfall festzustellen. Ein maßgebliches Kriterium dafür ist eine willkürliche Zuständigkeit, die Parteilichkeit und Abhängigkeit des Gerichtes vermuten lässt. Es wird daher vielfach definierend angeführt, dass das Ausnahmegericht abweichend von der gesetzlichen Zuständigkeit, dh von den Gerichtsorganisationsgesetzen, besonders gebildet wurde und es zudem keine allgemeine Zuständigkeit be1078
1079
1080
Einhorn v France, Punkt 33. Der Grundsatz der Spezialität ist tatsächlich einer der wenigen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, die der Supreme Court in einer Auslieferungsentscheidung für ausdrücklich anwendbar erklärte, United States v Rauscher 119 US 407 (1886). Während die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes damit zugesichert wurde, dass es nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Vorwurf, dass es gegen die Gewaltenteilung verstoße. Zum Spannungsverhältnis zwischen Auslieferung und Ausnahmegerichten siehe Vogler, Auslieferung 225, ders, in IRG-K § 73 Rz 28 ff (aL), sehr ausführlich nunmehr auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 72 ff, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.1.5.c.; zu den Ausnahmegerichten siehe auch die Darstellung bei Lehne, JBl 1986, 344.
212
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
sitzt, sondern zur Entscheidung einzelner konkreter oder individuell bestimmter Fälle berufen ist.1081 Letzteres kann gegeben sein, wenn ein Gericht nur für einen Prozess, zur Verfolgung mehrerer Taten einer oder mehrerer Personen, oder schließlich für alle Verfahren hinsichtlich eines abgrenzbaren historischen Ereignisses geschaffen wurde. Weitere Anhaltspunkte bieten die Art der Besetzung des Gerichtes, sehr kurze Amtszeiten und leichte Absetzbarkeit sowie der Anlass für dessen Errichtung. Daneben weisen Sonderformen der Verfahrensgestaltung, Beschränkungen der Verteidigungsrechte und der Rechtsmittel sowie die Androhung außergewöhnlich schwerer Strafen auf den Ausnahmecharakter eines Gerichtes hin.1082 Es ist jeweils im Einzelfall zu untersuchen, ob das Gericht auf einer gesetzlichen Grundlage basiert bzw ob es die notwendigen Verfahrensgarantien erfüllt.1083 Von den Ausnahmegerichten werden die sog Spezial- oder Sondergerichte unterschieden, deren Sonderformen nicht den Anforderungen eines fairen Verfahrens widersprechen.1084 So stellen die UN Tribunale ICTY und ICTR zwar inhaltlich Gerichte dar, die aus bzw für einen bestimmten Anlass errichtet wurden und zur Verfolgung eines abgrenzbaren historischen Ereignisses sowie einer bestimmten Kategorie von Straftaten zuständig sind, doch zeigt die Art der Besetzung, des Verfahrens sowie der umfassenden Verteidigungsrechte und Rechtsmittel den Einklang dieser Tribunale mit Art 6 EMRK. Naturgemäß weist auch deren Errichtung durch UN-Resolutionen auf ihre Rechtsstaatlichkeit hin. Auch Militärgerichten kann nicht zwingend der Charakter eines Ausnahmegerichtes zugeschrieben werden. Ihre Konformität mit Art 6 EMRK ist wiederum anhand der oben genannten Kriterien zu überprüfen. 4. Auslieferungshindernisse aufgrund persönlicher Verhältnisse und Eigenschaften des Auszuliefernden 4.1. Auslieferungsverbot eigener Staatsbürger Für den freien Auslieferungsverkehr verbietet die in Verfassungsrang stehende Bestimmung des § 12 Abs 1 ARHG die Auslieferung österreichischer
1081
1082 1083
1084
BVerGE 3 33, schweizerisches BG 110 Ib 280 f, 108 Ib 408 f, Vogler, in IRG-K § 73 Rz 28 f (aL), siehe auch Peukert, in Frowein/Peukert, EMRK Art 6 Rz 122, Villinger, EMRK Rz 413 f, Grabenwarter, EMRK § 24 Rz 30 f, Berka, Grundrechte 810, Nowak, CCPR-K Art 14 Rz 16 f. Vogler, Auslieferung 227, Vogel, in IRG-K § 73 Rz 30. Siehe dazu EGMR Lithgow and others v United Kingdom, Urteil vom 8.7.1986. ApplNr 9006/80 (ua), 2/1984/74/112-118, Punkt 201, “it may comprise a body set up to determine a limited number of specific issues, provided always that it offers the appropriate guarantees”. Vgl Grabenwarter, EMRK § 24 Rz 31.
Auslieferungshindernisse
213
Staatsbürger. Nach der hL begründet diese Bestimmung ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht des Einzelnen, das den Grundrechtskatalog erweitert.1085 Korrespondierend dazu sieht § 44 AHRG auch ein verfassungsrechtliches Verbot der Durchlieferung österreichischer Staatsbürger durch österreichisches Staatsgebiet vor, wobei unter der Durchlieferung der im Rahmen einer Auslieferung uU notwendige Transport des Betroffenen durch fremdes Staatsgebiet zu verstehen ist.1086 Ausdrücklich ausgenommen von diesem Verbot ist hingegen gem § 12 Abs 2 ARHG die Rücklieferung eines Österreichers an einen fremden Staat nach einer vorübergehenden Auslieferung (vorläufigen Übergabe) an Österreich, da diese Rücküberstellung keine Auslieferung im engeren Sinn darstellt.1087 Eine solche vorläufige Übergabe unter der Bedingung der Rücklieferung (§ 38 Abs 1 ARHG) setzt die Bewilligung der Auslieferung voraus, weshalb eine vorläufige Übergabe eines österreichischen Staatsbürgers an das Ausland (unter der Bedingung der Rücklieferung an Österreich) wiederum nicht in Frage kommt.1088 Das Auslieferungsverbot besteht bei österreichischer Staatsbürgerschaft des Verfolgten, wobei diese auch neben anderen Staatsbürgerschaften bestehen kann. Der für die Beurteilung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Zeitpunkt ist der Auslieferungsvollzugsakt, dh die Übergabe an den ersuchenden Staat nach erfolgter Bewilligung der Auslieferung, weshalb eine Änderung der Staatszugehörigkeit auch in diesem Zeitpunkt noch zu berücksichtigen ist und einen entscheidenden Einfluss auf die Auslieferung nehmen kann.1089 Der Bescheid über die An- bzw Aberkennung der Staatsbürgerschaft stellt insofern einen die Strafgerichte bindenden rechtsgestaltenden Akt dar. Es kann mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft vor der tatsächlichen Übergabe eine Auslieferung verhindert, mit der Aberkennung ebendiese ermöglicht werden. Eine Instrumentalisierung in die eine oder andere Richtung ist abzulehnen.1090
1085
1086 1087
1088 1089
1090
Schwaighofer, Auslieferung 87, Linke, Grundriss 43, ders, EuGRZ 1982, 329, vgl auch Felsenstein, ÖJZ 1986, 617. Zur Frage, ob es sich dabei um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht oder eine objektiv-rechtliche Anordnung handelt siehe ausführlich Morscher, ÖJZ 2001, 623 ff, vgl auch Morscher, JBl 2003, 616 f. Siehe dazu ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 194 ff. Für eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit der Problematik der Rücklieferung eigener Staatsbürger nach deutschem Auslieferungs- und Verfassungsrecht siehe Vogler, Auslieferungsrecht 144 ff. Zur vorläufigen Übergabe siehe Schwaighofer, Auslieferung 163 f. EBRV 4 BlgNR XV. GP 23; Schwaighofer, Auslieferung 87 f, Linke, EuGRZ 1982, 335, ders, Grundriss 43. Zur den Möglichkeiten der Wahrnehmung der willkürlichen Aberkennung der Staatsbürgerschaft durch andere Auslieferungshindernisse siehe Schwaighofer, Auslieferung 88.
214
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Im kontinentaleuropäischen Auslieferungsrecht stellte das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger bisher ein anerkanntes Instrument dar, welches in Verbindung mit dem aktiven Personalitätsprinzip eine sinnvolle Einheit bildet.1091 Denn einerseits wird damit das Strafbedürfnis gesichert, andererseits können Härtefälle1092 ausgeschlossen und die erhöhten Resozialisierungsmöglichkeiten in der Heimat berücksichtigt werden.1093 Dem wird entgegengehalten, dass sich die Strafverfolgung in einem anderen als dem Tatortstaat aber wegen der Entfernung zum Tatort und den relevanten Beweismitteln (auch für den Betroffenen) nachteilig auswirken kann.1094 Heute wird dem Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger zunehmend kritisch begegnet. Einerseits wird eine Lockerung dieses Grundsatzes bei Zustimmung des Verfolgten angedacht,1095 andererseits zumindest eine Abschaffung innerhalb Europas gefordert.1096 Das Verbot der Auslieferung von Inländern ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates seinen Bürgern gegenüber, mit dem die Treuepflicht des Bürgers seinem Heimatstaat gegenüber korreliert. Aus dieser Schutzpflicht dem Bürger gegenüber fließt sein Recht, von den Gerichten seiner Heimat abgeurteilt und nicht der ausländischen Rechtspflege zugeführt zu werden, der mit Misstrauen begegnet wird.1097 Das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger ist als solches aber weder dem zwingenden Völkerecht zuzuordnen, noch stellt es einen Teil des Völkergewohnheitsrechts dar, da es in vielen Staat nicht praktiziert wird.1098 Anglo-amerikanische Staaten liefern ihre eigenen Staatsbürger grundsätzlich aus und nehmen im Gegenzug keine allgemeine auf dem aktiven Personalitätsprinzip gründende Strafgewalt in Anspruch.1099 Da diese Länder aber im Auslieferungsverkehr mit kontinentaleuropäischen Staaten aufgrund der mit diesen Staaten ausdrücklich vereinbarten Auslieferungsverbote ihre eigenen Staatsbürger zum Teil nicht ausliefern, können Strafverfolgungslücken ent-
1091 1092 1093
1094 1095 1096
1097
1098 1099
Siehe die Länderübersicht bei Rinio, ZStW 108 (1996) 356 ff. Dazu unten Abschnitt 1.IV.C.4.3. Zum Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger siehe Deen-Racsmany/Blekxtoon, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2005, 317, Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 96 f. Rinio, ZStW 108 (1996) 385. Oehler, Internationales Strafrecht Rz 203, Schwaighofer, Auslieferung 89. Vogel, JZ 2001, 942, Weigend, JuS 2000, 107 f, Schomburg, StV 1998, 157; aM Schünemann, StV 2003, 119, Höpfel, in Burgstaller FS 397. Geimer, ZfRV 1992, 402, Vogel, JZ 2001, 942, Weigend, JuS 2000, 107 f; kritisch dazu Rinio, ZStW 108 (1996) 381 ff. Morscher, ÖJZ 2001, 622. Die Strafgewalt der anglo-amerikanischen Länder basiert großteils nur auf dem Territorialitätsprinzip, dazu ausführlich oben Abschnitt 1.II.A.2.1. und Abschnitt 1.II.A.2.2.
Auslieferungshindernisse
215
stehen.1100 Daneben ist dieses Auslieferungsverbot auch im skandinavischen Rechtsraum nicht generell gebräuchlich.1101 Österreich hat das verfassungsrechtliche, absolute Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger bisher in alle bi- und multilateralen Auslieferungsverträge übernommen. Für den EU-Raum gilt dies bald nicht mehr absolut: Das AuslÜbk-EU verbietet in Art 7 Abs 1 die Ablehnung der Auslieferung unter Berufung auf die eigene Staatsangehörigkeit des Auszuliefernden, räumt den Mitgliedstaaten aber eine erneuerungsfähige Vorbehaltsmöglichkeit ein, von der Österreich Gebrauch machte, um seinen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Der Europäische Haftbefehl jedoch, der auf der gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen und einem einheitlichen Rechtsraum aufbaut, innerhalb dessen keine Auslieferung, sondern eine Übergabe vom „Vollstreckungsstaat“ an den „Ausstellungsstaat“ stattfindet, sieht grundsätzlich weder ein Auslieferungshindernis aufgrund inländischer Staatsbürgerschaft noch eine Vorbehaltsmöglichkeit vor, sondern gewährt Österreich eine „Galgenfrist“1102 zur Anpassung seiner Rechtslage bis 31.12.2008. Die Übergabe eigener Staatsbürger kann aber aus mehreren Gründen weiterhin verweigert werden, insb wenn der Vollstreckungsstaat selbst ein Strafverfahren wegen der dem Haftbefehl unterliegenden Straftat einleitet. Eine Auseinandersetzung mit diesen Bestimmungen kann an dieser Stelle jedoch mit Verweis auf den 2. Abschnitt unterbleiben.1103 Die 1993 und 1994 durch den Sicherheitsrat der UN gegründeten ad hocTribunale ICTY und ICTR,1104 sowie der am 17.7.1998 vertraglich geschaffene und am 1.7.2002 in Kraft getretene (ständige) ICC1105 sind zur Strafverfolgung bestimmter Menschlichkeitsverbrechen (core crimes) zuständig und insofern auf die Überstellung zu verfolgender Personen aus den einzelnen
1100
1101 1102 1103 1104
1105
Zu den möglichen Vertragsklauseln in Bezug auf das Auslieferungsverbot eigener Staatsbürger in den verschiedenen US-amerikanischen Auslieferungsverträgen siehe Blakesley/Lagodny, in Eser/Lagodny, Principles 59 ff, ebenso Rinio, ZStW 108 (1996) 367 ff; zu den Strafbarkeitslücken aufgrund des fehlenden aktiven Personalitätsprinzips im US-amerikanischen Recht Watson, 17 Yale J. Int’l L 54 f. Laut Bassiouni, International Criminal Law II 245, steht die Entscheidung über die Auslieferung eigener Staatsbürger seit 1990 unabhängig von der vertraglichen Regelung im Ermessen des Außenministers. Vogler, Auslieferungsrecht 138, Linke, EuGRZ 1982, 337. So Schwaighofer, Die Presse, Rechtspanorama, vom 30.6.2003. Unten Abschnitt 2.III.C.5.1. ICTY: Resolution 827, vom 25.5.1993, ICTR: Resolution 955, vom 8.12.1994; siehe zu beiden BG über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten BGBl 263/1996. BG über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof BGBl I 135/2002.
216
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Staaten angewiesen.1106 Die Zulässigkeit der Überstellung österreichischer Staatsbürger an die beiden ad hoc Gerichte ist durch die Verfassungsbestimmungen des § 5 ZusIntGer1107 und an den ICC durch die Verfassungsbestimmung des § 7 ZusStrGH1108 verankert worden.1109 4.2. Strafmündigkeit § 21 AHRG verbietet die Auslieferung von Personen, die zur Tatzeit nach österreichischem oder dem Recht des ersuchenden Staates strafunmündig waren. Zu Recht wird festgestellt, dass sich dieses Auslieferungsverbot für Österreich bereits aus dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit ergibt.1110 Denn dieses Prinzip beinhaltet, dass ein Staat, nach dessen Recht die Tat mangels Strafmündigkeit zur Tatzeit eben nicht strafbar ist, kein Auslieferungsersuchen stellen darf (worauf Österreich auch berechtigt vertrauen kann). Zudem setzt die beiderseitige Strafbarkeit nach hL eine konkrete Strafbarkeit im ersuchten Staat voraus, was bedeutet, dass der Täter auch nach dem Recht dieses Staates zur Tatzeit strafmündig gewesen sein muss.1111 Darauf wurde bereits oben ausführlich eingegangen.1112 Insofern kommt § 21 ARHG nur eine deklaratorische bzw konkretisierende Wirkung im Sinne der Rechtssicherheit zu. Ebenso ist eine ausdrückliche Verankerung in den einzelnen Auslieferungsverträgen entsprechend § 21 ARHG im Interesse der Rechtssicherheit zu sehen, stellt aber keine Notwendigkeit dar. Enthalten die Auslieferungsverträge nur die beiderseitige Strafbarkeit betreffende Bestimmungen, wie ua Art 2 Abs 1 EuAlÜbk, so ist das Vorliegen der Strafmündigkeit iS einer konkreten Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit zu beurteilen. 4.3. Härtefälle Für den freien Auslieferungsverkehr sieht das ARHG in § 22 eine sog Härteklausel vor, nach der eine Abwägung zwischen der Schwere der Straftat und den negativen Folgen für den Auszuliefernden vorzunehmen ist: Die 1106
1107 1108 1109
1110 1111
1112
Zu Österreichs Verpflichtungen aufgrund der beiden ad hoc Tribunale siehe Triffterer, ÖJZ 1996, 338 ff. Zum ICC siehe Triffterer et al, Rome Statute 2 ff. BGBl I 263/1996. BGBl I 135/2002. Zur Frage der Notwendigkeit einer Verfassungsbestimmung siehe Morscher, ÖJZ 2001, 628 ff. Schwaighofer, Auslieferung 89 f, Linke, Grundriss 44. Die Strafmündigkeit tritt nach österreichischem Recht erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres ein, § 1 Z 1 iVm § 4 Abs 1 JGG. Zu Schuldfähigkeit als Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit siehe Schwaighofer, Auslieferung 89 f, Linke, Grundriss, Vogler, in Schmitt FS 395; aM Epp, ÖJZ 1981, 198, Lagodny, in IRG § 3 Rz 15. „Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit in concreto“ Abschnitt 1.III.A.3.1.
Auslieferungshindernisse
217
Auslieferung ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der Schwere der vorgeworfenen Straftat den Auszuliefernden wegen seines jugendlichen Alters, seines seit langem bestehenden inländischen Wohnsitzes, oder aus anderen schwerwiegenden persönlichen Gründen offenbar unverhältnismäßig hart träfe. Diese Auslieferungshindernisse sind va auf Art 3 und 8 EMRK zurückzuführen.1113 Die Schwere der Straftat richtet sich nach der für das Auslieferungsdelikt tatsächlich zu erwartenden Strafe, dieser sind die in Frage kommenden Härtegründe gegenüberzustellen.1114 Schließlich ist im Einzelfall zu beurteilen, ob die Auslieferung noch dem Verhältnismäßigkeitgrundsatz entspricht. (Strafmündige) Jugendliche sind grundsätzlich nicht von der Auslieferung ausgenommen, werden aber im ARHG ausdrücklich erwähnt, da die Auslieferung für sie vielfach eine besondere Härte darstellen kann. Denn Jugendliche, die im Inland ihre Familie bzw ihre wichtigsten sozialen Kontakte haben, verlieren durch den Strafvollzug im Ausland diesen für ihre Erziehung und Resozialisierung wichtigen Bezugspunkt. Eine Umsiedlung der Familie kommt zumeist nicht in Frage und bereits die Ausübung des Besuchsrechtes im Ausland ist für viele aus Mangel an finanziellen Mitteln unzumutbar.1115 Zudem kann auch die Aufgabe eines funktionierenden Arbeits- bzw Lehrplatzes, wenn der Jugendliche diesen beim Strafvollzug im Inland behalten könnte, aus den genannten Aspekten eine unzulässige Härte darstellen. Daher wird die Auslieferung eines Jugendlichen nur in Ausnahmefällen zulässig sein, insb – aber nicht notwendig – dann, wenn dieser im ersuchenden Land über enge familiäre Bindungen verfügt.1116 Die Aufgabe der mit einem inländischen Wohnsitz verbundenen familiären und/oder sozialen Bezugspunkte kann aber nicht nur einen Jugendlichen unzulässig hart treffen. Es ist daher jeweils sowohl auf die Lebensumstände und die gegebenen Resozialisierungsmöglichkeiten des Täters sowie auf die Auswirkungen auf dessen Familie abzustellen. Dies setzt eine Abwägung im Einzelfall voraus, die alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen hat. Auch eine in Österreich geschaffene berufliche Existenz kann einen Härtefall darstellen.1117 Unter die anderen schwerwiegenden Gründe fallen insb das hohe Alter oder der schlechte Gesundheitszustand des Auszuliefernden.1118 Die Härteklausel des § 22 AHRG gilt wie erwähnt nur für den freien Auslieferungsverkehr, doch ergibt sich aufgrund des menschenrechtlichen
1113 1114
1115 1116 1117 1118
Linke, Grundriss 45, vgl auch Schwaighofer, Auslieferung 90. OLG Linz 11 Ns 115/91, Beschluss, vom 23.6.1992, f.L. OGH NStZ 1999, 359; Schwaighofer, Auslieferung 90. Linke, Grundriss 44 mit Verweis auf die RV. Siehe dazu auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 104 u 107. Linke, Grundriss 44 mit Verweis auf die RV. Linke, RZ 1980, 368.
218
Auslieferungshindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Gehaltes dieser Bestimmung (Art 3 und 8 EMRK) ein ähnlicher Durchgriff im vertraglichen Auslieferungsverkehr.1119 Bereits aus rein völkerrechtlichen Begründungen steht ein Härtefall einer vertraglichen Auslieferungspflicht insoweit entgegen, als dieser einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe iSd Art 3 EMRK gleichkäme, da diese Bestimmung heute eindeutig dem universellen zwingenden Völkerrecht zugeordnet wird, welches entgegenstehenden Vertragspflichten jedenfalls vorgeht.1120 Ein solcher Härtefall kann insb aufgrund der schweren Krankheit und Transportunfähigkeit des Auszuliefernden oder der mangelnden lebenswichtigen medizinischen Versorgung vorliegen.1121 Dabei ist eine Abwägung zwischen Schwere der Tat und Eingriffsintensität wie sie § 22 ARHG vorsieht, aufgrund des absoluten Charakters des Folterverbotes nicht zu treffen. Daneben gebietet die Härteklausel nach § 22 ARHG die Berücksichtigung wichtiger familiärer und sozialer Bindungen im ersuchten Staat unter Bedachtnahme auf die Schwere der Straftat. Es wird damit auf die Grundrechtsgarantie des Art 8 EMRK Bezug genommen. Als von der EMRK gewährtes und in Österreich verfassungsrechtlich gewährleistetes Grundrecht ist seine Einhaltung daher auch im vertraglichen Auslieferungsverkehr, unabhängig von einer ausdrücklichen Härteklausel, in Abwägung zur Schwere der Straftat zu beachten.1122 Art 8 EMRK verankert den Anspruch eines jeden auf Achtung des Privat- und Familienlebens, stellt ihn aber insofern unter einen Gesetzesvorbehalt, als ein Eingriff zulässig ist, wenn dieser gesetzlich vorgesehen ist, der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung strafbarer Handlung, usw dient und zu diesem Zweck in einer demo-
1119
1120
1121
1122
OGH JBl 2001, 332 mit Anm Dedeyne-Amann; Schwaighofer, Auslieferung 90 f, ders, LJZ 2000, 55 f. Art 53 WVK; Vogler, in Schmitt FS 397 f, siehe dazu auch oben Abschnitt 1.I.B.5.1. und Abschnitt 1.IV.C.2.2.1. Vogler, in Schmitt FS 391 f, 397 f, siehe auch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 108; EGMR D. v United Kingdom, ApplNr 30240/96, Urteil vom 2.5.1997 (Ausweisungsfall), siehe zu diesem Fall auch Matscher, in Trechsel FS 32 und Grabenwarter, EMRK § 20 Rz 29 FN 155. Siehe die ausführlichen Erwägungen oben Abschnitt 1.IV.C.1. insb die ausdrückliche Klarstellung in § 33 Abs 3 ARHG, ebenso f.L. OGH NStZ 1999, 358 ff mit ablehnender Anm Schomburg, schweizerisches Bundesgericht, 1A.203/2001, Urteil vom 7.2.2001, ebenso 122 II 485 (unveröffentlichte E) Sachverhalt wiedergegeben in Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.2.4., OLG Wien 22 Ns 11/00 (nv) zitiert in Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 429; Schwaighofer, Auslieferung 90 f, ders, LJZ 2000, 55 f, Dedeyne-Amann, JBl 2001, 333 f Anm zu OGH 11 Os 139/98, zur grundsätzlichen Anwendbarkeit auch Lagodny, in IRG § 73 Rz 105; vgl auch OGH JBl 2001; aM Vogler, in Schmitt FS 394, Schomburg, NStZ 1999, 359 f Anm zu f.L. OGH 8 Rs 35/98-75, Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.2.4.
Auslieferungshindernisse
219
kratischen Gesellschaft notwendig ist.1123 Es ist daher eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung bzw Auslieferung einerseits und den Interessen des Familienlebens andererseits vorzunehmen, wobei ein Eingriff nur zulässig ist, wenn er auf einem fairen Ausgleich zwischen diesen Interessen basiert. Zur Abwägung der Interessen sind va die bereits oben dargelegten Kriterien heranzuziehen. Insb die Ausführungen zu Jugendlichen gelten entsprechend. Es sind also jeweils die familiären und sozialen Kontakte va der Schwere der Straftat gegenüber zustellen. Den bestehenden Familienbanden im ersuchten Staat kann uU die Möglichkeit der „Nachreise“ der Familie in den ersuchenden Staat entgegen gehalten werden, doch darf diese Nachreisemöglichkeit, auch innerhalb Europas, nicht einfach unterstellt werden.1124 Sie richtet sich nach dem Einzelfall und kann aufgrund mangelnder finanzieller Mittel, des schlechten Gesundheitszustands des oder der wichtigsten Familienangehörigen, oder der Gefahr der krassen Schlechterstellung oder der Verfolgung der Familienmitglieder im ersuchenden Land fehlen. So hielt das schweizerische Bundesgericht die Auslieferung aufgrund der Schwangerschaft, Invalidität und psychischen Probleme der Lebensgefährtin des Auszuliefernden für unzulässig.1125 Auch die EKMR hat, jedoch bisher nur inzidenter, bejaht, dass eine Auslieferung gegen Art 8 EMRK verstoßen kann: In einem Fall, dem ua die Auslieferung eines Syrers aus Deutschland an seine Heimat zugrunde lag, der aber aus formellen Gründen abgelehnt wurde, deutete die EKMR an, dass die deutsche Ehefrau und deren Kinder nachvollziehbare Gründe haben könnten, nicht dorthin nachzureisen, weshalb sie die Auslieferung in diesem Fall für unzulässig gehalten hätte.1126 Die Auslieferung eines Italieners von Deutschland nach Italien hingegen, der an Depressionen und Angststörungen litt und dessen Frau selbstmordgefährdet war, hielt der EGMR für verhältnismäßig und daher für konventionskonform.1127
1123
1124
1125
1126
1127
Zum Gesetzesvorbehalt Villinger, EMRK Rz 545 ff, 550 ff; zu Begriff und Schutzbereich des Familienlebens ders, EMRK Rz 570 ff, Grabenwarter, EMRK § 22 Rz 16 ff, 27 ff, 40 ff. So Schomburg, NStZ 1999, 360 Anm zu f.L. OGH 8 Rs 35/98-75, der feststellt, dass es den Angehörigen unbenommen bleibt, dorthin nachzureisen, wohin der dringende Tatverdacht ein Familienmitglied – … – zieht. BGE 122 II 485 (unveröffentlichte E) Sachverhalt wiedergegeben in Heimgartner, Auslieferungsrecht E.II.2.4. ApplNr 6357/73 zitiert in Lagodny, Rechtstellung 98, ebenso Dedeyne-Amann, JBl 2001, 333 Anm zu OGH 11 Os 139/98; siehe auch EGMR G.H. v Switzerland, ApplNr 00024698/94, Punkt 3, 5, Charountakis v Germany, ApplNr 23898/94, Punkt 2, Aronica v Germany, ApplNr 72032/01, Urteil vom 18.4.2002 Punkt 2=ÖJZ MRK 2003/16. Aronica v Germany, ApplNr 72032/01, Urteil vom 18.4.2002=ÖJZ MRK 2003/16.
220
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
Daneben gibt es zahlreiche Kommissionsberichte bzw besteht eine umfassende EGMR-Rsp zur Verletzung von Art 8 EMRK, doch betreffen diese großteils Ausweisungs- bzw Abschiebungssachverhalte, in der das Recht auf ein Privat- und Familienleben dem öffentlichen Interesse an der Deportation nach den oben dargestellten Kriterien gegenübergestellt wird.1128 Der Vergleichbarkeit dieser Sachverhalte mit Auslieferungen wird die Andersartigkeit beider Instrumente entgegengehalten.1129 Während die Ausweisung, als Aufenthaltsverbot im Inland, rein innerstaatlichen Interessen diene und insofern bloß „binnenorientiert“ sei, betreffe die Auslieferung eine Hilfestellung an einen anderen Staat, weshalb sie nach außen gerichtet sei. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Doch hat bereits Lagodny aufgezeigt, dass die an die Ausweisung knüpfende Abschiebung den Befehl zur Verbringung an einen bestimmten anderen Staat enthalte und damit ebenso „außenorientiert“ sei.1130 Für die Andersartigkeit ausschlaggebend ist die der Auslieferung hinzukommende strafrechtliche Komponente. Doch wird diese Verschiedenartigkeit durch die Miteinbeziehung der Schwere der Tat auf der „Positivseite“ der Abwägung ausreichend berücksichtigt. Daher ist das Argument abzulehnen, dass sich Ausweisungsfälle aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht als Maßstab eignen. Dementsprechend ziehen auch die EKMR und der EGMR selbst die Ausweisungsfälle betreffende Rsp zur Beurteilung von Auslieferungsfällen heran und nehmen daher eine Gleichbehandlung vor.1131 Abgestellt wird dabei auf die oben dargelegten Kriterien.
D. Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung 1. Politische Delikte 1.1. Grundlagen Während zu Zeiten des Absolutismus die Auslieferung wegen politischer Delikte den Haupanwendungsfall darstellte, setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts einhergehend mit der Aufklärung ein Umdenken ein, im Zuge dessen das politische Delikt (als Ausdruck des Freiheitskampfes) von 1128
1129 1130 1131
Slivenko v Latvia, ApplNr 48321/99, Urteil vom 9.10.2003, Moustaquim v Belgium, ApplNr 12313/86, EuGRZ 1993, 552, Beldjoudi v France, ApplNr 12083/86, Urteil vom 26.3.1992, Nasri v France, ApplNr 19465/92, Urteil vom 13.7.1995; siehe auch die Nachweise bei Frowein/Peukert, EMRK Art 8 Rz 24; kritisch dazu Matscher, Die Presse, Rechtspanorama, vom 17.2.2003. Schomburg, NStZ 1999, 360, Vogler, Auslieferungsrecht 44. Lagodny, Rechtstellung 143 f. Matscher, in Trechsel FS 28; G.H. v Switzerland, ApplNr 00024698/94, Punkt 2 mit Verweis auf die EGMR E Moustaquim v Belgium, ApplNr 12313/86.
Auslieferungshindernisse
221
der Auslieferung ausgenommen wurde.1132 Das Auslieferungsverbot wegen politischer Delikte gilt jedoch nicht absolut, sondern wurde schon historisch insb in Bezug auf Angriffe auf das Leben von Staatsoberhäuptern oder deren Familien durch die sog Attentatsklauseln1133 beschränkt. Zu einer weiteren Begrenzung führte die insb aufgrund der politischen Verhältnisse im Nahen Osten, des Konfliktes in Nordirland und linksrevolutionärer Aktionen in den westlichen Staaten einsetzende Terrorismusbekämpfung.1134 Dabei wurde das Auslieferungshindernis wegen politischer Delikte formal beibehalten, jedoch bestimmte Taten (wie zB gewisse terroristische Handlungen, Völkermord usw) bzw bestimmte Kategorien von Taten (wie zB schwere Gewalttaten gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrtheit usw) wegen ihrer moralischen Verwerflichkeit als nicht politisch eingestuft.1135 Daneben wurde in Übk hinsichtlich mancher Delikte, bei Beibehaltung des Auslieferungshindernisses, die Pflicht zur Strafverfolgung iSd stellvertretenden Strafrechtspflege verankert.1136 Die Diskussion geht inzwischen – zusätzlich angespornt durch den jüngsten Kampf gegen den Terrorismus – dahin, die privilegierte Behandlung des politischen Deliktes gänzlich aufzugeben. Die Begründung des Auslieferungshindernisses ergibt sich aus drei Argumenten.1137 Zunächst fußt es auf einem politischen Gesichtspunkt, der das Nichteinmischungsprinzip berücksichtigt, nachdem sich ein Staat einem internen politischen Konflikt eines fremden Staates gegenüber neutral verhalten sollte. Durch die a limine Ablehnung eines Auslieferungsersuchens wegen eines politischen Deliktes kann dieser Nichteinmischung am besten entsprochen werden. Daneben gilt der moralische Gesichtspunkt, welcher die lauteren und selbstlosen Motive des Täters berücksichtigt. Schließlich kann Widerstand gegen Unterdrückung legitim und daher ein politisches Delikt gerechtfertigt sein. Letztlich beruht das Auslieferungshindernis auf einem humanitären Gesichtspunkt, da zu befürchten ist, dass der politische Straf-
1132
1133
1134
1135
1136
1137
Popp, Rechtshilfe 131 ff, Schwaighofer, Auslieferung 108 f, Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 100. Sie basieren auf der belgischen Attentatsklausel, dazu Schwaighofer, Auslieferung 109, Popp, Rechtshilfe Rz 133, siehe auch unten Abschnitt 1.IV.D.1.3. Schwaighofer, Auslieferung 109 f, Corstes/Pradel, European Criminal Law Rz 104, Van den Wyngaert, in International Criminal Law 191 ff, Popp, Rechtshilfe Rz 133. Siehe zB Art 1, 2 und 4 EuTerrÜbk (siehe auch das noch nicht in Kraft getretene ZP zu diesem Übk vom 15.5.2003, ETS Nr 190). Grundsätzlich erlaubt die stellvertretende Strafrechtspflege nach § 65 Abs 1 Z 2 StGB keine Strafverfolgung, wenn die Auslieferung aufgrund der Eigenschaft der Tat abgelehnt wurde. Schwaighofer, Auslieferung 109, Van den Wyngaert, in International Criminal Law 192, Poncet/Gully-Hart, in Bassiouni International Criminal Law II 293, vgl auch Vogler, in IRG-K § 6 Rz 5 f.
222
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
täter im Falle der Auslieferung kein faires Verfahren erhält, er insb politisch verfolgt wird. Neben dem Auslieferungshindernis hinsichtlich politischer Straftaten besteht ein Auslieferungsverbot bei drohender politischer Verfolgung. Diesfalls ist das dem Ersuchen zugrunde liegende Delikt gerade kein politisches, es besteht jedoch die Gefahr der politisch motivierten Strafverfolgung im ersuchenden Staat. Dieses Verbot bildet einen Teil des umfassenderen und über den Bereich der Strafrechtspflege bzw Rechtshilfe hinausgehenden nonrefoulment-Prinzips, das eine Auslieferung auch dann verbietet, wenn die Gefahr einer religiösen, ethnischen, oder rassistisch motivierten Verfolgung besteht, bzw dem Betroffenen aus diesen Gründen schwerwiegende Nachteile drohen.1138 Dieses Prinzip, das dem Betroffenen Auslieferungsasyl gewährt, wird heute zumindest dem Völkergewohnheitsrecht zugerecht.1139 Nunmehr wird vorgeschlagen, das Auslieferungshindernis wegen des politischen Charakters der Tat zugunsten des Auslieferungshindernisses bei Gefahr politischer Verfolgung aufzugeben.1140 Damit wird zwar möglicherweise dem humanitären, jedenfalls aber nicht dem oben genannten politischen Gesichtspunkt der Privilegierung politischer Delikte Genüge getan. Denn die Beurteilung der Gefahr politischer Verfolgung setzt wiederum eine Auseinandersetzung mit dem politischen System voraus und macht insofern eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten notwendig. Zudem stellt das Auslieferungshindernis bei politischen Delikten objektive Kriterien auf, die die Art des Delikts und nicht die Art der drohenden Verfolgung betreffen.1141 Im RB-HB findet sich nur mehr die Anerkennung eines Ablehnungsgrundes wegen der Gefahr politischer Verfolgung.1142 Darauf wird im 2. Abschnitt eingegangen.1143 1.2. Der Begriff des politischen Deliktes Die Einstufung einer Tat als politisches Delikt hat ausschließlich der ersuchte Staat vorzunehmen. Verneint der ersuchte Staat den politischen Charakter der Tat nach seinem Recht, so kann er prüfen, ob die Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates ein politisches Delikt darstellt.1144 In den meisten Auslie-
1138 1139 1140 1141 1142
1143 1144
§ 19 Z 3 ARHG. Popp, Rechtshilfe Rz 135; siehe dazu auch oben Abschnitt 1.IV.C.2.3. Poncet/Gully-Hart, in Bassiouni International Criminal Law II 294. Siehe dazu Popp, Rechtshilfe Rz 136, Vogler, in IRG-K § 6 Rz 7 ff insb 14. Dieser Ablehnungsgrund ist nur im 12. Erwägungsgrund, nicht aber im Zuge der ausdrücklichen oder fakultativen Vollstreckungshindernisse genannt. Unten Abschnitt 2.III.D.1. BGH MDR 1981, 1030; nach Schomburg/Hackner ist der ersuchte Staat zu dieser weiteren Überprüfung verpflichtet (mwN in IRG § 6 Rz 22a); nach Vogler, GA
Auslieferungshindernisse
223
ferungsverträgen und nationalen Auslieferungsgesetzen – wie auch im ARHG – ist das politische Delikt nicht definiert.1145 Vielmehr nennt zB § 14 ARHG einerseits politische strafbare Handlungen (Z 1) und andererseits andere Straftaten, denen politische Beweggründe oder Ziele zugrunde liegen (Z 2). Diese Einteilung orientiert sich an der Unterscheidung in absolute und relative politische Delikte.1146 Erstere sind von der objektiven Tatseite her zu beurteilen und richten sich gezielt gegen die Organisation bzw die Machtstrukturen des Staates und beinhalten ihre Zerstörung, die Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit oder außerhalb des rechtmäßigen Weges gelegene Veränderungen dieser Strukturen. Insoweit orientiert sich diese Einordnung am verletzten Rechtsgut, die Motivation des Täters muss nicht festgestellt werden, denn sie ist immanent politisch. Unter die absolut politischen Delikte fallen insb der Hochverrat nach § 242 StGB und die staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 StGB. Relativ politische Delikte sind nach einem objektiv-subjektiven Standard zu beurteilen. Sie weisen neben Merkmalen des politischen Delikts auch solche des gewöhnlichen Verbrechens auf. Die Rechtsgutsverletzung deutet diesfalls auf ein gewöhnliches Delikt, doch ist die Motivation des Täters politisch bzw wird mit dem Delikt ein politischer Zweck angestrebt. Daneben wird auch va in Deutschland eine Unterteilung in absolut politische sowie „komplex politische“ und „konnex politische“ Delikte vorgenommen, wobei sich diese Kategorisierung auf eine rein objektive Betrachtungsweise stützt.1147 Das komplex politische Delikt weist eine Tatbestandsformulierung aus einem (absolut) politischen und einem gewöhnlichen Element auf, dh der Täter verwirklicht ein politisches und ein gewöhnliches Delikt in Ideal- bzw (Schein)konkurrenz, wie zB der Angriff auf ein Staatsoberhaupt zugleich einen Hochverrat und ein Delikt gegen Leib oder Leben darstellt. Komplex politische Delikte werden grundsätzlich auslieferungsrechtlich wie absolut politische Delikte behandelt, da eine Aufsplittung in ein politisches und ein gewöhnliches Delikt unsachlich wäre und das absolut politische Element einem unbeschränkten Auslieferungshindernis unterliegt.
1145 1146
1147
1982, 47 ff, hingegen ist ausschließlich das Recht des ersuchten Staates ausschlaggebend. § 14 ARHG, § 6 IRG, Art 3 Abs 1 EuAlÜbk. So auch Art 10 Abs 2 IRSG; Lammasch, Auslieferungspflicht 215, Schwaighofer, Auslieferung 110, Bassiouni, in International Criminal Law II 241, Poncet/GullyHart, in Bassiouni International Criminal Law II 293 f, Burgstaller, in Triffterer FS 745 f, Regner/Reinisch, ÖJZ 1995, 554 f; vgl dazu Popp, Rechtshilfe Rz 143 u 146; ablehnend dazu Schomburg/Hackner, in IRG § 6 Rz 20. Vogler, in IRG-K § 6 Rz 18 ff, Popp, Rechtshilfe Rz 143 f, siehe auch Schwaighofer, Auslieferung 111, Poncet/Gully-Hart, in Bassiouni International Criminal Law II 293.
224
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
Das konnex politische Delikt stellt einen eigenen (nicht-politischen) Tatbestand dar, wird aber im Zusammenhang mit einem absoluten oder komplex politischen Delikt begangen. Dieser Zusammenhang ergibt sich daraus, dass der Täter die Begehung des politischen Delikts vorbereiten, erleichtern oder fördern, oder dessen Folgen im Nachhinein sichern will, oder dass es ihm darum geht, dessen strafrechtliche Verfolgung abzuwenden. Zu denken ist zB an den Diebstahl von Waffen zur Begehung eines Hochverrates. Es muss daher eine klar sichtbare Zweckbestimmung gegeben sein, weshalb es nicht ausreicht, allgemein günstige Umstände für eine politische Veränderung zu schaffen. Nicht von Bedeutung ist, ob der Täter selbst oder ein anderer das politische Delikt ausführt. Strittig ist, ob eine effektive Unterstützung des politischen Delikts bzw zumindest der Versuch des politischen Delikts notwendig ist.1148 Inhaltlich darf es mE keinen Unterschied machen, ob das politische Delikt, zu dessen Vorbereitung der Täter handelte, letztendlich tatsächlich versucht oder ausgeführt wurde, da sich die privilegierte Behandlung ausschließlich an der politischen Zweckbestimmung der gesetzten Handlung orientiert. In der Praxis wird sich jedoch die Feststellung dieser Zweckbestimmung oftmals als schwierig erweisen, wenn das politische Delikt nicht einmal versucht wurde. Insofern werden sich Beweisprobleme stellen. Kann das Auslieferungsgericht die politische Zweckbestimmung jedoch eindeutig feststellen,1149 so muss dies in Folge – unabhängig von der Ausführung des politischen Delikts – zur Annahme eines konnex politischen Deliktes führen. Diese Feststellung per se hat noch kein Auslieferungshindernis zur Folge, vielmehr ist zudem anhand einer Abwägung zu prüfen, ob der politische oder kriminelle Charakter der Tat überwiegt. Nur im Falle des Überwiegens des politischen Charakters ist das Auslieferungshindernis anzuwenden. 1.3. Der Umfang des Auslieferungsverbotes Absolut politische Delikte unterliegen nach § 14 Z 1 ARHG wie auch nach den meisten Auslieferungsverträgen und -gesetzen einem uneingeschränkten Auslieferungsverbot.1150 Entsprechend werden auch die komplex politi-
1148
1149
1150
Verneinend Popp, Rechtshilfe Rz 143, Vogler, in IRG-K § 6 Rz 19; für den Versuch Schultz, Auslieferungsrecht 447, vgl in diese Richtung auch Schwaighofer, der von der Verwirklichung der politischen und der gewöhnlichen Handlung in Realkonkurrenz spricht. Dies lässt darauf schließen, dass das politische Delikt zumindest versucht werden muss. Andernfalls begeht der Täter keine Beteiligung an der politischen Tat und damit auch keine zwei in Realkonkurrenz stehende Handlungen. Nach österreichischer Beteiligungslehre nur der Betrag zur einer versuchten Tat nicht aber der Beitragsversuch strafbar, § 15 Abs 2 StGB. Im Auslieferungsverfahren gelangt der Grundsatz in dubio pro reo nicht zur Anwendung, dazu unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. § 6 Abs 1 IRG, Art 14 Abs 1 EuAlÜbk.
Auslieferungshindernisse
225
schen Delikte behandelt, da diesfalls das absolut politische und das gewöhnliche Delikt nicht getrennt behandelt werden können.1151 Hinsichtlich des komplex politischen Delikts bestehen jedoch Ausnahmen: Wie oben angemerkt sind zB aufgrund der Attentatsklausel als komplex politische Delikte zu qualifizierende Angriffe auf das Leben eines Staatsoberhauptes oder seiner Familie (§ 75 iVm § 242 StGB) von dem Auslieferungshindernis ausgenommen. Relativ politische und (konnex politische) Delikte sind nach § 14 Z 2 ARHG an die von der Schweizerischen Rsp begründete sog Prädominanztheorie1152 gebunden. Das bedeutet, dass gem § 14 Z 2 ARHG bei strafbaren Handlungen, denen politische Beweggründe oder Ziele zugrunde liegen, einer Auslieferung dann nichts entgegensteht, wenn „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Art der Begehung, der angewendeten oder angedrohten Mittel oder der Schwere der eingetretenen oder beabsichtigten Folgen, der kriminelle Charakter der Tat den politischen überwiegt“. Insofern hat der Richter eine Abwägung zwischen den Nachteilen insb der Schwere der Tat und dessen Zweck vorzunehmen, wobei es nicht unbedingt erforderlich ist, dass die politischen Ziele wertvoll sind. Denn es besteht keine internationale Einigkeit in Bezug auf ein staatliches und gesellschaftliches Ideal. Relevant ist jedenfalls das Streben nach Selbstbestimmung und nach einem menschenrechtskonformen Dasein, doch sollte bei der Beurteilung auch anderen kulturellen, weltanschaulichen und sozialen Vorstellungen Toleranz entgegen gebracht werden. Hinsichtlich der Folgen ist insb auf die Individualrechtsgutsverletzungen Leib und Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Ehre und die Intensität der Verletzung, dh einerseits Gefährlichkeit und Brutalität andererseits Zahl der Opfer, Bedacht zu nehmen. Weiters ist zu berücksichtigen, in welchem Verhältnis der Verletzte zum politischen System steht. Der gezielte Angriff auf völlig Unbeteiligte, um ein Klima der Unsicherheit zu schaffen, lässt den kriminellen Charakter der Tat überwiegen.1153 Wie bereits angemerkt sind bestimmte Delikte trotz ihres politischen Charakters wegen ihrer Schwere generell von der Privilegierung ausgenommen. Der Ursprung dieser Ausnahme liegt in der belgischen Attentatsklausel begründet, nach der das Attentat auf das Leben eines Staatsoberhauptes oder seiner Familie (damals auf Kaiser Napoleon III) gesetzlich als nichtpolitisch qualifiziert wurde. Nunmehr findet sich in Auslieferungsverträgen 1151
1152 1153
OGH 13 Os 41-59/94, zitiert bei Burgstaller, in Triffterer FS 747 f FN 36, der sich dieser Ansicht letztendlich anschließt; ebenso Rosbaud, in IRG, ARHG § 14 Rz 8, Schwaighofer, Auslieferung 111. Siehe dazu die Nachweise bei Popp, Rechtshilfe Rz 105. Zu den verschiedenen Abwägungskriterien siehe OLG Innsbruck 7 Bs 430/99; Popp, Rechtshilfe Rz 149 ff, Vogler, IRG-K § 6 Rz 24 ff und 46 ff, Schwaighofer, Auslieferung 111 ff, Bassiouni, in International Criminal Law II 241.
226
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
und sonstigen Übk eine Reihe von Bestimmungen, die gewisse Delikte oder Deliktskategorien von dem Auslieferungshindernis ausnehmen.1154 Während in Art 3 Abs 3 EuAlÜbk die Attentatsklausel übernommen wurde, nimmt das 1. ZP-EuAlÜbk in Art 1 auch den Völkermord und Verletzungen des Kriegsvölkerrechts aus. Art 1 des EuTerrÜbk1155 wertet bestimmte terroristische Straftaten, wie ua die Flugzeugentführung, Mord, Geiselnahme, qualifizierte Freiheitsentziehung und Sprengstoffgebrauch als nicht-politisch, während Art 2 es den Vertragsstaaten freistellt, bestimmte schwere Gewalttaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder Freiheit als nicht-politisch anzusehen.1156 Ein Vorbehalt ist möglich, verpflichtet den Vertragsstaat jedoch dazu, bei der Beurteilung einer politischen Tat besondere, im Einzelnen aufgezählte Kriterien miteinzubeziehen.1157 Das AuslÜbkEU sieht kein Auslieferungshindernis hinsichtlich politischer Delikte vor, erlaubt jedoch einen Vorbehalt, von dem die terroristischen Straftaten nach Art 1 und 2 EuTerrÜbk sowie die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung ausgenommen sind.1158 Wie angemerkt enthält der RB-HB nur mehr einen (im 12. Erwägungsgrund) genannten Ablehnungsgrund wegen der Gefahr politischer Verfolgung.1159 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Abgrenzung der politischen von der gewöhnlichen Tat und insb die Abwägung zwischen dem politischen und dem kriminellen Charakter der Tat eine schwierige und umstrittene Frage darstellt,1160 die in der Praxis va wegen der verschiedenen politischen Systeme und Strukturen äußerst problematisch ist.1161 In den gegenwärtigen Zeiten der internationalen Kooperation zur Verbrechensbekämpfung ist eine Tendenz zur restriktiven Auslegung der politischen Delikte feststellbar.
1154
1155 1156
1157
1158
1159
1160 1161
Zu den us-amerikanischen Auslieferungsverträgen siehe die Nachweise bei Bassiouni, in International Criminal Law II 242 f, insb FN 305 u 307. ETS 90, abrufbar unter http://conventions.coe.int/treaty/EN/cadreprincipal.htm. Ablehnend zur per se Klassifizierung einer Tat als nicht-politischen Van den Wyngaert, in International Criminal Law 191 ff. Art 13 Z 1 a bis c EuTerrÜbk, ein solcher Vorbehalt wurde ua Griechenland, Ungarn, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Schweiz abgegeben. Gem Art 5 Abs 1 AuslÜbk-EU ist keine Straftat als politische Handlung anzusehen. Abs 2 schränkt die Vorbehaltsmöglichkeit ein. Unter den ausdrücklichen bzw fakultativen Vollstreckungshindernissen ist er nicht genannt, dazu unten Abschnitt 2.III.C.1. und Abschnitt 2.III.D.1. So Vogler, in IRG-K § 6 Rz 25. Vgl zB die unterschiedlichen Auffassungen der us-amerikanischen Gerichte hinsichtlich des politischen Charakters der Aktionen der IRA einerseits und der PLO andererseits, dazu Bassiouni, in International Criminal Law II 241 ff.
Auslieferungshindernisse
227
2. Militärische Delikte 2.1. Grundlagen (Echte) militärische Delikte sind von der Auslieferung ausgenommen. Strittig ist heute, worin die Begründung für dieses Auslieferungshindernis liegt. Während früher von einem mangelnden internationalen Interesse ausgegangen wurde,1162 so steht nunmehr der Konnex zum politischen Delikt im Vordergrund. Popp stellt treffend fest, dass militärische Mittel in der Hand des Staates politische Mittel sind.1163 Insofern kann auch die Militärpolitik des ersuchenden Staates fraglich sein und wie beim politischen Delikt eine Beurteilung dieser Politik als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verstanden werden, wogegen eine a limine Ablehnung des Ersuchens Abhilfe schafft.1164 2.2. Der Begriff des militärischen Deliktes Die militärischen Delikte werden in rein- (bzw echt), gemischt- (unecht) und uneigentlich-militärische Delikte eingeteilt, wobei in den meisten Gesetzen und Verträgen ein Auslieferungshindernis nur hinsichtlich eines reinmilitärischen Deliktes besteht. Bei diesem handelt es sich um einen Tatbestand, der sich im allgemeinen Strafrecht nicht findet. Vielmehr kann dieses Delikt ausschließlich von einem Soldaten begangen werden und zwar aufgrund des besonderen militärischen Gewaltverhältnisses. Es handelt sich dabei um Verletzungen einer Pflicht zum Dienst oder im Dienst. Als Beispiele sind zB die Desertion nach § 9 MilStG, der Ungehorsam nach § 12 ff MilStG sowie die Wachverfehlung nach § 24 f MilStG zu nennen. Die unechten (oder gemischt-) militärischen Delikte sind solche, die auch im allgemeinen Strafrecht vorkommen, jedoch mit Rücksicht auf die militärische Stellung des Täters oder Opfers sowie wegen der militärischen Bedeutung des Tatobjektes qualifiziert sind. Darunter fallen ua der militärische Diebstahl nach § 31 MilStG sowie die Beschädigung von Heeresgutes gem § 32 MilStG. Daneben werden vereinzelt auch noch die uneigentlich-militärischen Delikte angeführt, welche gegen Soldaten oder militärische Interessen gerichtet sind.1165
1162
1163 1164 1165
Vogler, in IRG-K § 7, Schultz, ZStW 81 (1969) 223, vgl Schwaighofer, Auslieferung 118. Rechtshilfe Rz 157. Schomburg/Hackner, in IRG § 7 Rz 3. Popp, Rechtshilfe 156, Vogler, in IRG-K § 7 Rz 12.
228
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
2.3. Der Umfang des Auslieferungshindernisses Das ARHG verbietet in § 15 Z 1 nur die Auslieferung wegen rein militärischer Delikte. Entsprechendes ist auch in § 7 IRG vorgesehen. Gem Art 4 EuAlÜbk besteht keine Auslieferungspflicht für rein-militärische Delikte, weshalb die engeren nationalen Auslieferungsverbote gelten. Die Beurteilung, ob das Auslieferungsdelikt ein rein-militärisches Delikt darstellt, steht dem ersuchten Staat zu. Während im Falle des politischen Delikts das komplex politische Delikt mangels Trennbarkeit auch dem Auslieferungsverbot unterliegt, gilt dieser Grundsatz nach hA nicht bei gemischt-militärischen Delikten.1166 Diesfalls wird eine Trennung vorgenommen, wobei das gewöhnliche Delikt der Auslieferung unterliegt, und die Qualifizierung bzw der militärrechtliche Teil nicht verfolgt werden dürfen. Die zur Beurteilung der qualifizierten beiderseitigen Strafbarkeit notwendige Mindeststrafhöhe hat sich diesfalls nach dem auslieferungsfähigen Teil, dh nach dem gewöhnlichen Delikt, zu richten.1167 Insofern ist va auch an die Spezialitätsbindung eine strenge Anforderung zu stellen. Besteht die Gefahr einer politischen Verfolgung, so ist die Auslieferung wegen der gesamten Tat aufgrund des nonrefoulment-Prinzips in § 19 Z 3 ARHG abzulehnen.1168 Das AuslÜbk-EU sieht keine Bestimmung hinsichtlich militärischer Straftaten vor, die Auslieferung ist daher, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu gewähren. Gleiches gilt nunmehr für den RB-HB und das EU-JZG. Damit ist das Auslieferungs- bzw Vollstreckungshindernis wegen militärischer Delikte innerhalb der EU aufgehoben. Besteht die Gefahr einer politischen Verfolgung so kommt der im 12. Erwägungsgrund des RB-HB bzw im § 19 Abs 4 EU-JZG verankerte Ablehnungsgrund (non-refoulmentPrinzip) zur Anwendung. Zu bedenken ist weiters, ob die Beteiligung eines Extraneus zu einem nur von einem Soldaten begehbaren reinen Militärdelikt unter das Auslieferungshindernis fällt. Dies ist zu bejahen, da sich das Auslieferungsverbot an Art und Eigenschaft der Tat und nicht des Täters orientiert. Dies wird auch daran ersichtlich, dass der Soldat, der ein gemischt-militärisches Delikt begeht, wegen des allgemein strafrechtlichen Tatbestandes ausgeliefert werden kann. Die Art der Tat bleibt auch im Fall der Beteiligung daran ein klassisches, reines Militärdelikt, die dem Ersuchen zugrunde liegende Handlung stellt einen Beitrag bzw eine Bestimmung dazu dar, weshalb sie ebenfalls von der Auslieferung ausgenommen ist.1169
1166 1167 1168 1169
Schomburg/Hackner, in IRG § 7 Rz 2, Popp, Rechtshilfe Rz 155. Schomburg/Hackner, in IRG § 7 Rz 10; aM Vogler, in IRG-K § 7 Rz 11. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.2.3. und Abschnitt 1.IV.D.1.1. Schomburg/Hackner, in IRG § 7 Rz 8, Schwaighofer, Auslieferung 119; aM Vogler, in IRG-K § 7 Rz 9.
Auslieferungshindernisse
229
Daneben ist die auslieferungsrechtliche Behandlung zivildienstlicher Straftatbestände zu prüfen. Im Schweizerischen IRSG wurde eine ausdrückliche Regelung gewählt und in Art 3 Abs 1 die Wendung „ähnliche Dienstleistungen“ aufgenommen, worunter Ersatzleistungen wie der Zivildienst fallen. Auch in Deutschland und Österreich gelangt man trotz fehlender ausdrücklicher Verankerung in den Auslieferungsgesetzen im Wege der Analogie zu demselben Ergebnis. Denn der Zivildienst stellt den Ersatzdienst für den Wehrdienst dar, weshalb er als mittelbarer Militärdienst anzusehen ist. Dieses Delikt kann nur durch Zivildiener im Rahmen einer Dienstpflichtverletzung begangen werden. Die Strafbarkeit dieses Ungehorsams ergibt sich wiederum aufgrund des besonderen Gewaltverhältnisses. Insofern sind auch die reinen Straftaten nach dem ZivilDG denen des Militärstrafgesetzes gleichzustellen.1170 Dies gilt zB für den „Dienstentzug“ gem § 58 ZivilDG, der der Desertion entspricht, sowie für die Dienstverweigerung nach § 60 ZivilDG, die dem Ungehorsam gleichzusetzen ist. An dieser Stelle ist auf die für Österreich nicht relevanten Status of Forces Agreements (SOFA) hinzuweisen. Dabei handelt es sich um die sog Truppenvereinbarungen, die ein Staat mit einem anderen Staat abschließt, auf dessen Hoheitsgebiet er mit dessen Zustimmung Truppen stationiert. In diesen Übk wird die Gerichtsbarkeit über die strafbaren Handlungen der Truppen im Gastland festgelegt, sowie insb die Unterstützung durch das Gastland bei den Festnahmen fremder Truppenmitglieder.1171 Die US-amerikanischen SOFA’s sehen insofern vor, dass der USA die primäre Strafgewalt über reinmilitärische Delikte zukommt, sowie über Straftaten von nicht-militärischen Angestellten, die sich gegen Soldaten bzw militärische Interessen richten. Gewöhnliche Straftaten stehen in der Strafgewalt des Gastlandes. Das Gastland ist dazu verpflichtet, die US-amerikanischen Truppen bei der Festnahme eines Soldaten zu unterstützen.1172 Diese Bestimmungen gehen denen der Auslieferungsverträge vor. Als Beispiel für solche Truppenvereinbarungen ist zB das NATO-Truppenstatut (NATO-SOFA) zu nennen.1173 3. Fiskalische Delikte 3.1. Grundlagen Während fiskalische Delikte traditionell von der Auslieferung ausgenommen waren, besteht schon seit geraumer Zeit eine gegenläufige Tendenz. Die Be1170
1171
1172 1173
Schomburg/Hackner, in IRG § 7 Rz 5, Vogler, in IRG-K § 7 Rz 7, OLG Wien 24 Ns 20/873 zitiert in IRG § 7 Rz 5. Vogler, in IRG-K § 7 Rz 16, Norton, 5 GA. J.Int’l & Comp.L.J. (1975) 1, Bassiouni, in International Criminal Law II 216 ff, Lagodny, in Eser FS 793 f. Bassiouni, in International Criminal Law II 216 ff. Vom 19.6.1951, siehe dBGBl 1961 II 1190, dazu Lagodny, in Eser FS 793 f.
230
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
gründung für das Auslieferungsverbot lag zum einen in den Schwierigkeiten bei der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit in concreto begründet. Verschiedene Staaten haben verschiedene Steuermodelle, manche im einen Land verhängte Steuern sind dem anderen fremd. Daneben kann mit der Prüfung eines Auslieferungsersuchens wegen eines fiskalischen Deliktes eine Beurteilung der Gerechtigkeit des Steuersystems des ersuchenden Staates verbunden sein, was wiederum eine ungewollte Beurteilung fremder innerstaatlicher Angelegenheiten erfordert. Das fremde Steuerrecht kann dem ersuchten Staat als konfiskatorisch oder ungerecht vorkommen, die drohende Verfolgung mitunter sogar als diskriminatorisch. Gelegentlich wurde aufgrund älterer Ansätze auch der fiskalischen Delikten innewohnende Handlungsunwert und deren Qualität als echte Strafbestimmung bezweifelt. Die nunmehrige gegenläufige Tendenz ergibt sich in erster Linie aus der verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Staaten, wie zB innerhalb Europas und insb innerhalb der EU. Daneben ist die internationale Akzeptanz des Unwerts fiskalischer Delikte aufgrund des Ausbaus der Leistungs- und Wohlfahrtsfunktion der Staaten gestiegen. Aufgrund der trotz der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bestehenden internationalen Steuerdisparität ist die Kooperation bei der Strafverfolgung auch ein dringendes Anliegen vieler Staaten.1174 3.2. Der Begriff des fiskalischen Deliktes und Umfang des Auslieferungsverbotes nach dem ARHG § 15 Z 2 ARHG verbietet die Auslieferung wegen strafbarer Handlungen, die ausschließlich in der Verletzung von Abgaben-, Monopol-, Zoll-, oder Devisenvorschriften oder von Vorschriften über die Warenbewirtschaftung oder über den Außenhandel bestehen. Die Einstufung erfolgt nach dem Recht des ersuchten Staates. Unter die in § 15 Z 2 ARHG genannten fiskalischen Delikte fallen zunächst die in den §§ 33 bis 52 FinStrG aufgezählten Straftaten, soweit eine gerichtliche Zuständigkeit (§ 53 FinStrG) gegeben ist.1175 Ebenso ua die Strafbestimmungen des DevisenG, des AußenhandelsG und des ViehwirtschaftsG. Laut hL verdeutlicht die Wendung „ausschließlich“, dass nur reine Fiskaldelikte von dem Auslieferungshindernis umfasst sind. Bei eintätigem Zusammentreffen eines allgemeinen Straftatbestandes mit einem fiskalischen Delikt, wie zB im Fall des Schmuggels von Suchtgift oder des Siegelbruchs, gilt das Auslieferungshindernis daher nicht. Das bedeutet, dass – wird die hinsichtlich der politischen Delikte aufgestellte Unterteilung übernommen – sowohl komplexe als auch relative oder konnexe fiskalische Straftaten nicht 1174
1175
Zu den Begründungen siehe, Popp, Rechtshilfe Rz 161 ff, Linke, Grundriss 52, Schwaighofer, Auslieferung 120, Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 110, Ponchet/Gully-Hart, in Bassiouni International Criminal Law II 295. Die gerichtliche Strafbarkeit ist Auslieferungsvoraussetzung.
Auslieferungshindernisse
231
dem Auslieferungshindernis unterliegen. Die Delikte der Abgaben- und Monopolhehlerei gem § 37 und § 46 FinStrG sind nicht als „komplex fiskalische Delikte“ zu verstehen, da sie nur den Anschein eines allgemein strafrechtlichen Elementes haben. Tatsächlich ergibt sich die Strafbarkeit dieser Delikte aus rein finanzrechtlichen Aspekten, während eine Hehlerei nach StGB nicht vorliegt: die Deliktsgegenstände sind schließlich nicht Sachen die aus einer Straftat stammen, sondern Sachen oder Erzeugnisse aus einer Sache, hinsichtlich derer ein Schmuggel usw begangen wurde.1176 Verwirklicht das fiskalische Delikt auch einen gewöhnlichen Straftatbestand, so gilt das Auslieferungshindernis nicht. Die Auslieferung kann diesfalls nach der RV zum ARHG wie auch der hL unbeschränkt bewilligt werden, da der Grundsatz der Spezialität der Verfolgung des Fiskaldeliktes nicht entgegenstehe.1177 Die Grenze sei da zu ziehen, wo der fiskalische Gehalt der Straftat so sehr überwiegt, „dass das gemeine Delikt demgegenüber, etwa bei der Strafzumessung, nicht mehr ins Gewicht fiele.1178 Hier ist nicht ersichtlich, warum die Taten nicht getrennt werden können und eine Auslieferung nur wegen des gewöhnlichen Delikts zu bewilligen ist. Diese Auffassung vertritt die Schweizerische hL und Rsp jedenfalls hinsichtlich konnex fiskalischer Delikte.1179 Eine Ausnahme bezüglich der Auslieferungsfähigkeit von Taten, die einen fiskalischen und einen allgemein strafrechtlichen Tatbestand verwirklichen, besteht aufgrund der Regelung des § 22 Abs 2 und 3 FinStrG: Demnach sind sowohl Finanzvergehen, die auf betrügerische Weise oder durch Täuschung, wie auch solche die im Zusammenhang mit der Urkundenfälschung nach § 223 oder der Beweismittelfälschung nach § 293 StGB begangen wurden, ausschließlich als Finanzvergehen zu ahnden. Diese Bestimmung verdrängt als lex specialis die Strafbarkeit nach den allgemein strafrechtlichen Bestimmungen. Interessant ist va die weite Fassung des § 22 Abs 2 FinStrG, der ein Finanzvergehen bloß im Zusammenhang mit §§ 223 und 293 StGB verlangt, und insofern auch konnex fiskalische Delikte umfasst. Wird die Urkundenunterdrückung begangen, um eine Steuerhinterziehung zu ermöglichen, so liegt ausschließlich ein Finanzvergehen vor, weshalb eine Auslieferung wegen beider Delikte aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 22 Abs 2 und 3 FinStrG abzulehnen wäre.1180
1176 1177 1178 1179 1180
Siehe Scheil, Selbstanzeige Rz 229 f. EBRV 4 BlgNR XV. GP, 23, Schwaighofer, Auslieferung 120. Linke, Grundriss 52. Popp, Rechtshilfe 169 f. Vgl Schwaighofer, Auslieferung 120.
232
Auslieferungshindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
3.3. Die Regelung anderer Übk und nationaler Auslieferungsgesetze – EU-rechtliche Neuerungen Wie erwähnt geht die Tendenz in die Richtung, die Privilegierung der fiskalischen Delikte innerhalb des Auslieferungsrechts aufzuheben. Während Art 5 EuAlÜbk die Auslieferung bei Abgaben-, Steuer-, Zoll- oder Devisenstrafsachen von zwischenstaatlichen Vereinbarungen abhängig macht, wurde bereits durch Art 2 des 2. ZP-EuAlÜbk1181 eine solche die Auslieferungspflicht begründende Vereinbarung getroffen. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit wurde jedoch beibehalten. Österreich hat dieses Protokoll ratifiziert und die Auslieferungspflicht inzwischen auf Monopolstrafsachen erweitert.1182 Die Schweiz hat von der Vorbehaltsmöglichkeit zum 2. ZP umfassend Gebrauch gemacht und damit die fiskalischen Delikte weiterhin von der Auslieferung ausgenommen. Eine entsprechende, umfassende Bestimmung findet sich in Art 3 IRSG.1183 Das deutsche IRG kennt kein Auslieferungshindernis hinsichtlich fiskalischer Delikte. Eine vorbehaltlose Ratifikation des 2. ZP erfolgte 1991. Innerhalb des Schengenraumes verankert Art 63 SDÜ eine Auslieferungspflicht hinsichtlich fiskalischer Straftaten im Bereich der Verbrauchsund der Mehrwertsteuer sowie des Zolls, soweit die sonstigen Auslieferungsvoraussetzungen gegeben sind.1184 Das AuslÜbk-EU sieht für Abgaben-, Steuer-, Zoll- und auch Devisenstrafsachen eine Auslieferungspflicht vor, soweit im ersuchten Staat eine entsprechende Straftat derselben Art besteht. Dazu ist jedoch ein Vorbehalt möglich, der die Auslieferungspflicht auf den in Art 63 SDÜ vorgegebenen Bereich beschränkt.1185 Der RB-HB sieht in Art 4 Z 1 von einem Auslieferungshindernis bei fiskalischen Delikten ab und schränkt die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ausdrücklich ein: Es hat außer Betracht zu bleiben, ob der Vollstreckungsstaat gleichartige Steuern vorschreibt, oder gleichartige Steuer-, Zoll-, und Währungsbestimmungen enthält. In Anbetracht der Wirtschaftsunion ist die Auslieferungspflicht hinsichtlich fiskalischer Delikte überzeugend. Die Beschränkung der beiderseitigen Strafbarkeit ist als Vereinheitlichungsinstrument zu verstehen. Diese Aufgabe kommt aber weder dem RB-HB noch dem Auslieferungsbzw Übergaberecht berechtigt zu.1186
1181 1182
1183 1184
1185 1186
ETS 98. Siehe die Erklärung vom 9.9.1994 abrufbar unter http://conventions.coe.int/ treaty/EN/cadreprincipal.htm. Zur Schweizerischen Regelung siehe Popp, Rechtshilfe Rz 160 ff. Art 63 iVm Art 59 u Art 51 Abs 1 SDÜ. Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 442, Corstens/Pradel, European Criminal Law Rz 110. Zeder, AnwBl 2003, 382. Dazu auch unten Abschnitt 2.I.A. und Abschnitt 2.II.A.1.
Umgehung der Auslieferung
V.
233
Umgehung der Auslieferung
Dem durch innerstaatliche Auslieferungsgesetze und zwischenstaatliche Auslieferungsverträge gestalteten Auslieferungsrecht liegt die Prämisse zugrunde, dass eine Person nur dann der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung in einem anderen Land zugeführt werden darf, wenn die vorgegebenen Verfahrensschritte und der dadurch gewährte Rechtsschutz eingehalten werden.1187 Dazu zählt insb die gerichtliche Wahrnehmung der Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse. Doch bestehen Möglichkeiten, die Einhaltung des Verfahrens auf verschiedene Weise zu umgehen, wobei der Grund dafür einerseits in der Zeit- und Müheersparnis und andererseits in der Unmöglichkeit einer rechtmäßigen Auslieferung liegen kann. Die in der Praxis am häufigsten auftretenden Arten der Umgehung sind auf der einen Seite die Abschiebung durch den Aufenthaltsstaat1188 und auf der anderen Seite sowohl das Herauslocken als auch die Entführung aus dem Aufenthaltsstaat in einen Drittstaat oder den Verfolgungsstaat. Während die Rechtswirkungen der Abschiebung hauptsächlich das Individuum treffen, kann das Herauslocken wie auch die Entführung aus einem fremden Staat sowohl eine Völkerrechts- als auch eine Grundrechtsverletzung bewirken. Im Folgenden sollen diese Praktiken und ihre Auswirkung auf die Auslieferung (aus dem Drittstaat) und auf das Strafverfahren im Verfolgungsstaat beleuchtet werden. Da die Abschiebung insofern die am wenigsten eingriffsintensive Maßnahme darstellt, wird sie zu Beginn erläutert, schließlich wird auf das Herauslocken und zuletzt auf die gravierendste Maßnahme, die Entführung aus dem Aufenthaltsstaat, eingegangen.
A. Abschiebung – deportation 1. Ausweisung – Abschiebung Grundsätzlich kann eine Umgehung der Auslieferung durch Abschiebung entweder vom Aufenthaltsstaat selbst ausgehen oder von diesem unmittelbar – aber auf Veranlassung eines anderen Staates – unternommen werden.1189 Die Abschiebung stellt, anders als die Auslieferung, in Österreich einen ein-
1187
1188
1189
Linke, Grundriss 16, aM die us-amerikanische Rsp United States v AlvarezMachain, 405 U.S. 665, dazu unten Abschnitt 1.V.C.4. In diesem Kapitel wird der Terminus „Aufenthaltsstaat“ nicht juristisch (iSd gewöhnlichen Aufenthalts) sondern nach dem reinen Sprachgebrauch zur Umschreibung des Staates verwendet, in dem sich der Verfolgte zum Zeitpunkt der Abschiebung bzw Entführung oder List befand. Zu letzterem siehe den Sachverhalt in R v Bow Street Magistrates ex parte Mackeson, E vom 25.6.1981, 75 Cr.App.R. 24 (1982).
234
Abschiebung – deportation
seitigen – auf einem fremdenpolizeilichen Verwaltungsverfahren1190 beruhenden – Akt dar, mit dem der Betroffene zwangsweise an die Landesgrenze bzw in ein anderes Land gebracht wird. Zunächst ist zwischen Ausweisung, Aufenthaltsverbot und Abschiebung zu unterscheiden. Mit der Ausweisung wird eine Person gem §§ 53 f Fremdenpolizeigesetz (FPG) mit Bescheid zum Verlassen des Landes aufgefordert. Die Gründe dafür liegen insb in der illegalen Anwesenheit im Land, verbunden mit der Mittellosigkeit oder der (möglichen) Straffälligkeit1191 des Fremden innerhalb der ersten drei Monate nach erfolgter Einreise, der Verrichtung von Schwarzarbeit oder Prostitution. Auch Fremde, die mit einem Aufenthaltstitel im Land leben, können insb bei nachträglichem Auftreten oder nunmehrigem Bekanntwerden eines Versagungsgrundes ausgewiesen werden. Seid der Novellierung durch das Fremdenrechtspaket 2005 ist die Ausweisung aber auch dann zulässig, wenn der Fremde im ersten Jahr der Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Arbeit nachgegangen ist, sowie wenn er den Integrationsvereinbarungen nicht innerhalb einer bestimmten Frist nachkommt.1192 Aus ähnlichen Gründen kann ein Aufenthaltsverbot oder/und ein Rückkehrverbot erlassen werden, das befristet oder unbefristet sein kann.1193 Ausweisung und Aufenthaltsverbot verpflichten den Betroffenen zum sofortigen Verlassen des Landes.1194 Die Abschiebung dient der Durchsetzung einer Ausweisung bzw eines Aufenthaltsverbots. Sie kann von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde gem § 46 FPG durchgesetzt werden, wenn der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen wurde, bzw dies aus bestimmten Gründen bereits im Vorhinein befürchtet wird, oder die Überwachung der Ausreise sonst aus bestimmten Gründen notwendig erscheint.1195 Weiters kann eine Ausweisung und schließlich Abschiebung verhängt werden, wenn eine Person einen Asylantrag gestellt hat und dieser zurückgewiesen wird, da nicht der derzeitige Aufenthaltsstaat, sondern ein anderer EU-Mitgliedstaat nach der im Kapitel III der Dubliner Verordnung1196 verankerten Rangfolge zur Entscheidung über diesen Antrag zuständig ist.1197 1190 1191
1192 1193 1194 1195
1196 1197
FPG BGBl I 100/2005 idF BGBl I 99/2006. Es genügt die nicht rechtskräftige Verurteilung sowie Betreten auf frischer Tat, bzw die glaubwürdige Beschuldigung unmittelbar nach der Tat wegen einer Vorsatztat, siehe § 53 Abs 1 Z 1 u 2 FPG. § 54 FPG. Siehe §§ 60 ff FPG. § 67 FPG. Die Abschiebung wird nicht mit Bescheid verhängt sondern aufgrund eines Tagesbefehles durch die Behörde angeordnet. Als Rechtmittel ist nur die Maßnahmenbeschwerde zulässig. Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.2.2003, ABl 2003 L 50, 1 vom 25.2.2003. § 5 u 10 AsylG iVm § 46 FPG.
