BOMBA AUF DER JAGUARINSEL
BOMBA 4
ROY ROCKWOOD
BOMBA AUF DER JAGUARINSEL
AWA-VERLAG MÜNCHEN 8
Der Originaltitel...
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BOMBA AUF DER JAGUARINSEL
BOMBA 4
ROY ROCKWOOD
BOMBA AUF DER JAGUARINSEL
AWA-VERLAG MÜNCHEN 8
Der Originaltitel lautet:
BOMBA ON JAGUAR ISLAND Aus dem Amerikanischen übertragen von Dr. Hansheinz Werner Bearbeitung: Werner Gronwald, Wessling Umschlaggestaltung: Herm. M. Schneider, München Gesamtherstellung: AWA-Druck Krüger & Co. München Scan by Brrazo 07/2004
Printed in Germany Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
AWA-VERLAG MÜNCHEN
Etwas aus Bombas Leben Wer Bomba bei seinen Abenteuern im Dschungel begleitet, wird sicherlich mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba deshalb vor, ehe seine neuen Erlebnisse beginnen. Bomba ist vierzehn Jahre alt. Soweit er sich zurückerinnern kann, hat er im südamerikanischen Dschungel des Amazonas-Gebietes gelebt. Sein einziger Gefährte und Beschützer war ein alter Naturforscher, Cody Casson, der sich in ein weit abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um ganz seinen Forschungen zu leben. Als Bomba in das Alter kam, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion eines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und später fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für den Lebensunterhalt auf Bomba. In einem Alter, in dem andere Jungens ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, mußte sich Bomba mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba die Weisheiten und die Gesetze des Dschungels kennen, die es immer zu beherzigen galt. Er lernte die
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vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Raubtieren und Schlangen. Seine schulmäßige und geistige Erziehung ließ natürlich zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einst begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Urwald heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen, die Machete und – als kostbarster Besitz – ein fünfschüssiger Revolver. Die Schußwaffe hatte er von zwei Weißen geschenkt bekommen, denen er bei einem nächtlichen Angriff von Jaguaren das Leben gerettet hatte. Äußerlich glich Bomba also in vielen Dingen einem Indianer, und doch unterschied er sich in wesentlichen Anzeichen von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, welliges Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich und oft mit einem Schimmer von Melancholie, denn die Einsamkeit machte Bomba zu schaffen. Je älter er wurde, desto mehr drängte sich ihm die Erkenntnis auf, daß er kein eingeborener Dschungelbewohner war. Sein Wunsch, etwas über seine Herkunft zu erfahren, wurde immer stärker. Das einzige, was als Erinnerung an die Vergangenheit hin und wieder in Cassons Gedächtnis auftauchte, waren die Namen ,Bartow’ und ,Laura’. Aber der alte Naturforscher vermochte nie mit Bestimmtheit zu sagen, ob das die Namen von Bombas Eltern waren. 7
Im ersten Band – Bomba der Dschungelboy – wird erzählt, wie Bomba zwei weißen Gummisuchern das Leben rettete, wie er mit Raubtieren des Dschungels kämpfte, wie die Wohnhütte von Kopfjägern belagert wurde und wie ihm schließlich seine Freunde unter den Urwaldtieren zu Hilfe eilten und ihn befreiten. In einem Augenblick der Klarsicht erfuhr Bomba von seinem alten Gefährten, daß er weitere Kunde über seine Herkunft von Jojasta, dem Medizinmann des ,Laufenden Berges’, erhalten könnte. Im zweiten Band – Bomba im Berg der Feuerhöhlen – machte sich Bomba auf die weite und gefahrvolle Reise zum ,Lauf enden Berg’. Unterwegs rettete er eine weiße Familie vor den Kopfjägern und schloß Freundschaft mit dem gleichaltrigen Frank Parkhurst. Als Bomba schließlich nach Überwindung schlimmer Gefahren den ,Laufenden Berg’ erreicht hatte, erfuhr er vom sterbenden Jojasta nur, daß Sobrinini, die Hexe von der Schlangeninsel, ihm nähere Auskunft über seine Eltern geben könnte. Nur stückweise vermochte also Bomba das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften. Im dritten Band – Bomba am Großen Katarakt – fanden wir dann Bomba auf dem Wege zur Schlangeninsel. Unterwegs gerät er in die Hände der barbarischen und grausamen Kopfjäger, deren Häuptling Nascanora seit jeher sein persönlicher Feind und Widersacher ist. Auch Casson und seine alte Pflegerin Pipina sind entführt worden. Bomba gelingt die Befreiung, und er sucht auch Sobrinini auf der Schlangeninsel auf – doch wieder erhält er ungenügende Auskunft. Von Sobrinini erfährt Bomba nur, daß ihm Japazy auf der Jaguarinsel mehr über seine Herkunft berichten kann – und so finden 8
wir ihn jetzt auf dieser neuen abenteuerlichen und gefahrvollen Dschungelreise.
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1 Was der Blitz enthüllte Gewaltig und mit dämonischer Kraft tobte das Dschungelgewitter. Sturzbäche von Regen rauschten herab – der Donner schmetterte wie mit überirdischen Fanfaren – und die Bäume neigten sich, von den unsichtbaren Armen der Sturmdämonen gepackt und niedergezwungen. Bomba kauerte im Schütze eines überhängenden Felsens und lauschte. Da war noch ein anderes Geräusch – ein leises Rascheln und Knacken, das nicht von den Windstößen herrührte. Nur das Ohr des Dschungeljungen hörte den schwachen Laut aus dem Toben des Gewitters heraus. Nur Bombas scharfe Augen erkannten im bengalischen Licht aufflammender Blitznetze die dunklen Gestalten, die im Buschwerk dahinglitten. Tiefer kauerte sich Bomba in den Schatten des Felsens, und seine Rechte glitt zum Griff der Machete. Immer wenn er den Messergriff unter den Fingern spürte, überkam ihn ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit. In vielen gefährlichen Lagen war das zweischneidige, rasiermesserscharfe Buschmesser sein Helfer und Retter gewesen. Es war gut, sich daran zu erinnern. Ein Blitz zuckte zur Erde. Ein Donnerschlag folgte, als spalte eine Riesenaxt die Welt. Grell und deutlich, wie von Scheinwerfern angeleuchtet, waren jetzt wieder die Gestalten zu sehen gewesen. 10
Mit einem unterdrückten Ausruf ließ sich Bomba zur Seite gleiten. Auch ihm konnten die zuckenden Blitzstrahlen gefährlich werden. Ebenso wie er die Gestalten der Eingeborenen sah, mochte er von ihnen entdeckt werden, sobald sie den Blick wandten. Hinter dem Felsen war eine kleine Schlucht, die jetzt bis zur halben Höhe mit Wasser gefüllt war. Das Buschwerk am Rande bot guten Schutz gegen Sicht, und dort verbarg sich der Dschungelboy. Was er gesehen hatte, machte ihn abwehrbereiter und aufmerksamer als der Anblick einer schleichenden Raubkatze. Die dunklen Feinde, die er entdeckt hatte, waren die gefährlichsten des Urwaldes – gefährlicher als die riesige Anakonda, gefährlicher als der fauchende Puma oder der blutdürstige Jaguar. Es waren Kopfjäger – grausame, verschlagene Wilde aus dem Stamme des gefürchteten Häuptlings Nascanora. Drei Krieger hatte Bomba im schnellen Aufzucken des Blitzes gezählt. In vorgebeugter Haltung waren sie wie erstarrt dagestanden, die Hände um die Speerschäfte gekrallt. Ihre Augen hatten das Dunkel zu durchdringen versucht, das unter dem überhängenden Felsen herrschte. Während Bomba in sicherer Deckung lag, bedrängten Zorn und Furcht sein Herz. Er hatte keine Angst um sein eigenes Leben, aber er mußte an Cody Casson, seinen alten Gefährten, denken. Bomba wußte, daß die Kopfjäger den weißen Naturforscher in diesem entlegenen Gebiet suchten. Immer noch lastete der finstere Aberglaube über dem Stamme Nascanoras, daß Cody Casson ein ,Mann des Bösen’ wäre. Alle Krankheiten und Widrigkeiten, die Nas11
canoras Leuten zustießen, wurden dem harmlosen, kranken Greis und seiner angeblichen Zauberkunst zugeschrieben. Es war sicher, daß die Wilden auf Cassons Fährte waren. Sie würden versuchen, ihn gefangenzunehmen, ihn in ihr Dorf zu verschleppen und dort zu martern. Wenn der Tod seinen Leiden ein Ende bereitet hätte, sollte sein Kopf Nascanoras Wigwam zieren. Doch Bombas Lebensmut ließ es nicht zu, sich lange mit düsteren Vermutungen zu beschäftigen. Er vertraute der Schnelligkeit seiner Füße, der Sicherheit seines Blickes und der Kraft seiner Arme. Oft hatte er schon gegen Nascanoras Krieger kämpfen müssen. Jedesmal war der Sieg am Ende auf seiner Seite gewesen. Auch diesmal fürchtete er sich nicht davor, seine Kraft gegen ihre Stärke einzusetzen – seinen Verstand mit ihrer indianischen List zu messen. Mit schattenhafter Lautlosigkeit glitt Bomba am Rande der Schlucht entlang. Er hörte kein Geräusch, das auf eine Verfolgung schließen ließ. Trotzdem wußte er nicht genau, ob ihn die Feinde entdeckt hatten. War ihnen die Gestalt im Felsschatten so deutlich vor Augen getreten, wie ihm die Silhouetten ihrer Körper? Wenn sie ihn noch nicht entdeckt hatten, lag der Vorteil auf seiner Seite. Er hatte einen Vorsprung, und es konnte ihm gelingen, rechtzeitig die Hütte zu erreichen, in der Casson mit der alten Eingeborenen Pipina lebte. Das Gewitter war dicht über ihm. Unaufhörlich spalteten Blitze den Himmel und erhellten die Umgebung augenblickslang. Die dicken, grünen Seile der Lianen pendelten windgetrieben hin und her. Wie Fächer rauschten die Palm12
blätter auf und nieder, und der Sturm riß dem Jungen den Atem vom Munde. Tief gebeugt mußte er sich vorwärtskämpfen. Als ein Blitz aufzuckte, erkannte Bomba zur Rechten den dunklen Einschnitt eines schmalen Tretpfades. Hier zweigte der Weg ab, der zur Hütte führte. Auf seinem Wege zu Casson und Pipina war Bomba vom Unwetter überrascht worden, und er hatte unter dem vorspringenden Felsen Schutz gesucht. Von dort aus hatte er die umherschleichenden Kopfjäger entdeckt. Ein neuer Blitz fuhr schräg aus dem schwarzen Himmel herab und spaltete die Krone eines Baumes. Rauschend und krachend fuhr der Wipfel mit dem abgesplitterten Teil des Stammes durch das Geäst. Dicht vor Bomba sauste der blitzgefällte Baum zu Boden. Einer der Äste streifte ihn und fegte ihn rückwärts, als wäre er nur ein leichtes Blatt. Gleichzeitig prasselte ein Hagel von Castanhanüssen herab. Bomba erhob sich taumelnd vom Boden und befühlte seine Glieder. Es war noch einmal gut gegangen. Außer Hautabschürfungen und einer kräftigen Beule an der Stirn hatte er keine Verletzungen abbekommen. Etwas hinkend und mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sich Bomba gegen die Gewalt des Sturmes weiter. An mehreren Stellen mußte er sich mit der Machete mühsam seinen Weg bahnen. Wie Polypenarme griffen die Lianen nach dem Jungen. Mit kräftigen Schlägen schlug er sich seinen Pfad frei. Dann hielt Bomba plötzlich mitten im Schlag inne. Das schweflige Licht des Blitzes hatte ihm eine Bewegung in 13
den Farnen verraten. Beim Aufleuchten eines hüpfenden Kugelblitzes sah Bomba den flachen, häßlichen Kopf einer Jaracara vor sich. Die bösartige Klapperschlange des südamerikanischen Urwalds hatte den Vorderleib zum Stoß aufgerichtet. Dieser Anblick der drohenden Gefahr prägte sich Bomba in der Sekundenschnelle des Blitzes ein. Im nächsten Augenblick umgab ihn tiefste Dunkelheit. Aber Bomba wußte, daß die Jaracara jetzt zustoßen würde. Sein Körper machte eine schnelle Bewegung zur Seite. Gleichzeitig griff seine Hand zu. Bomba wußte, wo vor ihm in der Dunkelheit der Kopf der Schlange pendelte. Er wußte auch, daß ein falscher Griff für ihn den Tod bedeutet hätte. Als seine Finger sich um den glatten Schuppenhals dicht unterhalb des Schlangenrachens schlossen, spürte er für kurze Zeit Widerwillen und Ekel. Doch sein Griff lockerte sich nicht. Er lockerte sich auch nicht, als der Schlangenleib sich mit peitschenden Bewegungen um seinen Arm wand. Mit aller Kraft und mit der Geschmeidigkeit ihres schlüpfrigen Leibes versuchte die Jaracara, sich der tödlichen Umklammerung zu entziehen. Vergeblich! Allmählich wurden die schlagenden und zuckenden Bewegungen des Schlangenkörpers schwächer. Es kam der Augenblick, in dem die Klapperschlange nur noch wie ein dickes, lebloses Seil zwischen den Fingern des Jungen herabhing. Bomba hob den Arm und schlug den Kopf der Giftschlange mit aller Kraft auf einen Stein. Dann warf er den Leib des Reptils mit dem zertrümmerten Kopf weit von sich in die Büsche. 14
Bomba hatte das wichtigste Gesetz des Dschungels beachtet: er war schneller gewesen als sein angreifender Feind – schneller als die zischende und zustoßende Jaracara. Hastig eilte er weiter. Die Sorge trieb ihn vorwärts. Casson war allein und schutzlos, und er mußte so bald wie möglich die Hütte erreichen. Doch ein anderes Geräusch hemmte seinen Schritt. Es war nicht das sanfte Plätschern des Regens, nicht der Sturm, der die Äste knarrend hin und her bewegte. Es waren Körper, die sich durch das dichte Unterholz zwängten. Der Wind stand günstig, aber er trug nicht die Witterung von Raubtieren. Menschen waren es, die vor Bomba durch den Urwald glitten. Er hatte gehofft, seine Feinde hinter sich gelassen zu haben, und jetzt mußte er erkennen, daß sie auch vor ihm waren. Wieder befanden sich die Kopfjäger auf dem Kriegspfad. Der kleine Trupp zuvor war nur eine Nachhut gewesen. Von nun an mußte Bomba mit doppelter Vorsicht seinen Weg suchen. Er verharrte kurze Zeit, um einen gewissen Abstand zu seinen Feinden zu erlangen. Dann ging Bomba weiter. Er wollte die Kopfjäger umgehen, um vor ihnen bei der Hütte zu sein. Immer wieder lauschend, bahnte er sich seitwärts seinen Weg. Plötzlich erhellte ein Blitz die Umgebung. Als hätte ihn selbst der Blitzstrahl getroffen, ließ sich Bomba mit einem Sprung zur Seite fallen. Nicht weiter als
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zehn Meter von ihm entfernt, hatte er drei kriechende Gestalten erkannt. In dem einen jähen Atemzug der Helligkeit – in dieser Schrecksekunde des grellen Lichtes hatte Bomba die drei schwärzlich glimmenden Augenpaare der Wilden auf sich gerichtet gesehen. Er hatte die gelbe Kriegsbemalung auf ihren Leibern erkannt und die dunklen Köpfe – vorgereckt und mit lauernd-bösem Gesichtsausdruck. Drei Speerspitzen waren auf ihn gerichtet. Drei Speerspitzen funkelten in dem einen Augenblick der Helligkeit auf und deuteten auf sein Herz.
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2 Handgemenge mit dem Feind Bomba sprang auf und warf sich seitwärts in das Unterholz zurück. Keinen Augenblick zu früh! Mit wildem Geheul sprangen die Kopfjäger vor, und ihre Speere bohrten sich an jener Stelle in den Boden, wo Bomba eben noch gekauert hatte. Für Bomba wäre es nicht schwer gewesen, seinen Gegnern zu entkommen, wenn sie sich auf glattem Gelände bewegt hätten. An Schnelligkeit kam ihm so leicht niemand gleich. Doch jetzt galt es, sich den Weg durch dichtes Unterholz zu bahnen. In diesem Falle waren die Verfolger im Vorteil. Sie hörten den Fliehenden vor sich, und sie konnten den Pfad benutzen, den er sich mühsam bahnen und schlagen mußte. Bomba hatte deshalb die Fluchttaktik der leichtfüßigen Rehe mit der Gewandtheit der Baumbewohner zu vereinigen. Weite und lange Sprünge trugen den Dschungelboy über das niedere Gebüsch hinweg. Er federte sich mit der Kraft seiner schlanken Beine vom Boden ab, und seine Füße streiften über Knüppelholz und Dornenbüsche hinweg. An einer herunterhängenden kräftigen Liane schwang er sich über einen Wassertümpel. Hinter sich hörte er Platschen, Rufe und Fluchen. Einen Augenblick lang öffneten sich Bombas Lippen, und beim Lächeln zeigten sich zwei schimmernd-weiße Zahnreihen. Für kurze Zeit war es ihm gelungen, seine Verfolger abzuschütteln. Sie hatten den 17
Tümpel in der Hast nicht rechtzeitig gesehen und waren hineingestolpert. Ehe sie sich aufrafften und aus dem Hindernis herausarbeiteten, hatte der Junge wertvolle Minuten gewonnen. Stolz und Genugtuung erfüllten ihn. Nun hatte er bereits zwei Trupps der Kopfjäger hinter sich gelassen. Er hoffte für kurze Zeit, daß er keinem weiteren Feind begegnen würde, doch diese Hoffnung sollte sich als trügerisch erweisen. Plötzlich erklang vor Bomba ein Chor von wilden Schreien. Es waren Signale, die hinter seinem Rücken beantwortet wurden. Er war also hinten und vorn von Feinden umgeben. Der Rückzug war ihm abgeschnitten, und vor ihm lauerte die Hauptmasse seiner Gegner. Für den Augenblick gab es nur die Flucht nach oben. Mit einem Panthersprung hatte Bomba den untersten Ast eines hohen Baumes ergriffen. Er schwang sich hinauf und in wenigen Sekunden war die dunkle Gestalt des Dschungeljungen im Gezweig verschwunden. Zehen und Finger fanden auch im Dunkeln den geringen Halt, den Bomba brauchte, um nicht hinabzustürzen. Hoch im Wipfel glitt er auf einen Ast hinaus und legte sich so nieder, daß er im Lichtschein eines Blitzes die Umgebung am Boden beobachten konnte. Er brauchte nicht lange zu warten. Bald hörte er das Knacken von Ästen und das dumpfe Geräusch von laufenden Füßen. Ein Dutzend Indianer eilten unter seinem Baum vorüber. Sie trafen mit den drei Kriegern zusammen, die Bomba verfolgt hatten. 18
Im Rauschen des Sturmes vermochte er kein Wort zu verstehen, aber er konnte sich denken, daß Wut und Enttäuschung im aufgeregten Palaver der Kopfjäger zum Ausdruck kamen. Eine Weile lang war der Stimmenwirrwar zu hören. Dann entfernten sich die Laute. Von neuem wurde Bomba enttäuscht. Zwei Blitzkaskaden tauchten dicht hintereinander die Landschaft in magisches Licht. Dabei entdeckte Bombas scharfes Auge einige Gestalten, die sich dicht an den Stamm eines nahen Baumes preßten. Diesen Spähtrupp hatten die Krieger zurückgelassen, um ihm aufzulauern. Bomba lächelte grimmig. Gute Zeit zum Warten, dachte er. Doch seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen von einem fahlen Blitzschlag mit sofort folgendem harten, trockenen Knall. Dann ließ ein schmetternder Donner den Boden erbeben. Der hohe Baum, unter dem die Indianer standen, war vom Blitz getroffen worden. Der mächtige Stamm schwankte – dann senkte er sich mit majestätischer Langsamkeit und krachte zwischen den anderen Bäumen nieder. Wie von einem Erdstoß wurde der Boden erschüttert, als der riesige Baum aufschlug und die Äste mit großem Getöse zerbarsten. Dem Fall des Urwaldriesen folgte ein grauenerregender Schrei. Bomba preßte die Lippen aufeinander. Es war nicht der Augenblick, um sich zu freuen. Trotzdem erfüllte ihn eine grimmige Genugtuung. Jemand, der stärker war als er, hatte ihm in dem Kampf gegen seine mörderischen Feinde beigestanden. 19
Ein neuer Blitz zeigte Bomba, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Oberkörper eines Menschen ragte unter dem gefällten Stamm hervor. Die Arme waren nach vorn gestreckt, als wollten sie allein noch der tödlichen Presse entfliehen. Eines war sicher. Die anderen Indianer hatten in kopfloser Flucht den Unglücksort verlassen. Für sie hatte die Stimme der Götter gesprochen. Sie waren gemahnt worden, diesen Platz zu meiden. Der Tod ihres Gefährten war die schärfste Warnung, die sie erhalten konnten. Bomba wartete noch kurze Zeit. Als sich nichts mehr in der Nähe des vom Blitz gefällten Baumes rührte, glitt er lautlos und geschmeidig vom Baum herab, und als seine Füße den Boden berührten, hielt er, dicht an den Stamm geschmiegt, an. Wenige Augenblicke später war seine Gestalt im Unterholz verschwunden. Er kam zügig voran, und in den nächsten Minuten trat ihm nichts in den Weg. Der Wille, schnell die heimische Hütte zu erreichen, ließ Bomba für kurze Zeit die notwendige Vorsicht vergessen, und er erkannte nicht die Gestalt, die seitwärts hinter einem Baum auf ihn lauerte. Als Bomba an dem Baum vorübergeeilt war, kam Leben in die reglose Gestalt. Mit einem Panthersprung setzte sie dem Jungen nach. Ohne einen warnenden Laut fühlte sich Bomba plötzlich von hinten ergriffen und niedergerissen. Finger schlossen sich wie stählerne Klammern um seinen Hals. Der penetrante Schweißgeruch des Wilden drang in Bombas Nase. Einen Augenblick lang hörte er die kehlige 20
Stimme des Kopfjägers. Es war ein wilder, triumphierender Laut, der aus dem Munde des Mannes kam. Als ihn der Angreifer von hinten niederriß, schnellte sich Bomba mit einer kräftigen Schulterbewegung zur Seite. Er fiel auf den Rücken, und der Kopfjäger halb über ihn. Bomba wußte, daß ein Kampf auf Leben und Tod begonnen hatte. Der Donner gab die düstere Begleitmusik zu der Kampfszene im Urwald. Hin und wieder erhellte ein Blitzstrahl den Platz, und in seinem Licht waren die verschlungenen Glieder der beiden dunkelhäutigen Kämpfer zu erkennen. Bombas Atem ging schwer und rasselnd. Er vermochte den Griff der Finger um seinen Hals kaum zu lockern. Der Gegner hatte ein Knie auf seine Brust gesetzt, und im Gesicht des Feindes war ein häßliches Grinsen des Triumphes zu sehen. Dieser Anblick erweckte noch einmal Bombas erlahmende Kräfte. Seine Finger umspannten die Handgelenke des Wilden. Gleichzeitig zog er das rechte Bein zurück und stieß es mit voller Wucht in den Leib seines Bezwingers. Der Stoß wirkte auf den Kopfjäger wie der Magenhaken eines Boxers. Augenblickslang zuckte er vor Schmerz zusammen, und der Griff seiner Finger lockerte sich. Diesen Moment nutzte Bomba aus, um die stählerne Klammer an seinem Hals zu sprengen. Sofort war er auf den Beinen. Mit einem Knurren sprang der Kopfjäger wie ein gereiztes Raubtier ebenfalls auf. Die Klinge seines kurzen Messers blinkte im Zwielicht auf.
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Dorthin, wo das Messer in der Hand des Indianers aufgeleuchtet hatte, traf der harte Schlag von Bombas Faust. Das Messer des Indianers flog im hohen Bogen ins Gebüsch. Aber der Kopfjäger war kein schwacher Gegner. Er sprang mit einem Wutgebrüll auf Bomba zu und packte sein Handgelenk. Mit einem geschickten Griff wollte er dem Jungen die Machete entwinden. Muskelkraft stand gegen Muskelkraft, und die Spitze der Machete schwebte in der Luft; Leib an Leib keuchten und kämpften die beiden um den Besitz der tödlichen Waffe. Mit einer blitzschnellen Drehung entwand sich Bomba nach rückwärts. Ehe der Indianer seiner Bewegung folgen konnte, hatte Bomba einen Abstand von einigen Metern gewonnen – und dann schleuderte er die tödliche Machete. Doch der Wilde stolperte im gleichen Augenblick, und die Waffe streifte nur seinen Kopf. Als der Krieger der Länge nach zu Boden fiel, war Bomba mit einem Sprung über ihm.
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3 Die brennende Hütte Mit beiden Füßen landete Bomba mitten auf dem Rücken des Indianers und versetzte ihm einen Schlag mit der Ferse gegen die Schläfe. Dann beugte er sich nieder und erkannte, daß sein Gegner ohnmächtig war. Bomba war kein Mörder. Niemals würde er einen Wehrlosen töten. Ohne sich weiter um den Indianer zu kümmern, machte er sich auf die Suche nach seiner Machete. Die wertvolle Waffe wollte er auf keinen Fall zurücklassen. Er schätzte die Richtung ab, in der er das Messer geworfen hatte und kam geradewegs an einen breiten Baumstamm. Seine Hand tastete über die Rinde. Plötzlich berührte er den Stahl der Messerklinge. Die Machete steckte im Stamm, und er zog sie mit Mühe heraus. Jetzt galt es keine Zeit zu verlieren. Wenn auch der Kampf nahezu geräuschlos vor sich gegangen war, so konnten doch in der Nähe Gefährten des bezwungenen Kopfjägers lauern. Bomba war zu erschöpft, um einen zweiten Kampf riskieren zu können. Er mußte froh sein, daß er jetzt zum dritten Male in dieser Nacht den Kopfjägern entgangen war. Die Gewalt des Unwetters ließ jetzt nach, und Bomba versuchte, sich zu orientieren. Der Pfad, den er benutzen mußte, verlor sich seitwärts im Gestrüpp, und in dieser Richtung verschwand er. Nur der schlaffe Körper des be23
zwungenen Kopfjägers blieb als Mahnung und Drohung für Nascanora und seine Leute zurück. Bald würden sie ihren ohnmächtigen Krieger finden, und sie würden wissen, daß Bomba immer noch der gefährlichste Gegner im Dschungel war. Auf seinem Wege zu Pipinas Hütte hatte Bomba noch alle möglichen Hindernisse zu überwinden. Dort, wo vor wenigen Stunden noch trockene Gräben gewesen waren, flossen jetzt Bäche. Einige Sumpflöcher waren zu kleinen Seetümpeln geworden. Umgestürzte Bäume versperrten mit ihren Ästen den Weg, und mehr als einmal sah sich der Junge gezwungen, seinen Weg über der Erde – an baumelnden Lianen durch die Luft schwebend – fortzusetzen. Das letzte Stück des Weges lief er am Fluß entlang, auf einem Pfad, der leicht zu übersehen war. Hier konnte ihn niemand überraschen. Er hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Während er in seinem leichten, unhörbaren Raubtierschritt dahineilte, gingen düstere und kummervolle Überlegungen durch seinen Sinn. Warum hatte ihn das Schicksal dazu verdammt, immer in Gefahr zu schweben? Er war ein Weißer, und er hätte ein Anrecht darauf, wie sein Freund Frank jeden Tag mit seinesgleichen beieinander zu sein. Er könnte die Wunder der großen Städte kennenlernen. Er könnte in den Maschinen durch die Luft schweben, von denen Frank gesprochen hatte, und er könnte vor allen Dingen Freunde und Gefährten von seiner Art haben. Warum war ihm das nicht vergönnt? Bomba mußte an seine Abenteuer auf der Schlangeninsel denken. Dort hatte er in einem merkwürdigen kleinen 24
Raum ein Bild an der Wand gesehen. Eine schöne Frau mit blondem Haar und sanften, traurigen Augen hatte ihm aus dem Rahmen entgegengelächelt. Er träumte oft von diesem Antlitz und stellte sich vor, es wäre ein Bildnis seiner Mutter. War es so? Hätte Sobrinini, die Herrscherin auf der Schlangeninsel, ihm das Geheimnis preisgeben können? Es war eine Tragik in Bombas Leben, daß sowohl Cody Casson wie auch Sobrinini nicht im Vollbesitz ihrer Geisteskräfte waren. Diese beiden kannten das Geheimnis seiner Herkunft, und gerade von ihnen konnte er nichts Wesentliches erfahren. War er, Bomba, jener Bonny, von dem die halbirre Sobrinini gesprochen hatte? War er der Sohn Bartows und Lauras? Viele Fragen und keine Antwort! Bomba seufzte und verscheuchte die trüben Gedanken. Je näher er der Hütte kam, um so vorsichtiger wurde sein Schritt. Im Wasser spiegelte sich jetzt die spitze Sichel des Mondes und das zerrissene Gewölk, das lautlos und schnell am Himmel dahinglitt. Nach dem Unwetter war es still im Dschungel geworden. Sogar die gewöhnliche Melodie der Dschungelnacht war heute nicht zu hören. Noch lagerten die Raubtiere verängstigt in ihren Höhlen. Unvermittelt blieb Bomba stehen und lauschte. Verstohlen und leise drang ein plätscherndes Geräusch vom Wasser her an sein Ohr. Es wiederholte sich in gleichmäßigen Abständen. So leise es auch war, Bomba erkannte, daß Paddel durch das Wasser bewegt wurden. Die Kopfjäger fuhren in Kanus flußaufwärts! Und flußaufwärts lag auch Pipinas Hütte. Lautlos eilte Bomba zum 25
Flußufer hinab. Aber es war nichts zu sehen! Auch das Geräusch der Paddel war jetzt nur noch leise zu hören. Die Kanus entfernten sich immer weiter flußaufwärts. Es gab Alligatoren in diesem Flußgebiet, aber Bomba dachte jetzt nicht an die Gefahr. Er ließ sich nicht einmal die Zeit, zu seinem flußabwärtsliegenden Kanu zu eilen. Unhörbar stieg er in das Wasser und watete ein Stück weiter. Die Paddelgeräusche waren fast nicht mehr zu hören. Bomba schwamm in schnellen Zügen in Ufernähe dahin. Er konnte nicht mehr hoffen, vor den Kopfjägern drüben am anderen Ufer bei der Hütte zu sein, aber er beeilte sich dennoch, so gut es ihm möglich war. Im Wasser war er ebenso zu Hause wie auf dem Lande. Er kam schnell voran. Oft schwamm er untergetaucht, um auch einem spähenden Auge am Ufer seine Anwesenheit nicht zu verraten. Silbern zerteilte sich das vom Mondlicht überflutete Wasser, wenn er die Hände eintauchte. Bald lag die letzte Flußbiegung vor ihm. Dahinter stand Pipinas Hütte, der neue Zufluchtsort, zu dem er Casson geschafft hatte. Aber auch dieses Versteck hatten die Kopfjäger bereits ausgekundschaftet. Jetzt umschwamm Bomba die Landzunge. Vor Wut und Empörung hätte er beinahe einen lauten Schrei ausgestoßen. Was er vor sich sah, bestätigte seine schlimmsten Ahnungen. Widerschein von Flammen spiegelte sich im dunklen Wasser. Zwischen den Bäumen glühte roter 26
Feuerschein. Mit einem Male stoben Funken über die Baumwipfel empor. Bomba schwamm so schnell er konnte. Noch trennten ihn etwa sechzig Meter vom Ufer, als er plötzlich innehalten und auf der Stelle Wassertreten mußte. Ein dunkler Fleck war an die Wasseroberfläche getaucht. Genau zwischen ihm und dem Ufer war dieser verdächtige Fleck. Es war nicht nötig, näher heranzuschwimmen. Bomba wußte, daß er einen großen Alligator vor sich hatte.
