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Butler Parker und die »Betonmischer« Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Mylady wird Ihre kostbare Zeit nur für wenige Minuten in Anspruch nehmen, Sir«, versicherte Butler Parker dem DetektivLeutnant, der an einen müden Wolf erinnerte. Gary Fielding, achtundvierzig, mittelgroß und schlank, lächelte nur. Er war eindeutig durch nichts mehr zu erschüttern, auch nicht durch den Anblick eines original englischen Butlers. »Ihre Lady hat tatsächlich vor, hier in New York nach ein paar vermißten Landsleuten zu suchen?« vergewisserte sich Fielding noch mal. Sein höfliches Lächeln wirkte noch abgespannter. »Mylady ist fest entschlossen, Sir.« »Kennt Ihre Lady diese verrückte Stadt, Mr. Parker?« »Nur oberflächlich, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Nehmen Sie einen verdammt ehrlichen und guten Rat an«, schickte Fielding voraus, »nehmen Sie die nächste Maschine und fliegen Sie zurück nach London! Sie ersparen sich viel Zeit und leben auch wahrscheinlich länger, selbst wenn die Maschine unterwegs notwassern müßte.« »Ihr Ratschlag läßt einen gewissen pessimistischen Unterton erkennen, Sir.« »Mr. Parker, ich bin seit Jahrzehnten im Polizeidienst«, sagte Fielding fast gelangweilt, »wie soll ich da noch Optimist sein? Ihre Lady sucht also nur nach vier Leuten, die vor ein paar Tagen von London nach New York gekommen sind… Sie wird noch nach Jahren suchen!« »Ließe es sich unter Umständen ermöglichen, Sir, gewisse offizielle Nachforschungen anzustellen? Ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang an eine Dienststelle zu denken, die sich mit vermißten Personen befaßt.« »Natürlich werde ich die Kollegen einschalten, Mr. Parker, natürlich werden wir in allen Hospitälern nachfragen und auch die Mordabteilung anformieren… Hin und wieder geschehen ja noch Zeichen und Wunder… Aber jetzt möchte ich mal wissen, warum diese vier Männer nach New York geflogen sind. Um einen Ausflug scheint’s sich nicht gehandelt zu haben, wie?« 2
»Wie anzudeuten ich mir bereits erlaubte, Sir, reisten die erwähnten vier Herren in diese Stadt, um noch etwas von dem zu retten, was sie in Geschäfte einfließen ließen, die man nur als ein wenig prekär bezeichnen kann.« »Ich verstehe kein Wort.« Leutnant Fielding runzelte die Stirn und versuchte offensichtlich zu ergründen, was der Butler gerade gesagt hatte. »Man könnte das auch Warentermingeschäfte nennen, Sir.« »Aha, Spekulationen auf eine möglichen Gewinn für übermorgen, wie?« »Eine durchaus treffliche Bezeichnung, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Die vier Herren rechneten mit einem Termingeschäft in Sachen Weizen, Sojabohnen und Rindfleisch.« »Was setzten die Burschen denn pro Kopf ein, Mr. Parker?« Fielding machte sich Notizen. »Pro Kopf etwa um die fünfzig- bis sechsigtausend Pfund. Andere wieder, die jedoch in London zurückgeblieben sind, riskierten noch wesentlich höhere Einsätze.« »Und mit welchem hiesigen Maklerbüro wurde zusammengearbeitet?« »Es handelt sich um einen gewissen Mr. Cockson, Sir.« »Wo liegen dessen Büroräume?« »In unmittelbarer Nähe der Börse, Sir. Ich glaube, es handelt sich um die Rector Street.« »Keine schlechte Adresse, Mr. Parker.« »Und sehr gut eingerichtete Büros, Sir, die allerdings leider einen durchaus verwaisten Eindruck machen.« »Verwaist? Ist der Laden geschlossen, Mr. Parker?« »In der Tat, Sir. Nach meinen bescheidenen Ermittelungen wurden die Mieter der Büroräume seit vierzehn Tagen nicht mehr gesehen.« »Ermittlungen, Mr. Parker?« Leutnant Fielding stand auf und winkte ab, »sowas sollten Sie sich schleunigst abschminken… Sie mögen drüben in London gut sein, aber hier ist alles anders. Diese Stadt ist eine Hölle, ein Dschungel ist harmlos dagegen. Und noch etwas, Mr. Parker: Ändern Sie schleunigst Ihre Ausdrucksweise, sonst ecken Sie hier an.« »Sollte Höflichkeit in New York nicht gefragt sein, Sir?« »Sie wirkt provozierend, Mr. Parker. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Bleiben Sie mit Ihrer Lady im Hotel und warten Sie ab, 3
bis ich mich wieder melde. Und wenn Sie sich die Stadt unbedingt ansehen wollen, dann nehmen Sie an ‘ner Sightseeing-Tour teil.« »Ich werde diese Ihre Botschaft Mylady übermitteln, Sir.« »Natürlich werde ich Lady Simpson empfangen, Mr. Parker, damit wir uns nicht falsch verstehen… Mein Kollege McWarden aus London hat mir diese besonders ans Herz gelegt. Lady Simpson soll ziemlich, nun, explosiv sein, wie?« »Mylady neigt in der Tat dazu, hin und wieder ein wenig unwirsch zu werden«, lautete Parkers höfliche Antwort. Nachdem er sich von Leutnant Fielding verabschiedet hatte, schüttelte der Mann beeindruckt und ratlos zugleich den Kopf. Er rechnete damit, daß schon in den nächsten Tagen zwei weitere Mordfälle auf seinem Tisch landeten, zwei zusätzliche von vielen… * »Fragen Sie mich das noch mal«, sagte der Taxifahrer und trat unwillkürlich aufs Bremspedal, um dann allerdings seinen Wagen wieder weiterrollen zu lassen. Er wandte sich zu seinen beiden Fahrgästen um, musterte Butler Parker und Lady Simpson, schluckte und grinste dann. »Mylady wünscht ein Lokal aufzusuchen, in dem Mitglieder der hiesigen Unterwelt zu verkehren pflegen«, wiederholte Josuah Parker. »Sind Sie sicher, daß Sie das wollen?« Der Taxifahrer, ausgekocht und abgebrüht, grinste noch mehr. »Stellen Sie keine dummen Fragen, junger Mann, sondern tun Sie das, was man Ihnen aufgetragen hat«, raunzte die ältere Dame. Lady Agatha Simpson, um die sechzig Jahre alt, groß und stattlich, war von Parker gerade abgeholt worden. Sie legte keinen Wert darauf, sich mit Detektiv-Leutnant Fielding zu unterhalten. Sie war keineswegs gewillt, in ihrem Hotel auf Nachrichten zu warten. So etwas entsprach überhaupt nicht ihrem Naturell. »Okay, wie Sie wollen«, meinte der Taxifahrer, »ich kann Ihnen da ein paar tolle Schuppen in der Nähe der Bowery zeigen.« »Mylady denkt an Etablissements, in denen das Establishment der Unterwelt sich ein Stelldichein gibt.« »Moment mal, wollen Sie ganz bestimmte Leute sehen?« Die Stimme des Taxifahrers drückte plötzlich Vorsicht aus. 4
»Spitzenvertreter, wenn ich so sagen darf.« »Dann fahr’ ich Sie ‘rüber nach Greenwich Village«, zeigte sich der Fahrer nun schon mehr als entgegenkommend, »ich hab’ Sie vielleicht falsch eingeschätzt, kann ja mal passieren.« Nach kurzer Fahrt setzte er seine beiden Fahrgäste im Village vor einem hübschen italienischen Restaurant ab und verzichtete auf jeden Versuch, den Fahrpreis zu erhöhen. Ja, er hatte es sogar sehr eilig, im Verkehr zu verschwinden. »Mylady wissen um das Risiko, solch ein Lokal zu besuchen?« erkundigte sich Parker. »Eine Pfadfinderin wie ich ist stets bereit«, lautete ihre unternehmungslustige Antwort, »nun kommen Sie schon, Mr. Parker – oder sollten Sie etwa Bedenken oder gar Angst haben?« »Gewisse Bedenken, Mylady, erlaube ich mir in der Tat zu hegen«, antwortete Parker, schritt dann aber gemessen zur Eingangstür. Er sah recht seltsam aus in dieser bunt-exotischen Umgebung. Er trug immerhin seine Butlerkleidung, die aus einem schwarzen Zweireiher, einem Eckkragen und einem schwarzen Binder bestand. Auf Parkers Kopf saß ein schwarzer Bowler, auch Melone genannt. Über den angewinkelten linken Unterarm hatte Parker den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms gelegt. Lady Agatha sah nicht weniger seriös aus. Sie trug ein viel zu weites Chanelkostüm aus schwerem Tweed und einen skurrilen Hut, der wie ein mißratener Napfkuchen aussah. Am linken Handgelenk pendelte der perlenbestickte Pompadour, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende zu tragen pflegten. Das Innere des Lokals war südländisch-heiter eingerichtet und bot ein seriös aussehendes Publikum. Es roch nach Gewürzen, Obst und guten Weinen. Josuah Parker bemerkte durchaus, daß seine Herrin und er unauffällig gemustert wurden, als sie an einem Tisch Platz nahmen. Er bemerkte ferner, daß einige junge Gäste Schulterhafter trugen, die sicher entsprechenden Inhalt aufwiesen. Nach Unterwelt sahen aber nicht alle aus, die hier sittsam an bunt gedeckten Tischen saßen und sich gastronomisch verwöhnen ließen. Der Wirt des Lokals, ein rundlicher, gemütvoll aussehender Italo-Amerikaner, trat an den Tisch und reichte den neu angekommenen Gästen die Speisetarten. »Mylady wünscht nur einen bekömmlichen Wein«, sagte Parker, 5
»darüber hinaus ein Mitglied der hiesigen Unterwelt zu kontaktieren.« Der Wirt erstarrte. Solche Offenheit hatte er bestimmt nicht erwartet. Er bekam einen roten Kopf, erbleichte nachhaltig und hatte schließlich mit Luftbeschwerden zu rechnen. »Wie war das?« fragte er, als er endlich wieder normal durchatmen konnte. »Mylady wünscht ein Mitglied der hiesigen Unterwelt zu kontaktieren«, wiederholte Parker nicht gerade leise, »es handelt sich um eine kurzfristige Dienstverpflichtung, wenn ich so sagen darf.« »Sind Sie verrückt?« empörte sich der Wirt und bekam wieder einen roten Kopf. »Wer hat Ihnen gesagt, daß in meinem Lokal…« »Dann dürfte Lady Simpson sicher falsch unterrichtet worden sein«, erklärte Josuah Parker gemessen, »belasse man es einstweilen beim Wein.« Der Wirt rang die Hände, als er verschwand und einen Raum hinter der Theke betrat. Lady Agatha schien den Dialog überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben. In ihrer ungenierten Art musterte sie die Gäste aus dunklen, forschenden Augen. Einige besonders respektabel aussehende Männer fixierte sie geradezu. »Das sieht aber nicht gerade hochklassig aus, Mr. Parker«, sagte sie schließlich, »man hat mir ganz sicher eine falsche Adresse genannt.« »Wie Mylady meinen«, lautete Parkers Antwort. Er war anderer Meinung als seine Herrin. Nach seiner Erfahrung sahen Gangster nie aus wie Gangster, wenn man von den berufsmäßigen Schlägern absah. »Das sind doch Gemüsehändler, wie man auf den ersten Blick bemerkt.« Sie wollte provozieren und schaffte es. Von einem Nebentisch standen zwei jüngere Männer auf und kamen langsam näher. Gemüsehändler waren es auf keinen Fall. Es handelte sich um zweibeinige Raubkatzen, wie sie nur im Dschungel einer Millionenstadt aufwuchsen. Sie nahmen ungefragt an Myladys Tisch Platz und bereuten es umgehend, wie sich zeigte.