Umgehung der Auslieferung
235
Ausschlaggebende Kriterien für die Zuständigkeit sind dabei ua der Ort an dem der erste Asylantrag gestellt wurde, die Tatsache, dass der Betroffene einen Aufenthaltstitel oder ein Visum in einem anderen Mitgliedstaat besitzt, sowie dass er einen Mitgliedstaat illegal betreten bzw überflogen hat. Ebenso kann nunmehr vorgegangen werden, wenn der Fremde in einem Drittstaat Schutz finden kann (Drittstaatsicherheit).1198 Nun stellt sich zunächst die Frage, in welchen Fällen zwar abgeschoben, nicht aber ausgeliefert werden darf. Einerseits betrifft dies Sachverhalte, in denen die materiellen Voraussetzungen der Auslieferung fehlen, die jedoch für die Abschiebung keine Rolle spielen, wie etwa die beiderseitige Strafbarkeit. Andererseits können Auslieferungshindernisse vorliegen, die sich – wie oben dargestellt1199 – insb aus rechtsstaatlichen Schranken ergeben und auf den Grund- und Menschenrechten insb der EMRK basieren. Bei der Ausweisung bzw Abschiebung wird nicht ebenso umfassend auf diese Rechte Bedacht genommen. Das FPG berücksichtigt in § 66 bezüglich der Ausweisung bzw des Aufenthaltsverbotes zwar Art 8 EMRK. Zudem enthält § 50 FPG ein Verbot der Abschiebung bei drohender Todesstrafe1200 bzw drohenden Verstößen gegen Art 3 EMRK. Die Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien nach Art 6 EMRK spielt bei der Abschiebung anders als bei der Auslieferung aber keine Rolle, da diese ja anderen Zwecken dient. Auch besteht hinsichtlich politischer Delikte nur ein ausdrückliches Auslieferungsverbot. Bei einer § 19 Z 3 AHRG entsprechenden drohenden Verfolgung ua wegen der politischen Anschauungen kann die Abschiebung gem § 50 Abs 2 iVm Abs 4 FPG genehmigt werden, wenn der Betroffene aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellt oder er wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt wurde. Es stellt sich nun die Frage, ob der Staat hinsichtlich Fremder, die nach den Bestimmungen des FPG eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen und deren Übergabe ein anderer Staat wünscht, nach den Bestimmungen des Auslieferungsgesetzes vorzugehen hat oder ob er diese auch nach den Vorgaben des FPG abschieben darf. 2. Vorrang der Auslieferung In Österreich enthält § 13 ARHG ein ausdrückliches Umgehungsverbot, dem zufolge ein Ausländer (Inländer dürfen mit einzelnen Ausnahmen weder ausgeliefert noch abgeschoben werden1201) nicht außer Landes gebracht werden darf, solange ein Auslieferungsverfahren anhängig ist oder hinrei1198 1199 1200
1201
§ 4 u 10 AsylG iVm § 46 FPG. Abschnitt 1.IV. Es werden ausdrücklich Verstöße gegen Art EMRK, bzw. das 6. und das 13. ZPMRK aufgezählt. Siehe oben Abschnitt 1.IV.C.4.1.
236
Abschiebung – deportation
chende Gründe für die Einleitung desselben sprechen.1202 Der StA hat gem § 28 ARHG zu prüfen, ob solche Gründe gegeben sind und gegebenenfalls ein Auslieferungsanbot zu stellen.1203 Diese Bestimmung verbietet die Abschiebung in jenen Fällen, in denen ein Auslieferungsverfahren durchzuführen ist und regelt insofern den Vorrang der Auslieferung vor der Abschiebung. Zumindest nach dem Wortlaut lässt diese Bestimmung aber die Frage offen, ob eine Abschiebung nach erfolglosem Verstreichen der Frist zur Stellung eines Auslieferungsersuchens bzw nach Ablehnung der Auslieferung zulässig wäre.1204 Hier ist zunächst zu hinterfragen, woraus sich der Vorrang der Auslieferung ergibt. Sie dient nicht nur der Verbringung aus dem eigenen (in einen anderen) Staat, sondern auch der Zuführung dieser Person zu einem ausländischen Strafverfahren. Insofern sieht die Auslieferung in den einzelnen Auslieferungsverträgen und dem innerstaatlichen Auslieferungsgesetz die ausschließlichen materiellen und formellen Voraussetzungen vor, unter denen der einer Straftat Verdächtige an einen anderen Staat zur Strafverfolgung übergeben werden darf. Der völkerrechtlich-menschenrechtliche Ansatz Schubarths, der das dreidimensionale Modell der Auslieferung berücksichtigt, zeigt den ihr zugrunde liegenden Rechtsschutz deutlich:1205 Demnach kommt den Bestimmungen der Auslieferung als völkerrechtliche Regelung eine Rechtschutzfunktion dem Individuum gegenüber zu, die nicht zur Disposition der Staaten steht.1206 Dieser Rechtsschutz dem Einzelnen gegenüber umfasst ihm zufolge insb das völkerrechtliche Gebot, zur Habhaftwerdung des Verdächtigen ein Auslieferungsersuchen zu stellen, über das ein Gericht entscheidet, und bei Unzulässigkeit der Auslieferung auf die Strafverfolgung zu verzichten. Dem Auslieferungsrecht kommt daher sowohl Souveränitätsschutz als auch Individualrechtsschutz im Sinne einer Doppelfunktion zu. Das bedeutet im Ergebnis, dass sich der Einzelne darauf verlassen können muss, dass er nur nach Maßgabe des geltenden Auslieferungsrechts übergeben wird, was sowohl die Abschiebung als auch das Herauslocken und die Entführung als Mittel zur Umgehung der Auslieferung verbietet. Wählte der Aufenthaltsstaat die Abschiebung statt der Auslieferung, obwohl hinreichende Gründe vorliegen, die für das Anbot der Auslieferung 1202
1203 1204
1205 1206
Im deutschen IRG fehlt eine ausdrückliche Bestimmung, doch ist der Grundsatz dennoch zu beachten, dazu Vogler, in IRG-K § 73 Rz 36 (aL), sowie Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110 f. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 113, Linke, Grundriss 16. Dagegen ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 114 ff, ebenso Deydene-Amann, in Auslieferungsrecht 435. Schubarth, StV 1987, 174 f. Siehe auch Breuer, EuGRZ 2003, 451 f.
Umgehung der Auslieferung
237
sprechen, oder gewährte er die Abschiebung in einen Staat, der zuvor vergeblich um die Auslieferung ersuchte, so stellte dies eine Umgehung der relevanten Bestimmung zum Nachteil des Betroffenen dar. Denn dieser ginge damit nicht nur einer richterlichen und damit rechtsstaatlichen Überprüfung der Auslieferungsvoraussetzungen verlustig, er verlöre damit insb den Schutz, der sich aus dem Grundsatz der Spezialität ergibt und der nur im Fall der Auslieferung Anwendung finden kann.1207 Aus diesen Gründen verbietet § 13 ARHG die Abschiebung nicht nur während eines anhängigen Auslieferungsverfahrens – bzw während dieses anhängig sein sollte – sondern auch nach einer abschlägigen Auslieferungsentscheidung, da dabei der Grundsatz des Vorranges der Auslieferung verletzt würde. Ergeht jedoch aufgrund eines Anbots kein Auslieferungsersuchen und bleibt eine Reaktion aus, so ist die Abschiebung zulässig, wenn die Behörde keine Hinweise darauf hat, dass das Untätigbleiben ausschließlich zur Erreichung der Abschiebung erfolgt. Es ist also jeweils zunächst zu klären, welche Maßnahme anzuwenden ist, dh ob der Sachverhalt eines Auslieferungs- oder eines Abschiebungsverfahrens bedarf. Ist nach den Bestimmungen des Auslieferungsverfahrens vorzugehen, so darf der Fremde nur aufgrund einer gerichtlichen und schließlich ministeriellen Entscheidung in den ersuchenden Staat überstellt werden. Insofern ist der Gesetzestext eindeutig. Verweigern die zuständigen Instanzen die Auslieferung, so ist nach der angestellten Überlegung auch der Weg über die behördliche Abschiebung versperrt.1208 Ansonsten würde die gerichtliche Entscheidung durch die Abschiebung außer Kraft gesetzt. Insofern ist von einer Bindung der Verwaltungsbehörden an die Gerichte auszugehen. Ändern sich die Umstände, so ist ein neues Auslieferungsersuchen an das Gericht zu stellen. Es soll hier nicht bestritten werden, dass jene Fälle höchst problematisch sind, in welchen der Auszuliefernde im ersuchten Staat ein Problem für die nationale Sicherheit darstellt und alle Voraussetzungen für die Abschiebung gegeben sind. Hier ist insb der Fall Kaplan in Erinnerung zu rufen, der in Deutschland ein heftiges Medieninteresse auslöste und die Bevölkerung in Aufruhr versetzte.1209 Seiner in Deutschland verbotenen Organisation „Kalifenstaat“ wird vorgeworfen, den Sturz der türkischen Regierung und die Errichtung eines islamischen Gottesstaates zu planen. In Deutschland wurde Kaplan im November 2000 wegen des Aufrufes zum Mord an einem Rivalen zu 4 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Schließlich stellte die Türkei wegen ei1207
1208
1209
Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.III.D.2, zur Rechtschutzwirkung der Spezialität oben Abschnitt 1.III.D.2. Die Zuständigkeiten nach dem Dubliner Übk bzw der Dubliner Verordnung (Dublin I und II) sind im Falle eines Asylantrages zu wahren. Siehe dazu Spiegel Online, www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518; ebenso www.wdr.de/themen/politik/nrw/kalif_von_koeln/, www.faz.net vom 13.10.2004.
238
Abschiebung – deportation
nes versuchten Sprengstoffattentates ein Auslieferungsersuchen an Deutschland, welches das OLG Düsseldorf am 27.3.2003 als unzulässig ablehnte. Das Gericht erkannte auf einen Verstoß gegen die ordre public Bestimmung des § 73 IRG, da Kaplan in der Türkei ein Verfahren drohe, das den Vorgaben des Art 6 EMRK nicht entspreche. Letztendlich wurde Kaplan ausgewiesen und, nachdem sich mehrere Verwaltungsgerichte mit dem Fall beschäftigt hatten, am 11.10.2004 in die Türkei abgeschoben. Die Türkei soll eine Zusicherung abgegeben haben, Kaplan ein rechtsstaatliches faires Verfahren zu gewähren. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Nichtabschiebung einer gefährlichen Person ein Risiko für das Gastland darstellt. Doch muss berücksichtigt werden, dass die Auslieferung durch ein Gericht wegen erheblicher Bedenken abgelehnt wurde. Bestehen diese Bedenken nicht, so ist eine Auslieferung zulässig und die Abschiebung braucht nicht geprüft werden. Drohen dem Betroffenen im ersuchenden Staat Grundrechtsverletzungen, die dem ordre public widersprechen, so kann nicht nur die Auslieferung, sondern muss auch die Abschiebung in diesen Staat unzulässig sein. Ansonsten hätten die Auslieferungsbestimmungen bzw die Entscheidungen der Auslieferungsgerichte keinen Wert. Ändert sich jedoch die Situation im ersuchenden Staat bzw gibt dieser nunmehr eine Zusicherung im Hinblick auf das bevorstehende Verfahren ab, so sollte ein weiteres Auslieferungsersuchen gestellt werden und ein Auslieferungsgericht die neue Sachlage und die Zuverlässigkeit der Zusicherung prüfen. Es bleibt zu untersuchen, ob anders zu entscheiden ist, wenn die Auslieferung nicht aufgrund drohender EMRK Verletzungen bzw des ordre public, sondern aus anderen Gründen wie zB der Geringfügigkeit des Delikts abgelehnt wurde. Dh es stellt sich die Frage, ob der Grund der Verweigerung der Auslieferung eine Rolle spielen kann. In den Fällen der Ablehnung wegen drohender EMRK-Verletzungen steht die Unzulässigkeit der Abschiebung außer Frage. Wurde die Auslieferung wegen der Geringfügigkeit des Delikts abgelehnt so scheint die folgende Abschiebung in den ersuchenden Staat weniger bedenklich. Doch ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene auch in diesen Fällen den durch die Auslieferung garantierten Spezialitätsschutz und die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit verliert, weshalb der Grund der Ablehnung keine Rolle spielen sollte. Die Abschiebung als Umgehung der Auslieferung stellt, da sie durch den Aufenthaltsstaat des Verfolgten selbst vorgenommen wird, keine Verletzung der völkerrechtlichen Gebietshoheit anderer Staaten dar. Dient sie der Strafverfolgung in einem anderen Staat, so wird sich dieser wegen der Nichteinhaltung des Auslieferungsvertrages nicht in seinen Rechten verletzt sehen.
Umgehung der Auslieferung
239
3. Strafverfolgungs- bzw Auslieferungshindernis nach rechtswidriger Abschiebung Vielfach geschehen solche Abschiebungen gerade auf Andringen des Staates, der den Verdächtigen verfolgen will, weshalb weiters zu überlegen ist, ob dieser nach einer solchen Umgehung überhaupt zur Strafverfolgung berechtigt ist. Hierzu ist va auf die Rsp der englischen Obergerichte zu verweisen, die sich mehrfach mit solchen Fällen auseinandersetzten und diesbezüglich eine klare, koheränte Linie vertreten.1210 Erfolgte die Abschiebung nicht in den Staat, der den Betroffenen verfolgen will, sondern in einen Drittstaat, so stellt sich weiters die Frage, ob dieser Dritt- bzw Empfängerstaat in den Verfolgungsstaat ausliefern darf. 3.1. Die englische Rsp In Mackeson befasste sich das englische Court of Appeals mit der Frage, ob die von Großbritannien in Simbabwe (ehemals Rhodesien) erwirkte Deportation eines englischen Staatsbürgers, um ihn in Großbritannien strafrechtlich zu verfolgen, ein Verfahrenshindernis für das zuständige englische Gericht schafft.1211 In diesem Fall hatte wegen eines Regimewechsels zwar kurzzeitig kein Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und Simbabwe bestanden,1212 zum Zeitpunkt der Deportation war dieser aber wieder in Geltung. Das Court of Appeals stellt zunächst fest, dass die Gerichtsbarkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei, da es sich um einen englischen Staatsbürger handle, der in England aufgrund eines rechtmäßigen Haftbefehls festgenommen wurde. Es geht aber in Übereinstimmung mit den oben dargelegten Argumenten davon aus, dass sich die Erwirkung der Übergabe einer Person zur Strafverfolgung nach dem maßgeblichen Gesetz zu richten habe, und dies sei ausschließlich der Extradition Act, der ausdrücklich verlange, dass über die Übergabe ein zuständiges Gericht nach einem vorgegebenen Verfahren entscheidet. Werden diese Bestimmungen dadurch umgangen, dass anstatt um die Auslieferung um die Abschiebung ersucht wird, so stelle dies einen Rechtsmissbrauch durch die Beamten dar. Die Strafverfolgung würde daher gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit und der Gesetzlichkeit verstoßen. Das Gericht erwähnt ausdrücklich, dass das Ziel hier nicht die Mittel rechtfertigen könne. Mit der Frage, ob dies auch dann gilt, wenn zwischen den beteiligten Staaten kein Auslieferungsvertrag in Geltung ist, setzt sich
1210
1211
1212
Grundlegend dazu Wilske, ZStW 107 (1995) 67 ff, siehe auch Wedgwood, 89 A.J.I.L. 142 ff. R v Bow Street Magistrates ex parte Mackeson, E vom 25.6.1981, 75 Cr.App.R. 24 (1982). So Wilske, ZStW 107 (1995) 68.
240
Abschiebung – deportation
das Gericht nicht auseinander. In der vorliegenden Arbeit wird darauf anlässlich der Besprechung der EGMR E Öcalan v Turkey eingegangen.1213 Diese Argumentationslinie fußt auf der E ex parte Soblen1214 und der neuseeländischen E R v Hartley1215 und wurde schließlich durch das House of Lords in ex parte Bennet1216 bestätigt. Darin geht das Gericht zudem auch ausdrücklich auf die Doppelfunktion der Auslieferung ein, die einerseits darin liegt, die Strafverfolgung des Auszuliefernden zu ermöglichen, ihm aber andererseits einen Rechtsschutz zu gewähren und ihn vor Willkür zu schützen. Die Umgehung der Auslieferung durch die Exekutive würde den Betroffenen dieses Rechtsschutzes berauben. Der Grund für das Strafverfolgungshindernis bestehe in der Rechtsstaatlichkeit, deren Einhaltung vom Gericht zu überwachen sei. Voraussetzung ist, dass die eigenen Behörden eine knowing party waren. Nach der Sachverhaltsdarstellung bedeutet das, dass sie bewusst an dem Rechtsmissbrauch mitwirkten. Das House of Lords führt zudem aus, dass den Gerichten keine direkten Disziplinarmaßnahmen den Behörden gegenüber zustünden, weshalb es seine Verantwortung zumindest insofern wahren müsse, als es den Organen verbiete, einen Nutzen aus dem Rechtsmissbrauch zu ziehen. Dies zeigt, dass auch die Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden ein Argument für das Strafverfolgungshindernis darstellt. Die (soeben dargestellte) englische Rsp bezieht sich ausdrücklich nur auf die Frage der Zulässigkeit der Strafverfolgung nach einer Abschiebung, nicht aber der Auslieferung des Abgeschobenen in ein anderes Land. In der auf Bennet folgenden E in re Schmidt1217 lockten englische Beamte den Verdächtigen, einen deutschen Staatsbürger, gegen den von Deutschland ein internationaler Haftbefehl ausgestellt worden war, aus Irland nach England, wo er schließlich aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens verhaftet wurde. Irland hatte das deutsche Auslieferungsersuchen wegen Mangelhaftigkeit zuvor abgelehnt. Das House of Lords hielt die Auslieferung an Deutschland für zulässig und grenzte davon klar die Fälle ab, in denen der Betroffene auf illegale Weise (wie durch Abschiebung) zur Strafverfolgung vor die englischen Gerichte gebracht wird. Diese Unterscheidung ergebe sich aus der Verschiedenheit zwischen Strafverfolgung und Auslieferung. Während bei der Auslieferung das englische Gericht nicht die letzte Instanz sei, sondern einerseits der zuständige Minister sowie später das Gericht des ersuchenden Staates eine Rechtsverletzung prüfen und somit die Rechte des Betroffenen wahren könnten, komme diese
1213 1214 1215 1216 1217
Abschnitt 1.V.C. Regina v Governor of Brixton Prison, ex parte Soblen (1963) 2 Q.B. 243. 2 NZLR (1978) 199. Regina v Horseferry Road Magistrates’ Court, ex parte Bennet, (1994) 1 A.C. 42. In re Schmidt (House of Lords, 1994 May 3, 4, June 30), (1994) 3 Weekly Law Reports 228.
Umgehung der Auslieferung
241
Kompetenz im Falle der Strafverfolgung ausschließlich dem zuständigen englischen Gericht zu. Das bedeutet, dass nach englischer Rsp die unzulässige „Beschaffung“ eines Verdächtigen durch oder unter Mitwirkung eigener Organe nur die eigene Strafverfolgung in Bezug auf diese Person hindern kann, nicht aber deren Auslieferung. Damit wälzt das House of Lords seine Verantwortung im Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit der späteren Entscheidungsorgane ab; eine praktische aber kurzsichtige und unkonsequente Lösung, die die Verletzung der irischen Souveränität durch englische Organe nicht berücksichtigt.1218 Auf die Gründe für die in diesen Fällen ebenso geltenden Auslieferungsbzw Strafverfolgungshindernisse wird weiter unten noch eingegangen.1219 3.2. Die deutsche Rsp Grundsätzlich anderer Meinung hinsichtlich der Zulässigkeit der Abschiebung anstelle der Auslieferung ist die deutsche Rsp. Sie geht in Übereinstimmung mit Teilen der Lehre davon aus, dass sich aus der Erlangung der Gewahrsame über den Verdächtigen durch Abschiebung aus dem Aufenthaltsstaat anstatt durch Auslieferung mangels Völkerrechtswidrigkeit kein Strafverfolgungshindernis (und wohl auch kein Auslieferungshindernis) ergebe.1220 Auch das im folgenden Kapitel dargestellte Herauslocken aus dem Aufenthaltsstaat verbietet den deutschen Gerichten nach der Rsp weder die Auslieferung noch die Strafverfolgung des Verdächtigen.1221 Eine Änderung der Rsp scheint sich nunmehr nur hinsichtlich der gewaltsamen Entführung abzuzeichnen, worauf im diesbezüglichen Kapitel eingegangen wird.1222 3.3. Die Rsp des EGMR und eigene Würdigung Die Abschiebung als Umgehung der Auslieferung widerspricht mE den innerstaatlichen Auslieferungsgesetzen und den völkerrechtlich vereinbarten Auslieferungsverträgen und damit einhergehend den innerstaatlich bzw 1218 1219 1220
1221
1222
Dazu unten Abschnitt 1.V.B. Abschnitt 1.V.A.3.3. Siehe dazu die Nachweise bei Vogler, in IRG-K § 73 Rz 36 (aL). Vogler scheint mit der Rsp nur in den Fällen übereinzustimmen, in welchen der Verfolgungsstaat an der Übergabe durch Abschiebung anstatt Auslieferung keine Mitschuld trägt: Vogler, in IRG-K § 73 Rz 36 f insb FN 44 (aL). Handelt es sich hingegen um ein Einwirken auf die ausländischen Behörden, um eine Ausweisung an Stelle einer Auslieferung zu erwirken, so liegt – offensichtlich aufgrund der Völkerrechtswidrigkeit dieser Handlung – ein Verfolgungshindernis vor. Inwiefern diesfalls die Souveränität des Aufenthaltsstaates verletzt wird, wird nicht ersichtlich. BVerfG JZ 2004, 410 mit zustimmender Anm Vogel; Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110 f; aM Vogler, in IRG-K § 73 Rz 37 (aL), der darin eine Völkerrechtsverletzung erkennt, die die Strafverfolgung wie auch die Auslieferung verbietet. Abschnitt 1.V.C.
242
Abschiebung – deportation
zwischenstaatlich gewährleisteten Menschenrechten. Hier ist insb auf Art 5 EMRK zu verweisen, der vorschreibt, dass eine Festnahme auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise, dh unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften, erfolgen muss und sie überdies rechtmäßig zu sein, dh auf einer gesetzlichen Grundlage zu beruhen, hat. Instruktiv ist diesbezüglich der Fall Bozano v France, der 1986 vom EGMR entschieden wurde.1223 Der Beschwerdeführer, ein italienischer Staatsbürger, war nach Frankreich geflüchtet, während er in Italien wegen Entführung und Mordes eines schweizerischen Mädchens in Abwesenheit zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ein entsprechendes italienisches Auslieferungsersuchen lehnte Frankreich wegen der Unvereinbarkeit des italienischen Abwesenheitsurteiles mit dem französischen ordre public ab. 5 Monate später wurde Bozano zunächst von französischen Polizisten in Zivil verhaftet und ihm auf der Polizeistation ein Abschiebungsbescheid kundgemacht. Er wurde daraufhin in einem Pkw an die Schweizer Grenze gebracht, wo ihn die dortige Polizei übernahm. Schließlich wurde er von der Schweiz, dem Heimatstaat des Opfers, an Italien ausgeliefert.1224 Während in diesem Fall den Beschwerden gegen die Schweiz und Italien bereits von der Kommission die Zulässigkeit versagt wurde,1225 erkannten Kommission und Gerichtshof im Vorgehen der französischen Behörden eine Verletzung des Art 5 EMRK. Der Gerichtshof entschied, dass die Abschiebung eine verdeckte Auslieferung darstelle, und leitete dies aus dem Verhalten der französischen Behörden ab: Der Abschiebungsbescheid war bereits einen Monat vor der tatsächlichen Verbringung in die Schweiz erlassen und der Beschwerdeführer darüber nicht in Kenntnis gesetzt worden. Es wurde ihm dadurch, wie auch durch die Plötzlichkeit der Verhaftung, weder ein Rechtsmittel gegen die Abschiebung noch eine Wahl hinsichtlich des Landes, in das er abgeschoben werden sollte, gewährt. Zudem drückte der EGMR starke Zweifel daran aus, dass die Abschiebung den Anforderungen des innerstaatlichen französischen Rechts entsprach.1226 Zusammenfassend stellte der Gerichtshof fest, dass der einzige Zweck der Aktion die Übergabe an die Schweiz zur Umgehung des negativen Auslieferungsbescheides war. Im Fall Bozano erfolgte die Abschiebung nicht rechtmäßig, da das Vorgehen der involvierten Organe bei der Abschiebung als solches klar den Vorgaben des Art 5 EMRK widersprach, der auch im Fall der Abschiebung eine 1223 1224 1225 1226
Urteil vom 18.12.1986, ApplNr 9990/82. Zu diesem Fall ausführlich Trechsel, EuGRZ 1987, 76 ff. Zu einer Kritik daran siehe weiter unten in diesem Kapitel. Hier ist anzumerken, dass das französische Verwaltungsgericht inzwischen eine Umgehung der Auslieferung festgestellt hatte, und ua anmerkte, dass bereits die materiellen Voraussetzungen der Abschiebung fehlten.
Umgehung der Auslieferung
243
rechtmäßige und den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Festnahme verlangt. Dazu kommt aber weiters, dass die Abschiebung als solche angeordnet worden war, um die geltenden Auslieferungsbestimmungen zu umgehen, insb die gerichtlich angeordnete Verweigerung der Auslieferung außer Kraft zu setzen. Der Gerichtshof lässt jedoch die Frage offen, ob er in jeder verdeckten Auslieferung eine Konventionswidrigkeit erkennt, oder – dem vorgelagert – ob für ihn nur jene Abschiebungen als verdeckte Auslieferungen gelten, in welchen das Vorgehen der Beamten bereits gegen die formellen oder materiellen Voraussetzungen der Abschiebung verstieß.1227 In letzteren Fällen lässt sich die Umgehung der Auslieferung naturgemäß deutlicher feststellen, es sind aber ebenso Fälle denkbar, in denen eine Abschiebung per se rechtmäßig erfolgt, ihr Zweck aber in der Umgehung der Auslieferung liegt. Hier ist für Österreich wiederum auf § 13 AHRG zu verweisen, der es ausdrücklich verbietet, einen Ausländer unter Umgehung der Auslieferung aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen außer Landes zu bringen. Auf Grund des Vorranges der Auslieferung vor der Abschiebung ist auch in den Fällen, in denen zwar die innerstaatlichen Vorschriften zur Abschiebung eingehalten wurden, der Sinn dieser Maßnahme aber tatsächlich in der Umgehung der relevanten Auslieferungsbestimmungen lag, auf eine Verletzung von Art 5 EMRK zu erkennen. Denn diesfalls war die Festnahme nicht rechtmäßig, weil sie nicht auf dem innerstaatlichen Auslieferungsgesetz, sondern auf den Abschiebungsbestimmungen beruhte und sie daher nicht auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgte. Denn die für diesen Sachverhalt angeordneten Verfahrensvorschriften, wozu va die gerichtliche Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse zählt, wurden nicht eingehalten. Zudem widerspricht eine Abschiebung in den Fällen, denen ein Auslieferungsverfahren zu Grunde zu legen wäre, dem Sinn und Geist eines jeden völkerrechtlich vereinbarten Auslieferungsvertrages. Auch Trechsel betrachtet die Entscheidung Bozano kritisch und hinterfragt va die Konsequenzen, die sich aus der unzulässigen Umgehung der Auslieferung ergeben, dies zum einen in Bezug auf den (in der Folge ersuchten) Drittstaat (Schweiz), in den der Betroffene abgeschoben wird, und zum anderen in Bezug auf den später ersuchenden Staat (Italien), der ihn verfolgen bzw die Strafe vollstrecken will.1228 Anders als in den oben dargestellten englischen Entscheidungen wurde in Bozano nicht darauf eingegangen, ob Italien als Verfolgungsstaat diese Deportation erwirkt hatte. Auch die Rolle der Schweiz wurde nicht ausdrücklich hinterfragt. Die Kommission wies die 1227
1228
Auf die Rsp des EGMR zur verdeckten Auslieferung bei Nichtbestehen eines Auslieferungsvertrages wird anlässlich der Besprechung der EGMR E Öcalan v Turkey eingegangen, dazu unten Abschnitt 1.V.C. EuGRZ 1987, 77 f.
244
Abschiebung – deportation
Beschwerden gegen Italien und die Schweiz unter Verweis auf die Zulässigkeit der Festnahme nach schweizerischem innerstaatlichen Recht sowie der Strafhaft (als Ergebnis des Abwesenheitsurteils) nach italienischem innerstaatlichen Recht als unzulässig ab. Würde ein ähnlich gelagerter Fall nach englischer Rsp gelöst, so käme ein Auslieferungshindernis nicht, ein Strafverfolgungshindernis im ersuchenden Staat (Italien) hingegen dann zum Tragen, wenn ein rechtswidriges Verhalten der eigenen Organe festgestellt werden kann. Trechsel bemängelt, dass Italien und die Schweiz, „die Übernehmer des male captus, …, ungeschoren davon kommen“.1229 Er vertritt die Meinung, dass auch diese beiden Staaten durch die Auslieferung bzw Inhaftierung des Beschwerdeführers Art 5 EMRK verletzten, da sie sich ansonsten durch ihr Verhalten jeweils an der französischen Grundrechtsverletzung beteiligten. Dabei räumt er ein, dass diese Art der Teilnahme anders als die übliche Beteiligung nicht während der Tat, sondern vergleichbar mit der Hehlerei nach der Tat begangen wird. Schlussendlich sei aber auch die Hehlerei als Teilnahme eben erst nach der Tat zu betrachten. Unter Hinweis auf das Gebot der Rechtsstaatlichkeit geht er davon aus, dass die Verfolgung staatlicher Zwecke „an der Beachtung der Grundrechte einschließlich der Justizförmigkeit des Verfahrens“ seine Schranken finde, was nicht nur im innerstaatlichen, sondern auch im Bereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen gelten müsse. Daher dürfe die Beschränkung der Freiheit, zu welchem Zwecke auch immer, nur auf gesetzlicher Grundlage und nach Durchführung eines rechtmäßigen Verfahrens entzogen werden. Er ist daher der Meinung, dass das Unrecht einer rechtswidrigen Gewahrsamsbegründung über eine Person nur durch ihre Freilassung in Kombination mit einer Schonfrist gutgemacht werden könne. Die Tatsache, dass Trechsel eine Beteiligung nach der Tat annimmt und mit der Hehlerei argumentiert, bedeutet wohl, dass seiner Meinung nach auch in jenen Fällen ein Auslieferungs- und Strafverfolgungshindernis gelten soll, in welchen die eigenen Organe an der rechtswidrigen Vorgangsweise nicht beteiligt waren. Nach Popp darf die Auslieferung nicht unter Ausnützung einer unredlich erworbenen Rechtsposition erlangt werden, wobei er ein Ausnützen in all jenen Fällen annimmt, in welchen der (ersuchte) Staat von der unredlichen Tätigkeit des Dritten Kenntnis hat.1230 Das bedeutet, dass die Schweiz, auch wenn sie selbst nicht an der Abschiebung beteiligt war, die Auslieferung Bozanos hätte ablehnen müssen, wenn Italien die Abschiebung aus Frankreich erwirkt hatte. Vogler spricht dem Auslieferungsoder Strafverfolgungsstaat in diesen Fällen die Zuständigkeit ab, darüber zu urteilen, ob der Aufenthaltsstaat gegen den Vorrang der Auslieferung ver1229 1230
EuGRZ 1987, 77. Rechtshilfe 56 ff insb 58.
Umgehung der Auslieferung
245
stoßen hat.1231 Seine Begründung beruht insb auf der zweidimensionalen Sichtweise der Auslieferung. Durch die Abschiebung kam es zu keiner Völkerrechtsverletzung. Zwar habe der Staat als Vertragspartner eines Auslieferungsvertrages einen Anspruch auf Auslieferung, doch könne sich der Betroffene selbst darauf nicht berufen, da diesem aus einem rein völkerrechtlichen Vertrag keine Rechte erwachsen und ihm gegenüber auch kein Pflicht zur Auslieferung begründet sei. Seiner Auffassung nach entsteht ein Strafverfolgungs- und damit wohl auch ein Auslieferungshindernis nur in jenen Fällen, in welchen der Betroffene aufgrund eines Zusammenwirkens mit den Behörden des Aufenthaltsstaates mittels Gewaltanwendung verbracht wurde und verweist dabei ausdrücklich darauf, dass es den Behörden verboten ist, durch Einwirkung auf ausländische Behörden eine Ausweisung anstatt einer Auslieferung zu erreichen, bzw sogar nachzufragen, ob eine Ausweisung geplant sei.1232 In diesen Fällen geht er offensichtlich vom Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung aus, begründet dies aber nicht näher. Es bleibt daher unklar, inwiefern bei einem gemeinschaftlichen Vorgehen der Behörden beider Staaten eine Völkerrechtsverletzung verwirklicht ist. ME ist das Argument der Völkerrechtsverletzung, welches in den Fällen des listigen Herauslockens und der Entführung im Vordergrund steht, hier nicht überzeugend. Vielmehr ist an den Individualrechtsschutz der Auslieferung anzuknüpfen, der dem dreidimensionalen Modell zugrunde liegt.1233 Insofern ist dem Argument Trechsels zu folgen, dass das Gebot der Rechtsstaatlichkeit nicht nur im innerstaatlichen, sondern auch im internationalen Bereich hochgehalten werden sollte. Eine Freiheitsentziehung zu welchem Zweck auch immer, darf nur auf die gesetzlich vorgesehene Weise geschehen. Durch die Umgehung der Auslieferung wurden die Rechte des Betroffenen verletzt. Dieser Makel haftet dem Verfahren an und er sollte durch das Gericht des Auslieferungs- bzw Strafverfolgungsstaates nicht fortgeführt oder gutgeheißen werden. Im Sinne der Beteiligungslehre kann argumentiert werden, dass das Dauerdelikt der rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch französische Organe verwirklicht wurde und durch die Anhaltung in dem Empfängerstaat in Kenntnis der Umstände der Verbringung aufrechterhalten wird. Zugegeben, dies stellt eine sehr weit reichende Forderung dar, doch kann dadurch die Rechtsstaatlichkeit der internationalen Rechtshilfe gewahrt werden. Die Enthaftung in Verbindung mit einer Schonfrist, analog der Spezialität, kann diesen Makel beheben. Eine andere Möglichkeit wäre die Rückstellung des Betroffenen in das Abschiebungsland, im Sinne einer Widerherstel1231 1232 1233
Vogler, in IRG-K § 73 Rz 36 f (aL). Vogler, in IRG-K § 73 Rz 37 insb FN 44 (aL). Siehe oben Abschnitt 1.V.A.2.
246
Abschiebung – deportation
lung der Ausgangsposition, wie dies bei völkerrechtlichen Souveränitätsverletzungen im Fall des Herauslockens oder der Entführung gefordert wird. Diesfalls könnte der Aufenthaltsstaat entweder ein Strafverfahren aufgrund einer Strafanwendungsnorm oder der stellvertretenden Strafrechtspflege anstrengen. Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine Auslieferung zur Strafvollstreckung. Frankreich würde mangels Anerkennung des Abwesenheitsurteils keine Übernahme der Strafvollstreckung durchführen. Um eine Auslieferung zu erwirken, müsste Italien dem Betroffenen eine rechtswirksame Möglichkeit der Verfahrenswiederholung einräumen. Eine abstrakte Betrachtung zeigt die Ähnlichkeit der Auslieferungsbestimmungen mit den Bestimmungen über die Beweisaufnahme insb bei Zwangsmaßnahmen, welche wiederum die Überlegung zulässt, ob aus den Beweisverwertungsverboten Rückschlüsse auf die Auslieferung gewonnen werden können. Im einen Fall geht es auf zwischenstaatlicher Ebene darum, den Beschuldigten der Strafverfolgung zuzuführen, im anderen auf innerstaatlicher Ebene um die Erlangung von in dessen Person gelegenen, oder ihm zuordenbaren Beweisen, wie zB einer belastenden Aussage oder eines inkriminierenden Gegenstandes. In beiden Fällen ist das Ziel also eindeutig, aber nicht alle Mittel oder Ziele sind erlaubt, weshalb bestimmte Vorschriften bestehen, die die Zulässigkeit dieser Maßnahmen definieren. Bei der Beweisaufnahme verbieten die Beweisthemenverbote, bestimmte Tatsachen zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen, Beweismittelverbote, einen Beweis durch bestimmte Beweismittel zu erbringen, und die Beweismethodenverbote die Anwendung bestimmter Verfahren zur Erlangung von Beweisen. In all diesen Fällen liegt der Beschränkung der Schutz des Einzelnen zugrunde. Auch die Auslieferung ist nur nach einem bestimmten Verfahren insb nur nach einer richterlichen Prüfung und Genehmigung zulässig, zudem dürfen bestimmte Personen, wie zB eigene Staatsbürger, bzw darf wegen bestimmter Taten, zB wegen politischer Delikte, oder wegen zu erwartender Verstöße nicht ausgeliefert werden. Dies stellt die individualrechtliche Komponente der ansonsten völkerrechtlich orientierten Auslieferungsverträge bzw des Auslieferungsgesetzes dar. Es lässt sich daher zusammenfassend festhalten, dass nicht nur Beweiserhebungsverbote, sondern auch Auslieferungshindernisse ua aus rechtsstaatlichen Gründen die Erreichung des Ziels verbieten. Im Beweisrecht wird an diese Feststellung die Überlegung geknüpft, ob ein Verstoß gegen diese Beschränkungen, der aber in der Erreichung des Ziels und zwar der Erlangung des Beweismittels resultiert, in ein Beweisverwertungsverbot münden muss. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Beschränkungen, wenn ein Verstoß dagegen zwar als solcher erkannt wird, die Früchte dieses Verstoßes aber verwendet werden dürfen. Die Beschränkungen hat der Staat geschaffen um höherwertigen Interessen gerecht zu werden, und an diesem
Umgehung der Auslieferung
247
Verhältnis ändert sich nichts, nur weil eine Verletzung bereits stattgefunden hat. Die Unzulässigkeit der Maßnahme, dh der Mangel, der an ihr haftet, wird auch durch die „rechtmäßige“ richterliche Würdigung in der HV nicht geheilt. Hier ist mit Schultz festzustellen, dass sich der Staat davor hüten muss, dass seinen Verfahren Unrecht anhaftet.1234 Der Strafverfolgung um jeden Preis wird durch die gesetzliche Verankerung von Beweiserhebungsverboten eine Absage erteilt, diese Absage muss auch bei der Frage der Verwertung von unzulässig erlangten Beweisen hochgehalten werden. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Ließe man die Verwertung des Beweises zu, käme dies einer Legitimation der Verletzung gleich.1235 Daneben kommt dem Verbot der Beweisverwertung auch ein Disziplinierungseffekt zu, denn es nimmt den Anreiz zu rechtswidrigen Beweiserhebungen.1236 Für die Auslieferung muss dasselbe gelten, da ihr nicht nur Souveränitätsschutz, sondern auch Individualrechtsschutz zukommt. Die Bestimmungen stellen die Beschränkungen dar, innerhalb derer die Auslieferung zulässig ist. Insb die Auslieferungshindernisse dienen dem Schutz des Betroffenen. Wird das Auslieferungsverfahren umgangen und zöge dies kein Auslieferungs- oder Strafverfolgungshindernis nach sich, so genehmigte man die unzulässige Vorgangsweise. Daraus sollte sowohl ein Strafverfolgungs- wie auch ein Auslieferungshindernis resultieren. Denn auch wenn die Auslieferung nur eine Rechtshilfe und keine eigene Strafverfolgung durch den ersuchten Staat darstellt, so beinhaltet sie dennoch eine Teilnahme an dem Strafverfahren des ersuchenden Staates. Insofern hat auch der ersuchte Staat den rechtsstaatlichen Makel wahrzunehmen und darauf zu achten, sich nicht als Gehilfe mitschuldig zu machen. Der EGMR bzw die Kommission erkannten bisher in Abschiebungsfällen nur im Vorgehen des Aufenthaltsstaates, wie im Fall Bozano in Bezug auf Frankreich, eine Art 5 EMRK verletzende verdeckte Auslieferung. Die Rolle Italiens bzw der Schweiz wurde mit der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Haft nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht abgetan. Ist der Aufenthaltsstaat nicht der EMRK unterworfen, so beschränken sich Kommission und Gerichtshof bei der Beurteilung der Abschiebung bzw Übergabe des Betroffenen (anstelle der Auslieferung) an den Empfängerstaat dementsprechend nur auf die Frage, ob die Verhaftung durch den „Empfängerstaat“ dessen Haftbestimmungen entsprach und insofern rechtmäßig erfolgte.1237 Dies
1234 1235 1236 1237
SJIR 1967, 83, siehe auch ders, SJIR 1984, 105 ff. Murschetz, Verwertungsverbote 123 ff. Murschetz, Verwertungsverbote 125 f mwN. Siehe insb Freda v Italy, ApplNr 8916/80, vom 7.10.1980, DR 21, 250 dem ein mit Bozano vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt. Siehe auch Altmann v France, ApplNr 10689/83, 4. 7.1984, DR 37, 225.
248
Herauslocken in einen Drittstaat – luring
geschah unlängst im EGMR-Urteil Öcalan v Turkey, in dem türkische Beamte den Beschwerdeführer am kenianischen Flughafen aufgrund einer informellen Einigung in Empfang nahmen. Da Kommission bzw EGMR zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der kenianischen Behörden nicht zuständig sind, erübrige sich eine umfassendere Betrachtung.1238 Die Festnahme durch die türkischen Organe jedoch entsprach nach der Auffassung des EGMR den Festnahmebestimmungen des innerstaatlichen türkischen Rechts.1239 Wiederum ist die Auffassung als zu kurzsichtig zu bezeichnen. Die Straßburger Organe beschäftigen sich in diesen Fällen nur mit der Zulässigkeit der Festnahme nach den nationalen Verfahrensordnungen, stellen aber nicht einmal die Überlegung an, ob zumindest im Fall des Zusammenwirkens des Empfängerstaates mit dem Aufenthaltsstaat eine verdeckte Auslieferung vorliegt, die einer Verletzung von Art 5 EMRK gleichkommt. Im Fall Öcalan, in dem Kenia der EMRK nicht unterworfen ist, stellt sich neben der Überprüfung des Vorliegens eines rechtmäßigen Haftbefehls ebenso die Frage, ob die Türkei nach ihrem innerstaatlichen Recht nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, um die Auslieferung anzusuchen, anstatt eine informelle Übergabe zu erwirken. In diesem Verhalten kann wiederum ein Verstoß gegen Art 5 EMRK erkannt werden, da die anwendbaren Gesetze nicht eingehalten wurden. Auf die angesprochene Problematik wird anlässlich der Besprechung des EGMR Urteils Öcalan v Turkey nochmals ausführlich eingegangen.1240
B. Herauslocken in einen Drittstaat – luring Während der Großteil der Judikatur Entführungsfälle betrifft, sind Entscheidungen, denen das listige Herauslocken einer Person aus dem Aufenthaltsstaat zugrunde liegt, eher selten. Im Schrifttum werden diese beiden unzulässigen Methoden der „Sicherstellung“ einer Person zum Teil vermengt und als ein Problem behandelt. Da sich die Begründungen für etwaige Auslieferungs- oder Strafverfolgungshindernisse aber unterscheiden, sollen die beiden Punkte in der vorliegenden Arbeit getrennt besprochen werden. Gleich zu Beginn soll darauf hingewiesen werden, dass im Gegensatz zur Abschiebung mit dem Herauslocken und der Entführung neben der Grundrechtsverletzung auch eine völkerrechtliche Souveränitätsverletzung einhergeht.
1238
1239 1240
Öcalan v Turkey, Urteil vom 12.3.2003, ApplNr 46221/99, siehe auch Siehe Freda v Italy, ApplNr 8916/80, vom 7.10.1980, DR 21, 250, Altmann v France, ApplNr 10689/83, 4. 7.1984, DR 37, 225. Dazu ausführlich unten Abschnitt 1.V.C. Abschnitt 1.V.C.
Umgehung der Auslieferung
249
Beispiel 1: Ein Belgier wird mit Hilfe eines deutschen Polizeitricks – die Beamten täuschen telefonisch über lukrative Geschäftsmöglichkeiten und schlagen zur Finalisierung der Geschäfte den Treffpunkt Zürich vor – aus Belgien in die Schweiz gelockt, worauf Deutschland die Schweiz um die Auslieferung ersucht.1241 Beispiel 2: Eine Person wird von englischen Polizeibeamten aus Irland nach England gelockt, wo sie aufgrund eines deutschen Auslieferungsersuchens verhaftet wird.1242 Beispiel 3: Ein Belgier wird zur Strafverfolgung von deutschen Beamten aus Belgien nach Deutschland gelockt. 1. Herauslocken als Völkerrechtsverletzung In der dem ersten Beispiel zugrunde liegenden E verweigerte das schweizerische Bundesgericht die Auslieferung und begründete dies mit völkerrechtlichen Gesichtspunkten.1243 Das Bundesgericht stellte dabei zu Recht fest, dass die List, mit der der Betroffene aus der Herrschaftsgewalt Belgiens gelockt wurde, eine die belgische Souveränität beeinträchtigende Völkerrechtsverletzung darstellt, wobei es irrelevant sei, dass die deutschen Beamten das fremde Staatsgebiet nie betreten mussten. Würde nun die Auslieferung in diesem Fall bewilligt, so trüge der ersuchte Staat als Gehilfe zur Völkerrechtsverletzung bei, er begünstigte diese, würde er den Betroffenen ausliefern. Zudem verstoße das völkerrechtsverletzende Handeln des ersuchenden Staates gegen „Sinn und Geist“ der Auslieferungsverträge, weshalb auch aus diesem Grund ein Auslieferungsersuchen als Umgehung dieser Bestimmungen abzulehnen sei. In diesem Sinne äußert sich – im Gegensatz zur deutschen Rsp1244 – auch ein Teil der Lehre in Deutschland sowie im englischsprachigen Raum.1245 Es soll zunächst auf die festgestellte Völkerrechtswidrigkeit des Verhaltens der deutschen Beamten im ersten Beispiel eingegangen werden. Aus der Souveränität der Staaten ergibt sich das völkerrechtliche Verbot, im Gebiet 1241
1242
1243
1244 1245
BGE EuGRZ 1983, 435=StV 1985, 289, vgl den ähnlichen Sachverhalt in BVerfG StV 2004, 432 f mit abl Anm Dickersbach = JZ 2004, 410 f mit zust Anm Vogel, siehe dazu auch NVwZ 2004, 192. In re Schmidt (House of Lords, 1994 May 3, 4, June 30), (1994) Weekly Law Reports 228. BGE EuGRZ 1983, 435=StV 1985, 289, dazu Trechsel, EuGRZ 1987, 75 f, Schultz, SJIR 1984, 93 ff, zustimmend Vogler, in IRG-K § 73 Rz 34 (aL), Popp, Rechtshilfe Rz 56; ablehnend jedoch Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110, ebenso in JZ 2004, 412 f; ebenso BVerfG JZ 2004, 410. BVerfG NVwZ 2004, 193. Lagodny, in IRG § 2 Rz 34, Vogler, in IRG-K § 73 Rz 34 (aL), siehe die umfassenden Nachweise zum englischsprachigen Schrifttum bei Wilske, Entführung 89 ff insb FN 261; aM Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110 f.
250
Herauslocken in einen Drittstaat – luring
eines fremden Staates gegen dessen Willen hoheitlich tätig zu werden.1246 Eine Verletzung dieses Verbotes besteht unstrittig in der einer Festnahme gleichzusetzenden Entführung auf fremdem Hoheitsgebiet.1247 Dabei ist irrelevant, ob die Beamten selbst oder Private mit deren Wissen und Willen handelten. Zudem liegt die Völkerrechtsverletzung nicht in der Modalität – dh in Form und Inhalt – dieses Tätigwerdens begründet, sondern in der Anmaßung eigener Staatsgewalt auf fremdem Hoheitsgebiet, weshalb auch das Herauslocken aus dem fremden Souverän als Verletzung der Gebietshoheit zu betrachten ist,1248 sei es durch Gespräche unter vier Augen (in physischer Anwesenheit) auf fremdem Hoheitsgebiet, sei es durch Telefonate. Das Telefonat wurde auf dem Hoheitsgebiet Belgiens gesetzt, auch wenn die Beamten dazu nicht physisch anwesend sein mussten. Es ist insofern der modernen Technik Rechnung zu tragen, die ein hoheitliches Handeln über diverse Medien ermöglicht, die eine Anwesenheit der Beamten in fremdem Hoheitsgebiet nicht voraussetzen. Zudem ist eine Völkerrechtsverletzung darin zu erblicken, dass Belgien durch das listige Herauslocken ihres Staatsbürgers die Kompetenz aberkannt wurde, nach seinen eigenen gesetzlichen Vorschriften über die Auslieferung des Verdächtigen zu entscheiden. Dieses Recht steht ihm schon aufgrund seiner Gebietshoheit zu. Zudem hat Belgien mit Deutschland einen völkerrechtlichen Auslieferungsvertrag vereinbart, der die Modalitäten und das anzuwendende Verfahren verankert und zu einem vertragskonformen Handeln verpflichtet. In der deutschen Vorgangsweise ist eine völkerrechtliche Vertragsverletzung zu erblicken. Anderer Meinung ist Wilske, der zwischen der Inlandstätigkeit mit zielgerichteter Wirkung ins Ausland und der Auslandstätigkeit staatlicher Organe unterscheidet.1249 Gestützt auf eine US-amerikanische Entscheidung subsumiert er Telefongespräche im Inland mit dem im fremden Staat befindlichen Verdächtigten unter erstere Kategorie, da mangels einer tatsächlichen Betretung die fremde Gebietshoheit nicht verletzt worden sei. Eine Völkerrechtsverletzung könne die Inlandstätigkeit nur dann ausmachen, wenn sie zu erheblichen Schäden auf fremdem Hoheitsgebiet führte, was in Bezug auf das Herauslocken eines einer schweren Tat Verdächtigen gerade nicht vorlie1246 1247 1248
1249
Vogler, in Oehler FS 383. Wilske, Entführung 105. Vogler, in Oehler FS 383; BGH StV 1987, 138. Kritisch hinsichtlich der Frage, ob das listige Herauslocken eine Völkerrechtsverletzung darstellt ebenso BVerfG JZ 2004, 410 mit zust Anm Vogel = StV 2004, 434 mit abl Anm Dickersbach. Laut BVerfG erlaubt die Staatenpraxis die Miteinbeziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, weshalb bei schweren Straftaten der Schutz hochrangiger Rechtsgüter eine völkerrechtswidrige Souveränitätsverletzung rechtfertigen kann, siehe auch die Rsp des ICTY Prosecutor v Dokmanovic, Prosecutor v Dragan Nicolic, Appeals Chamber, Entscheidung vom 3.6.2003, abrufbar unter: http://www.un.org/ icty/nikolic/appeal/decision-e/030605.pdf. Wilske, Entführung 97 ff und 99 ff.
Umgehung der Auslieferung
251
ge.1250 Auslandstaten fremder staatlicher Organe hingegen verstoßen nach seiner Auffassung gegen die fremde Souveränität, worunter das auf fremdem Gebiet erfolgte Herauslocken durch dort anwesende Beamte zu verstehen sei. 2. Strafverfolgungs- und Auslieferungshindernis als Konsequenz der Völkerrechtsverletzung Ein nach diesen Kriterien als Völkerrechtsverletzung zu qualifizierendes Herauslocken aus einem anderen Staat verbietet dem ersuchten Staat die Auslieferung, da dieser sich ansonsten an der Souveränitätsverletzung durch den ersuchenden Staat beteiligte, er diese durch die „Weitergabe“ noch verstärkte.1251 Im ersten Beispiel hat die Schweiz das Auslieferungsersuchen daher zu Recht abgewiesen. Das Auslieferungshindernis kann außerdem aus dem im ersuchenden Staat Deutschland vorliegenden Prozesshindernis abgeleitet werden. Die Verwirklichung eines völkerrechtlichen Unrechtstatbestandes, wie zB einer Souveränitätsverletzung, macht dem verletzten Staat gegenüber restitutionspflichtig. Die Wiederherstellung besteht diesbezüglich in einer Naturalrestitution, dh in der Rückstellung des Betroffenen.1252 An diesen völkerrechtlichen Restitutionsanspruch sind auch die Gerichte gebunden, weshalb der Betroffene nicht einem Strafverfahren zugeführt werden darf, sondern vielmehr an den Aufenthaltsstaat zu überstellen bzw bei entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Geboten freizulassen ist.1253 Für das Vorliegen eines Strafverfolgungshindernisses ist es jedoch nicht ausschlaggebend, ob im Einzelfall tatsächlich ein Restitutionsanspruch besteht, oder dieser zB wegen Verzichts nicht mehr existiert, denn aus einer völkerrechtswidrigen Handlung dürfen Rechte eines Staates nicht hergeleitet werden. Nach Vogler verwirkt der völkerrechtswidrig handelnde Staat die Gerichtsbarkeit über den Betroffenen.1254 Die Begründung dafür liegt mE insb in der Individualrechts-
1250 1251
1252 1253 1254
Wilske, Entführung 99. Zustimmend Trechsel, EuGRZ 1987, 77, Vogler, in IRG-K § 73 Rz 34 (aL); aM aber Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110, sowie BVerfG JZ 2004, 410 mit zust Anm Vogel = StV 2004, 432 ff mit abl Anm Dickersbach. Im Parallelbeschluss zur dieser E deutet das BVerfG zumindest an, dass sich möglicherweise ein Auslieferungshindernis ergeben könnte, wenn das Tätigwerden des V-Mannes als völkerrechtswidrig einzustufen wäre. „Es bestünde die Gefahr, dass Deutschland durch die Auslieferung den … möglicherweise völkerrechtswidrigen Akt … unterstützt und dadurch selbst … völkerrechtlich verantwortlich würde“, NVwZ 2004, 192 f. Wilske, Entführung 228 ff, Vogler, in Oehler FS 384 f. Vogler, in Oehler FS 386 f. Vogler, in Oehler FS 389 f mwN, Popp, Rechtshilfe Rz 56 ff.
252
Herauslocken in einen Drittstaat – luring
verletzung, die mit jeder Umgehung des Auslieferungsverfahrens einhergeht, und die im Folgenden gesondert behandelt wird.1255 Steht Deutschland aus diesem Grund keine Strafgewalt zu, so mangelt es an den notwendigen Auslieferungsvoraussetzungen, weshalb das Ersuchen abzulehnen ist. Der Staat, in den der Betroffene rücküberstellt wurde, könnte dann uU aufgrund der stellvertretenden Strafrechtspflege oder einer anderen anwendbaren Strafanwendungsnorm ein Strafverfahren durchführen. Bzw könnte der vormals rechtswidrig handelnde Staat rechtmäßig um die Auslieferung ersuchen. Im Beispiel 2 handelte England – in diesem Fall der ersuchte Staat – völkerrechtswidrig. Auch England ist dazu verpflichtet, das deutsche Auslieferungsersuchen abzulehnen, da sich England aus seiner Völkerrechtsverletzung keine Rechte anmaßen darf, schließlich stünde die Entscheidung über die Auslieferung Irland zu. Im Sinne der Teilnahmedoktrin1256 ist zudem anzumerken, dass sich Deutschland im Fall einer Strafverfolgung an der Völkerrechtsverletzung Englands beteiligte, weshalb es von einem Ersuchen Abstand nehmen sollte. Das englische House of Lords war in seiner diesen Sachverhalt betreffenden Entscheidung anderer Meinung. Es stellt in obiter dicta fest, dass die Polizei manchmal zu Lockmitteln greifen müsse und die bloße List einer zwangsweisen Entführung nicht gleichgesetzt werden könne.1257 Hier ist in Erinnerung zu rufen, dass die auf fremdem Hoheitsgebiet ausgeübte List, nicht den Polizeitaktiken im eigenen Staat gleichgesetzt werden kann. Denn im fremden Staat ist hoheitliches Handeln gerade nicht zulässig, vielmehr müssten die offiziellen Wege der Staatenkooperation eingegangen werden. Auch im Beispiel 3, in dem deutsche Organe den Betroffenen zur Strafverfolgung aus einem anderen Staat nach Deutschland lockten, ist auf ein Strafverfolgungshindernis zu erkennen, da Deutschland aufgrund seines Völkerrechtsverstoßes keine Gerichtsbarkeit zukommt.1258 3. Individualrechtsverletzung – Strafverfolgungs- und Auslieferungshindernis Stellte dieser völkerrechtliche Gesichtspunkt das ausschließlich relevante Beurteilungskriterium dar, so wäre eine Auslieferung jedenfalls in den Fällen zulässig, in denen keine Völkerrechtsverletzung erfolgte, weil der Aufent-
1255 1256 1257
1258
Abschnitt 1.V.B.3. Dazu Trechsel, EuGRZ 1987, 77, siehe auch OLG Wien EuGRZ 1996, 214 f. In re Schmidt (House of Lords, 1994 May 3, 4, June 30), (1994) Weekly Law Reports 379. Daneben wird das Strafverfolgungshindernis auch aus dem völkerrechtlichen Restitutionsgebot abgeleitet, dazu Vogler, in Oehler FS 384 ff.
Umgehung der Auslieferung
253
haltsstaat die List selbst anwandte.1259 Im Fall einer Völkerrechtsverletzung könnte eine Einwilligung bzw nachträgliche Genehmigung durch den verletzten Staat zudem den Mangel heilen und eine Auslieferung bzw eine Strafverfolgung erlauben.1260 Es sind an dieser Stelle die oben im Rahmen der Besprechung der Abschiebung angestellten Überlegungen zur Rechtsnatur bzw zum Schutzzweck der Auslieferung in Erinnerung zu rufen.1261 Das Auslieferungsrecht umfasst das völkerrechtliche Gebot, zur Habhaftwerdung des Verdächtigen ein gehöriges Auslieferungsersuchen zu stellen, über das ein Gericht entscheidet, und bei Unzulässigkeit der Auslieferung auf die Strafverfolgung zu verzichten. Dem Auslieferungsrecht kommt daher sowohl Souveränitätsschutz als auch Individualrechtsschutz im Sinne einer Doppelfunktion zu, weshalb es für die Verletzung dieses Gebotes irrelevant ist, ob der Staat in eine etwaige Völkerrechtsverletzung einwilligte, oder diese später genehmigte.1262 Aus dem Individualrechtsschutz ergibt sich in Bezug auf ungesetzliche Maßnahmen – wie das Herauslocken – ein „auslieferungsrechtliches Umgehungsverbot“. Dieses hat im Ergebnis ein Auslieferungs- bzw ein Strafverfolgungshindernis nach sich zu ziehen. Zu überlegen ist aber an dieser Stelle, ob sich dieses Umgehungsverbot nur auf die Fälle beziehen kann, in denen eine Auslieferung wegen des Vorliegens von Auslieferungshindernissen – die klar dem Individualrechtsschutz dienen – unmöglich gewesen wäre und durch die Umgehung insofern eine de jure unzulässige Auslieferung de facto erreicht wurde.1263 Oder sollte auch in den Fällen, in denen eine Auslieferung tatsächlich möglich gewesen wäre, und das Herauslocken sozusagen „nur“ in einer Umgehung der Verfahrensvorschriften aus Gründen der Müheersparnis bestand, ein Verstoß gegen den Individualrechtsschutz und daraus folgend ein Auslieferungs- bzw Strafverfolgungshindernis erblickt werden? Eindeutig ist die Verletzung des Individualrechtsschutzes in den Fällen, in denen klare Auslieferungshindernisse, wie das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger, aus dem Wege geräumt werden sollen. Doch auch die „bloße“ Einhaltung der Verfahrensvorschriften hat eine Schutzfunktion für den Betroffenen. Denn im Falle des Herauslockens wird die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nicht von der unabhängigen, unver1259
1260
1261 1262 1263
Vgl den Sachverhalt in OLG Wien EuGRZ 1996, 214: Ein Slowake wurde von slowakischen Beamten nach Österreich entführt, worauf Deutschland ein Auslieferungsersuchen stellte; dazu unten Abschnitt 1.V.C. aM Vogler, in Oehler FS 388 f; zur Einwilligung, der Zurechenbarkeit der Handlungen untergeordneter Organe, sowie zur Kooperation unzuständiger Organe siehe Wilske, Entführung 33 ff. Abschnitt 1.V.A. aM Vogler, in Oehler FS 385. So der EGMR in Bozano v France, Urteil vom 18.12.1986, ApplNr 9990/82.
254
Herauslocken in einen Drittstaat – luring
und unabsetzbaren Judikative, sondern von der weisungsgebundenen Exekutive getroffen. Insofern bietet die Qualifikation des Entscheidungsorgans bereits einen Rechtsschutz für den Betroffenen. Zudem bestehen die im Auslieferungsverfahren gewährten Rechtsmittelmöglichkeiten auch zugunsten des Verfolgten. Daneben besteht der oben besprochene Spezialitätsschutz1264 nur im Falle der Übergabe an den Verfolgungs- bzw Vollstreckungsstaat aufgrund eines Auslieferungsverfahrens. Für Österreich ergibt sich dieser Rechtsschutz va auch aus der klaren Formulierung des Umgehungsverbotes nach § 13 ARHG: Wenn der Verfolgte schon nicht aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen außer Landes gebracht werden darf, so sind erst recht ungesetzliche Methoden verboten, um seiner habhaft zu werden. Aufgrund der Verletzung des Individualrechtsschutzes hat auch die „bloße“ Umgehung des Auslieferungsverfahrens zur Unzulässigkeit der Auslieferungsbzw Strafverfolgung zu führen. Dies gilt naturgemäß ebenso bei Umgehungen der Auslieferung durch Abschiebungen.1265 Neben all diesen Aspekten ist auch die Botschaft zu hinterfragen, die die Staaten aussendeten, würden sie die Strafverfolgung und Auslieferung eines zuvor Herausgelockten zulassen. Sie beteiligten sich diesfalls an der Vorgangsweise der Exekutive und würden dadurch den Missbrauch nicht sanktionieren, sondern vielmehr gutheißen. Den einzelnen Gerichten kommt daher die Aufgabe zu, durch die Ablehnung der Strafverfolgung ihre Integrität zu wahren und der Exekutive ein Signal zu setzen. Andernfalls wird sie zu den Mitteln greifen, mit welchen sie einfacher, schneller und va zuverlässiger zu ihrem Ziel gelangt. Es ist an dieser Stelle auf den oben angestellten Vergleich mit den Beweisverwertungsverboten zu verweisen.1266 Dem Individualrechtsschutz, der durch die Umgehung der Auslieferung verletzt wird, sind insb die Grundrechtsgarantien des Art 5 EMRK bzw des Art 9 IPBPR zuzurechnen. Beide Bestimmungen verlangen, dass die Freiheit des Einzelnen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise – dh nur unter Einhaltung der vorgegebenen Verfahrensvorschriften – entzogen werden darf und sie überdies rechtmäßig zu sein hat, dh auf einer gesetzlichen Grundlage basieren muss.1267 Ganz eindeutig ist der Widerspruch zu diesen Erfordernissen im Fall der gewaltsamen Entführung, denn sie stellt für sich eine Festnahme dar, die weder rechtmäßig noch unter Einhaltung formaler Garantien erfolgt.1268 1264 1265 1266 1267
1268
oben Abschnitt 1.III.D. Siehe dazu die Ausführungen oben Abschnitt 1.V.A. Abschnitt 1.V.A.3.3.; Murschetz, Verwertungsverbote 40 ff, 124 ff. EKMR Bozano v France, zitiert in Trechsel, EuGRZ 1987, 76 f, Trechsel, EuGRZ 1987, 77, Schubarth, StV 1987, 174. OLG Wien EuGRZ 1996, 215, UN-Menschenrechtsausschuss in den Fällen Lotus und Celiberti ICJ Review Nr 28 (1982); Schubarth, StV 1987, 174, dazu unten Abschnitt 1.V.C.
Umgehung der Auslieferung
255
Wird der Betroffene jedoch wie im Ausgangsbeispiel 1 durch eine (telefonische) List in einen anderen Staat gelockt, so kann in der List selbst noch keine (rechtswidrige) Festnahme erblickt werden, sie ist aber unzweifelhaft ursächlich für die folgende Festnahme des Betroffenen im ersuchten Land, und – im Fall der Auslieferung – auch für die darauf folgende Festnahme im ersuchenden Land. Zugunsten der Rechtmäßigkeit der Festnahme und Haft im ersuchten Staat, in den der Betroffene gelockt wurde, lässt sich vorbringen, dass diese dort nach den Gesetzen (Auslieferungshaft aufgrund eines Haftbefehls) und den vorgeschriebenen Verfahrensvorschriften verhängt wurde. Insofern scheint die Inhaftierung des von deutschen Beamten aus Belgien in die Schweiz gelockten Belgiers nicht der EMRK bzw den sonstigen verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten zu widersprechen. Doch schleichen sich prompt Zweifel ein; schließlich ist zu bedenken, dass eine Festnahme ohne die verübte List zumindest zu diesem Zeitpunkt unmöglich gewesen wäre. Die Rechtswidrigkeit der Auslieferung ergibt sich hier aber jedenfalls aus der Rechtswidrigkeit der (späteren) Festnahme im ersuchenden Staat, die durch die Auslieferung des Herausgelockten ermöglicht würde: Da das listige Herauslocken durch deutsche Organe geschah und dieses alleine die spätere Festnahme ermöglichte, kann sich Deutschland nicht auf eine rechtmäßige, den Vorgaben des Gesetzes entsprechende Festnahme berufen. Die Organe haben die Festnahme mit einer List erwirkt und somit eine im Einklang mit den Erfordernissen des Art 5 EMRK stehende Festnahme umgangen, weshalb für Deutschland ein Strafverfolgungshindernis besteht.1269 Denn die deutschen Organe waren zu dieser Vorgangsweise nicht berechtigt, sondern hätten eine rechtmäßige Staatenkooperation eingehen müssen, dh einen internationalen Haftbefehl ausstellen und schließlich ein Auslieferungsersuchen stellen müssen. Vorgelagert ist das Auslieferungshindernis, das die Schweiz zu beachten hat, da sie ansonsten zur Konventionsverletzung durch die Festnahme in Deutschland beitrüge, in dem Sinn, dass sie diese erst ermöglichte. Es handelt sich daher um ein Auslieferungshindernis aus rechtsstaatlichen Gründen wegen der drohenden Verletzung von Art 5 EMRK bzw der Intensivierung dieser im ersuchenden Staat. Entsprechend ist auch im Beispiel 2 zu entscheiden, in dem englische Polizeibeamte den Betroffenen aus Irland nach England lockten und Deutschland ein Auslieferungsersuchen stellte. Hier führte die Auslieferungshaft in England zu einer Verletzung des Art 5 EMRK, denn England kann sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Haft berufen, da sie diese selbst rechtswidrig herbeiführte. Im Beispiel 3, in dem deutsche Beamte einen Deutschen aus Belgien nach Deutschland lockten, geht es um die Frage des Strafverfolgungshindernisses. Dieses ergibt sich hier insb aus dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit und Ge1269
Siehe auch Vogler, in Oehler FS 391 f.
256
Herauslocken in einen Drittstaat – luring
setzlichkeit. Schultz wies schon 1967 darauf hin, dass sich der Staat davor hüten müsse, dass seinen Strafverfahren Unrecht anhafte. Insofern dürfe die strafrechtliche Verantwortung nur den Grundsätzen des Rechts folgend geltend gemacht werden: Ex iniuria ius non oritur.1270 Dies zeigt wiederum, dass ein rechtswidriges Verbringen in einen Dritt- oder den Verfolgungsstaat zu einem Strafverfolgungshindernis führen muss. Wiederum ist auf die oben anlässlich der Abschiebung besprochene Parallelität zu den Beweisverwertungsverboten zu verweisen.1271 Aus dieser Begründung für das Strafverfolgungshindernis kann ebenso wiederum die Begründung für das Auslieferungshindernis abgeleitet werden. Denn auch wenn die Auslieferung nur eine Rechtshilfe und keine eigene Strafverfolgung durch den ersuchten Staat darstellt, so beinhaltet sie dennoch eine Teilnahme an dem Strafverfahren des ersuchenden Staates. Sie dient der Durchsetzung der ausländischen Strafgerichtsbarkeit, weshalb gewährleistet sein muss, „dass weder eine Mithilfe für ein Strafverfahren erfolgt, bei dem rechtsstaatliche Grundsätze nicht beachtet werden, noch dass solche im Zuge einer Auslieferung verletzt werden“.1272 Insofern hat auch der ersuchte Staat den rechtsstaatlichen Makel wahrzunehmen und darauf zu achten, sich nicht als Gehilfe mitschuldig zu machen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch unter der Prämisse, dass das Herauslocken keine Souveränitätsverletzung darstellt, aufgrund der Verletzung der völkerrechtlichen Auslieferungsbestimmungen, die auch dem Individualrechtsschutz dienen, auf die Unzulässigkeit der Auslieferung erkannt werden muss. Es kann sohin weder eine Rolle spielen, ob der Aufenthaltsstaat die List selbst anwandte1273, er in die List durch fremde Beamte einwilligte oder diese nachher genehmigte. 4. Die deutsche Rsp Grundsätzlich anderer Meinung ist seit langem die deutsche höchstrichterliche Rsp.1274 So stellte das BVerfG auch jüngst in einem mit dem Ausgangsbeispiel 1 vergleichbaren Fall fest, dass das listige Herauslocken aus dem Aufenthaltsstaat in den ersuchten Staat zur Umgehung eines Auslieferungs-
1270 1271 1272 1273
1274
SJIR 1967, 83, siehe auch ders, SJIR 1984, 105 ff. Abschnitt 1.V.A.3.3. OLG Wien EuGRZ 1996, 214. Vgl den Sachverhalt in OLG Wien EuGRZ 1996, 214, dazu unten Abschnitt 1.V.C. Dazu Vogler, ZStW 105 (1993) 24 ff, Schubarth, StV 1987, 173 ff, Trechsel, EuGRZ 1987, 76.
Umgehung der Auslieferung
257
verbotes letzteren nicht zur Ablehnung der Auslieferung berechtige.1275 Dies wird hauptsächlich damit begründet, dass ein solches Auslieferungshindernis nicht auf eine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts gestützt werden könne; die Rsp in den verschiedenen Staaten sei uneinheitlich, der Großteil der E gehe nicht einmal von einem Strafverfolgungshindernis aus. Dabei beruft sich das BVerfG insb auf die oben besprochene E des englische House of Lords in re Schmidt sowie auf zwei E des ICTY.1276 Erst nach der Verneinung eines Auslieferungshindernisses nach Völkergewohnheitsrecht geht das BVerfG äußerst bündig auf die wohl am Beginn zu stellende Frage nach der Völkerrechtswidrigkeit des Herauslockens aus fremdem Hoheitsgebiet ein. Die auf einer List basierende Ausreise sei freiwillig und „auch durch eigene Interessen motiviert“ weshalb der Verfolgte „regelmäßig nicht das Objekt hoheitlichen Zwangs“ sei, wobei Schwierigkeiten eingeräumt werden, im Einzelfall zwischen List und Gewalt zu unterscheiden, wenn die List auf den Betroffenen wie unwiderstehlicher Zwang wirkt. Die willensbeugende Gewalt, die Drohung mit Gewalt, sowie die List, welche eine spätere gewaltsame Entführung ermöglichen, seien anders als die bloße List zu beurteilen, da die neuere Staatenpraxis daraufhin deute, „dass der Grundsatz male captus, bene detentus,1277 jedenfalls dann abgelehnt wird, wenn sich der Gerichtsstaat des Verfolgten unter schweren Menschenrechtsverletzungen bemächtigte und der in seiner Gebietshoheit verletzte Staat gegen ein solches Vorgehen protestiert hat“.1278 Auf die Relevanz der hier aufgestellten Kriterien wird im Kapitel über die Entführung eingegangen.1279 Zuletzt verweist das BVerfG noch auf die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips: Die Schwere der Straftat sei nach der jüngeren Staatenpraxis bei der Beurteilung eines Strafverfolgungs- und Auslieferungshindernisses mitzuberücksichtigen, weshalb eine List eine möglicherweise auftretende Souveränitätsverletzung rechtfertigen könne.1280 Die Wendung „möglicherweise“ zeigt, dass sich das Gericht schlussendlich nicht gegen oder für das Vorliegen einer Souveränitätsverletzung entscheiden konnte.