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4 Schreckliche Kiefer Ohne Zeit zu verschwenden, änderte Bomba sofort seinen Kurs. Er glitt in die Strömung und schwamm flußabwärts schräg auf das nahe Ufer zu. Noch konnte er hoffen, daß der Kaiman schliefe. Aber das Näherkommen des dunklen Fleckes und die sich dahinter teilende Kiellinie belehrten ihn bald, daß das furchtbare Reptil hellwach war. Beide schwammen sie zum Ufer auf den gleichen Punkt zu – der Kaiman und Bomba. Wer würde zuerst dort ankommen? Wenn ihm der Alligator den Rückweg ans Ufer abschnitt, war Bomba verloren, das wußte er. Als Bomba Grund unter den Füßen fühlte, trennten ihn nur noch wenige Meter von dem aufgerissenen Rachen der beutegierigen Echse. Mit einem wuchtigen Stoß seiner Beine warf er sich in einer letzten Kraftanstrengung dem Ufer entgegen in das seichte Wasser. Ruckartig schnellte er auf. Jetzt waren seine Chancen in einem Kampf besser geworden. Er riß den Bogen von der Schulter und einen Pfeil aus dem Gürtel. In einer einzigen fließenden Bewegung war er schußbereit. Der Pfeil verließ schwirrend die Sehne. Auf dem Wasser lag der Widerschein der brennenden Hütte, und der Kopf des Alligators war ein gutes Ziel gewesen. Mitten in eines der tückischen schiefen Augen traf der Pfeil. Wie ein Delphin schnellte sich das Reptil 28
hoch aus dem Wasser. Das Schwanzende peitschte durch die Luft und traf Bombas Bein. Der Junge wurde wieder in den Fluß hinausgeschleudert. Seine Freude über den Sieg war jedoch im Augenblick so groß, daß er nicht auf den Schmerz achtete. Aber noch hatte der Fluß ihn nicht freigegeben. Von rechts näherte sich ein zweiter Kaiman. Wieder begann ein Wettschwimmen auf Leben und Tod. Diesmal war das Ufer jedoch näher. Als Bomba Grund spürte, rannte er durch das seichte Wasser an Land. Auch diesmal war er keine Sekunde zu früh auf das rettende Ufer gekommen. Hinter ihm rauschte das Wasser gurgelnd auf. Dann hörte er das Zuklappen der schrecklichen Kiefer und ein böses, heiseres Bellen. Als er sich umwandte, hatte Bomba den Kopf des Alligators dicht vor sich. In ihrem Ansturm war die Bestie halb aus dem Wasser geklettert. Sie gab jedoch die Verfolgung auf. Ein Instinkt sagte ihr wohl, daß sie diese zweibeinige Beute auf dem Lande nicht erjagen konnte. Im ersten Impuls hatte Bomba einen weiteren Pfeil auf die Sehne gelegt, doch seine Vorsicht mahnte ihn, seine Pfeile zu sparen, da er seine Geschosse wahrscheinlich nötiger brauchen würde. Eilig wandte er sich dem Buschstreifen zu, der zwischen dem Ufer und der Hütte lag. Das brennende Blockhaus stand mitten auf einer Lichtung. Bomba war sicher, daß die Kopfjäger noch in der Nähe sein mußten, die die Hütte angezündet hatten. Sie würden aus sicheren Verstecken ihr Zerstörungswerk be29
wundern. Wenn Bomba jetzt über die Lichtung eilte, würde er ein gutes Ziel für ihre Pfeile sein. Dennoch war die Unruhe und Angst des Jungen so groß, daß er den gefährlichen Lauf wagen wollte. Er dachte an Casson und Pipina. Waren sie noch in der Hütte? Er mußte versuchen, sie zu retten, koste es, was es wolle! In vier gewaltigen Sprüngen war Bomba fünfzehn Meter weit auf die vom Feuerschein erhellte Lichtung gesprungen. Er ließ sich flach in das hohe Gras fallen. Hinter ihm bohrten sich mehrere Pfeile in den Boden. Bomba hatte also richtig vermutet. Er hatte die Zeitspanne ausgenutzt, die ihm die Verblüffung der Indianer gelassen hatte. Ehe die Kopfjäger Zeit fanden, einen neuen Pfeil auf den Bogen zu legen, war Bomba wieder aufgesprungen und hatte im Zickzacklauf weitere fünfzehn Meter zurückgelegt. Seitlich von ihm ging der Pfeilregen nieder. Sofort sprang Bomba auf und hetzte weiter. Doch diesmal war einer der Indianer schneller gewesen. Ein Pfeil streifte Bombas Fußknöchel, als er sich zu Boden warf. Wenn es ein Giftpfeil war, konnte das den Tod bedeuten. Im Augenblick hatte er keine Zeit, sich um seine Verwundung zu kümmern. Vorwitzig hatte einer der Indianer seine Deckung hinter dem Buschwerk verlassen. Ein Pfeil war im Nu auf Bombas Bogen. Die Sehne straffte sich, und der Pfeil schnellte davon. Drüben am Rande der Lichtung warf der Kopfjäger in einer grotesken Bewegung die Arme in die Luft. Er machte
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einen Sprung nach vorn und fiel mit einem Schrei auf das Gesicht. Sie haben ihre Warnung, dachte Bomba. Sie wissen jetzt, daß ich schießen kann, und daß ich noch Pfeile besitze! Bomba hatte einige Sekunden Atempause gewonnen. Er hatte jetzt eine Stelle erreicht, an der neben der Hütte niederes Buschwerk wuchs, und im Schütze dieser Sträucher kroch er weiter. Wenn er geglaubt hatte, noch in die Hütte eindringen zu können, so mußte Bomba jetzt seinen Irrtum einsehen. Heiß wehte ihm der Feueratem des Brandes entgegen. Das Blockhaus brannte lichterloh. Lebend konnte niemand mehr in der Hütte sein. Bombas Kummer wurde für kurze Zeit so übermächtig, daß er alles ringsumher vergaß. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er auf die lodernden Flammen, die knisternd und prasselnd das Holz der Hütte zerfraßen. Das war sein neues Heim gewesen! Auch von hier hatten ihn jetzt die Kopfjäger vertrieben. Vielleicht waren Casson und Pipina dem Brande zum Opfer gefallen. Und vielleicht würde er selbst das nächste Opfer der mordgierigen Wilden sein. Geräusche von der anderen Seite der Lichtung erregten Bombas Aufmerksamkeit. Die Kopfjäger griffen an! Gebückt traten sie aus der Deckung und eilten auf die Lichtung hinaus. Es war ein wüster, furchteinflößender Anblick. Die dunklen Gesichter wurden vom Feuerschein erhellt. Im flackernden Licht der Flammen huschten die Gestalten mit der gelben Kriegsbemalung dahin. Sie hatten sich einen Angriffsplan zurechtgelegt. Zuerst gingen sie in 31
Reihe vor, dann schwärmten sie im Halbkreis aus. Wenn Bomba flüchten wollte, blieb ihm nur der Rückzug zum Wasser, aber dort war er in jedem Falle verloren. Erreichten ihn nicht die Pfeile der Kopfjäger, dann wurde er eine Beute der Alligatoren. Überall boten sich Ziele für Bombas Pfeile. Doch die Zahl der Feinde war zu groß. Bomba schätzte, daß ihn mehr als zwanzig Kopfjäger angriffen. Aber er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Er war es gewöhnt, zu kämpfen, und er würde auch diesmal bis zum letzten Atemzuge die Machete schwingen. Sein Pfeil sauste davon. Ein Krieger griff an seine bemalte Brust und versuchte den Pfeilschaft herauszuziehen. Vergeblich! Mit einem grellen Aufschrei stürzte der Wilde zu Boden. Die Kopfjäger stürmten vorwärts. Unwillkürlich trat Bomba näher an die Hütte heran. Sofort änderten die Krieger ihre Angriffsrichtung. Jetzt drängten sie ihn auf das brennende Blockhaus zu. Jeder andere Fluchtweg war nun abgeschnitten. Der nächste Pfeil durchbohrte den Hals eines Wilden. Mit einem röchelnden Stöhnen sank er zusammen. Seine Gefährten kümmerten sich nicht um ihn. Sie waren jetzt bis auf zehn Meter an Bomba herangekommen. Leicht hätten sie ihn mit ihren Pfeilen niederstrecken können – aber es war ihr Ehrgeiz, den Feind lebend zu fangen. Ein toter Gegner versprach kein Marterfest. Bomba warf den Bogen fort und zog die Machete. Kampfbereit stand er da. Sein Blick war furchtlos und 32
kühl. Vielleicht gab es noch eine Chance für ihn. Irgendeine Unachtsamkeit der Kopfjäger konnte ihm zu Hilfe kommen. Nie durfte man sich verlorengeben, bevor der Kampf zu Ende war. Mit einem betäubenden Triumphgeheul sprangen die Wilden vorwärts. Sie waren jetzt dicht vor Bomba. Noch einen Schritt trat der Junge zurück – und im gleichen Augenblick warf ihn der Luftdruck einer Explosion zur Seite. Eine scharfe Detonation krachte wie ein Donnerschlag gegen Bombas Trommelfell. Im Fallen sah er noch, wie die Eingeborenen ebenfalls zu Boden geschleudert wurden. Geschosse sausten pfeifend durch die Luft. Der erste, der seine Geistesgegenwart wiederfand, war Bomba. Er erhob sich vorsichtig auf die Knie und lächelte unwillkürlich bei dem Anblick, der sich ihm bot. Die Indianer waren im Rückzug. Vorsichtig krochen sie davon. Diesem Zauber waren sie nicht gewachsen! Unsichtbare Hände hatten sie ergriffen und zu Boden geschleudert! Wie sollten sie sich gegen Arme wehren, die sie nicht sehen konnten? Wie das Knattern eines Maschinengewehres folgten weitere Explosionen. Eines der Geschosse mußte wohl einen Kopfjäger getroffen haben. Er sprang auf und rannte in wilder Hast davon. Nun waren auch seine Gefährten nicht mehr zu halten. Sie stürzten weiter und hielten erst an, als sie den Waldrand erreicht hatten. „Böser Zauber!“ grollte einer der Männer.
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„Lufthände haben Naula ergriffen und zu Boden geschmettert!“ beteuerte ein anderer. „Menu auch!“ rief ein dritter dazwischen. „Alle unsere Krieger sind vom bösen Zauber zu Boden geworfen worden“, meinte der Unterhäuptling. „Das kann nur das Werk des alten Zauberers sein! Nascanora weiß, warum er ihn töten will!“ „Und der junge Zauberer ist auch noch am Leben“, schnatterte Naula erregt. „Da steht der kleine Teufel und grinst herüber!“ Der Unterhäuptling griff zornig nach Pfeil und Bogen. Doch ehe er schießen konnte, klatschte eines der geheimnisvollen Geschosse auf seine Brust. Mit einem Schmerzgeheul sprang der Unterhäuptling mindestens drei Meter rückwärts. Dann wandte er sich zur Flucht. Dieser letzte Beweis für die Zauberkräfte der Weißen war zu deutlich gewesen. Die Kopfjäger verschwanden im Urwalddickicht. In der Hütte war der Munitionsvorrat für Bombas Revolver explodiert – das war die einfache Erklärung für den geheimnisvollen Vorgang. Diese Explosion zur rechten Zeit hatte Bomba davor bewahrt, in die Gefangenschaft der Kopfjäger zu geraten. Doch Bomba empfand jetzt keine Freude über seine Rettung. Hinter ihm war die Hütte – brennend und schwelend – bald nur noch ein Rest verkohlter Balken. Wenn Casson tot war, so sollten ihm das die Kopfjäger büßen! Er war voller Wut und Kummer – aber er überhörte nicht die
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leisen Laute, die aus dem Busch an sein Ohr drangen. Was war das? Er hob den Kopf und lauschte.
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5 Pipina berichtet Wieder war es zu hören! Es klang wie leises Rufen – wie Jammern oder unterdrücktes Stöhnen „Hilf mir!“ rief die gespenstische Stimme aus der Dunkelheit des Urwaldes. „Hilf mir! Bomba!“ Der Junge hatte Pipinas Stimme erkannt. Freude zuckte durch sein Herz. Pipina lebte! Dann war vielleicht auch Casson noch am Leben! Er eilte in die Richtung, aus der die Hilferufe an sein Ohr gedrungen waren. „Bomba! Hörst du mich?“ flehte Pipinas Stimme wieder. „Ich bin gefangen! Gefangen in den Dornen! Hilf mir!“ Es beunruhigte den Jungen, daß nur Pipina rief und Cassons Stimme nicht zu hören war. Doch er hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Schnell hackte er sich mit der Machete einen Pfad in die Dornenfestung des Unterholzes. Näher und näher kam er der jammernden Frauenstimme. Dann sah er Pipina vor sich. Durch die Bäume fiel das Mondlicht auf ihre hochgereckten Arme. Die Alte war vollkommen von Dornengestrüpp umklammert. In kopfloser Flucht mußte sie mitten hineingerannt sein. Jetzt vermochte sie sich aus eigener Kraft nicht mehr zu befreien, denn ihre Arme und Beine waren übel zugerichtet.
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Vorsichtig und geschickt löste Bomba die alte Frau aus der Hecke. Sie taumelte in seine Arme, und er stützte sie. Dann traten sie vorsichtig ins Freie. Bomba vermochte seine Ungeduld nicht mehr zu zähmen. „Wo ist Casson?“ rief er. „Was ist geschehen, Pipina?“ Die Alte ließ sich auf einen Baumstamm sinken. „Ich bin schwach, Bomba“, flüsterte sie. „Aber ich will dir alles erzählen.“ Nach Art der Eingeborenen kauerte sich Bomba auf den Fersen hockend vor ihr nieder. Der Blick seiner braunen Augen ruhte erwartungsvoll auf dem verwitterten Gesicht der alten Squaw. Aber bevor sie zu sprechen anfing, warf sie einen schreckhaften Blick um sich. „Die Kopfjäger?“ fragte sie angstvoll. „Sind sie fort?“ Bomba hob beruhigend die Hand. „Sie sind geflohen! Sie sind alle fort!“ Die Alte begann den Oberkörper langsam hin und her zu wiegen. „Es war eine schlimme Zeit für Casson und Pipina“, sagte sie klagend. „Wir waren allein in der Hütte und warteten auf Bomba. Dann kam das Gewitter! Ein großes Gewitter – es brüllte wie hungrige Pumas!“ „Ich konnte nicht eher kommen“, sagte Bomba bekümmert. „Das Unwetter überraschte mich. Dann verfolgten mich die Kopfjäger, und ich eilte zu euch.“ Pipina nickte traurig. „Wir saßen in der Hütte und warteten auf Bomba! Ich ahnte die Gefahr, und deshalb flehte ich, daß Bomba kom37
men möchte. Gody Casson war nicht gesund. Er sprach viele wirre Worte. Pipina konnte ihn nicht verstehen!“ Bomba ergriff den Arm der Alten. „Was sagte er? Welche Worte sprach er?“ Pipina runzelte die Stirn. „Wirr redete Casson! Er ging in der Hütte hin und her und sagte: ,Laura, liebe Laura! Ich muß es Bomba sagen! Bartow – Laura – der kleine Junge ja, das will Bomba wissen!’ Dies sagte Casson immer wieder.“ „Weiter!“ rief Bomba erregt. „Was sagte er noch?“ Die Alte schüttelte traurig den Kopf. „Mehr sagte er nicht – immer nur diese Worte. Und dann hörten wir Geräusche. Wir dachten, Bomba käme, und freuten uns. Aber es waren die Kopfjäger – wir sollten es bald erfahren!“ Bomba ballte die Faust. „Sie waren schneller als ich! Sie hatten Boote!“ Die Alte erzählte in monotoner Klage weiter. „Casson und Pipina schlossen die Tür und schoben den Riegel vor, wie es Bomba gesagt hatte. Die Kopfjäger kamen herbeigelaufen! Pipina sah sie durch die Scharten!“ Das faltige Gesicht der Alten verzerrte sich in Entsetzen und Abscheu. „Beim Gehen klapperten die Köpfe gegeneinander, die sie am Gürtel trugen! Viele frische Köpfe von Frauen und Kindern! Und sie wollten noch mehr – sie wollten unsere Köpfe auch! Als sie an die Tür kamen, rief einer: „Macht auf! Niemand wird euch etwas zu Leide tun. Nascanora ist Cassons Freund!” 38
Bomba schnaubte verächtlich. „Casson öffnete nicht“, fuhr Pipina fort. „Er sprach höhnische Worte zu Nascanora, und der Häuptling wurde wütend. Er trommelte gegen die Tür und schrie: ,Wir werden euch verbrennen! Wir werden euch ausräuchern! Der Zauberer Casson soll einen qualvollen Tod in der Hütte sterben!’ Sie brachten Laub und Äste. Aber es war naß vom Regen. Lange dauerte es, ehe Pipinas Hütte brannte.“ Bomba schüttelte verwirrt den Kopf. „Und ihr? Wie kannst du leben, wenn die Hütte verbrannt ist?“ Das Gesicht der Alten zog sich verschmitzt zusammen. Die schwarzen Augen blinzelten listig. „Unter Pipinas Hütte ist ein Gang, der in den Dschungel führt!“ Bomba starrte sie an. „Ein Gang? Ein Tunnel? Und das hast du mir nie gesagt?“ Die Squaw lächelte stolz. „Pipina allein wußte es!“ Bomba war so aufgeregt, daß er aufsprang und die Schultern der Alten schüttelte. „Weiter!“ rief er. „Was wurde aus dir und Casson?“ „Pipina kroch mit Casson durch den Gang. Als wir ins Freie kamen, war es kalt und naß im Dschungel!“ „Also ist Cody Casson auch entkommen?“ Die Squaw nickte. 39
„Wir stiegen aus dem Loch“, berichtete sie weiter. „Das war weit weg von der Hütte – weit weg von Nascanora! Wir liefen noch weiter in den Dschungel hinein!“ „Ihr habt euch versteckt?“ fragte Bomba. Pipina nickte. „Da drüben ist ein großer Felsen. Wir versteckten uns dort. Pipina spähte auf die Lichtung und auf die brennende Hütte. Ihre Augen waren von Casson abgewandt – nicht lange – vielleicht so viel Zeit, wie ein Affe braucht, wenn er von Baum zu Baum springt. Aber als sich Pipina wieder umdrehte, war Casson fort!“ „Du hast ihn nicht gesucht?“ Die Alte schüttelte traurig den Kopf. „Pipina wagte sich nicht hinter dem Felsen hervor. Sie fürchtete sich zu sehr vor Nascanora. Sie sah immer die kleinen baumelnden Köpfe an den Hüften der Krieger!“ Mit einer jähen Geste des Abscheus schlug sie die Hände vor das Gesicht. „Du hast richtig gehandelt“, sagte Bomba besänftigend. „Wenn du ins Freie getreten wärst, hätten dich Nascanoras Leute entdeckt, und ihr wäret beide verloren gewesen. Jetzt habe ich wenigstens Hoffnung, daß Casson noch lebt. Er wird sich irgendwo verborgen haben. Vielleicht hat er die Richtung verloren und ist deshalb nicht zu dir zurückgekehrt!“ Pipina seufzte tief. „Bomba spricht gute Worte! Ich hoffe, daß er recht hat! Wollen wir Casson nicht suchen?“ 40
„Nicht in der Nacht“, sagte Bomba. „Wir können nicht rufen, weil die Kopfjäger noch in der Nähe sein werden. Wo sollten wir ihn suchen? Er wird bei jedem Schritt, den er hört, noch tiefer in sein Versteck kriechen.“ „Die Götter werden ihn schützen“, rief die Alte. „Sein Geist ist verwirrt, und deshalb wachen die Götter über ihn! Die Jaguare werden ihn nicht wittern und die Schlangen werden ihn nicht beißen! Kein Leid wird ihm widerfahren!“ Das waren abergläubische Worte, aber sie trösteten Bomba ein wenig. Er wußte auch, daß Casson in Augenblicken der Gefahr oft einen sehr klaren Verstand und große Umsicht bewiesen hatte. Es war durchaus möglich, daß er wohlbehalten irgendwo die Nacht verbrachte. „Was hast du dann getan?“ fragte Bomba weiter. „Wie kamst du in das Dornengestrüpp?“ „Pipina hat gewartet. Dann hörte sie Rufe auf der Lichtung und einen großen Knall. Da dachte sie, daß Bomba da sein müßte, und eilte ihm entgegen. Aber dann sah Pipina, daß Bomba gegen viele Männer kämpfte, und sie rannte in den Dschungel zurück – immer tiefer in das Gestrüpp – bis sie nicht mehr weiter konnte! Als auf der Lichtung alles ruhig war, hat Pipina ganz leise Bomba gerufen. Und Bomba ist gekommen!“ Der Junge lächelte traurig. „Bomba ist gekommen – aber zu spät! Und niemand ist da, der helfen kann!“ Die Alte schüttelte den Kopf.
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„Bomba hat viele Freunde. Pipina ist hier, und der gute Häuptling Hondura mit seinen Kriegern ist nicht weit!“ Die Worte wirkten wie Balsam auf Bombas wundes Herz. Pipina hatte nicht unrecht. In der Nähe war das Dorf, in dem Hondura mit seinen Leuten wohnte. Vielleicht konnte Bomba dort Hilfe finden. Vor allem würde er Pipina vorerst dorthin bringen, damit die alte Frau in Sicherheit war. „Ich werde dich in die Maloca des guten Hondura führen“, sagte er. „Dort bist du vor den Kopfjägern sicher. Ich kann dann allein zurückkehren und Casson suchen.“ Doch vor der Wanderung in der Nacht hatte Pipina Angst. In ihrem abergläubischen Herzen wohnte die Vorstellung von Geistern, die den Dschungel in der Dunkelheit bevölkerten. „In der Nacht?“ fragte sie furchtsam. „Jetzt wollen wir zu Hondura gehen? Wir müssen den Ygapo überqueren, den furchtbaren Sumpf. Wir werden nie lebend die Maloca der Araos erreichen. Laß uns hier warten, bis es hell wird!“ Bomba schüttelte den Kopf. „Der Platz hier ist gefährlicher als der Ygapo. Einmal habe ich die Kopfjäger vertrieben. Wer weiß, ob sie nicht inzwischen neuen Mut gefaßt haben und zurückkehren? Dann fänden sie uns bestimmt. Kein Zauber würde uns retten. Denn es gibt keine Munition mehr, die explodieren könnte. Wir müssen sofort aufbrechen!“
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6 Nächtliche Flucht Pipina folgte Bomba ohne weitere Widerrede. Aber die Aufregungen der letzten Stunden hatten ihre Kräfte erschöpft. Ihr Schritt war langsam und schwerfällig. Die Nachtkühle ließ sie erschauern. Mühselig folgte sie dem federnden Schritt des Jungen. Sie waren etwa zehn Minuten gegangen, als Bomba stehenblieb. „Wenn dir der Weg zu beschwerlich wird, werde ich dich tragen.“ Die Alte jammerte leise. „Bomba ist furchtlos“, wimmerte sie. „Aber Pipina sieht die Nebelgestalten der Geister. Pipina weiß, daß sie uns ergreifen werden. Sie werden uns in den Sumpf werfen oder die Jaguare herbeirufen, damit sie uns fressen! Es wäre besser, wenn wir in einem sicheren Versteck warteten!“ „Das würde Nascanora freuen“, meinte Bomba mit einem grimmigen Lachen. „Ich bin überzeugt, daß er nicht weit von hier mit seinen Kriegern auf der Lauer liegt. Wehe uns, wenn er uns noch am Tage im Freien entdeckt! Dann wären wir verloren. Bis zum Morgengrauen müssen wir Honduras Dorf erreicht haben.“ Bombas Worte waren nicht lauter als ein Flüstern gewesen. Plötzlich fühlte er, wie sich Pipinas Finger in seinen Arm krallten. 43
„Horch“, zischte die Alte. „Schritte!“ Bomba drückte sofort Pipinas Schultern nieder und tauchte selbst neben ihr im hohen Gebüsch unter. Jedem Blick waren sie verborgen. Es müßte schon jemand über sie stolpern, um sie zu entdecken. Aber in diesem Falle würde Bombas Machete schneller sein als der Schrei des Überraschten. Mit angehaltenem Atem lauschten Bomba und Pipina in die Dschungelnacht hinaus. Hin und wieder fielen Tropfen von den Blättern auf den Boden herab. Das gab ein leises, flüsterndes Geräusch. Viele solche undeutbare Laute belebten die Stille der Nacht. Aber Bomba und Pipina hatten sich nicht geirrt. Zweifellos war es ein Zweig gewesen, der unter einem vorsichtigen Schritt geknackt hatte. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Aber nach einigen Sekunden bewegten sich die Zweige an einem nahen Busch. Das Mondlicht fiel auf zwei dunkelhäutige Gestalten, die lautlos aus dem Gebüsch traten. Etwa acht Meter vom Versteck der beiden entfernt, blieben die Männer stehen. Im ersten Augenblick hatte Bomba gehofft, es könnte Casson sein, der bei seinem Umherirren im Dschungel das Geräusch verursacht hatte. Um so größer war seine Enttäuschung beim Anblick von Nascanoras Kriegern. Er hatte nur allzu recht gehabt. Der Urwald war verseucht von Trupps umherschleichender Kopfjäger. Nirgendwo waren sie sicher. Nur in einem befestigten Dorf wie der Siedlung der Araos konnten sie Ruhe finden. Die beiden Kopfjäger wußten nichts von den Lauschenden. Einer von ihnen hatte sich am Boden niedergelassen und rieb eine schmerzende Stelle am Schienbein, während 44
der andere neben ihm stand und sich auf seinen Speer stützte. „Nascanora verlangt viel von seinen Kriegern“, klagte der Sitzende. „Noch in der Nacht müssen wir marschieren, weil er es befiehlt.“ Der andere ließ einen schnalzenden Laut hören. „Wenig Schlaf und keine Beute! Nascanora ist wie der Sturm. Er reißt uns die Beute aus der Hand und behält alles für sich.“ „Er ist der große Häuptling“, murmelte der erste mit einem unsicheren Blick auf den anderen. „Nascanora ist der große Häuptling“, wiederholte der Stehende wie ein Echo. „Und wir wissen jetzt, daß in der Hütte auch die Gebeine des weißen Zauberers zu Asche verbrannt sind. Nie wieder wird er seinen bösen Zauberbann über unseren Stamm aussprechen können.“ Der Sitzende massierte sein schmerzendes Bein und seufzte. „Wer weiß, ob seine Gebeine dabei waren? Dieser Zauberer ist ein Teufel. Er erhebt sich in die Luft, wenn er will.“ Der Stehende winkte verächtlich mit der Hand. „Der weiße Zauberer ist tot! Wir hatten die Hütte umstellt. Es gab keinen Fluchtweg für ihn.“ „Aber der junge weiße Zauberer lebt noch“, gab der Sitzende zu bedenken. „Heute nacht erst hat er Toluro, einen unserer tapfersten Krieger, im Kampfe besiegt. Er hat
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Toluros Kopf in den Schlamm gestampft, aber er hatte ihn nicht getötet. Er muß sich sehr sicher fühlen!“ „Die bösen Geister helfen ihm“, murmelte der andere. „Er hat Dämonenarme durch die Luft greifen lassen und unsere Krieger zu Boden geworfen. Aus dem Feuer der Hütte flogen kleine, harte Steine auf unsere Krieger. Das war das Werk des jungen Zauberers. Wir hätten ihn gefangen, wenn er nicht diese dröhnenden Feuergeister zu Hilfe gerufen hätte.“ Der Sitzende erhob sich. „Gehen wir weiter“, sagte er. „Mein Bein schmerzt nicht mehr so sehr. Wir können wieder ein Stück laufen.“ Die Gestalten entfernten sich. Das Murmeln der Stimmen wurde leiser und verklang. Noch einige Minuten warteten die beiden in ihrem Versteck; dann erhob sich Bomba und ergriff Pipinas Arm. „Wir müssen weiter“, flüsterte er. „Du siehst, daß überall die Kopfjäger sind. Am Tage hätten sie uns bestimmt entdeckt.“ Die kurze Rast schien Pipina gestärkt zu haben. Sie folgte Bombas Schritt, ohne zu klagen. Nach einer Stunde etwa sank sie jedoch plötzlich zusammen. Die Kraft hatte sie verlassen. Wortlos hob Bomba sie empor und trug sie wie ein Kind weiter. Durch die Stille der Nacht klang immer deutlicher das Rauschen von Wasser. Bomba setzte seine lebendige Last ab und lauschte.
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„Der Ygapo ist voller Wasser“, murmelte er. „Wir werden zur engsten Stelle gehen, um leichter hinüberzukommen.“ Die Alte hob angstvoll abwehrend die Hände. „Pipina kann nicht schwimmen. Und Bomba wird nicht für zwei schwimmen können! Wie sollen wir über das reißende Wasser kommen?“ „Du hast recht“, sagte Bomba nachdenklich. „Es gibt Alligatoren und Schlangen im Ygapo. Ich kann nicht zugleich kämpfen und mit dir den Sumpf überqueren. Und trotzdem müssen wir hinüber – noch bevor die Sonne aufgeht!“ Die Alte jammerte leise vor sich hin. „Pipina kann nicht schwimmen“, wiederholte sie. „Die Kaimane werden sie fressen! Sie werden ihre großen Rachen aufsperren und Pipina verschlingen! Nein, wir müssen warten, bis das Sonnenlicht da ist. Dann kann Bomba ein Floß bauen und mit Pipina übersetzen!“ „Du weißt, daß die Feinde rings um uns sind“, warnte Bomba leise. „Sie könnten dein Jammern hören! Wir müssen über den Ygapo!“ „Höre!“ ächzte die Alte. „Höre, wie der Fluß brüllt! Das Wasser ist reißend! Wir werden beide ertrinken! Niemand wird uns finden. Die Krokodile und die Pirhanas werden das Fleisch von unseren Knochen reißen! Oh, Bomba, warte bis zum Morgen! Höre auf Pipina!“ Stumm hob Bomba sie auf und ging weiter dem Ufer entgegen. Er war entschlossen, seinen Plan auszuführen. Hier im Dschungel, in der Nähe der Hütte durften sie auf 47
keinen Fall bleiben. Lieber also einer Gefahr ins Auge sehen und dabei die Chance des Entkommens haben, als auf den sicheren Tod im Urwald zu warten. Nach kurzer Zeit war das Rauschen des Flusses zu einem Brausen in unmittelbarer Nähe geworden. Sie hatten den Ygapo erreicht. An dieser Stelle war er nicht breiter als eine schmale Schlucht. Ein langer Baumstamm war quer über den Sumpf gefallen. Jetzt gurgelte und plätscherte das Wasser dicht unter dem Stamm dahin. Der Wolkenbruch hatte den Sumpfgraben fast bis zum Rande mit Wasser gefüllt, und der schlammige Strom wälzte sich reißend dahin. Die Behelfsbrücke, die Bomba zu benutzen gedachte, wäre am Tage ein ziemlich sicherer Übergang gewesen. Aber jetzt war der Stamm schlüpfrig und regennaß, und mit Pipina würde das Überqueren des Ygapo sehr gefährlich sein. Die beiden standen am Rande des Sumpfgrabens. Das träge, zähe Schlammbecken war jetzt ein Wildbach, dessen Wassermassen brausend und schäumend dahinschossen. Gischt sprühte auf und trieb ihnen ins Gesicht. Im Mondlicht sah die Szene noch unheimlicher und gefährlicher aus. Pipina schauderte bei dem Anblick zurück. Es gab kein Zögern! Bomba nahm die Alte wieder auf und setzte den Fuß auf den Baumstamm.
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7 Ein gefährlicher Übergang Im schwachen Mondlicht sah Bomba unter sich den dunklen, glatten Stamm und darunter das wirbelnde, brodelnde Wasser. Langsam setzte er Fuß vor Fuß. Dicht an seinem Ohr keuchten die Atemzüge Pipinas, und er spürte, wie sie ihre Finger in seinen Oberarm krallte. Das Wasser jagte in schäumender Eile nach links. Die rasende Bewegung lockte zwingend. Mehr als einmal ertappte sich Bomba dabei, wie er selbst nach links strebte, als müßte er dem reißenden Wildwasser folgen. Er war mit seiner Last auf den Armen jetzt mitten über dem Sumpfgraben. Er sah das rettende Ufer vor sich. Palmenzweige schimmerten im Mondlicht. Die Bäume standen in träumender Ruhe da. Würde er je den festen Boden erreichen? Wieder zog ihn dieser lähmende Sog in die Richtung des brausenden Wassers, und sein Schritt wurde unsicher. Sekundenlang blieb Bomba stehen und schloß die Augen. Es war, als wollten ihn unsichtbare Arme nach links reißen. Er öffnete die Augen und ging weiter. Plötzlich stolperte er über eine kleine Unebenheit des Stammes. Er taumelte – der rechte Fuß schwebte über dem Abgrund. Sein Körper neigte sich stark nach links; Pipina schrie gellend auf und klammerte sich noch fester an ihn.