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* »Habe ich die beiden Lümmel eingeladen, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »Falls nicht, und dessen bin ich mir sicher, so entfernen Sie sie umgehend.« »Nun laß mal Dampf ab, altes Mädchen«, sagte einer der beiden jungen Tischgenossen herablassend, »dein Glück, daß ihr hier fremd seid…« »Wir haben nämlich Humor«, fügte der zweite junge Mann hinzu, doch er lachte nicht, »aber zuviel davon haben wir auch wieder nicht.« »Würde es Ihnen etwas ausmachen, den Tisch zu verlassen?« erkundigte sich der Butler höflich. »Seid ihr lebensmüde?« fragte der erste Aufdringliche. Er machte einen sichtlich irritierten Eindruck und begriff einfach nicht, wieso die beiden komischen Besucher keine Angst zeigten. So etwas kannte er nicht. In seiner Branche war er bekannt und gefürchtet. Lady Agatha kämpfte mir einer leichten Verärgerung. Dementsprechend reagierte sie auch umgehend. Aus dem Handgelenk ließ sie ihren perlenbestickten Pompadour nach vorn schnellen. Der Handbeutel hing an starken Schnüren und wies eine erstaunliche Reichweite aus. Der junge Mann hatte keine Chance, entsprechend zu reagieren. Er kassierte voll den Pompadour und zeigte augenblicklich Wirkung. In dem Handbeutel befand sich nämlich Myladys sogenannter >Glücksbringer<, der aus einem echten Pferdehufeisen bestand. Dieses schlug voll durch, und der junge Mann zeigte tatsächlich ein verklärtes Gesicht. Er sah nämlich bunte, geometrische Figuren und fühlte, daß er abhob und in einen Schwebezustand überging. Dann allerdings krachte er zu Boden und blieb regungslos liegen. Der zweite Tischbesucher wollte prompt reagieren und die Ordnung wiederherstellen. Er griff blitzschnell nach seiner Schulterhalfter, doch dann wurde seine Hand jäh abgebremst. Sie schaffte es nicht, unter dem Jackett zu verschwinden. Dies hing mit dem Bambusgriff von Parkers UniversalRegenschirm zusammen. Der Griff, der übrigens mit Blei ausgegossen war, hatte sich in der Armbeuge des Mannes verhakt und bannte die Hand. 7
»Darf ich anregen, ein gesittetes Gespräch zu führen?« fragte Parker, während der Angesprochene leicht in Panik geriet. Er sehnte sich nach der Schußwaffe in der Halfter, aber sein Arm war wie festgenagelt. Er wollte aufspringen, doch in diesem Moment löste der Bambusgriff sich aus der Armbeuge und bewegte sich nach oben. Er legte sich auf die Kinnlade des Mannes, der daraufhin ebenfalls gewisse Glücksgefühle empfand, die Augen verdrehte, wohlig seufzte und vom Stuhl rutschte. »Manieren sind das hier!« Lady Agathas Stimme grollte. »Ich werde wahrscheinlich einen entsprechenden Brief an die >Times< richten, Mr. Parker.« Der Butler wollte zu diesem Vorhaben seiner Herrin Stellung nehmen, doch leises Beifallklatschen vom Nachbartisch hinderte ihn daran. Er wandte sich interessiert um und sah einen südländisch aussehenden Mann, der einen teuren dunklen Anzug trug und gerade die Serviette vom Hals löste. Der beifällig applaudierende Fünfziger, mittelgroß und rundlich, stand auf und lächelte gewinnend. »Ich bin Toni Cassetti«, stellte er sich vor, »mein Kompliment… Ist es erlaubt, an Ihrem Tisch Platz zu nehmen?« »Sie kennen diese beiden Flegel?« erkundigte sich Lady Agatha grimmig und zeigte auf die beiden jungen Männer, die sich bemühten, wieder auf die Beine zu kommen. »Zwei Heißsporne, Lady«, antwortete Cassetti entschuldigend, »sie müssen noch viel lernen.« »Setzen Sie sich, Mr. Cassetti«, meinte Agatha Simpson, »ich bin ein verträglicher Mensch. Ich glaube, Sie sind der Mann, den ich suche.« »Sind Sie sicher?« Cassetti nahm Platz und kümmerte sich nicht weiter um die beiden jungen Männer, die inzwischen auf den Beinen waren, aber noch einen leicht angetrunkenen Eindruck machten. »Ihre Augen haben die Kälte, die Mylady suchen«, schaltete der Butler sich ein, »meiner bescheidenen Ansicht nach dürften Sie über einen gewissen Einfluß verfügen.« »Würde ich auch sagen«, reagierte Toni Cassetti und lächelte, »Sie haben Sorgen und brauchen Hilfe?« »Mylady sorgt sich um vier Herren die hier in New York verschwunden sind«, erläuterte der Butler. »Sagt Ihnen unter Umständen der Name Peter Cockson etwas?« 8
»Mit Sicherheit nicht… Wer soll das sein?« »Ein Herr, der sich mit Warentermingeschäften befaßt und ein geschickter Betrüger zu sein scheint.« »Und wahrscheinlich ein vierfacher Mörder«, fügte die ältere Dame grollend hinzu, »die hiesige Polizei scheint nicht in der Lage zu sein, diesen Fall zu klären.« »Und mit wem habe ich die Ehre?« Cassetti hörte aufmerksam zu. An den Nebentischen war man zur Tagesordnung übergegangen und tat so, als sei überhaupt nichts passiert. Die beiden angeschlagenen Männer waren in Richtung Waschraum verschwunden. »Lady Agatha Simpson«, erwiderte Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, »meine bescheidene Wenigkeit trägt den Namen Parker… Josuah Parker. Ich habe die Ehre, der Butler der Lady zu sein.« »Prächtige Tarnung«, sagte Toni Cassetti ironisch. »Und wer sind Sie wirklich?« »Sie mutmaßen, diese Namen könnten falsch sein?« fragte Parker. »Eine tolle Masche, die Sie hier abziehen«, freute sich Cassetti, »aber ‘nen Profi wie mich können Sie nicht ‘reinlegen. Um was geht es tatsächlich?« »Um einen gewissen Mr. Peter Cockson«, wiederholte der Butler geduldig. »Seine Büros, die er mietete, befinden sich in der Rector Street. Mylady würde eine ansehnliche Prämie für das Aufspüren des besagten Mr. Cockson auswerfen.« »Wo kann man Sie erreichen?« wollte Cassetti wissen. »Natürlich im >Waldorf<, junger Mann«, schnappte Lady Agatha ein, »man möchte ja schließlich etwas Komfort um sich haben.« »Donnerwetter«, schnaufte Cassetti und zwinkerte der älteren Dame zu, »Sie müssen ja ein tolles Ding auf Lager haben, daß Sie soviel investieren. Wie hieß der Bursche noch, den Sie suchen?« »Peter Cockson«, antwortete Parker für Lady Agatha. »Sie werden von mir hören«, versprach Cassetti lächelnd, »ich werde meine Beziehungen spielen lassen.« *
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»Er hat angebissen, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson, als sie mit Parker das italienische Restaurant verlassen hatte. »Durchaus und in der Tat, Mylady«, gab der Butler zurück, »Mr. Cassetti wird darüber hinaus einige seiner Mitarbeiter auf Mylady ansetzen.« »Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, erwiderte sie, »eine Lady Simpson vergißt man nicht!« Parker brauchte sich erst gar nicht umzudrehen, um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Ein Mann wie dieser Cassetti war viel zu neugierig, um sich auf die Angaben zu verlassen, die man ihm mitgeteilt hatte. Die Frage war nur, zu welchen Mitteln er greifen würde. Mit einem Mordversuch rechnete Parker allerdings nicht, dennoch traf er gewisse Vorbereitungen. Ihm ging es darum, Schaden von Mylady abzuwenden. Man hatte sich immerhin auf ein gefährliches Spiel eingelassen, als man diesen Kontakt gesucht und hergestellt hatte. Es waren zwei andere, gut gekleidete junge Männer, die auf Lady Simpson und ihren Butler angesetzt worden waren. Parker beobachtete sie, als seine Herrin die Auslage eines Schaufensters betrachtete. Mit wissendem Blick fand der Butler sofort heraus, daß sie aus härterem Holz geschnitzt waren als ihre beiden Vorgänger. Toni Cassetti zog die Schraube ein wenig fester an. Er wollte herausfinden, mit wem er es zu tun hatte. Parker verschaffte den beiden jungen Verfolgern die entsprechende Gelegenheit. Er bog von einer der breiteten Straßen ab, studierte dabei sichtbar einen Stadtplan und deutete dann mit ausgestrecktem Arm in eine schmale Gasse. Die Verfolger mußten den Eindruck gewinnen, daß ihre Opfer eine Abkürzung wählten. Sie schlossen dichter auf und gaben sich harmlos. Sie bekamen natürlich nicht mit, daß Parker nach einem der vielen Spezial-Kugelschreiber gegriffen hatte, die in seiner linken, oberen Westentasche befestigt waren. Es wirkte überzeugend, als er plötzlich stehen blieb, wieder den Stadtplan hob, sich umwandte und dann eilends den Verfolgern näherte. Er lüftete höflich die schwarze Melone und wollte offensichtlich eine Auskunft einholen. Die beiden Typen waren mit der Entwicklung der Dinge durchaus zufrieden, zumal eines der Opfer ja geradewegs auf sie zumarschierte. Sie glaubten also, sofort zur Sache kommen zu kön10
nen. Die ältere Dame ignorierten sie völlig. »Könnten die Herren möglicher- und freundlicherweise mit einer Auskunft dienen?« fragte Parker, als er sein Ziel erreicht hatte. Er tippte mit dem Patent-Kugelschreiber auf den Stadtplan, richtete dann die Spitze gekonnt absichtlich auf die Gesichter der beiden erfreuten Verfolger und drückte auf den Halteclip. Das Resultat war frappierend. Vorn aus der Spitze schoß ein zuerst scharf gebündelter Sprahl, der sich aber sofort ausbreitete und voll die Gesichter traf. Die beiden Männer fuhren zurück, waren geblendet und weinten Krokodilstränen. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, nach den Waffen zu greifen. Sie jaulten wie mißhandelte Hunde, weinten noch intensiver und fuchtelten hilflos mit ihren Armen in der Luft. Parker bediente sich, langte kurz nacheinander in die beiden Schulterhalfter und barg zwei 38er und zwei Brieftaschen. Dann lüftete er wieder höflich die schwarze Melone und begab sich zu Lady Agatha zurück, die ihm wohlwollend zunickte. »Recht begabt«, sagte sie, »aber Sie haben wieder mal zuviel Rücksicht genommen, Mr. Parker. Ich frage mich, ob man die beiden Lümmel nicht noch etwas härter anfassen sollte…« Während ihrer Worte geriet der Pompadour mit dem >Glücksbringer< in gefährliche Pendelbewegung. »Vielleicht, wenn ich anregen darf, verschieben Mylady dies auf einen späteren Zeitpunkt«, schlug Josuah Parker vor, »die Herren werden Mylady mit letzter Sicherheit gewiß noch mal die Ehre geben.« Sie warf einen interessierten Blick auf die herumirrenden Männer, die sich noch immer nicht für eine bestimmte Richtung entschieden hatten. Der Spray, an sich harmlos und auf der Basis von Cayennepfeffer hergestellt, hatte die Tränendrüsen inzwischen derart gereizt, daß wahre Wasserfluten aus den Augen rannen. Die beiden sehgestörten Männer hatten sich gefunden und waren der festen Meinung, den Butler erwischt zu haben. Sie droschen prompt auf sich ein und zeigten dabei, daß sie sich keineswegs an die üblichen sportlichen Regeln hielten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie sich auf dem nicht gerade sauberen Straßenbelag wälzten und alle schmutzigen Tricks anwandten, die man ihnen bisher beigebracht hatte.
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* Butler Parker verschwieg seiner Herrin, daß sie nach wie vor verfolgt wurden. Der Mann, saß inzwischen in einem Taxi und folgte ihnen bis vor das >Waldorfs< jenem weltberühmten Hotel, in dem Lady Agatha eine Suite gemietet hatte, zu der auch ein komfortables Zimmer für Parker gehörte. Der Butler geleitete die ältere Dame und passionierte Detektivin in die riesige Empfangshalle und erkundigte sich nach ihren Wünschen. »Ich würde gern etwas für meinen angegriffenen Kreislauf tun«, sagte sie, »die Ereignisse haben mich mitgenommen.« Das war eine Übertreibung wie üblich. Natürlich hatte Agatha Simpson diesen Besuch im Village genossen. Sie wollte ihn noch nachklingen lassen, und Parker empfahl eine Bar im Erdgeschoß. Er wollte dem Verfolger die Gelegenheit verschaffen, Kontakt zu halten. Wenig später hielt Lady Agatha bereits ihren sogenannten Kreislaufbeschleuniger in Händen. Es handelte sich dabei um einen ausgezeichneten französischen Kognak, den sie Whisky vorzug. Sie saß in einer Nische mit Blickrichtung zum Eingang. »Nun setzen Sie sich endlich, Mr. Parker«, forderte sie Parker auf. »Mylady, als Butler ziemt es sich nicht…« »Schnickschnack, Mr, Parker«, raunzte sie sofort, »verstimmen Sie mich nicht!« »Wie Mylady befehlen.« Parker nahm auf der Kante eines Sessels Platz, zeigte aber allein schon durch die Haltung, daß er mit dieser Lösung keineswegs einverstanden war. Sein Gesicht blieb jedoch glatt und ausdruckslos. Der Mann, der sowohl fünfzig als auch sechzig Jahre zählen konnte, hatte sich stets unter Kontrolle. Er war ein hochherrschaftlicher Butler, wie man ihn nur noch in Kostümfilmen und entsprechenden Fernsehserien zu sehen bekommt. »Wird dieser Gemüsehändler – wie hieß er noch – nach diesem Betrüger Cockson fahnden?« fragte sie, nachdem sie einen ersten, nicht gerade kleinen Schluck aus dem Schwenker genommen hatte. »Darf ich darauf verweisen, Mylady, daß noch nicht feststeht, ob Mr. Cockson ein Betrüger ist?« 12
