Philipp Kordowich Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern
GABLER RESEARCH
Philipp Kordowich
Betrieb...
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Philipp Kordowich Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern
GABLER RESEARCH
Philipp Kordowich
Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern Herausforderungen für Organisation und IT durch Kundenorientierung Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Mareike Schoop
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Hohenheim, 2010 D 100
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2552-7
Geleitwort Unternehmen, die sich durch eine stärkere Kundenorientierung vom Wettbewerb differenzieren wollen, stehen vor zahlreichen Herausforderungen: Dienstleistungen oder Kundenlösungen stellen andere Anforderungen zum Beispiel an die Entwicklung oder die Vermarktung. Auch wird die stärkere Ausrichtung auf den Kunden organisatorische Auswirkungen haben, da die Kundenanforderungen an die zuständigen Fachbereiche weitergereicht und dort berücksichtigt werden müssen. Wenn die stärkere Kundenorientierung durch IT-Systeme unterstützt werden soll, so müssen die Systeme auf die geänderten organisatorischen Herausforderungen eingehen und passende Lösungen anbieten. Eine zielgerichtete IT-Unterstützung ist aber ohne ein Wissen über die organisatorischen Auswirkungen der Kundenorientierung nicht möglich. Es ist das Verdienst der vorliegenden sehr guten Arbeit, die Auswirkungen der Kundenorientierung auf die betriebliche Kommunikation und die Organisation detailliert zu analysieren. Dabei werden die Individualisierung der Prozessabläufe, die ganzheitliche Problembetrachtung und die Notwendigkeit der Netzwerkbildung als zentrale Auswirkungen eines Wandels von Sach- zu Kundenlösungen identifiziert. Empirische Untersuchungen in der Bauindustrie illustrieren die Erkenntnisse exemplarisch. Die vorliegende Arbeit untersucht die Forschungsfrage sehr breit und bietet damit Erkenntnisse für die Praxis (insbesondere Wirtschaftsinformatik, Marketing und Organisation) und für die Wissenschaft. Sie liefert eine wichtige Grundlage für die Planung und Vorbereitung des Angebots von Kundenlösungen in der betrieblichen Praxis und der Entwicklung von effektiven und effizienten Softwareunterstützungssystemen. Ich wünsche der Arbeit eine entsprechende Verbreitung in Wissenschaft und Praxis.
Prof. Dr. Mareike Schoop
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Vorwort Anbieter, die sich stärker auf kundenorientierte Lösungen konzentrieren wollen, stehen vor zahlreichen organisatorischen Herausforderungen. Die große Zahl an neu einzubindenden Akteuren, die steigende Komplexität der Leistungen und die größere Varianz der Produkte sorgen für weitreichende Änderungen an den Abläufen und der Kommunikation. Diese Auswirkungen werden in dieser Arbeit ausführlich analysiert und dargestellt. Die Vielzahl an Änderungen und Einflussgrößen, die bei Kundenlösungen zu berücksichtigen sind, geben ihnen einen besonderen Reiz. Auch wenn der Fokus dieser Arbeit auf den Kommunikationsprozessen liegt, so kommt man bei einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Thema nicht umher, die zahlreichen Facetten der kundenorientierten Leistungserbringung ausführlich zu untersuchen. Dabei kann man auf vorhandenes Wissen zurückgreifen, auf diesem aufbauen und es durch neues Wissen ergänzen. Diese Vielfalt hat mich bei der Arbeit motiviert und neugierig gemacht, immer neue Aspekte zu entdecken und zu untersuchen. Ich hoffe, dass ein Teil dieser Motivation auch auf den Leser überspringen und ihn bei seiner Arbeit im Bereich von Kundenlösungen unterstützen kann. Eine Arbeit wie diese kann jedoch nicht entstehen, wenn einem nicht der notwendige Rahmen gegeben wird, in dem man tätig werden kann. Darum gilt es denen Dank zu sagen, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. An erster Stelle gebührt dieser Dank meinen Eltern und meiner Familie, die mir die notwendigen Grundlagen und Freiheiten gegeben haben, damit diese Arbeit entstehen konnte. Ihre tatkräftige Unterstützung in vielen Bereichen ermöglichte es, sich auf die für die Arbeit notwendigen Fragen zu konzentrieren und andere Themen auch einmal anderer Sorge sein zu lassen. Nicht weniger gebührt Dank meiner Betreuerin und Doktormutter Prof. Dr. Mareike Schoop. Ihre stete Unterstützung und ihre Rückmeldungen waren ein wertvoller Beitrag für diese Arbeit. Ohne die Freiräume, die mir von ihr für die Arbeit gewährt wurden, hätte diese sicherlich nicht in dieser Form entstehen können. Prof. Dr. Markus Voeth danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und für seine wertvollen Hinweise für meine Arbeit. Besonderer Dank gilt auch meinen Kollegen, durch die ich meine Zeit am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik I der Universität Hohenheim in einem großartigen Team verbringen konnte. Herausheben möchte ich dabei Kai Honsel, Dr. Bernd Schneider und Dr. Dirk Staskiewicz, die mir durch zahlreiche Hinweise und Aufmunterungen oder als Diskussionspartner eine wertvolle Hilfe und Unterstützung waren. Franziska Kubsch danke ich für die tatkräftige Unterstützung in vielen organisatorischen Fragen. Die in meiner Zeit am Lehrstuhl entstandenen Freundschaften werden sicherlich lange währen. Dank gilt auch den Helfern, die mich bei der Suche nach den sich immer wieder einschleichenden Fehlern unterstützt haben und die mir auch wertvolle Hinweise für diese Arbeit gegeben haben. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Sabine Schöller vom Gabler Verlag für die Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage für die vorliegende Ausgabe meiVII
ner Arbeit. Ihr und Herrn Dr. Andreas Janßen von der Universitätsbibliothek Hohenheim gilt Dank für die Hilfe bei den organisatorischen Fragen, die sich im Rahmen der Veröffentlichung gestellt haben. Zuletzt gilt Dank all den Freunden und Bekannten, die mich auf unterschiedliche Weise vor und während dieser Arbeit unterstützt haben. Seien es Hinweise, Ratschläge, Gelegenheiten zum Entspannen oder auch das Ertragen eines sicherlich manchmal etwas angespannten Doktoranden. Auch wenn ich sie auf Grund ihrer Zahl nicht einzeln und vor allem nicht abschließend nennen kann, bin ich jedem von ihnen ganz persönlich dankbar.
Philipp Kordowich
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ XIII Tabellenverzeichnis ...............................................................................................................XV Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... XVII 1 Einführung ........................................................................................................................... 1 1.1 Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft .................................................................. 1 1.2 Wissenschaftliche Fragestellung .................................................................................... 2 1.3 Vorgehen und Aufbau der Arbeit ................................................................................... 3 2 Kommunikationsprozesse im betrieblichen Kontext ....................................................... 5 2.1 Kommunikation und Kommunikationsprozesse ............................................................ 5 2.1.1 Kommunikation als Prozess der wechselseitigen Bedeutungsvermittlung .......................5 2.1.2 Technisch mediatisierte Kommunikation..........................................................................7 2.1.3 Kommunikation als Interaktionsprozess ...........................................................................8 2.2 Sprechakte – Sprache als Handlungsmedium................................................................. 9 2.2.1 Die Sprechakttheorie nach Searle ...................................................................................10 2.2.2 Die Theorie des kommunikativen Handelns nach Habermas..........................................11 2.2.3 Anwendung der Theorien von Searle und Habermas für Computersysteme und ihre Umsetzung am Beispiel der Action Workflows ..............................................................13 2.3 Kommunikationsprozesse im betrieblichen Umfeld .................................................... 16 2.3.1 Der Beobachtungsbereich des Betriebs ...........................................................................17 2.3.2 Systematisierung der Kommunikationsbeziehungen ......................................................18 2.3.3 Kommunikationsbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette ...................................20 2.3.4 Neue Organisationsformen – Verschiebung und Auflösung der Unternehmensgrenzen .....................................................................................................21 2.3.5 Betriebliche Kommunikationsprozesse ...........................................................................22 2.4 Betriebliche Kommunikationsprozesse – eine Begriffsdefinition................................ 23
3 Dienstleistungen – Definition und Eigenschaften ........................................................... 25 3.1 Dienstleistungen – eine begriffliche Definitionsfindung ............................................. 25 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4
Anforderungen an eine Definition von Dienstleistungen ................................................25 Charakterisierung von Dienstleistungen anhand der Leistungsdimensionen ..................26 Der Dienstleistungsbegriff in der englischsprachigen Literatur ......................................28 Das Verständnis von Diensten in der Informatik ............................................................31 3.2 Kundenlösungen – Dienstleistungen als Teil einer integrierten Lösung ...................... 32 3.2.1 Leistungsbündel und Hybride Produkte – erster Schritt eines Paradigmenwechsels ......32 3.2.2 Weiterentwicklung zu Kundenlösungen oder Solutions .................................................34 3.2.3 Erfolgsfaktoren für Kundenlösungen ..............................................................................35 3.2.4 Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Organisationsabläufe ...............................37 3.3 Verständnis von Kundenlösungen als weitestgehende Form der Dienstleistungserbringung ............................................................................................ 39
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4 Systematische Analyse der Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Akteure.................................................................................................. 41 4.1 Vorgehensweise der Untersuchung .............................................................................. 41 4.2 Ablauf der Erbringung einer Kundenlösung im Vergleich zu den anderen Leistungsarten .............................................................................................................. 42 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Grundlegende Phasen der Sachgüterproduktion aus Anbieter- und Nachfragersicht .....42 Phasenablauf bei Dienstleistungen ..................................................................................45 Phasenablauf bei Kundenlösungen..................................................................................46 Auswirkungen von Kundenlösungen auf den Ablauf der Leistungserbringung .............48 4.3 Auswirkungen auf die Akteure außerhalb des Unternehmens ..................................... 49 4.3.1 Stakeholderübergreifende Auswirkungen von Kundenlösungen ....................................50 4.3.1.1 Die Wahrnehmung von Kundenlösungen und ihrer Qualität .............................50 4.3.1.2 Neue Herausforderungen bei der Preisfindung von Kundenlösungen ...............52 4.3.1.3 Die Problematik von Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehungen.....................55 4.3.1.4 Übersicht der stakeholderübergreifenden Auswirkungen von Kundenlösungen .................................................................................................58 4.3.2 Dynamische Interaktion statt festgelegter Schnittstellen – Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kundenbeziehung ....................................................................58 4.3.2.1 Signale und Vertrauen in der Informationsphase ...............................................59 4.3.2.2 Beginn der Leistungserbringung in der Vereinbarungsphase.............................61 4.3.2.3 Komplexere Leistungsbeziehungen im Rahmen der Abwicklung .....................65 4.3.2.4 Größere Bedeutung der After-Sales-Phase für den Unternehmenserfolg...........68 4.3.2.5 Zusammenfassung der Auswirkungen auf die Kundenbeziehungen ..................70 4.3.3 Vom Lieferanten zum Partner – die Auswirkung von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Lieferanten .........................................................................................71 4.3.3.1 Abhängigkeit von den Lieferanten während der gesamten Wertschöpfung .......71 4.3.3.2 Eine intensivere Beziehung zu den Lieferanten durch Partnerschaften .............74 4.3.3.3 Zentrale Auswirkungen auf die Beziehung zu den Lieferanten .........................77 4.3.4 Mitarbeiter und Konkurrenz – zwei Stakeholder mit wechselnden Rollen .....................77 4.3.4.1 Steigende Anforderungen an die Mitarbeiter durch Kundenlösungen ...............78 4.3.4.2 Zwischen Wettbewerb und Partnerschaft – Auswirkungen auf die Konkurrenzbeziehungen .....................................................................................80 4.3.5 Auswirkungen von Kundenlösungen auf weitere externe Interessenträger ....................81 4.3.5.1 Erschwerte Rahmenbedingungen bei der Kapitalbeschaffung – Auswirkungen auf die Beziehung zu den Kapitalgebern ...................................81 4.3.5.2 Notwendigkeit angepasster Vergabeverfahren in der Beziehung zum Staat ......82 4.3.5.3 Größere Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit bei Kundenlösungen...................84 4.4 Auswirkungen auf die Akteure innerhalb des Unternehmens ...................................... 85 4.4.1 Identifikation der Akteure innerhalb des Unternehmens.................................................86 4.4.1.1 Weiterentwicklung der Wertkette zu einer Wertkette für Anbieter von Kundenlösungen .................................................................................................86 4.4.1.2 Der Wertshop als alternative Repräsentation der Wertschöpfung bei Kundenlösungen .................................................................................................90
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4.4.2 Auswirkungen auf die primären Aktivitäten des Unternehmens ....................................92 4.4.2.1 Abgleich der primären Phasen von Sach- und Dienstleistern im Vergleich zum Anbieter von Kundenlösungen ...................................................................93 4.4.2.2 Akquisition als Aufgabe für das ganze Unternehmen ........................................94 4.4.2.3 Die Planung der Leistung in der Entwicklungsphase .........................................95 4.4.2.4 Die Beschaffung der Leistungen – von der Bestellung zur Auftragsvergabe ....96 4.4.2.5 Ausführung der Leistung in der Leistungsphase ................................................97 4.4.2.6 Aktive Betreuung des Kunden in der Nachkontaktphase ...................................98 4.4.3 Auswirkungen auf die unterstützenden Aktivitäten des Unternehmens........................100 4.4.3.1 Abgleich der unterstützenden Aktivitäten von Sach- und Dienstleistern im Vergleich zum Anbieter von Kundenlösungen ................................................100 4.4.3.2 Die unterstützenden Aktivitäten der Unternehmensinfrastruktur .....................100 4.4.3.3 Stärkere Mitarbeiterfokussierung in der Personalwirtschaft ............................104 4.4.3.4 Ganzheitliche Perspektive der Unternehmensentwicklung ..............................105 4.4.3.5 Vom Preis zur ganzheitlichen Betrachtung im Lieferantenmanagement .........106 4.4.3.6 Reputationssteigerung als Ziel der Public Relations ........................................107
4.5 Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander .............................................................................................................. 107 4.6 Auswirkungen von Kundenlösungen – ein Zwischenfazit ......................................... 109 5 Auswirkungen von Kundenlösungen in der Praxis – eine Analyse in der Bauindustrie ..................................................................................................................... 111 5.1 Die Bauindustrie als Untersuchungsfeld .................................................................... 111 5.1.1 Kurzvorstellung des Forschungsprojekts „SInProD“ ....................................................111 5.1.2 Charakteristika der Bauindustrie in Deutschland ..........................................................112
5.2 Analyse der Kommunikationsprozesse in der Bauindustrie in Rahmen von Einzelfallstudien ......................................................................................................... 115 5.2.1 Forschungsmethodik – Verwendung von Co-MAP zur Analyse der Kommunikationsprozesse .............................................................................................115 5.2.2 Fallstudie ALPHA – Ein Spezialist für Arbeiten im Bestand .......................................119 5.2.3 Fallstudie BETA – Projektmanagement als Teil einer Unternehmensgruppe...............122 5.2.4 Fallstudie CHARLIE – Integration von Projektmanagement und Ausführung ............126 5.2.5 Zusammenfassung .........................................................................................................129 5.3 Befragung zur Netzwerkstruktur in der Bauindustrie ................................................ 131 5.3.1 Forschungsdesign der Befragung ..................................................................................131 5.3.2 Wesentliche Ergebnisse der Befragung.........................................................................132 5.4 Wesentliche Erkenntnisse der Untersuchungen ......................................................... 140
6 Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsbeziehungen ............ 143 6.1 Dienstleistungen und Kundenlösungen – Ein kritischer Rückblick ........................... 143 6.2 Ermittlung zentraler Änderungsbereiche für Kundenlösungen .................................. 145 6.3 Änderungsbereich 1: Individualisierung der Prozessabläufe ..................................... 146 6.4 Änderungsbereich 2: Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Leistung ...................................................................................................................... 148 6.5 Änderungsbereich 3: Notwendigkeit der Bildung von Netzwerken........................... 150 XI
6.5.1 Gründe für die Netzwerkbildung...................................................................................150 6.5.2 Struktur der Netzwerke und Machtverhältnisse ............................................................152 6.5.3 Auswirkungen der Netzwerkbildung auf die Kommunikation .....................................157 6.6 Weitere Auswirkungen von Kundenlösungen ............................................................ 160 6.7 Kundenlösungen und betriebliche Kommunikationsprozesse – Diskussion der Ergebnisse und Implikationen .................................................................................... 163 6.7.1 Zentrale Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse ........163 6.7.2 Konsequenzen für die betrieblichen Abläufe ................................................................164 6.7.2.1 Allgemeine Voraussetzungen für die Erbringung von Kundenlösungen .........165 6.7.2.2 Netzwerkbildung für die Erbringung von Kundenlösungen.............................166 6.7.2.3 Auswirkungen bei der Kommunikation mit dem Kunden................................167 6.7.2.4 Auswirkungen bei der internen Kommunikation .............................................168 6.7.2.5 Auswirkungen bei der Kommunikation mit den Lieferanten ...........................169 6.7.2.6 Überblick über die zentralen Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse ................................................................................169 6.7.3 Übertragung der Erkenntnisse auf Dienstleistungen .....................................................173
7 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................................... 175 7.1 Kundenlösungen und betriebliche Kommunikation – ein Fazit ................................. 175 7.2 Herausforderungen von Kundenlösungen für die Wirtschaftsinformatik .................. 176 7.3 Weiterführende Forschungsfragen ............................................................................. 179 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 183 Rechtsquellenverzeichnis ..................................................................................................... 217 Anhangverzeichnis ............................................................................................................... 219
XII
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Aufbau der Arbeit ............................................................................................... 3 Abbildung 2: Nachrichtentechnisches Kommunikationsmodell nach Shannon (in Anlehnung an Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 92; Shannon 1948, S. 381 und Shannon/Weaver 1949, S. 5) ............................................................................................ 6 Abbildung 3: Klassifikation von Sprechakten nach Habermas (nach Habermas 1981, S. 439 mit angepassten Begrifflichkeiten der Sprechakte) ............................................. 13 Abbildung 4: Aufbau eines Action Workflow Loop (vgl. Medina-Mora et al. 1992, S. 282; Mulder/Reijswoud 2003; Schäl 1996, S. 37)...................................................... 15 Abbildung 5: Verknüpfung mehrerer Workflow Loops in einem Gesamt-Loop (vgl. Schäl 1996, S. 39 f.) ........................................................................................................ 16 Abbildung 6: Anspruchsgruppen eines Unternehmens (nach Wilbers 2004, S. 336) ............ 19 Abbildung 7: Dimensionen einer Dienstleistung (nach Corsten 2001a, S. 26; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 24) .................................................................................. 27 Abbildung 8: Spektrum von Sach- und Dienstleistungen (nach Hilke 1989, S. 8 und Hilke 1984, S. 2) ............................................................................................................. 33 Abbildung 9: Komponenten des wahrgenommenen Werts von Kundenlösungen (nach Schmitz 2008, S. 677) ..................................................................................................... 36 Abbildung 10: Phasenablauf der klassischen Sachleistung („Lagerfertigung“) ..................... 43 Abbildung 11: Phasenablauf der Auftragsfertigung ............................................................... 44 Abbildung 12: Phasenablauf von Dienstleistungen ................................................................ 46 Abbildung 13: Phasenablauf einer Kundenlösung .................................................................. 47 Abbildung 14: Aufbau der Darstellung zu den Akteuren außerhalb der Unternehmung (Rahmen nach Wilbers 2004, S. 336 – siehe Abbildung 6) ............................................ 49 Abbildung 15: Problemfelder und Lösungsmöglichkeiten der Principal-Agent-Theorie (in Anlehnung an Picot/Dietl/Franck 2008, S. 77; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 59) ............................................................................................................................... 57 Abbildung 16: Wertketten für unterschiedliche Dienstleistungsunternehmen (nach Töpfer 2007, S. 484; Altobelli/Bouncken 1998, S. 289 und Spiegel 2003, S. 35) ......... 87 Abbildung 17: Wertkette für Kundenlösungen ....................................................................... 90 Abbildung 18: Aufbau eines Wertshops (nach Schafmeister 2004, S. 179) ........................... 91 Abbildung 19: Entwicklungsmöglichkeiten von Bauunternehmen vom Rohbauer zum Systemanbieter (nach Helmus/Weber 2003, S. 21) ...................................................... 114 Abbildung 20: Beispiel einer Co-MAP-Modellierung ......................................................... 117 Abbildung 21: Auszug aus den Co-MAP-Modellen von ALPHA zur Rechnungserstellung ..................................................................................................... 121 Abbildung 22: Zum Prokuristen gerichtete Informationsflüsse aus Fremdsicht .................. 125 Abbildung 23: Unterschiedliche Sichtweisen auf das Baustellenstartgespräch bei CHARLIE ..................................................................................................................... 128 Abbildung 24: Unterschiedliche Organisationsmodelle der betrachteten Unternehmen ...... 130 Abbildung 25: Vergabeformen für die einzelnen Leistungen (Angaben in Prozent) ........... 135 Abbildung 26: Vergabeformen für die einzelnen Leistungen ohne Selbsterstellung (Angaben in Prozent) .................................................................................................... 135 XIII
Abbildung 27: Anteile der Arbeiten, die selbst oder von den zwei größten Unternehmen erledigt werden (Angaben in Prozent) ................................................... 136 Abbildung 28: Anteil einzelner Kommunikationsmedien an der Kommunikation zwischen Anbietern von Kundenlösungen und nachgelagerten Unternehmen (Angaben in Prozent) .................................................................................................... 139 Abbildung 29: Struktur des Partnernetzwerks und eines Projektnetzwerks eines Anbieters von Kundenlösungen .................................................................................... 155 Abbildung 30: Übersicht der Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse ............................................................................................. 163 Abbildung 31: Bedeutung der Sprechakttypen von Searle und Habermas bei Sachleistungen und bei Kundenlösungen ..................................................................... 172
XIV
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Wesentliche Eigenschaften der Leistungsarten ...................................................... 48 Tabelle 2: Stakeholderübergreifende Auswirkungen von Kundenlösungen ........................... 58 Tabelle 3: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Informationsphase ........................................................................................................... 61 Tabelle 4: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Vereinbarungsphase ........................................................................................................ 64 Tabelle 5: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Abwicklungsphase .......................................................................................................... 67 Tabelle 6: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der After-Sales-Phase............................................................................................................ 70 Tabelle 7: Zentrale phasenunabhängige Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden .................................................................................................. 71 Tabelle 8: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Lieferanten ........ 77 Tabelle 9: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Mitarbeiterbeziehung ...................... 80 Tabelle 10: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Wettbewerb ......... 81 Tabelle 11: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Kapitalgebern .................................................................................................................. 82 Tabelle 12: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Staat .................... 83 Tabelle 13: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zur Öffentlichkeit........ 85 Tabelle 14: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen bei der Akquisition ....................... 95 Tabelle 15: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Entwicklung ..................... 96 Tabelle 16: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beschaffung ...................... 97 Tabelle 17: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Leistungsphase ................. 98 Tabelle 18: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen in der Nachvertragsphase ........... 100 Tabelle 19: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensinfrastruktur ........................................................................................... 104 Tabelle 20: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Personalwirtschaft .......... 105 Tabelle 21: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensentwicklung ........................................................................................... 105 Tabelle 22: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf das Lieferantenmanagement................................................................................................ 107 Tabelle 23: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Public Relations.............. 107 Tabelle 24: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander ................................................................................................................ 109 Tabelle 25: Kriterien zur Auftragsvergabe und ihre Erfüllung ............................................. 137
XV
Abkürzungsverzeichnis BAG BGB BMBF BRD CEO CRM CSCW DMS EPK GWB HOAI HwO IKT IT KMU LAP AD NIÖ PPP SCM SInProD SOA VgV
Bundesarbeitsgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesrepublik Deutschland Chief Executing Officer Customer-Relationship-Management Computer-Supported Cooperative Work Dokumenten-Management-System ereignisgesteuerte Prozesskette Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) Handwerksordnung Informations- und Kommunikationstechnik Informationstechnik kleine und mittlere Unternehmen Language-Action Perspective Absolute Deviation (in AD-Streuung) Neue Institutionenökonomik Public Private Partnership Supply Chain Management Strategien der Integration von Produkten und Dienstleistungen in der Bauindustrie Service-Oriented Architecture Vergabeverordnung
XVII
1 Einführung 1.1
Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft
Dienstleistungen sind in aller Munde: Vor dem Hintergrund des propagierten Wandels hin zur Dienstleistungsgesellschaft (vgl. z. B. Baethge/Wilkens 2001, S. 9 ff.; Fließ 2009, S. 1 ff.; Gans-Raschke 2006, S. 145; Geißler 2006, S. 163 ff.; Hilke 1989, S. 1; Meyer/Brudler 2009, S. 1119; Opaschowski 2008, S. 61 f.; Statistisches Bundesamt 2008a, S. 24, 29) stehen Dienstleistungen im Mittelpunkt der öffentlichen wie auch der wissenschaftlichen Diskussion. Zahlreiche Wirtschaftsverbände unterstützen ihre Mitgliedsunternehmen bei der stärkeren Dienstleistungsorientierung (vgl. z. B. Deutscher Industrie- und Handelskammertag (Industrie- und Handelskammer Stuttgart o. J.); Handwerkskammer Nordrhein-Westfalen (Kretschmer 2009); Zentralverband des Deutschen Handwerks (Myritz 2008)). Die Politik fördert den Wandel durch praxis- und wissenschaftsorientierte Förderungsprogramme (vgl. z. B. Fähnrich/Opitz 2006, S. 88 ff.; Hilse/Taube 2009; Industrie- und Handelskammer Karlsruhe o. J.; König/Kampschulte 1997). Zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zeugen von der intensiveren Betrachtung von Dienstleistungen und Dienstleistern vor allem auf Ebene der Ingenieurwissenschaften bzw. des Service Engineerings (vgl. z. B. Fähnrich et. al. 1999; Jaschinski 1998; Spath/Demuß 2006) und des Marketings (vgl. z. B. Grönroos 2003; Kleinaltenkamp 1995; Meffert/Bruhn 2009; Zeithaml/Bitner/Gremler 2009). Dienstleistungen haben in den vergangenen Jahren eine zunehmende Bedeutung in unserer Gesellschaft erhalten und ihre Bedeutung wird auch zukünftig weiter steigen (Meffert/Bruhn 2009, S. 9 f.; Opaschowski 2008, S. 61 f.; Statistisches Bundesamt 2008a, S. 24). Auch wenn es eine Vielzahl unterschiedlicher Dienstleistungen mit zahlreichen verschiedenen Eigenschaften gibt, so ist eine stärkere Dienstleistungsorientierung nicht mit einem Austausch des Firmennamens erledigt. Dass mit der Dienstleistungsorientierung weitreichende Änderungen im Bereich der Produktentwicklung, der Produktion, des Marketings und auch der Mitarbeiterqualifikation einhergehen, ist in der wissenschaftlichen Literatur wie auch in der Praxis unstrittig (vgl. z. B. Bullinger/Schreiner 2006; Maleri/Frietzsche 2008; Meffert/Bruhn 2009; Schmitz 2004). Auch die Integration von Dienstleistungen Dritter in den eigenen Produktionsprozess hat unter Schlagwörtern wie Outsourcing (vgl. z. B. Köhler-Frost 2000) eine große Beachtung gefunden. Allerdings hat der Wandel zum Dienstleister in vielen Fällen auch weitreichende Auswirkungen auf die Organisation des Unternehmens. Externe Unternehmen müssen in den Wertschöpfungsprozess integriert werden, interne Entscheidungswege angepasst und EDV-Systeme geändert werden. Die interne Unternehmensstruktur wie auch die Grenzen der Unternehmung nach außen können sich durch Dienstleistungen ändern. Der erfolgreiche Absatz und die eigentliche Produktion der Dienstleistung sind dabei nur der eine Teil der Herausforderung. Die richtige interne Organisation ist für eine erfolgreiche Erbringung genauso wichtig und für den wirtschaftlichen Erfolg unabdingbar. Aus Sicht der Wirtschaftsinformatik ist dabei interessant, wie die internen Abläufe durch Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und organisatorische Maßnahmen unterstützt werden können. Dazu muss bekannt sein, welcher Informationsaustausch zwischen den ein-
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
1
zelnen Akteuren stattfindet und in welchen Abhängigkeitsbeziehungen die Akteure zueinander stehen. Ein Informationsaustausch bedingt immer einen Kommunikationsprozess. Wie noch gezeigt wird, gewinnen diese Prozesse bei Dienstleistungen deutlich an Bedeutung; gilt es nicht nur die interne Kommunikation zu bewältigen, sondern vielmehr auch, den Kunden und externe Dritte in den zur Leistungserstellung notwendigen Kommunikationsfluss eng mit einzubinden (vgl. insbesondere Kapitel 4.3.2, 4.3.3 und 4.3.5.3). Einzelne Teilaspekte, wie z. B. die Kommunikation zum Kunden oder die strukturelle Einbindung externer Unternehmen wurden in der Wissenschaft ausführlich diskutiert (vgl. z. B. Becker et al. 2007; Meyer/Brudler 2009). Eine ganzheitliche Betrachtung der Frage, welche Konsequenzen sich aus der Dienstleistungsorientierung für die betrieblichen Kommunikationsprozesse ergeben, fehlt aber bislang. 1.2
Wissenschaftliche Fragestellung
Im Mittelpunkt der vorstehend aufgezeigten Forschungslücke steht die Frage, welche Konsequenzen Dienstleistungen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse haben. Dabei sind insbesondere die Auswirkungen auf Organisation und Informationstechnik (IT) relevant. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Ausprägungen von Dienstleistungen und dem fließenden Übergang hin zu Sachleistungen scheint es sinnvoll, diese Frage nicht pauschal für alle Dienstleistungen zu untersuchen. Vielmehr erfolgt eine Einschränkung auf kundenorientierte Leistungen in Form von Kundenlösungen, die – wie noch zu zeigen ist – die weitreichendsten Änderungen bei den Kommunikationsprozessen bedingen. Die wissenschaftliche Fragestellung lautet somit: Welche Auswirkungen hat die kundenorientierte Leistungserbringung auf betriebliche Kommunikationsprozesse? Die Beantwortung dieser Fragestellung erfordert die Diskussion folgender beiden Teilfragen. Grundlage zur Beantwortung der Frage ist ein Verständnis darüber, welche Merkmale Dienstleistungen bzw. Kundenlösungen als kundenorientierte Leistungen von reinen Sachleistungen unterscheiden. Im Gegensatz zu der für die Begriffsdefinition sinnvollen Einschränkung auf konstituierende Merkmale (vgl. dazu Kapitel 3.1.1) geht es hierbei um eine möglichst vollständige Aufstellung aller Merkmale, die Dienstleistungen bzw. Kundenlösungen von Sachleistungen unterscheiden. Die erste Teilfrage lautet somit: Welche besonderen Merkmale unterscheiden Dienstleistungen und Kundenlösungen von Sachleistungen? Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich die Auswirkungen auf betriebliche Kommunikationsprozesse erarbeiten. Ziel ist dabei, die zentralen Konsequenzen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse aufzuzeigen, damit diese in einem späteren Schritt mit den Methoden der Wirtschaftsinformatik unterstützt werden können. Die zweite Teilfrage, die dann die wissenschaftliche Fragestellung beantwortet, lautet somit: 2
Welche Änderungen ergeben sich gegenüber der Sachgüterproduktion durch die Erbringung von Dienstleistungen und Kundenlösungen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse? Die Erkenntnisse dieser zweiten Frage sind dabei sowohl für die Betriebswirtschaftslehre im Allgemeinen und die Wirtschaftsinformatik im Speziellen interessant. Zum einen kann ein Anbieter erkennen, welche organisatorischen Voraussetzungen er schaffen muss, um Dienstleistungen und Kundenlösungen erfolgreich anbieten zu können. Auf der anderen Seite sind die Erkenntnisse die Grundlage für Ansätze, die Anbieter von Kundenlösungen durch Informations- und Kommunikationssysteme unterstützen können. 1.3
Vorgehen und Aufbau der Arbeit
Um die aufgezeigte Fragestellung beantworten zu können, bietet sich primär ein exploratives Vorgehen an, da eine ganzheitliche Betrachtung der Auswirkungen von Kundenlösungen bislang fehlt. In einzelnen Teilaspekten stehen dabei schon ausführliche Arbeiten zur Verfügung, auf die zurückgegriffen werden kann, so dass die Arbeit auch deskriptive Komponenten besitzt. Hierzu zählt auch die empirische Untersuchung in Kapitel 5.3, so dass die Arbeit insgesamt einen explorativ-deskriptiven Ansatz verfolgt. Einführung (Kapitel 1) Betriebliche Kommunikationsprozesse (Kapitel 2) Übertragung auf Dienstleistungen (Kapitel 6.7.3)
Dienstleistungen (Kapitel 3) Spezialisierung
Kundenlösungen (Kapitel 3.3)
Übertragung
Merkmale (Kapitel 4)
Prüfung (Kapitel 5)
Änderungsbereiche (Kapitel 6)
Auswirkungen auf die Kommunikation (Kapitel 6.7.1)
Konsequenzen für Kommunikationsprozesse (Kapitel 6.7.2)
Ausblick (Kapitel 7)
Abbildung 1: Aufbau der Arbeit
Der dazu gewählte Aufbau ist in Abbildung 1 dargestellt. Im ersten Schritt ist der Betrachtungsraum einzuschränken und zu beschreiben. Dies geschieht in zwei Kapiteln: x In Kapitel 2 wird zuerst der „betriebliche Kommunikationsprozess“ dargestellt, in dem eine Definition eines „Kommunikationsprozesses“ erfolgt und dieser für den betrieblichen Anwendungskontext konkretisiert wird. x Im anschließenden Kapitel 3 werden der Begriff der „Dienstleistung“ analysiert und die wesentlichen Eigenschaften von Dienstleistungen herausgestellt. Ziel ist dabei, ein Ver3
ständnis von Dienstleistungen zu schaffen, das für die Analyse der Auswirkungen auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse geeignet ist. Dabei werden insbesondere Kundenlösungen intensiver betrachtet, da es sich hier um die Form von Dienstleistungen handelt, bei der die weitgehendsten Änderungen zu erwarten sind. Zur Beantwortung der ersten Forschungsteilfrage werden in Kapitel 4 Merkmale von Dienstleistungen und Kundenlösungen erarbeitet. Dazu wird untersucht, welche Akteure an der Leistungserbringung beteiligt sind und welche Interaktionen zwischen ihnen stattfinden. Auf Basis einer Literaturanalyse werden dann Merkmalskataloge abgeleitet, die die Unterschiede der einzelnen Leistungsarten darstellen. Ergebnis von Kapitel 4 wird somit eine umfassende Darstellung der Unterschiede von Dienstleistungen und Kundenlösungen im Vergleich zu Sachleistungen sein. Die im Vorkapitel theoretisch abgeleiteten Merkmalskataloge werden in Kapitel 5 einer ersten empirischen Prüfung unterzogen. Dazu wird eine fallstudienartige Untersuchung der Bauindustrie herangezogen, anhand derer sowohl die Praxisrelevanz der erarbeiteten Unterschiede aufgezeigt als auch eine erste Validierung erfolgen kann. Kapitel 6 hat anschließend die Aufgabe, aus den Erkenntnissen Änderungen bei den Kommunikationsprozessen abzuleiten. Hierbei wird der Fokus auf Kundenlösungen gelegt und es werden zuerst zentrale Änderungsbereiche von Kundenlösungen identifiziert sowie ihre Auswirkungen auf die Kommunikation dargestellt. Aus den Änderungsbereichen können dann in einem weiteren Schritt die zentralen Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikation (Kapitel 6.7.1) herausgearbeitet werden, auf deren Basis dann die Konsequenzen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse dargestellt werden können (Kapitel 6.7.2). Abschließend wird anhand der Änderungsbereiche eine Übertragung der Ansätze auf Dienstleistungen durchgeführt (Kapitel 6.7.3). Das abschließende Kapitel 7 fasst die Erkenntnisse zusammen, bewertet diese kritisch und gibt einen Ausblick auf den weiteren wissenschaftlichen Forschungsbedarf.
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2 Kommunikationsprozesse im betrieblichen Kontext Um die Auswirkungen von Dienstleistungen auf betriebliche Kommunikationsprozesse analysieren zu können, ist ein Begriffsverständnis von Kommunikationsprozessen zu schaffen. Dies ist Aufgabe des ersten Unterkapitels. Dabei wird in mehreren Schritten ein Verständnis von Kommunikation als Interaktionsprozess abgeleitet. Im zweiten Unterkapitel werden diese Interaktionsprozesse genauer betrachtet, indem auf die Theorien von Searle und Habermas eingegangen wird, die sich mit der Struktur, dem Aufbau und der Intention von Sprechakten auseinandergesetzt haben. Aufgabe des dritten Unterkapitels ist dann die Eingrenzung des Betrachtungsraums auf die für diese Arbeit relevanten betrieblichen Kommunikationsprozesse. Das vierte und letzte Unterkapitel fasst die Ergebnisse des Kapitels zu einer Begriffsdefinition zusammen. 2.1
Kommunikation und Kommunikationsprozesse
Ziel dieses Kapitels ist es, ein Verständnis von „Kommunikation“ zu schaffen. Dazu wird in Kapitel 2.1.1 auf das wissenschaftliche Begriffsverständnis von Kommunikation eingegangen und diese als Prozess der wechselseitigen Bedeutungsvermittlung vorgestellt. Das Kapitel 2.1.2 betrachtet anschließend die Auswirkungen einer technischen Mediation der Kommunikation. Dabei werden Möglichkeiten der technischen Übertragung, Speicherung und Vermittlung betrachtet, die im Zeitalter der digitalen Datenverarbeitung häufig vorkommen und die für die Betrachtung von EDV-Systemen von großer Bedeutung sind. Die Ergebnisse werden in Kapitel 2.1.3 einer Sichtweise von Kommunikation als Interaktionsprozess zusammengeführt. 2.1.1 Kommunikation als Prozess der wechselseitigen Bedeutungsvermittlung Der Begriff der „Kommunikation“ entstammt dem lateinischen „communico“, welches u. a. für „etwas gemeinsam machen“, „etwas vereinigen“, „etwas gemeinsam haben“, „verhandeln“, „sich beraten“, „sich ins Einvernehmen setzen“, „an etwas teilnehmen lassen“, „etwas mitteilen“ und „eine Mitteilung machen“ steht (Georges 1992, Spalte 1326 f.; Menge 1992, S. 143). Der Begriff ist also sehr stark von einem gegenseitigen nicht-materiellen Austausch geprägt, der oft die Schaffung eines Gemeinsamen als Ziel hat. Ein einheitliches Verständnis des Begriffes „Kommunikation“ hat sich in der Literatur nicht herausgebildet (Burkart 2002, S. 20; Faßler 1997, S. 20; Merten 1977, S. 9; Sereno/Mortensen 1970, S. 2). Dies ist wohl auch dem Umstand zu schulden, dass der Begriff je nach Wissenschaftsbereich unterschiedlich verwendet wird. Burkart (2002, S. 20 ff.) definiert aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht mehrere Voraussetzungen für die menschliche Kommunikation: x Es handelt sich um ein gezieltes, intentionales Handeln. Mit der Kommunikation sind demnach Zielvorstellungen bzw. ein konkretes Interesse verbunden. x Kommunikation besitzt eine soziale Komponente („Soziales Handeln“), es wird demnach mindestens eine weitere Person in das Handeln einbezogen.
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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x Damit die Zielvorstellungen erreicht werden können, muss die Kommunikation eine Verständigung zum Ziel haben. x Kommunikation ist stets ein Geschehen, ein Prozess und somit kein statischer, sondern ein dynamischer, doppelseitiger Interaktionsprozess. x Zuletzt ist die Wechselseitigkeit und damit die erfolgreiche Abstimmung der Kommunikation erforderlich. Nur wenn die Verständigung erfolgreich ist, findet auch eine Kommunikation statt. Burkart (2002, S. 32 f. (Hervorhebung im Original kursiv)) fasst dies zur folgenden Definition von menschlicher Kommunikation zusammen: „Menschliche Kommunikation liegt […] vor, wenn (mindestens zwei) Individuen ihre kommunikativen Handlungen nicht nur wechselseitig aufeinander richten, sondern darüber hinaus auch die allgemeine Intention ihrer Handlungen (= Bedeutungsinhalte miteinander teilen wollen) verwirklichen können und damit das konstante Ziel (= Verständigung) jeder kommunikativen Aktivität erreichen. […] Erst der wechselseitig (!) stattfindende Prozess der Bedeutungsvermittlung soll als Kommunikation begriffen werden.“1 Diese Definition darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass Kommunikation immer in beide Richtungen erfolgen muss. Es ist vielmehr ausreichend, wenn der Empfänger der Nachricht gewillt ist, diese aufzunehmen und dies auch kann (Burkart 2002, S. 32; Faßler 1997, S. 17). Ein der formalen Betrachtung zugängliches Kommunikationsmodell wurde von Shannon (1948) und Shannon/Weaver (1949) erarbeitet. In diesem Modell wird eine Nachricht von einer Quelle (Information Source) über ein Sendegerät (Transmitter) in übertragbare Signale umgewandelt, die über einen Übertragungskanal (Channel) an ein Empfangsgerät (Receiver) übermittelt werden. Das Empfangsgerät dekodiert die Signale und führt diese ihrem Bestimmungsort (Destination) zu. Bei diesem Modell kann die Übertragung durch eine Störung (Noise) erschwert oder verhindert werden (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 91 f.; Shannon 1948 S. 379 ff.; Shannon/Waeaver 1949 S. 3 ff.). Das Modell ist in Abbildung 2 dargestellt. Störung
Quelle
Sendegerät
Übertragungskanal
Empfangsgerät
Bestimmungsort
Abbildung 2: Nachrichtentechnisches Kommunikationsmodell nach Shannon (in Anlehnung an Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 92; Shannon 1948, S. 381 und Shannon/Weaver 1949, S. 5) 1
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Zu einer ähnlichen Definition kommen Faßler (1997, S. 20) und Merten (1977, S. 163), letzterer aber mit leicht abweichender Schwerpunktsetzung auf die drei Dimensionen Soziales, Sachliches und Zeitliches.
In manchen Übersetzungen finden sich auch die Begriffe „Sender“ für „Sendegerät“ und „Empfänger“ für „Empfangsgerät“ (So z. B. Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 91 f.). Diese Übersetzungen sind zwar inhaltlich richtig, bergen aber die Gefahr einer Verwechslung des Geräts mit der Person des Absendenden bzw. Empfangenden. Daher bezieht sich in dieser Arbeit der Begriff „Sender“ immer auf den Absendenden (im Modell „Quelle“) bzw. der Begriff „Empfänger“ auf den Empfangenden („Bestimmungsort“). Dort, wo das Gerät selbst im Verständnis von Shannon und Weaver gemeint ist, wird dies immer explizit durch den Zusatz „-gerät“ deutlich gemacht. 2.1.2 Technisch mediatisierte Kommunikation Kommunikation bedarf immer eines Übertragungskanals (auch als Medium oder Transportmittel bezeichnet), mit dem die Bedeutungsinhalte übertragbar gemacht werden (Burkart 2002, S. 35). Dies ist insbesondere wichtig, wenn eine weitere Entfernung überbrückt werden muss (Telekommunikation). Die bei der Kommunikation verwendeten Medien können sehr unterschiedlich sein: Kommunikation kann genauso über Gesten oder die Sprache erfolgen wie über elektronische Kommunikationsmedien wie dem Internet. Aufbauend auf der dreistufigen Medien-Einteilung von Pross (1972) haben sich vier Ebenen von Medien etabliert, die sich durch unterschiedliche Voraussetzungen auf Empfänger- wie Senderseite unterscheiden (Burkart 2002, S. 36 ff.; Döring 2003, S. 40 f.; Faßler 1997, S. 116 f.): x Auf der untersten Stufe stehen primäre Medien wie Gesten oder die Sprache. Diese sind als Medien des „menschlichen Elementarkontaktes“ (Pross 1972, S. 10) zu verstehen, die auf beiden Seiten keine besonderen Voraussetzungen benötigen. x Die sekundären Medien hingegen erfordern auf Seite der Produktion ein Gerät, nicht aber auf Seiten des Empfängers. Zu diesen Medien gehören z. B. Flaggensignale, Briefe oder Druckerzeugnisse. x Die tertiären Medien benötigen zusätzlich zu einem Gerät auf Senderseite ein solches auch auf Seiten des Empfängers. Beispiele hierfür sind das Fernsehen oder Musik-CDs. x Die letzte Stufe in Form der quartären Medien ergänzt die Einteilung Pross’ um die Aspekte der Digitalisierung und Vernetzung. Die quartären Medien setzen die Existenz eines Computers und einer Online-Verbindung voraus. Bei ihnen werden verschiedene Inhalte zunehmend vermischt (Multimedia) und die Abgrenzung zwischen Sender und Empfänger verschwindet zunehmend. Die primäre Kommunikation ist im Wesentlichen auf die zeitlich synchrone Kommunikation beschränkt.2 Sekundäre (und höhere) Medien erlauben hingegen eine Speicherung und damit zeitliche und räumliche Transformation der Kommunikation (Döring 2003, S. 38 f.). Die zunehmende Technisierung erlaubt eine immer umfangreichere Kommunikation: räumliche Ent2
Zwar ist auch im Bereich der primären Medien eine zeitlich asynchrone Kommunikation möglich. Denkbar wären hier z. B. die vor allem im Tierreich vorkommenden Duftmarken.
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fernungen verschwinden, mehre Medien können miteinander kombiniert und größeren Gruppen an Adressaten zur Verfügung gestellt werden (Krzeminski 1998; McQuail 2005, S. 23 ff., 135 ff.; Pfannenberg 1998). Dabei wird die Zahl der technischen Geräte, die zwischen Sender und Empfänger Verwendung finden, zunehmend größer. Bei den tertiären Medien und quartären Medien findet die Datenübertragung zwischen den Geräten statt. Vor allem bei den quartären Medien erfolgt zwischen den Geräten oft eine Verarbeitung der Daten, wie an folgendem Beispiel deutlich wird: Ein Nutzer hat einen Newsletter abonniert, der ihm einmal am Tag eine Zusammenfassung aller Nachrichten zu einem bestimmten Thema per E-Mail übermittelt. In diesem Fall findet eine Kommunikation zwischen dem Journalisten und dem Nutzer statt. Allerdings findet diese Kommunikation nicht direkt, sondern über eine Zwischenstation (Intermediär (Baligh/Richartz 1967, S. 110 ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 377 f.)) statt. Diese sammelt Daten aus verschiedenen Quellen, verarbeitet diese und gibt sie in aggregierter Form weiter. Dabei kann der Intermediär sowohl menschlicher als auch technischer Natur sein. Soll dieses Beispiel in das Modell von Shannon und Weaver eingeordnet werden, so müsste sich der Intermediär innerhalb des Übertragungskanals befinden. Es erscheint aber vielmehr zielführend, den Intermediär als eigenständigen Empfänger und Sender anzusehen, der auf der einen Seite die Kommunikation des Journalisten aufnimmt und auf der anderen Seite seine Ergebnisse an den Nutzer weitergibt. Daher scheint es, ganz in Übereinstimmung mit dem Prozessgedanken (Becker/Kahn 2008, S. 6 f.; Gaitanides 2007, S. 12, 21 ff.; Kosiol 1962, S. 185 ff.), sinnvoll, eine Aufspaltung des Kommunikationsprozesses in mehrere Teilprozesse zuzulassen. Dabei können auch Kommunikationsbeziehungen zwischen Mensch und Maschine bzw. zwischen Maschine und Maschine entstehen. Diese werden im weiteren Verlauf ebenfalls als Kommunikationsprozesse angesehen, auch wenn die Einbeziehung insbesondere von Computer-Computer-Interaktionen wegen der fehlenden menschlichen Komponente in der Literatur nicht durchgängig akzeptiert wird (Faßler 1997, S. 17). Es wäre aber nicht zielführend, die Möglichkeit der Aufspaltung eines Kommunikationsprozesses in untergeordnete Kommunikationsprozesse davon abhängig zu machen, ob die Verknüpfung durch einen menschlichen oder einen technischen Intermediär erfolgt. 2.1.3 Kommunikation als Interaktionsprozess Die vorgestellten Interpretationen von Kommunikation nach Burkart bzw. Shannon und Weaver stellen zwei unterschiedliche Sichtweisen auf den Begriff „Kommunikation“ dar. Während Burkart das soziale Beziehungssystem (vgl. dazu auch Merten 1977, S. 162) in den Vordergrund stellt, betrachten Shannon und Weaver die Kommunikation aus formaler Sicht. Bei der Betrachtung betrieblicher Kommunikationsprozesse durch die Wirtschaftsinformatik sind beide Sichtweisen relevant. Organisatorische Abläufe und die Unternehmensorganisation sind immer auch Fragen der sozialen Beziehungen (vgl. dazu Kosiol 1962, S. 147 ff.; Kreis 1995, S. 36; Robbins/Judge 2007, S. 370, 375), Fragestellungen der Wirtschaftsinformatik sind immer auch im Kontext der Automatisierbarkeit von Prozessen zu betrachten (vgl. dazu Mertens
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et al. 2005, S. 7 f.; Scheer 1997, S. 2, 8). Es gilt demnach, die beiden unterschiedlichen Sichtweisen zusammenzuführen. Die Betrachtung von Kommunikation als Interaktionsprozess (vgl. dazu Merten 1977, S. 162 f.) scheint geeignet, die beiden Sichtweisen zu integrieren. Sie betrachtet primär den Sozialaspekt der Kommunikation und erlaubt zugleich eine Abstraktion auf Beziehungen zwischen Sendern und Empfängern mit austauschbaren Rollen (Merten 1977, S. 62 f., 162 f.). So definieren Sereno und Mortensen (1970, S. 5) „communication“ als “process by which senders and receivers of messages interact in given social contexts.” Diese Definition der Kommunikation erlaubt es uns, einen Kommunikationsprozess in einzelne Teilprozesse aufzuspalten, die unabhängig von menschlicher oder technischer Natur von Sender und Empfänger gültig sind. Die entstehenden Teilprozesse müssen jedoch immer im Kontext eines übergeordneten Gesamtprozesses gesehen werden. Dieser stellt dann den sachlichen, zeitlichen und sozialen Zusammenhang her, der bei Betrachtung eines Teilprozesses verloren gehen könnte (vgl. zu der Aufteilung in die Dimensionen Merten 1977, S. 163). Der soziale Kontext bleibt somit auf Ebene des Gesamtprozesses erhalten, die daraus resultierenden Teilkommunikationsprozesse können aber rein technischer Natur sein – die beiden Sichtweisen können also integriert werden.3 Diese Gesamtsicht ist auch für die Frage der Auswirkung von Störungen (siehe dazu auch Kapitel 2.1.1 und 2.2.2) auf das Kommunikationsergebnis wichtig. Störungen können die Kommunikation erschweren oder sogar unmöglich machen. Allerdings können Störungen teilweise auch kompensiert werden, zum Beispiel wenn ein Fehlerkorrekturverfahren zur Anwendung kommt. Störungen in einzelnen Teilprozessen können sicherlich auch zu einer Störung des Gesamtprozesses führen. Sie können aber auch völlig unbemerkt bleiben, wenn sie in einem der Störung nachgelagerten Prozessschritt kompensiert werden können oder sich dort als unwesentlich herausstellen. Auf der anderen Seite garantiert auch eine erfolgreiche Kommunikation auf allen Teilabschnitten nicht den Erfolg des Gesamtprozesses, da dieser – wie oben gezeigt – mehr als die Summe der Teilprozesse darstellt. 2.2
Sprechakte – Sprache als Handlungsmedium
Im vorhergehenden Kapitel erfolgte eine erste definitorische Annäherung an den Kommunikationsprozess, in dem die begrifflichen Grundlagen vorgestellt wurden. Eine Analyse der Auswirkung einer technischen Mediation führte zu einem Verständnis von Kommunikation als Interaktionsprozess. Der Aspekt der Kommunikation als Interaktionsprozess wird nun einer genaueren Betrachtung unterzogen. Als Basis für diese Betrachtung wird die Sprechakttheorie herangezogen, da diese für die weitere Arbeit zielführend ist (vgl. die in Kapitel 6.7.2.6 dargestellten Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse) und durch die Language-Action Perspective die 3
Die Zulassung von Kommunikations(teil)prozessen mit Maschinen lässt es aber sinnvoll erscheinen, einen identischen menschlichen Sender und Empfänger zuzulassen, wenn dessen Eingabe in einem System verarbeitet und anschließend ausgegeben wird. Vgl. Lyytinen 1985, S. 70.
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Umsetzung auf betriebliche Prozesse und Informationssysteme aufgezeigt wurde. Die Darstellungen erheben dabei nicht das Ziel der Vollständigkeit, sondern geben einen kompakten Überblick über die für diese Arbeit notwendigen Aspekte. Zuerst wird auf die theoretischen Arbeiten von Searle (Kapitel 2.2.1) und Habermas (Kapitel 2.2.2) eingegangen. Diese haben sich auf Basis der Sprechakte mit dem Inhalt und der Zielsetzung von Kommunikation auseinandergesetzt. Diese Arbeiten helfen uns, die grundlegenden Abläufe und Beziehungen von Kommunikationsprozessen sowie ihren strategischen Hintergrund zu verstehen. Diese Ansätze führt die Language-Action Perspective auf betriebliche Prozesse und in den Entwurf von Computersystemen über. Sie wird in Kapitel 2.2.3 vorgestellt und am Beispiel des Action Workflow-Modellierungsansatzes beschrieben. 2.2.1 Die Sprechakttheorie nach Searle John R. Searle setzt sich in seinen Arbeiten (Searle 1969; Searle 1979) mit dem Sprechakt (speech act) auseinander. Dieser bildet die Grundeinheit aller sprachlichen Akte und gehört somit zu jeder sprachlichen Kommunikation (Nolte 1978, S. 14; Schoop 2001, S. 3). Grundeinheit sind somit für Searle keine Zeichen, Wörter oder Sätze, sondern deren „Produktion […] im Vollzug des Sprechakts“ (Nolte 1978, S. 14). Ein Sprechakt besteht dabei aus zwei Elementen (Flores/Ludlow 1980, S. 97 f.; Krallmann/Ziemann 2001, S. 92; Schoop/Quix 2001; Searle 1969, S. 30): x Dem Aussageninhalt (propositional content) sowie x der Art, wie es ausgedrückt wird (illocutionary force). Diese beiden Elemente müssen dabei im Rahmen eines Sprechakts immer gemeinsam auftreten (Krallmann/Ziemann 2001, S. 92; Schoop 2001, S. 3). Dabei identifiziert Searle fünf mögliche Sprechakttypen, die den illocutionary point eines Sprechakts charakterisieren (Dietz/Widdershofen 1991, S. 238; Krallmann/Ziemann 2001, S. 98; Schoop 2001, S. 3; Schoop/Quix 2001, S. 155.; Searle 1979, S. 12 ff.): x Assertive, bei denen sich der Sprecher auf die Wahrheit einer Aussage (der Verknüpfung eines Objektes (Referenz) mit einer Eigenschaft (Prädikation) (Krallmann/Ziemann 2001, S. 91)) festlegt und somit eine Behauptung oder Feststellung trifft. Der Sprecher glaubt dabei, dass der Aussageninhalt zutrifft. x Direktive, durch die der Sprecher den Hörer zu einer Handlung bewegen möchte, die im Aussageninhalt beschrieben wird. Der Sprecher wünscht dabei, dass durch eine Handlung die Proposition eintritt. x Kommissive, bei denen der Sprecher seine Absicht bekundet, einen Aussageninhalt herzustellen. Er legt sich dabei z. B. durch ein Versprechen auf sein Verhalten in der Zukunft fest.
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x Expressive, die einen mentalen Zustand (ein Gefühl, eine psychologische Einstellung, …) des Sprechers zum Ausdruck bringen. Sie geben einen inneren Zustand wieder und sollen keine Änderung der Umweltzustände bewirken. Beispiele hierfür sind Dankesworte, Glückwünsche etc. x Deklarative, bei denen der Sprecher durch den Sprechakt eine Proposition herbeiführt. Beispiele hierfür sind Ernennungen, Eheschließungen oder Urteile. Searle klassifiziert die Sprechakte somit in fünf Gruppen, die darstellen, was mit einer Aussage erreicht oder beschrieben werden soll. Diese Sprechakttypen ermöglichen es, die Intention einer Kommunikation genauer zu analysieren und zu hinterfragen, welchen Zweck ein Sprechakt verfolgen soll. 2.2.2 Die Theorie des kommunikativen Handelns nach Habermas Habermas entwickelte aufbauend auf der Theorie von Searle die Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas 1981).4 In dieser unterscheidet Habermas zwei verschiedene Mechanismen der Handlungskoordinierung (Habermas 1981, S. 384 ff.; Dietz/Widdershofen 1991, S. 239; Krallmann/Ziemann 2001, S. 294 f.; Reijswoud 1995, S. 4): x Beim strategischen Handeln wollen die Teilnehmer ihre eigenen Ziele erreichen. Dies können sie je nach Situation durch Kooperation oder Konkurrenz erreichen. Kooperation kann hier nur aus empirischen Gründen entstehen. x Beim kommunikativen Handeln haben die Teilnehmer eine gemeinsame Lösung zum Ziel. Hier erfolgt eine Kooperation aus rationalen Gründen mit dem Ziel, ein wechselseitiges Einverständnis zu erreichen. Die Sprache wird hierbei von beiden Teilnehmern kooperativ und verständigungsorientiert gebraucht (Krallmann/Ziemann 2001, S. 296). Im Rahmen eines Sprechakts erhebt der Sprecher nach Habermas fünf5 Geltungsansprüche (Geiger 2006, S. 124 ff.; Habermas 1989, S. 137 f.; Habermas 1981, S. 44 ff.): x Der Geltungsanspruch der Verständlichkeit: Dieser Umfasst die Voraussetzung, dass die Äußerung in einer für den Empfänger verständlichen Form erfolgt. x Der Geltungsanspruch der Wahrheit: Dieser bezieht sich auf die Wahrheit der Aussage und die Existenz von Sachverhalten. Dabei bezieht sich die Wahrheit auf die potentielle Zustimmung der Gesprächspartner und damit auf die Nachvollziehbarkeit der Aussage (Habermas 1989, S. 136 f.).
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Die Darstellungen zu Habermas können an dieser Stelle nur unvollständig sein. Für eine Zusammenfassung der weitergehenden Aspekte sei auf Geiger 2006 und Krallmann/Ziemann 2001 verwiesen. In der Literatur werden teilweise auch drei (Dietz/Widdershofen 1991, S. 239) oder vier (Krallmann/Ziemann 2001, S. 289 f.; Schoop 2001, S. 5; Schoop/Quix 2001, S. 155 f.) Geltungsansprüche genannt. Geiger (2006, S. 123) geht auf diese durch unterschiedliche Ausführungen Habermas’ entstehenden Unterschiede kurz ein.
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x Der Geltungsanspruch der Richtigkeit: Dieser bezieht sich auf die Gültigkeit einer Handlungsnorm, die mit anderen Normen begründbar ist. Er hat damit – im Gegensatz zur Wahrheit – einen sozialen Hintergrund und bezieht sich nicht auf reale Tatsachen. x Der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit: Dieser stellt die Frage, ob der Sprecher die Äußerung auch so meint, wie er sie tätigt und weder sich noch einen anderen täuschen möchte. Sie resultiert in einer mangelnden Konsistenz der Äußerungen und der mit ihnen verknüpften Handlungen. x Der Geltungsanspruch der Angemessenheit von Wertstandards: Dieser bezieht sich auf die Angemessenheit von ästhetischen Urteilen und damit auf Fragen des Geschmacks. Diese Geltungsansprüche können nun, wenn sie nicht erfüllt werden, zu Störungen in der Kommunikation führen. In diesem Fall können die Kommunikationspartner in einen reflektierenden Argumentationsprozess wechseln, in dem die Geltungsansprüche z. B. durch Bezug auf akzeptierte Standards oder Normen wieder hergestellt werden können (Geiger 2006, S. 121, 126 f., Schoop 2001, S. 5; Schoop/Quix 2001, S. 156). Auf Basis seiner Arbeiten entwickelte Habermas eine von Searle abweichende Klassifikation von Sprechakten in vier Dimensionen (Dietz/Widdershofen 1991, S. 241; Habermas 1981, S. 427 ff.; Krallmann/Ziemann 2001, S. 288 f.): x Die Imperativa6, die strategisches Handeln mit dem Ziel der Beeinflussung des Empfängers zur Änderung eines Zustands darstellen. Sie sind erfolgsorientiert.7 x Die Constativa, die eine Konversation zur Darstellung von Sachverhalten darstellen und verständigungsorientiert sind. x Die Regulativa, die normenregulierendes und verständigungsorientiertes Handeln mit dem Ziel umfassen, eine interpersonale Beziehung herzustellen. Diese beziehen sich im Gegensatz zu den Constativa auf die Normen und somit den Gestaltungsanspruch der Richtigkeit. x Die Expressiva als verständigungsorientiertes dramaturgisches Handeln mit dem Ziel der Selbstrepräsentation des eigenen mentalen Zustands (z. B. eine Entschuldigung oder ein Wunsch). Die Klassifikation und ihre Dimensionen und Merkmale sind in Abbildung 3 ersichtlich. Habermas erweitert die Sichtweise von Searle somit vor allem um die Frage, wie eine Koordination zwischen den Kommunikationspartnern erfolgt und welche Faktoren für ihren Erfolg
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Analog zu Dietz/Widdershofen 1991, S. 241 werden die lateinischen Begriffe verwendet, um Verwechslungen mit der Klassifikation von Searle zu vermeiden. In diese Gruppe zählt Habermas auch die Perlokution, bei denen die Äußerung eine kausale Folge hat. Vgl. dazu Habermas 1981, S. 387 ff., 439; Krallmann/Ziemann 2001, S. 81.
notwendig sind (Dietz/Widdershofen 1991, S. 242; Reijswoud 1995, S. 2).8 Das Modell Habermas’ hilft uns somit, die unterschiedlichen Intentionen kommunikativer Handlungen zu verstehen und die Ursachen für Störungen bei der Kommunikation zu identifizieren. Formalpragmatische MerkKennzeichnende male Sprechakte Handlungstypen
Sprachfunktionen
Handlungsorientierung
Grundeinstellungen
Geltungsansprüche
Weltbezüge
strategisches Handeln
Perlokutionen, Imperativa
Beeinflussung des Gegenspielers
Erfolgsorientiert
objektivierend
[Wirksamkeit]
Objektive Welt
Konversation
Konstativa
Darstellung von Sachverhalten
verständigungsorientiert
objektivierend
Wahrheit
Objektive Welt
normen-regulierendes Handeln
Regulativa
Herstellung interpersonaler Beziehungen
verständigungsorientiert
normen-konform
Richtigkeit
Soziale Welt
dramaturgisches Handeln
Expressiva
Selbstrepräsentation
verständigungsorientiert
expressiv
Wahrhaftigkeit
Subjektive Welt
Abbildung 3: Klassifikation von Sprechakten nach Habermas (nach Habermas 1981, S. 439 mit angepassten Begrifflichkeiten der Sprechakte)
2.2.3 Anwendung der Theorien von Searle und Habermas für Computersysteme und ihre Umsetzung am Beispiel der Action Workflows Searle und Habermas fokussierten bei ihren Arbeiten auf die direkte zwischenmenschliche und sprachliche Kommunikation, ihre Ansätze lassen sich jedoch auch auf textbasierte Kommunikation übertragen (Krallmann/Ziemann 2001, S. 302 ff.; Schoop/Quix 2001, S. 156; Schoop/Wastell 1999, S. 268, 272). Eine Anwendung in den Entwurfsgrundsätzen von Informationssystemen finden beide Theorien in der Language-Action Perspective (LAP) (Schoop 2001 (insbesondere auch zur Kritik); Schoop/Quix 2001, S. 156; Winograd 1986). Ansatz von LAP ist, dass alle menschlichen Handlungen auf Basis von Sprache erfolgen und somit Sprache nicht nur für den Informationsaustausch, sondern auch für die Durchführung von Vorgängen notwendig ist (Lyytinen 1985, S. 62; Schoop/Quix 2001, S. 156; Winograd 1986, S. 203). Dabei müssen Sprechakte in einem größeren Kontext gesehen werden, in dem ein Ergebnis über mehrere Sprechakte und Zwischenzustände erreicht werden kann (Winograd 1986, S. 206). LAP fokussiert auf der Frage, wie eine Koordination durch Sprache zu Stande kommt und betrachtet die Gründe für den Sprachgebrauch und die Sprachnutzung. Sprache dient dabei zur Vermittlung sozialer Vorgänge, so dass die Aufgabe von betrieblichen Informationssystemen primär in der Unterstützung der betrieblichen Kommunikation gesehen wird (Schoop/Quix 2001, S. 156; Winograd 1986, S. 207). Dies steht im Kontrast zu den konventionellen Perspektiven, bei denen der Inhalt der Nachrichten und ihre Verarbeitung im Vordergrund stehen und nicht die Form des Austausches (Flores/Ludlow 1980, S. 95 f.; Lyytinen 1985, S. 61, 66 f.; Schoop/Quix 2001, S. 156; Winograd 1986, S. 204). 8
Zu einer ausführlicheren Darstellung der Kritik Habermas’ an Searle siehe z. B. Dietz/Widdershofen 1991, S. 242 f.; Reijswoud 1995, S. 6 f.
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LAP basiert dabei auf mehreren Grundannahmen (Schoop 2001, S. 3; Schoop/Quix 2001, S. 156): x Die Grundeinheit von Kommunikation ist der Sprachakt. x Sätze der natürlichen Sprache stellen Ausführungen von Sprechakten dar. x Die Aussage von Sätzen kann durch Spezifizierung des Sprechakts offengelegt werden. x Sprechakte folgen sozial festgelegten Regeln. x Die Koordination von gemeinschaftlicher Arbeit erfolgt durch die Ausführung sprachlicher Vorgänge, die Sprechakte darstellen. Diese Grundannahmen führen zu einer Verlagerung der Schwerpunkte bei der Entwicklung von Informationssystemen (Winograd 1986, S. 203): x Der Fokus der Systementwicklung liegt nicht bei den internen Strukturen des Systems, sondern bei seiner Verwendung und seinem Einsatz. x Die Entwicklung eines Systems geschieht unter Einbezug der Organisation und des Gebrauchs, in denen es zur Anwendung kommt. Im Fokus liegt nicht das Werkzeug, sondern die Tätigkeit. x Bei der Entwicklung wird nicht nur das System alleinstehend betrachtet, sondern die Betrachtungsperspektive umfasst auch die gesamte Organisation mit ihren Tätigkeiten. x Eine Sichtweise kann nicht Antworten auf alle Fragen der Implementierung aufzeigen aber die zu ihrer Beantwortung notwendigen Fragen. LAP legt somit den Fokus auf die Koordination von Aktivitäten über Sprechakte und ergänzt die klassische Sichtweise der Entwicklung von Informationssystemen um eine neue Perspektive (Mulder/Reijswoud 2003). An dieser Stelle wird der Action Workflow Loop exemplarisch als ein Beispiel der LAPgeprägten Modellierungsmethoden der Business Design Technology9 vorgestellt. Die Wahl des Action Workflows erfolgt dabei primär auf Grund seiner einfachen Struktur und seinem allgemeinen Fokus auf Koordinationsprozesse, die ihn universell einsetzbar machen (siehe auch Axelsson/Goldkuhl/Melin 2000, S. 5).10 Der Action Workflow wurde von Action Technologies entwickelt (Medina-Mora et al. 1992) und greift das von Winograd und Flores (1986, S. 65) entwickelte Conversation for actionSchema auf und reduziert es auf die zugrundeliegende Kommunikationsstruktur (Mul9
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Für eine Darstellung und einen Vergleich der unterschiedlichen Forschungsrichtungen innerhalb der LAP siehe Mulder/Reijswoud 2003. Zu einer Diskussion der Stärken und Schwächen der Action Workflows siehe Kethers/Schoop 2000; zu einer Übersicht verschiedener Ansätze Mulder/Reijswoud 2003.
der/Reijswoud 2003). Dabei bildet sich ein geschlossener Kreis zwischen Auftraggeber (Customer oder Client) und Auftragnehmer (Performer oder Supplier), der sich aus folgenden vier Phasen zusammensetzt (Medina-Mora et al. 1992, S. 282; Schäl 1996, S. 37): 1. Anfrage (Request/Proposal11): Der Auftraggeber fragt die Erledigung eines definierten Vorgangs nach oder der Auftragnehmer bietet diese Erledigung an. Dabei gibt es einen definierten Zustand, der den Auftraggeber zufriedenstellt. 2. Verpflichtung (Commitment/Agreement): Auftraggeber und Auftragnehmer kommen überein und die genauen Kriterien für die Auftragserfüllung werden festgelegt. Diese Übereinkunft ist aber unvollständig und basiert daher in Teilen auf einem gemeinsamen Verständnis von Annahmen und Standardvorgängen. 3. Ausführungsmeldung (Performance/Performance): Der Auftragnehmer führt den vereinbarten Vorgang aus und erklärt ihn gegenüber dem Auftraggeber als abgeschlossen. 4. Bewertung (Evaluation/Satisfaction): Der Auftraggeber erklärt gegenüber dem Auftragnehmer, dass er mit dem erreichten Zustand zufrieden ist. Diese Zufriedenheit resultiert dabei aus dem gesamten Kommunikationsprozess und nicht allein aus der Qualität der erbrachten Leistung (Schäl 1996, S. 11 f.). Die vier Phasen lassen sich auch anhand der Sprechakttheorie von Searle unterscheiden. Bei der Anfrage handelt es sich um eine Direktive, bei der Verpflichtung um eine Kommissive, bei der Ausführungsmeldung um einen Assertive und bei der Bewertung um eine Deklarative (Kethers/Schoop 2000, S. 154). Die Ausführung selbst ist nicht Bestandteil dieses BasisLoops, sondern nur die Erfolgsmeldung (Kethers/Schoop 2000, S. 154). Der Aufbau eines Action Workflows ist in Abbildung 4 dargestellt. Anfrage
Auftraggeber
Bewertung
Verpflichtung
Auftragnehmer
Ausführungsmeldung
Abbildung 4: Aufbau eines Action Workflow Loop (vgl. Medina-Mora et al. 1992, S. 282; Mulder/Reijswoud 2003; Schäl 1996, S. 37)
11
Der erste Begriff bezieht sich jeweils auf die weiterentwickelte Form des Action Workflows nach Schäl (1996, S. 36 ff.), die auch Basis für die deutsche Übersetzung bildete. Der zweite Begriff entspricht dem des ursprünglichen Konzepts nach Medina-Mora et al. (1992, S. 282).
15
Dabei dürfen die Begriffe „Auftraggeber“ und „Auftragnehmer“ nicht zu eng gesehen werden. Sie umfassen alle Koordinationsbeziehungen – unabhängig, ob ihnen eine geschäftliche Beziehung zu Grunde liegt oder nicht (Medina-Mora et al. 1992, S. 283; Mulder/Reijswoud 2003). Gespräche zum Informationsaustausch oder zur Erklärung (Diskussionen) laufen hingegen in einer weniger strukturierten Form und somit nicht in Form eines Action Workflow Loops ab (Schäl 1996, S. 38 f.). In jeder Phase können sich weitere Workflow Loops anschließen, z. B. um Unklarheiten zu beseitigen, weitere Verhandlungen zu den Konditionen zu führen oder Änderungen an den Vereinbarungen vorzunehmen (Medina-Mora et al. 1992, S. 282; Schäl 1996, S. 39). In diesem Fall wird der zentrale Loop in untergeordneten Loops weiter spezifiziert, wie in Abbildung 5 schematisch dargestellt ist.
Abklärung/ Ergänzung
Verhandlung
Haupt-Workflow
Bestätigung
Delegation/ Eskalation
Abbildung 5: Verknüpfung mehrerer Workflow Loops in einem Gesamt-Loop (vgl. Schäl 1996, S. 39 f.)
Im Ergebnis entsteht eine Verknüpfung mehrerer Workflow Loops, die darstellt, welche Aufgaben zu erfüllen sind. Diese Darstellung erlaubt es, unvollständige Arbeitsabläufe, unterschiedlich verstandene Ergebnisse und ineffiziente Informationsflüsse zu identifizieren. Der Fokus liegt dabei auf der Zufriedenstellung der Auftraggeber und berücksichtigt die Anforderungen des Auftraggebers wie auch die mit dem Auftragnehmer getroffenen Vereinbarungen (Medina-Mora et al. 1992, S. 288). 2.3
Kommunikationsprozesse im betrieblichen Umfeld
Im Vorkapitel wurden die Arbeiten von Searle und Habermas vorgestellt, die sich mit den Inhalten und dem Ziel von Kommunikationsprozessen auseinandersetzen. Die Arbeit von Searle zeigt, dass es verschiedene Typen von Sprechakten gibt, die unterschiedliche Charakteristiken und Zielsetzungen haben. Die Arbeiten Habermas’ fokussieren auf die Zielsetzungen kommunikativen Handelns und auf mögliche Kommunikationsstörungen. Die Language-Action Perspektive zeigt, wie diese Aspekte in Informationssystemen angewandt werden können. Somit wurde ein tiefergreifendes Verständnis von kommunikativen Abläufen geschaffen. 16
Im nächsten Schritt wird nun der betriebliche Beobachtungsbereich genauer betrachtet. Dazu wird zuerst der Betrieb als von der Umwelt abgegrenzte Einheit der Fremdbedarfsdeckung genauer charakterisiert. Der Betrieb ist jedoch kein isoliertes Objekt, vielmehr steht er in zahlreichen Verbindungen zu seiner Außenwelt. Daher wird anhand des Stakeholder-Ansatzes die Einordnung des Betriebs in die Umwelt betrachtet und die Gruppen vorgestellt, die von der unternehmerischen Tätigkeit betroffen sind. Anschließend werden in Kapitel 2.3.3 die betrieblichen Abläufe anhand der Wertschöpfungskette nach Porter genauer untersucht, da aus ihnen der betriebliche Kommunikationsbedarf resultiert. Da sich durch Neue Organisationsformen die Unternehmensgrenzen zunehmend auflösen, werden diese Veränderungen in Kapitel 2.3.4 vorgestellt. Kapitel 2.3.5 betrachtet dann die Frage, welche Kommunikationsprozesse als betrieblich anzusehen sind und orientiert sich dabei an deren Zweckorientierung. 2.3.1 Der Beobachtungsbereich des Betriebs Auch wenn der Begriff des Betriebs in den Wirtschaftswissenschaften weit gebraucht und für die Betriebswirtschaftslehre gar konstituierend ist, gibt es bis heute keine einheitliche Meinung zur Abgrenzung des Betriebs von seiner Umwelt.12 Einige Autoren definieren den Betrieb als eine Einheit zur Bedarfsdeckung, die selbständig Entscheidungen trifft und ein eigenes Risiko besitzt. Diese Autoren unterteilen Betriebe weiter in Betriebe zur Eigenbedarfsdeckung – die Haushalte – und solchen zur Fremdbedarfsdeckung – die Unternehmen (vgl. dazu z. B. Schweitzer 2004, S. 27 ff.). Andere Autoren sehen die Betriebe hingegen als Gegensatz zu den (privaten) Haushalten (vgl. dazu z. B. Schierenbeck/Wöhle 2008, S. 26 ff.). Auch über die Einordnung öffentlicher Betriebe wird diskutiert (vgl. dazu z. B. Schierenbeck/Wöhle 2008, S. 30 ff.; Wöhe 2008, S. 3 ff.). Im Folgenden wird der Begriff des Betriebs eng gefasst und mit dem des Unternehmens gleichgesetzt – und damit dem traditionellen Fokus der Betriebswirtschaftslehre entsprochen (Wöhe 2008, S. 3 f.). Der Betrieb ist somit eine von der Umwelt abgegrenzte Einheit, die basierend auf den Prinzipien der Autonomie, der Gewinnmaximierung und des Privateigentums fremden Bedarf deckt (Schierenbeck/Wöhle 2008, S. 29 ff.; Schweitzer 2004, S. 27 ff.; Wöhe 2008, S. 35 ff.). Es wäre aber falsch, das Attribut „betrieblich“ nun auf die Vorgänge zu begrenzen, die innerhalb eines Betriebs stattfinden. Denn die Einheit des Betriebs steht in zahlreichen Beziehungen zur Außenwelt. Dieser Sichtweise wird der Stakeholder-Ansatz gerecht, der das Unternehmen zusammen mit verschiedenen Anspruchsgruppen sieht, die von der unternehmerischen Tätigkeit betroffen sind (Freeman/Reed 1983; Schmid/Lyczek 2008, S. 67 ff.; Wöhe 2008, S. 55 ff.). Als wesentliche Stakeholder werden genannt (Freeman/Reed 1983, S. 89, 93 f.; Wilbers 2004, S. 332; Wöhe 2008, S. 55 ff.): x x x x 12
Eigenkapitalgeber Fremdkapitalgeber Arbeitnehmer und Gewerkschaften Management
Zu einem ausführlicheren Diskurs siehe Wöhe 2008, S. 2 ff.
17
x x x x x
Kunden Lieferanten Konkurrenz Staat Allgemeine Öffentlichkeit (Medien, Nichtregierungsorganisationen, …)
Diese Liste kann jedoch nicht vollständig sein, sondern muss unternehmensindividuell angepasst werden. Auch dürfen die einzelnen Stakeholder nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern stellen vielmehr ein Netzwerk von Interessensträgern mit Abhängigkeitsbeziehungen untereinander dar (Freeman/Reed 1983, S. 91; Wilbers 2004, S. 332 f., 352). Für eine umfassende Betrachtung der Auswirkungen der Kundenorientierung auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse muss der Begriff „betrieblich“ weit aufgefasst werden und sowohl die innerbetrieblichen als auch die aus dem Betrieb hinaus- oder in ihn hineingehenden Kommunikationsbeziehungen umfassen. Dieses Kommunikationsgeflecht wird im Weiteren genauer dargestellt. 2.3.2 Systematisierung der Kommunikationsbeziehungen In Kapitel 2.3.1 wurden bereits die vielfältigen Kommunikationspartner eines Unternehmens dargestellt. Für eine Untersuchung der Auswirkungen auf Kommunikationsbeziehungen ist es jedoch sinnvoll, diese einer Systematisierung zuzuführen, um wesentliche Gruppen identifizieren zu können. Eine entsprechende Systematisierung findet sich in Wilbers (2004, S. 335 ff.). Demnach ist zwischen sieben Anspruchsgruppen zu unterscheiden: 1. Kunden (customer relations), die am Ende der Wertschöpfungskette stehen. Hier kommen vor allem marketingpolitische Instrumente mit dem Ziel zum Einsatz, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden zu binden. Allerdings gehören hierzu auch die Aktivitäten, die Wilbers (2004, S. 337) als legitime bzw. vertragliche Ansprüche bezeichnet. 2. Lieferanten (supplier relations), die – spiegelbildlich zum Kunden – am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Hier ist das Unternehmen Kunde mit entsprechenden Preis- und Qualitätsanforderungen. 3. Konkurrenz (competitor relations), die für die eigene Marktpositionierung wichtig ist. Dabei weist Wilbers (2004, S. 338) zu Recht darauf hin, dass sich Wettbewerb und Zusammenarbeit sowie Konkurrenz und Kooperation keineswegs ausschließen. 4. Mitarbeiter (people relations), die für die Leistungserbringung des Unternehmens verantwortlich zeichnen. Hier geht es um Fragen des Personalkreislaufes, der Personalführung und der Mitarbeiterentwicklung.13
13
18
Wilbers führt das Management im Gegensatz zu einzelnen anderen Autoren nicht als eigene Anspruchsgruppe auf. Da das Management aber wie die Mitarbeiter (vgl. Kapitel 4.3.4.1) eher als interner Akteur anzusehen ist, kann auf eine genauere Betrachtung der Rolle des Managements verzichtet werden.
5. Kapitalgeber (investor relations), die für die Finanzierung des Unternehmens durch Eigen- oder Fremdkapital sorgen. 6. Öffentlichkeit (public relations), die zum einen als öffentliche Meinung allgemein betrachtet werden kann, die aber insbesondere die kritische Öffentlichkeit als Zielgruppe hat. Hier gibt es ein sehr breites Feld an Adressaten, die jeweils sehr stark von dem jeweiligen Unternehmenskontext abhängig sind. 7. Staat (political relations), der neben politischen Zielen vor allem auch über die Steuern ein finanzielles Interesse an den Unternehmensaktivitäten hat.14 Wilbers fasst dabei die ersten drei Gruppen in der Markt-Arena und die beiden letzten Gruppen (6 und 7) in der öffentlichen Arena zusammen. Die Gruppen 4 und 5 bilden jeweils mit der internen Arena bzw. der Finanz-Arena eine eigene Gruppe. Die Einteilung ist in Abbildung 6 ersichtlich.