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Wie lange Bomba schräg über dem Abgrund des tosenden Wassers schwankte, wußte er nicht. Mit äußerster Anspannung kämpfte er um das Gleichgewicht – mit einem Ruck warf er sich nach rechts –, der rechte Fuß griff nach dem Stamm – und er stand mit zitternden Knien. Jetzt setzte Bomba alles auf eine Karte. Fünf lange Schritte rissen ihn das letzte Stück über den Baumstamm vorwärts. Noch ein einziger Sprung – und sie waren hinüber! Stöhnend ließ sich die alte Frau zu Boden gleiten. „Das war Pipinas schlimmster Weg“, flüsterte sie. „Hatte Pipina nicht recht, als sie Bomba warnte? Hat Bomba gespürt, wie die Dämonenarme nach ihm griffen?“ Bomba lachte übermütig. „Ich hatte die Balance verloren, das war alles! Deine Urwaldgeister haben keine Gewalt über mich!“ Die Alte packte beschwörend seinen Arm. „Noch sind wir nicht in der Maloca der Araos! Ein weiter Weg liegt noch vor uns! Es ist nicht gut, sich zu früh zu freuen, Bomba! Die bösen Geister lauern überall – hinter den Bäumen – in den Sumpflöchern! Wir wollen vorsichtig sein – und die Hilfe der Götter herbeiflehen!“ Aber Bomba hatte seine ganze Zuversicht wiedergefunden. Er verließ sich auf seine Gewandtheit, seine Kraft und seinen schnellarbeitenden Verstand. Das war besser als die zweifelhafte Hilfe von Dschungelgötzen. Nur noch zwei Wegstunden trennten die Wanderer von Honduras Wohnsitz. Alle möglichen Gefahren mochten ihnen noch drohen. Aber Bomba wollte lieber gegen eine 50
Anakonda kämpfen oder einen Jaguar mit der Machete angreifen, als noch einmal in dieser Nacht mit den Kopfjägern zusammentreffen. Als die beiden nach kurzer Rast aufbrachen, bestand Pipina darauf, allein zu laufen. „Pipina ist nicht krank“, sagte sie. „Pipina ist Bomba lange genug zur Last gefallen! Pipina geht jetzt allein!“ Tatsächlich kamen sie gut voran. Die erste schwache Dämmerung kündigte sich mit silbergrauem Glanz am östlichen Horizont an, als die Maloca – das Dorf der Araos – vor ihnen auftauchte. Sofort wurden sie angerufen. Das Dorf war in Alarmbereitschaft; Wachen sicherten die Ansiedlung nach allen Seiten. Seit die Kopfjäger wieder auf dem Kriegspfad waren, wurde die Maloca Tag und Nacht bewacht. Bomba war bei den Araos bekannt und beliebt. Es war noch nicht lange her, seit er Hondura und viele seines Stammes aus der Gewalt der Kopfjäger befreit hatte. Seiner Geschicklichkeit und Klugheit war es zu verdanken gewesen, daß die Araos bald die Spuren der abziehenden Kopfjäger gefunden hatten. Und als Bomba selbst in die Gefangenschaft der mordgierigen Wilden geraten war, hatte er in der Katastrophennacht, als der ,Große Wasserfall’ das Dorf der Kopfjäger überschwemmte, die Gefangenen befreit und sie schnell und sicher aus der gefährlichen Nähe der stürzenden Wasser geführt. Im Triumph wurde der gerngesehene Gast vor die Hütte Honduras gebracht. Als erste begrüßte ihn Pirah, die kleine Häuptlingstochter. Sie jauchzte auf, als sie Bomba sah und 51
umarmte ihn stürmisch. Die Freundschaft der beiden war sehr alt. Vor Jahren schon, als Bomba seine ersten Streifzüge durch den Dschungel unternahm, hatte er gelegentlich das Dorf der Araos aufgesucht. Er hatte mit der kleinen Pirah gespielt und ihr hin und wieder eins von den bunten Bildern mitgebracht, die er in Cassons alten Zeitschriftenbänden in der Hütte gefunden hatte. Auch als die Kopfjäger Pirah ebenfalls entführt hatten, war es Bomba gewesen, der bei der Flucht die kleine Häuptlingstochter nicht von seiner Seite gelassen hatte. „Bomba ist da!“ rief sie glücklich und zog den Jungen an der Hand zu Honduras Hütte. „Bomba ist da, und jetzt wird er sein Versprechen halten!“ Bomba tat erstaunt. „Was für ein Versprechen?“ Sie schaute ihn mit schräggeneigtem Kopf und einem listigen Blinzeln in den onyxschwarzen Augen an. „Sonst ist Bombas Gedächtnis nicht so schlecht! Warum weißt du jetzt nicht mehr, daß du mir versprochen hast, mir ein schönes Boot zu schnitzen!?“ Bomba hob beide Hände. „Prinzessin des Urwaldes“, rief er. „Das habe ich wirklich vergessen! Welche Strafe muß ich dafür erdulden!“ Sie klatschte in die Hände und jubelte. „Prinzessin des Urwaldes!“ rief sie. „Das klingt hübsch! Du mußt mich jetzt immer so nennen! Zur Strafe mußt du mich jetzt immer ,Prinzessin des Urwaldes’ rufen!“
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„Gut“, sagte Bomba feierlich. „Du bist die Prinzessin des Urwaldes, und ich nenne dich immer so!“ Hondura stand vor seiner Hütte und lächelte, als er das Gespräch hörte. Die Freundschaft der beiden gefiel ihm. Seine Begrüßung war ernster und gemessener, aber nicht weniger herzlich als die stürmische Umarmung der kleinen Pirah. „Lange Zeit ist Bomba nicht bei uns gewesen“, sagte der Häuptling. „Wir waren traurig darüber, denn wir sehen gern unseren jungen, weißen Freund, der uns so große Dienste geleistet hat.“ Bomba erwiderte die grüßende Geste. „Auch ich freue mich, daß ich Hondura wiedersehen kann. Es war nicht Nachlässigkeit, daß ich die Maloca der Araos nicht eher aufsuchen konnte. Viel war zu tun. Die Jagd war nicht leicht, und der Weg führte mich immer in andere Richtungen.“ „Es ist gut“, erwiderte der Häuptling. „Wir werden Bombas Besuch feiern. Wir werden ein Fest geben, und der Stamm der Araos wird große Freude haben!“ Bomba lächelte traurig. „Wohltuend sind deine Worte“, sagte er. „Aber für mich ist es nicht die Zeit, um Feste zu feiern. Ich bin gekommen, um deine Hilfe zu erbitten, Hondura. Ich möchte Pipina unter dem Schutz der Araos und seines mächtigen Häuptlings zurücklassen. Ich habe eine weite Reise vor, und ich kann Pipina nicht allein und schutzlos im Urwald zurücklassen.“
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Hondura begrüßte die Squaw, die sich ehrfurchtsvoll vor dem Häuptling neigte. „Pipina ist im Dorf der Araos willkommen! Unter den Frauen des Stammes mag sich Pipina ihren Platz suchen. Sie wird ein gerngesehener Gast sein, weil sie Bombas Freund ist. Jetzt soll sie mit Bomba zusammen das Begrüßungsessen einnehmen!“ Auf einen Wink des Häuptlings hin wurden die Vorhänge zu Honduras Hütte zurückgeschlagen, und der Häuptling geleitete seine Gäste über die Schwelle. Sie nahmen auf Kissen Platz. Junge Frauen brachten Früchte, geräuchertes Fleisch und Nüsse herbei. Da Bomba und Pipina sehr hungrig waren, machten sie sich über das Essen her, und der Häuptling bewunderte den gewaltigen Appetit Bombas. „Selten hat mir etwas so gut geschmeckt“, lobte Bomba die Mahlzeit, wie es die Sitte der Eingeborenen vorschrieb. „Das Fleisch war saftig und zart! Die Früchte waren frisch wie nirgendwo! Hondura ist glücklich zu preisen, daß er so tüchtige Frauen im Stamme besitzt!“ Der Häuptling machte eine bescheiden-abwehrende Geste. „Es waren geringe Dinge, die Hondura seinen geehrten Gästen vorsetzen konnte. Wenn Bomba länger bliebe, sollte er eine andere Bewirtung kennenlernen.“ Bomba dankte mit einem Kopfnicken. „Mein Herz ist voller Sorge“, sagte er. „Ich ließ meinen alten Gefährten Casson im Urwald zurück. Deshalb muß ich bald über den Ygapo zurückwandern, um den alten Mann zu suchen.“ 54
„Wohin ist der weiße Mann gegangen?“ erkundigte sich Hondura teilnahmsvoll. In kurzen, eindrucksvollen Worten schilderte Bomba die Geschehnisse der letzten Nacht. Er berichtete von seinen Begegnungen mit den Spähtrupps der Kopfjäger und von seiner Ankunft bei der brennenden Hütte. Dann erzählte er, was Pipina ihm mitgeteilt hatte. Als der Junge mit seinem Bericht aufhörte, hob Hondura die Faust und seine dunklen Augen schimmerten zornig. „Der Fluch der Götter möge Nascanora treffen!“ rief er. „Es war zu edelmütig von Bomba, den schlangenblütigen Häuptling der Kopfjäger am Leben zu lassen. Hätte Bomba ihm damals nicht nur die Nase zertrümmert, sondern sein Lebenslicht verlöscht. Viel Unheil wäre uns allen erspart geblieben!“ Mit diesen Worten deutete Hondura auf den Vorfall hin, der sich bei der Flucht vor den Kopfjägern abgespielt hatte. Nascanora war den Flüchtenden entgegengetreten, und Bomba hatte ihn mit einem Hieb seiner Machete zu Boden gestreckt. Da es ihm sein inneres Gesetz so befahl, hatte er sich geweigert, den Wehrlosen zu erstechen. Hondura schüttelte mißmutig und gramvoll den Kopf. „Die Spitze deines Messers hätte sich in das Herz des Mörders bohren sollen. Glaubst du, daß er dir deine edle Tat danken wird? Sein Zorn ist nun um so größer. Die Squaws lachen hinter seinem Rücken, wenn sie seine zertrümmerte Nase sehen! Nascanora haßt dich, und er wird dir nie Ruhe gönnen!“ Bomba lächelte besänftigend. 55
„Honduras Worte sind gut“, sagte er. „Auch ich möchte Nascanora lieber im Totenreich wissen. Doch ich durfte ihn nicht töten, als er wehrlos war. Vielleicht tritt er mir wieder gegenüber. Ich fürchte mich nicht vor dem offenen Kampf. Doch ich fürchte für Casson.“ Hondura neigte ernst den Kopf. „Wir wissen, daß Casson Bombas einziger weißer Freund im Dschungel ist, und unser Herz schlägt mit ihm. Mögen den alten Mann die guten Geister des Dschungels beschützen!“ Die helle Stimme der kleinen Pirah tönte in das Gespräch hinein. „Die Götter werden den freundlichen Casson beschützen und in unser Dorf führen“, rief sie. Der Häuptling legte seine Hand zärtlich auf den Kopf des Kindes. „Es soll so sein, wie Pirah es sagt“, murmelte er. „Mein Herz wäre leichter, wenn ich wüßte, daß auch Hondura und seine Krieger nach Casson Ausschau halten“, sagte Bomba. „Werden die tapferen Araos den alten Mann in ihre Maloca geleiten, wenn sie ihn finden sollten?“ „Ich werde meinen Kriegern den Auftrag geben, überall zu suchen“, erklärte Hondura. „Sie haben gute Ohren und scharfe Augen. Wenn sie den alten Mann finden, werden sie ihn sicher in unsere Maloca geleiten.“ Wieder dankte Bomba mit wohlgesetzten Worten, und der Häuptling hörte geschmeichelt zu. Dann enthüllte der Junge seine eigenen Pläne. 56
„Auch ich werde Casson suchen gehen“, verkündete er. „Sobald ich die Maloca verlassen habe, werde ich den Spuren Cassons folgen. Ich will nicht ruhen, bis ich ihn gefunden habe, oder bis ich sicher weiß, daß er nicht mehr am Leben ist.“ Bombas Stimme war bei den letzten Worten gedämpft« und trauriger geworden. Jetzt raffte er sich auf und fuhr lebhafter fort: „Erst wenn ich diese Aufgabe erledigt habe, will ich zu einer langen Reise aufbrechen.“ Der Häuptling schaute Bomba mit großem, aufmerksamen Blick an. „Noch weiß ich nicht, was Bombas Worte zu bedeuten haben“, sagte er. „Wohin will er gehen?“ Stockend und mit leiser Stimme sprach Bomba von seinem Geheimnis. Er erzählte von seiner Sehnsucht, etwas über seine Eltern zu erfahren. Aber er verschwieg, daß ihn auch die Sehnsucht nach Menschen seiner Art bewegte – daß er unruhig den Dschungel durchstreifte, weil er Weiße suchte – Freunde wie Frank Parkhurst –, Männer wie die weißen Gummisucher. „Und wo will Bomba jetzt seine Eltern suchen?“ fragte der Häuptling, dessen Blick nachdenklich auf dem Jungen ruhte. „Ich will zu Japazy, dem Halbblutindianer, gehen“, sagte Bomba freimütig. „Jojasta ist tot. Sobrinini und Casson können keine Auskunft geben. Die einzige Hoffnung, die mir bleibt, ist Japazy.“
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„Und wo will Bomba den Halbblutindianer Japazy suchen?“ Einen Augenblick zögerte Bomba. Es war ihm klar, daß die folgenden Worte Bestürzung auslösen würden. „Ich habe erfahren, daß Japazy auf der Jaguarinsel wohnt. Dorthin will ich gehen!“ Zum ersten Male verlor der Häuptling seine Würde und gemessene Ruhe. Er hob mit einem Ruck den Kopf und streckte abwehrend die Arme vor.
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8 Die Warnung Als Hondura zu sprechen begann, war sein Ton eindringlich und ernst. „Hondura ist Bombas Freund! Hondura spricht keine leeren Worte! Es ist besser, wenn Bomba sich die weite Reise erspart und in der Maloca der Araos bleibt. Geh nicht zur Insel der großen Katzen, Bomba – das ist Honduras Rat!“ „Ich habe schon viele Jaguare erlegt“, sagte Bomba gleichmütig. „Ich kenne diese Bestien.“ Der Häuptling lächelte. „Bomba ist jung, und ich verstehe seine Worte. Aber es sind nicht die Jaguare, vor denen ich Bomba warnen will! Es sind Geschöpfe, die kein Mensch mit Pfeil und Bogen erlegen kann!“ Eine ähnliche Andeutung hatte Sobrinini schon gemacht. Bomba wußte, daß ihn auf der Jaguarinsel irgendein gefährliches Rätsel erwartete. Aber er fürchtete sich nicht vor Geistern wie die primitiven Bewohner des Urwaldes. Trotzdem überlief ihn ein seltsamer Schauer. „Von welcher Gefahr sprichst du? Wie soll ich mich schützen, wenn ich die Wahrheit nicht kenne?“ Hondura bewegte in weit ausholender Gebärde den Arm und lehnte sich an die Hüttenwand zurück. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, als sähe er dort wundersame Bilder vor sich. 59
„Es ist lange her“, begann er mit feierlicher Stimme, „lange bevor Hondura lebte – lange vor unserer Zeit! Damals lag oberhalb der Jaguarinsel eine große Stadt. In den alten Liedern der Squaws ist noch die Rede von dieser Stadt. Man sagt, daß es eine Stadt der Teufel war – obwohl ihre Schönheit alles übertraf, was es auf der Welt gibt! Ihre Türme waren aus Gold, und sie wuchsen höher in den Himmel hinauf als die Bäume des Urwaldes. Wenn die Menschen die leuchtenden Dächer und Zinnen der Stadt sahen, mußten sie geblendet die Augen schließen!“ „Ich wollte, ich hätte diese Stadt sehen können“, murmelte Bomba. Voll Sehnsucht dachte er an die fernen Städte, die ihm Frank beschrieben hatte. Ob sie wohl der Stadt mit den goldenen Türmen glichen, von der Hondura sprach? „Weiter“, flüsterte der Junge erregt. „Erzähle weiter!“ „Die Menschen in dieser Stadt waren reich und mächtig“, fuhr der Häuptling fort. „Die reichsten von ihnen trugen Kleider, die mit funkelnden Steinen bedeckt waren, und sie hatten Federschmuck, der so bunt und kostbar war wie die Edelsteine. Doch der Häuptling in dieser Stadt war böse. Jeden Tag forderte er Menschenopfer. Das Blut in den Opfersteinen trocknete niemals aus. Es rann wie ein Bach durch die Straßen der Stadt. Und wenn der Häuptling das sah, dann lachte er.“ Hondura machte eine bedeutungsvolle Pause. Dann fuhr er fort. „Eines Nachts versank die Stadt mit den goldenen Türmen. Die Erde verschlang sie mit allen ihren Palästen und 60
mit ihren Schätzen an Gold und Edelsteinen. Und der Ort, wo sie stand, ist von Dämonen beherrscht. Die Geister der Toten und Ermordeten – der armen Opfer des grausamen Häuptlings gehen dort um! Niemand nähert sich diesem unseligen Platz ungestraft! Krankheit, Schmerz und Tod streuen die Geister aus! Niemand ist je zurückgekehrt, der es gewagt hat, in die Nähe der versunkenen Stadt vorzudringen!“ Die Worte beeindruckten Bomba gegen seinen Willen. Aber auch seine Phantasie war durch die Erzählung des Häuptlings angeregt worden. „Ich werde doch gehen“, sagte der Junge schlicht. „Ich muß Japazy finden. Zu lange suche ich schon nach meinen Eltern! Ich kann meinen Plan nicht mehr aufgeben!“ Der Häuptling nickte ergeben, als hätte er diese Antwort erwartet. „Gehe, wenn dein Wunsch so stark ist“, sagte er traurig. „Aber gehe nur bis zur Jaguarinsel, und meide den Ort, der dahinter liegt! Wir werden auf dich warten, und unsere Götter werden deinen Weg begleiten!“ Die kleine Pirah klammerte sich an den Arm des Jungen. „Du sollst bei mir bleiben“, schmollte sie. „Du sollst viele Tage in unserer Maloca bleiben. Wir werden ein schönes Fest haben, und du hast viel Zeit, um mir ein Boot zu schnitzen!“ Immer wenn die kleine Häuptlingstochter mit ihm sprach, fühlte Bomba eine sanfte, zärtliche Freude. Es war mehr noch als Freundschaft, was er hier spürte. Es war eine geheimnisvolle Anziehungskraft, die es ihm schwer machte, 61
den bittenden Worten des kleinen Mädchens zu widerstehen. Bomba erhob sich und lächelte der kleinen Pirah zu. „Ich komme zurück, und dann erfülle ich mein Versprechen, Prinzessin des Urwaldes.“ Bei der Anrede mußte die Kleine lachen und sie vergaß ihren Abschiedskummer. Noch einmal erklärte Bomba, wohin er sich zuerst wenden wollte, um Casson zu suchen. Er sagte, daß er den Verirrten womöglich in die Maloca der Araos zurückbringen würde. Hondura wiederholte sein Versprechen, den alten Naturforscher durch seine Krieger suchen zu lassen. Das war ein starker Trost für Bomba, denn nun wußte er, daß viel spähende Augenpaare bald den Dschungel durchforschen würden, um den Verschollenen zu entdecken. Mit herzlichen Worten nahm der Junge Abschied von Hondura, Pipina und Pirah. Ein Ehrengeleit der Krieger führte ihn bis in den Dschungel. Dann war Bomba wieder allein. Als er an die bevorstehenden Abenteuer dachte, zog Bomba seinen Revolver hervor, den er in einer wasserdichten Hülle bei sich trug. Die Waffe, die ihm schon gute Dienste geleistet hatte, war jetzt wertlos für ihn. Alle Patronen waren in der Hütte explodiert. Von neuem packte ihn der Zorn. Die Kopfjäger waren schuld daran, daß er die gute Waffe entbehren mußte. Immer waren es diese menschlichen Bestien des Dschungels, die seinen Weg kreuzten und ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Wahrscheinlich hätte er seine Suche nach den 62
Eltern schon längst erfolgreich beendet, wenn er nicht immer wieder in gefahrvolle Abenteuer mit den Kriegern Nascanoras verstrickt worden wäre. Doch die trüben Gedanken waren nutzlos. Bomba steckte den Revolver in die Hülle zurück und wanderte weiter. Den ganzen Tag über suchte er den Dschungel nach Spuren des verschollenen Gefährten ab. Hin und wieder ließ er auch einen leisen Ruf ertönen. Vielleicht hörte der Alte zufällig die Stimme, hoffte er. Es war zwar unvorsichtig, laut zu rufen, aber Bombas Verlangen, seinen Gefährten zu finden, überwog seine Vorsicht. Für Mahlzeiten ließ sich Bomba nicht viel Zeit. Als er einige Schildkröteneier fand, kochte er sie über dem Feuer. Unversehens war der Abend herangekommen. Bomba hatte sein Lager am Eingang einer Höhle aufgeschlagen. Das Lagerfeuer war warm und behaglich, und die Höhle versprach eine sichere Unterkunft für die Nacht. Bevor sich Bomba drinnen zum Schlafen niederlegte, trat er das Feuer aus, damit es nicht seine Anwesenheit verriete. Von innen rollte er einen Stein gegen den Eingang der Höhle, und so verbrachte er die Nacht ruhig und gefahrlos. Am nächsten Morgen erwachte der Dschungeljunge nicht sehr zeitig. Aber er war frisch und ausgeruht und nahm seine Suche nach Casson mit allem Eifer wieder auf. Aber kein Erfolg war ihm beschieden. Diesen und den nächsten Tag hindurch suchte Bomba. Er hatte sich die Frist gesetzt, und danach erst wollte er die Suche als ergebnislos aufgeben. 63
Einige Male stieß Bomba auf die Spuren der Kopfjäger. Sie waren kalt und verrieten ihm, daß sie schon fünf oder sechs Tage alt sein mußten. Sollten sich die Kopfjäger noch in dieser Gegend aufhalten, so schlichen sie vermutlich in der Nähe von Pipinas verbrannter Hütte herum. Sie waren wahrscheinlich davon überzeugt, daß Bomba eines Tages wieder dort auftauchen würde. Als der dritte Tag zu Ende ging, wanderte Bomba immer noch auf den Dschungelpfaden dahin, ohne eine Spur seines alten Gefährten entdeckt zu haben. Er durchquerte gerade ein Sumpfgebiet, als er auf eine ältere Menschenspur stieß. In einem Schlammloch fand er den Abdruck eines Schuhes. Kein Indianer in diesem Gebiet trug Schuhe. Bombas Herz begann erregt zu klopfen. Nur ein Weißer konnte diese Spur hinterlassen haben! Bomba lief weiter. Plötzlich stutzte er: am Fuße eines Baumes hatte er etwas entdeckt, das wie ein Kleiderbündel aussah. Schnell lief er näher und beugte sich über das rätselhafte Ding. Er schauderte und schreckte zurück. Es war ein toter Mensch, der vor ihm lag – nicht viel mehr als das Skelett war noch übrig. Und an den Resten der Kleider erkannte der Junge, daß es ein Weißer war, der hier sein Ende gefunden hatte. Die Fetzen der Kleider und des Schuhwerkes verrieten es ihm. Es war ein Weißer – ein Mensch von seiner Art!
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9 Das Skelett Bleich grinste der Totenschädel aus den Überresten der Kleidung hervor. Noch war das feste Gewebe des Khakistoffes zu erkennen, das der Mann getragen hatte. Vermutlich war es ein Großwildjäger oder ein Gummisucher gewesen, der sich bis in diesen entlegenen Teil des Amazonas-Dschungels verirrt hatte. Niemals würde je eine Menschenseele erfahren, auf welche Weise er ums Leben gekommen war. Hatte ihn ein Jaguar von hinten gepackt und sein Genick durchgebissen? War er dann eine Beute des kleinen Raubgetiers geworden und der Ameisen, die alle Skelette in kurzer Zeit blankfraßen? Hatte ihn der Tod durch einen Schlangenbiß ereilt, gegen den es keine Gegenmittel gab? Oder war er verdurstet? Niemand wußte es. Bomba starrte schweigend auf die Reste dieses Mannes hinab, von dem nun irgendwo in der Welt der Weißen Angehörige lebten, die kein Lebenszeichen mehr von ihm empfingen. Vermißt! Das war ein bitteres Wort. Es schloß alle Möglichkeiten ein – vom sanftesten Tod bis zum qualvollsten, bittersten Sterben! Das ist ein weißer Mann, dachte Bomba, und er soll ein Grab erhalten, wie es einem weißen Manne gebührt. Casson hatte ihm von dieser Sitte berichtet, und Bomba beschloß, danach zu handeln. Mit der Machete und einem breiten Holzstück grub er im weichen Schlammboden ein 65
Grabloch. Dann schnitzte er mit der Machete ein Holzkreuz. Er trug den Toten zu dem Loch und bettete die Gebeine vorsichtig hinein. Dann scharrte er Erde über das Grab und steckte das Kreuz darauf – so wie es ihm Casson erzählt hatte. Als er noch unschlüssig dastand, fiel ihm ein, daß auch die Eingeborenen Fürbitte bei den Göttern für ihre Toten hielten. Instinktiv tat Bomba das richtige, als er an eine unbekannte Gottesmacht die Bitte richtete, die Seele des toten weißen Mannes freundlich aufzunehmen. Dann wandte sich Bomba ab. Er wollte gerade weitergehen, als sein Blick auf einen blinkenden Gegenstand fiel, der am Fuße des Baumes lag. Das Ding war vorhin beim Transport des Toten hinuntergefallen. Jetzt sprang Bomba schnell hinzu, als er erkannte, daß es ein Patronengürtel war. Mit bebenden Händen ergriff er eines der Geschosse und probierte es in seinem Revolver aus. Es war das gleiche Kaliber! Vor Freude hätte Bomba in die Luft springen mögen. Jetzt konnte er wieder seinen geliebten Revolver verwenden. Sorgfältig verwahrte er die wertvolle Munition, ehe er weitermarschierte. Ihm kam es so vor, als hätte jene große, unbekannte Macht ihm dieses Geschenk in die Hände gespielt – jene Macht, der er zuvor die Seele des Gestorbenen empfohlen hatte. So viel aber Bomba auch suchte: die Waffe selbst war nicht zu finden. Wahrscheinlich hatte sie ein Eingeborener aus Neugierde an sich genommen. Den Körper des Toten hatte er wohl nicht zu berühren gewagt, aus Furcht, böse Geister an sich zu locken. 66
Am nächsten Tage gab Bomba endgültig die Suche auf. Von Hondura hatte er sich den Weg zur Jaguarinsel erklären lassen, und er stieß bald auf jenen Pfad, von dem der Häuptling der Araos gesprochen hatte. Die Unruhe trieb den Jungen vorwärts. In seinem gleichmäßig schwingenden, federnden Laufschritt eilte Bomba dahin. Alle möglichen Befürchtungen machten ihm zu schaffen. Es war nicht ausgeschlossen, daß Japazy nicht mehr auf der Jaguarinsel wohnte. Sobrininis Hinweis war nur sehr unbestimmt gewesen. Wie konnte er auch von einer Geistesgestörten eine genaue Auskunft erwarten? Wenn ich Japazy nicht finde, erfahre ich nie etwas über Bartow, Laura und über das Kind, das Bonny genannt wurde, sagte sich Bomba immer wieder. Seine Gedanken kreisten ermüdend oft um die gleiche Frage. Würde er zum Ziel kommen? Würden alle seine Fragen eine Antwort finden? Gegen Abend hielt Bomba einmal inne und verzehrte ein Stück von dem Tapirfleisch, das ihm die Araos mitgegeben hatten. Dann wanderte er weiter – in der Dämmerung – in der Nacht – ruhelos – rastlos. Gegen Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die Lianenvorhänge durchstachen, übermannte den Jungen endlich die Müdigkeit. Er hatte sich zu viel zugetraut. Wo er stand, sank er plötzlich zu Boden. Am Fuße eines Baumes fiel Bomba in tiefen Schlaf. Lange hatte er wohl wie bewußtlos geschlafen. Dann begannen unruhige Träume das Erwachen vorzubereiten. Schreckliche Visionen plagten ihn im Schlaf. Er glaubte, 67
wieder in den Feuerhöhlen des ,Laufenden Berges’ zu sein. Der mächtige Vulkan brüllte, und der Berg zitterte. Die Flammen züngelten, und das Grollen ringsumher verstärkte sich noch. Das schlimmste daran war, daß Bomba dalag und sich nicht bewegen konnte. Er sah, wie die Feuerzungen auf ihn zukamen, er hörte das dumpfe Brüllen des ,Laufenden Berges’, aber seine Glieder waren schwer wie Blei. Mit einer furchtbaren Anstrengung rollte er sich etwas zur Seite – vom Feuer fort. Da öffnete Bomba die Augen. Sofort war er hellwach. Nacht war um ihn her. Er hatte also den ganzen Tag verschlafen! Ein Gewitter war aufgezogen, und der Sturm tobte durch den Dschungel. Wo sollte er jetzt Unterschlupf finden im Wüten des Sturmes? Noch hatte der Gewitterregen nicht eingesetzt. Blitze leuchteten auf und erhellten die Dschungellandschaft. Sekundenlang waren die Bäume zu sehen, deren Äste wie gespenstische Arme durch die Luft griffen und ihre Blätterfinger schüttelten. Die Lianen pendelten hin und her wie Seile, auf denen sich Affen schaukelten. Aber keines der Tiere des Urwaldes war noch im Freien. Alle hatten Schutz gesucht. Nur Bomba stand da und ließ den Blick hilflos umhergleiten. Nun klaffte der Himmel auseinander, und der Regen begann zu fallen. Sturzbäche rauschten durch das Blätterdach herab. Ein Blitz zuckte steil zur Erde. Unmittelbar darauf folgte ein rasendes Krachen und Bersten. Instinktiv sprang Bomba zur Seite. Ein riesiger Urwaldbaum neigte sich vornüber und stürzte zu Boden. 68
Nicht weit genug hatte der Sprung Bomba davongetragen. Die Äste der Krone ergriffen ihn und schleuderten ihn irgendwohin. Er spürte noch einen starken Schmerz am Hinterkopf, dann verlor er das Bewußtsein. Lange hatte Bomba nicht ohnmächtig dagelegen. Als er erwachte, tobte das Gewitter noch immer im Urwald. Er schlug die Augen auf und sah zuerst nichts als eine undeutliche, schattenhafte Bewegung über sich. Der Regen rauschte nieder, aber die Tropfen berührten ihn nicht. Irgend etwas hing schützend über seinem Gesicht. Sein Hinterkopf schmerzte. Er bewegte ihn, und hatte das Gefühl, daß er in etwas Klebrigem, Weichem lag. Zuerst erschrak er, weil er glaubte, es wäre Blut. Er befreite eine Hand aus dem engen Astwerk und betastete seinen Kopf. Kein Riß war zu spüren. Unter den Fingern fühlte Bomba dann den nachgiebigen Sumpfbrei. Er hob den Kopf und vernahm das Schmatzen des Schlammes, der seine Beute nicht freigeben wollte. Jetzt wußte Bomba, was mit ihm geschehen war. Der Baumwipfel hatte ihn in ein Sumpfloch geschleudert. Sein Unterleib war vollkommen festgeklemmt, und mit Kopf und Schultern ruhte er im Schlamm. Langsam sank er immer tiefer. Die Last der Baumkrone drückte seinen Körper schnell in den Sumpf hinein. Es war nur gut, daß seine Beine und Füße noch eine Stütze auf den Ästen des Baumes hatten und nicht ebenso schnell wie sein Oberkörper in den Sumpf gesogen wurden. Um sich zu befreien, konnte Bomba nur den linken Arm gebrauchen, denn der andere schien völlig erstarrt und 69
empfindungslos zu sein. Ein Schlag mußte ihn getroffen haben – vielleicht war er gebrochen. Unter diesem Arm steckte die Machete im Gürtel. Bomba versuchte mit der linken Hand einige Äste abzubrechen, um das Haumesser zu erreichen – aber es gelang ihm nicht. Die Anstrengung, den Kopf über der Sumpfoberfläche zu halten, verkrampfte seine Nackenmuskeln. Nach einer Weile ließ Bomba den Kopf ermüdet zurücksinken. Sofort griff der Schlamm wie mit tausend weichen Fingern zu und zog ihn hinab. Gefangen, dachte Bomba bitter – gefangen wie ein Dschungeltier in der Falle!, Das soll also mein Ende sein! Ich werde in den Sumpf hineingesaugt werden, und kein Mensch wird je erfahren, wo ich starb! Ein wilder, heißer Schmerz durchzuckte den Jungen. Das Schicksal hatte ihn um alles betrogen, was jeder weiße Junge besaß. Er hatte keine Eltern wie Frank, und er hatte kein Heim. Statt dessen war er täglich den lauernden Gefahren des Dschungels ausgesetzt. Für kurze Zeit war Bomba mutlos und verzagt. Vielleicht hätte er sich in diesem Anfall von Lebensüberdruß einfach widerstandslos in den Sumpf hineinsinken lassen, wenn er nicht bei einer Kopfwendung eine erschreckende Entdeckung gemacht hätte. Keine drei Meter von ihm entfernt, sah er reglos im phosphoreszierenden Schimmer eines faulenden Baumstumpfes den geringelten Schuppenleib einer Jaracara, der brasilianischen Klapperschlange.