»Papperlapapp«, grollte die Detektivin umgehend, »er ist nicht nur ein Betrüger, er ist in meinen Augen auch ein vierfacher Mörder.« »Wie Mylady meinen…« »Warum hätte er seine Büroräume sonst schon vor vierzehn Tagen aufgegeben?« »Dies, Mylady, müßte ergründet werden.« »Warum sind unsere vier Freunde seit ebenfalls fast vierzehn Tagen verschwunden?« »Innerhalb dieser vierzehn Tage, Mylady, schrieben sie allerdings diverse Ansichtskarten, wenn ich darauf verweisen darf.« »Die mußten sie schreiben, bevor man sie ermordete. Das ist doch klar!« Agatha Simpson wußte wieder mal genau Bescheid, wie so oft in anderen Kriminalfällen. Sie hielt sich für eine einmalige Kriminalistin, der man nichts vormachen konnte. Ihre vorgefaßten Meinungen pflegte sie mit der Unbeirrbarkeit eines aus dem Kurs geratenen Panzers zu verfolgen. Entsprechend waren auch ihre Aktionen und Reaktionen. Sie tat stets das, womit ihre Umgebung auf keinen Fall rechnete. »Mylady werden verzeihen, aber die Ansichtskarte des Mr. Hubert Poldyke läßt möglicherweise den Schluß zu, daß sie erst vor knapp einer Woche geschrieben wurde.« »Wegen dieser aktuellen Anspielung? Wie war das noch, Mr. Parker?« »Mein Berufskollege, erwähnter Mr. Hubert Poldyke, Mylady, bezog sich auf einen Hotelbrand.« »Reiner Zufall«, meinte die Detektivin verächtlich, »oder noch besser, seine Mörder haben dieses besagte Hotel absichtlich in Brand gesetzt, um mich und Sie zu täuschen.« »Eine Theorie, Mylady, der man im Augenblick nichts entgegensetzen sollte«, antwortete Parker höflich wie stets. »Nein, nein«, redete sie weiter, »unsere vier Reisenden sind von diesem Peter Cockson umgebracht worden, als sie nach ihrem Geld fragten. Wie kann man auch nur freiwillig hierher in diese Kolonien reisen…?« Für Lady Agatha waren die USA immer noch die abtrünnigen Kolonien, die sich mit Waffengewalt vom Mutterland England getrennt hatten. Sie war in dieser Hinsicht ein wenig nachtragend. Parker beobachtete den Verfolger, der längst in der Bar war, auf einem Hocker saß und einen Martini trank. Er saß so günstig, daß 13
er die Bemerkungen der älteren Dame durchaus hören konnte, zumal Lady Agathas Stimme weit trug. Parker nutzte die günstige Gelegenheit, diesem Mann noch zusätzliche Stichworte zu liefern. »Wie denken Mylady über Mr. Cassetti?« fragte er höflich. »Mylady halten diese Adresse für wichtig?« »Cassetti?« Sie tat ihm prompt den Gefallen und nannte laut diesen Namen. »Ein Nichts, Mr. Parker…« »Mylady bemerkten aber offenbar, daß Mr. Cassetti zusammenzuckte, als der Name Cockson genannt wurde.« Parker behauptete es einfach und brauchte sich um die Reaktion nicht weiter zu kümmern. »Natürlich zuckte er zusammen«, erklärte sie prompt und nachdrücklich, »ich traf sofort seinen Nerv… Ich glaube sogar, daß er bleich wurde.« Die Detektivin paßte sich ungeniert sofort der neuen Richtung an, um später behaupten zu können, sie habe alles schon wieder im vorhinein gewußt. »Man sollte Leutnant Fielding dankbar sein, Mylady, daß er diesen inoffiziellen Hinweis gab.« »Leutnant Fielding?« fragte sie laut und runzelte die Stirn. Sie war ein wenig irritiert, denn sie hatte diesen Hinweis nicht gehört. »Es kann sich selbstverständlich auch um einen Irrtum meinerseits gehandelt haben«, versicherte der Butler so leise, daß der Mann an der Theke es nicht hörte. »Cassetti ist in diesen neuen Fall verwickelt«, erklärte Lady Agatha laut und grollend, »er hat schließlich versucht, eine hilflose, schwache Frau wie mich umbringen zu lassen. Ohne Grund wird er das sicher nicht getan haben.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker nickte andeutungsweise zustimmend. Er war mit dem Statements seiner Herrin mehr als zufrieden. Sie brachte damit Dinge in Bewegung, die der Klärung dieses Falles nur dienlich sein konnten. Der Mann am Tresen rutschte vom Hocker und verschwand in Richtung Empfangshalle. Lady Simpson bestellte sich einen zweiten Kreislaufbeschleuniger und machte einen äußerst gelösten Eindruck. Für sie war auch dieser Fall bereits so gut wie erledigt. Man brauchte nur noch den Mörder und die vier Opfer zu finden! * 14
Es dauerte etwa anderthalb Stunden, bis Cassetti sich meldete. Er rief von der Halle des Hotels an und bat Mylady um eine Unterredung. Parker, der den Anruf entgegennahm, informierte seine Herrin, die mit dem Besuch einverstanden war. »Ich hoffe doch sehr, daß das ein getarnter Überfall ist«, meinte sie, nachdem Parker aufgelegt hatte. »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich entsprechende Absicherungen vornehmen«, sagte Parker, der an einen Überfall allerdings keineswegs dachte. Er wußte nur, daß der Verfolger genau zugehört hatte, und ferner, daß dieser Mann keineswegs zu Cassetti gehörte. Genau das Gegenteil war sicher der Fall. Seine Vermutung bestätigte sich. Cassetti kam allein und sah nicht besonders gut aus. Er trug eine Augenklappe und ein Heftpflaster am linken Mundwinkel. Er machte einen gequälten Eindruck und war sehr nervös. »Sie hatten einen Unfall, wie ich vermuten darf?« erkundigte sich Parker, als er die Tür hinter Cassetti schloß. »Ich… Ich bin eine Kellertreppe ‘runtergefallen«, gab der Gangster zur Antwort. »Das Leben ist in der Tat voller Gefahren«, stellte Josuah Parker in seiner höflichen Art fest, »Mylady wird sofort erscheinen, Mr. Cassetti.« »Sie haben mir da ‘ne schöne Suppe eingebrockt«, beschwerte sich Cassetti, »wieso können Sie behaupten, ich hätte was mit dem Börsenmakler Cockson zu tun?« »Sind Sie sicher, daß man Sie richtig informiert hat, Mr. Cassetti?« »Das sehen Sie doch!« Cassetti deutete auf seine Augenklappe. »Ich bin schließlich nicht freiwillig über die Treppe gerutscht…« »Sie werden verstehen, daß ich den tieferen Sinn dieses Hinweises nicht zu deuten vermag.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Sie müssen irgendwo behauptet haben, ich sei in den Fall Cockson verwickelt«, erregte sich Cassetti, »und Sie haben sogar noch die Polizei ins Spiel gebracht.« Parkers Rechnung ging auf. Der Verfolger, der in der Bar des >Waldorf< interessiert zugehört hatte, stand nicht auf Cassettis Seite. Dieser Mann hatte seine Informationen weitergereicht, und daraufhin war der Gangster 15
der Mittelklasse, nämlich Toni Cassetti, wahrscheinlich intensiv befragt worden. Dabei mußte es zu dem Treppensturz gekommen sein. Die kleine Komödie in der Inszenierung des Butlers, war ein voller Erfolg geworden. »Sie dürften das Opfer einer bedauernswerten Verwechslung geworden sein, Mr. Cassetti«, erklärte Parker, »weder Mylady noch meine bescheidene Wenigkeit haben sich Dritten gegenüber in der von Ihnen geschilderten Art geäußert.« »Weiß der Henker, wie das alles zusammenhängt«, rätselte Cassetti halblaut. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, wer Sie eigentlich sind und was Sie wirklich wollen? Ich kann mir einen Krach mit anderen Leuten nicht leisten.« »Von welchen Personen sprechen Sie, Mr. Cassetti?« »Dazu sage ich kein Wort.« »Sie fürchten offensichtlich einen zweiten Treppensturz?« »Und wieso hat die Polizei Ihnen meinen Namen im Zusammenhang mit diesem verdammten Makler genannt?« »Auch jetzt scheint es sich wieder mal um ein Mißverständnis zu handeln«, erklärte Parker gemessen, »ich darf Ihnen versichern, daß die Polizei noch nicht mal eine Andeutung in dieser Richtung machte.« »Sie spielen ein doppeltes Spiel, Parker.« »Mr. Parker, wenn ich höflichst bitten darf.« »Sie sind doch keine normalen Touristen…« Bevor Parker dazu Stellung nehmen konnte, erschien Agatha Simpson im Wohnraum der Suite. Eine gekrönte Majestät hätte nicht beeindruckender auftreten können. Cassetti verbeugte sich unwillkürlich. »Schon gut, junger Mann«, sagte sie herablassend, »ich hoffe, Sie bringen erfreuliche Nachrichten. Haben Sie diesen Peter Cockson inzwischen gefunden?« »Lady, ich habe keine Ahnung, wer das ist, auch wenn Sie das Gegenteil behaupten.« »Warum erfrechen Sie sich dann, mir einige Ihrer Schläger nachzuschicken?« raunzte sie den Gangster der Mittelklasse an. »Weil ich wissen will, wer Sie in Wirklichkeit sind.« Toni Cassetti schnaufte vor Ärger und griff nach dem Heftpflaster, das wohl ein wenig spannte. »Sie haben es mit Lady Simpson zu tun«, stellte Parker erneut vor, »und meine bescheidene Person schätzt sich glücklich, als 16
Butler fungieren zu dürfen.« »Schon gut, schon gut.« Cassetti winkte ab. »Ich tu’ einfach so, als ob das stimmt… Und ich werde mich um diesen Cockson kümmern. Aber dazu brauche ich ein paar Hinweise, verstehen Sie? Noch etwas, ich mach’ das freiwillig. Sie brauchen mir keinen müden Cent zu bezahlen… Ich mach’ das aus reiner Menschenfreundlichkeit…« »Und gewiß auch wegen einer Treppe, Mr. Cassetti«, warf Josuah Parker ein. »Darf ich noch mal an meine Feststellung erinnern, wonach das Leben voller Gefahren ist?« * Der junge Mann, der sie bis in die Bar verfolgt hatte, befand sich in der riesigen Empfangshalle des Hotels in der Nähe des Ausgangs. Er saß in einem Sessel und blätterte in einer Zeitung. Parker entdeckte ihn mit geschultem Blick und war sehr angetan. Die Dinge entwickelten sich durchaus zu seiner Zufriedenheit. Es war ihm gelungen, die Ermittlungen voranzutreiben, und er selbst brauchte dazu kaum etwas zu tun. Parker verabschiedete sich von Cassetti, den er höflicherweise nach unten gebracht hatte. Dann steuerte er direkt auf den jungen Mann zu, der nun noch eifriger in der Zeitung blätterte. »Sollten Sie die Banknote verloren haben, Sir?« erkundigte sich Parker und deutete auf den Geldschein, der wie durch Zauberei plötzlich vor den Schuhspitzen des Sitzenden lag. »Banknote?« Der Mann senkte die Zeitung und schaute nach unten. Er fiel auf Parkers Ablenkungsmanöver prompt herein und zeigte seinen Nacken. Parker hatte mit dieser Bewegung gerechnet und reagierte blitzschnell, aber dennoch wie beiläufig. Er hielt längst eine kleine Spraydose in der, rechten, schwarz behandschuhten Hand, brachte die Öffnung in die Nähe der Nackenhaut und drückte auf den Auslöseknopf. Preßluft jagte eine wasserklare Flüssigkeit in die Haut. Eine Impfpistole hätte kaum wirkungsvoller sein können. Die wasserklare Flüssigkeit drang fast schmerzlos und weitflächig ins Gewebe und wurde sofort aufgenommen. Der Mann, der von Parker auf diese Art und Weise >geimpft< worden war, zuckte kaum zusammen, richtete sich aber auf und zeigte dem Butler die Bank17
note. »Nicht von mir«, sagte er und langte dann verstohlen nach seinem Nacken, wo es ein wenig juckte. »Dann werde ich den Fund an der Rezeption abliefern«, schlug der Butler vor, »Ihr Einverständnis selbstverständlich voraussetzend.« »Okay, okay«, sagte der Mann und wirkte ein wenig abwesend. Er rieb sich erneut den Nacken. Seine Augen glänzten. Er lehnte sich zurück und lächelte töricht. Die winzig kleine Spraydose war längst nicht mehr zu sehen. Josuah Parker verfügte über die Geschicklichkeit eines Magiers. »Ich nehme Ihre Einladung dankend an«, redete Parker weiter und zeigte in die Tiefe der Empfangshalle, »sehr freundlich von Ihnen, meine Wenigkeit begleiten zu wollen.« »Aber klar doch«, sagte der Mann und lächelte zerstreut. Er stand auf und begleitete den Butler durch die überfüllte Halle. Er merkte nicht, wie er von Parker dirigiert und geführt wurde. »Ihre Arbeit ist ausgezeichnet, wenn ich so sagen darf«, meinte der Butler, »für wen, sagten Sie gerade noch, überwachen Sie Mr. Cassetti?« »Norman Landron…« entgegnete der Mann vertrauensvoll, »scharf wie’n Rasiermesser… Und worauf sind Sie eigentlich wild?« »Auf einen Makler namens Peter Cockson«, erklärte der Butler, »Sie werden diesen Namen, mit Gewißheit schon mal vernommen haben.« »Klar, hab’ ich sofort weitergemeldet.« Der Mann nickte und freute sich. »Darum is’ Landron ja auch hellhörig geworden.« »Sie wurden in dem italienischen Lokal auf Lady Simpson und meine Wenigkeit aufmerksam?« »Genau, genau«, sagte der Mann und nickte, »Mann, wie Sie die Burschen nachher aufs Kreuz gelegt haben und… Moment mal, was soll das alles?« Er blieb ruckartig stehen und holte tief Luft. Der Glanz in seinen Augen verlor sich. Er musterte den Butler und zog ein nachdenkliches Gesicht. Das Enthemmungsmittel, das Parker ihm verabreicht hatte, ließ schlagartig in der Wirkung nach. »Darf ich daran erinnern, daß Sie meine Wenigkeit unbedingt zu einem Drink einladen wollten?« »Ich soll Sie eingeladen haben?« Der Mann schüttelte den Kopf 18