Finanz-Arena
Markt-Arena
Konkurrenz
Kapitalgeber
Markt-Arena Unternehmen
public
relations
customer
Kunden
relations
relations
supplier
Lieferanten
Staat
Mitarbeitende Öffentlichkeit Interne Arena
Öffentliche Arena
Abbildung 6: Anspruchsgruppen eines Unternehmens (nach Wilbers 2004, S. 336)
Die Abgrenzung der einzelnen Gruppen ist aber meist nicht trennscharf möglich. Wilbers (2004, S. 339) weist so z. B. darauf hin, dass eine Abgrenzung zwischen internen und externen Anspruchsgruppen zunehmend fraglich ist. Auch wenn es um künftige Kunden, Mitarbeiter oder Lieferanten geht, ist eine Abgrenzung hin zur Gruppe der Öffentlichkeit schwierig.
14
Wilbers (2004) nennt den Staat zwar als eigene Interessensgruppe, differenziert aber in der Darstellung der öffentlichen Arena (S. 345 ff.) nicht weiter zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit und dem Staat.
19
2.3.3 Kommunikationsbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette Die Analyse der Anspruchsgruppen hat gezeigt, welche Stakeholder Ansprüche an die Unternehmung stellen könnten, ohne dass dabei die Abläufe im Unternehmen näher betrachtet wurden. Bei der Betrachtung der Unterschiede von Dienstleistungen zu anderen Leistungsarten ist jedoch zu vermuten, dass die Auswirkungen auf die Kommunikationsbeziehungen größer sind, wenn ein Stakeholder direkt von Wertschöpfungsaktivitäten des Unternehmens betroffen ist als wenn sein Interesse mehr der Unternehmung als Ganzes gilt. So werden die Auswirkungen für den Kunden sicherlich deutlich größer sein als für den Staat, für den es nur bedingt von Interesse ist, ob innerhalb des Unternehmens Sachgüter oder Dienstleistungen produziert werden. Eine genauere Darstellung der internen Aktivitäten eines Unternehmens wurden von Porter (1985, S. 36 ff.) erarbeitet. Die von ihm erarbeitete Wertschöpfungskette (value chain) fokussiert vor allem auf den Sachgüterproduzenten (Schreiner 2005, S. 48; Stabell/Fjeldstad 1998, S. 413), wurde aber von verschiedenen Autoren für Dienstleistungsbetriebe weiterentwickelt.15 Spiegel (2003, S. 35 f.) zeigt auf, dass sich die Wertkette für Dienstleistungsunternehmen unterscheidet, wenn keine projektorientierten Leistungen erbracht werden, sondern eine kontinuierliche Leistungserstellung erfolgt (vgl. auch Benkenstein 2002, S. 103 f.). Somit ergeben sich drei verschiedene Wertschöpfungsmodelle16, die die Unterschiede in den Wertschöpfungsaktivitäten von Dienstleistern aufzeigen. Sie werden von Spiegel (2003, S. 32 ff.) und Benkenstein/Steiner/Spiegel (2007, S. 57 ff.) weiter konkretisiert und in Kapitel 4.4.1 genauer betrachtet. Betrachtet man die einzelnen Stakeholder, so sind Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten in die Wertkette eingebunden. Die Kapitalgeber, der Staat, die Öffentlichkeit und auch die Konkurrenz17 haben jedoch keine direkte Schnittstelle zur Wertschöpfung – ihr Interesse liegt also mehr in der Unternehmung als Ganzes. Ändert sich der Wertschöpfungsprozess, so sind Auswirkungen vor allem (aber nicht ausschließlich) bei den Mitarbeitern, den Kunden und den Lieferanten zu erwarten, da diese direkt von den Änderungen betroffen sind. Bei den anderen Stakeholdern können sich zwar ebenfalls Änderungen bei den Kommunikationsbeziehungen ergeben; es ist aber zu erwarten, dass diese Auswirkungen deutlich weniger intensiv sein werden.
15
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20
Siehe z. B. Altobelli/Bouncken 1998, S. 289; Dreyer/Oehler 2004; Schreiner 2005, S. 48 f.; Stabell/Fjeldstad 1998. Töpfer (2007, S. 483 f.) wendet die Kette Porters hingegen unverändert für Dienstleistungen an. Von einzelnen Autoren wird die Übertragbarkeit der Wertkette auf Dienstleistungen sogar generell in Frage gestellt (vgl. Stauss/Bruhn 2007, S. 12 f. m. w. N.). Stabell/Fjeldstad (1998) zeigen mit dem „Value shop“ und dem „Value network“ zwei abweichende Variationen der porterschen Wertschöpfungskette für Dienstleistungen auf. Diese lösen sich stärker von der Darstellungsform Porters. Da eine Diskussion der verschiedenen Ansätze an dieser Stelle zu weit gehen würde, wird auf eine ausführlichere Darstellung verzichtet. Die hier genannten Wertketten für Dienstleistungen können daher aber nicht als abschließend angesehen werden. Siehe dazu auch Kapitel 4.4.1.2. Die Einordnung vor allem der Konkurrenz ist nicht ganz eindeutig, wenn man wie Wilbers (2004, S. 338) berücksichtigt, dass Konkurrenz und Zusammenarbeit sich nicht ausschließen (vgl. Kapitel 2.3.2). Auf diese Problematik wird in Kapitel 4.3.4.2 ausführlicher eingegangen.
2.3.4 Neue Organisationsformen – Verschiebung und Auflösung der Unternehmensgrenzen Meist ist es für einen Betrieb nicht sinnvoll, eine Leistung komplett selbst herzustellen. Daher ist seit jeher die Beschaffung von meist standardisierten Inputfaktoren auf dem Markt wesentlicher Bestandteil des Wertschöpfungsprozesses. Die Arbeitsteilung und Spezialisierung hin zu Kernkompetenzen (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 24; Prahalad/Hamel 1990; Smith 1776, S. 5) sind seit Jahrhunderten wesentlicher Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Dabei kann die Koordination der Wertschöpfungsaktivitäten auf zwei grundlegende Weisen erfolgen (Coase 1937; Malone/Yates/Benjamin 1987, S. 485 ff.; Williamson 1981, S. 1539 ff.): x Die Koordination kann über hierarchische Mechanismen erfolgen. Dabei erbringt der Anbieter die Leistung in seiner eigenen Firma selbst und kann dabei die Koordination durch seine Weisungsbefugnis und somit die interne Hierarchie sicherstellen. x Die Koordination kann über den marktlichen Mechanismus erfolgen. Dabei erfolgt die Koordination nicht über Weisungen, sondern über Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Der Anbieter kauft die Leistung also bei einem anderen Anbieter ein. Beide Verfahren unterscheiden sich bezüglich der Produktions- und der Koordinationskosten (Coase 1998; Malone/Yates/Benjamin 1987, S. 485): x Die Kosten der Produktion betreffen die Kosten, die zur Herstellung des Inputfaktors aufgewandt werden müssen. Bei einer Selbsterbringung können die Vorteile der Arbeitsteilung und Spezialisierung nicht ausgenutzt werden – die Produktionskosten sind somit bei der hierarchischen Koordination höher als bei der marktlichen Koordination. x Die Kosten der Koordination betreffen die Kosten, die für den Bezug der Leistung selbst anfallen und umfassen beispielsweise die Kosten für die Suche nach einem Anbieter, die Koordination der für die Produktion relevanten Daten und die Kontrolle des Anbieters. Hier entstehen bei der marktlichen Koordination höhere Kosten als bei der hierarchischen Koordination. Nach den Grundsätzen der Spezialisierung und der Skaleneffekte (economies of scale) ist der Bezug einer Leistung auf dem Markt der Selbsterstellung vorzuziehen (Williamson 1981, S. 1547). Allerdings ist der Marktbezug mit Transaktionskosten verbunden, die, werden sie zu hoch, eine Eigenerbringung sinnvoller machen können. Ursachen von hohen Transaktionskosten können in der Häufigkeit der Transaktionen, den in der Transaktion enthaltenen Unsicherheiten (die aus der Transaktion selbst aber auch aus politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen können), den für die Leistung notwendigen Investitionen und in der Komplexität der Produktbeschreibung liegen (Coase 1998; Malone/Yates/Benjamin 1987, S. 486 f.; Williamson 1981, S. 1546 ff.).18
18
Teilweise wird noch die Spezifität der Leistung genannt, die aber hier als Kombination der anderen Faktoren angesehen wird.
21
In den letzten Jahrzehnten wuchs die Erkenntnis, dass die Entscheidung zwischen der Eigenerbringung einer Leistung und ihrem Fremdbezug keine Schwarz-Weiß-Entscheidung ist. Vielmehr existieren zwischen diesen beiden Varianten zahlreiche Zwischenformen mit Netzwerkcharakter.19 In diesen Zwischenformen werden die Vorteile der Spezialisierung genutzt aber zugleich durch verschiedene Mechanismen die Entstehung zusätzlicher Transaktionskosten unterbunden (Clemons/Reddi/Row 1993; Malone/Yates/Benjamin 1987; Schwarzer/Krcmar 1994). Der Informationstechnik wird dabei eine bedeutende Rolle als „Enabler“ zugestanden, die die Bildung entsprechender Netzwerke fördert, aber nicht zwingende Voraussetzung für deren Bildung ist (Clemons/Reddi/Row 1993, S. 10; Johnston/Lawrence 1998, S. 94; Malone/Yates/Benjamin 1987, S. 488 ff.; Schwarzer/Krcmar 1994). Diese neuen Organisationsformen können sich sowohl auf die interne Organisation als auch auf die Beziehungen zu anderen Unternehmen auswirken. Dabei kann durch eine organisatorische Aufspaltung der Organisation in Module die Produktkomplexität reduziert und durch die Bildung von Kooperationen mit anderen Unternehmen der Marktunsicherheit begegnet werden. Beides zusammen kann durch virtuelle Organisationen adressiert werden (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 272 f.; Pribilla/Reichwald/Goecke 1996, S. 245 ff.). Dadurch kommt es zur Auflösung der klassischen Unternehmensstrukturen hin zu hybriden Organisationsformen, die insbesondere für die Erbringung von Dienstleistungen interessant sein können (Meier/Kortmann/Golembiewski 2006, S. 35; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 289). 2.3.5 Betriebliche Kommunikationsprozesse Abschließend stellt sich die Frage, welche Kommunikationsprozesse als betrieblich anzusehen sind. Anhand des Stakeholder-Ansatz (vgl. Kapitel 2.3.2) wurde gezeigt, dass eine Eingrenzung der Prozesse auf die betriebsinternen Prozesse nicht sinnvoll ist, da das Unternehmen Beziehungen zu zahlreichen unternehmensexternen Interessenträger unterhält. Im nächsten Schritt wäre es nun denkbar, auch die Kommunikationsprozesse als betrieblich anzusehen, die aus dem Unternehmen hinaus oder in das Unternehmen hinein gehen. Die in Kapitel 2.3.4 beschriebene Auflösung der Unternehmensgrenzen lässt aber auch diesen Ansatz nur bedingt geeignet erscheinen. Es erscheint nicht zielführend, einen Kommunikationsvorgang nicht mehr als betrieblich anzusehen, wenn er durch die Auflösung der Unternehmensgrenzen komplett außerhalb der betrachteten Unternehmung stattfindet. Auch wenn z. B. ein Partner mit dem Kunden über die beim betrachteten Unternehmen bestellte Leistung kommuniziert, ist dieser Kommunikationsprozess für uns relevant. Auf der anderen Seite erscheint es aber nicht sinnvoll, alle Kommunikationsprozesse des Partners in die Betrachtung mit einzubeziehen. Die Abgrenzung betrieblicher Kommunikationsprozesse anhand der Grenzen des Unternehmens oder seiner Netzwerkorganisation erscheint somit nicht möglich. Zielführender erscheint hingegen eine Abgrenzung auf Basis der Zweckbestimmung. So betrachtet Kosiol (1962, S. 147) die Arbeitsbeziehungen als Beziehungsnetzwerk, die ein Kommunikationssystem bilden. Dabei versteht er unter Arbeitsbeziehungen „alle Beziehungen zwischen Aufga19
22
Diese Zwischenformen dürfen dabei jedoch nicht als Mischform der anderen beiden Koordinationsformen gesehen werden, sondern müssen vielmehr als eigenständige Formen betrachtet werden (Semlinger 2006, S. 48 ff.). Für eine Übersicht möglicher Formen siehe z. B. Ahlert/Evanschitzky 2003, S. 36 ff.
benträgern […], die zur Durchführung des Arbeitsprozesses für die Aufgabenerfüllung notwendig sind.“ (Kosiol 1962, S. 147). Kosiol stellt somit den betrieblichen Zweck einer Beziehung in den Vordergrund. Er weist zugleich darauf hin, dass es neben den aufgabenbedingten Beziehungen auch informale Beziehungen innerhalb der Organisation gibt, die aus soziologischen Gründen entstehen (Kosiol 1962, S. 149). Diese sozialen Beziehungen dürfen bei der Betrachtung der Kommunikationsprozesse aber nicht unberücksichtigt bleiben, da diese für die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern von großer Bedeutung sind (Flores/Ludlow 1980; Goldkuhl 1998, S. 13 ff.; Kreis 1995, S. 36; Lind/Goldkuhl 2001, S. 118 f.; Robbins/Judge 2007, S. 375; Schmid/Lyczek 2008, S. 51 f.). Ansatzpunkt einer Abgrenzung betrieblicher Kommunikationsprozesse ist also ihre betriebliche Zweckorientierung. Dies erscheint auch sinnvoll, da die Zweckbestimmung von Autoren wie Schmid/Lyczek (2008, S. 26, 41) auch zur Abgrenzung der Unternehmung selbst von der Umwelt herangezogen wird. Dabei wird es jedoch – auch vor dem Hintergrund der Vermischung von Privat- und Arbeitswelt (Gräf/Krejewski 1997, S. 152 ff.; Sichler 2006, S. 7 f.) – keine scharfe Abgrenzung von betrieblichen und nicht-betrieblichen Kommunikationsprozessen geben. Der Übergang zwischen beiden Sphären ist fließend, so kann z. B. ein gemeinsamer Grillabend im Kollegenkreis beiden Bereichen zugeordnet werden. 2.4
Betriebliche Kommunikationsprozesse – eine Begriffsdefinition
In Kapitel 2.1 wurde Kommunikation als wechselseitig stattfindenden Prozess der Bedeutungsvermittlung vorgestellt, der in einem sozialen Kontext stattfindet. Dabei treten Sender und Empfänger miteinander in Interaktion und tauschen Nachrichten über Medien aus. Die Weiterentwicklung der Medien insbesondere im Bereich der Digitalisierung lässt dabei die Grenzen zwischen Sender und Empfänger zunehmend verschwinden und führt zu einer stärkeren Einbindung von technischen Intermediären, so dass die Betrachtung von Kommunikationsbeziehungen auf die Kommunikation von und zu Maschinen oder die zwischen Maschinen ausgedehnt wurde. Die in Kapitel 2.2 vorgestellten Arbeiten von Searle und Habermas zeigen, dass Kommunikationsvorgänge unterschiedliche Zielsetzungen haben können und dass zu ihrer erfolgreichen Durchführung bestimmte Faktoren erfüllt werden müssen. Die Language-Action Perspective verwendet diese Arbeiten als Basis für die Entwicklung von Informationssystemen und fokussiert dabei die Verwendung und den Einsatz eines Informationssystems. Mit den Action Workflows wurde eine Modellierungsmethode vorgestellt, die es erlaubt, Kommunikationsbeziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu erfassen und dabei insbesondere die bei komplexen Leistungen erfolgreiche Rückmeldung an den Auftraggeber in den Vordergrund stellt. Kapitel 2.3 widmete sich dann dem Betrachtungsbereich des Betriebs. Es wurde gezeigt, dass der Betrieb zahlreiche Schnittstellen zu seiner Umwelt hat und daher nicht isoliert betrachtet werden kann. Allerdings wurde auch gezeigt, dass sich Dienstleistungen nicht auf alle Interessengruppen gleich stark auswirken werden, da nicht alle Interessensträger direkt an den betrieblichen Leistungserstellungsprozess angekoppelt sind. Als sinnvolles Abgrenzungsmerkmal für betriebliche Kommunikationsprozesse wurde ihr betrieblicher Zweck aufgezeigt, so 23
dass betriebliche Kommunikationsprozesse auch außerhalb des Betriebs stattfinden können, wobei eine scharfe Abgrenzung nicht immer möglich sein wird. Zusammengefasst ergibt dies folgende Arbeitsdefinition von betrieblichen Kommunikationsprozessen: Unter betrieblichen Kommunikationsprozessen sind Interaktionen zwischen menschlichen und/oder technischen Akteuren zu verstehen, die das Ziel haben, betrieblich relevante Informationen auszutauschen und eine Verständigung über sie zu erzielen. Diese Definition bildet die Grundlage für die weitere Arbeit. Doch bevor eine weitere Auseinandersetzung mit betrieblichen Kommunikationsprozessen erfolgt, werden im folgenden Kapitel Dienstleistungen näher untersucht.
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3 Dienstleistungen – Definition und Eigenschaften Ziel dieser Arbeit ist es, die Auswirkungen der kundenorientierten Leistungserbringung auf die Kommunikationsprozesse von Dienstleistern aufzuzeigen. Zunächst werden Definitionsmöglichkeiten von Dienstleistungen diskutiert (Abschnitt 3.1). Diese werden im zweiten Abschnitt um Ansätze erweitert, die Dienstleistungen nicht als eigenständige Leistungsart, sondern als Teil von integrierten Lösungen sehen. Dabei wird der Fokus auf Kundenlösungen gelegt, die für die Untersuchung der Auswirkungen der Kundenorientierung zielführender sind, da Dienstleistungen nicht zwangsweise kundenorientiert erbracht werden und auch bei Sachleistungen eine kundenorientierte Erbringung möglich ist. Im dritten Abschnitt werden die Erkenntnisse zu einem Begriffsverständnis von Dienstleistungen als Kundenlösungen zusammengefasst, das die Grundlage für die weitere Arbeit bildet. 3.1
Dienstleistungen – eine begriffliche Definitionsfindung
Der Begriff „Dienstleistung“ ist jedem geläufig. Eine zunehmende Zahl von Dienstleistungen steht uns zur Verfügung und mehr und mehr Dienstleister wollen ihre Dienste anbieten. Ob es sich dabei jedoch immer um neue Angebote handelt oder nur eine stärkere Kundenorientierung zum Ausdruck gebracht werden soll, kann dahingestellt bleiben. Hinterfragt man jedoch das hinter dem Begriff „Dienstleistung“ stehende Konzept, so muss man feststellen, dass es schwierig ist, hier eine präzise Antwort zu geben – mit dem Begriff wird zwar eine recht klare Vorstellung verbunden, er kann aber nur schwer in Worte gefasst werden (Kleinaltenkamp 2001, S. 29). Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist dies nicht ausreichend. Dieses Unterkapitel beschäftigt sich daher mit Ansätzen zur Definition von Dienstleistungen, auch wenn eine allumfassende und abschließende Definition des Dienstleistungsbegriffs nicht möglich ist. Dazu werden in Kapitel 3.1.1 die Anforderungen aufgezeigt, die an eine Begriffsdefinition von Dienstleistungen gestellt werden, und die konstruktive Abgrenzung als einzig wissenschaftlich sinnvolle dargestellt. Anschließend (Kapitel 3.1.2) wird die vor allem im deutschsprachigen Marketing gängige Definition von Dienstleistungen anhand der Leistungsdimensionen aufgezeigt und auf ihre Probleme und Kritiken eingegangen. Um dieses Bild um weitere Aspekte zu erweitern, geht Kapitel 3.1.3 auf die Definition von Dienstleistungen (services) (o. V. 1992, S. 1275) im englischsprachigen Raum ein und Kapitel 3.1.4 auf den auf dem gleichen englischen Begriff basierenden Dienste- oder Service-Begriff der Informatik (Kleinaltenkamp 2001, S. 29; Schneider 1997, S. 324). Damit wird das für die weitere Arbeit notwendige Begriffsverständnis von Dienstleistungen geschaffen. 3.1.1 Anforderungen an eine Definition von Dienstleistungen Eine Definition soll einen Begriff umgrenzen und seine Merkmale herausstellen (Gabriel 2005). Es stellt sich bei der Definition von „Dienstleistungen“ also die Frage, welche Leistungen als Dienstleistung anzusehen sind und welche nicht. In der wissenschaftlichen Diskussion finden sich dabei vier zentrale Ansätze zur Abgrenzung von Dienstleistungen (Corsten 2001a, S. 21 (ohne institutionelle Abgrenzung), Jaschinski 1998, S. 20 (ohne institutionelle Abgrenzung); Kleinaltenkamp 2001, S. 29-32 (ohne Nega-
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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tivabgrenzung); Meffert/Bruhn 2009, S. 16 (ohne institutionelle Abgrenzung); Nüttgens/ Heckmann/Luzius 1998, S. 15; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 23 f.): 1. Die enumerative Abgrenzung, die versucht, einen Begriff anhand einer Aufzählung von Bereichen oder Beispielen abzugrenzen. Diese führt aber zu einer immer längeren Liste von Leistungen, ohne Kriterien für eine Abgrenzung von Dienstleistungen zu schaffen oder für eine präzise Trennung zu sorgen. 2. Die Negativabgrenzung, die Dienstleistungen als Gegenstück und dabei meist als NichtSachleistung ansieht. Zwar kommt diese dem allgemeinen Verständnis von Dienstleistungen sehr nahe (Wissenschaftlicher Rat und Mitarbeiter der Dudenredaktion 1993, S. 721), verlagert aber das Definitionsproblem nur auf den Begriff der Sachleistung. Sie ist daher als „wissenschaftliche Verlegenheitslösung“ (Corsten 2001a, S. 21) anzusehen. Auch könnten bei der Negativabgrenzung die vielfältigen Erscheinungsformen von Dienstleistungen zu wenig Beachtung finden (Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 23 f.). 3. Die institutionelle Abgrenzung versucht die Abgrenzung anhand der volkswirtschaftlichen Sektorentheorie. Sie grenzt dabei Dienstleistungen von den Leistungen des primären (Land- und Forstwirtschaft) und des sekundären (Verarbeitendes Gewerbe) Sektors ab und ordnet Dienstleistungen dem tertiären Sektor zu. Damit ist sie ein Sonderfall der Negativabgrenzung und mit ähnlichen Problemen verbunden. Außerdem ist bei ihr die Dienstleistungseigenschaft nicht von der Leistung, sondern vom Haupttätigkeitsfeld der erbringenden Unternehmung abhängig. 4. Die konstitutive Abgrenzung, die auf die Existenz von für Dienstleistungen konstituierenden und somit prägenden Merkmalen abstellt, die diese von anderen Leistungen abgrenzen. Dieser Ansatz ist als der einzig wissenschaftlich sinnvolle heranzuziehen (Jaschinski 1998, S. 20; Meffert/Bruhn 2009, S. 16). Demnach ist eine Abgrenzung von Dienstleistungen anhand von konstitutiven Merkmalen zu suchen, die die wesentlichen Merkmale von Dienstleistungen charakterisiert. 3.1.2 Charakterisierung von Dienstleistungen anhand der Leistungsdimensionen In der deutschsprachigen Wissenschaftsliteratur hat sich als Definition von Dienstleistungen im Wesentlichen die von Hilke (Hilke 1989; Hilke 1984) geprägte Definition durchgesetzt, die sich an den drei Dimensionen von Leistungen (Hilke 1989, S. 10 ff.; Kleinaltenkamp 2001, S. 32)20 orientiert. Nach dieser zeichnen sich Dienstleistungen durch Besonderheiten in den drei Leistungsdimensionen Potential, (Erstellungs-)Prozess und Ergebnis aus (Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398 ff.; Hilke 1989, S. 11 ff.; Hilke 1984, S. 7; Kleinaltenkamp 2001, S. 32 ff.; Mengen 1993, S. 14 ff.; Rück 1995, S. 8 ff.): x Bei der Potentialdimension ist für Dienstleistungen charakteristisch, dass sie nicht als fertige Leistungen, sondern nur als „Bereitschaft und Fähigkeit zur Erbringung einer Leistung“ (Kleinaltenkamp 2001, S. 33 (im Original teilweise kursiv)) vermarktet wer20
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Die Dimensionen entstammen Donabedian (1980, S. 79 ff.) (vgl. dazu Bullinger/Schreiner 2006, S. 56 f.)
den können. Eine Produktion von Dienstleistungen vor dem Absatz ist nicht möglich, wobei durch Trägermedien teilweise eine Vorproduktion möglich ist. Der Dienstleister kann dem Kunden also keine fertige Leistung anbieten, sondern nur ein Leistungsversprechen. x Bei der Prozessdimension ist für Dienstleistungen charakteristisch, dass im Erstellungsprozess eine Integration des externen Faktors erfolgt und somit Erstellung und (erste) Inanspruchnahme zeitgleich erfolgen müssen (Uno-Actu-Prinzip) (Hilke 1989, S. 12 f.; Jaschinski 1998, S. 21 (als „Uno-Acto-Prinzip“); Kleinaltenkamp 1996, S. 15). Der externe Faktor kann dabei sowohl eine Person als auch ein Gegenstand, eine Information oder ein Recht sein. x Bei der Ergebnisdimension ist schließlich für Dienstleistungen charakteristisch, dass es sich um ein immaterielles bzw. nicht greifbares Gut handelt, das sich am Kunden konkretisiert. In der Literatur wird dabei i. d. R. darauf abgestellt, dass die (immaterielle) Wirkung der Dienstleistung im Vordergrund steht, auch wenn die Dienstleistung selbst materielle Bestandteile aufweisen kann. Vereinzelt wird neben den drei genannten noch die Marktdimension als vierte Dimension angeführt, um die Ausrichtung der Prozesse und Aktivitäten am Kunden bzw. am Markt zu verdeutlichen (Bullinger/Schreiner 2006, S. 57 m. w. N.; Fähnrich et al. 1999, S. 15). Die Dimensionen von Dienstleistungen sind in Abbildung 7 dargestellt. Dienstleistungsnachfrager bringt sich selbst oder sein Objekt in den Prozess ein (externer Faktor)
Dienstleistungsanbieter hält Leistungsbereitschaft vor, indem er interne Produktionsfaktoren (Ressourcen) kombiniert
Leistungsbereitschaft kombiniert mit dem externen Faktor
Dienstleistung als immaterielles Gut (die Wirkung konkretisiert sich am Nachfrager oder am Objekt)
Potentialdimension
Prozessdimension
Ergebnisdimension
Abbildung 7: Dimensionen einer Dienstleistung (nach Corsten 2001a, S. 26; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 24)
Charakterisierend für Dienstleistungen ist dabei, dass bei ihnen in allen drei Leistungsdimensionen Besonderheiten vorliegen (Hilke 1989, S. 10 f.; Kleinaltenkamp 2001, S. 40). Jaschinski (1998, S. 26) fasst dies zu folgender Definition zusammen: „Dienstleistungen sind vermarktbare Leistungsfähigkeiten, welche an externen Faktoren erbracht werden, um an ihnen gewünschte Wirkungen zu erzielen. Dienstleistungen sind gedankliche Konstrukte, die als Dienstleistungskonzepte dokumentiert werden können.“
27
Die aufgezeigte Definition ist aber nicht unumstritten. Insbesondere die Potential- und die Ergebnisdimension stehen oft in der Kritik, da ein Potential zur Produktion auch bei Sachleistungen erforderlich ist und auch Sachleistungen eine immaterielle Ergebniskomponente aufweisen (Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 398 ff.; Kleinaltenkamp 2001, S. 33 ff.; Rück 1995, S. 8 ff.). Auch die Prozessdimension ist nicht unproblematisch (Kleinaltenkamp 2001, S. 36 f.). Mengen (1993, S. 24) versucht das Problem zu lösen, indem er mit den Auftragsleistungen eine dritte Gruppe von Gütern einführt. Diese weitere Gruppe scheint ebenfalls keinen Beitrag zur sauberen Abgrenzung von Dienstleistungen zu leisten, sondern nur das Abgrenzungsproblem zu verschieben. Vor dem Hintergrund zahlreicher nur schwer in die Systematik einzuordnenden Bereiche wie dem Handel, dem Handwerk, der Entwicklung von Standardsoftware oder den firmeninternen Dienstleistungen (Corsten 2001a, S. 142 f.; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 400, 407 f.; Frietzsche 2001, S. 69; Hilke 1989, S. 8; Kleinaltenkamp 2001, S. 30 m. w. N.; Maleri/Frietzsche 2008, S. 5, 31, 36) nehmen zahlreiche Autoren Abstand von einer trennscharfen Trennung von Sach- und Dienstleistungen und sehen Leistungen als Bündel von Sach- und Dienstleistungen, die einen unterschiedlich hohen Anteil von Sach- und Dienstleistungskomponenten besitzen können (Corsten 2001a, S. 142; Hilke 1989, S. 7 f.; Kleinaltenkamp 2001, S. 34 m. w. N.; Woratschek 1996, S. 59 f.). Einzelne Autoren wie Höfeld und Kremnitzmüller (1998, S. 47) gehen sogar noch einen Schritt weiter und distanzieren sich selbst von einer Systematisierung von Dienstleistungen an sich. Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass die Definition nach Hilke und Kleinaltenkamp eine gute Annäherung an den Dienstleistungsbegriff gibt, eine saubere Abgrenzung von Dienstleistungen zu Sachleistungen aber nicht möglich ist. Eine allgemeingültige Definition von Dienstleistungen scheitert auch aus dem Grund, dass die zentralen Faktoren von Dienstleistungen je nach Betrachtungsposition unterschiedlich sind (Kleinaltenkamp 2001, S. 38). Dienstleistungen sind somit ein theoretisches Konstrukt (Kleinaltenkamp 2001, S. 29), dass nicht „richtig oder falsch sein [kann], sondern ‚nur‘ mehr oder weniger zweckmäßig.“ (Kleinaltenkamp 2001, S. 4). 3.1.3 Der Dienstleistungsbegriff in der englischsprachigen Literatur Auch in der englischsprachigen Wissenschaft wurde intensiv über eine geeignete Definition von „services“ diskutiert (Grönroos 2003, S. 46; Gummesson 1991, S. 7; für eine Übersicht verschiedener Definitionen siehe Grönroos 1990, S. 26 f.). Auch hier erkannte man, dass es sich bei Dienstleistungen um ein komplexes Konstrukt handelt, das nur schwer in einer Definition zu fassen ist (Grönroos 2003, S. 45; Lovelock/Wirtz 2007, S. 14; Zeithaml/Bitner/ Gremler 2009, S. 4). Im Ergebnis entstanden mehrere Definitionen, die entweder sehr vage gefasst: “A service is a process consisting of a series of more or less intangible activities that normally, but not necessarily always, take place in interactions between the customer and service employees and/or physical resources or goods and/or systems of the service provider, which are provided as solutions to customer problems.” (Grönroos 2003, S. 46) 28
oder ein sehr weites Feld umfassen: “Put in the most simple terms, services are deeds, processes, and performances.” (Zeithaml/Bitner 2003, S. 321) Anders als in der deutschsprachigen Literatur scheint man sich allerdings schon länger weniger auf eine saubere Definition von Dienstleistungen zu konzentrieren, sondern stellt vielmehr auf ihre Merkmale ab (Gummesson 1991, S. 7; Besonders deutlich zu erkennen in Lovelock/Wirtz 2000, S. 9 ff.). Als zentrale Merkmale von Dienstleistungen („services“) werden dabei insbesondere die vier Faktoren (Cowell 1984, S. 23 ff.; Gummesson 1991, S. 7; Rathmell 1974, S. 6 f.; Wyckham/Fitzroy/Mandry 1975, S. 60; Zeithaml/Parasuraman/Berry 1985, S. 33 f.; Cowell und Rahtmell führen dabei jeweils den Besitz (Ownership) als fünften Faktor an) x Nichtgreifbarkeit (Intangibility)22 x Heterogenität (Heterogeneity) x Untrennbarkeit von Produktion und Konsum (Inseparability of Production and Consumption) x Vergänglich- oder Verderblichkeit (Perishability) genannt, die insbesondere in der jüngeren Literatur um weitere Faktoren erweitert wurden. In dieser zeichnen sich Dienstleistungen durch folgende Merkmale aus (Aufteilung nach Lovelock/Wirtz 2007, S. 16 ff.; ergänzt durch Chesbrough/Spohrer 2006, S. 37 f.; Grönroos 2003, S. 47 ff.; Gummesson 1991, S. 7; Lovelock/Wirtz 2000, S. 9 ff.; Zeithaml/Bitner/Gremler 2009, S. 20 ff.): x Nicht-Lagerbarkeit: Dienstleistungen sind flüchtig (ephemeral) und somit vergänglich (transitory) und verderblich (perishable). Sie sind somit nicht lagerfähig, es kann also nur die Kapazität zur Leistungserbringung und nicht die Leistung selbst vorgehalten werden. Auch ein Weiterverkauf oder eine Rückgabe sind nicht möglich (Zeithaml/Bitner/Gremler 2009, S. 22). x Immaterielle Komponenten überwiegen: Dienstleistungen bestehen überwiegend aus immateriellen Komponenten wie menschlicher Arbeitskraft und Erfahrung, die der Kunde oft nicht anfassen oder fühlen kann. Dabei können aber durchaus auch materielle Komponenten in einer Dienstleistung enthalten sein.23 Der Kunde kauft keinen Gegenstand, sondern eine Aktivität oder einen Prozess (Grönroos 2003, S. 48). Eine Eigentumsübertragung findet meist nicht statt, teilweise werden aber Nutzungsrechte übertragen (Lovelock/Wirtz 2000, S. 9 f. (dort als eigenständiger Punkt aufgeführt)).
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In einer späteren Auflage (Zeithaml/Bitner/Gremler 2009, S. 4) wird diese Definition erweitert um „[…] provided or coproduced by one entity or person for another entity or person“. Bateston (1977, S. 8) weist darauf hin, dass der Begriff „intangibility“ eine doppelte Bedeutung hat und Dienstleistungen dabei sowohl physikalisch nicht greifbar als auch für den Kunden mental nur schwer begreifbar sind. Grönroos (2003, S. 48) distanziert sich explizit von der Immaterialität als zentrale Eigenschaft von Dienstleistungen und stellt dafür stärker auf den Prozesscharakter ab.
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x Schwierige Visualisierung: Der Inhalt von Dienstleistungen kann nur schwer zwischen Kunde und Anbieter vermittelt werden. Während Sachleistungen meist Sucheigenschaften besitzen, die der Kunde im Vorfeld überprüfen kann, überwiegen bei Dienstleistungen Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften, die der Kunde nur nach Erbringung überprüfen kann bzw. auf deren erfolgreiche Erbringung er nur vertrauen kann (vgl. dazu insbesondere Ahlert/Evanschitzky 2003, S. 28 ff.; Schade/Schott 1993, S. 17 ff. m. w. N.; Zeithaml 1981). Das Risiko und die Unsicherheit steigen und müssen ggf. durch vertrauensbildende Maßnahmen adressiert werden. x Einbeziehung des Kunden in den Produktionsprozess: Der Kunde wird in den meisten Fällen in den Produktionsprozess mit einbezogen, wobei die Form der Einbindung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Dabei kann es zu einer aktiven Einbindung des Kunden in die Produktion kommen, die der eines Mitarbeiters des Dienstleisters gleich kommt. Die Wertschöpfung erfolgt also nicht wie bei Sachgütern in einer Fabrik, sondern durch Interaktion mit dem Kunden und damit zeitgleich zum Konsum (Consumption oder Konsumption (Grönroos 2003, S. 47; Gummesson 1991, S. 7)). Zugleich kann es dadurch zu einer Ortsgebundenheit von Dienstleistungen kommen. Chesbrough und Spohrer (2006, S. 37 f.) stellen die Kunden-Anbieter-Beziehung stärker in den Mittelpunkt und führen den Austausch von Wissen und Informationen als wesentliche Eigenheit von Dienstleistungen an. x Oft sind weitere Personen Teil der Leistung: Die Leistung ist oft vom Verhalten weiterer Personen abhängig. Diese Personen können Mitarbeiter des Anbieters sein oder auch fremde Personen, wie z. B. die begeisterten Zuschauer einer Sportveranstaltung, die einen wesentlichen Teil der Dienstleistungswahrnehmung ausmachen. x Einsatz und Ausstoß haben eine größere Variabilität: Dienstleistungen können nur bedingt standardisiert werden. Durch die dadurch entstehende Variabilität sind der Mitteleinsatz (der oft auch vom Kunden abhängig ist) und der Ausstoß – auch bezüglich seiner Qualität – nur eingeschränkt steuer- und kontrollierbar. Das Dienstleistungsergebnis ist heterogen (Grönroos 2003, S. 47; Gummesson 1991, S. 7; Zeithaml/Bitner/Gremler 2009, S. 21). Ausschlaggebender Faktor hierfür ist unter anderem, dass Dienstleistungen keiner Qualitätskontrolle unterzogen werden können, wenn sie vor dem Kunden erbracht werden. x Höhere Bedeutung des Zeitfaktors: Die Zeit spielt bei der Erbringung von Dienstleistungen eine höhere Rolle, da diese meist direkt vor oder mit dem Kunden erbracht werden. Dabei erwarten die Kunden meist sowohl eine hohe Verfügbarkeit (24-StundenService) als auch eine schnelle Dienstleistungserbringung. x Andere Kommunikationskanäle kommen zur Anwendung: Dienstleistungen werden oft über andere Kommunikationskanäle erbracht. Während bei Sachgütern ein physikalischer Transport erforderlich ist, können Dienstleistung teilweise auch ortsunabhängig erbracht oder elektronisch ausgeliefert werden. Auf der anderen Seite erfordern andere
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Dienstleistungen hingegen einen direkten Kontakt zwischen Erbringer und Nachfrager (Zeithaml/Bitner/Gremler 2009, S. 21). Diese Merkmale sind aber nicht bei allen Dienstleistungen gleichermaßen zu finden, sondern treten je nach Dienstleistung in unterschiedlichem Ausmaß auf (Gummesson 1991, S. 7 f.; Lovelock/Wirtz 2007, S. 16). In der jüngeren, im Marketing geführten Diskussion zur Service-dominant logic erfolgt allerdings eine Weiterentwicklung des Begriffsverständnisses. Dabei wird dem Begriff „services“ im Plural weiterhin ein output-orientiertes Begriffsverständnis zu Grunde gelegt, während der Begriff „service“ im Singular stärker auf die Erledigung von Aufgaben für den Kunden ausgerichtet wird (Lusch/Vargo 2006, S. 282 ff.; Vargo/Lusch 2004, S. 2). Dabei definieren Lusch und Vargo (2006, S. 283) „service“ als: “the application of specialized competences (knowledge and skills), through deeds, processes, and performances for the benefit of another entity or the entity itself”. Auf die Konsequenzen dieses Wandels wird in Kapitel 3.2.2 nochmals eingegangen. 3.1.4 Das Verständnis von Diensten in der Informatik Insbesondere der englische Begriff der „Services“ ist nicht nur im Bereich der Wirtschaft gebräuchlich. Vielmehr gibt es zahlreiche andere Bereiche, in denen der Begriff verwendet wird. So verweist Wikipedia (2009a) für den Begriff auf mehr als 20 verschiedenen Detailseiten (ohne Eigennamen), für den deutschen Begriff „Dienst“ sind es immerhin neun (Wikipedia 2009b). Auch wenn diese nicht immer überschneidungsfrei sind, zeigt dies doch die vielfältigen Facetten des Begriffs. Besondere Bedeutung hat dabei der Begriff des „Service“ in der Informatik gewonnen, der insbesondere durch die Service-Oriented Architecture (SOA) auch in die betriebliche Prozessorganisation ausstrahlt. Daher wird im Folgenden der Begriff des Dienstes innerhalb einer SOA kurz dargestellt und ein Abgleich mit dem Begriff der Dienstleistung vorgenommen. Bei einer SOA handelt es sich weder um ein feststehendes Konzept noch um ein Produkt. Es handelt sich vielmehr um ein Entwurfsparadigma für Software-Systeme mit dem Ziel, dieses flexibler und übersichtlicher zu machen sowie die Wiederverwendbarkeit zu erhöhen (Heutschi 2007, S. 21 ff.; Reinheimer et al. 2007, S. 7 ff.; Richter/Haller/Schrey 2005, S. 413 f.): “Service Oriented Architecture (SOA) is a paradigm for organizing and utilizing distributed capabilities that may be under the control of different ownership domains.” (OASIS 2006, S. 8 – im Original teilweise hervorgehoben) Es geht somit bei einer SOA um Fähigkeiten, die in einem Netzwerk verteilt sind. Zentrale Bedeutung haben dabei unabhängige Dienste (Services), die von einem Anbieter angeboten werden und definierte Leistungen über eine oder mehrere definierte Schnittstellen anbieten (OASIS 2006, S. 12; Reinheimer et al. 2007, S. 7 f.; Richter/Haller/Schrey 2005, S. 413). Dabei bildet ein Dienst eine Geschäftslogik ab, auf die über die Schnittstelle zugegriffen werden 31
kann. Die technische Implementierung der Geschäftslogik bleibt dabei vor dem Nutzer verborgen (Black Box) (Reinheimer et al. 2007, S. 8). Somit teilt eine SOA eine Aufgabe in mehrere getrennte Teilaspekte auf, die unabhängig voneinander gelöst werden. Die Aufteilung eines Gesamtproblems in Teilaspekte ist dabei keine neue Erfindung der Informatik (Erl 2005, S. 32 f.). Vielmehr ist es – gerade vor dem Hintergrund der Arbeitsteilung – in der Wirtschaft üblich, bestimmte Teilaufgaben eines Gesamtproblems an Spezialisten zu vergeben. Der Service der Informatik kann damit mit einer Dienstleistung verglichen werden, bei der ein Anbieter für einen Dritten eine Transformation durchführt, aus der dieser einen Nutzen ziehen kann. Allerdings ist eine Dienstleistung im wirtschaftlichen Sinne meist deutlich komplexer aufgebaut und die Interaktion mit der Umwelt deutlich facettenreicher als im Rahmen einer starren Schnittstellendefinition. Eine SOA geht dabei einen Schritt weiter und kombiniert mehrere Dienste, um eine Gesamtleistung zu erbringen. Ein entsprechender Ansatz aus dem wirtschaftlichen Umfeld wird im kommenden Kapitel vorgestellt. 3.2
Kundenlösungen – Dienstleistungen als Teil einer integrierten Lösung
Im vorhergehenden Kapitel wurden die verschiedenen Aspekte von Dienstleistungen und die Probleme der nicht möglichen sauberen Abtrennung von Sach- und Dienstleistungen dargestellt. Da die wissenschaftliche Diskussion vor diesem Hintergrund die Leistungseinteilung hin zu Kundenlösungen fortentwickelt hat, wird auf diese Weiterentwicklungen im Folgenden genauer eingegangen. Die nicht mögliche saubere Abgrenzung von Sach- und Dienstleistungen wurde zum Anlass genommen, von einer scharfen Trennung beider Leistungsarten Abstand zu nehmen. Stattdessen ging man dazu über, Angebote als eine Bündelung von Sach- und Dienstleistungen anzusehen, die in Form von Leistungsbündeln oder Hybriden Produkten (Kapitel 3.2.1) angeboten werden. In einem weiteren Schritt wandelte sich mit Kundenlösungen oder Solutions die Sichtweise weg von der materiellen Art der Leistung hin zu einer Betrachtung der für den Kunden wertschöpfenden Leistung. Die Eigenschaften von Kundenlösungen werden zuerst vorgestellt (Kapitel 3.2.2), bevor anschließend auf ihre Erfolgsfaktoren (Kapitel 3.2.3) und ihre Auswirkungen auf die Organisationsabläufe (Kapitel 3.2.4) eingegangen wird. Somit wird in diesem Kapitel das Verständnis der Dienstleistung hin zur Kundenlösung weiterentwickelt. 3.2.1 Leistungsbündel und Hybride Produkte – erster Schritt eines Paradigmenwechsels Bei der Betrachtung von Sach- und Dienstleistungen stellte man fest, dass diese selten in Reinform auftreten: Dienstleistungen benötigen oft Trägermedien (wie z. B. die CD-ROM für ein Softwareprogramm) und auch Sachleistungen haben Dienstleistungsaspekte: Mit einem Auto kauft man zwar ein physikalisches Gut, das aber mit dem Aspekt einer Transportdienstleistung verbunden ist (Corsten 2001a, S. 142; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 400; Levitt 1980, S. 84; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 26; Shostack 1977, S. 74; Wyckham/Fitzroy/Mandry 1975, S. 59 f.). Letztendlich enthält jede Leistung mit dem Vertrieb eine Dienstleistungskomponente, so dass es keine reinen Sachleistungen aber reine 32
Dienstleistungen gibt (Corsten 2001a, S. 142; Hilke 1984, S. 4; Hilke 1989, S. 8). Die angebotene Leistung entsteht somit aus einer Kombination materieller und immaterieller Module (Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 407 f.; Shostack 1977, S. 74 ff.; Woratschek 1996, S. 59). Dadurch entsteht – wie in Abbildung 8 dargestellt – ein Spektrum von Leistungen, das von solchen mit einem sehr hohen materiellen Anteil bis zu solchen ohne einen materiellen Anteil reicht (vgl. dazu Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 405 f.; Hilke 1989, S. 7 f.; Lovelock/Wirtz 2007, S. 16 ff.; Shostack 1977, S. 77). Absatz von Investitionsgütern
Absatz von Dienstleistungen
DIENSTLEISTUNGEN
SACHLEISTUNGEN
Absatz von Konsumgütern
„problemloses“ Verbrauchsgut
erklärungsbedürftiges Gebrauchsgut
wartungs-/ serviceintensives Investitionsgut
EDV-Anlage
Planung und Bau einer Großanlage
Vermittlung von Immobilien
Autoreparatur
Haarschneiden; Marktforschung
ärztliche Beratung einer Person
Abbildung 8: Spektrum von Sach- und Dienstleistungen (nach Hilke 1989, S. 8 und Hilke 1984, S. 2)
Im Ergebnis ging man dazu über, von Leistungsbündeln (Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 407; Meffert/Bruhn 2009, S. 253; Meyer/ Blümelhuber 1998, S. 928 f.) oder Hybriden Produkten (Böhmann/Krcmar 2007, S. 241 ff.; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 26 f.; Spath/Demuß 2006, S. 473 f.) zu sprechen, die sowohl Komponenten von Dienstleistungen als auch von Sachleistungen enthalten können. Auch eine Kombination mehrerer Leistungen ist dabei möglich (Meyer/Blümelhuber 1998, S. 928; Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 27). Aus Sicht des Kunden sind dabei nicht nur die Bestandteile der Leistung von Bedeutung. Die Leistungswahrnehmung des Kunden umfasst – insbesondere bei Leistungen mit hohem Dienstleistungsanteil – auch das Umfeld der Leistung, wobei die Wahrnehmung je nach Kunde unterschiedlich ausfallen kann (Lovelock/Wirtz 2007, S. 20; Möller/Fassnacht/Heider 2009, S. 268; Shostack 1977, S. 76 ff.; Wyckham/Fitzroy/Mandry 1975, S. 60, 63). Hybride Produkte sollen damit in ihrer integrierten Form ein Kundenproblem lösen und – bei richtiger Umsetzung – zugleich einen höheren Wert als die Summe der Werte der Teilleistungen generieren (Böhmann/Krcmar 2007, S. 242 m. w. N.; Johansson/Krishnamurthy/ Schlissberg 2003, S. 117 f.; Sawhney 2006, S. 365; Wienen/Sichtmann 2008, S. 9 f.). Allerdings wird an dieser Stelle auch ein sprachliches Dilemma ersichtlich. Die Begriffe „Produkt“ und „Leistung“ sind verwandt, können sich aber auf gleiche als auch unterschiedliche Sachverhalte beziehen. Besonders deutlich ist dies bei Sachleistungen, bei denen der Anbieter im allgemeinen Sprachgebrauch ein Produkt entwickelt, dieses in größerer Menge produziert und anschließend ein konkretes „Produkt“ an den Konsumenten absetzt. Es ist also zwischen dem Produkt als Konzept und dem „Produkt“ als einzelne Leistung zu unterscheiden. Der Begriff der Leistung ist meist auf die einzelne Leistung bezogen, allerdings vor dem 33
Hintergrund des allgemeinen Begriffs der Dienstleistung ist auch hier eine abweichende Interpretation möglich. Im Folgenden bezieht sich der Begriff des Produkts auf das Konzept, während der Begriff der Leistung eine einzelne Leistung bezeichnet. Diese Trennung scheint in den meisten Fällen eine saubere Aufteilung zu ermöglichen und erscheint somit geeignet, Missverständnisse zu vermeiden.24 Es sei aber darauf hingewiesen, dass weiterhin Fälle existieren, in denen die Begrifflichkeiten synonym verwendet werden können. Dies ist vor allem bei individuellen Produkten bzw. Leistungen der Fall, aber auch z. B. bei der Frage der Zahlungsbereitschaft. 3.2.2 Weiterentwicklung zu Kundenlösungen oder Solutions Hybride Produkte waren ein erster Schritt, um von der unternehmens- bzw. produktorientierten zur kundenorientierten Sichtweise überzugehen (Scheer/Grieble/Klein 2006, S. 26; Spath/Demuß 2006, S. 464). Dieser Wandel vollzog sich auch im Marketing, wo unter der Service-dominant logic ein Pradigmenwechsel diskutiert wird, der nicht mehr Sach- oder Dienstleistungen in den Vordergrund stellt, sondern die Umsetzung der Kundenanforderungen (Lusch/Vargo 2006, S. 282; Vargo/Lusch 2004, S. 2). Konsequenz dieser Diskussion ist die Betrachtung von Kundenlösungen, deren Fokus nicht die Bildung von Produktbündeln, sondern der lösungsorientierte Beziehungsprozess zwischen dem Kunden und dem Anbieter ist (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 4; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 118 ff.; Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 1 f.; Vargo/Lusch 2004, S. 2). Der Kunde kauft eine Leistung dabei nicht des Produkts wegen, sondern vielmehr, um einen Beitrag zur Lösung seiner Probleme oder eine Befriedigung seiner Bedürfnisse zu erhalten (Grönroos 2003, S. 4; Levitt 1980, S. 84). Auch wenn der Begriff der Kundenlösung teilweise synonym zum Begriff der hybriden Produkte verwendet wird (vgl. z. B. Schmitz 2008, S. 666), so wird er dennoch in dieser Arbeit getrennt dargestellt, um den Wandel der Betrachtungsweise herauszustellen. Eine Kundenlösung (customer solution) ist dabei nach Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007, S. 5) wie folgt definiert: “[…] a solution is a set of customer-supplier relational process comprising (1) customer requirements definition, (2) customization and integration of goods and/or services and (3) their deployment, and (4) postdeployment customer support, all of which are aimed at meeting customers’ business needs […].” In der deutschsprachigen Literatur wird neben dem Begriff der „Kundenlösung“ (Niepel 2005, S. 1; Schmitz 2008, S. 666) auch der dem Englischen entliehene Begriff der „Solution“ verwendet (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 1; Wienen/Sichtmann 2008, S. 5 f.). Eine Anwendung im B2C-Bereich ist ebenfalls möglich (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 2), wobei Kundenlösungen vor allem bei Investitionsgütern interessant sind, die primär bei Geschäftskunden relevant sind (Davies 2004, S. 732). 24
34
Eine kleine Unsauberkeit besteht noch in dem Zeitraum, in dem die Leistung zwar produziert wurde, aber noch keine Übergabe der Leistung erfolgte – und damit die Leistung selbst noch nicht erfolgt ist. Diese Unsauberkeit soll an dieser Stelle aber ausgeblendet bleiben und nur im konkreten Fall behandelt werden.
Kundenlösungen stellen also die materiellen Eigenschaften der Leistung in den Hintergrund25 und orientieren sich an der Beziehung zwischen Kunden und Anbieter. Der Kunde erhält eine Leistung, die seinen Bedürfnissen gerecht wird. Der Hersteller muss für eine Kundenlösung die Fähigkeit besitzen, seine Expertise so umzusetzen, dass er das Problem des Kunden zielgerichtet lösen (Lösungskompetenz) und die Lösung in die Prozesse des Kunden integrieren kann (Integrationskompetenz) (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 118; Wienen/ Sichtmann 2008, S. 11). Dazu muss er ein Verständnis für die Probleme des Kunden mitbringen, das Verkaufspersonal entsprechend qualifizieren, längere Vertragsverhandlungen sowie die Übernahme von Risiken und Investitionen auch außerhalb des eigentlichen Wertschöpfungsprozesses akzeptieren (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 120 ff.; Sawhney 2006, S. 368 f.; Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 1 f.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 11, 14 f.). Für ihn versprechen Kundenlösungen höhere Gewinne und Renditen sowie eine länger andauernde Kundenbeziehung (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 118 ff.; Schmitz 2008, S. 669; Wienen/Sichtmann 2008, S. 10). Kundenlösungen sind zugleich immer Kontraktgüter, bei denen nur ein Leistungsversprechen abgegeben wird und die vor dem Hintergrund einer unsicheren Zukunftsentwicklung zu sehen sind. Hier handelt es sich um Leistungen, die nur in Interaktion mit dem Kunden geschaffen werden können und bei denen die Kooperationsbeziehung im Vordergrund steht (Kaas 1995, S. 23 f.; Kaas 1992, S. 884 f.; Schade/Schott 1993, S. 19). 3.2.3 Erfolgsfaktoren für Kundenlösungen Kundenlösungen rücken den Betrachtungsblick vom Produkt weg hin zum Kunden, wobei die Strategie der Kundenorientierung auch Risiken birgt (Davies 2004, S. 753; Day 2006, S. 41 ff.; Sawhney 2006, S. 369). Dadurch rückt eine wertorientierte Bepreisung stärker in den Mittelpunkt. Durch eine genauere Betrachtung des Nutzens, den die Lösung für den Kunden bietet, hat der Anbieter die Chance, eine höhere Rendite zu erreichen (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 119 f., 123 f.; Sawhney 2006, S. 375 f.). Allerdings ist die Bepreisung von Kundenlösungen eine schwierige Aufgabe (Sawhney 2006, S. 375 f.; vgl. auch Kapitel 4.3.1.2). Dabei ist es für den Anbieter wichtig, den durch den Kunden wahrgenommenen Wert der Leistung zu verstehen (Schmitz 2008, S. 666 f.). Schmitz (2008, S. 673 ff.) analysiert den wahrgenommenen Wert von Kundenlösungen genauer und teilt die für die Wertwahrnehmung relevanten Kosten und Nutzen weiter auf (siehe Abbildung 9). Eine ähnliche Aufspaltung des wahrgenommenen Werts wird auch von Sawhney (2006, S. 370 f.) vorgenommen, der allerdings stärker zwischen dem Wert der Leistungskomponenten und dem zusätzlichen Wert unterscheidet, der aus der Integration und der individuellen Anpassung entsteht.
25
Einige Autoren wie Niepel (2005, S. 36) differenzieren aber weiterhin zwischen sachleistungs- und dienstleistungsbasierten Kundenlösungen.
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+ Wahrg. Nutzen
Wahrg. Effektivitätsnutzen
Wahrg. Wahrg. Wahrg. Integra- Individua- Bezietions- lisierungs hungsnutzen -nutzen nutzen
Wahrgenommener Wert hybrider Produkte
– Wahrg. Kosten
Wahrg. Wahrg. Wahrg. Wahrg. Wahrg. Wahrg. Anschaf- Lebens- Akquisi- Integra- Individua- Bezieungszeittionstions- lisierungs- hungspreis kosten kosten kosten -kosten kosten
Abbildung 9: Komponenten des wahrgenommenen Werts von Kundenlösungen (nach Schmitz 2008, S. 677)
Die Leistungswahrnehmung des Kunden ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Leistung. Tuli/Kohli/Bharadwaj (2007) haben sich genauer mit den Faktoren auseinandergesetzt, die für den Erfolg von Kundenlösungen wichtig sind. Dabei wurden sowohl Faktoren auf Seiten des Anbieters als auch auf Seiten des Kunden identifiziert.26 Auf Seiten des Anbieters wurden folgende Faktoren ermittelt (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 9 ff.): x Flexible hierarchische Strukturen (contingent hierarchy): Diese sind notwendig, damit die Verantwortung bei der Organisationseinheit liegt, die die notwendige Fachkompetenz hat. Zugleich sorgt sie für einen Machtausgleich und erlaubt dadurch einen besseren Informationsfluss und erhöht die Reaktionsfreudigkeit auf Kundenanfragen. Day (2006, S. 46 f.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die für Kundenlösungen notwendige Flexibilität stark von der Unternehmenskultur beeinflusst wird und Änderungsprozesse langfristig angegangen werden müssen. x Hoher Dokumentationsgrad (documentation emphasis): Die Dokumentation der Aktivitäten im Rahmen der Leistungserbringung schafft das Gedächtnis des Anbieters. Sie bildet die Basis, auf der Prozesse nachvollzogen und bewertet werden können, und ist somit zugleich für den Erfolg der Lösung selbst als auch für dessen nachträgliche Bewertung notwendig. Informationssysteme haben dabei eine große Bedeutung (Day 2006, S. 45 f.). x Schaffung eines extern orientierten Leistungsanreizsystems (incentive externality): Das System für Leistungsanreize muss sich vor allem am Kunden orientieren und zwischen den einzelnen Organisationseinheiten abgestimmt sein. Es muss die Basis bilden, dass alle Organisationseinheiten gemeinsam an einer erfolgreichen Leistungserbringung interessiert sind und nicht nur partielle Teilinteressen verfolgen. Dabei darf der Betrachtungshorizont nicht zu kurz gewählt werden; vielmehr muss eine langfristige Betrachtung (lifetime value) gewählt werden (Day 2006, S. 46). 26
36
Die Faktoren wurden von den Autoren als Prämisse aufgestellt, aber noch nicht empirisch überprüft. Eine weitere primär geschäftsmodellbezogene Analyse der Faktoren für die Erbringung von Kundenlösungen findet sich in Wienen/Sichtmann 2008, S. 14 ff., eine weitere ausführliche Darstellung in Schmitz 2008, S. 669 ff. Eine empirische Untersuchung zu den Erfolgsfaktoren der verwandten Dienstleistungsnetzwerken wurde von Ahlert und Evanschitzky (2003, S. 71 ff., 168 f.) durchgeführt und dabei Humankapital, Leistungsqualität, Markenmanagement, Innovationsmanagement und Netzwerkmanagement als Erfolgsfaktoren identifiziert.
x Konstanz beim Kundenkontaktpersonal (customer interactor stability): Das Kundenkontaktpersonal ist die zentrale Schnittstelle des Anbieters zum Kunden. Hier ermöglicht eine hohe Konstanz den Aufbau einer intensiven Beziehung – das Kundenkontaktpersonal wird somit zum sozialen Kapital des Anbieters. Zugleich wird das Kontaktpersonal besser mit den spezifischen Wünschen und Anforderungen des Kunden vertraut und kann so zu besser angepassten Lösungen beitragen. x Explizierung der Prozesse (process articulation): Zum Erfolg der Leistung ist es auch notwendig, dass Prozesse festgelegt und bekannt sind. Dabei geht es vor allem darum, dass das Zusammenspiel der Abteilungen untereinander und mit dem Kunden definiert ist – eine exakte Definition aller Vorgehensweisen ist nicht erforderlich. Dadurch werden Ansprechpartner definiert und unklare Zuständigkeiten vermieden. Auf Seiten des Kunden wurden folgende Faktoren ermittelt (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 11 ff.): x Anpassungsfähigkeit (customer adaptiveness): Auch der Kunde muss die Fähigkeit besitzen, sich an den Anbieter und seine Leistung anzupassen. Nur durch die Bereitschaft, die eigenen Prozesse anzupassen, ist eine effiziente Einbindung der Leistungsfähigkeit des Anbieters möglich. x Politische Beratung (political counseling): Für den Erfolg der Leistung ist es auch notwendig, dass der Kunde den Anbieter über die politischen Beziehungen und Eigenschaften von ihm informiert. Der Kunde muss also aktiv mit dem Anbieter kommunizieren und ihn über Vorbehalte, Kritikpunkte und dergleichen informieren, damit er rechtzeitig darauf reagieren kann. x Organisatorische Beratung (operational counseling): Zuletzt ist auch eine Beratung des Anbieters zu den organisatorischen Abläufen in der Firma notwendig. Der Anbieter muss wissen, welche organisatorischen Besonderheiten zu beachten sind und welche organisatorischen Auswirkungen existieren. 3.2.4 Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Organisationsabläufe Um Kundenlösungen erfolgreich zu erbringen, sind Änderungen der Organisationsabläufe erforderlich. Windahl und Lakemond (2006, S. 806 f.) untersuchen die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Zusammenarbeit und identifizieren drei wesentliche Handlungsfelder: x Die Kooperation zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten x Die Kooperation mit den Kunden x Die Kooperation mit den Lieferanten komplementärer Produkte in Rahmen von Partnerschaften Sie fokussieren ihre Analyse auf die externen Beziehungen, weisen aber auf deren Abhängigkeiten zur internen Organisation hin (Windahl/Lakemond 2006, S. 807). Sie identifizieren sechs für die Entwicklung von Kundenlösungen zentrale Faktoren (Windahl/Lakemond 2006, S. 813 ff.; für die deutsche Übersetzung Wienen/Sichtmann 2008, S. 40): 37
x Beziehungsstärke zwischen den Partnern (strength of the relationships): Insbesondere dann, wenn eine große Zahl von Akteuren in ein Projekt eingebunden ist, müssen belastbare Beziehungen zu ihnen aufgebaut werden. Wienen/Sichtmann (2008, S. 22) weisen hierbei auf die unterschiedlichen Bindungsdimensionen hin, von denen die psychologische Bindung bei Kundenlösungen von besonderer Bedeutung ist. Auch die interne Unternehmenskultur und die zum Austausch von Know-How und Wissen erforderliche Kommunikation gilt es zu beachten (Wienen/Sichtmann 2008, S. 31 ff., 38 f.). x Position des Unternehmens innerhalb des Netzwerks (firm’s position in the network): Die Frage, welche Kontrollen die Firma auf die anderen Netzwerkmitglieder ausüben kann, ist stark davon abhängig, ob sie die integrierende Funktion im Netzwerk wahrnimmt. Kritisch ist dabei insbesondere ein fehlender Zugang zum Kunden, auch wenn er nicht zwingend notwendig ist. x Netzwerkhorizont des Unternehmens (firm’s network horizon): Um die für das Projekt zentralen Akteure identifizieren zu können, muss die Firma die Grenzen des Netzwerks sehr großzügig ziehen, um alle relevanten Akteure zu erfassen. Zugleich vereinfacht eine weite Sicht des Netzwerks, kritische Faktoren zu erkennen und entsprechende Handlungen zu veranlassen. x Auswirkung auf bestehende interne Aktivitäten (impact on existing internal activities): Haben die Kundenlösungen große Auswirkungen auf die Sach- und Dienstleistungen oder Produktionsstrukturen der Firma, so müssen die internen Aktivitäten entsprechend berücksichtigt werden und eingebunden werden, da sie für die Kundenlösung kritisch werden. x Auswirkungen auf die Kernprozesse des Kunden (impact on the customers’ core processes): Auswirkungen auf die Kernprozesse werden vom Kunden meist kritisch betrachtet. Erfolgt durch die Lösung ein Eingriff in die Kernkompetenzen des Kunden, so wird er diesen Eingriff kritisch betrachten und die Lösung ggf. ablehnen. x Externe Determinanten (external determinants): Die Identifizierung von relevanten externen Einflussfaktoren ist wichtig, um mögliche Probleme für ein Projekt erkennen zu können. Zugleich eröffnet dies auch die Möglichkeit, diese adressieren zu können und damit eine Wertsteigerung der Lösung zu erreichen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass der Erfolg von Kundenlösungen nicht nur von diesen Faktoren abhängig ist. Eine stärkere Kundenorientierung ist mit verschiedenen Risiken verbunden und nicht für alle Firmen eine sinnvolle Strategie, wie Day (2006) anhand einer Untersuchung mehrerer Firmen zeigt. Dabei zeigt er auch auf, dass die Kundenorientierung kein einmaliger Prozess ist, sondern dass eine kontinuierliche Anpassung an die sich ändernden Marktverhältnisse notwendig ist (Day 2006, S. 47 f.). Davies (2004) untersucht mehrere internationale Anbieter hochpreisiger Kundenlösungen im Investitionsgüterbereich. Dabei zeigt er auf, dass es für die Anbieter zwei alternative Strategien gibt: sie können sich sowohl vom Produzenten als auch von Dienstleister hin zum Lösungsanbieter entwickeln (Davies 38
2004, S. 741 ff.). Unabhängig von der Entwicklungsrichtung identifiziert er neben einer notwendigen Kernkompetenz als Systemintegrator drei weitere wesentliche Fähigkeiten, die aber in Teilen fremderbracht werden können (Davies 2004, S. 746 ff.): x Operative Dienstleistungen (operational services)27 x Unternehmensberatung (business consulting) x Finanzierung (financing) 3.3
Verständnis von Kundenlösungen als weitestgehende Form der Dienstleistungserbringung
In den beiden vorhergehenden Kapiteln wurde der Begriff der Dienstleistungen dargestellt und die Entwicklungen zur Kundenlösung aufgezeigt. Die Erkenntnisse werden in diesem Kapitel noch einmal aufgegriffen und ein Verständnis von Kundenlösungen als weitestgehende Form der Dienstleistungserbringung erarbeitet, das die Grundlage für die weitere Arbeit bildet. Die Diskussion zur Definition von Dienstleistungen hat gezeigt, dass eine genaue Definition von Dienstleistungen schwierig ist, da eine Abgrenzung von Sach- und Dienstleistung oft nicht möglich ist bzw. ein fließender Übergang stattfindet. Lovelock und Wirtz (2007, S. 17 f.) machen dies am Beispiel eines Restaurants deutlich: Während in einem Restaurant der Spitzenklasse der Dienstleistungscharakter deutlich überwiegt, hat ein Fast-FoodRestaurant einen stark sachgutorientierten Ablauf. Die Grenze dazwischen ist fließend. Auch umfassen Dienstleistungen ein sehr weites Feld: Sowohl bei einer vollautomatischen Autowäsche handelt es sich nach den gängigen Definitionen um eine Dienstleistung wie bei einer individuellen Altersvorsorgeberatung. Bei einer derart breiten Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen von Dienstleistungen werden die Auswirkungen auf die betrieblichen Prozesse extrem unterschiedlich sein. Die betrieblichen Abläufe sind bei einer vollautomatischen Autowäsche komplett anders als in einem Restaurant der Spitzenklasse. Eine Liste von konkreten Auswirkungen, die Dienstleistungen auf betriebliche Kommunikationsprozesse haben, wird sich somit nicht erstellen lassen. Für das weitere Vorgehen bieten sich somit zwei Möglichkeiten an: x Zum einen könnten durch eine Typologisierung mehrere Dienstleistungsgruppen gebildet werden, für die dann jeweils die Auswirkungen auf betriebliche Kommunikationsprozesse untersucht werden können. x Zum anderen könnte sich die weitere Untersuchung auf einen spezifischen Dienstleistungstyp konzentrieren, der idealerweise exemplarisch für die Auswirkungen der Kundenorientierung auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse steht.
27
Davies hebt die operativen Dienstleistungen etwas stärker hervor, in dem er sie als zweite Kernkompetenz bezeichnet (Davies 2004, S. 748). Hier ist aus seiner Sicht ein gegenseitiges und kontinuierliches Feedback zur Systemintegration notwendig (S. 749). Es bleibt dabei offen, ob eine Fremderbringung der operativen Dienstleistungen möglich bzw. sinnvoll ist.
39
Ansätze zur Typologisierung von Dienstleistungen existieren zahlreich. Corsten (2001a, S. 32 ff.) zählt allein neben 27 ausgewählten Möglichkeiten einer eindimensionalen Klassifizierung zahlreiche Möglichkeiten einer mehrdimensionalen Typologisierung auf. Für jede dieser Klassifizierungsmöglichkeiten müssten die Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse untersucht werden. Auf dieser Basis könnte eine Vielzahl möglicher Auswirkungen aufgezeigt werden, eine Systematisierung der Auswirkungen der Kundenorientierung wird dabei jedoch nicht erreicht oder würde zumindest eine nahezu nicht zu bewältigende Integrationsleistung erfordern. Zielführender erscheint hingegen der Ansatz, eine konkrete Art von Leistung genauer zu analysieren, die exemplarisch für die Kundenorientierung steht. Das dargestellte Verständnis von hybriden Produkten und Kundenlösungen (Kapitel 3.2) scheint hierfür der geeignete Ansatzpunkt. Bei einem Anbieter von Kundenlösungen orientieren sich die Abläufe an den Wünschen des Kunden. Er ist in der Lage, verschiedene Leistungen unabhängig ihrer Leistungsart zu einer Gesamtleistung zu integrieren, um damit die Bedürfnisse des Kunden zu befriedigen. Er muss damit die organisatorischen Voraussetzungen mitbringen, (nahezu) jeden Typ von Dienstleistung zu erbringen bzw. in die Leistung zu integrieren. Die Unterschiede bei den betrieblichen Kommunikationsprozessen dürften bei ihm mit am umfassendsten sein – auch wenn nicht auszuschließen ist, dass bestimmte hochspezialisierte Dienstleistungen weitere Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse haben. Da die Kundenlösung zugleich dem allgemeinen nicht-wissenschaftlichen Verständnis von Dienstleistungen (z. B. Lay/Schneider 2001, S. 16) sehr nahe kommt, bietet sich diese Sichtweise ebenfalls an. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können abschließend darauf geprüft werden, ob eine Verallgemeinerung auf andere Formen von Dienstleistungen möglich ist. Im weiteren Verlauf werden daher primär Kundenlösungen betrachtet, bei denen – in Anlehnung an die Definition von Tuli/Kohli/Bharadwaj (vgl. Kapitel 3.2.2) – der Anbieter dem Kunden eine Gesamtlösung anbietet, in dem er gemeinsam mit dem Kunden die Anforderungen analysiert, eine passende Kombination von Sach- und Dienstleistungen zusammenstellt, diese in die Prozessabläufe des Kunden integriert und für deren Wartung verantwortlich zeichnet. Ein Anbieter von Kundenlösungen muss also die Voraussetzungen zum Absatz von Sachleistungen, von Dienstleistungen und zur Integration dieser zu einer Gesamtlösung besitzen. Seine Kommunikationsprozesse müssen ihm erlauben, alle drei Aspekte zu berücksichtigen und dürften somit eine weitestgehende Flexibilität bei der Kundenorientierung und Leistungserbringung erlauben. Zugleich verspricht die Betrachtung von Kundenlösungen eine stärkere Abstraktion vom Produkt, da gerade bei Dienstleistungen die Leistungen sehr unterschiedlichen Charakter besitzen können. Im Folgenden werden Kundenlösungen aber nicht nur den Sachleistungen gegenübergestellt. Für einen möglichst umfassenden Überblick werden außerdem Auftragsleistungen als auch Dienstleistungen betrachtet. Dabei kann die Darstellung aber insbesondere bei Dienstleistungen nur von idealtypischen Arten ausgehen und muss Besonderheiten, die bei einzelnen spezifischen Leistungen auftreten können, außer Acht lassen.
40
4 Systematische Analyse der Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Akteure In den vorhergehenden Kapiteln wurde ein für die weitere Arbeit relevantes Verständnis von betrieblichen Kommunikationsprozessen und von Dienstleistungen geschaffen. Betriebliche Kommunikationsprozesse sind dabei Austausche von betrieblich relevanten Informationen zwischen Menschen oder Maschinen. Dienstleistungen zeigten sich als sehr facettenreich, so dass mit den Kundenlösungen der Fokus auf eine Gruppe von Dienstleistungen gelegt wurde, die sich durch eine starke Kundenorientierung und eine individuelle Kombination mehrerer Leistungen auszeichnet. In diesem Kapitel werden nun die Auswirkungen untersucht, die Kundenlösungen auf die Akteure bzw. die Beziehungen zwischen ihnen haben. Dazu wird zuerst ein Vorgehen für die Arbeit erarbeitet, das sich am Stakeholder-Ansatz und der Wertschöpfungskette orientiert. Dieses wird im ersten Unterkapitel vorgestellt. Im zweiten Unterkapitel wird der generelle Ablauf der Leistungserstellung und der Kundenbeziehung für die einzelnen Leistungsarten dargestellt, um ein grundlegendes Verständnis für die unterschiedlichen Abläufe zu schaffen. Im dritten und vierten Unterkapitel werden dann die Auswirkungen auf die Akteure außerhalb bzw. innerhalb des Unternehmens untersucht und ausführlich dargestellt. Das fünfte Unterkapitel untersucht die Auswirkungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander, um auch diese Auswirkungen zu erfassen. Das sechste und letzte Unterkapitel fasst die Auswirkungen von Kundenlösungen zusammen. 4.1
Vorgehensweise der Untersuchung
Das Beziehungsgeflecht eines Unternehmens ist vielfältig. Im Rahmen der Diskussion der betrieblichen Kommunikationsbeziehungen in Kapitel 2.3 wurden verschiedene Betrachtungsbereiche vorgestellt: x Der Stakeholder-Ansatz (Kapitel 2.3.2), der die Beziehungen des Unternehmens zu seiner Umwelt betrachtet. x Die Wertschöpfungskette (Kapitel 2.3.3), die die interne Abfolge der Leistungserbringung sowie die unterstützenden Aktivitäten darstellt. Es wurde außerdem aufgezeigt, dass die betrieblichen Kommunikationsprozesse auch solche zwischen Dritten umfassen können. Jede der in den Ansätzen enthaltenen Einheiten kann Kommunikationsbeziehungen zu anderen Einheiten haben. Berücksichtigt man, dass die Stakeholder selbst verschiedene Organisationseinheiten besitzen können und dass auch verschiedene Stakeholder der gleichen Anspruchsgruppe untereinander in Beziehung stehen können, so wird schnell ersichtlich, dass es eine Unzahl von Kommunikationsbeziehungen geben kann, die hier nicht vollständig erfasst werden kann. Bei der Betrachtung darf der Fokus allerdings nicht zu eng gewählt werden. So können gerade bei der Frage, wie etwas kommuniziert werden kann, Faktoren des Umfelds und der Beziehung von großer Bedeutung sein. Daher erfolgt im Weiteren auch eine Betrach-
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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tung von Faktoren, die nur bedingt direkt mit Einflüssen auf die Kommunikationsflüsse verbunden sind. Es bietet sich daher ein mehrstufiges systematisches Verfahren an: Im ersten Schritt (Kapitel 4.3) werden die Beziehungen des Unternehmens zu den einzelnen Stakeholdern betrachtet. Dabei werden das Unternehmen und die einzelnen Stakeholder jeweils als Black Box angesehen – es wird also nicht weiter betrachtet, welcher Bereich des Unternehmens bzw. der Stakeholder miteinander in Verbindung stehen. In einem zweiten Schritt wird für das Unternehmen der Inhalt der Black Box getrennt betrachtet, indem die Auswirkungen auf die Akteure im Unternehmen betrachtet werden (Kapitel 4.4). Diese Aufteilung reduziert die zu betrachtenden Kommunikationsbeziehungen, so dass eine vollständige Betrachtung möglich ist. Allerdings birgt diese Aufteilung auch die Gefahr, dass Auswirkungen übersehen werden: x Zum einen fallen Auswirkungen durch das Analyseraster, die nur innerhalb eines Stakeholders oder nur zwischen Stakeholdern wirksam werden. Daher wird nach der Analyse der Auswirkungen innerhalb des Anbieters diese Fragestellung nochmals kurz in Kapitel 4.5 aufgegriffen. x Zum anderen entsteht eine gewisse Unschärfe an der Schnittstelle einer internen Organisationseinheit des Anbieters zu einem Stakeholder, wenn die Auswirkungen auf Ebene der Organisationseinheit anders oder spezifischer sind als auf der allgemeinen Ebene des Betriebs. Daher sind bei der Betrachtung der einzelnen internen Organisationseinheiten auch die spezifischen Beziehungen zu den Stakeholdern zu berücksichtigen und auf entsprechende Besonderheiten einzugehen. Dieser Betrachtung vorangestellt wird jedoch eine Darstellung des prinzipiellen Ablaufs der Leistungserbringung, anhand dessen die spezifischen Unterschiede von Kundenlösungen und die zentralen Beziehungen dargestellt werden. 4.2
Ablauf der Erbringung einer Kundenlösung im Vergleich zu den anderen Leistungsarten
Um ein Verständnis vom Ablauf einer Leistungserbringung bei den einzelnen Leistungsarten zu schaffen, werden im Folgenden die Abläufe von Sach- und Dienstleistungen sowie Kundenlösungen aus Nachfrager- und aus Anbietersicht vorgestellt. Zuerst erfolgt die Darstellung des Ablaufs und der Phasen bei Sachleistungen (Kapitel 4.2.1), wobei auch auf die Abweichungen bei Auftragsleistungen eingegangen wird. Anschließend werden die Unterschiede bei Dienstleistungen (Kapitel 4.2.2) und bei Kundenlösungen (Kapitel 4.2.3) herausgearbeitet. Kapitel 4.2.4 stellt anschließend die zentralen Unterschiede vergleichend gegenüber. 4.2.1 Grundlegende Phasen der Sachgüterproduktion aus Anbieter- und Nachfragersicht Zum besseren Verständnis der Abläufe und der daraus resultierten Beziehungen zwischen den Akteuren wird der prinzipielle Ablauf der Erbringung einer Kundenlösung dargestellt und
42
dem Ablauf der klassischen Sachgüterproduktion28 und ihrem Absatz gegenübergestellt. Die Darstellungen konzentrieren sich auf den Ablauf der Leistungserbringung, Neben- und Rückflüsse z. B. in Form eines Verbesserungsprozesses wurden dazu ausgeblendet. Konsum Nachfrager
Information
Drittes Unternehmen
Anbieter
Drittes Unternehmen
Vereinbarung
Abwicklung
After-Sales
ggf. Nutzung des Handels
Entwicklung
Beschaffung
Produktion
Lieferant
Zulieferer
Absatz
After-Sales
Abbildung 10: Phasenablauf der klassischen Sachleistung („Lagerfertigung“)
Aus Sicht des Anbieters vollzieht sich die Sachgüterproduktion in mehreren Phasen (Bauer/Hayessen 2006, S. 58; Corsten 2001b, S. 62 f.; Engelhardt/Kleinaltenkamp/Reckenfelderbäumer 1993, S. 412 f.; Frietsche/Maleri 2006, S. 220; Pfohl 1996, S. 43; Woratschek 1998, S. 15 f.): 1. Zuerst erfolgt die Entwicklung des Produkts und es wird ermittelt, welche Eingangsfaktoren in welcher Weise zur Erstellung des Produkts notwendig sind. 2. Auf Basis einer festzulegenden Produktionsmenge erfolgt die notwendige Beschaffung der Eingangsfaktoren, die zu Erstellung des Produkts notwendig sind.29 3. Es erfolgt die Produktion des Produkts, bei dem die Eingangsfaktoren zum Endprodukt kombiniert werden. 4. Abschließend erfolgt der Absatz des Produkts, bei dem der Hersteller entweder direkt einen Vertrag mit dem Kunden über die Lieferung des Produkts (und damit über seine Leistung) abschließt oder diese Aufgabe an einen Dritten – den Handel – auslagert. Auf der anderen Seite besteht der für den Kauf (Transaktion) relevante Prozess aus Kundensicht aus folgenden Phasen (Bogaschewsky 2002, S. 752 f.; Krähenmann 1994, S. 161 ff.; Müller 1999, S. 213 f.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 338):30
28
29 30
Der Begriff der „klassischen Sachgüterproduktion“ wird zur Abgrenzung zur Auftragsfertigung verwendet, bei der die Produktion erst nach Auftragserteilung durch den Kunden erfolgen kann. Der aus produktionstechnischer Sicht richtige Begriff wäre „Lagerfertiger“ (vgl. Eversheim 2002, S. 165 ff.; Mengen 1993, S. 24 f.). Im Sachgüterbereich dürfte nur in den seltensten Fällen eine Produktion ohne Beschaffung möglich sein. Teilweise wird auch ein dreistufiges Modell „Suche-Verhandlung-Erfüllung“ verwendet (vgl. z. B. Schoop 2003, S. 11 f. m. w. N.).