1275
1276 1277
1278 1279 1280
JZ 2004, 410 mit zust Anm Vogel = StV 2004, 432 ff mit abl Anm Dickersbach, zustimmend Vogel, in IRG-K § 73 Rz 110, siehe dazu auch den Parallelbeschluss NVwZ 2004, 192; aM noch Vogler, in IRG-K § 73 Rz 34 f, 37 (aL). StV 2004, 424. Der Grundsatz besagt, dass die Umstände der Ergreifung des Betroffenen keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines gegen ihn geführten Strafverfahrens haben. StV 2004, 433; ebenso Vogel, in IRG-K § 73 Rz 111. Abschnitt 1.V.C.2. In diese Richtung geht – wie oben angemerkt – auch die englische Rsp, jedoch nur hinsichtlich der Beurteilung eines Auslieferungshindernisses: In re Schmidt (House of Lords, 1994 May 3, 4, June 30), (1994) Weekly Law Reports 228, sowie die Rsp des ICTY.
258
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist anzumerken, dass auch und insb in Zeiten des Terrorismus nicht auf die Grund- und Menschenrechte und dabei auf die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens verzichtet werden sollte. Denn ein Absehen von den rechtsstaatlichen Prinzipien birgt die Gefahr der Aushöhlung des Rechts. Der Kampf gegen den Terrorismus ist notwendig, muss sich aber im rechtlich zulässigen Rahmen bewegen. 5. Die US-amerikanische Rsp Rigoros vertritt die US-amerikanische Rsp die These, dass die Umstände, unter denen ein Beschuldigter vor das Gericht gebracht wurde, grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens keinen Einfluss haben, weshalb nicht nur listiges Vorgehen, sondern auch die gewaltsame Entführung kein Verfahrenshindernis darstellt.1281 Die Rsp wird im folgenden Kapitel ausführlich besprochen.
C. Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction In diesem Themenkomplex sind folgende Sachverhalte möglich und einer Untersuchung zu zuführen: Der Betroffene wird zwecks Strafverfolgung aus dem Aufenthaltsstaat direkt in den Verfolgungsstaat entführt, womit sich eine Auslieferung gänzlich erübrigt. Hier stellt sich die Frage, ob die Umgehung der Auslieferung durch Entführung ein Verfahrenhindernis im Entführerstaat bewirkt. Daneben kommen auch Fälle vor, in denen der Betroffene (vom ersuchenden, dem Aufenthaltsstaat oder einem anderen Staat) aus dem Aufenthaltsstaat in einen Drittstaat entführt und an diesen schließlich ein Auslieferungsersuchen gestellt wird. Es ist zu überlegen, ob die gewaltsame Verbringung in den Drittstaat, der in der Folge um die Auslieferung ersucht wird, diesen zur Ablehnung der Auslieferung (bzw der Strafverfolgung, wenn er im Rahmen der stellvertretenden Strafrechtspflege tätig werden müsste) berechtigt bzw verpflichtet. Die Entführung durch fremde Organe stellt für den Aufenthaltsstaat und viel mehr noch für den Betroffenen die am eingriffsintensivste Art der Habhaftwerdung eines Verdächtigen dar. 1. Die österreichische Rsp und eigene Position Beispiel 1: Der slowakische Staatsbürger wird durch slowakische Beamte gewaltsam aus seiner Heimat nach Österreich verbracht, worauf Deutsch-
1281
Zur List siehe United States v Yunis, US Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, 924 f.2d 1086 (1991), zur Entführung United States v AlvarezMachain, 405 U.S. 655, 112 S.Ct. 2188, 119 L.Ed. 2d 441 (1992).
Umgehung der Auslieferung
259
land um seine Auslieferung ersucht.1282 Eine Auslieferung aus der Slowakei wäre aufgrund des Auslieferungsverbotes eigener Staatsbürger nicht möglich. Legt man die oben anlässlich des Herauslockens herausgearbeiteten Kriterien an,1283 so zeigt sich zunächst, dass aufgrund des Vorgehens der eigenen Behörden keine Verletzung der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates erfolgte, weshalb sich ein Auslieferungshindernis daraus nicht ergeben kann. Vielmehr liegt hier eine mit der Abschiebung als Umgehung der Auslieferung vergleichbare Situation vor, die sich noch gravierender darstellt, da das angewandte Mittel eingriffsintensiver ist und diesfalls eine Abschiebung eigener Staatsbürger ebenso wenig wie deren Auslieferung zulässig ist. Durch die Maßnahme der slowakischen Behörde wurde die dem Auslieferungsrecht zugrunde liegende Rechtsschutzfunktion verletzt und gegen das auslieferungsrechtliche Umgehungsverbot verstoßen, weshalb die Auslieferung aus Österreich zu verweigern ist. Zudem verstieß das Vorgehen der slowakischen Behörden in diesem Fall gegen Art 5 EMRK, da die Entführung einer Festnahme gleichkommt, die weder rechtmäßig ist noch im Einklang mit den gesetzlichen Verfahrensvorschriften erfolgte. Dieser Makel haftet auch der nachgelagerten Auslieferung und Strafverfolgung an. Das OLG Wien verweigerte in der E, der dieser Sachverhalt zugrunde lag, die Auslieferung daher zu Recht aufgrund eines Verstoßes gegen Art 5 EMRK.1284 Es stellt ausdrücklich – in Berufung auf Trechsel1285 – fest, dass ein Staat nicht dazu beitragen darf, ein völkerrechtswidriges, gegen Sinn und Geist einer konventionskonformen Auslieferung verstoßendes Verhalten zu begünstigen. Es treffe den Staat insofern eine völkerrechtliche Teilnahmeverantwortlichkeit. Ließe er die Auslieferung zu, machte er sich zum Gehilfen eines Staates, der gegen das durch die EMRK geschützte Recht auf Freiheit verstößt. Hinsichtlich der Gegenmeinungen ist auf die Ausführungen zum nun folgenden 2. Beispiel zu verweisen. Beispiel 2: Ein Deutscher wird in den Niederlanden von einem deutschen Kriminalbeamten festgenommen, in einem bereitstehenden Pkw nach Deutschland gefahren und dort strafrechtlich verfolgt.1286 Dies stellt den klassischen Entführungsfall dar, der lange iSd Grundsatzes male captus, bene detentus gelöst wurde, demzufolge die Umstände der Ergreifung keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Strafverfahrens gegen den Betroffenen haben. Heute wird diese Doktrin hauptsächlich in Israel
1282 1283 1284 1285 1286
OLG Wien EuGRZ 1996, 214. Abschnitt 1.V.B.1. EuGRZ 1987 214. EuGRZ 1987, 69, siehe dazu oben Abschnitt 1.V.A. BVerfG StV 1987, 137, NJW 1986, 3021, BGH NStZ 1985, 464.
260
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
und den USA von der Rsp rigoros vertreten.1287 Insb die Rsp Großbritanniens, Neuseelands, Südafrikas wie auch der Schweiz, Österreichs – nunmehr zumindest inzidenter auch Deutschlands – ist gegenläufig. Im österreichischen, schweizerischen und va allem deutschen Schrifttum wird die Gültigkeit des Grundsatzes male captus, bene detentus seit langem – ähnlich wie in Bezug auf das Herauslocken1288 – aus völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Gründen bestritten. Es kann somit auf das oben Dargestellte verwiesen werden: Die Festnahme des Betroffenen durch deutsche Organe in den Niederlanden stellt zunächst eine völkerrechtswidrige Souveränitätsverletzung dar, aus der sich Deutschland keine Rechte anmaßen darf.1289 Zudem wurde der Betroffene durch die Umgehung der Auslieferung in seinen aus der Auslieferung erfließenden Rechten verletzt. Die Entführung stellt eine unzulässige, nicht auf den Gesetzen beruhende und insofern gegen Art 5 EMRK verstoßende Festnahme vor. Aus diesen Gründen hat ein Strafverfahren durch deutsche Gerichte zu unterbleiben.1290 2. Die deutsche Rsp Das deutsche BVerfG scheint im Fall der Entführung von seiner früheren (den Grundsatz des male captus, bene detentus gutheißenden) Rsp – wenn auch nur begrenzt – abgehen zu wollen: Es stellte nunmehr in obiter dicta fest, dass die neuere Staatenpraxis darauf hindeute, „dass der Grundsatz male captus, bene detentus jedenfalls dann abgelehnt wird, wenn sich der Gerichtsstaat des Verfolgten unter schweren Menschenrechtsverletzungen bemächtigte und der in seiner Gebietshoheit verletzte Staat gegen ein solches Vorgehen protestiert hat“.1291 Unklar ist, ob diese 3 Kriterien wörtlich zu nehmen sind, dh das kumulative Vorliegen einerseits einer schweren Menschenrechtsverletzung und andererseits einer Souveränitätsverletzung, gegen die zudem ein Protest erhoben wurde, tatsächlich ausschlaggebend sind. Da das BVerfG bereits zur Beurteilung des Herauslockens und dessen Konsequenz für die Auslieferung bzw die Strafverfolgung eine rein völkerrechtliche Begründung heranzieht und die Staatenpraxis offenbar nur bei Vorliegen dieser drei Aspekte als einheitlich und für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht ausreichend ansieht, ist davon auszugehen, dass es nur in diesen konkreten Fällen von der male captus, bene detentus Doktrin ab-
1287
1288 1289 1290
1291
Siehe insb United States v Alvarez-Machain, 405 U.S. 664, dazu unten in diesem Kapitel. Dazu oben Abschnitt 1.V.B. Vgl dazu Linke, Grundriss 17. Vogler, in IRG-K § 73 Rz 34 (aL), Schubarth, StV 1987, 174 f, Linke, Grundriss 17, im Ergebnis ebenso Vogel, in IRG-K § 73 Rz 111; ebenso die Rsp in Großbritannien siehe dazu oben Abschnitt 1.V.A. BVerfG StV 2004, 433.
Umgehung der Auslieferung
261
weicht.1292 Diese Auffassung verkennt einerseits den der Auslieferung zugrunde liegenden Individualrechtsschutz und andererseits die Tatsache, dass eine Völkerrechtsverletzung nicht erst durch den Prostest des verletzten Staates entsteht, sondern bereits durch die Anmaßung hoheitlichen Handelns auf fremdem Staatsgebiet. 3. Die Rsp des EGMR Auch der EGMR hat seiner jüngsten, relevanten Entscheidung Öcalan v Turkey1293 nunmehr bestätigt in zweiter Instanz1294 ähnliche Kriterien wie der deutsche BVerfG zugrunde gelegt, wobei diese mE nur auf solche Sachverhalte anwendbar sind, in denen zum einen zwischen den beteiligten Staaten kein anwendbarer Auslieferungsvertrag besteht und zum anderen der Aufenthaltsstaat keine Vertragspartei der EMRK ist. Der Beschwerdeführer fand nach mehrmaligem Staatenwechsel in der griechischen Botschaft in Kenia Zuflucht, wobei den kenianischen Behörden die Identität des Beschwerdeführers zunächst verschleiert worden war. Der griechische Botschafter informierte Öcalan von einem Gespräch mit dem kenianischen Außenminister sowie darüber, dass es ihm freistehe, in ein beliebiges Land zu reisen, und dass die Niederlande zu seiner Aufnahme bereit wären. Daraufhin kamen kenianische Beamte1295, um ihn abzuholen und zum Flughafen zu bringen. Das von einem kenianischen Beamten gefahrene Auto mit dem Beschwerdeführer verließ den Konvoi, in dem ua der griechische Botschafter folgte, und brachte ihn über eine Sperrzone zu einem Flugzeug, in welchem er von türkischen Beamten festgenommen und schließlich in die Türkei gebracht wurde.1296 Zunächst verweist der Gerichtshof hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Türkei für die extraterritoriale Festnahme auf seine in der E Bankovic et al v Belgium et al vertretene Auffassung zu Art 1 EMRK.1297 Darin geht der Gerichtshof nunmehr davon aus, dass sich die Herrschaftsgewalt der EMRK Staaten grundsätzlich nur auf ihr Staatsgebiet bezieht, weshalb extraterritoriales Handeln grundsätzlich nicht zur Verantwortung nach der Konvention führt. Nach dieser sehr umstrittenen E sind die Folgen extraterritorialen
1292 1293 1294 1295
1296
1297
So auch Lagodny, in IRG § 2 Rz 32 mit Hinweis auf die Rsp. Urteil vom 12.3.2003, ApplNr 46221/99. Urteil vom 12.5.2005, ApplNr 46221/99; siehe dazu Kühne, JZ 2005, 653 ff. Nicht festgestellt wurde, welche Beamte auf wessen Anweisung handelten, siehe dazu Breuer, EuGRZ 2003, 451, Kühne, JZ 2003, 671. Die Staatszugehörigkeit des Flugzeuges ist unklar geblieben, der Gerichtshof trifft dazu keine Aussagen, siehe dazu Breuer, EuGRZ 2003, 451. Zulässigkeitsentscheidung vom 12.12.2001, ApplNr 52207/99, Punkt 59 ff.
262
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
Handelns im Allgemeinen nicht dem Vertragsstaat zurechenbar.1298 Der EGMR stellt in Öcalan weiters fest, dass die Bankovic Rsp weiterhin gültig sei, sich der Fall Öcalan jedoch davon abgrenzen lasse, und nimmt daher schließlich eine (wenn auch nur begrenzte) Überprüfung der Verantwortlichkeit der Türkei vor.1299 An dieser Stelle ist anzumerken, dass der EGMR von dieser begrenzten Auslegung des Art 1 EMRK ausdrücklich die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten für als Folgen der Auslieferung oder Abschiebung zu erwartende Konventionsverletzungen im ersuchenden (Nicht-)Konventionsstaat ausnimmt. Denn diesfalls ergebe sich die Verantwortlichkeit aus einem staatlichen Handeln, das gesetzt wurde, als sich der Betroffene noch auf dem Territorium des Vertragsstaates befand.1300 Dh es ergibt sich aufgrund dieser E keine Änderung hinsichtlich der bestehenden Verantwortlichkeit des ersuchten Staates für im Fall der Auslieferung drohende EMRK-Verletzungen im ersuchenden Staat. Nun soll auf die begrenzte Überprüfung der Verantwortlichkeit der Türkei eingegangen werden: Die der konkreten Fallprüfung vorangehende Darstellung allgemeiner Grundsätze zeigt die Tendenz des Gerichtshofs, umfassende auch außer-auslieferungsrechtliche Übergabemöglichkeiten Verdächtiger zuzulassen und die Grenze ausschließlich an der Wahrung fremder Gebietshoheit zu ziehen. Doch bezieht sich diese extensive Auslegung wie erwähnt mE nur auf solche Fälle, in denen kein Auslieferungsvertrag zwischen den beteiligten Staaten besteht und der Aufenthaltsstaat nicht der EMRK unterworfen ist. Der Gerichtshof hält zunächst grundsätzlich fest, dass eine Festnahme auf fremdem Hoheitsgebiet ohne Einwilligung des „fremden“ Souveräns einen Eingriff in das Grundrecht des Art 5 EMRK darstelle. Va in jenen Fällen, in welchen einer der beteiligten Staaten kein Konventionsmitglied ist und zwischen ihnen kein Auslieferungsvertrag in Geltung ist, spiele die Staatenkooperation eine wichtige Rolle für die Übergabe. Der Gerichtshof verlangt zwar einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Staatengemeinschaft und denen des Individualrechtsschutzes, lässt aber im Folgesatz eine – sich aus der Mobilität der Menschen und der steigenden Internationalisierung der Verbrechen ergebende – höhere Wertigkeit des Strafverfolgungsinteresses erkennen.
1298
1299
1300
Ablehnend dazu insb Breuer, EuGRZ 2003, 449 f, ders, ZEuS 2002, 269 ff, Grabenwarter, EMRK § 17 Rz 11, Rüth/Trilsch, AJIL 97 (2003), 172. Zu einer ausführlichen kritischen Auseinandersetzung damit siehe Breuer, EuGRZ 2003, 449 ff. Bankovic at al v Belgium et al, Zulässigkeitsentscheidung vom 12.12.2001, ApplNr 52207/99, Punkt 68.
Umgehung der Auslieferung
263
Konkret stellt der Gerichtshof schließlich für die Zulässigkeit der Übergabe zwei Kriterien auf: Sie muss einerseits auf Staatenkooperation und andererseits auf einem Haftbefehl des Verfolgungsstaates1301 basieren. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so sei sogar die verdeckte Auslieferung zulässig. Offensichtlich ergibt sich für den Gerichtshof aus der Völkerrechtsverletzung eine Grundrechtsverletzung. Umgekehrt scheint die Zustimmung des Aufenthaltsstaates wiederum eine Verletzung des Art 5 EMRK hintanzuhalten. Damit verkennt der Gerichtshof den menschenrechtlichen Schutz der Auslieferung. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass ihm die Überprüfung, ob die Festnahme dem Recht des Aufenthaltsstaats entspricht, nur zusteht, wenn der Aufenthaltsstaat zur Einhaltung der EMRK verpflichtet ist, weshalb er sich ausschließlich auf die Haftvoraussetzungen im „Empfängerstaat“ stützt. Dies entspricht den Auffassungen der Kommission in den Fällen Freda und Altmann.1302 Es ist zutreffend, dass der Gerichtshof nicht zur Beurteilung der Konventionskonformität des innerstaatlichen Rechts eines Nichtmitgliedstaates berufen ist. Doch hat er die Verantwortung des Mitgliedstaates für im Drittstaat drohende oder geschehende Handlungen im Lichte der EMRK zu prüfen. So wie er in Soering die Verantwortlichkeit Englands für das in den USA drohende death row phenomenon unter der Prämisse des Art 3 EMRK feststellte. Die Subsumtion des Sachverhaltes unter diese zwei (begrenzten) Kriterien führte schließlich im konkreten Fall zur Verneinung einer Konventionsverletzung: Denn zum einen erfolgte die Verhaftung nach Ansicht des Gerichtshofes durch die türkischen Behörden in Kenia in Übereinstimmung mit innerstaatlichem türkischen Recht, da mehrere türkische Haftbefehle vorlagen, die den innerstaatlichen Voraussetzungen entsprachen, und sich das Vorgehen der Polizei nach Öcalans Verhaftung auch nach dem innerstaatlichen Recht richtete. Zum anderen entschied der Gerichtshof aus beweistechnischen Gründen, dass eine Verletzung der kenianischen Gebietshoheit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar sei und die türkische Festnahme daher in Kooperation mit den kenianischen Behörden geschah.1303 Aufgrund dieser Feststellungen hielt der EGMR das Vorgehen der türkischen Behörden für konventionskonform, wobei er wiederum auf die Tatsache hinwies, dass zwischen den beiden Staaten kein Auslieferungsvertrag in Geltung ist.
1301
1302
1303
Der EGMR spricht zwar vom Heimatstaat und des Flüchtigen und nicht von Verfolgungsstaat, doch ergibt sich dies mE nur daraus, dass im vorliegenden Fall die Türkei als Heimatstaat Öcalans den Haftbefehl ausgestellt hatte. Freda v Italy, ApplNr 8916/80, vom 7.10.1980, DR 21, 250, Altmann v France, ApplNr 10689/83, 4. 7.1984, DR 37, 225. Zur Fragwürdigkeit dieser Annahme siehe Breuer, EuGRZ 2003, 451 insb FN 33.
264
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
Die Öcalan E ist mE so zu verstehen, dass sie nur auf jene Sachverhalte Anwendung findet, in welchen zwischen den beteiligten Staaten kein Auslieferungsvertrag besteht und die EMRK im Aufenthaltsstaat nicht gilt. Nur diesfalls sieht der Gerichtshof die Staatenkooperation iVm mit einem gültigen Haftbefehl im EMRK-Staat als ausreichend an. Dies ergibt sich einmal daraus, dass der EGMR fallspezifisch entscheidet, und im vorliegenden Fall kein anwendbarer Auslieferungsvertrag zwischen den beiden Staaten bestand und Kenia der EMRK nicht unterworfen ist. Auch die Wort- wie die teleologische Interpretation führen zu diesem Ergebnis. Die Staatenkooperation jenseits der Auslieferung kann nur in den Fällen ausreichen, in denen kein Auslieferungsprocedere vereinbart ist und der Gerichtshof sich zur Beurteilung des innerstaatlichen Rechts des Aufenthaltsstaates nicht für zuständig erachtet. Insofern lässt sich auch die E Bozano weiterhin von Öcalan abgrenzen. Denn in Bozano würdigte der EGMR die Abschiebung als verdeckte Auslieferung und erkannte darin eine Verletzung des Art 5 EMRK, was im Umkehrschluss bedeutet, dass auch die „In-Besitznahme“ eines Verdächtigen durch Umgehung der Auslieferung Art 5 EMRK verletzt. Stünde es den Staaten frei, sich entgegen den vereinbarten Auslieferungsverträgen auf Übergabemodalitäten zu einigen, bewirkte dies letztendlich die Aushebelung des Auslieferungsrechtes. Hier ist die englische Rsp in Erinnerung zu rufen, die in den Fällen der Erwirkung einer Abschiebung anstatt der Auslieferung einen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit und Gesetzlichkeit erkennt und dies zu Recht damit begründet, dass sich die Erwirkung der Übergabe einer Person nach dem maßgeblichen Gesetz, dh nach dem geltenden Auslieferungsgesetz, zu richten habe.1304 Ist die Erwirkung der Übergabe durch Deportation aus diesen Gründen unzulässig, so muss die Erwirkung durch eine Festnahme gleichfalls unzulässig sein. In weiterer Folge ist aber zu überlegen, ob die Auffassung des EGMR, ist sie auch nur auf die Fälle begrenzt, in denen kein anwendbarer Auslieferungsvertrag besteht und der Aufenthaltsstaat keine Vertragspartei der EMRK ist, zu überzeugen vermag. Es stellt sich insoweit die Frage, ob es den EMRK-Staaten freigestellt ist, bei Nichtbestehen eines Auslieferungsvertrages eine formlose Übereinkunft mit den Behörden eines anderen Nichtmitgliedsstaates zu treffen, die weder materiell noch formell Ansatzpunkte einer Auslieferung aufweist, und zu einer rechtswidrigen Festnahme in dem Aufenthaltsstaat führt. Schließlich wurde Öcalan in Kenia offensichtlich ohne jegliche Rechtfertigung festgenommen und den türkischen Behörden übergeben. Denn grundsätzlich besteht in Ermangelung eines Auslieferungsvertrages die Möglichkeit, unter Hinweis auf die Gegenseitigkeit um die Auslieferung zu ersuchen. Weiters ist anzumerken, dass in den einzelnen Staaten ein Auslieferungsrecht gilt, zu dessen Anwendung diese Staaten innerstaat-
1304
Oben Abschnitt 1.V.A.
Umgehung der Auslieferung
265
lich verpflichtet sind. Wollte die Türkei ihrem innerstaatlichen Auslieferungsrecht entsprechen, müsste sie bei Bekanntwerden des Aufenthaltsortes des gesuchten Verdächtigen um die Auslieferung ersuchen. Die Verkürzung dieses Weges durch die Aufforderung an einen anderen Staat, sich über den Betroffenen informell Gewahrsam zu verschaffen und ihn schließlich zu übergeben um die Festnahme durch die eigenen Behörden zu ermöglichen, wird den rechtsstaatlichen Kriterien der Auslieferung nicht gerecht. Schließlich stellt die Auslieferung – wie oben erläutert – als solche kein rein völkerrechtliches Instrument dar und ergibt sich ihr Vorrang vor anderen Möglichkeiten der Übergabe, wie zB der Abschiebung, daher nicht alleine aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten. Neben dem völkerrechtlichen Aspekt stellt der Individualrechtsschutz eine wichtige Komponente der Auslieferung dar. Verdächtige sollten zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nur nach den dem innerstaatlichen Auslieferungsrecht innewohnenden Verfahrens- und Rechtsschutzbestimmungen übergeben werden, und davon sollte wiederum nur abgewichen werden, wenn der Betroffene zustimmt. Insofern hätte sich die Türkei hier nach ihrem eigenen Auslieferungsrecht richten müssen, anstatt eine extra-territoriale Festnahme durchzuführen. Insofern regeln auch die Festnahmebestimmungen des türkischen Rechts jene Sachverhalte, in welchen sich der Betroffene auf türkischem Staatsgebiet befindet, nicht aber die, in denen der Betroffene aus einem fremden Hoheitsgebiet in die Türkei überführt werden soll.1305 ME ist dieses Verhalten als Verstoß gegen Art 5 EMRK zu werten, da die Festnahme gerade nicht dem, durch Art 5 EMRK erweiterten innerstaatlichen türkischen Recht entsprach. Die Erlangung eines Verdächtigen hat sich nach den innerstaatlichen Auslieferungsbestimmungen und nicht nach Festnahmebestimmungen, die extra-territorial angewandt werden, zu richten. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Verletzung selbst auf einem anderen Staatsgebiet, außerhalb des Konventionsraumes erfolgte. Denn die Türkei ist an die ERMK gebunden, auch wenn sie extra-territorial handelt.1306 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob einzelne Staaten untereinander von der Auslieferung absehen und ein System der vereinfachten Übergabe vereinbaren können. Diesfalls erfolgte die Festnahme in beiden Ländern aufgrund der gesetzlichen Vorgaben, da durch das Übereinkommen eine rechtsstaatliche Grundlage geschaffen wird. Die Übergabe in der Form der tatsächlichen Anerkennung eines ausländischen Haftbefehls ohne jegliche Überprüfung, in der die vollstreckende Behöre im ersuchten Staat bloß ausführendes Organ der des ersuchenden Staates ist, kann aber nur in jenen Fällen zulässig sein, in welchen die beteiligten Staaten tatsächlich dieselben Grundrechte vorsehen und die Strafrechtssystem und materieller und formeller Hinsicht 1305 1306
Breuer, EuGRZ 2003, 452 f, vgl auch Costi, 9 RJP/NZACL Yearbook 8, 72 f. (Der EGMR ist wie die E Öcalan, Bankovic, Freda und Barbie zeigen, freilich anderer Meinung.)
266
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
übereinstimmen. Diesfalls machte es keinen Unterschied, ob die Haft innerhalb eines Staates von einer Justizbehörde verhängt wurde, oder dies durch die fremde Justizbehörde geschah. Da dieser einheitliche Standard innerhalb der EU noch nicht gegeben ist, sieht der RB-HB auch keine Pflicht zur ungeprüften Übergabe von Verdächtigen vor.1307 Neben den grundrechtlichen Aspekten der Auslieferungsvoraussetzungen und des Auslieferungsverfahrens kommt auch dem Spezialitätsschutz eine wichtige Begrenzungsfunktion zu, die aber nur im Falle der Auslieferung anwendbar ist. Der Grundsatz der Spezialität besagt, dass der Betroffene nur wegen der Taten verfolgt werden darf, auf die sich die Auslieferungsbewilligung erstreckt. Diesem Grundsatz liegt wie oben besprochen nicht nur der Schutz des ersuchten Staates, sondern auch der Schutz des Betroffenen zugrunde.1308 Insofern ist zu berücksichtigen, dass eine Entführung (wie auch die Abschiebung oder das Herauslocken) aus dem Aufenthaltstaat den Betroffenen des im Fall der Auslieferung zur Anwendung gelangenden Spezialitätsschutzes beraubt. 4. Die Rsp der USA Die Gerichte der USA bemessen den vom deutschen BVerfG bzw dem EGMR aufgestellten Kriterien keine Bedeutung bei. Vielmehr wird die Gültigkeit des „male captus, bene detentus“-Grundsatzes in den USA durch eine umfassende Rsp sogar in den Fällen bejaht, in denen die Entführung unter Verletzung fremder Gebietshoheit erfolgte und der verletzte Staat dagegen protestierte.1309 Dies wurde in jüngerer Zeit insb durch die Supreme Court E in United States v Alvarez-Machain1310 und die Entscheidung eines Court of Appeals (11th Circuit) in United States v Noriega1311 bestätigt. Die Grundlage des male captus, bene detentus Grundsatzes bildet die sog Ker-Frisbie Doktrin, die auf den beiden E Ker v Illinois1312 und Frisbie v Collins1313 aufbaut, und besagt, dass die Umstände, unter denen ein Beschuldigter vor das Gericht gebracht wurde, grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens keinen Einfluss haben, weshalb auch die gewaltsame Entführung kein Verfahrenshindernis darstellt. In Ker wurde ein Privatdetektiv mit den notwendigen Dokumenten nach Peru geschickt, um auf der Basis des bestehenden Auslieferungsvertrages die 1307 1308 1309
1310 1311 1312 1313
Siehe dazu unten Abschnitt 2. Siehe oben Abschnitt 1.III.D.2. Grundlegend zu diesem Bereich Wilske, ZStW 107 (1995) 50 ff, Ward, 47 Ark. L. Rev. 477 ff. 405 U.S. 655, 112 S.Ct. 2188, 119 L.Ed. 2d 441 (1992). (U.S. Courts of Appeals, 11th Cr) 117 f.3d 1206 (1997). 119 U.S. 436 (1886). 342 U.S. 519 (1952).
Umgehung der Auslieferung
267
Auslieferung von Ker, eines dorthin geflohenen Amerikaners, zu beantragen. Auf Grund gröberer Schwierigkeiten, Peru war zum Teil mit chilenischen Truppen besetzt und die Regierung befand sich in den Bergen, entschied sich der Privatdetektiv gegen die Übergabe der Auslieferungspapiere, sondern nahm Ker fest und brachte ihn auf ein US-amerikanisches Schiff, welches ihn in die USA zurückbrachte. Ein Protest Perus erfolgte nicht. Der Supreme Court entschied, dass das Recht auf „due process of law“1314 gewahrt sei, wenn der Angeklagte ordnungsgemäß angeklagt und nach einem fairen Verfahren abgeurteilt wurde. Unregelmäßigkeiten bei seiner Verbringung vor das Gericht spielten dabei keine Rolle. Die gerügte Verletzung des Auslieferungsvertrages mit Peru durch die eigenmächtige gewaltsame Entführung auf fremdem Hoheitsgebiet erklärte das Gericht recht banal als gegenstandslos: Da der Auslieferungsvertrag mangels Überbringung des Ersuchens gar nicht zu Anwendung kam, könne er auch nicht verletzt worden sein. Die Prüfung einer etwaigen Völkerrechtsverletzung sowie eines sich daraus ergebenden Verfahrenshindernisses hingegen stehe dem Supreme Court überhaupt nicht zu. Zu einer derartigen Prüfung sei er auch nicht verpflichtet. Gegen die Annahme eines Strafverfolgungshindernisses ließe sich – insb auf die erwähnte deutsche Rsp bezugenehmend – vorbringen, dass die rechtswidrige Entführung nicht aufgrund einer staatlichen Anordnung erfolgte, dem Staat daher nicht zugerechnet werden könne und sie insofern von den anderen Entführungsfällen abgrenzbar sei.1315 Zudem könnte die Unerreichbarkeit der Regierung einer faktischen Außerkraftsetzung des Auslieferungsvertrages gleichgehalten werden und dies wiederum für die Abgrenzbarkeit dieser E von den klassischen Entführungsfällen sprechen. Dass diesen Kriterien keine Relevanz zukommt, entschied der Supreme Court viel später in Alvarez-Machain1316: Obwohl in diesem Fall die gewaltsame Entführung von US-amerikanischen Drogenbehörden in Auftrag gegeben wurde, ein Protest vorlag und die Anwendbarkeit des Auslieferungsvertrages unstrittig war, bestätigte er die Geltung der male captus, bene detentus Doktrin.
1314
1315
1316
14. Amendment zur US-Constitution: „…nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law…“. Due process ist mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren, insb auf ein rechtmäßiges Verfahren zu vergleichen. Einerseits würde diesfalls ein etwaiges Disziplinierungsargument nicht gelten, andererseits könnte damit die Völkerrechtsverletzung abgetan werden. Gegen letzteres lässt sich wiederum einwenden, dass hier das hoheitliche Handeln einem Privaten übertragen wurde, dieser insofern als beliehene Person agierte, weshalb sein Handeln dem Staat wiederum zurechenbar ist, und insofern eine Völkerrechtsverletzung darstellt. 405 U.S. 655 (1992).
268
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
Frisbie v Collins1317 betraf eine inner-amerikanische Entführung. Collins wurde in Illinois von Polizisten des Staates Michigan festgenommen und zur Strafverfolgung nach Michigan transportiert. Der Supreme Court bestätigte seinen in Ker aufgestellten Grundsatz, wonach der Umstand, dass der Beschuldigte durch eine gewaltsame Entführung vor das zuständige Gericht gebracht wurde, für das Strafverfahren vor diesem Gericht ohne Bedeutung sei. Wiederum sei das Recht auf due process dadurch nicht verletzt worden. Auf die Verletzung fremder Gebietshoheit wurde aufgrund des nationalen Sachverhaltes nicht eingegangen. Die fehlende Verletzung fremder Gebietshoheit ist nach österreichischem Verständnis eindeutig. Nach USamerikanischem Recht erscheint diese Auffassung aber insoweit als nicht selbstverständlich, als die Rsp in den USA (zB im Hinblick auf die Geltung des ne bis in idem Grundsatzes1318) die einzelnen Bundesstaaten als eigenständige Souveräne ansieht, denen insofern auch eine unabhängige Verfolgung wegen desselben Delikts zusteht (dual sovereignty). Die Ker-Frisbie Doktrin wurde in jüngerer Zeit durch die beiden clamorosen E United States v Alvarez-Machain1319 und United States v Noriega1320 bestätigt. Der erste Fall betrifft den mexikanischen Arzt Alvarez-Machain, der verdächtigt wurde, die Folterung eines Spezialagenten der DrogenBehörde (DEA) durch Verabreichung lebenserhaltender Mittel verlängert zu haben. Um die Auslieferung des Verdächtigten war nie ersucht worden; der Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Mexiko enthält ein (im Ermessen der Exekutive stehendes) Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger. Nachdem informelle Übergabeverhandlungen gescheitert waren, setzte die DEA ein Kopfgeld von 50.000 $ auf die Entführung des Arztes aus.1321 Schließlich wurde Alvarez-Machain in Mexiko gekidnappt, in die USA geflogen, und dort von der DEA verhaftet. Die 7 am Kidnapping beteiligten Personen wurden bezahlt und mitsamt ihren Familien in die USA transferiert, wo die DEA weiterhin für ihren Unterhalt aufkommt. Mexiko legte umgehend einen formellen Protest ein, stellte die Verletzung des mit den USA bestehenden Auslieferungsvertrages fest und beantragte die Rücküberstellung von Alvarez-Machain sowie die Auslieferung der 7 Entführer. Der Supreme Court hielt das Strafverfahren gegen den gewaltsam Entführten auch in diesem Fall für zulässig. Chief Justice Rehnquist, der das Urteil für die Mehrheit (6 : 3) verfasste, stellte zunächst fest, dass sich ein Strafverfolgungshindernis nur ergeben könne, wenn der Auslieferungsvertrag mit 1317 1318 1319 1320 1321
342 U.S. 519 (1952). Dazu oben Abschnitt 1.II.B.5.1.2. 405 U.S. 655, 112 S.Ct. 2188, 119 L.Ed. 2d 441 (1992). U.S. Court of Appeals, 11th Cr, 117 f.3d 1206 (1997). Laut Wilske, ZStW 107 (1995) 57 sei dies vom Deputy Director der DEA in Washington D.C. möglicherweise nach Rücksprache mit dem Justizministerium geschehen.
Umgehung der Auslieferung
269
Mexiko durch die Entführung verletzt worden sei, andernfalls käme die KerFrisbie Doktrin zur Anwendung, die eine Entführung erlaubt. Er erkannte auf das Nichtvorliegen einer Vertragsverletzung und stützte dies auf mehrere fragwürdige Argumente. Zunächst zeige die Wortinterpretation kein Verbot der gewaltsamen Entführung, der Vertrag schweige sich über deren Zulässigkeit aus.1322 Auch könne der Vertrag nicht so verstanden werden, dass er die ausschließliche Möglichkeit biete, Gewahrsam über einen Verdächtigen, insb den Staatsbürger eines anderen Landes, zu erlangen. Er erstelle nur eine Verpflichtung zur Auslieferung in bestimmten Fällen. Insofern schaffe ein Auslieferungsvertrag einen Mechanismus, der ansonsten nicht existiere, und der bestimmte Pflichten auferlege und Verfahrensbestimmung gestalte, wenn dieser Vertrag zur Anwendung gelange.1323 Wird der Vertrag nicht angewendet, so treffen diese Rechte und Pflichten offensichtlich nicht zu. Es scheint nach dieser Auffassung jedem Staat freizustehen, den Verträgen zu folgen oder andere Mittel anzuwenden. Unter dem Deckmantel der historischen Interpretation blickt der Chief Justice auf die bisherige Vertragspraxis zwischen den USA und Mexiko und weist daraufhin, dass Mexiko bereits vor langer Zeit über die Ker-Frisbie Doktrin informiert worden sei und der heutige Vertrag dennoch keine Bestimmungen enthalte, die diese Doktrin beschränken.1324 Worin der Sinn eines Auslieferungsvertrages liegt, wenn dieser nach Belieben angewendet oder ignoriert werden kann, bleibt freilich dahingestellt. Es stellt sich insb die Frage nach dem Nutzen der Ausverhandlung eines Auslieferungsverbotes eigener Staatsbürger, wenn in den Fällen, in welchen ein solches zur Anwendung gelangte, der andere Staat anstatt auf die Auslieferung (bzw nach erfolglosem Ersuchen) auf die Entführung als Mittel zur Durchsetzung greifen darf. Rehnquist geht auf das Völkerrecht nur knapp ein, indem er feststellt, dass ein Auslieferungsvertrag nicht das allgemeine völkerrechtliche Verbot des hoheitlichen Handelns auf fremdem Staatsgebiet enthalte. Auch bestünde kein völkerrechtlicher Grundsatz, nach dem das Verbot der gewaltsamen Entführung auslieferungs-vertragsimmanent sei. Abschließend weist er darauf hin, dass die Entführung möglicherweise einen Völkerrechtsverstoß darstelle, die Frage der Rücküberstellung an Mexiko aber ausschließlich in die Zuständigkeit der Exekutive falle. Dies zeigt, dass nach Auffassung des Gerichtes die völkerrechtliche Verletzung fremder Gebietshoheit und der daraus resultierende Restitutionsanspruch alleine in den Verantwortungsbereich der Exekutive fällt und sich das Gericht damit nicht zu beschäftigen hat. Of-
1322 1323 1324
United States v Alvarez-Machain, 405 U.S. 664. United States v Alvarez-Machain, 405 U.S. 665. United States v Alvarez-Machain, 405 U.S. 665 f.
270
Entführung aus dem Aufenthaltsstaat – kidnapping/abduction
fensichtlich wird die Rücküberstellung des Betroffenen durch eine Verurteilung und Strafhaft nicht tangiert. Überhaupt nicht eingegangen wurde auf die Frage, ob die Entführung gegen das Verbot willkürlicher Festnahme verstieß, das in Art 9 IPBPR, ähnlich wie Art 5 EMRK, verbrieft ist. Das amerikanische – wie auch das europäische – Schrifttum steht der Alvarez-Machain E überwiegend ablehnend gegenüber.1325 Dabei werden nicht nur in Übereinstimmung mit der oben ausgeführten europäischen Rsp und Lehre materiellrechtliche Argumente vorgebracht, sondern wird auch zu bedenken gegeben, welche Auswirkung eine Anwendung dieser Grundsätze durch alle Staaten mit sich brächte. So ist eine Aushöhlung des Völkervertragsrechts und ein Abgehen von dem Grundsatz pacta sunt servanda zu befürchten. United States v Noriega1326 stellt einen noch abwegigeren Fall der Umgehung der Auslieferung dar, da die Entführung nicht durch bezahlte Dritte für die US-Behörden durchgeführt wurde, sondern die USA den Betroffenen diesfalls durch eine militärische Invasion (unter dem bezeichnenden Decknamen operation just cause) aus Panama holten und der Strafverfolgung zuführten. Das Berufungsgericht stützte sich hier auf die vom Supreme Court in Alvarez-Machain unmissverständlich formulierte Rechtsansicht und stellte fest, dass auch der Auslieferungsvertrag mit Panama keine ausdrückliche „Anti-Kidnapping-Klausel“ enthalte. Insofern komme auch der Tatsache, dass in Panama ein verfassungsrechtliches Verbot der Nichtauslieferung eigener Staatsbürger besteht, keine Bedeutung zu.1327 Zur Ker-Frisbie Doktrin, auf der die E Alvarez-Machain und Noriega aufbauen, bestehen zwei Ausnahmen. Zunächst soll die auf der E United States v Rauscher1328 beruhende Ausnahme dargestellt werden, die der Supreme Court am selben Tag wie Ker v Illinois1329 entschied: Dieser Fall beschäftigt sich nicht mit einem Entführungsfall, sondern mit der Frage, ob der Spezialitätsgrundsatz einen immanenten Teil eines Auslieferungsvertrages darstelle und damit einhergehend, in welchen Fällen ein Auslieferungsvertrag verletzt werde. 1325
1326 1327
1328 1329
Burr, 29 Denv. J. Int’l L. & Pol’y (2001) 101 ff, Ward, 47 Ark. L. Rev. (1994) 477 ff, Paust, 67 St. John’s L. Rev. (1993) 551 ff, Glennon, 86 A.J.I.L. (1992) 746 ff, Costi, 9 RJP/NZACL Yearbook 8, 85 ff, Kuner, EuGRZ 1993, 1 ff; vermittelnd Wilske, ZStW 107 (1995) 63 ff; geradeaus zustimmend Halberstam, 86 A.J.I.L. (1992) 736 ff. (U.S. Courts of Appeals, 11th Cr) 117 f.3d 1206 (1997). Zu den neuesten Entführungsfällen im Rahmen der Terrorbekämpfung siehe den Bericht in der L.A. Times vom 25.6.2005: http://www.latimes.com/news/ printedition/la-fg-cia25jun25,1,7532206.story. 119 U.S. 422, 30 L.Ed. 425 (1886). 119 U.S. 436 (1886).
Umgehung der Auslieferung
271
Rauscher, der von England in die USA ausgeliefert worden war, sollte letztendlich nicht wegen des Auslieferungsdeliktes, sondern wegen einer anderen Straftat verfolgt werden. Die Zulässigkeit dieser Verfolgung war fraglich, da der Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und der USA keine ausdrückliche Spezialitätsbestimmung enthielt. In dieser E ging der Supreme Court bei der Interpretation des Auslieferungsvertrages ua ausführlich auf den Staatengebrauch (practice of nations) ein und entschied, dass bei genereller Anwendung des Auslieferungsvertrages der Spezialitätsgrundsatz impliziert sei: „a person who has been brought within the jurisdiction of this court by virtue of the proceedings under an extradition treaty, can only be tried for one of the offences described in that treaty…”. Ker, Frisbie und Alvarez-Machain lassen sich nach Auffassung der Höchstrichter davon insofern abgrenzen, als diese nicht unter Anwendung des Auslieferungsvertrages, sondern durch Entführung in den Gewahrsam des Gerichtes gelangten, und der jeweilige Auslieferungsvertrag dadurch auch nicht verletzt werden könne.1330 Die zweite Ausnahme, die sog Toscanino-exception, wurde nicht vom Supreme Court, sondern von einem Court of Appeals (2nd Circuit) entschieden und vom Supreme Court bisher nicht anerkannt. Auch haben bereits mehrere andere Berufungsgerichte (5th, 7th und 11th Circuit) diese Ausnahme abgelehnt. In der E United States v Toscanino1331 wurde der italienische Staatsbürger Toscanino im Auftrag US-amerikanischer Behörden von Uruguay nach Brasilien entführt und dort 17 Tage gefoltert. Dabei sollen US-Beamte anwesend gewesen sein. Nach dieser Tortur wurde er zur Strafverfolgung in die USA geflogen. Das Berufungsgericht erkannte in dem Vorgehen der Beamten einen Verstoß gegen die due process Klausel, der zu einem Verfahrenshindernis führen müsse: Stellt die Gewahrsamserlangung über den Angeklagten das Ergebnis einer von den Behörden ausgehenden absichtlichen, unnötigen und unbilligen Verletzung dessen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte dar, so müsse das Gericht auf die Strafverfolgung verzichten. Dasselbe Gericht schränkte die Toscanino exception kurze Zeit später aber insofern ein, als sie nur bei Folter, Brutalität oder anderem schockierenden Verhalten der Exekutive anwendbar sei.1332 Die Erheblichkeitsschwelle wird so hoch angelegt, dass es bisher noch zu keinem Strafverfolgungshindernis aufgrund dieser Ausnahme gekommen ist.1333 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die US-amerikanische Rsp mithilfe der Ker-Frisbie Doktrin strikt am Grundsatz des male captus, bene
1330 1331 1332
1333
Siehe Ker v Illinois, 119 U.S. 443, Alvarez-Machain, 504 U.S. 660. 500 f.2d 267 (2d.Cir. 1974). United States ex re Lujan v Gengler, 520 f.2d 62, 65, cert. denied 421 U.S. 1001 (1975). Bassiouni, in International Criminal Law II 254 mwN.
272
Allgemeines
detentus festhält. Eine Änderung ist nur im Falle eines ausdrücklichen Verbots der Entführung im entsprechenden Auslieferungsvertrag zu erwarten.1334
VI. Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen A. Allgemeines Da sich die vorliegende Arbeit mit dem materiellen Recht der Auslieferung beschäftigt, würde eine ausführliche Abhandlung des Auslieferungsverfahrens unter Einbeziehung aller denkbaren Formen – wie der Auslieferung aus Österreich, der vereinfachten Auslieferung, der Erwirkung der Auslieferung nach Österreich, der Durch- und Weiterlieferung usw – den tunlichen Rahmen sprengen. Ein völliges Außerachtlassen scheint hingegen angesichts der aktuellen Änderung des Auslieferungsverfahrens durch das StRÄG 20041335 nicht vertretbar, weshalb die relevanten Neuerungen anhand der Darstellung der Auslieferung aus Österreich in Grundzügen aufgezeigt werden sollen. Die Auslieferung aus Österreich ist umfassend in den §§ 10–41 ARHG geregelt, wobei sich die Verfahrensbestimmungen in den §§ 26–41 ARHG finden. Neben diesen auslieferungsrechtlichen Sonderbestimmungen verankert § 9 ARHG den Grundsatz der Subsidiarität der StPO: Sie ist sinngemäß anzuwenden, wenn sich aus den Bestimmungen des ARHG nicht anderes ergibt.1336 Das Auslieferungsverfahren ist seit Bestehen des ARHG in einen gerichtlichen und einen verwaltungsbehördlichen Abschnitt geteilt. Durch das StRÄG 2004,1337 dessen Änderungen hinsichtlich des Auslieferungsrechtes auf dem zu begrüßenden VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/20021338 beruhen, wurde einerseits ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung eingeführt und damit einhergehend eine Neuverteilung der funktionellen Zuständigkeit vorgenommen und andererseits die Kompetenzverteilung zwischen den Entscheidungsträgern Gericht und BMJ deutlicher festgelegt. Das gerichtliche Auslieferungsverfahren entspricht einem förmlichen Verfahren, in dem nunmehr zunächst der U-Ri und erst im Beschwerdefall
1334
1335 1336
1337 1338
Die Aufnahme eines solchen Passus in einen zukünftigen Auslieferungsvertrag ist jedoch unwahrscheinlich. BGBl I 15/2004. Zu den Bestimmungen des Strafprozessreformgesetzes siehe Bertel/Venier, Einführung2 1 ff. BGBl I 15/2004. =JBl 2003, 437.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
273
der Gerichtshof zweiter Instanz (OLG) über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheiden, nachdem alle materiellen Auslieferungsvoraussetzungen sowie Auslieferungshindernisse einer Prüfung unterzogen wurden.1339 Das Gericht muss insofern die rechtliche Überprüfung vornehmen und dabei die subjektiven Rechte des Betroffenen, die sich aus Gesetz oder Verfassung ergeben, berücksichtigen. Ist die Auslieferung nach Auffassung des Gerichts zulässig, so entscheidet der BMJ schließlich nach allgemeinen politischen oder die Rechtsstellung des Auszuliefernden nicht unmittelbar betreffenden völkerrechtlichen Erwägungen über die Bewilligung des Auslieferungsersuchens.1340
B. Einleitung des Auslieferungsverfahrens Die Einleitung des Auslieferungsverfahrens kann auf mehrere Arten zustande kommen. Zunächst besteht die Möglichkeit, dass bereits das Auslieferungsersuchen, dh ohne vorangehendes Fahndungsersuchen, direkt oder im diplomatischen Weg an das BMJ gestellt wird. Dieses übermittelt das Ersuchen nach einer groben Vorprüfung gem § 30 ARHG an den zuständigen Gerichtshof erster Instanz.1341 In den meisten Fällen wird das Auslieferungsverfahren gem § 27 Abs 2 ARHG durch ein ausländisches Fahndungsersuchen über Interpol in Gang gesetzt, das auf einem internationalen Haftbefehl, einer Urkunde gleicher Wirksamkeit oder einem rechtskräftigen Urteil beruht.1342 Bestehen aufgrund des Fahndungsersuchens Hinweise auf einen Aufenthaltsort des Verdächtigen im Inland, so ist der U-Ri zu befassen; nur wenn (tatsächlich) keine diesbezüglichen Hinweise bestehen, muss das Gericht von den Sicherheitsbehörden nicht eingeschaltet werden.1343 Der befasste U-Ri hat zu überprüfen, ob hinreichende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die bezeichnete Tat Anlass zur Auslieferung geben könnte. Dazu muss die Tat ausreichend individualisiert und konkretisiert sein, weshalb der ersuchende Staat zumindest eine Sachverhaltsangabe zu übermitteln hat.1344 Hält der U-Ri die Annahme für begründet, so veranlasst 1339
1340 1341 1342
1343 1344
Vor der Gesetzesänderung durch das BGBl I 15/2004 kam den U-Ri nur eine Vorbereitungsfunktion zu, während das OLG als erste und letzte Instanz entschied (§§ 31, 33 ARHG alt). Die Änderung beruht auf dem VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/2002. EBRV 294 BlgNR XXII. GP 6 f. Dazu unten Abschnitt 1.VI.F.1. Internationale Fahndungsersuchen sind als Ersuchen um Verhängung der Auslieferungshaft zu werten, siehe Schwaighofer, Auslieferungsrecht 132 FN 477 mwN. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 139 f. Siehe den Vorbehalt Österreichs zu Art 16 Abs 2 EuAlÜbk, siehe für Deutschland OLG Düsseldorf StV 2004, 147; Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 402.
274
Einleitung des Auslieferungsverfahrens
er die Ausforschung des Verdächtigen und ordnet gegebenenfalls auch dessen Verwahrung durch Übermittlung eines Haftbefehls oder eines Steckbriefs an. Auf die Voraussetzungen für die Verwahrung wird unten gesondert eingegangen.1345 Innerhalb des Schengenraumes kann das Auslieferungsverfahren auch durch eine Ausschreibung im SIS (Schengener Informationssystem) eingeleitet werden.1346 Diese auf Art 95 SDÜ beruhende Ausschreibung im SIS ist gem Art 64 SDÜ einem Ersuchen um vorläufige Festnahme zum Zweck der Auslieferung iSd Art 16 EuAlÜbk gleichgestellt. Bedenklich ist an dieser Eingabe, dass gem Art 95 Abs 2 SDÜ die Justizbehörden des ersuchenden Landes, welche die Ausschreibung beantragen, zugleich die Überprüfung vornehmen, ob die Festnahme nach dem Recht aller Vertragsparteien zulässig ist.1347 Das bedeutet, dass die Justizbehörden des ersuchten Staates grundsätzlich vor der Festnahme nicht mehr befasst werden, in Österreich daher der Untersuchungsrichter vor der Festnahme nicht mehr eingeschaltet wird. Zutreffend wird dazu angemerkt, dass der ersuchte Staat insofern „blind“ handelt.1348 § 92 Abs 3 SDÜ sieht zumindest die Möglichkeit der datensatzbezogenen Kennzeichnung der Ausschreibung mit Sperrwirkung im nationalen SIS System vor, wenn die Festnahme unzulässig wäre. Die Überprüfung kommt in Österreich den zuständigen EDV-Behörden der SIRENE-Österreich1349 zu.1350 Diesfalls kann die Ausschreibung zur Festnahme in diesem Land in eine Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung umgewandelt werden. Es ist auch möglich, dass sich im Zuge inländischer sicherheitsbehördlicher oder gerichtlicher Erhebungen Hinweise darauf ergeben, dass die untersuchte Tat oder andere Handlungen des Ausländers Anlass zu einer Auslieferung geben könnten. Diesfalls ist eine Anzeige an den StA zu erstatten, der entweder gem § 28 ARHG ein Anbotsverfahren1351 an das Ausland stellt o1345 1346 1347 1348 1349
1350 1351
Abschnitt 1.VI.D. Zum SIS siehe Schwaighofer, in Recht und Europa 178. Kritisch dazu Lagodny, in IRG, SDÜ § 95 Rz 3 u 7, Scheller, JZ 1992, 904, 908. Lagodny, in IRG, SDÜ § 95 Rz 7 bezugnehmend auf Scheller, JZ 1992, 904, 908. Dort befindet sich der nationale SIS Großrechner, siehe dazu Schwaighofer, in Recht und Europa 178. Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 440. Ausländer fallen wegen Auslandstaten nur unter die subsidiäre österreichische Gerichtsbarkeit im Sinne der stellvertretenden Strafrechtspflege, vorrangig ist die Auslieferung an den primär zuständigen Staat. § 28 ARHG dient insofern der Feststellung, ob dieser Staat bereit und gewillt ist, den Strafanspruch über den Betroffenen auszuüben. Eine genaue Darstellung des Anbotsverfahrens würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ist in Anbetracht der ausführlichen Untersuchung bei Schwaighofer, Auslieferung 133 ff, und Linke, Grundriss 68 ff, unnotwendig.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
275
der, falls er vom Nichtvorliegen eines Auslieferungssachverhaltes überzeugt ist, vor dem inländischen Gericht Anklage erhebt.1352
C. Gerichtliche Zuständigkeit Das gerichtliche Auslieferungsverfahren fällt in die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz. Örtlich zuständig ist nach § 26 Abs 1 ARHG das Gericht des Wohnsitzes oder Aufenthaltes der betroffenen Person, in Ermangelung dessen das Gericht des Betretungsortes. Befindet sie sich in gerichtlicher Haft, so hat das Verfahren am Haftort stattzufinden. Lässt sich die örtliche Zuständigkeit nach diesen Kriterien nicht feststellen, so ist das LG für Strafsachen Wien zuständig. Besteht ein objektiver Konnex insofern, als sich an einer Tat mehrere Personen beteiligt haben, die alle ausgeliefert werden sollen, so ist die Sache vor einem Gericht zu hören. Ebenso ist im Fall eines sachlichen Konnexes vorzugehen, wenn also mehrere Personen wegen mehrer Straftaten, die miteinander im Zusammenhang stehen, ausgeliefert werden sollen. Zuständig ist nach § 26 Abs 2 ARHG jeweils das Gericht des Zuvorkommens. Funktionell ist der U-Ri zur Verhängung der Auslieferungshaft und zur Vorbereitung eines Auslieferungsanbotes sowie seit 1.5.2004 auch zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung in erster Instanz berufen.1353 Das OLG entscheidet über die Zulässigkeit der Auslieferung in zweiter Instanz.
D. Die Verwahrung zum Zweck der Auslieferung 1. Voraussetzungen Bei Ersuchen um Verhängung der Auslieferungshaft bzw bei ausländischen Fahndungsersuchen im Wege von Interpol kann der U-Ri – wie oben angemerkt1354 – bei Vorliegen hinreichender Gründe, dass die vorgeworfene Straftat zu einer Auslieferung Anlass gibt, die Verwahrungshaft durch Haftbefehl gem § 175 ff StPO bzw Steckbrief gem §§ 416 f StPO anordnen. Zulässig ist die Verwahrungshaft nur bei Vorliegen eines Haftgrundes nach § 175 Abs 1 Z 2–4 StPO. Dies ergibt sich aus der subsidiären Anwendung der StPO und der Formulierung des § 27 Abs 1 letzter Satz ARHG, der die Anordnung der Verwahrung an den Terminus „erforderlichenfalls“
1352
1353 1354
Schwaighofer, Auslieferungsrecht 132, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 403. BGBl I 15/2004, siehe auch FN 1339. Abschnitt 1.VI.B.
276
Die Verwahrung zum Zweck der Auslieferung
knüpft.1355 Am häufigsten liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr vor, die Indizien dafür sind die Tatsache, dass der Aufenthaltsort des Verdächtigen unbekannt ist und er sich verborgen hält. Das entbindet das Gericht aber nicht von der Überprüfung dieser Voraussetzungen im Einzelfall. Daneben ist insb auf die bedingt-obligatorische Verwahrungshaft1356 nach § 175 Abs 2 StPO zu verweisen, bei der das Vorliegen der Haftgründe gesetzlich vermutet wird, wenn der Gesuchte eines Verbrechens mit einer Strafdrohung von mindestens 10 Jahren Freiheitsstrafe verdächtigt wird. Der Verdächtigte ist im Fall der Auffindung von den Sicherheitsbehörden sofort beim zuständigen Gericht einzuliefern. Wird die gesuchte Person im Inland überraschend aufgegriffen, so können die Sicherheitsbehörden auch aus eigener Macht nach § 177 StPO vorgehen.1357 Diesfalls haben sie den Verdächtigen sofort zu vernehmen und innerhalb von 48 Stunden beim zuständigen Gericht einzuliefern. 2. Dauer Die gerichtliche Verwahrung zum Zweck der Auslieferung darf entsprechend der gerichtlichen Verwahrungshaft gem § 179 StPO 48 Stunden nicht überschreiten. Ab diesem Zeitpunkt ist die Auslieferungshaft (entsprechend der U-Haft) gerichtlich anzuordnen oder der Verdächtige freizulassen. Das EuAlÜbk sieht in Art 16 unter der Bezeichnung „vorläufige Auslieferungshaft“ die vorläufige Haft zum Zweck der Auslieferung vor, die für 18, maximal sogar 40 Tage verhängt werden darf, wenn bis dahin noch kein Auslieferungsersuchen gestellt wurde. Nach der Diktion des Übk wird unter dieser vorläufigen Haft nicht eine Verwahrungshaft, sondern die Anhaltung vor Einlangen des Auslieferungsersuchens verstanden, nach Einlangen des Ersuchens wird sie als Auslieferungshaft bezeichnet. Es ergibt sich daher aus dieser Bestimmung keine Änderung bezüglich der Dauer der Verwahrungshaft.1358 Zudem verpflichtet Art 16 EuAlÜbk die Vertragsparteien nicht zur Anordnung dieser vorläufigen Haft,1359 sondern unterstellt sie der Beurteilung des innerstaatlichen Rechts.
1355 1356 1357
1358 1359
Schwaighofer, Auslieferungsrecht 138. Reindl, Untersuchungshaft 163 ff, Bertel/Venier, StPO8 Rz 386. Schwaighofer, Auslieferungsrecht 138, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 403. Schwaighofer, Auslieferungsrecht 140. Burgstaller, Auslieferungsübereinkommen 47.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
277
E. Die Auslieferungshaft 1. Tatverdacht Die Auslieferungshaft richtet sich nach § 29 ARHG, der neben einigen Sonderbestimmungen die subsidiäre Geltung der Bestimmungen über die UHaft gem § 180 ff StPO regelt. Voraussetzung für die Auslieferungshaft ist, wie auch für die Verwahrungshaft zum Zweck der Auslieferung, das Vorliegen hinreichender Gründe, die die Annahme rechtfertigen, dass die Person eine auslieferungsfähige strafbare Handlung begangen hat. Das bedeutet, dass für Verwahrungs- und Auslieferungshaft dieselbe Verdachtslage vorausgesetzt wird. Eine Verdichtung zu einem dringenden Tatverdacht1360, wie es nach der StPO für die Begründung der U-Haft erforderlich ist, wird nicht verlangt, da die Auslieferungshaft aufgrund derselben Unterlagen wie die Verwahrungshaft beurteilt wird und diese Unterlagen für den Verdacht sprechen.1361 Die Verhängung der Auslieferungshaft setzt aber eine richterliche Vernehmung des Verdächtigen zur Sache voraus, wodurch ihm nicht nur eine Möglichkeit zur Entkräftung des Tatvorwurfes geboten wird, sondern er auch sonst durch sein Vorbringen an der Zulässigkeit der Auslieferung erhebliche Zweifel wecken kann.1362 Im Zuge dieser ersten richterlichen Vernehmung im Zuge der Haftentscheidung ist der Betroffene ebenso über sein Schweigerecht sowie sein Recht, sich zuvor mit einem Verteidiger zu besprechen, zu belehren. Wird über den Betroffenen die Auslieferungshaft verhängt, so stellt dies einen Fall der notwendigen Verteidigung dar.1363 Zudem ist er darauf hinzuweisen, dass ihm ein Antragsrecht auf die Durchführung einer Verhandlung über die Zulässigkeit der Auslieferung zusteht.1364 Eine Antragsfrist besteht hierfür nicht. Gem § 32 Abs 1 ARHG kann sich der Betroffene bereits aufgrund eines ausländischen Ersuchens um Verhängung der Auslieferungshaft mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklären, dh er kann der Auslieferung zustimmen und sich bereit erklären, ohne förmliches Auslieferungsverfahren an den Staat, der das Fahndungsersuchen gestellt hat, übergeben zu werden.1365 Damit verzichtet er zudem auf den Spezialitätsschutz.1366 In § 32 1360
1361 1362 1363
1364
1365
Dazu Venier, Untersuchungshaft 14 ff, Reindl, Untersuchungshaft 75 ff, Bertel/Venier, StPO8 Rz 402. Schwaighofer, Auslieferungsrecht 141. Vgl OGH 14 Os 161/98. Auch in der Verhandlung über die Zulässigkeit der Auslieferung besteht Verteidigerzwang. Zur Zulässigkeitsentscheidung nach oder ohne vorherige Verhandlung siehe unten Abschnitt 1.VI.F.3.3. und Abschnitt 1.VI.F.3.4. Zur vereinfachten Auslieferung ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 164 ff.
278
Die Auslieferungshaft
Abs 1 ARHG heißt es weiter, dass der inhaftierte Betroffene erst in der ersten Haftverhandlung eine wirksame Zustimmung abgeben kann und dass die Einwilligung jedenfalls erst rechtsgültig wird, wenn sie gerichtlich zu Protokoll gegeben wird. Dahinter steht die Überlegung, dass der Betroffene diesfalls keine übereilte Entscheidung trifft und sich jedenfalls mit seinem Verteidiger darüber besprechen kann.1367 Das bedeutet, das der Betroffene zum Zeitpunkt dieser ersten richterlichen Vernehmung anlässlich der Entscheidung über die Haftverhängung nur dann eine wirksame Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung abgeben könnte, wenn der U-Ri nach der Vernehmung wegen mangelnden Tatverdachts oder fehlender Haftgründe von der Verhängung der Auslieferungshaft absieht. Praktisch wird der U-Ri den Betroffenen bei der Vernehmung über die vereinfachte Auslieferung informieren, ihn aber gleichzeitig darüber belehren, dass eine wirksame Entscheidung erst in der folgenden ersten Haftverhandlung abgegeben werden kann. 2. Haftgründe Neben dem Tatverdacht ist für die Verhängung der Auslieferungshaft das konkrete Vorliegen eines Haftgrundes nach § 180 Abs 2 StPO notwendig, dh es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme der Flucht-, Verdunkelungs- oder Tatbegehungsgefahr sprechen. Soll die Auslieferungshaft wegen eines mit mindestens 10 Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechens verhängt werden, so stellt dies wiederum einen Fall der bedingt-obligatorischen U-Haft dar, bei der das Vorliegen der Haftgründe gesetzlich vermutet wird (§ 180 Abs 7 StPO). Naturgemäß stellt die Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO den vorrangigen Haftgrund bei Auslieferungssachverhalten dar, doch wird diese nicht notwendig durch die Annahme der Flucht aus dem Verfolgungsland begründet. Zur Beurteilung der Fluchtgefahr ist insb § 180 Abs 3 StPO heranzuziehen, wonach die soziale Integration des Verdächtigen, dh ein fester Wohnsitz im Inland und geordnete Lebensverhältnisse,1368 die Fluchtgefahr ausschließt, wenn diesem eine mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat vorgeworfen wird.1369 Die soziale Integration liegt vor, wenn der Ausländer im Inland einen ordentlichen Wohnsitz hat, einer legalen Beschäftigung nachgeht und der Aufenthalt im Inland nicht erst von kurzer Dauer ist. So ist nach der Rsp zB keine Fluchtgefahr gegeben, wenn der Verdächtige, der vor knapp 2 Jahren aus dem Ausland geflohen ist, einen amtsbekann-
1366 1367 1368 1369
Dazu oben Abschnitt 1.III.D. EBRV 33 BlgNR XX. GP 70. Dazu ausführlich Venier, Untersuchungshaft 46 ff, Bertel/Venier, StPO8 Rz 407. Schwaighofer, Auslieferungsrecht 142, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 404.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
279
ten Wohnsitz und zum Zeitpunkt der Festnahme als Hilfsarbeiter und Kraftfahrer ein geregeltes Einkommen hat.1370 Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 StPO spielt eine untergeordnete Rolle, da wohl nur selten die Gefahr besteht, dass der Verdächtige im Ausland Zeugen beeinflussen oder Spuren der Tat vernichten wird.1371 Daneben bestehen noch die Haftgründe der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a bis c StPO und der Tatausführungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit d StPO.1372 Die Auslieferungshaft wegen Tatbegehungsgefahr setzt voraus, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Verdächtigte im ersuchten Staat ungeachtet des Auslieferungsverfahrens eine Tat gegen dasselbe Rechtsgut begehen wird, und dass eine der Bedingungen der lit a bis c des § 180 Abs 2 Z 3 StPO vorliegt. Dh bei Vorwurf einer Straftat mit schweren Folgen gegen einen Unbescholtenen muss eine ebensolche Tat mit schweren Folgen gegen dasselbe Rechtsgut zu erwarten sein, bei erfolgter Verurteilung wegen einer Tat mit nicht bloß leichten Folgen die Erwartung der entsprechenden Tat und bei bereits zweimaliger Verurteilung zu einer Tat die Gefahr der Wiederholung dieser Tat. Die notwendigen Hinweise zur Beurteilung dieser Voraussetzungen müssen sich aus den Auslieferungsunterlagen ergeben. Der Wegfall der Gelegenheit zur Tatausführung kann die Begehungsgefahr gem § 180 Abs 3 Satz 3 StPO ausschließen,1373 was bei Auslieferungssachverhalten unbedingt zu berücksichtigen ist. Va die Tatausführungsgefahr wird aufgrund des Wegfalls der Gelegenheit im ersuchten Staat fast immer auszuschließen sein, da der Verdächtige im Ausland (dh im ersuchten Staat) selten die Möglichkeit haben wird, die versuchte oder angedrohte Handlung auszuführen. Auch Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr können im Einzelfall bei sozialer Integration des Verdächtigen ausgeschlossen werden; insofern ist die Regelung des § 180 Abs 3 StPO bezüglich der Fluchtgefahr auch hier bedeutsam.1374 Wie die U-Haft darf auch die Auslieferungshaft nicht verhängt werden, wenn ihr Zweck ebenso durch die in § 180 Abs 5 StPO aufgezählten gelin-
1370 1371
1372
1373 1374
OGH 11 Os 107/92 zitiert in Venier, Untersuchungshaft 57. Schwaighofer, Auslieferungsrecht 142. Kritisch zur Verdunkelungsgefahr als Grund für die U-Haft Venier, Untersuchungshaft 77 ff. Dazu ausführlich Venier, Untersuchungshaft 93 ff, Bertel/Venier, StPO8 Rz 409, Reindl, Untersuchungshaft 79 ff. Dazu Bertel/Venier, StPO8 Rz 411, Venier, Untersuchungshaft 118 f. Venier, Untersuchungshaft 122, Reindl, Untersuchungshaft 82, Schwaighofer, RZ 1982, 29, Bertel, AnwBl 1981, 203.
280
Die Auslieferungshaft
deren Mittel erreicht werden kann.1375 Insb die Kaution, das Gelöbnis, die Weisung sowie die Abnahme der Papiere erscheinen hier sinnvoll.1376 Gleichfalls ist die Haft gem § 29 Abs 2 ARHG nicht zu verhängen, wenn der Haftzweck durch die gleichzeitige Verhängung der U-Haft wegen einer der österreichischen Gerichtsbarkeit unterstehenden Tat oder der Strafhaft erreicht werden könnte.1377 Eine verwaltungsbehördliche Strafhaft, insb die Schubhaft, kann die Auslieferungshaft nicht ersetzen. Da die Auslieferung Vorrang vor der Abschiebung hat, muss das Gericht die nach dem FremdenG zuständige Behörde bereits vor Einleitung des konkreten Auslieferungsverfahrens verständigen, wonach sich die Praxis allerdings nicht zu richten scheint.1378 3. Verhältnismäßigkeit Auch die Auslieferungshaft ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit1379 gekoppelt. § 180 Abs 1 StPO verbietet die U-Haft, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht. Hinweise zur Bedeutung der Sache können gegebenenfalls aus den Auslieferungsunterlagen entnommen werden. Fraglich ist, ob sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung an der im ersuchenden oder im ersuchten Staat zu erwartenden Strafe zu orientieren hat. Für beide Varianten lassen sich Argumente vorbringen. Zunächst ist für die Zulässigkeit der Auslieferung das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit notwendig, insofern wird nicht nur auf die im ersuchenden Staat, sondern auch auf die im ersuchten Staat angedrohte Strafe Bedacht genommen. Keine Problemstellungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit ergeben sich naturgemäß, wenn die Strafrahmen in beiden Staaten ähnlich sind. Die Tatsache, dass die Strafverfolgung und damit Aburteilung im ersuchenden Staat stattfindet, spricht dafür, die nach dessen Recht zu erwartende Strafe als Maßstab zu verwenden, insb in den Fällen der Auslieferungshaft zum Zwecke der Strafvollstreckung. Dagegen spricht aber, dass die Ausliefe-
1375
1376
1377 1378
1379
OLG Innsbruck 7 Bs 140/00; Schwaighofer, Auslieferung 142, Linke, Grundriss 77, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 404. Dies gilt auch in den Fällen der quasi-obligatorischen Haft, Fabrizy, StPO9 § 180 Rz 3a, konkludent Bertel/Venier, StPO8 Rz 413. Kaution und Gelöbnis können nach § 190 Abs 1 StPO nur die Fluchtgefahr ersetzen. Zu den gelinderen Mitteln siehe Bertel/Venier, StPO8 Rz 414 f. Dazu ausführlich Schwaighofer, Auslieferung 143 f. Siehe § 25 Abs 1 Z 5 ARHV, der noch von den Behörden nach dem nicht mehr geltenden Fremdenpolizeigesetz spricht. Zur Umgehung der Auslieferung durch die Abschiebung siehe oben Abschnitt 1.V.A. Dazu ausführlich Venier, Untersuchungshaft 137 ff; vgl auch OLG Karlsruhe NJW 2005, 1206 f. Zur (Un)verhältnismäßigkeit bei verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren bei Zuständigkeit des Einzelbeamten siehe Scheil, ÖStZ 1997, 21 f.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
281
rungshaft nicht im ersuchenden, sondern im ersuchten Staat vollzogen wird. Sie geschieht zwar als Hilfestellung für einen anderen Staat, stellt aber dennoch eine Freiheitsentziehung nach dem Recht des ersuchten Staates dar, weshalb sie sich auch im Rahmen dessen gesetzlicher Vorschriften zu bewegen hat. Insb in den Fällen, in denen sich eine U-Haft im ersuchten Staat wegen der nach dessen Recht zu erwartenden geringen Strafe unter keinen Umständen rechtfertigen lässt, ist nicht einsichtig, warum dies nicht auch für die Auslieferungshaft zu gelten hat. Praktisch wird sich dieses Problem in all jenen Fällen kaum stellen, in welchen die qualifizierte beiderseitige Strafbarkeit eine Auslieferungsvoraussetzung darstellt, da damit eine gewisse Mindestschwere nach beiden Rechtsordnungen verlangt wird. Besteht jedoch ein krasses Missverhältnis und würde die Strafdrohung im ersuchten Staat wegen ihrer Geringfügigkeit eine Haft keineswegs rechtfertigen – eine Hypothese, die sich selten bewahrheiten wird – so darf die Haft nicht verhängt werden.1380 Aus den Bestimmungen des ARHG, die eine subsidiäre Geltung der strafprozessualen U-Haftbestimmungen vorsieht, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Die gerade aufgestellte Hypothese kann aber bei Übergaben nach dem RB-HB bzw EU-JZG praktische Bedeutung erlangen, denn dort wird hinsichtlich 32 „Straftaten“1381 auf die beiderseitige Strafbarkeit verzichtet. Dh es besteht die Möglichkeit, dass ein Europäischer Haftbefehl wegen einer Tat ausgestellt wurde, die nach dem StGB gar nicht strafbar ist. Insofern wird die besprochene Verhältnismäßigkeitsprüfung negativ ausfallen. Gem Art 12 RB-HB „entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates in Haft zu halten ist“. Dh für die Übergabehaft1382 ist alleine das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates maßgeblich. Ein Absehen von der Haft ist im RB-HB ausdrücklich vorgesehen, setzt aber im Fall des Haftgrundes der Fluchtgefahr voraus, dass erforderliche Maßnahmen zur Verhinderung der Flucht getroffen werden. Dies muss wohl bedeuten, dass nach österreichischem Recht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden hat und dabei auch das in Österreich zu erwartende Strafmaß zu berücksichtigen ist. Da die Verhältnismäßigkeit der Übergabehaft bei einer in Österreich straflosen Handlung nicht gegeben ist, müsste deren Zulässigkeit verneint werden. Davon abgesehen ist die Festnahme und Haft zur (tatsächlichen) zwangsweisen Übergabe notwendig und zulässig, da sich die Übergabe an den Ausstellungsstaat auf andere Weise praktisch nicht durchführen lässt.