und rieb sich wieder den Nacken. »Wie kommen Sie denn darauf? Ich kenn’ Sie doch überhaupt nicht… Was soll das alles? Was is’t eigentlich passiert?« Er bemühte krampfhaft sein Erinnerungsvermögen, doch es spielte nicht mit. Der Mann knabberte an seiner Unterlippe und schaute sich um. Er entdeckte einen seriös aussehenden Herrn und erkannte als Profi in ihm sofort einen Hausdetektiv. Dieser Mann war Parker und seinem Begleiter gefolgt und versuchte herauszufinden, was hier gespielt wurde. Ein Haus wie das >Waldorf< legte selbstverständlich den allergrößten Wert darauf, daß es in seinen Räumlichkeiten korrekt zuging. »Schon gut«, sagte der Profi und winkte ab, »ich weiß daß Sie mit ‘nem Trick gearbeitet haben. Wahrscheinlich Hypnose oder so. Wir sprechen uns noch…« »Sie scheinen meiner Wenigkeit gram zu sein«, stellte Parker fest. »Wir sprechen uns noch«, drohte der Mann ein zweites Mal, wandte sich um und eilte zum Ausgang. Der Hausdetektiv blieb ihm dicht auf den Fersen, und Parker begab sich hinauf zu Lady Agatha, um einen kurzen Bericht zu geben, in dem der Name Landron eine Rolle spielte. * »Ich sehe alles klar vor mir«, sagte Lady Agatha, als Parker mit seinem Bericht am Ende war, »hoffentlich durchschauen auch Sie die Zusammenhänge, Mr. Parker.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich darum bemühen werde«, erwiderte Parker. »Cassetti und dieser Landron arbeiteten mit dem Makler Cockson zusammen, Mr. Parker. Sie haben diese vier leichtsinnigen Tölpel auf dem Gewissen.« »Man müßte vielleicht eruieren, Mylady, wer dieser Mr. Landron ist.« »Wie sind Sie überhaupt an diesen Namen gekommen, Mr. Parker?« »Der Mitarbeiter dieses Mr. Landron befand sich in einer Stimmung, die ich als euphorisch bezeichnen möchte, Mylady. Ich war so frei, ihm eine kleine Dosis Enthemmung zu verabreichen, die 19
auf keinen Fall gesundheitsgefährdet ist.« »Mit Ihrer Höflichkeit werden Sie eines Tages noch mal Schiffbruch erleiden, Mr. Parker. Kümmern Sie sich um Landron! Sie wissen, mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« »Mr. Landron scheint Konkurrent des Mr. Cassetti zu sein, Mylady«, erwiderte Parker, »Myladys Erscheinen in dem italienischen Restaurant dürfte Bewegung in den Fall gebracht haben.« »Selbstverständlich.« Sie nickte hoheitsvoll. »Eine Lady Simpson bewegt immer Dinge, Mr. Parker. Konkurrenten? Sie meinen, Cassetti und dieser Landron arbeiteten gegeneinander?« »Eine Möglichkeit, Mylady, die man in Betracht ziehen sollte.« Parker verschwieg bewußt, daß er dabei war, die beiden Männer gegeneinander auszuspielen. Seiner Meinung nach war Landron, den er allerdings noch nicht kannte, eine Nummer größer als Cassetti. Sie zogen auf keinen Fall an einem Strang, sonst hätte der Mann, den er in Euphorie versetzt hatte, sich in die Szene eingeschaltet, die er in der stillen Seitengasse beobachtet hatte. Wahrscheinlich hatte es ihm sogar gefallen, daß zwei CassettiMitarbeiter außer Gefecht gesetzt worden waren. »Wen wollen Sie anrufen?« fragte Lady Agatha, als Parker zum Telefon ging. »Möglicherweise ist Mr. Landron auf diese Weise zu erreichen«, antwortete Parker. Er stellte eine Verbindung mit der Telefonzentrale des Hotels her und nannte den Namen Norman Landron. Dann legte er auf und brauchte nicht lange zu warten, bis der Apparat sich meldete. Parker hob ab, gab zu verstehen, daß er im Auftrag der Lady Simpson anrief, und fragte nach Mr. Landron. »Lady Simpson?« Eine harte Männerstimme war am Apparat. »In der Tat«, gab Parker zurück, »mein Name ist Parker… Josuah Parker. Falls Sie nachfragen, wird es sicher zu einer Verbindung mit Mr. Landron kommen.« »Lassen Sie mich mit ihm reden«, verlangte die ältere Dame kriegerisch, »ich weiß, wie man mit solchen Strolchen umzugehen hat.« Parker hatte keine Bedenken. Er schätzte die Art, wie direkt die Lady die Dinge beim Namen nannte. Sie besaß ein ungewöhnliches Talent, ihre Mitmenschen zu schockieren und zu irritieren. So etwas konnte man nicht lernen. »Landon?« fragte sie grollend, als durchgestellt wurde, »hier 20
spricht Lady Simpson… Halten Sie gefälligst den Mund, wenn eine Dame mit Ihnen spricht! Ich weiß genau, daß Sie diesen betrügerischen Makler Peter Cockson auf dem Gewissen haben… Sie und dieser Gemüsehändler namens Cassetti… Und ich weiß auch, daß Sie für vier Morde gut sind… Sie können sich darauf verlassen, daß ich Sie zur Rechenschaft ziehen werde… Sie werden ab sofort ein sehr unruhiges Leben führen… Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.« Sie lächelte grimmig und ließ dann Parker weiterreden. »Hören Sie noch?« erkundigte sich der Butler in seiner vornehm-zurückhaltenden Art. »Wer, zum Teufel, war denn diese Megäre?« lautete die keuchende Antwort. »Sie hatten die Ehre, mit Lady Simpson sprechen zu dürfen«, gab Parker zurück. »Sie sollten Myladys Worte keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. Und Sie sollten ab sofort auf das achten, was Sie in irgendeiner Form zu sich nehmen.« Parker legte auf und verbeugte sich in Richtung Lady Agatha. »Nun, was hat er gesagt?« wollte sie wissen. »Mylady haben tiefen Eindruck hinterlassen«, erwiderte Parker. »Wieso soll er auf das achten, was er zu sich nimmt?« fragte sie neugierig weiter. »Dies, Mylady, war nur als eine Art Verunsicherung gedacht«, entgegnete der Butler, »Mr. Landron wird ab sofort sein sicher latentes Mißtrauen aktivieren, wenn ich so sagen darf.« * Norman Landron aktivierte nicht nur sein Mißtrauen, sondern auch seine Mitarbeiter. Es dämmerte bereits, als Butler Parker seiner Herrin vorschlug, eine Kutschfahrt durch den berühmten Central Park zu unternehmen. Seit dem Gespräch mit Landron war gut eine Stunde vergangen, und Lady Agatha hatte sich einen kleinen Imbiß auf der Basis ihrer Diät heraufbringen lassen. Sie war wieder mal fest entschlossen, etwas gegen ihre majestätische Fülle zu unternehmen. Gestärkt durch ein mittelgroßes Steak, etwas Rührei und gebackene Tomaten, machte sie einen unternehmungslustigen Eindruck. Zwei Gläser Sekt hatten ihren Kreislauf zusätzlich stabi21
lisiert, wie sie ihrem Butler versicherte. »Ich hoffe doch sehr, daß es wenigstens zu einem hübschen Zwischenfall kommen wird«, sagte sie, als sie das Hotel verließen und auf die offene Kutsche zugingen, die Parker bestellt hatte. »Um diese Zeit könnten Myladys Hoffnungen durchaus in Erfüllung gehen«, meinte Parker und verschwieg ihr, daß nicht gerade der gesamte Central Park während der Abend- und Nachstunden tunlichst gemieden werden sollte. »Ich denke, man wird versuchen, mich anzugreifen«, sagte sie und brachte ihren Pompadour in leichte Schwingung, »Cassetti und dieser Landron müssen doch etwas unternehmen, wenn sie ihr Gesicht nicht verlieren wollen.« »Mylady sollten auch damit rechnen, daß sich vielleicht noch eine dritte Gruppe melden wird«, sagte Parker. »Sehr erfreulich.« Sie stieg wohlgemut in die Kutsche und ließ die Federn einsinken. Parker nahm neben ihr Platz und nickte dem Kutscher zu, der sein Pferd sofort in Trab setzte. Es war schon ein reizvoller Kontrast, mit einer Kutsche durch die Straßenschluchten bis hinüber zum Central Park zu fahren. Das Pferd fand mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg und schien die Unmenge der Autos überhaupt nicht zu sehen. Dann war man auch schon im Central Park. Es dämmerte bereits, aber gerade diese Abendstimmung hatte viele Menschen in das riesige Rechteck des Parks gelockt. Es gab Jogger, Sporttreibende aller Art, berittene Polizei und dennoch Harmonie. »Der Hyde Park ist selbstverständlich schöner«, stellte Agatha Simpson fest, »aber immerhin, Mr. Parker, dies hier ist akzeptabel… Sind mir schon Verfolger auf den Fersen?« »Nicht unmittelbar, Mylady«, antwortete Parker, »wahrscheinlich befleißigen sie sich einer gewissen Vorsicht.« »Sie sollen aber nicht übertreiben«, meinte sie, »haben Sie übrigens herausgebracht, wer dieser Norman Landron ist?« »Mylady werden es sicher bald authentisch wissen«, erwiderte Parker und beobachtete drei Jogger, die ihnen entgegenkamen. Es waren junge, durchtrainierte Männer, die bunte Trainingsjacken trugen. Wahrscheinlich tarnten sie mit ihnen ihre Schulterhalfter. Es dauerte nur Sekunden. Die drei Jogger waren geschmeidig und schnell wie Katzen. Sie hatten die Kutsche erreicht und nahmen Platz. Dies geschah mit 22
einer Schnelligkeit, die selbst Parker bewunderte. Er wußte, daß. man es mit echten Profis zu tun hatte, die über ein Spezialtraining verfügten. Einer von ihnen saß neben dem Kutscher und flüsterte ihm etwas zu. Die beiden anderen jungen Männer nahmen auf der Sitzbank vor Lady Agatha und Parker Platz. »Ich hoffe, dies ist ein Überfall?« fragte die Detektivin in der ihr eigenen Offenheit. »Stimmt, Lady«, sagte der schmalere der beiden Männer vor ihr. »Wir haben sogar Kanonen bei uns«, fügte der andere hinzu, der etwas größer war. »Und die werden wir benutzen, wetten?« »Mylady legt zur Zeit keinen Wert auf eine Wette, gleich welcher Art«, stellte Parker klar, »darf man sich nach Ihren Absichten erkundigen? Mit Bargeld kann Mylady gewiß nicht dienen.« »Wir laden Sie zur ‘ner kleinen Spazierfahrt ein«, sagte der Schmale. »Unser Wagen steht da drüben… Dauert nur ein paar Minuten«, erklärte der Große und lächelte dünn. »Und wo wird diese Spazierfahrt enden?« fragte Parker weiter. »Lassen Sie sich doch überraschen«, schlug der Große vor, »wir setzen Sie später wieder vor dem >Waldorf< ab, wenn alles klappt.« Sie trugen tatsächlich Schulterhalfter, denn der Schmale zeigte ihnen für einen Moment seine automatische Waffe samt Schalldämpfer. Lady Agatha rückte sich zufrieden im Polster zurecht und nickte ihren gegenüber sitzenden Gästen wohlwollend zu. Sie ließ sich hin und wieder recht gern kidnappen… * Natürlich hätte Parker gegen diese Einladung zu einer Spazierfahrt etwas unternehmen können, doch er verhielt sich höflich und passiv. Die Kutschfahrt in den Central Park hatte schließlich dazu gedient, den Kontakt mit Norman Landron herzustellen. Daß diese drei jungen Jogger in Landrons Auftrag handelten, lag für Parker auf der Hand. Man saß inzwischen in einem Buick und fuhr durch die Straßenschluchten. Die drei jungen Sportler gaben sich höflich, aber da23
hinter lauerte höchste Wachsamkeit. Wahrscheinlich hatte man die drei Entführer gewarnt und ihnen gesagt, wie unberechenbar diese beiden Touristen sein konnten. Die Fahrt endete in Höhe der Docks am East River. Es war inzwischen völlig dunkel geworden. In den Straßen zuckten die grellen Lichtreklamen. Die Stadt schien angeheizt zu sein und brodelte. Der Buick hielt auf ein Tor aus Maschendraht zu, das wie von Zauberhand geöffnet wurde. Der Wagen fuhr in schneller Fahrt um ein altes Lagerhaus herum und blieb dann vor einem dreistöckigen grauen Steinbau stehen. Mylady und Parker wurden durch entsprechende Handbewegungen aufgefordert, auszusteigen und mitzukommen. Parker legte sich den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm, lüftete höflich die schwarze Melone und ließ Mylady vorausgehen. Die Detektivin zeigte nicht die Spur von Angst oder Unsicherheit. Wie selbstverständlich marschierte sie energisch zum Eingang des Steinbaus. Der Pompadour am linken Handgelenk schwang nur leicht. Wenig später stand man einem Mann gegenüber, der überhaupt nicht in diese schäbige Umgebung paßte. Er war etwa 1.75 m groß, fast schlank und hatte schneeweiße Haare. Unter buschigen, ebenfalls fast weißen Brauen leuchteten Augen, die Härte ausdrückten. Landron, um den es sich handelte, mochte nach Parkers Schätzung etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein. »Entschuldigen Sie die Formlosigkeit, Mylady«, sagte Landron, »Sie hören, daß ich inzwischen weiß, wer Sie sind… Das gilt auch für Sie, Mr. Parker.« »Wollen Sie mir keinen Platz anbieten?« fragte die Detektivin grollend. »Natürlich. Setzen Sie sich! Es sind zwar nur Stühle, aber immerhin…« Parker baute sich seitlich hinter seiner Herrin auf, die drei Jogger stellten sich dahinter im Halbkreis auf. Links und rechts von Landron hielten sich je ein Leibwächter einsatzbereit. Landron schien sich eingehend erkundigt zu haben. »Sie machen hier einigen Ärger, Mylady«, begann Landron und nahm auf der Kante eines ausgedienten Schreibtisches Platz. Er rauchte lässig eine Zigarre und fühlte sich überlegen. »Normaler24