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1. Die Informationsphase, in der sich der Kunde im Vorfeld der eigentlichen Transaktion über die zu handelnden Güter und mögliche Handelspartner informiert und eine Spezifikation der Leistung erfolgt. Die Informationsquellen des Kunden sind dabei sehr vielschichtig und können auch außerhalb des Anbieters liegen. 2. Die Vereinbarungsphase, die die Auswahl des Handelspartners umfasst sowie die Spezifikation der genauen Parameter des Austausches (Produkt, Menge, Preise, …). In dieser Phase erfolgt der Vertragsabschluss. 3. Die Abwicklungsphase, in der die Leistung ausgeliefert oder ausgeführt wird und die auch die Bezahlung der Leistung umfasst. Diese Phase ist neben den Logistikoperationen auch durch einen Kommunikationsaustausch geprägt. 4. Die Servicephase oder After-Sales-Phase, in der Installations- oder Implementierungsarbeiten, Beratungsleistungen oder die Wartung erfolgen kann. Oft ist hier aber eine genaue Abgrenzung zur Abwicklungsphase schwierig. Eine Integration beider Prozesse ist in Abbildung 10 dargestellt, die um einige Komponenten erweitert wurde. Der Lieferant (Anbieter) steht auf der einen Seite in Verbindung mit anderen Unternehmen, die keinen Kontakt zum Nachfrager (Kunden) haben. Dies ist bei der Beschaffung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen über Lieferanten der Fall und ggf. – im Falle einer zumindest teilweisen Fremdfertigung durch Zulieferer – auch bei der Produktion.31 Der Kontakt zum Kunden erfolgt erst im Rahmen des Absatzes, wobei hier der Handel als Vermittler zwischengeschaltet sein kann. In der Informationsphase sind vielfältige Kontakte des Nachfragers auch mit Dritten möglich (z. B. mit dem Handel, einem anderen Kunden, …). Da die After-Sales-Phase auch für den Anbieter relevant ist, wurde sie bei ihm entsprechend ergänzt. Weiterhin eingezeichnet ist der Zeitraum des Konsums, der mit der Abwicklung beginnt und anschließend bis zum Ende der Produktlebenszeit fortwährt. Konsum Nachfrager
Information
Drittes Unternehmen
Anbieter
Vereinbarung
Abwicklung
ggf. Nutzung des Handels
Entwicklung
Absatz
After-Sales
ggf. Nutzung des Handels
Beschaffung
Produktion
Lieferant
Zulieferer
Drittes Unternehmen
Absatz
After-Sales
Abbildung 11: Phasenablauf der Auftragsfertigung
31
44
Durch die begriffliche Unterscheidung von „Lieferanten“ und „Zulieferern“ soll im Weiteren die unterschiedliche Komplexität der Austauschbeziehung hervorgehoben werden.
Bei einem Auftragsfertiger ergeben sich im Vergleich zum klassischen Sachleister Änderungen beim Prozessablauf. Ein Auftragsfertiger unterscheidet sich vom klassischen Sachgüterproduzenten (Lagerfertiger) dadurch, dass er auf Bestellung produziert und damit Einzelaufträge ausführt (Eversheim 2002, S.165 ff.; Mengen 1993, S. 24 ff.). Für ihn besteht somit – wenn man von der Vorabbeschaffung und -produktion von Teilkomponenten oder zur Herstellung der Leistungsbereitschaft absieht – keine Möglichkeit, mit der Produktion der Leistung vor ihrem Absatz zu beginnen. Vielmehr wird der Absatzprozess durch die Produktion (und Beschaffung) unterbrochen, wobei die genaue Unterteilung unterschiedlich ausfallen kann (die Bezahlung kann z. B. vor oder nach Produktion erfolgen). Die Phasen aus Sicht des Auftragsfertigers sind in Abbildung 11 dargestellt. Es wird in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen, dass der Begriff des Auftragsfertigers sehr weit Verwendung findet. Eversheim (2002, S. 164) nennt hier z. B. den Sondermaschinenbau. Dieser enthält aber auch sehr hohe Anteile von Dienstleistungen bzw. kommt dem Charakter von Kundenlösungen nahe. Daher ist auch bei den hier vorgestellten Produktionstypen eine scharfe Abgrenzung nicht möglich, vielmehr ist von einem fließenden Übergang auszugehen.32 4.2.2 Phasenablauf bei Dienstleistungen Durch das Anbieten von Dienstleistungen ergeben sich weitreichende Auswirkungen auf die Phasenabläufe. Aus der Darstellung der Charakteristika von Dienstleistungen (Kapitel 3.1.2) können mehrere grundlegende Änderungen entnommen werden: x Da ein Dienstleistungsanbieter nur ein Potential und keine fertige Dienstleistung anbieten kann, kann die Produktion – ähnlich wie beim Auftragsfertiger – nicht im Vorfeld der Leistungserbringung erfolgen. x Durch die Integration des externen Faktors müssen Erstellung und Inanspruchnahme zeitgleich erfolgen (Uno-Actu-Prinzip). x Durch den immateriellen Charakter gewinnt die Wirkung der Leistung an Bedeutung. Das Uno-Actu-Prinzip hat sowohl als Anbieter als auch auf Nachfrager große Auswirkungen:33 „Wenn der Leistungsnehmer die Kontaktsituation verlässt, ist die Leistung erbracht, Produktion und Nutzung geschehen uno-actu – in ein und dem selben Akt.“ (Lehmann 1993, S. 31 – Fußnoten und Verweise entfernt) Die bei Dienstleistungen überwiegenden Such- und Vertrauenseigenschaften (Corsten 2001b, S. 65; Schade/Schott 1993, S. 15, 17 ff. m. w. N.; Woratschek 1998, S. 24 f.; Zeithaml 1981, S. 186) führen dazu, dass eine Bewertung der Leistung durch den Kunden vor der Leistungs32 33
Eine genauere Abgrenzung der einzelnen Fertigungstypen findet sich in Eversheim 2002, S. 165 ff. In jüngerer Literatur (z. B. Meyer/Brudler 2009, S. 1122) wird auch von der „Servuction“ als gleichzeitiger Produktion und Konsumption gesprochen.
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erbringung oft nur schwer möglich ist. Damit bleibt für den Anbieter im Wesentlichen nur die Phase der Erbringung, um den Kunden von der Qualität seiner Leistung zu überzeugen – oder, wie es der Chief Executive Officer (CEO) der skandinavischen Fluggesellschaft SAS, Jan Carlzon, formulierte: „Moments of Truth“, die über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden (Carlzon 1989, S. 3). Während beim Absatz der Dienstleistung noch der Handel als Mittler eingeschaltet sein kann, ist bei der Erbringung selbst meist ein direkter Kontakt mit dem Kunden – ggf. über Trägermedien – notwendig.34 Da bei Dienstleistungen nicht zwangsweise ein physikalisches Gut vermittelt wird, ist die absatzobjektbezogene Beschaffung nicht mehr zwingend notwendig, sondern kann – ähnlich wie beim Auftragsfertiger – im Vorfeld erfolgen. Da zumindest die ingenieursmäßige Entwicklung an Bedeutung verliert35, rückt in der Entwicklungsphase der Potentialaufbau stärker in den Mittelpunkt. Berücksichtig man noch die stärkere Bedeutung der Wirkung einer Dienstleistung, so ergibt sich die Phasenabfolge in Abbildung 12. Konsum/ Moments of Truth
Wirkung Nachfrager
Information
Drittes Unternehmen
Anbieter
Vereinbarung
Abwicklung
ggf. Nutzung des Handels
Entwicklung/ Potentialaufbau
Absatz
Zulieferer
Beschaffung
Drittes Unternehmen
Lieferant
Produktion und Absatz
After-Sales
ggf. Nutzung des Handels
After-Sales
Zulieferer
Abbildung 12: Phasenablauf von Dienstleistungen
4.2.3 Phasenablauf bei Kundenlösungen Bei einer Kundenlösung ergeben sich weitere Änderungen gegenüber Sach- und Dienstleistungen. Zentral ist hierbei, dass die genaue Leistungsspezifikation erst durch Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager erarbeitet werden kann. Damit ist eine Entwicklung der Leistung – von der Vorentwicklung einzelner Module der Leistung abgesehen – nicht vor Absatz der Leistung möglich; zugleich entsteht das absatzfähige Produkt erst durch die Entwicklung. Absatz und Entwicklung erfolgen also zumindest in Teilen zeitgleich und sind nur in Interaktion von Anbieter und Nachfrager möglich, die Zwischenschaltung eines Dritten ist nicht 34
35
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Es ist allerdings durchaus denkbar, dass der Anbieter Dritte mit in den Leistungserstellungsprozess einbindet. Würde er jedoch die komplette Leistung durch Dritte erbringen lassen, würde er mehr die Rolle eines Händlers wahrnehmen, der die Dienstleistungen an den Abnehmer vermittelt. Dies bedeutet aber nicht, dass Dienstleistungen nicht entwickelt werden können und sollen – vgl. „Service Engineering“.
möglich.36 Nach der Einigung über die Leistung muss der Anbieter die Leistung ggf. weiter spezifizieren und für die Produktion der Leistung sorgen. Dabei ist der Einbezug fremder Leistungen wesentlicher Charakter und Erfolgsfaktor von Kundenlösungen und die wesentliche Leistung des Anbieters somit weniger die Produktion als die Integration der einzelnen Komponenten (Davies 2004, S. 738; Day 2006, S. 44 f.; Koller/Langmann/Untiedt 2006, S. 52 m. w. N.). Teilweise kann dieser Einbezug schon in der Phase der Produktentwicklung erfolgen, wenn Spezifika zu klären sind. Im Extremfall kann sich der Anbieter allein auf die kundenspezifische Kombination von Fremdprodukten spezifizieren – seine Leistung liegt dann allein in der Planung und Koordination der Umsetzung.37 Dies wird deutlich gemacht, indem Beschaffung und Produktion in einer Phase zusammengefasst werden. Die Integration erfolgt dann zusammen mit dem zweiten Teil des Absatzes, da eine Einbindung der Lösung in die Abläufe des Kunden notwendig ist. Hierbei kann es zu Kontakten der Zulieferer mit dem Kunden kommen. Gleiches gilt auch für die After-Sales-Phase.
Moments of Truth Konsum Wirkung Nachfrager
Information
Vereinbarung
Abwicklung
Drittes Unternehmen
Anbieter
Drittes Unternehmen
Zulieferer
Potentialaufbau
Entwicklung und Absatz
Beschaffung/ Produktion
Lieferant /Zulieferer
Integration und Absatz
After-Sales
Zulieferer
After-Sales
Lieferant /Zulieferer
Abbildung 13: Phasenablauf einer Kundenlösung
Bei der Frage der Nutzung der Kundenlösung durch den Kunden ergibt sich ein differenziertes Bild. Kundenlösungen können sowohl materielle als auch immaterielle Komponenten enthalten, der Konsum des Produkts kann also in Teilen auch nach Leistungserbringung erfolgen. Allerdings hat für den Kunden die Kundenlösung auch eine zentrale Beziehungskomponente (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 1 f.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 22). Die Beurteilung der Kundenlösung – und damit ihre Wirkung – beginnt also schon in der Vereinbarungsphase und geht über die Nutzung der Lösung hinaus. Dabei ist für die Bewertung der Leistung eine Vielzahl von Kontaktsituationen über alle Phasen relevant. Der Phasenablauf einer Kundenlösung ist in Abbildung 13 dargestellt.
36
37
Allerdings ist eine Fremdvergabe von Teilen des Planungsprozesses z. B. an einen externen Ingenieur möglich. Vgl. zu entsprechenden Beispielen Davies 2004, S. 744 ff. und – mit einer Systematisierung für den Baubereich – Helmus/Weber 2003, S. 21.
47
4.2.4 Auswirkungen von Kundenlösungen auf den Ablauf der Leistungserbringung Die dargestellten Phasenabläufe stellen den idealtypischen Phasenablauf der einzelnen Güterarten dar. Sicherlich wird es zu jedem der Modelle Sonderfälle geben, die von dem dargestellten Phasenablauf abweichen. Die vielfältigen Arten von Produktionsverfahren und Dienstleistungen sowie die Existenz von zahlreichen Zwischenformen stehen einer allgemeingültigen Darstellung der Abläufe entgegen. Wichtig ist bei den folgenden Ausführungen jedoch, dass Sachleistungen heute meist nicht in Reinform angeboten werden, sondern oft mit Dienstleistungen kombiniert werden. Die Darstellung greift jedoch die Reinform auf, bei der von Seiten des Kunden keinerlei Einfluss auf den Entwicklungs- und Produktionsprozess besteht.
Angebotsform (Potential) Kundeneinbringung (Prozess) Materialität des Produkts (Ergebnis) Individualität des Produkts Nutzen für den Kunden
Sachleistung Angebot eines materiellen Guts Keine Einbringung des Kunden
Auftragsleistung
Einbringung eines externen Faktors (Objekt/Information)
Materielles Gut Meist Massenprodukt
Produktion
Kundenlösung
Quelle der Nutzenstiftung ist das Ergebnis vor Produktion vor Absatz
Einbringung und Transformation eines externen Faktors
Felder 1 1,2
Materielles und/oder immaterielles Gut
Individuell gefertigtes Produkt
Entwicklung
Nutzungsmöglichkeit des Handels
Dienstleistung Angebot eines Leistungsversprechens
nach Absatz vorhanden
Individuell gefertigtes Produkt teilweise für den anonymen Individuell gefertigtes Produkt Massenmarkt Quelle der Nutzenstiftung sind sowohl Ergebnis als auch Prozess Simultan mit Absatz und in Kundeninteraktion nach Absatz nach Absatz möglich, aber direkte Interaktion mit Kunden bei meist nicht möglich Erbringung notwendig
1 2,3 1,2,3 1 1,2,3
Tabelle 1: Wesentliche Eigenschaften der Leistungsarten
Die Phasenmodelle zeigen aber die unterschiedlichen Abläufe auf, die die einzelnen Güterarten bedingen. Auffallend sind hier im Vergleich zur klassischen Sachgüterproduktion mit der Kundenlösung vor allem folgende Aspekte: x Die Möglichkeit der Vorabproduktion nimmt ab. Während der Lagerfertiger die komplette Produktion vor dem Absatz durchführen kann, kann der Anbieter von Kundenlösungen nur das grundlegende Potential im Vorfeld aufbauen und ist selbst bei der Entwicklung vom Input des Kunden abhängig. x Zugleich wird der Kontakt mit dem Kunden intensiver. Während bei der Sachgüterproduktion kein direkter Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager stattfinden muss, ist dies bei Dienstleistungen oder Kundenlösungen unabdingbar. x Die Wahrnehmung des Kunden ändert sich. Während für den Kunden bei Sachgütern die Wahrnehmung im Wesentlichen auf das Produkt beschränkt ist, rücken bei Dienstleistungen und Kundenlösungen noch andere Faktoren wie das Umfeld oder die Beziehung zum Anbieter in den Vordergrund. Der Anbieter muss also für die Kundenzufriedenheit einen deutlich größeren Prozessabschnitt beachten, wobei zugleich weniger ein dauerhaftes Ergebnis als wenige, oft kurze Kontaktmomente relevant werden. Der Anbieter von Kundenlösungen hat hier die Herausforderung, sowohl Ergebnis als auch das Leistungsumfeld berücksichtigen zu müssen.
48
x Die Bedeutung externer Zulieferer steigt, insbesondere dann, wenn diese für wesentliche Teile der Leistung verantwortlich zeichnen und/oder in direktem Kontakt zum Kunden stehen. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den vier Leistungsarten sind in Tabelle 1 dargestellt (Einige grundlegende Angaben zu Sach-, Auftrags- und Dienstleistungen wurden Megen 1993, S. 29 entnommen.).38 In den Tabellen sind in der Spalte „Felder“ auch die Zuordnungen der einzelnen Punkte zu den Änderungsbereichen aus Kapitel 6 vermerkt (siehe dazu Kapitel 6.6). 4.3
Auswirkungen auf die Akteure außerhalb des Unternehmens
Im vorhergehenden Kapitel wurden die Abläufe der einzelnen Leistungsarten aus Anbieterund aus Kundensicht vorgestellt. Diese bilden die Basis, dass nun die Unterschiede von Kundenlösungen im Vergleich zu den anderen Leistungsarten herausgearbeitet werden. Dazu werden gemäß dem in Kapitel 4.1 vorgestellten Analyseraster in diesem Kapitel zuerst die Beziehungen zu den Akteuren außerhalb des Unternehmens analysiert. Dabei bildet der in Kapitel 2.3.2 aufgezeigte Stakeholder-Ansatz die Grundlage für das Vorgehen, da er die Interessensträger einer Unternehmung aufzeigt.39
Finanz-Arena
Markt-Arena 4.3.4.2
4.3.5.1
Konkurrenz
Kapitalgeber
Markt-Arena 4.3.3
4.3.1
Lieferanten
4.3.2
übergreifende Aspekte
4.3.5.2
Kunden
4.3.4.1
Staat
Mitarbeitende 4.3.5.3
Öffentlichkeit Interne Arena Öffentliche Arena
Abbildung 14: Aufbau der Darstellung zu den Akteuren außerhalb der Unternehmung (Rahmen nach Wilbers 2004, S. 336 – siehe Abbildung 6) 38
39
Sofern sich Angaben in den Tabellen nicht direkt aus dem Text erschließen lassen oder weitere Gedankenschritte zu dokumentieren waren, sind weitergehende Erläuterungen im Anhang A zu finden. Der Stakeholder-Ansatz betrachtet die Interessenträger an einem Unternehmen. Er führt damit alle externen Gruppen auf, die ein Interesse an dem Unternehmen haben. Er führt aber mit den Mitarbeitern eine Anspruchsgruppe auf, die auch als interner Akteur angesehen werden kann. Wie in Kapitel 4.3.4 noch genauer gezeigt wird, ist es aber sinnvoll, die allgemeinen Interessen der Mitarbeiter auch an dieser Stelle zu betrachten, um ein vollständiges Bild der Beziehungen zu erhalten.
49
Im Vordergrund der Analyse stehen die Auswirkungen auf die Kunden (Kapitel 4.3.2) und die Lieferanten (Kapitel 4.3.3), da diese direkt in die Wertschöpfungsaktivitäten eingebunden sind. Teilweise in die Wertschöpfungsaktivitäten sind die Mitarbeiter (Kapitel 4.3.4.1) und die Konkurrenz (Kapitel 4.3.4.2) eingebunden (vgl. dazu Kapitel 2.3.2). Hier gibt es fließende Übergänge zu den internen Abläufen und zur Gruppe der Lieferanten, so dass nur in kompakter Form auf die Besonderheiten dieser Beziehungen eingegangen wird. Abschließend werden noch die externen Interessenträger Kapitalgeber (Kapitel 4.3.5.1), Staat (Kapitel 4.3.5.2) und Öffentlichkeit (Kapitel 4.3.5.3) betrachtet, bei denen weniger die einzelne Leistung bzw. die Produkte als die Unternehmung als Ganzes im Fokus des Interesses stehen. Der Darstellung der Auswirkungen auf die einzelnen Stakeholder vorangestellt wird eine Darstellung einiger zentraler Aspekte, die mehrere Stakeholder betreffen (Kapitel 4.3.1). Der Aufbau ist in Abbildung 14 dargestellt. 4.3.1 Stakeholderübergreifende Auswirkungen von Kundenlösungen Nicht alle Auswirkungen von Kundenlösungen lassen sich einem festen Stakeholder zuordnen. Einige Auswirkungen von Kundenlösungen betreffen vielmehr mehrere Stakeholder gemeinsam. Die hier zentralen Aspekte werden im Folgenden vorab vorgestellt, damit bei den Ausführungen zu den einzelnen Stakeholdern auf sie referenziert werden kann. Im Einzelnen werden folgende Aspekte vorgestellt: x Die Frage der Wahrnehmung der Kundenlösung durch den Kunden (Kapitel 4.3.1.1) betrifft nur auf den ersten Blick ausschließlich das Verhältnis zwischen Anbieter und Kunde. Denn die Wahrnehmung des Kunden resultiert im Wesentlichen aus der Qualität der Leistung und diese ist auch von der Leistung der Lieferanten und des Leistungsumfelds abhängig. Außerdem ist sie über die Zahlungsbereitschaft wichtige Grundlage für die Frage der Bepreisung der Leistung. x Die Frage der Bepreisung der Leistung (Kapitel 4.3.1.2) ist von zahlreichen internen als auch externen Faktoren abhängig. Hier fließt die Wahrnehmung der Leistung genauso ein wie die Positionierung im Vergleich zum Wettbewerb und den Kosten der Leistungserstellung. x Die Frage der Agency-Probleme (Kapitel 4.3.1.3) adressiert die Probleme, die generell bei der Interaktion zwischen einem Auftraggeber und einem Auftragnehmer resultieren, betreffen also vor allem die Beziehungen zum Kunden, zu den Lieferanten, aber auch zu den Mitarbeitern. 4.3.1.1 Die Wahrnehmung von Kundenlösungen und ihrer Qualität Für den Anbieter ist von zentraler Bedeutung, wie der Kunde seine Leistung wahrnimmt. Dabei resultiert der vom Kunden wahrgenommene Wert aus dem wahrgenommenen Gesamtnutzen der Leistung und den Gesamtkosten (oder auch Gesamtopfer) für die Leistung (Gizycki 1999, S. 97 ff.; Schmitz 2008, S. 673 ff.). Dabei ist – in der klassischen Betrachtung – der wahrgenommene Wert im Wesentlichen von der wahrgenommenen Qualität der Leistung abhängig und der wahrgenommene Wert wesentlicher Faktor für die Zahlungsbereitschaft des 50
Kunden (Bruhn 2000, S. 31; Gizycki 1999, S. 95 ff.; Monroe 2003, S. 104 f.; Zeithaml 1988; vgl. dazu auch Kapitel 4.3.1.2). Der Qualitätsbegriff selbst hat verschiedene Facetten. Garvin (1984) identifiziert fünf verschiedene Definitionsansätze von Qualität, die er in acht verschiedene Dimensionen aufspaltet. Manche davon sind objektiv, andere subjektiv; manche eher technischer, andere sozialer Natur. Von zentraler Bedeutung sind dabei zwei Qualitätsdimensionen (Barrantes 2008, S. 11 f.; Bruhn 2008, S. 34 f.; Bruhn 2000, S. 25 f.; Garvin 1984, S. 25 ff.; Grönroos 1984, S. 39; Zeithaml 1988, S. 4 f.): x Der produktbezogene Qualitätsbegriff (product-based), der auf die – im Idealfall objektiv messbaren – Eigenschaften der Leistung abzielt. Der Kundenbezug kann hier nur integriert werden, wenn eine bestimmte Eigenschaft von nahezu allen Kunden als wichtig empfunden wird. x Der kundenbezogene Qualitätsbegriff (user-based), bei dem die Wahrnehmung und die Erwartungen des Kunden im Mittelpunkt stehen und der eher subjektiver Art ist. Diese beiden Qualitätsdimensionen sind nicht unabhängig voneinander. Für den Markterfolg eines Produkts ist vor allem die kundenbezogene Qualitätsdimension wichtig (Barrantes 2008, S. 10 ff.; Bruhn 2008, S. 37; Garvin 1984, S. 37 f.; Scheutzow 2008, S. 147; Reckenfelderbäumer 2009, S. 225), für den Anbieter ist hingegen vor allem die produktbezogene Dimension zur Steuerung und Kontrolle seines Produktionsprozesses wichtig (Masing 2007, S. 5 f., 9). Die beiden Dimensionen müssen daher miteinander abgeglichen werden, der Anbieter muss also die Kundenanforderungen so in produktbezogene Qualitätseigenschaften umsetzen, dass er diese für die Kontrolle seines Produktionsprozesses einsetzen kann (Bruhn 2008, S. 36 f.; Masing 2007, S. 5 f.; Zeithaml 1988, S. 17 f.). Auf der anderen Seite zieht der Kunde aber auch produktbezogene Qualitätsaspekte mit in seine subjektiv geprägte Qualitätswahrnehmung ein (Barrantes 2008, S. 12; Grönroos 1984, S. 37 f.; Masing 2007, S. 5 ff.). Bei Kundenlösungen ergeben sich vielfältige Änderungen an der Qualitätswahrnehmung. Da eine Produktion nicht vor dem Absatz erfolgen kann, kann der Kunde die für ihn relevanten produktbezogenen Eigenschaften nicht im Vorfeld des Kaufs prüfen. Vielmehr kann er dies erst, wenn die Leistung erfolgt ist oder – wenn für ihn eine längerfristige Wirkung im Vordergrund steht – erst deutlich später oder überhaupt nicht. Für ihn verliert das Produkt an Sucheigenschaften; dementsprechend treten Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften in den Vordergrund (Bruhn 2000, S. 27; Zeithaml 1981). Zugleich rücken für den Kunden durch die zunehmende Bedeutung der Prozessperspektive andere Faktoren in den Mittelpunkt. Faktoren des Umfelds werden wichtiger und verdrängen produktbezogene Merkmale – das „was“ verliert an Bedeutung, das „wie“ rückt in den Vordergrund (Benkenstein/Forberger 2001; Brady/Cronin 2001, S. 34 f.; Bruhn 2000, S. 30 ff.; Grönroos 1984, S. 37 ff., 41). Somit können zusätzliche Dienstleistungen die Qualitätswahrnehmung des Kunden positiv beeinflussen (Reinhart/König 1997, S. 17). Mit der größeren Bedeutung der nicht produktbezogenen Qualitätseigenschaften verliert der Anbieter die Möglichkeit, diese zur Steuerung seines Produktionsprozesses zu nutzen. Er muss vielmehr ein weitaus größeres Feld von Einflüssen berück51
sichtigen, das auch außerhalb seiner Kontrolle liegen kann. Der bei Dienstleistungen meist hohe Anteil personengebundener, nicht automatisierbarer Prozesse erhöht diesen Effekt weiter (Shostack 1984, S. 136). Wenn die Produktion gemeinsam mit dem Kunden erfolgt, verliert der Anbieter zugleich die Möglichkeit, einen Qualitätsmangel nachzubessern, bevor dieser für den Kunden sichtbar wird. Auf der anderen Seite hat der Anbieter aber eine Chance, durch eine gut gelungene Integration komplexer Leistungen die Qualitätswahrnehmung des Kunden positiv zu beeinflussen (Kebbel 2000, S. 166 f.; Schmitz 2008, S. 674). Für Dienstleistungen existieren z. B. mit dem Modell von Brady und Cronin (2001) Ansätze, wie die Qualität einer Leistung in Teildimensionen gegliedert werden kann. Dort wird die Dienstleistungsqualität in die Dimensionen Interaktionsqualität, Umfeldqualität und Ergebnisqualität aufgeteilt und diese dann nochmals unterteilt (Brady/Cronin 2001, S. 37; Bruhn 2008, S. 54 f.). Modelle des wahrgenommenen Werts für Kundenlösungen wie das von Sawhney (2006) oder Schmitz (2008) (vgl. Kapitel 3.2.3) beinhalten keine eigenständige Qualitätskomponente. Beide Autoren heben jedoch die Bedeutung der Qualität für den durch den Kunden wahrgenommenen Wert der Lösung hervor, so dass die Qualität jeweils als Teil der Unterkomponenten anzusehen ist (Sawhney 2006, S. 376; Schmitz 2008, S. 673). Um für eine hohe Wahrnehmung des Werts durch den Kunden zu sorgen, muss der Anbieter von Kundenlösungen also deutlich mehr Aspekte berücksichtigen, die für ihn zugleich schwieriger zu messen sind. Auf der anderen Seite gewinnt aber bei Kundenlösungen die wertorientierte Bepreisung an Bedeutung (vgl. auch Kapitel 4.3.1.2), so dass die Bepreisung einer Kundenlösung deutlich schwieriger ist als die eines klassischen Produkts (Brady/Cronin 2001, S. 34; Sawhney 2006, S. 375 f.). Außerdem müssen die unterschiedlichen Qualitätswahrnehmungen berücksichtigt werden.40 4.3.1.2 Neue Herausforderungen bei der Preisfindung von Kundenlösungen Die Preispolitik ist eines der zentralen Marketing-Instrumente des Anbieters. Mit ihr kann er meist sehr schnell Absatz, Umsatz und Gewinn beeinflussen (Herrmann 2003, S. 37 m. w. N.; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 22, 478). Dabei stehen drei grundlegende Möglichkeiten zur Verfügung, einen geeigneten Preis zu finden (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 480 f., 524 ff.; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 810 ff. (mit leicht abweichenden Begrifflichkeiten)):41 x Bei der kostenorientierten Preisfindung orientiert sich der Preis an den Kosten, die für die Erbringung der Leistung notwendig sind. Dabei ist zwischen den variablen Kosten und den fixen Kosten zu unterscheiden: Während sich die erstgenannten auf die Mehrkosten für die Produktion einer zusätzlichen Leistungseinheit beziehen, sind letztgenannte für die Schaffung der Leistungsbereitschaft notwendig. Die kostenorientierte Preisfindung arbeitet dabei meist mit Gewinnzuschlägen und berücksichtigt somit nicht
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Zu einer ausführlicheren Darstellung siehe Parasuraman/Zeithaml/Berry 1985. Monroe (2003, S. 11 f.) baut diese Elemente in ein Rahmenwerk ein, in dem die kostenorientierte und die nachfrageorientierte Preisfindung den Preisrahmen bilden, in dem neben der Konkurrenz noch die Firmenziele und regulatorische Beschränkungen auf die Preisfindung einwirken.
die Frage, welcher Preis für ein Produkt auf dem Markt erzielt werden kann. Sie ist aber für die Findung einer Preisuntergrenze bzw. eines Mindestpreises von Bedeutung. x Die konkurrenzorientierte Preisfindung kommt dann zur Anwendung, wenn der Anbieter in einer Oligopolstruktur damit rechnen muss, dass seine Preissetzung nicht nur Auswirkungen auf das Nachfrageverhalten der Konsumenten hat, sondern auch auf die Preispolitik seiner Konkurrenten. Dadurch können komplexe Reaktionsketten entstehen, die auch zu Preiskämpfen führen können. Eine Form der konkurrenzorientierten Preisfindung liegt auch bei der Orientierung an einem Leitpreis eines Konkurrenten vor, wobei hier die eigene Preispolitik ausschließlich passiv als Reaktion auf die Änderung des Leitpreises erfolgt. x Die wohl wichtigste Form zur Findung des optimalen Preises ist die nachfrageorientierte Preisfindung. Bei ihr steht die Frage im Mittelpunkt, welche Auswirkungen ein Preis auf die Konsumentennachfrage hat. Durch Einsetzen in die Kostenfunktion kann ein Preis ermittelt werden, mit dem der höchste Gewinn erzielt werden kann. Dazu muss jedoch die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten bekannt oder ermittelbar sein. Diese Methoden kommen jedoch nicht immer in Reinform vor, vielmehr existieren – z. B. mit dem Target-Costing als Kombination von kosten- und nachfrageorientierter Preisfindung – auch Mischformen. Für den Anbieter von Kundenlösungen ergeben sich aber bei allen drei Ansätzen Probleme. Basis der kostenorientierten Preisfindung sind die Kosten, die zur Erstellung der Leistung aufgewandt werden müssen. Da die Leistung aber erst in Zusammenarbeit mit dem Kunden entwickelt wird, können die Preise nicht im Vorfeld veröffentlicht werden – die preisliche Positionierung des Anbieters kann also nicht durch eine Preisliste erfolgen, vielmehr muss ein Signal über Referenzprojekte oder über die Reputation des Unternehmens erfolgen (Albach 1994; Prechtl/Völker-Albert 2004, S. 37 ff.; Woratschek 1998, S. 47 f.). Ein weiteres Problem kann entstehen, wenn die Leistung einen hohen Fixkostenanteil z. B. in Form von Personalkosten hat. Hier wird der Anteil der i. d. R. entscheidungsrelevanten variablen Kosten gering und es entsteht eine größere Lücke anderweitig zu deckender Gemeinkosten (Lay 2003, S. 15 f.; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 524 ff.; Niemand 1996, S. 23; Reckenfelderbäumer 2003, S. 171). Die Nicht-Lagerbarkeit von Dienstleistungen und Kundenlösungen verstärkt diesen Effekt, da nicht benötigte Kapazitäten nicht zur Vorproduktion genutzt werden können. Schließlich hat auch der Kunde eine Auswirkung auf die Kosten, da je nach Form der Kooperation bzw. Einbringung unterschiedliche Kosten entstehen können (Lay 2003, S. 16 f.; Woratschek 1998, S. 20). Die konkurrenzorientierte Preisfindung bietet sich vor allem in einem Oligopol an (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 528). Kundenlösungen sind Unikate, für deren Erstellung teils spezifische Fachkenntnisse notwendig sind; oft liegt auch eine Ortsgebundenheit vor, da die Leistung nur am vom Kunden vorgesehenen Ort erbracht werden kann. Die Konkurrenzsituation dürfte damit eher gering sein und somit eher ein Oligopol vorliegen. Verstärkende Faktoren wie eine geringe Substituierbarkeit der Leistung, ein undurchschaubarer Markt und 53
eine hohe Präferenzen-Intensität beim Kunden können dabei dazu führen, dass der Anbieter in einem gewissen Preisbereich eine monopolistische Preispolitik ohne Reaktion der Konkurrenz betreiben und somit höhere Renditen erzielen kann (Gutenberg 1984, S. 290 ff.; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 529 f.). Einer konkurrenzorientierten Preisfindung steht jedoch entgegen, dass bei Kundenlösungen die Konkurrenz zum einen nur bedingt identifizierbar ist (vgl. auch Kapitel 4.3.4.2) und zum anderen ein direkter Preisvergleich wegen der Unterschiedlichkeit der Leistungen und der fehlenden Möglichkeit eines Zugriffs auf Preislisten nicht möglich ist. Auch die nachfrageorientierte Preisfindung stellt den Anbieter vor mehrere Probleme, denn auch hier ist die Preisfindung schwierig. So identifiziert Sawhney (2006, S. 375 f.) vier Gründe, die eine Bepreisung erschweren: x Die Preissetzung ist für wertschöpfende Dienstleistungen schwieriger als für Sachgüter. x Da die wertschöpfenden Dienste für jeden Kunden individuell angepasst werden, ist die Festsetzung eines Einheitspreises nur schwer möglich. x Kundenlösungen beinhalten meist auch eine Risikoübertragung, die bei der Preisermittlung berücksichtigt werden muss. x Kundenlösungen sind oft im Zusammenhang einer langfristigen Geschäftsbeziehung zu sehen. Bei der Bepreisung müssen somit auch langfristige Aspekte wie die Kundenbindung oder eine Änderung der Umwelt berücksichtigt werden. Somit bietet sich für Kundenlösungen eine wertorientierte Bepreisung an, die sich am Wert der Leistung aus Kundensicht orientiert. Da der Anbieter einen spezifischen Wert für den Abnehmer schafft, kann er diesen für eine hohe Rendite nutzen (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 118; Sawhney 2006, S. 370). Eine wertorientierte Bepreisung erfordert aber eine realistische Einschätzung des Werts, den die Lösung für den jeweiligen Kunden hat. Auch wenn es hier verschiedene Lösungsansätze z. B. in Form einer Gewinnaufteilung (vgl. für eine Systematisierung Sawhney 2006, S. 376 f.) gibt, ist die Bepreisung einer Kundenlösung deutlich komplexer als die einer Sachleistung und erfordert oft ein Vertrauensverhältnis zwischen Anbieter und Nachfrager. Darüber hinaus muss der Anbieter von Dienstleistungen – oder allgemeiner: von nicht vorab erbringbaren Leistungen – auch versuchen, seine Kapazitäten über den Preis zu steuern. Durch das sog. Yield-Management kann er die Nachfrage über den Preis und die Preisstruktur steuern, in dem er zu nachfrageschwachen Zeiten einen günstigeren Preis als zu nachfragestarken Zeiten anbietet (Herrmann 2003; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 521 ff.; Monroe 2003, S. 420 ff.; Woratschek 1998, S. 40 ff.). Dabei muss der Anbieter von Kundenlösungen nicht nur die Kapazitäten zur Leistungserbringung, sondern auch die Kapazitäten zur Leistungsentwicklung berücksichtigen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass für den Anbieter von Kundenlösungen die Preisfindung deutlich wichtiger wird, zugleich aber auch die Möglichkeiten dazu stark eingeschränkt werden.
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4.3.1.3 Die Problematik von Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehungen Die Arbeitsteilung ist einer der grundlegenden Prämissen unseres Wirtschaftssystems. Arbeiten werden dabei an einen Dritten delegiert, der diese Arbeiten besser durchführen kann. Die Arbeitsteilung geht mit der Teilung und dem Tausch von Verfügungsrechten einher (Göbel 2002, S. 53). Dabei entsteht jeweils eine Beziehung zwischen Auftraggeber (Prinzipal) und Auftragnehmer (Agent), in denen der Agent eine Aufgabe für den Prinzipal übernimmt und ggf. vor verschiedenen Handlungsalternativen steht (Arrow 1985, S. 37; Göbel 2002, S. 62; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 55). Bei Kundenlösungen entsteht eine Vielzahl entsprechender Beziehungen: Der Anbieter übernimmt eine Leistung für den Nachfrager; bindet der Anbieter nachgelagerte Unternehmen in den Wertschöpfungsprozess ein, so ist er hier Auftraggeber und die nachgelagerten Unternehmen Auftragnehmer. Diese Beziehungen sind nicht immer konfliktfrei. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bildet die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) – und darin insbesondere die Principal-Agent-Theorie – die Grundlage zur Erklärung der Probleme und möglicher Lösungsansätze, die bei der Zusammenarbeit mehrerer Parteien entstehen können. Dabei geht die NIÖ davon aus, dass es zwischen den Vertragspartnern Informationsasymmetrien gibt und somit Unsicherheiten z. B. in Form von Messproblemen vorliegen.42 Der Markt wird also nicht als vollkommen, sondern als teilweise intransparent angesehen (Arrow 1985, S. 37; Aufderheide/Backhaus 1995, S. 50 f.; Göbel 2002, S. 60 ff.). Die Probleme, die beim Principal-Agent-Ansatz entstehen, lassen sich in drei Kategorien aufteilen (Arrow 1985, S. 38 ff.; Göbel 2002, S. 100 ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 55 ff.; Woratschek 1998, S. 47 ff.):43 x Den Hidden characteristics, die vor Vertragsschluss auftreten. Bei diesen handelt es sich um nicht vor Vertragsschluss überprüfbare Qualitätseigenschaften (Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften), die nur einer Vertragspartei bekannt sind. Hier besteht die Gefahr, dass eine Vertragspartei diese Eigenschaften verschleiert, sofern sie sich für sie nachteilig auswirken könnten. Beispielsweise könnte ein Bauherr dem Generalunternehmer verheimlichen, dass er über die schwierige Beschaffenheit des Baugrunds Bescheid weiß. Es entsteht u. a. das Problem der Adverse Selection, bei dem sich nur die Vertragspartner für einen Vertrag entscheiden, die den größten Nutzen aus ihm ziehen können. x Der Hidden action, die nach Vertragsschluss auftritt. Hierbei handelt es sich um Aktionen des Agenten, die nicht mit den Interessen des Prinzipals vereinbar sein können, von diesem aber nicht oder nur schwer zu beobachten sind. Sie liegt z. B. vor, wenn der Auftraggeber bei zeitabhängiger Abrechnung nicht beobachten kann, ob der Auftrag42
43
In der NIÖ sind allerdings nur die Unsicherheiten relevant, bei der eine Seite einen Informationsvorsprung hat, also i. d. R. eine Verhaltensunsicherheit vorliegt. Eine Abgrenzung zwischen einem exogenen Risiko und einer Verhaltensunsicherheit ist allerdings nicht immer sauber möglich (vgl. Spremann 1990, S. 564 f.). Die Aufteilung in die Kategorien ist in der Literatur nicht ganz einheitlich und variiert je nach ausgewählten Trennungskriterien. So unterscheidet Arrow (1985, S. 38 f.) lediglich zwischen „Hidden action“ und „Hidden information“, wobei sich ersteres auf die Anstrengungen des Agenten und zweites auf Informationen bezieht, die nur dem Agenten zur Verfügung stehen. Göbel (2002, S. 100 ff.) führt zusätzlich die „Hidden information“ auf, die sich auf die fehlende Beurteilungsmöglichkeit von Handlungen bezieht.
55
nehmer die Zeit tatsächlich aufgewendet hat oder nicht. Auch die Frage, ob der Agent aus mehreren Alternativen die für den Prinzipal sinnvollste ausgewählt hat, fällt in diese Kategorie. Hier gibt es ein moralisches Risiko (moral hazard), dass sich einer der Vertragspartner opportunistisch zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des anderen Vertragspartners verhält. x Der Hidden intention, die vor oder nach Vertragsschluss auftreten kann.44 Hier liegt das Problem in den nicht beobachtbaren Absichten des Agenten. Dieser kann z. B. spezifische Investitionen des Prinzipals und eine dadurch entstehende Abhängigkeit ausnutzen (Hold up). Diese Intention des Agenten kann der Prinzipal im Vorfeld nicht beobachten. Auch umgekehrt könnte der Prinzipal spezifische Investitionen des Agenten ausnutzen, was ebenfalls nicht vorab beobachtbar ist.45 Diese Faktoren wirken negativ auf die Effizienz von Principal-Agent-Beziehungen. Dabei entstehen auf drei Ebenen sog. Agency-Kosten (Jensen/Meckling 1976, S. 308 ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 56): x Auf Seiten des Prinzipals zur Überwachung und Kontrolle der Transaktion, x auf Seiten des Agenten für Signale und Garantien sowie x auf volkswirtschaftlicher Ebene durch die Nichtausführung eigentlich sinnvoller Transaktionen. Die NIÖ nennt nun verschiedene Wege, um die entstehenden Agency-Probleme zu lösen und somit die Agency-Kosten zu senken (Göbel 2002, S. 110 ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 57 ff.; Woratschek 1998, S. 47 ff.): x Es kann eine Reduktion der Informationsasymmetrien erfolgen, in dem der Prinzipal den Agenten vor Vertragsabschluss näher untersucht (Screening), um so die Gefahr der Wahl eines falschen Agenten entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite kann auch der Agent ein Signal aussenden (Signaling), um dem Prinzipal seine guten Eigenschaften bzw. die seiner Leistung zu vermitteln. Nach Vertragsabschluss können die Informationsasymmetrien reduziert werden, indem der Prinzipal den Agenten beobachtet (Monitoring) oder der Agent von sich aus seine Tätigkeiten dokumentiert (Reporting). x Zielkonflikte können aufgelöst werden, indem anreizkompatible Verträge geschaffen werden, die die Ziele von Prinzipal und Agent angleichen. Werden dem Agenten mehrere alternative Verträge angeboten, so kann bei entsprechender Vertragskonstruktion eine Selbstauswahl (Self-selection) erreicht werden. Der Agent kann versuchen, im Vorfeld einen guten Ruf (Reputation) aufzubauen, den er als Signal seiner Leistung verwenden kann. Auch kann der Agent z. B. durch spezifische und irreversible Investitionen für die Beziehung auf seine Ausweichmöglichkeiten verzichten (Commitment) oder 44
45
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Der Ansicht von Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 59), dass Hidden intention nur nach Vertragsabschluss auftreten kann, wird mit Verweis auf das Beispiel der Ausnutzung kostenloser Beratungsleistungen nicht gefolgt. Vgl. z. B. die in Woratschek 1998, S. 49 beschriebene Ausnutzung kostenloser Beratungsleistungen bei anschließendem Kauf bei einem Billiganbieter.
sich z. B. durch ein Pfand an ein Verhalten binden (Bonding). Denkbar wäre auch, dass Vorleistungen z. B. in Form einer Beratung dem Kunden getrennt in Rechnung gestellt und ggf. mit einem späteren Kauf verrechnet werden (Woratschek 1998, S. 49 f.). x Es kann Vertrauen aufgebaut werden. Dies erfolgt i. d. R. komplementär zu den anderen Möglichkeiten und ergänzt diese somit. Die Schaffung von Vertrauen kann auf vielfältige Art und Weise erfolgen. So können Informationen z. B. in Form von Empfehlungen oder externen Prüfergebnissen das Vertrauen erhöhen. Auch kann ein positives Verhalten der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf eigene Vorteile verzichtet, ein Risiko eingegangen, auf Sicherungsmaßnahmen verzichtet und in Vorleistung gegangen wird. Somit kann Reputation und soziales Kapital aufgebaut werden. Insbesondere bei Hidden characteristics ist eine Reputation bezüglich der Ehrlichkeit besonders wichtig (Spremann 1990, S. 578; Woratschek 1998, S. 47). Eine Übersicht der Problemfelder und Lösungsmöglichkeiten gibt Abbildung 15. Informationsasymmetrie UnterscheiDungskriterien
Hidden characteristics
Hidden action
Hidden intention
Informationsproblem des Prinzipals
Qualitätseigenschaften der Leistung des Vertragspartners unbekannt
Anstrengung des Vertragspartners nicht beobachtbar bzw. nicht beurteilbar
Absichten des Vertragspartners unbekannt
Überwachungsmöglichkeit und -kosten
Ressourcenabhängigkeit
Vor Vertragsabschluss
Nach Vertragsabschluss
Vor/Nach Vertragsabschluss
Adverse selection
Moral hazard
Hold up
Problemursache oder Verbergbarkeit von Eigenschaften wesentliche Einflussgröße Verhaltensspielraum des Agenten Problem
Art der Problembewältigung
Beseitigung der Informationsasymmetrie durch Signalling/ SelfScreening Selection DifferenBilanzen, zierte Kooperationsverträge
Beispiele für die Zeugnisse, Problembewältigung Gütesiegel
Interessenangleichung
Interessenangleichung
Reduzierung der Informationsasymmetrie (Monitoring)
Interessensangleich
ReputaSicherheiten (Leistungsprämien, Ergebnisbeteilition des Planungs- und Bürgschaften, Gegengeschäfte), gung des VerVertragsKontrollsysteme vertikale Integration tragspartners partners
Abbildung 15: Problemfelder und Lösungsmöglichkeiten der Principal-Agent-Theorie (in Anlehnung an Picot/Dietl/Franck 2008, S. 77; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 59)
Der Anbieter von Kundenlösungen muss also dort, wo die Gefahr eines opportunistischen Verhaltens besteht, dieses entsprechend berücksichtigen. Bei Sachleistungen werden fertige Leistungen ausgetauscht (Austauschgüter), auf deren Eigenschaften weder Käufer noch Verkäufer nachträglich Einfluss nehmen können (Kaas 1995, S. 23; Schade/Schott 1993, S. 16 f.). Hier besteht eine geringere Gefahr von opportunistischem Verhalten nach Vertragsschluss, so dass für den Anbieter im Wesentlichen nur Hidden characteristics und – in Teilen – Hidden intentions relevant sind (Kaas 1995, S. 25 f.). Die Bedeutung des Prinzipal-Agent-Ansatzes ist 57
also für Lösungsanbieter deutlich größer als für Anbieter von Sachleistungen. Auf die spezifischen Einflüsse wird in den jeweiligen Beziehungen gesondert eingegangen. 4.3.1.4 Übersicht der stakeholderübergreifenden Auswirkungen von Kundenlösungen Es wurden in den vorhergehenden Kapiteln verschiedene Auswirkungen von Kundenlösungen dargestellt, die sich keinem Stakeholder spezifisch zuordnen lassen, sondern vielmehr für mehrere Stakeholder zutreffen können. Diese stakeholderübergreifenden Auswirkungen von Kundenlösungen sind in Tabelle 2 dargestellt. Die einzelnen Punkte werden ggf. in den Abschnitten zu den einzelnen Stakeholdern erneut aufgegriffen, sofern sie dort relevant sind. Sachleistung Produktwahrnehmung durch den Kunden Anteil an Erfahrungsund Vertrauenseigenschaften Fokus des Kunden Bedeutung des Umfelds Qualitätsbegriff des Kunden Nachbesserung von Qualitätsmängeln Variabilität der Qualität durch menschliche Einflussfaktoren Ermittlung der Produktionskosten Möglichkeit von Preislisten Anteil an Gemeinkosten Vergleichbarkeit mit Konkurrenz Zielgruppe Individuelle Bepreisung Risikoübertragung Bedeutung YieldManagement Gefahr Hidden characteristics Gefahr Hidden actions Gefahr Hidden intentions
Auftragsleistung Nur eingeschränkt vor Kauf möglich
Vor Kauf möglich niedrig
Dienstleistung
mittel Produkt gering
Kundenlösung
Vor dem Kauf nicht möglich hoch Prozess
vor Übergabe an Kunden möglich
nur teilweise produktbezogen meist nur unter Wahrnehmung des Kunden möglich
gerig teilweise
gering
1
mittel
3
teilweise
eingeschränkt
1,3
eingeschränkt
Individueller Markt möglich ja
1,3 1,3 2,3
hoch
1,2
meist Massenmarkt eingeschränkt nein gering
mittel
Für Anbieter: gering; Für Kunden: mittel
1
eingeschränkt hoch
gegeben
2,3
1,2 eingeschränkt
möglich
2,3 2,3
teilweise vor Übergabe an Kunden möglich
höher
möglich
1 1
Produkt und Prozess hoch
im wesentlichen produktbezogen
Felder
hoch mittel
1
nein
gering
mittel
hoch
1,2
gering
gering
mittel
hoch
1,2
Tabelle 2: Stakeholderübergreifende Auswirkungen von Kundenlösungen
4.3.2 Dynamische Interaktion statt festgelegter Schnittstellen – Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kundenbeziehung Der in Kapitel 4.2.3 vorgestellte Phasenablauf macht deutlich, dass der Kunde bei der Erstellung einer Kundenlösung von Anfang an beteiligt ist. Die Kundeneinbindung ist somit deutlich intensiver als bei einer klassischen Sachleistung. Entsprechend groß sind auch die zu erwartenden Auswirkungen auf die Interaktion zwischen Anbieter und Kunde. Dabei kann der Kunde bei Dienstleistungen – und damit wohl auch bei Kundenlösungen – eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen (vgl. für eine Übersicht z. B. Reckenfelderbäumer 2009, S. 220 ff.). Bei der Darstellung der Auswirkungen erfolgt eine Orientierung an den Phasen der Markttransaktion (vgl. Kapitel 4.2.1). Somit können die Informationsphase (Kapitel 4.3.2.1), die Vereinbarungsphase (Kapitel 4.3.2.2), die Abwicklungsphase (Kapitel 4.3.2.3) und die AfterSales-Phase (Kapitel 4.3.2.4) getrennt voneinander betrachtet werden. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der wesentlichen Auswirkungen auf die Kundenbeziehung (Kapitel 4.3.2.5). 58
4.3.2.1 Signale und Vertrauen in der Informationsphase In der Informationsphase verschafft sich der Kunde einen Überblick über die am Markt angebotenen Produkte, ihre Spezifikationen und Konditionen. Der Anbieter unterstützt diesen Prozess durch Informationen über sich selbst und über seine Angebote (Scheer/Loos 2002, S. 141; Schmid 1993, S. 467). Bei Sachleistungen hat der Kunde in der Regel eine genaue Vorstellung, welche Produktkategorie sein Bedürfnis befriedigt. Der Anbieter auf der anderen Seite kann dem Kunden ein Angebot in Form eines fertigen Produkts unterbreiten oder – vor allem bei Auftragsleistungen – zumindest ein Referenzprodukt bereitstellen. Durch Werbung kann er Nachfrage beim Kunden generieren und dabei das Produkt selbst z. B. durch Abbildungen oder Proben bewerben. Bei Dienstleistungen hingegen kann der Anbieter kein fertiges Produkt bewerben. Er muss den Kunden von seiner Leistungsfähigkeit und von seinem Leistungswillen überzeugen (Kaas 1992, S. 894, 896; Schade/Schott 1993, S. 18). In der Werbung kann er nicht direkt auf das Produkt zurückgreifen, sondern nur auf Assoziationen, da der Leistungserbringungsprozess selbst nicht darstellbar ist (Meffert/Bruhn 2009, S. 280 ff.). Es ergibt sich somit ein verändertes Informationsverhalten des Nachfragers, das mit einem ausführlicheren Informationsbeschaffungsprozess, einer höheren Präferenz für persönliche Informationen, der besonderen Bedeutung von Anbietern unabhängiger Informationen, einer vergleichsweise geringen Bedeutung von Beobachtungen oder Tests und einem höheren Verlass auf interne Informationsquellen wie Erfahrung oder Wissen sowie einer stärkeren Einbeziehung der wenigen Sucheigenschaften (Preis, sichtbare Potentiale, Image etc.) einhergeht (Meyer/Brudler 2009, S. 1123 m. w. N.; Murray 1991). Auch der Anbieter von Kundenlösungen steht vor diesem Problem, wobei die materiellen Komponenten eine Visualisierung des Produkts vereinfachen könnten. Der Anbieter von Kundenlösungen hat aber noch ein viel weitergehendes Problem: Da die Produktentwicklung selbst in Interaktion mit dem Kunden geschieht, hat er wie bei Dienstleistungen kein fertiges Produkt, das er bewerben könnte (Schmitz 2008, S. 672). Er kann auch keinen Preis für seine Leistung nennen, da dieser erst nach der Produktentwicklung feststeht. Auf Kundenseite selbst wird meist auch kein konkretes Bild der Leistung und vor allem der Leistungskomponenten vorhanden sein, da Kundenlösungen vor allem dann für den Kunden interessant sind, wenn er das für die Integration der Einzelleistungen notwendige Fachwissen nicht selbst besitzt (Schmitz 2008, S. 674). Der Anbieter hat also die Kompetenz zur Erstellung eines Produkts, die sich deutlich schwieriger visualisieren lässt. Teilweise muss er beim Kunden auch erst ein Bewusstsein generieren, dass er die Leistung in ihrer Gesamtheit besser erbringen kann als der Kunde selbst oder ein anderer Anbieter (Davies 2004; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003). Er wird also meist aktiv auf den Kunden zugehen müssen, um ihn von seiner Leistungsfähigkeit überzeugen zu können. Interessant ist auch, wie der Kunde zu der Entscheidung kommt, dass ein Anbieter der Richtige für ihn ist. Bei Sachleistungen kann der Kunde oft auf Sucheigenschaften zurückgreifen und sich dabei vor allem auf die meist objektiv ermittelbaren produktbezogenen Qualitätsei59
genschaften stützen. Bei Dienstleistungen und Kundenlösungen fehlen diese Eigenschaften meist bzw. existieren nur für die materiellen Bestandteile der Leistung. Zum anderen fehlt mangels konkreter Leistung und Preis auch die Vergleichsmöglichkeit zwischen verschiedenen Anbietern: Der Kunde kann vor Kontakt mit dem Anbieter nicht abschließend sagen, ob ihm die Leistung eines Anbieters besser gefällt als die eines anderen oder welcher der Anbieter günstiger ist. Der Kunde ist somit auf andere Faktoren angewiesen, um eine Entscheidung über den geeignetsten Anbieter zu treffen. Ein Teil dieser Faktoren werden dabei die Faktoren des Umfelds sein, die bei Dienstleistungen und Kundenlösungen an Bedeutung gewinnen (vgl. Kapitel 4.3.1.1), die sich aber auch nur in Teilen im Vorfeld identifizieren lassen. Der Kunde kann also im Vorfeld nur sehr begrenzt auf objektive Faktoren zurückgreifen und muss sich somit auf Erwartungen über die Leistung des Anbieters stützen. Dabei kann der Anbieter z. B. Garantien als Hilfsmittel einsetzen (Hogreve/Sichtmann 2009; Prechtl/Völker-Albert 2004, S. 29 ff.; Voeth/Niederauer/Rentner 2010; Wienen/Sichtmann 2008, S. 35). Ein wichtiger Punkt für die Bildung dieser Erwartung sind Erfahrungen bei vorhergehenden Interaktionen mit dem Anbieter (Grönroos 1984, S. 36 f.; Meffert/Bruhn 2009, S. 91 ff.). Diese Erfahrungen müssen nicht zwangsweise selbst gemacht werden, vielmehr können diese auch über Mundpropaganda weitergegeben werden: Erfahrungen von Freunden, Bekannten46 und andere Erfahrungsberichte z. B. in Internetforen können einen wichtigen Beitrag zur Erwartungsbildung leisten (Bansal/Voyer 2000; Helm 2008, S. 137; Horbel/Woratschek 2009; Meffert/Bruhn 2009, S. 102). Somit wird das Image bzw. die Reputation des Anbieters zu einem Differenzierungsmerkmal vom Wettbewerb und zu einem wichtigen Erfolgsfaktor (Davies 2004, S. 739; Grönroos 1984, S. 39 f.; Kaas 1992, S. 894 ff.; Meffert/Bruhn 2009, S. 93 ff.; Schmitz 2004, S. 17; Schmitz 2008, S. 675; Woratschek/Roth/Schafmeister 2007, S. 35). Demnach hat das Verhalten des Anbieters in der Vergangenheit bei Kundenlösungen deutlich größere Auswirkungen auf sein Image und damit auf die Erwartungsbildung der Kunden. Des Weiteren ändert sich die Bedeutung von Signalen. Der Preis kann bei Kundenlösungen nicht mehr als Signal für eine – evtl. vermeintliche – Produktqualität fungieren (Woratschek 1998, S. 45 f.). Dafür rücken andere Signale in den Vordergrund. Der Anbieter muss, wie bei Dienstleistungen, seine Leistungsfähigkeit und seinen Leistungswillen signalisieren. Dabei ist die Signalisierung des Leistungswillens für den Anbieter schwieriger, da dieser für den Kunden vor der Leistungserstellung nicht prüfbar ist (Kaas 2001, S. 112 ff.; Kaas 1992, S. 894, 896; Schade/Schott 1993, S. 20 ff.). Auch bezüglich der Qualität können – z. B. über das Umfeld – Signale ausgesandt werden, die der Kunde dann als Basis für seine Kaufentscheidung, aber auch für die Bewertung der tatsächlichen Leistung heranziehen kann. Gerade Leistungen, die der Kunde nicht erwartet und ein freundliches und Interesse zeigendes Auftreten haben eine positive Auswirkung auf die Leistungswahrnehmung (Bouncken 2001, S. 213; Bruhn 2000, S. 31 ff.; Grönroos 1984, S. 37 ff.; Kaas 1995, S. 34; Wienen/Sichtmann 2008, S. 21). Ein weiteres Problem für den Anbieter ist, dass er noch kein fertiges Leistungskonzept hat, 46
60
In der Literatur wird hier vor allem auf die persönlichen Beziehungen (Freunde, Bekannte, …) verwiesen. Im gewerblichen Bereich (B2B) werden hier auch Erfahrungsberichte von Kollegen z. B. in Gremien etc. eine Rolle spielen.
das die Basis für einen Vertrag bilden könnte. Dazu sind bei ihm und beim Kunden zuerst spezifische Investitionen notwendig, die für ein opportunistisches Verhalten genutzt werden könnten. Auch hier sind Maßnahmen notwendig, die beiden Teilnehmern Sicherheit geben und für das notwendige Vertrauen sorgen (Kaas 1995, S. 23 f.; Kaas 1992, S. 894, 894 ff.; Luhmann 2000, S. 30 f.). Hier können entsprechende Signale wie die Einbindung sachverständiger Dritter, Qualitätssiegel oder Garantien und Selbstbindungen z. B. über den Materialeinsatz, das Engagement, mögliche Vertragsstrafen oder Kontrollmöglichkeiten für den Prinzipal zum Einsatz kommen. Auch entsprechende Anreizstrukturen sind für beide Seiten wichtig; so können z. B. die Beratungs- und Entwicklungsleistungen getrennt bepreist oder von der späteren Abnahme der Gesamtleistung abhängig gemacht werden (Kaas 1992, S. 893 f. ; Schade/Schott 1993, S. 18; Scheer/Loos 2002, S. 16 ff.; Woratschek 1998, S. 49 f.). Basis für die Produktwerbung Preisfestlegung Leistungsbild auf Kundenseite Aktiver Verkauf notwendig Vergleichbarkeit der Anbieter aus Kundensicht Bedeutung des Leistungsumfelds Bedeutung des Images/der Reputation Bedeutung von Signalen zur Qualität, Leistungsbereitschaft, … Bedeutung von Tests/Beobachtungen Bedarf an persönlicher Information
Sachleistung
Auftragsleistung
Dienstleistung
Fertiges Produkt
Referenzprodukt
Assoziationen
vor Absatz vorhanden
Felder
meist vor Absatz
Kundenlösung Referenzkonzept und Assoziationen während/nach Absatz
teilweise vorhanden
oft nicht vorhanden
1,2
nein hoch
mittel
gering mittel-hoch
gering
mittel
hoch meist gering
oft
2,3
gering
1,2,3
hoch
mittel
2,3 hoch
1,3
hoch
1,2,3
hoch
1,2,3
geringer höher
1,2 1,2
1
Tabelle 3: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Informationsphase
Der Anbieter von Kundenlösungen kann also in der Informationsphase seine Leistung deutlich schwieriger visualisieren. Er muss demnach seine Leistungsfähigkeit aktiv vermarkten und auf den potentiellen Kunden zugehen. Dabei muss er vor allem berücksichtigen, dass der Kunde die Anbieterwahl nicht auf Basis eines Produkts treffen kann, sondern auf Basis eher weicher Faktoren wie Erwartungen oder Vermutungen über die Leistung oder das Image und der Reputation des Anbieters. Er muss dabei sehr früh dafür Sorge tragen, dass er zum einen dem Kunden die Sicherheit gibt, dass er in ihm einen verlässlichen Partner hat, auf der anderen Seite aber auch selbst dafür Sorge tragen, dass er vom Kunden nicht ausgenutzt wird. Ohne konkrete Gespräche, in denen Anbieter und Kunden über mögliche Realisierungsformen sprechen, wird es dem Kunden aber an einer Entscheidungsgrundlage für die Anbieterwahl fehlen; Informations- und Vereinbarungsphase greifen ineinander ein. Die Auswirkungen sind in Tabelle 3 zusammengefasst. 4.3.2.2 Beginn der Leistungserbringung in der Vereinbarungsphase In der Vereinbarungsphase nehmen der Anbieter und der Nachfrager die Spezifikation der Leistung und der Gegenleistung vor – letztere meist in Form des Preises (Voigt/Landwehr/ Zech 2003, S. 64). Die Diskussion über die Vertragsdetails hat das Ziel, eine Übereinkunft zu treffen und diese im Erfolgsfall durch einen Vertrag zu dokumentieren (Schoop 2003, S. 17). 61
Es werden also Vertragsbestandteile besprochen, mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Während bei Sach- und Dienstleistungen das Leistungsangebot des Anbieters zu diesem Zeitpunkt meist feststeht, ist dies bei Kundenlösungen nicht der Fall. Anbieter und Kunde müssen hier erst eine Leistung entwerfen, die Leistungszusammenstellung ist individuell. Der Kunde muss seine Vorstellungen dem Anbieter offenlegen, der Anbieter muss diese Anforderungen erfassen. Je nach Leistung muss der Anbieter dabei eine genaue Kenntnis über die Abläufe beim Kunden generieren, in die seine Lösung eingebettet werden soll (Jacob 2006, S. 46; Sawhney 2006, S. 366, 369; Schmitz 2008, S. 670 f. m. w. N., 674; Wienen/Sichtmann 2008, S. 11 f., 17, 33). Dabei ist der Aufbau von Wissen über die Kundenwünsche und -anforderungen von zentraler Bedeutung. Hierbei ist zwischen expliziertem (vom Kunden geäußertes) und implizitem (Deutung des Kundenverhaltens oder sonstiger Indikatoren) Wissen zu unterscheiden. Beide Wissensformen sind für den Erfolg der Dienstleistung von großer Bedeutung. Das Kundenkontaktpersonal kann dabei durch Einfühlungsvermögen und das Zeigen von Interesse den Wissensaufbau deutlich vereinfachen und zugleich den Effektivitätsnutzen der Leistung positiv beeinflussen (Bouncken 2001, S. 210, 212 ff.; Schmitz 2008, S. 674; Schmitz 2004, S. 17; Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 10 f.). Darüber hinaus muss der Anbieter auch einen Teil seiner Fachkenntnisse einbringen, mit denen er später die Lösung erstellen will (Jacob 2006, S. 46 ff.; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 121; Sawhney 2006, S. 368; Schmitz 2008, S. 674). Mit aus diesen Gründen ist für den Anbieter die Vereinbarungsphase mit höheren Aufwendungen und einer längerer Dauer als bei Sach- oder Dienstleistungen verbunden (Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 120). Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass der Kunde bei einer Kundenlösung die Lösung erwartet, die am besten auf seine Bedürfnisse passt. Er erwartet also auch, dass Leistungen integriert werden, die nicht vom Anbieter selbst stammen oder mit denen der Anbieter wenig Erfahrung hat (Davies 2004, S. 738; Day 2006, S. 44 f.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 15 f.). Ein „machen wir nicht“ ist für ihn wohl in den seltensten Fällen akzeptabel. Ergebnis dieses Prozesses ist ein Lösungskonzept, das die Basis für die Leistung bildet. In dieses Lösungskonzept ist Fachwissen und Aufwand des Anbieters eingeflossen, ohne dass es zum Vertragsabschluss gekommen sein muss. Der Anbieter hat also ein Interesse daran, so viel von dem Konzept an den Kunden weiterzugeben, dass dessen Bedarf an diesem geweckt wird; auf der anderen Seite möchte er aber auch so wenig wie möglich der Lösung vorab an den Kunden geben, da diese bereits einen Wert für den Kunden generiert. Auf der anderen Seite steht die Frage des Preises. Bei Kundenlösungen bietet sich vor allem die wertorientierte Preisfindung an (siehe Kapitel 4.3.1.2). Allerdings ist es wohl kein gutes Signal in Richtung des Kunden, wenn dieser den Eindruck hat, dass der Anbieter einen möglichst hohen Profit mit ihm machen möchte (siehe zu entsprechenden Verhandlungszielen Voeth/Herbst 2009, S. 109 ff., 132 ff. m. w. N.). Die Preisfindung muss daher mit Augenmaß erfolgen, wobei Lösungen wie das sog. Gain-Sharing zugleich für einen Interessenausgleich sorgen können (Sawhney 2006, S. 377). Sind solche Modelle nicht möglich oder nicht sinnvoll, so stellt sich die Frage, ob zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses überhaupt ein genauer Endpreis genannt werden kann. Denn Kundenlösungen beinhalten auch oft eine Übertragung von Risiken, die bei der Preisfestsetzung berücksichtigt werden müssen (Day 2006, S. 43 m. w. N.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 25 f., 33 m. w. N.). Außerdem ist die Leistung oft nicht 62
vollständig spezifiziert bzw. kann dies nicht sein. Auch können im Laufe des Erstellungsprozesses Änderungswünsche sowohl auf Anbieter- als auch auf Kundenseite aufkommen, die auch berücksichtigt werden müssen (Wienen/Sichtmann 2008, S. 35). Hier kommen wiederum Aspekte des Principal-Agent-Ansatzes zum Tragen: Der Anbieter kann die Strategie verfolgen, die Kernleistung selbst günstig anzubieten und anschließend für Änderungen – die er durch sein Fachwissen ggf. schon absehen kann – höhere Preise zu verlangen. Dies funktioniert, da für den Kunden der Vertragsausstieg oft keine sinnvolle Alternative ist – der langfristige Nutzen dieser Strategie kann aber im Bereich von Kundenlösungen bezweifelt werden (Atiyah 1979, S. 714; Wienen/Sichtmann 2008, S. 20 f.; Williamson 1985, S. 70 f.). Es ergibt sich somit das Problem, dass der Vertrag zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vollständig sein kann – zum einen, da die Leistung noch nicht in allen Einzelheiten spezifiziert werden kann, zum anderen weil auch vorhandene Risiken und Unsicherheiten nicht vollständig erfasst werden können. Damit ist ein klassischer Vertrag, der die Pflichten und Rechte aller beteiligten Partner weitestgehend regelt, nicht möglich. Der Vertrag ist somit zwangsläufig unvollständig, da eine vollständige Regelung des Vertragsgegenstands nicht möglich ist. Er muss stattdessen auf Annahmen, Versprechen und Vermutungen basieren und flexible Reaktionen auf geänderte Umweltzustände zulassen (Kaas 1995, S. 24, 27, 31; Macneil 1978, S. 856 ff.; Williamson 1985, S. 68 ff.). Dieser von Macneil (1978, S. 886 ff.) als relational contract bezeichneter Vertragstyp regelt stärker die Beziehungen zwischen den Partnern, lässt aber Platz für unterschiedliche Interpretationen des Vertragsgegenstands (vgl. auch Kaas 1995, S. 34; Sydow/Windeler 2000, S. 14 f.; Williamson 1985, S. 71 f.). Dabei sind Beziehungen modernen Typs nach Macneil (1980, S. 12 ff.) u. a. durch einen hohen Anteil nichtmessbarer Faktoren, einer eingeschränkten Planbarkeit bezüglich der Zukunft, einer Fortsetzung der Planung nach Vertragsschluss, einer Teilung der resultierenden Lasten und Nutzen sowie wechselnden Machtverhältnissen gekennzeichnet. Auch dürfen diese Verträge nie ohne den gesellschaftlichen Hintergrund betrachtet werden, vor dem sie stehen (Macneil 1980, S. 90 ff., 101; Macneil 1978, S. 880 ff.; 898; vgl. auch Hermesch 2002, S. 19). Daher werden diese Beziehungen und die dahinterstehenden Erwartungen auch als social contract oder spirit of the deal bezeichnet (Fortgang/Lax/Sebenius 2003; Macneil 1980). Die geänderte Vertragsform hat auch Auswirkungen auf die Verhandlung zwischen Anbieter und Kunde. Bei klassischen Sachleistungen in einem Verkäufermarkt (Helm 2006, S. 255; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 6) gibt es für den Kunden ein Angebot, dass er annehmen oder ablehnen kann. Mit dem Wandel zum Käufermarkt und der steigenden Produktvielfalt kann der Verhandlungsprozess komplexer werden. Es gibt neben dem Preis eine zunehmende Zahl von Parametern, über die verhandelt werden kann: Variationen des Produkts, Lieferkonditionen, Nebenleistungen etc. Der Kunde kann die entstehenden Leistungsvarianten priorisieren und ihnen eine Zahlungsbereitschaft zuordnen. Durch eine Verhandlung mit dem Anbieter und einen argumentativen Austausch (Aakhus 2001) kann er versuchen, eine möglichst hohe Rendite zu erreichen. Der Anbieter wird das Gleiche tun, bis sich im Idealfall ein Ergebnis ergibt, bei dem sich kein Teilnehmer mehr besser stellen kann, ohne dass der andere sich verschlechtert (Pareto-Optimum) (Varian 2006, S. 568 ff.). Dieses Ergebnis wird in aller Regel zwischen den variablen Kosten des Anbieters und der (maximalen) Zahlungsbereitschaft des Kunden liegen. Bei dieser Verhandlung können Verhandlungsunterstützungssyste63
me die Verhandlung der Akteure und deren Entscheidungsfindung unterstützen (Schoop 2005; Schoop/Köhne/Staskiewicz 2004; Weigand et al. 2003). Bei Kundenlösungen ist die Zahl der Parameter nahezu unbegrenzt und oft auch unbestimmt. Der Kunde kann seine Zahlungsbereitschaft nur schwer einschätzen – vor allem, da sie von einer im Vorfeld nicht prüfbaren Qualität abhängig ist (vgl. Kapitel 4.3.1.1 und 4.3.1.2). Der Anbieter kann die genauen Kosten der Leistung wegen der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren ebenfalls nicht abschließend abschätzen (vgl. Kapitel 4.3.1.2). Die Verhandlungen – und damit auch die Ansatzpunkte für Verhandlungsunterstützungssysteme – werden also deutlich komplexer und an Unsicherheitsfaktoren reicher. Der Anbieter muss erst gemeinsam mit dem Kunden die Leistung entwickeln und sich dabei mit dem Kundenproblem vertraut machen. Ein wesentlicher Teil seiner Leistung wird schon in dieser Planungsphase erbracht. Engagement, Auftreten und Qualifikation der Mitarbeiter in dieser Phase sind wichtige Faktoren, die über den Erfolg oder Nichterfolg der Leistung entscheiden können und müssen daher entsprechend berücksichtig werden. Im Ergebnis entsteht aber kein vollständiger Vertrag, sondern ein Vertrag, der im weiteren Verlauf noch angepasst werden muss. Die Verhandlung zwischen Anbieter und Nachfrager wird also komplexer, zumal die Zahlungsbereitschaft bzw. die Kosten nur teilweise bekannt sind. Die Vereinbarungsphase geht also sowohl fließend aus der Informationsphase hervor als auch in die Abwicklungsphase über. Die Auswirkungen in dieser Phase sind in Tabelle 4 zusammengefasst. Sachleistung Leistungsangebot des Anbieters in der Vereinbarungsphase Aufnahme der Kundenanforderungen Austausch zwischen Kunde und Anbieter in der Vereinbarungsphase Bedeutung des Auftretens in der Vereinbarungsphase Aufwendungen des Anbieters in der Vereinbarungsphase Bedeutung von Fremdleistungen Flüchtige Investitionen des Anbieters Sensibles Vorgehen bei der Preisfestsetzung Endpreis bei Vertragsabschluss bekannt Risikoübernahme durch Anbieter Spezifizierung der Leistung bei Vertragsabschluss Vertragstyp Verhandlungsparameter
Auftragsleistung steht fest nicht erforderlich
Kundenlösung
Felder
Wird erst in Vereinbarungsphase erstellt
1,2
teilweise erforderlich
erforderlich
1,2
nicht erforderlich
erforderlich
1,2,3
eher gering
hoch
1,2,3
gering
hoch
1,2,3
gering
hoch
2,3
gering
hoch
1,2,3
eher nicht relevant
relevant
3
ja
meistens
oft nicht
1,2
gering
eher gering
eher hoch
2,3
hoch
mittel - hoch
mittel
1,2,3
fallabhängig
eher offener, beziehungsorienterter Vertrag
1,2,3
fallabhängig
komplette Leistung
für den Kunden meist leicht ermittelbar teilweise bekannt
für den Kunden schwerer ermittelbar nur teilweise bekannt
klassischer (vollständiger) Vertrag Anzahl, Preis und Nebenabreden
Dienstleistung steht weitestgehend fest
Anzahl, Preis, Varianten und Nebenabreden
Zahlungsbereitschaft
für den Kunden leicht ermittelbar
Kosten der Leistung
bekannt
Tabelle 4: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Vereinbarungsphase
64
1,2 1,2,3 1
4.3.2.3 Komplexere Leistungsbeziehungen im Rahmen der Abwicklung Bei Sachleistungen besteht die Abwicklung im Wesentlichen aus dem Austausch von Leistung und Gegenleistung: Der Kunde zahlt für das Produkt und erhält es dafür ausgehändigt. Oft übernimmt diese Aufgabe nicht der Hersteller selbst, sondern ein zwischengeschalteter Händler. Zwar kann der Hersteller durch Einflussnahme auf die Warenpräsentation und das Verpackungsdesign auf diesen Prozess teilweise Einfluss nehmen – aber für ihn ist die Abwicklungsphase vor allem ein reiner Leistungsaustausch. Beim Dienstleister und beim Anbieter von Kundenlösungen ist die Situation anders. Denn hier geht die Abwicklungsphase mit der Produktion der Leistung einher. Dabei gibt es Teile der Leistung, die nur zusammen mit dem Kunden erbracht werden können; solche, die für den Kunden sichtbar sind, und solche, die für den Kunden nicht sichtbar sind. Darüber hinaus kann es auch Leistungen geben, die der Kunde selbst erbringen muss oder möchte. Bei Kundenlösungen werden diese Grenzen deutlich fließender sein als bei Dienstleistungen, da hier mehr auf die individuellen Kundenwünsche eingegangen wird. Der Kunde wird somit zum Co-Produzenten, muss aktiv in den Wertschöpfungsprozess mit eingebunden werden und hat somit einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Leistung (Grün/Brunner 2002, S. 19 ff., 31 f.; Lehmann 1998a, S. 832 f.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 17 m. w. N.; Windahl/ Lakemond 2006, S. 809). Die laufende Interaktion mit dem Kunden bedeutet für den Anbieter einige Änderungen. Der Kunde nimmt einen Teil des Prozesses direkt wahr. Diese für ihn sichtbaren Aktivitäten oberhalb der Line-of-Visibility (Kleinaltenkamp 1996, S. 17 ff.; Lovelock/Wirtz 2007, S. 233 ff.; Scheuch 2002, S. 8, 128 f.; Shostack 1984, S. 134 f.) zieht er in die Bewertung der Leistung mit ein. Somit wird das Auftreten aller an der Leistungserstellung Beteiligten relevant. Daher muss der Anbieter von Kundenlösungen andere Anforderungen an die Qualifikation und das Auftreten seiner Mitarbeiter stellen (Dickhardt/Dickhardt/Jung Erec 2005; Jung Erceg 2005; Lehmann 1998a, S. 835; Schaller et al. 2004, S. 134 f. m. w. N., 144 f.). Auch steht der Anbieter ggf. unter ständiger Kontrolle des Kunden. Fehler können direkt vom Kunden bemerkt werden, der Umgang mit Fehlern und das Beschwerdemanagement gewinnen an Bedeutung (Hochreither 2005, S. 18, 27 ff., 47 f.; Nagl/Rath 2005; Spath et al. 2006, S. 63 ff.; Wimmer/Roleff 2001, S. 319 f.). Dies kann sogar so weit gehen, dass der Kunde Teile der eigentlich innerbetrieblichen Führungsfunktionen übernimmt (Gouthier/Schmid 2001, S. 226; Lehmann 1998b, S. 35 ff.). Die direkte Kommunikation mit dem Kunden kann zugleich zur Äußerung von Änderungswünschen führen, zumal dann, wenn die individuelle Anpassung ein wesentlicher Bestandteil der Leistung ist (Dickhardt et al. 2004, S. 136, 139; Scheutzow 2008; Schmitz/Modlich 2008 o. S.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 15 m. w. N.). All diese Änderungen beinhalten Gefahren, sind aber zugleich auch eine Chance für den Anbieter. Denn ein entsprechendes Auftreten der Mitarbeiter kann die Wahrnehmung der Leistung positiv beeinflussen; ggf. kann der Anbieter auch versuchen, Leistungen bewusst für den Kunden sichtbar zu machen, damit er diese wahrnimmt. Die Kontrollmöglichkeit für den Kunden kann Unsicherheiten beseitigen und das Vertrauen fördern. Der Umgang mit Fehlern kann auch als Signal für den Kunden dienen, dass sich der Anbieter für eine hohe Qualität einsetzt. Es wird meist vom Kunden akzeptiert, dass Fehler vorkommen, wenn entsprechend mit ihnen umge65
gangen wird (Nagl/Rath 2005; Stauss/Seidel 2007, S. 16, 33; Wimmer/Roleff 2001, S. 324 f.). Der Umgang mit Änderungswünschen kann zu einer positiven Wahrnehmung auf Seiten des Kunden führen, wenn er das Gefühl erhält, dass seine Wünsche angenommen und problemlos umgesetzt werden. Auf der anderen Seite kann auch die Bereitschaft des Kunden steigen, Abweichungen zu Gunsten des Anbieters zuzulassen. Der bei Kundenlösungen eher offene Vertrag und die Möglichkeit von Änderungen während der Leistungsausführung können zugleich Auswirkungen auf die Rechnungsstellung haben. Übernimmt der Anbieter nicht die kompletten Risiken in Form eines Festpreisvertrags (Kropik 2007; Lanik 2000, S. 43; Steimle 2007, S. 40 ff.), so muss er ggf. seine Aufwände und die der beteiligten Lieferanten gegenüber dem Kunden rechtfertigen. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage, wie mit der Rechnungsstellung der durch Änderungswünsche entstandenen Mehr- oder Minderaufwendungen umgegangen werden soll (vgl. Kapitel 4.3.2.2). Die Rechnung wird somit zu einem Gestaltungsparameter, der vom Kunden sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen werden kann (Aholt 2008, S. 11 ff., 21 ff.). Für den Anbieter ergibt sich noch eine weitere Herausforderung. Seine Leistung besteht aus der Summe der Teilleistungen und der Integrationsleistung. Gerade bei komplexen Leistungen und vor dem Hintergrund der Spezialisierung auf Kernkompetenzen (vgl. Kapitel 2.3.4) wird er die Teilleistungen nicht oder nur vereinzelt selbst erbringen können und sich auf die Entwicklung und Integration als seine Kernkompetenz konzentrieren (Schmitz/Modlich 2008 o. S.; Windahl/Lakemond 2006). Er ist also darauf angewiesen, Leistungen fremder Unternehmen mit in seine Leistung einzubinden. Die Einbeziehung fremder Leistungen selbst ist allerdings keine Besonderheit: Auch ein Sachleister bezieht fremde Leistungen mit in die Wertschöpfung ein: Er bezieht Leistungen vorgelagerter Anbieter und nutzt in der Regel den Handel als nachgelagerte Wertschöpfungsstufe für den Absatz seiner Leistung. Die Leistungen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen sind jedoch für ihn meist kontrollierbar, bevor er seine Leistung an den Kunden absetzt.47 Auch auf der nachgelagerten Wertschöpfungsstufe sind die Leistungen über Anreizsysteme wie Provisionen kontrollierbar und haben sich in den letzten Jahren oft im Rahmen des Trade-Marketings zu Partnerschaften fortentwickelt (Irrgang 1991; Theis 2007, S. 94 ff.; Zentes 1989). Beim Angebot von Dienstleistungen entsteht aber eine neue Herausforderung, wenn die Leistung Dritter direkt in Interaktion mit dem Kunden erbracht wird oder diese für die Leistung des Anbieters Voraussetzung sind. So ist ein Anbieter im Bereich Web-Hosting von der Leistung des Internet-Carriers abhängig und der Anbieter einer Pauschalreise wird auch an der Leistung des Hotels gemessen. Der Anbieter übernimmt also die Verantwortung für die Leistung des Dritten. Der Erfolg seiner Leistung ist von der Leistung des anderen Anbieters abhängig und er kann diese Leistung nicht oder nur eingeschränkt kontrollieren. Dabei sind auch hier die zahlreichen Faktoren des Umfelds zu berücksichtigen, die bei der Qualitätswahrnehmung von Dienstleistungen relevant sind (vgl. Kapitel 4.3.1.1). Somit wird die Auswahl der an der Leistungserstellung involvierten Dritten deutlich wichtiger und die Kontrolle und Si47
66
Allerdings gibt es auch hier die Möglichkeit versteckter Mängel, wie zahlreiche Beispiele von Rückrufen wegen fehlerhafter Komponenten von Zulieferern zeigen.
cherstellung ihrer Leistungsqualität gewinnt an Bedeutung. Bei Kundenlösungen wird die Abhängigkeit meist noch größer sein, da die Leistungen stärker ineinandergreifen. Einzelne Störungen bergen hier nicht nur die Gefahr, Auswirkungen auf die für den Kunden zentrale Integrationsleistung zu haben, sondern können sich auch auf andere an der Leistungserstellung Beteiligte auswirken. Durch die komplexeren Beziehungen zu den Fremdanbietern entsteht zugleich eine größere Gefahr opportunistischen Verhaltens. So könnte ein Fremdanbieter z. B. versuchen, den Kontakt zum Kunden zu intensivieren, um künftige Folge- oder Anschlussaufträge direkt vom Kunden zu bekommen (vgl. zur grundlegenden Problematik Woratschek 1998, S. 50). Die Interaktion anderer Unternehmen mit dem Kunden bedeutet zugleich, dass diese auch Informationen des Kunden aufnehmen. Geht es darum, die Kundenwünsche und –anforderungen möglichst vollständig zu erfassen (vgl. Kapitel 4.3.2.2), so ist auch ein Informationsrückfluss von den an der Leistungserstellung beteiligten Unternehmen hin zum Anbieter erforderlich. Auf der anderen Seite muss auch der Informationsfluss in die andere Richtung funktionieren, damit die anderen Unternehmen die Wünsche des Kunden bei ihrer Leistungserstellung berücksichtigen können. Sachleistung Direkte Interaktion bei Leistungsabwicklung Eigenleistung des Kunden Prozesswahrnehmung des Kunden Auftreten der Mitarbeiter relevant Umgang mit Fehlern bei der Leistungserbringung Änderungswünsche während der Erbringung Erklärungsbedarf der Leistungsabrechnung Direkte Interaktion von Lieferanten mit Kunden Wahrnehmbarkeit der Lieferantenleistung durch Kunden Bedeutung des Informationsflusses zum Kunden Bedeutung des Informationsflusses zum Lieferanten
Auftragsleistung
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
nicht erforderlich
erforderlich
meist nicht vorgesehen
oft vorgesehen
-
meist keine Wahrnehmung
meist Warnehmung von Teilen des Erbringungsprozesses
-
eher unrelevant
relevant und mit Auswirkung auf Leistungswahrnehmung
weniger relevant
relevant, da oft direkt vom Kunden wahrnehmbar
-
meist nicht vorgesehen
möglich
1,2,3
gering
fallabhängig
oft hoch
1,3
nein
fallabhängig
ja
3
gering
eher hoch
meist hoch
-
gering
fallabhängig
hoch
1,2,3
hoch
2,3
fallabhängig
Tabelle 5: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Abwicklungsphase
Der Anbieter muss also in der Erbringungsphase ein komplexes Netzwerk aus dem Kunden, den eigenen Mitarbeitern und den Fremdunternehmen herstellen (vgl. dazu auch Windahl/Lakemond 2006). In diesem Netzwerk muss er eine gute Koordination und eine hohe Qualität sicherstellen, da Fehler später im Wesentlichen ihm zugerechnet werden. Zugleich muss er in alle Richtungen Maßnahmen gegen opportunistisches Verhalten ergreifen. Die Geschäftsbeziehungen werden also für ihn deutlich komplexer. Tabelle 5 fasst die Auswirkungen in der Abwicklungsphase zusammen.