1380 1381 1382
Schwaighofer, Auslieferung 145; aM Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 405. Siehe dazu FN 581. In der vorliegenden Arbeit wird im Verfahren nach dem RB-HB dieser Terminus anstatt des Begriffs „Auslieferungshaft“ verwendet.
282
Die Auslieferungshaft
Aufgrund des ebenfalls subsidiär anwendbaren § 193 Abs 2 StPO ist auch die Fortdauer der Auslieferungshaft unzulässig, wenn sie im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe unangemessen lang dauert.1383 Unter Bedachtnahme auf beide Rechtsordnungen ist folgende Richtlinie vorzuschlagen: Beträgt die Haft bereits drei Viertel der im ersuchenden Staat zu erwartenden Strafhaft, so wäre eine länger andauernde Anhaltung unangemessen.1384 Entspricht die Dauer der bisherigen Anhaltung bereits der im ersuchten Staat vorgesehen Strafdrohung, so ist ebenfalls von einer unangemessenen Haft auszugehen. 4. Formelle Voraussetzungen und Haftprüfungsverfahren Über die Verhängung der Auslieferungshaft entscheidet der zuständige U-Ri mit Beschluss.1385 Er hat den Betroffenen zuvor zur Sache zu vernehmen. Mit Verhängung der Auslieferungshaft ist nach § 29 Abs 4 ARHG entsprechend der U-Haft ein Pflichtverteidiger für den Betroffenen zu bestellen, sofern nicht sonst ein Verteidiger beauftragt wurde. Ebenso wie die U-Haft ist auch die Auslieferungshaft an die in § 180 Abs 2 StPO geregelten Haftfristen geknüpft, vor deren Ablauf der U-Ri über die Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft jeweils in einer Haftverhandlung in Anwesenheit des StA, des Betroffenen und seines Verteidigers nach § 182 StPO zu entscheiden hat.1386 Zum Zeitpunkt der ersten Haftverhandlung kann der Betroffene bereits wirksam in die vereinfachte Auslieferung1387 einwilligen, womit er der Auslieferung zustimmt und auf ein förmliches Auslieferungsverfahren und damit auch auf die Spezialität verzichtet. Bemerkenswert ist, dass diese Zustimmung schon zu einem Zeitpunkt abgegeben werden kann, zu dem noch nicht einmal ein Auslieferungsersuchen vorliegt.1388 Die Haftfrist entfällt, wenn der U-Ri nach § 31 ARHG über die Zulässigkeit der Auslieferung mit Beschluss entscheidet oder der Betroffene der vereinfachten Auslieferung nach § 32 ARHG zustimmt. Ab diesem Zeitpunkt finden gem § 29 Abs 5 ARHG keine Haftverhandlungen mehr von 1383 1384
1385 1386 1387 1388
Dazu auch unten Abschnitt 1.VI.E.5. Venier, AnwBl 2004, 14, ders, Untersuchungshaft 148, Bertel/Venier, StPO8 Rz 427, Schneider, AnwBl 1990, 225; aM Fabrizy, StPO9 § 193 Rz 1, der unter Berufung auf die Rsp verlangt, dass die U-Haft das zu erwartende Ausmaß der Strafhaft zweifelsfrei erreicht. Zur örtlichen Zuständigkeit siehe oben Abschnitt 1.VI.C. Dazu ausführlich Bertel/Venier, StPO8 Rz 432 ff. Ausführlich dazu Schwaighofer, Auslieferung 164 ff. Dies war noch bis zum StRÄG 1996 (BGBl 762/1996) unzulässig, mit guten Gründen für die alte Regelung Schwaighofer, Auslieferung 164 f. Zur Neuregelung vgl Schwaighofer, ÖJZ 1997, 20.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
283
Amts wegen statt. Dh der Betroffene kann in beiden Fällen bis zur tatsächlichen Übergabe ohne weitere Haftverhandlungen in Haft gehalten werden. ME wäre es sinnvoller, den Entfall der Haftprüfung an die Bewilligungsentscheidung des BMJ zu knüpfen. Erst ab diesem Zeitpunkt sollte die Auslieferungshaft in die sog Überstellungshaft übergehen, die der Bewerkstelligung der tatsächlichen Übergabe dient.1389 5. Dauer der Auslieferungshaft Die Auslieferungshaft ist vor Ablauf einer Haftfrist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Das kann einerseits im Wegfall des oder der Haftgründe oder in der Anwendbarkeit gelinderer Mittel liegen, andererseits darin, dass der Verdacht der Begehung einer auslieferungsfähigen Handlung wegfällt oder die Auslieferung sonst aus bestimmten Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.1390 So ist die Auslieferungshaft aufzuheben, wenn sich erhebliche Zweifel darüber ergeben, dass der Betroffene die Auslieferungstat tatsächlich begangen hat, oder wenn das Vorliegen eines Auslieferungshindernisses Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung aufwirft.1391 Die Auslieferungshaft ist – wie bereits ausgeführt1392 – an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geknüpft. Dauerte sie im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe unverhältnismäßig lange, so ist sie in Anwendung des § 193 Abs 2 StPO aufzuheben.1393 Die maximale Dauer der Auslieferungshaft nach § 29 Abs 6 ARHG ist der der U-Haft gem § 194 StPO mit einigen Abweichungen nachgebildet. Sie ist – anders als die U-Haft – unabhängig von den zugrunde liegenden Haftgründen grundsätzlich auf 6 Monate beschränkt.1394 Eine Überschreitung dieser Frist um weitere 6 Monate, dh auf insgesamt maximal 1 Jahr, darf nur dann angeordnet werden, wenn dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder des besonderen Umfanges des Verfahrens unvermeidbar ist und es sich bei dem Auslieferungsdelikt um ein Verbrechen handelt.1395 Befindet sich der Betroffene aber bereits seit einem Jahr in Auslieferungshaft, ohne dass der BMJ die Auslieferung bewilligte, so ist er jedenfalls zu enthaften.
1389 1390 1391 1392 1393
1394
1395
Siehe § 36 Abs 1 ARHG. OLG Karlsruhe StV 2004, 445; vgl Schwaighofer, Auslieferungsrecht 144. OLG Karlsruhe StV 2004, 445 ff. Oben Abschnitt 1.VI.E.3. Schwaighofer, Auslieferung 145; aM Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 405, die bei der Bemessung der Verhältnismäßigkeit vom Recht des ersuchenden Staates ausgeht. Vgl dazu die absolute Frist von 2 Monaten bei ausschließlich wegen Verdunkelungsgefahr verhängter Untersuchungshaft nach § 194 Abs 1 StPO. Vgl § 194 Abs 2 und 3 StPO.
284
Die Auslieferungshaft
Während die U-Haft in Ausnahmefällen bis zu 2 Jahre dauern darf, gilt also für die Auslieferungshaft die absolute Ein-Jahres-Grenze. Diese „Beschränkung“ im Vergleich zur U-Haft ergibt sich daraus, dass die Auslieferungshaft nicht der Vorbereitung der HV dient und das Verfahren während dieser Zeit nicht anklagereif gemacht werden soll, sondern sie nur der Feststellung der Zulässigkeit der Auslieferung zu einem fremden Strafverfahren dient. Insofern scheint schon die Frist von einem Jahr als hoch gegriffen. Dieser Sinn und Zweck der Auslieferungshaft ist auch bei der Entscheidung über die Fristverlängerung nach Ablauf der ersten 6 Monate zu beachten: Die aus der U-Haft übernommenen Kriterien der besonderen Schwierigkeiten bzw des besonderen Umfanges des Verfahrens können sich bezüglich der Auslieferungshaft nur auf den besonderen Umfang des Auslieferungsverfahrens selbst, nicht aber auf den des dahinter stehenden Strafverfahrens beziehen. Weder das Nichteinlangen des Auslieferungsersuchens noch Mängel in den Unterlagen und fehlende Ergänzungen derselben durch den ersuchenden Staat haben insofern mit der Schwierigkeit oder dem Umfang des Verfahrens, sondern zumeist vielmehr mit Mängeln im ersuchenden Staat zu tun. Diese sollten nicht zu Lasten des Betroffenen gehen.1396 Sind die Mängel in den Unterlagen tatsächlich gravierend, wird oftmals auch die Annahme nicht gerechtfertigt sein, dass die Person eine auslieferungsfähige strafbare Handlung begangen hat, weshalb bereits die Grundlage für die Verhängung der Auslieferungshaft nach § 29 Abs 1 ARHG fehlt. Andernfalls ist bei Bestehen der Auslieferungshaft für die Nachreichung der Unterlagen grundsätzlich eine Frist zu setzen, die eine Verlängerung der Auslieferungshaft über 6 Monat nicht notwendig macht. Das EuAlÜbk sieht in Art 16 Abs 4 für die Stellung des Auslieferungsersuchens und damit für die – nach der Diktion dieses Übk – vorläufige Auslieferungshaft1397 eine Frist von 40 Tagen ab der Verhaftung des Betroffenen vor: Nach erfolglosem Verstreichen dieser Frist muss die Enthaftung angeordnet werden, da widerlegbar1398 vermutet wird, dass der betreffende Staat die Auslieferung doch nicht begehrt.1399 Das RB-HB sieht zwar für das Übergabverfahren Fristen vor, deren Ziel die raschere Abwicklung des Übergabeverfahrens ist, sie sind jedoch bloß als Sollfristen ausgestaltet. Maximale Haftfristen sind dort nicht vorgesehen, weshalb das EU-JZG auf die Fallfristen des § 29 Abs 6 ARHG verweist.1400
1396 1397 1398 1399 1400
Schwaighofer, Auslieferung 146. Dazu oben Abschnitt 1.VI.D.2. Siehe Art 16 Abs 5 EuAlÜbk. Schwaighofer, Auslieferung 145. Dazu auch unten Abschnitt 2.V.D.2.2.3.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
285
6. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen die Auslieferungshaft Gegen die Verhängung der Auslieferungshaft kann der Betroffene in subsidiärer Anwendung des § 179 Abs 5 und Abs 6 StPO innerhalb von 14 Tagen Beschwerde an das OLG erheben. Dieses hat auf der Basis der dem U-Ri zur Verfügung stehenden Unterlagen zu entscheiden. In den vor Ablauf der jeweiligen Haftfristen entsprechend der U-Haft amtswegig durchzuführenden Haftverhandlungen sollte eine Neubeurteilung der Zulässigkeit der Auslieferungshaft vorgenommen und aufgrund dessen ihre Aufhebung oder Fortsetzung beschlossen werden. Auch dagegen steht dem Betroffenen gem § 182 Abs 4 StPO innerhalb dreier Tage die Beschwerde an das OLG offen. Diesfalls hat das Gericht gem § 114 Abs 2 StPO von der Sachlage auszugehen, die sich ihm zur Zeit seiner Beschlussfassung stellt, weshalb neue Umstände zu berücksichtigen sind.1401 Den Haftbeschwerden an das OLG kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Daneben kann der Betroffene jederzeit einen Enthaftungsantrag stellen, über den der U-Ri nach Durchführung einer Haftverhandlung mit bekämpfbarem Beschluss zu entscheiden hat.1402 Nach Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges steht dem Betroffenen noch der Rechtsbehelf der Grundrechtsbeschwerde wegen der Verletzung seines Grundrechts auf persönliche Freiheit an den OGH zu.1403 Die Grundrechtsverletzung kann nach § 2 Abs 1 GRBG darin bestehen, dass die Haft in Hinblick auf den Zweck der Maßnahme oder wegen ihrer Dauer unverhältnismäßig war, dass die Haftvoraussetzungen – wie die Haftgründe oder der hinreichende Verdacht, dass die Person eine der Auslieferung unterliegende Straftat begangen hat, die Anlass zur Auslieferung gibt – unrichtig beurteilt, oder das Gesetz sonst unrichtig angewandt wurde. 7. Entschädigung Grundsätzlich steht dem Betroffenen bei rechtswidriger Verwahrungs- oder Auslieferungshaft ein Entschädigungsanspruch nach § 2 Abs 1 StEG zu.1404 Die Gesetzwidrigkeit muss sich aus dem rechtswidrigen Verhalten des inländischen Gerichtes ergeben. Führt das nach der Auslieferung im ersuchenden Staat durchgeführte Strafverfahren nicht zu einer Verurteilung, so ergibt sich alleine daraus noch kein Entschädigungsanspruch. Umgekehrt haftet die Republik gem § 2 Abs 1 letzter Satz StEG in den Fällen, in denen die Auslieferungshaft im Ausland durch ein gesetzwidriges Auslieferungsersuchen eines österreichischen Gerichtes bedingt wurde. 1401 1402 1403 1404
Bertel/Venier, StPO8 Rz 440. § 193 Abs 5 StPO, Bertel/Venier, StPO8 Rz 436. OGH JSt 2004/35, 14 Os 161/98; Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 435. OGH 12 Os 64/93 zitiert in Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 435 FN 135.
286
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
F. Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens Das eigentliche Auslieferungsverfahren ist in einen gerichtlichen und einen verwaltungsbehördlichen Teil gegliedert. Der gerichtliche, in dem nach der Diktion des Gesetzes über die Zulässigkeit der Auslieferung entschieden wird, ist in den §§ 30 ff ARHG geregelt. Gem §§ 34 f ARHG kommt schließlich dem BMJ die Entscheidung über die Bewilligung oder Ablehnung des Ersuchens zu, wobei ihn ein gerichtlicher Unzulässigkeitsbeschluss zur Ablehnung der Auslieferung verpflichtet. 1. Vorprüfung durch das BMJ Auslieferungsersuchen werden im diplomatischen Weg über das BMA oder direkt beim BMJ gestellt. Dort hat gem § 30 ARHG eine Vorprüfung stattzufinden, anhand welcher über die Weiterleitung an das zuständige Gericht oder eine a limine-Zurückweisung entschieden wird. Ein Ersuchen ist zurückzuweisen, wenn es sich nicht „zur gesetzmäßigen Behandlung“ eignet. Diese Formulierung stellt va auf Formalmängel ab, die insb darin bestehen können, dass das Ersuchen keine bestimmte Straftat nennt oder wesentliche Unterlagen fehlen.1405 Erscheinen die Mängel verbesserungsfähig, so kann der BMJ den ersuchenden Staat unter Bestimmung einer Frist zur Behebung der Mängel auffordern. Zudem hat der BMJ das Ersuchen nach ausdrücklicher Vorgabe des § 30 ARHG zurückzuweisen, wenn die Auslieferung die „öffentliche Ordnung“ oder „andere wesentliche Interessen der Republik Österreich“ (§ 30 verweist insofern auf § 2 ARHG) verletzte oder die Gegenseitigkeit (§ 3 ARHG) fehlte. Dabei hat der BMJ ausschließlich auf allgemeine politische, nicht aber die Rechtsstellung des Auszuliefernden betreffende Erwägungen einzugehen, da deren Überprüfung seit dem VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/20021406 und dem darauf folgenden StRÄG 2004, welches am 1.5.2004 in Kraft trat,1407 ausschließlich in die Zuständigkeit der Gerichte fällt.1408 Das bedeutet, dass die „öffentliche Ordnung“ insofern nicht als regionaler ordre public zu verstehen ist,1409 dh es wird damit nicht auf die Rechtsstaatlichkeit und die in Österreich verfassungsgesetzlich gewährleistenden Grundrechte abgestellt, da deren Beurteilung in die gerichtliche Prüfungskompetenz fällt und eine gleichzeitige Zuständigkeit des BMJ gegen den Grundsatz der Gewaltentei1405 1406 1407 1408 1409
Schwaighofer, Auslieferung 148, Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht 406. =JBl 2003, 437. BgBl I 15/2004. EBRV 294 BlgNR XXII. GP 33. Zum ordre public oben Abschnitt 1.I.B.5.3. zur Interpretation des § 2 ARHG oben Abschnitt 1.IV.C.1.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
287
lung verstieße. Der BMJ hat vielmehr politische Aspekte der öffentlichen Ordnung zu beurteilen, zB Sicherheitsüberlegungen anzustellen.1410 Eine Ablehnung hat nach Ansicht Schwaighofers auch dann zu erfolgen, wenn der BMJ sonst vom Vorliegen bestimmter Auslieferungshindernisse geradezu überzeugt ist, da eine zusätzliche Befassung der Gerichte in einem entsprechend klaren Fall sinnwidrig sei.1411 Dem ist inhaltlich zu zustimmen, doch wirft dieser Vorschlag eine Frage der Gewaltenteilung auf, da die Prüfung der Auslieferungshindernisse in die Zuständigkeit der Gerichte fällt und insofern beide Entscheidungsträger dasselbe zu beurteilen hätten.1412 Eine Lösung kann sich unter Heranziehung das VfGH Erkenntnisses VfSlg 10.476/1985 ergeben, in dem ausgesprochen wurde, dass es unvermeidlich sei, dass Verwaltungsbehörden Vorfragen beurteilen, deren Lösung als Hauptfrage den Gerichten obliegt. Die Vorprüfung durch den BMJ kann als solche beurteilt werden. Schließlich sind auch die Ministerien an das Recht, dh insb an das Gesetz und die Verfassung gebunden. 2. Das Auslieferungsersuchen Das Auslieferungsersuchen, dh die förmliche Bitte um Übergabe des Betroffenen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung, bildet die Grundlage für die Durchführung des Auslieferungsverfahrens. Gem § 35 ARHG hat dieses das Original oder eine Kopie des gerichtlichen Haftbefehls, einer Urkunde von gleicher Wirksamkeit oder eine vollstreckbare verurteilende Entscheidung zu enthalten. Um dem Gericht die Prüfung der materiellen Auslieferungsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit zu ermöglichen, ist die vorgeworfene Tat ausreichend zu individualisieren und zu konkretisieren. Das Gericht muss insofern in die Lage versetzt werden, die Tat nach dem eigenen Recht zu beurteilen. Beweise, die die Tatbegehung durch den Verdächtigen belegen, müssen im kontinentaleuropäischen Auslieferungsrecht nicht notwendig beigebracht werden, da idR keine Schuldverdachtsprüfung stattfindet, sondern nach dem formellen Prüfungsprinzip vorgegangen wird.1413 ME ist es aber notwendig, dass das Ersuchen neben der Sachverhaltsdarstellung eine schlüssige Begründung bzw eine Nennung der im ersuchenden Staat vorlie-
1410
1411 1412 1413
§ 34 Abs 1 ARHG, der die Bewilligungsentscheidung des BMJ regelt, stellt ausdrücklich nur auf die Interessen der Republik Österreich ab, während die öffentliche Ordnung dort nicht genannt ist. Um Missverständnissen vorzubeugen, hätte man im Zuge des StRÄG 2004 mE auch den in § 30 ARHG enthaltenen Verweis auf § 2 AHRG ausdrücklich auf die wesentlichen Interessen der österreichischen Republik beschränken müssen. Schwaighofer, Auslieferung 148. Vgl VfGH JBl 2003, 437. Siehe dazu unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1.
288
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
genden Beweise, auf die sich der Haftbefehl stützt, enthält.1414 Dies dürfte keine besonderen Schwierigkeiten bedeuten. In den meisten Fällen wird der Haftbefehl eine entsprechende Begründung enthalten.1415 Bestehen Bedenken an der Schuld des Betroffenen, so kann der ersuchende Staat zur Nennung und Beibringung von Beweisen aufgefordert werden.1416 Auf das Vorliegen der Strafbarkeit nach dem Recht des ersuchenden Staates wird im Allgemeinen vertraut, doch muss zur Feststellung der Schlüssigkeit des Auslieferungsersuchens auch eine rechtliche Würdigung der Tat, dh eine Subsumtion des Sachverhaltes unter das Recht des ersuchenden Staates, enthalten sein, weshalb die einschlägigen Gesetzestexte zur Erleichterung im Wortlaut wiederzugeben sind.1417 3. Das Verfahren vor dem U-Ri Das Auslieferungsersuchen wird von BMJ an den zuständigen U-Ri weitergeleitet, der seit dem StRÄG 2004 nun nicht mehr bloß eine Empfehlung an das OLG abgibt, sondern neben der Entscheidung über die Auslieferungshaft auch selbst in erster Instanz über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidet.1418 3.1. Doppelzuständigkeit des U-Ri Es ist kurz auf die Doppelzuständigkeit des U-Ri einzugehen, die sich daraus ergibt, dass der U-Ri nunmehr nicht nur zur Entscheidung über die Auslieferungshaft, sondern auch über die Zulässigkeit der Auslieferung selbst berufen ist. Zunächst ist festzustellen dass eine solche doppelte Entscheidungsbefugnis innerhalb eines Strafverfahrens sowohl mit dem Anklage-1419 als auch mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz1420 und der in Art 6 EMRK geforderten Unparteilichkeit des Gerichts unvereinbar wäre. Eine Verletzung dieser Grundsätze kann mit dem Argument verneint werden, dass das Auslieferungsverfahren selbst kein Strafverfahren darstellt, sondern es als Hilfestellung für eine fremde Strafverfolgung anzusehen ist und der U-Ri hier nur „vorbereitend“ tätig wird. Ausschlaggebend ist wohl, dass die Tatverdachtsprüfung nach dem geltenden Recht anlässlich der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung im Unterschied zu Strafverfahren und U-Haft nicht über die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts anlässlich der Ver-
1414 1415 1416 1417 1418 1419 1420
Dazu unten Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Vgl für Österreich § 179 Abs 4 Z 4 StPO. Vgl § 33 Abs 2 ARHG, Schwaighofer, Auslieferung 148. Schwaighofer, Auslieferung 149. Dazu Rosbaud, in IRG, ARHG § 31 Rz 1 ff. Bertel/Venier, StPO8 Rz 20. Bertel/Venier, StPO8 Rz 69.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
289
hängung der Auslieferungshaft hinausgeht. Denn die Prüfung der Schuld oder Unschuld des Betroffenen erfolgt im ersuchenden Staat. Daneben hätte die passendere und historisch nicht systemfremde Möglichkeit bestanden, die Ratskammer als Entscheidungsorgan erster Instanz und das OLG als Beschwerdegericht einzusetzen.1421 Damit wäre eine saubere und daher zu befürwortende Lösung gewählt worden. Sie ist aber (ab 1.1.2008) insofern nicht mehr praktikabel, als das Strafprozessreformgesetz die Ratskammer abschafft.1422 Im 2. Abschnitt werden Änderungsvorschläge hinsichtlich des EU-JZG diskutiert.1423 Uneingeschränkt zu befürworten ist die Einsetzung des OLG als Rechtsmittelgericht. Es kann als zweite Tatsacheninstanz neu entscheiden, womit dem Betroffenen ein wirkungsvolles Rechtsmittel in die Hand gegeben wurde. Gerade die wirksame Überprüfbarkeit der Zulässigkeitsentscheidung durch eine übergeordnete Instanz stellt die vorrangige Forderung des VfGH Erkenntnisses VfSlg 16772/20021424 dar. Innerhalb der sich aus der Systematik der StPO bietenden Möglichkeiten stellt das gewählte Gericht eine sinn- und auch wirkungsvolle Rechtsmittelinstanz dar. 3.2. Vernehmung des Betroffenen zum Ersuchen Zunächst hat der U-Ri den Betroffenen gem § 31 Abs 1 iVm § 29 Abs 3 ARHG zur Sache zu vernehmen. Ab diesem Zeitpunkt ist insb eine Beschränkung der Akteneinsicht gem § 9 Abs 2 ARHG iVm § 45 Abs 2 StPO nicht mehr zulässig. War hinsichtlich des Betroffenen zuvor nicht über die Auslieferungshaft zu entscheiden, so stellt dies seine erste gerichtliche Vernehmung zur Sache dar, auf die die Bestimmungen des § 29 Abs 3 AHRG anzuwenden sind. Dh der Betroffene ist auf sein Schweigerecht, sein Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen, und sein Recht auf Abhaltung einer Verhandlung zur Entscheidung über die Auslieferung zu belehren. Der Betroffene kann zu diesem Zeitpunkt auch einer vereinfachten Auslieferung zustimmen.1425 Verlangt er die Durchführung einer Verhandlung, so ist diese gem § 31 Abs 3 ARHG iVm § 221 StPO so anzuordnen, dass eine Vorbereitungszeit von mindestens 8 Tagen gewahrt bleibt.
1421
1422 1423 1424 1425
Bis zum StRÄG 1996 fiel der Ratskammer die Aufgabe zu, die Auslieferungsunterlagen, nach Vernehmung des Betroffenen durch den U-Ri zum Ersuchen, an das OLG vorzulegen und dabei eine Empfehlung hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung abzugeben. Bertel/Venier, Einführung2 Rz 39. Abschnitt 2.III.C.2. und Abschnitt 2.V.A. =JBl 2003, 437. Dazu oben Abschnitt 1.VI.E.1. und Abschnitt 1.VI.E.4.
290
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
Wurde der Betroffene anlässlich der Entscheidung über die Auslieferungshaft bereits nach § 29 Abs 3 ARHG vernommen, so stellt sich die Frage, ob diese Vernehmung zu wiederholen ist. Der Gesetzestext ist nicht eindeutig und auch die Materialien nehmen dazu nicht ausdrücklich Stellung. Die Notwendigkeit der neuerlichen Vernehmung des Betroffenen besteht jedenfalls in den Fällen, in denen er bisher noch keinen Antrag auf Durchführung einer Auslieferungsverhandlung gestellt hat. Diese Möglichkeit muss ihm offen bleiben, wofür auch die Systematik des § 31 Abs 1 ARHG spricht. Die Materialien weisen zunächst darauf hin, dass ein solcher Antrag entweder gleich bei der ersten Vernehmung (zur Haft) oder nach Vorliegen der Auslieferungsunterlagen vom Verteidiger erhoben werden kann, stellen dann aber ausdrücklich fest, dass auf eine Befristung dieses Antrages verzichtet wurde.1426 Später heißt es ausdrücklich, dass ein solcher Antrag bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit oder Durchführung einer Verhandlung gestellt werden kann.1427 Eine neuerliche Vernehmung zur Sache unter Rechtsbelehrung scheint daher sinnvoll. Hat der Betroffene bereits zum damaligen Zeitpunkt die Abhaltung der Verhandlung verlangt, so könnte die Vernehmung ebenso in dieser Verhandlung über die Zulässigkeit der Auslieferung stattfinden. Eine neuerliche Vernehmung des Betroffenen ist aber auch hier notwendig. Denn damit wird dem Betroffenen nach Vorliegen des Ersuchens nochmals Gelegenheit gegeben, zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen und Umstände vorzubringen, die auf eine Unzulässigkeit der Auslieferung hinweisen.1428 Zu diesem Zeitpunkt ist eine umfassendere Stellungnahme möglich. Daneben kann sich auch aufgrund einer Ergänzung der Unterlagen durch den ersuchenden Staates eine inhaltlich verbesserte Aktenlage ergeben und eine weitere Vernehmung dazu sinnvoll sein. Entscheidet sich der U-Ri schon zu diesem Zeitpunkt gegen die Auslieferung, so wird eine weitere Verhandlung unnötig. Denn der U-Ri kann die Auslieferung ungeachtet eines Antrags auf Durchführung einer Verhandlung stets für unzulässig erklären.1429 Dagegen lässt sich vorbringen, dass das Auslieferungsverfahren möglichst zügig durchzuführen ist und sich dieselben verbesserten Feststellungen auch in der Verhandlung vornehmen lassen, die schließlich zur Entscheidung über die Auslieferung führen. Die Vernehmung des Betroffenen ist in diesem Stadium aber als eine Rechtschutzeinrichtung zu verstehen, die aus diesem Grunde unverzichtbar ist.
1426 1427 1428 1429
EBRV 294 BlgNR XXII. GP 31. EBRV 294 BlgNR XXII. GP 32. Zur Bestimmung des § 31 Abs 1 ARHG nach der alten Rechtslage. § 31 Abs 2 ARHG.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
291
3.3. Die Entscheidung ohne Durchführung einer Verhandlung Der U-Ri kann über die Zulässigkeit der Auslieferung ohne Abhaltung einer Verhandlung entscheiden, wenn er diese nicht als notwendig erachtet und weder der Betroffene noch der StA deren Durchführung beantragt hatten. Zudem setzt dies nach § 31 Abs 2 ARHG voraus, dass sowohl dem Betroffenen als auch seinem Verteidiger und dem StA die Gelegenheit geboten wurde, zum Auslieferungsersuchen Stellung zu nehmen. Dies ist so zu verstehen, dass der U-Ri – wenn er nach Vernehmung des Betroffenen gem § 31 Abs 1 ARHG und Studium der Aktenlage davon überzeugt ist, dass eine Verhandlung unnotwendig ist – nochmals allen drei Personen Gelegenheit zur Stellungnahme bieten muss. Dh dem bereits vernommenen Betroffenen ist nochmals die Möglichkeit einzuräumen, sich zum Auslieferungsersuchen zu äußern. Dies ist va insofern von Bedeutung, als bis zur Vernehmung zum Auslieferungsersuchen nach § 31 Abs 1 ARHG die Möglichkeit zu Beschränkung der Akteneinsicht bestand. Daneben sind auch Verteidiger und StA zur schriftlichen Stellungnahme aufzufordern. Der U-Ri trifft seine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung aufgrund der Aktenlage und der Stellungnahmen. Auf die Entscheidungsfindung und die Anfordernisse an dieselbe wird im folgenden Kapitel eingegangen. 3.4. Die Entscheidung in öffentlicher Verhandlung Über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidet der U-Ri nach Durchführung einer Verhandlung, wenn er selbst dies für notwendig erachtet oder eine der Parteien dies beantragte. Die Durchführung einer Verhandlung stellt den Regelfall dar. 3.4.1. Formale Anforderungen an die Verhandlung Befindet sich der Betroffene in Haft, so hat die Verhandlung im Rahmen einer Haftverhandlung stattzufinden. Die Verhandlung ist nach § 33 Abs 3 ARHG so anzusetzen, dass dem Betroffenen eine Vorbereitungsfrist von 8 Tagen garantiert ist.1430 Die Verhandlung über die Zulässigkeit der Auslieferung stellt gem § 31 Abs 3 ARHG iVm § 41 Abs 1 StPO einen Fall der notwendigen Verteidigung dar. Seit dem StRÄG 2004 kann der verhaftete Betroffene durch seinen Verteidiger auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichten, und kann die1430
Diese seit dem StRÄG 2004 (BGBl I 15/2004) nunmehr ausdrücklich auf den Vorgaben des § 221 StPO beruhende Frist gilt daher nicht für den Verteidiger, dieser kann aber bei mangelnder Vorbereitungszeit in der Verhandlung eine Vertagung beantragen, vgl Bertel/Venier, StPO8 Rz 589 mit Verweis auf OGH EvBl 20001/54. Zur alten Rechtslage Schwaighofer, Auslieferung 153.
292
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
se in seiner Abwesenheit durchgeführt werden.1431 In allen anderen Fällen ist die Anwesenheit des Betroffenen zwingend.1432 Die Auslieferungsverhandlung ist öffentlich. Die Öffentlichkeit kann neben den in § 229 StPO vorgesehen Gründen nur ausgeschlossen werden, wenn ansonsten zwischenstaatliche Beziehungen beeinträchtigt würden.1433 3.4.2. Verhandlungsverlauf § 31 Abs 4 ARHG regelt den Gang der Verhandlung: Der U-Ri hat zunächst den Inhalt der vorliegenden Unterlagen und den bisherigen Verfahrensverlauf zu referieren. Danach ist der StA zu hören. Schließlich ist dem Betroffenen und seinem Verteidiger das Wort zu erteilen. Sie haben Gelegenheit, zum Auslieferungsersuchen und den Ausführungen des StA Stellung zu nehmen. Der Betroffene wird sich zu den Auslieferungshindernissen und dem Tatverdacht äußern. Er kann insofern auch ergänzende Erhebungen beantragen. Entlastungsbeweise in Bezug auf den Tatverdacht, die ohne Verzug erhoben werden können, sind zuzulassen. Die Verhandlung kann diesfalls unterbrochen oder vertagt werden. Auf die Prüfungskompetenz des U-Ri wird im folgenden Punkt eingegangen. 3.5. Die Zulässigkeitsentscheidung 3.5.1. Formelles Prüfungsprinzip – Tatverdachtsvermutung Im kontinentaleuropäischen Auslieferungsverfahren gilt das formelle Prüfungsprinzip. Das bedeutet, dass das Gericht die Prüfung der Schuld oder Unschuld des Betroffenen, dh die Begründetheit der Annahme der Tatbegehung, im Allgemeinen nicht selbst anhand eines Beweisverfahrens prüft, sondern von der Begründetheit der im Auslieferungsersuchen angeführten Tatsachen ausgeht.1434 Insofern wird der Beurteilung der Behörden und des Gerichts des ersuchenden Staates vertraut und die Anführung und insb Vorlage der für den Tatverdacht sprechenden Beweise nicht zwingend verlangt. Die umfassende Prüfung der Tatbegehung im Auslieferungsverfahren führte zu einem antizipierten Strafverfahren, was sowohl aus rechtlichen 1431 1432 1433
1434
BGBl I 15/2004. Dazu Schwaighofer, Auslieferung 153. Während nach der Rechtslage vor dem StRÄG 2004 (BGBl I 15/2004) neben den Fällen des § 229 StPO zumindest nach dem Gesetzestext das bloße Verlangen des Betroffenen einen Ausschluss der Öffentlichkeit rechtfertigte, muss dieses Verlangen nunmehr an einen der Gründe des § 229 StPO geknüpft sein. Der in § 229 StPO gewährte Schutz ist mE für die Auslieferungsverhandlung ausreichend. Schwaighofer, Auslieferung 106 ff, Linke, Grundriss 70 f, Zeder, AnwBl 2003, 380, Lagodny, in IRG § 10 Rz 1 ff und 29 ff, Weigend, JuS 200, 109, Vogler, in Spendel FS 873.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
293
Gründen als auch aus praktischen Überlegungen unerwünscht ist.1435 Denn das Auslieferungsverfahren stellt kein Strafverfahren im ersuchten Land dar, weshalb die Beweiswürdigung des ersuchenden Staates nicht vorweggenommen werden soll. Praktisch wäre die Beweiswürdigung auch oft unmöglich, da sich die Beweise nicht im ersuchten, sondern zumeist in dem Staat befinden, der das Strafverfahren gegen den Betroffenen durchführen will. Zudem führte sie zu einer unerwünschten Verzögerung des Auslieferungsverfahrens. Da das Auslieferungsverfahren kein Strafverfahren darstellt, gilt der Grundsatz in dubio pro reo grundsätzlich nicht, daher ist nicht notwendig, dass das Gericht von der Schuld des Betroffenen überzeugt ist. Der Maßstab für den Richter ist nach § 33 Abs 2 ARHG aber der hinreichende Tatverdacht. Dieser ergibt sich nach den Vorstellungen des Gesetzes jedoch bereits aus den Auslieferungsunterlagen. Bestehen dagegen aber erhebliche Bedenken, ist er zu prüfen. Diesfalls kommt es zu einem Abgehen vom rein formellen Prüfungsprinzip. Schwaighofer schlägt daher zu Recht vor, statt des Begriffs des formellen Prüfungsprinzips den der widerlegbaren Tatverdachtsvermutung durch den ersuchten Staat zu verwenden.1436 Zunächst setzt die Tatverdachtsvermutung voraus, dass das Ersuchen bestimmte Mindestanforderungen enthält: Neben dem gerichtlichen Haftbefehl oder der Urkunde von gleicher Wirkung hat es eine Sachverhaltsdarstellung zu enthalten, die die Tat ausreichend konkretisiert und individualisiert. Daraus haben die Verwirklichung der strafbaren Handlung und ihre rechtliche Beurteilung schlüssig hervorzugehen.1437 Ist das Ersuchen so mangelhaft, dass es den Mindestanforderung nicht entspricht, so kann das Ersuchen in jeder Verfahrenslage abgelehnt oder der ersuchende Staat zur Ergänzung der Unterlagen aufgefordert werden. Bestehen für das Gericht sonst „erhebliche Bedenken“ am hinreichenden Tatverdacht, so ist diesen gem § 33 Abs 2 ARHG nachzugehen, und eine Überprüfung durchzuführen, „insbesondere wenn Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte“. Fraglich ist aber, woraus sich diese Bedenken ergeben können. Enthalten die Auslieferungsunterlagen keine schlüssige Begründung, bzw sind dort keine Beweise angeführt, so lässt sich kaum feststellen, ob erhebliche Bedenken bestehen. Nur in dem extremen Fall, wenn den oben genannten Mindestanforderung nicht entsprochen, zB der Sachverhalt nicht genannt wird, oder es sich um einen offensichtlichen Irrtum handelte, ergeben sich eindeutige Zweifel. Ansonsten stellt der Beschuldigte wahrscheinlich das einzige Aufschluss bietende Beweismittel dar, weshalb diesem aber auch nur sehr begrenzt Glauben geschenkt wird. Sein Leugnen sowie Beweise, die erst
1435 1436 1437
Schwaighofer, Auslieferung 106. Schwaighofer, Auslieferung 106 f. Siehe oben Abschnitt 1.VI.F.2.
294
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
im Zuge der Rechtshilfe beschafft werden können, vermögen den Tatverdacht nicht zu entkräften. Entlastungsbeweise müssen nur aufgenommen werden, wenn diese ohne Verzug nachprüfbar bzw erhebbar sind, was immer dann der Fall ist, wenn die Beweise nicht erst aus dem Ausland beschafft, sondern in Österreich aufgenommen werden können. Um erhebliche Bedenken festestellen zu können, sollte das Auslieferungsersuchen zumindest eine nachvollziehbare Begründung bzw die den Justizbehörden des ersuchenden Staates vorliegenden Beweismittel enthalten. Entsprechend § 179 Abs 4 Z 4 StPO sollten die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der Tatverdacht ergibt, im Ersuchen genannt werden. Dies bedeutet keine unüberbrückbare, unnotwendige oder gar schwierige Hürde, denn in den meisten Fällen wird bereits der beizulegende gerichtliche Haftbefehl eine Begründung enthalten. Damit würde das Strafverfahren im ersuchenden Staat nicht vorweggenommen. Auch die Tatverdachtsvermutung und damit das Vertrauen in den ersuchenden Staat bestünden weiterhin, da auf das tatsächliche Vorliegen sowie Rechtmäßigkeit der Beweise vertraut würde. Fehlt eine Begründung, so ist der ersuchende Staat um Verbesserung der Unterlagen zu ersuchen. Ist die Begründung unschlüssig und hat der Richter erhebliche Bedenken gegen den hinreichenden Tatverdacht, so ist der ersuchende Staat zur Übermittlung der Beweise aufzufordern. Bleiben erhebliche Zweifel am Tatverdacht bestehen, so ist das Auslieferungsersuchen abzulehnen. Das anglo-amerikanische Recht geht nicht nach dem formellen Prüfungsprinzip vor, sondern verlangt, dass bereits mit dem Auslieferungsersuchen die Beweise angegeben und auch übermittelt werden, auf denen der Tatverdacht beruht. Es ist insofern das Vorliegen eines sog prima facie case darzutun: Dh der ersuchende Staat muss im Auslieferungsersuchen – für den ersuchten Staat nachvollziehbar – durch Beweise dartun, dass die Tatbegehung durch den Betroffenen wahrscheinlich ist.1438 Den Anforderungen wird entsprochen, wenn die angebotenen Beweise für sich alleine zu einer Verurteilung führen könnten.1439 Einige Auslieferungsverträge mit angloamerikanischen Staaten enthalten solche prima facie Klauseln, als Beispiel kann Art 10 Abs 3 lit c des Auslieferungsvertrages zwischen Österreich und
1438 1439
Bassiouni, in International Criminal Law II 225 ff, Powers, 37 Tex. Int’l L.J. 308 f. „Whether, if the evidence before the Magistrate stood alone at the trial, a reasonable jury properly directed could accept it and find a verdict of guilty“, Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217), Punkt 32. Da das deutsche Gericht im Soering Verfahren ein Auslieferungsersuchen ohne ausreichende Beweise gestellt hatte („the evidence, since it consisted solely of the admissions made by the applicant to the Bonn prosecutor in the absence of a caution, did not amount to a prima facie case against him”) und die USA ihr Ersuchen zuerst eingebracht hatte, wurde das amerikanische Ersuchen behandelt, Soering, Punkt 16, 19.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
295
den USA genannt werden.1440 In diesen Fällen empfiehlt es sich, die für die Tatbegehung sprechenden Beweise zu nennen und zu übermitteln. 3.5.2. Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse Der U-Ri und im Beschwerdefall das OLG haben alle in der vorliegenden Arbeit dargelegten materiellen Auslieferungsvoraussetzungen und -hindernisse zu beurteilen. § 33 Abs 3 ARHG trägt ihnen nunmehr ausdrücklich bei ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung auf, „alle sich aus den zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden Voraussetzungen und Hindernisse für die Auslieferung der betroffenen Person, insb auf dem Gebiet des Asylrechtes, umfassend unter dem Gesichtspunkt der der betroffenen Person nach Gesetz und Bundesverfassung zukommenden subjektiven Rechte zu prüfen“.1441 Dies soll klarstellen, dass die Gerichte alle aus völkerrechtlichen wie auch aus innerstaatlichen Rechtsquellen ableitbaren subjektiven Rechte, welche einer Auslieferung entgegenstehen könnten, von Amts wegen zu berücksichtigen haben.1442 Es können dazu alle ergiebigen Erkenntnisquellen genutzt werden. Zudem ist allen diesbezüglichen schlüssigen Beweisanträgen der Parteien nachzugehen.1443 Wie erwähnt ist zunächst der Sachverhalt im Ersuchen so darzustellen, dass eine Überprüfung möglich ist. Insb die beiderseitige Strafbarkeit lässt sich nur feststellen, wenn die strafbare Handlung hinreichend konkretisiert und individualisiert wird.1444 Auslieferungshindernisse sind von Amts wegen zu überprüfen.1445 Bestehen Zweifel am Vorliegen eines Hindernisses und können diese auch durch eine Zusicherung des ersuchenden Staates, wie zB wegen einer drohenden Todesstrafe, nicht verlässlich ausgeräumt werden, so ist die Auslieferung
1440
1441 1442 1443 1444 1445
Demnach sind dem Auslieferungsersuchen Urkunden beizufügen, „die ausreichende Angaben enthalten, aus denen sich eine ausreichende Grundlage für die Annahme ergibt, dass die auszuliefernde Person die strafbare Handlung begangen hat, für die die Auslieferung begehrt wird, und dass sie die im Haftbefehl genannte Person ist“. Siehe ebenso Art 14 Abs 3 lit a des Auslieferungsvertrages zwischen Deutschland und den USA, der nach der deutschen Rsp den ersuchenden Staat aber nur dann zur Beibringung der Beweise verpflichtet, wenn dies auch nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates erforderlich ist. Da das deutsche Auslieferungsrecht keine Tatverdachtsprüfung verlangt, kann die Auslieferung nicht bloß wegen der fehlenden Beigabe von Beweisen abgelehnt werden, OLG Düsseldorf NStZ 2003, 684 = StV 2004, 148. Siehe dazu oben Abschnitt 1.III. und Abschnitt 1.IV. EBRV 294 BlgNR XXII. GP 33; Rosbaud, in IRG, ARHG § 33 Rz 4. Vogel, in IRG-K § 73 Rz 123 ff. Zur beiderseitigen Strafbarkeit oben Abschnitt 1.III.A. Vogel, in IRG-K § 73 Rz 121 ff.
296
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
vom Gericht abzulehnen.1446 Dh dass Zweifel diesfalls zu Lasten des ersuchenden Staates und nicht des Betroffenen gehen, weshalb der Maßstab diesbezüglich höher ist als hinsichtlich der Begründetheit des Tatverdachtes. Während die Prüfung der Schuld des Betroffenen in die Kompetenz des Verfolgungsstaates und damit des ersuchenden Staates fallen, kommt die Prüfung der Auslieferungshindernisse alleine den Gerichten des ersuchten Staats zu. Diese haben insofern die Rechtsschutzfunktion der Auslieferung zu wahren. 3.5.3. Auslieferungsbeschluss Der Auslieferungsbeschluss ist vom U-Ri mündlich zu verkünden und zu begründen sowie in der Folge schriftlich auszufertigen. Es sind darin jene Taten und damit Sachverhalte genau zu bezeichnen, hinsichtlich derer die Auslieferung für zulässig oder unzulässig erklärt wird. Nur so wird der ersuchte Staat in die Lage versetzt, dem Gebot der Spezialität verlässlich nachzukommen, und dem Betroffenen eine sinnvolle Überprüfungsmöglichkeit in die Hand gegeben. Zudem wird dem Bestimmtheitsgebot Rechnung getragen. 4. Rechtsmittel gegen den Auslieferungsbeschluss – Beschwerde an das OLG 4.1. Allgemeines Mit dem StRÄG 2004 wurde als Reaktion auf das VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/20021447 dem Betroffenen und dem StA ein Rechtsmittel gegen die (Un)Zulässigkeitsentscheidung des U-Ri eingeräumt: Sie können gem § 31 Abs 6 ARHG eine Beschwerde an das OLG erheben. Diese Beschwerde wurde dem Verfahren bei Berufungen vor dem Gerichtshof zweiter Instanz gem § 294 ff StPO nachgebildet. Die nunmehr als zwingend erachtete Gewährung eines Rechtsmittels gegen die Zulässigkeitsentscheidung macht die Abkehr vom zweidimensionalen Modell der Auslieferung deutlich, welches dem Betroffenen einen Objektstatus zugesteht, und zeigt klar die Anerkennung des dreidimensionalen Modells, in dem nicht nur den Völkerrechtssubjekten, sondern auch dem Betroffenen eigenständige Rechte zukommen.1448 Es wird damit die Rechtsschutzfunktion der Auslieferung bestätigt und werden die Gerichte des ersuchten Staates zur Wahrung dieser Rechtsschutzfunktion aufgerufen. 1446
1447 1448
Ebenso Vogel, in IRG-K § 73 Rz 124. Zur Todesstrafe als Auslieferungshindernis und der möglichen Zusicherung siehe Abschnitt 1.IV.C.2.1. insb Abschnitt 1.IV.C.2.1.6., vgl auch Schomburg/Hackner, in IRG § 8 Rz 15 ff, 20. =JBl 2003, 437. Dazu oben Abschnitt 1.I.A.3.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
297
In Deutschland, in dem eine entsprechende Zweiteilung in ein gerichtliches und ein verwaltungsrechtliches Verfahren besteht, entscheidet derzeit das OLG als erste und letzte gerichtliche Instanz. Doch wird die Schaffung eines ordentlichen Rechtmittels von Teilen des Schrifttums stark befürwortet.1449 Es besteht dort aber die Möglichkeit, sich gegen die Zulässigkeitsentscheidung des OLG mit dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.1450 Nicht vergleichbar ist das Verfahren in der Schweiz, da dort ausschließlich das Bundesamt für Justiz (BJ) in Auslieferungssachen entscheidungsbefugt ist, und zwar sowohl hinsichtlich der Auslieferungshaft als auch hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung. Die Gerichte werden grundsätzlich nicht eingeschaltet. Gegen den Auslieferungsbescheid des BJ ist eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht möglich.1451 Auch in den USA und in Kanada ist das Auslieferungsverfahren in einen gerichtlichen und einen verwaltungsbehördlichen Abschnitt geteilt. Gegen die Entscheidung des Gerichts steht dem Betroffenen in beiden Rechtsordnungen das außerordentliche Rechtsmittel (Rechtsbehelf) der petition for a writ of habeas corpus zu. Es handelt sich dabei um ein inhaltlich der Grundrechtsbeschwerde ähnliches Rechtsmittel, mit welchem der Betroffene die unzulässige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit einwendet.1452 Das entscheidende Gericht, der habeas corpus judge, kann dieser petition – im Unterschied zur österreichischen Grundrechtsbeschwerde – auf Antrag des Betroffenen aufschiebende Wirkung zuerkennen. Zudem kann die negative habeas Entscheidung wiederum vor einem court of appeals bekämpft werden. Dagegen steht zuletzt noch die höchst selten gewährte Möglichkeit der petition for a writ of certiorari an das Supreme Court offen.1453 4.2. Verfahren Mit der mündlichen Verkündung des Auslieferungsbeschlusses beginnt die Rechtsmittelfrist zu laufen. Die Parteien haben binnen 3 Tagen die Be1449 1450
1451
1452
1453
Lagodny, in IRG § 13 Rz 5 ff, 9. Lagodny, in IRG § 13 Rz 9 ff, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG Einl Rz 149, Vogler, in IRG-K § 12 Rz 18. Zudem kann ein OLG gem § 42 IRG den BGH im Sinne eines Vorlageverfahrens anrufen, weil es einerseits um die Klärung einer Rechtsfrage grundlegender Bedeutung ersucht, oder von der Rechtsmeinung des BGH oder eines anderen OLG abzuweichen gedenkt. Zum Schweizerischen Auslieferungsverfahren Heimgartner, Auslieferungsrecht D.II. und III. Siehe dazu Hoffman, 1989 Sup.Ct. Rev. 165, Patchel, 42 Hastings L.J. 939, Dressler, Criminal Law 14 f. Zum Verfahren in den USA siehe Bassiouni, in International Criminal Law II 248 ff, Powers, 37 Tex. Int’l L.J. 285 f; zu Canada siehe Williams, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. 800.
298
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
schwerde anzumelden. Ab Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Beschlusses steht schließlich die 14-tägige Frist zur Ausführung der Beschwerde offen. Eine Ausführungspflicht besteht nicht.1454 Das Verfahren richtet sich – abgesehen von den Sonderbestimmungen im ARHG, zB bezüglich der Fristen – nach den §§ 294 ff StPO. Hervorzuheben ist an dieser Stelle die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Zulässigkeitsentscheidung. Denn vom Zeitpunkt der verfassungsgerichtlichen Aufhebung der Bestimmung des ARHG, die ein Rechtsmittel gegen die Zulässigkeitsentscheidung ausschloss, bis zum Inkrafttreten des StRÄG 2004 billigte der OGH den Betroffenen in Analogie den Rechtsbehelf der Grundrechtsbeschwerde zu.1455 Dass die Grundrechtsbeschwerde jedoch für die Auslieferung ungeeignet und insofern oftmals einer Nichtgewährung eines Rechtsmittels geradezu gleichkam, wird daran deutlich, dass ihr keine aufschiebende Wirkung zukam und eine Auslieferung dennoch durchgeführt werden durfte.1456 Das OLG hat wie der U-Ri die Zulässigkeitsvoraussetzungen und – hindernisse zu überprüfen, wobei es auf Mängel von Amts wegen einzugehen hat. Im Beschwerdeverfahren gilt kein Neuerungsverbot, weshalb neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden können und das OLG als zweite Tatsacheninstanz entscheidet. Zum unterschiedlichen Prüfungsumfang hinsichtlich des Tatverdachts einerseits und der Auslieferungsvoraussetzungen und –hindernisse andererseits ist auf das oben Gesagte zu verweisen.1457 Die Zurückweisung in nichtöffentlicher Sitzung ist nur in den in § 294 Abs 4 StPO genannten Gründen zulässig, dh insb wenn die Beschwerde verspätet war oder von einer nicht berechtigten Person erhoben wurde. Die Zurückweisung wegen mangelnder Konkretisierung der Beschwer wird in Auslieferungssachverhalten keine Rolle spielen, da jeweils nur ein Anfechtungspunkt in Frage kommt und sich dieser bei einer Beschwerde des Betroffenen gegen die Zulässigkeitsentscheidung ebenso klar ergibt wie bei der Bekämpfung der Unzulässigkeitsentscheidung durch den StA.1458
1454 1455 1456
1457 1458
§ 31 Abs 6: „kann“. OGH JSt 2004/33, OGH 13 Os 51/03; dazu ebenso Hollaender, Beschwerde 38 f. Der OGH ging jedoch davon aus, dass das Grundrechtsbeschwerdegesetz „im Hinblick auf seinen … Zweck, dem … in seinem Grundrecht … (Verletzten) … eine wirksame Beschwerde zu gewähren, für eine Analogie zur Sicherung des nach dem Erkenntnis des VfGH erforderlichen Grundrechtsschutzes geeignet“ ist (13 Os 51/03); sehr vorsichtig Hollaender, Beschwerde 45 ff. Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. und Abschnitt 1.VI.F.3.5.2. Hollaender, Beschwerde 18.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
299
5. Die Bewilligung der Auslieferung – Das Verfahren vor dem BMJ Die endgültige Entscheidung über die Auslieferung trifft der BMJ im Bewilligungsverfahren. Er ist dabei nach § 34 Abs 1 ARHG an eine rechtskräftige negative Entscheidung des Auslieferungsgerichtes gebunden und hat die Auslieferung diesfalls abzulehnen. Wurde die Auslieferung vom Gericht für zulässig befunden, so entscheidet der BMJ nach dem neu gefassten 34 ARHG „nach Maßgabe zwischenstaatlicher Vereinbarungen und der Grundsätze des zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs. Er nimmt dabei auf die Interessen und die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Republik Österreich Bedacht.“ Das bedeutet, dass der BMJ seine Ablehnung nur auf allgemeine völkerrechtliche oder innerstaatliche politische Erwägungen stützen kann, welche sich nicht auf die ausschließlich vom Gericht zu prüfende Rechtsstellung des Betroffenen beziehen. Als Beispiel für einen Ablehnungsgrund ist die abgebrochene diplomatische Beziehung zum ersuchenden Staat zu nennen. Ebenso kann etwa die Gefahr von Ausschreitungen und Unruhen im eigenen Land die Ablehnung der Auslieferung durch den BMJ rechtfertigen. Eine Überlappung der gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungsbefugnis verstieße nach dem VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/20021459 gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung.1460 Da nunmehr zwei gerichtliche Instanzen die Auslieferung im Hinblick auf die subjektiven Rechte des Betroffenen prüfen, scheint der Rechtsschutz genügend gewahrt und ist eine Doppelkompetenz zur Prüfung der Rechtsstellung des Betroffenen daher auch aus Gründen des subjektiven Rechtsschutzes nicht mehr zu befürworten.1461 Über seine Entscheidung hat der BMJ den ersuchenden Staat sowie den U-Ri und im Beschwerdefall das OLG in Kenntnis zu setzen. Die Entscheidung über die Bewilligung der Auslieferung sollte seit dem VfGH Erkenntnis VfSlg 16772/20021462 in Bescheidform ergehen, wogegen dem Betroffenen der Beschwerdeweg an den VwGH sowie den VfGH offen stehen sollte.1463 Die Rechtssphäre des Betroffenen wird trotz der rein politischen Bewilligungskompetenz des BMJ insofern tangiert, als der BMJ eine Ermessensentscheidung trifft und den Betroffenen ein subjektives Recht auf fehlerfreien Gebrauch dieses Ermessens zukommt. Denn der BMJ darf sein Ermessen
1459 1460 1461 1462 1463
=JBl 2003, 437. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken siehe Schwaighofer, Auslieferungsrecht 131. So noch Schwaighofer, Auslieferungsrecht 131 insb FN 476. =JBl 2003, 437. Zuvor erging die Bewilligungsentscheidung in der Form eines Erlasses, der nur der parlamentarischen Kontrolle unterlag, siehe dazu Schwaighofer, Auslieferung 158 f; gegen die Anfechtbarkeit der Auslieferungsbewilligung Vogler, EuGRZ 1981, 417 ff.
300
Das Verfahren nach Einlangen des Auslieferungsersuchens
nur im Sinne des Gesetzes also nicht willkürlich ausüben.1464 Der Beschwerde kann wiederum aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Es ist bereits an dieser Stelle kurz auf die im RB-HB sowie im EU-JZG erfolgte grundlegende Neuerung hinzuweisen, nach der das politische Bewilligungsverfahren zur Gänze entfällt und die Übergabe innerhalb der EU eine rein justizielle Entscheidung darstellt. Im Abschnitt über den Europäischen Haftbefehl wird darauf ausführlich eingegangen.1465 In Deutschland sind die Bestimmungen, die das Bewilligungsverfahren betreffen, im IRG verstreut. Gem § 74 Abs 1 IRG entscheidet im Allgemeinen der BMJ im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und gegebenenfalls mit anderen betroffenen Bundesministerien.1466 Wie in Österreich ist auch in Deutschland die Bewilligungsbehörde an eine Unzulässigkeitsentscheidung des Gerichtes gebunden.1467 Die Bewilligungsentscheidung muss aber nur dem ersuchenden Staat übermittelt werden, während eine formelle Verständigung des Betroffenen nicht vorgesehen ist. Dieses Defizit wird in der Literatur zu Recht kritisiert.1468 Weiterhin umstritten ist die Frage, ob dem Betroffenen gegen die Bewilligungsentscheidung ein Rechtmittel zusteht.1469 In den USA, in denen das Auslieferungsverfahren ebenso in einen gerichtlichen und einen verwaltungsbehördlichen Teil gespalten ist, steht die Entscheidung über die Bewilligung der Auslieferung dem Secretary of State, dh dem Außenminister, zu. Auch er ist an eine negative Auslieferungsentscheidung des Gerichts gebunden.1470 Ansonsten kann er die gerichtliche Entscheidung in jeder Hinsicht überprüfen, ein Problem der Gewaltenteilung scheint sich nicht zu stellen.1471 Für die Gerichte gilt nach USamerikanischem Recht, wie oben dargestellt, vielmehr die rule of non inquiry, nach der sie nicht berechtigt sind, die Rechtmäßigkeit des zu erwartenden Verfahrens bzw der drohenden Behandlung oder Strafe zu berücksichtigen. Dem Secretary of State stünde die ausschließliche Berücksichtigung dieser
1464 1465 1466
1467 1468 1469
1470 1471
Vgl 130 Abs 2 B-VG, VfGH JBl 2003, 440. Siehe insb Abschnitt 2.V.A. Abschnitt 2.I.E. Abschnitt 2.I.F. und Abschnitt 2.I.D. Böse, in Auslieferungsrecht 119; die Entscheidungsbefugnis kann auch auf eine Landesregierung übertragen werden. § 12 IRG. Lagodny, in IRG § 12 Rz 16. Bejahend Lagodny, in IRG § 12 Rz 27 ff; dagegen Vogler, in IRG-K § 12 Rz 21 ff, ders, EuGRZ 1981, 417 ff, Bubnoff, Auslieferung 25; nicht Stellung beziehend Weigend, JuS 2000, 110 f. Bassiouni, in International Criminal Law II 250. Siehe aber die Nachweise bei Powers, 37 Tex. Int’l L.J. 290.
Das Auslieferungsverfahren in Grundzügen
301
menschenrechtlichen Kriterien zu. Dies ist ua insofern höchst problematisch, als seine Entscheidungen nicht anfechtbar sind.1472 Auch in Kanada besteht eine entsprechende Zweiteilung des Auslieferungsverfahrens, wobei dem Minister of Justice die Entscheidung über die Bewilligung zusteht. Dagegen besteht die Möglichkeit der Anrufung des Supreme Court, doch scheint diese in den seltensten Fällen zum Erfolg zu führen.1473
1472
1473
Bassiouni, in International Criminal Law II 251, Rose, 27 Yale J. Int’l L. 199, Powers, 37 Tex. Int’l L.J. 288. Rose, 27 Yale J. Int’l L. 199, mit dem Hinweis, dass bis zur E Canada v Burns (mit der die rule of non inquiry abgeschwächt wurde, dazu oben Abschnitt 1.IV.C.1.) zwischen 1982 und 2001 keine Bewilligung aufgehoben wurde. Zum kanadischen Verfahren siehe auch Williams, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. 800.
Abschnitt 2. Der europäische Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG I.
Grundlagen
A. Entstehungsgeschichte Am 13. Juni 2002 verabschiedete der Rat der Justiz- und Innenminister den Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl und das Übergabeverfahren innerhalb der EU (RB-HB). Dieser wurde am 18. Juli 2002 im Amtsblatt veröffentlicht und trat am 7. August 2002 in Kraft.1474 Der RB-HB geht bereits auf die politischen Vorgaben der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999 zurück. Dort wurde zunächst betont, „dass Straftäter keine Möglichkeit finden dürfen, die Unterschiede in den Justizsystemen der Mitgliedstaaten auszunutzen“. Daher sollten Urteile und Entscheidungen innerhalb der EU unter Wahrung der Rechtssicherheit anerkannt und vollstreckt werden, weshalb eine bessere Vereinbarkeit und Konvergenz notwendig sei.1475 Dieser Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, auf der RB-HB beruht, gilt als der „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.1476 Der RB-HB basiert auf einem Vorschlag der Kommission vom 19. September 2001.1477 Am 14.11.2001 wurde er vom parlamentarischen Ausschuss für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten diskutiert und mit Änderungen zur Verbesserung der Rechtsstellung des Betroffenen und der Wahrung der Grundrechte versehen. Die Minderheitenansicht kritisiert ihn als überstürzt und wendet ein, dass er erheb-
1474 1475 1476
1477
ABl 2002 L 190, 1; zur Entstehungsgeschichte siehe Unger, Haftbefehl 51 ff. Schlussfolgerungen des Vorsitzes Nr 5. Schlussfolgerungen des Vorsitzes Nr 33 2. Satz, siehe auch Schlussfolgerung Nr 35 und 37; Vogel, JZ 2001, 939, Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 29 f, Plachta, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2003, 180, zur Fragwürdigkeit der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der 3. Säule der EU siehe Murschetz, ÖJZ 2007, 99 f. Zur Entstehungsgeschichte siehe Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 32, ff, Plachta, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2003, 179 ff.
Grundlagen
303
lich in die Strafverfahrensordnungen der Mitgliedstaaten eingreife.1478 Das europäische Parlament stimmte dem Vorschlag am 29.11.2001 vorbehaltlich der Änderungen zu. Bereits am 10.12.2001 konnte in Laeken nach erheblichen Änderungen des Entwurfes eine politische Einigung im Rat der Innenund Justizminister erzielt werden. Schließlich begrüßte der Europäische Rat in Laeken am 14. und 15. Dezember 2001 diese Einigung und stellte den RBHB in seinen Schlussfolgerungen als wichtigen Fortschritt dar.1479 Das Europäische Parlament stimmte am 6.2.2002 dem geänderten Text des RB-HB zu und am 13.6.2002 wurde er auf der Tagung des Rates in der Zusammensetzung der Justiz- und Innenminister angenommen.1480 Bestrebungen, das klassische Auslieferungsverfahren durch den Abbau von Hindernissen zu beschleunigen und zu vereinfachen, bestehen schon lange. Es wurden laufend neue Instrumente entworfen, doch ihre Umsetzung auf Ebene der EU ging langsam voran. So traten das bereits genannte VereinfAuslÜbk-EU und das AuslÜbk-EU aus den Jahren 1995 und 1996 mangels ausreichender Ratifizierung bisher nicht in Kraft. Allerdings sehen beide die Möglichkeit der gegenseitigen vorläufigen Anwendung vor, die überwiegend in Anspruch genommen wurde, so auch von Österreich.1481 Auch die Bekämpfung des Terrorismus wurde von der EU va unter dem Eindruck der Probleme in Spanien und Nordirland verfolgt.1482 Spanien und Italien unterzeichneten am 28.11.2000 einen bilateralen „Vertrag zur Verfolgung schwerer Straftaten durch die Überwindung der Auslieferung in einem gemeinsamen Rechtsraum“1483, der die Auslieferung durch eine Überstellung des Verfolgten ersetzt, Auslieferungshindernisse abbaut und als Vorläufer des Europäischen Haftbefehls bezeichnet werden kann.1484 Doch die Verhandlungen über eine EU-weite gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen iS eines Europäischen Haftbefehls erwiesen sich als sehr schwierig. Tatsächlich sind die einzelnen Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten zu verschieden, um eine gegenseitige Anerkennung von ge-
1478 1479
1480
1481
1482 1483
1484
A5-0397/2001, ABl 2002 C 153E, 276. Nr 45 der Schlussfolgerungen, im Internet abrufbar unter www.europa.eu. int/european_council/conclusions/Index_de.htm. Bulletin EU 6-2002. Ausführlich zur Entstehung des RB-HB siehe Zeder, AnwBl 2003, 377 f. Eine entsprechende Erklärung der gegenseitigen vorläufigen Anwendung ist anlässlich der Notifizierung der Übk abzugeben, siehe Art 16 Abs 3 VereinfAuslÜbk-EU und Art 18 Abs 4 AuslÜbk-EU. Strafverfolgung nach dem 11.9.2001 – Entwicklung in Europa, DRiz 2002, 1. Dieses wurde in Italien als„Trattato tra la Repubblica italiana ed il Regno di Spagna per il perseguimento di gravi reati attraverso il superamento dell' estradizione in uno spazio di giustizia comune“ am 18.9.2002 von der Abgeordnetenkammer jedoch bisher nicht vom Senat verabschiedet. Ausführlich Vogel, JZ 2001, 937, Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 31 f.
304
Entstehungsgeschichte
richtlichen Entscheidungen reibungslos einführen zu können.1485 Es ist hier insb auf die konkrete Gefahr hinzuweisen, dass mit dem Instrument der gegenseitigen Anerkennung die Individualrechte zu stark beschränkt werden. In den nationalen formellen Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten kann jeweils von einem Gleichgewicht zwischen den Eingriffsmöglichkeiten, wie zB den Überwachungsrechten, und den Rechtsschutzgarantien, wie etwa den entsprechenden Beweisverwertungsverboten, ausgegangen werden. Dieses Gleichgewicht gerät jedoch außer Balance, wenn die Anerkennung einer Entscheidung aus einem Strafrechtssystem mit verschiedener „Gewichtsverteilung“ erfolgen soll. Schünemann führt hiezu prägnant aus, dass „die gegenseitige Anerkennung zum Totengräber eines auf der Idee der Ausbalancierung von Verfahrensrollen beruhenden fair trial wird, wenn „minimale Zeugnisverweigerungsrechte“ aus dem einen Staat mit „opulenten Abhörrechten“ des anderen Staates konfrontiert werden.1486 Das gegenseitige Vertrauen in Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der anderen Mitgliedstaaten sowie deren Fähigkeit, ein faires Verfahren zu gewährleisten, ist für die bedingungslose gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen und deren Vollstreckung solange nicht ausreichend, als der Individualrechtschutz nicht EU-weit harmonisiert ist. Und dies ist auch bisher nicht geschehen.1487 Während nunmehr neben dem RB-HB zahlreiche weitere Rechtsakte repressiven Charakters erlassen wurden, wie der Rahmenbeschluss über die Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen,1488 oder der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung1489 und viele mehr1490, sind kaum Gegenmaßnahmen erfolgt: Die bescheidenen drei vorliegenden Initiativen sind bisher nicht in Kraft getreten. Es sind dies der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte im Strafverfahren,1491 der nur 1485
1486 1487 1488 1489
1490
1491
Vgl Schünemann, GA 2002, 511 f, der von den strafrechtsdogmatischen Kernländern Europas, den angenäherten Skandinavischen Ländern, dem Common Law Englands und dem davon inkommensurablen Strafrecht Frankreichs spricht; zur Problematik der gegenseitigen Anerkennung in der 3. Säule siehe Murschetz, ÖJZ 2007, 99 f, dies, 38 VUWLR (2007) 145, Gomez-Jara Diez, eucrim 2006, 23 ff. StV 2003, 119, ders, ZRP 2003, 187 f. Wasmeier, in Probleme des Rahmenbeschlusses 61. ABl 2005 L 76, 16 vom 24.2.2005. Die politische Einigung im Rat wurde am 1.6.2006 erzielt, Ratsdokumente 11235/06 vom 10.7.2006 und 11564/06 vom 13.7.2006. Rahmenbeschluss über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen (ABl 2003 L 196, 45 vom 22.7.2003), Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten (KOM(2005) 690 endgültig 2005/0267 (CNS)), Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Berücksichtigung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Verurteilungen in neuen Strafverfahren (KOM(2005)91 endgültig 2005/0018(CNS)). KOM(2004) 328 endgültig, http://www.europa.eu.int/prelex/detail_dossier_real. cfm?CL=de&DosId=190771, das Grünbuch dazu (KOM(2003) 75 endgültig) ist
Grundlagen
305
mehr einen absoluten Minimalstandard enthält,1492 das Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren1493 und das Grünbuch über die Unschuldsvermutung1494. Es stehen damit der durch die justizielle Zusammenarbeit erleichterten (durch Sekundärrechtsakte wie den RB-HB und Institutionalisierungen wie Eurojust und Europol) europaweiten Verfolgung nur die nationalen Verteidigungsrechte gegenüber, die der grenzüberschreitenden Dimension der Geschehnisse nicht gerecht werden. Vielfach wird eine Notwendigkeit der Festlegung einheitlicher Verteidigungsrechte aufgrund der Mitgliedschaft aller EU-Staaten an der EMRK bezweifelt.1495 Diese Notwendigkeit besteht jedoch, da die EMRK kein geschlossenes Prozessrechtssystem vorsieht und die gewährten Rechte nur absolute Mindestgarantien darstellen. Zudem ist die Annahme einheitlicher Grundrechts- und Verfahrensgarantien derzeit noch unzutreffend. Dies zeigt einerseits ein Blick auf den unterschiedlichen Ratifikationsstand von Zusatzprotokollen zur EMRK, andererseits ein Blick auf die zahlreichen Verurteilungen der Mitgliedstaaten durch den EGMR. Exemplarisch ist hier auf die Verurteilungen Österreichs wegen Verstößen gegen den ne bis in idem Grundsatz und die Verurteilungen Italiens hinsichtlich der Abwesenheitsurteile zu verweisen.1496 Auf dem Gebiet des Strafrechts lässt sich die in der ersten Säule entwickelte Zauberformel der gegenseitigen Anerkennung daher nicht ohne weiteres umsetzen.1497 Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass das Strafrecht von seinem Regelungsgehalt die eingriffsintensivste staatliche Maßnahme darstellt, die in allen Mitgliedstaaten nur als ultima ratio eingesetzt wird. Sie ist stark von moralischen und ethischen Wertvorstellungen geprägt, die sich in den Mitgliedstaaten historisch entwickelten und heute noch unterschiedlich sind. Eine Angleichung der Strafrechtsordnungen durch die gegenseitige Anerkennung zu erzwingen, stellt den falschen Weg dar, und steht mit der
1492
1493 1494
1495 1496
1497
unter http://www.europa.eu.int/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=en&DosId= 180811 abzufragen. Dazu kritisch Lööf, Shooting from the Hip: Proposed Minimum Rights in Criminal Proceedings throughout the EU, European Law Journal 2006, 421 ff, Rosenthal, ZRP 2006, 105. KOM(2005) 696 endgültig. KOM(2006) 174 endgültig, http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm? CL=de&DosId=194139. Vgl Wasmeier, in Probleme des Rahmenbeschlusses 61. Zu den Verurteilungen Österreichs siehe oben Abschnitt 1.II.B.1.3.1.a; zu Italien: Hu gegen Italien, Urteil vom 28.9.2006 (ApplNr 5941/04), Sejdovic gegen Italien, Urteil vom 1.3.2006 (ApplNr 56581/00), Newsletter Menschenrechte 2006/2, 69. Murschetz, 38 VUWLR (2007) 145, Gomez-Jara Diez, eucrim 2006, 23 ff, Rosenthal, ZRP 2006, 105 f, Peers, CML Rev 2004, 23 ff, Schünemann, ZRP 2003, 186 f.
306
Das Instrument des Rahmenbeschlusses
fehlenden supranationalen Kompetenz der EU innerhalb der dritten Säule in einem Spannungsverhältnis. Die Terroranschläge gegen die USA vom 11. September 2001 gaben den Vorhaben auf Unionsebene hinsichtlich des RB-HB schließlich eine neue Dynamik. Unter dem Eindruck des Terrorismus als weltweite Bedrohung konnte der RB-HB schließlich trotz anfänglich gravierender Differenzen verhältnismäßig schnell verabschiedet werden.1498 Eine parlamentarische Minderheit stellt anlässlich der neuerlichen Konsultation im Parlament überspitzt fest, dass „die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf dem Altar einer Terrorismusbekämpfung geopfert werden, deren Hauptziel die Abschaffung der Demokratie ist“.1499 Es bleibt daher in dieser Arbeit zu untersuchen, ob die Einigung nicht zuletzt überhastet und in manchen Bereichen unbedacht geschah, bzw unter dem Eindruck des Terrorismus nicht doch über das ursprünglich beabsichtigte, notwendige und im Hinblick auf die zur gegenseitigen Anerkennung genannten Bedenken über das tunliche Ziel hinausschießt.1500
B. Das Instrument des Rahmenbeschlusses Das Instrument des Rahmenbeschlusses wurde durch den Vertrag von Amsterdam in Art 34 Abs 2 lit b EUV zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten eingeführt. Es schafft innerhalb der dritten Säule der EU die Möglichkeit, völkerrechtliche Pflichten der Mitgliedstaaten zu begründen. Im Gegensatz zu den wesentlich schwerfälligeren Übereinkommen, für deren generelle Anwendbarkeit nunmehr nach Art 34 Abs 2 lit d EUV die Ratifikation zumindest der Hälfte der Mitgliedstaaten notwendig ist, schafft der Rahmenbeschluss die Möglichkeit einer raschen und effizienten Rechtsangleichung der Mitgliedstaaten. Der Rahmenbeschluss ist ähnlich der rechtsangleichenden Richtlinie gemäß Art 249 Abs 1 und 3 EGV auf Ebene der EG konzipiert: Im Hinblick auf das zu erreichende Ziel ist er verbindlich, während Wahl und Form der Mittel den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.1501 Anders als die Richtlinie entfaltet der Rahmenbeschluss ausdrücklich keine unmittelbare Wirkung.