weise hätte man längst anders reagiert, aber Sie dürften die rauhen Sitten hier nicht kennen.« »Sie wissen demnach inzwischen auch, warum Mylady sich hierher nach New York begeben hat?« schaltete sich Parker ein. »Ich suche einen Makler namens Peter Cockson«, sagte sie sofort energisch, »er dürfte vier meiner Freunde und Bekannten auf dem Gewissen haben.« »Was haben Cassetti und ich damit zu tun? Wieso hat die Polizei Ihnen solch einen verrückten Tip geben können?« Landrons Frage klang ärgerlich. »Sie sollten davon ausgehen, Mr. Landron, daß Ihr Informant das Opfer eines Mißverständnisses wurde«, sagte Parker, »wenn Sie erlauben, möchte ich eine kurze Zusammenfassung dessen geben, was sich zugetragen hat.« Norman Landron lächelte unwillkürlich. Solch eine Ausdrucksweise kannte er nicht. Er amüsierte sich offensichtlich und nickte. »Es handelt sich um meinen Berufskollegen Hubert Poldyke, der zusammen mit Sir Randolph Woolting nach New York flog, um den Makler Peter Cockson zur Offenlegung seiner Bücher und Bilanzen zu veranlassen. In der Begleitung Sir Randolphs befanden sich die Herren Lionel Clattner und Ralph Pannerson, wie ich hinzufügen möchte. Mr. Clattner ist Spezialist auf dem Sach- und Fachgebiet des Buchhaltungswesens, Mr. Pannerson ein normaler Anleger.« »Sind nur diese Leute hereingelegt worden?« erkundigte sich Norman Landron und schaute kurz auf den kleinen Rekorder, der das Gespräch auf Tonband festhielt. »Die vier Reisenden vertreten eine größere Gruppe von Anlegern, Mr. Landron. Man könnte auch sagen, sie repräsentieren ein Anlagekapital von schätzungsweise fünfhunderttausend Pfund.« »Kein Kleingeld«, sagte Norman Landron und nickte. »Und dieser Peter Cockson ist mit dem Geld abgehauen?« »Verschwunden, Mr. Landron, wenn ich mir diese Korrektur erlauben darf. Leider sind auch die Herren Poldyke, Sir Randolph, Lionel Clattner und Ralph Pannerson nicht mehr zu erreichen.« »Und die Lady und Sie wollen jetzt nach ihnen suchen?« Norman Landron lächelte mokant. »Da haben Sie sich aber allerhand vorgenommen… New York ist nicht London!« »Eine treffliche Bemerkung, Mr. Landon, die man unbesehen unterschreiben kann.« 25
»Was hat Cassetti mit der ganzen Geschichte zu tun?« »Er steckt mit diesem betrügerischer! Makler selbstverständlich unter einer Decke«, erläuterte die Lady in ihrer gewohnten Vereinfachung. »Cassetti?« Norman Landrons Stimme nahm einen geringschätzigen Unterton an. »Das ist eine Nummer zu groß für ihn. Wie sind Sie überhaupt auf ihn gekommen?« »Dieser Name müßte im Büro des Detektiv-Leutnants Fielding gefallen sein«, behauptete Parker. »Fielding?« Norman Landrons Stimme klang nicht mehr geringschätzig. »Hat er etwa auch meinen Namen genannt? Woher kennen Sie ihn überhaupt, Mr. Parker?« »Hierfür ist möglicherweise Mr. Cassetti zuständig«, erwiderte Parker, »er könnte allerdings auch von Leutnant Fielding erwähnt worden sein.« »Sie machen hier wohl auf Verwirrspiel, wie?« Landrons Lippen bildeten einen schmalen Strich. »Sie wollen uns gegeneinander ausspielen, nicht wahr? Wetten, daß ich die Wahrheit schon sehr bald kennen werde? Mit einem Norman Landron zieht man keinen Zirkus auf.« »Könnten Sie meiner Wenigkeit freundlicherweise Ihre Worte interpretieren?« fragte Parker gemessen. »Sie wollen uns vor Ihren Karren spannen, Parker, das liegt doch auf der Hand! Ich hatte gleich diesen Verdacht. Wir sollen für Sie die Kastanien aus dem Feuer holen und uns um diesen Cockson kümmern, wie? Okay, was mich betrifft, so werde ich das tun, aber nur wegen der Moneten. Fünfhunderttausend Pfund liegen nicht alle Tage auf der Straße…« Er nickte seinen Leuten knapp zu, und sie machten sich daran, die beiden Besucher aus London in die Zange zu nehmen… * »Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, Mr. Landron«, schickte Parker voraus, bevor die drei Männer hinter ihnen aktiv werden konnten, »dürfte ich Sie freundlicherweise auf meinen Regenschutz aufmerksam machen?« »Was ist damit?« Norman Landron winkte die drei Jogger zurück. 26
»Ihnen wird nicht entgangen sein, Mr. Landron, daß der Griff aus Bambus besteht«, redete Parker würdevoll weiter. Wie durch Magie wanderte der Schirm durch seine schwarz behandschuhten Hände nach oben, bis Parker das untere Ende in Händen hielt. »Weiter, weiter«, drängte Landron ungeduldig und ahnungslos zugleich. »Der Bambusgriff wurde von meiner bescheidenen Wenigkeit aus guten Gründen mit Blei ausgegossen«, erläuterte Parker, um dann allerdings seinerseits zu Taten überzugehen. Bevor die drei Jogger überhaupt begriffen, was geschah, gerieten sie bereits in echte Konditionsschwierigkeiten. Parker setzte seinen Regenschirm wie eine Keule ein und brachte die drei jungen, sportlich so durchtrainierten Männer zu Boden. Aber auch Lady Agatha blieb nicht untätig. Der Pompadour in ihren Händen war eine überaus gefährliche Waffe. Sie ließ den perlenbestickten Handbeutel mit dem darin befindlichen >Glücksbringer< durch die Luft fliegen. Der Pompadour landete genau auf Landrons Nase, und die Perlen, die aus bemalten Eisenkugeln bestanden, drückten sich auf die Oberlippe des Gangsters. Er zeigte ebenfalls sofort Wirkung und flog gegen einen seiner beiden Leibwächter, der so daran gehindert wurde, die Waffe zu ziehen. Bevor der zweite Leibwächter an seine Waffe kam, sirrte Parkers schwarze Melone wie ein Diskus durch die Luft. Der stahlverstärkte Rand landete oberhalb der Nasenwurzel des Mannes, der daraufhin ein gurgelndes Stöhnen produzierte und sich setzte. »Ihre Manieren sind nur als beklagenswert zu bezeichnen«, stellte Parker fest, hielt längst eine schallgedämpfte Waffe in Händen und bot dem Gegner damit Schach. »Wie können Sie Flegel es wagen, eine wehrlose Frau anzugreifen?« empörte sich Lady Agatha, »ich hätte große Lust, Ihnen ein paar Ohrfeigen zu verabreichen.« Landron war nicht in der Lage, zu diesem Angebot Stellung zu nehmen. Er beschäftigte sich mit seiner leicht blutenden Nase und prüfte die Festigkeit seines Nasenbeins. Seine beiden Leibwächter waren außer Form und starrten auf die Waffe in Parkers Hand. Die drei Jogger waren noch nicht soweit, um sich in das Geschehen einzuschalten. Sie litten noch sichtbar unter dem Blei, mit dem der Bambusgriff ausgegossen war. Zudem saßen sie auch noch auf dem Boden und waren inzwischen von Parker ent27
militarisiert worden. Zwei ihrer Waffen hielt die ältere Dame in ihren nicht gerade kleinen Händen, die vom Golfspiel geprägt waren. »Mylady erwartet von Ihnen loyale Mitarbeit, Mr. Landron«, sagte Parker höflich, »wenn Sie gestatten, werde ich jetzt, ein Gruppenbild ohne Dame aufnehmen.« Er hatte eindeutig mit solch einer Situation gerechnet, wie sich zeigte. Josuah Parker zog einen kleinen Fotoapparat aus der Hosentasche, um Norman Landron umgehend abzulichten. Er fertigte mehrere Aufnahmen an, weil er später eine Auswahl vorweisen wollte. Auf ein Blitzlicht konnte er wegen der guten Lichtverhältnisse verzichten. Er benutzte einen sehr lichtempfindlichen Film, der einwandfreie Bilder garantierte. »Was… Was soll das?« fragte der Gangster nervös. »Quasi ein Erinnerungsfoto, Mr. Landron«, antwortete Parker höflich, »messen Sie diesen Aufnahmen keine weitere Bedeutung bei, vorerst wenigstens nicht.« Parker verbeugte sich in Richtung Agatha Simpson. »Wenn Mylady befehlen, könnte man jetzt diesen an sich recht ungastlichen Ort verlassen.« »Denken Sie an den Makler Cockson, junger Mann«, rief die Detektivin dem Gangsterboß zu, »und kommen Sie nicht auf die Idee, ihn etwa umzubringen. Sie würden mich dann nämlich von einer unfreundlichen Seite kennenlernen…« Das skurrile Duo aus London schritt zur Tür, doch Parker behielt die Herren unter Sichtkontrolle. Bevor er die Falle hinter sich schloß, ließ er noch ein kleines Abschiedsgeschenk in Form einer Kapsel zurück, die er aus einer seiner zahlreichen Westentaschen geholt hatte. Sie sah durchschnittlich und harmlos aus wie ein medizinisches Präparat. Nachdem der Butler sie allerdings zwischen den Fingerspitzen eingedrückt hatte, wurde sie zur Quelle eines feinen Nebels, der sich im Zimmer schnell ausbreitete. Parker konnte sicher sein, daß die zurückgebliebenen Männer ab sofort nicht mehr daran interessiert waren, eine Verfolgung aufzunehmen. * »Ich sollte eigentlich sprachlos sein«, sagte Detektiv-Leutnant 28
Gary Fielding, »aber ich schaffe es nicht. Was, zum Teufel, haben Sie angestellt? Sie ahnen ja nicht, wie’s im Bienenkorb summt.« »Sie sind Imker, mein Bester?« erkundigte sich die ältere Dame. Sie saß am Frühstückstisch und widmete sich ihrer Diät. Es gab ein wenig geräucherten Lachs, etwas Rührei mit kroß gebratenem Speck, ein kleineres Steak und Salat, den die Sechzigjährige jedoch verschmähte. »Mylady, Sie wissen sehr genau, was ich meine«, erwiderte Fielding, »zuerst lassen Sie sich mit diesem Cassetti ein, dann auch noch mit Norman Landron…« »Sie lassen mich überwachen?« grollte die Detektivin prompt. »Nur zu Ihrem Schutz, Mylady«, versicherte Fielding, »Sie und ihr Butler sind schließlich keine durchschnittlichen Touristen. Zudem fühle ich mich meinem Kollegen McWarden in London verpflichtet.« »Sollten Ihre Mitarbeiter demnach Augenzeuge der Spazierfahrt Myladys gewesen sein?« wollte Parker wissen. »O, Ihnen wäre nichts passiert, auch nicht an den Docks«, meinte Fielding, »wir hatten alles fest im Griff.« »Es kam zu einer fast freundlichen Trennung«, redete Parker weiter, »Mr. Norman Landron zeigte sich als entgegenkommend.« »Er ist gefährlich wie ein blutgieriger Hai.« »Welche Rolle spielt Mr. Landron in der hiesigen Unterwelt, Sir?« fragte Butler Parker. »Der gehört schon zur Oberliga, Mr. Parker, und das heißt was in dieser verrückten Stadt. Landron hat direkte Verbindungen zur Mafia.« »Und wie würden Sie Cassetti einstufen, Sir?« »Ein mieser Bezirksgangster, aber er geht einem Mord auch nicht aus dem Weg. Wie sind Sie eigentlich an ihn und dann an Landron geraten? Wer hat Ihnen die nötigen Tips geliefert? Offen gesagt, ich stehe vor einem Rätsel! Sie kommen hier frisch und neu in der Stadt an und brauchen nur ein paar Stunden, um für Wirbel zu sorgen.« »Solche Details pflege ich Mr. Parker zu überlassen«, antwortete Lady Simpson, »mit Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« »Dann geht die Frage an Sie, Mr. Parker«, sagte Gary Fielding. »Offen gesprochen, Sir, ein Taxifahrer war so hilfreich, ein original italienisches Restaurant in Greenwich Village zu nennen. Ich fürchte, Sie werden meiner bescheidenen Wenigkeit nicht glau29
ben.« »Genau das stimmt, Mr. Parker.« Fielding schüttelte den Kopf. »Nach meinen Feststellungen haben Sie’s darüber hinaus geschafft, daß Cassetti und Landron sich in die Haare geraten sind.« »Wie soll ich das verstehen?« wollte die ältere Dame freundlich wissen. »Landrons Leute haben Cassetti in die Mangel genommen. Er war hier im Hotel bei Ihnen. Sie müßten doch gesehen haben, wie er sich gab.« »Dieses Subjekt namens Cassetti will eine Kellertreppe hinuntergefallen sein«, meinte Lady Agatha genußvoll. »Sehr gut möglich, dann haben aber ein paar Landron-Leute dabei nachgeholfen…« Fielding lächelte für einen Moment. »Cassetti wird das nicht hinnehmen, glauben Sie mir. Er ist rachsüchtig. Und auch er hat gewisse Verbindungen zur Mafia, wenn auch auf ‘ner anderen Ebene. Das alles ist sehr kompliziert.« »Einzelheiten will ich gar nicht wissen, mein lieber Fielding«, sagte Lady Agatha, »ich will die vier Herren aus London sehen. Und dann natürlich den Makler Cockson…« »Glauben Sie, daß Cassetti und Landron mitsuchen werden?« Fielding grinste, als ob er schon alles wüßte. »In der Tat, Sir, wenn ich darauf antworten darf«, meinte Josuah Parker, »die Herren Cassetti und Landron dürften inzwischen entsprechend motiviert worden sein.« »Wieso motiviert?« Fielding sah den Butler mißtrauisch prüfend an, »wie wollen Sie das geschafft haben?« »Beide Männer gehen davon aus, Sir, daß der Makler Cockson gut für eine Million Dollar ist«, lautete Parkers Antwort, »entsprechend dürften die Bemühungen sein.« »Selbst wenn«, antwortete Fielding fast schon verzweifelt, »falls dieser Cockson aufgespürt werden sollte, haben doch Sie nichts davon. Glauben Sie, Landron oder Cassetti würden Cockson zu Ihnen bringen?« »Man sollte auf die Einsicht der beiden Männer setzen«, gab Parker zurück, »es wird vor allen Dingen Mr. Landron sein, der Entgegenkommen zeigen dürfte.« Parker sagte Fielding natürlich kein Wort von den Schnappschüssen und dem Gruppenbild ohne Dame.