67
4.3.2.4 Größere Bedeutung der After-Sales-Phase für den Unternehmenserfolg Die After-Sales-Phase schließt der Abwicklung an und umfasst „Service-, Wartungs- und Garantieleistungen […], die mit dem Leistungsaustausch in Verbindung stehen“ (Müller 1999, S. 214). Sie kann aber auch mit der Leistung in Verbindung stehende Dienstleistungen (z. B. Wartungen) umfassen (Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 338). Von manchen Autoren wird die After-Sales-Phase aber nicht mehr als Teil der Transaktion i. e. S. angesehen (z. B. Voigt/Landwehr/Zech 2003, S. 53). Allerdings ist das Begriffsverständnis hier zum Teil sehr unterschiedlich. So fokussieren einige Autoren (z. B. Fuchs 2000) auf die Festigung der Kundenbeziehung, während andere mehr auf den Absatz produktbegleitender Dienstleistungen abstellen (z. B. Kaerner/Kasper/Mattmüller 2004). Im Rahmen von Kundenlösungen scheint aber eine umfassendere Betrachtung sinnvoll. Dabei werden auch die zahlreichen Rückkopplungen betrachtet, die es auch nach Vertragserbringung auf die Tätigkeiten des Anbieters gibt. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte zu nennen: x Zum einen muss die Leistung – sofern materieller Art – betreut werden. Dies umfasst vor allem die Beantwortung von Rückfragen oder die Nachbesserung von Mängeln.48 Auch die laufende Wartung der Leistung kann – ggf. in Form eines Wartungsvertrags (Mattmüller/Irion 2004, S. 22 f.) – zu den Leistungen in der Nachkontraktphase gehören.49 Wichtig ist es für den Kunden dabei oft, einen Ansprechpartner für seine Reklamation zu haben – allein die Aufnahme der Beschwerde kann schon zur Befriedigung des Kunden beitragen (Reckenfelderbäumer 2009, S. 227). x Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Qualitätswahrnehmung des Kunden von der technischen Qualität abweicht (vgl. Kapitel 4.3.1.1), ist der Kontakt zum Kunden auch wichtig, damit der Anbieter Rückmeldungen zu seiner Leistung erhalten kann und diese zur Verbesserung künftiger Leistungen nutzen kann (vgl. auch Winkler 2001). x Desweiteren ist es für den Anbieter sinnvoll, den Kontakt mit dem Kunden zu halten, wenn der Kunde selbst neue Aufträge an das Unternehmen erteilen könnte. Dabei kann es sich sowohl um eine Ergänzung einer bereits abgesetzten Leistung oder um einen Neuauftrag handeln. x Zuletzt ist die generelle Aufrechterhaltung des Kundenkontakts für den Anbieter sinnvoll, da der Kunde durch Mundpropaganda und sein Empfehlungsverhalten (vgl. Kapitel 4.3.2.1) Einfluss auf das Image des Unternehmens nehmen und zur Generierung neuer Aufträge beitragen kann – der Kunde wird somit zu einem Kommunikationsmedium für den Anbieter (Reckenfelderbäumer 2009, S. 231). 48
49
68
Die Mängelbeseitigung ist in Teilen eine gesetzliche Verpflichtung aus der eigentlichen Leistungserbringung (§§ 631 ff. BGB), kann jedoch auch im Rahmen einer freiwilligen Garantie oder aus Kulanz erfolgen (vgl. Pepels 2008, S. 112). Es kann hier offen bleiben, ob diese Leistung dann zur Nachkontaktphase zuzuordnen ist oder noch als Teil der Leistungsphase anzusehen ist. Die Übergänge werden je nach konkreter Ausgestaltung fließend sein. Der Anbieter hat hier aber nach der eigentlichen Leistungserstellung einen erneuten Kontakt zum Kunden und kann diesen zur Fortentwicklung der Kundenbeziehung und zur Generierung neuer Aufträge nutzen, so dass eine Einordnung in die Nachkontaktphase sinnvoll erscheint.
Somit ist die Nachkontaktphase für den Anbieter zum einen für die Bewertung vergangener Tätigkeiten und zum anderen zur Generierung neuer Aufträge auch neuer Kunden wichtig. Doch welche konkreten Auswirkungen hat dies auf die Kundenbeziehung? Für den Anbieter einer Sach- oder Auftragsleistung ist die Transaktion mit der Übergabe im Wesentlichen abgeschlossen. Zwar wird er auch nach Übergabe ggf. noch für Garantieleistungen, Support-Anfragen oder Ersatzteile zur Verfügung stehen, die Rolle des Anbieters ist hier jedoch mehr passiv. In jüngerer Zeit gewinnt allerdings die langfristige Betrachtung der Kundenbeziehungen im Rahmen eines Customer-Relationship-Managements (CRM) (Helmke/Uebel/Dangelmaier 2008; Hofbauer/Schöpfel 2010; Lehmann 1998a, S. 834 f.) oder im Rahmen produktbegleitender Dienstleistungen (Mattmüller/Irion 2004, S. 22 f.; Voeth/Rabe/ Gawantka 2004) zunehmend an Bedeutung. Eine Aufrechterhaltung des Kundenkontakts ist für den Anbieter oft auch vor dem Hintergrund des Absatzes über einen Mittler schwierig bis unmöglich. Für einen Dienstleister ist die Leistung mit der Erbringung abgeschlossen, da die Leistung selbst (im Gegensatz zu ihrer Wirkung) flüchtig ist. Auch hier sind nachträgliche Reklamationen möglich, wobei die Fehler oft nicht nachgebessert werden können. Hier ist es Aufgabe des Anbieters, die Enttäuschung des Kunden auf andere Weise zu kompensieren (Grönroos 1984). Für den Dienstleister gewinnt aber die Wahrnehmung seiner Leistung durch den Kunden an Bedeutung. Denn der Mangel an Sucheigenschaften bei Dienstleistungen wird durch eine stärkere Einbeziehung der Erfahrung aus vergangenen Transaktionen und dem Verhalten des Anbieters insgesamt kompensiert – der Kunde bildet somit eine Erwartungshaltung für künftige Leistungen (Davies 2004, S. 739; Grönroos 1984, S. 39 f.; Johansson/Krishnamurthy/Schlissberg 2003, S. 119; Scheutzow 2008, S. 148 f.). Zwar spielen auch bei Sucheigenschaften die Erfahrungen der Vergangenheit eine Rolle, hier kann der Anbieter aber Produktverbesserungen dem Kunden gegenüber deutlich einfacher glaubhaft machen. Somit ist für den Dienstleister der Kundenkontakt nach Leistungsabwicklung weitaus wichtiger, da der Kunde über Mundpropaganda die Basis für neue Aufträge auch neuer Kunden bildet. Bei Anbietern von Kundenlösungen kommen die Aspekte von Sach- und von Dienstleistungen zusammen. Kundenlösungen haben meist ein langfristig nutzbares Produkt oder eine langfristige Geschäftsbeziehung als Ergebnis (Helmus/Weber 2003, S. 20; Scheutzow 2008, S. 143; Wienen/Sichtmann 2008, S. 14 f., 21 ff.). Probleme, die in der Nutzungszeit auftreten, können sehr schnell dem Anbieter zugerechnet werden – egal, ob es sich um einen Mangel an einem eingebundenen Sachgut, einer Dienstleistung oder der Integration selbst handelt; egal, ob der Anbieter selbst für den Fehler verantwortlich ist, einer seiner Zulieferer oder gar der Kunde selbst. Kundenlösungen haben oft eine längere Nutzungsphase, so dass die AfterSales-Phase aus Kundensicht eine große Bedeutung bekommt (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007). Eine enge Verzahnung mit den Wertschöpfungsprozessen des Kunden erhöht diese Abhängigkeit, bietet aber zugleich die Chance für loyale Kunden, die kein Interesse an einem Wechsel des Anbieters haben (Sawhney 2006, S. 367 f.). Ein Kunde, der sich auch nach dem Kauf vom Anbieter gut betreut fühlt, ist dabei nicht nur ein Potential für Folgeaufträge, sondern auch eines für Weiterempfehlungen und somit neue Kunden. Andersrum können aber hier schlechte Erfahrungen schnell negative Auswirkungen haben (Anderson 1998; Bansal/Voyer 69
2000; Helm 2008). Die Bedeutung der Nachkontaktphase ist also für den Anbieter von Kundenlösungen weitaus größer als für einen Anbieter von Sach- oder Dienstleistungen. Sie bildet die Basis für Folgeaufträge und neue Kunden. Umso wichtiger ist es, Enttäuschungen zu vermeiden. Dabei muss der Anbieter aber auch die Verantwortung für alle Komponenten seiner Gesamtlösung übernehmen und damit für Leistungen Dritter einstehen. Neben dem Aspekt der Verkaufsförderung hat das After-Sales aber auch einen Aspekt der Produktverbesserung, da der Anbieter in dieser Phase Rückmeldungen vom Kunden über seine Leistung erhalten kann. Dabei kann er die Rückmeldungen des Kunden z. B. über das Beschwerdemanagement (Pepels 2008) erfassen oder den Kunden aktiv eine Plattform für Rückmeldungen (vgl. z. B. Winkler 2001) bieten. Da Kundenlösungen Unikate sind, beziehen sich diese Rückmeldungen immer auf eine konkrete Leistung und den damit verbundenen Erstellungsprozess. Generalisierte Aussagen über das Produkt oder den Produktionsprozess sind damit schwieriger zu ziehen als bei Sachleistungen oder standardisierten Dienstleistungen. Für ein möglichst umfassendes Bild seiner Leistungsqualität kann sich der Anbieter somit weniger auf eine begrenzte Gruppe von Kunden beschränken, sondern muss vielmehr jede Leistung vor ihrem individuellen Hintergrund betrachten. Die Abweichung der Kundenwahrnehmung von der technischen Qualität der Leistung (vgl. Kapitel 4.3.1.1) erhöht zugleich den Bedarf, den Kunden als Informationsquelle zu nutzen, da die Kundenwahrnehmung nicht durch interne Messungen oder externe Testberichte ersetzt werden kann. Die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die After-Sales-Phase sind in Tabelle 6 zusammengefasst. Sachleistung Bedeutung der AfterSales-Phase Möglichkeit der nachträglichen Nachbesserung Bedeutung alternativer Kompensationsmöglichkeiten Bedeutung der Erfahrungen des Kunden Bedeutung des Weiterempfehlungsverhaltens Einbindung der Lieferanten in die AfterSales-Phase Bedeutung des KundenFeedbacks
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
eher gering
Auftragsleistung
fallabhängig
hoch
2,3
meist gegeben
meist nicht möglich
fallabhängig
-
eher gering
eher hoch
-
mittel
hoch
1,3
mittel
hoch
1,3
meist nicht erforderlich mittel
mittel - hoch
erforderlich
2,3
hoch
1
Tabelle 6: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der After-Sales-Phase
4.3.2.5 Zusammenfassung der Auswirkungen auf die Kundenbeziehungen Die Interaktion zwischen Anbieter und Kunde ist also bei Kundenlösungen deutlich intensiver. Anbieter und Kunde müssen erst zueinander finden, können die genaue Leistung nur gemeinsam spezifizieren, die Leistungserbringung selbst muss meist in Interaktion erfolgen und nach Leistungserbringung ist ein zufriedener Kunde für den Anbieter von zentraler Bedeutung. Der Beziehungscharakter wird wichtiger (Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 178), die Beziehung selbst ist von einem intensiven Informations- und Kommunikationsaustausch geprägt (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 422; Stauss/Bruhn 2007, S. 9). Dabei muss der Anbieter vor 70
allem die Sprache des Kunden sprechen, damit ein Informationsaustausch möglich ist (Carlzon 1989, S. 87 ff.; Woratschek/Roth/Schafmeister 2007, S. 35). Für eine erfolgreiche Leistungserbringung sind dabei Rückkopplungen und Evaluationen der Zwischen- und Endergebnisse unabdingbar (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 423 f.; Woratschek/Roth/Pastowski 2002, S. 61; Woratschek/Roth/Schafmeister 2007, S. 36 f.). In diesem ganzen Prozess bilden Vertrauen und Reputation wichtige Faktoren zur Schaffung einer für die Leistungserbringung notwendigen Basis (Schafmeister 2004, S. 179; Woratschek/Roth/Schafmeister 2007, S. 35. Vgl. auch Kapitel 4.3.1.3 und 4.3.2.1). In die andere Richtung kann der Anbieter durch seine Kommunikation aber Unsicherheit und Komplexität auf Kundenseite reduzieren (Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 183 f. m. w. N.). In Tabelle 7 sind die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden noch einmal zusammengestellt, da sie sich keiner Phase zuordnen lassen. Sachleistung Beziehungscharakter Informations- und Kommunikationsaustausch Bedeutung der Anpassung an die Sprache des Kunden Bedeutung von direkter Rückkopplung und Evaluation Bedeutung von Vertrauen und Reputation
gering
Auftragsleistung
Dienstleistung meist gering
Kundenlösung eher hoch
Felder 2,3
gering
fallabhängig
hoch
1,2,3
eher gering
eher hoch
hoch
1,2,3
eher gering
eher gering
eher hoch
eher hoch
1,2
hoch
1,3
Tabelle 7: Zentrale phasenunabhängige Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden
4.3.3 Vom Lieferanten zum Partner – die Auswirkung von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Lieferanten Es wurde bereits gezeigt, dass ein Anbieter von Kundenlösungen nur selten die von ihm angebotene Leistung vollständig selbst erbringen kann (vgl. dazu insbesondere Kapitel 4.3.2.3). Er ist vielmehr davon abhängig, die Leistungen Dritter in sein Gesamtprodukt zu integrieren. Dennoch nimmt der Kunde die Leistung als Gesamtleistung war – der Anbieter muss also auch für die Leistungen der anderen Anbieter geradestehen. Die Änderung der Beziehung zu den Partnern wird in zwei Schritten erarbeitet: Zuerst werden die neuen Anforderungen an die Lieferanten vorgestellt (Kapitel 4.3.3.1), die sich vor allem in einer Abhängigkeit während der gesamten Wertschöpfung zeigen. Anschließend wird auf die generellen Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Anbieter und Lieferanten eingegangen (Kapitel 4.3.3.2), wobei sich zeigt, dass eine partnerschaftliche Beziehung dafür geeignet ist, die aus der größeren Abhängigkeit entstehenden Risiken zu kompensieren. Abschließend werden die wesentlichen Auswirkungen zusammengefasst (Kapitel 4.3.3.3). 4.3.3.1 Abhängigkeit von den Lieferanten während der gesamten Wertschöpfung Aus Sicht des Kunden ist der Anbieter der zentrale Ansprechpartner: Mit ihm hat er besprochen, welche Leistung er haben will und welche Nebenbedingungen es zu berücksichtigen gilt. Mit ihm hat er einen Vertrag geschlossen, ihm wird er die Leistung bezahlen und ihn 71
wird er auch bei Problemen in Anspruch nehmen. Aus Sicht des Kunden ist es meist egal, wer die Leistung erbringt50 – er hat mit dem Anbieter einen Ansprechpartner. Die Kernkompetenz des Anbieters der Kundenlösung liegt in der Kombination verschiedener Leistungen zu einer Gesamtlösung. Die Leistungen selbst sind meist nicht seine Kernkompetenz, er muss sie also von Dritten beziehen. Somit ist der Anbieter in diesen Bereichen voll von seinen Lieferanten abhängig: Er kann nur die Qualität und den Service liefern, den er von seinen Lieferanten bekommt. Um die Abhängigkeiten genauer zu untersuchen, können allerdings nicht mehr die Transaktionsphasen aus Kundensicht herangezogen werden. Vielmehr bilden die Phasen aus Anbietersicht das Grundgerüst für unsere Analyse. Demnach ergeben sich in den Phasen folgende Abhängigkeiten: x Während des Potentialaufbaus schafft der Anbieter die Voraussetzungen, um die Leistungen später an den Kunden absetzen zu können. Hierzu zählt sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft, die Dienstleistung zu erbringen (Hilke 1989, S. 11 f.; Rück 1995, S. 6). Die Fähigkeit kann dabei sowohl materielle als auch immaterielle Komponenten umfassen und beinhaltet u. a. das für die Leistungserbringung notwendige Fachwissen (vgl. dazu Hilke 1989, S. 11). Der Anbieter von Kundenlösungen ist hier in mehrerlei Hinsicht von seinen Lieferanten abhängig: Diese müssen auch ein Potential zur Erbringung ihrer Leistung bereithalten51, der Anbieter muss ein Wissen darüber haben, welche Lieferanten welche Leistungen erbringen können, und er muss wissen, wie er die Leistungen in seine Gesamtleistung integrieren kann. Demnach gilt es für den Anbieter während des Potentialaufbaus, Lieferanten zu finden, die ein entsprechendes Potential mitbringen und sich zugleich über ihre Produkte zu informieren. Insbesondere bei komplexeren Leistungen des Lieferanten wird er dabei auf einen sehr intensiven Informationsaustausch angewiesen sein. x Während der Entwicklung und des einhergehenden Absatzes der Kundenlösung kombiniert der Anbieter die Leistungen der Lieferanten mit seinen eigenen Leistungen zu einer Gesamtlösung. Auch hier kann er von Informationen der (potentiellen) Lieferanten abhängig sein, z. B. wenn Spezifika geklärt werden müssen. Bei der Ermittlung des Preises ist er auf Preisinformationen zu den Teilleistungen angewiesen.52 Dabei kann er entweder seinen Einstandspreis selbst abschätzen (auf Basis seiner Marktkenntnis und Erfahrungen oder auf Basis von ihm vorliegenden Preislisten seiner Lieferanten) oder seine Lieferanten um ein Angebot bitten. Je komplexer die Leistung der Lieferanten, desto mehr wird der Anbieter auf Kosteninformationen angewiesen sein, da er selbst keine Einschätzung der Kosten vornehmen kann. In die andere Richtung ist der Lieferant auf eine möglichst genaue Spezifikation der Anforderungen angewiesen, um seine 50
51
52
72
In Einzelfällen ist es durchaus denkbar, dass ein Kunde die Einbindung eines bestimmten Lieferanten fordert. Auf diesen Fall soll aber hier nicht näher eingegangen werden. Bringt der Lieferant Sachleistungen in das Gesamtprodukt ein, so kann er das Potential bereits in Form einer fertigen Sachleistung verwirklicht haben. Der Preis ist dabei allerdings nicht alleine entscheidungsrelevant (vgl. dazu Kreuzpointner/Reißer 2006, S. 53 ff.).
Leistung auf das Gesamtziel abrichten zu können. Zuletzt schließt der Anbieter einer Kundenlösung mit dem Kunden einen Vertrag, in dem er die Verantwortung nicht nur für seine eigene Leistung, sondern auch für die Leistungen seiner Lieferanten übernimmt. Die Unvollständigkeit des Kundenvertrags zum Zeitpunkt des Abschlusses (vgl. Kapitel 4.3.2.2) wirkt sich auch auf die Vertragsbeziehung des Anbieters mit den Lieferanten aus. x Während der Produktion der Leistung, die mit der Beschaffung der Leistungskomponenten einhergeht, ist der Anbieter bei allen nicht selbst erbrachten Leistungen von seinen Lieferanten abhängig. Er ist darauf angewiesen, dass die Lieferanten die richtige Leistung – vor allem auch bezüglich der Qualität – erbringen. Fehler der Lieferanten haben meist direkte Auswirkungen auf die Gesamtleistung: Liefert der Lieferant nicht die erforderliche Qualität, so leidet die Qualität der Gesamtleistung; liefert er nicht zu rechten Zeit, so wird auch die rechtzeitige Erbringung der Gesamtleistung gefährdet (Bender 2008, S. 45, 48 f.; König/Kampschulte 1997). x Die Phase der Integration und des Absatzes geht eng mit der vorhergehenden Phase einher. In dieser Phase werden die einzelnen Teilleistungen zu einer Gesamtleistung integriert und die Kundenintegration wird abgeschlossen. Hier ist der Anbieter darauf angewiesen, dass die Leistungen seiner Lieferanten so wie von ihm geplant ineinander passen. Es ist jedoch vor allem bei komplexen Leistungen unwahrscheinlich, dass die Kombination in allen Details so funktioniert wie geplant. Auch Änderungswünsche des Kunden oder andere Notwendigkeiten können Änderungen an der Leistung notwendig machen. Die Lieferanten müssen daher flexibel reagieren und ggf. Anpassungen an ihren Leistungen vornehmen. Ein enger Informationsaustausch zwischen Lieferant und Anbieter ist hier meist unabdingbar (Stauss/Bruhn 2007, S. 13). Des Weiteren können die Lieferanten in dieser Phase auch Kundenkontakt haben. Hier muss sich der Anbieter ggf. auch das Verhalten seiner Lieferanten anrechnen lassen. Auch entsteht durch den direkten Kontakt die Gefahr, dass der Lieferant die direkte Beziehung zum Kunden opportunistisch ausnutzt und zu seinen Gunsten direkte Absprachen trifft oder Verträge mit dem Kunden schließt. x Für den Kunden ist der Anbieter der Ansprechpartner im After-Sales. Probleme mit dem Produkt werden meist an ihn gemeldet, unabhängig davon, ob er oder ein Lieferant für das Problem verantwortlich ist. Somit ist der Anbieter auch in dieser Phase von seinen Lieferanten abhängig: Er muss sich darauf verlassen können, dass der Lieferant ihm die entsprechende Unterstützung zukommen lässt, damit er die gewünschte Leistung auch in der Nachvertragsphase erbringen kann. Zusammengefasst liegt bei Kundenlösungen also eine hohe Abhängigkeit des Anbieters von den Lieferanten vor. Der Anbieter kann in weiten Teilen weder die Leistung, noch die Qualität, noch den Service anbieten, den er nicht auch von seinen Anbietern erhält. Der Erfolg seiner Leistung ist also auch in wesentlichen Teilen davon abhängig, welche Lieferanten er ausgewählt hat und wie diese sich im Rahmen der Leistungserbringung verhalten. Dabei scheint diese Abhängigkeit vor allem dann hoch zu sein, wenn die Lieferanten komplexe Leistungen 73
in das Gesamtprodukt einfließen lassen. Komplexe Leistungen erfordern hier eine enge Koordination der Partner, die zu einer starken Abhängigkeit führt (Czada 2007, S. 72 m. w. N.; Weiber/Meyer/Billen 2004, S. 567). Wie sieht diese Situation bei Sach- und Dienstleistungen aus? Auch bei Sachleistungen besteht eine Abhängigkeit von den Lieferanten. Diese ist aber sowohl von der Fertigungstiefe als auch von der Form der Einbindung der Lieferanten abhängig (Kinkel/Lay 2003; LorenzMeyer 2004, S. 19 f.; Sydow/Möllering 2004, S. 129 ff.; Weiß 1993, S. 5 ff.). Gerade bei der Integration komplexer Leistungsbestandteile (Systemlieferant) (Sydow 2006a, S. 397, 405 f.) und bei der Schaffung zeitlicher Abhängigkeiten (Just-in-Time) (Takeda 2006, S. 25 ff., 79 ff.; Wildemann 1988) entsteht eine große Abhängigkeit zum Lieferanten. Allerdings sind diese Abhängigkeiten für den Anbieter vor dem Absatz der Leistung kontrollierbar: Er kann eine schlechte Qualität zurückweisen oder zur Vermeidung von Verzögerungen Puffer bzw. Lager einrichten. Der Auftragsfertiger ist dabei stärker abhängig von den Lieferanten als der Sachleister, da bei ihm die Einbringung der Lieferanten ggf. erst nach Vertragsabschluss mit dem Kunden erfolgt. Für den Dienstleister hängt die Abhängigkeit sehr stark von der Dienstleistung ab und welche Aufgabe der Lieferant in diesem Zusammenhang erfüllt. Ein Unternehmensberater kann so z. B. ohne große Abhängigkeiten von Lieferanten agieren, während ein Zahnarzt von den Leistungen des beauftragten Dentallabors abhängig ist. Auch kann es bei Dienstleistungen ebenfalls zu einer Interaktion zwischen Lieferant und Kunde kommen. Allerdings dürften bei Dienstleistungen die Abhängigkeiten bei weitem nicht so groß wie bei Kundenlösungen sein, zumal hier die After-Sales-Phase nur von untergeordneter Bedeutung ist. Der Anbieter von Kundenlösungen ist also von seinen Lieferanten in weitaus stärkerem Maß abhängig als ein Sach- oder Dienstleister. Auch wenn die Abhängigkeit bei Sach- und Dienstleistungen sehr stark vom Produkt und dem gewählten Produktionsverfahren abhängig ist und eine empirische Überprüfung53 aussteht, ist doch ersichtlich, dass ein Anbieter von Kundenlösungen seine Leistungen (von den wenigen Fällen der kompletten Selbsterbringung der Gesamtleistung abgesehen) nur dann erfolgreich erbringen kann, wenn er auf die notwendige Unterstützung von Seiten der Lieferanten setzen kann. 4.3.3.2 Eine intensivere Beziehung zu den Lieferanten durch Partnerschaften Der Anbieter von Kundenlösungen steht in einem Konflikt: Zum einen ist er vor dem Hintergrund der Komplexität der Gesamtleistung und der Spezialisierung auf Kernkompetenzen meist nicht in der Lage, die Leistung vollständig selbst zu erbringen. Auf der anderen Seite sind die starke Abhängigkeit und der hohe Koordinationsaufwand Faktoren, die gegen einen Bezug der Leistung auf dem Markt sprechen (Czada 2007, S. 72). Es bietet sich also ein genauerer Blick auf die möglichen Koordinationsformen an. Wie in Kapitel 2.3.4 ausführlicher dargestellt, bestehen neben den beiden Grundformen der hierarchischen und der marktlichen Koordination mit den hybriden Organisationsformen ein 53
74
Empirische Untersuchungen liegen jedoch für den Bereich produktbegleitender Dienstleistungen vor (Voeth/Gawantka 2005). Hier zeigte sich, dass der Anteil des Fremdbezugs insbesondere bei produktnahen Leistungen geringer ist als bei produktfernen. Dies unterstützt die These, dass die Abhängigkeit bei reinen Sachleistern geringer ist als bei Anbietern von (integrierten) Kundenlösungen.
weites Feld von Zwischenformen. Die Situation des Anbieters von Kundenlösungen wird vor diesen Hintergründen genauer betrachtet. Vor dem Hintergrund der Spezialisierung und der Skaleneffekte ist die Koordination über Markt und Preis zu bevorzugen. Die Kernkompetenz des Anbieters liegt in der Kombination der einzelnen Leistungen zu einer Gesamtleistung. Die einzelnen Leistungen sind meist nicht seine Kernkompetenz und sollten daher über den Markt bezogen werden. Die Nutzung des Marktes ist jedoch mit Kosten verbunden: Ein Anbieter und ein Preis müssen gefunden werden, Verträge geschlossen und kontrolliert werden etc. Diese Transaktionskosten können dazu führen, dass der Bezug über den Markt nicht am günstigsten ist und die hierarchische Leistungserbringung vorzuziehen ist. Dabei wirken sich folgende Faktoren erhöhend auf die Transaktionskosten aus (Coase 1998; Malone/Yates/Benjamin 1987, S. 486 f.; Williamson 1981, S. 1546 ff. (vgl. auch Kapitel 2.3.4)): x x x x
Eine geringe Häufigkeit, in der eine Transaktion ausgeführt werden soll, hohe Unsicherheiten (Externalitäten), die mit einer Transaktion verbunden sind, eine große Abhängigkeit der Transaktion von spezifischen Investitionen und eine hohe Komplexität des Produkts.
Eine allgemeine Aussage zu den Produkten, die in eine Kundenlösung eingehen, ist nicht möglich. Hier werden sowohl Standardprodukte eingehen, die mit geringen Transaktionskosten beschafft werden können als auch deutlich komplexere Produkte. Bei diesen wird durch die Individualität von Kundenlösungen die Häufigkeit der Erbringung eher gering sein, auch wenn die gleiche Produktklasse durchaus häufiger vorkommen kann.54 Die beschriebene Gefahr opportunistischen Verhaltens und die Unvollständigkeit des Vertrags erhöhen die Unsicherheiten; die im Vorfeld notwendigen Informations- und Planungskosten sind spezifische Investitionen und führen damit ebenfalls zu hohen Transaktionskosten. Durch die Integration mit dem Kunden und mit anderen Produkten steigen die Komplexität und damit ebenfalls die Transaktionskosten. Der Anbieter von Kundenlösungen wird daher bei vielen Produkten mit hohen Transaktionskosten rechnen müssen, die eine Eigenerbringung sinnvoll erscheinen lassen. Der Eigenerbringung stehen aber bei kleinen Unternehmen die ggf. nicht selbst tragbaren Kosten zum Aufbau der Kompetenz entgegen; bei größeren Unternehmen mit ausreichenden Finanzmitteln besteht die Gefahr, dass durch eine zu große Organisation die Kontrollierbarkeit abnimmt und Ineffizienzen entstehen (Bürokratie) (Coase 1937, S. 393 ff.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 235 ff.; Semlinger 2006, S. 48). Es ist also zu prüfen, ob hybride Organisationsformen einen sinnvollen Ansatz darstellen. Vor dem Hintergrund, dass eine Integration externer Unternehmen in die Wertschöpfung erfolgen soll, bieten sich strategische Netzwerke an (Jarillo 1988; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 207). Jarillo (1988, S. 34) charakterisiert dabei ein strategisches Netzwerk55 wie folgt: 54
55
Ein Anbieter eines individuell geplanten Wohnhauses wird z. B. für jedes Haus eine Mauer benötigen, diese wird aber bei jedem Haus in einer anderen Form notwendig sein. Der Begriff „Strategisches Netzwerks“ verdeutlicht die langfristige und strategische Ausrichtung eines solchen Netzwerks. Er wird weitgehend synonym zum Begriff „Netzwerk“ verwendet (siehe aber Kapitel 6.5.2 zu unterschiedlichen Netzwerktypen). Der Begriff „Partnerschaft“ wird ebenfalls weitgehend synonym ver-
75
“In [strategic networks], a ‘hub’ firm has especial relationships with the other members of the network. Those relationships have most of the characteristics of a ‘hierarchical’ relationship: relatively unstructured tasks, long-term point of view, relatively unspecified contracts. These relationships have all the characteristics of ‘investments’, since there is always a certain ‘asset specificity’ to the know-how of, say, dealing with a given supplier instead of a new one. And yet the ‘contracting parties’ remain as independent organizations, with few or no points of contact along many of their dimensions.” In strategischen Netzwerken bauen die Firmen somit eine engere Beziehung (Partnerschaft) auf. In diesen Partnerschaften erfolgt die Koordination weitgehend so, als ob es sich um eine geschlossene Organisation handelt, ohne dass die einzelnen Firmen ihre organisatorische Eigenständigkeit verlieren. Die konkrete Ausgestaltung eines strategischen Netzwerks kann dabei sehr unterschiedlich sein und auf die konkrete Problemstellung eingehen (Kocian et al. 1995; Oliver 1990; Schwarzer/Krcmar 1994; Szyperski/Klein 1993, S. 190 ff.; Thorelli 1986, S. 44 ff.). Dabei können sich insbesondere für komplexe Fragestellungen auch Virtuelle Unternehmen bilden, in denen mehrere Unternehmen dem Kunden gegenüber als ein temporäres Gesamtunternehmen auftreten (Kocian et al. 1995, S. 4; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 204 ff., 392 f.; Szyperski/Klein 1993). Strategische Netzwerke sind somit eine Möglichkeit, die bei Kundenlösungen enthaltenen Unsicherheiten und Abhängigkeiten durch langfristige Investitionen abzusichern und gleichzeitig die Transaktionskosten gering zu halten (für Beispiele siehe Davies 2004). Sie erhöhen die Sicherheit beim Abschluss unvollständiger Verträge (Aufderheide/Backhaus 1995, S. 51 ff.). Zugleich bieten sie vor allem kleinen, spezialisierten Unternehmen die Chance, gemeinsam qualitativ hochwertige Lösungen abzusetzen, die ein einzelnes Unternehmen gar nicht bewältigen könnte (Johnston/Lawrence 1988; Kinkel/Lay 2003, S. 12; Schoop 2002; Szyperski/Klein 1993, S. 196). Strategische Netzwerke sind allerdings nicht nur für Kundenlösungen relevant. Auch bei Sach- und Dienstleistungen können Faktoren auftreten, die für die Bildung von Partnerschaften und strategischer Netzwerke sprechen. Es wurde allerdings aufgezeigt (Kapitel 4.3.1.3), dass die Agency-Probleme bei Kundenlösungen verstärkt auftreten – somit steigen auch der Bedarf und die Notwendigkeit, diesen Problemen durch geeignete Koordinationsformen entgegenzuwirken. Auch kann die Bildung von Partnerschaften nicht nur in Richtung der Lieferanten erfolgen. Auch in Richtung der Kunden ist eine stärkere Kooperation in partnerschaftlicher Form sinnvoll und gerade bei Kundenlösungen anzustreben (Sawhney 2006, S. 375 f.; Scheutzow 2008). Auf die genaue Ausgestaltung von Kooperationsnetzwerken für Kundenlösungen wird später (Kapitel 6.5) genauer eingegangen.
wendet, fokussiert aber stärker auf die Beziehung zu einem konkreten Unternehmen, während ein Netzwerk auch mehrere Unternehmen umfassen kann. Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff siehe Morschett 2005, S. 393 f.
76
4.3.3.3 Zentrale Auswirkungen auf die Beziehung zu den Lieferanten Es wurde gezeigt, dass die Beziehung zu den Lieferanten bei Kundenlösungen eine weitaus höhere Bedeutung hat, da der Anbieter während der gesamten Wertschöpfung in deutlich größerem Ausmaß von ihnen abhängig ist. Um die mit dieser Abhängigkeit verbundenen Risiken abfangen zu können, wurden die Partnerschaften und die Bildung von Netzwerken vorgestellt, mit denen den durch die Abhängigkeit entstehenden Risiken begegnet werden kann. Tabelle 8 stellt die wesentlichen Auswirkungen auf die Lieferantenbeziehungen zusammen. Sachleistung
Auftragsleistung
Kundenlösung
Felder
eher hoch
eher gering
2,3
Produktinformationen
Informationen über Leistungspotential und Produktportfolio
1
hoch
gering
1
teilweise unbekannt
1,2
Fertigungstiefe des Anbieters Informationsaustausch vor Leistungsabsatz Spezifizierung der Leistung zum Zeitpunkt des Absatzes an den Endkunden Leistungskosten zum Zeitpunkt des Absatzes Beauftragung der Lieferanten Vollsändigkeit des Vertrags Abhängigkeit von der Leistungsqualität Prüfung der Integrationsfähigkeit Flexibilität bei Leistungsintegration Informationsaustausch während Leistungserbringung Kundenkontakt durch Lieferanten Abhängigkeit im AfterSales Bedeutung von Partnerschaften
Dienstleistung
bekannt vor Absatz
vor oder nach Absatz hoch
mittel
hoch
nach Absatz
1
eher gering
1,3
sehr hoch
3
vor Absatz der Leistung
i. d. R. vor Absatz der Leistung
oft erst bei Leistungserbringung
1,3
gering
mittel
hoch
1,3
meist gering
Leistungsabhängig
meist hoch, oft kritisch
1,3
nein
ja
3
gering
möglich
hoch
2,3
eher gering
hoch
3
Tabelle 8: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Lieferanten
4.3.4 Mitarbeiter und Konkurrenz – zwei Stakeholder mit wechselnden Rollen Die Beziehungen zu den Mitarbeitern und zur Konkurrenz sind von wechselnden Rollen an der Grenze zwischen internen und externen Akteuren geprägt. Vor allem bei den Mitarbeitern wird deutlich, dass diese nur bedingt in die Gruppe der Akteure außerhalb des Unternehmens passen.56 Eine Betrachtung an dieser Stelle scheint aus mehreren Gründen geboten. Zum einen sind für ein Unternehmen nicht nur die derzeitigen Mitarbeiter relevant. Vielmehr sind auch potentielle Mitarbeiter eine wesentliche Zielgruppe, wenn es darum geht, zukünftig qualifiziertes Personal zu gewinnen. Zum anderen liegt der Fokus später (Kapitel 4.4) bei den Auswirkungen in den Beziehungen zwischen den internen Aufgabenbereichen und betrachtet damit eher spezifische Tätigkeiten. Es gibt jedoch auch zahlreiche Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, die nicht aufgabenspezifisch sind und die oft auch für Bewerber von Bedeutung sind. Um diese Ansprüche vollständig zu erfassen, werden diese allgemeinen Ansprüche im Rahmen der anderen 56
Der Stakeholder-Ansatz betrachtet die Anspruchsgruppen allgemein und unterscheidet nicht zwischen internen und externen Anspruchsgruppen. Daher sind dort die Mitarbeiter unstrittig als Anspruchsgruppe anzusehen.
77
Stakeholder mit untersucht und in Kapitel 4.4.3.3 bei den internen Beziehungen nochmals kurz aufgegriffen. Bei der Konkurrenz hingegen ist die Einordnung bei den externen Akteuren eindeutig. Allerdings gibt es auch hier einen fließenden Übergang zu den an der Wertschöpfung direkt beteiligten internen Akteuren. Bei Kundenlösungen ist der Übergang von Konkurrent (auch Wettbewerber oder Mitbewerber genannt)57 zu Lieferant fließend. Wie noch gezeigt wird, kann es durchaus sein, dass man heute gegen einen Anbieter konkurriert, morgen mit ihm gemeinsam eine Lösung realisiert und anschließend wieder getrennte Wege geht. Auf die beiden genannten Gruppen wird in den folgenden Kapiteln 4.3.4.1 (Mitarbeiter) und 4.3.4.2 (Konkurrenz) genauer eingegangen. 4.3.4.1 Steigende Anforderungen an die Mitarbeiter durch Kundenlösungen Durch die Kundenorientierung ergeben sich Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Anbieter und Mitarbeiter, wobei der Anbieter auch künftige Mitarbeiter und damit seine Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen muss. Diese Auswirkungen haben auch Einfluss auf die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Wie gezeigt wurde, sind Dienstleistungen und auch Kundenlösungen deutlich kontaktintensiver als Sachleistungen. Die Aktivitäten vieler Mitarbeiter sind für den Kunden sichtbar (oberhalb der Line-of-Visibility) oder erfolgen gar in direkter Interaktion mit ihm (an der Line-ofInteraction) (Kleinaltenkamp 1996, S. 17 ff.; Lovelock/Wirtz 2007, S. 233 ff.). Das Verhalten und das Auftreten der Mitarbeiter sowie die Interaktion mit ihnen werden für den Kunden somit stärker wahrnehmbar und zugleich zu einem wesentlichen Faktor für die Dienstleistungswahrnehmung und deren Erfolg (Ahlert/Evanschitzky 2003, S. 119 ff.; Coenen 2001, S. 343, 354 ff., 361; Elke/Ziemeck 2006, S. 256 ff.; Jung Erceg 2005, S. 155 ff.; Meyer/Brudler 2009, S. 1127 f.; Schmitz 2004, S. 15; Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 179 ff.). Ein entsprechendes Verhalten der Mitarbeiter kann auch dazu dienen, das Vertrauen des Kunden in den Anbieter zu erhöhen (Ahlert/Kenning/Petermann 2001, S. 289 f.; Elke/Ziemeck 2006, S. 258; Fischer/Tewes 2001, S. 308 ff.; Luhmann 2000, S. 47 ff.; Schmitz 2004, S. 17). Der Anbieter muss hier also höhere Anforderungen an seine Mitarbeiter setzen als ein Anbieter von Sachleistungen. Zusätzlich müssen die Mitarbeiter zeitlich als auch örtlich flexibler werden, da die Leistung zum einen nicht gelagert werden kann und zum anderen oft am Ort des Kunden erbracht werden muss (Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 178 f.). Zugleich liegt die Kernkompetenz des Anbieters von Kundenlösungen in der Konzeption und Integration und weniger in der klassischen Produktion. Diese Konzeptions- und Integrationsleistung erfordert eine hohe Fachkompetenz und hohe Flexibilität der entsprechenden Mitarbeiter; einfache, ausführende Tätigkeiten sind weniger gefragt. Der Anbieter wird also andere und vor allem höhere Qualifikationsanforderungen an seine Mitarbeiter stellen. Die Mitarbeiterqualifikation wird an Bedeutung gewinnen (Coenen 2001, S. 353 ff.; Keith/Groten 2004, S. 63 ff.; König/Aichner 1997; Meffert 2006, S. 253 f. m. w. N.; Schmitz 2004, S. 17). Zu57
78
Die drei Begriffe werden im Weiteren synonym verwendet (vgl. auch Michaeli 2006, S. 4).
gleich muss der Anbieter auch Verantwortung an die Mitarbeiter übertragen (Empowerment) und diese Verantwortung im Führungsverhalten berücksichtigen (Bowen/Lawler 1992; Elke/Ziemeck 2006, S. 271 f.; König/Aichner 1997, S. 33; Lee/Koh 2001; Linsenmaier/Wilhelm 1997; Schmitz/Eberhardt 2009a). Oft ist es bei Kundenlösungen sinnvoll, die Verantwortung für die Koordination an eine feste Person oder ein Problemlösungsteam zu delegieren, an die bzw. deren Mitarbeiter dann entsprechend hohe Anforderungen zu stellen sind (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 422; Woratschek/Roth/Pastowski 2002, S. 61). Im Dienstleistungsbereich ist oft eine hohe Entscheidungsautonomie nötig, um individuell auf die Kunden eingehen und schnell reagieren zu können. Dies kann durch eine flache und flexible Unternehmenshierarchie unterstützt werden (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 38 f.; Bowen/Lawler 1992, S. 39; Carlzon 1989, S. 3 f., 59 ff.; Coenen 2001, S. 351 f.; König/Aichner 1997; Schmitz 2004, S. 22 ff. m. w. N.; Schütt 1996, S. 24; Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 9; Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 182 ff.). Auch die Schaffung eines entsprechenden Dienstleistungsklimas ist von großer Bedeutung (Scholz 2001; Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 187 ff.). Gute Mitarbeiter sind für den Anbieter also ein Schlüsselfaktor zum Erfolg. Ihr Wissen und ihre Erfahrung bilden ein wichtiges Kapital für ihn. Der Verlust eines Mitarbeiters kann für den Anbieter weitreichende Folgen haben, er muss also die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen stärken, seine Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen und eine dienstleistungsfreundliche Organisationsstruktur und -kultur schaffen (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 39 ff.; Burkart/Schwaab 2003; Elke/Ziemeck 2006, S. 265 ff.; Linsenmaier/Wilhelm 1997, S. 225 f.; Scholz 2001, S. 148 ff.; Szyperski/Klein 1993, S. 195 f.). Zugleich gewinnt für ihn auch das Wissensmanagement an Bedeutung, um das Wissen der Mitarbeiter systematisch zu erfassen und auf andere Mitarbeiter übertragbar zu machen (Bouncken 2001; Howaldt/Klatt/Kopp 2003; Keith/Groten 2004, S. 65 f. m. w. N.; Kleinaltenkamp/Frauendorf 2006). Die höheren Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter und deren große Bedeutung im Wertschöpfungsprozess machen die Mitarbeiter aus Sicht des Anbieters zu einer knappen Ressource. Dadurch kann sich der Fokus des Anbieters nicht ausschließlich auf seine aktuellen Mitarbeiter begrenzen. Vielmehr erhalten die zahlreichen Instrumente des Personalmarketings eine größere Bedeutung, um frühzeitig eine Beziehung zu qualifiziertem Personal aufzubauen und dieses an das Unternehmen zu binden (Bröckermann/Pepels 2002; StockHomburg 2008; Werner 2005, S. 59 ff.). Ein Vergleich dieser Anforderungen mit denen von Sach- und Dienstleistungen ist nicht immer eindeutig möglich. Die hohe Kontaktintensität mit dem Kunden ist eine Eigenheit von Dienstleistungen und Kundenlösungen und somit für den Sachleister nicht relevant. Empowerment ist keine spezifische Führungsstrategie für Kundenlösungen und kann auch für Sach- und Dienstleistungen verwendet werden. Die Erhöhung der Entscheidungsautonomie der Mitarbeiter scheint jedoch bei Kundenlösungen unumgänglich, während sie bei Dienstleistungen fallabhängig betrachtet werden muss (Bowen/Lawler 1992, S. 39). Die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen und ein aktives Personalmarketing sind auch bei Sachund Dienstleistungen an den Stellen notwendig, wo qualifiziertes Fachpersonal benötigt wird. Dies hängt jedoch vom jeweiligen Produkt und dem Fachbereich ab, die betroffen sind. Gleiches gilt auch für das Wissensmanagement. 79
Eine Übersicht der Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Mitarbeiterbeziehungen ist in Tabelle 9 dargestellt. Sachleistung Kontaktintensität mit Kunden Bedeutung der Interaktionsqualität Flexibilität der Mitarbeiter Anteil produzierender Tätigkeiten Anteil konzeptioneller Arbeiten Notwendigkeit von Entscheidungsautonomie Qualifikationsanforderungen an Mitarbeiter Notwendigkeit von Mitarbeiterbindung und Personalmarketing
Auftragsleistung
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
gering
hoch
1,2,3
gering
hoch
1,2,3
eher gering
eher hoch
hoch
hoch
mittel
meist gering
1,3 -
mittel
oft gering
hoch
1,2
gering
fallabhängig
hoch
1,3
fallabhängig
hoch
2,3
fallabhängig
hoch
-
Tabelle 9: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Mitarbeiterbeziehung
4.3.4.2 Zwischen Wettbewerb und Partnerschaft – Auswirkungen auf die Konkurrenzbeziehungen Bei der Betrachtung der Konkurrenzbeziehungen stellt sich die Frage, wer als Konkurrent anzusehen ist. Eine enge Auslegung dieses Begriffs wird diesen auf die Unternehmen begrenzen, die mit einem gleichartigen Produkt um den gleichen Kunden kämpfen – also auf dem gleichen Markt unterwegs sind (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 46 f.). Diese enge Auslegung ist jedoch nicht immer zielführend. Denn der Wettbewerb konkurriert nicht nur um den gleichen Kunden – er setzt auch Maßstäbe, an denen sich ein Anbieter orientieren kann. Qualität und Preis der eigenen Produkte werden an den Angeboten des Wettbewerbs gemessen und werden somit ein Teil der Kaufentscheidung des Kunden. Ansätze wie das Benchmarking (Horváth/Herter 1992; Macharzina/Wolf 2008, S. 327 ff.) gehen dabei sogar weiter und sehen einen Vergleich mit Anbietern vor, die – unabhängig von der Branche – gleiche Prozesse ausführen. Der Wettbewerb ist für den Anbieter also nicht nur ein Gegner, der um die gleichen Kunden kämpft; er ist vielmehr auch ein Maßstab, der zur Bewertung der eigenen Leistungen herangezogen werden kann. Hier stellt sich jedoch ein Problem: Kundenlösungen sind oft hoch spezialisiert, weisen einen hohen Individualitätsgrad auf und haben einen großen Anteil von Such- und Vertrauenseigenschaften. Ein Vergleich dieser Produkte untereinander ist oft schwierig bis unmöglich – jedes Produkt ist ein Unikat. Zusätzlich dürfte es für den Anbieter oft schwer sein, überhaupt potentielle Konkurrenten zu identifizieren. Anbieter mit unterschiedlichen Hintergründen können im gleichen Marktsegment tätig sein, wie sich z. B. beim Angebot von Bauleistungen zeigt: Hier können sowohl Architekten, Handwerker als Generalunternehmer und eigenständige Generalübernehmer miteinander konkurrieren (Girmscheid 2007, S. 155 ff.; Helmus/Weber 2003, S. 20 f.) – und selbst eher branchenfremde Unternehmen wie IBM treten als Generalübernehmer auf (IBM 2009). Dazu kommt, dass Dienstleistungen und auch Kundenlösungen oft eine Ortsgebundenheit aufweisen (Rück 2000, S. 246 ff.; Sibbel 2004, S. 24 f.), so dass die Konkurrenzsituation oft auch von der Mobilität von Anbieter und Nachfrager abhängt. Für den Anbieter von Kundenlösungen ist somit sowohl eine Identifikation potentieller Konkur80
renten als auch ein Vergleich mit ihnen schwierig. Vor allem ein Vergleich des Preises und der Qualität ist – aus bereits in Kapitel 4.3.1.1 und 4.3.1.2 ausgeführten Gründen – meist nicht möglich. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist auch, dass sich Konkurrenz und Zusammenarbeit nicht ausschließen (Wilbers 2004, S. 338). Vor allem bei komplexen und großen Lösungen kommt es oft zur Bildung von Konsortien, Arbeitsgemeinschaften oder Joint-Ventures, in denen sonst miteinander konkurrierende Unternehmen vorrübergehend oder dauerhaft zusammenarbeiten, ohne die Konkurrenzsituation in anderen Bereichen zu beeinflussen (Killich 2007, S. 14 ff.; Kübler 2005, S. 13, 17 ff.; vgl. auch Kapitel 5.1.2). Als Gründe für den Zusammenschluss sind dabei verschiedene Faktoren denkbar. So können Projekte aufgeteilt werden, die für ein Unternehmen allein nicht bewältigbar wären, Spezialisierungen stärker ausgenutzt oder auf spezielle Kundenwünsche eingegangen werden. Die zunehmende Kooperation ansonsten konkurrierender Unternehmen führt zu einer Aufweichung der Unternehmensgrenzen, womit zugleich die identitätsbildende Einheit des Unternehmens zurückgedrängt wird und die Leistungen stärker in den Vordergrund treten (Szyperski/Klein 1993, S. 195). Für den Anbieter von Kundenlösungen sind somit sowohl die Identifikation der Konkurrenten als auch der Vergleich mit ihnen schwierig. Zugleich verfließen für ihn durch den zunehmenden Bedarf von Kooperationen die Grenzen zwischen Konkurrenz und Partner. Die wesentlichen Auswirkungen sind in Tabelle 10 zusammengestellt. Sachleistung Vergleichbarkeit der Produkte Identifikation von Konkurrenten Relevanter Markt Bedeutung von Kooperationen mit Konkurrenten
Auftragsleistung hoch
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
mittel
gering
1
schwerer
1
mittel
2,3
leicht meist global
oft lokal gering
-
Tabelle 10: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Wettbewerb
4.3.5 Auswirkungen von Kundenlösungen auf weitere externe Interessenträger Im Folgenden werden mit den Kapitalgebern (Kapitel 4.3.5.1), dem Staat (Kapitel 4.3.5.2) und der Öffentlichkeit (Kapitel 4.3.5.3) die verbleibenden Stakeholder untersucht. Im Gegensatz zu den bislang genannten Stakeholdern ist bei diesen nur ein geringer Bezug zu den Produkten des Unternehmens zu erwarten, da sie vor allem an der Unternehmung als Ganzes interessiert sind. Daher ist hier nur mit wenigen Besonderheiten von Kundenlösungen zu rechnen. 4.3.5.1 Erschwerte Rahmenbedingungen bei der Kapitalbeschaffung – Auswirkungen auf die Beziehung zu den Kapitalgebern Kapitalgeber stellen der Unternehmung finanzielle Mittel zur Verfügung, mit denen diese für die Produktion notwendige Investitionen tätigen oder Vorleistungen erbringen kann. Sie erwarten ggf. Sicherheiten für ihr Kapital und eine Rendite in Form einer Beteiligung oder eines Zinses.
81
Sachleistungen benötigen oft hohe Anfangsinvestitionen: Das Produkt muss entwickelt, eine Produktionsstätte errichtet und Materialien beschafft werden, bis mit der Produktion begonnen werden kann. Im Rahmen dieses Prozesses entstehen aber meist in Form von Patenten, Gebäuden und Maschinen sowie Zwischenprodukten verwertbare Gegenstände, die als Sicherheit verwendet werden können (vgl. zu Patenten z. B. Schaller et al. 2004, S. 135 m. w. N.). Bei Dienstleistungen wie auch Kundenlösungen ist hingegen im Vorfeld vor allem der Aufbau einer Fachkompetenz notwendig (vgl. zu einer statistischen Untersuchung Kulicke 2000, S. 42 ff., 82). Dieses Wissen ist jedoch flüchtig und nicht als Sicherheit geeignet. Auch bei der Leistungserbringung erstellt der Anbieter oft selbst keine eigenen physikalischen Produkte; seine Leistung ist immateriell und flüchtig. Somit ist der Anteil von immateriellen Zwischenprodukten bei Dienstleistungen und Kundenlösungen höher, die allerdings als Sicherheit nur bedingt geeignet sind. Allerdings dürften zugleich die notwendigen Anfangsinvestitionen in den Fällen geringer sein, bei denen keine teuren Voraussetzungen zur Leistungserbringung notwendig sind. Im Ergebnis wird sich die Finanzierung für den Anbieter schwieriger gestalten, da er weniger Sicherheiten bieten kann und die Finanzierung somit risikoreicher ist (Glückler/Zademach 2008, S. 16). Allerdings wird er zugleich einen geringeren Finanzierungsbedarf haben. Der Mangel an Sicherheiten wird verstärkt durch die bei Kundenlösungen und Dienstleistungen größere Gefahr opportunistischen Verhaltens, die sich auch auf die Beziehung zwischen Anbieter und Kapitalgeber auswirken kann. Somit gewinnen auch in dieser Beziehung Themen wie Reputation oder Signalling an Bedeutung (Spremann 1988, S. 613 m. w. N.). Darüber hinaus bestehen für Dienstleistungen und insbesondere immaterielle Güter ggf. besondere Bilanzierungs- und Bewertungsregelungen, auf die an dieser Stelle aber nicht gesondert eingegangen wird (vgl. Leibfried/Weber 2003, S. 103 ff.; Lutz-Ingold 2005, S. 241 ff.). Die Auswirkungen bei der Beziehung zu den Kapitalgebern sind in Tabelle 11 zusammengefasst. Sachleistung Investitionen zur Schaffung des Produktionspotentials Zwischenprodukte als Sicherheit nutzbar Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung Zinssatz zur Kapitalbeschaffung Finanzierungsbedarf Gefahr opportunistischen Verhaltens für den Kreditgeber
Auftragsleistung eher hoch
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
meist gering, aber abhängig von der Leistung
eher gering
-
ja
nein
-
eher gering
eher hoch
-
eher niedrig eher hoch eher gering
eher hoch meist gering
eher gering
eher hoch
-
Tabelle 11: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Kapitalgebern
4.3.5.2 Notwendigkeit angepasster Vergabeverfahren in der Beziehung zum Staat Die Beziehungen eines Unternehmens mit dem Staat erfolgen auf zwei Ebenen: Zum einen sind es – die eher unbeliebten – Zwangsverpflichtungen, die meist der Staat dem Unternehmen auflegt. Auf der anderen Seite sind es freiwillige Beziehungen, mit denen das Unternehmen meist staatliches Handeln zu seinen Gunsten beeinflussen will. 82
Die Zwangsverpflichtungen bestehen meist in der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Hier sind vor allem die steuerlichen Verpflichtungen zu nennen, aber auch andere gesetzliche Vorgaben z. B. des Wirtschafts- und Arbeitsrechts, zu Umweltschutzvorgaben etc. Auch im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge (Hellermann 2000, S. 1 ff. m. w. N.) bestehen Beziehungen mit staatlichen Einrichtungen. Diese Beziehungen sind aber entweder genereller Natur oder beruhen auf den jeweiligen Tätigkeitsfeldern. Eine generelle Änderung der Beziehungen in diesem Bereich ist weder durch Dienstleistungen noch durch Kundenlösungen zu erwarten. Dies schließt aber nicht aus, dass von staatlicher Seite Unterschiede zwischen Sachund Dienstleistungen oder besonderer Leistungsformen erfolgen. Zum Beispiel können haushaltsnahe Dienstleistungen im Rahmen der Einkommenssteuererklärung geltend gemacht werden (Bundesministerium der Finanzen 2007) oder gelten für Bauträgerverträge andere Regelungen bezüglich der Umsatzsteuer (Bayerischer Notarverein e. V. 2006). Allgemeine Unterschiede zwischen den einzelnen Angebotsformen sind jedoch nicht festzustellen. Auf der anderen Seite stehen die freiwilligen Beziehungen, bei denen es darum geht, das staatliche Verhalten zu beeinflussen bzw. die staatlichen Einrichtungen zu einer wohlwollenden Einstellung dem Unternehmen gegenüber zu bewegen. Hier sind Begriffe wie Lobbying oder Public Affairs zu nennen, die aber nicht scharf von der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit getrennt werden können (Köppl 2008, S. 187). Daher wird hierzu auf die Ausführungen zur allgemeinen Öffentlichkeit (Kapitel 4.3.5.3) verwiesen. Zu den freiwilligen Beziehungen gehören auch die Fälle, in denen der Staat selbst als Kunde auftritt. Das Vergaberecht geht hier jedoch von einer weitgehenden Spezifikation der Aufträge aus, was bei Kundenlösungen nicht immer möglich ist (Fabry/Meininger/Kayser 2007, S. 58 f., 83 f.). Daher sind die klassischen Vergabeformen der offenen und nicht offenen Verfahren für Kundenlösungen nicht geeignet.58 Hier ist eine Vergabe vor allem über den wettbewerblichen Dialog möglich, der nach § 6a der Vergabeordnung (VgV) dann zulässig ist, wenn der Auftraggeber nicht in der Lage ist, die technische Spezifikation oder die rechtlichen oder finanziellen Rahmenbedingungen anzugeben.59 Dabei sind insbesondere die Public Private Partnerships (PPP) hervorzuheben (Beyer 2005, S. 63; Budäus 1998; Girmscheid 2007, S. 234 f.), die große Überschneidungen zu Kundenlösungen haben und als für den öffentlichen Bereich angepasste Form der Kundenlösung angesehen werden können. Sachleistung Beziehungen auf Grund gesetzlicher Vorgaben etc. Mögliche Vergabeform
Auftragsleistung
Dienstleistung
Kundenlösung
Unterschiede beruhen auf Besonderheiten bestimmter Leistungen, es sind aber keine generellen Unterschiede zwischen den Leistungsarten zu erkennen In der Regel über offenes oder nicht offenes Verfahren
Fallabhängig
In der Regel über wettbewerblichen Dialog
Felder 1,2,3
Tabelle 12: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Staat 58
59
Vgl. zu den Vergabeformen § 101 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Für Aufträge unter den gesetzlich festgelegten Schwellenwerten gelten teilweise abweichende Bestimmungen. Darüber hinaus existiert mit dem Verhandlungsverfahren noch ein weiteres Vergabeverfahren, das aber nur unter sehr begrenzten Voraussetzungen zur Anwendungen kommen darf (vgl. Dittmer 2008, S. 26; Fabry/Meininger/Kayser 2007, S. 58 f.; Ley 2009, S. 2; §§ 1 u. 2 VgV). Bei Kundenlösungen könnte auch das Verhandlungsverfahren zur Anwendung kommen. Es ist hierfür allerdings nur eingeschränkt geeignet, da es keine Fragen vor Angebotsabgabe zulässt. Eine weitere Möglichkeit zur Einbringung von Kundenlösungen besteht in begrenztem Maß über die Abgabe von Nebenangeboten (vgl. Fabry/Meininger/Kayser 2007, S. 60, 69 f.).
83
Tabelle 12 fasst die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Staat zusammen. 4.3.5.3 Größere Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit bei Kundenlösungen Die letzte Gruppe der Stakeholder ist sicherlich die umfassendste und allgemein gehaltenste. Denn unter „Öffentlichkeit“ fallen sowohl Verbände, Institutionen als auch eine meist anonyme Masse von Menschen oder Organisationen, die Beziehungen zu dem Unternehmen haben könnten oder evtl. in Zukunft haben werden. Auch die Presse ist in diese Kategorie zu zählen (Bentele/Will 2008, S. 164 ff.; Lies 2008a, S. 18). Die Aktivitäten in diesem Bereich werden oft unter dem Begriff „Public Relations“ zusammengefasst, der auch die Beziehungen zu staatlichen Einrichtungen umfasst (Bentele/Will 2008, S. 155 ff.; Lies 2008a). Allerdings ist hier die genaue Begriffsabgrenzung umstritten. So sehen einzelne Autoren die Public Relations als Teil des Marketings und trennen davon die Public Affairs als Teil der Unternehmensführung ab (Bentele/Will 2008, S. 156 m. w. N.; Berg 2003, S. 9 ff.), andere begrenzen die Public Affairs auf die Beziehungen zu staatlichen Einrichtungen und sehen somit die Public Relations als übergeordneten Bereich an (Köppl 2008, S. 199). Diese Diskussion wird zusätzlich dadurch erschwert, dass eine scharfe Abgrenzung dieses Bereichs nicht möglich ist. Die Grenzen sind oft fließend, so könnten z. B. Gewerkschaften genauso zur Gruppe der Mitarbeiter gezählt werden. Im Folgenden wird – in Anlehnung an die Definition von Hoewing (1996, S. 33) – als Abgrenzung die Kommunikation mit der Öffentlichkeit betrachtet, die keinen kommerziellen Hintergrund hat (vgl. auch Berg 2003, S. 11; Köppl 2008, S. 196 (mit fehlerhaften Verweis auf Hoewing: „Dennis, 1996, S. 33“)). Allerdings wird auch hier, z. B. bei der Gewinnung neuer Kunden, keine abschließend saubere Trennung möglich sein. Auch darf die Öffentlichkeit nicht als allumfassend angesehen werden. Vielmehr sind nur einzelne Gruppen für die Öffentlichkeitsarbeit relevant, die zugleich einer stetigen Änderung unterliegen (Bihler 2007, S. 29; Grunig/Hunt 1984, S. 138). Die Ziele der Öffentlichkeitsarbeit sind vielfältig. So hat sie sowohl die Analyse als auch die Beeinflussung der Gruppen zum Gegenstand; oft mit dem Ziel, dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Auch die Übernahme einer gesellschaftlichen Verantwortung kann Ziel entsprechender Aktivitäten sein (Berg 2003, S. 9 ff. m. w. N.; Lies 2008a, S. 16). Dabei muss es dem Unternehmen bewusst sein, dass sein Verhalten von der Öffentlichkeit wahrgenommen und bewertet wird. Es kann soziale Verantwortung übernehmen (Corporate Social Responsibility) und dadurch soziales Kapital aufbauen (Ruisinger/Jorzik 2008, S. 325 ff.). Die Öffentlichkeitsarbeit ist somit eine langfristige Strategie und für jedes Unternehmen notwendig (Ruisinger/Jorzik 2008, S. 7, 9). Einzelne Fehler können mühsam erreichte Erfolge schnell zunichte machen – wie Shell am Beispiel der Brent Spar erfahren durfte (Ruisinger/Jorzik 2008, S. 35; Rumpf 2004). Die größere Bedeutung von Image und Reputation für den Anbieter von Kundenlösungen wurde in den Vorkapiteln schon gezeigt. Da die Öffentlichkeitsarbeit auch das Image und die Reputation beeinflussen, ist die Bedeutung der Public Relations für den Anbieter von Kundenlösungen größer, auch wenn zahlreiche andere Faktoren wie die Unternehmensgröße und die Produktpalette einen großen Einfluss auf die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit haben (Lies 2008b). Die Öffentlichkeitsarbeit wird somit 84
ein wesentlicher Teil der Marktbearbeitung für das Unternehmen. Zum einen kann hierüber das Unternehmensbild in der Öffentlichkeit beeinflusst werden. Zum anderen kann auch der Bekanntheitsgrad des Unternehmens verbessert werden – vor dem Hintergrund der oft schwierigen Identifikation der Anbieter einer bestimmten Leistung (vgl. Kapitel 4.3.4.2) ein nicht unwesentlicher Erfolgsfaktor. Nach außen getragene Referenzprojekte und Qualitätssiegel erfüllen somit eine Doppelfunktion und können für den Anbieter eine große Bedeutung erlangen. Auch eine aktive Einbringung in Verbände und Organisationen hat hier eine große Bedeutung, wie das in Kapitel 6.5.2 genauer dargestellte Beziehungsnetzwerk zeigt. Auf der anderen Seite beinhalten sie im Falle von Problemen oder Mängeln aber auch das Risiko einer negativen Auswirkung auf das Unternehmensbild. Der Anbieter darf dabei nicht vergessen, dass seine komplette Leistungserbringung von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann. Gerät einer seiner Lieferanten in Missgunst, so kann sich dies auch auf den Anbieter auswirken – zumal die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten ggf. stärker wahrnehmbar ist als bei Sachleistungen. Dadurch entstehen höhere Anforderungen an die Partnerwahl des Anbieters. Die erweiterte Wahrnehmung der Aktivitäten des Anbieters kann aber auch positiv genutzt werden. Ist das Verhalten des Anbieters auch von Außenstehenden zu beobachten (z. B. von den Nachbarn im Rahmen eines Bauprojekts), so wirkt sich auch deren Wahrnehmung auf das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit aus. Die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zur Öffentlichkeit sind in Tabelle 13 zusammengefasst. Sachleistung Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit Bedeutung von Referenzprojekten und Qualitätssiegeln Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit der Lieferanten Bedeutung des Verhaltens des Anbieters gegenüber Außenstehenden
Auftragsleistung
Dienstleistung
groß mittel
groß
eher gering
eher gering
mittel
Kundenlösung
Felder
sehr groß
1,3
sehr groß
1,3
groß
3
groß
1,2,3
Tabelle 13: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zur Öffentlichkeit
4.4
Auswirkungen auf die Akteure innerhalb des Unternehmens
Im vorhergehenden Kapitel wurden die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die externen Beziehungen untersucht, wobei eine Orientierung am Stakeholder-Ansatz erfolgte. Es zeigte sich, dass insbesondere bei den Kunden und den Lieferanten weitreichende Unterschiede zwischen den einzelnen Leistungsarten vorliegen. Nach den externen Akteuren werden nun die Akteure innerhalb des Unternehmens genauer betrachtet. Dabei stellt sich zuerst die Frage, welche internen Akteure in einem Unternehmen vorzufinden sind. Dies wird in Kapitel 4.4.1 anhand der Wertketten genauer analysiert und die einzelnen Aktivitäten werden vorgestellt. Anschließend erfolgt die Untersuchung der Auswirkungen auf die primären Aktivitäten (Kapitel 4.4.2) und die unterstützenden Aktivitäten (Kapitel 4.4.3) des Unternehmens. 85
4.4.1 Identifikation der Akteure innerhalb des Unternehmens Um die internen Akteure eines Unternehmens zu identifizieren, werden die Varianten der Wertkette für Sach- und Dienstleister herangezogen und zu einer Wertkette für Kundenlösungen weiterentwickelt (Kapitel 4.4.1.1). Anschließend soll der Wertshop als alternative Darstellungsform der Abläufe bei Kundenlösungen untersucht werden (Kapitel 4.4.1.2), um zu prüfen, ob diese Darstellungsform eventuell einen Erkenntnisgewinn verspricht. 4.4.1.1 Weiterentwicklung der Wertkette zu einer Wertkette für Anbieter von Kundenlösungen Bereits in Kapitel 2.3.3 wurde die Wertkette von Porter und ihre Erweiterung für projektorientierte und kontinuierliche Leistungserstellung erwähnt. Diese sollen nun zu einer Wertkette für Kundenlösungen weiterentwickelt werden. Dazu werden zuerst die primären Aktivitäten betrachtet. Da gezeigt wurde, dass ein Anbieter von Kundenlösungen eher einem Dienstleister als einem Sachleister gleicht, wird die Wertkette bei projektorientierter Leistungserstellung als Referenz herangezogen und im zweiten Schritt ein Abgleich mit der Wertkette bei kontinuierlicher Leistungserbringung durchgeführt. Abschließend erfolgt ein Abgleich mit der klassischen, produktionsorientierten Wertkette von Porter, so dass Faktoren aller drei Wertketten berücksichtigt werden können. Die unterschiedlichen Wertketten sind in Abbildung 16 dargestellt. Die von Altobelli und Bouncken (1998) entwickelte Wertkette für projektorientierte Leistungserstellung sieht vier primäre Phasen der Leistungserstellung vor (Altobelli/Bouncken 1998, S. 287 f.; Benkenstein/Steiner/Spiegel 2007, S. 57 f. m. w. N.): x x x x
Die Akquisition, die die Aktivitäten zur Gewinnung von Kunden umfasst; die Eingangslogistik, die die Lagerhaltung und den Transport umfasst; die Kontaktphase, in der die eigentliche Leistungserstellung erfolgt und die Nachkontaktphase, die die Betreuung des Kunden nach dem Kauf und das Beschwerdemanagement umfasst.
Das Modell für Dienstleistungen mit kontinuierlicher Leistungserstellung trennt die primären Phasen hingegen in zwei Gruppen auf (Benkenstein/Steiner/Spiegel 2007, S. 59 f.; Spiegel 2003, S. 35 f.). Die erste Gruppe dient dem Aufbau der Geschäftsbeziehung. Sie umfasst: x Die Akquisition, die auch hier die Aktivitäten zur Gewinnung von Kunden umfasst und x den Aufbau der Leistungsbereitschaft, der die Schaffung der Voraussetzungen umfasst, die Dienstleistung gegenüber dem Kunden für die gesamte Vertragslaufzeit zu erbringen. An diese Gruppe schließt eine weitere für die laufende Geschäftsbeziehung an. Diese besteht aus folgenden Phasen und bildet einen Kreislauf: x Der Vorkontakt, der alle Maßnahmen beinhaltet, die in Abstimmung mit dem Auftraggeber erfolgen müssen;
86
Infrastruktur des Unternehmens Management der Humanresourcen
Gewinnspanne
Primäre Aktivitäten
Unterstützende Aktivitäten
x die Leistungserbringung, die die Aktivitäten zur Erstellung der Leistung beinhaltet und x der Nachkontakt, der primär als regelmäßige Phase des Austausches zur Identifikation von Problemen anzusehen ist.
Technologieentwicklung Beschaffung
Eingangslogistik
Operationen zur Erstellung von Gütern und Dienstleistungen
Ausgangslogistik
Marketing und Vertrieb
Service
Unternehmensinfrastruktur Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung
Akquisition
Eingangslogistik
Kontaktphase
Nachkontaktphase
Gewinnspanne
Primäre Aktivitäten
Unterstützende Aktivitäten
Wertkette nach Porter
Unternehmensinfrastruktur Personalmanagement Unternehmensentwicklung Beschaffung
Akquisition
Aufbau der Leistungsbereitschaft
Aufbau der Geschäftsbeziehung
Vorkontakt
Leistungserbringung
Nachkontakt
Gewinnspanne
Primäre Aktivitäten
Unterstützende Aktivitäten
Wertkette bei projektorientierter Leistungserstellung
Laufende Geschäftsbeziehung
Wertkette bei kontinuierlicher Leistungserstellung
Abbildung 16: Wertketten für unterschiedliche Dienstleistungsunternehmen (nach Töpfer 2007, S. 484; Altobelli/Bouncken 1998, S. 289 und Spiegel 2003, S. 35)
Porter nennt in seiner produktionsorientierten Wertschöpfungskette folgende Phasen (Altobelli/Bouncken 1998, S. 283; Porter 1985, S. 39 f.): x Die Eingangslogistik zum Empfang, zur Lagerung und zur Distribution von Betriebsmitteln; 87
x x x x
die Operationen zur Erstellung von Gütern und Dienstleistungen; die Ausgangslogistik zur Sammlung, Lagerung und Distribution der Endprodukte; Marketing und Vertrieb sowie den Service oder Kundendienst.
Bei der Erarbeitung einer Leistungskette für Kundenlösungen wird sich wie oben beschrieben am Modell einer projektorientierten Leistungserbringung orientiert. Auch für den Anbieter von Kundenlösungen beginnt die Wertschöpfung mit der Akquisition. Allerdings kann er anschließend nicht direkt mit der Eingangslogistik beginnen, sondern muss vielmehr die Leistung erst entwickeln (Entwicklungsphase). Dies ist der erste relevante Unterschied, da die Entwicklung in den vorgestellten Wertketten als Technologieentwicklung bei den unterstützenden Aktivitäten vorgesehen ist. Die Phase der Eingangslogistik bezieht sich vor allem auf die Lagerhaltung. Diese ist aber für den Anbieter von Kundenlösungen nicht bzw. nur in sehr begrenztem Ausmaß erforderlich.60 An die Stelle der Eingangslogistik tritt die Beschaffung, die für den Anbieter zentrale Bedeutung erlangt (siehe Kapitel 4.3.3) (vgl. zur geänderten Rolle der Beschaffung auch Eyholzer/Kuhlmann/Münger 2002, S. 66). Die nächste Phase wird als Kontaktphase bezeichnet. Dieser Begriff ist aber ungeeignet, da der Anbieter in mehreren Phasen in intensivem Kontakt mit dem Kunden stehen muss. Die Phase wird daher als Leistungsphase bezeichnet. Sie umfasst ähnliche Aktivitäten wie die Kontaktphase, die Koordination der verschiedenen Leistungen wird hier aber eine größere Bedeutung haben. An die Phase der Leistungserbringung schließt sich auch bei Kundenlösungen eine Nachkontaktphase an. Als nächstes ist zu prüfen, ob Elemente der Wertkette für kontinuierliche Dienstleistungen relevant sind. Die Akquisition ist in gleicher Form enthalten, der Aufbau der Leistungsbereitschaft erfolgt bei Kundenlösungen durch Entwicklung und Beschaffung. Als wesentliche Änderung trennt die Wertkette für kontinuierliche Leistungserstellung die Kontaktphase in einen Vorkontakt und die Leistungserbringung auf und integriert diese in einen Kreislauf. Es ist sicherlich richtig, die durch den Kreislauf angedeutete Feedback-Schleife (der Kunde gibt eine Rückmeldung zur Leistung und diese wird ggf. angepasst) hervorzuheben. Allerdings sind Dienstleistungen nur in den seltensten Fällen auf einen genauen Moment bezogen; sie sind vielmehr prozessorientiert und haben somit eine zeitliche Komponente. Viele Leistungen, die für den Kunden einen einmaligen Charakter haben, beinhalten dennoch entsprechende Rückmeldungen. So hat ein Restaurantbesuch für den Kunden einen zeitlich begrenzten und somit Projekt-Charakter. Dennoch kann der Kunde während des Dienstleistungsprozesses Rückmeldungen geben und der Anbieter ggf. gegensteuern. Gerade bei Kundenlösungen ist zu erwarten, dass diese Rückmeldungen regelmäßig erfolgen. Dabei können ggf. sogar neue Entwicklungs- und Beschaffungsphasen angestoßen werden. Dieser Prozess ist aber unabhängig davon, ob die Kundenlösung auf einen Zeitraum begrenzt ist oder als dauerhafte Lösung angeboten wird. Diese regelmäßige Rückmeldungs- und Anpassungsphase wird durch eine zyklische Verbindung von Entwicklungsphase, Beschaffung und Leistungsphase verdeutlicht. 60
88
Der Anbieter von Kundenlösungen, der einzelne Teilleistungen selbst anbietet, wird natürlich für diesen Bereich entsprechende Lager besitzen. In diesem Fall kommt es zu einer Kombination verschiedener Wertketten.
Ein Abgleich mit der Wertkette nach Porter zeigt hingegen keinen weiteren Anpassungsbedarf auf. Auf die geänderte Bedeutung der Logistik wurde bereits eingegangen. Eine getrennte Betrachtung der Ausgangslogistik erscheint bei Kundenlösungen nicht sinnvoll, diese wird ggf. als Teil der Leistungsphase angesehen. Die Operationen wurden in der Wertkette für Kundenlösungen zur Leistungsphase (siehe dazu auch Altobelli/Bouncken 1998, S. 288). Die Marketing-Aktivitäten sind primär in die Akquisition eingegangen, auf sie wird aber bei der Betrachtung der unterstützenden Aktivitäten noch einmal zurückgekommen. Die ServicePhase ist bei Dienstleistungen und Kundenlösungen in der Nachkontaktphase enthalten. Als nächstes sind die unterstützenden Aktivitäten zu betrachten. Der Name darf aber nicht dazu verleiten, diese als zweitrangig oder unbedeutend anzusehen. Sie stellen vielmehr den Rahmen für die primären Aktivitäten zur Verfügung und ermöglichen somit die Leistungserbringung überhaupt erst (Altobelli/Bouncken 1998, S. 283; Benkenstein/Uhrich 2009, S. 83 f.; Woratschek/Roth/Schafmeister 2007). Die unterstützenden Aktivitäten sind in den drei vorgestellten Modellen – von kleinen, oft unwesentlichen Differenzen abgesehen – identisch und umfassen (Altobelli/Bouncken 1998, S. 283, 288 f.; Porter 1985, S. 40 ff.; Spiegel 2003, S. 27 f.): x Die Unternehmensinfrastruktur, zu der z. B. die Geschäftsführung, das Rechnungswesen etc. zählen; x das Personalmanagement, welches die Suche nach Mitarbeitern, ihre Einstellung, ihre Ausbildung und administrative Aufgaben beinhaltet; x die Technologieentwicklung oder Unternehmensentwicklung61, die alle Aktivitäten zur Entwicklung und Pflege der im Unternehmen eingesetzten Technologien umfasst und x die Beschaffung zum Einkauf der Inputfaktoren. Allerdings weicht die Bedeutung der einzelnen Bereiche deutlich zwischen einem Sach- und einem Dienstleister ab (Altobelli/Bouncken 1998, S. 288; Spiegel 2003, S. 33). Durch die beschriebenen Änderungen an den primären Aktivitäten ergeben sich bei Kundenlösungen auch Änderungen bei den unterstützenden Aktivitäten. Die Unternehmensinfrastruktur und vor allem das Personalmanagement sind auch bei Kundenlösungen erforderlich. Auch die Unternehmensentwicklung ist erforderlich, wobei an dem Begriff von Spiegel (2003) festgehalten wird. Die Beschaffung ist jedoch nun in den primären Aktivitäten enthalten. Die dafür entfallene Logistik hat aber eine zu geringe Bedeutung, als dass sie als eigene Aktivität angesehen werden kann. Sie wird vielmehr der Unternehmensinfrastruktur zugeordnet. Es erscheint jedoch zielführend, zwei neue Aktivitäten aufzunehmen: x Wie in Kapitel 4.3.3 gezeigt wurde, hat die Zusammenarbeit mit den Lieferanten einen großen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Somit ist das Management der Beziehung 61
Spiegel (2003, S. 35 f.) verwendet hier abweichend den Begriff „Unternehmensentwicklung“, ohne näher auf die Gründe dafür einzugehen. Es ist zu vermuten, dass er damit den geringeren Technologieeinsatz bei Dienstleistungen zum Ausdruck bringen will (vgl. Spiegel 2003, S. 34).