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Noch war nicht zu erkennen, ob Leben in dem Körper der Giftschlange war. Falls sie schlafen sollte, konnte jede leise Bewegung sie erwecken. Und wenn sie angriff, konnte Bomba nicht einmal seine Machete gebrauchen, um den züngelnden Tod abzuwehren. Die Ringe des Schlangenleibes bewegten sich jetzt träge. Bomba starrte wie gelähmt hinüber. Der dreieckige Kopf der Jaracara hob sich und begann zu pendeln. Sie schien zu überlegen, welchen Weg sie einschlagen sollte. Da wandte die Schlange langsam den Kopf. Der Hals richtete sich etwas höher. Mehrere Male zuckte die dünne Zunge in blitzschneller Bewegung aus dem Rachen. Die Jaracara hatte Bomba entdeckt.
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10 Zuckende Ringe Sanft wiegte sich der Kopf der Jaracara hin und her. Langsam schob sie ihren Leib näher. Am Rande des Sumpfloches, nicht weiter als anderthalb Meter von Bombas Kopf entfernt, hielt sie an; sie schien ihrer Beute vollkommen sicher zu sein. Wieder bäumte sie den Hals empor und züngelte. Der Schuppenkörper legte sich in elastische Ringe – die Jaracara machte sich zum Stoß bereit. Bomba drückte den Kopf etwas zur Seite – aber das war sinnlos. Der Giftrachen des Reptils würde ihn auf jeden Fall erreichen. Aus runden, bösen Augen starrte sie auf ihr Opfer. Es sah aus, als wollte sie einen Zaubertanz vor der Beute ausführen, ehe sie sich ihrer bemächtigte. Dann erstarrte sie mitten in der Bewegung. Bombas scharfes Ohr vernahm das Geräusch schneller als die Schlange. Er hörte ein Rascheln – und sah im nächsten Augenblick eine riesige Castanha-Nuß herabsausen. Es konnte kein Zufall sein – der Schuß war zu gut gezielt: mit tödlicher Genauigkeit traf die Nuß den Schädel der Giftschlange und zerschmetterte ihn. Der Körper des Reptils wand sich in peitschenden Zuckungen sinnlos am Boden. Bomba wandte mühsam den Kopf, um zu erkennen, woher die Rettung gekommen war. Zuerst hörte er nur ein Rascheln – dann legte sich eine haarige Pfote auf seine 72
Stirn, und ein zottiger Affenkopf tauchte neben ihm auf. Bomba stieß einen heiseren Jubelruf aus. „Doto! Wie hast du mich finden können? Weißt du, daß ich dich nie nötiger gebraucht habe als in diesem Augenblick?“ Mit der freien Hand streichelte Bomba dankbar den Kopf des Affen. Doch die Begeisterung seines Urwaldfreundes war noch größer. Er hüpfte auf und nieder und schnatterte mit atemberaubender Geschwindigkeit. Bomba lächelte. „Ich verstehe dich nicht“, sagte er. „Du bist zu aufgeregt.“ Plötzlich schien sich die Unruhe des Affen noch zu steigern. Er schaute sich um, als witterte er eine Gefahr. Dann ergriff er Bombas Hand und zerrte daran, als wollte er ihn mit sich reißen. „So geht es nicht“, sagte Bomba. „Die Machete! Doto, ich brauche meine Machete!“ Der gelehrige Affe hatte das Wort schon oft aus Bombas Mund gehört, und er wußte, was damit gemeint war. Als Bomba mit der linken Hand in die Richtung wies, wo die Machete an seinem Gürtel steckte, begann der Affe sofort die Zweige abzubrechen. Er bog die größeren Äste zur Seite und betastete Bombas Hüfte. Er ließ einen schmatzenden Laut der Zufriedenheit hören, als er die Waffe gefunden hatte. Sehr vorsichtig zog er sie heraus und reichte sie frohlockend Bomba hin. „Doto“, murmelte der Junge ergriffen. „Du rettest mein Leben! Eben noch habe ich mein Dasein im Dschungel
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verflucht und mir den Tod gewünscht, und nun weiß ich, daß ich doch noch Freunde habe!“ Der Affe verstand die dankbaren Worte. Aber seine Unruhe wich nicht. Immer wieder schnatterte er erregt und machte seltsame Gebärden mit seinen langen Armen. Der Regen hatte beinahe aufgehört, und der Wind fuhr nur noch in schwachen Stößen durch den Wald. Vielleicht hatten einige Raubkatzen schon wieder ihre Schlupfwinkel verlassen und gingen auf Beute aus. Wollte ihn Doto vor dieser neuen Gefahr warnen? Ohne sich noch mit Fragen aufzuhalten, machte sich Bomba daran, das Gefängnis aus Ästen zu zerstören. Doto stützte seine Schultern und erleichterte ihm auf diese Weise die Arbeit. Endlich war es so weit, daß sich der Junge aufsetzen konnte. Der rechte Arm war immer noch gefühllos. Alles mußte die Linke tun. Wenn seine Kräfte erlahmten, zeigte Doto sofort größte Erregung. Also war Eile geboten. Bomba selbst vermochte kein verdächtiges Geräusch zu vernehmen, aber er wußte, daß das Gehör des Affen noch viel schärfer war als sein eigenes. Unermüdlich hackte er mit der linken Hand auf die Äste los. Jetzt zwängte nur noch eine knorrige Astgabel die Bewegungsfreiheit seiner Füße ein, und auch diese Falle wurde geöffnet. Der Junge legte die Hände auf die Schultern des Affen; Doto verstand sofort und zog mit aller Kraft. Wieder war das saugende Schmatzen zu hören, als dem Sumpf seine Beute entglitt.
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Bomba war frei. Wenn auch der rechte Arm jetzt stark schmerzte – das Leben war ihm neu geschenkt worden. Immer wieder versuchte er, den Arm zu bewegen, und er fühlte wie das Blut in das abgestorbene Glied zurückzufließen begann. Es war also kein Bruch, und bald würde er den rechten Arm wieder ebenso gebrauchen können wie den linken. Kaum hatte Bomba die ersten Schritte auf festem Boden getan, als ihn Doto auch schon weiterzerrte. Dann lief er mit hastigen Sprüngen voraus und wartete, bis Bomba ihn erreicht hatte. Die Kraft des Unwetters war erschöpft, und es wurde still im Dickicht. Nur einzelne Windstöße rauschten mit geheimnisvollem Flüstern durch die hohen Wipfel. Das Mondlicht floß in schmalen, silbernen Lichtbahnen zwischen den Zweigen hindurch, und in diesem Ungewissen Schimmer sah Bomba vor sich die groteske Gestalt des Affen, der behende und geräuschlos voraneilte und sich oft nach ihm umschaute. Die Befreiung aus dem Sumpf hatte Bombas Kraft erschöpft, und er vermochte dem Affen kaum zu folgen. Als das Tier wieder einmal beinahe außer Sicht war, sah Bomba, wie es plötzlich innehielt. Bomba schlich sich lautlos näher. Jetzt vernahm auch er Geräusche. Im Unterholz bewegte sich etwas. Das erstemal hörte Bomba verstohlene Raubtiertritte aus nördlicher Richtung. Dann schien das Geräusch von Westen her zu kommen – und dann wieder von Osten. Ein scharfer Geruch drang Bomba in die Nase: Pumas – es mußten mindestens drei sein – von drei Seiten schlichen sie heran. 75
11 Verfolgt von Pumas Gegen einen Puma hätte Bomba den Kampf wagen können. Ein Pfeilschuß konnte die Raubkatze erlegen, ehe sie zum Sprung ansetzte. Wenn ihn jedoch drei Pumas zu gleicher Zeit angriffen, wäre er verloren. Doto schien einen Zufluchtsort entdeckt zu haben. Er kam zurückgesprungen und zerrte Bomba weiter. Sie rannten in wilder Flucht davon, und die Pumas folgten ihnen. Jetzt schlichen die Raubkatzen nicht mehr vorsichtig, sondern sie brachen in langen Sätzen durch das Unterholz und das raschelnde Farnkraut. Die Öffnung einer Höhle lag als dunkles Loch am Rande eines Felsens vor ihnen. Doto sprang als erster hinein und zog Bomba nach sich. Zwei der Bestien waren ihnen dicht auf den Fersen, und zu gleicher Zeit wollten sie in den engen Spalt eindringen. Der Zusammenprall ihrer Körper versetzte sie in fauchende Wut, und sie sahen plötzlich in dem Jagdgefährten den Feind, der ihnen die Beute abjagen wollte. In der nächsten Sekunde war vor der Höhle ein wirbelnder Kampf zwischen den beiden Pumas im Gange. Das bedeutete für den Augenblick die Rettung für die Verfolgten. Bomba riß den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne. Aber als er sie hastig spannte, riß die Sehne mit einem unheilvollen Schnappen. 76
Bomba warf den Bogen zu Boden, griff nach seinem Revolver und umklammerte mit der Linken die Machete. Er würde einen seiner Feinde im Nahkampf verwunden oder töten können – aber immer noch hatte er es mit drei Raubkatzen zu tun. Die beiden Pumas vor dem Höhleneingang stritten weiterhin erbittert um das Recht, als erster in die Höhle eindringen zu können. In ihrem verbissenen Kampf hatten sie sich etwas von dem Höhlenloch entfernt. Der dritte Puma war nirgends zu sehen; erst als Bomba den fahlen Dämmerschein vor dem Eingang genauer mit dem Blick durchforschte, gewahrte er die gelblichgrün glimmenden Raubtierlichter der dritten Dschungelkatze. Langsam und zögernd näherten sie sich der Spalte. Bomba sprang einige Schritte in das Dunkel der Höhle zurück und packte die Machete fester. In diesem Augenblick fühlte er einen scharfen Ruck an seinem Arm. Er dachte, daß Doto sich angstvoll an ihn klammerte, und versuchte, ihn abzuschütteln. Doch Doto zerrte den Arm mit Gewalt zurück und legte die Hand Bombas auf etwas Kaltes, Glattes. Jetzt verstand Bomba, was ihm Doto zeigen wollte: ein Felsblock lag dort, mit dem sie das Eingangsloch versperren konnten. Wahrend vor der Höhle die kämpfenden Pumas schnaubten und grollten und die Lichter des dritten Pumas schon dicht vor dem Spalt aufleuchteten – rollten Bomba und Doto den schweren Stein langsam und keuchend auf den Eingang der Höhle zu. 77
Vier Fuß – fünf Fuß – sechs Fuß stießen sie den Block mühselig vorwärts. Jetzt war nur noch ein schmaler Einlaß frei. In diesem Augenblick erkannte der Puma vor der Höhle, was geschah. Mit einem wütenden Fauchen sprang er vorwärts. Bomba und Doto warfen sich mit letzter, verzweifelter Anstrengung gegen den Felsblock – er rollte polternd in den Spalt und verschloß ihn ganz. Der Puma brüllte in rasender Wut auf; der schwere Stein hatte seine Pranke getroffen. Er riß sie los und hinkte grollend davon. Bomba lehnte sich erschöpft, aber zufrieden, mit dem Rücken gegen den Stein. Doto drängte sich dicht an ihn. So saßen sie und lauschten eine Weile auf die Geräusche des Raubtierkampf es. Jetzt wurde es still; verstohlene Tritte entfernten sich: die Pumas hatten anscheinend die Beute aufgegeben. Bomba spürte, wie Doto neben ihm zitterte, und er streichelte beruhigend den haarigen Schädel des Affen. „Doto ist Bombas guter Freund“, sagte der Junge. „Doto hat mir gute Hilfe geleistet. Wir sind jetzt in Sicherheit, Doto! Du brauchst keine Furcht mehr zu haben. Wir bleiben bis zum Morgen in der Höhle, und am hellen Tag werden uns die Pumas nicht angreifen. Doto hat mir das Leben gerettet! Ich werde das nie vergessen!“ Allmählich besänftigte sich die Erregung des Affen. Er schmiegte seinen Kopf an die Brust des Jungen und gab leise, zufrieden schmatzende Laute von sich.
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Bomba untersuchte nun schnell die Höhle und vergewisserte sich, daß es keinen zweiten Eingang gab. Sie konnten sich unbesorgt zur Ruhe legen. Nach den wilden Ängsten und Aufregungen der Nacht vermochte Bomba nicht so schnell den Schlaf zu finden. Er war dem Tode mit knapper Not entgangen. Aber was mochte mit Casson geschehen sein? Lebte der Alte noch? Hatten ihn die Araos vielleicht im Urwald gefunden? Oder sollte es Bomba nicht mehr vergönnt sein, seinen Gefährten wiederzusehen? Mit Bitterkeit dachte Bomba daran, daß sogar die Anwesenheit eines Dschungeltieres ihn etwas in seiner Einsamkeit tröstete. So stand es um ihn! Er mußte froh sein, wenn ihm Doto oder Polu Gesellschaft leisteten. Er liebte die Tiere, aber sie waren auf die Dauer kein Ersatz für die Gesellschaft gleichartiger Menschen. Wenn er an die Stunden und Tage dachte, die er zusammen mit Frank Parkhurst verbracht hatte, dann erschien ihm jede andere Freundschaft nichtssagend und leer. Endlich schlief Bomba übermüdet ein. Er erwachte erst wieder, als die Sonne über den Baumkronen stand und ihr strahlendes Licht den Dschungel mit verschwenderisch prunkenden Farben erfüllte. Quälende Muskelschmerzen machten Bomba zu schaffen. Die linke Schulter und den rechten Arm konnte er nur mühsam bewegen, und das Bein, das am längsten unter den klammernden Ästen gelegen hatte, war lahm. Bomba hinkte versuchsweise in der Höhle umher. Als Doto seine ungeschickten Bewegungen sah, forderte er ihn schnatternd 79
und mit ausdrucksvollen Gebärden auf, weiter in der Höhle zu bleiben. Der Junge überlegte. Er wußte, daß er in dieser halbgelähmten Verfassung den Gefahren des Dschungels nicht entgegentreten sollte. Die Höhle bot Schutz, und im Beutel hatte er genug Tapirfleisch für Doto und sich. Die Versuchung, sich einen Tag Ruhe zu gönnen, war groß. Doch stärker noch war der Antrieb der inneren Unruhe und Sehnsucht. Jeder Tag konnte entscheidend für sein Schicksal sein. Wenn er Japazy nicht mehr auf der Jaguarinsel antraf, würde er nie etwas von seiner Herkunft erfahren. Er durfte nicht rasten, er durfte nicht den Einflüsterungen der Schlaffheit und Mattheit erliegen! „Ich muß weiter“, sagte Bomba. „Ich weiß, daß die Höhle warm und sicher ist, aber ich kann keinen Tag warten.“ Doto wiegte den Kopf hin und her, als mißbilligte er die Entscheidung seines Freundes. Um ihn abzulenken, bot ihm Bomba etwas Tapirfleisch an. Das war nichts für Dotos Magen. Er lehnte ab und schaute neidlos zu, wie Bomba sein Frühstück verzehrte. Er selbst würde sich dann später einige Nüsse suchen – das schmeckte ihm besser als Fleisch. Endlich waren sie bereit zum Aufbruch. Mit vereinten Kräften rollten sie den Stein ein Stück vom Eingang fort. Sie öffneten nur einen schmalen Spalt, so daß sie gerade hindurchkriechen und im Notfall sofort wieder zurückfliehen konnten. Einer der Pumas mochte womöglich noch bei der Höhle lauern. 80
Vorsichtig glitt Bomba hinaus. Das helle Sonnenlicht funkelte durch die Bäume und schimmerte auf den üppig wuchernden Gräsern und Farnen. Papageien kreischten im Wipfel einer Palme. Doto ergriff ein Lianenseil und schwang sich auf einen Ast hinauf. Der Lianenstrick glitt zurück und pendelte aus. Auch von seinem hohen Ausguck konnte Doto anscheinend nichts Verdächtiges bemerken. Er schnatterte laut und wies auf etwas, das am Fuße des Baumes lag. Langsam und vorsichtig ging Bomba näher. Da sah er ein gelbbraunes Fell im Grase schimmern. In einer Blutlache lag dort ein riesiger Puma mit zerbissener Kehle – der Besiegte des nächtlichen Kampfes. Der Futterneid und die Streitsucht der Raubtiere hatten ihm und Doto das Leben gerettet. Es war gut, daß die Natur die Raubkatzen nicht mit Menschenverstand ausgerüstet hat – überlegte Bomba. Wenn sich die Raubtiere nicht um die Beute gestritten hätten, wären er selbst und Doto jetzt zerfleischt, und die Pumas hätten eine ausgiebige Mahlzeit gehalten. Doto war von seinem Ausguck wieder herabgeklommen. Er schien zu ahnen, daß der Abschied kam. Traurig schmiegte er sich an den Jungen und schaute ihn aus seinen dunklen, klugen Augen an. „Ich muß jetzt gehen, Doto“, sagte Bomba bekümmert. „Ich kann dich nicht mit mir nehmen. Bald fahre ich über ein großes Wasser und gehe in ein Land, in dem es keine Bäume gibt, sondern nur große Steinhäuser. Dort würde sich Doto so einsam fühlen, wie Bomba im Dschungel. Es ist besser, wenn Doto hierbleibt. Ich komme zurück. Ich 81
werde nie vergessen, welchen Dienst mir Doto in der Nacht erwiesen hat.“ Doto stieß leise Klagelaute aus und legte seine Pfoten auf die Schultern des Jungen. Wohl hatte er den Sinn der vielen Worte begriffen, aber er wollte die Trennung nicht wahrhaben. Mit sanfter Gewalt löste sich Bomba aus der Umklammerung. Er wies auf einen Baum, und Doto gehorchte widerstrebend. Oft blickte sich der Junge noch um, bis die braune Gestalt seines Urwaldfreundes nicht mehr im dichten Gezweig zu erkennen war. Ehe Bomba weitermarschierte, prüfte er noch seine Waffen. Er zog eine neue, starke Sehne auf den Bogen und probierte sie aus. Als Ziel nahm er sich das Astloch eines sehr schmalen Baumstammes. Der Pfeil schoß davon und blieb zitternd mitten im Ziel stecken. Zufrieden trat Bomba an den Baum heran und zog den Pfeil heraus. Dann untersuchte er den Revolver. Alle fünf Kammern waren geladen. Im Nahkampf konnte ihm das Geschenk der Gummisucher gute Dienste leisten. Wenn er auch mit dem Bogen besser umzugehen verstand, so hatte er im Laufe der Zeit auch mit der Schußwaffe schon eine beachtliche Treffsicherheit erreicht. Nachdem Bomba so seine Vorbereitungen getroffen hatte, orientierte er sich, welche Richtung einzuschlagen war. In der Nacht waren sie bei der Flucht vor den Pumas weit vom Wege abgekommen, und Bomba brauchte lange Zeit, um den Dsdiungelpfad wieder zu erreichen, der zum Fluß führte. 82
Der gefährlichste Teil der Reise lag nun vor ihm. Bisher war Bomba durch Gebiete gewandert, in denen die Eingeborenen oft jagten und Hütten bauten. Wie Hondura gesagt hatte, mieden die Indianer jedoch die Nähe der Jaguarinsel und der versunkenen Stadt mit den goldenen Türmen. Raubtiere und Schlangen bevorzugten diesen leeren Teil des Dschungels natürlich. Niemand stellte ihnen nach – keine Fallen bedrohten ihre Tritte. Jaguare und Pumas fühlten sich als Könige in diesem Gebiet; sie fürchteten den Menschen nicht so wie in den dichter besiedelten Teilen des Dschungels. Nachteilig war es für Bomba auch, daß er in diesem Dschungelrevier keine Schlupfwinkel, keine Höhlen und Baumverstecke kannte. In der Not konnte ihn nur der Zufall zu einem geeigneten Zufluchtsort führen. Das waren bedrohliche Tatsachen, mit denen sich Bomba vertraut machen mußte. Er war auch nicht so leichtfertig, diese schlimmen Möglichkeiten unbeachtet zu lassen. Aber Schwanken und Zaudern waren nicht seine Art. Den einmal beschrittenen Weg ging er unbeirrbar weiter, und als im Laufe des Tages auch die Schmerzen im Bein nachließen, war er von neuer Zuversicht erfüllt. Zwei Tage lang folgte Bomba dem Pfad, der von Stunde zu Stunde beschwerlicher wurde. Es war zu erkennen, daß Menschen diese Gegend selten betraten. An vielen Stellen war der Pfad zugewachsen, und der Junge mußte sich mühsam seinen Weg durch das Gestrüpp von Dornenbüschen und verfilzten Lianen bahnen. Das Tapirfleisch war auf die Dauer eine eintönige Ernährung, und Bomba nahm sich die Mühe, 83
Schildkröteneier zu suchen. Am zweiten Tage fiel ein Wildschwein seinem Pfeil zum Opfer. Er briet ein Stück und schlang es in aller Hast hinunter. Am dritten Tage stieß er auf eine frische Tapirfährte. Er wollte das Tier erlegen und schlich sich an. Plötzlich sagte ihm sein untrüglicher Dschungelinstinkt, daß er nicht nur der Jäger war, sondern daß er selbst gejagt und verfolgt wurde. Bei einem Baum blieb Bomba stehen, damit sein Rücken gedeckt war. Er spähte scharf umher, ohne zuerst etwas Verdächtiges zu entdecken. Zur Rechten wuchsen Büsche mit großen, grellgelben Blüten. Plötzlich fiel eines der Blütenblätter zu Boden – und dieser sanfte Fall des Blütenblattes erregte Bombas Aufmerksamkeit. Tatsächlich hatte sich dort etwas bewegt. So verstohlen war die Bewegung jedoch, daß Bomba die kauernde Gestalt des Jaguars erst erkannte, als das Tier sich durch sein angriffslustiges Fauchen verriet. Die Raubkatze setzte fünf Meter von seinem Baum entfernt zum Sprunge an. Bombas Pfeil war im Nu auf der Sehne – der Bogen spannte sich. Im gleichen Augenblick schleuderte sich der Jaguar empor. In seinem offenen Rachen schimmerten die spitzen Reißzähne, die Ohren lagen flach am Kopf, seine Augen glühten. Beim Abschnellen des Pfeiles stieß Bomba mit dem Ellenbogen gegen den Baumstamm. Das Geschoß verfehlte sein Ziel – und der Junge warf sich zur Seite.
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12 Ein erbitterter Kampf Im Fallen sah Bomba, wie sich ein großer, gelber Körper in die Flugbahn des Jaguars warf – aus dem Unterholz war ein riesiger Puma mit majestätischem Sprung hervorgeschossen. Mitten in der Luft trafen die beiden Raubtiere in heftigem Anprall zusammen. Sofort war ein wildes, schnaubendes Kampfgewühl im Gange. Bomba erhob sich benommen. Es dauerte eine Weile, ehe er erkannte, daß ihm wieder einmal sein Dschungelfreund Polu zu Hilfe geeilt war. Wer weiß, wie der Puma die Fährte Bombas aufgenommen hatte; vielleicht war er ihm schon tagelang gefolgt und hatte jetzt eingegriffen, als er seinen Freund in Gefahr sah. Der Kampf der Urwaldtitanen wurde immer heftiger und ungestümer. Erde und Laub flogen in die Höhe, Krallen gruben sich in das Fell, Raubtiergebisse leuchteten auf, um im nächsten Augenblick eine verwundbare Stelle am Körper des Gegners zu packen. Bomba trat näher hinzu, um Polu womöglich beistehen zu können. So wild und blitzschnell wirbelten jedoch die Körper umher, daß der Junge keine günstige Gelegenheit fand, dem Jaguar die Machete in den Nacken zu stoßen. Aber Polu begann bereits die Oberhand zu gewinnen, und der Kampf war schon fast zu seinen Gunsten entschieden, als ein zweiter Jaguar auf die Lichtung stürzte. Der neue Gegner griff Polu in der Flanke an. Seine Reißzähne 85
gruben sich in das Fell des Pumas. Mit mächtigen Prankenhieben setzte er dem Feind zu. Polu warf sich in unheimlich schneller Wendung herum. Ein mächtiger Prankenhieb traf den neuen Angreifer so hart, daß er meterweit fortgeschleudert wurde und auf dem Rücken landete. Doch im nächsten Augenblick war der Jaguar wieder auf den Beinen. Auch Polus unterlegener Gegner hatte neuen Mut gefaßt und schaltete sich wieder in den Kampf ein. Der doppelten Übermacht mußte Polu allmählich erliegen. Jetzt war es höchste Zeit, daß Bomba in den Kampf eingriff. Mit einem ermutigenden Zuruf an Polu stürzte er vor und schlug alle Vorsicht in den Wind. Von neuem hatte sich der zweite Jaguar auf die Flanke des Pumas geworfen. Bomba sprang hinzu und stieß die Machete in den Nacken des Jaguars. Sofort schleuderte er sich wieder zurück. Keine Sekunde zu früh! Der Prankenhieb des Jaguars ging dicht an ihm vorbei. Diese winzige Zeitspanne – in der sich der Jaguar von Polu wegwandte, um den neuen Angreifer abzuwehren – nutzte Bomba zu seinem tödlichen Streich aus. Die Kehle des Jaguars war einen Atemzug lang ohne Deckung – und schon bohrte sich der Stahl der Machete tief hinein. Mit ohnmächtigen Prankenhieben versuchte der Jaguar die Waffe aus der Kehle zu reißen. Er schleppte sich einige Schritte abseits – Blut schäumte hellrot aus seinem Rachen –, dann sank er zur Seite und verendete mit einem Röcheln. Bomba sprang hinzu und zog die Machete aus dem Hals des Jaguars. Er wollte Polu von neuem zu Hilfe eilen. Aber 86
in diesem Augenblick ließ der Puma sein Triumphgebrüll erschallen. Der Kampf war vorüber: mit durchbissener Kehle lag der andere Jaguar am Boden, und seine Fänge waren wie zu einem schrecklichen Grinsen geöffnet. Die offenen Augen verglasten – noch ein Zucken der Flanken – , dann war auch dieser Gegner tot. Kaum zwei Meter von seinem besiegten Feind entfernt, sank Polu selbst ermattet zu Boden. Er war zu schwach, um seine Wunden zu lecken, zu schwach sogar, um Bomba zu begrüßen. Doch als der Junge neben ihm niederkniete und seinen zottigen Kopf streichelte, versuchte er, die Hand zu lecken, die ihn liebkoste. Der Blick, der eben noch wild und mordgierig gefunkelt hatte, wurde sanft und freundlich. Die große Katze begann zu schnurren. „Du bist mein tapferer Freund“, murmelte Bomba, als spräche er zu einem Wesen, das jedes Wort verstände. „Du bist der tapferste Puma im Dschungel. Polu hat schon viele Feinde Bombas erlegt. Auch jetzt ist Polu zur rechten Zeit gekommen, um mir beizustehen. Ich weiß nicht, wie Polu meine Fährte gefunden hat. Aber ich bin froh, daß ich nicht allein kämpfen mußte. Vielleicht wäre ich jetzt schon tot und könnte nie mehr mit Polu spielen und reden.“ Der riesige Puma richtete sich auf und rieb seinen Kopf an Bombas Brust. Einen Augenblick lang fühlte der Junge die rauhe Zunge auf seiner Haut. Er umschlang Polus Nacken und raunte zärtliche Worte in sein Ohr. Als Bomba sah, daß Polu nach kurzer Zeit wieder ermattet zur Seite sank, kümmerte er sich zuerst um die 87
Wunden des Tieres. In der Nähe war das Plätschern eines Baches zu hören; Bomba eilte hin, tränkte sein Tuch mit Wasser und reinigte die Wunden des Pumas. Dann legte er nassen Schlamm auf die Verletzungen. Alles ließ Polu unbeweglich über sich ergehen. Nur sein leises Schnurren deutete an, daß er mit der Wundbehandlung sehr zufrieden war. Später benutzte Bomba große Blätter als Trinkgefäße und brachte dem erschöpften Puma Wasser. Gierig und dankbar schlürfte es Polu, aber er verweigerte jede Nahrungsaufnahme. Bombas Vorräte bedurften einer Ergänzung, und obwohl Jaguarfleisch nicht gerade ein Mahl für Feinschmecker ist, schnitt er große Stücke heraus und röstete sie am Feuer. Was er im Augenblick nicht verzehren konnte, verstaute er in seiner Hüfttasche. Die aufregende und doch so erfreuliche Begegnung im Dschungel ging zu Ende. Wie immer fiel es Polu schwer, sich von Bomba zu trennen. Es waren viele zuredende Worte nötig, um den Puma davon zu überzeugen, daß er nicht mit dem Jungen weiterwandern konnte. „Polu wird zu seinen Freunden zurückkehren und ihnen in seiner Sprache berichten, wie er Bomba geholfen hat“, tröstete ihn Bomba. „Polu ist jetzt wieder stark und gesund. Ich muß weiter und kann dich nicht mitnehmen, Polu, verstehst du das?“ Nein, das begriff Polu nicht ganz. Er stand noch auf der Lichtung und blickte dem Jungen nach, als Bomba längst zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann hob er 88
den Kopf und ließ ein langgezogenes, klagendes Brüllen hören. Bomba antwortete mit einem hellen Schrei. Das war der Abschied. Mit noch größerer Vorsicht setzte Bomba seine Wanderung fort. Der Überfall der Jaguare hatte ihn gewarnt. Am hellen Tage griffen die Raubkatzen im allgemeinen nicht an. Wenn sie so dreist vorgingen, war anzunehmen, daß sie noch keinem Menschen begegnet waren und nichts von ihren geheimnisvollen Kräften wußten. Zweimal hörte Bomba an diesem Tage verdächtige Geräusche. Jedesmal klomm er sofort auf einen Baum und hielt Ausschau. Einmal war es ein Wildschweinrudel, das unter ihm dahintrottete. Die Tiere nahmen keine Witterung von ihm auf und zogen ruhig weiter. Nach einer Viertelstunde stieg Bomba vom Baum herunter und eilte weiter. Die zweite Begegnung wäre beinahe schlimm verlaufen. Als Bomba sich an einem Lianenseil über ein Sumpfloch schwang, schwebte er auf einen Baum zu, um dessen untersten Ast sich eine Anakonda ringelte. Wenn Bomba losgelassen hätte, wäre er gerade unter dem Baum gelandet. Er hielt fest und ließ sich von dem zurückpendelnden Seil wieder rückwärts über das Sumpfloch tragen und sprang ab. Dann machte er quer durch das Unterholz einen weiten Umweg, ehe er wieder auf den Pfad zurückkehrte. Am nächsten Tag mußte sich Bomba um neuen Fleischvorrat kümmern. Die Nacht hatte er sicher in der Astgabel eines Baumes verbracht und am Morgen den Rest des Jaguarfleisches gegessen. Sein Appetit war jetzt ziemlich groß, da er jeden Tag weite Strecken zurücklegte. Gegen Mittag traf er glücklicherweise auf eine Tapirspur. Er 89
beschlich das Tier bei einem Wasserloch und erlegte es. Nachdem er sich die besten Teile herausgeschnitten und sie in frische Blätter verpackt hatte, setzte er seine Reise fort. Am Nachmittag des dritten Tages durchquerte er ein Dschungelgebiet mit besonders dichtem Unterholz. Zwischen riesigen hochragenden Blattpflanzen, zwischen den großen Fächern der Farne und klammernden Dornenbüschen bahnte sich Bomba seinen Weg. Plötzlich hielt er unvermittelt an: ein lang hallender Schrei hatte ihn erschreckt. Es war der schrille Schrei, den ein Mensch in Todesangst ausstößt.