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* »Landron hier.« Die unverkennbare Stimme des Gangsters meldete sich, als Josuah Parker den Telefonhörer abhob. DetektivLeutnant Fielding war gegangen. Parker konnte sich ungeniert unterhalten. »Hören Sie jetzt mal ganz genau zu, Parker«, meinte Landron, »okay, Sie haben uns mächtig ausgetrickst. Besser hätten meine Profis das nicht hinbekommen.« »Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann, Mr. Landron«, antwortete Parker höflich. »Wahrscheinlich werden Sie bald auch ein toter Mann sein«, deutete Norman Landron an. »Aber ich werde Ihnen eine Chance geben.« »Zu gütig, Mr. Landron, Sie scheinen besser zu sein, als Ihr Ruf.« »Wahrscheinlich wissen Sie inzwischen, wer ich bin, oder?« »Man dürfte Ihnen bereits mitgeteilt haben, daß DetektivLeutnant Fielding die Ehre hatte, von Mylady empfangen zu werden.« »Und ich weiß, daß Sie ihm diese Fotos bestimmt nicht gegeben haben.« »Man sollte einen Menschen nicht unnötig bloßstellen, Mr. Landron.« »Sie würden mich mit diesen dummen Aufnahmen nicht bloßstellen, Parker, darauf können Sie sich verlassen.« »Sie erlauben, daß ich erheblich anderer Meinung bin, Mr. Landron? Diese Aufnahmen zeigen Sie als Verlierer, wie es hier in den Staaten wohl zu heißen pflegt. Ein Mann Ihres Ansehens kann sich solche Aufnahmen auf keinen Fall leisten, zumal dann nicht, wenn sie in der Presse erscheinen sollten.« »Ich werde Ihnen die Aufnahmen abkaufen, Parker. Und ich zahle nicht schlecht…« »Erinnerungsfotos dieses Genres sind unverkäuflich, Mr. Landron. Sie können allerdings davon ausgehen, daß man sie Ihnen eines Tages zustellen wird und zwar kostenlos.« »Ich soll also für Sie diesen Makler Cockson aufspüren, wie?« »Eine äußerst präzise Feststellung.« »Wollen Sie mich erpressen? Mann, das wird Ihnen verdammt schlecht bekommen. Ich werde Ihnen… Also gut… Ich werde die 31
Fotos bekommen, falls ich Cockson ‘ranschaffe.« Norman Landrons Stimme hatte zuerst gereizt und wütend geklungen, doch dann hatte der Gangsterboß sich beherrscht und gab sich sachlich, was ihm allerdings reichlich schwerfiel. »Mylady würde auch gern in Erfahrung bringen, was aus den vier Besuchern aus London geworden ist. Könnten Sie sich möglicherweise auch darum kümmern, Mr. Landron?« »Mann, ich bin doch nicht Ihr Kofferträger und… Also schön! Ich werde sehen, was sich machen läßt.« »Ihre Kooperationsbereitschaft ist bemerkenswert, Mr. Landron. Darf ich höflichst daran erinnern, daß Mr. Cockson biologisch aktiv präsentiert werden sollte.« »Was sollte er?« Landron hüstelte nervös. »Er sollte leben, Mr. Landron«, präzisierte der Butler, »sicherheitshalber möchte ich darauf besonders verweisen.« »Okay, ich werde mal ausnahmsweise mitspielen, Parker. Irgendwie hat mir ja imponiert, wie Sie und diese Lady zugelangt haben. War schon Klasse! Sagen Sie mal, was für’n Gift haben Sie eigentlich in den Raum geworfen, als Sie sich absetzten?« »Eine Art Rauchstäbchen, Mr. Landron, wenn ich es so umschreiben darf«, lautete Parkers Antwort, »darf ich unterstellen, daß gewisse Nachwirkungen inzwischen längst überwunden sind?« »Es geht«, meinte Landron, »die Augen tränen noch wie die Pest, aber man muß ja mal draufzahlen können. Es bleibt bei unserer Abmachung! Wir beschaffen diesen Cockson, und ich bekomme dafür die Aufnahmen.« »Das wäre in der Tat die Essenz der Abmachung«, antwortete Parker in seiner höflichen Art, »mögen Sie recht erfolgreich sein, Mr. Landron.« Parker legte auf und wußte, daß der Hai namens Norman Landron schon bald zuschnappen würde… * »Miß Lilian Friday?« fragte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Er war mit dem Lift in die riesige Empfangshalle hinunter gefahren, nachdem Miß Friday ihn oben in Myladys Suite angerufen und sich als Sekretärin des Maklers Cockson vorgestellt 32
hatte. »Ich bin Lilian Friday«, sagte sie und nickte. Sie war groß, schlank und hatte ihr blondes Haar in weiche Wellen gelegt, die ihr schmales Gesicht rahmten. Sie war attraktiv, ohne aufreizend zu wirken. Die modische Brille trug mit dazu bei, daß man sie nicht als Vamp bezeichnen konnte. Lilian Friday wirkte sachlichkühl. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor, »Mylady meditiert, wenn ich so sagen darf… Würden Sie mit meiner bescheidenen Wenigkeit vorlieb nehmen?« »Ich habe Namen und Adresse vom Hausverwalter bekommen«, schickte sie voraus, »Sie haben sich die ehemaligen Büros von Mr. Cockson angesehen, nicht wahr?« »Sie kommen von dort, Miß Friday? Darf ich mich erkühnen, Ihnen eine Erfrischung bringen zu lassen?« »Gegen einen Gin-Tonic habe ich nichts.« Sie ließ sich in einem der Sessel nieder und zeigte ihm die Visitenkarte der Lady Simpson, die Parker, versehen mit der augenblicklichen Hoteladresse, beim Hausverwalter zurückgelassen hatte. »Mylady erfuhr leider von der plötzlichen Schließung des Maklerbüros«, meinte Parker, »Sie wissen nicht, wo man Mr. Cockson erreichen könnte?« »Wenn ich das wüßte, wäre ich um ein Monatsgehalt reicher«, antwortete sie, »Cockson verschwand praktisch über Nacht, ohne uns auch nur eine Andeutung zu machen.« »Wie würden Sie, Miß Friday, den Gang seiner Geschäfte bis zu seinem Verschwinden beurteilen?« »Die gingen ausgezeichnet«, lautete die Antwort, »Cockson konnte wirklich nicht klagen…« »Seine Konten sind nach Angaben der Polizei bis auf den letzten Cent abgehoben worden, Miß Friday.« »Und genau das kann ich nicht verstehen, Mr. Parker. Mr. Cockson ist kein Betrüger. Das habe ich auch schon der Polizei gesagt, die gegen meinen Chef ermittelt.« »Die Polizei hat die ehemaligen Angestellten des Mr. Cockson verhört?« »Und wir alle stehen wie vor einem Rätsel, Mr. Parker.« Sie nickte und hob dann hilflos die Schultern. »Wir begreifen das nicht. Mr. Cockson arbeitet doch schließlich schon seit vielen Jahren an der Börse. Seine Firma hat einen guten Namen. Und seine 33
Warentermingeschäfte wurden immer glatt und sauber abgewickelt.« »Sie haben die vier Besucher aus London noch gesehen, Miß Friday? Ich spreche von den Herren Sir Randolph Woolting, Lionel Clattner, Ralph Pannerson und dem Butler Hubert Poldyke.« »Ich kann mich an die Besucher nur flüchtig erinnern«, erwiderte Lilian Friday, »sie müssen etwa zwei Tage vor dem Verschwinden des Mr. Cockson bei ihm gewesen sein. Dann bekam ich von Cockson einen Anruf. Er sagte mir, er habe seine Firma aufgegeben und geschlossen. Unsere Gehälter wollte er uns noch überweisen, aber bisher ist da nichts geschehen.« »Dürfte das etwa vierzehn Tage zurückliegen, Miß Friday?« »Richtig.« Sie nickte. »Außer ihm waren in seinem Büro noch fünf Angestellte tätig. Doch, das liegt jetzt vierzehn Tage zurück. Und als ich heute diese Visitenkarte fand, da dachte ich, ich sollte mit Ihnen reden.« »Fühlte Mr. Cockson sich bedroht?« »Falls ja, Mr. Parker, so hat er es nicht gezeigt.« »Sie können sich nicht vorstellen, Miß Friday, wo man Mr. Cockson erreichen könnte?« fragte Parker in seiner gemessenen Art, »ich möchte nicht verhehlen, daß er sich in höchster Lebensgefahr befindet.« »Wieso denn das?« Ihre Augen wurden sehr groß. »Gewisse Kreise der sogenannten Unterwelt interessieren sich inzwischen für Mr. Cockson. Man sollte davon ausgehen, daß diese Leute Mr. Cockson früher oder später finden werden. Sie verfügen über andere Mittel und Wege als die Polizei.« »Die Unterwelt ist hinter Cockson her?« Sie dämpfte unwillkürlich die Stimme. »Mr. Cockson repräsentiert immerhin ein Dollarvermögen, Miß Friday. Denken Sie an die Konten, die er aufgelöst hat! Sie können sich wirklich nicht vorstellen, wo er sich momentan aufhält?« »Nein, nein, ich fürchte… Das heißt… Aber das kann ich mir eigentlich kaum vorstellen.« Sie zog die Stirn kraus. »Sie werden meiner Wenigkeit hoffentlich beipflichten, daß diese Hinweise keineswegs das sind, was man als genau bezeichnen könnte, Miß Friday.« »Mr. Cockson fuhr hin und wieder nach Jones Beach, Mr. Parker.« »Was kann ein Besucher aus London sich darunter vorstellen, 34
Miß Friday?« »Es liegt auf Long Island, Mr. Parker, ein wunderbarer Seeort… Viel Sandstrand und keine sehr billige Gegend. Mr. Cockson hat dort ein kleines Haus von seiner verstorbenen Schwester geerbt. Ob er dort wohl ist?« »Ist Ihnen die genaue Adresse bekannt?« »Jones Beach liegt auf einer Insel an der Oyster Bay, aber man kann die Insel mit einem Wagen erreichen. Ja, die genaue Adresse… Nein, die bekomme ich nicht zusammen, aber ich war zweimal dort. Ich würde das Haus sofort finden.« »Würden Sie sich im Interesse Ihres Monatsschecks bereit finden, Miß Friday, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit dorthin zu führen?« »Wenn Sie sich davon etwas versprechen. Doch, ich denke schon, Mr. Parker. Wer hat heute schon Geld zu verschenken?« »Ist dieses Ferienhaus firmenbekannt, wenn ich so fragen darf?« »Nein, bestimmt nicht. Ich hörte als seine Sekretärin auch nur per Zufall davon, Mr. Parker. Eben, als Sie mich fragten, fiel mir das Ferienhaus wieder ein.« »Betrachten Sie sich als Gast der Lady Simpson«, meinte Parker, »falls Sie keine Einwände erheben, könnte die Fahrt nach Jones Island schon in der nächsten halben Stunde unternommen werden.« »Da mache ich gern mit«, sagte sie und lächelte, »ich habe ja ohnehin nichts zu tun.« * Das Ferienhaus stand auf einer kleinen Insel, die durch einen Damm mit dem Festland verbunden war. Lady Agatha, Parker und Lilian Friday saßen in einem Leihwagen, den Parker gemietet hatte. Bis nach Jones Island hatten sie immerhin fast eine Stunde gebraucht. Der Verkehr auf der Schnellstraße war zähflüssig geworden. Jeder, der es sich zeitlich leisten konnte, verließ die Straßenschluchten der Stadt, um an den Stränden von Coney Island, Atlantic Beach, Long Beach und eben Jones Beach Erholung am Meer zu suchen. Hier nun, an der Oyster Bay, ging es bereits ein wenig exklusi35
ver zu. Es gab viele Privatgrundstücke direkt am Wasser, Areale, die für den Durchgangsverkehr gesperrt waren, und Inseln, die nur über Dämme zu erreichen waren. Die Sandstrände waren beeindruckend sauber, aber auch erstaunlich leer. Die Besitzer der Grundstücke sorgten dafür, daß man unter sich blieb. Lilian Friday machte übrigens einen leicht erschöpften, im Moment aber geradezu erleichterten Eindruck. Dies hing wohl mit der Tatsache zusammen, daß Lady Agatha den Mietwagen durch den Verkehr gesteuert hatte. Ihr Fahrstil war, wie sich wieder mal gezeigt hatte, mehr als ungewöhnlich. Sie hatte immer wieder jäh die Fahrbahnstreifen gewechselt und dadurch für Vollbremsungen anderer Fahrer gesorgt. »Ist Ihnen nicht gut, Kindchen?« erkundigte sich Lady Agatha, als sie den schweren Wagen dicht vor dem soliden Drahttor bremste. »Doch, jetzt wieder«, meinte Lilian Friday und atmete tief durch. Sie zeigte auf das geschlossene Tor, »abgeschlossen, sehen Sie die Kette und das Schloß?« »Man könnte das Tor rammen«, schlug die Lady vor, »das erspart unnötige Arbeit, Mr. Parker.« »Wenn es gestattet ist, Mylady, sollte man das Vorhängeschloß befragen«, erwiderte der Butler, während er bereits ausstieg, »noch dürfte man den Wagen vom Bungalow aus nicht ausmachen können.« »Ich glaube nicht, daß mein Chef da sein wird«, warf Lilian Friday ein. »Das Schloß steckt doch von außen in der Kette.« »Natürlich ein Ablenkungsmanöver, Kindchen«, antwortete die ältere Dame wegwerfend, »eine Frau wie mich täuscht man nicht.« Butler Parker hatte inzwischen den Wagen verlassen und schritt würdevoll zum Tor hinüber. Er >befragte< das solide Schloß, und es ließ mit sich reden. Nachdem Parker sein kleines Spezialbesteckt eingesteckt hatte, konnte er den Bügel öffnen. Parker hakte das Schloß und die schwere Eisenkette aus, um das Tor weit zu öffnen. Er saß gerade im Wagen, als die Detektivin bereits äußerst rasant anfuhr und über die schmale Asphaltstraße hinüber zum Ferienhaus fuhr, das hinter Buschwerk und einigen Bäumen gerade noch zu erkennen war. Sie schien darauf aus zu sein, einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen, schwenkte den schweren Wagen um eine Buschgruppe herum und steuerte ihn auf das 36