89
zu den Lieferanten von zentraler Bedeutung. Dieser wird die Einführung einer weiteren Aktivität des Lieferantenmanagements gerecht. x Kapitel 4.3.5.3 zeigte die größere Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit für das Unternehmen auf. Dieser wird durch die Einführung der Aktivität der Public Relations genüge getan. Diese neue Aktivität gleicht zugleich den Eindruck eines Bedeutungsverlusts des Marketings aus, das in die Akquisition übernommen wurde. Es gibt also neben den eher produktbezogenen Aktivitäten bei der Akquisition auch Marketing-Aktivitäten im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, die u. a. eine Verbesserung des Bekanntheitsgrads und der Reputation zum Ziel haben. Die daraus entstehende Wertkette für Kundenlösungen ist in Abbildung 17 dargestellt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Aktivitäten nicht mit den internen Organisationseinheiten übereinstimmen müssen, sondern mehrere Aktivitäten in einer Organisationseinheit zusammengefasst oder eine Aktivität auch auf mehrere Organisationseinheiten aufgeteilt werden kann (Benkenstein/Uhrich 2009, S. 84; Spiegel 2003, S. 28).
Personalwirtschaft Unternehmensentwicklung Lieferantenmanagement Public Relations
Akquisition
EntwickBeschaffung lungsphase
Leistungsphase
Nachkontaktphase
Gewinnspanne
Primäre Aktivitäten
Unterstützende Aktivitäten
Unternehmensinfrastruktur
Abbildung 17: Wertkette für Kundenlösungen
4.4.1.2 Der Wertshop als alternative Repräsentation der Wertschöpfung bei Kundenlösungen Mit der Weiterentwicklung der Wertkette nach Porter hin zu einer Wertkette für Kundenlösungen wurden die Besonderheiten von Kundenlösungen berücksichtigt, die Darstellungsform aber im Wesentlichen beibehalten. Stabell und Fjeldstad (1998, S. 413 f.) sind bei ihrer Anwendung z. B. bei Versicherungen auf Probleme gestoßen, stellen aber die Wertschöpfungskette als Analyseinstrument grundsätzlich nicht in Frage. Sie ergänzen sie vielmehr mit dem Value Shop (Wertshop)62 und dem Value Network (Wertnetz) um zwei weitere Formen der Wertschöpfung (Schafmeister 2004, S. 171; Stabell/Fjeldstad 1998, S. 414 f.). Nach diesem Ansatz gibt es demnach drei verschiedene Wertschöpfungslogiken (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 414): x Die Wertkette zur Transformation von Eingangsfaktoren in ein Produkt, x den Wertshop zur Lösung von Problemen des Kunden und x das Wertnetz zur Verbindung von Kunden über ein Trägermedium. 62
90
Teilweise auch als Wertzyklus bezeichnet (z. B. Möller/Fassnacht/Heider 2009, S. 269 f.)
Als Beispiele für den Wertshop nennen Stabell und Fjeldstad (1998, S. 413 f.) Krankenhäuser, Freiberufler und Bildungseinrichtungen; als Beispiel für Wertnetze Telekommunikationsanbieter, Transportunternehmen, Versicherungen und Banken. Die weitere Betrachtung wird sich hier auf den Wertshop beschränken, da dieser große Ähnlichkeiten mit Kundenlösungen aufweist: “[The] shop schedules activities and applies resources in a fashion that is dimensioned and appropriate to the needs of the client’s problem.” (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 420) Als wesentliche Kennzeichen des Wertshops nennen die Autoren (Stabell/Fjeldstad 1998, S. 421 ff.): x x x x x x x x x
Eine wertschöpfende Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager; den Umgang mit Einzelfällen; zyklische, iterative und unterbrechbare Aktivitäten; große gegenseitige und sequentielle Abhängigkeiten der Aktivitäten; Einbindung mehrerer Disziplinen und Spezialisierungen in Kreisläufen; problemunabhängige Aktivitäten zur allgemeinen Informationsbeschaffung; Weitergabe von Fachkompetenz von erfahrenen an weniger erfahrene Mitarbeiter; Parallelausführung primärer und unterstützender Aktivitäten; Weiterempfehlungen auf Basis der Reputation und der Beziehung.
Woratschek/Roth/Pastowski (2002, S. 60 f.) und Schafmeister (2004, S. 176 ff.) erweitern das grundlegende Modell zu dem in Abbildung 18 dargestellten Modell. Reputation
Akquisition
Personalmanagement Technologieentwicklung
Unternehmensinfrastruktur Beschaffung
Entscheidung
Reputation
Abbildung 18: Aufbau eines Wertshops (nach Schafmeister 2004, S. 179)
Im Vergleich zur erarbeiteten Wertkette für Kundenlösungen ist im Modell des Wertshops die Entwicklung in drei Phasen (Problemfindung, Lösungsalternativen und Entscheidung) aufge91
teilt und die Evaluation als zusätzliches Element vorhanden.63 Die Nachkontaktphase fehlt als eigenständige Phase, die Beschaffung ist den unterstützenden Aktivitäten zugeordnet, das Lieferantenmanagement fehlt. Statt den Public Relations ist die Reputation des Unternehmens als umgreifender Faktor vorgesehen. Der Wertshop weist somit viele Parallelitäten zur Wertkette für Kundenlösungen auf. Es wird an dieser Stelle nicht abschließend erörtert, ob alle Leistungen in Form einer Wertkette dargestellt werden können oder ob dazu Wertshop und Wertnetz als alternative Formen notwendig sind. Die Betrachtung wird sich hier ausschließlich auf Kundenlösungen beschränken. Hier scheint die Verwendung der vorgestellten Wertkette aus verschiedenen Gründen sinnvoller zu sein: x Die Wertschöpfung im Wertshop hat kein definiertes Ende. Dies mag bei einzelnen Leistungen ohne definiertes Ende passen, aber bei vielen Kundenlösungen ist ein Ende der Leistungserbringung definiert. In diesem Fall wird aber im Wertshop die Nachkontaktphase mit ihrer Bedeutung (siehe Kapitel 4.3.2.4) vernachlässigt. x Ziel der Wertkette ist es, die wertschöpfenden Aktivitäten zu identifizieren. Bei einzelnen Aktivitäten des Wertshops wie z. B. der Entscheidung oder der Evaluation ist fraglich, in wie weit sie einen konkreten Beitrag zur Wertschöpfung leisten. x Die Integration externer Leistungen mit ihrem bei Kundenlösungen hohen Stellenwert ist im Wertshop nicht ausreichend berücksichtigt, sondern nur als Beschaffung vorgesehen. Ein Teil dieser Gründe mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Wertkette stärker auf die Wertschöpfung einer einzelnen Leistung fokussiert, während der Wertshop die fortlaufende Wertschöpfung des Unternehmens über mehrere Leistungen hinweg betrachtet. Jedoch gehört z. B. auch bei klassischen Sachleistungen die Evaluation in Form einer Qualitätskontrolle und einem ggf. erfolgenden Rückfluss in den Produktionsprozess zur Wertschöpfung des Unternehmens. Daher gibt der Wertshop interessante Impulse für die Betrachtung von Kundenlösungen, die aber bei der Erarbeitung der Wertkette für Kundenlösungen schon weitestgehend berücksichtigt wurden. Aus diesem Grund wird die Wertkette für Kundenlösungen nach Abbildung 17 als Basis zur Ermittlung der Auswirkungen auf die einzelnen Aktivitäten verwendet. 4.4.2 Auswirkungen auf die primären Aktivitäten des Unternehmens Nachdem im vorhergehenden Unterkapitel eine Wertkette für Kundenlösungen entwickelt wurde, werden die internen Aktivitäten nun anhand der erarbeiteten Wertkette untersucht. Im ersten Schritt werden die primären Aktivitäten analysiert. Die Wertkette für Kundenlösungen besteht aus fünf primären Phasen. Es handelt sich um die Akquisition (Kapitel 4.4.2.2), die Entwicklungsphase (Kapitel 4.4.2.3), die Beschaffung (Kapitel 4.4.2.4), die Leistungsphase (Kapitel 4.4.2.5) und die Nachkontaktphase (Kapitel 63
92
Die Evaluation kann aber als Teil der Leistungsphase angesehen werden.
4.4.2.6). Damit für einen umfassenden Vergleich mit Sach- und Dienstleistungen auch die Phasen berücksichtigt werden, die nur für Sach- oder Dienstleister relevant sind, erfolgt zuvor ein Abgleich der Phasen der unterschiedlichen Wertketten (Kapitel 4.4.2.1). Der Fokus der folgenden Darstellung liegt primär auf den internen Aktivitäten, da die externen Auswirkungen schon in Kapitel 4.3 dargestellt wurden. Allerdings lassen sich Querbezüge und Wiederholungen nicht vermeiden, da Änderungen an den externen Schnittstellen oft auch Auswirkungen im Innenbereich der Unternehmung haben und die daraus resultierenden Spezifitäten ebenfalls erfasst werden müssen (vgl. Kapitel 4.1). 4.4.2.1 Abgleich der primären Phasen von Sach- und Dienstleistern im Vergleich zum Anbieter von Kundenlösungen In diesem Kapitel werden aufbauend auf Kapitel 4.4.1 die Phasen der Wertketten für Sachund Dienstleistungen betrachtet, um aufzuzeigen, in welchen Phasen der Wertkette für Kundenlösungen die entsprechenden Aktivitäten aufgegangen sind bzw. welche Aktivitäten nicht mehr erforderlich sind. Für eine kompakte Darstellung werden die Phasen der Wertkette nach Porter und den Wertketten für projektorientierte bzw. kontinuierliche Leistungserstellung gemeinsam betrachtet und nicht gesondert darauf eingegangen, welcher Wertkette die Phasen entstammen. Die Phasen der Eingangslogistik und der Ausgangslogistik sind beim Anbieter von Kundenlösungen nicht mehr vorgesehen. Dies macht deutlich, dass hier keine Lagerhaltung mehr erforderlich ist, da die materiellen Leistungen meist von Lieferanten bezogen werden und direkt in die Lösung integriert werden.64 Auf der anderen Seite wird die Leistung meist direkt beim Kunden erbracht, so dass auch kein klassischer Warenausgang erfolgt. Zwar wird auch ein Anbieter ein Lager z. B. für Büromaterialien besitzen, dieses hat aber keine strategische Bedeutung und ist vielmehr als Teil der Unternehmensinfrastruktur anzusehen. Die logistischen Prozesse finden nun im Rahmen der Beschaffung (Kapitel 4.4.2.4) und der Leistungsphase (Kapitel 4.4.2.5) Berücksichtigung. Die Operationen sind in die Leistungsphase (Kapitel 4.4.2.5) aufgegangen, in der auch die Kontaktphase bzw. die Phase der Leistungserbringung enthalten sind. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die Operationen einen anderen Charakter haben. Die Produktion bei einem Sachleister und auch bei einigen Dienstleistungen erfolgt meist in Form einer Massenproduktion mit hohem Anteil automatisierter oder körperlicher Tätigkeiten, während die eigentliche Leistung des Anbieters von Kundenlösungen einen hohen geistigen, konzeptionellen und organisatorischen Anteil hat. Die Phase Marketing und Vertrieb ist nun im Bereich der Akquisition (Kapitel 4.4.2.1) zu finden, in Teilen aber in die „Public Relations“ (Kapitel 4.4.3.6) und die Leistungsphase (Kapitel 4.4.2.5) aufgegangen. Insbesondere das Marketing ist somit eine Aufgabe, die das ganze
64
Stellt der Anbieter einen Teil der Leistungen selbst her, so besitzt er für den produzierenden Bereich selbst eine Lagerhaltung. In diesem Fall kommt aber für den produzierenden Teil die Wertkette für Sachleistungen zur Anwendung.
93
Unternehmen und nicht nur Teilbereiche betrifft. Der Service ist nun Teil der Nachkontaktphase (Kapitel 4.4.2.6). In der Wertkette für die kontinuierliche Leistungserstellung sind die Phasen zum Aufbau der Leistungsbereitschaft und des Vorkontakts vorgesehen. In diesen Phasen erfolgt die generelle Vorbereitung der Leistungserstellung bzw. deren Konkretisierung. Somit sind diese Phasen bei Kundenlösungen Teil des Kreislaufes von Entwicklung (Kapitel 4.4.2.3), Beschaffung (Kapitel 4.4.2.4) und Leistungsphase (Kapitel 4.4.2.5). Die Gegenüberstellung der primären Phasen zeigte, dass sich bei Kundenlösungen der Schwerpunkt der Wertschöpfung ändert. Alle primären Phasen der Wertkette von Sach- und Dienstleistungen wurden anderen (primären oder unterstützenden) Phasen der Wertkette für Kundenlösungen zugeordnet und können somit in den Phasen betrachtet werden, in denen sie aufgegangen sind. 4.4.2.2 Akquisition als Aufgabe für das ganze Unternehmen Die Akquisition umfasst die Aktivitäten, um einen Kundenauftrag zu gewinnen. Dabei muss erst der Kontakt hergestellt, Vertrauen aufgebaut und die Leistung konkretisiert werden. Die Auswirkungen zwischen Anbieter und Kunde wurden bereits ausführlich in Kapitel 4.3.2 erörtert. Die Auswirkungen auf die internen Abläufe werden im Folgenden erörtert. Basis der Akquisition können bei Kundenlösungen weder eine fertige Leistung noch ein abgeschlossenes Leistungskonzept bilden. Vielmehr muss die Leistung erst in der nachfolgenden Entwicklungsphase konzipiert werden, wozu die Aufnahme der Anforderungen des Kunden erforderlich ist. Allerdings wird schon während der Akquisition ein erster Abgleich von den Vorstellungen des Kunden und der Möglichkeiten des Anbieters erfolgen. Dies macht es erforderlich, dass die mit der Akquisition beauftragten Mitarbeiter weitreichendes Wissen über die Kompetenzen des Unternehmens und seiner Partner haben (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 120; vgl. auch Kapitel 4.3.2.1). Dabei kann ein Wissensmanagement-System dabei helfen, verwandte Ansätze mehrfach zu nutzen und so die Effizienz bei der Leistungserstellung zu verbessern (Bordt 2001, S. 9). Auf der anderen Seite müssen auch die Äußerungen des Kunden frühzeitig dokumentiert werden, damit auf diese in der weiteren Leistungsplanung und -erstellung eingegangen werden kann (vgl. dazu auch den von Schmitz/Eberhardt (2009b, S. 3 f., 9 f.) vorgeschlagenen Lösungsmanager). Wo die vom Kunden gewünschte Konstanz bei den Ansprechpartnern (Schmitz/Eberhardt 2009b, S. 3 f., 9 f.; Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007) nicht gewährleistet werden kann, muss zumindest eine reibungslose Übergabe an die anderen Ansprechpartner gewährleistet werden, was ohne saubere Dokumentation nicht möglich sein wird (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 36 f.). Wichtig ist neben den Anforderungen des Kunden auch die Frage, wie der Kontakt zum Unternehmen zu Stande gekommen ist. Basiert dieser auf einen bestimmten Kommunikationskanal oder einer Empfehlung einer Person oder eines Unternehmens, so können damit auch bestimmte Erwartungshaltungen verbunden sein (Scheuer 2005, S. 88; Wildemann o. J., S. 16). Wichtig ist für den Anbieter zugleich, in dieser Phase Vertrauen aufzubauen. Dazu zählt auch die Vermittlung von Kompetenz (Vargo/Lusch 2004, S. 2; Wienen/Sichtmann 2008, S. 29; vgl. auch Kapitel 3.2.2). Kann der Mitarbeiter nicht alle Fragen des Kunden beantworten, so ist er auf die entsprechenden 94
Fachbereiche des Unternehmens angewiesen. Hier ist eine reibungslose Kommunikation erforderlich, damit der Mitarbeiter nicht nur seine eigene Leistungsfähigkeit, sondern die der gesamten Unternehmung vermitteln kann (Jacob 2006, S. 47 f.; Müller 2007, S. 51 ff.; Schmitz/Eberhardt 2009b, S. 10). Da die Leistungserbringung durch den Kunden wahrnehmbar ist, ist sie in vielen Fällen auch für seine Umwelt wahrnehmbar. Zugleich ist für den Absatz auch ein direkter Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager erforderlich. Der Anbieter kann aber nur bedingt steuern, über welchen Weg der Nachfrager Kontakt mit ihm aufnimmt. Nimmt er z. B. die Aktivitäten von Mitarbeitern des Unternehmens wahr, so kann er auch über diese in Kontakt mit dem Unternehmen treten. Die Mitarbeiter werden somit auch zu Vertriebsmitarbeitern und müssen die potentiellen Neukunden zumindest an einen kompetenten Ansprechpartner weiterverweisen können (Brown et al. 2002). Die einzelnen Auswirkungen im Bereich der Akquisition sind in Tabelle 14 dargestellt. Sachleistung Basis des Vertriebs Abhängigkeit des Vertriebs von anderen Fachbereichen Bedeutung der Dokumentation der Kundenanforderungen Bedeutung des Wissensmanagements Außenwahrnehmung der Mitarbeiter außerhalb des Vertriebs Bedeutung des CRM
Auftragsleistung
Feststehendes Portfolio an Produkten
Dienstleistung Feststehendes Portfolio an Leistungsfähigkeiten
gering
gering
fallabhängig
eher gering
fallabhängig
gering geringer
Kundenlösung Offenes Portfolio an Leistungsfähigkeiten
Felder
hoch
1,2
hoch
1,2,3
hoch
1,2
groß
1,2,3
hoch größer
1,2
-
Tabelle 14: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen bei der Akquisition
4.4.2.3 Die Planung der Leistung in der Entwicklungsphase In der Entwicklungsphase werden die Ideen und Vorstellungen des Kunden in einen Plan umgesetzt. Hier erfolgt auch der Vertragsabschluss zwischen Anbieter und Nachfrager. Dabei ist ein abschließender Vertrag erst nach Abschluss der Planungen möglich, wobei für den Anbieter unter Umständen die Möglichkeit besteht, einen getrennten Planungsvertrag abzuschließen.65 In dieser Phase muss eine mit der Planung beauftragte Person die Ideen des Kunden in einen Leistungsplan umsetzen. Dazu müssen die Informationen aus der Akquisition konkretisiert werden, wozu weitere Kontakte mit dem Kunden aber auch externen Einrichtungen (z. B. zur Klärung rechtlicher Fragen) notwendig sind. Ggf. muss auch der Erbringungsort begutachtet werden. Kann der Anbieter die Realisierbarkeit einzelner Komponenten nicht sicherstellen, so muss er nach einem geeigneten Ansprechpartner suchen, eine Klärung herbeiführen und ggf. Alternativen evaluieren. Zur Entwicklung gehört aber nicht nur ein Plan, sondern auch eine Kalkulation – der Kunde möchte schließlich auch wissen, was ihn die Leistung kosten wird. 65
Planungsverträge sind dabei vor allem in Form des Architektenvertrag im Bereich der Bauwerksplanung üblich (vgl. z. B. Alda/Hirschner 2009, S. 120), können aber auch auf andere Bereiche übertragen werden (z. B. Gudehus 2005, S. 1036).
95
Dazu muss der Anbieter die Preise für die einzelnen Teilleistungen ermitteln und diese – ähnlich einer Stückliste – in Teile aufteilen. Kann er den Preis einer Teilleistung nicht selbst abschätzen, so muss er einen Preis recherchieren oder anfragen (Bundschuh 2005, S. 23 f., 26 f.; Litke 2007, S. 110 ff.; Schwarze 2006, S. 82 ff.). Der Kunde erhält am Ende dieser Phase eine mehr oder weniger detaillierte Planung und ein preisliches Angebot für die Leistung.66 Der Entwicklungsprozess darf dabei nicht als linearer Prozess angesehen werden, an dessen Beginn ein Problem und an dessen Ende eine Lösung steht. Der Prozess ist vielmehr ein komplexer Problemlösungsprozess mit kreativen Komponenten, in dem Rückfragen erfolgen, Zwischenstände evaluiert und auch verworfen werden (Gomez/Probst 1999, S. 13 ff.; Primus 2003, S. 89 ff.; Steiner 2003, S. 277 ff.). Daher wird in dieser Phase ein intensiver Informationsaustausch zwischen dem planenden Bereich der Unternehmung, dem Kunden, möglichen Lieferanten und anderen Dritten sowie anderen internen Bereichen erforderlich sein. Die Unterschiede von Kundenlösungen bei der Entwicklung sind in Tabelle 15 dargestellt. Sachleistung Zeitliche Lage des Entwicklungsprozesses Interaktionsgrad mit dem Kunden Prüfung der Kosten Prüfung der Beschaffungsmöglichkeit Entwicklungsleistung der Zulieferer
Auftragsleistung
dem Absatz vorgelagert gering
Dienstleistung Konzeptentwicklung dem Absatz vorgelagert eher gering
Kundenlösung
Felder
im Rahmen des Absatzes
1
hoch
1,2,3
oft nachgelagert
im Rahmen der Entwicklung
1
meist nachgelagert
im Rahmen der Entwicklung
1,3
eher gering
eher hoch
1,2,3
Tabelle 15: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Entwicklung
4.4.2.4 Die Beschaffung der Leistungen – von der Bestellung zur Auftragsvergabe Ist die Leistung geplant und vom Kunden beauftragt, so müssen die Teilleistungen beschafft werden. Für viele Leistungen wird dies aber keine klassische Beschaffung von feststehenden Leistungen, sondern eine Auftragsvergabe sein, bei der die Leistungen oft nicht vollständig spezifiziert sind (vgl. Kapitel 4.3.3.1). Die Beschaffung erfolgt in weiten Teilen leistungsspezifisch und somit einzelfallbezogen. Sie nimmt in Teilen selbst Charakterzüge einer Kundenlösung an und wird anspruchsvoller (Sydow/Möllering 2004, S. 166). Die Integration der Leistungen erfolgt meist direkt am Objekt, so dass auf Seiten des Anbieters keine Lagerhaltung erforderlich ist. Die Auswirkungen auf die Beziehung zu den Lieferanten wurde bereits in Kapitel 4.3.3 behandelt. Während der Beschaffung ist also ein intensiver Informationsaustausch mit den Lieferanten erforderlich, der innerhalb des Unternehmens unterstützt werden muss. Der Fachbereich, der mit der Beschaffung beauftragt ist, muss eine genauere Leistungsspezifikation erhalten, Rückfragen des Lieferanten müssen ggf. intern geklärt werden usw.
66
96
Dabei hat der Anbieter aber eine strategische Gestaltungskomponente. Er kann seine vollständige Planung offenlegen oder nur Auszüge davon. Auch kann er Gesamtpreise oder leistungsabhängige Preise ausweisen und diese ggf. weiter in Teilleistungen aufteilen. Auch die Frage, welche Risiken von welchem Vertragspartner übernommen werden, ist eine strategische Gestaltungsfrage. Dabei kann es aber zur Auswahl der richtigen Strategie sinnvoll sein, im Vorfeld entscheidungsrelevante Informationen zu beschaffen.
Eine weitere Herausforderung sind die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen eine Beschaffung angestoßen wird. Denn nicht alle Beschaffungsvorgänge lassen sich genau zwischen Planung und Leistung einordnen. Ist zur Planung der Leistung eine Spezifikation durch den Lieferanten erforderlich, so fängt der Beschaffungsprozess schon in der Planungsphase an. Auf der anderen Seite kann der Bedarf an einer Leistung auch erst in der Leistungsphase oder der Nachkontaktphase entstehen. Damit steigt aber auch die Zahl der Bereiche, die eine Beschaffung initialisieren können und somit der Bedarf an einem funktionsfähigen Informationsaustausch. Die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beschaffung sind in Tabelle 16 dargestellt. Sachleistung
Auftragsleistung
Beschaffungsform Spezifikation der Leistung Beschaffungsspezifikation Ort der Übergabe der bestellten Leistung Kontrolle der Rechnungsstellung Zeitpunkt der Beschaffung Entstehung des Beschaffungsbedarfs
Dienstleistung
meist ausspezifizierte Leistungen im Vorfeld möglich Leistung meist allgemein spezifiziert Bestellung meist auf Lager
fallabhängig
auf Basis der Spezifikation möglich vor Produktion durch Produktionsplanung
durch Produktionsplanung/Bestellung
fallabhängig
Kundenlösung überwiegende offene Leistungsbeschreibungen meist nur in Interaktion bestimmbar meist leistungsspezifische Beschaffung Integration meist direkt am Leistungsort ggf. weitere Spezifikation notwendig
Felder 1,2,3 1,2,3 1,2,3 1,3
vor und während Produktion
1,2,3
durch Auftrag und während Auftrag
1,2,3
Tabelle 16: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beschaffung
4.4.2.5 Ausführung der Leistung in der Leistungsphase In der Leistungsphase wird die Leistung erbracht und dem Kunden übergeben.67 Dabei besteht die Leistung des Anbieters primär in geistiger Arbeit und nicht in einer physikalischen Objekttransformation. Die Leistung integriert aber meist physikalische Transformationen mehrerer Lieferanten. In der Leistungsphase fließen alle Informationen der vorhergehenden Phasen zusammen. Der mit der Leistungsausführung beauftragte Fachbereich benötigt die Informationen aus der Akquise, damit er weiß, welche Leistung der Kunde letztendlich haben will und welche Erwartungen es zu erfüllen gilt. Vor dem Hintergrund der meist unvollständigen Planung (vgl. Kapitel 4.3.2.2) benötigt der Fachbereich Kenntnisse über die ursprüngliche Leistungsvorstellung, um im Kundeninteresse Alternativen auswählen oder Prioritäten setzen zu können. Zusätzlich sind auch Informationen aus der Beschaffung notwendig (vgl. Kapitel 4.4.2.4). Die Leistungsphase ist also von einem hohen Informationsaustausch und Koordinationsaufwand geprägt (Stauss/Bruhn 2007, S .13 f.). Auch hier sind Rückflüsse zu den anderen Abteilungen nötig, um Prozesse anzustoßen und Anpassungen zu veranlassen. Auch können Bereiche wie die Akquisition und die Planung ihre Arbeit nur kritisch begutachten, wenn sie eine Rückmeldung erhalten. Insbesondere das Feedback des Kunden erfolgt dabei oft erst während oder nach der Leistungserstellung.
67
Hierbei ist zu beachten, dass die Leistungsphase zwar primär den Operationen in der Wertkette nach Porter entspricht, aber auch die Ausgangslogistik in Form der Übergabe an den Kunden beinhaltet.
97
Die Leistungsphase ist auch für die Zahlungsströme relevant: Die von den Lieferanten bezogenen Leistungen müssen bezahlt und die dem Kunden erbrachte Leistungen in Rechnung gestellt werden. Dazu muss der mit der Abrechnung beauftragte Unternehmensbereich (siehe Kapitel 4.4.3.2) Informationen haben, welche Leistungen von den Lieferanten beauftragt wurden und ob diese ordnungsgemäß erbracht wurden. Während hier bei fest definierten Leistungen meist die Bestellinformationen ausreichen, ist bei unvollständig spezifizierten Leistungen eine nachträgliche Spezifikation der Leistung oder eine Kontrolle der Rechnung durch den für die Leistungsausführung verantwortlichen Fachbereich erforderlich. Auch die Leistungen, die dem Kunden in Rechnung gestellt werden, müssen zuerst spezifiziert werden.68 Eine weitere Herausforderung entsteht durch die oft vorhandene Ortsgebundenheit von Kundenlösungen (vgl. Kapitel 3.1.3 und 4.3.1.2). Erfolgt die Erbringung am Ort des Kunden, so steht den Mitarbeitern die Infrastruktur des Unternehmens nur eingeschränkt zur Verfügung. Hier muss die Arbeit entweder so organisiert werden, dass sie auch ohne Zugriff auf die Infrastruktur ausgeführt werden kann oder ein mobiler Zugriff auf die Infrastruktur ermöglicht werden. Die einzelnen Auswirkungen auf die Leistungsphase sind in Tabelle 17 zusammengefasst. Sachleistung Tätigkeitsschwerpunkt Informationsbedarf zur Leistungserbringung Beschaffungsbedarf während der Leistungserbringung Anpassungsbedarf der Planung Bedeutung der Rückkopplung für vorgelagerte Wertschöpfungsbereiche Kontrolle der Lieferantenleistungen Rechnungsspezifikation Erbringungsort Nutzungsmöglichkeit der Firmeninfrastruktur Abhängigkeit von der Kundeninfrastruktur
Auftragsleistung
physikalische Transformationen
Dienstleistung physikalische und/oder geistige Transformationen
Kundenlösung geistige Transformationen; ggf. Integration physikalischer Transformationen
Felder 1,2
gering
fallabhängig
hoch
1,2,3
gering
meist gering
höher
1,2
gering
meist gering
höher
1,2,3
eher gering
fallabhängig
hoch
1,2
meist bezüglich Zusammensetzung und Qualität oft bezüglich der Leistungszusammensetzung fallabhängig
meist bezüglich Menge und Qualität nur bezüglich der Menge meist in der Firma
1,3 1,3 -
gegeben
oft nicht gegeben
-
meistens keine Abhängigkeit
meist gegeben
-
Tabelle 17: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Leistungsphase
4.4.2.6 Aktive Betreuung des Kunden in der Nachkontaktphase Die Nachkontaktphase oder After-Sales-Phase beinhaltet, wie in Kapitel 4.3.2.4 aufgezeigt, mehrere Aspekte von der Betreuung der erbrachten Leistung über die Erfassung des Kundenfeedbacks bis hin zur Schaffung der Basis neuer Aufträge durch den Auftraggeber und Dritte. Bei der Betreuung der Leistung ist der Anbieter Ansprechpartner für alle Komponenten seiner Leistung. Der hier zuständige Mitarbeiter benötigt also Informationen, welche Komponenten 68
98
Die Notwendigkeit einer Spezifikation entfällt bei Festpreisverträgen, sofern hier keine Änderungen außerhalb des Festpreises stattfanden und keine Teilzahlungen nach Projektfortschritt vereinbart wurden. Vgl. dazu auch Kapitel 4.3.2.3.
verwendet wurden und wer für diese verantwortlich zeichnet. Bei Nachbesserungen wie auch bei ergänzenden Serviceangeboten ist er somit oft von den Fachabteilungen und Lieferanten abhängig, da nur diese die entsprechenden Fachinformationen besitzen. Er muss also auf eine möglichst saubere Dokumentation des Vorhabens zurückgreifen können. Erhält der Anbieter eine mündliche oder schriftliche Rückmeldung des Kunden, so muss diese bearbeitet und an den richtigen Mitarbeiter oder Lieferanten weitergeleitet werden. Dazu ist ebenfalls eine Vorhabensdokumentation notwendig. Allerdings wird bei Kundenlösungen auf Grund der Vielzahl beteiligter Akteure und betroffenen Schnittstellen eine genaue Zuordnung der Fehler nicht immer möglich sein, zumal komplexe Organisationen selbst die Fehlerentstehung begünstigen können (Fahlbruch/Schöbel/Domeinski 2008, S. 22 ff. m. w. N.; Hofinger 2008, S. 39 ff., 50 f.; Reason 1997, S. 1 ff.; Reason 1990, S. 173 ff.). Bei der Nutzung der Kundenbeziehung zur Generierung neuer Aufträge ist es für den Anbieter sinnvoll, einen fortdauernden Kontakt zum Kunden zu halten, damit die positive Beziehung erhalten bleibt. Der Anbieter kann aber auch den Kunden von sich aus aktiv nutzen und ihn gegenüber interessierten Kunden als Referenzkunden nennen (Burr/Richter 2005; Gouthier/Schmid 2001, S. 226 m. w. N., 231). Dabei muss der Anbieter aber darauf achten, jeweils passende Kunden als Referenz anzugeben und auch nur solche, die mit einer entsprechenden Nennung einverstanden sind. Hierzu ist eine entsprechende Rückkopplung mit anderen Abteilungen und vor allem der Akquise erforderlich. Diese ganzen Aktivitäten können aber nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Vielmehr ist ein koordiniertes Vorgehen über alle Bereiche des Unternehmens notwendig, die mit dem Kunden in Kontakt stehen könnten. Der Kunde wird sicherlich nicht begeistert sein, wenn man ihn als Referenz nennt und zugleich eine Mängelbeseitigung aussteht. Auch ist die Frage nach neuen Aufträgen aus Unternehmenssicht evtl. nicht sinnvoll, wenn gerade über einen größeren Rechnungsbetrag gestritten wird. Der Anbieter muss also ein ganzheitliches CRM (Hofbauer/Schöpfel 2010, S. 324 ff.; Stokburger/Pufahl 2002, S. 11, 115 f., 204 ff.) betreiben, über das die Aktivitäten aller Bereiche koordiniert werden können – dazu gehören z. B. auch Informationen über Probleme beim letzten Auftrag, rückständige Rechnungen, besondere Kundenwünsche etc. Die starke Beziehungskomponente von Kundenlösungen wirkt somit auch nach Leistungsbeendigung fort.69 Ein solches ganzheitliches CRM ist aber nur möglich, wenn diese Informationen in geeigneter Form erfasst und gespeichert werden. Tabelle 18 fasst die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Nachvertragsphase zusammen.
69
Betrachtet man die Charakteristika des Kundenmanagements, so fallen zahlreiche Parallelitäten zum Ansatz der Kundenlösungen auf (vgl. Hofbauer/Schöpfel 2010, S. 17).
99
Sachleistung Abhängigkeit von anderen Abteilungen bei der Nachbesserung Abhängigkeit von anderen Abteilungen für Serviceangebote Bedeutung der Dokumentation des Projekts Fehlerzuordnung Bedeutung des langfristigen Kundenkontakts Bedeutung eines ganzheitlichen CRM
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
gering
Auftragsleistung
mittel
hoch
1,2
gering - mittel
fallabhängig
hoch
1,2
1,2
gering
mittel
hoch
meist leicht möglich
schwerer
oft schwer
1
eher gering
mittel
hoch
2,3
hoch
2,3
mittel
Tabelle 18: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen in der Nachvertragsphase
4.4.3 Auswirkungen auf die unterstützenden Aktivitäten des Unternehmens Im vorhergehenden Kapitel wurden die primären Aktivitäten der Wertkette für Kundenlösungen analysiert. Aufgabe dieses Kapitels ist es nun, diese Untersuchung für die unterstützenden Aktivitäten fortzusetzen. Analog zum Vorkapitel wird zuerst ein Abgleich mit den Wertketten für Sach- und Dienstleistungen erfolgen (Kapitel 4.4.3.1). Anschließend werden die Unternehmensinfrastruktur (Kapitel 4.4.3.2), die Personalwirtschaft (Kapitel 4.4.3.3), die Unternehmensentwicklung (Kapitel 4.4.3.4), das Lieferantenmanagement (Kapitel 4.4.3.5) und die Public Relations (Kapitel 4.4.3.6) untersucht. 4.4.3.1 Abgleich der unterstützenden Aktivitäten von Sach- und Dienstleistern im Vergleich zum Anbieter von Kundenlösungen Anders als bei den primären Aktivitäten liegen bei den unterstützenden Aktivitäten große Parallelitäten zu den Abläufen bei Sach- und Dienstleistungen vor. So ist die Unternehmensinfrastruktur und das Personalmanagement (wenn auch im Detail in teils unterschiedlicher Namensgebung) in allen Wertketten vorgesehen. Die Technologieentwicklung ist – wohl auch vor dem Hintergrund des sehr sachgutorientierten Technologie- bzw. Technik-Begriffs (Wissenschaftlicher Rat und Mitarbeiter der Dudenredaktion 1995, S. 3361 f.) – zur Unternehmensentwicklung geworden, weist aber inhaltlich große Parallelitäten auf. Die Beschaffung ist auf Grund ihrer bei Kundenlösungen zentralen Bedeutung zu einer primären Aktivität geworden und wurde in Kapitel 4.4.2.4 behandelt. Somit gibt es keine Phasen, die nicht auch bei Kundenlösungen vorgesehen sind. Das Lieferantenmanagement und die Public Relations sind hingegen neu in der Wertkette vorgesehen und betonen die langfristige und ganzheitliche Beziehung zu den Lieferanten und zur allgemeinen Öffentlichkeit und deren Pflege. 4.4.3.2 Die unterstützenden Aktivitäten der Unternehmensinfrastruktur Der Bereich der Unternehmensinfrastruktur ist als übergeordneter Bereich für alle internen Funktionen zu sehen, die die primären Aktivitäten unterstützen, aber nicht als eigene Aktivität aufgeführt sind. Porter (1985, S. 43) nennt dabei die Bereiche der Geschäftsleitung (general management), der Planung (planning), der Finanzwirtschaft bzw. des externen Rechnungswe100
sens (finance), der Buchhaltung (accounting), der Rechtsabteilung (legal), Regierungsbeziehungen (government affairs) und Qualitätsmanagement (quality management). Diese Liste ist aber nicht als abgeschlossen anzusehen. Es wird dabei wohl auch nie gelingen, eine abschließende Liste dieser Funktionen zu erstellen, da die notwendigen Funktionen abhängig von unternehmensspezifischen Merkmalen sehr unterschiedlich ausfallen können. Ziel kann somit nur sein, die wesentlichen Funktionen zu identifizieren. Binner (1998, S. 77) zählt die zentralen Funktionen eines Industriebetriebs auf. Von den insgesamt acht Funktionen sind jedoch mit der Entsorgungsfunktion und der Finanz- und Betriebsabrechnungsfunktion nur zwei zu nennen, die nicht in den primären oder den explizit genannten unterstützenden Aktivitäten enthalten sind. Hutzschenreuter/Dresel/Ressler (2007, S. 14 f.) verwenden eine ähnliche Struktur wie die Wertkette nach Porter und identifizieren sieben wichtige unterstützende Funktionen. Hierbei sind die IT, das Callcenter und das Finanz- und Rechnungswesen als weitere unterstützende Funktionen zu nennen.70 Ferner wurde in Kapitel 4.4.1.1 noch die Logistik der Infrastruktur eines Anbieters von Kundenlösungen zugeordnet. Die Auswirkungen auf die identifizierten Aktivitäten werden sehr unterschiedlich sein und in Teilen auch aus den bereits identifizierten Änderungen resultieren. Sie werden daher nur in ihren zentralen Zügen dargestellt. x Die Geschäftsleitung hat die Aufgabe, die Aktivitäten der Unternehmung auf strategischer Ebene zu planen und zu steuern. Diese grundlegenden Aufgaben werden sich durch Kundenlösungen nicht ändern, müssen aber auf die mit ihnen verbundenen Änderungen der Abläufe eingehen. Dabei muss die Geschäftsleitung insbesondere bei der Unternehmenskultur als Vorbild fungieren (Ziemeck/Elke/Zimolong 2007, S. 185 f.). Ein weiterer Faktor ergibt sich durch die Bildung von Netzwerken mit den Lieferanten. Die Geschäftsleitung ist dadurch auch in zunehmendem Maß für das Netzwerk als Ganzes verantwortlich, bekommt also eine doppelte Führungsaufgabe (Sydow 2006a, S. 406; Sydow 2006b, S. 375, 379 ff.). Dabei übernimmt sie teilweise auch die Aufgabe des boundary spanners, der die Verknüpfung der Organisationen herstellt (Adams 1980, S. 328 ff.; Adams 1976; Eberl/Kabst 2006, S. 120; Sydow 2006a, S. 410 f.). x Der Bereich der Planung ist für die eher operative Planung der Aktivitäten im Unternehmen zuständig. Hier ist wichtig, dass bei Kundenlösungen meist eine Einzelfertigung erfolgt und keine Lagerhaltung möglich ist. Somit kann auch keine Produktion „auf Halde“ erfolgen – Nachfrageschwankungen wirken direkt auf die Auslastung der betroffenen Bereiche. Damit gewinnt das Yield-Management an Bedeutung, bei dem über den Preis eine gleichmäßigere Auslastung erreicht werden kann (Herrmann 2003, S. 42 f.; Lovelock/Wirtz 2007, S. 211 ff.; Weatherford/Bodily 1992). Allerdings wird zugleich die Bedeutung einer Planung im Sinne einer Produktionsplanung sinken, da keine Produktionsstätten vorgehalten werden müssen. Die Planung wird sich bei Kun70
Die Autoren trennen die Produktentwicklung von der Forschung und Entwicklung als eigenständigen Bereich ab. Da in der Wertkette der allgemeinere Begriff der Technologieentwicklung verwendet wird, wird diese Trennung nicht weiter verfolgt.
101
denlösungen somit nicht mehr auf einen abgegrenzten Produktionsbereich beschränken können, sondern muss einen weitaus größeren Bereich an Unternehmensaktivitäten berücksichtigen. x Der Bereich der Finanzwirtschaft beschäftigt sich primär mit der Frage der Kapitalbeschaffung für das Unternehmen. Zielgruppe sind hierbei vor allem die Kapitalgeber, auf die bereits in Kapitel 4.3.5.1 eingegangen wurde. x Die Buchhaltung (bzw. die Finanz- und Betriebsabrechnung oder das Finanz- und Rechnungswesen) ist für die Abwicklung der Zahlungsvorgänge an Kreditoren und von Debitoren zuständig. Bei einer weiteren Fassung des Bereiches zählen auch die Kostenund Leistungsrechnung sowie das Controlling in diesen Bereich. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Bestellungen vom Kunden (vgl. Kapitel 4.3.2.3) und an Lieferanten (vgl. Kapitel 4.4.2.4) bei Kundenlösungen weniger konkret sind, sondern mehr Auftragscharakter haben. Damit muss aber der Inhalt der Rechnung erst spezifiziert werden, bevor sie kontrolliert bzw. erstellt werden kann. Teilweise ist die Kundenrechnung auch von einer Lieferantenrechnung abhängig, so dass hier weitere Abhängigkeiten zu berücksichtigen und zusätzliche Informationsaustausche notwendig sind. Bei der Kostenund Leistungsrechnung ist der meist hohe Anteil an Gemeinkosten und die damit einhergehende begrenzte Zurechenbarkeit der Kosten von Dienstleistungen als Problem zu beachten (Benkenstein/Stenglin 2005, S. 57; Dickhardt et al. 2004). x Die Rechtsabteilung ist bei Kundenlösungen vor allem mit einem geänderten Vertragstyp (vgl. Kapitel 4.3.2.2) konfrontiert, der stärker die Beziehung der Partner als die genauen Leistungen spezifiziert. Dies erschwert Kontrolle und Durchsetzung der Vertragserfüllung. Erschwerend kommen verschiedene Szenarien vor, in denen glaubhafte Drohungen ausgesprochen werden können oder Risiken bestehen (Siebert 2006, S. 11 ff.; vgl. auch Kapitel 4.3.1.3). Da öffentliche Streitigkeiten ggf. auch eine Auswirkung auf die Reputation eines Unternehmens haben können, müssen auch Aspekte der Public Relations (Kapitel 4.4.3.6) stärker berücksichtigt werden (Holzinger/Wolff 2009). x Der Bereich Regierungsbeziehungen ist den Public Relations zuzuordnen und wird dort (Kapitel 4.4.3.6) behandelt. x Das Qualitätsmanagement soll als ganzheitliche Aufgabe die Qualität der Leistungen des Unternehmens sicherstellen (Bruhn 2008, S. 3 ff.). Dabei sind die Besonderheiten bei der Qualität von Dienstleistungen (vgl. Kapitel 4.3.1.1) und die stärkere Gefahr organisatorischer Mängel (vgl. Kapitel 4.4.2.6) zu berücksichtigen. Da Kundenlösungen wie Dienstleistungen Unikate sind, muss sich das Qualitätsmanagement stärker an den individuellen Projekten als am generellen Produktionsprozess orientieren. x Der Bereich der Entsorgung ist vor allem dann relevant, wenn bei der Produktion spezifische Abfälle anfallen, die gesondert entsorgt werden müssen. Sie ist – vom normalen Büroabfall abgesehen – somit mehr ein Thema für Sachleister und meist eine Aufgabe für externe Dienstleister (Sydow/Möllering 2004, S. 165). 102
x Der Bereich der Informationstechnik (IT) oder – allgemeiner gefasst – der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) ist für die Bereitstellung und Betreuung der entsprechenden Infrastruktur von Netzwerk über Hardware bis hin zur Software zuständig. Hier ergeben sich drei zentrale Herausforderungen: Zum einen sind Dienstleistungen und Kundenlösungen oft vom Standort des Kunden abhängig, so dass viele Prozesse vor Ort und nicht in den Firmengebäuden erfolgen müssen. Dadurch gewinnt die mobile Nutzung der IKT an Bedeutung (zum Teil als Mobile Computing diskutiert) (Lehner 2003, S. 3, 5 ff.; Roth 2005, S. 1 ff.; Stromer/Meier/Lehner 2005). Der zweite Aspekt entsteht durch die engere Zusammenarbeit mit den Lieferanten. Da die Leistung nur in Zusammenarbeit mit den Lieferanten erbracht werden kann, muss auch der Wertschöpfungsprozess ganzheitlich betrachtet werden. Der Informationsaustausch darf daher nicht an der Unternehmensgrenze enden, sondern muss im Sinne eines Supply Chain Managements (SCM) (Chen/Paulray 2004; Corsten 2000) über Unternehmensgrenzen hinweg erfolgen – und resultiert in entsprechenden Anforderungen an die IKT. Der dritte und letzte Aspekt betrifft die Vielzahl an Informationen, die im Rahmen der Erstellung von Kundenlösungen und zur Wissenserhaltung dokumentiert werden müssen. Dadurch gewinnen das Wissensund das Dokumentenmanagement an Bedeutung (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 36 ff.; Schoop 2000; vgl. auch Kapitel 4.3.4.1 und 4.4.2.2). x Das Callcenter ist für die Annahme verschiedener interner und externer Anfragen z. B. für Bestellungen, den IT-Support etc. zuständig (Hutzschenreuter/Dresel/Ressler 2007, S. 15). Dabei stellen Callcenter oft eine durchgängige Erreichbarkeit sicher, beantworten einfachere Anfragen und leiten komplexere Anfragen an die zuständigen Ansprechpartner weiter. Die Auswirkungen von Kundenlösungen werden hier sehr stark von den Aufgaben des Callcenters abhängen. Im Bereich des Kundenkontakts sind aber zwei gegensätzliche Auswirkungen genereller Art hervorzuheben: Zum einen sind Kundenlösungen kontaktintensiver, womit sich eine Abwicklung über ein Callcenter zur Erhöhung der Erreichbarkeit anbietet. Auf der anderen Seite stehen bei Kundenlösungen der starke persönliche Bezug und die oft nur durch einen Lösungsmanager (vgl. dazu Schmitz/Eberhardt 2009b, S. 3, 9 ff.) bewältigbare Komplexität, die einem anonymen Kontakt über ein Callcenter eher entgegenstehen. Der Fokus im Callcenter geht daher bei Kundenlösungen eher weg von der Beantwortung von Fragen hin zu einer Weiterleitungsfunktion an die entsprechenden Fachbereiche bzw. Ansprechpartner. x Der Bereich der Logistik ist für die Abwicklung des Warenein- und -ausgangs inklusive der Lagerhaltung zuständig. Hier hat sich bei Kundenlösungen eine zentrale Änderung ergeben: Während die Logistik beim Sachleister Teil der primären Wertschöpfungsaktivitäten war und das Bestellwesen eine unterstützende Rolle hatte, sind bei Kundenlösungen die Aufgaben vertauscht. Das Bestellwesen ist nun zentraler Teil der Wertschöpfung (siehe 4.4.2.4), da die Beschaffung leistungsindividuell erfolgt und eine sehr enge Interaktion mit den Lieferanten erfolgt. Die direkte Integration und die Verlage-
103
rung der Leistungserstellung auf die Lieferanten reduzieren die logistischen Prozesse des Anbieters von Kundenlösungen oft auf einfachen Bürobedarf.71 Die Auswirkungen von Kundenlösungen auf den Bereich der Unternehmensinfrastruktur sind in Tabelle 19 zusammengestellt. Sachleistung Fokus der Geschäftsführung Fokus der Planung Interaktionsbedarf zur Rechnungskontrolle Interaktionsbedarf zur Rechnungserstellung Vertragskonstellationen Fokus des Qualitätsmanagements Entsorgung Bedeutung des mobilen Zugriffs auf Anwendungen Bedeutung des Supply Chain Management Fokus des Wissensund Dokumentenmanagements Kontaktintensität Fokus eines Callcenters Bedeutung der Logistik
Auftragsleistung Meist eigenes Unternehmen
Produzierender Bereich
Dienstleistung
Kundenlösung Eigenes Unternehmen und Partnernetzwerk Alle Unternehmensaktivitäten
Felder 3 1,2
gering
hoch
gering
hoch
1,3
meist vollständig
oft unvollständig
1,3
Produktionsprozess
Gesamter individueller Erbringsungsprozess
oft relevant
meist nicht relevant
eher gering
1,3
1,2 -
fallabhängig
eher hoch
-
hoch
2,3
Vor allem für die Entwicklung
fallabhängig
Gesamter Erbringungsprozess
1,2
gering Beantwortung von Anfragen hoch
fallabhängig fallabhängig meist gering
hoch Weiterleitung von Anfragen gering
1,2,3 1,2,3 -
fallabhängig
Tabelle 19: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensinfrastruktur
4.4.3.3 Stärkere Mitarbeiterfokussierung in der Personalwirtschaft Aufgabe der Personalwirtschaft ist die Betreuung der Mitarbeiter des Unternehmens und die Anwerbung von neuem Personal. Wie in Kapitel 4.3.4.1 dargestellt, ändern sich die Anforderungen an die Mitarbeiter bei Dienstleistungen und Kundenlösungen, so dass die Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter an Bedeutung gewinnt. Es ist dabei davon auszugehen, dass das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter eher steigt und der Anteil geistiger Arbeiten zuund der Anteil körperlicher Arbeiten abnimmt.72 Der Fokus rückt somit von einer Personalverwaltung in eine aktive Betreuung der Mitarbeiter, bei der Personalbindungsstrategien (vgl. zu einer Darstellung verschiedener Bindungsstrategien z. B. Burkart/Schwaab 2003.) eine hohe Bedeutung haben (Linsenmaier/Wilhelm 1997, S. 220). Zugleich empfiehlt sich bei Kundenlösung eine Abkehr von statischen Stellenbeschreibungen hin zu Rollenkonzepten (Keith/Groten 2004, S. 64 ff.). Spätestens bei Themen wie der Personalentwicklung wird aber deutlich, dass dies keine isolierte Aufgabe ist, sondern dass durch das Verhalten der anderen Mitarbeiter und insbesondere des Führungspersonals wesentlicher Einfluss auf die Sozialisation der Mitarbeiter genommen wird. Das Verhalten dieser Gruppen wirkt sich somit auf Faktoren wie Unternehmenskultur und Kundenorientierung aus (König/Aichner 1997; Ziemeck/ Elke/Zimolong 2007, S. 285 f.). Eine ganzheitliche Betrachtung ist auch deshalb sinnvoll, weil Ansätze wie z. B. Leistungsgarantien an die Kunden auch motivierende Auswirkung auf die Mitarbeiter haben können (Hogreve/Sichtmann 2009, S. 350 f.). Auf Grund der hohen 71
72
Die Beschaffung dieser allgemeinen Materialien ist sicherlich nicht Teil der primären Aktivitäten des Unternehmens und soll daher als Teil der Unternehmensinfrastruktur angesehen werden. Die damit früher verbundene begriffliche – und teilweise auch rechtliche – Unterscheidung in Arbeiter und Angestellte ist nicht mehr zeitgemäß und rechtlich heute irrelevant (vgl. dazu Hoyningen-Huene 2002, S. 40; Weber 1999, S. 483).
104
Bedeutung von Faktoren wie dem Informationsaustausch und der Unternehmenskultur ist zu erwarten, dass bei neuen Mitarbeitern stärker auf ihre organisatorische Eignung geachtet werden muss (O’Reilly/Chatman/Caldwell 1991). Eine entsprechende Prüfung von Bewerbern wird aber nur zusammen mit den jeweiligen Fachbereichen möglich sein. Für weitere Details der Auswirkungen sei auf Kapitel 4.3.4.1 verwiesen. Tabelle 20 fasst die Auswirkungen von Kundenlösungen auf den Bereich der Personalwirtschaft zusammen. Sachleistung Fokus der Personalwirtschaft Bedeutung von Personalbindungsstrategien Beschreibung von Tätigkeiten Bedeutung von Sozialisierung und von Vorbildern Anteil hoch qualifizierter Mitarbeiter Schwerpunkt der Tätigkeiten Bedeutung der organisatorischen Eignung von Mitarbeitern Interaktion mit den Fachbereichen
Auftragsleistung
Personalverwaltung eher gering
Dienstleistung
Kundenlösung
Gewinnung qualifizierten Personals eher hoch
über statische Stellenbeschreibungen
hoch über Rollenkonzepte
eher gering
Felder 1,2,3
eher hoch
-
geringer
fallabhängig
hoch
1,2
körperliche Arbeiten
fallabhängig
geistige Arbeiten
1,2,3
geringer
eher hoch
hoch
3
eher gering
eher hoch
1,2
Tabelle 20: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Personalwirtschaft
4.4.3.4 Ganzheitliche Perspektive der Unternehmensentwicklung Der Bereich der Unternehmensentwicklung (bzw. der Technologieentwicklung) umfasst alle Aktivitäten, um Wissen, Prozesse und Produkte im Unternehmenskontext zu verfassen. Schon Porter (1985, S. 41 f.) wählte hier bewusst einen sehr weiten Begriff, der nicht nur die produktbezogenen Entwicklungsaktivitäten, sondern auch Bereiche wie die IKT umfasst. Der begriffliche Wandel hin zur Unternehmensentwicklung unterstreicht diese erweiterte Ausrichtung zusätzlich. Beim Anbieter von Kundenlösungen findet keine klassische, der Produktion vorgelagerte Entwicklung mehr statt. Die Entwicklung findet für jedes Produkt individuell statt (vgl. Kapitel 4.4.2.3), wobei im Vorfeld das dazu notwendige Potential aufgebaut werden muss. Dabei können im Vorfeld aber Konzepte ausgearbeitet werden, nach denen die Leistungsintegration erfolgen kann. Zum Potential gehört somit auch der Aufbau eines Netzwerks an Lieferanten und die Aneignung von Wissen über deren Möglichkeiten und der Integration ihrer Leistungen. Die Unternehmensentwicklung muss daher immer auch das Lieferantennetzwerk betrachten und ganzheitlich denken. Die Abgrenzung hin zum Lieferantenmanagement (Kapitel 4.4.3.5) ist fließend. Sachleistung Entwicklungsaktivitäten Fokus der Unternehmensentwicklung
Auftragsleistung
Vor der Produktion Primär eigenes Unternehmen
Dienstleistung Potentialaufbau im Vorfeld der Leistungserbringung, ggf. individuelle Entwicklung
Kundenlösung
Felder
Individuelle Entwicklung
1,2
Eigenes Unternehmen und Netzwerk
3
Tabelle 21: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensentwicklung
105
In Tabelle 21 sind die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensentwicklung zusammengefasst. 4.4.3.5 Vom Preis zur ganzheitlichen Betrachtung im Lieferantenmanagement Das Lieferantenmanagement ist als neue unterstützende Aktivität für Kundenlösungen hinzugekommen. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Lieferanten für den Erfolg einer Kundenlösung (vgl. Kapitel 4.3.3) wird dadurch die zentrale Bedeutung der Lieferanten aber auch die Bedeutung der Pflege der Beziehung zu ihnen unterstrichen. Es wurde gezeigt, dass bei Kundenlösungen die Transaktionen mit den Lieferanten nicht über (anonyme) Marktbeziehungen erledigt werden können, sondern dass die Bildung von Netzwerken und Partnerschaften erforderlich ist, um die gewünschte Leistung erhalten zu können. Doch Netzwerke und Partnerschaften bilden sich nicht von alleine. Zu ihrer Bildung sind sowohl spezifische Fähigkeiten als auch eine geeignete Beziehung notwendig, in der Vertrauen entstehen kann (Eberl/Kabst 2006, S. 113 ff.; Sydow 2006a, S. 414 ff. m. w. N.). Die Beziehungen zu den Lieferanten müssen also aktiv gepflegt werden. In der Literatur zur Sachgüterbeschaffung wird oft eine andere Meinung zur Beziehung zwischen Anbieter und Lieferant vertreten. So zeigen Riffner und Weidelich (2001, S. 86 ff.) an einem Beispiel auf, dass ein hartes und konsequentes Auftreten gegenüber dem Lieferanten von Vorteil ist und sprechen sich gegen eine kooperative Beziehung aus. Diese Konstellation mag bei einigen Gütern zutreffend sein, ist aber auf einen bereits abgeschlossenen und ausspezifizierten Vertrag angewiesen (Riffner/Weidelich 2001, S. 133 ff.). Ist der Vertrag noch nicht geschlossen, steht noch eine Spezifizierung aus oder treten Probleme auf Anbieterseite auf, sieht die Situation schnell anders aus. So bestätigt auch Large (2003) im Rahmen einer branchenunabhängigen empirischen Untersuchung den positiven Zusammenhang insbesondere zwischen der Beziehungsqualität und dem durch Termintreue, Qualität, Innovationsleistung und Leistungspotential operationalisierten Erfolg des Lieferantenmanagements (Large 2003, S. 256 ff.). Durch die Marktänderungen der letzen Jahre hat eine stärker beziehungsorientierte Beschaffung generell an Bedeutung gewonnen (Riemer/Klein 2002; Sydow/Möllering 2004) – wobei die dafür verantwortlichen Faktoren bei Kundenlösungen besonders deutlich zu Tage treten. Die Pflege und Entwicklung des Lieferantennetzwerks als Ganzes und auch zu jedem einzelnen Partner sind somit wichtiger Teil der Unternehmensentwicklung (Riemer/Klein 2002, S. 7 ff.; Sydow/Möllering 2004). Es steht dabei nicht mehr der Preis als einziger Faktor im Vordergrund, sondern die Gesamtleistung insgesamt (Eyholzer/Kuhlmann/Münger 2002, S. 67; Sydow/Möllering 2004, S. 151 f.). Die konkrete Ausprägung der Aktivitäten im Lieferantenmanagement kann dabei ein sehr weites Feld von der Bewertung der Lieferanten über eine gemeinsame Weiterentwicklung bis hin zu Maßnahmen zur Anpassung der Kulturen reichen. Für weitere Details wird auf die spezifische Fachliteratur verwiesen (vgl. dazu z. B. Eyholzer/Kuhlmann/Münger 2002, S. 67 ff.; Hage/Alter 1997; Riemer/Klein 2002, S. 11 ff.; Semlinger 2006, S. 50 ff.; Sydow/Möllering 2004). Die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen auf das Lieferantenmanagement sind in Tabelle 22 zusammengefasst. 106
Sachleistung Transaktionen mit den Lieferanten Bedeutung der Beziehungspflege zu den Lieferanten Kooperative Beziehung zu den Lieferanten
Kundenlösung
Felder
oft über anonyme Marktbeziehungen
Auftragsleistung
Dienstleistung
Über Lieferantennetzwerke
3
meist gering
hoch
3
weniger notwendig
notwendig
2,3
Tabelle 22: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf das Lieferantenmanagement
4.4.3.6 Reputationssteigerung als Ziel der Public Relations Der Bereich der Public Relations ist für die Beziehungen zur Öffentlichkeit (vgl. Kapitel 4.3.5.3) zuständig. Entsprechende Aktivitäten sind nicht nur bei Kundenlösungen relevant, sondern auch für Sach- und Dienstleister. Der Anbieter von Sachleistungen kann aber ein produktbezogenes Marketing betreiben und die Kaufentscheidung des Kunden wird in wesentlichen Teilen von den Eigenschaften des Produkts abhängig sein (vgl. dazu Kapitel 4.3.1.1). Bei Kundenlösungen hingegen mangelt es zum einen an einem bewerbbaren Produkt (vgl. dazu Kapitel 4.3.2.1) und zum anderen werden andere Faktoren wie z. B. das Vertrauen in den Anbieter (vgl. dazu Kapitel 4.3.1.3 und 4.3.2.1) für die Kaufentscheidung ausschlaggebend. Somit muss der Anbieter verstärkt auf seine Reputation und sein Auftreten in der Öffentlichkeit achten – die Public Relations bekommen zentrale Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Hier ist aber zugleich eine stärkere Absprache insbesondere mit der Akquise notwendig, um einen einheitlichen Marktauftritt zu gewährleisten. Sachleistung Möglichkeit produktbezogenen Marketings Auswirkung der Reputation des Anbieters auf das Kaufverhalten Koordinationsbedarf der Public Relations
Auftragsleistung
Dienstleistung
Kundenlösung
Felder
hoch
eher gering
1
mittel
hoch
1,3
eher gering
hoch
-
Tabelle 23: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Public Relations
Die wesentlichen Auswirkungen bei den Public Relations finden sich in Tabelle 23. 4.5
Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander
In den beiden vorhergehenden Kapiteln wurden die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Akteure außerhalb und innerhalb des Unternehmens dargestellt. Bei der Erarbeitung des Analyserasters in Kapitel 4.1 wurde darauf hingewiesen, dass durch das gewählte Vorgehen solche Auswirkungen unberücksichtigt bleiben, die nur innerhalb oder zwischen den Stakeholdergruppen auftreten. Allerdings würde bei einer vollständigen Analyse aller 28 möglichen Beziehungen73 die Gefahr bestehen, dass der Blick auf die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen verloren geht. Insbesondere in den Bereichen, in denen Kundenlösungen schon geringe Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Stakeholder und Unternehmen haben, ist nicht zu erwarten, dass sie weitere Auswirkungen auf die Beziehungen des Stakeholders zu Dritten hat. Es erscheint daher zielführender, sich auf die Auswirkungen zu 73
Es müssten die Auswirkungen jede der sieben Stakeholdergruppen auf die restlichen sechs berücksichtigt werden (42), wobei jedoch keine doppelte Berücksichtigung erfolgen müssen (21). Dazu kommen noch die internen Auswirkungen auf die sieben Stakeholder (28).
107
begrenzen, die sich aus den in den Vorkapiteln erarbeiteten Auswirkungen ableiten lassen. Somit wird der Fokus auf die Kunden und die Lieferanten gelegt, bei denen sich eine große Zahl an Änderungen gezeigt hat. Auf die Gruppen der Konkurrenz und der Mitarbeitenden wird kurz eingegangen. Die verbleibenden Gruppen (Kapitalgeber, Staat und Öffentlichkeit) werden nicht näher betrachtet.74 Bei den Kunden (vgl. Kapitel 4.3.2) wurde vor allem eine intensivere und individuellere Kommunikation zum Anbieter identifiziert. Diese betrifft aber primär das Innenverhältnis zwischen Anbieter und Kunden, so dass hier keine Auswirkungen auf weitere Stakeholder zu erwarten sind. Ein weiterer Faktor ist die große Unsicherheit, die es auf Kundenseite zu überwinden gilt. Hier können andere Kunden aber auch Dritte (z. B. Lieferanten, glaubwürdige Dritte etc.) helfen, durch Empfehlungen oder die Signalisierung von Vertrauen die Unsicherheit zu reduzieren. Somit wird die Unsicherheit zu einer stärkeren Kommunikation des Kunden mit Dritten führen (vgl. dazu insbesondere Horbel/Woratschek 2009 sowie Kapitel 4.3.2.1). Ein weiterer Faktor bei der Kundenbeziehung war die größere Bedeutung des Leistungsumfelds. Auch dies kann zu einer Wahrnehmung von und Kommunikation mit anderen Kunden oder Dritten führen. Nehmen Dritte die Leistung auch wahr, so kann hier ein Feedback an den Kunden erfolgen und sich auf seine Leistungswahrnehmung auswirken. Man mag sich nur die Auswirkungen einer positiven Rückmeldung der Gäste einer Abendveranstaltung an den Veranstalter vorstellen, die sicherlich maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmung des Veranstalters hat. Weitere Auswirkungen auf Kundenseite können eine stärkere Interaktion mit den Lieferanten (siehe dort) und einer Einbeziehung Dritter bei durch den Kunden zu erbringenden Eigenleistungen sein. Bei den Lieferanten (vgl. Kapitel 4.3.3) wurde vor allem die Bildung von Partnerschaften und die große Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Leistung der Lieferanten identifiziert. Diese Auswirkungen werden nicht ohne Folge für die Beziehung der Lieferanten untereinander sein. Denn die Netzwerkkultur (vgl. insbesondere Kapitel 3.2.4 und 4.4.3.5) wird nicht nur durch das Verhältnis zwischen Anbieter und Lieferant beeinflusst, sondern auch durch das Verhältnis der Lieferanten untereinander. Auch die Qualität der Gesamtleistung (vgl. Kapitel 4.3.3) hängt in vielen Bereichen davon ab, wie die Leistungen der Lieferanten ineinander greifen. Darüber hinaus haben die Lieferanten auch Kontakt mit dem Kunden. Hier muss der Anbieter sicherstellen, dass der Informationsfluss zwischen dem Kunden und ihm auch dann funktioniert, wenn ein Lieferant zwischengeschaltet ist. Auch die Gefahr einer Ausnutzung des direkten Kontakts zum Kunden durch den Lieferanten ist zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 4.3.2.3). Bei den Mitarbeitenden (Kapitel 4.3.4.1) wurde vor allem eine Erhöhung der Kontaktintensität mit dem Kunden, Änderung bei der Qualifikation und die Notwendigkeit eines höheren Entscheidungsspielraums ermittelt. Die Kontakte des Mitarbeiters mit dem Kunden und ggf. weiteren Personen des Umfelds wurden schon behandelt (vgl. Kapitel 4.3.2 und die Ausfüh74
Zwar wurden bei der Gruppe der Öffentlichkeit einige Auswirkungen identifiziert – diese resultierten aber fast ausschließlich auf einen anderen Marktauftritt zur Gewinnung neuer Kunden – und können daher in der Gruppe der Kunden mit abgearbeitet werden. Auswirkungen auf einzelne Institutionen wie z. B. Verbände etc. konnten nicht identifiziert werden.
108
rungen zu den Kunden in diesem Kapitel). Die höhere Qualifikation der Mitarbeiter und die größere Bedeutung von weichen Faktoren werden sicherlich dazu führen, dass sich Bewerber im Vorfeld intensiver mit ihrem neuen Arbeitgeber auseinandersetzen und dabei – ähnlich dem Kunden – auf Erfahrungsberichte Dritter zurückgreifen können (Beile/Wilke/Voß 2009, S. 241 f.; Johnson 2000, S. 69 ff.; Knoblauch 2002, S. 67; Trost/Keim 2007, S. 4 ff.). Bei der Konkurrenz wurden in Kapitel 4.3.4.2 sehr wenige Auswirkungen festgestellt, die sich primär auf die Wettbewerbssituation bezogen. Allerdings kommen Konkurrenten in zweierlei Hinsicht in Kontakt mit den Lieferanten. Zum einen kommt es bei Kooperationen mit einem Konkurrenten meist zu einem Kontakt des Konkurrenten mit den eigenen Lieferanten und Kunden. Diese Interaktion erfolgt aber nur bei ausgewählten Konkurrenten und basiert meist auf Gegenseitigkeit – der Anbieter bekommt genauso Kontakt mit den Kunden und Lieferanten des Konkurrenten. Der zweite Aspekt ist jedoch weniger steuerbar: Die Lieferanten werden nicht ausschließlich für den Anbieter tätig sein, sondern auch für andere Anbieter und somit für Konkurrenten tätig sein (Sydow 2006a, S. 407 m. w. N.). Dabei kann es aus Anbietersicht durchaus zu Interessenskonflikten kommen. Tabelle 24 fasst die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander zusammen. Sachleistung Kommunikation des Kunden mit Externen zur Überwindung der Unsicherheit Interaktion des Kunden mit Dritten als Teil der Leistung Rückmeldung Dritter an den Kunden über Leistungsqualität Eigenleistungen des Kunden Bedeutung der Netzwerkkultur zwischen den Lieferanten Abhängigkeit der Leistungsqualität von der Interaktion der Lieferanten Direkter Kontakt zwischen Lieferant und Kunden Gefahr einer Ausnutzung des direkten Kundenkontakts durch den Lieferanten Kooperationen mit der Konkurrenz
Auftragsleistung eher gering
Kundenlösung
Felder
fallabhängig
eher hoch
1,3
nicht der Fall
möglich
2,3
selten
eher möglich
-
meist keine
möglich eher gering
1,2 hoch
3
gering
meist gering
hoch
2,3
meist nicht der Fall
möglich
meistens
2,3
hoch
3
gering
möglich
Einbindung von Lieferanten in Netzwerke der Konkurrenz Auseinandersetzung von Bewerbern mit Dritten
Dienstleistung
2,3
fallweise möglich
eher gering
meist die Regel
eher intensiv
3
-
Tabelle 24: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander
4.6
Auswirkungen von Kundenlösungen – ein Zwischenfazit
Im Rahmen dieses Kapitels wurden die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die internen Funktionsbereiche und die externen Akteure eines Unternehmens aufgezeigt sowie die Aus109
wirkungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Auswirkungen von Kundenlösungen sehr weitreichend sind. Viele der identifizierten Auswirkungen hängen voneinander ab, manche sind kleinerer, manche größerer Art. Im nächsten Schritt muss es nun darum gehen, diese Auswirkungen zu systematisieren, um die zentralen Herausforderungen für die Kommunikationsprozesse eines Anbieters von Kundenlösungen zu identifizieren. Allerdings zeigte sich auch, dass eine scharfe Abtrennung der Leistungsarten nicht immer möglich ist. So handelt es sich bei den Leistungen oft um Mischformen verschiedener Leistungsarten und die Anbieter selbst bieten oft auch Leistungen mehrerer Leistungsarten an. Ein Bauunternehmen, das eine Komplettabwicklung eines Hausbaus anbietet, bietet neben der Kundenlösung der Komplettabwicklung auch eine Leistung an, die sich weder sauber den Sach- noch den Dienstleistungen zuordnen lässt. Verstärkt wird diese Schwierigkeit durch die sehr unterschiedlichen Charakteristika einzelner Leistungen, was gerade im Dienstleistungsbereich deutlich wird: Sowohl die bereits genannte vollautomatische Autowäsche als auch die individuelle Altersvorsorgeberatung sind Dienstleistungen. Dass diese aber in vielen Bereichen völlig unterschiedliche Anforderungen verursachen, ist leicht zu erkennen. Auch unterschiedliche Produktionsansätze mit Variationen z. B. in der Fertigungstiefe verkomplizieren die Situation zusätzlich. Dies führt zu dem Dilemma, dass sich wohl für viele der genannten Auswirkungen Gegenbeispiele finden lassen, bei denen die Unterschiede nicht oder anders als dargestellt auftreten. Zwar wird sich im Gegenzug meist die Taktik anbieten, die Leistungsart der als Beispiel vorgebrachten Leistung zu hinterfragen – aber zielführend ist das sicherlich nicht. Es muss daher noch einmal betont werden, dass es sich bei den dargestellten Auswirkungen oft um Trendaussagen handelt. Sie sagen aus, dass eine Auswirkung bei einer Leistungsart verstärkt auftritt oder eben durch die Leistungsart notwendig wird, während sie bei anderen Leistungsarten nicht notwendig ist. Diese Unschärfe ist für das Ziel, die wesentlichen Auswirkungen von Kundenlösungen aufzuzeigen, ausreichend. Ein anderer Ansatz würde aber auch die Gefahr beinhalten, sich bei der Diskussion um Kundenlösungen nicht auf die betrieblichen Konsequenzen zu konzentrieren, sondern das Augenmerk auf eine möglichst exakte und abschließende Definition zu legen. Auch wenn eine solche sicherlich hilfreich wäre, wird bei Kundenlösungen wohl das Gleiche gelten wie bei Dienstleistungen: Eine umfassende und abschließende Definition kann es nicht geben – sondern nur eine mehr oder wenig zweckmäßige (vgl. dazu Kleinaltenkamp 2001, S. 4 und Kapitel 3.1.2). Bevor aber die Systematisierung der Auswirkungen von Kundenlösungen angegangen wird, wird anhand einer exemplarischen Untersuchung die Praxisrelevanz der Auswirkungen aufgezeigt.
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5 Auswirkungen von Kundenlösungen in der Praxis – eine Analyse in der Bauindustrie Nachdem im Vorkapitel auf theoretischer Basis die Unterschiede von Kundenlösungen im Vergleich zu Sach- und Dienstleistungen erarbeitet wurden, wird nun anhand einer Fallstudie in der Bauindustrie gezeigt, dass die identifizierten Unterschiede in der Praxis wie beschrieben auftreten und eine Praxisrelevanz haben. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden durch den Autoren verschiedene Analysen der Abläufe in der Bauindustrie vorgenommen. In der Bauindustrie werden insbesondere im Rahmen des Schlüsselfertigbaus Kundenlösungen abgesetzt, so dass die Analysen aufzeigen, wie Kundenlösungen erbracht werden und welche Probleme dabei auftreten können. Die Analysen können sicherlich keine allgemeinen Auswirkungen von Kundenlösungen identifizieren. Zum einen ist die Zahl der betrachteten Unternehmen zu gering, um aus den Daten empirisch belastbare Schlussfolgerungen ziehen zu können. Zum anderen fokussieren die Analysen mit der Bauindustrie – und dort vor allem auf den Absatz an private Endabnehmer – auf eine spezifische Branche, so dass sich daraus keine Aussagen für Kundenlösungen allgemein herleiten lassen. Ziel dieses Kapitels ist somit, anhand einzelner exemplarischer Beispiele die Praxisrelevanz der identifizierten Unterschiede von Kundenlösungen aufzuzeigen. Zugleich kann zumindest eine Prüfung dahingehend erfolgen, ob neben den identifizierten Auswirkungen in der Praxis noch weitere auftreten und ob die Erscheinungen von Kundenlösungen in der Praxis erheblich von den in Kapitel 4 aufgezeigten abweichen. Das Kapitel beginnt mit einer Beschreibung des Forschungsvorhabens und des Untersuchungsgebiets der Bauindustrie (Kapitel 5.1). Anschließend werden Erkenntnisse einer Kommunikationsanalyse in drei Unternehmen (Kapitel 5.2) sowie die Ergebnisse einer Befragung zu den Netzwerkstrukturen in der Bauindustrie (Kapitel 5.3) dargestellt. Abschließend werden die Erkenntnisse der Erhebungen zusammengefasst (Kapitel 5.4). 5.1
Die Bauindustrie als Untersuchungsfeld
Die beiden im Folgenden vorgestellten Erhebungen fanden im Rahmen eines Forschungsprojekts statt, welches zum Verständnis der zugrundeliegenden Zielsetzungen kurz dargestellt wird (Kapitel 5.1.1). Anschließend wird die Bauindustrie als Untersuchungsgebiet vorgestellt, damit die Erhebungen in den wirtschaftlichen Rahmen dieser Branche eingeordnet werden können (Kapitel 5.1.2). 5.1.1 Kurzvorstellung des Forschungsprojekts „SInProD“ Zusammen mit drei Industriepartnern führte die Universität Hohenheim in den Jahren 2006 bis 2009 ein Forschungsprojekt in der Bauindustrie durch. Das Forschungsprojekt unter dem
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Namen „Strategien der Integration von Produkten und Dienstleistungen in der Bauindustrie“ (SInProD) wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.75 Ausgangspunkt des Projekts war die zunehmende Angleichung von Produkten und Produktqualitäten in wenig innovationsgetriebenen Märkten. Die Anbieter stehen hier vor dem Problem, dass Qualitätsunterschiede für den Kunden kaum wahrnehmbar sind und somit der Preis das zentrale Unterscheidungskriterium ist. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können jedoch keine Skaleneffekte erzielen und somit keine Preisführerschaft erlangen. Als Alternative bietet sich für diese Anbieter an, sich auf ihre Problemlösungskompetenz zu konzentrieren und ihre Sachleistungen um für den Kunden wertschöpfende Dienstleistungen zu ergänzen und somit Kundenlösungen anzubieten. Mit diesen Dienstleistungen können für den Kunden wahrnehmbare Qualitätssignale geschaffen werden und somit der Wettbewerb stärker auf qualitative Aspekte ausgerichtet werden. Jedoch wirft die Integration von Sachleistungen und Dienstleistungen neue Fragestellungen auf. Diese wurden im Rahmen des Projekts untersucht, wobei vier zentrale Forschungsschwerpunkte gebildet wurden. Der Schwerpunkt, an dem der Autor beteiligt war, beschäftigte sich mit der Frage, welche organisatorischen Herausforderungen bei der Integration von Sachleistungen und Dienstleistungen zu bewältigen sind. Weitere Schwerpunkte lagen in der Entwicklung von Kopplungsstrategien, bei Fragen des Controllings sowie bei der Qualitätswahrnehmung und der Zahlungsbereitschaft. Die Bauindustrie bot sich als Untersuchungsfeld an, da sie stark von kleinen Unternehmen geprägt ist und sich durch einen hohen Wettbewerbsdruck auszeichnet (vgl. Kapitel 5.1.2). Die beteiligten Industriepartner fokussierten in unterschiedlicher Weise auf das Angebot von Komplettlösungen im Bereich des Hausneubzw. -umbaus, brachten also Erfahrungen mit Kundenlösungen in das Projekt ein. 5.1.2 Charakteristika der Bauindustrie in Deutschland Im Fokus des Forschungsvorhabens stand die Bauindustrie in Deutschland und hier vor allem die Erbringung von Komplettleistungen für den privaten Endkunden. Die amtliche Statistik der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zeigt für das Jahr 2006 folgende Daten für das Baugewerbe auf (Statistisches Bundesamt 2009, S. 493): x 382 736 der 3 551 240 Unternehmen in der BRD entstammen dem Baugewerbe (10,8 %). x 348 204 dieser Betriebe haben weniger als 10 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (91,0 %). x 1 487 728 der 24 360 903 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen in der BRD sind im Baugewerbe tätig (6,1 %). x 208 008 Mio. € der steuerbaren Umsätze in der BRD von 4 872 410 Mio. € entfielen auf das Baugewerbe (4,3 %).