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13 In den Ringen der Boa Constrictor Es war nie ratsam, sich einem Ort zu nähern, an dem gekämpft wurde – so lautete eins der ungeschriebenen Gesetze des Dschungels. Ein Indianer hätte einen weiten Bogen um die Stelle geschlagen, von der die Schreie herkamen. Aber Bomba konnte dem inneren Drang nicht widerstehen, einem Bedrängten zu Hilfe zu eilen. Aus dem Schrei klang soviel echte Not, daß der Junge bedenkenlos auf dem Pfad dahinjagte, um dem Unbekannten zu helfen. Der Pfad mündete in eine Lichtung – und Bomba hielt entsetzensstarr inne. Unter den ausladenden Ästen eines Baumes kämpfte ein Eingeborener gegen eine riesige Boa Constrictor. Noch hatte sich die Riesenschlange nur um seinen rechten Arm gewunden, und verzweifelt versuchte der Mann, die Ringe abzustreifen, und sich aus der tödlichen Umschlingung zu befreien. Bomba sah sein schmerzverzerrtes Gesicht und eilte näher. Im gleichen Augenblick kam ein anderer Indianer auf die Lichtung gerannt. Er hatte ein kurzes Messer in der Hand und sprang jetzt um die Kämpfenden herum. Jedesmal, wenn er zustoßen wollte, stieß ihm der Kopf der Riesenschlange mit bösem Zischen entgegen. Für den Gefangenen in den Ringen der Boa war es ein Glück, daß die Schlange beim Angriff ihren festen Halt am Baum verloren hatte. Solange sie mit dem Schwanzende 91
nicht an einem Ast oder einem Baumstamm festgeklammert war, konnte sie die Hebelkraft ihrer würgenden Ringe nicht voll entfalten. Erst dann konnte die Boa das Opfer ganz umschlingen, es langsam zu einer formlosen Masse zerdrücken und in aller Ruhe fressen. Die Riesenschlange glitt rückwärts und zerrte ihr Opfer mit sich. Das Schwanzende berührte schon den Baumstamm, um den es sich ringeln wollte. Verzweifelt riß und zerrte der Mann an dem Schuppenleib, der seinen Arm umklammert hielt. Da er keine Waffe in der Hand hatte, war jede Bemühung vergeblich. Bomba jagte über die Lichtung und riß den Bogen von der Schulter. Er schrie laut auf, um die Aufmerksamkeit der Schlange auf sich zu richten. Das Reptil hob den flachen Kopf und zischte wütend. Dieser Augenblick genügte Bomba. Der Pfeil sauste von der Sehne – und durchbohrte den häßlichen Kopf der Boa. Der Todeskampf der Riesenschlange hätte für den Gefangenen noch schlimme Folgen haben können. Er mußte sich in acht nehmen, daß ihn das wild umherpeitschende Schwanzende nicht traf. Ein einziger Schlag konnte tödlich sein. Nach einer Weile wurden die Bewegungen des Schuppenleibes matter. Die Ringe lösten sich vom Arm des Mannes, und der Körper fiel schlaff zu Boden. Jetzt brach auch der Mann zusammen, der sich bisher tapfer auf den Beinen gehalten hatte.
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Gleichzeitig sprangen Bomba und der andere Indianer hinzu. Sie blickten sich zum ersten Male voll ins Gesicht und schrien beide in äußerster Überraschung auf. „Bomba!“ „Neram!“ Auf seiner Fahrt zum ,Laufenden Berg’ hatte Bomba die beiden Sklaven Ashati und Neram aus der Gewalt des Zauberers Jojasta befreit. Er hatte ihnen das Leben gerettet, als der tyrannische Medizinmann die beiden in eine der Feuerhöhlen des vulkanischen Berges geschleudert hatte. Seitdem verehrten sie den Jungen mit einer Anhänglichkeit und Unterwürfigkeit, wie er sie sonst noch von keinem Wesen erfahren hatte. Bomba hatte sie damals fortgeschickt, aber sie waren zurückgekehrt, und sie hatten ihn auch auf der Reise zur Schlangeninsel begleitet. Nach der Rückkehr hatten sie sich in dem kleinen Haushalt sehr nützlich gemacht. Dann war die von der Schlangeninsel geflüchtete Sobrinini eines Tages aus Pipinas Hütte verschwunden, und Bomba hatte Ashati und Neram zur Suche ausgeschickt. Seitdem waren sie nicht mehr wiedergekehrt. Bomba hielt die Fragen zurück, die sich auf seine Zunge drängten. Jetzt galt es erst dem Verwundeten Hilfe zu leisten. Neram lief nach Wasser; Bomba rieb die Gelenke Ashatis und klopfte die Haut, bis der Ohnmächtige die Augen öffnete. Noch flackerte das Entsetzen im Blick des Indianers. „Die Schlange“, flüsterte er. „Sie wird mich wieder packen! Nehmt die Schlange fort!“ 93
Neram war zurückgekehrt und rieb die Stirn seines Gefährten mit Wasser ab. „Die Schlange ist tot“, beruhigte er den anderen. „Bomba hat sie getötet! Bomba ist zu uns gekommen und hat die Riesenschlange erlegt!“ Der Verwundete erwachte jetzt vollends; der Klang dieses Namens wirkte Wunder. Ashatis Blick richtete sich auf den Jungen, und soviel Ergebenheit und Freude stand in den dunklen Augen des Indianers, daß Bomba tief bewegt war. „Es war gut, daß ich kam“, sagte er. „Jeder kommt einmal zur rechten Zeit, um dem anderen zu helfen.“ Ashati lächelte dankbar. „Bomba kommt immer zur rechten Zeit. Auch damals bei den Feuerhöhlen erschien Bomba wie von den Göttern gesandt.“ Der Verwundete wollte den rechten Arm bewegen und stöhnte auf. „Ruhig liegenbleiben“, befahl der Junge. „Wir wollen nachschauen, ob der Arm gebrochen ist.“ Vorsichtig tastete Bomba die Haut ab. Sie war blau angeschwollen, aber ein Bruch ließ sich nicht feststellen. Der Junge schickte Neram zum Bach, um heilkräftigen Schlamm zu holen. Sie wuschen den Arm und legten eine Schlammpackung auf. Dann setzten sie sich neben den Verwundeten auf den Boden. „Ich habe Ashati immer für klug und vorsichtig gehalten“, sagte Bomba. „Wie konnte es geschehen, daß ihn die Boa überfiel?“ 94
Ashati zuckte beschämt mit den Schultern. „Frage mich nicht, Herr! Die bösen Geister müssen meine Augen blind gemacht haben! Ich ging und sammelte Brennholz – da geschah das Unglück. Jeden Busch und jeden Strauch hatte ich abgesucht – nur diesen Baum sah ich nicht!“ Neram mischte sich ein. „Als Ashati schrie, eilte ihm Neram sofort zu Hilfe. Mit dem Messer stach er nach der Boa, aber sie ist nicht empfindlich. Und mit Bogen und Pfeil ist Neram nicht so geschickt wie Bomba.“ Der etwas einfältige Neram nickte treuherzig und grinste. „Es hätte leicht geschehen können, daß ich Ashati ein Ohr abschoß, ehe ich den Kopf der Schlange getroffen hätte.“ Ashati war schon wieder so munter, daß er in schallendes Gelächter ausbrach. „Hört Bomba diese Worte?“, fragte er übermütig. „Neram hat sich in den vielen Wochen nicht geändert.“ Er seufzte mit überlegener Nachsicht. „Es wird Zeit, daß Ashati seinen Freund Neram an die Quelle führt, aus der das Wasser der Klugheit sprudelt. Dann muß Neram lange und mit vollen Zügen trinken!“ Neram grinste verlegen. „Du darfst nicht auf Ashati hören, Bomba“, sagte er zu dem Jungen. „Er hat eine schnelle Zunge. Er schnattert den ganzen Tag wie ein Affe, und immer weiß er alles besser als Neram. Aber wo die Schlange sitzt, das hat er auch nicht gewußt.“ Bomba beendete den gutmütigen Streit mit seiner Frage. 95
„Wie kommt ihr denn in diesen Teil des Dschungels? Ich habe euch ausgeschickt, um Sobrinini zu suchen, und jetzt treffe ich euch hier wieder?“ „Wir haben keine Spur von Sobrinini gefunden“, sagte Ashati – aber es klang nicht sehr überzeugend. „Mir scheint aber, ihr habt nicht sehr lange nach ihr gesucht“, forschte Bomba weiter. Die beiden Eingeborenen warfen einander verstohlene Blicke zu. „Wir suchten, Herr – wir suchten lange!“ rief Ashati. Und Neram antwortete wie ein Echo: „Wir suchten lange, Herr!“ Bomba schüttelte den Kopf. „Sobrinini kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“ „Oh, Herr“, flüsterte Ashati mit gerunzelter Stirn, „Sie ist eine Hexe, sie kann vielerlei! Wir haben sie wirklich gesucht, aber wir waren froh, daß wir sie nicht fanden. Ashati und Neram gehen nicht gern mit Hexen durch den Urwald spazieren!“ Bomba lächelte stillvergnügt. „Ich habe mir so etwas gedacht. Ich hätte euch nicht fortschicken sollen. Vielleicht wäre Sobrinini von allein zurückgekehrt, aber ihr werdet sie immer weiter davongetrieben haben. Wahrscheinlich hat sie euch für Kopfjäger gehalten.“ Ashati berichtete weiter: „Viel Unglück widerfuhr uns. Neram erkrankte am Dschungelfieber, und Ashati mußte ihn mehrere Wochen 96
pflegen, ehe er gesund war. Dann wurde Ashati von einem Jaguar am Bein verwundet. Jetzt wollten sie zu Pipinas Hütte zurückkehren, und nun geht Bomba mit ihnen. Das ist gut!“ Bomba schüttelte traurig den Kopf. „Ihr würdet erschrecken, wenn ihr zu Pipinas Hütte zurückkämet: sie steht nicht mehr!“ „Steht nicht mehr?“ riefen die beiden wie aus einem Munde. „Die Kopfjäger haben auch dieses Versteck gefunden und verbrannt“, erklärte Bomba. „Möge sie der Fluch der Götter treffen“, murmelte Ashati. „Wo sind dann Pipina und der gute Casson geblieben?“ fragte Nerum besorgt. „Sie sind in Sicherheit bei Hondura und seinen Araos“, erwiderte Bomba. „Und ihr werdet auch dorthin gehen. Ihr seid beide gute Jäger und Krieger, und der Häuptling wird euch gern in seinen Stamm aufnehmen. Wenn ihr Hondura sagt, daß euch Bomba schickt, dann dürft ihr sicherlich dort bleiben, bis ich von meiner Reise zurückkehre.“ Ashati senkte ergeben den Kopf. „Wir werden gehorchen, Herr! Doch wohin geht die Reise, von der du sprichst?“ „Zur Jaguarinsel! Dort soll Japazy wohnen. Ich muß eine Auskunft von ihm haben.“ Die beiden Indianer warfen einander vielsagende Blicke zu. Ashati fand als erster die Sprache wieder. 97
„Es ist immer so, daß Bomba die Orte der größten Gefahr aufsucht“, murmelte er seufzend. „Einmal hat er Ashati und Neram damit das Leben gerettet, und sie müßten dankbar sein, daß Bomba keine Gefahr fürchtet. Aber es ist eine andere Sache, zu Jojasta zu gehen, als zu Japazy und zur Jaguarinsel.“ Bomba lachte übermütig. „Ihr habt mir auch nicht erlauben wollen, zu Sobrinini und ihrer Schlangeninsel zu fahren –und ich lebe immer noch.“ Ashati malte mit den Fingern Beschwörungszeichen in die Luft und Neram machte seine Gesten nach. „Es war gefährlich, auf die Schlangeninsel zu gehen“, sagte Ashati, „aber es ist noch viel gefährlicher, die Jaguarinsel zu betreten. Schlangen kann man mit den Füßen zerstampfen. Was tust du jedoch, Herr, wenn dich Geister überfallen? Wie willst du sie treffen, wenn der Pfeil durch sie hindurchfliegt? Wie willst du sie ergreifen, wenn du nur Luft anpackst?“ Beschwörend fiel Neram ein: „Der Pfeil ist schnell, und das Messer ist scharf! Aber der schnellste Pfeil wird langsam und das schärfste Messer stumpf – auf der Jaguarinsel. Laß dich warnen, Herr! Gehe nicht dorthin!“ Aus den dunklen Augenpaaren der Indianer schimmerte Furcht und Besorgnis. Eine Beklemmung legte sich auf Bombas Herz. Er teilte den Aberglauben der Indianer nicht, aber er fühlte sich doch davon beeindruckt. „Noch nie haben böse Geister Bombas Pfad gekreuzt“, sagte der Junge mit etwas gekünstelter Heiterkeit. „Viel98
leicht gehen sie ihm aus dem Wege? Sie haben wahrscheinlich keine Lust, mit mir zusammenzutreffen!“ „Keine Lust!“ wiederholte Ashati mißmutig. „Bomba kennt die Geister nicht, aber sie kennen ihn. Sie haben Lust, jeden Menschen zu verfolgen und ihm Böses zuzufügen. Sie fragen nicht danach, ob einer Bomba heißt oder Ashati. Überall können sie lauern. Vielleicht hören sie sogar unser Gespräch.“ Bei dieser Andeutung verzog sich Nerams einfältiges Gesicht in einer Grimasse der Angst. Er duckte sich unwillkürlich und vollführte mit den Fingern seltsame Bewegungen. Wahrscheinlich war das seine Beschwörungsformel, um die Geister abzuwehren. „Ich glaube nicht an Geister“, sagte Bomba widerwillig. Dabei hatte er aber doch ein Gefühl, als liefe ihm kaltes Wasser den Rücken herunter. „Wenn es dort Geister und Dämonen geben soll, wie kann Japazy dann auf der Jaguarinsel leben?“ forschte der Junge. „Japazy ist mächtiger als Jojasta“, meinte Neram mit finster gerunzelter Stirn. „Neram hat von Japazy böse Dinge gehört.“ „Japazy ist der Herr der Geister und Dämonen“, bestätigte Ashati in furchtsamem Flüsterton. „Sie gehorchen seinen Befehlen: alle Luftgeister – alle Feuergeister und alle Wassergeister!“ „Wieder lief Bomba ein kalter Schauer über den Rücken. Luftgeister – Feuergeister – Wassergeister – 99
Das angstvolle Flüstern Ashatis schien mit tausend Stimmen aus den Schatten des Dschungels widerzuhallen.
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14 Starrende Augen Bomba brach den Bann der Furcht mit einem lauten Ausruf. „Ich werde zur Jaguarinsel gehen!“ rief er. „Was kümmern mich Geister und Dämonen! Ich werde gehen, und niemand kann mich zurückhalten.“ Ashati und Neram senkten ergeben die Köpfe. Sie wußten, daß jede weitere Warnung vergeblich war. Umsonst hatten sie auch damals gesprochen und gefleht, als Bomba zur Schlangeninsel aufbrechen wollte. Vergeblich waren auch jetzt alle Vorhaltungen und Mahnungen. „Bomba ist tapfer“, seufzte Ashati. „Doch die Welt der Geister ist schwer zu bekämpfen.“ „Dann werde ich es lernen“, sagte der Junge. Er hatte zuvor mit dem Gedanken gespielt, die beiden mitzunehmen. Sie hätten ihm nützliche Helfer sein können, und er wäre nicht allein gewesen. Jetzt sah er jedoch ein, daß er die beiden nicht auf die gefahrvolle Wanderung mitnehmen konnte. Es war besser so, wie er es vorgeschlagen hatte. Sie sollten zu Hondura gehen, und er würde seinen Weg allein fortsetzen. Es war, als hätten die beiden seine Gedanken erraten. Neram beugte sich nieder und berührte Bombas Fuß mit seiner Stirn in einer Geste der Unterwerfung.
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„Neram geht mit Bomba, seinem Herrn! Neram will nicht zurückbleiben, wenn Bomba in das Land der Dämonen und Geister geht!“ rief er. „Ashati geht auch mit“, beeilte sich der andere hinzuzufügen. „Wir lassen unseren Herrn nicht allein gehen, selbst wenn er die Jaguarinsel aufsucht!“ Der Treuebeweis bewegte Bomba sehr. Er wußte, welche Überwindung es die beiden kostete, diesen Vorschlag zu machen. Es war ihm jedoch klar, daß er die Verantwortung nicht auf sich nehmen durfte. Er hatte kein Recht, die beiden Indianer in ein Abenteuer zu locken, das für alle tödlich sein konnte. Die Reise war seine ureigenste Angelegenheit. Wenn Gefahren drohten, mußte er sie allein bestehen. „Es waren gute Worte, die Ashati und Neram gesprochen haben“, sagte der Junge feierlich. „Ich bin froh, daß ihr mich begleiten wollt. Aber ich kann euch nicht mit mir nehmen. Es ist besser, wenn ihr zu Hondura zurückkehrt. Nur den Weg könntet ihr mir beschreiben. Ich kenne diesen Teil des Dschungels nicht.“ Ashati deutete mit dem gesunden Arm in die Richtung, in der auch Bomba gegangen war. „Der Pfad, auf dem Bomba läuft ist gut“, erklärte er. „Wir selbst sind noch nie bei der Jaguarinsel gewesen, aber wir wissen von den Alten unseres Stammes, wo sie liegt. Zwei Tagereisen hinter dem ,Großen Katarakt’ wird Bomba das große Wasser erreichen. Dort muß er ein Kanu oder Floß haben und sich von der Strömung treiben lassen.
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Es ist nicht nötig, daß er rudert. Das schnelle Wasser wird ihn geradewegs zu der Jaguarinsel tragen.“ Während sie Vorbereitungen für die Abendmahlzeit trafen, erfuhr Bomba noch weitere nützliche Hinweise für seine Reise. Neram trug große Haufen trockener Äste für ein nächtliches Lagerfeuer herbei. Ashati mit seinem gequetschten Arm konnte für die Wache nicht verwendet werden, und Bomba schlug vor, daß er selbst abwechselnd mit Neram Wache halten wollte. Doch der Eingeborene wies den Vorschlag mit Entschiedenheit zurück. „Wenn wir dir schon nicht folgen dürfen, Bomba“, sagte er, „so will ich wenigstens in dieser Nacht für dich wachen.“ Im Grunde genommen war Bomba sehr einverstanden mit dem Angebot. Er war müde und schlief sofort ein, als sein Kopf das Mooskissen berührte. Im Morgengrauen erwachte Bomba von der vorsichtigen Berührung, mit der ihn Neram weckte. Der Indianer hatte bereits alle Vorbereitungen für das Frühstück getroffen, und der Duft von geröstetem Fleisch stieg angenehm in Bombas Nase. Sie aßen alle herzhaft. Ashatis Arm war nicht mehr so stark geschwollen; er konnte ihn schon bewegen, ohne große Schmerzen zu spüren. „Ich muß nun gehen“, sagte Bomba, als die ersten schrägen Sonnenstrahlen durch das Laubwerk blinkten. „Eine Bitte habe ich noch an euch: sorgt für Pipina! Erlegt Wild für sie, denn sie ist alt und kann sich allein nicht mehr 103
helfen! Und sucht nach Casson! Ich wäre glücklich, wenn ich euch alle wohlbehalten wiedersehen würde.“ Ashati und Neram neigten die Köpfe. „Wir werden tun, wie es Bomba befohlen hat“, sagten sie. „Wir werden auch dem Medizinmann der Araos viel Fleisch geben, damit er für Bomba die Götter beschwört. Noch einmal winkte Bomba vom Rande der Lichtung zurück, dann tauchte er in den taufrischen und sonnendurchfunkelten Dschungelwald ein. Auf seiner Wanderung hatte Bomba genug Zeit, an die Begegnung im Urwald zurückzudenken. Er machte sich Sorgen, weil die beiden Eingeborenen keine Spur von Sobrinini gefunden hatten. Wenn ihn auch keine tiefe Zuneigung mit der verrückten alten Frau verband, die noch immer an ihre Glanzzeit als gefeierte Sängerin dachte und nur in dieser längst gestorbenen Vergangenheit lebte – so war er ihr doch dankbar, weil sie ihm den Hinweis gegeben hatte, Japazy aufzusuchen. Für ihn war Sobrinini augenblicklich das einzige Lebewesen, das eine lockere Verbindung zu seinen unbekannten Eltern schuf. Vielleicht hatte sie früher einmal die Hand seiner Mutter gedrückt? Vielleicht hatte sie seinem Vater von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden? Wenn Bomba an diese Möglichkeit dachte, erschauerte er bis tief ins Herz hinein. Wie furchtbar war es, daß Sobrinini, ebenso wie Casson, ihre Geisteskräfte eingebüßt hatte und ihm nichts von der geheimnisvoll verschleierten Vergangenheit enthüllen konnte!
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Die Gedanken des Jungen wanderten so leicht und schnell wie seine Füße. Kurze Zeit dachte er mit Trauer und Unruhe an Casson, seinen alten Gefährten. Ein Leben ohne ihn mochte er sich nicht vorstellen. Wenn er nicht gewußt hätte, daß die aufmerksamen Augen vieler Araoskrieger jetzt täglich nach dem alten Naturforscher suchen würden, hätte er selbst nie seine Reise antreten können. So belebte ihn jedenfalls die Hoffnung, daß er den Alten bei seiner Rückkehr wiedersehen würde. Weiter huschten seine Gedanken. Die Dschungellandschaft glitt an seinem Blick vorüber, aber vor seinem geistigen Auge standen andere Bilder. Wie schon so oft, sah er die schlanke Gestalt von Frank Parkhurst vor sich. Er hörte seine helle, kräftige Stimme und dachte an die fröhlichen Worte, die er meist nicht verstanden hatte. ,Hallo, Bomba, alte Eule, da bist du ja!’ Wenn er doch diesen freundschaftlich neckenden Anruf wieder hören könnte – wie viel würde er darum geben! Trübsinn befiel den Jungen. Er war mit einem Male davon überzeugt, daß ihn die Weißen längst vergessen hatten. Keiner würde mehr an den einsamen Dschungeljungen denken. Sie waren über das große Wasser in ihre Heimat zurückgekehrt und wußten nichts mehr von den Erlebnissen im Urwald. Zu viele andere Dinge hatten sie täglich vor Augen, die ihre Gedanken ablenkten. Lange Zeit war indessen verstrichen. Sie hatten zwar Bomba versprochen, ihn zu sich zu nehmen, sobald er den Dschungel verließe. Aber was galt schon so ein Versprechen! 105
Vielleicht schämten sich Mr. und Mrs. Parkhurst jetzt ihrer Dschungelbekanntschaft? Sie würden ihn vielleicht ungern ihren weißen Freunden zeigen. Damit mußte Bomba rechnen. Ebenso war es wahrscheinlich mit Frank. Er wußte so viel und schämte sich vielleicht, daß er mit einem Dummkopf wie Bomba befreundet sein sollte, der nicht einmal richtig schreiben und lesen konnte. Gewaltsam mußte sich Bomba von diesen Überlegungen losreißen. Sie waren zu entmutigend. Lieber wollte er an sein Reiseziel – an Japazy, der ihm vielleicht von seinen Eltern erzählen würde – denken. Und wenn er auch erfahren sollte, daß sie am Ende der Welt wohnten – er würde sofort aufbrechen, um zu ihnen zu gelangen. Immer wieder trat ihm das Bildnis vor Augen, das er in einem Zimmer auf Sobrininis Schlangeninsel gesehen hatte. Die schöne Frau, die ihm mit melancholischer Sanftheit zugelächelt hatte – sie müßte seine Mutter sein! Ein fernes Grollen rief Bomba in die Wirklichkeit zurück. Der Himmel wölbte sich in stählernem Glanz über dem Dschungel. Keine Wolke war zu sehen. Der Donner mußte eine andere Ursache haben. Je näher er dem Geräusch kam, um so mehr wurde es Bomba zur Gewißheit, daß der ,Große Katarakt’ nicht mehr weit war. Mehrere Kilometer trennten ihn noch von dem gigantischen Wasserfall, der in sprühenden Regenbogenfarben seine Wassermassen mehr als hundert Meter tief in die Schlucht ergoß. Von jetzt ab schlug Bomba einen großen Bogen, der ihn zuerst vom Katarakt fortführte. Am Fuße des ,Großen Wasserfalles’ lag das Dorf der Kopfjäger. Er hatte kein Verlangen danach, in Berührung mit Nascanora zu kom106
men. Wenn er sich weit genug von dem Katarakt entfernte und erst später wieder auf den Fluß stieß, dann war kaum Gefahr vorhanden, daß er Kopfjägern begegnete. Sie mieden die Gegend jenseits des Wasserfalles ebenso wie die anderen Eingeborenen. Auch für sie barg das Gebiet um die Jaguarinsel tödliche Schrecken. An diesem Tage konnte Bomba den Fluß nicht mehr erreichen. Als der Abend nahte, hielt er daher Ausschau nach einer geeigneten Unterkunft. Er fand in der Dämmerung eine Eingeborenenhütte, die schon lange Zeit verlassen sein mußte. Die Tür fehlte, und die Wände neigten sich bedenklich nach innen; bald würde das morsche Bauwerk zusammenstürzen. Bei seinem Eintritt huschten große Spinnen und Käfer davon. Bomba säuberte den Boden der Hütte so gut wie möglich mit Palmwedeln. Insbesondere die großen Ameisen, die ihre Chaussee mitten durch die Hütte gelegt hatten, vertrieb er. Die Schatten sanken schon tief in den Dschungel. Unsichtbar verglühte der Sonnenball im Westen jenseits des Flußes. Dumpf und undeutlich drang das Tosen des ,Großen Wasserfalles’ durch die abendliche Stille. Der Ton war so weit entfernt, daß nur ein gutes Ohr ihn noch vernehmen konnte. Die Nacht kündigte sich mit einem kühlen Luftzug und mit fernem, heiserem Raubtiergebrüll an. Bomba sammelte Zweige für ein Lagerfeuer und trug sie vor dem Eingang der Hütte zusammen. Die Flammen würden die Raubkatzen und Schlangen vertreiben, und an den Seiten schützten ihn die Wände der Hütte. 107
Die einsame Abendmahlzeit des Dschungeljungen bestand heute aus schmackhaftem Tapirfleisch. Da er Durst hatte, braute sich Bomba aus bitteren Kräutern einen Eingeborenentee. Das Feuer flackerte, die brennenden Äste knisterten, und hin und wieder stoben Funken in den Nachthimmel empor. Müde von der Tageswanderung legte sich Bomba im Innern der Hütte zur Ruhe. Zuvor hatte er noch Holz auf das Feuer geschichtet. Das würde bis zur Morgendämmerung vorhalten. Als Bomba plötzlich erwachte, wußte er nicht, wie lange er schon geschlafen hatte. Der Boden bebte unter ihm. Es war, als läge er in einem Kanu. Bombas erste Vermutung war, daß ein Erdbeben den Boden erschütterte. Doch der Urwald war still, bis auf die üblichen nächtlichen Laute. Kein Dröhnen und Grollen wies auf eine Katastrophe hin. Bomba sprang auf. Der Boden bewegte sich unter ihm wie in Wellen. Plötzlich spaltete sich die Erde. Ein gräßlicher Schädel tauchte aus dem Schlund empor. Der Rachen war mit spitzen Zahnreihen gespickt. Die tückischen kleinen Augen eines Alligators starrten Bomba an.
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15 Der reißende Fluß Bomba war versucht, an eine Geistererscheinung zu glauben. Ein Alligator – mitten auf dem Lande – in einer Hütte! Das war das Unglaublichste, was er je gesehen hatte! Die Erklärung für diese nächtliche Erscheinung fiel dem Jungen bald ein, als er den Erdspalt sah, dem das Reptil entstiegen war. Die Alligatoren hatten die Angewohnheit, sich im Schlamm zu vergraben und lange Zeit so zu verharren. Mit dem Hochwasser mochte das Tier hierhergekommen sein. Der Platz erschien ihm gut als Schlafstelle, und es grub sich ein. Dann fiel das Wasser wieder, und das Schlammbett, in dem der Alligator lag, wurde hart. Nichts davon hatte das Tier gespürt. Erst als Bomba sich genau auf seinen Schlafplatz legte, weckte die menschliche Körperwärme den Kaiman. Für den ersten Augenblick war das Reptil ebenso überrascht wie Bomba. Es glotzte ihn an und bewegte sich nicht. Dann stieß es ein hartes, trockenes Bellen aus und schnellte sich auf Bomba zu. Zu spät! Mit einem hohen Satz sprang Bomba über das Feuer vor der Hüttentür ins Freie. Der Alligator wollte es dem Jungen nachtun. Doch er war noch steif vom langen Schlaf. Vom Feuerschein geblendet, fiel er mitten in die Flammen. Ein furchterregendes Gebrüll ertönte. Die brennenden Äste flogen nach allen Seiten auseinander. Schnell glitt die 109
Bestie in den Schatten des Dschungels hinein. Vor Schmerz und Schrecken hatte sie ihren menschlichen Feind vergessen. Bomba hatte kein Interesse daran, den Alligator aufzuhalten. Leicht hätte er die Bestie erlegen können, aber er war froh, daß sie kampflos das Feld räumte. Zum Schlafen fand Bomba nach diesem Erlebnis keine Ruhe mehr. Er setzte sich neben das Feuer nieder und schürte die Flammen. Die Erregung lebte noch in ihm nach. Er starrte in die Flammen und lauschte auf die Geräusche, die aus dem Dschungel zu ihm drangen. Es war ein unaufhörliches Flüstern, Zirpen und Rascheln. Ein geheimnisvolles Leben schien sich im Dunkeln zu regen. Hin und wieder stiegen einzelne schauerlich schrille Tierschreie zum nächtlichen Himmel empor. Endlich kündete ein frischer Luftzug den kommenden Morgen an. Der Himmel färbte sich im Osten mit magischem, bleichem Licht. Sobald er dieses Zeichen wahrnahm, erhob sich Bomba. Er trat das Feuer aus und setzte seine Wanderung fort. In der balsamischen Morgenluft war das Gehen eine Freude, und Bomba kam schnell voran. Aus dem dichten Dschungelgewirr trat er jetzt in lichten Wald. Gegen Mittag erreichte er den Fluß, in dessen Fluten weiter abwärts die Jaguarinsel eingebettet liegen sollte. Die Strömung war sehr stark. An weißen Schaumkronen erkannte Bomba jene Stellen, wo gefährliche Klippen lagen. Winzige Inseln ragten in der Mitte des Stromes auf.