einstöckige Haus zu, das einen völlig verwaisten Eindruck machte. Die Jalousien vor den Fenstern und Terrassentüren waren herabgelassen, Flugsand türmte sich vor der Haustür. »Eine perfekt hergerichtete Falle, Mylady, wenn ich so sagen darf«, stellte Parker fest, während seine Herrin mit dem Wagen das Haus umkreiste. »Eine Falle?« Lady Agatha war ein wenig irritiert. »Wieso eine Falle?« fragte Lilian Friday erstaunt. »Das Haus ist seit Wochen nicht mehr besucht worden, das sieht man doch.« »Würden Sie freundlicherweise einen Blick auf den Müllbehälter werfen, Miß Friday?« schlug Parker vor, während Lady Agatha eine zweite Hausumkreisung einleitete. »Er… Er ist gefüllt«, sagte die Blondine und faßte nach ihrer Brille. »Offensichtlich, Miß Friday«, bestätigte Parker, »vor dem Müllbehälter ist unschwer eine leere, noch nicht angerostete Dose auszumachen. Bei der hier herrschenden, salzhaltigen Luft müßte das Blech notwendigerweise Rostspuren zeigen.« »Worauf Sie nicht alles achten, Mr. Parker«, staunte die attraktive Blondine. »Meine Schule«, warf Agatha Simpson ein, »inzwischen weiß Mr. Parker, daß man auf die geringste Spur achten muß.« Sie hatte die Bierdose natürlich überhaupt nicht gesehen, doch das überging sie wie selbstverständlich. Sie blieb vor der Haustür kurz stehen und sah ihren Butler erwartungsvoll an, denn sie hätte gern gewußt, wie sie sich verhalten sollte, aber zugeben wollte sie es natürlich nicht. »Nun, was werde ich tun?« fragte sie endlich, als Josuah Parker höflich abwartend sitzen blieb. »Mylady werden mit einiger Sicherheit wieder zurück zum Tor fahren«, prophezeite Parker höflich, »Mylady wollen etwaige Hausbesetzer herausfordern.« »Richtig, genau das wollte ich tun«, sagte sie mit Nachdruck, »man darf niemals das tun, was die Gegner von einem erwarten.« »Sie rechnen damit, daß man Ihnen folgen wird?« erkundigte sich Lilian Friday erstaunt. »Gewiß, Kindchen«, meinte die ältere Dame und fuhr fort, »Sie werden bald erleben, wie richtig ich die Lage wieder mal beurteilt habe.« 37
Parkers Gesicht blieb ausdruckslos wie stets in solchen Fällen. * Parker stieg aus, nachdem sie das geöffnete Tor wieder passiert hatten. Er hatte jedoch keineswegs vor, die beiden soliden Torflügel wieder zu schließen. Lilian Friday hatte sich umgewandt und beobachtete durch das Heckfenster des Mietwagens, daß der Butler seltsame Dinge tat. Er arbeitete schnell und geschickt. Er schien sich, was gerade das Tor anbetraf, auf bestimmte Dinge vorbereitet zu haben. Parker setzte zwei solide Angelhaken in die Maschen der beiden Torflügel und rollte dann dünne, schwarze Drähte aus, die auf dem Asphalt sofort unsichtbar wurden. Er verband diese Drähte mit der hinteren Stoßstange des Mietwagens und nahm dann wieder auf dem Beifahrersitz Platz. »Was… Was hat das zu bedeuten?« erkundigte sich Lilian Friday erstaunt. »Ich war so frei, eine Art Zwangsstop für etwaige Verfolger in die Wege zu leiten«, erklärte Josuah Parker, »sobald Mylady sanft, aber energisch anfährt, werden die beiden Torflügel mit einiger Sicherheit zugezogen.« »Was Sie sich alles einfallen lassen«, seufzte Lilian Friday, »wie kann man nur auf so etwas kommen?« »Ein kleiner Trick, den ich schon als Kind verwendet habe, wenn wir unserem Pfarrer Äpfel stahlen«, behauptete Lady Agatha geistesgegenwärtig und lächelte wissend, »Mr. Parker muß ich davon erzählt haben.« »In der Tat, Mylady«, gab der Butler mit stoischer Gelassenheit zurück, »darf ich darauf verweisen, daß sich inzwischen ein Wagen nähert?« Er sah das durchaus richtig. Hinter der Baumgruppe und den übermannshofen Büschen preschte ein dunkler Wagen hervor, der Kurs auf das Tor nahm. Es war klar, daß die Insassen im Ferienbungalow die Verfolgung aufzunehmen gedachten. Es war aber auch sicher, daß sie die beiden Angelhaken und die dazu gehörigen Drähte nicht sehen konnten. 38
»Sehr hübsch«, freute sich die ältere Dame und nickte wohlwollend, »ich wußte doch gleich, daß das Haus bewohnt ist.« Der schwarze Wagen kam schnell näher. Lilian Friday wurde nervös und nestelte am Ausschnitt ihres Kostüms. Sie wußte schließlich, was die Insassen des Wagens erwartete. Und plötzlich reagierte sie recht ungewöhnlich, zumindest für Lady Simpson. Lilian Friday zupfte nämlich einen kurzläufigen Revolver aus ihrem Ausschnitt und richtete den Lauf auf die Detektivin. »Wenn Sie anfahren, schieße ich«, sagte sie. Der harte Ton ihrer Stimme ließ keine Mißdeutung zu. »Schnickschnack«, erwiderte die ältere Dame, als nehme sie die attraktive Blondine nicht ernst. »Verlassen Sie sich darauf«, drohte Lilian Friday. »Aber der Wagen kommt immer näher«, stellte Agatha Simpson verärgert fest. »Hoffentlich«, meinte Lilian Friday. Sie riskierte es nicht, den Kopf auch nur andeutungsweise umzuwenden. »Sie stehen auf der Seite der Gangster, wie man vermuten muß?« erkundigte sich der Butler. Seine Stimme klang höflich wie immer. Er schien die Waffe überhaupt nicht zu sehen. »Denken Sie, was Sie wollen«, gab die Blondine zurück und wurde katapultartig nach vorn gegen die Rückenlehne von Lady Simpsons Sitz geschleudert. Die ältere Dame hatte den Rückwärtsgang eingeschaltet und den Wagen zurückschnellen lassen. Bevor Lilian Friday sich mit der neuen Situation abfinden konnte, nahm Parker ihr die Waffe aus der Hand. Während Lilian Friday wütend schrie, schaltete die Detektivin die Automatik um und ließ den Wagen langsam und gefühlvoll anrollen. Sie war wirklich eine bemerkenswerte Frau mit erstklassigen Nerven. Sie hatte genau den richtigen Zeitpunkt abgepaßt, wie sich zeigte. Die schwarze, drohende Limousine hatte die beiden weit geöffneten Torflügel inzwischen fast erreicht. Lady Agatha gab nun etwas energischer Gas und sorgte dafür, daß die Drähte sich gefühlvoll spannten. Dann ließ sie den Mietwagen einen Sprung nach vorn tun und zog die Torflügel gekonnt zu. »Mylady werden gewiß erlauben, daß ich meiner ehrlichen Begeisterung Ausdruck verleihe«, sagte Parker und wandte sich um. Er genoß den Anblick. Dicht vor dem Kühler der schwarzen Limousine waren die beiden Torflügel zugezogen worden. Der 39
schwärze Wagen hing mit dampfendem Kühler und verbogenen Kotflügeln in den Maschen des ramponierten Tores und röhrte wütend mit dem Motor. Lilian Friday hatte sich ebenfalls umgedreht und schluchzte trocken. Sie weinte sicher nicht wegen dieser relativ unwichtigen Sachbeschädigung, auch wenn die Windschutzscheibe sich aus dem Rahmen löste, über die Motorhaube rutschte und dann auf der schmalen Zufahrtstraße landete. Wahrscheinlich weinte sie auch nicht vor Angst, weil aus dem Wagen geschossen wurde. Man konnte es zwar nicht hören, aber man registrierte zumindest zwei Einschüsse im Blech des Wagens. Lady Agatha ließ den Wagen erneut vorspringen, kappte damit die beiden zähen Stahldrähte und rauschte über den Damm zurück zum Festland. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie hinter einigen Reklametafeln Deckung fand. Parker hatte für einen Moment noch mal Gelegenheit, einen Blick zurückzuwerfen. Neben der festgekeilten und zerbeulten Limousine standen zwei in Grau gekleidete Männer, die keineswegs einen friedlichen Eindruck machten. * »Mylady ist sicher, Miß Friday, daß Sie eine Erklärung abzugeben haben«, schickte Parker voraus. »Ihr Verhalten ist schließlich nur als recht ungewöhnlich zu bezeichnen.« Sie weinte oder schluchzte nicht mehr, sondern schien sich innerlich völlig verkrampft zu haben. Sie saß stocksteif im Fond des Wagens und starrte nach vorn auf die Straße. Nachdem Mylady das Festland erreicht hatte, lenkte sie den Wagen auf einen der nahen, riesigen Parkplätze, wo einzelnes Auto unmöglich ausgemacht werden konnte. »Bringen Sie mich schon endlich zur Polizei«, sagte Lilian Friday und senkte den Kopf, »ich sage Ihnen gleich, ich hätte bestimmt geschossen, wenn Sie mich nicht hereingelegt hätten, Mylady.« »Sie sind doch nicht etwa Mitglied der Mafia, Kindchen?« fragte die Detektivin, als sie einen freien Platz gefunden hatte. »Sehe ich nach Mafia aus?« Lilian Friday schüttelte den Kopf. »Nein, nein, damit habe ich nichts zu tun.« »Kann Mylady davon ausgehen, daß Mitglieder der Unterwelt 40
Sie gezwungen haben, diese Rolle zu spielen, die Ihnen mit Sicherheit nicht liegt, Miß Friday?« erkundigte sich Parker. »Es geht um Peter…«, sagte sie und holte tief Luft, »es geht um Peter Cockson.« »Mit dem Sie – sagen wir – liiert sind, Miß Friday?« »Wir wollen irgendwann heiraten«, erklärte sie und nickte, »ich bin heute von ihm angerufen worden… Er hat mich beschworen, zu Ihnen ins Hotel zu gehen und Sie unbedingt nach Long Island zu bringen in sein Ferienhaus.« »Gab es Ihrer Meinung nach einen Grund für diese Bitte?« »Er sagte, man würde ihn umbringen, wenn ich es nicht tun würde.« »Sie wußten demnach, daß das Ferienhaus besetzt war?« »Ich… ahnte es. Und es war mir völlig gleich, was aus Ihnen würde… Völlig gleichgültig! Ich will nicht, daß man Peter umbringt! Und sie werden es jetzt tun, ich weiß es!« »Ist Ihnen bekannt, wo man Mr. Peter Cockson festhält?« »Natürlich nicht, aber Sie hätten seine Stimme hören sollen. Sie war heiser vor Angst… Wahrscheinlich haben sie ihn auch gequält oder so…« »Darf man erfahren, von wem Sie jetzt reden, Miß Friday?« »Ich werde Ihnen und diesem Mr. Cockson helfen«, versprach die ältere Dame mit größter Selbstverständlichkeit, »Mr. Parker wird dazu schon einiges einfallen.« »Hätte er sich doch nie mit diesen Leuten eingelassen«, meinte Lilian Friday. Ihre Hände verkrampften sich, die Augen zeigten wieder Tränen. »Könnten Sie diese Bemerkung ein wenig präzisieren?« schlug der Butler vor. »Wäre es denkbar, daß Mr. Cockson für gewisse Vertreter der Unterwelt Warentermingeschäfte übernommen hat?« »Peter hat ganz normal an der Börse spekuliert und dabei zugesetzt«, erwiderte die Blondine, die sich nun wieder sichtlich zusammenriß, »Peter hat da einige Verluste hinnehmen müssen.« »Könnte man unterstellen, daß er diese Verluste mit Geldern auszugleichen gedachte, die aus den Einzahlungen für Warentermingeschäfte stammten?« fragte Parker höflich. »Er mußte«, erwiderte sie, »er konnte gar nicht anderes, sonst hätte man ihn umgebracht.« »Das müssen Sie mir etwas genauer erklären, Kindchen«, fuhr 41
die Detektivin dazwischen. »Wer hätte ihn denn umbringen können?« »Die Leute, deren Geld er an der Börse verloren hatte…« »Es wäre von Interesse zu erfahren, wer diese Leute sind, Miß Friday«, sagte der Butler. »Eine Gruppe von Nachtclubbesitzern, Mr. Parker. Peter, ich meine natürlich Mr. Cockson, hatte ihnen einfach zuviel versprochen. Dann kam es zu den Kursverlusten, und Peter mußte die Gelder aus den Warentermingeschäften nehmen, um die Clubbesitzer zu entschädigen.« »Zu den jeweiligen Einlagen mußte Mr. Cockson wahrscheinlich noch die zugesagten Kursgewinne zahlen, nicht wahr?« Parker durchschaute längst die Manipulationen dieses Maklers. Er hatte ein Loch mit dem anderen gestopft, wie es im Volksmund so treffend ausgedrückt wurde. »Das verlangten die Klienten von ihm. Dann kamen diese vier Männer aus London. Sie wollten Einsicht in die Bücher nehmen, und Peter verlor den Kopf.« »Da diese Gelder wahrscheinlich gar nicht angelegt worden waren, Miß Friday?« fragte Parker weiter. »Es kam plötzlich alles zusammen.« Sie nickte und schwieg einen Moment. Dann gab sie sich einen Ruck und berichtete weiter. »Zuerst diese Nachtclubbesitzer, dann die vier Besucher aus England…« »Die hoffentlich noch leben, Miß Friday«, sagte Lady Agatha streng. »Darüber weiß ich überhaupt nichts.« Sie hob hilflos die Schultern, »ich habe nur mitbekommen, daß Peter, ich meine Mr. Cockson, daß er sich also an diese Nachtclubbesitzer gewendet hat. Danach löste Peter sofort seine Firma auf, das heißt, er verschwand und hat noch nicht mal mir etwas gesagt.« »Kommen wir zu dieser Gruppe von Nachtclubbesitzern«, meinte Josuah Parker, »Mylady möchte jetzt selbstverständlich Namen und Adressen in Erfahrung bringen.« »Das werden doch diese Subjekte sein, die Sie gezwungen haben, Kindchen, mich in dieses Ferienhaus zu locken, nicht wahr?« fragte sie sofort. »Ich kenne nur einen von ihnen, Mylady. Er heißt Lou Garnett und hat auf Coney Island ein paar Bierbars und StripteaseLokale.« 42