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Förderkennzeichen 01FD0667
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Die Bauindustrie ist somit von einer kleingliedrigen Unternehmensstruktur geprägt, wobei die Umsätze pro Mitarbeiter im Vergleich eher gering ausfallen. Ein Grund dafür dürfte im intensiven Wettbewerb der letzten Jahre liegen. Nach einem Bauboom in den Neuen Bundesländern nach der Wende brachen Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts die Aufträge ein. Zwar wurde der Rückgang an Bauleistungen teilweise durch eine Reduktion der Beschäftigtenzahl kompensiert, eine vollständige Kompensation konnte jedoch nicht erfolgen (Grömling 2001, S. 4 ff.; Ottnad/Hefele 2008, S. 23 ff.; Statistisches Bundesamt 2008b). Verschärfend wirkte sich dabei die zunehmende Konkurrenzsituation mit ausländischen Arbeitern aus (Kofner 1998, S. 52 ff.; Landtag von Baden-Württemberg 2000), die bis heute zu einem intensiven Preisdruck führt (Grömling 2001, S. 50 f.). Die Bauindustrie ist seit jeher von einer starken Arbeitsteilung geprägt. Bei der Erstellung eines Hauses arbeiten in aller Regel zahlreiche Firmen unterschiedlicher Gewerke zusammen, die meist durch einen Architekten koordiniert werden (Ebers et al. 2000, S. 251 m. w. N.; Hermesch 2002, S. 137 m. w. N.; Johnston/Lawrence 1988, S. 98; Kofner 1998, S. 54). Ein Bauprojekt darf dabei nicht auf die eigentliche Bauausführung reduziert werden, sondern muss als Teil eines umfassenden Planungs- und Koordinationsprozesses gesehen werden. Dabei können neun zentrale Phasen unterschieden werden, die in § 33 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI) aufgeführt sind: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Grundlagenermittlung Vorplanung Entwurfsplanung Genehmigungsplanung Ausführungsplanung Vorbereitung der Vergabe Mitwirkung bei der Vergabe Objektüberwachung, Bauüberwachung Objektbetreuung und Dokumentation
Darüber hinaus kann die Wertschöpfung auch über die Projekterstellung hinaus erweitert werden. Entsprechende Angebote können in der Nutzungsphase das Facility Management und nach Nutzung das Recycling sein (Hermesch 2002, S. 125 f. m. w. N.). Vor dem Hintergrund der beschriebenen starken wettbewerblichen Veränderungen ist in der Bauindustrie ein Trend zu verzeichnen, dass die Unternehmen sich von der Erbringung einer spezifischen Bauleistung (z. B. dem Rohbau) hin zu einem Dienstleister bzw. Komplettanbieter entwickeln (Bock 1996; Ebers et al. 2000, S. 251; Helmus/Weber 2003, S. 20 f.; Helmus/Weber 2000 m. w. N.; Hermesch 2002, S. 6 f. m. w. N., 133 ff.; Hochstadt/Laux/Sandbrink 1999, S. 119 ff.; Schütt 1996). Dabei übernehmen sie als Generalunternehmer die Verantwortung für den Ausbau oder übernehmen als Totalunternehmer auch die Architektenleis-
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tung.76 Weitergehendende Entwicklungsschritte bis hin zum Systemanbieter sind möglich, wie aus Abbildung 19 ersichtlich ist. Eigenleistungen Fremdleistungen
Fachplaner
Dienstleister
Abhängigkeit
Juristen Ökonomen Architekten Fachingenieure Rohbau
z. B. Monierarbeiten
Ausbau
+ Grundstücke + Vertrieb
+ Planung
+ Ausbau + Technische Gebäudeausrüstung
+ Facility Management + Anlagenteil
Dienstleister Betreiber
Projektentwickler
Totalübernehmer (Totalunternehmer)
Generalübernehmer (Generalunternehmer)
Systemanbieter
Kundenbedürfnisse & Rentabilität
Nachunternehmer
Rohbauer
Abbildung 19: Entwicklungsmöglichkeiten von Bauunternehmen vom Rohbauer zum Systemanbieter (nach Helmus/Weber 2003, S. 21)
Ab der Entwicklungsstufe des Totalunternehmers liegen dabei die Voraussetzungen für Kundenlösungen vor. Der Anbieter plant hier eine individuelle Leistung für den Kunden und integriert verschiedenen Sach- und Dienstleistungen zu einer Gesamtlösung, die für den Kunden in ihrer Gesamtheit wertschöpfend ist. Der Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojekts ist somit geeignet, Besonderheiten von Kundenlösungen aufzuzeigen. Bei einer Betrachtung von Kundenlösungen in der Bauindustrie darf jedoch nicht übersehen werden, dass hier branchenspezifische Besonderheiten bestehen, die einer Verallgemeinerung der Erkenntnisse entgegenstehen könnten. Hierbei sind insbesondere folgende Faktoren zu nennen (Grömling 2001, S. 35 ff. m. w. N.; Hermesch 2002, S. 126 f. m. w. N.; Hochstadt/ Laux/Sandbrink 1999, S. 122 ff.): x Es liegt eine Standortgebundenheit vor, die einen ständigen Wechsel der Produktionsstandorte und eine ständig neue Anordnung der Produktionsfaktoren bedingt. x Durch die Standortgebundenheit ist insbesondere für kleinere Firmen die Absatzreichweite einschränkt. x Die Standortgebundenheit erfordert für jedes Projekt die Einrichtung einer „provisorischen Fabrik“ (Hochstadt/Laux/Sandbrink 1999, S. 122), bei der optimale Bedingungen nur schwer zu erreichen sind. Insbesondere die Logistik steht wegen oft unzureichender Lagermöglichkeiten vor größeren Herausforderungen. x Bauprojekte erfordern ein Zusammenwirken zahlreicher Akteure mit unterschiedlichen Tätigkeitsprofilen und großen Interdependenzen. Eine gute Zusammenarbeit mit diesen
76
Der Generalunternehmer unterscheidet sich vom Generalübernehmer dadurch, dass er noch einen wesentlichen Teil der Bauleistung selbst erbringt. Gleiches gilt für den Totalunternehmer im Verhältnis zum Totalübernehmer (vgl. Helmus/Weber 2003, S. 21; Hermesch 2002, S. 135 f.; Hochstadt/Laux/Sandbrink 1999, S. 125; Schütt 1996, S. 15). Die Begrifflichkeiten werden jedoch nicht immer einheitlich verwendet (vgl. z. B. Ebers et al. 2000, S. 258).
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x
x x x
x
Akteuren und weiteren Externen (z. B. Behörden) ist dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Projektdurchführung. Zahlreiche externe Faktoren des Bauprozesses sind weder plan- noch beeinflussbar. Dazu zählen die standortspezifischen Faktoren sowie die Witterungsbedingungen. Dies führt u. a. zu einem schwankenden Arbeitskräftebedarf. Der Kunde hat einen großen Einfluss auf den gesamten Produktionsprozess und kann in vielen produktionsrelevanten Bereichen mitentscheiden. Der individuelle Charakter von Bauprojekten steht einer Serienfertigung und der Erzielung von Skaleneffekten entgegen. Unkalkulierbare und überraschend auftretende Probleme müssen schnell und selbständig gelöst werden und erfordern eine hohe Flexibilität und Erfahrung seitens der Mitarbeiter. Die Bauindustrie weist eine hohe Abhängigkeit von der konjunkturellen Entwicklung auf.
Es kann an dieser Stelle erst einmal dahingestellt bleiben, ob diese Faktoren spezifisch für die Bauindustrie sind oder – was wahrscheinlicher erscheint – in weiten Teilen aus den Leistungscharakteristika von Kundenlösungen resultieren. Die Fragestellung wird daher nach der Darstellung der Untersuchungsergebnisse in Kapitel 5.4 nochmals aufgegriffen. 5.2
Analyse der Kommunikationsprozesse in der Bauindustrie in Rahmen von Einzelfallstudien
Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden bei drei Unternehmen ausführliche Analysen der Prozessabläufe durchgeführt, um einen Überblick über die Abläufe zu bekommen und Schwachpunkte zu analysieren.77 Diese werden im Folgenden in anonymisierter Form dargestellt (Kapitel 5.2.2 bis 5.2.4). Zuvor wird die verwendete Methodik vorgestellt (Kapitel 5.2.1). Kapitel 5.2.5 gibt ein abschließendes Resümee der Untersuchungen. 5.2.1 Forschungsmethodik – Verwendung von Co-MAP zur Analyse der Kommunikationsprozesse Zur Analyse der Kommunikationsprozesse wurde die von Kethers (2000) entwickelte CoMAP-Modellierung verwendet. Im Gegensatz zu vielen anderen ablauforientierten Modellierungsmethoden wie Ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK) (vgl. dazu Keller/Nüttgens/ Scheer 1992; Scheer 1997, S. 49 ff.) oder Petri-Netzen (vgl. dazu Petri 1962; Petri/Reisig 2008) fokussiert Co-MAP weniger auf feste Prozessabläufe, sondern auf die Informationsflüsse zwischen den Akteuren (Stillman et al. 2009, S. 263 ff.; Stillman et al. 2008, S. 2, 6 f.). Co-MAP berücksichtigt dabei insbesondere die Aspekte der LAP (vgl. Kapitel 2.2.3) und erlaubt eine Erfassung von Informationsflüssen aus verschiedenen Perspektiven und ihre qualitative Bewertung (Kethers 2000, S. 30 ff., 115 ff., 128 f.). Diese Fokussierung bietet sich auch vor dem Hintergrund an, dass bei Kundenlösungen ein großer Informationsaustausch sowie flexible Abläufe zu erwarten sind und qualitative Aspekte in den Vordergrund treten (vgl. Kapitel 4). Co-MAP konnte bereits in mehreren Fallstudien z. B. im Bereich industrieller 77
Eine Dokumentation der Analysen erfolgt auch im Rahmen des Abschlussberichts des Forschungsprojekts (siehe http://www.sinprod.de/).
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Entwicklungen oder im Gesundheitssektor angewandt und evaluiert werden (Kethers 2002; Stillman et al. 2009; Stillman et al. 2008). Kethers berschreibt für die Co-MAP-Analyse vier Schritte (Kethers 2002, S. 1116 f.; Kethers 2000, S. 126 ff.): 1. Erfassung des informalen Prozessmodells 2. Formalisierung des Prozessmodells 3. Transformation in verschiedene Perspektiven (vgl. zu den Perspektiven Kethers 2002, S. 1114 f.; Kethers 2000, S. 66 ff.) 4. Analyse der Prozessmodelle Im Rahmen des Projekts beschränkte man sich auf die Erfassung des Prozessmodells und verzichtete auf eine Formalisierung und Transformation. Es zeigte sich, dass die erstellten Prozessmodelle – auch vor dem Hintergrund der begrenzten Zahl an Akteuren – ausreichend waren, um einen Abgleich der Perspektiven durchzuführen. Eine Formalisierung der Modelle hätte vor diesem Hintergrund keine weiteren Erkenntnisse versprochen. Für die Erfassung der Kommunikationsprozesse sieht Co-MAP eine Modellierung der Sichtweisen der einzelnen Organisationseinheiten vor. Dazu wird eine eigene Modellierungsmethode verwendet, bei der die Kommunikationsflüsse durch Symbole charakterisiert werden.78 Die Modellierung erfolgt unter starker Einbeziehung der Mitarbeiter. Der Ablauf einer Modellierung vollzog sich bei den Erhebungen in vier Schritten: 1. Identifizierung der Organisationseinheiten: Zunächst werden andere Organisationseinheiten erfasst und dokumentiert, mit denen die betrachtete Organisationseinheit in Beziehung steht. Dies können sowohl Einheiten derselben Organisation als auch externe Organisationen sein. 2. Ermittlung der Kommunikationsprozesse: Die zwischen den Einheiten stattfindenden Prozesse werden aus Sicht der zu analysierenden Organisationseinheit erfasst. Graphisch werden diese als Verbindungspfeile zwischen den dokumentierten Einheiten gekennzeichnet und beschriftet. Dabei hat es sich bewährt, dass die Akteure jeweils über ihre Arbeitsabläufe berichten und so nebenbei auch ein grobes Prozessablaufschema entsteht. Diese Prozesse beinhalten jeweils auch eine kommunikative Komponente, da ein Informationsaustausch zwischen den Akteuren notwendig ist, damit der Prozess vollzogen werden kann. Prozesse zwischen dritten Akteuren ohne Beteiligung der zu analysierenden Einheit werden in der Regel nicht erfasst, aber teilweise zur besseren Verständlichkeit dokumentiert.79 78 79
Die Symbole sind in Anhang B dargestellt. Dies hat sich insbesondere dann als sinnvoll erwiesen, wenn Kreisläufe auftreten (A gibt Dokument an B, B an C und C zurück an A) oder wenn auf vorhandene Abhängigkeiten hingewiesen wurde (Information kommt von B sehr spät, da B sie sehr spät von C erhält).
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3. Kennzeichnung der verwendeten Kommunikationsmedien: Für jeden Prozess werden die verwendeten Kommunikationsmedien gekennzeichnet (z. B. Brief, Notiz, E-Mail, persönliches Gespräch etc.). Dabei wird insbesondere auch zwischen formalen und informellen Medien unterschieden. 4. Bewertung der Kommunikationsflüsse: Im letzten Schritt werden die Kommunikationsflüsse einer qualitativen Bewertung unterzogen. Dies erfolgt primär bei den Flüssen, die auf die zu modellierende Organisationseinheit hin gerichtet sind. Durch entsprechende Symbole wird gekennzeichnet, ob der Informationsfluss aus Sicht der Einheit z. B. zu langsam ist oder ob eine Informationsüberflutung stattfindet.
Abbildung 20: Beispiel einer Co-MAP-Modellierung
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Ein Beispiel für das Ergebnis einer solchen Modellierung ist in Abbildung 20 dargestellt. Parallel wird ein Protokoll für die Informationen angefertigt, die nicht im Rahmen von Co-MAP erfasst werden können. Die Erhebungen erfolgten in drei Unternehmen Ende 2007 und Anfang 2008. Dabei wurden die Mitarbeiter in einer vorgelagerten Besprechung über das Ziel der Untersuchung informiert. Anschließend erfolgte die Modellierung der Sichtweisen im Rahmen von Einzelsitzungen mit jeweils einem Vertreter der Unternehmensbereiche. Der Autor moderierte die Sitzungen, ein weiterer universitärer Mitarbeiter dokumentierte die wesentlichen Aussagen der Teilnehmer. Im Vergleich zu der bei Kethers (2000, S. 130 ff.) vorgesehenen Vorgehensweise erfolgte die Modellierung somit nicht in Gruppensitzungen. Diese Abweichung war zum einen aus zeitlichen als auch aus organisatorischen Gründen erforderlich. Andere Fallstudien (z. B. Stillman et al. 2008) setzten Co-MAP ebenfalls erfolgreich in modifizierter Form ein. Die Eindrücke aus den Sitzungen deuten sogar eher darauf dahin, dass gerade durch die getrennte Modellierung Aspekte von den Mitarbeitern genannt wurden, die bei einer eher konsensorientierten Gruppensitzung vermutlich nicht genannt worden wären. Es ist daher davon auszugehen, dass die abweichende Konstellation keinen negativen Einfluss auf die Ergebnisse hat. Nachdem die unterschiedlichen Sichtweisen modelliert waren, erfolgte eine Auswertung der einzelnen Modelle. Dabei erfolgte eine Analyse auf drei Ebenen: x Auswertung der Informationen und Bewertungen, die aus einer einzelnen Organisationseinheit gegeben wurden. Dies sind i. d. R. Informationen darüber, dass Informationen von einer anderen Einheit nicht oder in nicht ausreichender Qualität geliefert werden. x Vergleich der Sichtweisen der einzelnen Organisationseinheiten. Hierbei können unterschiedliche Sichtweisen auf Informationsflüsse gewonnen werden. Beispiele können z. B. Prozesse sein, denen unterschiedliche Bedeutungen zugemessen werden. x Vergleich der Abläufe zwischen den untersuchten Firmen. Hier werden die Ergebnisse der Firmen untereinander verglichen und dabei unterschiedliche Handhabungen in Form von Best-Practices einander gegenübergestellt. Die Ergebnisse dieser Analysen wurden abschließend zusammengefasst und mit den beteiligten Mitarbeitern diskutiert. Im Ergebnis erlaubte Co-MAP eine umfassende Analyse der Kommunikationsprozesse und -defizite in den Unternehmen, wobei die intensive Einbindung der betroffenen Mitarbeiter sehr förderlich war. Gleiches gilt für die Unterstützung durch die Geschäftsführung und deren aktive Einbindung bei allen drei untersuchten Unternehmen. Dadurch wurde sicherlich auch zum Abbau von Vorbehalten seitens der Mitarbeiter beigetragen. Die im Folgenden dargestellten Fallstudien sind anonymisiert. Die Beschreibung der Personen erfolgt grundsätzlich in männlicher Form, um einen Rückschluss auf einzelne Personen auszuschließen. 118
5.2.2 Fallstudie ALPHA – Ein Spezialist für Arbeiten im Bestand Charakterisierung des Unternehmens ALPHA ist ein Familienunternehmen, das sich derzeit im Übergang zwischen zwei Unternehmergenerationen befindet. Es hat sich von einem klassischen Maurerbetrieb hin zur Altbausanierung spezialisiert und bietet seine Leistungen in einer städtisch geprägten Region an. Im Rahmen des Generationenübergangs erfolgte eine Aufspaltung des Unternehmens in zwei Teilbereiche. Der eine ist weiterhin im klassischen Mauerwerksbau tätig, spezialisiert sich dort aber auf teils auch kleinere Umbau- und Instandsetzungsmaßnahmen, die oft zum Festpreis angeboten werden. Der andere Unternehmensbereich hat sich auf die Komplettabwicklung von Projekten spezialisiert und übernimmt dort für die Kunden die komplette Abwicklung von der Planung bis zur Übergabe. Beide Bereiche sehen ihre Stärke bei Projekten mit besonderen technischen oder organisatorischen Herausforderungen. Im gewerblichen Bereich erzielt das Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 4 Millionen Euro, im Bereich des Projektmanagements mit 5 Mitarbeitern von rund 3 Millionen Euro. Organisation des Unternehmens Im gewerblichen Bereich besteht das Unternehmen aus der Geschäftsführung, die den Vertrieb vom Erstkontakt bis hin zur Vertragsunterzeichnung übernimmt. Für die Bauausführung zeichnen neben der Geschäftsleitung noch zwei weitere Bauleiter verantwortlich. Für administrative und kaufmännische Aufgaben ist ein Büro mit mehreren Mitarbeitern eingerichtet, teilweise werden Aufgaben auch durch weitere Familienmitglieder wahrgenommen. Der ausführende Bereich ist in Bautrupps organisiert, denen jeweils ein Polier vorsteht. Die IKT liegt im Verantwortungsbereich der Geschäftsführung, wird aber im Wesentlichen durch einen externen Dienstleister betreut. Im Projektmanagement besteht das Unternehmen neben der Geschäftsführung noch aus zwei Architekten und einem kleinen Büro. Die Betreuung der IKT erfolgt auch hier im Wesentlichen durch Externe. Arbeitsabläufe im Unternehmen Der Ablauf lässt sich im gewerblichen Teil in zwei Bereiche unterteilen: Die Angebotserstellung und die Bauausführung. Die Angebotserstellung erfolgt primär durch die Geschäftsführung, wobei das Büro ggf. unterstützende Aufgaben wie die Einholung von Angeboten übernimmt. Bei der Bauausführung sind jedem Projekt i. d. R. ein Bauleiter und ein Mitarbeiter des Büros zugeordnet. Der Bauleiter besucht die von ihm verantworteten Baustellen regelmäßig, koordiniert offene Fragestellungen mit dem Polier und kümmert sich um größere Bestellungen. Der Polier hat nach unseren Beobachtungen und den erhaltenen Rückmeldungen im Vergleich zu anderen Unternehmen eine hohe Eigenverantwortung und kann Beschaffungen etc. selbst vornehmen. Auf der anderen Seite ist er allerdings wegen der oft geringen Projektgrößen auch stärker in die eigentliche Bauausführung einbezogen. Das Büro ist für die Abrechnungen zuständig und unterstützt Bauleitung und Poliere bei Beschaffungen und ähnlichen Vorgängen.
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Im Projektmanagement erfolgt der Vertrieb ebenfalls durch die Geschäftsleitung, wobei die Architekten bei der Planung mit einbezogen werden. Die Angebotserstellung erfolgt unter starker Einbeziehung der erforderlichen Gewerke, die meist Angebote auf Festpreisbasis abgeben. Während der Bauausführung zeichnet entweder ein Mitglied der Geschäftsleitung oder ein externer Bauleiter für die Baudurchführung und Kundenbetreuung verantwortlich. Durchführung der Analyse Eine ausführliche Kommunikationsanalyse wurde nur im gewerblichen Bereich durchgeführt. Im Bereich des Projektmanagements versprach eine Erhebung keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn, da die Kommunikationsbeziehungen vor allem auf die Geschäftsleitung bezogen sind und somit interne Kommunikationsprobleme nur bedingt auftreten können. Die Kommunikationsbeziehungen zu den externen Partnern verliefen aber den Beobachtungen nach problemlos ab. Im gewerblichen Bereich wurden nach einer Analyse der Abläufe Personen bzw. Bereiche identifiziert, von denen die Kommunikationsprozesse erfasst werden sollen. Dadurch ergaben sich fünf Modellierungen: x x x x x
Ein Vertreter der Geschäftsführung Ein Bauleiter Ein Polier Ein Mitarbeiter des Büros, der primär an der Erstellung von Angeboten mitarbeitet Ein Mitarbeiter des Büros, der primär kaufmännische Aufgaben bei der Ausführung übernimmt
Zur Wahrung der Übersicht wurden die Abläufe ggf. in die Angebotserstellung, die Bauabwicklung und die Abrechnung unterteilt. Kommunikationsprozesse im Unternehmen Die Kommunikation im gewerblichen Bereich ist sicherlich auch vor dem Hintergrund der Unternehmensgröße von direkten Kommunikationsbeziehungen geprägt. Bei Erstellung des Angebots sind intern im Wesentlichen nur zwei Akteure (Geschäftsführung und Büro) zu identifizieren, die einen stark abgegrenzten Aufgabenbereich haben. Bei der Ausführung ist die Zahl der Akteure zwar deutlich höher, Kommunikationsproblemen wird hier aber durch eine sehr starke Delegation der Entscheidungskompetenz nach unten entgegengewirkt. Sowohl Poliere als auch Bauleiter und Büromitarbeiter haben einen großen Entscheidungsspielraum, um Entscheidungen ggf. schnell und direkt treffen zu können. Darüber hinausgehende Fragen und Probleme können auf direktem Weg mit der Geschäftsführung geklärt werden. Identifizierte Probleme Sicherlich auch auf Grund der Unternehmensgröße und der offenen und direkten Kommunikation wurden keine unüberwindbaren Lücken in den Informationsflüssen gefunden. Jeder Mitarbeiter konnte die für ihn wesentlichen Informationen erhalten, musste diese aber teilweise selbst organisieren. 120
Zentrales Problem, das identifiziert wurde, war die unvollständige Informationsweitergabe der Akteure. Es stellte sich heraus, dass diese Unvollständigkeit nicht aus strategischen Absichten erfolgte, sondern vielmehr den einzelnen Akteuren nicht immer bewusst war, dass bestimmte Informationen auch von anderen Stellen benötigt wurden. So bemängelte z. B. der Büromitarbeiter die mangelhafte Information über getätigte Bestellungen durch die Bauleiter. Der Bauleiter erwähnte hingegen, dass er Bestellungen bewusst selbst erledige, da dies zum einen der schnellste Weg wäre, zum anderen aber auch das Büro entlasten würde. Ähnliche Probleme betrafen unvollständige und unlesbare Rapportzettel, unbekannte Aufenthaltsorte von Akten oder unvollständige Daten, die insbesondere keine digitale Erfassung erlaubten. Ein ähnliches Problem trat bei der Rechnungserstellung (siehe nachfolgendes Beispiel) auf, die aus Sicht des Bauleiters oft zu langsam erfolgte. Das Büro hingegen konnte diese oft nicht erstellen, da die dazu notwendigen Aufmaß-Daten fehlten. Als Problem wurde vor allem die Schnittstelle zwischen dem Büro und dem ausführenden Bereich identifiziert. Daneben wurde von allen Akteuren ein genereller Zeitdruck erwähnt, der allerdings primär von außen durch Kundenanforderungen gegeben war. Beispiel: Verzögerungen bei der Rechnungserstellung Aus Sicht des Bauleiters erfolgte die Rechnungserstellung (Nr. 10 Bauleiter) oft zu spät. Eine Analyse der Co-MAP-Modelle aus Sicht des Bauleiters und des Büros, die in Auszügen in Abbildung 21 dargestellt ist, verdeutlicht die Ursachen dieses Problems. Sichtweise Bauleiter: Notiz Formelles (handschriftlich) Dokument
(9) Aufmaß + Leistungsverzeichnis Formelles Dokument
Bauleiter
Informationsfluss Informationsfluss ist gut zu langsam
Büro
(10) Rechnung
Sichtweise Büro: Formelles Dokument
Informationsfluss Informationsfluss nur Informationsfluss ist gut in eine Richtung sammeln
(7) Aufmaß und Rapporte Notiz (handschriftlich)
E-Mail
Informationsfluss nur Informationsfluss in eine Richtung sammeln
(9) Rechnungsanforderung
Bauleiter Formelles Dokument
Notiz (handschriftlich)
Büro Informationsfluss ist gut
(11) Rechnungsabzeichnung
Abbildung 21: Auszug aus den Co-MAP-Modellen von ALPHA zur Rechnungserstellung
Aus Sicht des Büros teilte sich dieser Prozess in die Rechnungsanforderung (Nr. 9 Büro) und die Rechnungsabzeichnung (Nr. 11 Büro) auf, die Rechnungserstellung über die Software (Nr. 10 Büro) ist hier nicht abgebildet. Von Seiten des Büros wurde bei der Rechnungsanforderung bemängelt, dass die für die Rechnungserstellung notwendigen Daten oft nicht oder nur unvollständig vorliegen. So wurden beispielsweise fehlende Preisinformationen bei Nachträ-
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gen oder fehlende und unvollständige Aufmaß-Daten (Nr. 7 Büro) als Problem genannt. Die spätere Abzeichnung erfolgte aus Sicht des Büros jedoch problemlos. Betrachtet man die Übermittlung der Aufmaße (Nr. 9 Bauleiter bzw. Nr. 7 Büro), so läuft dieser Prozess aus Sicht des Bauleiters problemlos, während vom Büro der oft zu langsame und unvollständige Rückfluss bemängelt wurde. Die Co-MAP-Diagramme erlaubten somit zusammen mit den Ausführungen der Teilnehmer, das Problem zu identifizieren und die Ursachen zu hinterfragen. So wurde deutlich, dass das Problem der zu späten Rechnungserstellung in Teilen auch durch die Bauleiter selbst verursacht wurde. Eine Erhöhung des Bewusstseins dieser Abhängigkeiten kann dazu beitragen, die Abläufe zu verbessern und die Zufriedenheit beider Seiten zu erhöhen. Erkenntnisse der Erhebung ALPHA war somit geprägt von kurzen Informationswegen und einer starken Delegation von Verantwortungen. Der große Entscheidungsspielraum der ausführenden Bereiche ermöglicht eine effiziente Abwicklung der zahlreichen oft kleineren Projekte des Unternehmens. Als Problemfeld wurde hier vor allem der Austausch zwischen dem administrativen und dem ausführenden Bereich identifiziert. Ursache hierfür war vor allem ein fehlendes Bewusstsein der Akteure für die Gesamtprozesse. Als ein Ergebnis der Analysen wurde ein institutionalisierter Austausch zwischen dem Büro und dem ausführenden Bereich eingeführt. Laut Rückmeldung der Geschäftsleitung hat dieser Austausch zu einer Effizienzsteigerung geführt, die den Aufwand für die Gespräche mehr als kompensierte. Auch wurden kleinere organisatorische Änderungen durchgeführt. So wurde z. B. eine Kennzeichnung eingeführt, welcher Mitarbeiter gerade eine Bauakte benutzt. Oft konnte somit allein durch die gegenseitige Information über Abläufe und durch kleine organisatorische Maßnahmen eine Verbesserung der Abläufe erreicht werden. 5.2.3 Fallstudie BETA – Projektmanagement als Teil einer Unternehmensgruppe Charakterisierung des Unternehmens BETA ist in einem ländlichen Umfeld tätig, welches aber durch seine touristische Attraktivität geprägt ist. Es hat sich aus einem Lohnunternehmen entwickelt und ist heute ein Unternehmensverbund in der zweiten Unternehmergeneration. Im Unternehmen ist u. a. ein Bereich für den Hochbau und für Zimmererarbeiten vorhanden. Das Projektmanagement wird als eigenständiger Unternehmensbereich geführt. Hier erwirtschaften 9 Mitarbeiter einen Umsatz von rund 5 Millionen Euro. Dieser Bereich wurde im Rahmen der Untersuchung betrachtet. Organisation des Unternehmens Die Führung des Bereiches für das Projektmanagement erfolgt durch zwei Geschäftsführer, die auch für andere Bereiche der Unternehmensgruppe verantwortlich sind. Die Verantwortung für das operative Geschäft liegt bei einem Prokuristen, der vor allem für die Kalkulation und größere Beschaffungen verantwortlich ist. Den Vertrieb übernehmen drei Mitarbeiter, die den Kunden während der kompletten Phase bis zum Vertragsabschluss begleiten. Die Planung 122
der Projekte erfolgt durch einen hauseigenen Architekten und einen Zeichner. Die Bauausführung wird durch zwei Bauleiter überwacht und gesteuert. Ein weiterer Mitarbeiter ist für die Finanzbuchhaltung zuständig. Weitere Aufgaben – wie die Betreuung der IKT – werden durch Mitarbeiter der Unternehmensgruppe wahrgenommen. Arbeitsabläufe im Unternehmen Erster Ansprechpartner für den Kunden ist der Vertrieb. Hier setzt das Unternehmen mehr auf Beratungskompetenz als auf technische Expertise, da nach den Erfahrungen des Unternehmens eine zu große technische Detailliebe im Vertrieb eher hinderlich ist. Im Rahmen von Gesprächen werden die Vorstellungen des Kunden konkretisiert, wobei die Planung durch den Architekten oder den Zeichner erfolgt. Ob für die planerische Leistung ein getrennter Planungsvertrag geschlossen wird, wird im Einzelfall entschieden. Ein direkter Kontakt zwischen dem Architekten bzw. dem Zeichner und dem Kunden findet nur in Einzelfällen statt. Die Kalkulation und der Vertragsentwurf erfolgen durch den Prokuristen, die Vertragsverhandlung selbst meistens durch den Vertrieb. Die Vergabe der einzelnen Leistungen erfolgt anschließend durch den Prokuristen. Der gewerbliche Teil der Unternehmensgruppe wird dabei weitgehend wie ein Nachunternehmer behandelt – sein Angebot muss passend sein und es ist durchaus möglich, dass Leistungen nach extern vergeben werden. Parallel dazu findet mit dem Kunden ein Bemusterungsgespräch statt, bei dem Details der Umsetzung geklärt werden. Die Ergebnisse werden in einem Protokoll festgehalten. Während der Bauphase erfolgt die Betreuung des Kunden durch einen Bauleiter, wobei der Vertrieb den Kontakt zum Kunden meist auch in dieser Zeit aufrecht erhält. Das Unternehmen hat überlegt, seine Abläufe zertifizieren zu lassen. Da dies aber eine Verschriftlichung aller Arbeitsaufträge bedeutet hätte, wurde dieses Vorhaben nicht weiterverfolgt. Durchführung der Analyse Um alle beteiligten Akteure zu erfassen, wurde eine Analyse der Kommunikationsprozesse folgender Personen durchgeführt: x x x x x x x
Einem Geschäftsführer Dem Prokuristen Einem Vertriebsmitarbeiter Dem Architekten Dem Zeichner Einem Bauleiter Dem Mitarbeiter der Finanzbuchhaltung
Kommunikationsprozesse im Unternehmen Viele Fragen und Probleme werden im Unternehmen direkt zwischen den Mitarbeitern geklärt – meist durch ein kurzes Gespräch auf dem Gang. Für den Statusaustausch existieren teilweise feste Gespräche wie ein Vertriebsgespräch oder verschiedene Planungsgespräche. Im Rahmen eines Auftrags findet vor Beginn der Bauausführung ein Übergabegespräch statt.
123
Die Abläufe sind im Unternehmen zwar gegliedert, die genauen Abläufe jedoch von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Zentrale Schnittstelle zum Kunden ist der jeweilige Vertriebsmitarbeiter, wobei Detailfragen meist direkt zwischen dem Architekten bzw. Bauleiter und dem Kunden geklärt werden. Die Tätigkeit des Unternehmensbereichs beim Bau selbst beschränkt sich auf die Koordination der Tätigkeiten, so dass diese Schnittstellen im Wesentlichen vom Bauleiter kontrolliert werden können. Die Geschäftsleitung hält sich weitgehend aus dem operativen Geschäft zurück und wird vor allem bei Problemen hinzugezogen. Identifizierte Probleme Der Informationsaustausch erfolgte aus Sicht der Beteiligten meist problemlos. Jedoch wurde teilweise darauf hingewiesen, dass der Austausch bei Problemen oft besser sein könnte, da man gemeinsam die Probleme oft einfacher lösen könne. Auch Erfolge wurden aus Sicht einiger Mitarbeiter zu wenig kommuniziert. Bei den hierfür vorgesehenen und als sinnvoll erachteten Gruppengesprächen wurde mehrfach bemängelt, dass ihnen oft nicht die notwendige Bedeutung beigemessen würde, Teilnehmer oft unvorbereitet wären und sie teilweise auch durch ein kurzes Gespräch auf dem Gang zwischen Teilen der Betroffenen ersetzt würden. Auf der anderen Seite wurde aber auch der zu hohe Zeitaufwand für Detaildiskussionen in den Gesprächen bemängelt. Von der Finanzbuchhaltung wurde der Rücklauf von Rechnungen und anderen Zahlungsdokumenten bemängelt, die oft sehr knapp oder zu spät kommen würden. Als problematisch wurde auch der Informationsaustausch an den Stellen identifiziert, bei denen mehrere Personen für eine Fragestellung zuständig waren. So wurden viele Fragen zur Planung teils mit dem Architekten, teils mit dem Zeichner geklärt – hier war die offizielle Rollenverteilung eine andere als die gelebte. Zwar führte dies zu schnelleren Reaktionszeiten, auf der anderen Seite sorgten die unterschiedlichen Informationsstände auch für zusätzlichen Koordinationsaufwand und unnötige Arbeiten. Im Rahmen der Analyse wurde auch festgestellt, dass sich die Bereiche ohne direkten Kundenkontakt oft nicht ausreichend über die Entwicklung der Projekte informiert fühlten. So bemängelte die Planung zum einen, dass sie oft erst sehr spät erfährt, wenn ein Kunde von einem Projekt abgesprungen ist. Zum anderen wurde auch der Informationsfluss von der Baustelle zurück als unzureichend angesehen – vor allem dann, wenn einzelnen Punkte nicht so wie geplant ausgeführt werden konnten. Auch von Seiten des Vertriebs wurde ein besseres Feedback über den Ablauf der Bauphase gewünscht. Bei der Analyse wurde der Eindruck gewonnen, dass viele Probleme durch die gute und enge Zusammenarbeit von Architekt und Zeichner verhindert werden konnten. Identifiziert werden konnte auch eine Überlastung des Prokuristen, der an zu vielen Stellen mit eingebunden war und es so nach Aussage einiger Mitarbeiter zu einer gewissen Lähmung des Prozessflusses gekommen ist. Diese Situation wird im Folgenden ausführlicher vorgestellt. Dieses Problem wurde aber bereits im Vorfeld der Analyse von der Unternehmung erkannt und erste Maßnahmen zeigten schon zum Zeitpunkt der Erhebung ihren Erfolg. Insgesamt stellte dabei der Spagat zwischen den Kundenwünschen und den internen Anforderungen eine Herausforderung für das Unternehmen dar, die nicht immer erfolgreich gemeistert werden konnte. So war aus Sicht der Planung oft nicht mehr erkennbar, welcher Teil der Anforderungen aus einem 124
Kundenwunsch und welcher aus einer Vorstellung des Vertriebs resultierte. Auch wurden Aussagen bemängelt, die gegenüber dem Kunden ohne interne Absprache getroffen wurden und im späteren Verlauf für Verstimmungen sorgten. Insbesondere der Vertrieb hat hier keine einfache Aufgabe und muss für eine Transformation der unterschiedlichen Anforderungen sorgen. Ein weiteres Problemfeld zeigte sich an der Schnittstelle zu den Lieferanten. Während es hier bei der normalen Arbeit zu wenigen Problemen kam, klemmte es teilweise bei der Bearbeitung von Mängeln durch die Lieferanten. Es zeigte sich, dass die Bauleiter oft keine offizielle Mängelrüge aussprachen, sondern es bei einer mündlichen Aufforderung beließen. Dies führte zu einer oft nicht zufriedenstellenden Erledigung und Rückmeldung durch die Subunternehmer. Die Gespräche zeigten, dass die formale Form der Mängelrüge die Beziehung zu den Subunternehmern unnötig belasten würde und daher von den Bauleitern nicht verwendet wurde. Auf der anderen Seite scheint jedoch das zum Zeitpunkt der Erhebung verwendete Verfahren zu formlos zu sein, so dass eine sinnvolle Lösung in einem Mittelweg bestehen könnte. Beispiel: Überlastung eines Akteurs Bei BETA konnte eine Überlastung des Prokuristen identifiziert werden. Auch wenn diese bereits im Vorfeld durch das Unternehmen identifiziert wurde, soll sie an dieser Stelle beispielhaft vorgestellt werden, da sich diese Überlastung deutlich in den Co-MAP-Modellen niedergeschlagen hat. Vom Prokuristen erwartete Informationen Geschäftsltg. Gruppen-Meeting
Informationsfluss Informationsfluss sammeln ist schlecht
(3 weitere)
(16) Übergabegespräch Formelles Dokument
Informationsfluss zu langsam
Vertrieb
(19) Zusatzangebot Informelles Dokument
Informationsfluss zu langsam
(1 weiterer)
(9) Kalkulation Formelles Dokument
Informationsfluss zu langsam
Architekt
(13) Freigabe d. Vertrages
Prokurist
Direkte Kommunikation
Informationsfluss Informationsfluss ist gut zu langsam
(6 weitere)
(19) Anf. Detailplanung Direkte Kommunikation
Notiz (handschriftlich)
Informationsfluss zu langsam
(29) Aufford. Planverteil ext.
Zeichner (5 weitere)
Bauleiter Formelles Dokument
Informationsfluss Informationsfluss zu langsam ist gut
(1 weiterer)
(1) Vertrag Formelles Dokument
Informationsfluss Informationsfluss zu langsam ist gut
(14) Kostenergänzung
FiBu (2 weitere)
Abbildung 22: Zum Prokuristen gerichtete Informationsflüsse aus Fremdsicht
125
Bei der Co-MAP-Modellierung des Prokuristen selbst (siehe Anhang B, S. 259) wurden 10 Interaktionspartner und 40 Kommunikationsbeziehungen identifiziert. Dabei sind auch viele Beziehungen zu Interaktionspartnern dabei, die nur einmal generell als Gruppe erfasst wurden, die Gruppe selbst aber aus vielen verschiedenen und damit getrennt zu betrachtenden Akteuren besteht. Beispielsweise wurde die Beziehung zum Bauherrn nur einmal erfasst, die Beziehungen existieren aber zu jedem Kunden des Unternehmens. Die Kommunikationsbeziehungen zum Prokuristen aus Sicht der anderen Abteilungen sind in Abbildung 22 dargestellt. Dabei sind zur Wahrung der Übersichtlichkeit nur die Beziehungen dargestellt, bei denen der Informationsfluss zum Prokuristen schlecht bewertet wurde. Die Zahl der weiteren Kommunikationsflüsse vom Prokuristen aus sind jeweils zusätzlich mit angegeben. Der Prokurist taucht in den Modellen auch teilweise mehrfach unter seinen verschiedenen Rollen (Kalkulation, Vergabe, …) auf, was in der Darstellung vereinheitlicht wurde. Die Vielzahl an Kommunikationsbeziehungen, an denen der Prokurist beteiligt ist, sowie die große Zahl solcher Informationsflüsse, die aus Sicht der Informationsempfänger nicht schnell genug erfolgen, zeigen in diesem Fall deutlich die Überlastung dieses Akteurs. Zwar kann hier die Co-MAP-Analyse keine abschließende Bewertung geben, sie hilft aber bei der Identifikation entsprechender Problemstellungen. Zusammen mit den Äußerungen der einzelnen Interviewpartner und dem Wissen über den organisatorischen Aufbau des Unternehmens können somit Problemstellen identifiziert und aufgezeigt werden. Erkenntnisse der Erhebung Wesentliches Problem, das identifiziert wurde, war die nicht immer vollständige Weitergabe von Informationen. Oft wurden beteiligte Personen nicht einbezogen, da ihre Einbeziehung für nicht mehr notwendig erachtet wurde oder sie gerade nicht verfügbar waren. Auch wurden Informationen aus verschiedenen Quellen vermischt, so dass anschließend keine saubere Zuordnung mehr möglich war. Auch der Austausch zu den administrativen Funktionen wie der Finanzbuchhaltung klappte nicht immer zufriedenstellend. 5.2.4 Fallstudie CHARLIE – Integration von Projektmanagement und Ausführung Charakterisierung des Unternehmens CHARLIE ist ein Familienunternehmen in dritter Generation, das in den Ausläufern einer Metropolregion tätig ist. Es bietet den Kunden die bezugsfertige Erstellung eines Hauses an, wobei die Planung firmenintern erfolgt. Das Unternehmen hat eigene Mitarbeiter für Maurer- und Zimmererarbeiten. Die rund 30 Mitarbeiter des Unternehmens erzielen einen Jahresumsatz von rund 10 Millionen Euro (inklusive dem gewerblichen Teil). Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung im Bausektor befindet sich das Unternehmen in einer Konsolidierungsphase, die sich derzeit in einer personell eher gut ausgestatteten Verwaltung niederschlägt. Organisation des Unternehmens Das Unternehmen wird von der aus zwei Personen bestehenden Geschäftsführung geleitet, die keine festen Aufgaben im operativen Geschäft übernimmt, sondern fallweise hinzugezogen wird. Der primäre Erstkontakt zum Kunden erfolgt durch den Vertrieb, der auch die Vorpla126
nung übernimmt. Anschließend erfolgt die Detailplanung des Bauprojekts durch die Planungsabteilung. Nach Abschluss der Planung erfolgt die Übergabe an die Bauleitung, wobei teilweise eine weitere Unterteilung der Bauleitung für den Rohbau und für den Innenausbau erfolgt. Als weitere Abteilungen existiert je eine Abteilung für die Kalkulation, für den Einkauf und die Abrechnung. IKT-Aufgaben werden weitgehend firmenintern wahrgenommen, wobei hierfür in Teilen die Geschäftsführung direkt verantwortlich zeichnet. Arbeitsabläufe im Unternehmen Die Prozesse des Unternehmens sind vor dem Hintergrund einer ehemaligen ISOZertifizierung klar definiert, was sich insbesondere an den Schnittstellen nach außen zeigt. Die Beschaffung externer Leistungen erfolgt entweder über durch den Einkauf ausgehandelte Rahmenverträge oder durch die Kalkulation, wobei der Abruf der Leistungen durch den Bauleiter oder den Polier erfolgt. Für die Planung sind als externe Ansprechpartner vor allem Fachingenieure (insbesondere für Statik) sowie Ämter und Behörden relevant. Zentrale Verantwortung für die Bauausführung hat der Bauleiter. Der Polier ist primär für die Steuerung der Mitarbeiter auf der Baustelle und die Koordination mit dem Bauleiter verantwortlich. Durchführung der Analyse Mit folgenden Bereichen wurde eine Analyse der Kommunikationsprozesse durchgeführt, um einen möglichst vollständigen Überblick über die Kommunikationsprozesse zu bekommen: x x x x x x
Der Geschäftsleitung (beide Geschäftsführer in einer gemeinsamen Sitzung) Einem Mitarbeiter der Planung Einem Mitarbeiter der Kalkulation Einem Mitarbeiter des Einkaufs (zugleich Leiter der kaufmännischen Abteilung) Ein Bauleiter Ein Polier
Wegen eines kurzfristigen und nicht kompensierbaren Ausfalls konnte keine Erhebung mit dem Vertrieb durchgeführt werden. Kommunikationsprozesse im Unternehmen Die Kommunikation im Unternehmen läuft in der Regel nach einem festen Ablauf ab. Für einige Vorgänge sind dabei feste Berichte vorgesehen. Viele Fragen werden auch im direkten Kontakt zwischen den jeweiligen Mitarbeitern geklärt. Der Austausch mit externen Akteuren (vor allem Zulieferer, Händler und Behörden) wurde einheitlich als problemlos bewertet. Identifizierte Probleme Trotz festgelegter Kommunikationswege klappte der Informationsaustausch im Unternehmen nicht immer. Er schien immer dann nicht mehr einwandfrei zu funktionieren, wenn mehrere Akteure informiert bzw. Aufgaben übergeben werden müssen. So wurde insbesondere angemerkt, dass dem Austausch im Rahmen des Baustellenstartgesprächs (siehe auch nachfolgendes Beispiel) kurz vor Beginn der Bauausführung oft nicht genügend Zeit eingeräumt würde. Angemerkt wurde auch, dass über Probleme zu wenig gesprochen würde und die Disziplin bei 127
der Erstellung von Berichten (z. B. dem Baustellentagebuch) nicht immer vorhanden wäre. Auch der Informationsaustausch am Ende des Projekts wurde teilweise als zu gering bewertet. Insbesondere die Geschwindigkeit des Informationsaustausches war nicht immer zufriedenstellend. So wurde erwähnt, dass Informationen z. B. über neu abgeschlossene Verträge oder Dokumente (Rechnungen, …) oft nicht schnell genug weitergereicht werden. Insbesondere schien hier die Informationsweitergabe bei notwendigen Änderungen kritisch zu sein. Hier entstehen schnell unnötige Kosten, wenn Änderungen an der ausführenden Stelle zu spät ankommen. Gleiches gilt bei ggf. noch offenen Tätigkeiten. Insgesamt wurde bemängelt, dass Probleme oft erst spät kommuniziert würden und somit wichtige Reaktionszeit verloren ginge. Auffallend waren auch mehrere Vorgänge, die von mehreren Personen bearbeitet wurden. So erfolgte die erste Planung des Projekts vom Vertrieb, die nachfolgende Werksplanung dann oft unabhängig davon durch die Planungsabteilung. Auch bei der Beschaffung gab es unterschiedliche Wege, je nachdem, ob entsprechende Geschäftsbeziehungen oder Rahmenverträge vorlagen. Beispiel: Unterschiedliche Erwartungen bezüglich des Baustellenstartgesprächs Bei CHARLIE wird vor Beginn eines Bauvorhabens ein Baustellenstartgespräch durchgeführt, an dem die Geschäftsleitung, der Vertrieb, die Planung, die Bauleitung und die ausführenden Bereiche teilnehmen. Dieses Gespräch wurde von den Akteuren extrem unterschiedlich gesehen, wie in Abbildung 23 erkennbar ist. Sichtweise des Baustellenstartgesprächs Gruppen-Meeting
Geschäftsleitung
Formelles Dokument
(6) Baustellenstartgespräch
Gruppen-Meeting
Informationsfluss Informationsfluss Informationsfluss sammeln ist schlecht ist gut
(10) Baustellenstartgespräch
Andere Teilnehmer
Planung Gruppen-Meeting
Bauleitung
(2) Rohbaubesprechung
Planung, Geschäftsleitung
Abbildung 23: Unterschiedliche Sichtweisen auf das Baustellenstartgespräch bei CHARLIE
Die ausführlichste Schilderung des Baustellenstartgesprächs erfolgte durch die Planung. Von ihr wurde die Bedeutung dieses Gesprächs hervorgehoben, um Probleme und Schwierigkeiten im Vorfeld des Baustarts klären und Unsicherheiten beseitigen zu können. Dazu erhalten die Teilnehmer die notwendigen Unterlagen im Vorfeld, um sich auf das Gespräch vorbereiten zu können. Allerdings wurde hier teilweise eine Kooperationsbereitschaft vermisst und der Eindruck geäußert, der Austausch würde von den anderen Abteilungen als unnötig angesehen. Die Sichtweise der Geschäftsleitung zeigt hier keine Besonderheiten auf. Da sie nicht an jedem Gespräch teilnimmt, ist aus ihrer Sicht vor allem das Protokoll wichtig. Anders sieht die 128
Sichtweise der Bauleitung aus. Das Baustellenstartgespräch wurde dort als Rohbaubesprechung eher nebenläufig genannt, eine Bewertung fand nicht statt. Auch wurden nicht alle Teilnehmer genannt. Das Gespräch hatte hier eindeutig eine geringe Bedeutung. Durch einen Abgleich der Äußerungen der einzelnen Akteure konnte somit gezeigt werden, dass das Baustellenstartgespräch aus Sicht der Planung eine große Bedeutung hat, da hier ein letzter Abgleich vor Übergabe der Verantwortung an die Ausführung stattfinden kann. Auf der anderen Seite hatte das Gespräch bei der Bauleitung eine eher untergeordnete Bedeutung, was sich auch in der Bewertung durch die Planung niedergeschlagen hat. Das Beispiel macht somit deutlich, dass sich Probleme sowohl durch die Bewertung der Kommunikationsflüsse als auch durch den Vergleich der unterschiedlichen Sichtweisen erschließen lassen. Erkenntnisse der Erhebung Auffallend waren die vier verschiedenen Ansprechpartner, die ein Kunde vom ersten Kontakt bis hin zur Schlüsselübergabe durchläuft. Dies stellt hohe Anforderungen an die interne Informationsweitergabe, die aber nicht immer gelang. Auch wenn die direkte Übergabe oft gut funktioniert, scheint es insgesamt aber einen Bedarf dafür zu geben, die Informationsweitergabe in einem größeren Kreis durchzuführen und auch nach Projektabschluss einen Austausch durchzuführen. Ein weiteres Problemfeld war bei den Vorgängen zu identifizieren, die von unterschiedlichen Akteuren verantwortet werden (wie z. B. dem Beschaffungsprozess). Auch wenn die Aufteilung und Koordination zwischen den Akteuren selbst funktionierte, traten im weiteren Verlauf manchmal Probleme auf, wenn Informationen nicht an alle Betroffenen weitergegeben wurden oder Dokumente wie Rechnungen an die falschen Ansprechpartner weitergereicht wurden. 5.2.5 Zusammenfassung Die drei betrachteten Unternehmen – und hierbei insbesondere BETA und CHARLIE – bieten alle sehr ähnliche Leistungen an. Dennoch sind die Abläufe in den Unternehmen höchst unterschiedlich. ALPHA (vor allem im Projektmanagement) und BETA verfolgen beide die Strategie, die Verantwortlichkeit für den Kunden bei möglichst einer Person zu belassen und Experten (wie den Architekten) fallweise hinzuzuziehen (zentralisierte Kompetenz). CHARLIE geht hier einen anderen Ansatz und überträgt die Verantwortlichkeit für den Kunden direkt an den jeweiligen Experten (verteilte Kompetenz). Auch bei der Beschaffung werden dadurch unterschiedliche Wege beschritten: Bei ALPHA haben die mit der Ausführung beauftragten Personen (vor allem die Bauleiter und die Poliere) eine hohe Entscheidungsautonomie und können z. B. Beschaffungen selbst anstoßen. Bei CHARLIE ist die entsprechende Kompetenz vor allem auf den Bauleiter konzentriert, wobei für die Materialbeschaffung entsprechende Fachabteilungen hinzuzuziehen sind. Abbildung 24 verdeutlicht diese Unterschiede. Nun sind erst einmal beide Organisationsmodelle geeignet, entsprechende Bauleistungen nach Kundenwunsch zu realisieren. Allerdings verspricht der Ansatz der zentralisierten Kompetenz eine konstantere Schnittstelle zum Kunden und eine größere Flexibilität im Fall von notwendigen Anpassungen. Da beides für Kundenlösungen zentrale Faktoren sind, scheint der Ansatz der zentralisierten Kompetenz besser geeignet, Kundenlösungen erfolgreich zu erbringen. 129
Vorplanung
Vorplanung
Vertrieb Vergabe
Werksplanung
Kunde
Planung Kalkulation
Durchführung
GF Werksplanung
Planung Kunde
Büro Durchführung
Bauleiter Rohbau
GF Abrechnung
Durchführung
Bauleiter Innen
Verteilte Kompetenz
Durchführung
(teilw. auch Architekt/ Bauleiter)
Zentralisierte Kompetenz
Abbildung 24: Unterschiedliche Organisationsmodelle der betrachteten Unternehmen
Bei den internen Abläufen wurde in allen Unternehmen eine sehr enge Zusammenarbeit der Beteiligten festgestellt. Die Kommunikationswege waren kurz, abteilungszentrierte Sichtweisen nicht festzustellen. Auch wurde ein offener Umgang der Kollegen untereinander gepflegt. Dennoch wurden in allen Unternehmen Probleme bei den internen Abläufen identifiziert. Die Gründe dafür waren vielschichtig: x Informationen wurden an einen Adressaten nicht oder nicht schnell genug weitergereicht, da der Informationsbesitzer nicht wusste, welche Aufgaben der Adressat mit der Information erledigen muss. Dies machte sich insbesondere im Bereich der Buchhaltung bemerkbar. x Teilweise wurden Informationen nur an einen Teil der Adressaten weitergeleitet. Dies lag sicherlich in Teilen an dem fehlenden Bewusstsein über die Aufgaben der ausgelassenen Personen. Oft resultierte dies wohl aber auch daraus, dass ein Teil der Adressaten die Information beiläufig z. B. auf dem Gang erhalten hatte und der andere Teil schlichtweg vergessen wurde. x Insbesondere die vorgelagerten Aktivitäten (wie die Planung) erhielten oft keine Rückmeldungen zu Erfolgen und Problemen der von ihnen bearbeiteten Aufträge. x Vorgesehene Berichtswege existierten zwar, wurden aber nicht eingehalten oder waren bei Gruppenmeetings dank mangelnder Vorbereitung der Teilnehmer nur eingeschränkt wirksam. Zentrale Herausforderung war somit in allen Unternehmen die Weitergabe der meist komplexen Informationen. Dazu gehören ein Bewusstsein, welche Information von wem für welche Aufgabe benötigt wird und ein geeigneter Rahmen für die Informationsweitergabe. Allerdings scheint hier ein Mittelweg zwischen zu viel und zu wenig Austausch gefunden werden zu müssen. Denn zu viel Austausch bindet nicht nur unnötige Ressourcen, sondern führt auch dazu, dass dieser durch die Mitarbeiter als sinnlos und zeitaufwändig eingeschätzt wird oder entsprechende Kommunikationswege nicht mehr eingehalten werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die eher geringe Unternehmensgröße eine direkte Koordination der Beteiligten untereinander vereinfacht. Bei größeren Unternehmen dürfte die Koordination somit eher schwieriger als einfacher werden. 130
Der Austausch mit den externen Partnern erfolgte hingegen meist problemlos. Hier scheint noch eine Dominanz des Unternehmens als Auftraggeber vorzuliegen bzw. die Auftragnehmer an einer langfristigen Beziehung interessiert zu sein. Allerdings zeigte die Diskussion zur Mängelbeseitigung bei BETA auch, dass hier die richtige Umgangsform getroffen werden muss: Ein zu konsequentes und formelles Vorgehen z. B. mit einer Mängelrüge scheint genau so wenig zu funktionieren wie eine rein mündliche Weitergabe von Aufträgen. 5.3
Befragung zur Netzwerkstruktur in der Bauindustrie
Auf Basis der durch die Einzelfallstudien gewonnenen Erkenntnisse wurde eine Befragung in der Bauindustrie durchgeführt, um für die Netzwerkbildung zentrale Faktoren identifizieren zu können. Dazu wurde eine standardisierte Befragung entworfen, deren Forschungsdesign in Kapitel 5.3.1 vorgestellt wird. Die wesentlichen Ergebnisse der Erhebung werden in Kapitel 5.3.2 dargestellt. 5.3.1 Forschungsdesign der Befragung Ziel der Erhebung war es, wesentliche Auswirkungen in der Beziehung zwischen den Anbietern von Kundenlösungen in der Bauindustrie und den nachgelagerten Betrieben zu ermitteln. Daher war es notwendig, eine Zuordnung der Aussagen eines Anbieters von Kundenlösungen mit denen seiner nachgelagerten Unternehmen herzustellen.80 Zugleich muss aber auch – um eine politisch motivierte Aussagen zu vermeiden – eine Anonymität der Aussagen innerhalb eines Netzwerks sichergestellt sein. Aus diesem Grund erfolgte die Befragung nach folgendem System: x Die Anbieter von Kundenlösungen erhielten einen codierten Fragebogen. In diesem wurden bis zu zehn nachgelagerte Unternehmen ermittelt, wobei durch feste Kriterien (siehe Fragebögen im Anhang C) eine gezielte Partnerwahl unterbunden wurde.81 x Die Anbieter erhielten des Weiteren zehn Fragebögen für die nachgelagerten Unternehmen, die ebenfalls codiert waren. Diese Fragebögen sollten an die ermittelten Partner weitergegeben werden. x Die Rücksendung der Fragebögen erfolgte direkt an die Universität, so dass die Anbieter von Kundenlösungen keinen Zugriff auf die Aussagen ihrer nachgelagerten Unternehmen erhielten. Des Weiteren wurde im Anschreiben den Teilnehmern eine entsprechende Anonymität zugesichert. Dieses Verfahren erlaubte eine Zuordnung der Antworten der nachgelagerten Unternehmen mit denen der Anbieter von Kundenlösungen und vermied zugleich politisch motivierte Antworten. Außerdem versprach die direkte Ansprache der nachgelagerten Unternehmen durch ihren Auftraggeber eine hohe Rücklaufquote. Die Fragebögen sind im Anhang C abgedruckt. 80
81
Im Fragebogen selbst wurde mit „projektleitendes Unternehmen“ bzw. „Projektpartner“ Begriffe verwendet, bei denen davon ausgegangen werden konnte, dass die Befragten mit diesen vertraut waren. Da sich die Einhaltung der Kriterien nicht überprüfen lässt, kann eine gezielte Auswahl der Partner aber nicht ausgeschlossen werden.
131
Im Zeitraum von Juli bis August 2009 wurden mehrere Befragungspakete versandt: x 55 Unternehmen, die von den Industriepartnern des Forschungsprojekts benannt wurden, erhielten direkt den kompletten Fragebogensatz. Von diesen Unternehmen haben 10 Unternehmen (18,9 %) an der Befragung teilgenommen. x 110 weitere Unternehmen wurden per Brief und 110 weitere per E-Mail eingeladen, an der Befragung teilzunehmen. 6 Unternehmen (2,7 %) erklärten sich zur Teilnahme an der Befragung bereit und erhielten jeweils einen Fragebogensatz. Von 3 dieser Unternehmen (50 %) erfolgte eine Rücksendung der ausgefüllten Befragungsunterlagen. Von den 13 Anbietern von Kundenlösungen wurden 127 nachgelagerte Unternehmen benannt, wovon von 73 (57,5 %) bis Oktober 2009 eine Rückmeldung erfolgte. 5.3.2 Wesentliche Ergebnisse der Befragung Auf Grund der geringen Zahl von Rückläufen sind die folgenden Aussagen nicht dazu geeignet, quantitativ belastbare Aussagen abzuleiten. Dies gilt besonders für die Angaben der Anbieter von Kundenlösungen (n = 13); bei den Aussagen der nachgelagerten Unternehmen (n = 73) ist die Belastbarkeit größer. Die Auswertung gibt somit einen Eindruck, ob die ermittelten Auswirkungen für Kundenlösungen in der Praxis auftreten oder ob wesentliche Abweichungen existieren. Struktur der Anbieter von Kundenlösungen Die teilnehmenden Anbieter von Kundenlösungen haben eine Größe zwischen 5,5 und 600 Mitarbeitern, wobei 75 % der Unternehmen 60 oder weniger Mitarbeiter hatten.82 85 % der Unternehmen sind familiengeführt. 10 von 1283 der Unternehmen (83 %) sind auch gewerblich tätig, wobei die Rückmeldungen zu Mitarbeiterzahl und Umsatz darauf hindeuten, dass der gewerbliche Teil bei 3 dieser Unternehmen in einer eigenständigen Organisationseinheit geführt wird. Die Unternehmen erzielen im nicht-gewerblichen Bereich einen Umsatz zwischen 0,2 und 36 Millionen Euro, wobei nur drei Unternehmen einen Umsatz von mehr als 7 Millionen Euro angeben. Von zwei Ausnahmen abgesehen erzielen die Unternehmen einen Großteil ihres Umsatzes aus dem Neubau, nur bei zwei Unternehmen überwiegt der Anteil von Ausbau und Sanierung deutlich. Der Bereich Wartung trägt in allen Unternehmen nur einen untergeordneten Umsatzanteil bei, lediglich drei Unternehmen geben hier einen Umsatzanteil von 5 bis 10 Prozent an. Struktur der nachgelagerten Unternehmen Ähnlich wie die Anbieter von Kundenlösungen sind auch die nachgelagerten Unternehmen von kleineren Unternehmen geprägt. Zwar werden hier Mitarbeiterzahlen zwischen 1500 und 0 angegeben (im letzteren Fall dürfte allein der Geschäftsinhaber tätig sein), aber nur 7 Unternehmen haben 100 oder mehr Angestellte. Betrachtet man nur die kleinsten 75 Prozent der 82
83
Bei der Zahl der Mitarbeiter sind aber aus verschiedenen Gründen (Teilzeitstellen, Tätigkeiten der Unternehmerfamilie, …) Ungenauigkeiten zu erwarten. Die Angaben von einem Unternehmen waren nicht auswertbar, so dass sich die folgenden Angaben dieses Abschnittes auf 12 Unternehmen beziehen.
132
Unternehmer, so haben diese eine Mitarbeiterzahl von 30 oder weniger. Von wenigen Ausnahmen abgesehen dominieren bei diesen Unternehmen die gewerblichen Mitarbeiter. Rund 62 % der Unternehmen sind ausschließlich gewerblich tätig, weitere 29 % auch im Projektmanagement. Bei den 7 %, die nur im Projektmanagement tätig sind, handelt es sich um Planungsunternehmen für Teilaspekte und andere Dienstleister. Die teilnehmenden Unternehmen sind über alle Gewerke verteilt, wobei insbesondere die Bereiche „Bodenbelag“ und „Sanitär / Heizung / Lüftung“ überproportional vertreten sind.84 Die Anbieter von Kundenlösungen haben die nachgelagerten Unternehmen anhand der an einem Projekt beteiligten Unternehmen ausgewählt. Daher lässt die in beiden Bereichen höhere Zahl an Rückläufen (je 14) als untersuchte Projekte (13) vermuten, dass innerhalb eines Projekts auch miteinander konkurrierende Unternehmen aufeinander treffen können. Um die Abhängigkeit der nachgelagerten Unternehmen von ihrem Auftraggeber zu erfragen, wurde abgefragt, welcher Anteil des Umsatzes von dem Auftraggeber stammt und wie viele weitere Unternehmen es gibt, mit denen ein ähnlich großer oder ein größerer Umsatz generiert wird. Sieht man von einem Fall ab, bei dem das nachgelagerte Unternehmen alle Aufträge von dem Auftraggeber erhält, ist die Abhängigkeit eher gering. So beträgt der Anteil bei 75 % der Unternehmen 20 % oder weniger. Zugleich gibt es für die meisten Unternehmen mehrere Anbieter, die eine ähnliche oder größere Bedeutung haben: 75 % der Unternehmen geben hier zwei oder mehr weitere Anbieter an. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass im Schnitt 15 % des Umsatzes durch Aufträge des Auftraggebers generiert werden und damit durchaus wirtschaftlich bedeutend sind. Bewertung des Erfolgs und anderer Faktoren der Anbieter von Kundenlösungen Um einen Eindruck über die Situation der Anbieter von Kundenlösungen zu bekommen, wurden ihnen verschiedene Aussagen vorgelegt. Den nachgelagerten Unternehmen bewerteten ihren Auftraggeber anhand der gleichen Aussagen (Angegeben sind jeweils die Mittelwerte der Aussagen; die Skala umfasste einen Bereich von -2 bis +2 – siehe Anhang D). Die Anbieter von Kundenlösungen bieten ihrer Ansicht nach eine höhere Qualität als ihre Wettbewerber an (Aussage C85: „Wir bieten eine höhere Qualität als unsere Wettbewerber“ – 1,15), die auch vom Kunden wahrgenommen wird (Aussage D: „Von den Kunden wird unsere Leistung im Vergleich zum Wettbewerb als qualitativ hochwertiger wahrgenommen“ – 1,08). Diese Ansicht wird von den nachgelagerten Unternehmen weitgehend geteilt (1,21 bzw. 1,04). Den Preis, den die Unternehmen dafür erzielen können, ist ihrer Ansicht nach nur bedingt (Aussage E: „Wir können auf dem Markt einen für unsere Leistung angemessenen Preis erzielen“ – 0,38), aber aus Sicht der nachgelagerten Unternehmen angemessen (0,89). Die Anbieter sehen sich im Vergleich zum Wettbewerb als erfolgreicher (Aussage A: „Im Vergleich zu regionalen Wettbewerbern sind wir erfolgreicher“ – 1,23; von den Nachunternehmen bedingt geteilt (0,97)), 84
85
Es wurde erfasst, in welchem Gewerk die Unternehmen tätig sind und nicht, in welchem Bereich sie beauftragt wurden. Außerdem fallen insbesondere kleinere Gewerke durch die Befragungssystematik eher durch das Raster, so dass kleinere Gewerke tendenziell mit einem geringeren Anteil in der Befragung enthalten sind. Die Aussagen sind im Anhang D (S. 330) dargestellt. Sie wurden für die nachgelagerten Unternehmen angepasst, um der anderen Betrachtungsrichtung Rechnung zu tragen.
133
sind mit ihrer wirtschaftlichen Situation aber nur bedingt zufrieden (Aussage B: „Unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Situation sind wir mit dem Geschäftsergebnis zufrieden“ – 0,62; aus Sicht der Nachunternehmer etwas besser (0,94)). Die Beziehung zu den Nachunternehmen ist aus Sicht der Anbieter partnerschaftlich (Aussage F: „Mit unseren Subunternehmen führen wir eine partnerschaftliche Beziehung“ – 1,15), auffallend ist hier das bessere Ergebnis aus Sicht der Nachunternehmen (1,38). Weitere Aussagen betrafen die IKT des Unternehmens, die aus Sicht der Unternehmen wichtig für den Geschäftsablauf ist (Aussage G: „Unsere Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) ist für uns für einen effizienten Geschäftsablauf unersetzlich“ – 1,15). Sie ist aus ihrer Sicht nur bedingt verbesserungswürdig (Aussage H: „Unsere IKT ist verbesserungswürdig“ – 0,77); eine Aussage, die ihre Nachunternehmen nur teilweise teilen können (0,28). Im Vergleich zur Branche sehen sich die Anbieter nur bedingt (Aussage I – 0,54), im Vergleich zu den nachgelagerten Unternehmen deutlich (Aussage J: „Im Vergleich zu unseren Subunternehmen sind wir im Bereich der IKT besser aufgestellt“ – 0,92) besser aufgestellt, was so auch weitgehend von den Nachunternehmen gesehen wird (0,67 bzw. 0,79). Betrachtet man die Abweichung der Bewertungen, so fällt auf, dass insbesondere die Angaben zum regionalen Erfolg (Aussage A), zur Qualität (Aussage C) und ihrer Wahrnehmung (Aussage D) eine geringere Streuung (Varianz < 0,8; AD-Streuung < 0,8) bei der Abweichung aufweisen. Gleiches gilt auch für die Aussage zur partnerschaftlichen Beziehung (Aussage F), bei der die Streuung sogar am geringsten ist. Eine besonders hohe Streuung (Varianz > 1,5; AD-Streuung > 1,0) liegt hingegen bei den Aussagen zum erzielten Preis (Aussage E) sowie bei den Fragen zur relativen IKT-Aufstellung (Fragen I und J) vor, wobei hier auch eine Rolle spielen kann, dass diese Aussagen von den nachgelagerten Unternehmen nur bedingt beobachtet werden können. Die Korrelation der Aussagen zeigt allerdings durchgehend keine bis eine sehr schwache Korrelation der Werte.86 Vergabe von Aufträgen Im Rahmen der Befragung wurde auch die Auftragsvergabe der Unternehmen analysiert. Dabei wurden die Unternehmen gefragt, wie viel Prozent der Aufträge eines Gewerks sie selbst (a) erledigen, direkt an ein bestimmtes Unternehmen vergeben (b), an mehrere bekannte Unternehmen mit der Bitte um ein Angebot geben (c) und an mehrere auch unbekannte Unternehmen mit der Bitte um ein Angebot geben (d). Betrachtet man die Rückmeldungen, so fällt auf, dass insbesondere die Architektur- und Ingenieurleistungen sowie der Hoch- und Tiefbau selbst ausgeführt oder direkt vergeben werden, während insbesondere der Garten- und Landschaftsbau auch an unbekannte Unternehmen vergeben wird. Abbildung 25 macht dies deutlich.
86
Die geringe Korrelation resultiert sicherlich auch durch die vor dem Hintergrund der geringen Zahl von Wertepaaren eher grobe fünfstufige Abstufung. Da die Korrelation aber von der Streuung beider Wertepaare abhängig ist, scheint sie für die Frage, wie stark die Bewertungen voneinander abweichen (und somit eine eindimensionale Fragestellung) nur bedingt geeignet.
134
Ingenieurleistungen
23,1
55,4
Architekturleistung / Bauauf sicht
21,2
63,1
Hoch- und Tief bau
22,3
41,7
30,4
Sanitär / Heizung / Lüf tung
28,8
54,2
Elektro
28,8
54,2
Schreiner
7,1
Schlosser
24,2
5,8
31,4 15,8
Maler- und Lackierer / Tapeten
Garten- und Landschaf tsbau
25,4 25,4
55,8
25,8
26,7
44,6
20,0
6,7 0%
24,6
47,5
18,3
2,7
22,7
35,8
20,4
Gerüstbau 2,5 Glaserarbeiten
20,8 22,1
54,2
6,7
Stuck-, Gips- und Verputzarbeiten
17,1 20,0
38,6 23,8
20,4
Dachdeckerei
17,1
52,5
7,3
Zimmerei
26,3
49,5 19,2
10 %
27,7
36,3 20 %
Selbst (a)
30 %
Direkt (b)
0,8
11,7
50,8
25,4
Abbruch / Rückbau
16,3
48,8
22,5
Bodenbelag
0,4
13,8
37,9
40 %
50 %
60 %
Beschränkt (c)
70 %
80 %
90 %
100 %
Offen (d)
Abbildung 25: Vergabeformen für die einzelnen Leistungen (Angaben in Prozent)
Ingenieurleistungen
28,8
54,2
Elektro
28,8
54,2
Schlosser
Glaserarbeiten
20,0
Garten- und Landschaf tsbau
19,2 10 %
25,8
55,8
26,3
44,6
26,7
0%
25,4
47,5
18,3
Gerüstbau
25,4
54,2
20,4
Stuck-, Gips- und Verputzarbeiten
24,6
35,8
23,8 20,4
Dachdeckerei
22,1 22,7
38,6
31,4
Zimmerei
20,8
52,5
25,4
Maler- und Lackierer / Tapeten
17,1 20,0
50,8
22,5
Abbruch / Rückbau
17,1
48,8
24,2
Bodenbelag
11,7
16,3
30,4
Sanitär / Heizung / Lüf tung
Schreiner
0,8
13,8
22,3
Hoch- und Tief bau
27,7
49,5 37,9
36,3 20 %
Direkt (b)
0,4
21,2
55,4
Architekturleistung / Bauauf sicht
30 %
40 %
Beschränkt (c)
50 %
60 %
70 %
80 %
90 %
100 %
Offen (d)
Abbildung 26: Vergabeformen für die einzelnen Leistungen ohne Selbsterstellung (Angaben in Prozent)
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Gründe für eine Selbsterbringung vielschichtig sein können (Verfügbarkeit eigener Ressourcen, Außendarstellung, …) und zumindest einer anderen Entscheidungsbasis unterliegen als die Vergabe nach extern. Blendet man jedoch diese Fälle aus und skaliert die Skalen entsprechend neu, so ergibt sich das in Abbildung 135
26 ersichtliche Bild.87 Zwar ergeben sich hier gewisse Verschiebungen, die besondere Bedeutung der drei genannten Bereiche bleibt aber erhalten. Die unterschiedliche Bedeutung der einzelnen Vergabeformen macht sich jedoch nicht nur in der Form der Auftragsvergabe bemerkbar. Auch die Zahl der Unternehmen, die für eine Direktvergabe (b) oder eine Angebotsabfrage bei bekannten Unternehmen (c) in Frage kommen, ist bei den Architekturleistungen (im Schnitt 2,62), den Ingenieurleistungen (3,08) und – mit etwas Abstand – beim Hoch- und Tiefbau (3,77) am geringsten und beim Garten- und Landschaftsbau (5,69) am höchsten. Ingenieurleistungen
23,1
9,6
67,3
Gerüstbau 2,5
81,4
Architekturleistung / Bauauf sicht
16,1
63,1
Hoch- und Tief bau
16,3
20,6
41,7
39,4
Bodenbelag
18,9 21,4
78,6
Schlosser
5,8
Zimmerei
21,4
72,8 15,8
62,7
Sanitär / Heizung / Lüf tung
21,5 21,8
78,2
Garten- und Landschaf tsbau
6,7
71,4
21,9
Dachdeckerei
6,7
70,5
22,9
Stuck-, Gips- und Verputzarbeiten
75,9
Schreiner
7,1
Maler- und Lackierer / Tapeten
26,6
65,8
27,0
26,8
73,2
Abbruch / Rückbau
7,3
Elektro Glaserarbeiten
24,1
66,3
28,9
71,1 2,7 0%
30,1
67,2 10 %
20 %
Selbst
30 %
40 %
50 %
Größte zwei Unternehmen
60 %
70 %
80 %
90 %
100 %
Rest
Abbildung 27: Anteile der Arbeiten, die selbst oder von den zwei größten Unternehmen erledigt werden (Angaben in Prozent)
Um beide Aspekte (Form der Auftragsvergabe und Zahl der Unternehmen) zu kombinieren, wurden die Unternehmen gefragt, welcher Anteil ihrer Aufträge an die zwei Unternehmen gehen, die für den jeweiligen Bereich am meisten beauftragt werden. Hier ergeben sich ein etwas homogeneres Bild und mehrere leichte Verschiebungen, wie in Abbildung 27 ersichtlich ist. Hier zeigt sich, dass bei nahezu allen Leistungen mehr als 70 Prozent der Aufträge durch das Unternehmen selbst oder durch die zwei größten nachgelagerten Unternehmen erledigt werden.88 Betrachtet man nur das größte nachgelagerte Unternehmen, so hat dieses – je nach Tätigkeit – im Mittel einen Anteil von 39,2 bis 62,0 %. Das 3. Quartil liegt bei diesen Unternehmen (mit Ausnahme des Gerüstbaus (77,5 %)) bei maximal 70 %. Somit haben die
87
88
Die Sortierung wurde zur besseren Vergleichbarkeit beibehalten, die Prozentangaben in den Balken sind nicht skaliert, so dass sie in ihrer Summe auch weniger als 100 % ergeben können. Einzig bei den Glaserarbeiten ist dieser Anteil – wenn auch nur minimal – geringer.
136
meisten Anbieter von Kundenlösungen meist in jedem Bereich einen starken Partner. Dieser hat aber keine Alleinstellung, sondern muss mit anderen Unternehmen konkurrieren. Auffallend ist hier allerdings die sehr begrenzte Vergabe des Gerüstbaus, der sicherlich aus Kundensicht nur von sehr untergeordneter Bedeutung ist. Hier ist zu vermuten, dass die Tätigkeit vor allem für den Projektablauf von zentraler Bedeutung ist und hier somit ein zuverlässiger Partner erforderlich ist.89 Kriterien für die Auftragsvergabe Von Interesse sind auch die Kriterien, die für die Anbieter von Kundenlösungen bei der Vergabe von Aufträgen relevant sind und in wie weit diese Kriterien von den Anbietern erfüllt werden. Hier wurden sowohl die Anbieter von Kundenlösungen als auch die nachgelagerten Unternehmen um eine Einschätzung gebeten. Dabei kam bei den Kriterien eine Skala von 2 („Sehr wichtig“) bis -2 („Überhaupt nicht wichtig“) zur Anwendung, bei der Bewertung wurde eine Skala von 1 („überhaupt nicht“) bis 5 („übertrifft die Erwartungen“) verwendet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 25 dargestellt.
Kriterien Unternehmensgröße RechtsformdesUnternehmens SpezielleFähigkeiten/Monopolstellung Image/ReputationdesUnternehmens GeschwindigkeitderAngebotsabgabe QualitätdesabgegebenenAngebots Verfügbarkeit Preis ErfahrungdesAuftragnehmers FachlicheQualifikation KenntnismodernerTechnologien Innovationsfreudigkeit TechnischeAusstattung Erreichbarkeit ITKompetenz Organisationsgrad PersönlicheBeziehungen Qualität Ausführungsgeschwindigkeit Zuverlässigkeit/Termintreue AuftretenaufderBaustelle Weiterempfehlungsverhalten/ GegenseitigkeitderAuftragsvergabe GeschwindigkeitderRechnungserstellung BereitschaftzuLeistungeninderVorund Nachvertragsphase Mängelbeseitigung ErfahrungenausvergangenenAufträgen Vertrauenswürdigkeit/Ehrlichkeit Flexibilität ReibungsloseZusammenarbeit PartnerschaftlichesVerhältnis UnkompliziertheitderZusammenarbeit KeineunberechtigtenNachforderungen Teamfähigkeit SelbständigeAusführungderArbeiten Mitdenken Belastbarkeit
KriterienfürAuftragsvergabe ErfüllungdurchPartner Mittelwert Rang Varianz Mittelwert Rang Varianz Anb. Nachg. Diff. Anb. Nachg. Anb. Nachg. Anb. Nachg. Diff. Anb. Nachg. Anb. Nachg. 0,31 0,39 0,08 33 35 0,73 0,89 0,38 0,06 0,44 36 36 1,09 1,05 0,54 0,59 0,05 32 34 0,94 1,02 0,85 1,06 0,21 29 29 0,31 0,77 1,00 1,11 0,11 27 26 0,50 0,59 3,47 3,79 0,32 27 28 0,44 0,42 1,31 1,27 0,04 19 22 0,40 0,60 3,64 3,89 0,25 20 25 0,41 0,33 1,50 1,24 0,26 16 24 0,27 0,50 3,61 3,85 0,23 22 26 0,37 0,41 1,23 1,43 0,20 20 14 0,36 0,45 3,46 3,60 0,14 28 30 0,33 0,49 1,46 1,45 0,01 17 13 0,27 0,42 4,06 4,13 0,06 2 12 0,27 0,39 1,77 1,53 0,24 4 7 0,19 0,39 4,01 4,18 0,17 3 7 0,36 0,38 1,15 1,35 0,20 22 18 0,47 0,49 3,71 3,99 0,28 16 21 0,34 0,46 0,69 1,15 0,46 30 25 0,73 0,62 3,48 4,01 0,53 26 20 0,39 0,46 1,08 1,08 0,01 26 28 0,58 0,79 3,64 4,01 0,38 20 19 0,30 0,53 1,23 1,49 0,26 20 10 0,69 0,39 3,80 4,14 0,33 10 11 0,33 0,54 0,08 0,89 0,96 35 32 0,91 0,79 3,35 3,79 0,45 29 28 0,43 0,59 0,69 1,11 0,42 30 26 1,23 0,62 3,57 3,97 0,41 23 23 0,34 0,39 1,15 1,03 0,13 22 31 0,64 0,90 2,00 1,70 0,30 1 1 0,00 0,33 3,91 4,18 0,28 5 7 0,24 0,40 1,46 1,55 0,09 17 6 0,27 0,34 3,76 4,19 0,43 15 6 0,29 0,41 1,85 1,64 0,21 3 2 0,14 0,29 3,79 4,21 0,42 11 5 0,28 0,47 1,54 1,38 0,16 11 17 0,27 0,50 3,78 4,10 0,32 14 17 0,33 0,48 1,15
1,33
0,17
22
19
0,64
0,57
3,23
3,92
0,68
30
24
0,78
0,68
0,23
0,85
0,61
34
33
0,86
0,79
3,55
3,85
0,30
25
26
0,37
0,50 0,61
0,92
1,04
0,12
28
30
0,58
0,61
3,64
3,97
0,33
19
22
0,40
1,92 1,69 1,77 1,54 1,69 1,54 1,62 1,69 1,15 1,54 1,77 1,54
1,58 1,52 1,61 1,49 1,46 1,30 1,31 1,42 1,27 1,46 1,63 1,41
0,34 0,17 0,16 0,05 0,23 0,24 0,31 0,27 0,11 0,07 0,14 0,12
2 7 4 11 7 11 10 7 22 11 4 11
5 8 4 9 12 21 20 15 22 11 3 16
0,08 0,23 0,19 0,27 0,23 0,44 0,26 0,40 0,47 0,44 0,36 0,44
0,39 0,28 0,30 0,28 0,36 0,50 0,53 0,48 0,40 0,40 0,24 0,36
3,56
4,11
0,55
24
13
0,28
0,38
4,09 3,79 3,87 3,70 3,90 3,67 3,80 3,96 3,79 3,86
4,34 4,14 4,11 4,07 4,10 4,15 4,11 4,25 4,22 4,21
0,26 0,35 0,24 0,37 0,20 0,48 0,31 0,29 0,43 0,35
1 11 7 17 6 18 9 4 11 8
1 10 13 18 16 9 13 2 3 4
0,25 0,26 0,33 0,37 0,22 0,38 0,37 0,26 0,33 0,19
0,45 0,55 0,47 0,52 0,46 0,67 0,55 0,44 0,46 0,45
Tabelle 25: Kriterien zur Auftragsvergabe und ihre Erfüllung 89
Es sind allerdings auch andere Faktoren denkbar wie die hohe Bedeutung aus Sicherheitsaspekten, ein begrenztes Marktangebot oder zufällige Faktoren durch die geringe Zahl befragter Unternehmen.