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Bevor sich Bomba daranmachte, ein Floß zu bauen, suchte er das Ufer nach beiden Richtungen ab, ob er nicht irgendwo ein verlassenes Indianerkanu entdecken konnte, aber sein Suchen war vergeblich. Viel lieber hätte er sich solch einem Boot anvertraut, als erst den langwierigen Floßbau zu unternehmen. Die Fahrt in dem leicht lenkbaren Kanu war in dem wilden, rasch strömenden Wasser auch ungefährlicher als auf dem schwerfälligen Floß, das in jeden Strudel hineingerissen wurde und schlecht zu steuern war. Doch so sehr Bomba auch suchte – ein Kanu war nirgends zu entdecken. Dicke Äste und abgebrodiene Stämme, die das letzte Unwetter gefällt hatte, gab es am Flußufer genug. Bomba sammelte Stücke von geeigneter Länge und trug sie zusammen. Er hatte nicht vor, ein Kunstwerk von einem Floß zu bauen. Ihm kam es lediglich darauf an, ein sicheres Wasserfahrzeug zu haben, das ihn schnell zur Jaguarinsel trug. Die Festigkeit war für ihn die Hauptsache, und darauf verwandte der Dschungeljunge auch die größte Sorgfalt. Für ihn war es nicht so einfach wie für Jungens in zivilisierten Ländern, die sich ein Floß bauen möchten. Bomba hatte keine Nägel, keine Säge und keinen Hammer. Die Querhölzer mußte er in langwieriger Arbeit durch Wurzelund Pflanzenseile mit den Längsbalken zu einem Ganzen verbinden. Die Haltbarkeit der natürlichen Seile entsprach der von geflochtenen Stricken. Allerdings ließen sie sich nicht so leicht knüpfen, und diese Arbeit erforderte viel Geschick. Bomba hatte früher oft den Indianern beim Floßbau zugeschaut, und er ahmte ihre Fingerfertigkeit jetzt erfolgreich nach. 111
Bei seiner Arbeit warf er hin und wieder Blicke auf das dunkle Wasser des Stromes. Manchmal tauchte der Rücken eines Alligators hervor. Ein langer Rachen erschien über der brodelnden Wasserfläche. Die Kaimane beobachteten das Wesen am Flußufer. Einige schwammen träge hin und her, als warteten sie auf ihre Mahlzeit, die sich über kurz oder lang freiwillig in Reichweite ihrer Rachen begeben würde. Das waren immerhin Feinde, mit denen er fertig werden konnte, sagte sich Bomba. Ein Alligator war mit einem guten Pfeilschuß zu erlegen. Weniger zuversichtlich wurde der Junge, wenn er an die Erzählungen von Hondura und den beiden Indianern Ashati und Neram dachte. Gab es wirklich Geister? War es möglich, daß er Wesen gegenübertreten mußte, die von keiner Waffe verwundbar waren? Bomba wäre froh gewesen, wenn er eine genaue Antwort auf diese Fragen hätte erhalten können. Zwei Tage dauerte es immerhin, ehe das Floß fertig war. Bomba hatte ein einfaches Steuerpaddel für das Fahrzeug geschnitzt, und er hatte eirie lange Stange zugestutzt, mit der er das Floß weiterstaken konnte, falls er irgendwo auf Grund lief. Da Bomba seine primitive Bootswerft dicht am Flußufer errichtet hatte, brauchte er das Floß nur ins Wasser zu schieben, um den Stapellauf zu vollenden. Ehe die Strömung das Fahrzeug ergriff, sprang Bomba an Bord und vertraute sich dem reißenden Gewässer an. Vorsichtiger wäre es von Bomba gewesen, nicht noch an diesem Nachmittag zu starten. Die Dämmerung brach schon herein. Er verließ sich jedoch auf das Licht des 112
Vollmondes, der bald die Flußlandschaft mit silbrigem Glanz überfluten würde. Schnell trug die Strömung das plumpe Floß dahin. Nicht immer gelang es Bomba, den saugenden Strudeln auszuweichen. Dann wurde das Fahrzeug herumgewirbelt, und Bomba brauchte seine ganze Geschicklichkeit, um das Gleichgewicht zu halten und nicht ins Wasser zu fallen. Ein Sturz ins Wasser wäre sehr gefährlich gewesen. Kaum hatte Bomba die Fahrt angetreten, als er auch schon Reisebegleiter besaß. Als grimmiges Gefolge zog ein Rudel von Kaimanen hinter ihm her. Hin und wieder konnte er ihre tückischen Augen sehen, die ihn beobachteten. Der Schwarm lockte immer neue Begleiter an. Wenn ein Kaiman auftauchte und die Gesellschaft erblickte, schloß er sich sofort an. Es war eine seltsame und unheimliche Karawane, die da hinter Bombas Floß das Wasser durchpflügte. Das war aber nicht die einzige Gefahr, die den Jungen bedrohte. Sobald das Floß zu nahe ans Ufer trieb, mußte Bomba scharf achtgeben auf die überhängenden Äste. Wenn er unter einem dieser Baldachine aus Laub und Zweigen hindurchfuhr, war es leicht möglich, daß sich die Ringe einer Schlange unversehens um seinen Hals und um seinen Leib legten. Oft lauerten die Schlangen in Ufernähe auf Bäumen. Nach einer Stunde etwa erreichte Bomba eine gefährliche Stromschnelle. Hier war jeder Versuch, das Fahrzeug zu steuern, zwecklos. Wie ein Blatt wurde das Floß hin und her geschleudert. Wasser flutete über die Balken. Bomba 113
wurde zu Boden geworfen. Die Fluten hätten ihn mitgerissen, wenn er nicht an einem Querbalken mit den Fingern Halt gefunden hätte. Kaum hatte er sich von diesem Angriff des tobenden Wassers erholt, als er mit Erschrecken feststellen mußte, daß die Kaimane nähergerückt waren. Zuvor hatten sie einen respektvollen Abstand innegehalten. Jetzt glaubten sie wahrscheinlich, daß Bomba mit seinem Fahrzeug bald kentern würde, und sie wollten rechtzeitig zur Stelle sein. Sie wurden auch ungeduldig, weil sich ihre Beute so lange sträubte, das Wasser aufzusuchen. Ein frecher Bursche schwamm unter das Floß und versuchte es zu heben. Schräger neigte sich die Holzfläche. Wieder mußte sich Bomba festklammern, um nicht abzurutschen. Die Kraft des Alligators reichte allerdings nicht aus, um das Floß zum Kentern zu bringen. Die Balken klatschten auf das Wasser zurück. Nun hielt es Bomba für nötig, den Bestien eine Lehre zu erteilen. Er griff nach Pfeil und Bogen und suchte sich einen der größten Kaimane aus. Lange und sorgfältig zielte er auf das linke Auge des Reptils. Der Pfeil schwirrte davon. Getroffen! Das Wasser schäumte auf, gepeitscht vom Schwänze des Kaimans. Ehe der Körper versinken konnte, hatte sich ein halbes Dutzend der Bestien über ihren toten Artgenossen hergemacht. Es dauerte keine Minute, ehe der riesige Leib vollkommen zerrissen war. Weithin färbte sich das Wasser rot vom Blut des Alligators. Die Bestien, die ein Fleischstück erwischt hatten, ließen sich in die Tiefe sinken, um ihr Mahl in aller Ruhe zu verzehren. 114
Für Bomba war dieser wohlgezielte Schuß auf alle Fälle eine große Hilfe. Die Zahl seiner Begleiter hatte sich dadurch stark vermindert. Sicherlich waren nun auch die Kaimane vorsichtiger geworden. Sie würden sich nicht so bald wieder unter das Floß wagen. Die Strömung riß das Fahrzeug schnell weiter. Bald war die Stelle außer Sicht, an der Bomba den Kaiman erlegt hatte. Eine Weile lang ließ sich überhaupt keine der Bestien mehr sehen. Der Junge hoffte schon, er hätte seine Verfolger für dauernd abgeschüttelt. Dodi dann erkannte er wieder die verdächtigen Kiellinien, die die Alligatoren hinterließen. Sie verfolgten ihn immer noch.
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16 Die Jaguarinsel Die Dunkelheit machte Bomba unsicher. Er konnte sich nicht mehr auf seine Schießkunst verlassen und war den Alligatoren gegenüber wehrloser. Sehr bald sank die Nacht auf den Dschungel herab. Die Sterne am Tropenhimmel flimmerten wie diamantenes Geschmeide, aber ihr Licht war zu schwach, um die Landschaft zu erhellen. Der Mond ging erst in einer halben Stunde auf. Bis dahin war Bomba den Angriffen der Kaimane hilflos ausgeliefert. Sein Blick spähte zur Seite, ob er nicht irgendwo die dunklen Umrisse von Land wahrnahm. Sein Gefühl sagte ihm, daß er nicht mehr weit von der Jaguarinsel entfernt sein konnte. Im Augenblick waren ihm die Ungewissen Gefahren auf Japazys Insel lieber als die Gewißheit, hier auf dem Wasser ein Opfer der gefräßigen Alligatoren zu werden. Als Bomba zurückschaute, gewahrte er wieder im phosphoreszierenden Wasser die kleinen Bugwellen, die die schnellschwimmenden Kaimane aufpflügten. Eine der Bestien war bis auf sechs Meter herangekommen. Das Tier schleuderte sich vorwärts und erreichte mit den Vorderpfoten den Rand des Floßes. Der Rachen öffnete sich. Die Kiefer schnappten mit einem häßlichen Klappen nach Bombas Bein. Im gleichen Augenblick hatte der Junge die Stange ergriffen, die er zum Staken benutzte und rammte sie dem 116
Kaiman in den Rachen. Das Tier fiel ins Wasser zurück. Wie ein Wolfsrudel stürzten sich die anderen Reptilien auf ihren verwundeten Gefährten und zerfleischten ihn. In seiner Genugtuung achtete Bomba nicht auf den Weg vor ihm. Plötzlich gab es einen Ruck, und er fiel zu Boden. Das Floß hatte eine vorspringende Landzunge berührt. Geistesgegenwärtig sprang Bomba auf und griff nach einem der Zweige, die sich über das Wasser neigten. Langsam zog er das Floß aufs Land und befestigte es mit einem Lianenseil, damit es nicht in die reißenden Fluten getrieben wurde. Land! Für eine kurze Zeit fühlte Bomba nichts als grenzenlose Erleichterung. Er war dem Rudel der beutegierigen Kaimane entkommen. Fester Boden war unter seinen Füßen. Was wollte er mehr! Trotzdem ließ er die Vorsicht nicht außer acht. Die Reptilien bewegten sich auch auf dem Lande mit Sicherheit. Sie könnten ihm nachkriechen. Er ging also ein Stück landeinwärts, bis er sicher war, daß ihn kein Alligator mehr verfolgte. Ein Dornendickicht nahm ihn wie eine natürliche Festung auf. Hier setzte er sich nieder, um zu rasten. Hatte er schon die Jaguarinsel erreicht, fragte er sich? Ashati und Neram hatten ihm gesagt, daß der Insel der Großen Katzen mehrere kleine Eilande vorgelagert waren. Vielleicht war er auf einer dieser Vorinseln? Bomba beschloß, den Mondaufgang abzuwarten, bevor er sich orientierte. Die Rast war nötig. Das Steuern in den Flußschnellen hatte seine Armmuskeln angestrengt. Er hatte Blasen an den Händen, und seine Glieder erschienen 117
ihm bleischwer. Er legte sich lang und entspannte sich vollkommen, ohne allerdings die Augen zu schließen. Das eintönige, dunkle Rauschen des Flußes war wie ein Schlaflied. Mit Anstrengung hielt Bomba die Augen offen. Er lauschte, aber die Insel schien unbewohnt zu sein. Nachdem er eine Weile gelegen hatte, sickerten die ersten flimmernden Mondstrahlen durch das Gezweig der Dornbüsche. Der Mond stieg über dem Fluß auf und die Landschaft wurde in geisterbleiches Licht getaucht. Bomba kroch aus seinem Unterschlupf hervor und richtete sich auf. Es gab hier keine Pfade, und der Junge bahnte sich seinen Weg durch hohes Sumpf gras. Der Boden bebte unter seinem Schritt. Es war weiches, elastisches Moorland, auf dem er dahinschritt. Nirgendwo traf er auf Jaguare oder auf Spuren menschlicher Ansiedlung. Bald hatte er das andere Ende der Insel erreicht. Er wußte nun, daß er noch nicht am Ziel war. Als er wieder bei seinem Floß angelangt war, spähte Bomba mit gemischten Gefühlen auf den Fluß hinaus. Hatten die Kaimane die Verfolgung aufgegeben? Dunkel und glatt lag die Wasserfläche vor ihm. Die phosphoreszierenden Wellen, die das Auftauchen der Reptile verrieten, waren nicht zu sehen. Im allgemeinen schliefen die Kaimane nachts. Bomba vertraute sich also von neuem dem Fluß an, nachdem er sein Fahrzeug losgebunden hatte. Ein kräftiger Stoß beförderte das Floß weit in den Fluß hinaus und die schnelle Fahrt ging weiter.
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Bomba hatte sich geschworen, nicht mehr die Augen zu schließen, bevor er die Jaguarinsel erreicht hatte. Nur noch eine kleine Wegstrecke trennte ihn von seinem Ziel. Das Glück hatte ihn bisher nicht verlassen. Die Verfolgung der Alligatoren hatte er abgeschlagen, und der Fluß hatte ihn auch nicht überwältigen können. Bomba sah das als ein gutes Zeichen an. Die indianischen Götter, an die er selbst halb glaubte, mußten seinem Vorhaben günstig gesinnt sein. Als er eine Weile im hellen Mondlicht auf dem Wasser dahingetrieben war, wurde Bomba auf ein merkwürdiges Geräusch aufmerksam. Es klang so, als zöge ein ungeheurer Bienenschwarm über das Wasser. Der Junge hielt Ausschau, ob er irgendwo eine dunkle Wolke von Bienen entdecken könnte. Dann aber machte er sich klar, daß die Bienen in der Nacht nicht ausschwärmten. Das Summen wurde tiefer und deutlicher. Andere Geräusche mischten sich in den unheimlichen, dumpfen Ton. Dann und wann ertönte ein lautes Grollen wie ferner Donner. Während Bomba eine Erklärung für diese Laute suchte, sah er plötzlich auf dem Fluß einen Lichtschein. Zuerst dachte der Junge, es wäre ein Eingeborener, der eine Fackel im Boot hatte. Doch das Licht bewegte sich nicht in einer bestimmten Richtung, sondern schwankte unregelmäßig und tauchte dann wieder im Wasser unter. Neue Lichter flammten auf. Fahlgelber und dunkclroter Schimmer leuchtete über das Wasser hin. Die Lichter flackerten auf und erloschen wie Irrlichter über einem Sumpf. 119
Bomba schauderte die Haut. Die Warnung Honduras kam ihm in den Sinn. Näherte er sich dem Wohnsitz unheimlicher Dämonen und böser Geister? Erkannten sie seine Ankunft bereits und hohnlachten sie schon über seinen Vorwitz und seine Dummheit? Einen Augenblick lang erlahmte Bombas Wachsamkeit; die seltsamen Lichter zogen seinen Blick bannend auf sich. In der nächsten Sekunde stieß das Floß heftig gegen einen Felsen, der aus kochenden Stromschnellen aufragte. Der Anprall war so ungestüm, daß die Schlingpflanzentaue zerrissen. Das primitive Fahrzeug löste sich in viele Teile auf. Bomba fühlte sich in die Fluten gerissen. Mit aller Kraft schwamm er unter Wasser von dem gefährlichen Felsen fort. Er tauchte wieder empor und schüttelte das Wasser aus dem Gesicht. Im Mondlicht gewahrte er die dunklen Wrackteile des Floßes, die im Wasser herumwirbelten. Er hakte einen dicken Balken und zog sich hinauf. Rittlings ließ er sich auf dem Holzstück weiter flußabwärts treiben, bis er ruhigeres Wasser erreichte. Seine Lage hatte sich jetzt entscheidend verändert. Er war kein Flußfahrer mehr auf einem festen Fahrzeug, sondern ein Schiffbrüchiger, der jeder Laune der reißenden Wasser ausgeliefert war. Wenn ihn ein Strudel in seinen Sog hinabzog, konnte er nicht fortrudern. Wenn er gegen ein Felsufer getrieben wurde, gab es keine andere Rettung für ihn als den Sprung ins Wasser. Jeder Kaiman konnte ihn von unten packen und mit einem einzigen Biß eines seiner Beine abtrennen. Im Augenblick war kein verdächtiger Leuchtstreifen auf dem Wasser zu entdecken. Dunkle Umrisse von Land 120
tauchten im Mondlicht auf. Die schwärzliche Masse nahm bald Gestalt an. Die Ufer der herangleitenden Insel erstreckten sich weithin. Wenn die Beschreibung der Eingeborenen stimmte, mußte das die Jaguarinsel sein. Bombas Herz klopfte schneller. Keine sechzig Meter trennten ihn mehr von dem düsteren Landstreifen, der vor ihm lag. Schon bereitete sich Bomba auf den Anprall der Landung vor, als er hinter sich die schimmernde Kiellinie eines Alligators entdeckte. Der Baumstamm trieb unaufhaltsam dem Lande zu – aber der Kaiman schwamm noch rascher. Sollte ihn doch noch eins der gefräßigen Ungeheuer in die Tiefe ziehen?
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17 Der verborgene Lauscher Bomba wartete nicht untätig ab, wie der Wettlauf zwischen dem Baumstamm und dem Alligator ausgehen würde. Im nächsten Augenblick verließ er den träge treibenden Balken und tauchte wie ein Schatten im Wasser unter. Etwa dreißig Meter weit schwamm er unter der Oberfläche, und erst als seine Lungen zu bersten drohten, tauchte er auf und schaute zurück. Seine List war geglückt. Der Alligator war zuerst an den Baumstamm geschwommen und hatte an ihm herumgeschnüffelt. Die Beute war verschwunden. Ehe die Bestie ihre Verblüffung überwunden hatte, und den wieder auftauchenden Jungen verfolgte, waren wertvolle Sekunden vergangen. Der Alligator schnellte sich mit einem wütenden Bellen vorwärts, als er Bomba entdeckte; der lange, schlanke Schuppenleib rauschte durch das Wasser. Aber es war bereits zu spät – Bomba erreichte das Ufer, gerade als der Rachen des Kaiman hinter ihm zuschnappte. Aber als Bomba Luft in seine keuchenden Lungen saugte und sich dem Land zuwandte, erstarrte er in Entsetzen. Ein wildes Brüllen dröhnte vor ihm auf – und die gelblichen Lichter eines Jaguars funkelten ihm aus Sprungnähe entgegen. Es war nicht mehr genug Zeit, um den Bogen von der Schulter zu reißen – nicht einmal Zeit genug, um die Machete zu ziehen! Die Raubkatze schnellte durch die Luft 122
– und Bomba warf sich blitzschnell in einem weiten Hechtsprung zur Seite. An seiner Wange spürte er den Luftzug des Raubtieres. Im nächsten Augenblick war Bomba wieder auf den Beinen und hatte die Machete in der Hand. Die Raubkatze war über den Uferrand ins seichte Wasser gestürzt, tauchte schnaubend auf und wollte gerade an Land klettern. Der Junge bereitete sich auf den nächsten Sprung des Jaguars vor. Doch der Angriff kam von einer anderen Seite, und er galt nicht ihm. Plötzlich peitschte der Jaguar mit den Vorderpranken wild um sich. Ein heiseres Heulen drang aus seinem Rachen, wie es Bomba noch nie von einem Raubtier gehört hatte. Der Alligator hatte die neue Beute gepackt. Seine Kiefer umspannten den Leib der großen Katze. Vergeblich krallten sich die Pranken wild in den Schuppenleib des Reptils. Der Alligator war in seinem Element. Mit grausamer Sicherheit zog er sich in tieferes Wasser zurück – und tauchte unter. Der Jaguar wurde hinabgerissen. Das Wasser schäumte auf und färbte sich dunkel. Der Herrscher des Dschungels hatte einen stärkeren Gegner im Wasser gefunden. Bomba stand mit der Machete in der Hand am Ufer und starrte auf das ruhiger werdende Wasser. Nur die dunkle Färbung verriet noch etwas von dem Drama, das sich hier abgespielt hatte. Es gab für Bomba keine andere Erklärung: die Indianergötter oder eine höhere Macht mußten auf seiner Seite 123
stehen, wenn er so überraschend aus doppelter Lebensgefahr errettet wurde. Jetzt erst legte sich Bomba die Frage vor, auf welche Weise er sich Japazy nähern sollte. Er machte sich klar, daß Übereilung sehr gefährlich sein konnte. Es würde äußerst unklug sein, bei Nacht irgendwo als Gast aufzutauchen. Es könnte geschehen, daß er in der Dunkelheit überwältigt und getötet wurde, ehe er seine friedlichen Absichten bekunden konnte. Also mußte er seinen Besuch bei Japazy bis zum hellen Tag aufschieben. Dann konnte er den Inselbewohnern mit erhobenen Handflächen entgegentreten, wie es die Dschungelsitte gebot. Wahrscheinlich würde er dann vor Japazy geführt werden und konnte ihm sein Anliegen ruhig erklären. Welche Antwort würde er hören? Wie würde Japazy seine Bitte aufnehmen? So kurz vor dem Ziel überfiel Bomba eine eigenartige Wankelmütigkeit. Er hatte mit einem Male Furcht, die Wahrheit zu hören. Jetzt konnte er sich noch in der Hoffnung wiegen, daß er irgendwo auf der Welt seine Eltern finden würde. Aber wie war es, wenn er eine bittere, grausame Wahrheit erfuhr?
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Bomba vertrieb die düsteren Gedanken und wandte sich praktischen Überlegungen zu. Sein Blick glitt zur Silberscheibe des Mondes. Er schätzte nach dem Stand des Erdtrabanten die Zeit ab. Mitternacht war noch nicht vorüber – und bis zum Morgengrauen blieben ihm einige wertvolle Stunden der Ruhe. Nicht weit vom Fluß kauerte Bomba unter einem Busch. Er sah jenseits der Bucht auf einem fernliegenden Teil der Insel wieder die tanzenden, flackernden Irrlichter. Das rätselhafte Summen schwebte wie ein unheimlicher Orgelton in der Luft. Eine tiefe Beklemmung legte sich auf Bombas Herz. Er wagte es kaum, rückwärts auf die Insel zu blicken. Welche Schrecknisse mochten ihn dort erwarten? Verstohlen schaute er in den Dschungel hinein. Von einem Baum hingen Lianenseile herab. Sie pendelten langsam im Luftzug. Bomba wußte, daß es Lianen waren – aber sie schienen sich im fahlen Mondlicht wie dünne Gespensterarme zu strecken, die drohend nach ihm griffen. Jetzt sah er am Baumstamm, in einem Astloch, das grinsende Gesicht eines Dämons. Er erkannte die bleichschimmernden Gesichtszüge, die sich verzerrten und lautlos lachten. Als er die Augen schloß und wieder öffnete, war das Gesicht verschwunden. Es war nichts als eine knorrige Verwachsung in der Rinde. Dafür lugte am Rande eines krummen Astes wieder ein grinsendes Gnomengesicht hervor. Seine dünnen Ärmchen winkten Bomba zu. Mit einem jähen Entschluß sprang Bomba auf und griff nach dem Arm des Geisterzwerges. Er riß daran und hatte 125
einen kleinen Ast und Blätter in der Hand. Beschämt warf er den Zweig zur Seite und setzte sich wieder. „Das ist also Bomba“, murmelte er vor sich hin. „Das ist der tapfere Bomba, den Ashati und Neram wie einen Halbgott verehren, und von dem selbst tapfere Häuptlinge sagen, daß er zu kämpfen versteht wie ein Mann! Das ist Bomba, der jetzt nach Bäumen schielt und Gespenster sucht! Ich möchte wissen, was Frank sagen würde, wenn er diesen Bomba sehen könnte, der durch die Büsche lugt und nach Gnomen und Dämonen Ausschau hält!“ Das Murmeln seiner eigenen Stimme beruhigte den Jungen. Tatsächlich sah er jetzt auch keinen Zwerg und kein grünschimmerndes Gesicht mehr, als er in den Dschungel blickte. Aber dafür gewahrte er ein Wesen, dessen Umrisse wie Nebel über dem Gras verschwammen und sich wieder zu einer Gestalt formten. Das Geschöpf führte einen lautlosen Tanz auf der Lichtung auf – und Bomba sagte sich vergeblich, daß es ein ganz gewöhnlicher Nachtnebel war, was er dort sah. In seinen Augen war es ein durchscheinendes, kopfloses Gespenst. Schaudernd wandte Bomba den Blick ab und schaute zum Himmel empor. Selbst der vertraute Mond hatte sich über dieser verhexten Landschaft gewandelt. Mit dunklen Schattenaugen glotzte eine grinsende Fratze herab. Das war nicht mehr das freundliche Gestirn, das ihm oft bei nächtlichen Dschungelwanderungen geleuchtet hatte. Das war – ein magisch-schimmernder Dämonenkopf, von dessen Gesicht ein gespenstisches Licht über die Insel floß. 126
Noch einmal wies sich Bomba energisch zurecht. Er holte ein Stück Tapirfleisch aus seinem Beutel und begann zu essen. Allmählich verlor sich seine Unruhe. Ohne noch lange Umschau zu halten, kroch er nach der Mahlzeit in einen Dornenbusch und legte sich dort zur Ruhe nieder. Bomba erwachte im Morgengrauen. Nebel wallten über dem Fluß, und die Sonne war noch nicht aufgegangen. Im nüchternen Licht des jungen Morgens hatte die Insel ihr gespenstisches Aussehen verloren. Er wollte jetzt nicht mehr daran denken und verzehrte hastig sein Frühstück. Dann prüfte er die Waffen, bevor er den ersten Erkundungsgang auf der Insel antrat. Als er aufs Geratewohl loswanderte, stellte Bomba bald fest, daß die Insel eine beträchtliche Größe hatte. Ein Teil war, wie auf dem Festland, mit dichtem Dschungelwald bedeckt. Doch überall gab es bequeme, ausgetretene Pfade, die den Urwald nach allen Richtungen durchzogen. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß die Insel besiedelt sein mußte. Nach einer längeren Wanderung erreichte Bomba ein Gebiet mit dürftigem Pflanzenwuchs. Eine felsige Hochfläche dehnte sich vor seinem Blick. Das steppenartige Hochland war von Schluchten zerklüftet. Dahinter erhob sich ein steiler Hügel mit abgeflachter Kuppe. Dieser Hügel war nicht so majestätisch und schwindelerregend hoch wie der ,Laufende Berg’, doch Bomba wurde unangenehm an seine Abenteuer im Gebiet der Feuerhöhlen erinnert. Auch hier stieg bläulicher Rauch vom Gipfel des Berges empor. Der Dampf breitete sich fächerförmig aus, und mitunter wurde die blaue Wolke von 127
unten her durch einen aufblitzenden Feuerschein erhellt. Das Summen klang lauter, je näher Bomba dem Hügel kam. Aus den Erklärungen seines Freundes Frank hatte Bomba gelernt, daß er sich in einem vulkanischen Gebiet befand. Wie am ,Laufenden Berg’ stellte er hier Anzeichen für die Tätigkeit eines feuerspeienden Berges fest. Merkwürdig war es, daß Bomba nirgendwo auf Menschen traf. Er hoffte, von den Bewohnern der Insel bald Auskunft über Japazy zu erhalten und sah sich in dieser Hoffnung vorerst getäuscht. Als endlich eine Siedlung am Rande eines lichten Waldgebietes auftauchte, war sie verlassen. Die Pfade waren von wucherndem Unkraut überwachsen. An den Türen rankten sich Schlingpflanzen empor, und die Hütten waren völlig leer. Mehrere solcher verlassenen Malocas fand Bomba. Bald begann er den Grund für diese merkwürdige Erscheinung zu begreifen. Die immer stärker anwachsende Zahl der Jaguare hatte die Bewohner der Insel gezwungen, sich in größeren, befestigten Siedlungen zusammenzuschließen. Bomba war froh, daß ihn seine Ungeduld nicht dazu verführt hatte, in der Nacht die Insel zu erkunden. Jetzt – im hellen Tageslicht – schliefen die Raubkatzen in ihren Höhlen und Schlupfwinkeln. Nach dreistündiger Wanderung vernahm Bomba zum ersten Male verdächtige Geräusche. Er ging leise weiter und hörte plötzlich das vertraute Schwirren einer
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Bogensehne. Unwillkürlich duckte er sich. Doch das Geschoß hatte nicht ihm gegolten. Ein Brüllen des Schmerzes und der Wut ertönte, und das schnatternde Schwatzen von Eingeborenenstimmen folgte dem Schrei. Nicht weiter als fünfzig Schritt von Bomba entfernt erhob sich eine Felsengruppe. Von dorther kam der Lärm. Schnell und doch lautlos wie ein anschleichender Panther bewegte sich Bomba auf die Felsen zu. Er zwängte seinen schlanken Körper in eine Spalte. Die erregten Stimmen zweier Eingeborener ertönten jetzt ganz nahe.
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18 Entdeckt Die Felsspalte war breit genug, um Bomba Durchschlupf zu gewähren. Er zwängte sich weiter zwischen den Felsklötzen hindurch. Er war jetzt von tiefem Dunkel umgeben. Vor ihm leuchtete das Ende des kurzen Tunnels. Wie durch ein Fenster sah er auf die Szene, ohne selbst gesehen zu werden. Zwei Krieger standen da und blickten auf einen toten Jaguar hinab. Ein Pfeilschaft ragte aus der Kehle und ein zweiter aus der Flanke des Raubtieres. Die beiden Eingeborenen beugten sich nieder und untersuchten den Kadaver. Ihre dunklen Gesichter drückten Kraft und Wildheit aus – aber ohne die Grausamkeit und Mordgier der heimtückischen Kopfjäger. Die Männer wirkten etwas größer als die Dschungelbewohner im allgemeinen. Von dem üblichen Lendentuch abgesehen, gingen sie nackt. In roter und blauer Farbe waren Zeichen auf ihre Brust gemalt. Sie unterschieden sich deutlich von der Kriegsbemalung der Kopfjäger, und Bomba hatte solche Stammeszeichen noch nie gesehen. Um die Stirn trugen die Männer ein dunkles Band, aus dem mehrere Schmuckfedern herausragten. Der Dialekt, den sie sprachen, war für Bomba leicht verständlich, und er vermochte ihrer Unterhaltung mühelos zu folgen. „Sunkas Pfeil fliegt gerade und schnell!“ brüstete sich der eine Krieger, während er mit Hilfe des Messers den Pfeil aus der Kehle des Jaguars zog. 130
„Sunkas Pfeil war nicht schneller als Boshots Pfeil“, sagte der andere, als er sein Geschoß aus der Flanke des erlegten Raubtieres zerrte. „Ein großer Jaguar!“ murmelte Sunka. „Ein wilder Feind! Er ist tapfer, aber nicht so tapfer wie Japazys Krieger! Sie sind ihm überlegen!“ Er reinigte seinen Pfeil vom Blut der großen Katze und steckte ihn in den Köcher zurück. Boshot wies in die Schlucht hinunter. Stimmen waren zu hören und bald näherte sich das Geräusch von Schritten. „Die drei aus der Schlangenschlucht kommen“, verkündete Boshot. „Olura! Tama! Abino! Beeilt euch!“ rief er. „Hier ist Arbeit für uns alle! Der Jaguar ist tot!“ Die drei anderen Krieger erschienen. Die Männer begrüßten einander mit lärmender Freude. „Wir hörten den Jaguar brüllen“, rief Tama. „Aber nun sehen wir, daß Boshot und Sunka keine Hilfe brauchen. Sie werden allein mit jedem Raubtier fertig!“ „Ein Jaguarkopf wird ein willkommener Anblick für Japazy sein“, frohlockte Olura. „Wessen Pfeil hat ihn getötet?“ erkundigte sich Tama. „Es war mein Geschoß, das die Kehle durchbohrte!“ prahlte Sunka. „Und mein Pfeil traf das Herz!“ rief Boshot. Die beiden Rivalen starrten einander an. Ihre Hände krampften sich fester um die Speerschäfte.