1498 1499 1500
1501
Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 202, Zeder, AnwBl 2003, 378. A5-0003/2002, 6. Darauf lässt ua Art 2 Abs 2 schließen: In dem dort aufgezählten Katalog von Straftaten, bei denen auf gegenseitige Strafbarkeit verzichtet wird, finden sich einige Delikte, die in keinerlei Zusammenhang mit Terrorismus stehen, so zB Cyberkriminalität, Handel mit gestohlenen Kfz, Produktpiraterie usw. Dazu unten Abschnitt 2.II.A.1. Schünemann, GA 2002, 503, Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 44, Plachta/Van Ballegooij, in Handbook 27.
Grundlagen
307
Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde eine fakultative Zuständigkeit des EuGH im Bereich der 3. Säule geschaffen. Die Mitgliedstaaten, die dessen Zuständigkeit im Bereich der 3. Säule anerkennen, wie es auch Österreich getan hat,1502 können ihm Fragen, die sich in nationalen Verfahren im Zusammenhang mit einem Rahmenbeschluss stellen, zur Vorabentscheidung vorlegen. Im Zuge dessen hat der belgische Schiedshof an den EuGH die Frage gestellt, ob der Europäische Haftbefehl, der auf der gegenseitigen Anerkennung beruht, überhaupt eine Deckung im EUV finden kann.1503 Schließlich gewährt Art 34 Abs 2 lit b EUV nur eine Kompetenz zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Mit einem ablehnenden Urteil durch den EuGH ist aufgrund seiner bisherigen integrationsfördernden Rechtsprechung nicht zu rechnen.1504 Zudem ist zu kritisieren, dass der RB-HB den Mitgliedstaaten tatsächlich kaum Ermessensspielraum bei der innerstaatlichen Ausgestaltung überlässt, da er extrem detailliert ist und alle Vorschriften bereits genau festlegt.1505 Die Wahl der Form und der Mittel ist sehr limitiert. Es ist daher fraglich, ob damit nicht zu stark in den Bereich der innerstaatlichen Strafverfahrensordnungen eingegriffen wird. Schließlich soll nach derzeit gültigem EURecht die dritte Säule nur völkerrechtliche Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten schaffen und ist eine Supranationalität gerade nicht vorgesehen. Daher ist zu überlegen, ob dem europäischen Haftbefehl in seiner detaillierten Form nicht überhaupt die nationale demokratische Legitimation fehlt. Denn über den RB-HB haben lediglich die nationalen Regierungen durch die jeweils zuständigen Minister mitentschieden, die nationalen Parlamente mussten sich mangels Umsetzungsspielraum wohl dazu gezwungen sehen, die ausformulierten Vorgaben zu akzeptieren und einfachgesetzlich zu übernehmen.1506 Für das deutsche Parlament stellten dies Abgeordnete des deutschen Rechtsausschusses während einer Anhörung vor dem BVerfG im Fall Mamoun Darkazanli fest.1507 Die nationalen Gesetzgeber haben daher eine
1502 1503 1504
1505
1506
1507
ABl 1997 C 340, 1. Rechtssache C-303/05, ABl 2005 C 271, 26. Vgl den nunmehr vorliegenden Schlussantrag des Generalanwaltes Colomer; zur Rsp des EuGH siehe insb die Urteile zu Pupino (Urteil vom 16. Juni 2005, Rechtssache C-105/03) und zum Umweltrahmenbeschluss (Urteil vom 13. September 2005, Rechtssache C-176/03). Verweis bei Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 44 FN 5 auf die Minderheitsansicht der Europaparlamentsabgeordneten Frahm und Krarup zum Bericht des Europäischen Parlaments vom 14.11.2001, A 5-0397/2001. Siehe die Argumentation des Beschwerdeführers im Fall Mamoun Darkazanli vor dem BVerfG (2 BvR 2236/04), siehe auch Rosenthal, ZRP 2006, 106, Unger, Haftbefehl 79 ff. Böhm, NJW 2005, 2588, FAZ vom 15.4.2205.
308
Das Instrument des Rahmenbeschlusses
Gratwanderung vorzunehmen, zwischen einerseits der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, in den eigenen Kompetenzen eigenständig zu entscheiden, und andererseits der Pflicht zur EU-konformen Umsetzung des RB-HB. Will der nationale Gesetzgeber seine demokratische Legitimation wahren, so muss er sich zu einer der eigenen Verfassung entsprechenden und nur lose an den Vorgaben orientierten Umsetzung entschließen. Da der RBHB auf der 3. Säule beruht und der EU insofern keine supranationale Kompetenz zukommt, muss eine Zielorientierung ausreichen. Einige Bestimmungen des EU-JZG – insb hinsichtlich der Übergabe eigener Staatsbürger – beruhen auf einer insofern „vermittelnden“ Umsetzung.1508 Diese ist mE trotz der Pupino-Entscheidung des EuGH zulässig, die den Mitgliedstaaten eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Rechts aufträgt. Auf eine Diskussion kann an dieser Stellte mit Verweis auf die ausführliche Auseinandersetzung anlässlich der „vermittelnd“ umgesetzten Bestimmungen im EU-JZG verzichtet werden.1509 Die Umsetzungsfrist des RB-HB für die Mitgliedstaaten endete am 31.12.2003. Eine Umsetzung erfolgte bis 2005 in allen (damaligen) 25 Mitgliedstaaten, zuletzt in Italien.1510 In Deutschland wurde das Umsetzungsgesetz von 20041511 jedoch durch das BVerfG mit Urteil vom 18.7.2005 als verfassungswidrig aufgehoben1512. Auch die Verfassungsgerichte Polens und Zyperns erklärten die innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften für verfassungswidrig, weil sie die Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen an die Behörden eines anderen Mitgliedstaats ermöglichten.1513 Eine neuerliche Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) 2006, das am 2.8.2006 in Kraft trat.1514. In Polen wurde 2006 die Verfassung geändert sowie die Bestimmungen der StPO, die den RB-HB umsetzten.1515 Insb in Polen wurde dabei von einer „vermittelnden“ Umset-
1508 1509 1510
1511 1512 1513
1514 1515
Dazu unten Abschnitt 2.III.A.1., Abschnitt 2.III.A.2. und Abschnitt 2.III.C.5.1. Siehe insb Abschnitt 2.III.C.5.1.4. Es wurde als "Disposizioni per conformare il diritto interno alla decisione quadro 2002/584/GAI del Consiglio, del 13 giugno 2002, relativa al mandato d'arresto europeo e alle procedure di consegna tra Stati membri" am 12.4.05 verabschiedet, und trat am 14. Mai 2005 in Kraft, Gazzetta Ufficiale n. 98 del 29 aprile 2005; vgl auch den Bericht der Kommission, KOM(2005) 63 endgültig, 2. dBGBl I 2004 Nr 38, 1748, BT-Drucksache 15/1718. 2 BvR 2236/04. Pressemitteilung des EuGH Nr. 71/06, vom 12.9.2006; siehe dazu DeenRacsmany, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2006, 271. dBGBl I 2006 Nr 36, 1721, BT-Drucksache 16/544. Polnisches Gesetzblatt (Dz.U.) 2006, Nr. 200, Pos, 471 f (Verfassung) sowie 2006, Nr 226 Pos 1646 f (StPO).
Grundlagen
309
zung Gebrauch gemacht, die sich nur lose an den Vorgaben orientiert.1516 Mit 1.1.2007 traten nunmehr auch die Umsetzungsgesetze der neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien in Kraft.1517
C. Die Umsetzung in Österreich Österreich kam seiner „Umsetzungsverpflichtung“ mit 1.5.2004 nach: Während Deutschland den Haftbefehl in das bestehende Auslieferungsgesetz (IRG) integrierte, wurde in Österreich, wie bereits bei der Umsetzung der Zusammenarbeitsverpflichtung einerseits mit den Tribunalen ICTY und ICTR (ZusIntGer1518) und andererseits mit den ICC (ZusIStrGH)1519 ein eigenes Gesetz geschaffen, das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG)1520. Das Gesetzeswerk hält sich grundsätzlich an die sehr detailliert formulierten Ziele des RB-HB, es ist dabei zum Teil um eine sinnvolle, vermittelnde Umsetzung der nicht immer überzeugenden Vorgaben bemüht, weist daneben aber auch Mängel auf. Als positiv hervorzuheben ist der feststellbare tragende Gedanke, die Übergabe eigener Staatsbürger größtmöglich zu vermeiden und sie, im Fall der Strafbarkeit nach eigenem Recht, einer Strafverfolgung in Österreich zuzuführen. Als negativ ist insb die fehlende Umsetzung eines Übergabehindernisses bei lebenslanger Freiheitsstrafe ohne vorzeitige Entlassungsmöglichkeit zu bewerten. Das EU-JZG regelt gem § 1 Abs 1 Z 1 „die Anerkennung und Vollstreckung justizieller Entscheidungen, insb durch Übergabe von Personen…“ innerhalb der EU. Es soll an dieser Stelle kurz auf die Rangfolge bzw das Verhältnis zwischen den verschiedenen Auslieferungs- bzw Übergabegesetzen und völkerrechtlichen Vereinbarungen eingegangen werden. Zunächst regelt § 1 Abs 2 EU-JZG bezüglich des allgemeinen Anwendungsbereiches des Gesetzes, dass das ARHG subsidiär anzuwenden ist, wenn sich aus den Bestimmungen des EU-JZG nichts anderes ergibt. Daneben bestimmt § 3 Abs 2 EU-JZG, dass die unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Vereinbarungen nur insoweit anzuwenden sind, als das EU-JZG nicht anderes vorsieht. Die Formulierung „unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Verträge“ ist insofern irreführend, als auch die EMRK einen solchen Vertrag
1516
1517
1518 1519 1520
So erlaubt das polnische Gesetz die Übergabe eigener Staatsbürger nur bei Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit, dazu unten Abschnitt 2.III.C.5.1.2. Für Rumänien siehe Ratsdokument 16907/06 vom 18.12.2006, für Bulgarien Ratsdokument 17078/06 vom 21.12.06. BGBl 263/1996. BGBl I 135/2002. BGBl I 36/2004.
310
Begriffe
darstellt. Da die EMRK jedoch in Österreich in Verfassungsrang steht und dessen unmittelbare Anwendbarkeit durch dieses einfache Gesetz nicht ausgeschlossen werden kann, steht ihre Geltung auch auf Übergabesachverhalte iS einer verfassungskonformen Interpretation außer Frage. Eine Formulierung, die die Anwendbarkeit der EMRK ausdrücklich festhält, wäre stimmiger.1521 Im Verhältnis der Rechtsquellen untereinander ist zudem in Erinnerung zu rufen, dass das ARHG nur subsidiär zu völkerrechtlichen Vereinbarungen besteht.1522 Wird nun das Verhältnis zwischen ARHG, EU-JZG und den einzelnen Auslieferungsverträgen beleuchtet, so stellt sich heraus, dass das EU-JZG vorrangig gilt, multi- oder bilaterale Verträge nur zur Anwendung gelangen, wenn dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist und schließlich das ARHG dann anwendbar ist, wenn weder das EU-JZG noch völkerrechtliche Verträge etwas anderes vorsehen. Die Anwendbarkeit des AHRG ist va hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Bestimmungen gegeben, welche weder im EU-JZG noch in den Auslieferungsverträgen umfassend geregelt sind.
D. Begriffe Der RB-HB verwendet nicht mehr die klassische Wortwahl der Auslieferung, sondern beinhaltet eine völlig neue Terminologie, anhand derer wohl die Abkehr vom bisher geltenden System verdeutlicht werden soll. Der Europäische Haftbefehl ist in Art 1 Abs 1 RB-HB definiert als „eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt“. Die Vollstreckung des Haftbefehls basiert auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen1523 und stellt insofern eine ausschließlich justizielle Kooperation dar, weshalb eine ministerielle Bewilligung auf zweiter Stufe nicht mehr vorgesehen ist. Das Instrument des Transfers der Person wird nicht mehr als Auslieferung – ein Begriff, welchem nach Bogensberger der Ausdruck des Misstrauens anhaftet1524 –, sondern als Übergabe zwischen den Mitgliedstaaten bezeichnet. Anstatt der Begriffe ersuchender und ersuchter Staat, die die Souveränität der Staaten und den „Gefälligkeitscharackter“ der Auslieferung verdeutlichen, wird nunmehr die Terminologie Ausstellungsstaat und Vollstreckungsstaat verwendet. Auslieferungshindernisse können
1521 1522 1523
1524
Siehe auch die Stellungnahme des BMaA zum EU-JZG, 2. § 1 ARHG, siehe dazu oben Abschnitt 1.I.B.3. Art 1 Abs 2 RB-HB; Vogel, JZ 2001, 940 f, schlägt statt der Anerkennung den Begriff der Gleichstellung als treffender vor. Juridikum 2002, 94.
Grundlagen
311
entsprechend der Textierung Ablehnungsgründe, Vollstreckungshindernisse oder Übergabehindernisse genannt werden. Österreich hat diese Begriffe ins EU-JZG übernommen und damit die Unterscheidung von der klassischen Auslieferung betont, während Deutschland bei der Übernahme des RB-HB in das IRG auch dessen Begriffe an sein bestehendes Auslieferungsgesetz anpasste. Dort wird auch das Verfahren innerhalb der EU weiterhin als Auslieferungsverfahren bezeichnet, auch bleibt das traditionelle zweistufige System iS einer gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung und einer behördlichen Bewilligungsprüfung erhalten.1525 Tatsächlich stellt sich die Frage der Notwendigkeit der neuen Begriffe. Auch wenn die Prüfungskompetenz des ersuchten Staates in bestimmten Fällen beschränkt ist und die Bezeichnung als Vollstreckungsgericht daher passend erscheinen mag, so ist der Haftbefehl nicht automatisch zu vollstrecken, sondern bleibt die gerichtliche Prüfungskompetenz des Vollstreckungsstaates bestehen. Durch die Einschaltung dieser gerichtlichen Überprüfung zwischen Haftbefehlsausstellung und -vollstreckung ist die Übergabe weiterhin einer Auslieferung ähnlicher als dem rein innerstaatlichen Procedere, weshalb eine Beibehaltung der Begriffe des Auslieferungsverfahrens plausibel ist.1526
E. Systematische Einordnung Hier ist zunächst die Zuordnung der Auslieferung zum Völker- und Strafrecht sowie zum Staatsrecht und zum Internationalen Strafrecht in Erinnerung zu rufen.1527 Als Besonderheit des im RB-HB vorgesehenen Übergaberechts ist der fehlende staatsrechtliche Aspekt zu nennen. Die Übergabe soll ohne das behördliche Bewilligungsverfahren auskommen und iS eines einstufigen Systems ausschließlich auf einer Kooperation der Justizbehörden beruhen.1528 Der Grund für diese Neuerung liegt einmal darin, dass die Berücksichtigung politischer Erwägungen innerhalb des Staatenverbundes der EU als nicht mehr passend empfunden wird und in diesem Verbund die Wahrung der Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten durch die politische Bewilligung nicht mehr notwendig erscheint.1529 Daneben ist die Abschaffung der 1525
1526
1527 1528
1529
Siehe dazu Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 665, Hackner, in Probleme des Rahmenbeschlusses 196 f, Seitz, NStZ 2004, 547. Siehe auch Zeder, AnwBl 2003, 385 f sowie Plachta, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2003, 191. Oben Abschnitt 1.I.A.2. Siehe den 5. Erwägungsgrund zum RB-HB, ebenso Begründung zum Entwurf der Kommission, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) Punkt 4.5.4), 6. Rohlff, Haftbefehl 41.
312
Die Stellung des Betroffenen – Übergabetheorien
politischen Zustimmungsebene insb von dem Bestreben getragen, das Übergabeverfahren zu beschleunigen und an Effektivität zu steigern.1530 An dieser Stelle ist nochmals darauf hin zu weisen, dass der deutsche Gesetzgeber das zweistufige Modell der Auslieferung auch im Verkehr mit den Mitgliedstaaten beibehalten hat. Eine mit dem vorgegebenen Ziel der Kooperation der Justizbehörden konforme Umsetzung ergibt sich laut Materialien daraus, dass die Bewilligungsentscheidung wie nach der bisherigen Praxis an die StA bei den OLG delegiert werden kann, was auch bisher den Regelfall darstellte. Das Einvernehmen mit der Bundesregierung soll herzustellen sein, wenn dem Haftbefehl eine besondere Bedeutung in politischer, tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zukommt.1531 Als Konsequenz der formalen Beibehaltung des zweistufigen Modells wird die Auslieferung innerhalb der EU daher weiterhin dem Bereich der auswärtigen Beziehungen zugerechnet.1532 Der völkerrechtliche Aspekt der Übergabe wird durch die Ausschaltung des Bewilligungsverfahrens nicht verdrängt, da die Übergabe auf dem völkerrechtlichen Instrument des RB innerhalb der dritten Säule der EU beruht,1533 der das Ziel vorgibt und die einzelnen Staaten zu dessen Umsetzung verpflichtet.
F. Die Stellung des Betroffenen – Übergabetheorien Bevor auf die Stellung des Betroffenen eingegangen werden kann, ist zunächst zu hinterfragen, ob die für die Auslieferung geltende Vertragstheorie auch auf das Übergabeverfahren anwendbar ist. Aufgrund der politischen Bewilligungsebene stellen das Auslieferungsersuchen und schließlich die Auslieferungsbewilligung zwei wechselseitig übereinstimmende völkerrechtliche Willenserklärungen dar, dh die Auslieferung ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen ersuchendem und ersuchtem Staat.1534 Nunmehr soll die Übergabe nicht mehr auf Grund einer politischen Bewilligung erfolgen, sondern ausschließlich auf der Kooperation der beteiligten Justizbehörden beruhen. Dieses Einvernehmen zwischen dem ausstellenden und dem vollstreckenden Gericht kann nicht mehr als Völkerrechtsvertrag angesehen werden, da die Entscheidung nicht auf politischer
1530
1531
1532 1533
1534
Begründung zum Entwurf der Kommission, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) Punkt 4.5.4), 6. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 16/544, 7 mit Verweis auf BT-Drucksache 15/1718, 10. Dazu Seitz, NStZ 2004, 547, Lagodny, in Eser FS 781 f. Die dritte Säule enthält Aufgabenbereiche der intergouvernementalen Zusammenarbeit, Neisser/Verschraegen, Europäische Union Rz 02.002 f, zur dritten Säule siehe insb 08.016. Ausführlich Vogler, Auslieferung 30 ff, Lagodny, Rechtsstellung 12 ff.
Grundlagen
313
Ebene durch die den Souverän nach außen hin vertretenden Organe ergeht. Als solche Vertreter kommen nach dem Völkerrecht bzw nach der innerstaatlich in der Verfassung verankerten Organisationsstruktur nur der Bundespräsident sowie der Regierungschef bzw die Bundesregierung oder im Einzelfall einzelne Ressortminister in Frage. Statt eines völkerrechtlichen Vertrages handelt es sich bei der Übergabe nach dem RB-HB vielmehr um eine Kooperation zwischen den Staatsanwaltschaften und Gerichten, die nicht innerstaatlich, sondern zwischenstaatlich erfolgt. Diese Kooperation bezweckt einerseits die Aufgabe der Personalhoheit über den Betroffenen sowie andererseits die Unterstellung unter die Personalhoheit des Ausstellungsstaates und die Zuführung zu dessen Strafverfahren. Welche rechtliche Qualität dieser Zusammenarbeit zukommt, ist fraglich. Im Schrifttum wird vorgeschlagen, die Übergabe dem Konzept des „arbeitsteiligen Strafverfahrens“ zuzuordnen.1535 Hierzu ist festzustellen, dass nach der Vorstellung des RB-HB eine Anerkennung gegenseitiger Entscheidungen auf Justizebene erreicht werden soll, was bedeutet, dass die eine Justizbehörde – in Vollziehung der innerstaatlichen gesetzlichen Bestimmungen – die Justizbehörde des Ausstellungsstaates unterstützt. Der Begriff der arbeitsteiligen Strafverfolgung ist insofern (materiell) zutreffend, als es sich bei der Übergabe wie auch bei der Auslieferung um eine Hilfestellung zu einem fremden Strafverfahren handelt, welches ansonsten nicht möglich wäre und diese Hilfestellung nunmehr alleine durch die Justizbehörden geschehen soll. Diese Zuordnung darf aber (zumindest nach der derzeitigen Konzeption der EU) nicht so verstanden werden, dass ein unter supranationaler Leitung stehendes europäisches Strafverfahren durchgeführt wird, an dem sich die Justizbehörden mehrerer Länder beteiligen, ohne dabei jegliche Prüfungskompetenz zu besitzen. Im Anschluss an diese und auch im ersten Abschnitt bezüglich der Auslieferung getroffenen Feststellungen1536 ist nunmehr zu erwägen, welche Stellung dem Betroffenen im Übergabeverfahren zukommt. Nach der hA liegt schon der klassischen Auslieferung das dreidimensionale Modell zugrunde, in welchem neben den beteiligten Staaten auch dem Betroffenen eine Subjektstellung und damit einhergehend bestimmte Rechte zukommen. Diese Subjektstellung muss erst Recht für die Übergabe gelten, die auf einer Zusammenarbeit der Organe der Strafrechtspflege und nicht der Regierungen der beteiligten Staaten beruht. Geht man von einem arbeitsteiligen Strafverfahren aus, so bedeutet dies, dass dem Betroffenen in jedem Stadium die nationalen Verfahrens- und Menschenrechte zukommen. Die ausschließliche justizielle Kompetenz im Übergabeverfahren stärkt die Rechtsposition des
1535 1536
Rohlff, Haftbefehl 46 ff. Oben Abschnitt 1.I.A.3.
314
Die Stellung des Betroffenen – Übergabetheorien
Betroffenen insofern, als ihm dadurch eine verfahrensrechtliche Stellung zuerkannt wird. Eine bloße Objektstellung des Betroffenen ließe sich mit einem Inquisitionsprozess, nicht aber mit der heutigen europaweit geltenden Auffassung des Strafverfahrens und dem Konzept des Europäischen Haftbefehls vereinbaren.1537 Insofern sollten dem Betroffenen während des Übergabeverfahrens auch die in Art 6 Abs 1 EMRK zuerkannten Rechte zustehen.1538 Denn der Schwerpunkt liegt nunmehr auf einem rein justiziellen Verfahren. Die von der vollstreckenden Justizbehörde gesetzten Verfahrensschritte führen ohne eine weitere politische Entscheidung direkt zur Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Betroffenen im Rahmen des Strafverfahrens im Ausstellungsstaat. Gerade aus diesem Grund sollten insb solche Verfahrensrechte, wie das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter, ausreichendes rechtliches Gehör und anwaltliche Vertretung usw schon zu diesem Zeitpunkt bestehen.1539 Insofern ist die schon hinsichtlich des Auslieferungsverfahrens als fragwürdig einzustufende Doppelzuständigkeit des U-Ri zur Verhängung der Auslieferungshaft sowie zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung im Übergabeverfahren jedenfalls abzulehnen. Art 13 EU-JGZ, der die gerichtliche Zuständigkeitsregel des ARHG übernimmt, ist insoweit zu kritisieren. An dieser Stelle sei auch auf Art II-107 der Europäischen Verfassung verwiesen, der das Recht auf ein faires Verfahren und ein unabhängiges und unparteiisches Gericht nicht auf strafrechtliche Anklagen beschränkt. Sollte die Europäische Verfassung von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden, so würde diese Bestimmung verbindlich.1540 Eine Schlechterstellung des Betroffenen durch die rein justizielle Zuständigkeit könnte darin erblickt werden, dass durch den Verzicht auf das politische Verfahren eine zweite Kontrollinstanz weggefallen ist.1541 Dieser Nachteil ist jedoch insofern gering, als der BMJ seit dem StRÄG 2004 im Rahmen der Bewilligungsentscheidung nur staatspolitische und nicht die Rechtsstellung des Verdächtigen betreffende Gründe zu beachten hat und im Überga-
1537
1538
1539
1540 1541
Vgl Lagodny, in Handbook 44 f, ders, in Eser FS 782, Wolff, StV 2004, 155 f, siehe dazu auch Rohlff, Haftbefehl 53. Garlick, in Handbook 167 f und 178 f; vgl auch den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union vom 28.4.2004, KOM(2004) 328 endgültig 2004/0113 (CNS). Die Überprüfung eines prima facie cases, eines belegten dringenden Tatverdachtes kann entfallen, da diese im Ausstellungsstaat erfolgte. Bestehen Zweifel, hat eine Untersuchung stattzufinden. Dazu unten Abschnitt 2.III.C.2. Zeder, AnwBl 2003, 380.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
315
beverfahren (wie im Auslieferungsverfahren) nunmehr bereits zwei Instanzen entscheidungsbefugt sind.1542 Eine Auffassung, nach der die gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen zu einer einseitigen Zusammenarbeit der Justiz unter Ausschaltung der Rechte bzw der Rechtsposition des Betroffenen führte, widerspräche jeglichem rechtsstaatlichen Empfinden. Auch sieht der RB-HB dieses Ergebnis nicht vor. Denn die Justizbehörden des Vollstreckungsstaates sind nicht zu einer automatisierten Vollstreckung verpflichtet, sondern haben das Vorliegen materieller Voraussetzungen zu prüfen und Übergabehindernisse auszuschließen.1543 Die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in den Mitgliedstaaten sowie die EU-weite Geltung der Grund- und Menschenrechte wird zwar vorausgesetzt,1544 muss aber im Einzelfall überprüft werden können.1545 Dies hat das EU-JZG in § 19 ausdrücklich vorgesehen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Wirkung dieser Rechte als Übergabehindernisse findet unten statt.1546
G. Systematik der Darstellung Der Gang der folgenden Untersuchung soll sich am Aufbau des vorigen Abschnittes orientieren. Es werden die einzelnen materiellen Übergabevoraussetzungen und Ablehnungsgründe sowie im Anschluss das Übergabeverfahren dargestellt. Soweit es sich zweckmäßig darstellt, sollen zunächst jeweils die Vorgaben des RB-HB aufgezeigt und in der Folge ihre Umsetzung im österreichischen EU-JZG ausführlich besprochen werden.
II.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen A. Beiderseitige Strafbarkeit
1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 2 RB-HB Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit1547 wurde im RB-HB nicht vollends aufgegeben, seine Anwendung aber ins Ermessen der Mitgliedstaaten
1542 1543 1544 1545
1546 1547
Vgl auch Lagodny, StV 2005, 518. Rohlff, Haftbefehl 52 f. Siehe die Erwägungsgründe 12 und 13. Siehe Zeder, AnwBl 2003, 385 f. Der 10. Erwägungsgrund spricht nicht gegen dieses Ergebnis, da er mE nur die generelle Aussetzung der Übergabe einem Mitgliedstaat gegenüber ausschließt, dazu unten Abschnitt 2.III.C.1. Abschnitt 2.III.C. Dazu oben Abschnitt 1.III.A.
316
Beiderseitige Strafbarkeit
gestellt.1548 Insofern kann argumentiert werden, dass der RB-HB an diesem Grundsatz festhält.1549 Art 2 Abs 1 RB-HB verlangt, dass die Handlung vom Ausstellungsstaat mit einer Obergrenze von mindestens 12 Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist (dh die Strafdrohung von einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr genügt).1550 Die deutsche Übersetzung in Art 2 Abs 1 RB-HB, nach der ein Europäischer Haftbefehl bei Handlungen erlassen werden „kann“, die im Ausstellungsstaat entsprechend sanktioniert sind, wäre mit „darf“ treffender gewesen. Dies zeigt die englische Version, die besagt, „A European arrest warrant may be issued“. Daneben kann der Vollstreckungsstaat gem Art 2 Abs 2 RB-HB die Übergabe davon abhängig machen, dass die Handlung nach seinem Recht eine Straftat darstellt.1551 Weggefallen ist damit das Erfordernis der qualifizierten beiderseitigen Strafbarkeit1552, wie es zB noch das AuslÜbk-EU vorsah,1553 welches für die Auslieferungsfähigkeit eine Strafdrohung von 6 Monaten Freiheitsstrafe im ersuchten Staat verlangte. Höhe und Art der Strafdrohung im Vollstreckungsstaat sind unbeachtlich. Da bei fehlender Strafbarkeit der Handlung im Vollstreckungsstaat die Übergabe abgelehnt werden kann, stellt die beiderseitige Strafbarkeit nach dem RB-HB einen bloß fakultativen Ablehnungsgrund dar. Es hängt vom Vollstreckungsstaat ab, ob er diesen geltend macht oder nicht.1554 Hinsichtlich des Umfangs und der Methode der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bestehen im RB-HB kaum Regelungen. In Übereinstimmung mit dem im ersten Abschnitt gewählten Aufbau soll hier auf die Verjährung eingegangen werden, die in Anlehnung an Art 8 AuslÜbk-EU beschränkt wurde. Während sie nach § 18 ARHG und Art 10 EuAlÜbk als ausdrückliches Auslieferungshindernis gewertet wird, kann die Verjährung gem Art 4 Z 4 RB-HB im Vollstreckungsstaat als Übergabehindernis gelten, dies jedoch nur, wenn dem Vollstreckungsstaat selbst auch Gerichtsbarkeit über die Tat zukommt. Neben der generellen Notwendigkeit einer zumindest einjährigen Freiheitsstrafdrohung, enthält der RB-HB in Art 2 Abs 2 einen Katalog von
1548
1549 1550 1551
1552 1553 1554
Im Entwurf war noch ein genereller Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit vorgesehen, jedoch eine Negativliste mit Delikten angeführt, hinsichtlich derer die einzelnen Staaten das Strafbarkeitserfordernis vorsehen konnten. So Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 48. Dazu Keijzer, in Handbook 140 ff. „…surrender may be subject to the condition that the acts … constitute an offence under the law of the executing Member State”. Dazu oben Abschnitt 1.III.A.2. Art 2 Abs 1 AuslÜbk-EU. Keijzer, in Handbook 139.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
317
32 Straftaten1555, hinsichtlich derer der (fakultative) Ablehnungsgrund der beiderseitigen Strafbarkeit gänzlich aufgehoben ist: Die Übergabe hat ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit zu erfolgen, wenn die aufgezählten Handlungen im Ausstellungsstaat mit einer Obergrenze von mindestens 3 Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, dh eine Strafdrohung von bis zu 3 Jahren genügt. Dabei entscheidet das Ausstellungsgericht selbst, ob die Handlung unter einen im Katalog genannten Tatbestand fällt. Auf die Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat kommt es nicht an. Dieser Straftatenkatalog umfasst aber keineswegs nur terroristische oder spezifisch unionsbezogene Straftaten,1556 obwohl der RB-HB und insb die Einigung in Bezug auf diesen Katalog nach dem 11. September 2001 unter dem Eindruck des Terrorismus als weltweite Bedrohung erfolgte. Er enthält neben der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel und Korruption einerseits auch klassische Delikte wie Betrug, Erpressung und Brandstiftung. Andererseits finden sich für das deutschsprachige Rechtsverständnis unbekannte und überdies höchst unkonkrete „Tatbestände“ wie Cyberkriminalität, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Sabotage.1557 Im Entwurf der Kommission1558 war noch eine generelle Aufgabe der beiderseitigen Strafbarkeit vorgesehen, die einzelnen Mitgliedstaaten wären jedoch (nach Art 27 des Entwurfes) berechtigt gewesen, jeweils eine „Negativliste“ zu erstellen, in welche sie Handlungen aufnehmen können, die sie vom Anwendungsbereich des europäischen Haftbefehls ausnehmen wollen. Die Änderung im beschlossenen RB-HB hin zu dem Positivkatalog von Straftaten kann trotz der grundsätzlichen Beibehaltung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht als positiv bewertet werden. Die Schaffung einer Negativliste hätte jedem Mitgliedsstaat zumindest die Möglichkeit geboten, auf die Eigenheiten seines Strafrechtes einzugehen und alle Handlungen, die es aufgrund seines Rechtsverständnisses bewusst nicht unter Strafe stellt, deren Kriminalisierung in anderen Mitgliedsstaaten aber bekannt ist, von der Übergabeverpflichtung auszunehmen. Zu denken ist hier insb an die national unterschiedlichen Ansätze zur Beurteilung des Drogenkonsums, der Abtrei-
1555
1556
1557
1558
Dieser Katalog kann vom Rat einstimmig, nach Anhörung des Europäischen Parlaments, jederzeit erweitert werden (Art 2 Abs 3 Rahmenbeschluß). Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 48, kritisch Schünemann, NStZ 2003, 188, vgl auch Zeder, AnwBl 386. Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 209, Schilling, in Probleme des Rahmenbeschlusses 107 ff, Keijzer, in Handbook 149 f, Blekxtoon, in Handbook 228 ff, Schwaighofer, in Burgstaller FS 443 f, Fuchs, JBl 2003, 407 ff, Zeder, AnwBl 2003, 381, Schünemann, GA 2002, 508. ABl 2001 C 332E, 305, 311.
318
Beiderseitige Strafbarkeit
bung und auch der Euthanasie etc.1559 Die einzelnen Mitgliedstaaten hätten selbst diese Wertung treffen und somit die Entscheidungsbefugnis behalten können. Anhand dieser Negativliste hätten auch andere länderspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden können, wie zB Regelungen über die Strafmündigkeit oder Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe. Der Kommissionsbericht sah gerade zu diesem Zweck auch die Einbeziehung von „Fragen allgemeiner Art in Verbindung mit strafbaren Handlungen“ in die Negativliste vor.1560 Hier ist insb auf die Kritik von Fuchs zu verweisen, der feststellt, dass nunmehr eine Bedachtnahme auf den in Österreich geltenden, auf europäischer Ebene aber einzigartigen Strafaufhebungsgrund der Tätigen Reue gem § 167 StGB unzulässig geworden ist und daher eine Übergabe trotz Straffreiheit nach österreichischem Recht durchzuführen wäre. Die Regelung anhand der Negativliste hingegen hätte Österreich die Möglichkeit der Berücksichtigung dieser kriminalpolitisch wichtigen Bestimmung geboten.1561 Dem Argument, dass die Erstellung einer Negativliste mangels genauer Kenntnis der einzelnen Strafrechtsordnungen nicht tunlich gewesen wäre,1562 kann nicht gefolgt werden, da die einzelnen Mitgliedstaaten die Listen selbst erstellt hätten und diese somit für die Justizbehörden des Ausstellungsstaates jederzeit einsehbar gewesen wären. Es ist nun auf die einzelnen Katalogstraftaten der Positivliste einzugehen.1563 Zunächst ist die vollkommen unsystematische Aneinanderreihung der „Tatbestände“ zu kritisieren, welche zum Teil ident sind. So werden an 8. Stelle Betrugsdelikte genannt, an 20. der Betrug selbst. An 10. Stelle ist die Geldfälschung angeführt, an 24. Stelle die Fälschung von Zahlungsmitteln. Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme sind an 16. Stelle genannt und an 31. Stelle wird die Flugzeug- und Schiffsentführung gesondert aufgezählt. Neben der unsystematischen Aufzählung der Straftaten ist ihre unbestimmte Fassung zu beanstanden. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass sie bereits in allen Mitgliedstaaten in irgendeiner Form kriminalisiert sind. Die ungenaue Umschreibung lässt aber einen umfassenden Auslegungsspielraum offen, der dazu führt, dass sich die Länder mit den repressivsten Strafgesetzen durchsetzen. So ist zu überlegen, was unter dem Begriff 1559
1560 1561 1562 1563
Siehe die Begründung der Kommission, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) 18. Begründung zu Art 27, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) 18. Fuchs, JBl 2003, 408. Zeder, AnwBl 2003, 382. Zu den einzelnen „Tatbeständen“ siehe Keijzer, in Handbook 152 ff, Blekxtoon, in Handbook 230 ff, Unger, Haftbefehl 100 ff.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
319
„Fremdenhass“ zu verstehen ist. Während Österreich und Deutschland aufgrund historischer Vorkommnisse Wiederbetätigungshandlungen unter Strafe stellen,1564 bestehen keine entsprechenden Tatbestände im Vereinigten Königreich. Auch der Kern der strafbaren Cyberkriminalität mag durch europarechtliche Vorgaben feststehen,1565 doch können die Mitgliedstaaten umfassendere, über den verpflichtenden Rahmen hinausgehende Strafbestimmungen erlassen. Fuchs weist zu Recht darauf hin, dass jede Straftat, die mit Hilfe eines vernetzten Computersystems begangen wird, unter diese Katalogstraftat gerechnet werden kann und eine Strafbarkeit vom Vollstreckungsgericht nicht mehr zu prüfen wäre.1566 Sogar konkreter umschriebene Tatbestände wie die „vorsätzliche Tötung“ werfen – schon im Verhältnis zwischen Österreich und seinem Nachbarland Deutschland – umfassende Probleme auf: Während das österreichische StGB nicht nur die Tötung auf Verlangen, sondern auch die Mitwirkung am Selbstmord darunter subsumiert, kriminalisiert das deutsche Recht diese Form der Euthanasie bewusst nicht. Auch die Abtreibung, die in Irland und Portugal strafbar ist, könnte von einem Richter des Ausstellungsstaates unter die vorsätzliche Tötung subsumiert werden. Diese Unterschiede in Detailbereichen von Straftaten, deren grundsätzliche Kriminalisierung innerhalb der EU gegeben sein mag, können zur Übergabepflicht wegen Handlungen führen, die nach dem Rechtsempfinden des Vollstreckungsstaates gerade nicht unter Strafrechtssanktion stehen.1567 Wurde die Handlung in einem Mitgliedstaat gesetzt, in dem diese gar nicht strafbar ist und stellt nun ein anderer Mitgliedstaat zB aufgrund des passiven Personalitätsprinzips unabhängig von der lex loci einen Europäischen Haftbefehl aus, so müsste der Tatortstaat den „Täter“ wegen einer legalen Handlung übergeben. Besonders in diesen Fällen ist die Auslieferung für den Einzelstaat und seine Bevölkerung jedoch am wenigsten akzeptabel. Die Beibehaltung der Negativliste hätte den einzelnen Mitgliedstaaten zumindest in diesen sensiblen Bereichen weiterhin Autonomie zugestanden, während wegen des Großteils der Sachverhalte, die innerhalb Europas bisher schon kriminalisiert werden, Übergabepflicht bestünde. Es ist daher notwendig dieses unbefriedigende Ergebnis im Rahmen der Umsetzung des RB-HB zu unter1564
1565
1566 1567
Für Österreich siehe § 3 a ff VerbotsG (StGBl 1945/13 idgF), für Deutschland siehe §§ 84 ff dStGB. Art 3 ff des Rahmenbeschlusses vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, ABl 2001 L 149, 1, siehe die Cyber-Crime-Konvention, des Europarates ETS Nr 185, abrufbar unter http://conventions.coe.int/treaty/EN/cadreprincipal.htm, sowie den Vorschlag der Kommission für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme vom 19.4.2004 (KOM(2002) 173 endgültig 2002/0086 (CNS)), ABl 2002 C 203 E, 109 – 113 und die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments dazu ABl 2003 C 300E, 152–156 vom 11.12.2003. JBl 2003, 407 f. Schwaighofer, in Burgstaller FS 443 f.
320
Beiderseitige Strafbarkeit
binden. So ist nach dem EU-JZG eine Übergabe unzulässig, wenn die Tat im eigenen Hoheitsgebiet begangen wurde, wobei dies auch dann gilt, wenn die Tat nach österreichischem Recht nicht strafbar ist.1568 Dem Schrifttum ist darin beizupflichten, dass auch das Kriterium der zumindest dreijährigen Obergrenze der Freiheitsstrafe im Ausstellungsstaat den Rechtsschutz- und Souveränitätsverlust nicht wirklich kompensieren kann, da in vielen Mitgliedstaaten die in Österreich bestehende Abstufung der Strafrahmen nicht vorgesehen und/oder bereits das Grunddelikt mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.1569 Während in Österreich Diebstahl, Betrug und Hehlerei mit bis zu sechs Monaten sanktioniert werden, sind Diebstahl und Betrug in Italien mit sechs Monaten bis zu drei Jahren, in Deutschland mit bis zu fünf Jahren bestraft.1570 Die Hehlerei weist in Deutschland eine Strafdrohung von bis zu fünf Jahren in Italien von zwei bis zu acht Jahren auf.1571 Problematisch ist zudem, dass der Ausstellungsstaat selbst entscheidet, ob die Handlung unter eine Katalogstraftat fällt. Da die Katalogstraftaten in den Haftbefehlsformularen im Anhang aufgezählt sind, ist es ausreichend, dass der Richter des Ausstellungsstaates den seiner Meinung nach verwirklichten Tatbestand bloß ankreuzt. Die Liste der Katalogstraftaten wurde in allen Mitgliedstaaten übernommen. Der vollstreckende Richter soll diese Wertung anerkennen und den Haftbefehl exekutieren, unabhängig davon, ob das inkriminierte Verhalten in seinem Staat strafbar oder vollkommen legal wäre. Dh eine Überprüfung der Strafbarkeit nach eigenem Recht ist nicht zulässig. Das bedeutet aber nicht, dass eine gänzlich ungeprüfte Übernahme dieser Kategorisierung durch den vollstreckenden Richter zu erfolgen hat. Dem vollstreckenden Richter gebührt eine Willkürkontrolle; es muss ihm daher die Überprüfung der vom ausstellenden Richter vorgenommenen Subsumtion möglich sein.1572 Diese Willkürkontrolle kann aus der in Art 15 Abs 2 RBHB vorgesehenen allgemeinen Überprüfungsmöglichkeit abgeleitet werden. Die österreichische Umsetzung überzeugt hier mit einer klaren Regelung: gem § 19 Abs 3 EU-JZG ist die Überprüfung der Subsumtion unter eine Katalogstraftat ausdrücklich zulässig.1573
1568 1569
1570 1571 1572 1573
Dazu unten Abschnitt 2.III.A.1. Sautner, ÖJZ 2005, 331, Schwaighofer, in Probleme des Rahmbenbeschlusses 77, ders in Burgstaller FS 444, Fuchs, JBl 2003, 409. Art 624 und Art 640 codice penale, § 242 und § 259dStGB. § 263 dStGB und Art 648 codice penale. OLG Karlsruhe wistra 2005, 240. Zustimmend auch Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 209 f, Medigovic, JBL 2006, 631; siehe dazu unten Abschnitt 2.II.A.2.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
321
Das Ergebnis fasst das Schrifttum zutreffend als Dominanz der repressivsten Rechtsordnung zusammen.1574 Diese Entwicklung wurde bereits von der Kommission in ihrem Entwurf vorhergesehen und mit der Erstellung einer Negativliste zu verhindern gesucht. Was bleibt ist der Wunsch nach einer restriktiven Interpretation der schließlich beschlossenen Positivliste in Verbindung mit einer weiten Auslegung der Ablehnungsgründe zur Vermeidung rechtsstaatlicher Defizite.1575 2. § 4 EU-ZG 2.1. Grundsätze der beiderseitigen Strafbarkeit Im EU-JZG wurde die beiderseitige Strafbarkeit im Rahmen der Vorgaben des RB-HB umfassender verankert. Entsprechend dem RB-HB verlangt § 4 Abs 1 EU-JZG als Übergabevoraussetzung eine Freiheitsstrafdrohung im Ausstellungsstaat, deren Obergrenze mindestens ein Jahr beträgt. Daneben ist die Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat eine zwingende Übergabevoraussetzung. Die beiderseitige Strafbarkeit ist daher, abgesehen von der Liste der Katalogstraftaten, nicht bloß als fakultative, sondern als obligatorische Bedingung ausgeformt. Diese ausdrückliche Ablehnung der im Ermessensspielraum stehenden Einschränkungsmöglichkeit ist zu begrüßen.1576 Die qualifizierte beiderseitige Strafbarkeit stellt kein materielles Übergabeerfordernis dar.1577 § 4 Abs 3 EU-JZG sieht von der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ab, wenn die Übergabetat von der ausstellenden Justizbehörde einer der 32 Katalogstraftaten zugeordnet wurde, die im Anhang nach Reihenfolge und Terminologie unverändert zum RB-HB aufgezählt sind. Weiters ist notwendig, dass die Tat nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Obergrenze von mindestens 3 Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Auf das Vorliegen dieses Kriteriums im Ausstellungsstaat kann wie bei der Auslieferung wohl vertraut werden, eine entsprechende Bescheinigung muss aber verlangt werden können. Gem § 4 Abs 4 EU-JZG ist für die Einordnung einer Handlung unter die Katalogstraftaten durch die ausstellende Justizbehörde die wörtliche Übereinstimmung mit der Terminologie des Rechts des Vollstreckungsstaates nicht notwendig.
1574
1575 1576
1577
Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 209, Sautner, ÖJZ 2005, 331, Schwaighofer, in Burgstaller FS 449, Fuchs, JBl 2003, 408 f, Zeder, AnwBl 2003, 381, ebenso Schünemann, ZRP 2003, 187 f, der vom Prinzip der maximalen Punitivität bzw der europaweiten Herrschaft des punitivsten Strafrechts schreibt. Dazu Fuchs, JBl 2003, 409 ff. Zu Begründung der Notwendigkeit der beiderseitigen Strafbarkeit siehe oben Abschnitt 1.III.A.1. Dazu oben Abschnitt 1.III.A.2.
322
Beiderseitige Strafbarkeit
Die Überprüfung der durch den Ausstellungsstaat vorgenommenen Subsumtion unter eine Katalogstraftat ist zulässig, da damit nicht die beiderseitige Strafbarkeit, sondern nur die Strafbarkeit im Ausstellungsstaat und die Rechtmäßigkeit der Beurteilung als Katalogstraftat kontrolliert wird. Stellte die Tat im Ausstellungsstaat keine Katalogstraftat dar, so wäre schließlich die beiderseitige Strafbarkeit zu prüfen. Grundsätzlich hat der Ausstellungsstaat die Zuordnung vorzunehmen und seine Definition der Listentat ist insofern ausschlaggebend. So steht die Anerkennung der gegenseitigen Entscheidungen zwar im Vordergrund, doch bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Beurteilung durch den Ausstellungsstaat zu überprüfen. § 19 Abs 2 und 3 EU-JZG sieht diesbezüglich den Prüfungsumfang vor: Der Richter hat bei offensichtlich fehlerhafter Subsumtion unter eine Katalogstraftat oder im Falle eines begründeten diesbezüglichen Einwands des Betroffenen einen Ergänzungsauftrag unter Fristsetzung zu stellen. Vom Ausstellungsstaat ist in diesen Fällen wohl eine Art Bescheinigung zu verlangen, aus der hervorgeht, dass die Handlung nach dessen Rechtsordnung tatsächlich unter eine bestimmte Katalogstraftat zu subsumieren ist.1578 Erfolgt diese nicht oder lässt sich die Beurteilung daraus nicht schlüssig entnehmen, so ist eine Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit vorzunehmen und die Übergabe gegebenenfalls abzulehnen. Besteht zB im Ausstellungsstaat neben dem Delikt der vorsätzlichen Tötung ein eigener Tatbestand für das vorgeworfene Verhalten, wie zB Schwangerschaftsabbruch, so ist die Subsumtion unter das allgemeine Delikt zur Erreichung der Übergabe als offensichtlich fehlerhaft einzustufen. Sind die Voraussetzungen des § 97 StGB gegeben, so läge die beiderseitige Strafbarkeit nicht vor und wäre die Übergabe abzulehnen. Denn an die Stelle der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen bzw dem gegenseitigen Vertrauen kann in begründeten Ausnahmefällen Misstrauen treten. Schließlich könnte es auch innerhalb der Union vorkommen, dass ein Staat die Übergabe des Betroffenen erreichen will, obwohl die Tat nicht unter eine der Katalogstraftaten fällt. Die Überprüfungspflicht des § 19 Abs 2 und 3 EU-JZG lässt sich aus Art 15 Abs 2 RB-HB ableiten, der bestimmt, dass der entscheidende Richter generell um Zusatzinformationen ersuchen kann, wenn die beigebrachten Informationen seiner Meinung nach nicht ausreichend sind.1579 2.2. Umfang und Methode der Prüfung Hinsichtlich der nicht unter die Katalogstraftaten fallenden Übergabedelikte, deren Strafbarkeit nach österreichischem Recht zu überprüfen ist, kann
1578
1579
Siehe die Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages BT-Drucksache 15/2677, 37. Für eine begrenzte Überprüfungsmögichkeit bei „only very persuasive indications“ Keijzer, in Handbook 148.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
323
in Bezug auf Umfang und Methode der Prüfung und Zeitpunkt des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit auf die ausführlichen Darstellungen zur beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsverfahren verwiesen werden.1580 Die dort aufgestellten Kriterien sind auch im Übergabeverfahren anzuwenden, da der RB-HB diesbezüglich kaum Sonderregeln vorsieht. Zunächst ist daher eine Umstellung des Sachverhaltes vorzunehmen.1581 Die beiderseitige Strafbarkeit muss zum Zeitpunkt der Tatbegehung bestehen,1582 weiters erfolgt die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit wie im Auslieferungsverfahren konkret, dh es hat eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat vorzuliegen, deren Strafbarkeit nicht durch Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe ausgeschlossen ist.1583 Ergeht hingegen ein Europäischer Haftbefehl wegen einer Katalogstraftat, so hat gem Art 2 Abs 2 RB-HB bzw § 4 Abs 3 EU-JZG die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit generell zu unterbleiben. Das bedeutet, dass auch in den Fällen, in denen die unter die Katalogstraftat fallende Handlung nach österreichischem Recht ebenso strafbar wäre, für eine konkrete Prüfung kein Raum bleibt und ein eventuell klar ersichtlicher Rechtfertigungsgrund die Übergabe per se nicht ausschließen kann. Auch in diesen Fällen besteht die Möglichkeit der Ablehnung einer Übergabe zur Verhinderung nicht sachgerechter Ergebnisse: Es könnte ein nationales Strafverfahren eingeleitet und die Vollstreckung des Haftbefehls gem Art 4 Z 2 RB-HB bzw § 7 Abs 2 Z 1 EU-JZG bzw bei einer folgenden rechtskräftigen Einstellung gem Art 4 Z 3 RB-HB bzw § 7 Abs 1 oder Abs 2 Z 2 EU-JZG abgelehnt werden.1584 Gesondert einzugehen ist noch auf das Vollstreckungshindernis der Verjährung sowie der mangelnden beiderseitigen Gerichtsbarkeit, da der RB-HB in Art 4 Z 4 und Z 7 lit b diesbezüglich Sonderregelungen getroffen hat. 2.2.1. Prüfung der Verjährung Zunächst ist allgemein anzumerken, dass die in Österreich als Strafaufhebungsgrund geltende Verjährung die Vollstreckung des Haftbefehls anders als nach dem ARHG nicht mehr generell ausschließen kann.1585 Die in Art 4 Z 4 RB-HB getroffene Beschränkung richtet sich nach der Regelung des Art 8 Abs 1 AuslÜbk-EU. Entsprechend dem RB-HB steht die Verjährung 1580 1581 1582 1583 1584
1585
Abschnitt 1.III.A.3. Kreijzer, in Handbook 145. AM Kreijzer, in Handbook 146, siehe dazu oben Abschnitt 1.III.B.2. Abschnitt 1.III.A.3.1.; Sautner, ÖJZ 2005, 330. Zu diesen Vollstreckungshindernissen siehe unten Abschnitt 2.III.A. Abschnitt 2.III.B. Die rechtskräftige Einstellung nach § 7 Abs 1 EU-JZG unterliegt in Bezug auf Nichtstaatsbürger nicht der Einschränkung des § 7 Abs 3 Z 3 EU-JZG. Siehe hingegen das zwingende Auslieferungshindernis des § 18 ARHG, dazu oben Abschnitt 1.III.A.3.1.
324
Beiderseitige Strafbarkeit
in Österreich der Übergabe gem § 10 EU-JZG nur dann entgegen, wenn Österreich als Vollstreckungsstaat selbst Strafgewalt über die Handlung besitzt, wie zB nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB. Diesfalls gilt das Vollstreckungshindernis aber zwingend, was als rechtsstaatlich überzeugende Lösung hervorzuheben ist. Dass die Verjährung nach dem Recht des Ausstellungsstaates weder in Art 4 Z 4 RB-HB noch in § 10 EU-JZG ausdrücklich als Übergabehindernis vorgesehen ist, tut nach der hier vertretenen Auffassung nichts zur Sache: Die Straf- und Verfolgbarkeit nach dem Recht des Ausstellungsstaats stellt eine logische und daher auch nicht gesondert zu regelnde Bedingung dar.1586 Auf ihr Vorliegen kann im Übergabe- wie auch im Auslieferungsverkehr vertraut werden.1587 Ergibt sich für den Vollstreckungsstaat, dass die Tat nach dem Recht des Ausstellungsstaates verjährt und damit nicht mehr verfolgbar ist, so kann er die Übergabe mit Verweis auf die fehlende Strafbarkeit ablehnen. Fraglich ist, ob der Vollstreckungsstaat die Verjährung auch hinsichtlich einer Katalogstraftat prüfen darf, zumindest in den Fällen, in welchen diese auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaates strafbar wäre, da sich nur diesfalls eine Aussage über die Verjährung treffen lässt. Sowohl der RB-HB als auch das EU-JZG sehen für die Verjährung eine Sonderregelung vor, was dartut, dass sie die Verjährung nicht als Bestandteil der beiderseitigen Strafbarkeit ansehen.1588 Da weder Art 4 Z 4 RB-HB noch § 10 EU-JZG darauf hinweisen, dass diese Sonderregelung hinsichtlich der Verjährung bei Katalogstraftaten nicht zur Anwendung gelangt, ist eine solche Überprüfung zulässig.1589 Das bedeutet, dass Österreich die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen hat, wenn dieser auf einer in Österreich bereits verjährten strafbaren Katalogstraftat beruht.
1586
1587 1588
1589
AM Sautner, ÖJZ 2005, 339, vgl auch Rohlff, Haftbefehl 95; EBRV 370 BlgNR XXII. GP 11. Blekxtoon, in Handbook 236. Dies erklärt sich damit, dass die Verjährung in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich qualifiziert wird; während sie in Österreich einen Strafaufhebungsgrund darstellt, wird sie im deutschen Recht als Verfolgungshindernis angesehen, siehe oben Abschnitt 1.III.A.3.1. Abschnitt 1.III.C.1. So auch Blekxtoon, in Handbook 236.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
325
B. Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Besonderheiten bei extraterritorialem Strafanspruch des Ausstellungsstaates – special use of double criminality 1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 7 lit b RB-HB Die beiderseitige (extraterritoriale) Gerichtsbarkeit bedeutet, dass der extraterritoriale Strafanspruch, auf den der ersuchende Staat sein Auslieferungsbegehren stützt, auch im ersuchten Staat anerkannt sein muss. Zunächst ist diesbezüglich auf die ausführliche Besprechung im ersten Abschnitt zu verweisen.1590 Dort wurde die in dieser Arbeit vertretene Auffassung aufgezeigt, dass die beiderseitige Gerichtsbarkeit mit dem Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit zwar in einem engen Zusammenhang steht, sie aber nicht deren Bestandteil ist.1591 Davon geht auch der RB-HB aus, der in Art 4 Z 7 lit b eine ausdrückliche Regelung enthält:1592 Die Übergabe kann abgelehnt werden, wenn das Recht des Vollstreckungsstaates eine Verfolgung wegen entsprechender im Ausland begangener Taten nicht zuließe, dh die dem Haftbefehl zugrunde liegende extraterritoriale Strafgewalt des Ausstellungsstaates nicht kennt. Diese Bestimmung ist gerade nicht an Art 2 RB-HB geknüpft, der die beiderseitige Strafbarkeit regelt, sondern besteht unabhängig davon in Art 4 RB-HB, der als Sammelbestimmung alle anderen Übergabevoraussetzungen bzw -hindernisse verankert. Eine Ablehnung der Übergabe ist daher mangels beiderseitiger Gerichtsbarkeit unabhängig davon möglich, ob sich der Haftbefehl auf eine Katalogstraftat oder eine der beiderseitigen Strafbarkeit unterliegende Handlung stützt. 2. Die Umsetzung im EU-JZG Die Umsetzung dieser Vorgabe im EU-JZG ist als nicht geglückt zu bezeichnen. Nach § 5 Abs 3 EU-JZG ist dieser Verweigerungsgrund nur bei Europäischen Haftbefehlen gegen österreichische Staatsbürger anwendbar. Der Überlegung, österreichische Staatsbürger größtmöglich zu schützen, ist beizupflichten, doch ist nicht einzusehen, warum ein allgemein gültiger Verweigerungsgrund nur auf diese beschränkt sein sollte. Schließlich lässt sich diese Ungleichbehandlung auch materiell nicht rechtfertigen. Denn auch ein Europäischer Haftbefehl gegen einen Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaates kann sich auf einen extraterritorialen Strafanspruch stützen, welcher in seinem Heimatstaat ebenso wenig anerkannt ist wie in Österreich. Die Übergabe soll aber nach dem EU-JZG nur dann unzulässig sein, wenn ein österreichischer Staatsbürger betroffen ist. 1590 1591 1592
Oben Abschnitt 1.III.B. Siehe auch Kreijzer, in Handbook 144. Diese Bestimmung ist an Art 7 Abs 2 EuAlÜbk angelehnt.
326
Die Spezialität als Übergabevoraussetzung
Wie bereits zum RB-HB angemerkt, hat die fehlende beiderseitige extraterritoriale Gerichtsbarkeit auch bei Katalogstraftaten, hinsichtlich derer die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ausgeschlossen ist, zur Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls zu führen. In § 5 Abs 3 EU-JZG wurde unter Bezugnahme auf Art 4 Z 7 lit b RB-HB eine Sonderregelung geschaffen, die nicht auf der beiderseitigen Strafbarkeit basiert.
C. Die Spezialität als Übergabevoraussetzung 1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 27 RB-HB 1.1. Grundsätzliche Beibehaltung der Spezialität Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kommissionsentwurf1593 in Art 41 noch einen vollständigen Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität vorsah.1594 Laut Kommissionsbericht war diese Abschaffung in der Vereinfachung und Beschleunigung des Übergabeverfahrens begründet.1595 Der in Kraft getretene RB-HB hält nunmehr zwar in Art 27 Abs 2 im Allgemeinen am Spezialitätsgrundsatz fest, schränkt ihn aber durch unterschiedlichste Ausnahmen ein, so dass diese Bestimmung zu Recht als „unübersichtliches, unhandliches Regelungswerk“ kritisiert wird.1596 Die Abschaffung bzw Beibehaltung des Spezialitätsprinzips ist grundsätzlich eng an das Schicksal der beiderseitigen Strafbarkeit geknüpft. Da diese nunmehr im RB-HB – anders als zunächst noch im Entwurf – generell verankert wurde, ist auch die Beibehaltung der Spezialität notwendig, um Umgehungsmöglichkeiten der beiderseitigen Strafbarkeit hintanzuhalten.1597 Trotz des vorgeschlagenen generellen Verzichts auf die beiderseitige Strafbarkeit wäre die Beibehaltung der Spezialität aber auch bzw insb im Kommissionsentwurf erforderlich gewesen, um die Einhaltung der jeweiligen Negativlisten, die die „übergabeunfähigen“ Delikte enthalten, effektiv zu gewährleisten. Die Geltung der Spezialität im Übergabeverfahren ist nicht als Übergabevoraussetzung bei den Allgemeinen Grundsätzen im Kapitel 1 geregelt, sondern dem Kapitel 3 „Wirkung der Übergabe“ unterstellt. Art 27 Abs 2 RB-HB besagt, dass die Verfolgung, Verurteilung oder Unterwerfung unter 1593 1594
1595 1596
1597
ABl 2001 C 332E, 313. Zum Grundsatz der Spezialität siehe oben Abschnitt 1.III.D. Die weitere Übergabe sowie die Weiterlieferung an einen Drittstaat wurden im Entwurf nicht erwähnt. KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) Begründung Punkt 4.5. Z 6 S 6. Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 48, nach Zeder, AnwBl 2003, 384 ist die Regelung „kaum an Unübersichtlichkeit zu überbieten“. Vgl Rohlff, Haftbefehl 98.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
327
eine freiheitsentziehende Maßnahme wegen vor der Übergabe begangener Taten unzulässig ist. In Art 27 Abs 1 RB-HB ist die generelle Zustimmung der Mitgliedstaaten und in Abs 3 eine sonstige Liste von Gründen vorgesehen, aufgrund derer die Spezialitätswirkung nicht zum Tragen kommt. Diese Bestimmungen werden im Folgenden in Anlehnung an den im ersten Abschnitt gewählten Aufbau besprochen. Zur Rechtsschutzwirkung der Spezialität siehe die entsprechenden Ausführungen zum Auslieferungsverfahren.1598 1.2. Umfang der Spezialitätswirkung Hinsichtlich des Umfanges der Spezialitätswirkung ist zu erwähnen, dass entsprechend der Auslieferung sowohl die Verfolgung als auch die Verurteilung und Beschränkung der persönlichen Freiheit untersagt sind.1599 Da die Weiterlieferung in einer eigenen Bestimmung erfasst ist, soll hier auch in einem gesonderten Punkt darauf eingegangen werden. Im Unterschied zum geltenden Auslieferungsrecht bestehen hinsichtlich des Umfanges der Wirkung Ausnahmen, die Art 10 Abs 1 lit a, b und c des nicht in Kraft getretenen AuslÜbk-EU entsprechen: Die Spezialitätswirkung ist gem Art 27 Abs 3 lit b RB-HB ausgeschlossen, wenn die von der Übergabeentscheidung zur Strafverfolgung nicht gedeckte Handlung eine nicht mit Freiheitsstrafe oder sonstiger freiheitsentziehender Maßregel der Sicherung bedrohte Straftat darstellt. Daneben bestimmt Art 27 Abs 3 lit c RB-HB, dass die weitere Verfolgung auch zulässig ist, wenn das Strafverfahren nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Nach Art 27 Abs 3 lit d RB-HB ist die Vollstreckung einer nicht mit Freiheitsentziehung verbundenen Strafe zulässig, auch wenn dies zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe führen kann. Wegen unter die lit b fallender strafbarer Handlungen ist daher eine Verfolgung im (ehemaligen) Ausstellungsstaat zulässig, obwohl die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen dieser Taten gar nicht möglich wäre, da die Übergabe an eine Freiheitsstrafdrohung von mindestens einem Jahr im Ausstellungsstaat gebunden ist. Die Übergabe zur Strafverfolgung wegen einer Katalogstraftat verlangt darüber hinaus eine Strafdrohung von bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe im Ausstellungsstaat. Eine Übergabe zur Strafvollstreckung wäre wegen der in lit d genannten Fällen ebenso wenig zulässig. Art 27 Abs 3 lit c RB-HB lässt eine Verfolgung zu, wenn die Strafverfolgung nicht zu einer Beschränkung der persönlichen Freiheit des Betroffenen führt. Dh in diesen Fällen kann die Tat zwar mit Freiheitsstrafe bedroht sein, doch ist die Verfolgung zulässig, wenn weder eine Präventiv- noch Strafhaft
1598 1599
Dazu oben Abschnitt 1.III.D.2. Siehe dazu oben Abschnitt 1.III.D.4.
328
Die Spezialität als Übergabevoraussetzung
verhängt werden wird. Das bedeutet, dass in diesen Fällen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls dh eine Übergabe möglich sein könnte. Als Begründung für diese Einschränkung der Spezialität ist zunächst ein Blick auf die deutsche Lehre zu werfen. Sie geht, wie oben anlässlich der Auslieferung dargelegt,1600 in Auslieferungssachverhalten davon aus, dass Privilegierungen einer Tat nicht von der Spezialitätswirkung umfasst sind, obwohl in diesen Fällen eine Auslieferung möglicherweise nicht zulässig wäre. Dies ergebe sich daraus, dass die für die Auslieferung verlangte Mindeststrafdrohung in der Verfahrensökonomie und der Verhältnismäßigkeit begründet sei und beiden Aspekten nach erfolgter Auslieferung nicht mehr Rechnung getragen werden könne.1601 Diese Auffassung stellt zumindest sicher, dass die Straftat ihrer Art nach jedenfalls unter die Auslieferung fällt und nicht aufgrund ihres politischen, fiskalischen oder sonstigen Charakters von der Auslieferung ausgenommen ist. Da jedoch die Einschränkungen wegen solcher Delikte nach dem RB-HB nicht mehr gelten, ist eine solche „Versicherung“ nicht mehr erforderlich. Problematisch bleibt, dass das ausschließliche Kriterium der Freiheitsstrafdrohung (lit b), bzw bei Vorliegen dieser Sanktion, die „Nichtverhängung“ derselben (lit c), Umgehungs- bzw Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Dem kann entgegnet werden, dass der Haftbefehl und insb die Beschränkung des Spezialitätsumfanges, neben der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, im gebotenen Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedsstaaten begründet liegt. Dieses Vertrauen ist grundsätzlich auch berechtigt, doch sollte den einzelnen entscheidenden Justizbehörden die Möglichkeit erhalten bleiben, dieses im Einzelfall zu hinterfragen. Nach der Regelung des RB-HB kann der (ehemalige) Ausstellungsstaat über die weitergehende Verfolgung selbständig entscheiden, der Vollstreckungsstaat hingegen wird darüber nichts erfahren und insofern keine Kontrolle haben. Diese Ausnahme ist daher zu weitgehend.1602 1.3. Dauer der Spezialitätswirkung Zunächst sieht der RB-HB eine generelle opt-out-Klausel vor, dh die Mitgliedstaaten können gem Art 27 Abs 1 RB-HB die Spezialitätswirkung im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten generell wechselseitig ausschließen. Diesfalls haben sie dem Generalsekretariat des Rates eine entsprechende Mitteilung zu machen. Trotz Vorliegens einer generellen Zustimmung zur Verfolgung anderer Taten haben die Justizbehörden des Vollstreckungsstaates aber jeweils das Recht, in ihrer Übergabeentscheidung eine anders lautende Erklärung abzugeben. Dh sie können die Einhaltung der Spezialitätswirkung 1600 1601 1602
Abschnitt 1.III.D.4. Vogler, in IRG-K § 11 Rz 16. AM Rohlff, Haftbefehl 100 f.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
329
im Einzelfall zur Bedingung der Übergabe machen und die Übergabe wohl auch ablehnen, wenn sie der Überzeugung sind, dass der Ausstellungsstaat sich nicht an eine Spezialitätszusage halten wird. Diese Bestimmung ist Art 11 AuslÜbk-EU nachgebildet. Liegt kein allgemeiner politischer Verzicht zwischen den Mitgliedstaaten untereinander vor, so ist – entsprechend der Regelung des § 23 Abs 2 ARHG – der vormalige Ausstellungsstaat zur Verfolgung anderer Taten berechtigt, wenn die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates ihre Zustimmung erteilt. Eine zusätzliche politische Zustimmung (wie im ARHG) ist nicht mehr nötig, da das Haftbefehlsverfahren nur mehr von der gerichtlichen Entscheidung getragen ist und auf eine ministerielle Bewilligung gänzlich verzichtet.1603 Das Ersuchen um Zustimmung kann in Anlehnung an das Auslieferungsverfahren als nachträgliches Übergabeverfahren bezeichnet werden. Denn es ist gem Art 27 Abs 4 iVm Art 8 Abs 2 RB-HB in Form eines neuerlichen europäischen Haftbefehls zu stellen. Die Zustimmung durch die Justizbehörde richtet sich nach Art 27 Abs 3 lit g iVm Abs 4 RB-HB. Besteht hinsichtlich der Tat eine Übergabeverpflichtung, so hat eine Zustimmung zu erfolgen.1604 Liegen jedoch zwingende Vollstreckungshindernisse vor, darf die Zustimmung nicht erteilt werden, sind sie fakultativ, so steht die Zustimmung im Ermessen des Gerichtes. Auch der Betroffene selbst kann, wie es bereits das ARHG in § 32 vorsieht, wirksam auf die Anwendung der Spezialität verzichten, wobei der RBHB hier 2 Möglichkeiten vorsieht. Art 27 Abs 3 lit e RB-HB schließt die Spezialitätswirkung aus, wenn der Betroffene seine „Zustimmung und gegebenenfalls den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gem Art 13 erklärt hat“. Fragwürdig ist die Bedeutung des Wortes „gegebenenfalls“ an dieser Stelle. ME kann die Wirkung nur ausgeschlossen werden, wenn der Betroffene der Übergabe zugestimmt und auf die Spezialität verzichtet hat. „Gegebenenfalls“ ist daher vor der Wendung „und“ überflüssig. Die Modalitäten der Zustimmung zur Übergabe und des möglichen Verzichts auf die Spezialität werden unten anlässlich der Besprechung des Übergabeverfahrens dargestellt.1605 In Anlehnung an Art 10 Abs 1 lit d AuslÜbk-EU sieht Art 27 Abs 3 lit f RB-HB zudem vor – dies stellt eine Neuerung im Vergleich zum ARHG dar –, dass der Betroffene auch nach erfolgter Übergabe, dh im Gewahrsam des vormaligen Ausstellungsstaates und jetzigen Verfolgungsstaates, ausdrücklich einen Spezialitätsverzicht abgeben kann. Dieser gilt zwar zumindest nur hinsichtlich bestimmter Handlungen, dennoch scheint ein solcher 1603
1604 1605
Zum zweigeteilten Auslieferungsverfahren siehe oben Abschnitt 1.VI., zum Übergabeverfahren unten Abschnitt 2.V. Hier ist der englische Text deutlicher, der besagt „a consent shall be given“. Siehe unten Abschnitt 2.V.D.2.1.
330
Die Spezialität als Übergabevoraussetzung
Verzicht vor den Justizbehörden, in dessen Gewahrsam sich der Betroffene befindet, bedenklich. Aus diesem Grund wurde die Zustimmung wohl an zusätzliche inhaltliche und formelle Erfordernisse geknüpft, hinsichtlich derer jedoch fraglich ist, ob sie die Zwangssituation, in der sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt befindet, genügend berücksichtigen können: Die Verzichtserklärung ist so zu protokollieren, „dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat“. Weiters hat der Betroffene das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen. ME wäre für diese Entscheidung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht auf Verteidigerbeistand vorzusehen. Dadurch würde gesichert, dass der Betroffene über sein Recht unterrichtet wird und er es auch tatsächlich ausüben kann. In Anbetracht der belastenden Situation, in der sich der Betroffene bereits befindet, kann er eine solche Entscheidung nur frei treffen, wenn ihm ein unabhängiger, unvoreingenommener Rechtskundiger zur Seite steht. Diesfalls ließe sich auch das Kriterium der Freiwilligkeit und der Kenntnis über die nachteiligen Folgen eindeutiger feststellen. In ähnlicher Weise wie das Auslieferungsrecht misst auch der RB-HB dem Verhalten des Betroffenen nach erfolgter Übergabe und nach einer Schonfrist eine die Spezialität beendende Wirkung bei. Art 27 Abs 3 lit a RBHB konkretisiert dies insofern, als die Spezialitätswirkung endet, wenn der Betroffene den (ehemaligen) Ausstellungsstaat innerhalb von 45 Tagen nach der endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Der Begriff der endgültigen Freilassung ist nicht ausschließlich in Bezug zu einer Haftentlassung zu sehen, sondern als endgültige Verfahrensbeendigung zu verstehen. Dies stellt der englische Text klar, der von final discharge spricht. Hinsichtlich der endgültigen Verfahrensbeendigung und der tatsächlichen Ausreisemöglichkeit sind die zur Auslieferung entwickelten Maßstäbe anzuwenden.1606 Daneben besteht der Spezialitätsschutz nicht mehr, wenn der Betroffene neuerlich in den Ausstellungsstaat einreist. Dadurch verliert er – in Anlehnung an den Begriff des Ausgelieferten“ – den Status eines sog „Übergebenen“. 1.4. Das beschränkte Verbot der „weiteren Übergabe“ an einen Mitgliedstaat: Art 28 Abs 1 RB-HB Innerhalb der EU wird die Weiterlieferung nunmehr als „weitere Übergabe“ bezeichnet, die in einer separaten der Spezialitätsregelung entsprechenden Bestimmung verankert ist: Das Verbot der weiteren Übergabe ist in Art 28 Abs 1 RB-HB grundsätzlich vorgesehen, jedoch bestimmten Beschränkungen unterworfen, die aber nicht so weit gehen wie die hinsichtlich des eben geschilderten Verbots der weiteren Verfolgung. Das Verbot der 1606
Dazu oben Abschnitt 1.III.D.5.