137
Auffallend ist die hohe Bedeutung der Qualität (Position 1 mit einer einheitlichen Bewertung von 2), der Preis selbst wird erst an 20. Position genannt.90 Weiterhin haben aus Sicht der Anbieter von Kundenlösungen insbesondere die Mängelbeseitigung, die Zuverlässigkeit und Termintreue, die fachliche Qualifikation, das Mitdenken sowie die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit hohe Bedeutung. Größere Abweichungen zwischen den beiden Ansichten ergeben sich bei der IT-Kompetenz, der Innovationsfreudigkeit und dem Organisationsgrad, die alle von den nachgelagerten Unternehmen als wichtiger angesehen werden.91 Betrachtet man die Bewertungen, so fällt insbesondere die positive Bewertung der Vertraulichkeit und Ehrlichkeit auf, die von beiden Seiten am besten bewertet wird. Auch liegt die durchschnittliche Bewertung fast überall über 3,5 und damit eher bei „vollständig“. Hier fallen insbesondere die Faktoren Weiterempfehlungsverhalten und Gegenseitigkeit der Auftragsvergabe sowie die IT-Kompetenz mit einer eher schlechten Bewertung auf. Bemerkenswert ist auch die durchgehend bessere Eigenbewertung der nachgelagerten Unternehmen als die Bewertung durch die Anbieter von Kundenlösungen. Besonders groß sind die Abweichungen neben bei den genannten eher schlecht bewerteten Faktoren auch bei der Innovationsfreudigkeit und der Mängelbeseitigung. Anforderungen an den Auftraggeber Nicht nur die Anbieter von Kundenlösungen setzen Anforderungen an ihre nachgelagerten Unternehmen. Auch in die andere Richtung existieren Anforderungen, denn das nachgelagerte Unternehmen hätte auch die Möglichkeit, einen Auftrag abzulehnen. Aus Sicht der nachgelagerten Unternehmen sind dabei insbesondere die Fachkenntnisse (Aussage B92: „Besitzt ausreichende Fachkenntnisse, um Gesamtprojekte zu planen und umzusetzen“), die finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten zur Umsetzung eines Gesamtprojekts (Aussage F: „Besitzt die finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten, um Gesamtprojekte effizient abzuwickeln“), die Generierung von neuen Aufträgen (Aussage A: „Kann erfolgreich neue Aufträge generieren“) und die Flexibilität bezüglich der Kundenwünsche (Aussage C: „Besitzt Flexibilität, auf unterschiedliche Kundenwünsche einzugehen und sie umzusetzen“) wichtig. Die Anbieter von Kundenlösungen schätzen die Bedeutung dieser Faktoren weitgehend ähnlich ein. Auffallend ist aber die Abweichung bei der Flexibilität bezüglich der Kundenwünsche (Aussage C), die von den nachgelagerten Unternehmen als sehr wichtig (Rang 4) angesehen wird, von den Anbietern aber eher als unwichtig (letzter Rang) eingeschätzt wird. Hingewiesen werden sollte noch auf die recht hohe Varianz bei den Aussagen zur partnerschaftlichen Beziehung und zur Beteiligung am Projekterfolg (Aussage I: „Behandelt die an der Ausführung beteiligten Unternehmen als Partner und gibt ihnen die Möglichkeit einer angemessenen Beteiligung am Projekterfolg“ – 0,59) und zur Nachvollziehbarkeit und Dokumentation der Entscheidungen (Aussage E: „Trifft Entscheidungen nachvoll90
91
92
Die Positionierung sagt nicht aus, dass der Preis unwichtig ist – dies ist bei einer Bewertung von im Schnitt 1,23 eindeutig nicht der Fall. Die Positionierung deutet nur auf eine Zahlungsbereitschaft für die als wichtiger eingestuften Faktoren, ohne eine Aussage über deren Höhe zu treffen (siehe auch Kapitel 6.5.2). Genannt wurden die Punkte mit einer Bewertungsabweichung von ±0,4, die zugleich zu einer Rangabweichung von 2 oder mehr Positionen führte. Die Aussagen sind in Anhang D (S. 342) dargestellt.
138
ziehbar und dokumentiert diese sinnvoll“ – 0,61), so dass hier wohl Unterschiede zwischen den Netzwerken vorliegen. Bei der Bewertung (Skala 1 bis 5) der einzelnen Aussagen wurden die Anbieter insbesondere bezüglich ihrer Fachkenntnisse (Aussage B – 4,15) gut bewertet, die von den Anbietern selbst aber nicht ganz so gut gesehen wird (3,85). Diese sehen ihre Stärken mehr in der Umsetzung der Gesamtprojekte sowie der Übersetzung der Kundenanforderungen (Aussagen F (s. o.) bzw. G: „Schafft es, die Sprache des Kunden zu sprechen, seine Anforderungen zu analysieren und als seriöser Partner für die Projektausführung aufzutreten“ – jeweils 4,15). Auch wenn die Bewertung der Anbieter in keinem Punkt schlecht ausfällt, so lässt jedoch das partnerschaftliche Verhältnis und die Beteiligung am Projekterfolg (Aussage I (s. o.) – 3,73) noch am ehesten Wünsche bei den nachgelagerten Unternehmen offen. Betrachtet man die Abweichungen in den Bewertungen, so treten die Aussagen zur Aufteilung des Projekts in Teilaufgaben und deren Überwachung (Aussage D: „Kann das Gesamtprojekt in Teilaufgaben aufteilen und deren Ausführung überwachen“) sowie das partnerschaftliche Verhältnis (Aussage I (s. o.)) hervor, bei denen eine große Streuung in der Abweichung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung (Varianz von 1,38 bzw. 1,27) vorliegt, die Differenzen der Bewertungen im Gesamtdurchschnitt aber eher gering ausfallen (0,28 bzw. 0,27). Dies deutet auf eine eher heterogene Bewertung durch die nachgelagerten Unternehmen hin und somit darauf, dass hier Unterschiede in der Zusammenarbeit vorliegen könnten – die Anbieter also die nachgelagerten Unternehmen unterschiedlich behandeln. Auf der anderen Seite ist bei der Komplexitätsreduktion (Aussage L: „Schafft es, dem Projekt unnötige Komplexität zu nehmen“) die Varianz der Abweichungen eher gering (0,64), die Differenz der Durchschnitte aber ebenfalls hoch (0,46), so dass hier eher von unterschiedlichen Eigenschaften der Anbieter von Kundenlösungen auszugehen ist. Allerdings ist auch hier die Korrelation der Aussagen sehr gering. Medienwahl Betrachtet wurde auch die Frage, mit welchem Medium die Anbieter von Kundenlösungen mit ihren nachgelagerten Unternehmen kommunizieren. Dazu wurde beiden ein Katalog von Kommunikationsmedien vorgelegt und sie gebeten, die Anteile der jeweiligen Kommunikationswege anzugeben. Die Rückläufe sind aus Abbildung 28 ersichtlich.
Anbieter
19,6
Nachg. Unt.
21,5
18,7
0%
persönlich
10 %
20,4
19,9
20 %
Festnetz-Telefon
30 %
1,5
24,4
40 %
Mobiltelefon (Sprache)
50 %
1,8
60 %
Mobiltelefon (SMS)
11,4
14,2
11,3
14,6
70 %
Fax
12,7
7,4
80 %
Brief
E-Mail
90 %
0,6
100 %
Sonstiges
Abbildung 28: Anteil einzelner Kommunikationsmedien an der Kommunikation zwischen Anbietern von Kundenlösungen und nachgelagerten Unternehmen (Angaben in Prozent)
139
Zwischen den Angaben der Anbieter von Kundenlösungen und den nachgelagerten Unternehmen gibt es keine großen Unterschiede. Rund 20 % der Kommunikation erfolgt persönlich, weitere 40 % mündlich. Die schriftliche Kommunikation hat eine untergeordnete Bedeutung – insbesondere dann, wenn man nur die formaleren Formen des Briefes und des Faxes betrachtet – und dürfte vor allem für Dokumente wie Rechnungen oder Baupläne verwendet werden. Somit kommen insbesondere reichhaltige Medien zur Anwendung, die für komplexe Kommunikationsaufgaben geeignet sind und zugleich eine soziale Interaktion erlauben (Daft/Lengel 1986; Daft/Lengel 1984; Froehle 2006, S. 9 ff. m. w. N.; Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 111 ff.; Rice 1992; Schmidt/Montoya-Weiss/Massey 2001, S. 581 ff.). In der Auswertung zeigen sich aber auch zum Teil unterschiedliche individuelle Kommunikationspräferenzen. Das betrifft zum einen den Anteil der SMS, die bei fast allen Rückläufen mit 0 % angegeben waren, in einem Einzelfall aber rund 75 % der Kommunikation ausmachen. Auch ist sowohl beim Festnetz- als auch beim Mobiltelefon eine hohe Streuung festzustellen (Varianzen von 76,6 bzw. 193,6 bei den Anbietern von Kundenlösungen und 184,1 bzw. 246,3 bei den nachgelagerten Unternehmen), die auf eine unterschiedliche Nutzung dieser Medien deuten. Auch die E-Mail zeichnet sich durch eine große Streuung (Varianzen von 82,7 bzw. 207,8) aus. Dies lässt einen Wandel in den Kommunikationswegen vermuten, bei dem innovativere Unternehmen stärker auf Mobiltelefon und E-Mail setzen. 5.4
Wesentliche Erkenntnisse der Untersuchungen
In den vorhergehenden Kapiteln wurde die Bauindustrie als Untersuchungsfeld, die in drei Unternehmen durchgeführte Analyse der Kommunikationsprozesse und die Ergebnisse einer Erhebung zu den Netzwerkstrukturen vorgestellt. Im Folgenden werden die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeiten zusammengefasst. Die drei Einzelfallstudien fokussierten vor allem auf die internen Abläufe. Hier zeigte sich, dass die Unternehmen in der Lage waren, Kundenlösungen erfolgreich umzusetzen. Allerdings konnte die hohe Komplexität von Kundenlösungen oft nicht vollständig bewältigt werden. So benötigte die Weitergabe der Kundenvorstellungen und der Umsetzungsplanung oft mehr Zeit als aus Sicht der Betroffenen sinnvoll gewesen wäre. Dennoch erfolgte der Informationsaustausch meist nicht vollständig. So war teilweise nicht zu erkennen, welche Anforderungen direkt auf einen Kundenwunsch zurückgehen oder es wurden Informationen nicht an alle betroffenen Ansprechpartner weitergereicht. Während die Hierarchie in allen Unternehmen – auch vor dem Hintergrund der Unternehmensgröße – flach war, war die Entscheidungsautonomie der Mitarbeiter unterschiedlich ausgeprägt. Diese variierte insbesondere bezüglich der Konzentration auf einzelne Mitarbeiter und den Rahmen, in dem Entscheidungen getroffen werden konnten. Probleme bei der Koordination mit den nachgelagerten Unternehmen traten bei den Kommunikationsanalysen nur bedingt auf. Die Ursachen hierfür können vielschichtig sein. Sie könnte in einer wirtschaftlichen Dominanz des Anbieters von Kundenlösungen und einer damit verbundenen frühzeitigen Aussonderung von problematischen Lieferantenbeziehungen liegen. Sie könnte aber auch darin bestehen, dass die Komplexität der Gesamtlösung durch den Anbieter so weit reduziert werden kann, dass problematische Kommunikationsbeziehungen und somit mögliche Probleme vermieden werden. 140
Bei der Befragung lag der Schwerpunkt hingegen mehr auf den Beziehungen zwischen den Anbietern und den nachgelagerten Unternehmen. Hier zeigte sich, dass der Fokus in den Netzwerken vor allem auf der Qualität der Leistung lag, die sich auch in einem größeren Markterfolg niederschlägt.93 Die Qualität verdrängte die Bedeutung des Preises, der nur eine – wenn auch sicherlich nicht unwesentliche – Nebenrolle spielte. Die hohen Anforderungen insbesondere bei der Qualität können dabei auch Ursache dafür sein, dass ein großer Teil der Aufträge an eine kleine Zahl von Unternehmen vergeben wird, mit denen Erfahrungen vorliegen. Bei der Betrachtung der Vergabeformen zeigte sich auch, dass die Entscheidung über die Vergabeform von der Leistungsart abhängt. Die Anbieter vergeben also bestimmte Leistungen eher an einen engen Kreis von Unternehmen und andere eher auf dem freien Markt. Auch wenn die Kriterien für die Vergabe nicht gewerkespezifisch betrachtet wurden, so ist zu vermuten, dass die Bedeutung einer Leistung für den Projekterfolg eine zentrale Rolle spielt und kritische Leistungen eher an wenige, bekannte Unternehmen vergeben werden. Dabei lassen es die Unternehmen aber meist nicht zu einer zu großen Abhängigkeit kommen und vergeben kaum Aufträge ausschließlich an einen Partner.94 Betrachtet man die Beziehung zwischen den Anbietern von Kundenlösungen und den nachgelagerten Unternehmen, so fällt die gute Bewertung der nachgelagerten Unternehmen durch die Anbieter auf. Alle Bewertungen liegen im Durchschnitt über „Erfüllt die Kriterien weitgehend (3)“, die meisten Bewertungen liegen im Schnitt sogar über 3,5 (Skala 1 bis 5). Auch die Anbieter erhielten gute Bewertungen von ihren nachgelagerten Unternehmen – hier liegen alle Werte im Durchschnitt über 3,7. Das partnerschaftliche Verhältnis spielt auch bei den Anbietern von Kundenlösung eine recht hohe Bedeutung bei der Vergabe (1,54 auf Skala -2 bis +2 – Rang 11), die schlechtere Einschätzung dieses Faktors auf Seiten der nachgelagerten Unternehmen (1,30 – Rang 21) deutet allerdings auf ein teilweise fehlendes Bewusstsein bei den nachgelagerten Unternehmen. Dies schlägt sich wohl auch darin nieder, wie die Anbieter von Kundenlösungen das partnerschaftliche Verhältnis mit ihren Nachunternehmen bewerten: mit 3,70 (Skala 1 bis 5) liegt die Bewertung im unteren Bereich. Dieses Missverhältnis zwischen den Sichtweisen zeigt sich auch bei den Anforderungen, die die nachgelagerten Unternehmen stellen: Während diese die partnerschaftliche Beziehung (Aussage I) mit 1,25 als eher unwichtig bewerten (Rang 14 von 15 auf Skala -2 bis +2), gehen die Anbieter von Kundenlösungen eher davon aus, dass es sich um einen wichtigen Parameter (Rang 2 mit 1,33) handelt. Die Bewertung der Kriterienerfüllung ist aus beiden Seiten jedoch eher schlecht – allerdings mit einer großen Streuung. Somit scheint die partnerschaftliche Beziehung vor allem aus Sicht der Anbieter wichtig, während bei den nachgelagerten Unternehmen jedoch in Teilen ein entsprechendes Bewusstsein zu fehlen scheint. Die Gesamtleistung wird somit kooperativ von mehreren Unternehmen erbracht, was auch in weiten Teilen problemlos funktioniert. Dabei erfolgt die Koordination weitestgehend partnerschaftlich in Netzwerken und nicht marktlich. Allerdings wird die marktliche Koordination in 93
94
Gerade hier ist aber nicht auszuschließen, dass die Rücklaufquote selektiv ist und Unternehmen mit wirtschaftlichen Problemen eher nicht geneigt waren, an der Befragung teilzunehmen. In Gesprächen mit Branchenvertretern wurde auch öfters auf die Gefahr verwiesen, dass eine zu einseitige Vergabe dazu führen kann, dass das Gefühl für den Marktpreis verloren geht und somit auch die Gesamtleistung nicht mehr zu einem aus Kundensicht akzeptablen Preis angeboten werden kann.
141
diesen Netzwerken nicht vollständig zurückgedrängt. Wettbewerbliche Elemente lassen sich sowohl im Netzwerk durch die Existenz mehrerer Partner für ähnliche Aufgaben als auch außerhalb des Netzwerks durch die zeitweise Einbeziehung externer Unternehmen feststellen. Die aus Sicht der Anbieter offenen Herausforderungen liegen mehr in der internen Organisation der Leistungserbringung. Dabei scheinen vor allem die Bewältigung der Komplexität der Gesamtleistung und die Einbeziehung aller Ansprechpartner Probleme aufzuwerfen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Untersuchung in einem einzigen Wirtschaftszweig erfolgte, in dem langjährige Erfahrungen in der kooperativen Arbeit vorliegen (vgl. Kapitel 5.1.2). Dabei können durch die starke Fokussierung auf kleine und mittlere Unternehmen deren Besonderheiten mit in die Ergebnisse eingeflossen sein (Staber 2000, S. 77). Auch die geringe Zahl betrachteter Netzwerke schränkt die Verallgemeinerbarkeit der Aussagen ein. Dennoch sind deutliche Parallelitäten zwischen den in Kapitel 4 identifizierten Merkmalen von Kundenlösungen und den untersuchten Abläufen festzustellen. Die Erkenntnisse zeigen, dass die Anbieter von Kundenlösungen die Teilleistungen nicht über den freien Markt beziehen, sondern diese weitestgehend von einem oder zwei engen Partnern je Gewerk erbringen lassen. Dabei werden vor allem kritischere Arbeiten eher an einen bekannten Partner vergeben. Zugleich bleiben die Anbieter aber offen für Leistungen weiterer Unternehmen, so dass in den Netzwerken ein Wettbewerb bestehen bleibt. Wesentlicher Wettbewerbsfaktor ist dabei nicht der Preis, sondern Faktoren wie Qualität und Zuverlässigkeit. Der Umgang zwischen dem Anbieter und den Partnern ist partnerschaftlich, die Absprachen erfolgen unkompliziert und oft in direkter Kommunikation. Im Rahmen der Untersuchung wurden keine Merkmale identifiziert, die nicht schon in Kapitel 4 behandelt wurden. Somit bestehen keine Anzeichen, dass die Merkmale erweitert werden müssen oder dass bei der Erbringung von Kundenlösungen in der Bauindustrie spezifische Besonderheiten auftreten. Viele der in Kapitel 5.1.2 identifizierten Besonderheiten von Bauleistungen sind somit keine Eigenheiten der Bauindustrie, sondern solche von Kundenlösungen. Im Rahmen der empirischen Untersuchung konnte gezeigt werden, wie Kundenlösungen in der Bauindustrie erbracht werden und wie die Beziehungen innerhalb der Netzwerke ausgestaltet sind. Dabei konnte eine Übereinstimmung der in Kapitel 4 theoretisch abgeleiteten Auswirkungen mit denen in der Praxis festgestellt werden. Die abgeleiteten Auswirkungen können somit im Folgekapitel herangezogen werden, um die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse zu ermitteln.
142
6 Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsbeziehungen In den vorhergehenden Kapiteln wurden die Unterschiede von Sach- und Dienstleistungen sowie Kundenlösungen theoretisch erarbeitet (Kapitel 4) und der Charakter von Kundenlösungen in einer ersten empirischen Untersuchung bestätigt (Kapitel 5). Diese Arbeiten fokussierten auf die allgemeinen Unterschiede der Leistungsarten, so dass als nächster Schritt die Auswirkungen auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse abgeleitet werden müssen. Dazu wird als erstes die Frage der Abgrenzung von Sach- und Dienstleistungen erneut aufgegriffen und kritisch reflektiert (Kapitel 6.1). Ziel ist dabei aber nicht, diese Frage abschließend zu beantworten. Vielmehr wird aufgezeigt, dass es keine saubere Abgrenzung geben kann und somit auch keinen abschließenden Katalog von Auswirkungen. Durch Dienstleistungen und Kundenlösungen werden neue Fragestellungen relevant, die von den Unternehmen berücksichtigt werden müssen. Diese werden in Form von drei Änderungsbereichen Individualisierung, ganzheitliche Betrachtung und Notwendigkeit der Netzwerkbildung erarbeitet (Kapitel 6.2) und vorgestellt (Kapitel 6.3 bis 6.5). Abschließend erfolgen eine Prüfung der Vollständigkeit der Änderungsbereiche (Kapitel 6.6) und eine ausführliche Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 6.7), bei der die Konsequenzen von Kundenlösungen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse und ihre Implikationen dargestellt werden. 6.1
Dienstleistungen und Kundenlösungen – Ein kritischer Rückblick
Sachleistungen liegt ein relativ klares Begriffsverständnis zu Grunde. Sie werden als materielles Objekt gesehen, das angefasst und dessen Besitz erworben werden kann. Beim Vergleich von Sachgütern untereinander wird deutlich, dass hinter ihnen unterschiedliche Produktionsprozesse stehen. Zum Beispiel ist mit einem Auto und seiner komplexen Technik ein anderer Produktionsprozess verbunden als mit einem Apfel als einem Produkt der Landwirtschaft. Der Käufer kann den dahinterliegenden Entwicklungs- und Produktionsprozess aber ausblenden – er kauft nur das Ergebnis. Zwar wurde gezeigt, dass es aus Anbietersicht unterschiedliche Ansätze beim Produktionszeitpunkt (z. B. bei Auftragsleistungen) und der Produktion selbst (z. B. bezüglich der Fertigungstiefe) gibt, die Variationsmöglichkeiten bleiben aber überschaubar. Bei Dienstleistungen wurde schon bei der Definitionsfindung (vgl. Kapitel 3) deutlich, dass eine einheitliche Definition von Dienstleistungen weder existiert noch existieren kann. Dienstleistungen können extrem unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Da sich der Käufer beim Erwerb einer Dienstleistung nicht mehr am Ende des Produktionsprozesses befindet, sondern vielmehr an seinem Anfang (oder sogar noch vor der Entwicklung), steigt die Zahl möglicher Variationen deutlich. Die Dienstleistung kann standardisiert oder individuell sein, sie kann an Materialien des Kunden oder des Anbieters vollzogen werden, sie kann physische oder geistige Arbeit beinhalten etc. Die Vielfalt von Dienstleistungen schlägt sich nicht nur in einer schwierigen Definitionsfindung nieder, sie zeigt sich auch in zahlreichen Typologisierungen, mit denen eine Systematisierung von Dienstleistungen versucht wird (vgl. dazu z. B. Benkenstein/Güthoff 1996; Corsten 2001a, S. 31 ff.; Lehmann 1993).
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Bei Kundenlösungen existiert diese Definitionsvielfalt hingegen nicht. Dies aber nicht etwa deshalb, weil Kundenlösungen nur für eine begrenzte Art von Produkten möglich sind. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Kundenlösungen erlauben ein viel höheres Spektrum an Produkten wie Sach- oder Dienstleistungen. Letztendlich kann jede Leistung zu einer Kundenlösung werden, wenn der Fokus der Leistung nicht mehr das Produkt, sondern der Kunde ist. Das Prozessmodell ist so flexibel, um unterschiedlichste Leistungen für den Kunden erbringen zu können. Die für die Unternehmung relevante Frage wandelt sich somit – vereinfacht gesagt – von der Frage, welche Probleme des Kunden ein Produkt lösen kann in die Frage, mit welcher Kombination von Produkten das Problem des Kunden zu lösen ist. Genau dieser Wechsel der Sichtweise führt zu Änderungen in den betrieblichen Abläufen, wie im Folgenden näher dargestellt wird. Dienstleistungen haben bei dieser Betrachtung eine Zwitterstellung. Denn es gibt Dienstleistungen, bei denen das Produkt im Vordergrund steht. Sei es die automatische Autowäsche oder der Linienflug – in beiden Fällen bekommt der Kunde ein standardisiertes Produkt präsentiert, bei dem er sich für oder gegen den Erwerb entscheiden kann. Je mehr der Anbieter aber nun eine individuelle Anpassung der Leistung zulässt, desto mehr wandelt sich die Dienstleistung hin zu einer Kundenlösung. So kann zum Beispiel der Arztbesuch auch als Kundenlösung gesehen werden, schließlich handelt es sich um eine individuell an das Problem (die Beschwerden) des Kunden angepasste Kombination von Sachleistungen (z. B. den Medikamenten) und Dienstleistungen (z. B. den verschiedenen Behandlungen). Wie auch bei Sach- und Dienstleistungen gibt es hier keine feste Grenze – so wird beispielsweise der Fluggast in der Economy Class eher eine produktorientierte Lösung erhalten, während der Kunde einige Sitzreihen weiter vorn in der First Class eine – sicherlich noch steigerungsfähige – stärkere Kundenorientierung erleben wird. Somit kann der Anbieter von Kundenlösungen als Gegenbild des klassischen Sachleisters angesehen werden. Bei Kundenlösungen übergibt der Kunde seine Aufgabe der Kombination der Leistungselemente (Reckenfelderbäumer 2009, S. 225) zumindest teilweise an den Anbieter. Dies bedingt auch, dass der Anbieter von Kundenlösungen eher im oberen Marktsegment tätig ist, wie nicht nur das Beispiel der Klassenunterschiede einer Fluggesellschaft zeigt (Mendius/Sengenberger 1976, S. 25 f., 40 f., 47, 60 ff.; Semlinger 2006, S. 38). Der Anbieter von Kundenlösungen hat dabei die Flexibilität, sowohl Sach- als auch Dienstleistungen zu integrieren und kann diese dabei – entsprechende Kompetenz vorausgesetzt – selbst erbringen oder fremd erbringen lassen. Die Frage der Selbst- oder Fremderbringung zeigt aber zugleich eine andere Dimension auf. Denn neben der organisatorischen Fähigkeit bedarf es auch einer fachlichen Fähigkeit, die bislang keine Betrachtung fand. Der Anbieter – egal welcher Leistung – benötigt nämlich auch eine fachliche Kompetenz, um eine Leistung erbringen zu können. Aus dieser fachlichen Kompetenz entsteht zusammen durch eine strategische Entscheidung zur Marktausrichtung ein Produktportfolio, das der Anbieter am Markt anbietet (Zur strategischen Ausrichtung siehe auch Reckenfelderbäumer 2009, S. 217 ff.). Dies ist freilich bei Sachleistungen meist in Form eines Produktkatalogs für den Kunden deutlicher zu erkennen als bei Kundenlösungen. Aus diesem Grund wird auch ein Anbieter von Kundenlösungen nicht zum „Gemischtwaren144
laden“, der alle Leistungen unterschiedlichster Art anbietet. Vielmehr konzentriert er sich auf ein mehr oder weniger klar umrissenes Leistungsportfolio, in dem er die notwendige Kompetenz mitbringt und mit dem er auf dem Markt auftritt. Diese Frage der strategischen Ausrichtung wird im Weiteren ausgeblendet, da es sich hier nicht um eine Frage der Betriebsorganisation handelt. Dies schließt aber nicht aus, dass die strategische Ausrichtung Auswirkungen auf die betriebliche Organisation haben könnte, wenn durch die Leistungsspezifika Besonderheiten entstehen. Somit ist zur Untersuchung der Auswirkungen auf Kommunikationsprozesse die in Kapitel 3.3 gewählte Ausrichtung auf Kundenlösungen zielführend. Es sind nicht Dienstleistungen, die weitreichende Auswirkungen auf die betriebliche Kommunikation haben, sondern vielmehr die Neuorientierung der Unternehmung weg vom Produkt und hin zum Kunden. Welche Auswirkungen damit verbunden sind, wird in den folgenden Kapiteln näher erarbeitet. 6.2
Ermittlung zentraler Änderungsbereiche für Kundenlösungen
Wenn die Auswirkungen von Kundenlösungen auf betriebliche Kommunikationsprozesse betrachten werden sollen, stellt sich die Frage, wie dazu vorgegangen werden soll. Eine Einzelbetrachtung jedes ermittelten Kriteriums wäre nicht zielführend, sondern würde vielmehr zu einer Abarbeitung einer langen Liste von Einzelfaktoren führen, ohne die Zusammenhänge ausreichend darzustellen. Für eine Aggregation der Parameter zu Clustern bedarf es aber einer Richtlinie, nach der die Cluster gebildet werden können. Die Kriterien selbst liefern keinen Ansatz einer solchen Richtlinie, so dass die Cluster extern vorgegeben werden müssen. Dazu soll die Definition von Kundenlösungen aufgegriffen und deren zentralen Spezifika herausgearbeitet werden. Diese sind dann Grundlage für die Clusterbildung und bilden Änderungsbereiche, die ein Anbieter von Kundenlösungen adressieren muss, um Kundenlösungen erfolgreich zu erbringen. In Kapitel 3.2.2 wurden Kundenlösungen wie folgt definiert: “[…] a solution is a set of customer-supplier relational process comprising (1) customer requirements definition, (2) customization and integration of goods and/or services and (3) their deployment, and (4) postdeployment customer support, all of which are aimed at meeting customers’ business needs […].” (Tuli/Kohli/Bharadwaj 2007, S. 5) Dabei zeigen sich folgende zentralen Änderungsbereiche: x Im Fokus einer Kundenlösung steht ein individuelles Problem95 und kein generalisiertes. Individuelle Probleme werden sich nur mit individualisierten Prozessabläufen96 lösen lassen. Auch die Beziehungskomponente von Kundenlösungen macht eine Individualisierung erforderlich (Kapitel 6.3).
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Im Rahmen einer fortdauernden Geschäftsbeziehung bzw. über ein übergeordnetes Problem können auch mehrere Probleme durch eine Kundenlösung gelöst werden. Individualisierte Prozessabläufe schließen eine Standardisierung oder Modularisierung der Leistung nicht aus.
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x Eine Kundenlösung umfasst mehrere Komponenten in Form von einzelnen Sach- und Dienstleistungen, die in ihrer angepassten und integrierten Form zur Lösung des Kundenproblems beitragen. Auch umfasst sie den kompletten Nutzungsprozess der Leistung auch über die eigentliche Erbringung hinaus. Somit erfordern Kundenlösungen eine ganzheitliche Betrachtung des Problems und der Lösung (Kapitel 6.4). x Schließlich erfordert eine Kundenlösung einen intensiven und offenen Kontakt zwischen Kunden und Anbieter. Dieser intensive Kontakt ist notwendig, damit sich der Anbieter mit dem Problem des Kunden vertraut machen kann und eine optimale Lösung finden kann. Dieser Aspekt wird jedoch um einen weiteren erweitert, der sich nur indirekt aus der Definition herleiten lässt. Denn eine optimale Lösung bedingt auch, dass der Anbieter über seine eigene Leistungsfähigkeit hinausblickt und auch Fremdleistungen in die Lösung mit einbezieht (vgl. Kapitel 4.2.3 und 4.3.3). Somit ist auch ein intensiver Kontakt zwischen Anbieter und nachgelagerten Unternehmen erforderlich. Sowohl die Beziehung zum Kunden als auch die zu den nachgelagerten Unternehmen gehen dabei über eine normale marktliche Beziehung hinaus. Vielmehr muss die Beziehung zu einer Partnerschaft entwickelt werden und dabei auch Beziehungen der Partner untereinander berücksichtigt werden. Somit ist für die Erbringung von Kundenlösungen auch die Bildung von Netzwerken erforderlich (Kapitel 6.5). Diese drei Änderungsbereiche werden im Folgenden genauer untersucht. 6.3
Änderungsbereich 1: Individualisierung der Prozessabläufe
Der erste Änderungsbereich betrifft die Individualisierung der Prozessabläufe. Während bei der klassischen Sachgüterproduktion das Produkt im Mittelpunkt der Abläufe steht und die Produktion ohne Betrachtung der konkreten Nachfrage erfolgen kann, sieht der Ablauf bei Kundenlösungen anders aus: Hier steht der Kunde am Anfang und im Mittelpunkt der Wertschöpfung, ohne eine Interaktion mit ihm ist weder die abschließende Entwicklung noch die Produktion der Leistung möglich. Es erfolgt somit keine Massen-, sondern eine Einzelproduktion. Auch wirken sich die Anforderungen des Kunden auf den Entwicklungs- und Produktionsprozess aus. Für den Anbieter entsteht somit die Notwendigkeit eines direkten Kundenkontakts. Während bei Sachleistungen der Kontakt zum Kunden meist anonym (z. B. im Marketing) oder über klar definierte Schnittstellen (z. B. bei der Bestellung) erfolgen kann, ist bei Kundenlösungen eine individuelle Kommunikation notwendig, die durch den Anbieter nur bedingt plan- und steuerbar ist. Bei der Betrachtung der betrieblichen Kommunikationsprozesse kann somit der Kunde nicht mehr als Masse bzw. Auslöser der Tätigkeit gesehen werden. Vielmehr muss er als individueller Kommunikationspartner betrachtet werden, mit dem bilateral kommuniziert wird und der in den betrieblichen Kommunikationsprozessen zu berücksichtigen ist. Dabei ist zu beachten, dass der genaue Zeitpunkt der Rückmeldung und ihre Qualität im Vorfeld nur bedingt feststehen können. Die begrenzte Beeinflussbarkeit der Kommunikation mit dem Kunden und die Individualisierung von Entwicklung und Produktion führen dazu, dass die Abläufe im Unternehmen eine 146
Variation zulassen müssen, um eine Individualisierung überhaupt erst zu ermöglichen. Die Wertschöpfung kann also nicht mehr ausschließlich nach einem festen Muster ablaufen, sondern wird variabel und geht dabei über eine Variantenbildung weit hinaus. Diese Variabilität muss aber auch an die Personen kommuniziert werden, die von der Wertschöpfung abhängig sind. Das mag sich in der Theorie einfach anhören, wirft aber in der Praxis zahlreiche Probleme auf. So steht bei Sachleistungen hinter einem Produkt ein konkretes Konzept, dass den Beteiligten bekannt ist. Werden tausend Stück eines Produkts bestellt, so weiß die Buchhaltung, was dafür in Rechnung zu stellen ist, die Produktionsplanung weiß, welche Kapazitäten sie dafür bereithalten muss und die Beschaffung kann den daraus resultierenden Materialbedarf ermitteln. Bei Kundenlösungen müssen all diese Informationen erst spezifiziert werden – und das im Extremfall nicht einmal, sondern für jedes einzelne der tausend Stück getrennt. Hinzu kommt, dass nicht alle Adressaten die Informationen in der gleichen Qualität bzw. Granularität benötigen. Während die Produktion beispielsweise eine genaue technische Spezifikation benötigt, ist diese für die Buchhaltung meist weniger zweckdienlich. Die Kommunikation im Unternehmen muss sich diesen Gegebenheiten entsprechend anpassen. Während bei Sachleistungen oft eine Kommunikation anhand von Stückzahlen und ggf. von Spezifikationsparametern erfolgen kann, ist bei Kundenlösungen eine Kommunikation von Konzepten notwendig. Der Informationsaustausch wird somit reichhaltiger und die Informationen müssen vom Empfänger jedes Mal richtig verstanden und verarbeitet werden. Der enorm gestiegene Informationsbedarf stellt auch neue Herausforderungen an die Informationslogistik (vgl. Krcmar 2010, S. 57 f. m. w. N.). Die Mitarbeiter des Anbieters von Kundenlösungen benötigen die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – und das in der richtigen Menge und der notwendigen Qualität (Logistisches Prinzip für Informationen – vgl. Augustin 1990, S. 22 f.; Krcmar 2010, S. 58). Eine leistungsfähige und gezielte IKT-Unterstützung kann hier helfen, unnötige Verzögerungen zu vermeiden und einen effizienten Ressourceneinsatz zu ermöglichen, in dem Informationen strukturiert übermittelt und unnötige Komplexität vermieden wird. Im Rahmen einer durch den Autor betreuten Abschlussarbeit (siehe Schoop/Kordowich/Schneider 2010, S. 59 ff.) konnte gezeigt werden, dass geeignete Systeme die Arbeitsabläufe nachhaltig verändern und zu einer höheren Effizienz beitragen können. Durch die Möglichkeit einer asynchronen Informationsübermittlung konnten die Mitarbeiter die Informationen schneller erhalten und wurden zugleich nicht in ihrem Arbeitsablauf unterbrochen. Dieses Problem der Spezifikation besteht dabei nicht nur innerhalb der Unternehmung. Denn auch zwischen Anbieter und Kunde muss eine Spezifikation der Leistung erfolgen. Bei Sachleistungen liegt der Verhandlung mit dem Kunden ein konkretes Konzept zu Grunde – dem Kunden ist das Produkt beispielsweise durch ein vorliegendes Exemplar oder eine Katalogbeschreibung bekannt. Die Verhandlung zwischen Anbieter und Kunde bezieht sich somit vor allem auf die Menge, den Preis und Nebenbedingungen wie z. B. die Lieferbedingungen. Bei Kundenlösungen muss hingegen die Leistung erst gemeinsam spezifiziert werden. Die Verhandlungen werden somit deutlich komplexer (vgl. dazu auch Schoop 2005, S. 65), da ein intensiver Austausch zwischen Kunden und Anbieter notwendig ist und die Leistung in einem evolutionären Prozess gemeinsam entwickelt wird. Der hohe Spezifikationsbedarf und die Nichtexistenz von Referenzobjekten oder -beschreibungen führen auch dazu, dass im Vertrag 147
zahlreiche Aspekte der Leistung unspezifiziert bleiben müssen. Der Nutzen einer nahezu vollständigen Spezifizierung würde in den meisten Fällen in keinem Verhältnis zum dafür notwendigen Aufwand stehen. Diese Unvollständigkeit führt vor allem auf Kundenseite zu einer Unsicherheit, die der Anbieter u. a. auch durch eine vertrauensfördernde Kommunikation begegnen muss (vgl. Kapitel 4.3.2.5). Neben der inhaltlichen Änderung entsteht durch die Individualisierung auch eine zeitliche Änderung bei der Kommunikation. Bei klassischen Sachleistungen steht der Absatz am Ende der Wertschöpfung. Die Leistung ist zu diesem Zeitpunkt schon produziert, die Entwicklung hat schon stattgefunden. Diese beiden vorgelagerten Prozesse können weitgehend isoliert arbeiten: Der Absatz findet erst statt, wenn die Produktion abgeschlossen ist; die Produktion erfolgt erst nach Abschluss der Entwicklung. Eine erfolgreiche Entwicklung und eine erfolgreiche Produktion sind hier also nicht aus vertraglichen Gründen erforderlich, sondern allein aus wirtschaftlichen. Bei Kundenlösungen entsteht nun aber ein Zeitdruck: der Vertrag ist geschlossen, ggf. schon Liefertermine vereinbart. Diese zeitliche Abhängigkeit führt auch dazu, dass Kapazitäten beim Absatz stärker berücksichtigt werden müssen. Dabei können durchaus zyklische Abhängigkeiten entstehen: Der Absatz kann erst erfolgen, wenn die Produktion sichergestellt ist; die Produktionsdauer ist vom Ergebnis der Entwicklung abhängig und die Entwicklung selbst erst nach Absatz vorgesehen. Hier kann bei begrenzten Kapazitäten nur ein iterativer Detaillierungsprozess von einer ersten Grobplanung bis zur Detailplanung helfen. Zusammengefasst wirkt sich die Individualisierung der Prozessabläufe dahingehend auf die betriebliche Kommunikationsprozesse aus, dass die Kommunikation komplexer wird sowie häufiger und zugleich unter Zeitdruck stattfindet. Viele Informationen, die für die betrieblichen Funktionen notwendig sind, sind nun für jedes Produkt verschieden und somit dynamisch. Die laufende Dokumentation der einzelnen Projekte und des mit ihnen verbundenen Wissens wird zu einer zentralen Herausforderung für das Unternehmen. Abläufe, Mitarbeiter und Lieferanten müssen flexibler werden, um individuelle Leistungen schnell und effizient erstellen zu können. 6.4
Änderungsbereich 2: Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung der Leistung
Der zweite Änderungsbereich umfasst die Ganzheitlichkeit der Leistung. Dabei sind zwei verschiedene Dimensionen zu berücksichtigen: Zum einen möchte der Kunde eine Lösung, die in ihrer Gesamtheit sein Problem löst. Er möchte also mehr als die Summe mehrerer Einzellösungen, er möchte eine Gesamtlösung. Zum anderen möchte er aber auch einen Ansprechpartner für die gesamte Nutzungsdauer der Leistung. Die Leistungserbringung ist somit nicht mit der Übergabe abgeschlossen, sondern beinhaltet auch die anschließende Nutzungsphase bis hin zur Ablösung. Beiden Dimensionen gemein ist, dass es einer stärkeren Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager bedarf. Der Anbieter muss intensiver mit dem Kunden kommunizieren, um ein besseres Verständnis für dessen Gesamtproblem zu bekommen. Dabei muss die Kommunikation in beide Richtung erfolgen: Der Kunde muss dem Anbieter seine Anforderungen verdeut148
lichen und der Anbieter auch verschiedene Lösungsmöglichkeiten dem Kunden kommunizieren, damit diese evaluiert werden können. Auch die Betreuung in der Nutzungsphase bedarf einer Interaktion zwischen Anbieter und Kunde – und sei es nur in Form einer Kontaktmöglichkeit. Letztendlich ist während der gesamten Produktlebensphase eine Kommunikation und ggf. eine Anpassung der Leistung notwendig, da die ganzheitliche Betrachtung auch einschließt, dass die Leistung ggf. an geänderte und nicht vorhersehbare Bedingungen angepasst werden muss. Um dem Kunden eine Gesamtlösung anbieten zu können, muss der Anbieter seine Denkweise ändern. Der Kundenkontakt fängt zu einem Zeitpunkt an, zu dem der Kunde keine oder nur eine unvollständige Vorstellung zur Problemlösung hat. Dies erschwert vor allem die Kontaktaufnahme zu ihm, da das Problem von ihm oft noch nicht artikuliert wurde oder keine Problemevidenz vorliegt (Engelhardt/Schwab 1982, S. 506 ff.; Fließ 2001, S. 68 ff. m. w. N.; Müller 2007, S. 40; Poznanski 2007, S. 40 ff.). Somit beginnt der Kundenkontakt mit einer gemeinsamen Konkretisierung des Problems. Dabei darf der Anbieter den Suchraum für die Lösungsfindung nicht auf die eigene Leistungsfähigkeit reduzieren; wie bereits gezeigt wurde, zeichnen sich erfolgreiche Kundenlösungen gerade durch die Integration von Fremdleistungen aus (vgl. Kapitel 4.2.3 und 4.3.3). Somit muss der Anbieter offen für einen größeren Lösungsraum sein und auch andere Wissensgebiete mit einbeziehen sowie ggf. eine aktive Lösungssuche betreiben. Dazu ist vor allem eine Wissensaneignung über die Leistungsfähigkeiten anderer Anbieter notwendig. Je komplexer die Leistungen der Dritten dabei sind, desto intensiver muss der Austausch mit ihnen sein – der Transfer komplexen Wissens ist deutlich anspruchsvoller und bedarf oft einer direkten Interaktion (Böhm 2000, S. 25 f.; Chesbrough/Spohrer 2006, S. 38; Kluwe 1997; Sonntag/Schaper 1997). Die ganzheitliche Lösungsfindung bedingt somit eine intensivere Kommunikation und einen intensiveren Austausch sowohl mit den Kunden auf der einen als auch mit den Lieferanten auf der anderen Seite. Bei der Lösungsfindung entsteht ein weiteres Problem für den Anbieter. Denn zum einen bietet sich gerade bei komplexen Problemen mit zahlreichen Facetten ein interdisziplinäres Lösungsteam an, das gemeinsam an der optimalen Lösung arbeitet (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 31 ff.; Schmidt/Montoya-Weiss/Massey 2001). Auf der anderen Seite führt die hohe Koordinationskomplexität (Chesbrough/Spohrer 2006, S. 37; Schmitz/Eberhardt 2009b, S. 3 f.) dazu, dass es schwieriger wird, einen Überblick über die gesamte Leistung zu bewahren. Der individuelle Charakter von Kundenlösungen verstärkt diesen Effekt, da der Koordinationsaufwand für jedes Projekt von neuem anfängt und somit dem Projekt individuell zugerechnet werden muss. Als Ausweg bietet sich der schon erwähnte Lösungsmanager an, der als dedizierter Ansprechpartner für alle an der Erbringung einer Kundenlösung Beteiligten fungiert und die einzelnen Aktivitäten koordiniert (Schmitz/Eberhardt 2009b, S. 3, 8 ff.; vgl. auch Reinhart/König 1997, S. 19 f.). Er kann dann fallweise andere Akteure hinzuziehen, so dass Teamarbeit mit individueller Verantwortung kombiniert werden kann. Wenn ein Personenwechsel unvermeidbar ist, bietet sich ein fließender Zuständigkeitswechsel an (Ahlert/Kawohl/Schefer 2009, S. 34 f.). Die ganzheitliche Betrachtung der Leistung lässt sich nicht immer sauber von der Individualisierung trennen, da eine ganzheitliche Betrachtung des Kundenproblems in der Regel zu einer 149
individualisierten Lösung führt. So haben auch beide Aspekte gemein, dass sie zu einem komplexeren Informationsaustausch führen. Allerdings entsteht diese Komplexität nicht durch die interne Koordination des Leistungserbringungsprozesses. Vielmehr entsteht sie aus einer komplexeren Produktentwicklung, die bei Kundenlösungen in den Wertschöpfungsprozess mit eingebunden ist und weite Teile der Unternehmung umfasst. Dabei sind nicht nur intern mehr Informationen zu verarbeiten, sondern es entstehen auch zahlreiche Schnittstellen zu Kunden und Lieferanten. Die Kommunikation wird dabei intensiver und reichhaltiger. Kooperation und Teamarbeit gewinnen an Bedeutung, die Übergabe von Zwischenständen mit meist komplexen Facetten wird wichtiger. 6.5
Änderungsbereich 3: Notwendigkeit der Bildung von Netzwerken
Der dritte Änderungsbereich betrifft die Notwendigkeit der Bildung von Netzwerken oder Partnerschaften mit den Kunden und den Lieferanten. Dieses Feld wird ausführlicher dargestellt, da es zum einen eine grundlegende Änderung der Organisationsstruktur und damit auch der Kommunikationsstrukturen bedingt, zum anderen aber gerade in diesem Bereich zahlreiche Forschungsarbeiten existieren, die aufgegriffen werden können. Im Folgenden werden zuerst die Gründe dargestellt, die zur Netzwerkbildung führen (Kapitel 6.5.1), anschließend auf die Struktur der Netzwerke und die Machtverhältnisse eingegangen (Kapitel 6.5.2) und danach die Auswirkungen auf die Kommunikationsbeziehungen analysiert (Kapitel 6.5.3). 6.5.1 Gründe für die Netzwerkbildung Netzwerke oder Partnerschaften als neue Organisationsform wurden bereits in den Kapiteln 2.3.4 und 4.3.3.2 vorgestellt. Dort wurde gezeigt, dass Netzwerke eine Koordinationsform zwischen Markt und Hierarchie darstellen, die geeignet ist, die Vorteile der beiden Formen zu vereinen. Allerdings sind Netzwerke nicht in allen Fällen die ideale Koordinationsform, so dass im Folgenden überprüft wird, ob bei Kundenlösungen Gründe für die Koordination über Netzwerke vorliegen. Dabei ist die Beziehung zu den Kunden und zu den Lieferanten getrennt zu betrachten. Die Beziehung zwischen Anbieter und Kunde ist von Natur aus marktlicher Natur. Doch gibt es bei Kundenlösungen Gründe, dass die Koordination besser in Netzwerkform erfolgt?97 Zentraler Faktor, der hierfür ausschlaggebend sein könnte, sind hohe Transaktionskosten.98 Diese können aus einer großen Häufigkeit der Transaktionen, aus hohen Unsicherheiten, großen Investitionen oder einer hohen Leistungskomplexität entstehen (vgl. Kapitel 2.3.4). Hohe Investitionen entstehen für den Anbieter auf jeden Fall durch die Leistungskonzeption, aber auch auf Kundenseite ist die Leistungsspezifikation mit Kosten verbunden. Durch die Spezifität resultiert zumindest eine erhöhte Unsicherheit, da der Anbieter bis zum Vertragsabschluss eine Unsicherheit darüber hat, ob seinen Investitionen auch entsprechende Erträge gegenüber stehen. Auch eine hohe Leistungskomplexität ist durch die Natur von Kundenlösungen gege97
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Die hierarchische Koordination soll nicht näher betrachtet werden, da sich der Kunde bereits im Vorfeld für einen Fremdbezug entschieden hat. Hätte er sich für die Eigenerbringung entschieden, so könnte es keine Kundenlösung geben. Die Transaktionskostentheorie berücksichtigt allerdings nicht alle Aspekte, die für eine Netzwerkbildung wesentlich sein können (vgl. dazu Zahn/Kapmeier/Tilebein 2006, S. 132 f. m. w. N.).
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ben. Darüber hinaus können weitere individuelle Merkmale der Leistung diese Faktoren verstärken – zum Beispiel dann, wenn eine Leistung über einen längeren Zeitraum erbracht werden soll und dadurch Häufigkeit aber auch spezifische Investitionen steigen. Ein weiterer Faktor, der gegen eine rein marktliche Transaktion spricht, ist der intensive Austausch, der zwischen Kunde und Anbieter erfolgen muss. Er macht ein Vertrauensverhältnis erforderlich, welches im Rahmen von Netzwerken entstehen kann (Ahlert/Kenning/Petermann 2001; Menzel et al. 2003; Schmitz 2008, S. 675 m. w. N.; Sydow 2006a, S. 405; Wienen/Sichtmann 2008, S. 9, 32 f.). Bezüglich der Intensivität der Beziehung und der konkreten Ausprägung des Netzwerks gibt es dabei einen großen Ausgestaltungsspielraum, mit dem auf die Spezifika der Leistungsbeziehungen eingegangen werden kann. Bei der Beziehung zu den Lieferanten hat der Anbieter hingegen die Wahl zwischen den drei möglichen Formen: er kann eine Leistung selbst erstellen, er kann sie auf dem Markt beziehen oder er kann sie im Rahmen eines Netzwerks erbringen. Diese Entscheidung ist dabei nicht für die Gesamtheit der Leistungen zu treffen, sondern kann für jede Teilleistung individuell erfolgen. Dennoch ergeben sich hier starke Tendenzen zur Wahl der Netzwerkform: x Gegen die Selbsterbringung spricht, dass der Anbieter kaum in der Lage ist, alle für seine Leistung notwendigen Bestandteile selbst zu erbringen. Seine Kernkompetenz liegt bei Kundenlösungen in der Leistungskonzeption und weniger in der Produktion der Teilleistungen. Gerade bei komplexeren Leistungen ist der Anbieter meist besser bedient, die Leistung durch einen Experten erbringen zu lassen, der Fachwissen einbringen und Losgrößeneffekte erzielen kann. x Es gibt aber auch Faktoren, die für eine Selbsterbringung sprechen können. Besteht die Kundenlösung aus der Kombination einer Hauptleistung mit verschiedenen Nebenleistungen, so kann es sinnvoll sein, dass diese Hauptleistung ebenfalls vom Anbieter erbracht wird (für Beispiele siehe z. B. Davies 2004). Auch kann eine selbsterbrachte Hauptleistung dazu dienen, den Kontakt zum Kunden aufzubauen oder als Qualitätssignal fungieren.99 x Gegen den Marktbezug sprechen vor allem die hohe Komplexität einer Teilleistung, der im Vorfeld zur Spezifikation der Teilleistung notwendige Aufwand sowie – bedingt durch die große und auch nach Leistung fortbestehende Abhängigkeit – die Unsicherheit über das Verhalten der Lieferanten in der Zukunft. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass eine vollständige Spezifikation der Leistung oft nicht möglich ist, da Detailfragen erst während der Leistungserbringung geklärt werden können. Auch erschwert der bei der Leistungskonzeption bestehende Zeitdruck (vgl. Kapitel 6.3) eine vollständige Spezifikation der Teilleistungen weiter.
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Beide Faktoren zeigten sich bei der Analyse in der Bauindustrie (Kapitel 5). Hier wurde z. B. der Kundenkontakt durch eine reine Hochbaumaßnahme genutzt, um den Bedarf des Kunden zu hinterfragen und ggf. eine Komplettabwicklung aus einer Hand anzubieten. Auch konnten die Unternehmen beim Absatz der Kundenlösungen teilweise auf den guten Ruf aufbauen, der durch die handwerkliche Tätigkeit des Unternehmens entstanden war.
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x Für den Marktbezug kann hingegen oft ein auch bei komplexen Teilleistungen hoher Wettbewerb sprechen. Vor allem bei Leistungen mit einem hohen Anteil an Produktionskosten muss der Anbieter bestrebt sein, die Leistungen möglichst günstig einzukaufen, damit er selbst wettbewerbsfähig bleibt. Es gibt somit mehrere Faktoren, die jeweils für und gegen einen Marktbezug bzw. eine Selbsterbringung sprechen. Es ist also zu prüfen, ob eine Netzwerkkonstellation gefunden werden kann, die die Vorteile der einzelnen Koordinationsformen verbindet und ihre Nachteile vermeidet.100 Dabei muss der Anbieter keine einheitliche Lösung für alle Lieferanten finden, sondern kann abhängig von der Leistung eine individuelle Konstellation wählen. 6.5.2 Struktur der Netzwerke und Machtverhältnisse Nachdem gezeigt wurde, dass zahlreiche Faktoren für die Bildung von Netzwerken sprechen, gilt es, diesen Prozess näher zu betrachtet. Dabei ist wichtig, dass es keine feste Form der Netzwerkorganisation gibt, sondern dass es verschiedene Formen von Netzwerken gibt, die sich in verschiedenen Aspekten und ihrer Zielsetzung unterscheiden – ein einheitliches wissenschaftliches Verständnis fehlt in diesem Bereich aber (siehe z. B. Kutschker 1994; Morschett 2005; Oliver 1990; Schwarzer/Krcmar 1994; Siebert 2006; Zentes/Swoboda/Morschett 2005). So unterscheiden Pribilla/Reichwald/Goecke (1996, S. 245 ff.) (vgl. auch Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 272 f.) abhängig von der Produktkomplexität und der Marktunsicherheit verschiedene Reorganisationsformen bzw. Netzwerkstrukturen, die für die jeweiligen Situationen geeignet sind. Zentes/Swoboda/Morschett (2005, S. 22) präsentieren einen morphologischen Kasten zur Einordnung von Kooperationsformen mit acht Dimensionen. Håkannsson und Johanson (1988) unterscheiden zwischen einer formell und einer informell geregelten Kooperation, wobei letztere vor allem aus einer häufigen Interaktion resultiert. Ziel dieses Kapitels ist keine vollständige Abhandlung über mögliche Netzwerkstrukturen und die Gründe, die für ihre Wahl sprechen könnten. Diese Aufgabe sei der vorhandenen Literatur zu diesem Thema und eventuellen zukünftigen Arbeiten überlassen. Es wird vielmehr die im Rahmen der Analyse in der Bauindustrie (Kapitel 5) identifizierte Netzwerkstruktur dargestellt und gezeigt, dass die Form geeignet ist, die Herausforderungen von Kundenlösungen zu adressieren. Der Fokus liegt dabei auf der Beziehung zu den nachgelagerten Unternehmen, die Netzwerkbildung in Richtung des Kunden wird an dieser Stelle ausgeblendet und im Folgekapitel wieder aufgegriffen. Diese ausführliche Darstellung einer einzelnen Form verspricht vor dem Hintergrund der zahlreichen Variationsmöglichkeiten von Netzwerkstrukturen einen größeren Erkenntnisgewinn, da sie genauer auf die Strukturen und Mechanismen eingehen kann und ein abschließender und vollständiger Überblick der zahlreichen Variationsmöglichkeiten auf Basis der vorhandenen Materialien schlichtweg nicht möglich ist. Wesentlicher Teil der Leistungserstellung des Anbieters ist eine Aufteilung der Gesamtleistung in mehrere Teilleistungen. Die Teilleistungen sind dabei im Baubereich in weiten Teilen durch die historisch geprägte Aufteilung der Gewerke bedingt, die durch gesetzliche Be100
Ein Bedarf für eine entsprechende Koordinationsform im Bereich der Bauwirtschaft wurde von Hermesch (2002) empirisch untersucht und bestätigt (vgl. Hermesch 2002, S. 245 ff.).
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schränkungen der Handwerksordnung (HwO) verstärkt werden (zulassungspflichtige Handwerke). So ist z. B. der Bau des Dachstuhls an einen Zimmerer zu vergeben. Die Anbieter geben dabei den nachgelagerten Unternehmen jedoch oft keine vollständige Leistungsspezifikation, sondern überlassen die genaue Spezifikation den Unternehmen. Diese erstellen auf Basis dieser Spezifikation ein Angebot und bieten ihre Leistung oft zum Festpreis an. Diese Konstellation bietet beiden Vertragspartnern mehrere Vorteile: x Die Transaktionskosten werden gesenkt, da keine vollständige Spezifikation der Leistung erforderlich ist. Dies gilt gleichermaßen auch für die Leistungsabrechnung, da keine Einzelpositionen aufgelistet werden müssen. x Es erfolgt eine Komplexitätsreduktion, durch die die Anbieter von Kundenlösungen Teile der Leistungskonzeption auf die nachgelagerten Unternehmen auslagern.101 Diese haben in ihrem Fachbereich meist ein besseres Fachwissen und können die Leistung besser und mit geringerem Aufwand spezifizieren. Durch die Netzwerkbildung gelangen die Anbieter damit an ansonsten geschützte Ressourcen der nachgelagerten Unternehmen (Eberl/Kabst 2006, S. 110). x Durch die Arbeit auf Festpreisbasis erfolgt zugleich eine Risikoverteilung. Der Anbieter kann die Leistung zu einem festen Preis in seine Kalkulation einbeziehen, das Risiko von Mehr- oder Minderkosten trägt das nachgelagerte Unternehmen. Somit sinkt die Gefahr von opportunistischem Verhalten, da es keinen Anreiz für ineffizientes Verhalten gibt. Zugleich trägt jeweils der Partner das Risiko, der es am besten abschätzen kann. Der Anbieter von Kundenlösungen kauft die Teilleistungen des Weiteren nicht auf dem freien Markt ein. Er hat vielmehr für jeden Bereich wenige präferierte Unternehmen, mit denen er einen Großteil seiner Aufträge abwickelt. Dabei deutet die durchgeführte Befragung darauf hin, dass es meist mehr als ein präferiertes Unternehmen gibt (wobei die Gewichtung der Unternehmen unterschiedlich sein kann) und rund drei Viertel der Aufträge entweder vom Anbieter selbst oder einem der beiden wichtigsten Partner ausgeführt werden. Zugleich wird meist aber ein kleinerer Teil der Leistungen auch an Unternehmen vergeben, die nicht zu den präferierten Unternehmen zählen. Diese Konstellation bietet sich aus mehreren Gründen an: x Der Anbieter von Kundenlösungen kennt die Leistungen der präferierten Partner und kann somit auf Erfahrungswerte zurückgreifen, die seine Unsicherheit reduzieren. x Für die nachgelagerten Unternehmen bietet der Anbieter eine zuverlässige Auftragsbasis. Sie haben somit kein Interesse daran, diesen zu enttäuschen, da sonst Folgeaufträge verloren gehen könnten. Dies erhöht zugleich ihr Interesse, Leistungen in der Vor- und Nachvertragsphase zu erbringen. Dabei deutet die Erhebung darauf hin, dass der Auftragsanteil der nachgelagerten Unternehmen meist in einem Bereich liegt, in dem ein Wegfall des Auftraggebers schmerzhaft, aber nicht existenzbedrohend wäre. Dies hat aber zur Folge, dass die nachgelagerten Unternehmen meist nicht nur Mitglied eines 101
Zu der zugrundeliegenden Organisationsstrategie siehe Semlinger 2006, S. 34 ff.
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Netzwerks sind, sondern meist in mehreren Netzwerken vertreten sind (vgl. dazu auch Gomes-Casseres 1994; Hage/Alter 1997, S. 95, 108; Sydow 2006a, S. 407, 419). x Bei den Anbietern von Kundenlösungen scheint eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für die Leistungen der Partner vorzuliegen. Sie sind bereit, für die Qualität und die Verlässlichkeit der Partner einen Mehrpreis gegenüber einem anonymen Anbieter zu akzeptieren.102 x Da der Anbieter meist mehrere präferierte Unternehmen hat, kann er ggf. Lieferengpässe oder gar den Ausfall eines Partners besser kompensieren (vgl. dazu Dual Sourcing (Sydow 2006a, S. 418 f.; Sydow/Möllering 2004, S. 156 f.)). Zugleich existiert dadurch zwischen den Partnern ein eingeschränkter Wettbewerb, der Monopolstellungen vermeidet. Des Weiteren kann der Anbieter seine Partner zielgerichtet einsetzen und dadurch Stärken eines Partners für seine Projekte nutzen. x Die breitere Vergabe eines kleineren Teils der Aufträge hat nach den Beobachtungen in der Bauindustrie (Kapitel 5) eine Schutzfunktion für den Anbieter. Er stellt dadurch sicher, dass er ein Gefühl für das Angebot auf dem Markt behält und einer Monopolbzw. Duopolstellung der präferierten Unternehmen entgegenwirkt. Die Beziehung zwischen dem Anbieter von Kundenlösungen und den nachgelagerten Unternehmen hat somit deutliche Charakterzüge eine Partnerschaft. Wichtig ist dabei, dass beide Seiten einen Nutzen aus der Beziehung ziehen, wobei diese auch langfristiger und nichtmessbarer Natur sein können (siehe auch Hage/Alter 1997, S. 114; Håkansson 1982, S. 5; Helmus/Weber 2003, S. 21). Die Beobachtungen deuten dabei darauf hin, dass dies zusätzlich durch eine sehr freundschaftliche Beziehung und eine oft weniger formalisierte Geschäftsabwicklung verstärkt wird – Partnerschaften sind auch als soziales System zu betrachten (siehe auch Håkansson 1982, S. 17; Håkansson/Johanson 1988; Kappelhoff 2000, S. 30 f.; Staber 2000, S. 65 ff., 70, 77 f.). So kennen sich die Unternehmer oft über Verbände oder Vereine; Bestellungen werden teilweise auch mündlich beauftragt und bestätigt, ohne dass es eine schriftliche Rückbestätigung gibt (siehe auch Ford 1982, S. 297 f.). Die Vielzahl der partnerschaftlichen Beziehungen ergibt somit ein Netzwerk. Dabei sind auch Beziehungen zwischen den nachgelagerten Unternehmen möglich – es entsteht ein komplexes Netzwerk (Kutschker 1994, S. 128 f.; Morschett 2005, S. 391). Insbesondere dann, wenn oft die gleichen nachgelagerten Unternehmen bei der Projektausführung zusammenarbeiten, entstehen engere Beziehungen, die auch die Koordination der Gesamtleistung vereinfachen können.
102
Bei Gesprächen innerhalb des Forschungsprojekts war dieser Aspekt durchaus umstritten. Die Ergebnisse der Befragung und die eigenen Beobachtungen deuten aber darauf hin, dass die Anbieter von Kundenlösungen bereit sind, für eine bekannte gute Qualität und Zusammenarbeit einen Mehrpreis gegenüber einer unbekannten oder schlechteren Leistung zu zahlen. Allerdings sind sie wohl nicht bereit, bei gleicher Qualität einen Mehrpreis zu akzeptieren; genauso wird auch die Zahlungsbereitschaft für Qualität nur begrenzt vorhanden sein. Unabhängig davon können Netzwerke aber als qualitätsförderlich angesehen werden (König/Kampschulte 1997, S. 3).
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Partnernetzwerk
Projektnetzwerk
Abbildung 29: Struktur des Partnernetzwerks und eines Projektnetzwerks eines Anbieters von Kundenlösungen
Betrachtet man das Netzwerk des Anbieters von Kundenlösungen in der Gesamtperspektive, so ist zwischen zwei Netzwerken zu unterscheiden: das (strategische) Partnernetzwerk aller nachgelagerten Unternehmen und das (operative) Projektnetzwerk der Unternehmen, die an einem konkreten Projekt beteiligt sind (siehe zu dieser Trennung auch Ford 1982, S. 289; Håkansson 1982, S. 16, 278 ff.). Dabei gibt es Partner, zu denen eine engere Beziehung besteht und solche, bei denen die Beziehung eher einer marktlichen Beziehung gleicht. Es gibt somit keine feste Netzwerkgrenze (Håkansson/Johanson 1988; Morschett 2005, S. 391 f.). Bei der Leistungskonzeption stellt der Anbieter aus seinem Partnernetzwerk ein Projektnetzwerk zusammen. Dabei werden enge Partner, wie oben beschrieben, bevorzugt, so dass diese im Projektnetzwerk überproportional vertreten sind. Die Netzwerkstruktur ist in Abbildung 29 dargestellt. Dabei ist das zentrale Unternehmen als schwarzer Kreis in der Mitte der beiden Netzwerke dargestellt. Die Partner sind als weiße Kreise um das zentrale Unternehmen herum angeordnet. Die Intensitäten der Beziehungen zwischen den Partnern und dem zentralen Unternehmen werden durch die Entfernungen der Kreise abgebildet – es gibt enge und weniger enge Partner. Die Ringe um das zentrale Unternehmen heben die unterschiedlichen Entfernungen hervor, ohne eine feste Grenze zu bilden. In den betrachteten Netzwerken bleiben die Unternehmen eigenständig und behalten weitgehend ihre Unabhängigkeit. Die Zusammenarbeit regelnde Verträge zwischen dem Anbieter von Kundenlösungen und seinen Partnern existieren meist nicht. Sofern vertragliche Regelungen bestehen, betreffen diese meist preisliche Aspekte. Je enger die partnerschaftliche Beziehung, desto weniger formale Absprachen scheinen zu existieren – sowohl bezüglich der gesamten Zusammenarbeit als auch bezüglich der einzelnen Projekte. Der Anbieter von Kundenlösungen ist in diesen Netzwerken das dominante und zentrale Unternehmen (fokales Unternehmen) (siehe dazu Adams 1980, S. 323; Hippe 1997, S. 40; Morschett 2005, S. 394; Riemer/Klein 2002, S. 8 m. w. N.; Sydow 1992, S. 81). Er hat den Kundenkontakt und die Entscheidungskompetenz bezüglich der Partnerwahl – die Steuerung erfolgt zentral und mit geringen Steuerungskosten (Eckert 2009, S. 166 f.). Für die Partner ist er ein Garant für regelmäßige Aufträge, für die bei den nachgelagerten Unternehmen nur ein geringer eigener Vertriebsaufwand entsteht. Zugleich erhöhen eine etwas höhere Zahlungsbereitschaft und die 155
gute Zusammenarbeit das wirtschaftliche Interesse der nachgelagerten Unternehmen an einem Fortbestand der Beziehung. Das Machtverhältnis in den Netzwerken ist somit asymmetrisch, aber nicht einseitig (siehe auch Bachmann 2000, S. 118; Eberl/Kabst 2006, S. 109; Sydow 2006a, S. 395 m. w. N.). Denn die nachgelagerten Unternehmen haben mit dem Ausstieg aus dem Netzwerk eine glaubwürdige Drohung, die einer alleinigen Dominanz des Anbieters von Kundenlösungen entgegensteht. Der Anbieter selbst hat im Gegenzug ein Interesse an der Fortsetzung der Beziehung, da für ihn die Suche nach einem Ersatzpartner mit Aufwand und einem erhöhten Risiko verbunden ist (Håkansson 1982, S. 4). Für die Machtverhältnisse scheint daher der Begriff der begrenzt belastbaren Dominanz charakterisierend, da zwar eine Dominanz vorliegt, diese aber nicht unbegrenzt ausgenutzt werden kann.103 Die beobachtete Beziehung zwischen dem Anbieter und den nachgelagerten Unternehmen hat eindeutigen Netzwerkcharakter. Die Unternehmen bleiben unabhängig, so dass keine Hierarchie vorliegt. Auf der anderen Seite existiert aber eine eingeschränkte Dominanz des fokalen Unternehmens, die bei einer rein marktlichen Beziehung nicht existieren würde. Diese Form der Zusammenarbeit ist dabei sicherlich nicht auf Basis der Diskussion über Neue Organisationsformen (Bullinger/Warnecke/Westkämper 2003; Drucker 1988; Schwarzer/Krcmar 1994) entstanden, sondern hat sich unabhängig herausgebildet. Sie kommt nach den Beobachtungen und den Erkenntnissen der Befragung ohne spezielle IT-Unterstützung aus. Johnston und Lawrence (1988) beschreiben diese Form der Neuen Organisationsformen, die ohne ITUnterstützung auskommen, als Value-Adding Partnership und führen hierfür die Bauindustrie explizit als Beispiel an. Allerdings ist die dargestellte Form sicherlich nicht die einzige Form, um Kundenlösungen zu erbringen. Bei den Untersuchungen in der Bauindustrie wurden auch andere Formen der Zusammenarbeit vorgefunden. So ist auch denkbar, dass alle Leistungen über den freien Markt bezogen werden, dass alle Teilleistungen vom Unternehmen selbst erbracht werden oder dass sich mehrere Unternehmen zu einem Verbund zusammenschließen, um die Kundenlösungen gemeinsam anzubieten.104 Netzwerke in der Bauindustrie müssen allerdings auch vor dem Hintergrund der starken rechtlichen Bestimmungen in diesem Bereich gesehen werden. So kann eine Entscheidungsdisposition eines Unternehmens über Mitarbeiter eines anderen Unternehmens eine rechtlich unzulässige Arbeitnehmerüberlassung darstellen, die weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 08.07.1998 (10 AZR 274/97); vgl. auch Hermesch 2002, S. 204). Die Klärung der Frage, welche Koordinationsform und welche Netzwerkausgestaltung unter welchen Bedingungen sinnvoll sind, muss an dieser Stelle jedoch offen bleiben. Neben dem Partner- und dem Projektnetzwerk wurde in den betrachteten Unternehmen aber noch ein drittes Netzwerk identifiziert, das als Beziehungsnetzwerk bezeichnet werden soll. Dieses Netzwerk hat keine direkte wirtschaftliche Verbindung mit der eigentlichen Leistungserbringung, ist aber für den Erfolg der Leistung nicht unbedeutend. So wurden in allen der 103
104
Nach Hage und Alter (1997, S. 96) liegt bei einer Dominanz kein Netzwerk mehr vor. Es ist aber nicht zielführend, nur paritätische Machtverteilungen in Netzwerken zuzulassen. Die Aussage kann daher nur für eine uneingeschränkte Dominanz gelten (vgl. auch Hage/Alter 1997, S. 98). Zu möglichen Koordinationsformen siehe Ahlert/Evanschitzky 2003, S. X f.
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betrachteten Unternehmen Kontakte zu verschiedenen Institutionen und Personen deutlich. Zu diesen Kontakten zählen zum Beispiel Behörden, Banken, Verbände oder Vereine. Diese Kontakte sind sicherlich extrem unterschiedlich ausgeprägt und können fallweise im Rahmen einer Leistungserstellung einbezogen werden. Diese weak ties können dabei eine nicht unerhebliche Auswirkung auf den Erfolg einer Leistung und des Unternehmens haben (Adams 1980; Granovetter 1973; Staber 2000, S. 73 f.). Zwei Beispiele aus den Beobachtungen verdeutlichen dies: x Der Geschäftsführer von ALPHA erwähnte in einem Gespräch, dass der Kontakt neuer Kunden zum Unternehmen oft auf Grund von Vereins- oder Verbandstätigkeiten des Unternehmens oder des Unternehmers entstehe. Ein nicht wesentlicher Teil von Aufträgen würde somit aus Bereichen kommen, bei denen Kontakte oder zumindest Gemeinsamkeiten außerhalb der eigentlichen Geschäftsbeziehung existieren. x Im Rahmen der Diskussion bei BETA über die Kundenakquise erwähnte der Geschäftsführer den persönlichen Kontakt zum Filialleiter einer örtlichen Bank. Wenn sich beim Kundengespräch herausstellt, dass der Kunde die Finanzierung des Projekts noch nicht zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen hat, kann ein Verweis auf diesen Kontakt erfolgen. Das aus Kundensicht daraus entstehende (virtuelle) Paket aus Finanzierung und Bauleistung kann dabei durchaus ein ausschlaggebender Grund für den Vertragsabschluss sein. Da das Haus meist auch zugleich eine Sicherheit für die Bank bildet, kann die Bank hier die Erfahrungen mit dem Anbieter in ihre Bewertung einbeziehen und von einem solide gebauten und qualitativ hochwertigen Haus ausgehen.105 6.5.3 Auswirkungen der Netzwerkbildung auf die Kommunikation Bei der Frage, welche Auswirkung die Netzwerkbildung auf die Kommunikationsbeziehungen haben, sind zwei Aspekte zu beachten: Zum einen die Frage, welche Kommunikationsbeziehungen existieren und zum anderen, welche Auswirkungen es auf diese Beziehungen gibt. Dabei soll zuerst die Änderung bei den Beziehungen zu den Lieferanten betrachtet werden. Anschließend erfolgt ein Übertrag der Erkenntnisse auf die Beziehung zum Kunden und zu weiteren Personen. Durch die Netzwerkbildung entsteht eine Kommunikationsbeziehung zu jedem der Lieferanten. Diese Beziehungen entstehen im Vergleich zur vollständigen Selbsterstellung der Leistung erst einmal neu. Dennoch ist aus zwei Gründen davon auszugehen, dass sich die Zahl der Kommunikationsbeziehungen durch die Netzwerkbildung reduziert: x Durch die Fremdvergabe wird die Komplexität dieser Leistung für das Unternehmen reduziert. Denn hinter einer Leistung steht meist eine Vielzahl von weiteren Interaktionen mit nachgelagerten Lieferanten – und damit Kommunikationsbeziehungen. Die Fremd-
105
Dem eigentlichen Konzept einer Kundenlösung folgend müsste der Anbieter eigentlich dem Kunden in diesem Fall ein Komplettpaket aus Finanzierung und Bauleistung anbieten. Allerdings scheint hier – neben rechtlichen Hürden – auf Kundenseite eine zu starke Präferenz für die klassische Baufinanzierung über die Bank vorzuliegen, da ihr hier die bessere Fachkenntnis zugesprochen wird.
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vergabe einer Leistung reduziert die Kommunikationsbeziehungen für diesen Leistungsteil meist auf eine Beziehung zu einem Lieferanten. x Durch die Vergabe der Leistungen an wenige Partner reduziert sich im Vergleich zur freien Vergabe zwar nicht die Zahl der Kommunikationsbeziehungen für einen Produktionsvorgang. Betrachtet man aber alle Leistungen eines Unternehmens, so findet eine Reduktion der Kommunikationsbeziehungen statt, da die Zahl der Lieferanten reduziert wird, mit denen der Anbieter von Kundenlösungen insgesamt in Kontakt steht. Betrachtet man die Auswirkungen auf die Kommunikationsbeziehungen, so lassen sich mehrere Änderungen erkennen: x Die Leistung wird im Vorfeld weniger genau beschrieben als es bei einer vollständigen Spezifikation für einen Marktbezug notwendig wäre. Somit ist der Kommunikationsbedarf hier geringer und die Spezifikation weniger detailliert. Allerdings darf hierbei nicht übersehen werden, dass innerhalb der Netzwerke meist komplexere Leistungen beschafft werden als bei einer Markt-Transaktion. x Detaillierungen der Leistung erfolgen weitgehend während der Leistungserstellung und somit nach Vertragsabschluss. Die Kommunikation wird dabei während der Leistungserstellung intensiver. Durch die Komplexität und die bei Kundenlösungen oft gegebene gegenseitige Abhängigkeit der Teilleistungen (vgl. Kapitel 4.5) ist der Austausch hier deutlich intensiver und detaillierter.106 x Auch das partnerschaftliche Verhältnis wird sich auf die Kommunikation auswirken. In Netzwerken ist davon auszugehen, dass die Kommunikation zwischen den Beteiligten offener und vertrauensvoller erfolgt (Bachmann 2000; Eberl/Kabst 2006, S. 113 ff.; König/Kampschulte 1997, S. 6 f.; Siebert 2006, S. 12 f.; Sydow 2006a, S. 405). Die Verbesserung des Kommunikationsflusses zwischen den Partnern ist ein wichtiger Aspekt der Netzwerkbildung (Sydow/Windeler 2000, S. 12). Dies erlaubt einen intensiveren Austausch und eine gemeinsame Suche nach besseren Lösungen (siehe auch Schoop 2002). Allerdings beschränken sich die Auswirkungen nicht nur auf eine bestehende Beziehung zwischen Anbieter und Lieferant. Auch die Schaffung von neuen Netzwerkstrukturen bedarf einer entsprechenden Kommunikation. Gerade in der Anfangsphase der Netzwerkbildung fehlt es den Partnern an Erfahrungswerten, auf denen das für die Beziehung notwendige Vertrauen aufbauen könnte (Ford 1982, S. 292 ff.; Håkansson/Johanson 1988, S. 372 ff.; Staber 2000, S. 66 ff.; Sydow 2006a, S. 405). In diesem Fall muss die Reputation als Substitut für Erfahrung herhalten (Ford 1982, S. 293). Als weiterer wichtiger Faktor für den Aufbau einer Netzwerkbeziehung ist der Abbau der sozialen Distanz (social distance) zwischen den Akteuren zu nennen (Ford 1982, S. 293; Håkansson/Johanson 1988, S. 374; Kappelhoff 2000, S. 30 ff.; Sydow/Windeler 2000). Die Reputation ist vor allem vom Verhalten des Akteurs in der Vergangenheit abhängig – dazu zählt auch sein Kommunikationsverhalten. Einen anderen Betrachtungsansatz liefern Wojda/Herfort/Barth (2006, S. 17 ff.). Sie betrachten die Frage, wel106
Sydow und Möllering (2004, S. 166) bezeichnen die Beziehungen daher als tendenziell anspruchsvoller.
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che Faktoren für die Kooperationsfähigkeit und die Kooperationsbereitschaft notwendig sind. Danach setzt sich die Kooperationsfähigkeit aus mehreren Faktoren zusammen, die auch Kommunikationsaspekte betreffen: x Fachliche Fähigkeiten für die Bereiche, die Gegenstand der Kooperation sind. x Methodische Fähigkeiten in Form von Techniken, Methoden und Instrumenten, die zur Analyse, Synthese und Bewertung von Problemen genutzt werden können. x Phantasie und Kreativität für visionäres Denken bzw. Konkretisierung von Ideen. x Kognitive Kompetenz zur Erkennung, Definition und Lösung komplexer Probleme. x Emotionale Kompetenz als Fähigkeit zu individuellem und sozialem Handeln. Dazu gehört insbesondere die Kommunikationsfähigkeit. x Interkulturelle Kompetenz zum Umgang mit Unterschieden in den Werthaltungen sowie den Denk- und Handlungsmustern. Ähnlich sieht es in Richtung des Kunden aus. Zwar bildet sich hier meist kein Netzwerk mit mehreren Akteuren, dennoch ist davon auszugehen, dass die Auswirkungen auf die Kommunikationsbeziehungen ähnlich sind. Denn das für Kundenlösungen notwendige Vertrauen, der intensive Austausch und die gemeinsame Konzeption der Lösung sind nur im Rahmen einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager zu erreichen. Die konkrete Ausgestaltung dieser partnerschaftlichen Beziehung ist aber von zahlreichen Faktoren wie der Leistung selbst, der Häufigkeit der Transaktion aber auch der Existenz von Beziehungen außerhalb der eigentlichen Geschäftsbeziehung abhängig. Bei der Beziehung zum Kunden ist vor allem die Aufbauarbeit von besonderer Bedeutung, da hier die Beziehungen meist weniger konstant sind als die zu den Lieferanten. Zuletzt ist noch das Beziehungsnetzwerk (vgl. Kapitel 6.5.2) zu betrachten. Hier ist von einer Intensivierung der Kommunikationsbeziehungen auszugehen, da dieses Netzwerk für einen Anbieter von Kundenlösungen eine weitaus größere Bedeutung hat als für einen Anbieter von Sachleistungen. Beim Beziehungsnetzwerk ist vor allem die soziale Beziehung von Bedeutung. Daher sind hier vor allem die Faktoren zum Aufbau (und Erhalt) einer Beziehung relevant. Zentrale Auswirkung der Netzwerkbildung auf die Kommunikation ist somit eine offenere, intensive und vertrauensbasierte Kommunikation. Vertrauen ersetzt dabei in weiten Teilen vertragliche Regelungen.107 Die Kommunikation konzentriert sich somit auf die für die Leistung notwendigen Detailfragen, rechtliche Rahmenbedingungen werden zumindest weitgehend ausgeblendet. Eine Kommunikation dieser Art ist bei marktlichen Transaktionen nicht möglich und war bislang der hierarchischen Koordination vorbehalten. Sie erlaubt auch bei komplexeren Leistungen eine einfache Koordination der Leistungserstellung. Somit verschwimmen durch Neue Organisationsformen auch bei der Kommunikation die Unternehmensgrenzen (Bachmann 2000; Picot/Reichwald/Wigand 2003).
107
Bachmann (2000, S. 110 f.) sieht Vertrauen somit als ein „Medium sozialen Handelns“ an.