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Der älteste der drei Neuankömmlinge war Abino. In seinen Zügen spiegelte sich diplomatische Schlauheit und die Weisheit des Alters. „Warum sollte es Streit zwischen Sunka und Boshot geben? Jeder von Japazys Krieger kennt die Kraft und den Mut von Boshot und Sunka. Jeder weiß, daß beide im Stande sind, einen Jaguar zu erlegen. Japazy wird beide Krieger loben. Doch ich möchte nicht in seine Augen blicken, wenn er hört, daß sich zwei erfahrene Jäger wie unvernünftige Knaben wegen eines Pfeilschusses gestritten haben!“ „Das ist wahr“, stimmte Tama zu. „Abino spricht gute Worte! Unser Volk ist schwach, seit die Seuche viele tapfere Krieger tötete. Was soll geschehen, wenn unsere Männer einander bekämpfen wegen jeder Kleinigkeit? Der Stamm braucht alle tüchtigen Jäger zum Kampf gegen die Jaguare. Verschwendet eure Kraft nicht im Streit! Denkt an unsere Feinde!“ Die Worte verfehlten ihre Wirkung auf die beiden Kampfhähne nicht. Die verkrampften Finger lösten sich von den Speerschäften, und die Mienen glätteten sich. Bomba vermutete, daß der Hinweis auf Japazys Zorn den größten Eindruck auf die Streitenden gemacht hatte. Der Name des Häuptlings schien Wunder zu wirken. Abino blickte sinnend auf den toten Jaguar hinab. Seine Fußspitze stieß gegen das Fell. „Ein toter Jaguar“, sagte er nachdenklich. „Ein guter Anblick! Doch was bedeutet das? Wir töten viele – und noch mehr kommen über den Fluß geschwommen. In den 132
Höhlen wachsen die Jaguarjungen heran. Bald werden sie groß genug sein, um unsere Kinder fortzuschleppen.“ Olura versetzte dem Tierkadaver einen wütenden Fußtritt. „Verfluchte Bestien!“ schrie er in ohnmächtiger Wut. „Erst letzte Woche verschleppten sie zwei unserer Stammeskinder! Möchten die Götter mir Riesenkräfte geben! Ich würde jeden Jaguar zerreißen und mich an seinem Jammergeheul weiden! Die Medizinmänner beten und beten, aber die Jaguare holen sich einen Menschen nach dem anderen!“ Abino beobachtete den Wutanfall seines jüngeren Stammesgenossen mit Nachsicht. „Kein Geschrei kann uns helfen“, meinte er mit einem Schulterzucken. „Wir wissen, daß die Jaguare nachts den Fluß durchschwimmen, wenn die Kaimane schlafen. Wir wissen auch, daß sie auf die Insel kommen, um die Kräuter zu fressen, die sie lachen machen, wenn sie traurig sind, und die sie gesund machen, sobald Krankheit sie plagt. Wir wissen das, und wir können ihrer doch nicht Herr werden.“ Von Casson hatte Bomba gelernt, daß die Jaguare eine Art von Katzenminze mit Vorliebe fraßen. Der Genuß übte eine Rauschwirkung auf die Tiere aus, wie es Abino angedeutet hatte. Allerdings fragte sich Bomba, weshalb die Eingeborenen nichts zur Ausrottung dieser Katzenminze unternahmen. Das schien ihm der einfachste Weg zu sein, um die Jaguare vom Besuch der Insel abzubringen. Wahrscheinlich wäre jedoch eine Armee von Männern nötig gewesen, um das Kraut überall auf der Insel auszujäten. 133
Inzwischen ging die Unterhaltung der Eingeborenen weiter. „Wie gut wäre es, wenn Japazy unser Volk von der Unglücksinsel fortführen würde“, meinte Boshot. „Was hält uns hier? Nur Mühsal und Gefahren erwarten uns jeden Tag!« Der vorsichtige Abino warf unwillkürlich einen furchtsamen Blick in die Runde. „Still, Boshot!“, warnte er den Jüngeren. „Solche Worte dürften Japazy nicht zu Ohren kommen! Du erinnerst dich doch an Manasta, den Mann mit der kühnen Zunge? Er wagte es, Japazy einen ähnlichen Vorschlag zu machen. Ich sehe noch das Stirnrunzeln des großen Häuptlings – ich sehe noch seinen fürchterlichen Blick!“ Abino bedeckte die Augen mit einer theatralischen Geste. Dann fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: „Manasta ist seit jenem Tage verschwunden!“ Tama neigte den Kopf vor und seine Stimme bebte. „Es heißt“, sagte er schaudernd, „daß Japazy den Vorlauten in einen Sack binden ließ. Man warf ihn in den Fluß – als Beute für die Kaimane. Hüte dich, Boshot!“ Bomba hatte den Eindruck, daß Boshot förmlich zusammenschrumpfte. Der kräftige Mann, der dem Jaguar furchtlos gegenübergetreten war, erbleichte unter seiner braunen Haut, und seine Lippen zitterten. Bomba erhielt dadurch einen neuen Einblick in das Wesen Japazys. Seine Macht schien ebenso groß zu sein wie seine Grausamkeit.
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Während Boshot noch über die warnenden Worte nachdachte, hatten sich seine Gefährten bereits über das erlegte Tier gebeugt. „Gutes Fleisch für unser Volk!“ sagte Olura. „Laßt uns den Jaguar häuten und das Fleisch von den Knochen schälen. In unseren Hütten ist Mangel an Nahrung, und das Fleisch wird willkommen sein.“ Die Jäger wollten gerade mit der Abhäutung des Kadavers beginnen, als ein dumpfes Krachen ertönte. Aus dem Gipfel des Hügels schoß eine hohe Flammenzunge. Die Erde bebte. Die Erschütterung war so stark, daß die Eingeborenen zu Boden geschleudert wurden. Zwischen den Felswänden wurde Bomba hin und her geworfen. Mehrmals stieß er heftig mit dem Kopf gegen die Gesteinsplatten. Als die Erdstöße aufhörten, und der Junge halb benommen ins Freie schaute, sah er, daß die Eingeborenen sich auf die Knie aufgerichtet hatten. Sie senkten die Köpfe und berührten mit der Stirn den Boden. Dabei murmelten sie Beschwörungen, die dem Berg oder ihren Göttern galten. Leise, dumpfe Erdstöße folgten. Allmählich beruhigte sich der Aufruhr. Doch die Eingeborenen verharrten noch einige Minuten lang knieend. Nur zögernd standen sie auf, um sich an die Arbeit zu machen. Immer wieder warf Abino furchtsame Blicke auf den rauchenden Berggipfel. „Tamura spricht mit zorniger Stimme“, murmelte er. „Wir haben ihm lange keine wertvollen Geschenke gebracht.
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Er grollt unserem Volk. Der Medizinmann muß ihm Jaguarfleisch als Brandopfer bringen. Es könnte sonst geschehen, daß Tamura die Lavafluten über unsere Hütten fließen läßt.“ Der Dämon des Berges schien die Worte des Eingeborenen zu bestätigen. Neue heftige Stöße erschütterten den Boden. Die Felsen schwankten, und der Spalt vergrößerte sich. Keinen eindrucksvolleren Zeitpunkt hätte sich Bomba für seinen Auftritt wünschen können. Wie von Riesenhänden auseinandergerissen, klafften die Felsen auseinander. Bomba stand plötzlich im hellen Licht des Tages vor den verblüfften Indianern.
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19 In den Händen des Stammes Die Indianer starrten Bomba an, als hielten sie ihn für einen Geist, der geradewegs der Erde entstiegen war. Im nächsten Augenblick hoben sie ihre Speere, und die fünf scharfen Spitzen richteten sich auf Bombas Brust. Der Junge war ebenso bestürzt wie die Eingeborenen. Noch immer bebte die Erde, und er bemühte sich, mit festem Schritt auf die Männer zuzugehen. Dabei hielt er die Hände zum Zeichen des Friedens und der Freundschaft erhoben. Überall im Dschungel verstand man diese Geste. Die Speere senkten sich. Die Drohung verschwand aus den dunklen Gesichtern. Stattdessen blickten sie dem sonderbaren Besucher verwundert und neugierig entgegen. Sie erkannten an seinen Zügen, daß er zwar ein Bewohner des Dschungels, aber kein Wesen ihrer Art war. Abino trat einen Schritt vor. „Der Fremde ist plötzlich und unerwartet erschienen wie ein Geist“, sagte der alte Eingeborene. „Es ist üblich, daß ein Fremder seinen Namen nennt! Wie heißt du? Weshalb hast du die Insel Japazys betreten?“ Bomba trat noch einige Schritte näher und senkte die Hände. „Ich heiße Bomba. Mein Weg führt mich weither aus einem fernen Teil des Dschungels. Ich möchte Japazy, 137
euren Häuptling, sprechen. Meine Absichten sind friedlich! Keine falschen Worte kommen über meine Lippen.“ Abino hob mahnend den Kopf. „Niemand könnte es wagen, mit bösen Gedanken Japazys Insel zu betreten“, sagte er. „Die Speere unserer Krieger sind scharf. Ihre Pfeile singen freudig, wenn sie das Herz eines Feindes durchbohren.“ „Unnütze Worte“, murrte Boshot. „Japazys Krieger würden an einen Knaben keinen Pfeil verschwenden.“ Die Bemerkung verletzte Bombas Stolz. Doch er beherrschte sich und nahm die Worte mit lächelnder Miene auf. „Ich bin ein Junge“, gestand er freimütig. „Aber auch ein Junge kann kräftig sein und es gut verstehen, mit Pfeil und Bogen umzugehen?“ Er trat zu dem erlegten Jaguar, schob den Arm unter den Leib des Tieres und warf sich den Kadaver mit einem Ruck über die Schulter. Ein Murmeln der Bewunderung kam von den Lippen der Indianer. Jeder von ihnen wußte, daß es ihm schwerfallen würde, die gleiche Kraftprobe zu bestehen. „Du bist stark, Fremder“, gab Abino zu. Er wandte sich an Boshot, der jetzt einigermaßen verdutzt dreinschaute. „Boshot hat immer eine voreilige Zunge. Auf seine Worte ist nicht viel zu geben.“ Bomba hielt es für richtig, noch bessere Beweise seiner Fähigkeiten zu geben.
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„Ich habe gute Pfeile im Köcher“, sagte er leichthin. »Auf der Reise zur Jaguarinsel haben meine Pfeilspitzen mehrere Male das Auge des Kaimans und die Kehle des Jaguars durchbohrt.“ „Große Worte spricht der Fremde“, meinte Sunka zweifelnd. „Große Worte lenken aber keinen Pfeil ins richtige Ziel.“ „Das ist wahr“, gab Bomba zu. „Worte werden auch nicht diesen Geier dort oben herunterholen. Aber mein Pfeil wird es tun.“ Auf dem höchsten Ast eines Baumes, der etwa sechzig Meter von Bomba entfernt war, hockte ein Geier. Die Blicke der Indianer glitten zu dem Raubvogel hin – und wieder zu Bomba zurück. Ungläubige Rufe ertönten. Neugier und Belustigung spiegelten sich in den Zügen der Eingeborenen. Was auch immer geschehen mochte – der Fremde gab ihnen ein Schauspiel, das sie nicht alle Tage zu sehen bekamen. „Soll mein Pfeil den Hals oder die Brust des Geiers treffen?“ fragte Bomba. Tama lachte ungläubig. „Wenn wir vorher noch den Worten des Fremden glaubten – jetzt wissen wir, daß er prahlt. Wir möchten nur sehen, daß er überhaupt den Körper des Vogels trifft. Das wäre gut genug.“ „Ich werde den Hals durchbohren“, sagte Bomba gleichmütig und spannte den Bogen.
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Der Pfeil schwirrte empor. Im nächsten Augenblick wurde der Geier zur Seite gerissen. Er machte noch einige unbeholfene Flügelschläge – dann fiel er plump zu Boden. Die Eingeborenen eilten zu der Stelle, an der der Vogel zur Erde gefallen war. Als sie sahen, daß der Pfeil wirklich den kahlen Geierhals durchbohrt hatte, schwatzten sie erregt und voller Verwunderung miteinander. Sie kehrten langsam zu Bomba zurück und betrachteten ihn mit heimlicher Ehrfurcht. Sie neigten jetzt dazu, ihn für ein Wesen mit überirdischen Kräften zu halten. Noch nie hatten sie einen Knaben gesehen, der so stark war und solche Pfeilschüsse fertigbrachte. Bomba hielt den Augenblick für gekommen, um erneut seinen Wunsch auszusprechen. „Ich habe eine weite und gefahrvolle Reise hinter mir“, begann er. „Ich bin gekommen, um euren großen Häuptling zu sehen. Ich habe wichtige Fragen an ihn zu richten. Wollen mir Japazys Krieger den Weg zeigen, der zur Wohnung des Häuptlings führt?“ Die Indianer warfen einander verstohlene Blicke zu. Abino sprach für alle, als er sagte: „Es gehört große Kühnheit dazu, mit Japazy zu sprechen! Unser Häuptling liebt die Fremden nicht. Als der Fluß einmal einige Schiffbrüchige an das Ufer der Jaguarinsel warf, hielt Japazy strenges Gericht über die Männer, die es gewagt hatten, sein Reich zu betreten. Diese Fremden konnten nie mehr etwas von der Insel der großen Katzen an anderen Orten berichten – sie sind in das Reich der Toten geschickt worden!“ 140
Das Gesicht des Jungen blieb unbewegt. Er fühlte, wie ein Schauer über seine Haut lief, aber er blickte Abino ruhig in die Augen. „Ich bin im Frieden auf die Insel gekommen“, sagte er. „Ich will nichts von Japazys Besitz rauben. Mein Mund ist verschwiegen. Niemand wird erfahren, was ich auf der Insel der großen Katzen sah. Doch ich muß einige Fragen an Japazy richten.“ In die Neugier der Indianer mischte sich jetzt eine Spur von Mitleid. Das glaubte Bomba aus den Zügen der Männer herauszulesen. „Wir wissen nicht, was Japazy beschließen wird“, meinte Abino mit einem bedauernden Schulterzucken. „Sein Wort gilt, und es kann Leben oder Tod bedeuten.“ „Der große Häuptling wird mir freundlich entgegentreten“, erklärte Bomba mit einer Zuversicht, den er im Innern durchaus nicht empfand. „Ich wäre den Kriegern dankbar, wenn sie mich jetzt zu Japazy führen würden.“ Die Männer traten zur Seite und berieten mit leiser Stimme. Die Verantwortung, die ihnen durch Bombas Erscheinen aufgebürdet wurde, schien sie zu bedrücken. Sie fürchteten Japazys Zorn, falls sie einen Fremden zu ihm brachten, der keine Gnade vor seinen Augen fand. Die Beratung wurde aufgeregt, und es sah bald so aus, als gäbe es Streit. Schließlich trat Abino auf den Jungen zu und sagte: „Wir wollen den Fremden zu Japazy führen, wie er es wünscht. Doch seine Hände müssen gebunden sein, damit er dem Häuptling oder unserem Volke keinen Schaden zufügen kann.“ 141
Bomba trat einen Schritt zurück und hob stolz den Kopf. „Ich bin frei! Ich habe die Insel aus freiem Willen betreten, und kein böser Gedanke wohnt in meinem Herzen! Weshalb sollte ich wie ein Sklave vor Japazy treten?“ Wieder berieten die Indianer leise miteinander. Jetzt schlug Abino eine andere Lösung vor. „Wenn der Fremde sein Messer, seinen Bogen und den Feuerstock abgibt, von dem er gesprochen hat, dann wollen wir ihn ungefesselt zu Japazy führen.“ Bomba schüttelte den Kopf. „Die Waffen sind meine Freunde“, sagte er. „Sie haben mich im Dschungel vor vielen Gefahren beschützt. Niemand gibt seine Freunde her. Auch ich tue das nicht. Meine Waffen schaden nur den Bösen. Für Japazy und sein Volk bedeuten sie keine Gefahr.“ Es war ein kritischer Augenblick. Die Indianer hätten ihn überwältigen können. Sie waren ihm an Zahl überlegen. Wahrscheinlich hätten sie nicht gezögert, wenn er ihnen nicht so eindrucksvolle Proben seiner Kraft und Schießkunst gegeben hätte. Jetzt zogen sie es jedenfalls vor, von neuem leise zu beraten. „Es soll so sein, wie der Fremde es wünscht“, verkündete Abino. „Wir werden den Jaguar abhäuten und sein Fleisch mitnehmen. Dann führen wir den Fremden zu Japazy.“ Bomba zeigte seine Erleichterung nicht, sondern nickte nur gemessen. „Ich danke euch“, sagte er. „Ich sehe, daß die Krieger Japazys gute Herzen und vernünftige Gedanken haben.“ 142
Gemeinsam machten sie sich nun an die Arbeit. Als die Eingeborenen sahen, mit welchem Geschick Bomba sich bei der Enthäutung des Jaguars beteiligte, wuchs ihre Achtung noch. Bald war das Werk vollbracht. Die Krieger luden sich die Fleischlasten auf und gingen voran, während ihnen Bomba als letzter folgte. Er gab auch jetzt seine Vorsicht nicht auf. Er behielt die Männer scharf im Auge und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Das Leben im Dschungel hatte ihn Mißtrauen und Wachsamkeit in jeder Lebenslage gelehrt. Der Marsch verlief jedoch ohne Zwischenfälle. Nach einer halben Stunde etwa erreichten sie eine große Ansiedlung. Aus jeder Hütte traten Eingeborene heraus. Frauen und Kinder starrten dem Fremden mit offenem Munde und neugierigen Augen nach. Eigentlich hätte er als Gefangener vor den Kriegern hergehen müssen, und statt dessen schritt er wie ein Sieger hinterdrein. Das verstanden sie nicht! Ein Bauwerk mitten im Dorf überragte bei weitem die anderen Hütten, die sich in nichts von den üblichen Indianerbehausungen unterschieden. Bomba vermutete mit Recht, daß er Japazys ,Palast’ vor sich hatte. Vielleicht verdiente das Bauwerk diese prunkvolle Bezeichnung nicht – aber in dieser Umgebung von ärmlichen Hütten schien das Wort immerhin angebracht zu sein. Abino führte den Jungen in eine Hütte, die etwas abseits vom Palast stand. Dort ließ der Eingeborene ihn allein zurück, bevor er zu Japazy ging, um ihm das Anliegen des Fremden vorzutragen. 143
Schon nach kurzer Zeit kehrte der alte Indianer zurück. „Japazy ist fortgegangen“, erklärte er.
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20 Funkelnde Schätze Die Worte trafen Bomba wie ein Stoß. So lange hatte er sich darauf vorbereitet, Japazy gegenüberzutreten, daß ihn dieser kleine Mißerfolg vollkommen durcheinander brachte. „Fort!“ rief der Junge. „Ich bin zu spät gekommen? Japazy ist nicht mehr auf der Insel?“ Die Erregung des Jungen belustigte den Alten ein wenig. „Der Häuptling wird bald zurückkehren“, sagte er beruhigend. „Er sagt nie, wohin er geht. Aber er bleibt nicht lange aus. Der Fremde wird warten müssen.“ „Hat er die Jaguarinsel verlassen?“, fragte Bomba etwas ruhiger. „Oder ist Japazy in ein anderes Dorf gegangen?“ „Auf der Jaguarinsel gibt es nur dieses Dorf“, belehrte ihn Abino. „Früher gab es viele Ortschaften auf der Insel. Doch als die Jaguare immer mehr Menschen töteten, haben sich die Bewohner in diesem einen großen Dorf zusammengeschlossen. Sie fühlen sich sicherer hier. Die großen Katzen meiden die Orte, an denen viele Menschen leben.“ „Dann hat Japazy die Insel verlassen?“ Abino nickte. „Er ist über das Wasser davongefahren.“ Sofort mußte Bomba an die Stadt mit den goldenen Türmen denken, von der Hondura gesprochen hatte. 145
„Stromabwärts?“ fragte der Junge. „Fuhr er dorthin, wo die Stadt mit den goldenen Türmen liegt?“ Abinos Miene verfinsterte sich. Sein Blick wurde streng und abweisend. Die Lippen preßten sich zusammen. „Der Fremde spricht unüberlegte Worte!“ sagte der Indianer mit drohend vibrierender Stimme. „Niemand kennt hier eine Stadt mit goldenen Türmen. Es ist nicht gut, törichte Fragen zu stellen. Abino hat Männer gesehen, denen Japazy die Zunge abschneiden ließ, weil sie unvernünftige Fragen an den Häuptling richteten.“ Bomba schalt sich insgeheim selbst wegen seiner Voreiligkeit. Er hätte sich denken können, daß die Stadt mit den goldenen Türmen hier ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis darstellte. In Zukunft wollte er bei allen Fragen vorsichtiger zu Werke gehen. „Abino spricht weise Worte“, meinte er beschwichtigend. „Ich werde die klugen Ratschläge Abinos in meinem Herzen bewahren. Möge Abino vergessen, daß ich törichte Fragen stellte! Ich werde jetzt geduldig warten, bis Japazy zurückkehrt.“ Abino lächelte geschmeichelt. „Es ist gut, daß der Fremde so gelehrig ist, und Abinos Meinung zu schätzen weiß. Er wird erkennen, daß Abinos Worte auch bei dem großen Häuptling etwas gelten. Der Fremde wird unbehelligt bleiben, wenn ihn Abino jetzt in das große Haus des Häuptlings führt. Dort soll der Fremde schlafen und wohnen, bis Japazy zurückkehrt.“ Mit einem Wink forderte der Alte seinen jungen Gast auf, ihm zu folgen. Sie traten vor die Hütte und fanden den 146
Eingang von Scharen von Neugierigen umlagert. Die Kunde von der Ankunft des Fremden und von seiner wunderbaren Geschicklichkeit hatte sich anscheinend wie ein Lauffeuer durch das Dorf verbreitet. Jeder wollte das Fabelwesen sehen, aber niemand wagte sich allzu nahe an ihn heran. Hatten sie doch gehört, daß er einen ,Feuerstock’ besaß, der mit der Stimme des Donners sprechen konnte und auf weite Entfernungen – wie durch Zauber – Tiere und Menschen umwarf. Die Menge begleitete die beiden bis zu Japazys Palast. Dort wich sie scheu zurück. Es war nur wenigen Auserwählten gestattet, das Haus zu betreten. Wie Bomba später erfuhr, war Abino der erste Ratgeber Japazys. In Abwesenheit des Herrschers lenkte er die Geschicke des Stammes. Abino öffnete die massive Tür und schritt voran. Starke Riegel schützten das Tor. Im Falle eines Angriffs oder einer Revolte innerhalb des Stammes war Japazys Palast nicht so leicht zu erstürmen. Sie befanden sich jetzt in einem großen Vorraum. Unwillkürlich blieb Bomba stehen und schaute verwirrt um sich. Für ihn war die Halle von Japazys Palast ein überwältigender Anblick. Noch nie hatte sein Auge solche Pracht erblickt. Gemälde hingen an den Wänden. Wie auf Moospolstern schritten Bombas Füße über dicke, weiche Teppiche von prachtvoller Buntheit dahin. Es gab Diwane mit schwellenden Kissen und Fransendecken. Statt der Türen verhängten kostbare, schimmernde Seidenstoffe die Öffnungen, die zu den verschiedenen Räumen führten. 147
Wohin der Junge blickte – immer entdeckte er neue Schätze und Reichtümer. Marmorstatuen standen in den Nischen. Er trat an einen Tisch heran und berührte die lackschimmernde Oberfläche. Da waren aus Perlmutt und Elfenbein Figuren und Muster in das Mahagoniholz eingelegt. Auch an Stühlen fand Bomba diese kunstvollen Intarsien. Schwerter aus feinstem Stahl, mit edelsteinbesetzten Griff en, hingen an der Wand auf goldbesticktem Brokatstoff. Honduras Erzählung von der Stadt mit den goldenen Türmen wurde vor Bombas Augen zur Wirklichkeit. Von keinem anderen Ort konnten die märchenhaften Schätze herstammen als aus der versunkenen Stadt. Bomba ahnte diese Wahrheit, aber er hütete sich, ein Wort zu sagen. Jetzt war dem Jungen auch klar, warum Japazy das Geheimnis der verschollenen Stadt so sorgfältig hüten ließ. Wenn Bomba auch den Geldwert der Kunstgegenstände in Japazys Palast nicht kannte, so war er doch klug genug, den unermeßlichen Reichtum zu erraten. Als er einen verstohlenen Seitenblick auf Abino warf, erkannte er, daß dem Alten seine Umgebung wenig Achtung einflößte. Er war ein Dschungelmensch, der keinen Wertmaßstab für Dinge besaß, die über seinen primitiven Lebensbedarf hinausgingen. Jetzt konnte Bomba auch begreifen, was Sobrinini über Japazys Herkunft gesagt hatte. Der Herrscher der Jaguarinsel hatte zur Hälfte das Erbteil der Weißen mitbekommen. Er war früher in zivilisierten Ländern gewesen, und er hatte den Wert alter Kunstwerke zu schätzen gelernt. 148
Unwillkürlich empfand Bomba noch mehr Hochachtung vor seinem unbekannten Gastgeber. Er sah in Japazy einen Mann, der die Wertgegenstände aus der Stadt mit den goldenen Türmen nur deshalb in seinen Palast schaffte, um sich an ihrer Schönheit zu erfreuen. Der Gedanke kam dem Jungen nicht, daß Besitzgier und Erwerbssinn die Triebfedern für Japazys Schatzanhäufung sein könnten. Bomba wußte nicht, daß die Menschen in fernen Ländern große Geldsummen für diese Kunstgegenstände boten, und daß diese Tatsache Japazy bekannt war. So viele Dinge hatten Bombas Blick abgelenkt, daß er erst zum Schluß die erhöhte Plattform in der Mitte des saalartigen Raumes betrachtete. Auf einem scharlachfarbenen Tuch mit Goldstickerei stand ein breiter, gepolsterter und geschnitzter Sessel, der Japazy als Thron diente. Ohne daß Abino ein Wort gesagt hätte, konnte sich Bomba vorstellen, wie der Herrscher der Jaguarinsel von diesem Thronsitz aus sein Volk regierte. Der Junge malte sich die Gewänder aus, die der strengblickende Japazy trug. Seidenstoffe und reiche Stickerei würden noch den Abstand betonen, der ihn von seinen armseligen Untertanen trennte. Abino erriet die Gedanken des Jungen. „Von diesem Sessel aus beherrscht Japazy sein Volk“, erklärte er. „Hier spricht er Worte, die Leben oder Tod bedeuten. Vor diesen Thron wird auch Bomba gebracht werden, sobald es Japazy befiehlt.“ Mit etwas bangen Gefühlen betrachtete Bomba die Plattform mit dem Sessel. Was stand ihm bevor, wenn er Japazy gegenübertrat? 149
Abino winkte ihm. „Komm!“ rief er. „Ich führe dich jetzt in den Gastraum, der dir zugewiesen wird.“ Er geleitete den Jungen zu einem Raum, der etwas abseits von der Mittelhalle lag. Dieses Zimmer war schlicht eingerichtet. Trotzdem wirkte es für Dschungelverhältnisse prächtig. Stühle waren vorhanden – ein Tisch, ein Teppich und das Bett mit Matratze, Laken und Decken, dessen Verwendungszweck Bomba damals auf Sobrininis Schlangeninsel noch nicht gekannt hatte. In solchen Räumen schliefen die Menschen von seiner Art in den zivilisierten Ländern, wußte Bomba jetzt. Er betrat das Gemach mit gemischten Gefühlen. Kaum je hatte er auf Stühlen gesessen, und in einem Bett hatte er noch nie gelegen. In Gegenwart Abinos ließ er sich jedoch keine Unsicherheit anmerken. Er tat so, als wären ihm die Gegenstände seit langem vertraut. Schließlich war er ein Weißer, und jetzt bot sich ihm zum ersten Male die Gelegenheit, sich wie ein Weißer zu benehmen. „In diesem Raum schlafen die Männer, die von weither kommen, um mit Japazy zu sprechen“, erklärte Abino. „Einige verlassen die Jaguarinsel wieder, wenn sie mit dem Häuptling gesprochen haben! Aber einige bleiben – für immer!“ Die düsteren Worte waren nicht dazu angetan, Bomba zu beruhigen. Der Junge tat jedoch so, als hätte Abino eine belanglose Mitteilung gemacht. Er nickte gleichmütig. „Bomba ist tapfer“, murmelte Abino mit widerstrebender Anerkennung. „Er hat gute Waffen und starke Arme. 150
Abino erinnert sich noch gut daran, wie er den Pfeil durch den Hals des Geiers sandte. Doch es gehört noch mehr Mut dazu, vor Japazy zu stehen.“ „Warum fürchtet ihr euren Herrscher so?“ fragte Bomba. „Verbreitet er nur Schrecken und Angst um sich?“ Abino senkte die Stimme. Sein Raunen klang warnend und düster durch das Gemach. „Der Fremde wird es erfahren, wer Japazy ist! Er wird seine Augen sehen, die sengende Blitze aussenden – er wird seine Stimme hören, die wie ferner Donner grollt! Doch wir haben schon zuviel von dem großen Häuptling gesprochen. Ich gehe jetzt und lasse dir Essen senden. Dann werden sich die Stammesältesten versammeln, um mit dir zu sprechen.“ Bomba verneigte sich zustimmend, und der Alte verschwand. Als der Junge allein war und im Raum Umschau hielt, entdeckte er ein Bild an der Wand. Sein Herz schlug hämmernd, als er das Gesicht erkannte. Er hatte das Abbild der schönen Frau vor sich – das gleiche traurig und lieblich lächelnde Antlitz, das er bei Sobrinini auf der Schlangeninsel gesehen hatte!