Materielle (Übergabe)Voraussetzungen
331
weiteren Übergabe an einen Mitgliedstaat ist zwar insofern umfassender, als die in Art 27 Abs 3 lit b und c RB-HB genannten Ausnahmen nicht gelten, dh dass nur das Verhalten des Betroffenen bzw seine Zustimmung oder die des Vollstreckungsstaates eine weitere Übergabe rechtfertigen. Keine Ausnahme ist daher die Tatsache, dass die Tat im (dritten) Mitgliedsstaat nicht mit einer Freiheitsstrafe bedroht ist oder nicht zu einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Dies ergibt sich daraus, dass es hier nicht bloß um eine weitere Verfolgung im Ausstellungsstaat geht, in dem sich der Betroffene bereits befindet, sondern um die Übergabe vom Ausstellungsstaat an einen weiteren Mitgliedstaat. Ist die Tat dort nicht mit Freiheitsstrafe bedroht, so mangelt es bereits an einer der wesentlichen Übergabevoraussetzungen, weshalb die weitere Übergabe schon aus diesem Grund unzulässig sein muss. 1.5. Das Verbot der Weiterliefung an einen Drittstaat: Art 28 Abs 4 RB HB Die Weiterlieferung aus dem Ausstellungsstaat in einen Drittstaat ist gem Art 28 Abs 4 RB-HB nur mit Zustimmung des Vollstreckungsstaates zulässig. Diesfalls ist naturgemäß nicht nach dem RB-HB vorzugehen, sondern in Anwendung der geltenden Auslieferungsbestimmungen ein Zustimmungsersuchen zu stellen. Der Vollstreckungsstaat entscheidet darüber nach Durchführung eines gewöhnlichen Auslieferungsverfahrens, welches eine gerichtliche und verwaltungsbehördliche Entscheidung vorsieht. 2. Die Umsetzung in § 31 EU-JZG Auch im EU-JZG ist die Spezialitätswirkung nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern in § 31 bei der „Erwirkung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls“ geregelt. Diese formale Zuordnung bedeutet aber nicht, dass dem Vollstreckungsstaat die Prüfung der Einhaltung der Spezialität durch den Ausstellungsstaat als Übergabevoraussetzung untersagt ist. Die Spezialität, zu deren Beibehaltung sich der RB-HB entschieden hat, bedeutet zwar zunächst eine Beschränkung der Souveränität des Ausstellungsstaates und ist daher bei der Erwirkung der Übergabe festgelegt, doch kommt ihr als Vorwirkung auch die Funktion eines Vollstreckungshindernisses zu, wenn der Ausstellungsstaat diese Souveränitätsbeschränkung nicht einhalten wird. Ohne Zweifel ist das Übergabeverfahren vom Grundsatz des Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten getragen, doch kann diesem im Einzelfall mit Misstrauen begegnet werden und ist daran auch die entsprechende Konsequenz zu knüpfen. In § 31 EU-JZG ist in Anlehnung an das ARHG auch das Verbot der weiteren Übergabe sowie der Weiterlieferung an einen Drittstaat verankert. Der Wortlaut des § 31 EU-JZG hält sich dabei nicht umfassend an die Vor-
332
Die Spezialität als Übergabevoraussetzung
gaben der Art 27 und 28 RB-HB. Im ersten Absatz findet sich zunächst das allgemeine Verbot der Verfolgung, Verurteilung, Beschränkung der persönlichen Freiheit des Betroffenen, der weiteren Übergabe und der Weiterlieferung. Die einzelnen Umfang und Dauer der Spezialitätswirkung beschränkenden Ausnahmen sind entsprechend Art 27 RB-HB in § 31 Abs 2 EUJZG aufgezählt. Die folgenden Absätze regeln das Verfahren über die Einholung der Zustimmung des Betroffenen (Abs 3), des Vollstreckungsstaates zur weiteren Verfolgung (Abs 4), sowie die weitere Übergabe an einen Mitgliedstaat (Abs 5) wie auch die Weiterlieferung an einen Drittstaat (Abs 6). Hinsichtlich der weiteren Übergabe an einen Mitgliedstaat, also § 31 Abs 5 EU-JZG, ist interessant, dass die Ausnahmen zur Spezialität – dh zur weiteren Verfolgung im Ausstellungsstaat – pauschal übernommen wurden. Die Ausnahmen nach § 31 Abs 2 Z 3 und 4 EU-JZG wurden anders als im RBHB (Art 28 Abs 2) nicht berücksichtigt. Dh nach dem Gesetzestext wäre eine Weiterlieferung in einen anderen Mitgliedstaat ohne Zustimmung (und daher ohne Prüfung durch die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates) bereits dann zulässig, wenn die zu verfolgende bzw zu vollstreckende Tat in diesem anderen Mitgliedstaat nicht mit einer Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 31 Abs 2 Z 3 EU-JZG). Dieses Redaktionsversehen ist zwar sinnstörend, im Ergebnis aber insofern unproblematisch, als in diesen Fällen der über die weitere Übergabe entscheidende frühere Ausstellungs- und nunmehrige Vollstreckungsstaat die Übergabe mangels Strafbarkeit im nunmehrigen Ausstellungsstaat ablehnen muss. Es ist noch darauf hin zu weisen, dass der BMJ gem § 31 Abs 7 EU-JZG die Liste der Mitgliedstaaten durch Verordnung zu verlautbaren hat, die einen wechselseitigen generellen Verzicht auf die Spezialitätswirkung erklärten. In § 31 Abs 6 EU-JZG ist unklar, warum die Weiterlieferung an einen Drittstaat an die Zustimmung des Vollstreckungsstaates gebunden ist, sofern diese nicht nach Abs 7 als erteilt gilt. Die Zustimmung zur Weiterlieferung an einen Drittstaat kann aber niemals als erteilt gelten, da nur die Mitgliedstaaten im Übergabeverkehr untereinander auf die Spezialitätswirkung verzichten können und nur diesen Verzicht dem Generalsekretär des Rates der EU mitteilen. Ob der Vollstreckungsstaat tatsächlich mit einem Drittstaat einen generellen bilateralen Spezialitätsverzicht vereinbart hat, kann aus dieser Liste nicht entnommen werden. Der Vollstreckungsstaat ist jedenfalls um seine Zustimmung zur Weiterlieferung zu ersuchen. Es ist daher auch in Abs 6 von einem Redaktionsversehen auszugehen.
Übergabehindernisse
333
III. Übergabehindernisse A. Das Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt Bereits im Rahmen der Darstellung des Auslieferungsrechts wurde angemerkt, dass die eigene Strafgewalt mit der Übergabe zur Strafvollstreckung an einen anderen Staat im Spannungsverhältnis steht.1607 Dieses Spannungsverhältnis wird durch die dem RB-HB zugrunde liegende gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen nicht beseitigt. Vielmehr muss die Geltung einer endgültigen Entscheidung iS eines EU-weiten ne bis in idem forciert werden. Der RB-HB hat dieses Spannungsverhältnis nunmehr aufgegriffen und der Strafgewalt des Vollstreckungsstaates im Allgemeinen das Hauptgewicht zugeordnet. Dagegen ging der Konventionsentwurf noch von einer sehr begrenzten Geltung der eigenen Strafgewalt aus.1608 1. Territoriale Strafgewalt des Vollstreckungsstaates 1.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 7 lit a Bestehen konkurrierende Strafgewalten, so wird zunächst dem Territorialitätsprinzip des Vollstreckungsstaates der Vorrang eingeräumt. Gem Art 4 Z 7 lit a RB-HB besteht ein fakultatives Übergabehindernis, wenn die Straftat „nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaates ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet … begangen wurde“. Das bedeutet, dass alleine der Begehungsort ausschlaggebend ist, und dieser nach dem Recht des Vollstreckungsstaates beurteilt wird. Ausreichend ist eine Begehung ganz oder auch nur zum Teil im Hoheitsgebiet, weshalb ein maßgeblicher Bezug zum Hoheitsgebiet nicht gefordert wird. Hervorzuheben ist zudem, dass diese Bestimmung nicht mit Art 2 RB-HB verknüpft wurde und sie keine Einschränkung in Bezug auf die zugrunde liegende Straftat enthält, weshalb dieses Übergabehindernis auch bei Katalogstraftaten gilt. 1.2. Die Umsetzung in Österreich: § 6 EU-JUZG Diese Bestimmung hat das EU-JZG in § 6 als zwingenden Verweigerungsgrund übernommen, demnach ist die Übergabe unzulässig, wenn sie sich auf Taten bezieht, die im Inland begangen wurden. Der österreichische Tatort bemisst sich nach den Bestimmungen der §§ 62, 63 und 67 StGB. Er liegt vor,
1607 1608
Oben Abschnitt 1.IV.A. Einen ausdrücklichen Verweigerungsgrund sah nur Art 28 des Entwurfes (ABl 2001 C 332E, 311) vor, wenn sich das Ersuchen des Ausstellungsstaates auf einen extraterritorialen Strafanspruch stützte, die Tat nach dem Recht des Vollstreckungsstaates jedoch keinen Straftatbestand darstellte.
334
Das Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt
wenn der Täter in Österreich gehandelt hat, hätte handeln sollen oder ein dem Tatbild entsprechender Erfolg dort ganz oder zum Teil eingetreten ist oder hätte eintreten sollen. In § 6 EU-JZG ist außerdem (wohl auch in Anlehnung an die Mindestlösung in Art 28 des Kommissionsentwurfes) ausdrücklich klargestellt, dass die Übergabe auch dann unzulässig ist, wenn die Tat im Inland begangen wurde, nach österreichischem Recht aber gar nicht strafbar ist. Diese Auslegung der Vorgaben des RB-HB stellt va in Anbracht der missglückten Regelung der Katalogstraftaten ein notwendiges Korrektiv dar. Denn sie stellt nicht nur den Vorrang der territorialen Strafgewalt des Vollstreckungsstaates fest, sondern verhindert zudem, dass eine Person, die gänzlich oder auch nur teilweise in Österreich handelte, wegen Taten übergeben werden muss, die nach österreichischem Recht, also dem Tatortrecht, gar nicht strafbar sind.1609 Ansonsten wären für den Betroffenen die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr vorhersehbar. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die beiderseitige Strafbarkeit bei Inlandstaten weiterhin eine Übergabebedingung darstellt.1610 1.3. Die Umsetzung in Deutschland: § 80 IRG Das deutsche Recht hatte diesen Vorrang der eigenen territorialen Strafgewalt im ersten EuHbG (2004) nicht übernommen, weshalb sogar die Übergabe Deutscher wegen in Deutschland begangener und dort strafloser Katalogstraftaten uneingeschränkt zulässig war.1611 Dieser mangelnde Schutz eigener Staatsbürger führte ua zur Aufhebung des Gesetzes durch das BVerfG.1612 Seit dem EuHbG 20061613 wird die eigene territoriale Strafgewalt berücksichtigt, wenn auch in eingeschränkter und etwas komplizierter Form: Zunächst gilt ihr Vorrang nur bei deutschen Staatsbürgern.1614 Nach § 80 Abs 1 Satz 1 Z 2 IRG ist die Auslieferung eigener Staatsbürger zulässig, wenn ein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Staat vorliegt. Dieser ist idR gegeben, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen und auch der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist, oder wenn es sich um eine schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handelt, die zumindest teilweise auch auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde. In letzterem Fall scheint sich der maßgebliche Bezug zum ersuchenden Staat rein aus Art und Schwere der Straftat zu ergeben. Liegt jedoch kein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Staat vor, so ist die Auslie1609
1610 1611 1612 1613 1614
Für diese Interpretation von Art 4 Abs 7 lit a RB-HB auch Keijzer, in Handbook 161 f, Blekxtoon, in Handbook 237. Fuchs, JBl 2003, 409, Schwaighofer, in Burgstaller FS 447. § 80 IRG, dBGBl I 2004 Nr 38, 1748, BT-Drucksache 15/1718. 2 BvR 2236/04, Urteil vom 18.7.2005. dBGBl I 2006 Nr 36, 1721, BT-Drucksache 16/544. § 80 IRG ist die zentrale Bestimmung hinsichtlich der Auslieferung eigener Staatsbürger.
Übergabehindernisse
335
ferung eigener Staatsbürger nach § 80 Abs 2 Z 2 IRG unzulässig, wenn die Tat einen maßgeblichen Bezug zum Inland aufweist. Die Maßgeblichkeit ist laut Gesetz gegeben, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen und auch der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist. Das bedeutet, dass zumindest nach Systematik und Wortlaut des Gesetzes zunächst der maßgebliche Bezug zum ersuchenden Staat zu prüfen ist, denn in § 80 Abs 2 IRG heißt es: „Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr 2 nicht vor, so ist die Auslieferung nur zulässig, wenn…“. Ergibt sich der maßgebliche Bezug aus Art und Schwere der Handlung – die schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter wurde zumindest teilweise auch auf dessen Hoheitsgebiet begangen – so scheint die Auslieferung eigener Staatsbürger auch zulässig, wenn die Tat teilweise im Inland gesetzt wurde und sie dort nicht strafbar war. Diese Beschränkung fußt auf einer fast wortwörtlichen Übernahme des Textes des BVerfG-Urteils in den Gesetzestext. Sie ist aber schon insofern problematisch, als sowohl die Schwere der Tat wie auch der typisch grenzüberschreitende Charakter sehr unbestimmte Merkmale darstellen, die einen weiten Auslegungsspielraum zulassen.1615 Zudem ist diese Einschränkung nach der Diktion des RB-HB nicht notwendig. Besteht kein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Staat, so ist die Auslieferung eigener Staatsbürger unzulässig, wenn ein maßgeblicher Inlandsbezug vorliegt, dh wenn sowohl Tathandlung als auch Erfolg in wesentlichen Teilen in Deutschland eingetreten sind. Hier ist zunächst zu hinterfragen, was unter dem Begriff wesentlich zu verstehen ist. Zudem ist das kumulative Vorliegen der Handlung und des Erfolges im Inland für die Annahme des Vorranges der eigenen territorialen Strafgewalt vom RB-HB nicht vorgeschrieben. Diese strenge Maßgeblichkeitsprüfung wird jedoch insofern abgeschwächt, als bei Fehlen eines maßgeblichen Bezugs zum ersuchenden Staat und zum Inland bzw bei Mischfällen im Fall eigener Staatsbürger gem § 80 Abs 2 Z 3 IRG die beiderseitige Strafbarkeit zu prüfen ist. 2. Extraterritoriale Strafgewalt des Vollstreckungsstaates – bei gleichzeitiger Einleitung des Strafverfahrens, Entscheidung zur Nichteinleitung oder Einstellung 2.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 2 u 3 Art 4 Z 2 RB-HB sieht einen allgemeinen, wiederum fakultativen Verweigerungsgrund in jenen Fällen vor, in welchen der Betroffene vom Vollstreckungsstaat wegen derselben Handlung strafrechtlich verfolgt wird. Zudem enthält Art 4 Z 3 RB-HB einen fakultativen Ablehnungsgrund, wenn 1615
Hackner, in Probleme des Rahmenbeschlusses 197 f, Rosenthal, ZRP 2006, 108, Ahlbrecht, eucrim 2006, 42, siehe auch Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 667.
336
Das Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt
die Justizbehörden des Vollstreckungsstaates beschlossen haben, kein Verfahren einzuleiten, bzw das Verfahren einzustellen.1616 Letzterer Verweigerungsgrund ist auch dem ne bis in idem Grundsatz zuzuordnen, da er jedoch mit dem vorgenannten im Zusammenhang steht, wird bereits hier darauf eingegangen.1617 Die Bestimmungen zeigen, dass der RB-HB bei konkurrierenden Strafgewalten grundsätzlich, in Anlehnung an das geltende Auslieferungsrecht, vom Vorrang des Vollstreckungsstaates ausgeht. Nicht nur die Einleitung eines Verfahrens, sondern bereits die Entscheidung kein Verfahren einzuleiten bzw die Einstellung ermöglichen die Ablehnung der Übergabe, wobei der RB-HB diese Entscheidungen nicht an bestimmte Voraussetzungen knüpft. An dieser Stelle ist zu überlegen, ob diese beiden Übergabehindernisse auch bei Katalogstraftaten in Frage kommen. Zunächst ist festzustellen, dass – anders als zB Art 4 Z 1 RB-HB – weder Art 4 Z 2 noch Z 3 RB-HB an Art 2 Abs 4 RB-HB geknüpft wurden, der die beiderseitige Strafbarkeit vorsieht. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Einleitung eines nationalen Strafverfahrens die Übergabe verhindern kann, wenn eine nationale Strafanwendungsnorm existiert und die Katalogstraftat auch nach dem Recht des um Vollstreckung des Haftbefehls ersuchten Staates strafbar ist. Daneben muss die Einleitung eines Strafverfahrens aber auch wegen eines Sachverhaltes möglich sein, der zwar der eigenen Strafgewalt unterliegt, zB in Österreich aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips gem § 65 Abs 1 Z 1 StGB, dessen gerichtliche Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat jedoch zweifelhaft ist. Diese Lösung erscheint sachgerecht: Da die 32 Katalogtatbestände nicht konkretisiert sind, ist gerade in diesen Fällen davon auszugehen, dass sich aufgrund der bloßen Sachverhaltsdarstellung, die beizufügen ist, nicht eindeutig klären lässt, ob die Tat auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaates strafbar ist. Ein Beispiel: Gegen einen Österreicher wird von einem Richter eines anderen Staates ein Haftbefehl ausgestellt, angekreuzt werden die Katalogstraftaten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. In diesem Fall kann der StA in Österreich Ermittlungen beantragen zu Klärung, ob eine gefährliche Drohung, Beleidigung, üble Nachrede oder ein Verletzungsdelikt vorliegt. Ein Haftbefehl wegen Cyberkriminalität kann den StA dazu veranlassen wegen der Computerdelikte nach §§ 118a, 119a und §§ 126a ff StGB Ermittlungen zu beantragen. Eine Überprüfung durch die StA wird daher notwendig sein. Stellt sich aufgrund der Ermittlungen die mangelnde Strafbarkeit der Tat heraus, so ist das Verfahren nach § 90 StPO zu beenden
1616
1617
Dazu (im Zusammenhang mit der Übergabe eigener Staatsbürger) ausführlich Murschetz, ÖJZ 2007, 102 ff. Siehe dazu auch Abschnitt 2.III.B.1.2.2.
Übergabehindernisse
337
(durch StA oder U-Ri) und die Übergabe durch den über den Haftbefehl entscheidenden Richter gem Art 4 Z 3 1. und 2. Alt RB-HB abzulehnen.1618 Was aber hat zu geschehen, wenn die Tat, die dem Haftbefehl zugrunde liegt, im Vollstreckungsstaat ganz offensichtlich unter kein Strafgesetz fällt? Auch hier könnte die Einleitung eines Strafverfahrens, viel mehr noch die Entscheidung zur Nichteinleitung des Verfahrens auf Grund der mangelnden Strafbarkeit, zur Ablehnung der Übergabe führen. Mit dem Wortlaut des RB-HB wäre diese Auslegung zweifellos vereinbar, ob sie auch seiner Zielsetzung entspricht, ist fraglich. Doch ist diese Interpretation in Bezug auf die Übergabe eigener Staatsbürger überzeugend. Denn es scheint kaum akzeptabel, den Österreicher, der die Strafbarkeit nach österreichischem Recht nur knapp verfehlt, nicht übergeben zu müssen, den Österreicher hingegen, der nach österreichischem Recht klar straflos handelte, sehr wohl übergeben zu müssen. Es ergibt sich hier ein Wertungswiderspruch, den es auszugleichen gilt. ME ist in diesen Fällen dem rechtstaatlichen Ergebnis der Vorzug zu geben. Es ist der RB-HB nach seinem Wortlaut zu nehmen und die Entscheidung zur Nicht-Einleitung des Verfahrens in diesen Fällen als Übergabehindernis anzuerkennen, auch wenn diese Auslegung mit den Intentionen des RB-HB in Konflikt steht.1619 Von dieser Überlegung ist offensichtlich auch die Umsetzung in Österreich getragen. Eine Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit dieser Auslegung mit der Pupino-Entscheidung des EuGH, die zur rahmenbeschlusskonformen Interpretation nationalen Rechts verpflichtet, erfolgt im Zuge der Besprechung der Übergabe eigener Staatsbürger.1620 2.2. Die Umsetzung in Österreich 2.2.1. § 7 Abs 2 EU-JZG Der österreichische Gesetzgeber hat diese Vorgaben in § 7 Abs 2 EU-JZG umgesetzt. Nach § 7 Abs 2 Z 1 EU-JZG ist die Übergabe unzulässig, wenn die Tat dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegt und deretwegen ein Strafverfahren anhängig ist bzw bis zur gerichtlichen Vollstreckungsentscheidung eingeleitet wird. Hier handelt es sich um eine Umsetzung der Vorgaben, die vom Wortlaut des RB-HB gedeckt ist und ein notwendiges Korrektiv darstellt. Der RB-HB verlangt die strafrechtliche 1618
1619 1620
Fuchs, JBl 2003, 411, ders Stellungnahme zum Entwurf des EU-ZG vom 5.12.2003, Schwaighofer in Burgstaller FS 446; Bedenken hinsichtlich der Übereinstimmung dieser Regelung mit den Intentionen des RB-HB äußert nur Zeder, Der Europäische Haftbefehl: das Ende der Auslieferung in der EU? AnwBl 2003, 376 (383). Unschlüssig Schwaighofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 80. Abschnitt 2.III.C.5.1.4.
338
Das Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt
Verfolgung im Vollstreckungsstaat, ohne Vorgaben weiterer zeitlicher Kriterien. Das Vollstreckungshindernis der eigenen Strafverfolgung muss daher (erst) zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes vorliegen. Folglich wird der Betroffene auch dann verfolgt, wenn der Vollstreckungsstaat erst nach Einlangen des Haftbefehls bzw aufgrund dessen mit der strafrechtlichen Verfolgung beginnt.1621 Andernfalls entstünde ein ungerechtfertigter Wettlauf der Strafgewalten und der Betroffene würde in die Lage versetzt, sich so bald als möglich selbst zu belasten, um die Einleitung eines Strafverfahrens vor Einlangen des Haftbefehls zu erreichen.1622 Nach § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG ist die Übergabe unzulässig, wenn die Tat dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegt und die StA entschieden hat, eine Anzeige oder das Verfahren wegen derselben Tat zurückzulegen, einzustellen, oder den Betroffenen sonst außer Verfolgung zu setzen. Voraussetzung für das Übergabehindernis bei Einleitung des Verfahrens bzw Zurücklegung der Anzeige usw ist in Übereinstimmung mit dem oben Gesagten alleine das Vorliegen österreichischer Strafgewalt, die sowohl primär aber auch bloß subsidiär bestehen kann.1623 In § 7 Abs 2 des Entwurfes1624 und der RV1625 des EU-JZG war neben der österreichischen Strafanwendungsnorm noch das Vorliegen der gerichtlichen Strafbarkeit nach österreichischem Recht vorgesehen. Diese Notwendigkeit bestand den EBRV zufolge aufgrund der sich sonst bietenden Umgehungsmöglichkeiten.1626 Diese Bestimmung wurde jedoch in den Gesetzestext aufgrund eines Abänderungsantrages ausdrücklich nicht aufgenommen.1627 Vielmehr erfolgte eine bewusste Streichung der Voraussetzung der Strafbarkeit nach österreichischem Recht, um die Übergabe österreichischer Staatsbürger wegen in Österreich nicht strafbarer Taten zu vermeiden. Denn hinsichtlich fremder Staatsbürger bestehen Ausnahmen zu diesem Übergabehindernis. Die zweifelhafte und unerwünschte Konsequenz des Entwurfes hätte darin bestanden, dass österreichische Staatsbürger wegen auch nach österreichischem Recht strafbarer Handlungen mit Verweis auf die dortige Einleitung des Verfahrens oder Zurücklegung der Anzeige nicht der Übergabe unterlägen, jene Österreicher jedoch, die eine nach österreichischem Recht nicht einmal
1621
1622 1623
1624 1625 1626 1627
Fuchs, JBl 2003, 410, Schwaighofer, in Burgstaller FS 445, Bubnoff, Haftbefehl 75; EBRV 370 BlgNR XXII. GP 9. Fuchs, JBl 2003, 410. Zur Ausnahme bei subsidiärer Strafgewalt über Nichtstaatsbürger siehe unten Abschnitt 2.III.B.1.2.3. Entwurf zum EU-JZG 530.205/65-IV.1/2003. RV 370 BlgNR XXII. GP 6. EBRV 370 BlgNR XXII. GP 9. Sten Prot 370 BlgNR XXII. GP, 56. Sitzung vom 25.3.2003, Seite 224 ff.
Übergabehindernisse
339
strafbare Handlung gesetzt haben, zur Strafverfolgung ans Ausland übergeben werden müssten.1628 Dies bedeutet, dass die Einleitung eines Strafverfahren auch wegen eines Sachverhaltes möglich ist, der zwar zB nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB der österreichischen Strafgewalt unterliegt, dessen gerichtliche Strafbarkeit in Österreich aber zweifelhaft ist. Zudem bewirkt bei Haftbefehlen gegen eigene Staatsbürger schon alleine die Entscheidung über die Zurücklegung der Anzeige die Unzulässigkeit der Übergabe. Wie zu Beginn aufgezeigt, ist diese Umsetzung mit dem Wortlaut des RB-HB vereinbar, der in Art 4 Z 3 die Entscheidung, das Verfahren nicht einzuleiten, als fakultatives Übergabehindernis nennt. Bei entsprechender Interpretation könnte damit jede Übergabe eigener Staatsbürger, also auch wegen Katalogstraftaten, verhindert werden. Denn der Haftbefehl kann als amtswegig zugegangene Anzeige einer strafbaren Handlung gesehen werden. Entscheidet der StA, die Anzeige mangels Strafbarkeit der Katalogstraftat nach österreichischem Recht zurückzulegen, so wäre damit die Übergabe unzulässig. Laut Erlass des BMJ soll in jenen Fällen, in welchen die mangelnde Strafbarkeit schon aufgrund der Sachverhaltsangaben im Haftbefehl feststeht, die a limine Zurücklegung der Anzeige der Vollstreckung des Haftbefehls nicht entgegenstehen.1629 Gerade das ist aber mit dem Wortlaut des RB-HB vereinbar und vom EU-JZG vorgesehen. Auf weitere Möglichkeiten, die Übergabe eigener Staatsbürger abzulehnen wird in einem eigenen Punkt eingegangen.1630 2.2.2. Ausnahmen vom Übergabehindernis bei Nichtstaatsbürgern Die Ausnahmen vom Übergabehindernis eigener Staatsgewalt sind im RBHB nicht ausdrücklich geregelt, wurden aber ins EU-JZG in Übereinstimmung mit den bestehenden Regelungen des § 16 ARHG übernommen. Da das EU-JZG von einem größtmöglichen „Übergabeschutz“ eigener Staatsbürger getragen ist, finden diese Ausnahmen nur auf Nichtstaatsbürger Anwendung. Zunächst ermöglicht § 7 Abs 3 Z 1 EU-JZG in Anlehnung an § 16 Abs 2 Z 2 AHRG die Übergabe von Ausländern trotz eigener Strafgewalt, wenn dies aus besonderen Umständen zu befürworten ist.1631 Neben den Gründen der Wahrheitsfindung, der Strafbemessung oder der Vollstreckung erwähnt das EU-JZG anders als das AHRG auf der einen Seite das faire Verfahren und auf der anderen Seite den Schutz der berechtigten Interessen
1628 1629 1630 1631
Fuchs, Stellungnahme zum Entwurf des EU-ZG vom 5.12.2003. JMZ 318016/39/II1/04, Punkt 4. Abschnitt 2.III.C.5.1. Zur Regelung des ARHG siehe oben Abschnitt 1.IV.A.
340
Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes
des Opfers. Hier ist insofern Vorsicht geboten, als der Aufenthalt des Opfers im Ausstellungsstaat alleine noch keinen besonderen Grund für die Übergabe darstellen kann. Nur wenn sich auch der Tatort oder andere Beweismittel dort befinden, ist der Strafverfolgung im Ausstellungsstaat der Vorzug zu geben. Daneben stellt die inländische Strafgewalt gem § 7 Abs 3 Z 3 EU-JZG kein Hindernis für die Vollstreckung des Haftbefehls dar, wenn diese nur subsidiär iSd stellvertretenden Strafrechtspflege besteht. Diese Bestimmung wurde aus § 16 Abs 2 Z 1 ARHG übernommen.1632
B. Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes Der RB-HB enthält eine umfassende Regelung des internationalen ne bis in idem Grundsatzes, die in das EU-JZG jedoch nur zögerlich übernommen wurde. So wird im österreichischen Umsetzungsgesetz an die Anerkennung endgültiger staatsanwaltlicher Entscheidungen eines Mitgliedstaates das Erfordernis der (zumindest teilweisen) Begehung auf dessen Hoheitsgebiet geknüpft. Auf diesen hinsichtlich des Art 54 SDÜ noch möglichen Territorialitätsvorbehalt1633 hätte verzichtet werden sollen, denn er widerspricht dem vorgegebenen Grundsatz der Anerkennung der Entscheidungen der Mitgliedstaaten.1634 1. (Endgültige) inländische Entscheidungen 1.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 2 und Z 3 erste und zweite Alt Die Unzulässigkeit der Übergabe bei bereits erfolgter rechtskräftiger Aburteilung im Vollstreckungsstaat ist im RB-HB nicht ausdrücklich geregelt. Vielmehr sind im RB-HB bereits die Vorstufen zu diesen endgültigen Entscheidungen als Vollstreckungshindernisse formuliert, weshalb sich ersteres aus einem Größenschluss ergibt. Wie bereits erläutert,1635 stellt die eigene Strafverfolgung gem Art 4 Z 2 RB-HB einen Grund für die Ablehnung der Übergabe vor. Daneben sieht Art 4 Z 3 RB-HB eine Kombination zwischen dem Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt und dem ne bis in idem Grundsatz vor. Nach dieser Bestimmung kann die Übergabe abgelehnt werden, „wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaates beschlossen haben, wegen der Straftat … kein Verfahren einzuleiten bzw das Verfahren einzustellen“. Hier wird weder auf die Art der Strafgewalt (pri-
1632 1633 1634 1635
Dazu oben Abschnitt 1.IV.A. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.4.1.3. Dazu unten Abschnitt 2.III.B.2.2. Oben Abschnitt 2.III.A.2.
Übergabehindernisse
341
mär oder subsidiär) noch auf die Endgültigkeit der staatsanwaltlichen oder gerichtlichen Entscheidung abgestellt. Es ist hier noch auf die für Österreich relevante Frage einzugehen, ob eine verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung im Vollstreckungsstaat Österreich, die dort eine strafgerichtliche Verfolgung ausschließt, zu Ablehnung der Übergabe berechtigt.1636 Der RB-HB geht in den relevanten Bestimmungen des Art 4 von strafrechtlichen Verfolgungen bzw Entscheidungen aus, weshalb sich daraus bei erfolgter verwaltungsstrafrechtlicher Verfolgung wohl kein Übergabehindernis ableiten lässt. Dieses ergibt sich aber aus dem im vorigen Kapitel behandelten Vorrang des Territorialitätsprinzips nach Art 4 Z 7 lit a RB-HB. Denn ein Haftbefehl kann abgelehnt werden, wenn die Tat ganz oder zum Teil im Vollstreckungsstaat begangen wurde, was für eine Verfolgung nach dem VStG in Österreich notwendig ist. 1.2. Die Umsetzung im EU-JZG 1.2.1. Übergabeverbot bei rechtskräftiger Entscheidung im Inland: § 7 Abs 1 EU-JZG § 7 Abs 1 EU-JZG verankert ein generelles Vollstreckungshindernis bei bereits ergangener endgültiger Entscheidung in Österreich. Es wurde dabei weder in Anlehnung an das SDÜ die Formulierung „Aburteilung“ noch „rechtskräftige Entscheidung“ gewählt, noch wurden die der Sperrwirkung unterliegenden Entscheidungen einzeln aufgezählt. Vielmehr verweist diese Bestimmung auf endgültige Entscheidungen wegen derselben Tat, die nur unter den Voraussetzungen der ordentlichen Wiederaufnahme aufgehoben werden können und der Verfolgung im Ausstellungsstaat entgegenstehen. Damit wurde eine dynamische und der Interpretation offene Formulierung gewählt, die im Zusammenhang mit § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG zu verstehen ist, der eine Übergabe auch dann ausschließt, wenn die StA die Einstellung verfügt oder entschieden hat, eine Anzeige wegen der Tat zurückzulegen. Aus diesem Kontext heraus sind unter den Begriff „endgültige Entscheidung“ Freisprüche, Verurteilungen sowie alle gerichtlichen und staatsanwaltlichen rechtskräftigen Einstellungsbeschlüsse zu subsumieren.1637 Nach der hier vertretenen Auffassung fallen in Anlehnung an die im ersten Abschnitt getroffenen Überlegungen auch die diversionellen Entscheidungen sowie gerichtliche und staatsanwaltliche Einstellungen nach § 109 und § 90 StPO bereits unter die „endgültigen Entscheidungen“ nach § 7 Abs 1 EU-JZG, wenn gegen den Täter bereits faktische Verfolgungshandlungen gesetzt wurden.1638 Das Strafprozessreformgesetz gibt in § 193 1636 1637 1638
Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.3.1.e. Siehe auch die Aufzählung bei Sautner, ÖJZ 2005, 336 f. Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.1.
342
Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes
Abs 2 Z 1 eine klare Linie vor: Staatsanwaltlichen Entscheidungen nach §§ 190, 191 kommt Rechtskraftwirkung zu, wenn gegen den Beschuldigten Zwang ausgeübt oder er bereits vernommen wurde. Eine Fortführung ist gem § 193 Abs 2 Z 2 nur zulässig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel entstehen oder bekannt werden.1639 1.2.2. Übergabeverbot bei Zurücklegung der Anzeige, Einstellung und sonstiger Außer-Verfolgung-Setzung: § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG Wie dargelegt ist die Übergabe wegen Taten, die dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegen, nach § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG unzulässig, wenn die StA entschieden hat, die Anzeige oder das Verfahren wegen derselben Tat zurückzulegen, einzustellen oder den Betroffenen sonst außer Verfolgung zu setzen. Damit wird Art 4 Z 3 RB-HB umgesetzt, demzufolge die Übergabe bei Entscheidung zur Nicht-Einleitung sowie bei Einstellung abgelehnt werden kann. Zunächst stellt das EU-JZG damit klar, dass jede Art der Nichtverfolgung, Zurücklegung oder Einstellung durch die StA eine Übergabe ausschließt. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ergibt sich insb dann, wenn man mit der Rsp davon ausgeht, dass die Einstellung gem § 90 StPO durch den StA nur dann eine Sperrwirkung entfaltet, wenn der Betroffene zuvor gerichtlich vernommen wurde. Im Fall der gerichtlichen Vernehmung wäre daher § 7 Abs 1 EU-JZG, andernfalls aber § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG anzuwenden. Auch der vorläufige Rückritt bei der Diversion steht, wird er nicht überhaupt einer endgültigen Einstellung gleichgehalten,1640 der Übergabe gem § 7 Abs 2 Z 2 entgegen.1641 Voraussetzung für das Übergabehindernis ist das Vorliegen einer inländischen Strafanwendungsnorm, die Strafbarkeit nach österreichischem Recht ist nicht notwendig. Demnach wäre die Übergabe auch abzulehnen, wenn der StA eine Anzeige wegen mangelnder Strafbarkeit zurücklegt. An dieser Stelle kann eine Auseinandersetzung mit Verweis auf die Ausführungen zum Übergabehindernis der eigenen Strafgewalt unterbleiben.1642 1.2.3. Ausnahme bei Nichtstaatsbürgern: § 7 Abs 3 Z 2 EU-JZG § 7 Abs 3 Z 2 EU-JZG sieht eine Ausnahme vom allgemeinen Übergabehindernis wegen endgültiger Entscheidungen bzw staatsanwaltlicher Einstellungen vor. Diese Bestimmung knüpft zum Teil an bereits bisher geltende Beschränkungen des ne bis in idem Grundsatzes an, gilt aber ausdrücklich nur bei Europäischen Haftbefehlen gegen Nichtstaatsbürger. So ist die Übergabe
1639 1640 1641 1642
Bertel/Venier, Einführung Rz 437. Dazu oben Abschnitt 1.II.B.1.1. So Sautner, ÖJZ 2005, 338. Abschnitt 2.III.A.2.2.1.
Übergabehindernisse
343
bei Nichtstaatsbürgern zulässig, wenn der Freispruch bzw die Einstellung aufgrund eines mangelnden Antrages oder der fehlenden Ermächtigung erfolgten.1643 Daneben ist der Haftbefehl zu vollstrecken, wenn die Verfahrensbeendigung ausschließlich auf einem Mangel an Beweisen beruhte. Diese Einschränkung gilt nicht für österreichische Staatsbürger.1644 2. Endgültige Entscheidungen in Mitgliedstaaten 2.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 3 Z 2, Art 4 Z 3 Alt 3 Zunächst sieht Art 3 Z 2 RB-HB ein zwingendes Vollstreckungshindernis vor, wenn der Betroffene in einem Mitgliedstaat wegen derselben Handlung „verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung“ die Strafe vollstreckt wurde, wird oder nicht mehr vollstreckt werden kann. Die Formulierung „verurteilt“ ist hier unzutreffend, was sich schon aus der Wortlaut- und der teleologischen Interpretation dieser Bestimmung ergibt, denn bestünde die Sperrwirkung ausschließlich bei rechtskräftigen Verurteilungen, so wäre die Formulierung weiterer Bedingungen „im Fall einer Verurteilung“ überflüssig. Zum anderen lässt sich aus dem eindeutigen englischen Text „has been finally judged“ klar erkennen, dass es sich hier um einen Übersetzungsfehler handelt und der Begriff der „Aburteilung“, der auch Freisprüche und rechtskräftige Einstellungen umfasst, zu verwenden gewesen wäre.1645 Daneben ist in Art 4 Z 3 RB-HB, der die bloß fakultativen Übergabehindernisse regelt, vorgesehen, dass die Übergabe abgelehnt werden kann, wenn gegen den Betroffenen in einem Mitgliedstaat eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Verfolgung entgegensteht. Der englische Text stellt wie bei Art 3 Z 2 RB-HB wiederum auf ein final judgment ab, das einer weiteren Verfolgung entgegensteht. Fragwürdig ist, inwiefern hier eine Abgrenzung zum obligatorischen Vollstreckungshindernis des Art 3 Z 2 RB-HB getroffen werden soll. Eine Unterscheidung zwischen der rechtskräftigen Entscheidung und der Aburteilung ist fragwürdig, zumal der EuGH bei der Beurteilung des ne bis in idem iSd Art 54 SDÜ ausdrücklich feststellte, dass der Begriff der Aburteilung nicht nur Freisprüche und Verurteilungen, sondern auch gerichtliche und insb auch endgültige staatsanwaltliche Entscheidungen umfasst.1646 Der englische Text enthält – wie erwähnt –
1643 1644 1645
1646
Siehe dazu oben Abschnitt 1.II.B.1. insb bei FN 276. § 7 Abs 2 Z 2 EU-JZG. Ebenso Schwaighofer, in Burgstaller FS 438 f, Zeder, AnwBl 2003, 384. Ausführlich zur Aburteilung und der ihr zukommenden Sperrwirkung oben Abschnitt 1.II.B.1.1. und Abschnitt 1.II.B.4.1.1. Gözütok und Brügge, verbundene Rechtssachen C-187 und C-385/01, dazu ausführlich oben Abschnitt 1.II.B.4.1.1.
344
Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes
in beiden Fällen die Formulierung final judgment, Art 3 Z 2 verlangt zudem im Falle der Verurteilung die Vollstreckung der Strafe, während Art 4 Z 3 nur verlangt, dass keine weitere Verfolgung wegen der Tat zulässig ist. Insofern scheint nur die Notwendigkeit der (gerade erfolgenden oder bereits erfolgten) Vollstreckung beim fakultativen Vollstreckungshindernis gem Art 4 Z 3 RB-HB zu entfallen, dh diesfalls genügt im Falle der Verurteilung das Vorliegen des rechtskräftigen Urteils. Ist die gewählte Formulierung auch fragwürdig, so stellt sie zumindest klar, dass alle Mitgliedstaaten die genannten Einstellungsbeschlüsse als zwingende Übergabehindernisse formulieren können. 2.2. § 8 Z 1 und 2 EU-JZG Österreich ist der Umsetzung dieser ne bis in idem Bestimmungen nur beschränkt nachgekommen. Zunächst ist die Überschrift des § 8 EU-JZG „Entscheidungen dritter Staaten oder internationaler Gerichte“ als unzutreffend zu kritisieren, da diese Bestimmung auch Entscheidungen von Mitgliedstaaten und deren Auswirkung auf die Übergabe berücksichtigt. § 8 Z 1 EUJZG verwendet zwar nicht den Begriff der Aburteilung, besagt aber, dass der Übergabe ein rechtskräftiger Freispruch entgegensteht, ebenso wie eine Verurteilung, wenn die Strafe bereits vollstreckt wurde, gerade vollstreckt wird, „für den noch nicht vollstreckten Teil“ bedingt nachgesehen wurde, oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckbar ist. Wurde die Strafe gänzlich bedingt nachgesehen, so wird die Strafe gerade vollstreckt. Dies gilt auch im Fall der bedingten Entlassung.1647 Eine endgültige Außerverfolgungsetzung durch die StA eines Mitgliedstaates ist nach § 8 Z 2 EU-JZG nur dann ein ausdrückliches Übergabehindernis, wenn die Tat zumindest teilweise in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde. Diese Einschränkung ist durch den RB-HB nicht geboten, denn dieser verlangt in Art 3 Z 2 eine rechtskräftige Aburteilung und in Art 4 Z 3 eine rechtskräftige Entscheidung, jeweils ohne der Notwendigkeit der Tatbegehung auf dem Hoheitsgebiet des Entscheidungsstaates. Ebenso wenig sah der bisher geltende Art 54 SDÜ eine solche Einschränkung vor, doch bestand die Möglichkeit des Territorialvorbehalts, welchen Österreich auch abgegeben hatte, und dessen Anwendung offensichtlich ins EU-JZG übernommen wurde.1648 Im 11. Erwägungsgrund des RB-HB wird festgehalten, dass der RB-HB alle die Auslieferung betreffenden Bestimmungen des III. Teiles des SDÜ er1647
1648
Vgl Schwaighofer, in Burgstaller FS 440 f; zur deutschen Regelung, die auf die Aburteilung abstellt siehe Schomburg, in Eser FS 840. Vgl EBRV 370 BlgNR XXII. GP 10, Entwurf zum EU-JZG 530.205/65IV.1/2003, Seite 48; vgl auch Sautner, ÖJZ 2005, 339; zum Territorialitätsvorbehalt siehe oben Abschnitt 1.II.B.4.1.3.
Übergabehindernisse
345
setzen soll. ME regelt Art 54 SDÜ nicht nur das ne bis in idem hinsichtlich einer neuerlichen Strafverfolgung, sondern damit implizit auch die Auslieferung, weshalb Art 54 SDÜ durch den RB-HB als ersetzt anzusehen wäre, was zur Konsequenz hätte, dass innerhalb der Mitgliedsstaaten ein Territorialitätsvorbehalt nicht mehr RB-konform wäre. Doch sieht schließlich Art 38 RB-HB, der das Verhältnis des RB-HB zu den anderen Übereinkommen regelt, konkret vor, dass nur die Bestimmungen des 4. Kapitels des III. Teiles des SDÜ durch den RB-HB ersetzt werden, worunter Art 54 SDÜ nicht fällt. Insofern scheint die Beibehaltung des Territorialitätsvorbehalts formal zulässig zu sein. Diese Einschränkung ist jedoch weder im Sinne der notwendigen Internationalisierung des ne bis in idem, noch im Sinne der bereits bestehenden ne bis in idem Geltung innerhalb der EU. Zudem widerspricht sie dem vorgegebenen Grundsatz der Anerkennung der Entscheidungen der Mitgliedstaaten. Die in dieser Arbeit an anderer Stelle kritisch betrachtete Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen kann diesfalls nicht aufgrund entgegenstehender grundrechtlicher Erwägungen abgelehnt werden. 3. Endgültige Entscheidungen in Drittstaaten 3.1. Die Vorgaben des RB-HB: Art 4 Z 5 Unter den fakultativen Übergabehindernissen des Art 4 ist in Z 5 RB-HB die bereits erfolgte Entscheidung in einem Drittstaat geregelt. Die deutsche Übersetzung sieht die Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls vor, wenn der Betroffene bereits von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist. Wiederum ist dem hinzugefügt: „vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist“. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um einen offensichtlichen Übersetzungsfehler handelt, und anstatt der „Verurteilung“ richtigerweise die „Aburteilung“ in einem Drittstaat als Übergabehindernis gelten kann.1649 ME bedeutet der Begriff der Aburteilung, dass in Drittstaaten ergangene Freisprüche und rechtskräftige Einstellungsbeschlüsse durch das Gericht oder die Anklagebehörde der Übergabe entgegenstehen können.1650 3.2. § 8 Z 3 u Z 4 EU-JZG Den soeben aufgezeigten Übersetzungsfehler der „Verurteilung“ im RB-HB hat der österreichische Gesetzgeber in § 8 Z 3 EU-JZG einfach übernommen, und bemisst daher nur der Verurteilung in einem Drittstaat eine im 1649
1650
Wiederum stellt der englische Text darauf ab, that the „person has been finally judged“. Hier aM Zeder, AnwBl 2003, 384: „eine Verfahreneinstellung in einem Drittstaat ist dagegen überhaupt unbeachtlich“.
346
Das Übergabehindernis des ne bis in idem Grundsatzes
Übergabeverfahren anzuwendende Sperrwirkung zu. Dies ist insofern verwunderlich, als der in Art 3 Z 2 RB-HB gleichermaßen vorkommende Fehler in § 8 Z 1 EU-JZG nicht übernommen, sondern korrigiert wurde. Ein Freispruch in einem Drittstaat stellt gem § 8 Z 4 EU-JZG nur dann ein zwingendes Übergabehindernis dar, wenn der Drittstaat auch der Tatortstaat war. Endgültige gerichtliche bzw staatsanwaltliche Außerverfolgungsetzungen in Drittstaaten spielen nach dem geltenden EU-JZG keine Rolle, auch wenn die Tat im Drittstaat begangen wurde. Dies ist insofern verwunderlich, als der Entwurf die Anerkennung einer diesbezüglichen Sperrwirkung bei Verfahren im Tatortstaat noch vorgesehen hatte.1651 Gründe für die Änderung sind nicht zu erkennen. Wiederum ist die letztendlich unnötig restriktive Haltung des Gesetzgebers zu kritisieren. Der RB-HB sieht eine solche Einschränkung mE nicht vor. 4. Endgültige Entscheidungen im Tatortstaat: § 8 Z 4 EU-JZG Der RB-HB unterscheidet hinsichtlich der Sperrwirkung zwischen Mitgliedund Drittstaaten, darüber hinaus aber nicht zwischen Entscheidungen von Tatort- und sonstigen Staaten. Das EU-JZG trifft diese zusätzliche Unterscheidung, und formuliert, wie bereits erwähnt, in § 8 Z 4 ein Übergabehindernis, wenn der Tatortstaat den Betroffenen wegen derselben Tat freigesprochen hat. Dies ist als Ergänzung zu § 8 Z 3 EU-JZG zu verstehen, der die Übergabe nur bei Verurteilungen in Drittstaaten verbietet.1652 Ist daher der freisprechende Drittstaat auch der Tatortstaat, so darf wegen derselben Tat keine Übergabe erfolgen. Verurteilung und Freispruch der Mitgliedstaaten sind jedenfalls anzuerkennen; staatsanwaltliche Entscheidung gem § 8 Z 2 EU-JZG hingegen nur, wenn der Mitgliedstaat auch der Tatortstaat war. Hier ist auf die oben aufgezeigte Kritik zu verweisen.1653 5. Endgültige Entscheidungen durch Internationale Gerichte Während der RB-HB auf die Entscheidungen der Internationalen Tribunale nicht eingeht, sieht § 8 Z 5 EU-JZG ein zwingendes Übergabehindernis vor, wenn der Betroffene entweder durch den ICTR, ICTY oder den ICC rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde. Die internationale Anerkennung der Sperrwirkung dieser Entscheidungen ergibt sich aus den Statuten dieser Internationalen Gerichte, wobei die des ICTR und ICTY als Resolutionen des UN-Sicherheitsrates bindend sind1654 und das Romstatut des
1651 1652 1653 1654
§ 8 Z 4 des Entwurfes des BMJ, 530.205/65-IV.1/2003. Dazu oben Abschnitt 2.III.B.3.2. Abschnitt 2.III.B.2.2. BGBl 37/1995.
Übergabehindernisse
347
ICC von Österreich ratifiziert wurde1655. Die innerstaatliche Umsetzung dieser Statuten erfolgte durch das ZusIntGer1656 sowie das ZusIStrGH1657. Da § 4 ZusIntGer sowie § 4 ZusIStrGH die österreichische Gerichtsbarkeit bei Verurteilungen oder Freisprüchen dieser Gerichte ausschließt, ist auch eine Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Strafverfolgung unzulässig.1658
C. Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen 1. Allgemeines Einer der größten Mängel des RB-HB ist die fehlende klare, ausdrückliche und verbindliche Verankerung eines Grundrechtsvorbehaltes bzw von umfassenden Verweigerungshindernissen aus rechtsstaatlichen Gründen.1659 Der RB-HB enthält eine nur sehr begrenzte Anzahl solcher ausdrücklicher Übergabehindernisse1660 und geht auf den Grundrechtsschutz generell nicht in dem verbindlichen, die Übergabe regelnden Teil ein, sondern erwähnt ihn lediglich in den Erwägungsgründen.1661 Der 13. Erwägungsgrund bezieht sich auf das Folterverbot und das Verbot der Todesstrafe, während der 12. Erwägungsgrund die Wahrung der in Art 6 des Vertrages über die EU postulierten Grundrechte verkündet und ein Auslieferungsasyl1662 gewährt, dh das non-refoulment-Prinzip achten will. Daneben enthält der RB-HB im verbindlichen Teil in Art 1 Abs 3 RB-HB nur den vagen Hinweis darauf, dass der RB-HB nicht die Pflicht berühre, die Grundrechte, wie sie in Art 6 EUV niedergelegt sind, zu achten. Ein konkreter ordre public Vorbehalt ist damit nicht verankert worden. Gerade die gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidung, auf der der RB-HB beruht, setzt aber einen solchen voraus. Das zeigt auch ein Blick auf die erste Säule der EU, aus der die gegenseitige Anerkennung übernommen wurde: So sieht zB 1655 1656 1657 1658
1659
1660
1661
1662
BGBl III 180/2002. BGBl 263/1996. BGBl I 135/2002. Siehe dazu EBRV 370 BlgNR XXII. GP 10, Entwurf zum EU-JZG 530.205/65IV.1/2003, Seite 48. Dies muss ebenso für die Auslieferung an einen Drittstaat gelten. Siehe dazu Zeder, AnwBl 2003, 385 f, Stellungnahme des deutschen Anwaltvereins zum RB-HB, Stellungnahme Nr 30/2002, Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 202 f, kritisch auch Wouters/Naert, CML Rev 2004. 925. Als positiv zu vermerken ist die erstmalige ausdrückliche Verankerung der Möglichkeit der Vorzeitigen Entlassung bei lebenslanger Freiheitsstrafe, dazu unten Abschnitt 2.III.C.3. Zeder, AnwBl 2003, 385 ff. Die Erwägungsgründe stellen zumindest eine wichtige Auslegungsquelle dar, siehe Art 31 Abs 2 WVK. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.2.3.
348
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
Art 34 EuGVVO die generelle Unzulässigkeit der Anerkennung einer gerichtlichen (zivilrechtlichen) Entscheidung bei Verstößen gegen den ordre public vor. Der dahinter stehende Grundgedanke beruht wohl darauf, dass alle Mitgliedstaaten der EU auch EMRK-Mitgliedstaaten sind und sie daher zu deren Einhaltung verpflichtet sind und innerhalb der EU ein einheitlicher und umfassender Rechtschutzstandard gewährleistet ist. Nun ist die Überlegung nachvollziehbar, dass im Falle der Annahme eines bestehenden Grundrechtsstandards eine verbindliche Bezugnahme auf die einzelnen drohenden Grundrechtsverstöße wie Folter, Todesstrafe, Art 6 EMRK usw als nicht notwendig empfunden werden kann.1663 Doch stellt sich diese Annahme einheitlicher Grundrechts- und insb Verfahrensgarantien derzeit noch als unzutreffend dar.1664 Dies zeigt einerseits ein Blick auf den unterschiedlichen Ratifikationsstand von Zusatzprotokollen zur EMRK, andererseits ein Blick auf die zahlreichen Verurteilungen der Mitgliedstaaten durch den EGMR. Exemplarisch ist hier auf die Verurteilungen Österreichs wegen Verstößen gegen den ne bis in idem Grundsatz und die Verurteilungen Italiens hinsichtlich der Abwesenheitsurteile zu verweisen.1665 Zudem stellt die bloß programmatische Erwähnung des Grundrechtschutzes in den Erwägungsgründen in Anbetracht der Rechtsentwicklung das falsche Signal dar. Sie ist zunächst als kurzsichtig zu kritisieren, da ihr die lebensfremde Prämisse zugrunde liegt, dass sich der Grundrechtsstandard nie verschlechtern wird und eine Verletzung bestehender Grundrechte durch einen Mitgliedstaat undenkbar ist. Damit würde den Vollstreckungsstaaten ein blindes Vertrauen abverlangt, das zu einer unwiderlegbaren Vermutung der Rechtsstaatlichkeit in den anderen Mitgliedstaaten führte.1666 Durch die bloße Nennung in den Erwägungsgründen wurden die in den Auslieferungsverträgen und insb im ARHG genannten Hindernisse ihrer eindeutigen rechtlich verbindlichen Qualität entzogen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf den 10. Erwägungsgrund, der auf das hohe Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten verweist und besagt: „die Anwendung des Mechanismus (des Europäischen Haftbefehls) darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Art 6 Abs 1 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom
1663
1664 1665
1666
Siehe das Informationsblatt Nr. 17.1/2002 der Kommission zum RB-HB, unter www.europa.eu.int/comm/jusice-home/index-de.htm. Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 216, siehe auch oben Abschnitt 2.I.A. Zu den Verurteilungen Österreichs siehe oben Abschnitt 1.II.B.1.3.1.a; zu Italien: Hu gegen Italien, Urteil vom 28.9.2006 (ApplNr 5941/04), Sejdovic gegen Italien, Urteil vom 1.3.2006 (ApplNr 56581/00), Newsletter Menschenrechte 2006/2, 69. Vogel, JZ 2001, 940.
Übergabehindernisse
349
Rat gemäß Artikel 7 des genannten Vertrages mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2 festgestellt wird“. Zunächst ist anzumerken, dass sich diese Aussage nicht im verfügenden Teil des RB-HB befindet. Weiters bezieht sich dieser 10. Erwägungsgrund nur auf die Möglichkeit der generellen Aussetzung der „Übergabebeziehungen“ zwischen zwei Mitgliedstaaten, nicht jedoch auf die Ablehnung einer Übergabe im Einzelfall, denn diese wird erst in den folgenden Erwägungsgründen ausdrücklich angesprochen:1667 So ist im 12. Erwägungsgrund die Achtung der Grundrechte ebenso wie die Ablehnung der Übergabe bei diskriminierender Verfolgung im Mitgliedstaat vorgesehen. Auch belässt der RB-HB darin ausdrücklich jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruches auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren. Darüber hinaus wird im 13. Erwägungsgrund festgehalten, dass niemand in einen Staat mit drohender Todesstrafe ausgeliefert werden darf. Diese Erwägungsgründe konkretisieren die Möglichkeiten, einen Europäischen Haftbefehl im Einzelfall abzulehnen, während der 10. Erwägungsgrund die Bedingungen des Abbruchs der gesamten „Übergabebeziehungen“ mit einem Mitgliedstaat aufzeigt. Die mangelnde verbindliche Verankerung drohender Grundrechtsverstöße als Ablehnungsgrund einer Übergabe ist auch als vergebene Chance einzustufen. Die EU hat es damit verabsäumt, die Schaffung eines Grundrechtsstandards innerhalb der EU voran zu treiben und den Ausbau des Rechtsschutzes zu forcieren.1668 Vor allem da die Zukunft der EU-Verfassung aufgrund der beiden negativ verlaufenen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden nicht abgesichert ist, hätte an dieser Stelle ein Signal gesetzt werden können. Man ist im Gegenteil sogar einen Schritt zurückgegangen, wie die Regelung hinsichtlich der Abwesenheitsurteile zeigen wird.1669 Wünschenswert ist ein Ausgleich dieses Mankos des RB-HB in den jeweiligen Umsetzungsgesetzen der Mitgliedstaaten. Denn diese sind als Einzelne weiterhin zur Einhaltung der EMRK verpflichtet. Sie werden durch die Übertragung von Hoheitsbefugnissen an die EU nicht von der Verpflichtung befreit, die sie durch die Ratifikation der EMRK übernommen haben. Sie bleiben vielmehr für die konventionskonforme Ausübung der Hoheitsrechte verantwortlich.1670 Insofern ist die klare Umsetzung in Großbritannien zu begrüßen, die ausdrücklich zur Ablehnung der Übergabe verpflichtet, wenn
1667
1668 1669 1670
So auch die Schutzklausel nach Art 47 des Entwurfes der Kommission und die dazu erfolgte Begründung KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) S 26 f. Zeder, AnwBl 2003, 386. Unten Abschnitt 2.III.C.4. Matthews v United Kingdom, ApplNr 24833/94, Urteil vom 18.2.1999 = EuGRZ 1999, 200 ff; Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 205 ff, Vranes, JBl 2002, 637, Grabenwarter, EMRK § 4 Rz 6, Karl, in Busek/Hummer, Konvent 94.
350
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
diese mit den von der EMRK gewährten Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar wäre.1671 Die mangelnde Nennung der Grundrechte als Übergabehindernisse ist aus den oben genannten Gründen zu kritisieren, sie bedeutet aber nicht, dass diese Grundrechte im Übergabeverfahren nicht anwendbar wären.1672 Zunächst ergibt sich dies aus den Bestimmungen des RB-HB, da dieser in den Erwägungsgründen zur Einhaltung der Grundrechte der EMRK und etwas unbestimmt auch der Grundrechtscharta ermahnt.1673 Der Grundrechtsschutz kann daher als ein Leitmotiv angesehen werden, welches im 12. Erwägungsgrund und auch in Art 1 Abs 1 RB-HB verkündet wird.1674 Die Geltung auch innerhalb des Übergabeverfahrens ergibt sich zudem daraus, dass die EU-Mitgliedstaaten weiterhin an die EMRK gebunden sind.1675 Die Erwähnung in den Erwägungsgründen und in Art 1 ist als Signal zu verstehen, dass durch den RB-HB nicht auf das in der EMRK vorgegebene Schutzniveau verzichtet werden soll. Wiederum ist anzumerken, dass gerade aufgrund der Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK eine verbindliche Verankerung der Rechtssicherheit förderlich wäre und ein deutlicheres Signal gesetzt hätte. Das EU-JZG hat in § 19 Abs 4 einen ausdrücklichen ordre public Vorbehalt vorgesehen. Denn die Übergabe ist nach dieser Bestimmung abzulehnen, wenn sie die in Art 6 EUV anerkannten Grundsätze, dh insb die Grundrechte der EMRK, verletzen bzw gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen würde. Diese Überprüfung kann jedoch entfallen, wenn der Betroffene die Einwände vor den Justizbehörden des Ausstellungsstaates, dem EGMR oder dem EuGH hätte geltend machen können. Zum Einsatz gelangen sollte diese Beschränkung nicht. Denn das österreichische Gericht ist diesfalls die zuständige Instanz, die in ihrer Kompetenz zur Achtung der Grundrechte verpflichtet ist und diese Verantwortung nicht mit einem Verweis auf eine 1671
1672
1673 1674
1675
Section 21 UK Extradition Act 2003; dazu Davies/Sikand, New Law Journal 2004, (Part 1) 1753 sowie (Part 2) 1803 f, ausführlich Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 203 ff, die auch einen Überblick über die diesbezügliche Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten bieten, Garlick, in Handbook 176 ff; zur Regelung im EU-JZG siehe unten Abschnitt 2.V.D.2.2.2. So auch die Begründung zu Art 26 des Kommissionsentwurfs, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) S 18: „vorbehaltlich der Anwendung der EMRK“; Merli, in Probleme des Rahmenbeschlusses 131 f, Schilling, in Probleme des Rahmenbeschlusses 116 ff, Garlick, in Handbook 169 ff, Sautner, ÖJZ 2005, 341, Wolff, StV 2004, 157. Morgan, in Handbook 295, siehe auch Rohlff, Haftbefehl 67. Geradezu überschwänglich Garlick, in Handbook 172 f: “So important is this that it is contained in the preamble and, thus, should be taken as being of general application when construing any of the provisions in the Articles of the Framework Decision, or a piece of domestic implementation.” Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 204 ff, Morgan, in Handbook 198.
Übergabehindernisse
351
Säumnis des Betroffenen vor einem anderen Gericht eines anderen Landes abtun sollte. Die wenigen im RB-HB ausdrücklich genannten Grundrechtsschranken wurden ins EU-JZG nicht in ihrer Gesamtheit übernommen. So fehlt zB die Verankerung eines Übergabehindernisses bei lebenslanger Freiheitsstrafe ohne vorzeitige Entlassungsmöglichkeit. Dass diese Strafe gegen Art 3 EMRK verstößt, wurde vom EGMR bisher nur inzidenter festgestellt,1676 die EU hat sich diesfalls zu einem Vorstoß entschieden und den Grundrechtsstandard damit angehoben bzw Klarheit geschaffen. Österreich ist diesem Beispiel leider nicht gefolgt. Daneben stellt sich in Anlehnung an die im ersten Abschnitt im Hinblick auf die rule of non inquiry angestellten Überlegungen die Frage der Geltung der sonstigen innerstaatlich verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte als Übergabeschranken. Auch hier hat zunächst das zur Auslieferung Gesagte zu gelten. Daneben ist die Normenhierarchie in Erinnerung zu rufen. Das EU-JZG, das auf einem Instrument der 3. (nicht supranationalen) Säule beruht, ist ein einfaches Gesetz, als solches hat es sich innerhalb der Schranken der nationalen Verfassung zu bewegen, eine verfassungskonforme Auslegung der Übergabebestimmungen ist daher notwendig.1677 2. Exkurs: Europäische Verfassung Auch wenn ihr Inkrafttreten derzeit nicht abzusehen ist, soll an dieser Stelle ein Blick auf die Europäische Verfassung geworfen werden.1678 Zunächst ist anzumerken, dass die EU durch die Ratifikation der Verfassung eigene Rechtspersönlichkeit erhält und laut Art I-9 Abs 2 der EMRK beitreten wird. Den Charakter eines Mindeststandards, den die EMRK bereits jetzt aufgrund der Mitgliedschaft aller EU-Staaten besitzt, wird sie beibehalten. Es wird aber auch die EU als solche für deren Einhaltung verantwortlich sein. Zudem wird der (derzeit noch als politische Erklärung geltenden) Grundrechtscharta durch die Ratifikation der Europäischen Verfassung durch alle Mitgliedstaaten – als Teil II der Europäischen Verfassung – ein verbindlicher Charakter zukommen.1679 Damit wird jedenfalls eine Verein1676
1677
1678 1679
Einhorn v France, ApplNr 71555/01, vom 16.10.2001, Punkt 27=ÖJZ-MRK 2003/1, dazu oben Abschnitt 1.IV.C.2.2.3. Vgl auch Wolff, StV 2004, 155 zum deutschen Recht. Da es sich um einen Rechtsakt der 3. Säule handelt, ist an dieser Stelle nicht auf das Problem des Vorranges des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Verfassungen einzugehen, vgl dazu insb das Maastricht-Urteil (BVerfGE 89, 155) und das Bananenmarkt-Urteil (BVerfGE 102, 147) des BVerfG. Siehe dazu Meyer, in Eser FS 797 ff, Schünemann, ZRP 2003, 185 ff. Zur Grundrechtecharta siehe Militello, in Eser FS 807 ff, McCrudden, Jean Monnet Working Paper 10/01, Lenaerts/De Smijter, CML Rev 2001, 273 ff, Garcia, European Law Journal Vol 8, 2002, 492 ff, Engel, European Law Journal Vol 7, 2001, 151 ff, De Burca, E.L. Rev 2001, 126 ff.
352
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
heitlichung des Rechtsschutzstandards erzielt. Ob auch eine Erhöhung des Rechtsschutzstandards hinsichtlich der Übergabe gewährleistet wird, ist zu prüfen. In Teil II, Titel I, Art II-61 ff sind die einzelnen Grundrechte aufgezählt. Diese Aufzählung ist zunächst im Zusammenhang mit Art II-112 Abs 1 zu lesen, der einen allgemeinen, generalklauselartigen, materiellen Gesetzesvorbehalt vorsieht. Demnach sind gesetzliche Beschränkungen erlaubt, doch hat jeder Eingriff in das geschützte Recht dessen Wesensgehalt zu achten und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Daneben sieht Art II-113 eine Mindeststandardbestimmung vor, die insb auf die sich aus Völkerrecht und internationalen Übk, denen die EU oder alle Mitgliedstaaten beigetreten sind, ergebenden Beschränkungen sowie auf die nationalen Verfassungen verweist. Art II-112 Abs 3 enthält eine Konkretisierung dieser Mindeststandardbestimmung in Bezug auf die EMRK: Entsprechen Rechte der Charta denen der EMRK, so haben sie dieselbe Bedeutung und Tragweite, der Schutz der Charta kann jedoch darüber hinausgehen. In Bezug auf das Schutzniveau einzelner Grundrechte ist zunächst das Verbot der Todesstrafe in Art II-62 zu nennen. Dieses scheint umfassender als das nach Art 2 EMRK, da es nach dem Wortlaut unbeschränkt gilt. Eine Begrenzung kann sich aus dem in Art II-112 Abs 1 verankerten materiellen Grundrechtsvorbehalt ergeben. Jedoch ist mE ein einfachgesetzliches Abgehen von dem Verbot der Todesstrafe auch in Kriegszeiten mit dem Wesensgehalt des Rechts auf das Leben und des Verbotes der Todesstrafe nicht mehr vereinbar. Der Wesensgehalt stellt schließlich den Schutz des Lebens dar. Damit ergäbe sich eine Erhöhung des Grundrechtsschutzes, da zwar alle EU-Staaten das 6., nicht aber das 13. ZPMRK ratifiziert haben, das die Todesstrafe auch in Kriegszeiten abschafft.1680 Doch zeigt ein Blick auf die Erklärungen bzw Erläuterungen zu den Verfassungsbestimmungen, dass diese Interpretation nicht gewollt ist:1681 Zu Art II-62 heißt es, dass der Schutz des Lebens mit dem des 6. ZPMRK übereinstimmt, daher entspreche Art II-62 dem Art 2 EMRK und besäßen beide Art gem Art II-112 Abs 3 dieselbe Tragweite und Bedeutung. Es konnte daher wohl nicht einmal innerhalb der EU ein Vorstoß in Bezug auf die völlige ausdrückliche Abschaffung der Todesstrafe erzielt werden. Im Zusammenhang mit der Todesstrafe ist zudem auf Art II-79 zu verweisen, der diesfalls ein Grundrecht auf Schutz vor Ausweisung, Abschiebung und Auslieferung verankert. Demnach ist eine Auslieferung unzulässig, wenn dem Betroffenen das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, Folter
1680
1681
Es stehen noch Ratifikationen Frankreichs, Italiens, Lettlands, Polens und Spaniens aus; zum aktuellen Ratifikationsstand siehe http://conventions.coe.int/ Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=187&CM=2&DF=3/19/2007&CL=ENG. Schlussakte 423 f und 464.
Übergabehindernisse
353
oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung droht. Insofern wird die EGMR-Rsp verbindlich übernommen.1682 Das Recht auf Privat- und Familienleben ist in Art II-67 geschützt und unterliegt aufgrund des Vorbehaltes in Art II-112 Abs 1 und Art II-112 Abs 3 denselben Beschränkungen wie Art 8 EMRK.1683 Das Diskriminierungsverbot des Art II-80, wie auch das des Art III-124 geht inhaltlich über das im 12. Erwägungsgrund des RB-HB formulierte hinaus.1684 Von Bedeutung sind va die im Titel VI genannten justiziellen Rechte. Art II-107 gewährt das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und – soweit notwendig – das Recht auf Verfahrenshilfe. Daneben verankert diese Bestimmung das Recht auf ein faires Verfahren vor einem unparteiischen und unabhängigen Gericht, wobei dieses Recht anders als in Art 6 Abs 1 EMRK nicht auf zivile Streitigkeiten und strafrechtliche Anklagen beschränkt ist.1685 Es ist daher zu untersuchen, ob diese Bestimmung Auswirkungen auf das Übergabeverfahren haben kann, in dem der Schutz des Art 6 EMRK derzeit nach dem EU-JZG mangels Einstufung unter das Strafverfahren nicht zur Anwendung gelangt. Das zeigt sich an der weiterhin geltenden Doppelzuständigkeit des U-Ri.1686 Mit der Ratifikation der Europäischen Verfassung wird auch die 3. Säule zu Unionsrecht; dieses wiederum hat mit der Charta kompatibel zu sein.1687 Da das EU-JZG auf einem Rahmenbeschluss basiert und damit Unionsrecht umsetzt, gilt die Anwendbarkeit der Grundrechtscharta. Das bedeutet, dass – sollte die Grundrechtscharta verbindlich werden – auch im Übergabeverfahren der in Art II-107 garantierte Standard vorgesehen werden muss. Was wiederum zur Folge hat, dass die derzeit geregelte Doppelzuständigkeit des U-Ri, die mit der Vorgabe des unparteiischen und unabhängigen Gerichts nicht vereinbar ist, aufgehoben werden müsste.1688 Nach dem derzeitigen Verfahrensrecht böte sich daher an, wie oben dargestellt, die Ratskammer als erste und das OLG als zweite Instanz vorzusehen und den U-Ri als Haftprüfungsorgan beizubehalten. Aufgrund der Änderungen des Strafprozessreformgesetzes, durch die sowohl der U-Ri als auch die Ratskammer abgeschafft werden, hat ab 2008 der Einzelrichter als Ermittlungsrichter gem § 31 Abs 1 Z 2 über die Übergabehaft zu entscheiden. Dieser sollte von der Entscheidung über die Übergabe ausgeschlossen sein.1689 Wie 1682
1683 1684
1685 1686 1687 1688 1689
Siehe insb Soering v United Kingdom, Urteil vom 7.7.1989, ApplNr. 00014038/88 (1/1989/161/217, dazu oben Abschnitt 1.IV.C.2.1.2. Siehe auch die Erläuterung zu Art II-67, Schlussakte 438. Zum Verständnis dieser beiden Bestimmungen siehe die Erläuterungen zu Art II81, Schlussakte 446 f. Siehe dazu Militello, in Eser FS 810. Dazu oben Abschnitt 1.VI.F.3.1. und Abschnitt 2.I.F. Ableitbar aus Art IV-438 (3). Siehe dazu oben Abschnitt 1.VI.F.3.1. Vgl 43 Abs 2 Strafprozessreformgesetz.
354
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
die Überlegungen vorne gezeigt haben, spricht schon derzeit vieles für die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK, jedoch aus anderen Gründen: Die neue Systematik des bloß justiziellen Verfahrens lässt den Vollstreckungsstaat deutlicher als Beteiligten am fremden Strafverfahren hervortreten, weshalb das Übergabeverfahren als Teil der in Art 6 EMRK geforderten strafrechtlichen Anklage anzusehen ist.1690 Der in Art II-110 der Verfassung verankerte ne bis in idem Grundsatz geht nach seinem Wortlaut hinter den in Art 54 SDÜ gewährten Schutz zurück, da er die Doppelverfolgung nur bei rechtskräftiger Verurteilung bzw bei Freisprüchen gewährt und nicht auf die Aburteilung abstellt, die auch die Verfahrenseinstellung beinhaltet, wie das EuGH Urteil Gözütok/Brügge zeigt.1691 Die Erläuterungen selbst verweisen hinsichtlich dieser Regelung auf Art 54 SDÜ, der Rechtsbesitzstand der Union ist. Nun bleibt fraglich, ob zwar die Regelung des Art 54 SDÜ beibehalten, das Grundrecht auf Schutz vor Doppelverfolgung aber ausdrücklich nicht in diesem Umfang gewährt werden sollte, oder aber der Umfang des Art 54 SDÜ dem der Charta entsprechen soll und insofern bei der Formulierung ein Lapsus passierte. Wie oben angemerkt konnte ein solcher Fehler eindeutig bei der deutschen Formulierung des Art 3 Z 2 RB-HB festgestellt werden, der auch nur auf eine Verurteilung abstellt.1692 Sowohl die teleologische als auch die Wortlautinterpretation sowie ein Blick auf die englische Fassung zeigen, dass hinsichtlich des RB-HB auf die Aburteilung abzustellen ist. Eine entsprechend klare Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Auch der englische Text spricht nicht von finally judged, wie im RB-HB, sondern eindeutig von einer conviction. Andererseits ist nicht ersichtlich, warum der Grundrechtsschutz von Art 54 SDÜ abweichen sollte. Insofern ist auf eine weite Interpretation durch den EuGH zu hoffen. Die von manchen angedeutete umfassende Rechtsschutzmöglichkeit des EuGH wird sich auf das Übergabeverfahren jedenfalls nicht im Sinne einer Individualrechtsbeschwerde aufgrund eines nationalen Vollzugsaktes darstellen.1693 Die in Art III-365 Abs 4 vorgesehene Individualrechtsbeschwerde ist durch Abs 1 insofern eingeschränkt, als nur Handlungen der Unionsorgane und nicht nationale Akte bekämpft werden können. Möglich ist die Individualrechtsbeschwerde gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der den einzelnen ummittelbar betrifft und der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. Das strenge Kriterium der individuellen Betroffenheit ist im Vergleich zu Art 230 Abs 4 EGV weggefallen.1694 Da der Rahmenbeschluss 1690 1691
1692 1693 1694
Abschnitt 2.I.F. Verbundene Rechtssachen C-187/01 und C-385/01, dazu oben Abschnitt 1.II.B.4.1.1. Oben Abschnitt 2.III.B.2.1. Vgl Rohlff, Haftbefehl 70. Neisser/Verschraegen, Europäische Union Rz 14.145.