159
6.6
Weitere Auswirkungen von Kundenlösungen
In Kapitel 6.2 wurden drei zentrale Änderungsbereiche identifiziert, die Kundenlösungen auf die betrieblichen Abläufe haben. Diese drei Bereiche der Individualisierung (Kapitel 6.3), der ganzheitlichen Problembetrachtung (Kapitel 6.4) und der Notwendigkeit der Netzwerkbildung (Kapitel 6.5) wurden anschließend genauer analysiert. Es stellt sich die Frage, in wie weit die drei vorgestellten Änderungsbereiche vollständig sind oder ob wesentliche Aspekte von Kundenlösungen keine Berücksichtigung in den Änderungsbereichen finden. Um diese Frage zu beantworten, wurden die in Kapitel 4 ermittelten Änderungen bei Kundenlösungen den drei Änderungsbereichen zugeordnet (siehe dazu die entsprechende Spalte in den Tabellen). Eine Zuordnung erfolgte dabei immer dann, wenn zwischen der Änderung und einem Änderungsbereich ein wesentlicher Zusammenhang besteht. War eine Zuordnung zu mehreren Änderungsbereichen sinnvoll, so wurden mehrere zugeordnet. Die Richtung des Zusammenhangs wurde bei der Zuordnung nicht beachtet. Für das Ziel, die Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse zu identifizieren, ist es unerheblich, ob ein Unterschied zu einer Änderung bei der Kommunikation führt oder die Änderung bei der Kommunikation einen Unterschied verursacht. Wie in den Tabellen ersichtlich ist, lassen sich weite Teile der Besonderheiten von Kundenlösungen mit den drei Änderungsbereichen in Verbindung setzen. Allerdings gibt es auch Bereiche, die keinem Änderungsbereich zugeordnet werden konnten. Diese werden nun weiter untersucht. x Ein Punkt, der von den Änderungsbereichen nicht tangiert wurde, ist die Materialität des Produkts. Hier können Dienstleistungen und Kundenlösungen auch immaterielle Bestandteile haben. Schon bei Dienstleistungen war umstritten, in wie weit die Immaterialität überhaupt als Merkmal von Dienstleistungen herangezogen werden kann (vgl. Kapitel 3.1.2). Hier scheint es zielführend, zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden. Die Materialität des Endprodukts scheint kein charakteristisches Merkmal von Dienstleistungen und Kundenlösungen zu sein. Eine – wenn auch sicherlich geringe – Zahl von immateriellen Gütern mit starkem Sachleistungscharakter wie z. B. Standardsoftware oder industrielle Gase deuten darauf hin, dass dieses Merkmal nicht entscheidend ist. Charakterisierend für Kundenlösungen und viele Dienstleistungen ist hingegen die Bedeutung des Prozesses für die Qualitätswahrnehmung – und Prozesse sind immer immateriell. Für den Kunden steht dabei nicht mehr allein das „Was“ im Vordergrund, sondern mit dem „Wie“ auch der Weg, wie es erreicht wird. Dieser Aspekt schlägt sich insbesondere im Änderungsbereich der Netzwerkbildung nieder, ist aber auch Teil der anderen Änderungsbereiche. Es entsteht hieraus aber kein weiterer Änderungsbereich. x Die direkte Interaktion bei der Leistungsabwicklung ist ein weiterer Aspekt von Kundenlösungen, der bei Sachleistungen nicht möglich bzw. bei Auftragsleistungen nicht vorgesehen ist. Diese Interaktion kann dazu führen, dass der Erbringungsort der Leistung beim Kunden und damit außerhalb der Räume des Anbieters ist – dadurch wird aber oft auch der relevante Markt eingeschränkt. Dieses Leistungsmodell, das eine Integration der Leistung beim Kunden vorsieht, ist bei reinen Sachleistungen nicht 160
möglich und eine Facette der Individualität. Es bedingt aber einen weiteren zentralen Aspekt: die Verlagerung der Firmenprozesse an einen Ort außerhalb der Räume der Unternehmung. Dadurch wird die Nutzungsmöglichkeit der Firmeninfrastruktur eingeschränkt, die zu einer Abhängigkeit von der Kundeninfrastruktur führt und die Bedeutung des mobilen Zugriffs auf Anwendungen steigen lässt. Aus Sicht der Kommunikationsprozesse bedeutet dies vor allem, dass die Kommunikationsprozesse räumlich flexibler werden müssen. Die Kommunikation findet also nicht mehr an festen Orten statt, vielmehr müssen Kommunikationsbeziehungen an wechselnden Orten möglich sein. Dies wird zusätzlich erschwert, da bei Kundenlösungen vor allem reichhaltige Medien notwendig sind, bei denen eine technische Entfernungsüberbrückung schwieriger ist (Daft/Lengel 1986; Daft/Lengel 1984; Froehle 2006, S. 9 ff. m. w. N.; Picot/ Reichwald/Wigand 2003, S. 111 ff.; Rice 1992; Schmidt/Montoya-Weiss/Massey 2001, S. 581 ff.). Als weitere Auswirkung ist die steigende Zahl von Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kunden zu nennen. x Die Möglichkeit der direkten Interaktion führt auch zu einer direkten Prozesswahrnehmung des Kunden. Er kann weite Teile des Erbringungsprozesses wahrnehmen, womit auch das Auftreten der Mitarbeiter relevant wird. Auch die Wahrnehmbarkeit der Lieferantenleistung durch Kunden sowie die Außenwahrnehmung der Mitarbeiter außerhalb des Vertriebs steigen dadurch. Somit werden für den Kunden mehr Kommunikationsprozesse wahrnehmbar und damit für seine Leistungswahrnehmung relevant. x Aus der Prozesswahrnehmung des Kunden und der größeren Bedeutung des Prozesses resultieren auch Auswirkungen bei der Nachbesserung. So ist eine Nachbesserung von Qualitätsmängeln beim Prozess selbst meist nicht möglich, zugleich wird der Umgang mit Fehlern bei der Leistungserbringung wichtiger, da diese für den Kunden sofort wahrnehmbar sind. Die Möglichkeit der nachträglichen Nachbesserung reduziert sich in diesem Bereich und die Bedeutung alternativer Kompensationsmöglichkeiten steigt. Dies erhöht die Bedeutung einer schnellen und effizienten Kommunikation, da so mögliche Fehler frühzeitig kommuniziert werden können oder eine schnelle Lösung organisiert werden kann. x Durch die Integration des Kunden in den Produktionsprozess können auch Eigenleistungen des Kunden im Rahmen der Leistungserbringung erfolgen.108 Dies führt dazu, dass der Kunde auch Funktionen eines Lieferanten übernimmt und die Kommunikationsbeziehung zu ihm noch komplexer wird. x Ein weiterer Aspekt betrifft den Anteil produzierender Tätigkeiten. Vor dem Hintergrund der Spezialisierung kann der Anbieter von Kundenlösungen den Anteil der Eigenproduktion verringern und die Produktion an nachgelagerte Unternehmen vergeben. Dadurch verringert sich die Bedeutung der Logistik für ihn und die Entsorgung verliert an Relevanz. Vor dem Hintergrund der oft beim Kunden selbst stattfindenden Produktion 108
Bei Sachleistungen sind Eigenleistungen nur nach Leistungserbringung (z. B. beim Selbstbauregal) oder bei Auftragsleistungen im Rahmen der Leistungskombination möglich.
161
oder Endkombination der Leistung ist der Ort der Übergabe der bestellten Leistung oft auch nicht das Unternehmen, sondern der Standort des Kunden. Von Seiten der Kommunikation sind diese Aspekte durch die Netzwerkbildung bereits abgedeckt. x Die identifizierten Auswirkungen im Bereich der Finanzierung resultieren aus dem geringeren Anteil produzierender Tätigkeiten. Daher sind geringere Investitionen zur Schaffung des Produktionspotentials notwendig und Zwischenprodukte weniger als Sicherheit nutzbar. Dies reduziert zwar den Finanzierungsbedarf, erhöht aber die Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung und den Zinssatz zur Kapitalbeschaffung. Zusammen mit der höheren Gefahr opportunistischen Verhaltens für den Kreditgeber steigert dies die im Bereich der Netzwerkbildung behandelte Bedeutung des Vertrauensaufbaus. x Ein weiterer größerer Block an Änderungen ergibt sich im Bereich des Personals. Der Fokus der Personalwirtschaft ändert sich, die Bedeutung von Personalbindungsstrategien steigt. Diese Änderung geschieht vor allem vor dem Hintergrund der geänderten Qualifizierungsanforderungen bei Kundenlösungen. Dies führt zur Notwendigkeit von Mitarbeiterbindung und Personalmarketing, zur größeren Bedeutung von Sozialisierung und von Vorbildern sowie zur stärkeren Auseinandersetzung von Bewerbern mit Dritten, um Erfahrungen über den Anbieter von Kundenlösungen zu bekommen. Für die Kommunikation heißt dies, dass die internen Kommunikationsbeziehungen stärker auf die Mitarbeiter ausgerichtet und Firmenstrategien offen kommuniziert werden müssen. x Die Rückmeldungen Dritter an den Kunden über die Leistungsqualität sind etwas schwieriger einzuordnen. Sie resultieren aus der intensiveren Interaktion mit dem Kunden und der stärkeren Wahrnehmbarkeit der Unternehmensaktivitäten. Sie führen dazu, dass es zu einem Kontakt des Netzwerks des Kunden mit dem Anbieter und seinem Netzwerk kommt. Dieser Aspekt ist somit als Weiterentwicklung des Netzwerkaspekts anzusehen und verstärkt die dort beschriebenen Auswirkungen auf die Kommunikation. x Der höhere Koordinationsbedarf der Public Relations resultiert zum einen aus der größeren Bedeutung der Reputation des Unternehmens und zum anderen aus der größeren Wahrnehmbarkeit der Unternehmensaktivitäten. Er führt zu einem intensiveren Kommunikationsaustausch in der gesamten Unternehmung und seinem Netzwerk, da dies nicht ohne bilateralen Austausch des zuständigen Fachbereichs mit den anderen Fachbereichen möglich sein wird. Dieser Aspekt ist aber im Änderungsbereich der ganzheitlichen Betrachtung schon berücksichtigt. x Der letzte verbleibende Punkt, die Beziehungen zu staatlichen Institutionen auf Grund gesetzlicher Vorgaben etc. kann nicht näher analysiert werden, da er aus Unterschieden der Leistung und nicht der Leistungsarten resultiert. Somit wurden noch einige weitere Auswirkungen von Kundenlösungen identifiziert. Dabei ist jedoch keiner der Punkte von derart herausragender Bedeutung, dass er die Aufnahme eines 162
weiteren Änderungsbereichs rechtfertigen würde. Diese Punkte sind vielmehr indirekte Folgerungen der anderen Änderungsbereiche und können somit als übergreifende Auswirkungen angesehen werden. 6.7
Kundenlösungen und betriebliche Kommunikationsprozesse – Diskussion der Ergebnisse und Implikationen
Nachdem die Auswirkungen von Kundenlösungen in den drei Änderungsbereichen erarbeitet wurden und mehrere weitere Auswirkungen aufgezeigt wurden, gilt es abschließend, die Erkenntnisse zusammenzuführen. Dazu wird zuerst im ersten Unterkapitel (Kapitel 6.7.1) eine kurze Zusammenfassung der Auswirkungen erfolgen und ein kompakter Überblick der Änderungsbereiche geschaffen. Anschließend (Kapitel 6.7.2) werden die Konsequenzen für die betrieblichen Abläufe dargestellt, die aus Kundenlösungen resultieren. Da in Kapitel 3.3 eine Fokussierung auf Kundenlösungen erfolgte, ist abschließend zu klären, in wie weit die Erkenntnisse auf Dienstleistungen übertragen werden können (Kapitel 6.7.3). 6.7.1 Zentrale Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse Wie in den Vorkapiteln gezeigt wurde, haben Kundenlösungen sehr vielfältige Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse. Abbildung 30 fasst die identifizierten Aspekte zusammen. Änderungsbereich 1: Individualisierung • (meist intensive) Einbindung des Kunden • Bilaterale Kommunikation • Individualisierung / Variabilität • Verlust der alleinigen Kontrolle über die Kommunikation • Spezifikationsbedarf intern+extern (Kommunikation von Konzepten) • Kooperative und evolutionärere Leistungskonzeption • Zyklische Abhängigkeiten • Unvollständigkeit der Verträge • Zeitdruck • Häufigerer Interaktionsbedarf • Notwendigkeit der Flexibilität
Änderungsbereich 2: Ganzheitliche Betrachtung • Interkation mit Kunden während gesamter Nutzungsphase • Anpassungen des Leistungskonzepts während der Erbringung • Offener Lösungsfindungsprozess • Wissensverarbeitung • Austausch mit Fremdanbietern • Kooperation / Teamarbeit • Hohe Koordinationskomplexität • Größere Zahl an Schnittstellen
Änderungsbereich 3: Netzwerkbildung • • • • •
• • • • •
Partnerschaftliche Beziehungen Offenerer Umgang miteinander Abbau sozialer Distanz Beziehungsnetzwerk mit Beziehungen der Partner untereinander Intensivere Einbeziehung externer Akteure; Auflösen der Unternehmensgrenzen Kooperativer Austausch Vertrauen und Reputation als wichtige Faktoren Reduktion von Komplexität und Zahl der beteiligten Unternehmen Verlagerung der Spezifikation auf die Zeit nach Vertragsabschluss Unvollständige Verträge
Weitere Änderungen • Schnelle und effiziente Kommunikation zur • Räumliche Flexibilität der Kommunikation Fehlervermeidung notwendig • Steigende Zahl von Interaktionsmöglichkeiten und • Stärkerer Mitarbeiterbezug und größere Mitarbeitergrößere Komplexität einbindung • Notwendigkeit reichhaltiger Medien • Wahrnehmbarkeit der Kommunikation durch den Kunden • Verknüpfung mehrerer Netzwerke
Abbildung 30: Übersicht der Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse
Kundenlösungen sind somit mit weitreichenden Konsequenzen für die betrieblichen Abläufe verbunden. Mit ihnen geht eine grundlegende Änderung der Kommunikationsstruktur einher, die sich insbesondere in folgenden Aspekten zeigt: 163
x x x x x x x
Die Zahl der Interaktionspartner für einen Erbringungsprozess erhöht sich. Die Mobilität der Akteure steigt. Feste Prozessabläufe verschwinden. Die Abhängigkeiten der Kommunikationspartner erhöhen sich. Die Häufigkeit und die Komplexität der Informationsaustausche steigen. Der Zeitdruck erhöht sich. Die Beziehung der Akteure gewinnt an Bedeutung.
Die Netzwerkbildung wirkt dabei der Komplexitätsbildung entgegen, ist aber mit einem Verlust der direkten Kontrolle der Akteure verbunden. Eine erfolgreiche Kommunikation ist somit ein zentraler Erfolgsfaktor für Kundenlösungen. Stellt man Kundenlösungen den Sachleistungen gegenüber, so erscheinen Sachleistungen geradezu als kommunikationsarm. Bei Sachleistungen können die einzelnen Arbeitsschritte weitgehend isoliert voneinander gesehen werden. Sie arbeiten weitgehend autark, die Schnittstellen sind einfach ausgestaltet. Die Entwicklung kann unabhängig von Absatz, Produktion und Beschaffung arbeiten. Die Produktion setzt ein einmal implementiertes Produktionskonzept um, die Beschaffung bestellt definierte Waren anhand einer Mengenspezifikation. Der Absatz kann sich auf den Absatz der produzierten Ware beschränken; die Schnittstelle zwischen Produktion und Absatz reduziert sich dann auf die Übergabe der produzierten Ware. Komplexere Kommunikationsaustausche sind nur im Rahmen einer Produktänderung erforderlich, laufen dort aber meist sequentiell ab. Dieses Modell eines Sachleisters ist sicherlich stark vereinfacht und meist existieren Koordinationsfunktionen in den einzelnen Bereichen und auf Unternehmensebene. Betrachtet man z. B. einen einfachen landwirtschaftlichen Produzenten, so sind viele der Funktionen derart einfach ausgestaltet. Bei Kundenlösungen ist hingegen eine Koordination nahezu aller Beteiligten in und – auch das ist neu – auch außerhalb des Unternehmens erforderlich. Allerdings sind dafür weniger neue Ansätze notwendig, vielmehr kann auf bekannte Ansätze zurückgegriffen werden: Entwicklungsdienstleistungen für Dritte sind wohlbekannt, Kooperative Arbeitsprozesse und Kooperationsnetzwerke kommen auch bei Sachleistern zur Anwendung, Maßnahmen zur Steigerung der Reputation des Unternehmens, zur Intensivierung der Mitarbeiterbeziehung oder zur stärkeren Kundenorientierung wurden vielfach auch im Umfeld von Sachleistungen diskutiert. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Für einen Anbieter von Kundenlösungen sind diese Faktoren nun nicht mehr optional, er muss sie vielmehr alle in ihrer Gesamtheit berücksichtigen und koordinieren. 6.7.2 Konsequenzen für die betrieblichen Abläufe Zuerst werden die Konsequenzen betrachtet, die die identifizierten Änderungen für die betrieblichen Abläufe haben. Bei einer Suche nach einer Antwort auf diese Frage muss berücksichtigt werden, dass es zwei Arten von Auswirkungen gibt: die, die aus der angebotenen Leistung selbst resultieren und die, die allgemein aus dem Angebot von Kundenlösungen resultieren. Nur die letztere Art kann hier berücksichtigt werden.
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Um die Auswirkungen möglichst umfassend darzustellen, wird die Darstellung in mehreren Schritten erfolgen. Zuerst werden die allgemeinen Voraussetzungen dargestellt (Kapitel 6.7.2.1), anschließend auf die notwendige Netzwerkbildung eingegangen (Kapitel 6.7.2.2). Dann werden die Auswirkungen bei der Kommunikation mit dem Kunden (Kapitel 6.7.2.3), bei der internen Kommunikation (Kapitel 6.7.2.4) und abschließend bei der Kommunikation mit den Lieferanten (Kapitel 6.7.2.5) dargestellt. Kapitel 6.7.2.6 gibt einen abschließenden Überblick über die zentralen Herausforderungen. 6.7.2.1 Allgemeine Voraussetzungen für die Erbringung von Kundenlösungen Um Kundenlösungen erbringen zu können, benötigt der Anbieter eine Kompetenz und ein Marktkonzept. Er muss also wissen, wie er Gesamtleistungen in einem bestimmten Umfeld absetzt, entwickelt, umsetzt, koordiniert und auch kalkuliert. Für den späteren Erfolg ist es außerdem sinnvoll, ein Marktkonzept zu haben – denn lässt sich die Leistungen nicht sinnvoll auf dem Markt anbieten, ist ein Erfolg der Leistung sehr fraglich. Bei diesen Fähigkeiten steht vor allem das dafür notwendige Wissen im Vordergrund. Sie haben jedoch auch kommunikative Aspekte: x Der Absatz der Leistung wird nicht ohne Kommunikation erfolgen können – ist doch die Kommunikationspolitik eine der vier zentralen Säulen des Marketing-Mixes (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 22; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 2002, S. 20). x In der Entwicklung muss der Anbieter die Anforderungen und Wünsche des Kunden aufnehmen, Lösungsvorschläge erarbeiten und diese mit dem Kunden evaluieren. Diese Schritte bedürfen einer Kommunikation mit dem Kunden: Der Anbieter muss verstehen, was ihm der Kunde an Anforderungen nennt, und der Anbieter muss die Lösung dem Kunden gegenüber darstellen können. Der Anbieter muss die Sprache des Kunden sprechen (vgl. Kapitel 4.3.2.5). x Die Entwicklung beinhaltet aber auch eine Wissensverarbeitung, die gerade bei komplexen Systemen besonders anspruchsvoll ist (Kluwe 1997). Das vorhandene Wissen des Anbieters muss ggf. um weiteres Wissen angereichert werden, um eine Gesamtlösung zu erhalten. Wissensvermittlung ist immer auch ein Kommunikationsprozess (Böhm 2000, S. 15; Böhmann/Krcmar 1999). x Wenn der Anbieter die Leistung nicht komplett selbst erbringt, bedeutet die Umsetzung, dass der Anbieter eine Leistung in Teilleistungen aufteilen kann. Diese Teilleistungen muss er dann an die mit der Ausführung Beauftragten weitergeben, wozu ebenfalls eine Kommunikation notwendig ist. x Die Teilleistungen müssen auch wieder zu einer Gesamtleistung zusammengesetzt werden. Dazu ist – wenn mit der Ausführung mehrere Personen betraut sind – ebenfalls eine Kommunikation notwendig. x Auch die Kalkulation wird nicht ohne Kommunikation einhergehen, da dazu Preisinformationen abgefragt und zusammengeführt werden müssen. 165
Der Anbieter muss also für jeden der Bereiche die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen, um die Leistung erfolgreich anbieten zu können. Diese Fähigkeiten beinhalten dabei auch immer eine kommunikative Komponente. Der Anbieter ist allerdings nicht darauf angewiesen, dass er all diese Leistungen selbst erbringt. Er kann sie zumindest teilweise an externe Partner vergeben, wobei gerade in diesen zentralen Bereichen eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit notwendig ist. Die strategische Frage, für welche Leistungen eigene Kapazitäten vorgehalten werden sollen und für welche nicht, ist somit auch im Rahmen der strategischen Konzeption der Leistungserstellung zu klären.109 6.7.2.2 Netzwerkbildung für die Erbringung von Kundenlösungen Ein weiterer wichtiger vorbereitender Schritt für die Erbringung von Kundenlösungen ist die Bildung von Netzwerken. Die Netzwerkbildung ist ein komplexerer Prozess, auf den hier nicht im Detail eingegangen werden kann (vgl. dazu z. B. Eckert 2009; Ford 1982; Koller/ Langmann/Untiedt 2006 m. w. N.; Sydow 2005 m. w. N.; Wojda/Herfort/Barth 2006). Dabei müssen geeignete Partner gefunden werden und eine Beziehung zu ihnen aufgebaut werden. Wichtige Faktoren sind dabei die prinzipielle Kooperationsfähigkeit und die Bildung von Vertrauen, das aber im Wesentlichen durch Erfahrungen und somit vergangene Transaktionen entsteht (vgl. Kapitel 6.5.3). Vertrauen allein ist dabei aber nicht hinreichend für die Bildung von Netzwerken (Koller/Langmann/Untiedt 2006, S. 45 m. w. N.). Die Kooperationsbereitschaft hingegen betrifft vor allem Haltungseinstellungen und Einschätzungen. Allerdings spielen bei der Erwartungsbildung auch Faktoren wie der Informationsstand über den Kooperationspartner und das bereits erwähnte Vertrauen eine Rolle, so dass auch hier die Kommunikation von Bedeutung ist. Koller/Langmann/Untiedt (2006, S. 35) identifizieren die Kommunikation sogar als zentrales Kernelement bei der Anbahnungs- und Aufbauphase eines Netzwerks. Diese Kommunikation wird allerdings als zu Beginn ungerichtet und im späteren Verlauf als sozial orientiert charakterisiert (Koller/Langmann/Untiedt 2006, S. 35). Sie folgt daher nur bedingt festen Strukturen und kann nur in einem sehr begrenzten Teil technisch unterstützt werden. In dieser frühen Phase stehen somit weiche Faktoren im Vordergrund. Wie in Kapitel 6.5.2 gezeigt wurde, sind für den Anbieter mehrere Netzwerke relevant, wobei im Vorfeld des Leistungsangebots das Partner- und das Beziehungsnetzwerk aufzubauen sind. Der Aufbau ist ein sehr persönlicher Prozess der sozialen Annäherung. Dabei liegen die Schwerpunkte aber beim Partnernetzwerk anders als beim Beziehungsnetzwerk. Beim Partnernetzwerk liegt eine bewusste und zielorientierte Zusammenarbeit zwischen dem Anbieter von Kundenlösungen und den nachgelagerten Unternehmen vor. Diese Zusammenarbeit muss zumindest von Seiten des Anbieters geplant werden, aus Sicht der nachgelagerten Unternehmen kann die partnerschaftliche Beziehung auch eher unbewusst und schleichend entstehen (Håkansson/Johanson 1988). Beim Beziehungsnetzwerk sind die Bindungen hingegen deut109
Hierbei ist zwischen der strategischen (und hier relevanten) Frage, ob die Leistungsfähigkeit bereitgehalten werden soll und der operativen Frage zu unterscheiden, ob die konkrete Leistung selbst oder fremd erstellt werden soll.
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lich unspezifischer, aber meist auch schwächer. Oft fehlt es der Beziehung an einer strategischen Ausrichtung (z. B. bei Freundschaften), teilweise sind sie eher einseitig (z. B. bei Behördenkontakten), in manchen Fällen kann eine Konstellation auch beiden Seiten einen Vorteil in Form einer Win-Win-Situation versprechen (z. B. die in Kapitel 6.5.2 beschriebene Verbindung von Generalunternehmer und Bank). Die Netzwerkbildung selbst ist Teil des Potentialaufbaus, der die Grundlage für die spätere Leistungserbringung bildet. Allerdings müssen diese Netzwerke auch nach dem Aufbau gepflegt und weiterentwickelt werden – Netzwerke sind dynamische Strukturen (Kappelhoff 2000; Koller/Langmann/Untiedt 2006, S. 46; Zahn/Kapmeier/Tilebein 2006, S. 139 f.). Dies betrifft insbesondere das Vertrauen, dass nur langfristig entsteht, durch kontinuierliche Interaktion gefestigt und bei Missbrauch schnell zerstört wird. Dieses Vertrauen ist aber wesentliche Grundlage eines Netzwerks, denn es fungiert als Substitut für umfassende Verträge und ermöglicht eine einfachere Geschäftsabwicklung (Koller/Langmann/Untiedt 2006, S. 45 m. w. N.). In diesem Punkt unterscheiden sich Netzwerke sowohl von der Hierarchie als auch vom Markt, bei denen beide ein Vertrag (in Form eines Arbeits- bzw. Kaufvertrags) Grundlage der Beziehung bildet.110 6.7.2.3 Auswirkungen bei der Kommunikation mit dem Kunden Der Kontakt mit dem Kunden steht am Anfang einer Leistungserbringung durch den Anbieter. Hier ändert sich durch Kundenlösungen die Beziehungsform von einer transaktionalen zu einer relationalen Beziehung (Böhmann/Krcmar 2006, S. 83). Dadurch ändern sich der Kommunikationsbedarf und der Kommunikationsablauf zwischen Anbieter und Kunden grundlegend. Bei einer Sachleistung im klassischen Sinne ist die Kommunikation zwischen dem Kunden und dem Nachfrager klar strukturiert. Es gibt ein Leistungsangebot und eine Nachfrage. Das Angebot ist in Form des Produkts fest strukturiert, die Agenda der Verhandlung umfasst neben dem Preis und der Menge vor allem Lieferkonditionen. Die Kommunikation konzentriert sich auf die Verhandlung (Schoop 2005, S. 65; Schoop 2003, S. 16 f.). Verallgemeinert können diese Faktoren als Leistungsattribute bezeichnet werden. Eine Verhandlung erfolgt somit nach einem festen Schema, das aus Angeboten und Gegenangeboten besteht, die akzeptiert oder abgelehnt werden können (Dietz/Widdershoven 1991; Reijswoud 1995, S. 8 ff.; Staskiewicz 2009, S. 142 ff. m. w. N., 213 ff.). Daneben sind Rückfragen möglich, die ggf. auch zu neuen Angeboten und einer Anpassung der Leistungsattribute führen können – eine Variation des Produkts erfolgt dabei nicht. Nach Abschluss der Verhandlungen entsteht ein Vertrag, der die Pflichten beider Seiten nahezu vollständig spezifiziert. Wird die Ware nicht direkt übergeben, so erfolgen zwischen Vertragsabschluss und Übergabe meist keine weiteren Nachverhandlungen oder Konkretisierungen. Der Kommunikationsprozess ist somit – sowohl inhaltlich als auch zeitlich – stark strukturiert. Bei Kundenlösungen ist Basis der Verhandlung kein feststehendes Produkt, sondern ein Problem des Kunden. Dieses muss erst einmal an den Anbieter kommuniziert werden und dieser muss den Kunden ggf. dabei unterstützen, das Problem zu artikulieren. Dieser Prozess ist ver110
Sydow (2005, S. 45) verwendet auch den Begriff des „psychologischen Vertrags“.
167
ständigungsorientiert und iterativ. Der Kunde wird sein Problem skizzieren, der Anbieter wird es aufnehmen, ggf. Nachfragen stellen, eine erste Lösungsskizze vorstellen, die dann die Grundlage für die weitere Arbeit bildet. Dieser Prozess wird sich mehrfach wiederholen und die Leistung dabei immer genauer spezifiziert. Dabei wird es wohl nie zu einer vollständigen Spezifikation der Leistung kommen, vielmehr muss ein gemeinsames Verständnis darüber geschaffen werden, welcher Akteur für welche Spezifikation zuständig ist. Aspekte wie der Preis oder die Leistungskonditionen werden in diesen Prozess mit einbezogen sein. Verträge werden in diesem Prozess an Zwischenpunkten geschlossen und beinhalten eine Übereinkunft, einen bestimmten Weg gemeinsam gehen zu wollen.111 Es handelt sich somit um einen kooperativen Planungs- und ggf. auch Erstellungsprozess, bei dem beide Vertragspartner häufig miteinander kommunizieren. Dabei wird es auch zahlreiche Punkte geben, bei denen die Leistung von einer Rückmeldung einer Vertragspartei abhängig ist und die Form dieser Einbringung nicht vertraglich fixiert ist. Genauso können von beiden Seiten im Laufe der Erbringung noch Änderungswünsche vorgebracht werden.112 6.7.2.4 Auswirkungen bei der internen Kommunikation Bei der internen Kommunikation geht es vor allem um die Abwicklung der Leistungserstellung. Bei Sachleistungen steht hinter einem Produkt ein festes Konzept. Die Produktion weiß, welcher Produktionsprozess relevant ist, die Beschaffung kann über entsprechende Stücklisten den Beschaffungsbedarf ermitteln usw. Die interne Kommunikation bezieht sich somit – von Innovationen abgesehen – vor allem auf die Menge und ggf. die oben genannten Leistungsattribute. Bei Kundenlösungen handelt es sich um Unikate, deren Struktur den einzelnen Abteilungen unbekannt ist. Die Leistung muss erst durch die Entwicklung konzipiert werden – womit die Entwicklung nun in den Wertschöpfungsprozess einer Leistung mit einbezogen ist. Somit muss das erarbeitete Konzept erst einmal an die anderen Fachbereiche kommuniziert werden. Besonders deutlich wird dies bei der Beschaffung: Statt einer Menge muss hier meist auch spezifiziert werden, welche Leistung bezogen werden muss, wobei die Leistung selbst oft auch nicht vollständig spezifiziert werden kann. Darüber hinaus gewinnen auch Zwischenstände an Bedeutung, die teilweise schon vorab dem Kunden in Rechnung gestellt werden. Die Möglichkeit von Leistungsänderungen während der Leistungserstellung (siehe vorhergehendes Kapitel) verkompliziert die Lage weiter. Somit wird der interne Informationsaustausch komplexer, da nicht nur Zahlen (Mengen) kommuniziert werden müssen, sondern ganze Konzepte. Darüber hinaus führen Kundenlösungen auch zu Änderungen bei den unterstützenden Aktivitäten (vgl. dazu Kapitel 4.4.3), die nicht in die Wertschöpfung mit einbezogen sind. Hier ändern sich zum einen die relevanten Aktivitäten, zum anderen auch deren Aufgaben z. B. bezüglich der Mitarbeiterführung. Da es sich hier nicht direkt um produktbezogene Tätigkeiten 111
112
Das Ziel dieses Wegs kann dabei unterschiedlich genau spezifiziert und auch die Aufgabenaufteilung zwischen den Vertragspartnern unterschiedlich sein. Gerade in der Anfangsphase werden die Ziele eher unkonkret und die Aufgabenverteilung eher paritätisch sein. Auch wenn die Änderungswünsche des Kunden wohl häufiger sind, sind Änderungswünsche des Anbieters durchaus vorstellbar, z. B. wenn dieser feststellt, dass das gewünschte Ziel auf einer anderen Weise besser erreicht werden kann.
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handelt, werden sie hier nicht weiter betrachtet, sondern auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen. 6.7.2.5 Auswirkungen bei der Kommunikation mit den Lieferanten Die Beziehung zu den Lieferanten unterliegt – wie bei der Netzwerkbildung gezeigt wurde – einer grundlegenden Änderung. Allerdings wird diese Änderung nicht pauschal für alle Lieferantenbeziehungen greifen, sondern vielmehr in unterschiedlichen Abstufungen erfolgen. Bei der klassischen Sachgüterproduktion sind die Leistungen der Lieferanten meist genau spezifiziert. Es handelt sich entweder um standardisierte Produkte (z. B. in Form von Rohstoffen) oder um ein spezifisches Produkt, das im Vorfeld (ggf. gemeinsam) entwickelt wurde. Der Abruf im Rahmen des Produktionsprozesses des Anbieters erfolgt aber über die Menge, die Leistungsattribute werden ggf. individuell oder in Form eines Rahmenvertrags festgelegt. Die Kommunikationsstrukturen sind somit einfach und strukturiert. Bei Kundenlösungen erfolgt der Leistungsbezug über Partnerschaften. Die Leistungen werden somit gemeinsam entwickelt und spezifiziert, ggf. erfolgt bei der Leistungserbringung eine Kombination mit der Leistung des Anbieters oder anderer Lieferanten. Auch hier erfolgt die Spezifikation oft in mehreren Iterationen. Im Vergleich zur Beziehung des Anbieters zum Endkunden werden in der Beziehung zum Lieferanten Verträge tendenziell von noch geringerer Bedeutung und die Handlungsspielräume noch größer sein. Vertrauen und Erfahrungen aus vergangenen Transaktionen werden hier die Abwicklung vereinfachen. Dieser einfachen vertraglichen Regelung steht aber eine oft höhere Produktkomplexität entgegen, die durch mehrere Partner gemeinsam bewältigt werden muss. Auch wenn die vertraglichen Beziehungen oft einfach gehalten sind, sind die Netzwerke selbst komplexe Systeme, die es zu beherrschen gilt (Böhmann/Krcmar 2006, S. 84, 95 ff.; Zahn/Kapmeier/Tilebein 2006, S. 139 ff.). Die Kommunikationsbeziehungen sind somit komplexer und meist nicht in eine, sondern in mehrere Richtungen gerichtet. Die aus der Netzwerkbildung entstehende Komplexität wird sich allerdings auch in der internen Arbeit des Anbieters niederschlagen. Viele Aufgaben, die sonst intern erfolgen würden, werden nun durch Partner erledigt – die Unternehmensgrenzen lösen sich auf. Da für Aufgaben oft mehrere Partner zur Verfügung stehen (vgl. Kapitel 6.5.2), werden die Schnittstellen zusätzlich variabler. Somit ist oft nicht nur zu klären, was gemacht werden muss, sondern auch, welcher Partner eine Aufgabe übernimmt. 6.7.2.6 Überblick über die zentralen Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse Die aufgezeigten Änderungen weisen alle eine gemeinsame Richtung aus, die auf einen grundlegenden Wandel der Kommunikationsbeziehungen deuten. Bei klassischen Sachleistungen erfolgen die einzelnen Wertschöpfungsabschnitte sequentiell, die Schnittstellen zwischen ihnen sind einfach strukturiert. Kommuniziert werden meist Parameter und somit einfache Sachverhalte. Bei Kundenlösungen ist jede Leistung ein eigenes Projekt, das als Teamarbeit umgesetzt werden muss. Das Team umfasst dabei die verschiedenen an der Leistung beteiligten Bereiche 169
des Anbieters113, den Kunden, die eingebundenen Lieferanten und ggf. auch Teile des Beziehungsnetzwerks. Die Zahl der Akteure und insbesondere die der Beziehungen steigen somit gewaltig. Doch nicht nur die Zahl der zu beherrschenden Beziehungen steigt, auch die Kommunikationsinhalte werden sich ändern. Vor allem wenn es um die Lösungsfindung geht, werden viele Aktionen gemeinsam als kooperativer und iterativer Prozess erfolgen müssen, bei dem auch Faktoren wie Kreativität gefragt sind. Dort, wo die kreative Arbeit nicht im Vordergrund steht, müssen die Ergebnisse der Entwicklung kommuniziert werden, damit die anderen Tätigkeiten darauf aufbauen können. Durch die komplexere und häufigere Interaktion entsteht zugleich eine Beziehung zwischen den Akteuren, die wiederum Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Akteure hat (vgl. dazu auch Axelsson/Goldkuhl/Melin 2000, S. 2 ff.). Es mag der Einwand erhoben werden, dass kooperative Entwicklung im Team auch bei vielen Sachleistungen nötig ist und auch bei Sachleistungen Konzepte kommuniziert werden müssen. Allerdings unterscheiden sich diese beiden Vorgänge in zentralen Punkten. Die Entwicklung bei Sachleistungen erfolgt unabhängig von der Produktion. Die Entwicklung mag hier noch so kompliziert sein – die leistungserstellenden Bereiche sind von dieser Komplexität weitestgehend nicht betroffen.114 Das aus der Entwicklung resultierende Konzept muss anschließend einmalig an die anderen Bereiche kommuniziert werden. Ist dieses Konzept kommuniziert, so kann auf Basis dieses Konzepts eine (nahezu) beliebige Anzahl von Leistungen erbracht werden. Die Kosten dieser Kommunikation sind somit bei ausreichend großer Produktion vernachlässigbar, während sie bei Kundenlösungen jeder einzelnen Leistung individuell zuzurechnen sind. Somit sind bei Kundenlösungen für jede Leistung von neuem eine Vielzahl von Akteuren mit entsprechenden Informationen zu versorgen. Dabei alle Akteure auf den gleichen Informationsstand zu bringen, ist auch vor dem Hintergrund der hohen Leistungskomplexität nicht zielführend. Daher muss die Informationsweitergabe koordiniert und gezielt erfolgen. Im Idealfall sollte jeder Akteur nur die Information erhalten, die er benötigt – und das zum richtigen Zeitpunkt. Dieses Ziel wird in Idealform – wenn überhaupt – nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand erreicht werden können. Daher ist bei Kundenlösungen nicht nur eine Dokumentation der Entscheidungen notwendig. Vielmehr ist eine Klassifizierung der Informationen erforderlich, auf deren Basis identifiziert werden kann, welche Informationen für welchen Akteur relevant sind. Spätestens dann, wenn Entscheidungen hinterfragt oder überprüft werden müssen, ist zusätzlich eine Dokumentation des Entscheidungswegs notwendig. Vor dem Hintergrund der Komplexität der Leistungen steht die Dokumentation aber vor der zusätzlichen Herausforderung, dass sich die Komplexität oft nicht in schriftlichen Medien abbilden lässt, sondern reichhaltigere Medien notwendig sind. Betrachtet man die bei Kundenlösungen stattfindende Kommunikation auf Ebene der Sprechakte, so ist hier eine Verschiebung der Schwerpunkte erkennbar. Nach der Klassifikation von 113
114
Die beteiligten Bereiche umfassen nicht nur die, die an der Leistungserstellung beteiligt sind. Vielmehr sind auch die Bereiche mit eingeschlossen, deren Tätigkeit auf einzelne Leistungen bezogen ist. Beispielsweise betrifft dies die Leistungsabrechnung. Aus diesem Grund gelten die folgenden Ausführungen auch primär für den Leistungserstellungsprozess.
170
Searle (vgl. Kapitel 2.2.1) kommen bei Sachleistungen vor allem direktive (z. B. ein Angebot) und kommissive Sprechakte115 (z. B. die Annahme eines Angebots) vor, Aussagen zu den Eigenschaften des Produkts können auch assertiver Natur sein. Bei Kundenlösungen haben daneben assertive (z. B. eine Bewertung eines Ziels) und expressive (z. B. rein geschmackliche Bewertungen) Sprechakte eine größere Bedeutung.116 Auch nach der Klassifikation von Habermas (vgl. Kapitel 2.2.2) ist eine Verschiebung zu erkennen. So steht nach dieser vor allem das kommunikative Handeln im Vordergrund und verdrängt das strategische Handeln. Zwar besteht die Kommunikation sowohl bei Sachleistungen als auch bei Kundenlösungen aus strategischen Handlungen (Imperativa – z. B. die Vertragsverhandlung) und der Darstellung von Sachverhalten (Constativa – z. B. der Beschreibung des Produkts), der Schwerpunkt verschiebt sich aber bei Kundenlösungen zu den Constativa. Normenregulierendes Handeln (Regulativa – z. B. die Versprechungen zur Herstellung eines Ergebnisses) ist sowohl für Sachleistungen als auch für Kundenlösungen relevant, beschränkt sich aber bei Sachleistungen im Wesentlichen auf Versprechen zur Funktionalität des Produkts oder zur Vertragsausführung. Auch selbstrepräsentierendes dramaturgisches Handeln (Expressiva – z. B. der Bewertung von Alternativen oder der Äußerung von Empfindungen/Wünschen) spielt bei Kundenlösungen eine größere Rolle. Abbildung 31 stellt die veränderte Bedeutung der einzelnen Sprechakttypen zusammen. Dienstleistungen sind in der Übersicht nicht dargestellt, da hier die Kommunikation je nach Art der Leistung sehr unterschiedlich ist (vgl. Kapitel 6.7.3). Eine abschließende empirische Untersuchung dieser Verschiebungen muss an dieser Stelle jedoch offen bleiben. Die geänderten Kommunikationsinhalte haben auch Auswirkungen auf mögliche Störungen der Kommunikation. Der Geltungsanspruch der Verständlichkeit kann sicherlich bei jeglicher Kommunikation verletzt werden. Anders sieht es aber bei den Geltungsansprüchen der Wahrheit (Existenz von Sachbehalten) und der Richtigkeit (Gültigkeit von Normen) aus. Im Rahmen einer kooperativen Arbeit werden diese Ansprüche sicherlich häufiger verletzt, z. B. wenn der Vorschlag eines Akteurs nicht nachvollziehbar ist oder die dahinterstehende Norm angezweifelt wird. Der sich der Verletzung anschließende reflektierende Argumentationsprozess ist hier ja häufig gerade erwünscht. Zwar sind entsprechende Verletzungen auch bei Sachleistungen denkbar, diese werden sich aber im Wesentlichen auf Aussagen im Rahmen der meist strategischen Vertragsverhandlung und damit auf die Beziehung zwischen Kunden und Anbieter konzentrieren. Der Erbringungsprozess ist hingegen bei Sachleistungen eher ein kontinuierlicher und weitestgehend gleichbleibender Prozess, der wenig Platz für Kommunikationsstörungen bietet. Auch die Wahrhaftigkeit wird bei Sachleistungen aus genannten Gründen wohl eher weniger verletzt werden. Bei Kundenlösungen kann dieser Geltungsanspruch hingegen durchaus verletzt werden. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass durch eine bösartige Täuschung das Vertrauensverhältnis beeinträchtigt wird, so dass zumindest Täuschungen eines Partners weniger zu erwarten sind. Der verbleibende und nur in einigen Wer115
116
Bei einem formal belastbaren Versprechen kann auch ein – ggf. gemeinsam vollzogener – deklarativer Sprechakt („Ich erkläre den Vertrag für geschlossen“) erfolgen. Auf dies deutet auch ein Vergleich mit der Einordnungen der Phasen eines Action Workflows (vgl. Kapitel 2.2.3) hin: bei Kundenlösungen gewinnen Ausführungsmeldungen (als Assertive) und Bestätigungen (als Deklarative) an Bedeutung.
171
ken Habermas’ genannte Geltungsanspruch der Angemessenheit von Wertstandards bezieht sich auf Geschmacksfragen (Geiger 2006, S. 126). Diese sollten auch vor allem bei kooperativen Prozessen und damit bei Kundenlösungen vorzufinden sein. Sprechakttyp Funktion
Bedeutung bei Sachleistungen
Nennung von Eigenschaf ten der Leistung oder Teilleistungen, Rückmeldungen über Produktionsf ortschritt, … während des gesamte Erbringungsprozesses.
++
Äußerung von Wünschen; Angebote. Vor allem in der Vereinbarungs-, der Abwicklungs- und der Af ter-Sales-Phase wichtig.
++
Bekundung von Absichten bezüglich der Leistungserbringung. Tritt vor allem während der Vereinbarungs- und der Abwicklungsphase auf .
Können im Rahmen der Verhandlung vorkommen, sind aber untergeordneter Natur.
+
Äußerung von Empf indungen und Meinungen zur Leistungserbringung. Wichtig, damit Anbieter Entscheidungen im Sinne des Kunden tref f en kann. Auch wichtig zum Auf bau einer Beziehung zwischen den Akteuren.
Abschluss eines f ormalen Vertrages am Ende der Vertragsverhandlung.
o
Ein f ormaler Vertrag ist bei Kundenlösungen von geringerer Bedeutung, da er nur Teilaspekte der Leistung erf assen kann.
+
Die strategisch orientierte Beeinf lussung bleibt zwar auch bei Kundenlösungen wichtig, wird jedoch in ihrer Bedeutung zurückgedrängt.
Assertive
Behauptung/ Feststellung
Direktive
Wunsch
++ allem in der Vereinbarungsphase.
Kommissive
Absicht
++ phase getrof f en werden.
Expressive
mentaler Zustand
-
Deklarative
Herbeif ührung einer Proposition
+
Imperativa
Beeinf lussung des Empf ängers
+
Bedeutung bei Kundenlösungen
++
Nennung von Eigenschaf ten des Produkts vor allem im Rahmen der Inf ormationsphase. Äußerung von Wünschen; Angebote. Vor
Versprechen, die in der Vereinbarungs-
Wesentliche Teile der Vertragsverhand-
++ lung sind strategisch orientiert und sollen den Empf änger beeinf lussen.
Constativa
Darstellung von Sachverhalten
+
Nennung von Eigenschaf ten des Produkts vor allem im Rahmen der Inf ormationsphase. Äußerung von Wünschen im Rahmen der Vertragsverhandlung.
++
Darstellung von Eigenschaf ten der Leistung, Erläuterung von Wahlmöglichkeiten, Nennung von Anf orderungen, etc. In allen Phasen der Leistungserbringung relevant.
Regulativa
Herstellung interpersonaler Beziehungen
+
Betrif f t vor allem Versprechungen zur Funktionalität des Produkts und zur Leistungsausf ührung.
++
Betref f en alle Punkte, wo eine Übereinkunf t zwischen Anbieter und Kunde erzielt werden muss. Daher während des gesamten Leistungsprozesses relevant.
Expressiva
Selbstrepräsentation
-
Können im Rahmen der Verhandlung vorkommen, sind aber untergeordneter Natur.
+
Äußerung von Empf indungen und Meinungen zur Leistungserbringung. Wichtig, damit Anbieter Entscheidungen im Sinne des Kunden tref f en kann. Auch wichtig zum Auf bau einer Beziehung zwischen den Akteuren.
Abbildung 31: Bedeutung der Sprechakttypen von Searle und Habermas bei Sachleistungen und bei Kundenlösungen
Auch wenn es sich bei den Aussagen zu den Spechakttypen und den Geltungsansprüchen um empirisch ungeprüfte Aussagen handelt, ist als Grundaussage erkennbar: Kommunikation findet bei Kundenlösungen häufiger statt und sie ist vielschichtiger als bei Sachleistungen. War die Kommunikation bei Sachleistungen vor allem auf die Vereinbarungsphase und ggf. die Problem-Eskalation beschränkt, so umfasst sie nun den kompletten Wertschöpfungsprozess (Schoop 2003, S. 16 ff.). Dadurch steigert sich aber zugleich die Gefahr von Kommunikationsstörungen. Diese Gefahr wird durch die Vielzahl der Akteure und Intermediäre weiter verstärkt – Störungen können hier auch schleichend entstehen, wenn z. B. vorgelagerte Akteure Informationen filtern, die für den nachgelagerten Akteur unwichtig sind, für später folgende Akteure aber von Bedeutung sind. Die Akteure – und genauso unterstützende Anwendungen – müssen diese Probleme stärker berücksichtigen als bei Sachleistungen. Zugleich ist bei Kundenlösungen der durch Kommunikationsfehler mögliche Schaden deutlich größer. Bei klassischen Sachleistungen steht die Leistung selbst fest, Kommunikationsfehler können somit – wenn man von einer schlechten Erklärung des Produkts selbst absieht – vor allem die Leistungsattribute betreffen. Der Anbieter kann das Produkt ggf. auch an einen anderen Kunden verkaufen. Bei Kundenlösungen können kleine Fehler schnell gravierende Folgen haben. Man stelle sich nur vor, wenn der Generalunternehmer das Haus trotz anderem Kunden172
wunsch ohne Keller realisiert – ein Großteil seiner Leistung wäre umsonst erbracht, da der Keller nicht nachträglich errichtet werden kann. Daher müssen sich die Akteure bei Kundenlösungen bewusst machen, dass Kommunikation kein einseitiger Prozess ist. Zur erfolgreichen Kommunikation gehört auch die Bestätigung der Ausführung bzw. des richtigen Verständnisses. Erfolgreiche Kommunikation bedarf somit einer Rückkopplung. Dabei bieten Action Workflows (vgl. Kapitel 2.2.3) einen geeigneten Ansatz, entsprechende Schwachstellen zu identifizieren und eine effiziente Kommunikation sicherzustellen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Rückkopplung ist dabei sicherlich ein Gestaltungsparameter. Hier gilt es, einen Mittelweg zwischen zu häufigen Rückmeldungen und einer zu geringen Zahl von Rückbestätigungen zu finden. Die Notwendigkeit von Rückkopplungen macht aber zugleich auch deutlich, dass die Akteure bei Kundenlösungen nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich ist. 6.7.3 Übertragung der Erkenntnisse auf Dienstleistungen Die bisherigen Ausführungen zu den Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse orientierten sich an Kundenlösungen. Dazu wurden in Kapitel 6.7.1 die Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Kommunikationsprozesse dargestellt und in Kapitel 6.7.2 die Konsequenzen dieser Auswirkungen gezeigt. Da diese Untersuchungen nur anhand einer spezifischen Art von Dienstleistungen erfolgten, stellt sich die Frage, in wie weit diese Erkenntnisse auf Dienstleistungen allgemein übertragen werden können. Dienstleistungen haben sehr unterschiedliche Facetten. Eine Vielzahl möglicher Klassifizierungsmöglichkeiten (vgl. dazu Kapitel 3.3) zeigt ihre Vielschichtigkeit. Die Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse fallen dabei sehr unterschiedlich aus. Manche Dienstleistungen verhalten sich eher wie klassische Sachleistungen, andere eher wie Kundenlösungen. In Kapitel 6.7.1 wurden drei zentrale Änderungsbereiche von Kundenlösungen aufgezeigt. Diese können – in unterschiedlicher Variation – auch bei Dienstleistungen auftreten: x Bei Dienstleistungen kann eine Individualisierung erfolgen. Der Rahmen, in dem eine Individualisierung zugelassen wird, kann dabei sehr unterschiedlich sein. So bekommt der Kunde in einem Fast-Food-Restaurant zwar ein individuelles Essen, die Auswahl und der Weg zum Essen sind aber sehr standardisiert. In einem gehoberen Restaurant ist der Prozess schon individueller auf den Kunden zugeschnitten und stärker kundenorientiert. In Teilen kann der Anbieter durch Modularisierung eine hohe wahrgenommene Individualität mit einer hohen internen Standardisierung kombinieren und somit der Komplexität entgegenwirken (vgl. z. B. Baldwin/Clark 1997; Böhmann/Krcmar 2006). x Bei Dienstleistungen kann eine ganzheitliche Betrachtung erfolgen. Der Anbieter kann sich auf seine eigene Kompetenz beschränken oder weitere Bereiche in die Leistung mit einbinden. So kann das Restaurant auch ein Leistungspaket schnüren und je nach Kundenwunsch weitere Leistungen mit einbinden: So könnte es für den Kunden die Übernachtung in einem naheliegenden Hotel oder den Transfer vom Bahnhof organisieren. 173
x Zur Erbringung von Dienstleistungen kann eine Netzwerkbildung erfolgen – sowohl in Richtung der Lieferanten als auch in Richtung der Kunden. Das Restaurant könnte z. B. mit einem örtlichen Weinhändler zusammenarbeiten, der für das Weinangebot des Restaurants verantwortlich zeichnet und auch den Sommelier stellt. In Richtung Kunden würde eine stärkere Netzwerkbildung z. B. bei der gemeinsamen Durchführung einer größeren Veranstaltung stattfinden. Die Intensität der drei Änderungsbereiche ist, wie an den Beispielen gezeigt wurde, von Dienstleistung zu Dienstleistung unterschiedlich. Je stärker eine Dienstleistung individualisiert ist, je ganzheitlicher der betrachtete Lösungsbereich ist und je stärker eine Netzwerkbildung erfolgt, desto stärker wird die Kommunikation für diese Dienstleistung die Merkmale der Kommunikation bei Kundenlösungen aufweisen. Auch die in Kapitel 6.6 identifizierten weiteren Merkmale können bei Dienstleistungen auftreten und zu Änderungen der Kommunikationsprozesse führen. Die drei Änderungsbereiche (siehe dazu Kapitel 6.7.1 und insbesondere Abbildung 30) sind damit ein Ansatzpunkt, wie die Erkenntnisse von Kundenlösungen auf Dienstleistungen übertragen werden können. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Änderungsbereiche zumindest in Teilen auch für Sachleistungen relevant sein können. Wie bei den Leistungsarten selbst sind auch bei den Auswirkungen die Übergänge von Sach- bzw. Dienstleistungen zu Kundenlösungen fließend. Auch die Abhängigkeiten zwischen den Bereichen erschweren die Übertragbarkeit zusätzlich. Nachdem die Konsequenzen von Kundenlösungen für betriebliche Kommunikationsprozesse dargestellt und ein Ansatz zur Überführungen auf Dienstleistungen aufgezeigt wurde, erfolgt ein abschließendes Resümee und eine Darstellung des weiteren Forschungsbedarfs.
174
7 Zusammenfassung und Ausblick 7.1
Kundenlösungen und betriebliche Kommunikation – ein Fazit
Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, Merkmale herauszuarbeiten, die Dienstleistungen und Kundenlösungen von Sachleistungen unterscheiden. Dazu wurden im Kapitel 3 die theoretischen Grundlagen des Dienstleistungsbegriffs vorgestellt und diskutiert. Es wurde die Weiterentwicklung des Begriffs zu Kundenlösungen und somit eine Leistungsform dargestellt, die unabhängig der materiellen Eigenschaften die kundenorientierte Lösungsfindung in den Vordergrund stellt. In Kapitel 4 wurden anhand des Stakeholder-Ansatzes und der Wertschöpfungskette die zahlreiche Unterschiede der einzelnen Leistungsarten systematisch abgeleitet und dargestellt. Dabei zeigten sich die vielfältigen Unterschiede der Leistungsarten. Auch wurde festgestellt, dass viele Aussagen nur für idealtypische Leistungen möglich sind und dass insbesondere die „Dienstleistung“ ein großes Spektrum unterschiedlicher Leistungen mit unterschiedlichen Auswirkungen abdeckt. In Kapitel 5 erfolgte eine erste empirische Evaluation der identifizierten Auswirkungen von Kundenlösungen in der Bauindustrie, die die Praxisrelevanz der Unterschiede aufzeigte und zugleich eine erste Überprüfung der Erkenntnisse vornahm. Zum anderen gilt es, die Auswirkungen auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse aufzuzeigen. In Kapitel 2 wurden diese als Interaktionsprozesse im betrieblichen Kontext definiert. Aufbauend auf den in Kapitel 4 erarbeiteten Merkmalen wurden dafür in Kapitel 6 drei zentrale Änderungsbereiche identifiziert, die sich durch die Kundenorientierung an den betrieblichen Kommunikationsprozessen ergeben: x Die Individualisierung der Leistung, x die ganzheitliche Betrachtung des Kundenproblems und x die Bildung von Netzwerken. Auf Basis dieser Bereiche wurden Auswirkungen auf die Kommunikation und schließlich Konsequenzen für die betrieblichen Kommunikationsprozesse abgeleitet. Will man diese Konsequenzen zusammenfassen, so bedeuten Kundenlösungen, dass die Zahl der Kommunikationsbeziehungen zunimmt, die Häufigkeit der Kommunikation steigt und der Kommunikationsaustausch komplexer wird – und die Leistung nicht nur innerbetrieblich, sondern in einem Netzwerk aus Kunde, Anbieter und Lieferanten unter Zeitdruck entwickelt und erbracht werden muss. Abschließend wurde gezeigt, dass diese Änderungsbereiche auch für Dienstleistungen relevant sind und somit bei Dienstleistung abhängig von der Ausprägung der Bereiche ähnliche Auswirkungen zu erwarten sind. Somit haben nicht die Eigenschaften von Dienstleistungen Auswirkungen auf die betrieblichen Kommunikationsprozesse, sondern die aufgezeigten Änderungsbereiche. Es wäre nun aber nicht richtig, damit die Trennung von Sach- und Dienstleistungen als falsch anzusehen. Die zahlreichen Beiträge zu den Besonderheiten von Dienstleistungen zeigen, dass diese nicht immer wie Sachleistungen betrachtet werden können. Es ist somit eine Frage der Position des Betrachters, ob aus Dienstleistungen relevante Unterschiede resultieren oder nicht. So zeigten sich im Marketing relevante Unterschiede zwischen Sach- und Dienstleis-
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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tungen z. B. bei der Produktpräsentation. Allerdings erschwert die Existenz von Zwischenformen die genaue Abgrenzung genauso wie die zunehmende Bedeutung von Themen wie Lieferantenintegration oder Teamarbeit auch in produktionsorientierten Unternehmen. Es scheint sich aber zunehmend die Sichtweise durchzusetzen, dass Sach- und Dienstleistungen keine Gegensätze sind, sondern nur spezifische Besonderheiten aufweisen, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen sind. Diese Erkenntnisse haben Auswirkungen für die Praxis. Die Bedeutung von Kundenlösungen hat zugenommen und wird weiter steigen – wobei offen bleibt, ob Kundenlösungen für alle Branchen gleichermaßen geeignet sind. Sie bieten durch eine stärkere Kunden- und Qualitätsorientierung eine Chance für die Unternehmen, sich dem Preiswettbewerb zu entziehen und sich zu differenzieren (König/Kampschulte 1997, S. 2 f.; Wienen/Sichtmann 2008, S. 3 f.). Es wurde aber deutlich, dass für die Erbringung von Kundenlösungen spezielle Fähigkeiten notwendig sind. Diese werden nicht alle Unternehmen mitbringen und auch nicht alle Unternehmen aufbauen können. Durch die Notwendigkeit der Netzwerkbildung bieten Kundenlösungen aber gerade auch eine Chance für Unternehmen, die diese Fähigkeit nicht besitzen. Sie können sich in ein entsprechendes Netzwerk einbringen und somit einen indirekten Nutzen aus Kundenlösungen ziehen. Diese Netzwerkstruktur bietet zusammen mit der Bedeutung kleinerer Einheiten (z. B. des in Kapitel 6.4 erwähnten Lösungsmanagers) geradezu eine Chance für kleine Unternehmen, ihre schnelle Reaktionsfähigkeit auszuspielen (vgl. dazu auch Schütt 1996, S. 24 f.). Die Unternehmen müssen somit Fähigkeiten aufbauen und organisatorische Änderungen vornehmen, um erfolgreich Kundenlösungen erbringen zu können. Die Schaffung der Voraussetzungen, um die geänderten Kommunikationsprozesse abbilden zu können, sind dabei von zentraler Bedeutung. Diese Arbeit zeigt dabei auf, welche Änderungen zu adressieren sind. Die Frage, wie dies genau erfolgen soll, muss sie in Teilen offen lassen. Es bleiben also Herausforderungen für die Wirtschaftsinformatik im speziellen (Kapitel 7.2) und die Wissenschaft im allgemeinen (Kapitel 7.3), die es in Zukunft zu adressieren gilt. 7.2
Herausforderungen von Kundenlösungen für die Wirtschaftsinformatik
Informations- und Kommunikationstechnik ist für die Erbringung von Kundenlösungen zwar keine Voraussetzung (vgl. dazu die untergeordnete Bedeutung der IT-Kompetenz in Kapitel 5.3.2 und die Value-Adding Partnership in Kapitel 6.5.2), sie kann aber die Abläufe bei einem Kundenlöser unterstützen und die Abwicklung verbessern.117 Dabei stellt sich die Frage, ob vorhandene Konzepte bereits die Voraussetzungen mitbringen, um die Anforderungen eines Anbieters von Kundenlösungen zu unterstützen oder ob eine Weiterentwicklung der vorhandenen Ansätze notwendig ist oder gar Neuentwicklungen erforderlich sind. Die folgenden Ausführungen geben keinen vollständigen Überblick über die Anforderungen an die Wirtschaftsinformatik. Vielmehr werden einige Handlungsfelder exemplarisch darge-
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Es könnte auch gerade so sein, dass der Mangel an einer geeigneten IT-Unterstützung dazu führt, dass die IT derzeit eine untergeordnete Bedeutung besitzt.
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stellt, die aus den bisherigen Ausführungen deutlich wurden und in denen aus Sicht des Autors ein Entwicklungsbedarf vorliegt. Systeme, um die in dieser Arbeit beschriebenen kooperativen Kommunikationsprozesse zu unterstützen, werden in der Wirtschaftsinformatik unter Computer-Supported Cooperative Work (CSCW) diskutiert. Unter diesen Begriff werden verschiedene Systeme behandelt, die die Zusammenarbeit mehrerer Akteure durch IKT unterstützen (Borghoff/Schlichter 2000, S. 87 ff.; Fachgruppe CSCW der Gesellschaft für Informatik e. V. o. J.; Gross/Koch 2007, S. 1 ff.). Als wesentliche Bereiche der CSCW sind zu nennen: x Collaboration-Systeme, die Themen wie Interaktion, Kooperation, Gruppen- und Teamarbeit unterstützen. x Groupware. x Communities u. a. als Communities of Practice oder im Wissensmanagement. In diesen Bereichen gibt es zahlreiche wissenschaftliche Konzepte und Systeme im Praxiseinsatz, die die Zusammenarbeit mehrerer Akteure unterstützen. Der Einsatz entsprechender Systeme ist auch bei Kundenlösungen sinnvoll. Um einige Beispiele zu nennen: x Möglichkeiten, durch IKT eine reichhaltigere Kommunikation auch über größere Distanzen hinweg zu ermöglichen, sind in Form von Systemen zur gemeinsamen Bearbeitung von Dokumenten oder von Videokonferenzen wohlbekannt und verbreitet (vgl. z. B. Picot/Reichwald/Wigand 2003, S. 111 ff.). x Auf der anderen Seite können IT-Systeme die Umsetzung des logistischen Prinzips für Informationen verbessern und der Kommunikation unnötige Komplexität nehmen (vgl. Augustin 1990, S. 22 f.; Schoop/Kordowich/Schneider 2010, S. 59 ff. sowie Kapitel 6.3). x Im Bereich des Wissensmanagements gibt es verschiedene Konzepte zur Unterstützung des Wissenserwerbs, der Wissensvermittlung und der Wissensspeicherung (vgl. z. B. Böhm 2000; Böhmann/Krcmar 1999). Dabei gibt es auch Ansätze, das in Netzwerken verteilt vorliegende Wissen zu erfassen (vgl. z. B. Gronau/Müller 2006) und mit der zunehmenden Komplexität umzugehen (vgl. z. B. Böhmann/Krcmar 2006). x Bei Entscheidungsunterstützungssystemen sind insbesondere Expertensysteme zu nennen, die in komplexen Systemen Hilfestellungen geben können (vgl. z. B. Kluwe 1997). x Groupware-Anwendungen sind in verschieden Formen etabliert und erlauben die gemeinsame und workflow-gesteuerte Bearbeitung von Kalendern, Aufgaben, Dokumenten etc. (vgl. z. B. Götzer et al. 2008, S. 82 f.; Gross/Koch 2007, S. 6 ff.; Schmidt/Montoya-Weiss/Massey 2001, S. 582). x Dokumenten-Management-Systeme (DMS) erlauben die Verwaltung, Verteilung und Archivierung von Dokumenten (vgl. z. B. Götzer et al. 2008, S. 3 ff.; Schoop 2000; Verband Organisation und Informationssysteme e. V. 2005, S. 1 ff.). Sie sind teilweise 177
auch integriert mit Groupware-Anwendungen vorzufinden (Götzer et al. 2008, S. 82 f.; Verband Organisation und Informationssysteme e. V. 2005, S. 216). x Verhandlungsunterstützungssysteme unterstützen die Verhandlung mehrerer Vertragspartner, in dem sie Verhandlungen strukturieren, Entscheidungshilfen geben und teilweise die gemeinsame Dokumentenbearbeitung erlauben (vgl. z. B. Schoop/Köhne/Staskiewicz 2004; Staskiewicz 2009, S. 27 ff. m. w. N.; Weigand et al. 2003. Für die Herausforderung bei komplexen Produkten siehe Schoop 2005.). Darüber hinaus existiert mit der Service-Oriented Architecture (vgl. Kapitel 3.1.4) ein Entwurfsparadigma, dass Parallelitäten mit dem Aufbau von Kundenlösungen aufweist: Auch hier wird durch Kombination mehrerer Fremdleistungen (Diensten), die definierte Aufgaben übernehmen, eine Gesamtleistung erstellt und die Komplexität durch Reduktion auf definierte Schnittstellen reduziert. Grundlagen zur Unterstützung der Abläufe von Anbietern von Kundenlösungen sind somit vorhanden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Grundlagen ausreichend sind. An drei Aspekten wird verdeutlicht, dass diese Ansätze zwar Grundlagen bilden, aber für eine Unterstützung von Kundenlösungen weiterentwickelt werden müssen. Die Systeme sind (noch) zu stark isoliert: Viele der genannten Systeme arbeiten unabhängig voneinander oder sind nur teilweise miteinander verknüpft. Die an einer Kundenlösung zusammenarbeitenden Akteure werden so z. B. bei der gemeinsamen Arbeit durch das Wissensmanagement unterstützt. Der Fokus ist hier aber meist auf eine allgemeine Wissensbasis und weniger auf projektspezifisches Wissen gerichtet. Parallel dazu können in Verhandlungsunterstützungssystemen Vertragsdokumente gemeinsam erstellt und ein Vertrag abgeschlossen werden. Weitere Diskussionen werden aber auch oft über ein Groupware-System abgewickelt. Fertige Dokumente können dann im Dokumentenmanagementsystem abgelegt werden. Diese Prozesse finden aber bei Kundenlösungen oft integriert statt: die Akteure arbeiten gemeinsam an einer Lösung, spezifizieren gleichzeitig den Vertrag – und eigentlich sollte der komplette Prozess mit möglichst geringem Aufwand dokumentiert werden. Zwar existieren verschiedene Ansätze zur Integration einzelner Komponenten – ein ganzheitliches System, das Kundenlösungen optimal unterstützt, fehlt aber noch. Die Systeme berücksichtigen die Komplexität von Kundenlösungen nicht ausreichend: Kundenlösungen sind komplexe Systeme. Viele Aspekte werden in gemeinsamer Interaktion erarbeitet. Die Teilergebnisse dieser Interaktionen sind für verschiedene Akteure relevant. Die vorhandenen Systeme berücksichtigen den hier entstehenden Spannungsbogen zwischen vollständiger Dokumentation und zielgerichteter Weitergabe nur in Ansätzen. Die zahlreichen entstehenden Informationen müssen verdichtet und weitergereicht werden. Auch die Rückkopplung, dass eine Information richtig angekommen ist und verstanden wurde, fehlt oft. Zwar gibt es hier verschiedene Ansätze – gerade vor dem Hintergrund der LAP – bei der Informationen semantisch angereichert und klassifiziert werden. Auch die verstärkte Kombination mehrerer Medien (Multi-Media) oder eine hierarchische Unterteilung können dazu beitragen, komplexere Informationen einfacher zu verteilen und besser zu strukturieren. Ähnlich sieht es beim Ansatz 178
der SOA aus: Zwar ist der grundlegende Aufbau für Kundenlösungen zielführend, die Interaktionen der einzelnen Akteure sind aber bei Kundenlösungen zu komplex, als dass sie auf eine Black Box mit definierten Schnittstellen reduziert werden könnten. Somit existieren auch hier entsprechende Ansätze. Für eine durchgehende Unterstützung der Geschäftsprozesse von Anbietern von Kundenlösungen sind aber noch weitere Arbeiten notwendig. Die Systeme berücksichtigen die Struktur der Wertschöpfungsnetzwerke nicht ausreichend: Durch die Netzwerkbildung sind mehrere Akteure miteinander verbunden, die aber in weiten Teilen autonom sind. Eine ganzheitliche IKT-Unterstützung muss aber alle Akteure und ihre unterschiedlichen Belange berücksichtigen. Doch welcher Akteur sollte entsprechende Systeme bereitstellen? Das fokale Unternehmen bringt dabei sicherlich die besten Voraussetzungen mit, da es eine zentrale Position im Netzwerk und eine gewisse Dominanz hat. In Richtung des Kunden wäre es für das fokale Unternehmen kein Problem, eine gemeinsame Arbeitsplattform bereitzustellen. Allerdings fehlt hier die Dominanz, so dass vor allem ein Anreiz zur Nutzung der Plattform geschaffen werden muss. Und bei B2B-Transaktionen kann der Druck auch in die andere Richtung entstehen, wenn der Kunde auf Nutzung seiner Plattform besteht. In Richtung der Lieferanten sieht es hingegen einfacher aus – aber nur auf den ersten Blick. Hier könnte zwar der Anbieter einen Druck auf die Lieferanten zur Nutzung seines Systems ausüben. Spätestens wenn der Lieferant in mehreren Netzwerken beteiligt ist, kommt es zu einem Konflikt, da mehrere unterschiedliche Systeme keine optimale Unterstützung der Abläufe des Lieferanten sicherstellen können. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass es sich bei den Akteuren in den Netzwerken oft um kleine Unternehmen handelt, deren finanzielle und personelle IT-Kapazitäten stark begrenzt sind. Hier kann ein Ausweg nur durch die Sicherstellung der Interoperabilität mehrerer Systeme und durch einheitliche Schnittstellen erfolgen (siehe auch Schoop 2005, S. 64). Dann besteht die Chance, mehrere Systeme miteinander verknüpfen zu können und kompaktere Anwendungen zu erstellen, die sich auf die für kleinere Unternehmen relevanten Funktionen beschränken können. Es gibt somit in der Wirtschaftinformatik noch Handlungsbedarf, um die Erbringung von Kundenlösungen umfassend unterstützen zu können. Viele Ansätze sind vorhanden und müssen für Kundenlösungen stärker zusammengefasst werden. Neben dieser Integration ist gleichzeitig eine Öffnung der Anwendungen nötig, um einen anwendungsübergreifenden Austausch zu ermöglichen. Der Fokus der Wirtschaftsinformatik muss somit künftig stärker auf offenen Anwendungen und Schnittstellen liegen. 7.3
Weiterführende Forschungsfragen
Diese Arbeit hat aufgezeigt, welche Besonderheiten Kundenlösungen haben und welche Auswirkungen daraus für die betrieblichen Kommunikationsprozesse resultieren. Neben den im vorhergehenden Kapitel genannten Herausforderungen für die Wirtschaftsinformatik bleiben noch weitere Fragestellungen offen, die es im Umfeld von Kundenlösungen zu beantworten gilt: x Kundenlösungen wurden in dieser Arbeit als einheitliches Konzept vorgestellt. Nicht berücksichtigt wurde die Frage, ob es unterschiedliche Formen von Kundenlösungen gibt, die sich in verschiedenen Bereichen unterscheiden. Somit ist die Frage offen, in 179
wie weit eine weitere Systematisierung von Kundenlösungen sinnvoll ist und wie diese aussehen könnte. x Kapitel 6.7.3 zeigte auf, dass die drei Änderungsbereiche von Kundenlösungen auch auf Sach- und Dienstleistungen übertragen werden können und dass der Übergang zwischen den Leistungsarten fließend ist. Es ist daher noch zu untersuchen, ob auf Basis der drei Bereiche eine Leistungssystematik erstellt werden kann, in der Leistungen im Feld Sachleistung/Dienstleistung/Kundenlösung eingeordnet werden können. Im Rahmen dieser Arbeit sind auch die Abhängigkeiten der drei Dimensionen genauer zu untersuchen. x Offen bleibt auch, unter welchen Voraussetzungen eine Entwicklung zum Kundenlöser sinnvoll ist und wie sie konkret stattfinden soll. Es wurden zwar verschiedene Entwicklungsrichtungen aufgezeigt (vgl. Kapitel 3.2.4) und grundlegende Voraussetzungen genannt (Kapitel 6.7.2.1), aber eine ausführliche Analyse der Entwicklung zum Anbieter von Kundenlösungen, die z. B. in ein Phasenmodell münden könnte, fehlt bislang. Auch wurde bislang nicht betrachtet, ob Kundenlösungen in allen Branchen gleichermaßen sinnvoll sind oder ob sie vielmehr für einige Bereiche von größerer und für andere von geringerer Bedeutung sind. x Ein Anbieter von Kundenlösungen kann einen Teil der Leistungen selbst vorhalten. Hält er eine Leistung selbst vor, so stellt sich bei der Zusammenstellung des Projektnetzwerks die Frage, ob eine Eigen- oder Fremderbringung erfolgen soll. Diese Entscheidungen werden nicht nur allein aus Kostensicht fallen. Vielmehr ist zu vermuten, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen. So könnte die Eigenerbringung zum Beispiel als Signal für die Leistungsqualität aufgenommen werden. Es ist somit von Interesse, welche Faktoren für die Bereithaltung einer Leistung und welche für die Eigenerbringung sprechen. x Offen blieb auch die Frage, welche Netzwerkformen im Kontext von Kundenlösungen unter welchen Bedingungen sinnvoll sind. In der Vielfalt möglicher Netzwerkkonstellationen wird es Faktoren geben, die für oder gegen einzelne Formen sprechen. Dabei scheint sich der bisherige Forschungsschwerpunkt vor allem auf die vertraglich fixierten Netzwerke zu konzentrieren. Die in Kapitel 6.5.2 vorgestellte Netzwerkform kommt jedoch weitgehend ohne vertragliche Regelungen zwischen den Partnern aus. Somit ist auch zu klären, unter welchen Voraussetzungen vertragliche Regelungen notwendig und sinnvoll sind und wann diese evtl. eher hinderlich sind. Das weiteren ist hier auch von Interesse, welche Kommunikationsformen unter welchen Bedingungen sinnvoll und zielführend sind – das Beispiel der Mängelrüge bei BETA zeigt, dass in Netzwerken Aufgaben evtl. anders kommuniziert werden müssen als in anderen Konstellationen. x Im Rahmen der Erhebung in der Bauindustrie (Kapitel 5.3) wurde identifiziert, dass es Partner gibt, mit denen sehr eng zusammengearbeitet wird und solche, bei denen eine weniger enge Zusammenarbeit vorliegt. Es wurde auch gezeigt, dass nicht in erster Linie der Preis für die Wahl eines Partners entscheidend ist, sondern dass andere Faktoren eine bedeutendere Rolle spielen. Offen blieb die Frage, welche Faktoren zu einer engen 180
partnerschaftlichen Beziehung führen und welche Auswirkungen die Nähe auf das Kommunikationsverhalten zwischen Anbieter und Lieferant hat. Dabei ist insbesondere auch die Abhängigkeit der Beziehung von der Leistungsart zu berücksichtigen. x Offen bleibt auch die Frage der Effizienz bei der Erbringung von Kundenlösungen. Erwähnt wurde in der Arbeit insbesondere der eher hohe Anteil von Gemeinkosten. Der notwendige Informationsaustausch zwischen den Akteuren wird diese weiter steigen lassen und ist ein nicht unwesentlicher Kostentreiber, da mehrere Akteure dadurch gebunden werden. Hier ist interessant, wie ein sinnvoller Abgleich zwischen der Notwendigkeit eines Informationsaustausches und der Leistungseffizienz möglich ist. x In Kapitel 6.7.2.6 wurden Aussagen zu den Sprechakttypen und den Geltungsansprüchen bei der Kommunikation über Kundenlösungen herausgearbeitet, die darauf hindeuten, dass bei Kundenlösungen andere Sprechakttypen auftreten und andere Geltungsansprüche verletzt werden. Diese Aussagen mangeln allerdings noch einer empirischen Untersuchung, mit der die Zusammenhänge genauer analysiert werden können. x Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wie die bei Kundenlösungen bedeutenderen Rückkopplungen (vgl. Kapitel 6.7.2.6) auszugestalten sind. Hier besteht ein Gestaltungsspielraum, der das Erfordernis entsprechender Rückkopplungen mit dem dafür notwendigen Zeitaufwand und den Ansprüchen der Kunden abgleichen muss. Darüber hinaus hat die Arbeit auch verschiedene Fragestellungen tangiert, die nicht direkt mit Kundenlösungen zusammenhängen, sehr wohl aber einen Bedarf für weitere Forschungsarbeiten aufzeigen: x Auf das in Kapitel 6.5.2 identifizierte Beziehungsnetzwerk wird zwar in der wissenschaftlichen Literatur in unterschiedlicher Form eingegangen. Eine systematische Betrachtung dieses Netzwerks und eine Untersuchung seiner Bedeutung scheinen aber zum heutigen Zeitpunkt zu fehlen. x Bei der Definition von Kundenlösungen (Kapitel 3.2.2) war die Frage der Anwendbarkeit des Konzepts im B2C-Bereich zu erörtern. Auch im Rahmen der Fallstudien in der Bauindustrie wurde die Frage nach dem Unterschied zwischen dem B2B- und dem B2C-Geschäft tangiert. Zwar gibt es – insbesondere im Bereich des Marketings – einzelne Arbeiten zu diesem Thema. Eine ganzheitliche Darstellung der Unterschiede des B2C-Geschäfts im Vergleich zum B2B-Geschäft konnte aber nicht gefunden werden. Gleichwohl scheinen hier aber Unterschiede z. B. in der Entscheidungsfindung und in der Qualitätswahrnehmung vorzuliegen. x Ein sicherlich interessanter Randaspekt ist das in Kapitel 4.5 erwähnte Feedback von Dritten an den Kunden. Gerade bei Kundenlösungen ist es möglich, dass der Kunde von Dritten ein Feedback über die Leistung des Anbieters bekommt. Gelingt es dem Anbieter, dieses Feedback zu steuern, so könnte er damit die Leistungswahrnehmung des Kunden maßgeblich zu seinen Gunsten beeinflussen. Allerdings scheinen hierzu noch Forschungsarbeiten zu fehlen. 181
Die Forschung zu Kundenlösungen ist somit sicherlich noch nicht am Ende angelangt. Viele Fragestellungen gilt es noch zu beantworten und viele Fragen versprechen auch einen großen praktischen Nutzen. Die Arbeiten können dabei auf zahlreichen Ansätzen anderer Bereiche wie der Netzwerk- oder der Dienstleistungsforschung aufbauen. Kundenlösungen sind nichts völlig Neues, sondern eine konsequente Fortentwicklung hin zu einer stärkeren Kundenorientierung. Diese Einbeziehung verschiedener Forschungsschwerpunkte zu einer ganzheitlichen Sicht macht den Reiz der Arbeit an Kundenlösungen aus. Zugleich verspricht die Arbeit in diesem Bereich dadurch aber auch neue Erkenntnisse für die zahlreichen verwandten Disziplinen.
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Anhangverzeichnis Der Anhang ist nicht Teil dieser gedruckten Version. Er kann über folgende Quellen kostenlos bezogen werden: x Über die Website des Gabler-Verlages (http://www.gabler.de) in der Rubrik OnlinePLUS. x Über die von der Deutschen Nationalbibliothek vergebene URN urn:nbn:de:bsz:100opus-4814 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:100-opus-4814) Inhalt des Anhangs: Inhaltsverzeichnis des Anhangs .......................................................................................... 223 Anhang A: Erläuterungen zu den Übersichtstabellen ...................................................... 225 Zu Tabelle 1: Wesentliche Eigenschaften der Leistungsarten .......................................... 225 Zu Tabelle 2: Stakeholderübergreifende Auswirkungen von Kundenlösungen................ 225 Zu Tabelle 3: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Informationsphase ................................................................................................ 226 Zu Tabelle 4: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Vereinbarungsphase ............................................................................................. 228 Zu Tabelle 5: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der Abwicklungsphase................................................................................................ 229 Zu Tabelle 6: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden in der After-Sales-Phase ................................................................................................. 230 Zu Tabelle 7: Zentrale phasenunabhängige Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Kunden ....................................................................................... 231 Zu Tabelle 8: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Lieferanten.................................................................................................................. 232 Zu Tabelle 9: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Mitarbeiterbeziehung........... 234 Zu Tabelle 10: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Wettbewerb................................................................................................................. 235 Zu Tabelle 11: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zu den Kapitalgebern ............................................................................................................. 235 Zu Tabelle 12: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zum Staat ......... 236 Zu Tabelle 13: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehung zur Öffentlichkeit.............................................................................................................. 236 Zu Tabelle 14: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen bei der Akquisition ............ 237 Zu Tabelle 15: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Entwicklung .......... 237 Zu Tabelle 16: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beschaffung .......... 238 Zu Tabelle 17: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Leistungsphase ...... 239 Zu Tabelle 18: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen in der Nachvertragsphase .. 241 Zu Tabelle 19: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensinfrastruktur ......................................................................................... 242 Zu Tabelle 20: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Personalwirtschaft . 244
P. Kordowich, Betriebliche Kommunikationsprozesse bei Dienstleistern, DOI 10.1007/978-3-8349-8941-3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010
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Zu Tabelle 21: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Unternehmensentwicklung ......................................................................................... 245 Zu Tabelle 22: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf das Lieferantenmanagement ............................................................................................. 245 Zu Tabelle 23: Interne Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Public Relations .... 245 Zu Tabelle 24: Auswirkungen von Kundenlösungen auf die Beziehungen der Stakeholder untereinander .......................................................................................... 246 Anhang B: Co-MAP-Dokumentationen ............................................................................. 249 Co-MAP-Symbole ............................................................................................................. 249 Unternehmen ALPHA ....................................................................................................... 251 Unternehmen BETA .......................................................................................................... 258 Unternehmen CHARLIE ................................................................................................... 265 Anhang C: Fragebögen der Befragung zur Netzwerkstruktur in der Bauindustrie ..... 273 Fragebogen für die Anbieter von Kundenlösungen........................................................... 273 Fragebogen für die nachgelagerten Unternehmen ............................................................. 282 Anhang D: Rückläufe der Befragung zur Netzwerkstruktur in der Bauindustrie ........ 289 Struktur der Anbieter von Kundenlösungen ...................................................................... 289 Struktur der nachgelagerten Unternehmen ........................................................................ 290 Tätigkeitsfeld der nachgelagerten Unternehmen ............................................................... 291 Bewertung des Erfolgs und anderer Faktoren der Anbieter von Kundenlösungen ........... 292 Vergabe von Aufträgen ..................................................................................................... 293 Kriterien für die Auftragsvergabe ..................................................................................... 296 Anforderungen an den Auftraggeber ................................................................................. 302 Kommunikationsverhalten ................................................................................................ 307
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