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21 Das Geheimnis wird undurchdringlicher Bomba eilte auf das Bild zu. Ja, es war dasselbe mädchenhaft schöne Gesicht, das ihm entgegenblickte – es waren dieselben träumerischen Augen, die ihn liebevoll und mit trauriger Zärtlichkeit anschauten! Die Gefühle von Wehmut, Sehnsucht und Zuneigung überwältigten Bomba. Tränen verschleierten seinen Blick. Das „Wort drängte sich auf seinen Lippen – jenes wundersame Wort, das er so selten aussprechen durfte: Mutter! Bomba war nahe daran, vor dem Bild in die Knie zu sinken. Er nahm sich jedoch zusammen und wischte die Tränen fort. Jeden Augenblick konnte ein Eingeborener das Zimmer betreten. Der mochte die Tränen falsch deuten und für Zeichen der Furcht und Schwäche halten. Als er ruhiger geworden war, begann Bomba kühl zu überlegen. Jetzt hatte er die erste Bestätigung dafür gefunden, daß Sobrininis Worte keine leeren Redereien gewesen waren. Es mußte ein geheimnisvolles Band zwischen der Hexe von der Schlangeninsel und dem Herrscher der Jaguarinsel bestehen. Beide besaßen sie das gleiche Bild jener Frau, die Bomba für seine Mutter hielt. Sie hatten wahrscheinlich auch die beiden Menschen gekannt, die Casson ,Bartow’ und ,Laura’ nannte. Welches Schicksal
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mochte sie alle zusammengeführt und wieder auseinander gerissen haben? Die Tür öffnete sich, und ein Indianerjunge trug auf einem Holztablett ein reichliches und schmackhaftes Mahl herein. Er stellte die Gefäße auf den Tisch und beobachtete Bomba schweigend beim Essen. Der Junge mochte etwa zwölf Jahre alt sein. In seinen Blicken drückte sich ebensoviel Neugier wie Bewunderung aus. Er lehnte an der Wand bei der Tür und ließ die Augen nicht von jenem geheimnisvollen Fremden, der an Jahren nicht viel älter als er selbst war, der sich aber doch so sehr an Kraft, Kühnheit und Geschicklichkeit von ihm unterschied. Bomba fand Gefallen an dem schmächtigen Indianerjungen. Er lächelte ihm zu und forderte ihn mit einer Geste auf, näherzukommen. „Wie heißt du?“ erkundigte er sich. Der Junge machte zwei zögernde Schritte auf Bomba zu und blieb dann mitten auf dem Teppich stehen. „Dein Diener heißt Solani. Er ist Abinos Sohn.“ Bomba reichte dem Jungen eine Frucht hin, die dieser begierig verzehrte. „Solani hat einen guten Vater“, eröffnete Bomba das Gespräch mit diplomatischer Geschicklichkeit. „Abino ist klug und weiß viele Dinge, die andere nicht wissen.“ Der Junge nickte stolz. „Mein Vater ist nach Japazy der klügste Mann auf der Insel der großen Katzen“, verkündete er. 153
Bomba hielt die Zeit für gekommen, um jene Fragen zu stellen, deren Beantwortung ihm wichtig erschien. „Man spricht viel von der Jaguarinsel. Es heißt, es gäbe Geister und Dämonen hier. Hast du schon welche gesehen?“ Der Junge legte die Hand auf die Lippen und trat noch näher an Bomba heran. Sein Gesicht zeigte Furcht, doch zugleich war ein Ausdruck von Vertraulichkeit in seinen Zügen. „Darüber darf nicht laut gesprochen werden“, flüsterte er. „Es gibt Geister auf der Insel! Sie beschützen Japazy, und nur er kann sie erblicken! Niemand sieht sie, außer Japazy.“ „Und die Lichter über dem Fluß?“ fragte Bomba weiter. „Was bedeuten sie? In der Nacht sah ich flackernde und verlöschende Lichter, als ich mich der Jaguarinsel näherte.“ Solani machte eine geheimnisvolle Geste. „Die Lichter, die du gesehen hast, sind brennende Büsche. Wenn Tamura, der Berg, zornig ist, reißt er die Erde auf. Dann werden brennende Büsche in die Luft geschleudert.“ Bomba nickte ernst. „Tamura spricht oft im Zorn?“ „Oft – sehr oft!“ sagte der Junge mit gerunzelter Stirn. „Seine Stimme ist Donner, und er speit Feuerflüße aus, die alles verzehren. Viele unseres Stammes sind schon in diesem Feuerschlamm umgekommen. Die Alten sagen, daß er nicht still sein wird, bis ein Fremder ihm geopfert würde – dann wäre der Zorn Tamuras besänftigt.“ 154
Für Bomba war die Mitteilung nicht gerade erfreulich. Augenblicklich hielt er sich als einziger Fremder auf der Insel auf. Doch er kam zu keiner weiteren Frage, denn Abino trat ein, gefolgt von einigen alten Indianern. Mit einem Wink forderte er seinen Sohn auf, das Geschirr abzuräumen und hinauszutragen. Die Eingeborenen setzten sich in einem Halbkreis vor Bomba nieder. Sie betrachteten ihn schweigend. Anscheinend hatten sie sich vorgenommen, den Fremden das Gespräch eröffnen zu lassen. Bomba begann also das Palaver, indem er sich für die Bewirtung und für die gute Unterkunft bedankte. Abino nickte zufrieden. „Der Fremde soll nicht hungern, bis er Japazy sein Anliegen vorgetragen hat“, erklärte er. „Ich werde Japazys Zeit nicht lange in Anspruch nehmen“, meinte Bomba. „Nur wenige Fragen habe ich an euren Häuptling zu richten.“ Die Alten schauten einander an, als kämen sie jetzt zur Hauptsache. „Was sind es für Fragen, die Bomba stellen will?“ erkundigte sich Abino. Der Junge war sich nicht klar darüber, ob er die Wahrheit sagen durfte. Vielleicht zog er sich dadurch Japazys Zorn zu? Anderseits würden es ihm die Stammesältesten übelnehmen, wenn er ihnen nicht den Zweck seiner Reise offenbarte. Er entschloß sich also, offen zu antworten. „Ich möchte von Japazy etwas über meine Eltern erfahren“, erklärte er, „und ihn bitten, mir ihren Aufenthaltsort zu nennen.“ 155
Bomba bemerkte, daß die Indianer schnelle Blicke wechselten. Es entging ihm auch nicht, wie Abinos Blick verstohlen zu dem Bild glitt, das seitwärts an der Wand hing. Abino wollte nun wissen, weshalb Bomba gerade von Japazy diese Auskünfte zu erhalten wünschte, und der Junge erklärte die Zusammenhänge. Als er auf Sobrinini zu sprechen kam, horchten die Männer auf. Sie wollten kaum glauben, daß Bomba die Schlangeninsel betreten hätte. Doch seine schnellen und aufrichtigen Antworten überzeugten sie schließlich. Von Abino erhielt der Junge nun auch eine Aufklärung über das Mißtrauen der Stammesältesten. „Viel Gold ist auf der Insel der großen Katzen“, sagte der Alte. „Und schon oft sind Fremde gekommen, die freundlich zu uns sprachen. Ihre Zungen waren gespalten! Sie redeten honigsüße Worte – und meinten unser Gold. Die Dämonen verrieten Japazy die wirklichen Gedanken der Fremden. Keiner von ihnen verließ lebend die Insel.“ Bomba lächelte. „Meine Worte sind wahr“, sagte er ruhig. „Ich kümmere mich nicht um Japazys Gold. Was sollte ich auch damit anfangen? Ich bin gekommen, um etwas über meine Herkunft zu erfahren. Nur das möchte ich wissen!“ Die Stammesältesten murmelten halblaut miteinander. Sie konnten kaum begreifen, daß jemand nichts von seinen Eltern wußte. Bomba gab ihnen die gewünschte Erklärung. Er erzählte von Casson und seinem Leben im Urwald. Er erwähnte auch die Namen ,Bartow’ und ,Laura’. Wieder 156
drängte sich ihm die Vermutung auf, daß Abino mehr wußte, als er sagen wollte. Der Blick des Alten ging verstohlen zu dem Bild an der Wand hin, als der Name ,Laura’ fiel. Oder bildete sich Bomba das ein? Schließlich verließen die Alten stumm den Raum. Die Worte, die sie in der Halle wechselten, waren nicht zu verstehen. Dann kamen sie jedoch an seinem Fenster vorbei, als sie den Palast verlassen hatten. Ihr erregtes Stimmengewirr kam näher und wurde deutlicher. Der Junge fing einige unverständliche Wortfetzen auf. Hinter einem Vorhang verborgen, brachte er das Ohr so nahe wie möglich an das Fenster heran. Jetzt hob sich eine Stimme deutlich aus dem Durcheinander von Lauten heraus. Bombas Hand krampfte sich unwillkürlich um den Stoff des Vorhanges, als er die Worte vernahm. „Bartow?“ fragte einer. „Der Fremde sprach von Bartow! Hieß nicht der Mann so, den Japazy getötet hat?“
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22 Der kriechende Tod Die Stimmen entfernten sich, und Bomba taumelte vom Fenster zurück. „Bartow?“ klangen die Worte in seinem Ohr nach. „Hieß der Mann nicht so, den Japazy getötet hat?“ Tot! Sein Vater war tot! Alle Kämpfe und Mühen waren vergeblich gewesen! Trauer und Niedergeschlagenheit wichen nach einer Weile dem aufflammenden Zorn. Japazy war also der Mörder seines Vaters. Wenn es sich so verhielte, schwor Bomba dem Halbblut fürchterliche Rache. Keine Geister und Dämonen würden dem Häuptling etwas nützen. Ungeduldig durcheilte Bomba den Raum. Er konnte den Augenblick nicht mehr erwarten, da er Japazy gegenübertreten würde. Als sein Blick auf das Frauenbildnis an der Wand fiel, wurden seine zornigen Gedanken für kurze Zeit besänftigt. Wenn die schöne Frau seine Mutter war, dann lebte sie vielleicht noch. Oder war auch sie Japazy zum Opfer gefallen? Die Wut des Jungen verdoppelte sich. Ungeduld und Ungewißheit plagten ihn so sehr, daß er in ohnmächtigem Zorn die Fäuste schüttelte. Oh, wenn er Japazy nur erst vor sich hätte!
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Dem Aufruhr des Zornes folgte die Erschlaffung. Ermattet ließ sich Bomba vor dem Bildnis der Frau zu Boden sinken und schlief ein. Schritte weckten ihn. Solani trat ein. Es war bereits dunkel, und er trug eine Fackel, die er in einen Halter an der Wand steckte. Dann setzte er ein Tablett mit Speisen für den Abend auf den Tisch. Bomba bemerkte, daß der Junge verstört und ängstlich aussah. Sein Mißtrauen erwachte sofort. Er vermutete, daß die Veränderung im Wesen des Jungen mit seiner eigenen Ankunft auf der Schlangeninsel zusammenhing. „Hat man Solani Vorhaltungen gemacht, weil er sich so lange bei mir aufhielt?“ fragte er. Der Junge schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Aber Solani hat erfahren, daß den Fremden ein Unheil treffen könnte!“ „Noch ist Japazy nicht zurückgekehrt“, meinte Bomba erstaunt. „Wer sonst könnte ihm ein Leid zufügen?“ „Der Häuptling ist nicht heimgekommen“, bestätigte der Junge. „Aber die Stammesältesten fürchten seinen Zorn. Sie glauben, daß Japazy nicht gern die Fragen des Fremden über seine Eltern hören wird. Wenn es so ist, dann wird der Zorn Japazys die Männer treffen, weil sie den Fremden nicht gleich töteten.“ Bomba mußte sich beherrschen, um seine Unruhe nicht zu offenbaren. „Was sagen die Ältesten über mich?“ fragte er mit gleichgültiger Stimme. 159
„Heute abend beraten sie“, verriet der Junge im Flüsterton. „Sie werden entscheiden, was mit Bomba geschehen soll.“ Bomba schob den Jungen zum Tisch hin. Ihm selbst war der Appetit vergangen, aber er forderte Solani auf, zuzugreifen. Gierig machte sich der Indianerjunge über die Leckereien her. Seine eigenen Mahlzeiten waren nicht so reichlich, denn auf der Jaguarinsel herrschte Not. Inzwischen erfuhr Bomba noch durch geschickte Fragen, daß die Beratungen in der Hütte Abinos stattfinden würden. „Ist es das Haus, in das ich zuerst gebracht wurde?“ erkundigte sich Bomba. Solani nickte und kaute zugleich. „Die Worte der Ältesten werden gut für mich sein“, sagte Bomba zuversichtlich. Im Innern empfand er nichts von dieser Zuversicht, doch er verbarg seine wahren Gefühle. Im Gesicht des Indianerjungen spiegelten sich Zweifel und Besorgnis. Er machte jedoch nur eine einzige, vielsagende Andeutung, indem er Bomba fragte: „Hat der Fremde je eine Coonaradi gesehen?“ „Ja“, antwortete Bomba erstaunt. „Warum fragst du?“ Der Junge räumte das Geschirr zusammen. Er blieb stumm und warf Bomba nur einen langen Blick zu. An der Tür wandte er sich noch einmal um. Es sah so aus, als wollte er sich den Anblick des Fremden noch einmal einprägen, bevor er ihm für immer entschwand. Das waren bedeutungsvolle Hinweise für Bomba gewesen. Er wartete ungeduldig, bis die Nacht vollends 160
hereinbrach. Die kurze Zeitspanne, die dem Mondaufgang voranging, blieb ihm zur Ausführung seines Planes. Mit der Fackel in der Hand machte Bomba einen Rundgang durch den Palast. Im unruhigen Flammenlicht funkelten und blinkten die aufgehäuften Schätze. Die Klingen der Schwerter blitzten, und die Edelsteine an den Griffen flimmerten in allen Regenbogenfarben. Bleich und geheimnisvoll leuchteten die Marmorleiber der Statuen aus den Nischen. Auf den weichen Teppichen schien Bomba wie auf Wolken dahinzuschreiten. Der Junge hatte erwartet, Wachen im Palast vorzufinden, doch alles war leer. Anscheinend glaubten die Stammesältesten fest daran, daß Bomba den Wohnsitz Japazys nicht vor dessen Rückkehr verlassen würde. Der Junge kehrte zufrieden in sein Zimmer zurück und prüfte die Waffen. Bevor er das Haus verließ, warf er einen letzten Blick auf das Bildnis seiner Mutter. Dann löschte er die Fackel, durchquerte die Vorhalle und trat ins Freie. Sein guter Orientierungssinn führte ihn den richtigen Weg zu Abinos Hütte. Fackelschein fiel durch ein offenes Fensterloch. Bomba glitt zur Rückseite des Bauwerks und kauerte sich unter das Fenster. Gemurmel von Stimmen drang an sein Ohr, die Beratung war bereits im Gange. Das erste Wort, das er hier hörte, war das letzte, das er aus Solanis Mund vernommen hatte: „– Coonaradi –“ War es Zufall, daß der gleiche Wortklang mahnend und warnend an sein Ohr tönte? Bomba konnte das nicht glauben. Der Indianerjunge hatte ihm den wichtigen 161
Hinweis gegeben, und hier empfing er die Bestätigung. Nur wußte Bomba noch nicht, was für eine Rolle diese bösartigste der Dschungelschlangen in dieser Verschwörung spielen sollte. Die Ritzen zwischen den Balken gestatteten Bomba den Durchblick in das Innere des Hauses. Er sah dieselben Gesichter, die sich ihm am Nachmittag in seinem Zimmer eingeprägt hatten. Die Krieger Sunka und Boshot hockten ebenfalls im Kreis der Männer. In allen Zügen prägte sich Ratlosigkeit aus. Das Palaver ging stockend weiter. Jedes Wort war gut zu verstehen. „Ich bin sicher, daß Japazy den Fremden nicht zu sehen wünscht“, meinte Abino. „Bomba ist der Sohn jenes Mannes, den der Häuptling erschlagen hat. Wird Japazy sich gern daran erinnern lassen?“ Keiner antwortete. Dann fragte Boshot zögernd: „Weiß Abino sicher, daß Japazy den Vater des Fremden getötet hat?“ „Der Häuptling hat kein offenes Wort zu mir gesprochen“, erwiderte Abino schulterzuckend. „Aber oft nimmt Japazy berauschende Getränke zu sich – dann löst sich seine Zunge. Er spricht mit sich selbst, und Abino hat gute Ohren. Sagte nicht der Fremde, daß sein Vater ,Bartow’ hieß? Als Japazys Zunge schwer war, sprach er diesen Namen aus. Dabei machte er eine Bewegung mit dem Messer. Er lachte und sagte: ,Bartow ist tot!’ War das nicht deutlich genug?“ Wieder schwiegen die Männer lange Zeit. Es war so still, daß Bomba seinen erregten Herzschlag hörte. 162
„Hat Japazy auch die Mutter des Fremden getötet?“, fragte eine Stimme. „Davon redet der Häuptling nicht“, antwortete Abino. „Nur das Bild der weißen Frau an der Wand betrachtete er oft. Dann wurden seine Züge finster, und sein Blick brannte.“ „Wir wissen nicht, ob Japazy Fragen an den Fremden richten möchte“, gab einer der Stammesältesten zu bedenken. „Er kehrt zurück und wird vielleicht zornig werden, wenn er vom Tode des Fremden erfährt.“ Die dunklen Gesichter, über die der unruhige Fackelschein huschte, waren gut zu erkennen. Besorgt ließ Bomba den Blick von einem Kopf zum anderen gleiten. Überall las er Furcht und Bedenklichkeit in den Zügen. Hier wurde über sein Leben entschieden – das wußte der Junge. Aber die Männer, in deren Händen die Entscheidung lag, waren selbst nur ratlose, ängstliche Geschöpfe. Das Urteil würde von Angst und Besorgnis diktiert werden. „Japazy wird nichts vom Tode des Fremden erfahren. Wir legen dem Volke strengstes Stillschweigen auf.“ Ein verschlagen aussehender Greis machte diesen Vorschlag. „Der Fremde sprach glatte Worte“, fuhr er fort. „Aber wir wissen nicht, welche Gedanken in seinem Herzen wohnen. Wehe uns, wenn er versuchte, die Hand gegen Japazy zu erheben! Der Zorn des Häuptlings würde uns alle treffen, weil wir ihn in Gefahr brachten.“ Die Worte wirkten – das war offensichtlich. Plötzlich ließ auch noch der Vulkan seine donnernde Stimme vernehmen. So heftig bebte die Erde, daß Bomba 163
niederfiel. Als er sich wieder aufrichtete und von neuem durch die Spalte spähte, sah er Bestürzung auf allen Gesichtern. „Tamura hat gesprochen“, erklärte Abino feierlich. „Zweimal ließ er seine Stimme heute schon ertönen. Warum? Ich sage es euch: Tamura liebt den Fremden nicht. Er will, daß Bomba stirbt!“ So wurde das Todesurteil über Bomba gefällt. Die Stimme des Vulkans hatte das gewichtigste Wort dabei gesprochen. Aus allen Gesichtern las Bomba das Einverständnis mit Abinos Worten heraus. Doch die Männer redeten jetzt nur noch im Flüsterton miteinander. Nur einen Satz konnte Bomba noch verstehen: „So soll er durch den kriechenden Tod sterben –“
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23 Der Feuerstock spricht Die Beratung war beendet. Die Indianer erhoben sich, und Bomba verließ eilig seinen Lauschposten und verschwand in der Dunkelheit. Er wollte nicht ertappt werden und schlich lautlos im Schatten der Hütten dahin. Unerkannt erreichte er Japazys Palast. Die Tür stand noch offen. Niemand schien das Haus in der Zwischenzeit betreten zu haben. Der Junge kehrte in sein Zimmer zurück und fand auch dort alles unverändert. Aufatmend warf sich Bomba auf das Bett. In Abinos Hütte hatte man soeben sein Todesurteil ausgesprochen. Noch bevor Japazy zurückgekehrt war, sollte er sterben – ohne das Geheimnis seiner Herkunft gelüftet zu haben. Unruhig warf sich der Junge auf dem weichen Lager hin und her. Schritte gingen draußen am Palast vorüber, aber er achtete nicht darauf. Dann glaubte er ein undeutliches Geräusch vom Eingang des Hauses her zu vernehmen. Er lauschte – aber alles blieb still. Mit mehr Gelassenheit als im ersten Augenblick des Erschreckens überdachte Bomba seine Lage. Er hatte zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Die Flucht von der Insel war der einfachste Weg, allen Gefahren zu entgehen. Wenn er trotz der Todesdrohung bleiben wollte, mußte er auf andere Weise die Absichten seiner Feinde durchkreuzen. Bomba überlegte hin und her. Hierzubleiben erschien ihm als sträflicher Leichtsinn. Niemals konnte er den vielen 165
Kriegern trotzen. Die Flucht von der Insel wiederum raubte ihm jede Möglichkeit, mit Japazy zusammenzutreffen. Gab es nicht noch einen dritten Weg? Konnte er nicht das Dorf verlassen und sich auf der Insel verbergen? Bomba glaubte sicher, daß Japazy flußabwärts in Richtung der Stadt mit den goldenen Türmen gefahren war. Wenn er sich zum Ufer begab und dort die Rückkehr des Häuptlings abwartete, konnte er ihm allein gegenübertreten und die Fragen an ihn richten. Das schien die beste Lösung zu sein. Ein leises Rascheln drang an Bombas Ohr. Er wandte den Kopf und wollte sich vom Bett aufrichten. Im nächsten Augenblick erstarrte er mitten in der Bewegung. Ein Streifen Mondlicht fiel vom Fenster her quer durch den Raum bis zur Tür. Über die Schwelle bewegte sich mit gleitendem, raschelndem Geräusch ein schmaler Schlangenkörper. ,Er soll durch den kriechenden Tod sterben –’ Die Worte kamen Bomba sofort in den Sinn. Das war der kriechende Tod: eine Schlange – eine Coonaradi! Jetzt begriff er auch die Warnung des Indianerjungen. Das war schlau ausgedacht! Eine Schlange sollte ihn töten – dann traf keinen der Eingeborenen die Schuld, falls Japazy den Tod des Fremden nicht gewünscht hätte. War er aber zufrieden darüber, dann würden die Stammesältesten ihren Mordplan offenbaren und sich wegen ihrer Umsicht loben lassen. Vorhin, als Bomba die Schritte hörte, war die Schlange wahrscheinlich an der Tür des Palastes ausgesetzt worden. Sie suchte sich selbst den Weg dorthin, wo sie Nahrung vermutete. 166
Noch lag Bomba unbeweglich da. Die Schlange glitt über den Teppich dahin. Jetzt war ihr Körper im Schatten. Zweige vor dem Fenster zerteilten das Mondlicht in mehrere Streifen. Immer, wenn der Schlangenleib sich auf einer hellen Lichtbahn bewegte, sah Bomba das Glitzern der Augen im breiten, platten Kopf. Seine Hand tastete sich mit unmerklicher Bewegung zum Revolver hin – das war die sicherste Waffe gegen die Coonaradi. Langsam zog Bomba den Revolver hervor. Die Coonaradi war nur noch zwei Meter von dem Bett entfernt. Jetzt waren die Augen auf den Jungen gerichtet. Sie hatten das Opfer erspäht. Der Vorderkörper der Bestie richtete sich auf. In der lastenden Stille ertönte das leise Klicken des Sicherheitshebels. Als Antwort kam ein Zischen aus dem Rachen der Schlange. Die Coonaradi bereitete sich auf den tödlichen Stoß vor. In diesem Augenblick zerriß der Revolverschuß die Stille des Palastes.
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24 Das Brüllen des Vulkans Bomba ließ sich nach der anderen Seite hin aus dem Bett fallen. Er war nicht sicher, ob er die Giftschlange getötet oder nur verletzt hatte. Der seilartige Körper peitschte über den Boden. Mit dem schußbereiten Revolver in der Hand wartete Bomba auf das Auftauchen des Schlangenkopfes. Doch es wurde still auf der anderen Seite des Bettes. Vorsichtig richtete sich Bomba auf und schaute hinüber. Die Revolverkugel hatte den Kopf der Coonaradi weggerissen. Der glatte Schuppenleib lag reglos am Boden. Kaum hatte Bomba die verschossene Patrone ersetzt, als er im Freien Schritte hörte. Er trat zum Fenster und sah Männer, die Fackeln trugen. Sie eilten auf das Fenster zu. Bald erkannte Bomba die Gesichter von Abino, Sunka, Boshot und zwei der Stammesältesten. Sicherlich hatten sie in der Nähe auf den Todesschrei aus Bombas Mund gewartet. Der Junge lächelte grimmig, als er sah, wie ängstlich die Männer es vermieden, dem Eingang des Palastes zu nahe zu kommen. Ein verwegener Gedanke huschte durch seinen Sinn. Konnte er nicht die Furcht der Eingeborenen für seine Zwecke ausnützen? Solange die Indianer glaubten, die Schlange wäre lebendig im Palast, würden sie sich nicht ins Innere wagen. Vielleicht konnte Bomba die Festung solange halten, bis Japazy zurückkehrte.
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Die Männer flüsterten miteinander vor dem Fenster. Bomba hatte sich hinter dem Vorhang verborgen – sie sahen seine Gestalt nicht. „Ist der Fremde noch wach?“ rief Abino laut. Bomba wartete einen Augenblick – dann beugte er sich aus dem Fenster. „Ich bin wach! Möchte Abino sich mit mir unterhalten? In meinem Zimmer ist genug Platz für alle Männer!“ Mit Vergnügen bemerkte Bomba, wie auf seine einladende Geste hin die Eingeborenen zurückwichen. „Wir haben Lärm gehört“, sprudelte Abino hervor. „Wir wollten den Fremden keineswegs bei der Nachtruhe stören. Nur dachten wir, daß ihm ein Leid geschehen wäre! Wir eilten herbei, um ihm zu helfen.“ Bomba betrachtete die Mörder mit grimmigem Humor. „Welches Glück für mich, so viele tapfere Helfer in der Nähe zu wissen“, rief er mit sanfter Ironie. „Ich werde gut schlafen, wenn ich mich so beschützt weiß.“ „Ja“, rief Abino eifrig. „Der Fremde braucht Schlaf! Wir wollen ihn nicht stören.“ Bomba wiederholte seine einladende Geste. „Im Gegenteil – ich freue mich sehr, noch Gesellschaft zu haben. Wollen meine Gastgeber nicht eintreten und ein wenig mit mir plaudern?“ Die Männer wichen wieder vom Fenster zurück. „Bombas Lider sind schwer vom Schlaf“, sagte Abinc mit unsicherer Stimme.
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„Nicht im geringsten“, erwiderte Bomba. „Ich fühle mich einsam. Auf die Dauer ist es langweilig, sich mit einer Coonaradi zu unterhalten.“ Auch im schwachen Mondlicht war zu erkennen, wie die Eingeborenen ihre Mäuler aufsperrten. „Mit einer Coonaradi“, lispelte Abino. „Wie kommt eine Schlange in das Zimmer?“ „Oh, sie lief mir zu“, meinte Bomba harmlos. „Ich unterhalte mich mit allen Tieren des Dschungels – auch mit Giftschlangen. Die Coonaradi ist sehr zutraulich. Ich habe sie gerade in der Hand. Wollt ihr sie sehen?“ Die Eingeborenen stoben auseinander, als Bomba die Hand mit dem toten Schlangenleib hob. „Warum so ängstlich?“ rief Bomba mit gut gespieltem Erstaunen. „Die Schlange tut niemand etwas zuleide, solange ich es ihr nicht befehle.“ Das war zu viel für die abergläubischen Gemüter der Eingeborenen. Sie waren jetzt überzeugt davon, daß Bomba über magische Kräfte verfügte. „Wenn sich schon niemand mit mir unterhalten will“, sagte Bomba, „bekomme ich dann wenigstens morgen früh etwas zu essen?“ Nach einer Weile erwiderte Abino unsicher: „Abino wagt es nicht, seinen Sohn in das Haus zu schicken, in dem die Coonaradi herumkriecht.“ „Nun“, meinte Bomba einlenkend, „dann mag mir Solani das Essen in einem Korb vor das Fenster stellen.“ „Solani wird kommen“, versprach der Alte eilfertig. 170
Die Eingeborenen verschwanden in der Dunkelheit. Bomba lachte stillvergnügt vor sich hin und trat vom Fenster zurück. Etwas hatte er wenigstens bisher auf der Jaguarinsel erreicht: sein Ruf als Zauberer war gefestigt. Keiner würde es wagen, seinen Schlaf zu stören. Der Junge legte sich zum ersten Male in seinem Leben zur Nachtruhe in ein Bett und war bald auf der ungewohnten Lagerstatt tief in Schummer versunken. Nachdem Bomba einige Stunden geschlafen hatte, weckte ihn dumpfes Donnergrollen und betäubendes Krachen von Explosionen. Er sprang aus dem Bett und eilte ans Fenster. Der Himmel flammte fahlrot – wie vom Licht einer gespenstischen Dämmerung erhellt. Der Schein ging von der glühenden Kuppe des Berges Tamura aus.
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25 Die Insel versinkt Tamura hatte seinen Feuerschlund geöffnet. Hundert Meter hohe Flammensäulen stiegen in die Luft. Darüber wirbelten riesige Rauchpilze auf, die von unten her glühend rot angestrahlt wurden. Im magischen Licht waren die Laväströme zu erkennen, die sich wie ein zähflüssiger Brei über den Kraterrand ergossen. Mehrere der Lavaschlangen bahnten sich ihren Weg auf das Dorf zu. Die Erde schwankte, und ein unterirdisches Dröhnen ertönte, als rollten die mächtigen Fahrzeuge der Unterweltgötter im Innern der Erde dahin. Die Trägerbalken von Japazys Palast zerbarsten einer nach dem anderen mit Knirschen und Krachen. Eine Hälfte des Bauwerks war bereits zusammengebrochen. Bomba verlor keine Zeit mehr. Das Zimmer, in dem er stand, schwankte wie ein Boot auf dem Meere. Selbst in diesem Augenblick der Katastrophe vergaß Bomba seine sehnsüchtigen Wünsche nicht. Er sprang zur Wand und nahm das Bildnis seiner Mutter. Das große Medaillon war an einer Schlinge befestigt, die sich Bomba jetzt um den Hals legte. Sorgfältig verbarg der Junge das Bild unter dem Pumafell auf seiner Brust. Bomba schwang sich aus dem Fenster und eilte davon. Als er einen letzten Blick zurückwarf, sah er die Wände von Japazys Palast in einer Wolke von Staub und Rauch zusammensinken. 172
Unbeschreibliches Durcheinander herrschte in den Gassen des Dorfes. Im unheimlichen Dämmerlicht des Feuerscheines rannten Menschen in sinnloser Hast hin und her. Frauen riefen kreischend nach ihren Kindern, Männerstimmen ertönten in gellenden Schreien. Hütten wurden wie von unsichtbaren Riesenhänden geschüttelt und sanken in sich zusammen. Vor Bomba liefen einige Männer und Frauen her. Plötzlich warfen sie die Hände in die Luft und schrien grell auf. Im nächsten Augenblick waren ihre Gestalten verschwunden – von der Erde verschlungen! Im letzten Moment sprang Bomba zurück. Der Spalt, der sich weit klaffend geöffnet hatte, schloß sich wieder. Im Laufen orientierte sich Bomba über die Richtung und schlug den Weg nach Norden ein. Der Dschungel nahm den Jungen auf. So schnell ihn seine Füße tragen konnten, eilte er dahin. Die Lavaflüsse bewegten sich mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Urwald zu. Wo sie Büsche und Bäume berührten, verwandelten sie alles sofort in Rauch und Asche. Der Dschungel begann zu brennen. Der Glutatem des Kraters wehte über die Insel und drohte alles Leben zu ersticken. Bomba rannte und rannte – und er war nicht mehr allein. Es kroch – es sprang – es raste und trampelte rund um ihn her dem rettenden Fluß entgegen. Jaguare eilten in weiten Sätzen an ihm vorbei. Affenherden sprangen in kreischender Angst auf den Ästen dahin. Wildschweinherden galoppierten vorüber. Große und kleine Schlangen schnellten sich in hastigen Wellenbewegungen vorwärts.
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Und keines der Tiere beachtete Bomba. Keines kümmerte sich um die anderen! Tamuras Stimme trieb alle in jagender Furcht vorwärts. Die Stimme des Bergdämonen dröhnte und grollte über der Insel. Immer neue, gewaltige Flammenfontänen zischten aus dem Krater empor. Wie bei einem Feuerwerk der Vulkangötter bildeten sich mächtige Glutgarben am Himmel, die zu Funken auseinanderstoben. Ein glimmender Regen von Asche fegte über die Insel hin und drang erstickend in die Lungen. Vögel flatterten mit versengten Flügeln hilflos zu Boden. Ein Affenweibchen kauerte unter einem Baum am Boden und preßte ihr totes Junges an sich. Aber dann siegte der Lebensinstinkt über die Muttergefühle. Sie warf ihr ersticktes Kind fort und rannte der fliehenden Herde nach. Unerwartet schnell erreichte Bomba das Ufer des Flusses. Mitten im Dschungel plätscherten die Wellen um Büsche und Bäume. Das war nicht der normale Strand. Bomba ahnte, was vor sich ging. Er erriet es, als er die stärker werdenden Erdstöße spürte. Die Insel sank! Schnell und unaufhaltsam fraß sich der Fluß ins Land hinein. In atemloser Eile schleppte Bomba drei geknickte Baumstämme heran. Er riß Schlingpflanzenseile von den Bäumen und knüpfte die Stämme notdürftig aneinander. Das Wasser stieg unaufhörlich. Neben ihm platschten die Tiere ins Wasser und strebten dem rettenden Festland zu. Die Kaimane bedeuteten jetzt keine Gefahr. Auch in ihrem Flußbett wurden sie durcheinandergeschüttelt wie kleine Fische. Sie hatten jetzt keine Raubgelüste. 174
Als das Floß fertig war, stand Bomba das Wasser bis zum Halse. Er schwang sich auf das zerbrechliche Fahrzeug und steuerte mit einem flachen Ast, so gut es möglich war, zwischen den versinkenden Baumwipfeln hindurch. Bald erreichte das Floß offenes Wasser. Die Strömung trug es schnell dahin. Auf der schäumenden, brodelnden Oberfläche trieben die Köpfe von allen möglichen Tieren flußabwärts. Jaguare schnaubten und Tapire prusteten. Von großen Schlangen ragten nur die Köpfe über das Wasser hinaus. Die Flucht von der todgeweihten Insel raste durch den Fluß. Weithin war der Himmel fahl überhaucht vom Flammenschein des Vulkans. Das Ufer des Festlandes hob sich deutlich vor dem bleichen Hintergrund ab. Bald erkannte Bomba die Umrisse von Bäumen und Büschen. Er atmete erleichtert auf, als das gebrechliche Floß knirschend am sandigen Strand auflief. Zum ersten Male warf Bomba einen Blick zurück. Noch einmal schoß eine fast hundert Meter hohe Flammengarbe aus dem Schlund des Vulkans empor. Im Wasser spiegelte sich der niedergleitende Feuerregen. Die Erde zitterte. Eine riesige weiße Gischtwoge schäumte über die versinkende Insel hin. Dampfwolken stiegen zischend zum Himmel empor. Mit einem Schlage erlosch das rote Flammenlicht. Dort, wo die Jaguarinsel gewesen war, brodelte ein unheimlich saugender Strudel. Tiere, Menschen, Bäume, Pflanzen – alles Leben der großen Insel wurde in einem wahnsinnigen Todestanz durch das schäumende, kochendheiße Wasser gewirbelt. Der Dampf stieg in einer breiten Wolke zum Himmel empor. 175
Eine mächtige Brandungswelle schäumte heran, und Bomba eilte auf den höhergelegenen Uferrand hinauf. Dicht vor seinen Füßen brach sich die Flutwoge und rauschte in das Flußbett zurück. Das war das Ende der Jaguarinsel. Nur einen Erfolg hatte Bombas Reise gehabt. Als der Junge jetzt daran dachte, bewegte ein beglückendes Gefühl sein Inneres. Vorsichtig zog er das Medaillon heraus und preßte seine Lippen auf das Bildnis. Lautlos formte sein Mund das eine Wort: Mutter! Neue Hoffnung belebte Bomba. Die Katastrophe hatte Japazy nicht auf der Insel überrascht. Der Mann, der Bombas Eltern gekannt hatte, lebte noch! Ich werde ihn finden, dachte Bomba. Wo er auch sein mag, ich werde ihn aufspüren, und er wird meine Fragen beantworten. Nach einem letzten Blick auf die Stelle, an der die Jaguarinsel versunken war, wandte sich Bomba von den aufgewühlten Wogen des Flußes ab und glitt lautlos in den Dschungel hinein.
Unerschrocken und rastlos setzt Bomba seine gefahrvolle und erlebnisreiche Suche nach Japazy fort. Davon erzählt der nächste Band: BOMBA in der versunkenen Stadt 176
ROY ROCKWOOD BOMBA-BÜCHER BOMBA Der Dschungelboy ♦ BOMBA Im Berg der Feuerhöhlen ♦ BOMBA Am großen Katarakt ♦ BOMBA Auf der Jaguarinsel ♦ BOMBA In der versunkenen Stadt AWA-VERLAG MÜNCHEN
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