Übergabehindernisse
355
einen Rechtsakt darstellt, der eine Umsetzung verlangt und insofern eine Durchführungsmaßnahme nach sich zieht, ist auch eine Individualbeschwerde gegen den RB-HB an den EuGH weiterhin nicht möglich. 3. Drohende Art der Behandlung und Strafe 3.1. Die Vorgaben des RB-HB Zunächst ist auf die im ersten Abschnitt angestellten Überlegungen zu verweisen und als deren Ergebnis festzuhalten, dass sowohl die drohende Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe als auch die drohende Todesstrafe Österreich zur Ablehnung der Auslieferung verpflichten.1695 Innerhalb der EU sollte einer solchen Ablehnung kaum praktische Relevanz zukommen, da alle Mitgliedstaaten das 6. ZPMRK ratifiziert haben und die Todesstrafe de jure EU-weit abgeschafft ist. Das Folterverbot wiederum stellt neben seiner Verankerung in Art 3 EMRK einen Teil des zwingenden Völkerrechts dar. Der RB-HB selbst enthält keinen umfassenden ausdrücklichen Verweigerungsgrund, sondern im 13. Erwägungsgrund einen allgemeinen und deklaratorischen Hinweis darauf, dass niemand in einen Staat übergeben, ausgeliefert oder abgeschoben werden darf, in welchem ihm die Todesstrafe, Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht. Daneben verweist der 12. Erwägungsgrund auf die Achtung der Grundrechte und die Wahrung der in Art 6 des Vertrages über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, zu denen insb die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit zählen. Art 6 Abs 2 des Vertrages über die Europäische Union enthält zudem eine Erklärung der Achtung der Grundrechte der EMRK. Als klar positiv hervorzuheben ist die Verankerung eines fakultativen Vollstreckungshindernisses bei lebenslanger Freiheitsstrafe ohne vorzeitige Entlassungsmöglichkeit in Art 5 Z 2 RB-HB. Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls kann an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des Ausstellungsstaates auf Antrag oder nach 20 Jahren von Amts wegen eine Überprüfung der Strafe vorsieht, die zur Aussetzung der Strafvollstreckung führen kann. Gleiches gilt für Gnadenakte. Eine ähnliche Bestimmung war bereits im Entwurf der Kommission vorgesehen.1696 Hier hat der RB-HB eine Vorbildfunktion eingenommen und den Ausbau der Menschenrechte vorangetrieben. Die Verankerung dieses Übergabehindernisses zeigt ein Bekenntnis dahin gehend, dass die lebenslange Freiheitsstrafe ohne tatsächliche Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung nicht dem europäi-
1695 1696
Oben Abschnitt 1.IV.C.2. Art 37 des Entwurfes, ABl 2001, C 332E, 312.
356
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
schen Menschenrechtsstandard entspricht und eine unmenschliche und erniedrigende Strafe darstellt.1697 3.2. Die Umsetzung im EU-JZG Wie bereits erwähnt wurde in § 19 Abs 4 EU-JZG, der die gerichtliche Prüfung des Europäischen Haftbefehls regelt, im Sinne einer Generalklausel ein Übergabehindernis bei Verletzung von Art 6 EUV verankert. Die Ablehnung einer Übergabe bei drohender Todesstrafe etc ist schon aus diesem Grunde zwingend, ergibt sich daneben aus der allgemeinen Geltung der EMRK innerhalb des Übergabeverfahrens. Das im RB-HB vorgesehene Übergabehindernis bei lebenslanger Freiheitsstrafe ohne tatsächliche Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung wurde nicht im Sinne einer ausdrücklichen Verankerung ins EU-JZG übernommen. Sie stellt aber, wie oben im ersten Abschnitt ausgeführt wurde, eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe dar,1698 weshalb die Übergabe auch nach dem EU-JZG an eine Zusicherung geknüpft oder abgelehnt werden kann. Die Zusicherung hat sich an dem im RB-HB vorgegebenen Rahmen zu orientieren. 4. Prozessuale Mangelhaftigkeit des Verfahrens: fair trial – Abwesenheitsurteil 4.1. Die Vorgaben des RB-HB Die Wahrung der in Art 5 und Art 6 EMRK garantierten Grundrechte im Übergabeverkehr ergibt sich aus den oben genannten Gründen, nicht jedoch aus einem ausdrücklich formulierten Vollstreckungshindernis. Eine Ausnahme besteht lediglich in Bezug auf die Übergabe zur Strafvollstreckung bei Abwesenheitsurteilen. Da sich in diesem Bereich schon bisher insb im Auslieferungsverkehr mit Italien Probleme ergaben,1699 wurde der allgemeine Verweis in den Erwägungsgründen offensichtlich als nicht ausreichend empfunden und in Art 5 Z 1 RB-HB eine ausdrückliche Regelung verankert, die jedoch unter dem derzeit geltenden Rechtsschutzstandard liegt. Insb wurden die Vorgaben des Art 3 Abs 1 des 2. ZP zum EuAlÜbk nicht übernommen.1700 Zunächst kann die Übergabe gem Art 5 Z 1 RB-HB in jenen Fällen an eine Bedingung geknüpft werden, in welchen sich der Haftbefehl auf ein Ab-
1697 1698 1699 1700
Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.2.2.3. Abschnitt 1.IV.C.2.2.3. Siehe dazu oben Abschnitt 1.IV.C.3.2.3. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.3.2.; Zeder, AnwBl 2003, 385 f, Ang, in Handbook 55 f, vgl auch Krapac, in Handbook 126 ff.
Übergabehindernisse
357
wesenheitsurteil stützt und der Betroffene nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise über Ort und Termin der HV in Kenntnis gesetzt wurde. Dabei lässt der RB-HB die Frage offen, wie die Benachrichtigung zu erfolgen, was unter der „anderen Weise“ zu verstehen ist, bzw welchen Inhalts die Benachrichtigung sein soll.1701 Im Anschluss an die im ersten Abschnitt zum Abwesenheitsurteil angestellten Überlegungen1702 ist letzteres zu kritisieren und darauf hinzuweisen, dass die bloß informelle Kenntnis über den Verhandlungstermin das Verfahren in Abwesenheit des Betroffenen nicht rechtfertigen kann. Vielmehr ist die Kenntnisnahme aufgrund einer amtlichen Mitteilung zu verlangen, die den Betroffenen offiziell über den Termin und das Verfahrensstadium informiert.1703 Fehlt es an der gehörigen Ladung bzw Kenntnis, so kann nach Art 5 Z 1 RB-HB eine Zusicherung verlangt werden, die offenbar bereits dann ausreichend ist, wenn dem Verurteilten die bloße Möglichkeit geboten wird, die Wiederaufnahme zu beantragen. Nach dem Wortlaut des RB-HB ist die Zusicherung der tatsächlichen Bewilligung dieses Antrags, dh der tatsächlichen Verfahrenswiederholung, nicht notwendig.1704 Auch werden an die Beschaffenheit des Rechtmittels bzw Rechtsbehelfs keine Anforderungen gestellt, es wird auf dessen Wirksamkeit nicht eingegangen. Geht man vom Wortlaut des RB-HB aus, so entspräche die derzeitige (mangelhafte) Beschwerdemöglichkeit in Italien,1705 die wiederholt zu Ablehnungen der Auslieferung führte, diesen Vorgaben. Um ein rechtsstaatlich vertretbares Ergebnis zu erzielen, stehen zwei Möglichkeiten offen. Zum einen kann die Zusicherung der tatsächlichen Verfahrenswiederholung verlangt werden, zum anderen kann die Beschwerdemöglichkeit im Hinblick auf ihre Wirksamkeit konkretisiert werden. So sollte zumindest verlangt werden, dass das Rechtmittel an keine Formalia gebunden ist und dafür genügend Zeit zur Verfügung steht und dass nicht der Betroffene, sondern der Staat den Nachweis über die Nichtkenntnis zu erbringen hat. Diesbezüglich ist auf die im ersten Abschnitt dargestellten Kriterien zu verweisen.1706
1701
1702 1703
1704 1705 1706
Dazu und zur unterschiedlichen Umsetzung in den Mitgliedstaaten insb den Niederlanden siehe Ang, in Handbook 55 f. Oben Abschnitt 1.IV.C.3.2.2. Für viele OLG Hamm NStZ 1997, 195, OLG Düsseldorf NStZ 1987, 466; Lagodny, in IRG § 73 Rz 80 mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen, ebenso Vogel, JZ 2002, 468, Linke, Grundriss 58 f, Schwaighofer, Auslieferung 128, siehe auch Fabrizy, StPO9 § 79 Anm 8. Kritisch Zeder, AnwBl 2003, 235 f. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.3.2.3. Oben Abschnitt 1.IV.C.3.2.3.
358
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
4.2. Umsetzung im EU-JZG Der österreichische Gesetzgeber hat hier ein umfassenderes Grundrechtsbewusstsein gezeigt und eine Einschränkung im Sinne der eben genannten Kriterien vorgesehen. Zunächst ist die Übergabe gem § 11 Z 1 EU-JZG zulässig, wenn der Betroffene persönlich geladen wurde, daneben ist auch eine sonstige Unterrichtung des Betroffenen vom Verhandlungstermin ausreichend, aber nur, wenn diese im Einklang mit Art 6 EMRK geschah. Der Einklang wird wiederum nur durch eine persönliche Ladung hergestellt. Zudem genügt die bloße Wiederaufnahmemöglichkeit des Verfahrens nicht, vielmehr hat der Ausstellungsstaat gem § 11 Z 3 EU-JZG zu versichern, dass dem Antrag ohne Anführung weiterer Gründe stattgegeben werden wird. Nur dann ist die Übergabe an den Ausstellungsstaat zulässig. 4.3. Umsetzung im deutschen IRG Der deutsche Gesetzgeber hat insb im EuHbG 2006 eine dem EU-JZG in materieller Hinsicht ähnliche Bestimmung gewählt, die nach dem Wortlaut weniger deutlich und weniger umfassend ist.1707 Gem § 83 Z 3 IRG ist die Übergabe (nach deutschem Recht weiterhin Auslieferung) zur Strafvollstreckung bei Abwesenheitsurteilen unzulässig, wenn der Betroffene weder persönlich geladen noch auf andere Weise vom Verhandlungstermin verständigt worden war, es sei denn er hat die persönliche Ladung in Kenntnis des Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, durch Flucht verhindert, oder es wird ihm nach der Übergabe das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren in seiner Anwesenheit eingeräumt.1708 Zunächst ist zu hinterfragen, welche Verständigung vom Verhandlungstermin auf andere Weise als eine persönliche Ladung genügen kann. Das OLG Karlsruhe hat hierzu jüngst klargestellt, dass es zumindest eines sicheren Nachweises bedarf, dass die Unterrichtung auf sonstige Weise den Betroffenen tatsächlich persönlich erreichte. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme sei nicht ausreichend.1709 Dies stellt zumindest eine enge und insofern zu begrüßende Auslegung dieser zu weit formulierten Bestimmung dar. Seit dem EuHbG 2006 wurde in § 83 Z 3 IRG zusätzlich verankert, dass derjenige, der in Kenntnis des Verfahrens flieht, bevor er eine Ladung erhält, auch nicht geschützt werden soll. Hier stellt sich die Frage, wie im Vollstreckungsstaat im Einzelfall festgestellt werden kann, ob der Betroffene im 1707 1708
1709
Zur deutschen Umsetzung siehe Bubnoff, Haftbefehl 71. Kritisch zur Notwendigkeit der Kenntnis vom Verhandlungstermin zum Unterschied von der bloßen Kenntnis vom Verfahren äußert sich Hackner, NStZ 2005, 313 f. StV 2004, 548; ablehnend zur nicht amtlichen Kenntnisnahme von der Verhandlung OLG Hamm NStZ 1997, 195, OLG Düsseldorf, StV 1999, 270 ff; Lagodny, in IRG § 73 Rz 80, für weitere Nachweise siehe oben FN 1031.
Übergabehindernisse
359
Ausstellungsstaat zum Zeitpunkt der Flucht in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens war, wenn er noch keine Ladung erhalten hat. Dieses Beweisproblem wird sich häufig stellen, und darf mE nicht zu Lasten des Betroffenen gehen.1710 Die in § 83 Z 3 IRG vorgesehene Einräumung des Rechts auf ein neues Gerichtsverfahren ist in Übereinstimmung mit der geltenden deutschen Rsp als tatsächliche und wirksame Möglichkeit der Verfahrensüberprüfung zu verstehen. Dh das Rechtsmittel bzw der Rechtsbehelf darf an keine knappe Frist und keine Beweislast gebunden sein,1711 was im Ergebnis zu einer Übereinstimmung mit der österreichischen Regelung führt, die verlangt, dass dem Antrag ohne Nennung weiterer Gründe stattgegeben wird. Aus diesem Grund spricht die bereits zu § 83 Z 3 IRG vorliegende Rsp der in der italienischen Verfahrensordnung vorgesehenen Einspruchsmöglichkeit weiterhin die notwendige Wirksamkeit ab.1712 5. Persönliche Verhältnisse und Eigenschaften des Betroffenen 5.1. Übergabe eigener Staatsbürger Die Übergabe eigener Staatsbürger stellt für Österreich, einen der wichtigsten und auch einen der meist besprochenen Punkte des Europäischen Haftbefehls dar.1713 Denn das Verbot der Auslieferung eigener Staatsbürger steht in Österreich in Verfassungsrang.1714 Der RB-HB hingegen gewährt grundsätzlich keine „Übergabeausnahme“ für eigene Staatsbürger, sondern stellt sie den Staatsbürgern der anderen Mitgliedstaaten gleich.1715 Diese Gleichstellung innerhalb der EU ist nachvollziehbar, die Verpflichtung zur Übergabe eigener Staatsbürger erweist sich aber in Verbindung mit der Aufhebung der
1710
1711
1712 1713
1714 1715
Diese Einschränkung beruht offensichtlich auf einem Vorschlag des Bundesrates, der wortwörtlich übernommen wurde (BR-Drucksache 70/06, 9). Der Bundesrat befürchtete ansonsten eine ungerechtfertigte Erschwerung der Auslieferung innerhalb der Mitgliedstaaten, siehe auch Hackner, in Probleme des Rahmenbeschlusses 201 f. Siehe die Materialien zum ersten Gesetzesentwurf (EuHbG 2004) BT-Drucksache 15/1718, 19. StV 2004, 548. Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 212 ff, Merli, in Probleme des Rahmenbeschlusses 133 f, Murschetz, ÖJZ 2007, 98, Medigovic, JBl 2006, 635 ff, Sautner, ÖJZ 2005, 333 ff, Fuchs, JBl 2003, 411, Schwaighofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 79 ff, ders, Burgstaller FS 441 ff, Zeder, AnwBl 2003, 384; zu Deutschland siehe Hackner, NStZ 2005, 312 f; für eine ausführliche Diskussion hinsichtlich der Übergabe deutscher Staatsbürger siehe Unger, Haftbefehl 117 ff. § 12 ARHG. Siehe dazu Deen-Racsmany/Blekxtoon, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2005, 317.
360
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
beiderseitigen Strafbarkeit hinsichtlich der 32 unbestimmten „Tatbestände“ als rechtsstaatlich bedenklich.1716 Aus diesem Grund erfolgte die Umsetzung des RB-HB in Österreich klar mit dem Ziel, die Übergabe eigener Staatsbürger weitestgehend zu vermeiden. Zunächst hat Österreich mit Art 33 Abs 1 RB-HB die Aufnahme einer Sonderbestimmung erwirkt, welche bis zum 31.12.2008 die generelle Ablehnung der Übergabe eigener Staatsbürger wegen in Österreich nicht strafbarer Handlungen ermöglicht. Diese Bestimmung wurde in § 77 Abs 2 EUJZG umgesetzt. Ein ausdrückliches Übergabehindernis wegen in Österreich strafbarer Handlungen ist schon deshalb nicht notwendig, weil die Einleitung eines Strafverfahrens im Vollstreckungsstaat nach Art 4 Z 2 RB-HB (umgesetzt in § 7 Abs 2 Z 1 EU-JZG) jedenfalls zur Ablehnung der Übergabe berechtigt. Die Übergabe eigener Staatsbürger kann aber auch ab dem 1.1.2009 in den meisten Fällen abgelehnt werden. Dies wurde bereits anlässlich der Besprechung der eigenen Strafgewalt und des ne bis in idem als Übergabehindernisse1717 besprochen und soll an dieser Stelle nochmals erläutert werden. 5.1.1. Übergabehindernis aufgrund nationaler Strafverfolgung: § 7 Abs 2 EU-JZG Zunächst bestimmt § 7 Abs 2 EU-ZG generell, dass die Übergabe unzulässig ist, wenn gegen den Betroffenen wegen der dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegenden Tat (bei Staatsbürgern ergibt sich die Strafgewalt aus § 65 Abs 1 Z 1 StGB) ein Strafverfahren eingeleitet wird (Z 1) oder die StA entschieden hat, die Anzeige oder das Verfahren wegen derselben Tat zurückzulegen, einzustellen oder den Betroffenen sonst außer Verfolgung zu setzen (Z 2). Die Strafbarkeit nach österreichischem Recht wurde hier bewusst nicht in die Bestimmung aufgenommen.1718 Das bedeutet, dass bereits die Einleitung eines Verfahrens die Übergabe hindert. Auch in den Fällen, in welchen die vorgeworfene Straftat eine Katalogstraftat darstellt, wird aufgrund der Unbestimmtheit des Kataloges erst anhand der Einleitung eines Verfahrens durch ergänzende Erhebungen des StA zu klären sein, ob die Tat in Österreich strafbar ist. Steht bereits aufgrund der Unterlagen fest, dass die Tat nach österreichischem Recht nicht strafbar ist, so ergibt sich ein Übergabehindernis aus der Zurücklegung der Anzeige. Denn jeder europäischer Haftbefehl kann als amtswegig zugegangene Anzeige einer strafbaren Handlung gewertet werden. Entscheidet der StA, die Anzeige
1716
1717 1718
Siehe dazu Deen-Racsmany, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2006, 271 ff. Siehe insb Abschnitt 2.III.A.2. und Abschnitt 2.III.B.1.2.2. Dazu ausführlich oben Abschnitt 2.III.A.2.1. und Abschnitt 2.III.A.2.2.
Übergabehindernisse
361
mangels Strafbarkeit der Katalogstraftat nach österreichischem Recht zurückzulegen, wäre die Übergabe daher abzulehnen. 5.1.2. Sonderbestimmung nach § 5 Abs 2 EU-JZG Darüber hinaus hat der österreichische Gesetzgeber ein zusätzliches Übergabehindernis für eigene Staatsbürger geschaffen. Der in Verfassungsrang stehende § 5 Abs 2 EU-JZG bestimmt, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen Taten, die dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegen, unzulässig ist. Diesfalls ist im Unterschied zu § 7 Abs 2 EU-JZG nicht einmal die Einleitung eines Strafverfahrens notwendig. Wiederum wurde die Strafbarkeit nach österreichischem Recht nicht in diese Bestimmung aufgenommen. In der RV enthielt der Text dieser Bestimmung noch zwei Voraussetzungen: es wurde neben dem Vorliegen des Geltungsbereiches des österreichischen Rechts auch noch das Vorliegen der gerichtlichen Strafbarkeit nach österreichischem Recht verlangt.1719 Diese Bestimmung wurde jedoch in dieser Form aufgrund eines Abänderungsantrages, der auf die Stellungnahme von Fuchs im Begutachtungsverfahren zurückgeht,1720 gezielt nicht als Gesetzestext übernommen.1721 Es erfolgte vielmehr eine bewusste Streichung der zweiten Voraussetzung und zwar der gerichtlichen Strafbarkeit nach österreichischem Recht. Dies geschah mit dem Ziel, die Übergabe eigener Staatsbürger wegen in Österreich nicht strafbarer Taten zu vermeiden.1722 Der Gesetzgeber nimmt hier eine inhaltliche Unterscheidung zwischen dem Geltungsbereich des Rechts einerseits und der positiven (oder negativen) Strafbarkeit andererseits vor. Ausschlaggebend für das Übergabehindernis ist allein der Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze, also das Vorliegen einer Strafanwendungsnorm, die gerichtliche Strafbarkeit nach österreichischem Recht ist nicht gefordert.1723 Das bedeutet, dass die Übergabe eigener Staatsbürger mit Verweis auf § 65 Abs 1 Z 1 StGB (bei Strafbarkeit der Tat nach dem Recht des Tatortstaates) abgelehnt werden kann. Eine Vorgabe für dieses speziell für österreichische Staatsbürger konzipierte Übergabehindernis gem § 5 Abs 2 EU-JZG ist im RB-HB nicht zu 1719
1720
1721 1722
1723
§ 5 Abs 2: Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger wegen Taten, die nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar sind und dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze unterliegen, ist unzulässig (370 BlgNR XXII. GP 5). Die Stellungnahme (15/SN- 108/ME XXII. GP) ist auf der Parlamentshomepage abrufbar. Sten Prot 370 BlgNR XXII. GP 56. Sitzung vom 25.3.2003, Seite 224 ff. Siehe dazu die Diskussionen im Parlament: Sten Prot 370 BlgNR XXII. GP 56. Sitzung vom 25.3.2003, Seite 222 ff. Schwaighofer in Burgstaller FS 446; aM Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 213, Medigovic, JBl 2006, 636 f, Sautner, ÖJZ 2005, 9.
362
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
finden. Dennoch kann die Bestimmung als vermittelnde Umsetzung bezeichnet werden, die von ihrer Intention und ihrem Ergebnis her zu befürworten ist; ihre Konformität mit dem Rahmenbeschluss kann freilich insb seit der Pupino-Entscheidung des EuGH in Zweifel gezogen werden. Darauf wird in einem eigenen Punkt eingegangen.1724 Auch andere Mitgliedstaaten haben sich nicht rein an die Vorgaben gehalten, sondern iS einer vermittelnden Umsetzung versucht, die Übergabe eigener Staatsbürger wegen nach eigenem Recht strafloser Handlungen zu verhindern. So ist zB nach polnischem Recht nunmehr1725 die Übergabe eigener Staatsbürger generell an die beiderseitige Strafbarkeit geknüpft.1726 Das deutsche IRG sieht im 2. Umsetzungsgesetz zumindest bei nicht maßgeblich im Ausstellungsstaat begangengen Taten die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit vor, wenn um die Übergabe eigener Staatsbürger ersucht wurde.1727 Nach § 5 Abs 2 EU-JZG ist die Übergabe eigener Staatsbürger unzulässig, wenn die Tat dem Geltungsbereich der österrreichischen Strafgesetze unterliegt, also eine Strafanwendungsnorm besteht. Da § 65 Abs 1 Z 1 StGB eine generelle Strafgewalt über Auslandstaten österreichischer Staatsbürger verankert, soweit die Tat auch am Tatort strafbar ist, wird das Erfordernis des § 5 Abs 2 EU-JZG in den meisten Fällen gegeben sein. Eine generelle Gerichtsbarkeit über eigene Staatsbürger unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort ist derzeit in den österreichischen Strafanwendungsnormen nicht vorgesehen. Gem § 64 Abs 1 Z 7 StGB kommt Österreich die Strafgewalt unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort nur bei Taten von Österreichern gegen Österreicher zu. 5.1.3. Übergabehindernis bei mangelnder beiderseitiger extraterritorialer Gerichtsbarkeit: § 5 Abs 3 EU-JZG Der Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze liegt daher in jenen Fällen nicht vor, in welchen die Tat zwar von einem Österreicher im Ausland begangen wurde, diese aber am Tatort nicht strafbar war. Macht nun ein Mitgliedstaat der EU über diese Tat eine extraterritoriale Strafgewalt geltend (zB aufgrund des passiven Personalitätsprinzips unabhängig von der lex loci) und stellt einen Europäischen Haftbefehl aus, so muss der eigene Staatsbürger auf Grund der Regelung des § 5 Abs 3 EU-JZG aber dennoch nicht unbedingt übergeben werden: Denn diese Bestimmung verpflichtet zur Ab-
1724
1725
1726 1727
Urteil vom 16. Juni 2005, Rechtssache C-105/03, dazu unten Abschnitt 2.III.C.5.1.4. Das erste Umsetzungsgesetz wurde vom polnischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, dazu oben Abschnitt 2.I.B. Art 607p § 2 polStPO. § 80 IRG. Bei maßgeblichem Inlandsbezug der Tat ist die Übergabe eigener Staatsbürger unzulässig, dazu oben Abschnitt 2.III.A.1.3.
Übergabehindernisse
363
lehnung der Übergabe, wenn die Tat nicht auf dem Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaates begangen wurde und das österreichische Recht keine entsprechende extraterritoriale Strafgewalt (über eine am Tatort nicht strafbare Handlung) kennt. Dh es ist zu überprüfen, ob Österreich eine entsprechende extraterritoriale Strafgewalt über am Tatort nicht strafbare Handlungen anerkennt.1728 Die §§ 64 ff StGB, die den extraterritorialen Strafanspruch Österreichs regeln, zeigen, dass ein auf das passive Personalitätsprinzip wie auch auf die stellvertretende Strafrechtspflege gestützter Haftbefehl abzulehnen wäre. Das Schutzprinzip und das Weltrechtsprinzip sind in Österreich gebilligte Prinzipien der extraterritorialen Strafgewalt, doch sind sie auf bestimmte Straftaten beschränkt.1729 Es ist daher zu argumentieren, dass die extraterritoriale Strafgewalt nur hinsichtlich dieser bestimmten Straftaten in Österreich anerkannt ist. Stützt sich das ausländische Ersuchen aber auf einen dieser Tatbestände, so läge bereits ein primärer österreichischer Strafanspruch nach § 64 StGB über die Auslandstat eines Österreichers vor und wäre die Übergabe daher schon nach § 5 Abs 2 EU-JZG abzulehnen. Liegt hingegen keine dieser Taten vor, so bestünde auch keine entsprechende extraterritoriale Strafgewalt und müsste die Übergabe gem § 5 Abs 3 EU-JZG abgelehnt werden. 5.1.4. Vereinbarkeit dieser Auslegung mit der Pupino-Entscheidung des EuGH Es wurde bereits angemerkt, dass die hier vertretene Auslegung der Bestimmungen des RB-HB bzw des EU-JZG nicht umfassend den Intentionen des RB-HB entspricht. Daher ist zu überlegen, ob sich diese Interpretation mit den Vorgaben der fragwürdigen Pupino-Entscheidung1730 vereinbaren lässt, in der der EuGH – entsprechend der richtlinienkonformen Auslegung – eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts aufstellt. Eine solche Vereinbarkeit besteht, denn die vom EuGH aufgestellte Verpflichtung bezieht sich mE nur auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Rahmenbeschluss bzw diese Kategorie von Rahmenbeschlüssen. Grundlage der Pupino Entscheidung ist der Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren1731. Der Rechts-
1728 1729 1730
1731
Dazu Medigovic, JBl 2006, 637 f. Siehe § 64 StGB. Urteil des EuGH vom 16. Juni 2005, Rechtssache C-105/03, siehe dazu Murschetz, 38 VUWLR (2007) 145, Wasmeier, in Probleme des Rahmenbeschlusses 62 ff, Schroeder, in Probleme des Rahmenbeschlusses 42, 49 ff, Gärditz/Gusy, GA 2006, 225, Tinkl, StV 2006, 36, EuZW 2005, 433 mit Anm Christoph Herrmann, Adam, EuZW 2005, 558, Fetzer/Groß, EuZW 2005, 550, Killmann, JBl 2005, 566. ABl 2001 L 82, 1.
364
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
akt zielt auf einen einheitlichen Opferschutzstandard innerhalb der Union ab und kann damit, nach Auffassung des EuGH, als Schutzbestimmung zugunsten des Einzelnen angesehen werden.1732 Dieser Rahmenbeschluss basiert daher nicht auf der gegenseitigen Anerkennung und ist nicht repressiven Inhalts. Er bezieht sich daher auf eine ganz andere Materie, denn der RB-HB beruht auf der gegenseitigen Anerkennung. Er strebt klar keine Schutzwirkung dem Einzelnen gegenüber an, sondern greift vielmehr ausschließlich in die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen ein. Als solcher ist der RB-HB ein Rechtsakt repressiven Charakters. Die rechtsstaatlichen Defizite, insb die mangelnde Festlegung einheitlicher Verfahrensgarantien, betreffen aber nur die gegenseitige Anerkennung repressiver Instrumente. Aus diesen Gründen kann eine sachliche Differenzierung zwischen den beiden Rahmenbeschlüssen getroffen werden. Diese klare inhaltliche Abgrenzbarkeit rechtfertigt die hier vorgeschlagene Interpretation und den Ausschluss der Anwendbarkeit der Pupino Entscheidung. 5.1.5. Fragwürdige Konsequenzen der Übergabe eigener Staatsbürger zur Strafverfolgung wegen nach österreichischem Recht strafloser Handlungen Es wurde aufgezeigt, inwiefern die Übergabe eigener Staatsbürger mit den Mitteln des RB-HB und insb des EU-JZG weiterhin abgelehnt werden kann. Befürwortete man jedoch die Übergabe wegen einer nach österreichischem Recht straflosen Handlung, so hätte dies folgende fragwürdigen Konsequenzen: Das EU-JZG knüpft die Übergabe eigener Staatsbürger zur Strafverfolgung gem § 5 Abs 5 iVm § 39 Abs 3 EU-JZG an die Bedingung, dass der Betroffene zum Vollzug der (im Ausland verhängten) Freiheitsstrafe nach Österreich rücküberstellt wird. Der Vollzug der Freiheitsstrafe findet dann wieder im Inland statt. An diese grundsätzlich sehr positive Bedingung haben fast alle Mitgliedstaaten die Übergabe eigener Staatsbürger gekoppelt. Schließlich wird dem Betroffenen damit ein Strafvollzug in einem ihnen bekannten Umfeld ermöglicht. In den meisten Fällen können die Familienkontakte aufrecht erhalten bleiben und eine Reintegration und Resozialisierung scheint im Heimatstaat einfacher. Es bleibt aber fraglich, welche Strafe zu vollstrecken ist. Für den Fall der Vollstreckung einer im Ausland verhängten Freiheitsstrafe in Österreich sieht das EU-JZG in § 42 vor, dass die im Inland zu vollstreckende Strafe nach österreichischem Recht zu bestimmen ist, und zwar unter Bedachtnahme auf die im Ausland verhängte Strafe. Ist die Tat aber in Österreich gar nicht strafbar, verlangt das Gesetz, dass die österreichischen Strafbemessungsgrundsätze sinngemäß anzuwenden sind. 1732
Vgl Rechtssache C-105/03, Punkt 38.
Übergabehindernisse
365
Es ergeben sich zunächst rechtsstaatliche Bedenken: Der Staat ordnet den Vollzug einer Strafhaft wegen einer Handlung an, die in eben diesem Staat völlig legal gesetzt werden darf. Daneben bestehen rein praktische Bedenken: Wie ist diese Strafe an das österreichische Sanktionenrecht unter Berücksichtigung der österreichischen Strafzumessungsgrundsätze anzupassen? Es gibt diesfalls keine entsprechenden Strafrahmen.1733 Man wird hier in der Praxis jedenfalls versuchen müssen, das Vorliegen von Milderungsgründen zu erforschen. Auch wenn das EU-JZG dies in § 42 nicht ausdrücklich vorsieht, sollte man nicht nur von der verhängten Strafe ausgehen, sondern nach einem zumindest ähnlichen Tatbestand in der eigenen Rechtsordnung suchen, um sich an dessen Strafrahmen zu orientieren. Beruht der Haftbefehl zB auf einer in Irland strafbaren Abtreibung, so wäre die Strafdrohung des § 96 Abs 3 StGB zu berücksichtigen. Auch sollten die Vorschriften über die bedingte Entlassung einbezogen werden. Der dem österreichischen Strafvollzugsrecht innewohnende Resozialisierungsgedanke (vgl § 20 StVG) kann hingegen in diesen Fällen nur ins Leere laufen: Der Betroffene soll durch die Haft von der Begehung von Handlungen abgehalten werden, die er in Österreich auch in der Zukunft straflos setzen darf. Die dargelegten rechtstaatlichen Bedenken erfordern es, der Übergabe eigener Staatsbürger wegen in Österreich nicht strafbarer Handlungen mit den sich aus dem EU-JZG ergebenden Mitteln entgegenzuwirken. Der Vollzug einer Freiheitsstrafe an einem Österreicher in Österreich wegen einer Handlung, die in Österreich legal ist, sollte nicht vorkommen. Es ist noch auf die generellen Bestimmungen des EU-JZG einzugehen, die die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zum Vollzug einer Freiheitsstrafe gegen einen österreichischen Staatsbürger regeln. Zunächst besagen § 5 Abs 4 iVm § 39 Abs 1 EU-JZG, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zum Vollzug zur Strafvollstreckung gegen einen (in Österreich aufhältigen) Österreicher unzulässig und dieses vielmehr als Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung in Österreich zu werten ist. Diesfalls ist die Zustimmung des Betroffenen zur Vollstreckung im Inland nicht erforderlich. Gem § 39 Abs 1 zweiter Satz EU-JZG ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Inland ausdrücklich auch dann zulässig, wenn die der Verurteilung zugrunde liegende Tat nach österreichischem Recht gar nicht strafbar ist. Die daraus resultierende Problematik wurde bereits dargelegt. Es ergeben sich darüber hinaus noch weitere Bedenken: § 39 Abs 2 EUJZG regelt die Übernahme der Strafvollstreckung durch Österreich auf Ersuchen eines Mitgliedstaates. In diesen Fällen befindet sich der österreichi-
1733
Vgl auch Hinterhofer, in Probleme des Rahmenbeschlusses 216.
366
Übergabehindernisse aus rechtsstaatlichen Gründen
sche Staatsbürger nicht im Inland.1734 Diesfalls ist die Strafvollstreckung in Österreich aber nur zulässig, wenn die Tat in Österreich strafbar ist. Das bedeutet im Ergebnis, dass nach dem EU-JZG die Übernahme der Strafvollstreckung einer im Ausland verhängten Strafe wegen einer in Österreich straflosen Handlung zulässig ist, wenn sich der Betroffene bereits im Inland aufhält (§ 39 Abs 1 EU-JZG). Befindet er sich jedoch im Ausland, in dem die Haft über eine in Österreich straflose Tat verhängt werden soll, so ist eine Übernahme der Strafvollstreckung nicht vorgesehen, dies gilt offensichtlich auch dann, wenn der Betroffene den Strafvollzug in der Heimat wünscht (§ 39 Abs 2 EU-JZG). Diese Regelung erscheint wenig gelungen. Wenn die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Inland wegen einer nicht strafbaren Katalogstraftat schon zulässig sein soll, so muss dies doch auch gelten, wenn sich der Betroffene im Ausland befindet und er zum Strafvollzug nach Österreich möchte. 5.2. Strafmündigkeit: § 9 EU-JZG Die Notwendigkeit der Strafmündigkeit nach dem Recht des Vollstreckungsstaates ist in Art 3 Z 3 RB-HB ausdrücklich und zwingend gefordert. Die Regelung entspricht insofern § 21 ARHG.1735 Dieses Erfordernis der Strafmündigkeit ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, weshalb einer ausdrücklichen Regelung in den Auslieferungsgesetzen und -verträgen bisher deklaratorischer Gehalt zukam. Da die beiderseitige Strafbarkeit im RB-HB nicht uneingeschränkt verankert, sondern zugunsten der Katalogstraftaten teilweise aufgegeben wurde, ist die ausdrückliche und gesonderte Formulierung in Art 3 Z 3 RB-HB zu begrüßen.1736 5.3. Härteklausel Während § 22 AHRG eine Härteklausel vorsieht, nach der eine Abwägung zwischen der Schwere der Straftat und der den Auszuliefernden treffenden negativen Folgen vorzunehmen ist,1737 fehlt eine entsprechende Bestimmung im RB-HB. Der Kommissionsentwurf hingegen enthielt in Art 38 noch die Möglichkeit, die Übergabe aus humanitären Gründen aufzuschieben. Dabei sollte insb auf Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen eingegangen werden, aber auch andere zwingende humanitäre Gründe hätten den Aufschub gerechtfertigt.1738 1734
1735 1736 1737 1738
Siehe § 39 Abs 2 Z 6 EU-JZG, der darauf abstellt, dass der Betroffene österreichischer Staatsbürger ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.4.2. Siehe dazu Zeder, AnwBl 2003, 382. Dazu oben Abschnitt 1.IV.C.4.3. Begründung zu Art 38 des Kommissionsentwurfs, KOM (2001) 522 endgültig (2001/0215) S 23.
Übergabehindernisse
367
Das Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im RB-HB zeigt nur, dass keine ausdrückliche verbindliche Verankerung erfolgte. Da die im ARHG geltende Härteklausel auf Art 3 und 8 EMRK zurückzuführen ist1739 und der RB-HB – wie oben dargelegt1740 – die Achtung der Grund- und Menschenrechte der EMRK als Leitmotiv vorschreibt, besteht sie auch im Übergabeverkehr. Im EU-JZG gilt sie aufgrund der ausdrücklichen Generalklausel in § 19 Abs 4 EU-JZG. Es ist daher im Einzelfall zu untersuchen, ob die Übergabe zB wegen der Transportunfähigkeit des Betroffenen einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK gleichkäme oder das Recht auf Privatund Familienleben in einem solchen Maß beeinträchtigt würde, dass die Übergabe zu einer Verletzung von Art 8 EMRK führte. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Schutzgehalt des Art 8 EMRK und seiner möglichen Verletzung durch eine Übergabe kann an dieser Stelle mit Verweis auf die Darstellung im ersten Abschnitt unterbleiben.1741
D. Übergabehindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung 1. Politische Delikte Der RB-HB enthält keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich politischer Delikte, weshalb die Auslieferung diesfalls, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, grundsätzlich zu bewilligen ist.1742 Der 12. Erwägungsgrund geht jedoch auf das non-refoulment-Prinzip ein. Demnach soll keine Bestimmung des RB-HB so ausgelegt werden, dass sie eine Ablehnung wegen der Gefahr der politischen Verfolgung verbiete. Betrachtet man die bisher zur Privilegierung der politischen Delikte vorgebrachten Gründe,1743 so zeigt sich der Verzicht auf das Auslieferungshindernis innerhalb der EU als nicht unbegründet. Der RB-HB geht auch hier von einem einheitlichen Rechtsschutzstandard innerhalb der EU aus, weshalb sowohl der humanitäre als auch der moralische Gesichtspunkt des Auslieferungsverbotes als verzichtbar erscheinen. Wie bereits angemerkt, ist dieser einheitliche Standard noch nicht erreicht, doch können diese Unterschiede durch ein Auslieferungsverbot bei politischer Verfolgung berücksichtigt werden. Auch ist die Gültigkeit des politischen Arguments zu hinterfragen. Innerhalb des Staatenbündnisses der EU kann es durchaus als zu1739
1740 1741 1742
1743
Linke, Grundriss 45, vgl auch Schwaighofer, Auslieferung 90; dazu oben Abschnitt 1.IV.C.4.3. Abschnitt 2.III.C.1.; siehe dazu Alegre/Leaf, European Law Journal 2004, 209 f. Abschnitt 1.IV.C.4.3. Dh es gilt grundsätzlich die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit, außer die Tat fällt unter eine der 32 Ausnahmen. Dazu oben Abschnitt 1.IV.D.1.1.
368
Übergabehindernisse aufgrund der Eigenschaft der strafbaren Handlung
lässig erachtet werden, die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates zu beurteilen, weshalb ein automatischer Ausschluss bestimmter Delikte nicht notwendig ist. Es lässt sich zwar die Vermutung aufstellen, dass alle Mitgliedstaaten der EU von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geprägt sind und politische Delikte daher selten vorkommen. Die Realität zeigt aber, dass auch derzeit noch innerhalb der EU Taten begangen werden, die sich gegen die Regierung bzw gegen die Staatsmacht richten, und (vermeintliche) Freiheitskämpfer agieren, wie zB in Spanien und Nordirland. Daher setzt ein Verzicht auf die Privilegierung politischer Delikte eine verbindliche Verankerung des Verbotes politischer Verfolgung voraus. Zur Wahrung der drei Gesichtspunkte muss den Gerichten der Mitgliedstaaten eine Überprüfung im Einzelfall zustehen, weshalb eine bloß unverbindliche Nennung, wie im 12. Erwägungsgrund des RB-HB, nicht genügt. Das EU-JZG hat indes eine verbindliche Verankerung des Verbots politischer Verfolgung in § 19 Abs 4 übernommen. Liegen objektive Anhaltspunkte für eine solche Verfolgung vor, so hat das Gericht die Vollstreckung abzulehnen. 2. Militärische Delikte Auch hinsichtlich militärischer Delikte1744 folgt der RB-HB dem bisherigen europäischen Trend und enthält keine Sonderbestimmung, weshalb eine Übergabepflicht besteht. Wiederum ist aber auf das Verbot der politischen Verfolgung im 12. Erwägungsgrund zum RB-HB sowie auf § 19 Abs 4 EUJZG zu verweisen. Die Auslieferungspflicht hinsichtlich militärischer Straftaten liegt wohl insb in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik begründet. Durch die Verknüpfung an die beiderseitige Strafbarkeit (soweit es sich nicht um Katalogstraftaten handelt) wird der Auslieferungspflicht eine Grenze gesetzt. 3. Fiskalische Delikte Den Intentionen des AuslÜbk-EU folgend sieht auch der RB-HB von einem Auslieferungshindernis bei fiskalischen Delikten1745 ab. Zudem wird in Art 4 Z 1 die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit hinsichtlich bestimmter fiskalischer Delikte eingeschränkt: Denn es hat außer Betracht zu bleiben, ob der Vollstreckungsstaat gleichartige Steuern vorschreibt oder gleichartige Steuer, Zoll-, und Währungsbestimmungen enthält.1746 In Anbetracht der Wirtschaftsunion ist die Auslieferungspflicht hinsichtlich fiskalischer Delikte nachvollziehbar, obwohl (noch) keine Steuerunion besteht. Auch da die Fi-
1744 1745 1746
Dazu oben Abschnitt 1.IV.D.2. Dazu oben Abschnitt 1.IV.D.3. Dazu Sautner, ÖJZ 2005, 331.
Umgehung der Übergabe
369
nanzierung der EU auf Beiträgen aus den Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten beruht, erweist sich die Übergabe bei gerichtlich strafbaren Hinterziehungen wohl als notwendig. Die Beschränkung der beiderseitigen Strafbarkeit ist hingegen als Vereinheitlichungsinstrument zu verstehen. Diese Aufgabe kommt aber weder dem RB-HB noch dem Auslieferungs- bzw Übergaberecht berechtigt zu. Das EU-JZG hat diese Bestimmung in § 12 wortwörtlich übernommen.
IV. Umgehung der Übergabe Hinsichtlich der Umgehungsmöglichkeiten durch Abschiebung, Herauslocken und Entführung und deren Beurteilung ist auf die oben anlässlich der Auslieferung unternommene Untersuchung zu verweisen.1747 Das dort Gesagte gilt auch für die Umgehung der Übergabe. Hervorzuheben ist an dieser Stelle das § 13 ARHG nachgebildete ausdrückliche Umgehungsverbot in § 15 EU-JZG. Demnach darf niemand aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen, insb der Abschiebung, außer Landes gebracht werden, wenn ein europäischer Haftbefehl gegen diese Person vorliegt oder hinreichende Gründe dafür sprechen, einem Mitgliedstaat die Übergabe anzubieten. Der Vorrang der Übergabe vor der Abschiebung ist damit ausdrücklich verankert und zieht dieselben Konsequenzen nach sich wie § 13 ARHG hinsichtlich der Auslieferung.1748
V.
Das Übergabeverfahren in Grundzügen A. Allgemeines
Wie schon hinsichtlich des Auslieferungsverfahrens soll auch an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass die vorliegende Arbeit eine Untersuchung der materiellen Aspekte der Auslieferung bzw Übergabe zum Ziel hat. Insofern ist auch die Besprechung des Übergabeverfahrens nur auf das Wesentliche beschränkt, eine ausführliche Analyse findet nicht statt. In diesem Abschnitt werden die Vorgaben des RB-HB und deren Umsetzung im EU-JZG nicht getrennt besprochen, sondern jeweils in einem Punkt zusammengefasst. Als einschneidendste Änderung ist zu nennen, dass das Übergabeverfahren nach den Vorgaben des RB-HB anders als das Auslieferungsverfahren nicht mehr in einen gerichtlichen und einen verwaltungsbehördlichen Abschnitt unterteilt wird. Innerhalb der Übergabe kommt der Justiz die alleinige Kompetenz zu, es handelt sich daher um eine direkte Kooperation der Justizbehör-
1747 1748
Abschnitt 1.V. Abschnitt 1.V. insb Abschnitt 1.V.A.2.
370
Einleitung des Übergabeverfahrens und gerichtliche Zuständigkeit
den. Staatspolitische Aspekte spielen bei der Entscheidung über die Übergabe keine Rolle mehr.1749 Ansonsten enthält der RB-HB nur wenige verfahrensrechtliche Bestimmungen.1750 Die justizielle Zuständigkeitsregelung des EU-JZG entspricht der des ARHG.1751 Die schon im Auslieferungsverfahren kritisch betrachtete Doppelzuständigkeit des U-Ri ist im Übergabeverfahren aus den genannten Gründen abzulehnen.1752 Über die Übergabe sollte nach dem derzeitigen Recht nicht der als Haftrichter fungierende U-Ri, sondern die Ratskammer entscheiden. Mit In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes wird der Einzelrichter als Ermittlungsrichter gem § 31 Abs 1 Z 2 entscheiden. Er sollte von der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ausgeschlossen sein. Das Übergabeverfahren ist in den §§ 13 ff EU-JZG geregelt. Daneben gelten die Bestimmungen des ARHG gem § 1 Abs 1 EU-JZG subsidiär, woraus sich wiederum nach § 9 ARHG eine subsidiäre Anwendbarkeit der StPO ergibt. Das Verfahren richtet sich insgesamt weitgehend nach den Vorschriften des ARHG.
B. Einleitung des Übergabeverfahrens und gerichtliche Zuständigkeit Ist der Aufenthaltsort des Betroffenen bekannt, so wird das Übergabeersuchen bzw der europäische Haftbefehl unmittelbar beim zuständigen Gericht einlangen.1753 Der StA hat diesfalls die Einleitung des Übergabeverfahrens zu beantragen. Da sich die gerichtliche Zuständigkeit gem § 13 EU-JZG auf § 26 ARHG stützt, kann auf das zur Auslieferung Gesagte verwiesen werden.1754 Ist das Gericht nicht zuständig, so leitet es den Haftbefehl bzw das Übergabeersuchen an das zuständige Vollstreckungsgericht weiter.1755 Da das Verfahren gem § 14 EU-JZG nur mehr unmittelbar zwischen den Justizbehörden der beteiligten Staaten stattfindet, ist eine Einschaltung des BMJ nicht vorgesehen. Eine Ausnahme besteht, wenn Schwierigkeiten bei der Übermittlung oder Prüfung der Echtheit der Unterlagen bestehen.1756 Das Übergabeverfahren kann auf einem europäischen Haftbefehl beruhen, da dieser auch ohne besonderen Antrag als Ersuchen um Verhängung 1749 1750 1751 1752 1753 1754 1755 1756
Zeder, AnwBl 2003, 379. Dazu Murschetz, in Probleme des Rahmbenbeschlusses 88 ff. § 13 EU-JZG. Abschnitt 1.VI.F.3.1. sowie Abschnitt 2.I.F. und Abschnitt 2.III.C.2. Art 9 Abs 1 RB-HB. Abschnitt 1.VI.C. § 14 Abs 6 EU-JZG. § 14 Abs 5 EU-JZG.
Das Übergabeverfahren in Grundzügen
371
der Übergabehaft und Durchführung des Übergabeverfahrens anzusehen ist. Dasselbe gilt wie bisher für die Ausschreibung im SIS nach Art 95 SDÜ.1757 Wurde gegen eine Person ein Europäischer Haftbefehl erlassen oder eine Ausschreibung im SIS vorgenommen und ist aus bestimmten Gründen anzunehmen, dass sich die gesuchte Person im Inland aufhält, so hat der U-Ri auf Antrag des StA das Übergabeverfahren einzuleiten. Die ausstellende Justizbehörde ist diesfalls zur Vorlage des Europäischen Haftbefehls aufzufordern.1758 In den neuen Mitgliedstaaten, die bisher nicht an das SIS angeschlossen sind, kann die Übertragung via Interpol erfolgen.1759 Änderungen werden sich durch das SIS II ergeben.1760 Entsprechend dem Verfahren nach § 28 ARHG ist auch in § 17 EU-JZG ein Anbotsverfahren vorgesehen.1761 Während § 28 ARHG eine angemessene Frist für die Stellung des Auslieferungsersuchens vorschreibt, hat die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls jedenfalls innerhalb von 40 Tagen ab Festnahme des Betroffenen zu geschehen.1762 Die Verhängung der Übergabehaft erfolgt diesfalls ohne Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls.
C. Übergabehaft Hinsichtlich der Übergabehaft sieht der RB-HB kaum Sonderregelungen vor. Gem Art 12 RB-HB ist für die Haft das Recht des Vollstreckungsstaates ausschlaggebend. Das Absehen von der Haft ist ausdrücklich vorgesehen, setzt aber – bei Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr – voraus, dass erforderliche Maßnahmen zur Verhinderung der Flucht vorgesehen werden. Insofern richtet sich die Übergabehaft gem § 18 Abs 2 EU-JZG nach § 29 ARHG, der wiederum die subsidiäre Geltung der Vorschriften über die Untersuchungshaft verankert. Daher kann an dieser Stelle auf die Darstellung der Auslieferungshaft verwiesen werden, das gilt insb auch in Bezug auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Übergabehaft hinsichtlich in Österreich nicht strafbarer Katalogstraftaten.1763
1757
1758 1759 1760
1761 1762
1763
§ 18 EU-JZG; siehe dazu Hackner, NStZ 2005, 314, Wiesneth, DRiZ 2005, 194 f; zur Ausschreibung im SIS siehe auch oben Abschnitt 1.VI.B. § 16 Abs 1 EU-JZG. Siehe Ang, in Handbook 50. Zu SIS II siehe KOM (2001) 720 endgültig, KOM (2005) 236 endgültig, KOM (2005) 230 endgültig. Dazu oben Abschnitt 1.VI.B. Eine Übersicht über die in den einzelnen EU-Staaten vorgesehenen Übermittlungsfristen bietet Hackner, NStZ 2005, 314. Abschnitt 1.VI.E. insb Abschnitt 1.VI.E.3. Ausführlich zur Anwendbarkeit des Art 5 EMRK auf die Übergabehaft siehe Schilling, in Probleme des Rahmenbeschlusses 109 ff.
372
Das Verfahren nach Einlangen des Europäischen Haftbefehls
Zu beanstanden ist, dass der RB-HB die Rechte des Festgenommenen nicht zwingend verankert: Art 11 Abs 2 RB-HB verweist ausschließlich auf das innerstaatliche Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Auch hier hätte die Chance bestanden, innerhalb der EU einen einheitlichen Standard zu schaffen. Laut RB-HB hat der Festgenommen nur nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaates einen Anspruch auf einen Rechtsbeistand bzw einen Dolmetscher. Dies ist zu kritisieren. Dass eine zwingende Verankerung des Rechts auf einen Rechtsbeistand iS einer notwendigen Verteidigung/Anwaltszwang erforderlich ist, zeigt schon ein Blick auf Österreich. In Österreich besteht eine nur sehr beschränkte Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger vor der Vernehmung bzw der Beiziehung des Verteidigers zur Vernehmung.1764 Auch nach der StPO-Reform darf die Rechtsbelehrung durch die Kriminalpolizei hinausgeschoben und vor der Einlieferung in die Justizanstalt der Kontakt mit den Verteidiger auf eine bloße Rechtsbelehrung beschränkt werden.1765 Auch von der Beiziehung des Verteidigers zur Vernehmung selbst kann abgesehen werden, wenn dies erforderlich ist.1766 Einer Aushöhlung dieser Rechte ist damit keineswegs vorgebeugt. Ähnliches gilt in Bezug auf das Recht auf einen Dolmetscher. Er ist nur beizuziehen, wenn dies erforderlich ist.1767 Aber gerade in Auslieferungs- und Übergabesachverhalten wird der Betroffenen ein Mehr an Schutz benötigen. Er wird mit dem Rechtssystem des Vollstreckungsstaates oft nicht vertraut sein, sofern er die Sprache überhaupt versteht, wird er der Gerichtssprache häufig nicht mächtig sein. Eine Unterrichtung in einer verständlichen Sprache ist daher ebenso notwendig, wie der Beistand durch einen Anwalt, der erforderlichenfalls vom Staat zu bezahlen ist.
D. Das Verfahren nach Einlangen des Europäischen Haftbefehls 1. Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls Inhalt und Form des Haftbefehls sind in Art 8 RB-HB sowie im Anhang anhand eines Formblattes definiert.1768 Dem EU-JZG ist dieses Formblatt als Anhang II beigefügt. Neben den Angaben zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Betroffenen ist wie bei der Auslieferung die vorgeworfene Tat
1764 1765 1766 1767 1768
Bertel/Venier, StPO8 Rz 242 im Kleindruck. § 59 Abs 1 Strafprozessreformgesetz. § 164 Abs 2 Strafprozessreformgesetz. § 38a StPO. Siehe dazu Ang, in Handbook 53 ff.
Das Übergabeverfahren in Grundzügen
373
ausreichend zu konkretisieren.1769 Es müssen die Straftat selbst sowie der dafür im Ausstellungsstaat vorgesehene Strafrahmen und die Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich Tatzeit und -ort sowie Art der Tatbeteiligung der betroffenen Person genannt werden.1770 Offensichtlich ist der nationale Haftbefehl bzw das Urteil, auf das sich der Europäische Haftbefehl stützt, nur zu nennen, nicht aber mitzuschicken.1771 Entsprechend dem Auslieferungsverfahren gilt das formelle Prüfungsprinzip, weshalb Beweise nicht zu übersenden sind. Der zuständige U-Ri hat aber gem § 19 Abs 1 EU-JZG eine Überprüfung im Rahmen des § 33 Abs 2 ARHG vorzunehmen. Insofern ist mE analog zur Auslieferung zumindest die Beigabe einer Begründung zu fordern.1772 Bestehen Bedenken an der Schuld des Betroffenen, so kann der Ausstellungsstaat zur Nennung und Beibringung von Beweisen aufgefordert werden. Bei mangelhaft ausgeführten Haftbefehlen ist die ausstellende Justizbehörde grundsätzlich zur Nachbesserung aufzufordern.1773 Der U-Ri ist auch zur Überprüfung der Subsumtion eines Verhaltens unter eine der Katalogstraftaten berechtigt. Erscheint sie ihm selbst fehlerhaft oder weist der Betroffene begründet darauf hin, so ist der Ausstellungsstaat zur Klärung aufzufordern.1774 2. Das Verfahren vor dem U-Ri 2.1. Vereinfachte Übergabe gem § 20 EU-JZG iVm § 32 ARHG Die Möglichkeit der Zustimmung zur vereinfachten Übergabe, mit der der Betroffene auf ein förmliches Verfahren verzichtet, besteht gem § 20 Abs 1 EU-JZG mit der ersten Vernehmung zum Europäischen Haftbefehl. Die Bestimmungen des § 32 Abs 1 bis 3 ARHG gelten entsprechend. Das bedeutet, dass der inhaftierte Betroffene erst in der ersten Haftverhandlung wirksam zustimmen kann, dass jeder Betroffene ausdrücklich über den Verlust des Spezialitätsschutzes aufmerksam zu machen ist sowie darüber, dass er seine
1769 1770
1771
1772 1773 1774
Dazu oben Abschnitt 1.VI.F.2. Dazu ausführlich Ang, in Handbook 56 ff. Nicht ausreichend ist die bloße Ausschreibung im SIS, dass der Betroffene 1997 mehrfach sexuelle Gewalt gegen seinen Cousin angewendet habe unter Anführung der Gesetzesstellen im italienischen c.p.: OLG Karlsruhe StV 2005, 232, siehe auch OLG Karlsruhe NStZ 2006, 691. Siehe die Kritik zur fehlenden Übersendung der Akten bei Heiss, in Strafverteidigung 103. Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. § 19 Abs 2 EU-JZG. § 19 Abs 3 iVm Abs 2 EU-JZG, dazu ausführlich oben Abschnitt 2.II.A.2.1., siehe auch OLG Karlsruhe wistra 2005, 240.
374
Das Verfahren nach Einlangen des Europäischen Haftbefehls
Einwilligung nicht mehr widerrufen kann.1775 Liegen alle Voraussetzungen für die Übergabe vor, so hat der U-Ri sie mit Beschluss anzuordnen. Dagegen steht dem Betroffenen wie auch dem StA innerhalb von 3 Tagen die Beschwerde an das OLG zu, die aufschiebende Wirkung hat.1776 Als Beschleunigungsinstrument sieht § 20 Abs 4 EU-JZG eine Unterrichtungspflicht nach 10 Tagen ab der Zustimmung durch den Betroffenen vor: Der U-Ri hat der ausstellenden Justizbehörde den Verfahrensstand kundzutun oder bereits den Beschluss zu übermitteln. Diese Bestimmung beruht auf Art 17 Abs 2 RB-HB, der besagt, dass die endgültige Entscheidung bei der vereinfachten Übergabe innerhalb von 10 Tagen geschehen sollte. Das OLG hat innerhalb von 40 Tagen ab der Zustimmung über die Beschwerde zu entscheiden. Art 13 Abs 2 RB-HB verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie Vorkehrungen treffen, dass die Zustimmung unter Bedingungen entgegen genommen wird, die erkennen lassen, dass die Person die Zustimmung freiwillig und in vollem Bewusstsein der Folgen bekundet hat. Zu diesem Zweck hat der Betroffene das Recht, einen Rechtsbeistand beizuziehen. Die im EU-JZG vorgesehene Protokollierung und die ausdrückliche Belehrung über den Verlust der Spezialität bekundet die Kenntnis des Betroffenen über die Folgen. Die klare Anweisung des Rechtsbeistandes wurde nicht befolgt. Befindet sich der Betroffene in Übergabehaft, so verfügt er über einen Pflichtverteidiger. Ist er dies nicht und wird er in der ersten Vernehmung vor der Verhandlung befragt, so wird in der Regel kein Verteidiger anwesend sein. 2.2. Grundsätzliche Anwendbarkeit der Bestimmungen des § 31 ARHG auf das Übergabeverfahren Das „gewöhnliche“ Übergabeverfahren vor dem U-Ri richtet sich aufgrund des Verweises in § 21 Abs 1 EU-JZG mit wenigen Ausnahmen1777 nach dem Bestimmungen des § 31 ARHG. Das bedeutet, dass entsprechend der Auslieferung eine Übergabeverhandlung stattfindet, wenn Betroffener oder StA dies verlangen oder der U-Ri dies für notwendig erachtet. Andernfalls kann der U-Ri auch ohne Abhaltung einer Verhandlung mit Beschluss entschei-
1775 1776
1777
Art 13 RB-HB sieht die Unwiderruflichkeit nicht verpflichtend vor. Diese Beschwerdemöglichkeit ist hinsichtlich der vereinfachten Auslieferung nicht gegeben. Diesfalls entfällt das förmliche Verfahren vollständig, weshalb auch kein Beschluss durch den U-Ri ergeht. Als Entscheidungsinstanz ist diesfalls aber der BMJ vorgesehen. Die Ausnahme betrifft die Anwendbarkeit des § 33 ARHG. Diese ist nicht in ihrer Gesamtheit gegeben, da § 21 Abs 1 EU-JZG nur auf § 31 Abs 1 ARHG erster Satz verweist. § 33 Abs 2 ARHG, der die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts bei erheblichen Bedenken vorsieht, gilt aufgrund des ausdrücklichen Verweises in § 19 Abs 2 EU-JZG. Anstatt des § 33 Abs 3 ARHG gilt im Übergabeverfahren die Bestimmung des § 19 Abs 4 EU-JZG.
Das Übergabeverfahren in Grundzügen
375
den.1778 Hinsichtlich der formalen Anforderung an die Verhandlung und den Verhandlungsverlauf ist auf die Besprechung anlässlich des Auslieferungsverfahrens zu verweisen.1779 Es besteht notwendige Verteidigung. Gegen den Beschluss des U-Ri steht dem Betroffenen wie auch dem StA gem § 21 Abs 1 EU-JZG iVm § 31 Abs 6 ARHG eine Beschwerdemöglichkeit an das OLG offen, der aufschiebende Wirkung zukommt.1780 2.2.1. Formelles Prüfungsprinzip – Tatverdachtsvermutung Zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe ist hervorzuheben, dass weiterhin das formelle Prüfungsprinzip gilt, nachdem ein Vertrauen in die Begründetheit des Tatverdachtes vorausgesetzt wird.1781 Aber auch im Übergabeverfahren kann eine nachprüfende Kontrolle notwendig sein und sich das Vertrauen als nicht gerechtfertigt darstellen, weshalb entsprechend der Auslieferung auch im Rahmen des Übergabeverfahrens von der (widerlegbaren) Tatverdachtsvermutung auszugehen ist: § 19 Abs 1 EU-JZG erklärt die Verdachtsprüfung ausdrücklich im Rahmen des § 33 Abs 2 ARHG für zulässig. Demnach hat eine Tatverdachtsprüfung in den Fällen stattzufinden, in denen der U-Ri erhebliche Zweifel an der Begründetheit des Tatverdachtes hegt, die sich insb aus vorliegenden Beweisen ergeben, oder aus solchen, die ohne Verzug nachprüfbar oder erhebbar sind.1782 Lässt sich der Tatverdacht entkräften, so ist die Übergabe abzulehnen. Der RB-HB sieht diese Möglichkeit der Tatverdachtsprüfung nicht ausdrücklich vor, sie kann jedoch aus der in Art 8 Abs 1 lit e RB-HB vorgeschriebenen Konkretisierung der Straftat nach Tatort und -zeit sowie der Täterschaftsform des Betroffenen abgeleitet werden, denn eine Pflicht zur Angabe dieser Details machte keinen Sinn, dürften diese Informationen von der vollstreckenden Behörde nicht beurteilt werden.1783 Auch ließe sich eine Haft bzw die Zwangsmaßnahme der Übergabe nicht rechfertigen, wenn der anordnende Richter den Tatverdacht nicht als gegeben erachtet. Es ist daher ein Nachbesserungsauftrag zu erteilen; lassen sich die erheblichen Zweifel nicht ausräumen, so ist eine Übergabe abzulehnen. Die klare Regelung des § 19 Abs 1 EU-JZG ist daher zu begrüßen. Wie bereits erwähnt, unterliegt gem § 19 Abs 3 EU-JZG auch die Subsumtion unter die Katalogstraftaten durch die ausstellende Justizbehörde einer Kontrolle durch den U-Ri. Er kann den Ausstellungsstaat bei offensicht1778 1779 1780 1781 1782 1783
Siehe dazu die Ausführungen oben Abschnitt 1.VI.F.3.3. Oben Abschnitt 1.VI.F.3.4. Dazu ausführlich oben Abschnitt 1.VI.F.4. Dazu oben Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Siehe dazu oben Abschnitt 1.VI.F.3.5.1. Rohlff, Haftbefehl 113 ff; aM Zeder, AnwBl 2003, 380 der für die Tatverdachtsprüfung nach den Vorgaben des RB-HB keinerlei Raum sieht.
376
Das Verfahren nach Einlangen des Europäischen Haftbefehls
lichen Fehlern oder bei begründeten Einwänden des Betroffenen zur Vorlage zusätzlicher Angaben auffordern. Bleibt die Subsumtion offensichtlich fehlerhaft, so hat die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit stattzufinden. Sind die Angaben zu mangelhaft, bzw liegt keine beiderseitige Strafbarkeit vor, so ist die Übergabe abzulehnen.1784 2.2.2. Übergabevoraussetzungen und -hindernisse Der U-Ri hat die Zulässigkeit der Übergabe zu prüfen, er hat dabei zunächst auf die im EU-JZG ausdrücklich genannten Übergabehindernisse zu achten. Wie oben angesprochen werden die einzelnen Grundrechte der EMRK im RB-HB nicht ausdrücklich als Übergabehindernisse verankert. Eine Pflicht zur Beachtung der EMRK ergibt sich aber zunächst bereits aus der EMRKMitgliedschaft aller EU-Staaten. § 19 Abs 4 EU-JZG sieht zudem ausdrücklich vor, dass die Übergabe abzulehnen ist, wenn sich aufgrund von Einwänden des Betroffenen ergibt, dass die Übergabe die in Art 6 EUV anerkannten Grundsätze verletzen würde. Da Art 6 EUV die Achtung der Grundrechte der EMRK postuliert und sie damit anerkennt, hat der U-Ri auf die Einhaltung dieser Rechte zu achten. Daneben enthält § 19 Abs 4 EU-JZG ein umfassendes Diskriminierungsverbot insofern, als die Übergabe abzulehnen ist, wenn „objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Haftbefehl zum Zweck der Verfolgung oder Bestrafung der betroffenen Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen worden ist, oder die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe sonst beeinträchtigt würde“. Das über die Übergabe entscheidende Gericht hat solche Einwände auch innerhalb des Übergabeverkehrs mit den Mitgliedstaaten zu beachten. Die in § 19 Abs 4 EU-JZG vorgesehene Möglichkeit, wonach die Überprüfung entfallen kann, wenn der Betroffene die Einwände vor den Justizbehörden des Ausstellungsstaates, dem EGMR oder dem EuGH hätte geltend machen können, sollte nicht zum Einsatz gelangen. Denn das österreichische Gericht ist diesfalls die zuständige Instanz, die in ihrer Kompetenz zur Achtung der Grundrechte verpflichtet ist und diese Verantwortung nicht mit einem Verweis auf eine Säumnis des Betroffenen vor einem anderen Gericht eines anderen Landes abtun sollte. 2.2.3. Fristen Der RB-HB wie auch das EU-JZG sehen für das Übergabeverfahren Fristen vor, deren Ziel es ist, eine rasche Abwicklung des Verfahrens zu erreichen. Gem Art 17 Abs 2 RB-HB sollte über die vereinfachte Übergabe innerhalb von 10 Tagen, gem Abs 3 über die sonstige Übergabe innerhalb von 60 Tagen entschieden werden. Beide Fristen dürfen aber gem Art 17 Abs 4 RB-HB 1784
Siehe ebenso hinsichtlich Deutschlands Bubnoff, Haftbefehl 68.
Das Übergabeverfahren in Grundzügen
377
in nicht näher definierten Sonderfällen um weitere 30 Tage verlängert werden, wobei der Ausstellungsstaat über die Verlängerung zu unterrichten ist. Art 17 Abs 7 RB-HB erlaubt wiederum in außergewöhnlichen Sonderfällen eine Überschreitung dieser Frist, diesfalls ist Eurojust zu verständigen. Die genannten Fristen sind offensichtlich keine Fallfristen, als Konsequenz der Nichteinhaltung ist bloß vorgesehen, dass ein wiederholt Verzögerungen ausgesetzter Mitgliedstaat dies dem Rat mitzuteilen hat. Über notwendige Enthaftungen schweigt sich der RB-HB aus.1785 Art 23 RB-HB sieht eine 10-tägige Frist für die Übergabe der Person nach rechtskräftiger Vollstreckungsentscheidung vor. Wiederum sind Fristverlängerungen insb aus humanitären Gründen möglich. § 20 Abs 4 EU-JZG sieht in Fällen der vereinfachten Übergabe die Pflicht vor, die ausstellende Justizbehörde binnen 10 Tagen ab Zustimmung des Betroffenen über den Verfahrensstand zu informieren bzw ihr den rechtskräftigen Beschluss zu übermitteln.1786 Daneben enthält § 21 Abs 1 EU-JZG eine 30-tägige Frist ab Festnahme des Betroffenen, innerhalb derer (zunächst) der U-Ri über die Übergabe zu entscheiden hat. Der rechtskräftige Beschluss (womöglich nach einem Rechtszug an das OLG) soll gem § 21 Abs 2 EUJZG binnen 60 Tagen erfolgen. Darüber hinaus ist aufgrund besonderer Schwierigkeiten oder des besonderen Umfanges der Prüfung der Übergabevoraussetzungen eine unbestimmte Firstverlängerung möglich. Als Fallfristen gelten in jenen Sachverhalten, in denen sich der Betroffene in Übergabehaft befindet, die für die Auslieferungshaft gem § 29 Abs 6 ARHG vorgesehenen Fristen.1787 Über 6 Monate darf die Haft bei besonderen Schwierigkeiten nur dann dauern, wenn das Übergabedelikt ein Verbrechen darstellt. Die Anhaltung über ein Jahr ist unzulässig, diesfalls wäre der Betroffene zu enthaften. Auch die in § 21 EU-JZG genannten Sollfristen von 30 bzw 60 Tagen, innerhalb derer eine Übergabeentscheidung zu treffen ist, können die Dauer der Auslieferungshaft beeinflussen, denn sie sind als Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen. Insofern hat sich eine gravierende Verzögerung ohne ersichtliche sachliche Gründe auf die Haftfrage auszuwirken. Das hat zB zu gelten, wenn der Ausstellungsstaat auf die Aufforderung zur Nachlieferung ergänzender Unterlagen über 3 Monate nicht reagiert.1788
1785 1786 1787 1788
Vgl auch Zeder, AnwBl 2003, 379. Siehe auch oben Abschnitt 2.V.D.2.1. § 21 Abs 3 letzter Satz iVm § 18 Abs 2 EU-JZG. OLG Karlsruhe NJW 2005, 1206 f, vgl auch OLG Karlsruhe NJW 2005, 1207 f.
Schlussbemerkung Das Auslieferungsrecht hat sich von einem zweidimensionalen Modell, dem ausschließlich der Interessenausgleich der beiden beteiligten Staaten zugrunde liegt, zu einem dreidimensionalen Modell gewandelt. Damit wird der innerstaatlichen Rechtsbeziehung zwischen der auszuliefernden Person und dem ersuchten bzw ersuchenden Staat Rechnung getragen und der Betroffene folglich als Rechtssubjekt anerkannt. Durch dieses Verständnis des Auslieferungsrechts werden die Menschenrechte verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Wie sich im Laufe der Arbeit gezeigt hat, dienen die materiellen Aspekte der Auslieferung dem Individualrechtsschutz. Das Auslieferungsrecht ermöglicht die Übergabe eines Straftäters in die Hoheitsgewalt eines fremden Staates zum Zweck der Strafverfolgung. Sie ist ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und soll vor „Strafverfolgungsparadiesen“ schützen. Eine berechtigte Forderung stellt daher die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Auslieferung dar, die zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen soll. Diese Zielsetzung steht mit dem dreidimensionalen Modell nicht im Widerspruch, denn sie ist an die Berücksichtigung der Grund- und Menschenrechtsgarantien zu koppeln. Das Bestreben nach einer Vereinheitlichung und Vereinfachung des Auslieferungsrechts besteht seit je her. Bahnbrechende Ergebnisse erzielte der Europarat durch das EuAlÜbk und die entsprechenden Zusatzprotokolle. Durch diese wurde die Auslieferung innerhalb Europas in einen klaren, für alle Staaten annehmbaren Rahmen gegossen. Die völkerrechtlichen Auslieferungsübereinkommen der EU (AuslÜbk-EU und VereinfAuslÜbk-EU) konnten sich nicht durchsetzen, sie sind mangels ausreichender Ratifikationen noch nicht in Kraft getreten. Das neue Instrument des EU-Rahmenbeschlusses dient der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Mit dem Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sollte durch das Mittel der gegenseitigen Anerkennung eine einheitliche, einfache und schnelle Übergabe der Straftäter bewirkt werden. Doch selbst innerhalb der EU stößt die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Auslieferungsrechts an die Grenzen der immer noch unterschiedlichen Strafrechts- und Verfahrensordnungen. Diese mangelnde Harmonisierung ist historisch bedingt und kann aufgrund der (derzeit) fehlenden supranationalen Kompetenz der EU in Strafrechtssachen auch nicht behoben werden. Sollte der EU diese Kompetenz künftig zukommen, so
Schlussbemerkung
379
müsste ein hinsichtlich der Eingriffsmöglichkeiten und des Rechtsschutzes ausgewogenes Verfahrensrecht einem einheitlichen materiellen Strafrecht gegenüberstehen, bei dessen Schaffung die ultima ratio-Funktion des Strafrechts berücksichtigt und die Durchsetzung des punitivsten Strafrechts als gemeinsamer Nenner vermieden werden sollte. Solange in Europa unterschiedliche Strafrechtssysteme bestehen, ist die Auslieferung bzw Übergabe weiterhin an die in der Arbeit aufgezeigten materiellen Auslieferungsprinzipien zu knüpfen und muss dem entscheidungsbefugten Richter ein Ermessen und eine Prüfungsbefugnis zukommen. Diese Vorgaben wurden im europäischen Haftbefehl grundsätzlich berücksichtigt. Denn dieses – nach den Erwägungsgründen auf der gegenseitigen Anerkennung beruhende – Instrument sieht keinen automatischen Vollzug des im Ausstellungsstaat erlassenen Haftbefehls vor. Die Prüfungskompetenz des Richters des Vollstreckungsstaates bleibt vielmehr erhalten. Als wichtigstes Beschleunigungsinstrument sieht der Haftbefehl die Abschaffung des politischen Bewilligungsverfahrens vor. Der Individualrechtsschutz wird durch diese „Einsparung“ nicht beeinträchtigt, da dem Richter eine weite Kognitionsbefugnis erhalten bleibt. Abzulehnen ist der im Haftbefehl vorgesehene Katalog von 32 Straftaten, hinsichtlich derer die Übergabe nicht an die Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat geknüpft ist. Diese Liste ist unbestimmt, unsystematisch und unkonkret und auch nicht mit dem Vereinheitlichungsargument zu rechtfertigen. Die Umsetzung des Haftbefehls hat aufgezeigt, zu welch problematischen Ergebnissen der Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit hinsichtlich dieser Katalogstraftaten führen kann: Der Vollstreckungsstaat könnte die Übergabe des eigenen Staatsbürgers wegen im Inland strafbarer Taten ablehnen, wäre hinsichtlich im Inland legaler Handlungen aber zur Übergabe des Staatsbürgers verpflichtet. Nach der Strafverfolgung im Mitgliedstaat soll zur Strafvollstreckung wiederum eine Rücküberstellung erfolgen, nach welchen Kriterien sich diese Strafbemessung zu richten hat, bleibt fraglich. Auch ist der Vollzug der Strafhaft an einer Person, wegen Handlungen die im Vollzugsstaat gar nicht strafbar sind, rechtsstaatlich bedenklich. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Vereinfachung der Auslieferung – wie etwa durch den Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit – nicht unbegrenzt möglich ist. Die Schranken der Vereinheitlichung und Vereinfachung des Auslieferungsrechtes liegen daher in den internationalen, regionalen und nationalen Grund- und Menschenrechtsgarantien. Jede Übergabe eines Betroffenen zur Strafverfolgung an einen anderen Staat hat daher die Einhaltung dieser Garantien zu gewährleisten.
Literaturverzeichnis Ackermann/Ebensperger, Der EMRK-Grundsatz „ne bis in idem“ – Identität der Tat oder Identität der Strafnorm, AJP/PJA 7/99, 823. Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht EuZW 2005, 558. Ahlbrecht, Europäischer Haftbefehl im Interim, eucrim 2006, 39. Alegre/Leaf, Mutual Recognition in European Judicial Cooperation: A Step Too Far Too Soon? Case Study – the European Arrest Warrant, European Law Journal 2004, 200. Alleweldt, Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Band 126, Springer Verlag Berlin Heidelberg New York (1996). Ambos, Aktuelle Probleme der deutschen Verfolgung von „Kriegsverbrechen“ in Bosnien-Herzegovina, NStZ 1999, 226. Ambos, Anmerkung, NStZ 1999, 404. Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 16. Ambos, Pinochet – 2. Akt, JZ 1999, 564. Ambos, Völkerrechtliche Kernverbrechen, Weltrechtsprinzip und § 153f StPO, NStZ 2006, 434. Ang, Procedural Rules, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 47. Appl, Ein neues „ne bis in idem“ aus Luxemburg? in Vogler GS, Triffterer (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Heidelberg (2004) 109. Auer, Zu den Auswirkungen eines internationalen „ne bis in idem“ für Österreich, RZ 2000, 52. Ballhausen, Todesstrafe durch Alliierte – ein Verstoß gegen das Grundgesetz? NJW 1988, 2656. Bantekas/Nash/Makerel, International Criminal Law, Cavendish Publishing, London Sydney (2001). Bassiouni, in International Criminal Law II, Bassiouni (Hrsg), 2. Auflage. Transnational Publishers, Ardsley New York (1999). Bassiouni, International Extradition: U.S. Law and Practice, 3. Auflage, Dobbs Ferry, Oceana Publications, New York (1996).
382
Literaturverzeichnis
Bassiouni, Reflections on International Extradition, in Triffterer FS, Schmoller (Hrsg), Springer Verlag, Wien New York (1996). Bassiouni/Wise, Aut Dedere Aut Judicare: The Duty to Prosecute or Extradite in International Law, Verlag Nijhoff, Dordrecht (1995). Bekker, World Court Orders Belgium to Cancel an Arrest Warrant Issued Against the Congolese Foreign Minister, ASIL Insights, February 2002, www.asil.org/insights/insigh82.htm. Berka, Die Grundrechte: Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, Springer Verlag, Wien New York (1999). Bertel, Anm zu OGH 14 Os 30/03, JBl 2004, 194. Bertel, Die Identität der Tat, Springer Verlag, Wien New York (1970). Bertel, Die Untersuchungshaft – Über Haftgründe und Haftprüfungsverfahren, AnwBl 1981, 1999. Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht, BT I, 9. Auflage, Springer Verlag, Wien New York (2006). Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht, BT II, 7. Auflage, Springer Verlag, Wien New York (2006). Bertel/Venier, Einführung in die neue StPO, 2. Auflage, Springer Verlag, Wien New York (2006). Bertel/Venier, Strafprozessrecht, 8. Auflage Manz Verlag, Wien (2004). Beulke, in LR StPO, Rieß (Hrsg), 25. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (2001). Binding, Handbuch des Strafrechts, Duncker & Humblot, Leipzig (1885). Birklbauer, Anm zu 15 Os 18/02, JSt 2003/19. Birklbauer, Der Verfolgungsvorbehalt im österreichischen Strafverfahren, ÖJZ 2004, 289. Birklbauer, Die Identität von angeklagter und verurteilter Tat, JAP 2001/2002, 97. Blakesley, A Conceptual Framework for Extradition and Jurisdiction Over Extraterritorial Crimes, Utah Law Review, 1984 (4) 658. Blakesley, Criminal Law: United States Jurisdiction Over Extraterritorial Crime, 73 J. Crim. L. & Criminology 1107. Blakesley, Extraterritorial Jurisdiction, in International Criminal Law II, Bassiouni (Hrsg), 2. Auflage (1999) 33. Blakesley, Ruminations on Extradition & Human Rights, in Strafrecht, Strafprozeßrecht und Menschenrechte, Trechsel FS, Donatsch/Forster/ Schwarzenegger (Hrsg), Schulthess, Zürich Basel Genf (2002) 191. Blakesley/Lagodny, Competing National Laws: Network or Jungle, in Eser/Lagodny (Hrsg), Principles and Procedures for a New Transnational Law, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1992) Band S 33, 47.
Literaturverzeichnis
383
Blekxtoon, Commentary on an Article by Article Basis, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 218. Boed, United States Legislative Approach to Extraterritorial Jurisdiction in Connection with Terrorism, in International Criminal Law II, (Hrsg) Bassiouni, 2. Auflage (1999) 145. Bogensberger, Umdenken im Strafrecht – Terrorismus und Europäischer Haftbefehl, Juridikum 2002, 92. Bohnert/Lagodny, Art 54 SDÜ im Lichte der nationalen Wiederaufnahmegründe, NStZ 2000, 636. Böhm, Das Europäische Haftbefehlsgesetz und seine rechtsstaatlichen Mängel, NJW 2005, 2588. Böse, Anm zu OLG Wien 22 Ns 2/02, NStZ 2002, 670. Böse, in Auslieferungsrecht der Schengenvertragsstaaten, Gleß (Hrsg) Band 6 Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie, Albrecht/Eser (Hrsg), Edition Iuscrim, Freiburg i.Breisgau (2002), 109. Brandstetter/Hafner, in WK, Höpfel/Ratz (Hrsg), 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Breuer, The Act on Hungarians Living in Neighbouring Countries Challenging Hungary's Obligations under Public International Law and European Community Law, ZEuS 2002, 255. Breuer, Völkerrechtliche Implikationen des Falles Öcalan, Anmerkung zum Urteil des EGMR vom 12.März 2003, EuGRZ 2003, 449. Brugger, Vom unbedingten Verbot der Folter zum bedingten Recht auf Folter, JZ 2000, 165. Bubnoff, Der Europäische Haftbefehl, C.F. Müller Verlag, Heidelberg (2005). Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, de Gruyter, Berlin New York (1989). Burgstaller, Anm zu OGH 14 Os 8/02, JBl 2002, 675. Burgstaller, Das europäische Auslieferungsübereinkommen und seine Anwendung in Österreich, Manz Verlag, Wien (1970). Burgstaller, Spezielle Fragen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, in Triffterer FS, Schmoller (Hrsg), Springer Verlag, Wien New York (1996) 733. Burr, Article from Noriega to Pinochet: Is there an International Moral and Legal Right to Kidnap Individuals Accused of Gross Human Rights Violations? 29 Denv. J. Int’l L. & Pol’y (2001) 101. Cassese, International Criminal Law, Oxford University Press, Oxford New York (2003).
384
Literaturverzeichnis
Cassese, When May Senior Officials Be Tried for International Crimes? Some Comments on the Congo v. Belgium Case, EJIL Vol 13 (2002) 853. Conway, Judicial Interpretation and the Third Pillar, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2005, 255. Corstens/Pradel, European Criminal Law, Kluwer Law International, The Hague London New York (2002). Costi, Problems With Current International and National Practices Concerning Extraterritorial Abductions, 9 RJP/NZACL Yearbook 8, 57. Cranman, The Dual Sovereignty Exception to Double Jeopardy: A Champion Justice or a Violation of a Fundamental Right? 14 Emory Int’l L. Rev. (2000) 1641. Danek, in WK, Höpfel/Ratz (Hrsg), 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (1999). Davies/Sikand, Surrender made easy? New Law Journal 2004, (Part 1) 1752, (Part 2) 1802. Dawson, Note, Popular Sovereingty, Double Jeopardy, and the Dual Sovereignty Doctrine, 102 Yale L.J. (1992) 281. De Burca, The Drafting of the European Union Charter of Fundamental Rights, E.L. Rev 2001, 126. Dedeyne-Amann, Anm zu OGH 11 Os 139/98, JBl 2001, 331. Deen-Racsmany, The European Arrest Warrant and the Surrender of Nationals Revisited: The Lessons of Constitutional Challenges, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2006, 271. Deen-Racsmany/Blekxtoon, The Decline of the Nationality Exception in European Extradition? European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2005, 317. Dedeyne-Amann, in Auslieferungsrecht der Schengenvertragsstaaten, Gleß (Hrsg) Band 6 Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie, Albrecht/Eser (Hrsg), Edition Iuscrim, Freiburg i.Breisgau (2002), 395. Dieckmann, Europäische Kooperation im Bereich der Strafrechtspflege, NStZ 2001, 617. Dinga, Extradition of RICO Defendants to the United States Under Recent U.S. Extradition Treaties, 7 B.U. Int’l. L.J. 329. Dorr, Das Doppelbestrafungsverbot in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen, Diss Graz (2001). Dressler, Understanding Criminal Law, 3rd Edition, Lexis Nexis/Matthew Bender & Company (2002). Ebensperger, Strafrechtliches "ne bis in idem" in Österreich unter besonderer Berücksichtigung internationaler Übereinkommen ÖJZ 1999, 171. Engel, The European Charter of Fundamental Rights – A Changed Political Opportunity Structure and its Normative Consequences, European Law Journal Vol 7, 2001, 151.
Literaturverzeichnis
385
Engelhardt, in KK StPO, Pfeiffer (Hrsg), 4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (1999). Epp, Der Grundsatz „Ne bis in idem“ im internationalen Rechtsbereich, ÖJZ 1979, 36. Epp, Der Grundsatz der identen Norm und die beiderseitige Strafbarkeit, ÖJZ 1981, 197. Ermacora/Hummer, in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), 4. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Eser, Die Entwicklungen des Internationalen Strafrechts im Lichte des Werkes von Hans-Heinrich Jescheck, in Jescheck FS, Vogler (Hrsg) in Verbindung mit Herrman/Krümpelmann/Moos/Triffterer/Leibinger/ Schaffmeister/Meyer/Hünerfeld/Behrendt, Duncker & Humblot, Berlin (1985) 1353. Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt: ein Desiderat internationaler Komplementarität bei Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, in Strafrecht, Strafprozeßrecht und Menschenrechte, Trechsel FS, Donatsch/Forster/Schwarzenegger (Hrsg), Schulthess, Zürich Basel Genf (2002) 219. Eser, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 27. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2006). Eser, Völkermord und deutsche Strafgewalt, Zum Spannungsverhältnis von Weltrechtsprinzip und legitimierendem Inlandsbezug, in Strafverfahrensrecht in Theorie und Praxis, Meyer-Gossner FS, Eser/Goydke/Maatz/ Meurer (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2001), 4. Eser/Lagodny/Blakesley (Hrsg.), The Individual as Subject of International Cooperation in Criminal Matters. A Comparative Study, Nomos Verlag, Baden Baden (2002). Fabrizy, StGB, 9. Auflage, Manz Verlag, Wien (2005). Fabrizy, StPO, 9. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Felsenstein, Grundlagen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Strafsachen, ÖJZ 1986, 614 (1. Teil) und 645 (2.Teil). Fetzer/Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU? – Erwiderung auf Herrmann EuZW 2005, 436 EuZW 2005, 550. Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention: EMRK-Kommentar, 2. Auflage, N.P. Engel Verlag, Kehl Straßburg Arlington (1996). Fuchs, Absolute Nichtigkeit als Instrument der Revision rechtskräftiger Entscheidungen – zugleich eine Besprechung des Urteils OGH 9.4.2002, 14 Os 8/02, JBl 2002, 641. Fuchs, Europäischer Haftbefehl und Staaten-Souveränität, JBl 2003, 405.
386
Literaturverzeichnis
Fuchs, Österreichisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Auflage, Springer Verlag, Wien New York, (2004). Garcia, The General Provisions of the Charter of Fundamental Rights of the European Union, European Law Journal Vol 8, 2002, 492. Garlick, The European Arrest Warrant and the ECHR, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 167. Gärditz/Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht – Zugleich Besprechung von EuGH, Urteil vom 16.6.2005, GA 2006, 225. Geimer, Verfassung, Völkerrecht und internationales Zivilverfahrensrecht, ZfRV 1992, 321. Giese, Das Grundrecht des “ne bis in idem”, in Kontinuität und Wandel der EMRK, Studien zur Europäischen Menschrechtskonvention, Grabenwarter/Thienel (Hrsg), N.P. Engel Verlag, Kehl Straßburg Arlington (1998) 97. Glennon, International Kidnapping: State-Sponsored Abduction: A Comment on United States v. Alvarez-Machain 86 A.J.I.L. (1992) 746. Gomez-Jara Diez, European Arrest Warrant and the Principle of Mutual Recognition, eucrim 2006, 23. Graalmann-Scheerer, in LR StPO, Rieß (Hrsg), 25. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (2001). Grabenwarter, Anm zur Gradinger E, JBl 1997, 578. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2005). Gribbohm, in LK StGB, Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg), 11. Auflage, de Gruyter, Berlin New York, (1997). Guadalupe, Double Jeopardy, Dual Sovereignty and Other Legal Fictions, 28 Rev. Jur. U.I.P.R. (1994) 201. Hackner, Der Europäische Haftbefehl in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte, NStZ 2005, 311. Hackner, Probleme der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in Deutschland, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 193. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, Das 2. Europäische Haftbefehlsgesetz, NStZ 2006, 663. Hafen, International Extradition: Issues Arising Under the Dual Criminality Requirement, 1992 B.Y.U. L. Rev. 191. Hailbronner, in Völkerrecht, Vitzthum (Hrsg), 3. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (2004).
Literaturverzeichnis
387
Hailbronner, Refoulement-Verbote und Drittstaatenregelung (Art. 33 GK und Art. 3 EMRK), in Bernhardt FS, Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Band 120, Springer Verlag Berlin Heidelberg New York (1995) 365. Halberstam, International Kidnapping: In Defence of the Supreme Court Decision in Alvarez-Machain, 86 A.J.I.L. (1992) 736. Hauenschild/Mayer, Anm zu ZVR 2001/69. Hauenschild/Mayer, Das Doppelverfolgungsverbot in der höchstgerichtlichen Judikatur – Keine Konventionsverletzung bei einer Strafanrechnung? ZVR 2001, 182. Hecker, Das Prinzip „Ne bis in idem“ im Schengener Rechtsraum (Art 54 SDÜ), StV 2001, 306. Heimgartner, Auslieferungsrecht, in Zürcher Studien zum Strafrecht, Donatsch/ Trechsel/Schwarzenegger (Hrsg), Schulthess, Zürich (2002). Heintschel-Heinegg/Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, GA 2003, 44. Heiss, Verteidigung bei Europäischem Haftbefehl, in Strafverteidigung – Konflikte und Lösungen, Soyer (Hrsg), Schriftenreihe der Vereinigung österreichischer StrafverteidigerInnen, Band 2, NWV, Wien Graz (2003) 93. Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1994) Band S 44. Herndl, Völkerrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Realität, in Zemanek FS, Ginther/Hafner/Lang/Neuhold/Sucharipa-Behrmann (Hrsg), Berlin (1994) 203. Herrmann Ch, Anmerkung EuZW 2005, 433. Heymann/Gershengorn, Pursuing Justice, Respecting the Law, in Eser/Lagodny (Hrsg.), Principles and Procedures for a New Transnational Law, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1992) Band S 33, 101. Hinterhofer, Einleitung und Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach bzw während diversioneller Erledigung, RZ 2003, 71. Hinterhofer, Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl in Österreich, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 205. Hoffman, The Supreme Courts New Vision of Federal Habeas Corpus for State Prisoners, 1989 Sup.Ct. Rev. 165. Hollaender, Die neue Beschwerde in Auslieferungssachen nach dem ARHG, NWV, Wien Graz (2004).
388
Literaturverzeichnis
Hollaender, Ein „ingeniöser Weg“ zur Rechtssicherheit? Zulässigkeit und Reichweite konkreter Wirkungen infolge von Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes, AnwBl 2002, 380. Hollaender, Gewaltenteilung und Bindungswirkung, der Fall Sholam W. und seine kontroversiellen rechtlichen Aspekte, AnwBl 2003, 530. Höpfel, Das Freiwilligkeitselement bei der Diversion, in Jesionek FS, Moos/Machacek/Miklau/Müller/Schroll (Hrsg), NWV, Wien Graz (2002) 329. Höpfel, in WK, Höpfel/Ratz (Hrsg), 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (2001). Höpfel, Über den Umgang mit Mentalitätsunterschieden im Strafrecht, in Burgstaller FS, Grafl/Medigovic (Hrsg), NWV, Wien Graz (2004) 393. Horowitz/Kerr/Niedermeier, Jury Nullification: Legal and Psychological Perspectives, 66 Brooklyn Law Review (2001) 1207. Hoyer, in SK-StGB, Rudolphi/Horn/Günther/Samson (Hrsg), Bd I, 6. Auflage, Luchterhand (1997). Hoyer, Internationaler Strafgerichtshof und nationale Souveränität, GA 2004, 322. Janis, Jus Cogens: An Artful Not a Scientific Reality, 3 Conn. J. Int’l L. (1988). Jerouschek/Kölbel, Folter von Staats wegen? JZ 2003, 613. Jescheck, Gegenstand und neueste Entwicklungen des internationalen Strafrechts, in Maurach FS, Schroeder/Zipf (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Karlsruhe (1972) 579. Jescheck, in LK StGB, Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg), 11. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (1992). Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts: Allgemeiner Teil, 5. Auflage, Duncker & Humblot, Berlin (1996). Jung, Zur „Internationalisierung“ des Grundsatzes „ne bis in idem“, in Schüler-Springorum FS, Albrecht/Ehlers/Lamott/Pfeiffer/Schwind/Walter (Hrsg), Carl Heymanns Verlag, Köln Berlin Bonn München (1993) 493. Karl, Der Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in Busek/Hummer (Hrsg), Der Europäische Konvent und sein Ergebnis. Eine Europäische Verfassung, Wien Köln Weimar (2004) 89. Kathrein, in WK, Höpfel/Ratz (Hrsg), 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (2005). Keijzer, Extradition and Human Rights: A Dutch Perspective, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 183.
Literaturverzeichnis
389
Keijzer, The Double Criminality Requirement, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 137. Keller, Belgian Jury to Decide Case Concerning Rwandan Genocide, ASIL Insights, May 2001, www.asil.org/insights/insigh72.htm. Kienapfel/Höpfel, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Auflage, Manz Verlag, Wien (2005). Kienapfel/Schroll, Studienbuch Strafrecht Besonderer Teil I, Manz Verlag, Wien (2003). Killmann, Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung im Strafrecht vor dem EuGH JBl 2005, 566. Krapac, Verdicts in Absentia, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 119. Kreicker, Die strafrechtliche Indemnität und Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments, GA 2004, 643. Kreß, Völkerstrafrecht in Deutschland, NStZ 2000, 617. Kreß, Völkerstrafrecht und Weltrechtspflegeprinzip im Blickfeld des Internationalen Gerichtshofs, ZStW 114 (2002) 818. Kreuzer, Aktuelle Aspekte der Todesstrafe – Unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in den USA mit einem deutsch-amerikanischen Vergleich zur Meinungsforschung, in Vogler GS, Triffterer (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Heidelberg (2004) 163. Kubink, Leserbrief, Zur Debatte über das Folterverbot, NJW 2003 Heft 24, XII. Kühne, Das zweite Öcalan-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, JZ 2005, 653. Kühne, Die Entscheidung des EuGHMR in Sachen Öcalan, JZ 2003, 670. Kuner, Zur völkerrechtlichen Entführung nach U.S.-amerikanischem Recht Die Alvarez-Machain-Entscheidung des U.S. Supreme Court, EuGRZ 1993, 1. La Fave/Israel/King, Criminal Procedure, West Publishing (2003). Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1987) Band S 9. Lagodny, Die Umsetzung der materiellen Übergabe- bzw Auslieferungsvoraussetzungen und der Verfahrensregelungen in den Mitgliedstaaten im Überblick, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 143.
390
Literaturverzeichnis
Lagodny, Eckpunkte für die zukünftige Ausgestaltung des deutschen Auslieferungsverfahrens, StV 2005, 515. Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? Gutachten im Auftrag der BMJ, März 2001, http://www.sbg.ac.at/ssk/lago.pdf. Lagodny, „Extradition“ Without a Granting Procedure: The Concept of „Surrender“, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/ Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 39. Lagodny, Grundkonstellationen des internationalen Strafrechts, ZStW 101 (1989) 987. Lagodny, Teileuropäisches „ne bis in idem“ durch Art 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), NStZ 1997, 265. Lagodny, Überlegungen zu einem menschengerechten transnationalen Strafund Strafverfahrensrecht, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005) 778. Lagodny, Viele Strafgewalten und nur ein transnationales ne-bis-in-idem, in Strafrecht, Strafprozeßrecht und Menschenrechte, Trechsel FS, Donatsch/Forster/Schwarzenegger (Hrsg), Schulthess, Zürich Basel Genf (2002) 253. Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, Leipzig (1887). Lenaerts/De Smijter, A “Bill of Rights” for the European Union, CML Rev 2001, 273. Leukauf/Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage, Prugg Verlag, Eisenstadt (1992). Liebscher, in WK, Foregger/Nowakowski (Hrsg), Manz Verlag, Wien (1979). Liebscher, Internationale Rechtsbeziehungen zwischen Österreich und Ungran aus straf- und zivilrechtlicher Sicht, AnwBl 1985, 400. Liebscher, Menschenrechte in neuer Sicht! JBl 1978, 505. Linemann, Gnade an den Grenzen des Rechts, Die Debatte zur Aufweichung des Folterverbots aus ethischer Sicht, NZZ vom 23./24.4.05, 59. Linke, Das grundrechtliche Verbot der Auslieferung österreichischer Staatsbürger, EuGRZ 1982, 329. Linke, Grundriss des Auslieferungsrechts, Manz Verlag, Wien (1983). Linke, Leitende Grundsätze der Reform des Auslieferungs- und Rechtshilferechts, RZ 1980, 365. Linke, Zwischenstaatliche Kompetenzkonflikte auf dem Gebiet des Strafrechts, in Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Grützner FS, Oehler/Pötz (Hrsg), R. v. Decker’s Verlag, Hamburg (1970) 85. Linke/Epp/Dokoupil/Felsenstein, Internationales Strafrecht, Manz Verlag, Wien (1981).
Literaturverzeichnis
391
Lopez, Not Twice for the Same: How the Dual Sovereignty Doctrine is Used to Circumvent Non Bis In Idem, 33 Vand. J. Transnat’l Law 1263. Lowenfeld, Ahmad: Profile of an Extradition Case, 23 N.Y.U. J.Int’l L. & Pol. (1991) 723. Lööf, Shooting from the Hip: Proposed Minimum Rights in Criminal Proceedings throughout the EU, European Law Journal 2006, 421. Luef-Kölbl, Der Verdächtige und die Diversion, Anmerkungen zur „neuen strafprozessualen Erledigungsform“, RZ 2002, 134. Matscher, „Lange Hand der EMRK“, Der Staatsbürger, vom 10.8.2002. Matscher, Bemerkungen zur extraterritorialen oder indirekten Wirkung der EMRK, in Strafrecht, Strafprozeßrecht und Menschenrechte, Trechsel FS, Donatsch/Forster/Schwarzenegger (Hrsg), Schulthess, Zürich Basel Genf (2002) 25. Matscher, Straßburgs Urteile zum Recht auf Familienleben: Human bis blauäugig, Die Presse, Rechtspanorama, vom 17.2.2003. Matz, Note, Dual Sovereignty and the Double Jeopardy Clause: If at First You Don’t Convict, Try, Try Again, 24 Fordham Urb. L.J. (1997) 353. Mayer, B-VG Bundesverfassungsrecht, Kurzkommentar, 3. Auflage, Manz Verlag, Wien (2002). Mayer, StPO-Commentar, 1. Teil/I, Manz Verlag, Wien (1884). Mayerhofer Ch, Können Kriegsverbrechen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien von österreichischen Gerichten verfolgt werden? JBl 1994, 567. Mayerhofer, StGB, Strafrecht Erster Teil, 5. Auflage, Verlag Österreich, Wien (2000). Mayerhofer, StPO, Bd 2, 5. Auflage, Verlag Österreich, Wien (2004). McCrudden, The Future of the EU Charter of Fundamental Rights, Jean Monnet Working Paper 10/01. McDonough, Jury Nullification on the Ballot, 38 A.B.A. J. E-Report (2002). Medigovic, Der Europäische Haftbefehl in Österreich, JBl 2006, 627. Merli, Europäischer Haftbefehl und nationales Verfassungsrecht, in in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 125. Meyer, Die künftige Europäische Verfassung und das Strafrecht, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/ Koch/Lagodny/Perron/Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005), 797. Meyer-Goßner, Absprachen im Strafprozess: Entwicklung – gegenwärtiger Zustand – Zukunftsaussichten, in Vogler GS, Triffterer (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Heidelberg (2004) 161. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 49. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2006).
392
Literaturverzeichnis
Miehe, Nochmals: Die Debatte über Ausnahmen vom Folterverbot, NJW 2003, 1219. Miklau, Der zeitliche und räumliche Geltungsbereich des österreichischen Strafrechtes, ZnStr 1973 (I) 111. Militello, Die Grundrechte zwischen Grenzen und Legitimierung eines strafrechtlichen Schutzes of europäischer Ebene, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/ Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005) 807. Molari, in Pisani/Molari/Perchinunno/Corso, Manuale di Procedura Penale, Sesta Edizione (2004). Morgan, The European Arrest Warrant and Defendants’ Rights: An Overview, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 195. Morscher, Freiheitsrechte ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt – welche werden wirklich „absolut“ gewährleistet und warum? JBl 2003, 609. Morscher, Verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht österr Staatsbürgerinnen und -bürger auf Nichtaus(durch)lieferung? ÖJZ 2001, 621. Müller-Graff, Institutionelle und materielle Reformen in der Zusammenarbeit in dem Bereich Justiz und Inneres, in Hummer (Hrsg), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, Manz Verlag, Wien (1998) 272. Murphy, The Pinochet Judgment: New Accountability for Old Dictators, 32 VUWLR (2001) 463. Murschetz, Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und seine Umsetzung im EU-JZG – Anmerkungen zur gegenseitigen Anerkennung, zur beiderseitigen Strafbarkeit und zur Übergabe eigener Staatsbürger, ÖJZ 2007, 98. Murschetz, Die Übergabe eigener Staatsbürger nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und dem EU-JZG, Newsletter Menschenrechte 2006/3, 163. Murschetz, Das „Übergabe“-Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl im Vergleich mit dem herkömmlichen Auslieferungsverfahren, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 85. Murschetz, The Future of Criminal Law within the European Union – Union Law or Community Law Competence? 38 VUWLR (2007) 145. Murschetz, Verwertungsverbote bei Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten, Juristische Schriftenreihe Band 151, Verlag Österreich, Wien (1999). Murschetz/Ebensperger, Aufhebung des § 209 StGB durch den VfGH, JAP 2002/2003, 175. Nanda, Bases for Refusing International Extradition Requests – Capital Punishment and Torture, 23 Fordham Int’l L.J. (2000) 1369.
Literaturverzeichnis
393
Nehm, Zur Reichweite des “ne bis in idem”-Prinzips in Art 54 SDÜ und den Möglichkeiten seiner Fortentwicklung im Rahmen der Europäischen Union, in Steininger FS, Pilgermair (Hrsg), Verlag Österreich, Wien (2003) 369. Neisser/Verschraegen, Die Europäische Union, Anspruch und Wirklichkeit, Springer Verlag, Wien New York (2001). Niggli/Keshelava, Ein Markstein des Rechtsstaates gerät ins Wanken, Rechtliche Überlegungen zur Absolutheit des Folterverbotes, NZZ vom 23./24.4.05, 57. Norton, United States’ Obligations Under Status of Forces Agreements: A New Method of Extradition? 5 GA. J.Int’l & Comp.L.J. (1975) 1. Nowak, The Implementation Functions of the UN Committee against Torture, in Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Ermacora FS, Nowak/Steurer/Tretter (Hrsg), N.P. Engel Verlag, Kehl Straßburg Arlington (1988) 493. Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, Engel Verlag, Kehl Straßburg Arlington (1989). Nowakowski, in WK, Foregger/Nowakowski (Hrsg), Manz Verlag, Wien (1979). Oehler, Das neue Recht der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, ZStW 96 (1984), 555. Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Auflage, Carl Heymanns Verlag, Köln Berlin Bonn München (1983). Oehler, Theorie des Strafanwendungsrechts, in Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Grützner FS, Oehler/Pötz (Hrsg), R. v. Decker’s Verlag, Hamburg (1970) 110. Oehler, Verfolgung von Völkermord im Ausland, NStZ 1994, 485. Oehler, Zur Rückwirkung des Begriffs des Deutschen im geltenden deutschen internationalen Strafrecht, in Bockelmann FS, Kaufmann/Bemmann/Krauss/Volk (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (1979). Öhlinger, Verfassungsrecht, 6. Auflage, WUV, Wien (2005). Ohms, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte am Wendepunkt? Das 14. Zusatzprotokoll: Eine zusätzliche Zulässigkeitshürde sowie zahlreiche organisatorische Neuerungen, JBl 2005, 14. Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1996) Band S 58. Patchel, The New Habeas, 42 Hastings L.J. (1991) 939. Paulus, Triumph und Tragik des Völkerstrafrechts, NJW 1999, 2644.
394
Literaturverzeichnis
Paust, After Alvarez-Machain: Abduction, Standing, Denials of Justice, and Unaddressed Human Rights Claims, 7 St. John’s L. Rev. (1993) 551. Peers, Mutual Recognition and Criminal Law in the European Union: Has the Council Got it Wrong? CML Rev 2004, 5. Perchinunno, Capitolo XXVI, Il giudizio, in Pisani/Molari/Perchinunno/ Corso, Manuale die Procedura Penale, 6. Auflage, Monduzzi (2004). Perron, Foltern in Notwehr? in Weber FS, Heinrich/Hilgendorf/Mitsch/ Sternberg-Lieben (Hrsg), Verlag Ernst und Werner Gieseking (2004) 143. Peukert, Auslieferung zur Verbüßung einer Gefängnisstrafe von 845 Jahren wegen reiner Vermögensdelikte konventionskonform!? in Vogler GS, Triffterer (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Heidelberg (2004) 151. Pfeiffer, Strafprozessordnung Kommentar, 5. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2005). Plachta, European Arrest Warrant: Revolution in Extradition, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2003, 178. Plachta/Van Ballegooij, The Framework Decision on the European Arrest Warrant and Surrender Procedures Between Member States of the European Union, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 13. Plöckinger, Diversion und europäisches Ne bis in idem – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung von Art 54 SDÜ, ÖJZ 2003, 98. Poncet/Gully-Hart, The European Approach, in International Criminal Law II, Bassiouni (Hrsg), 2. Auflage (1999), 277. Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Helbling & Lichtenhahn, C.H. Beck, Basel Genf München (2001). Popp, in BSK StGB I, Niggli/Wiprächtiger (Hrsg), Helbing & Lichtenhahn, Basel Genf München (2003). Powers, Justice Denied? The Adjudication of Extradition Applications, 37 Tex Int’l L.J. (2002) 277. Radtke, Bestandskraft staatsanwaltlicher Einstellungsverfügungen und die Identität des wiederaufgenommenen Verfahrens, NStZ 1999, 481. Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in den sog. SchengenStaaten, EuGRZ 2000, 421. Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europäischen Union, NStZ 2003, 281. Randall, Texas Law Review, Vol 66 (1988) 785. Ratner, Belgium’s War Crimes Statute: A Postmortem, American Journal of International Law (87) 2003, 888. Ratz, Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof in Strafsachen, in Steininger FS, Pilgermair (Hrsg), Verlag Österreich, Wien (2003), 109. Ratz, in WK StPO, Fuchs/Ratz (Hrsg), Manz Verlag, Wien (2002). Ratz, in WK, Höpfel/Ratz (Hrsg), 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (1999).
Literaturverzeichnis
395
Regner/Reinisch, Zur Umsetzung der österr Verpflichtungen gegenüber dem Jugoslawien Tribunal der Vereinten Nationen, ÖJZ 1995, 543. Reindl, Untersuchungshaft und Menschenrechtskonvention, Verlag Österreich, Wien (1997). Renzikowski, „Fair trial“ im Strafprozeß, in Jus humanum, Grundlagen des Rechts und Strafrecht, Lampe FS, Dölling (Hrsg), Duncker & Humblot, Berlin (2003) 791. Reydams, Belgium Reneges on Universality: The 5. August 2003 Act on Grave Breaches of International Humanitarian Law, 1 J. Int’l Crim. Just. (2003) 679. Reydams, Universal Criminal Jurisdiction: The Belgian State Of Affairs, Criminal Law Forum 11 (2000) 183. Richardson, Major Contemporary Issues in Extradition Law, 84 Am. Soc’y Int’l Proc. 391. Rieß, in LR StPO, Rieß (Hrsg), 25. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (2001). Riklin, Die Strafprozessrechtsreform in Österreich – eine kurze Würdigung aus schweizerischer JRP 2002, 47. Rinio, Die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, ZStW 108 (1996) 354. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, Peter Lang, München (2003). Rosbaud, in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2006). Rose, A Delicate Balance: Extradition, Sovereignty, and Individual Rights in the United States, 27 Yale J. Int’l L. (2002) 193. Rosenmayr, in Ermacora/Nowak/Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Gerichte (1983). Rosenthal, Europäisches Haftbefehlsgesetz, zweiter Versuch, ZRP 2006, 105. Rotter, in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), 4. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (1998). Rüth/Trilsch, Bankovic et al. v. Belgium, AJIL 97 (2003), 168. Saliger, Absolutes im Strafprozeß? Über das Folterverbot und die Folgen seiner Verletzung, ZStW 116 (2004) 35. Sautner, Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nach dem EUJZG, ÖJZ 2005, 328. Satzger, Das neue Völkerstrafgesetzbuch – eine kritische Würdigung, NStZ 2002, 125. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, Carl Heymanns Verlag, Köln Berlin Bonn München (2001). Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, Nomos Verlag, Baden Baden (2005).
396
Literaturverzeichnis
Sautner, Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nach dem EUJZG, ÖJZ 2005, 328. Schedlberger, Probleme der rechtswirksamen Zustellung von Strafurteilen, AnwBl 1992, 281. Scheil, Die Selbstanzeige nach § 29 FinStrG, Verlag Orac, Wien (1995). Scheil, Unzulässigkeit der Untersuchungshaft im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren bei Zuständigkeit des Einzelbeamten, ÖStZ 1997, 21. Scheller, Das Schengener Informationssystem – Rechtshilfeersuchen „per Computer“, JZ 1992, 904. Schilling, Europäischer Haftbefehl und europäisches Verfassungsrecht, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 97. Schmidt-Aßmann, in Kommentar zum Grundgesetz, Maunz/Dürig (Hrsg), Loseblatt, C.H. Beck, München (Stand 2004). Schmoller, Bedeutung und Grenzen des fortgesetzten Delikts (1988). Schmoller, Individualisierung der Tat und fortgesetztes Delikt, Kritisches zu EvBl 1986/123, ÖJZ 1987, 323. Schmoller, Zur aktuellen Diskussion um das "fortgesetzte Delikt" – Eine Stellungnahme zu den neuen Bearbeitungen von Pallin und Venier, RZ 1989, 207. Schmoller, Zur Zukunft des „fortgesetzten Delikts“, in Leitner (Hrsg) Aktuelles zum Finanzstrafrecht, Beiträge zur der Finanzstrafrechtlichen Tagung 1997 (1998) 53. Schneider, Die „offenbar unangemessen“ lange Untersuchungshaft, AnwBl 1990, 223. Schomburg, Anm zu F.L. OGH 8 Rs 35/98-75, NStZ 1999, 359. Schomburg, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, JBl 1997, 553. Schomburg, Die Europäisierung des Verbotes doppelter Strafverfolgung – Ein Zwischenbericht, NJW 2000, 1833. Schomburg, Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998, 153. Schomburg, Konkurrierende nationale und internationale Strafgerichtsbarkeit und der Grundsatz „Ne bis in idem“, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/ Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005), 829. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2006). Schoreit, in KK StPO, Pfeiffer (Hrsg), 4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (1999). Schreiber, Leserbrief, Debatte über Ausnahmen vom Folterverbot, NJW 2003, Heft 23, XII.
Literaturverzeichnis
397
Schroll, in WK StPO, Fuchs/Ratz (Hrsg), Manz Verlag, Wien (2004). Schroeder, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in den Verträgen, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 37. Schubarth, Faustrecht statt Auslieferungsrecht? StV 1987, 173. Schultz, Aktuelle Probleme der Auslieferung (Vorläufiger Generalbericht zum vorbereitenden Kolloquium, ZStW 81 (1969) 199. Schultz, Male captus, bene deditus? SJIR 1984, 100. Schultz, Male captus, bene iudicatus? SJIR 1967, 70. Schünemann, Bürgerrechte ernst nehmen bei der Europäisierung des Strafverfahrens! StV 2003, 116. Schünemann, Ein Gespenst geht um in Europa – Brüssler >Strafrechtspflege< intra muros, GA 2002, 501. Schünemann, Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003, 185. Schünemann, Fortschritte und Fehltritte in der Strafrechtspflege der EU, GA 2004, 193. Schütz, Diversionsentscheidungen im Strafrecht, Springer Verlag, Wien New York (2003). Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, Manz Verlag, Wien (1988). Schwaighofer, Bemerkungen zur Härteklausel im internationalen Auslieferungsrecht, LJZ 2000, 54. Schwaighofer, Bußgeld statt Strafe: Falsche Diversion lässt sich nicht aus der Welt schaffen, Die Presse, Rechtspanorama, vom 25.7.2005. Schwaighofer, Der Einfluss der Europäischen Union auf des österreichische Strafrecht, in Reichert-Facilides, Recht und Europa 2, Ringvorlesung am Zentrum für Europäisches Recht (1998), 157. Schwaighofer, Die Neuordnung des Auslieferungsrechts durch den Europäischen Haftbefehl, in Burgstaller FS, Grafl/Medigovic (Hrsg), NWV, Wien Graz (2004) 433. Schwaighofer, EU erzwingt Auslieferung aus der Heimat – Abwehr durch eigenen Prozess möglich, Die Presse, Rechtspanorama, vom 30.6.2003. Schwaighofer, in StGB K, Bd 2, Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud (Hrsg), Loseblatt, LexisNexis/Orac (Stand 2002). Schwaighofer, Kritische Gedanken zu den Haftgründen, RZ 1982, 25. Schwaighofer, Materielle Übergabe- bzw Auslieferungsvoraussetzungen im Europäischen Haftbefehl, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 73. Schwaighofer, Neue Entwicklungen im Auslieferungs- und Rechtshilferecht, ÖJZ 1997, 17.
398
Literaturverzeichnis
Schwaighofer, Problematische Neuerungen im Zustellrecht, AnwBl 1983, 379. Schwaighofer, Spezielle Aspekte der „beiderseitigen Strafbarkeit“ im Auslieferungsrecht, ÖJZ 1994, 304. Schwaighofer, Überlegungen zur Reichweite des innerstaatlichen „Doppelbestrafungsverbots“ nach Art 4 Abs 1 7. ZPMRK, ÖJZ 2005, 173. Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten, WUV, Wien (2001). Seiler St, Die Stellung des Beschuldigten im Anklageprozess, Verlag Österreich, Wien (1996). Seiler St, Strafprozessrecht, 8. Auflage, WUV, Wien (2006). Seitz, Das Europäische Haftbefehlsgesetz, NStZ 2004, 546. Seyedin-Noor, The Spanish Prisoner: Understanding the Prosecution of Senator Augusto Pinochet Ugarte, 6 U.C. Davis J. INt’l. L. & Pol’y 41. Shea, Expanding Judicial Scrutiny of Human Rights in Extradition Cases After Soering, 17 Yale J. Int’l L. (1992) 85. Shearer, Extradition in International Law, Manchester University Press (1971). Sicalides, Comment, RICO, CCE and International Extradition, 62 Temp. L. Rev. (1989) 1281. Silverman, Prosecution of International Crimes in the United States of America, in Eser/Sieber/Kreicker (eds.), National Prosecution of International Crimes, Strafrechtliche Forschungsberichte, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht, Volume 5 (2005) Band S 95.5, Duncker & Humblot, Berlin, 437. Simma, in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), 4. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Sims/Van der Borght, Belgian Law concerning The Punishment of Grave Breaches of International Humanitarian Law: A Contested Law with Uncontested Objectives, ASIL Insights, July 2003, www.asil.org/ insights/insigh112.htm. Sison, A King no more: The Impact of the Pinochet Decision on the Doctrine of Head of State Immunity, 78 Wash. U. L.Q. 1583. Soyer, Die (ordentliche) Wiederaufnahme des Strafverfahrens, Verlag Österreich, Wien (1998). Soyer/Stuefer, OGH JSt 2004/21 mit Anmerkung. Spinellis, Das Auslieferungs- und das Rechtshilfeabkommen zwischen EU und USA – Hoffnungen, Kritik und Verteidigung, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/ Perron/Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005) 874.
Literaturverzeichnis
399
Steininger, in StGB K, Bd 1, Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud (Hrsg), Loseblatt, LexisNexis/Orac (Stand 2005). Steininger, in WK, Foregger/Nowakowski (Hrsg), Manz Verlag, Wien (1979). Swart, Human Rights and the Abolition of Traditional Principles, in Eser/ Lagodny (Hrsg), Principles and Procedures for a New Transnational Law, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1992) Band S 33, 505. Taylor, Pinochet, Confusion, and Justice: The Denial of Immunity in U.S. Courts to Alleged Torturers who are Former Heads of State, 24 T. Jefferson L. Rev. 101. Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches „ne bis in idem“ und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 69 ff (1. Teil) und 153 (2. Teil). Thirty-Second Annual Review of Criminal Procedure, II. Preliminary Proceedings, 91 Geo. L. J. (2003) 187. Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, Nomos Verlag, Baden Baden (2002). Thun-Hohenstein/Cede/Hafner, Europarecht, 5. Auflage, Manz Verlag, Wien (2005). Tinkl, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 16.6.2005 – C-105/03 (Pupino), StV 2006, 36. Tischler, in StGB K, Bd 2, Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud (Hrsg), Loseblatt, LexisNexis/Orac (Stand 2005). Trechsel, Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987, 69. Triffterer (Hrsg) Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, Nomos Verlag, Baden-Baden (1999). Triffterer, in StGB K, Bd 4, Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud (Hrsg), Loseblatt, LexisNexis/Orac (Stand 2005). Triffterer, Kriminalpolitische und dogmatische Überlegungen zum Entwurf gleichlautender „Elements of Crimes“ für alle Tatbestände des Völkermordes, in Roxin FS, Schünemann (Hrsg), de Gruyter, Berlin New York (2001) 1415. Triffterer, Österreichisches Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Springer Verlag, Wien New York (1994). Triffterer, Österreichs Verpflichtungen zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts, ÖJZ 1996, 321. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 53. Auflage, C.H. Beck Verlag, München (2006).
400
Literaturverzeichnis
Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl – Ein Beispiel für die Missachtung europäischer Bürgerrechte. Van Cleave, The Role of the United States Federal Courts in Extradition Matters: The Rule of Non-Inquiry, Preventive Detention, and Comparative Legal Analysis, 13 Temp. Int’l & Comp.L.J. (1999) 27. Van den Wyngaert, General Report for the 4th Section of the AIDP Congress in Budapest (September 1999), RIDP 1999, 1333 (197). Van den Wyngaert, in Dugard/Van den Wyngaert (Hrsg), International Criminal Law and Procedure, Dartmouth Publishing Company Ltd, Aldershot (1996) 191. Van den Wyngaert, International Criminal Law, Kluver Law International The Hague (2000). Van der Wilt, The European Arrest Warrant and the Principle Ne bis in idem, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 99. Van der Wilt, The Principle of Reciprocity, in Handbook on the European Arrest Warrant, Blekxtoon/Van Ballegooij (Hrsg), T M C Asser Press, The Hague (2005) 71. Venier, Das Recht der Untersuchungshaft, Springer Verlag, Wien New York (1999). Venier, Der Fortsetzungszusammenhang im österreichischen Strafrecht, Manz Verlag, Wien (1998). Venier, Die unverhältnismäßig lange Haft: Bemerkungen zu 11 Os 71/03, AnwBl 2004, 12. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Theorie und Praxis, 3. Auflage, Duncker & Humblot, Berlin (1984). Villinger, Handbuch der EMRK, 2. Auflage, Schulthess, Zürich (1999). Vitzthum, in Völkerrecht, Vitzthum (Hrsg), 3. Auflage, de Gruyter, Berlin New York (2004). Vogel, Abschaffung der Auslieferung? Kritische Anmerkungen zur Reform des Auslieferungsrechts in der Europäischen Union, JZ 2001, 937. Vogel, in Vogler/Wilkitzki, IRG Kommentar, in Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Auflage, Loseblatt, R.v. Deckers’s Verlag, Heidelberg (Stand 2006). Vogler, Auslieferung bei drohender Todesstrafe – ein Dauerthema, NJW 1994, 1433. Vogler, Auslieferung und Grundgesetz, Duncker & Humblot, Berlin (1970). Vogler, Der rechtshilferechtliche Grundsatz der Spezialität, in Spendel FS, Seebode (Hrsg), de Gruyter , Berlin (1992) 871. Vogler, Der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 105 (1993) 3.
Literaturverzeichnis
401
Vogler, Die Reichweite von „Härteklauseln“ im vertraglichen Auslieferungsverkehr, in Schmitt FS, Geppert/Bohnert/Rengier (Hrsg), Mohr Verlag, Tübingen (1992) 387. Vogler, Entwicklungstendenzen im internationalen Strafrecht unter Berücksichtigung der Konvention des Europarats, in Maurach FS, Schroeder/Zipf (Hrsg), C.F. Müller Verlag, Karlsruhe (1972) 595. Vogler, Geltungsanspruch und Geltungsbereich der Strafgesetze, in Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Grützner FS, Oehler/Pötz (Hrsg), R. v. Decker’s Verlag, Hamburg (1970) 149. Vogler, in Vogler/Wilkitzki, IRG Kommentar, in Gützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Auflage, Loseblatt, R.v. Deckers’s Verlag, Heidelberg (Stand 2005, sowie hinsichtlich § 73 IRG Stand 2003 = aL). Vogler, Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren, EuGRZ 1981, 417. Vogler, Strafprozessuale Wirkungen völkerrechtswidriger Entführungen von Straftätern aus dem Ausland, in Oehler FS, Herzberg (Hrsg), Carl Heymanns Verlag, Köln Berlin Bonn München (1985) 379. Vogler, Zur Frage des maßgeblichen Rechts beim Verbot der Auslieferung wegen politischer Taten (§ 3 DAG), GA 1981, 47. Vranes, Der Statur der Grundrechtscharta in der Europäischen Union – Rechtliche Fragen und Optionen für die Zukunft, JBl 2002, 630. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, 9. Auflage, Manz Verlag, Wien (2000). Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 8. Auflage, Manz Verlag, Wien (2003). Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I, 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (1998). Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band II, 2. Auflage, Manz Verlag, Wien (2000). Walther, Terra Incognita: Wird staatliche internationale Strafgewalt den Menschen gerecht? – Exemplarisch am Bespiel des Territorial- und des Weltrechtsprinzips, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/ Burckhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005) 925. Ward, Forcible Abduction Made Fashionable: United States v. AlvarezMachain’s Extension of the Ker-Frisbie Doctrine, 47 Ark. L. Rev. (1994) 477. Wasmeier, Der Rahmenbeschluss als Rechtssatzform in der Praxis, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 59. Watson, Offenders Abroad: The Case for Nationality-Based Criminal Jurisdiction, 17 Yale J. Int’l L. 41.
402
Literaturverzeichnis
Watson, The Passive Personality Principle, Texas International Law Journal Vol 28 (1993) 1. Wedgwood, 40th Anniversary Perspective: International Criminal Law and Augusto Pinochet, 40 Va. J. Int’l. 829. Wedgwood, Case note: R. v. Horseferry road Magistrates' Court, ex parte Bennet, 89 A.J.I.L. (1995) 131. Weigend, Absprachen in ausländischen Strafverfahren, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht Freiburg i. Breisgau (1990) Band S 19. Weigend, Grund und Grenzen universaler Gerichtsbarkeit, in Menschengerechtes Strafrecht, Eser FS, Arnold/Burckhard/Gropp/Heine/ Koch/Lagodny/Perron/Walther (Hrsg), C.H. Beck Verlag, München (2005) 955. Weigend, Grundsätze und Probleme des deutschen Auslieferungsrechts, JuS 2000, 105. Weiß, Die Todesstrafe aus völkerrechtlicher Sicht, in Zur Aktualität der Todesstrafe, Boulanger/Heyes/Hanfling (Hrsg), 2. Auflage, Berlin Verlag, Berlin (2002) 427. White, Note: Nowhere to Run, Nowhere to Hide: Augusto Pinochet, Universal Jurisdiction, the ICC, and a Wake-up Call for Former Heads of State, 50 Case Western Reserve Law Review 125. Wiesneth, Der Europäische Haftbefehl in der amtsgerichtlichen Praxis, DRiZ 2005, 193. Williams, Extradition and the Death Penalty Exception in Canada: Resolving the Ng and Kindler Cases, 13 Loy. L.A. Int’l & Comp. L.J. (1991) 799. Williams, The Double Criminality Rule and Extradition: A Comparative Analysis, 15 Nova Law Review, Spring 1991, 581. Wilske, Die völkerrechtliche Entführung und ihre Rechtsfolgen, Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht, Bd 52, Duncker & Humblot, Berlin (2000). Wilske, Strafverfahren gegen völkerrechtswidrig Entführte: Der Abschied von „male captus, bene detentus“, ZStW 107 (1995) 48. Winkler, Grundrechte und Grundrechtsschutz in der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg) Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, NWV, Wien Graz (2007) 19. Wise, Aut Dedere Aut Judicare: The Duty to Prosecute or Extradite, in International Criminal Law II, Bassiouni (Hrsg), 2. Auflage (1999) 15. Wise/Podgor, International Criminal Law: Cases and Materials, Lexis Publishing (2000). Wolff, Die Verfassungsrechtlichen Auslieferungsverbote, StV 2004, 154.
Literaturverzeichnis
403
Woodhouse, Introduction: The Extradition of Pinochet: A Calendar of Events, in Woodhouse (Hrsg.), The Pinochet Case A Legal and Constitutional Analysis, Hart Publishing Ltd, Oxford (2000). Wouters/Naert, Of Arrest Warrants, Terrorist Offences and Extradition Deals: An Appraisal of the EU’s Main Criminal Law Measures Against Terrorism After “11 September”, Common Market Law Review 2004, 909. Zeder, Der Europäische Haftbefehl: das Ende der Auslieferung in der EU?, AnwBl 2003, 376. Zemanek, in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), 4. Auflage, Manz Verlag, Wien (2004). Zerbes, in Eser/Sieber/Kreicker (Hrsg), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Strafrechtliche Forschungsberichte, Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafecht, Teil Band 3 (2005) Band S 95.3, Duncker & Humblot, Berlin 123. Zimmermann, Das neue Grundrecht auf Asyl, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Band 115, Springer Verlag Berlin Heidelberg New York (1994).
Stichwortverzeichnis Abschiebung (deportation) – Auslieferungshindernis – Strafverfolgungshindernis – Völkerrechtsverletzung – Vorrang der Auslieferung Abwesenheitsurteil – Akzeptanzkriterien – Auslieferungshindernis – Beweislast – Nachträgliches rechtliches Gehör – Rechtslage in Deutschland – Rechtslage in Italien – Rechtslage in Österreich – Übergabehindernis – Zusicherung Anbot – der Auslieferung – der Übergabe Ausdehnung der Anklage – Zustimmung Auslieferung – Bewilligungsentscheidung – Rechtsgrundlagen – Stellung des Betroffenen – Strafgewalt siehe Strafanwendungsnormen – Systematische Einordnung – Umgehung der – vereinfachte – Verfahren siehe Auslieferungsverfahren – Vertragstheorie – Vorrang der – Wesen der – Zulässigkeitsentscheidung Auslieferungsasyl siehe non-refoulment Prinzip Auslieferungsbeschluss – Rechtsmittel
233 ff 239 ff 239 ff 245 235 ff 200 ff, 9, 33, 242, 305 202 200 ff 206 f 205 ff 207 205 ff 207 ff 356 ff 209 f 51, 132, 236, 274 371 78, 75 ff 79 299 ff, 237 8 ff 6f 6 233 ff 277 f, 282 f 7, 312 235 ff 5 ff 292 ff 296 296 f
406
Auslieferungsersuchen – als Teil einer völkerrechtlichen Willenserklärung – Beweise – mangelhaftes – nachträgliches – Recht auf Stellungnahme – Sachverhaltsdarstellung – Vernehmung des Betroffenen – Vorprüfung durch den BMJ Auslieferungshaft – bedingt-obligatorische – Dauer – Entschädigung – Formelle Voraussetzungen – Gelindere Mittel – Haftfristen – Haftgründe – Haftprüfungsverfahren – Hinreichender Tatverdacht – Notwendige Verteidigung – Rechtsbehelfe – Rechtsmittel – Richterliche Vernehmung – Soziale Integration – Vereinfachte Auslieferung – Verhältnismäßigkeit – vorläufige Auslieferungshindernisse – Abwesenheitsurteil – Ausnahmegericht – aus rechtsstaatlichen Gründen siehe auch rule of non inquiry – bei fair trial Verletzungen – bei drohender Todesstrafe – bei drohender unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung – bei Folter – death row phenomenon – Eigene Gerichtsbarkeit – Eigene Staatsbürger – Fiskalische Delikte – Härtefälle – Militärische Delikte
Stichwortverzeichnis
278 ff 7 288, 294 293 f 154 291 125, 287 289 286 ff, 237 277 ff 278 283 f 285 282 279 f, 283 282 f 278 ff 282 277 277 285 285 277 278 277, 282 f 280 ff 276 157 ff 200 ff 211 264 ff 197 ff 176 ff 191 ff 187 ff 178, 181, 192, 263 157 f 212 ff 229 f 216 227 ff
Stichwortverzeichnis
– Ne bis in idem – non refoulment Prinzip – Politische Delikte – Strafunmündigkeit Auslieferungsmodell – dreidimensionales – zweidimensionales Auslieferungsrecht – bilaterales – bilaterales europäisches – Eu-rechtliches – formelles – innerstaatliches – materielles – multilaterales europäisches – Verhältnis zwischen Gesetz und Vertrag Auslieferungsverfahren – Anbotsverfahren – Auslieferungsbeschluss – Auslieferungsersuchen – Auslieferungshaft – Ausschreibung – Bewilligung durch den BMJ – Doppelzuständigkeit des U-Ri – Einleitung – Entscheidung in öffentlicher Verhandlung siehe Auslieferungsverhandlung – Entscheidung ohne Verhandlung – Formelles Prüfungsprinzip siehe auch Tatverdachtsvermutung – Gerichtliche Zuständigkeit – in dubio pro reo – Internationaler Haftbefehl – prima facie case – Rechtsmittel gegen den Auslieferungsbeschluss – Siehe auch Übergabeverfahren – SIS – Vereinfachte Auslieferung – Verfahren vor dem U-Ri – Vernehmung des Betroffenen – Verwahrung, siehe Verwahrung zum Zweck der Auslieferung
407
158 ff 196 220 ff 216 7 7 8 9 10 f 5 8 5 8f 11 f 272 ff 51, 132, 236, 274 296 287 277 ff 273 299 ff 288 273 f 291 ff 291 292 ff 275, 288 f 293 273 294, 128 296 ff 273 277 f, 282 f 288 f 289 ff
408
– Vorprüfung durch den BMJ – Zulässigkeitsentscheidung Auslieferungsverhandlung – Formale Anforderungen – Formelles Prüfungsprinzip siehe auch Tatverdachtsvermutung – Notwendige Verteidigung – prima facie case – Verhandlungsverlauf – Zulässigkeitsentscheidung Auslieferungsverkehr, freier Auslieferungsvoraussetzungen, materielle – Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Beiderseitige Strafbarkeit – Beiderseitige Verfolgbarkeit – Spezialität Ausnahmegerichte Bedingt-obligatorische Haft Beiderseitige Gerichtsbarkeit – für die Beurteilung maßgeblicher Zeipunkt – Grundlagen – Rückwirkungsverbot Beiderseitige Strafbarkeit – Abschaffung der – Eliminationsmethode – Entschuldigungsgründe – Entscheidungsgrundlage für die Prüfung – Enumerationsmethode – Formelles Prüfungsprinzip siehe Tatverdachtsvermutung – für die Beurteilung maßgeblicher Zeipunkt – Grundlagen der – Katalogstraftaten – Negativliste – Objektive Bedingungen der Strafbarkeit – Positivliste – prima facie case – Prüfung in concreto – qualifizierte – Rechtswidrigkeit – Rückwirkungsverbot – Sinngemäße Umstellung des Sachverhaltes – Strafausschließungsgründe
Stichwortverzeichnis
286 ff, 273 292 291 ff 291 292 ff 291 294, 128 292 292 ff 6 118 ff 131 ff 118 ff 142 ff 147 ff 211 276, 279 131 ff 136 ff 131 f 138 ff 118 ff 119 f 123 127 125 f 124 292 ff 136 ff 118 ff 316 ff 317 f 126 317 294, 128 126 ff, 230 123 126 137 ff 128 ff, 323 126
Stichwortverzeichnis
– Strafaufhebungsgründe – Schuldunfähigkeit – Verjährung – Zurechnungsunfähigkeit Beiderseitige Verfolgbarkeit – Immunität common law core crimes death row phenomenon Delikte, fiskalische – Auslieferungshindernis – Begriff – Grundlagen – SDÜ Art 63 – Übergabehindernis Delikte, militärische – Auslieferungshindernis – Begriff – Grundlagen – Rein militärische Delikte – Status of Forces Agreement (SOFA) – Truppenvereinbarungen – Übergabehindernis – Unechte (gemischt) militärische Delikte – Uneigentlich militärische Delikte Delikte, politische – Absolut politische Delikte – Auslieferungshindernis – Begriff – Grundlagen – Komplex politische Delikte – Konnex politische Delikte – Relativ politische Delikte – Übergabehindernis Diversion Doppelverfolgungsverbot siehe Ne bis in idem double jeopardy – Blockburger Test – dual sovereignty – Gerichtliche Entscheidungen – Staatsanwaltliche Entscheidungen
409
126 127 126, 316, 323 f 127 142 ff 144 ff 24, 102, 123, 137 32, 35, 37, 39, 147, 215 178, 181, 192, 263 229 ff 230 ff 230 229 f 232 369 227 ff 228 f 227 227 227 229 229 368 227 227 220 ff 223 224 ff 222 ff 220 f 223 224 223 367 54 ff, 341 f, 57 f, 84 ff, 94, 98, 109, 160, 314 f 101 ff 112, 115 103 ff 105 ff 109 ff
410
Drittstaat – Aburteilung – Weiterlieferung Eigener Staatsbürger – Auslieferungshindernis – Übergabe(hindernis) Einstellungsbeschluss Entführung aus dem Aufenthaltsstaat (kidnapping) – Auslieferungshindernis – Strafverfolgungshindernis – Völkerrechtsverletzung Europäische Verfassung Europäischer Haftbefehl – Ausstellungsstaat – Begriffe – Entstehungsgeschichte – EU-JZG – Form und Inhalt siehe auch Übergabeersuchen – Katalogstraftaten – Materielle Voraussetzungen siehe Übergabevoraussetzungen – Stellung des Betroffenen – Systematische Einordnung – Übergabe – Übergabeersuchen – Übergabehaft – Übergabehindernisse – Übergabeverfahren – Übergabeverhandlung – Umsetzung in Österreich – Vollstreckungsstaat Fallfristen Folter – Auslieferungshindernis – Bescheinigungslast – Definition – Immunität – Übergabehindernis – UN-Antifolterkonvention – zwingendes Völkerrecht
Stichwortverzeichnis
345 ff 311 ff 212 ff 359 ff 52 ff, 56 ff, 85, 92, 94, 158, 341, 344 ff 258 ff 258 ff 258 ff 260 f, 269 314, 351 ff 302 ff 310 310 302 ff 309 373 316 ff
312 ff 311 310 373 372 333 ff 370 ff 375 ff 309 ff 310 284, 377 f 190 ff 189 189 f 190 146 f 347 f, 353, 355 187, 136 f, 173, 182, 187 16, 32, 173 f, 187 ff
Stichwortverzeichnis
Gefährdungsdelikt – abstraktes – konkretes – potenzielles Gegenseitige Anerkennung Gegenseitigkeit Gerichtsbarkeit siehe Strafanwendungsnormen – siehe auch beiderseitige Gerichtsbarkeit Grundrechtsbeschwerde Grundrechtscharta Haftbedingungen Haftfristen Härteklausel – Jugendliche – Krankheiten – Nachreise – Transportunfähigkeit Herauslocken in einen Drittstaat (luring) – Auslieferungshindernis – Strafverfolgungshindernis – Völkerrechtsverletzung Immunität – ratione materiae – ratione personae – und Auslieferung – von Außenministern – von Diplomaten – von Regierungschefs – von Staatsoberhäuptern in dubio pro reo Internationales Strafrecht Isolationshaft ius cogens – ordre public – crimes – internationales – nationales – regionales Katalogstraftat – Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Beiderseitige Strafbarkeit
411
23 22 f 22 303 ff, 310, 313, 315, 322, 333, 345, 348, 364 13, 42, 51, 120, 264, 286
285 91, 96, 181, 350, 352 ff 192 f, 195 282, 284 f, 378 167 f, 216 ff, 367 217 218 ff 219 218 248 ff 251 ff 251 ff 249 f 144 ff 145 ff 33, 145 ff 144 ff 145 146 f 145, 147 145 ff 293 6, 311 192 14 ff, 32, 137, 166, 171 ff, 187 32, 37, 40, 146 f 15 f 16 f 18 316 ff 325 f 316 ff
412
Stichwortverzeichnis
– Eigene Staatsbürger – Einleitung, Entscheidung zur Nichteinleitung oder Einstellung des Strafverfahrens – Spezialität – Strafmündigkeit – Subsumtion – Territoriale Strafgewalt – Übergabehaft – Verjährung Katalogstraftaten – Überprüfung der Einordnung durch den Richter des Vollstreckungsstaates Ker-Frisbie Doktrin Konkurrierende Ersuchen um Übergabe Konkurrierende Strafanwendungsnormen – Auswirkungen – innerhalb der EU – Regelungsmechanismen Lebenslange Freiheitsstrafe – Überprüfungsmöglichkeit nach Mindestverbüßung – Unmenschliche oder erniedrigende Strafe – Vorzeitige Entlassung Lex loci Lex mitior male captus bene detentus mistrial Nachreise Ne bis in idem – als Beschränkung der inländischen Strafgewalt – Auslieferungshindernis – Das idem nach deutschem Recht – Das idem nach österreichischem Recht – Das idem nach US-amerikanischem Recht – Diversion – Entwurf eines Ne bis in idem Rahmenbeschlusses – EU-rechtliche Instrumente – Grünbuch – Idealkonkurrenz
361 f, 366 336 ff 327 366 320, 374, 376 333 f 281, 327 324 316 ff 320, 322 266 ff 44 42 ff 43 f 44 f 42 ff 193 f, 335 f 335 f 193 f 193 f 25 ff, 29, 40, 49 f, 319, 363 41, 51 257, 259 f, 266 f 105 ff 219
51 158 ff 79 ff 59 ff 112 ff 54 ff, 57, 84 ff, 94, 98, 109, 160, 341 f 97 ff 91 ff 45 73, 75, 80, 113, 151
Stichwortverzeichnis
– im englischen Recht siehe auch Autrefois Acquit bzw Autrefois Convict – im US-amerikanischen Recht siehe auch double jeopardy – innerstaatliches – Internationale Bestimmungen im deutschen Recht – Internationale Bestimmungen im österreichischen Recht – Materiell rechtskräftige Entscheidung nach österreichischem Recht – Realkonkurrenz – Rechtskräftige Beschlüsse nach deutschem Recht – SDÜ – Übergabehindernis – Verwaltungsrechtliches und gerichtliches Strafverfahren – Wiederaufnahme non-refoulment Prinzip – Auslieferungshindernis – Übergabehindernis ordre public
plea bargaining prima facie case Prinzipien des internationalen Strafrechts siehe Strafwendungsnormen Pupino Entscheidung des EuGH Rahmenbeschluss Resozialisierung Rückwirkungsverbot rule of non inquiry Sachverhaltskonkretisierung Schengen SDÜ – Ausschreibung – Geltung innerhalb der EU – Ne bis in idem Bestimmung des Art 54 – SIS Schuldverdachtsprüfung siehe auch Tatverdachtsvermutung
413
116 101 ff 52 ff 91 ff 83 ff 53 ff 64, 76, 80 56 ff 92 ff 340 ff 60 ff 79, 52, 54 ff, 59, 70 f, 81 ff, 114, 116, 341 196 f 348, 367 f 13 ff, 121 ff, 167 ff, 172, 176, 195, 238 f, 242, 286, 348, 351 109 ff 128, 165, 194
363 ff 306 ff 25, 43, 50, 214, 217, 365 137 ff 164 ff, 200, 300, 351 287 f, 293 ff 274, 371 11 92 ff 274, 371 127 f, 287
414
sentencing hearing Sinngemäße Umstellung des Sachverhalts Spezialität – Dauer – Deutsches Recht – Einordnung – Rechtsschutzwirkung – Rechtsfolgen – Umfang – und Umgehung der Auslieferung – US-amerikanisches Recht – Weitere Übergabe – Weiterlieferung – Weiterlieferung an einen Drittstaat – Zulässigkeitsvoraussetzung Status of Forces Agreements (SOFA) siehe Truppenvereinbarungen Stellung des Betroffenen – im Auslieferungsverfahren – im Übergabeverfahren Straf(un)mündigkeit – Auslieferungshindernis – Übergabehindernis Strafanwendungsnormen (principles of jurisdiction) – Aktives Personalitätsprinzip (active personality principle) – legitimierender Anknüpfungspunkt – lex loci – österreichische – Passives Personalitätsprinzip (passive personality principle) – Regelungsmechanismen bei Konkurrenz – Schutz-(Real)prinzip (protective principle) – Stellvertretende Strafrechtspflege (vicarious administration of justice) – Territorialitätsprinzip (territoriality principle) – Weltrechtsprinzip (=Universalitätsprinzip) (universality principle) Strafbefehl Strafgewalt siehe Strafanwendungsnormen Suchtmitteltransporte
Stichwortverzeichnis
109 f, 153, 186 128 ff, 132, 142, 323 147 ff 154 f 152 147 148 ff 156 150 237 f, 245, 254, 266, 270 f 152 330 151 f, 154, 330 331 147 ff, 326 ff
6f 312 ff 127, 216, 366 f, 318 216 366 f
25 ff 19 ff, 32 ff, 41, 49, 157 25 ff, 29, 40, 49 f, 319, 363 45 ff 29 ff 42, 38 ff 28 f 41 22 ff 31 ff 58 f 47
Stichwortverzeichnis
Tatverdachtsvermutung Todesstrafe – Abschaffung innerhalb der EMRK-Staaten – als forseeable consequence – Auslieferungshindernis – Übergabehindernis – Zusicherung der Nichtverhängung – Zusicherung der Nichtvollstreckung Toscanino exception Transitverbrechen Truppenvereinbarungen Übergabe (nach dem Europäischen Haftbefehl) – Umgehung der – vereinfachte Übergabeersuchen (=Europäischer Haftbefehl) – Beweise – Form und Inhalt – Sachverhalt Übergabehaft Übergabehindernisse – Ausnahme bei Nichtstaatsbürgern – aus rechtsstaatlichen Gründen – bei Einleitung des Strafverfahrens – bei Einstellung des Strafverfahrens – bei Nichteinleitung des Strafverfahrens – Fiskalische Delikte – Militärische Delikte – ne bis in idem – Politische Delikte – Territoriale Strafgewalt des Vollstreckungsstaates Übergabeverfahren – Anbotsverfahren – Ausschreibung – Doppelzuständigkeit des U-Ri – Einleitung – Entscheidung in öffentlicher Verhandlung siehe Übergabeverhandlung – Entscheidung ohne Verhandlung – Formelles Prüfungsprinzip siehe auch Tatverdachtsvermutung – Fristen – Gerichtliche Zuständigkeit
415
292 ff, 375 f 178 ff 182, 209 176 ff 347 ff, 355 ff 184 ff 184 ff 271 46 f 229 310 369 374 371 373 373 373, 376 372 f 333 ff 339, 342 347 ff 335 ff 335 ff, 342 335 ff, 342 369 368 340 ff 367 333 ff 370 ff 371 f 371 370 371 375 375 375 377 f 371
416
– Internationaler Haftbefehl – Notwendige Verteidigung – Rechtsmittel – Siehe auch Auslieferungsverfahren – SIS – Übergabeersuchen – Übergabehaft – Vereinfachte Übergabe – Verfahren vor dem U-Ri – Vernehmung des Betroffenen – Zulässigkeitsentscheidung Übergabeverhandlung – Formelles Prüfungsprinzip siehe auch Tatverdachtsvermutung – Fristen – Notwendige Verteidigung – Rechtsmittel – Verhandlungsverlauf – Zulässigkeitsentscheidung Übergabevoraussetzungen – Beiderseitige Gerichtsbarkeit – Beiderseitige Strafbarkeit – Spezialität Umgehung, der Auslieferung – Abschiebung (deportation) – Auslieferungshindernis – Ausweisung – Entführung (kidnapping) – Herauslocken (luring) – Ker-Frisbie Doktrin – male captus, bene detentus – Strafverfolgungshindernis – Toscanino exception – Umgehungsverbot – Völkerrechtsverletzung Umgehung, der Übergabe Unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung – Auslieferungshindernis – death row phenomenon – Definition – Haftbedingungen – Isolationshaft
Stichwortverzeichnis
371 372, 375 375 371 371 f 372 f 374 374 ff 374 375 f 375 ff 375 f 377 f 375 375 375 ff 375 f 315 ff 325 f 315 ff 326 ff 233 ff 233 ff 239 ff, 251 ff, 258 ff 234 f 258 ff 248 ff 266 ff 257, 259 f, 266 f 238 ff, 251 ff, 258 ff 271 235 ff 245, 249 ff, 261, 263, 267 369 191 ff 187 ff, 191 ff 178, 181, 192 191 192 ff, 195 192 f
Stichwortverzeichnis
– Kumulation von Strafen – Übergabehindernis Vereinfachte Auslieferung – Inhaftierter Betroffener – Entfall der Haftfrist – Verzicht auf Spezialitätsschutz – Zustimmung Vereinfachte Übergabe – Beschwerde – Freiwilligkeit – Frist – Unterrichtungspflicht – Zustimmung Verhältnismäßigkeit – als Begründung für die qualifizierte Strafbarkeit – bei Auslieferungshaft – bei Übergabehaft – Härtefälle – Umgehung der Auslieferung Verjährung Verwahrung zum Zweck der Auslieferung – Bedingt-obligatorische Haft – Dauer – Haftgründe – Hinreichender Tatverdacht – Voraussetzungen Völkerrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Rechtsquellen und ihre Rangordnung – Völkervertragsrecht – Völkergewohnheitsrecht
Zusicherungen – Abschiebung – Abwesenheitsurteil – Spezialität – Todesstrafe – Unmenschliche oder erniedrigende Strafe
417
194 f 351, 355 f 277 f, 282 f 278 282 149, 155, 277, 282 f 155, 277, 282 f 374 f 374 374 f 377 374 374
124, 152 280 ff 281 217 257 f 58, 126, 139, 144, 158, 316, 323 f 275 f 276 276 275 f 275 275 f 13 ff 13, 52, 159 13 ff 13, 166, 171, 176, 270 13, 16 f, 40, 52, 120, 137, 144 f, 147 f, 158, 179 f, 196, 214, 222, 257, 260 238 207, 209 ff, 257 f 150 184 ff, 181, 183 f 193 f, 199, 356