»Das ist doch schon etwas«, freute sich die ältere Dame. »Und dieser Lou Garnett hält Ihren Mr. Cockson fest?« »Das könnte ich mir durchaus vorstellen.« Lilian Friday nickte. »War es wirklich Mr. Cockson, Miß Friday, der Sie am Telefon beschwor, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit ins Ferienhaus zu locken?« wollte Parker abschließend wissen. »Könnten Sie sich vielleicht nicht geirrt haben?« »Es war Peter Cockson«, antwortete sie nachdrücklich. »Und ich glaube, er befand sich in Todesangst… Mit diesen Nachtclubbesitzern ist nicht zu spaßen.« »Mit einer Lady Simpson ebenfalls nicht«, stellte die Detektivin grollend fest, »Mr. Parker, Sie wissen hoffentlich, was Sie zu tun haben.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete Parker, »wenn ich anregen darf, so sollte man dem Ferienhaus jetzt einen zweiten Besuch abstatten. Das Tor dürfte inzwischen wohl geräumt worden sein.« * Das Tor stand weit offen. Man hatte den schwarzen Wagen aus den Maschen befreit und auf den Rasen geschoben. Die Limousine machte einen beklagenswerten Eindruck, das Tor allerdings nicht weniger. Es war eigentlich nur noch Schrott, der in völlig verbogenen Eisenrohren hing. Diesmal hatte Josuah Parker das Steuer des Leihwagens übernommen. Lady Agatha saß im Fond neben Lilian Friday, um die Blondine zu beschützen, wie sie behauptete. In Wirklichkeit wollte sie die Sekretärin des Maklers unter Kontrolle haben. Es stand ja keineswegs fest, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Parker war ein exzellenter Fahrer. Das Auto glitt schnell und wie auf Katzenpfoten über den Asphalt der Zufahrtstraße und jagte dann auf das Ferienhaus zu. Vor Antritt der Fahrt hatte Parker sich einen Plan zurechtgelegt, in dem der Moment der Überraschung eine entscheidende Rolle spielte. Parker ging davon aus, daß wenigstens die beiden Insassen der Limousine in den Ferienbungalow zurück gegangen waren. Die Topographie des Geländes kam seinem Plan entgegen. 43
Josuah Parker kurvte rechts um das Haus herum, vermied so die Vorderseite, ließ den Wagen über den Rasen rollen und sah sich nach einem bewußt gesteuerten Schlenker der Terrasse gegenüber. Es gab nur zwei flache Stufen, die vom Garten zu der mit Platten bedeckten Terrasse führten. Diese Stufen waren erfreulicherweise auch noch mit Treibsand bedeckt. Parker gab Vollgas. »Sehr gut«, hörte er die Stimme seiner Herrin hinter sich. Sie durchschaute sofort die Absicht des Butlers, hatte aber keineswegs etwas gegen diese Art eines Hausbesuches, Lilian Friday hingegen kickste ängstlich auf, um sich dann schleunigst vom Sitz rutschen zu lassen. Parker wählte nicht die Terrassentüren. Er wußte nicht, wie stark die Führungen der Jalousien waren. Er setzte auf die landesübliche Leichtbauweise, wie sie in den USA üblich war, was Bungalows dieser Art betraf. Der schwere Leihwagen hüpfte über die niedrigen Stufen und donnerte dann wie ein Supergeschoß gegen die Längswand des einstöckigen Hauses. Parker hatte sich vor dem Zusammentreffen des Kühlers mit der Hauswand in seitliche Querlage gebracht, um nicht verletzt zu werden. Ihm war im vorhinein klar gewesen, daß es Kleinholz gab. Er sah sich darin nicht getäuscht. Die Stoßstange ließ die Bretter durch die Luft wirbeln. Der Kühler samt Motor riß ein riesiges Loch in die Längswand und brachte zwei Pfosten in die Horizontale. Das Dach knickte leicht ab und senkte sich. Der Wagen aber hatte die Längswand inzwischen längst weggefetzt, überrollte bereits im Wohnraum eine Couchgarnitur mittlerer Qualität und lädierte einen gemauerten Kamin. Schließlich parkte der Mietwagen vor einem Durchgang, der in die Küche führte. Parker stieg aus, vergewisserte sich, daß seine schwarze Melone korrekt auf dem Kopf saß, und öffnete die hintere Wagentür. Lady Agatha nickte dankend und stieg aus. Ihre Augen funkelten unternehmungslustig. Sie hüstelte nur wenig, was aber ausschließlich mit dem Mörtelstaub zusammenhing, der den Wohnraum füllte. »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich vorausgehen.« Parker wartete diese Erlaubnis aus Zeitgründen allerdings nicht ab, son44
dern setzte sich in Bewegung und suchte nach den beiden Limousinenfahrern. Sie standen unter einem Schock. Einer von ihnen saß in einem tiefen Sessel, hatte die Beine angezogen und starrte den Butler wie ein verängstigtes Kind aus großen Augen an. »Man wird sich gleich um Ihr Wohlergehen kümmern.« Parker deutete auf Lady Agatha, die sich ihren Weg durch Staub und Trümmer bahnte. Der Butler widmete sich dem zweiten Mann. Er saß auf einer Art Anrichte und hatte die Beine angezogen. Mit verschränkten Armen schützte er sein Gesicht. »Ich erlaube mir, einen besonders guten Tag zu wünschen«, sagte Josuah Parker und tippte den Mann mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms an. Der Mann stieß einen gellenden Schrei aus und machte sich noch kleiner. Er war im Augenblick nicht ansprechbar, wie Parker erkannte. Das überraschende Erscheinen eines Wagens im Wohnraum war für ihn eine Novität, die er seelisch erst noch verarbeiten mußte. * Parker war erleichtert. Er hatte gerade einen Rundgang durch das einstöckige Haus hinter sich und selbst in den beiden niedrigen Kellerträumen keine Spur der Touristen aus London entdeckt. Die Möglichkeit also, daß sie noch lebten, bestand durchaus. Er kehrte in den Wohnraum zurück, der seine Konturen natürlich verloren hatte. Als der Staub sich verzog, war deutlich zu sehen, wie der Wagen gewirkt hatte. Der gesamte Bungalow war aus den Fugen geraten und nur noch eine windschiefe Gartenlaube. Durch das Loch in der Längswand hätte ein Lastwagen fahren können. »Nun reißen Sie sich mal zusammen«, raunzte die ältere Dame die beiden Limousinenfahrer an. Sie mochten dreißig sein, waren von durchschnittlicher Größe und schlank. Eine Handschelle aus Parkers Privatbesitz schloß sie aneinander. Die beiden Männer saßen auf den Resten einer Fensterbank, die sich in die Nähe des gemauerten Kamins zurückgeschoben hatte. 45
Lilian Friday stand schräg hinter der Detektivin und hielt eine Latte in Händen. Als sie Parker sah, wußte sie mit diesem Holzstück nichts mehr anzufangen und legte es vorsichtig zu den übrigen Trümmern. Es war nicht klar erkennbar, wozu Miß Friday diese Latte an sich genommen hatte. »Das Badezimmer ist noch in akzeptablem Zustand, Miß Friday«, sagte Parker, »Sie könnten sich dort ein wenig erfrischen.« »Und was ist mit der Küche?« fragte sie. »Möglicherweise läßt auch die Kaffeemaschine eine Inbetriebnahme zu«, mutmaßte Parker. »Dann werde ich mich um einen starken Kaffee bemühen.« Lilian Friday verließ das Chaos, das vor wenigen Minuten noch ein heiles Großraumzimmer gewesen war. Parker näherte sich seiner Herrin, die die beiden Limousinefahrer grimmig musterte. »Ich bringe gute Nachrichten, Mylady«, sagte Parker, »die vier Herren aus London wurden zumindest in diesem Haus nicht festgehalten.« »Und ich werde gleich wissen, wo sie sind, Mr. Parker.« Sie deutete auf die beiden Männer. »Diese Subjekte müssen es ja schließlich wissen, nicht wahr?« »Die Herren müßten zumindest nützliche Hinweise in dieser Hinsicht geben können, Mylady.« »Sie weigern sich, auch nur ein einziges Wort zu sagen.« »Man sollte vielleicht noch einen Schock unterstellen, Mylady.« »Den tatsächlichen Schock werden sie gleich erleben«, drohte die Resolute, »ich habe nämlich große Lust, sie zu ohrfeigen…« »Dies könnte einen Schock durchaus lösen, Mylady.« »Dann würden Sie eine Ohrfeige als eine Art Medizin betrachten?« »Durchaus und in der Tat, Mylady!« »Man soll mir nämlich später nicht nachsagen, ich hätte den dritten Grad angewendet, Mr. Parker.« »Diesen Vorwurf wird man mit Sicherheit nicht erheben können, Mylady.« Parker wandte sich ab, denn er wollte nachsehen, was Lilian Friday tat, die inzwischen in der Küche war. Als Parker den schmalen Durchgang erreicht hatte, hörte er hinter sich zwei kleinere Explosionen, die unmittelbar darauf in ersticktes Gurgeln übergingen. Das mußten die beiden angekündigten Ohrfeigen gewesen sein… 46
Parker erreichte die Falttür, hinter der die kleine Küche lag. Er hatte sich nicht getäuscht. Lilian Friday nutzte die Gelegenheit, ein Telefongespräch zu führen. Sie redete leise, dennoch waren ihre Worte recht gut zu verstehen. »… sind raffiniert, Peter«, sagte sie gerade eindringlich, »nein, nein, rühr’ dich nicht ‘raus… Ich werde sie zu Garnett bringen. Natürlich, kein Problem… Rühr’ dich nur nicht, Peter! Nein, ich werde bestimmt nicht kommen… Ende! Ich muß wieder zurück.« Parker befand sich längst wieder neben dem lädierten Kamin, als Lilian Friday einen sichernden Blick in das Chaos warf, um dann in die kleine Küche zurück zu gehen. Josuah Parker begab sich nach draußen, um den Zustand des Ferienhauses abzuschätzen. Bevor es in sich zusammenfiel, wollte er Lady Simpson rechtzeitig informieren. Lilian Friday spielte also ein doppeltes Spiel! Sie stand mit dem Betrüger Peter Cockson in Verbindung, wußte, wo er sich versteckt hielt. Gleichzeitig aber wurde sie angeblich von der Gruppe der Nachtclubbesitzer unter Druck gesetzt, wie sie behauptet hatte. Von wem mochten die beiden Limousinenfahrer bezahlt worden sein, die hier im Ferienbungalow gewartet hatten? Parker war sicher, daß sie bald antworten wurden. Er kannte die Energie seiner Herrin, die recht handgreiflich werden konnte. * »Hatten wir hier einen Hurrican?« fragte Detektiv-Leutnant Gary Fielding beeindruckt und besichtigte die Trümmer des Ferienhauses. »Der Wagen muß meiner bescheidenen Wenigkeit aus der Kontrolle geraten sein, Sir«, meinte Josuah Parker entschuldigend, »bevor es zu einer Reaktion kam, stand er bereits vor dem Kamin.« »Und die beiden Typen da unter dem einem Schock, wie?« Fielding lächelte müde. »Ich muß schon sagen, Ihr Briten seid nicht ohne.« »Sind die beiden Herren amtlicherseits möglicherweise bekannt?« fragte Parker und zeigte auf die Männer, die mit ihrer schwarzen Limousine im Tor hängen geblieben waren. »Ich laß das gerade nachprüfen«, erwiderte Fielding. »Was hal47
ten Sie von der Friday? Ich trau’ dem blonden Gift nicht über den Weg.« »Handelt es sich tatsächlich um Mr. Cocksons Sekretärin?« wollte Parker wissen. »Doch, das ist abgeklärt.« Fielding nickte. »Ihre Papiere sind in Ordnung. Auch die Trümmer hier gehören Peter Cockson. Er kann die Bude jetzt auf den Müll werfen, Sie haben verdammt gründlich aufgeräumt, Mr. Parker.« »Mr. Cockson wird bestimmt versichert sein… Myladys Privatschatulle würde sonst für den Schaden aufkommen, wie ich unterstellen darf.« »‘ne wilde Geschichte, die Sie Ihnen und mir da erzählt hat«, erfaßte der Detektiv-Leutnant zusammen. »Sie will also erpreßt worden sein, und man hat sie nur unter Druck hierher gelotst.« »Dies waren in etwa die Worte der Miß Friday, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Sie hat’s getan, weil man ihren Freund Cockson sonst umbringen wird.« »Dies diente der zusätzlichen Erklärung, Sir«, bestätigte der Butler weiter. »Und sie will auch mit ihm gesprochen haben…« »In der Tat, Sir!« Parker überging erst mal die Tatsache, daß Lilian Friday heimlich mit Cockson gesprochen hatte, bevor die Polizei eingetroffen war. »Aber sie hat keine Ahnung, von wem ihr Chef und Freund wo festgehalten wird?« »Sollte sie möglicherweise Ihnen, Sir, einen Hinweis gegeben haben?« fragte Parker zurück, damit er um eine Antwort herumkam. »Nein, sie hat angeblich keinen Dunst, wo ihr Chef festgehalten werden könnte.« Fielding sah zu ihr hinüber. Sie stand neben Lady Simpson und schien auf deren spezielle Art ausgefragt zu werden. »Ich trau’ dem blonden Vamp nicht über den Weg«, wiederholte Detektiv-Leutnant Fielding, »sie muß doch mitbekommen haben, daß ihr Freund und Chef Cockson seine Klienten ausplünderte.« »Konnte dies inzwischen nachgewiesen werden, Sir?« fragte der Butler. »So gut wie… Seine Konten sind abgeräumt. Seine Klientenkartei ist verschwunden. In den nächsten Wochen und Monaten wer48
den die Anzeigen über’s Ohr gehauener Kunden eintrudeln und meine Kollegen vom Betrugsdezernat in Atem halten. Nein, sie muß davon gewußt haben, Parker… Sie steckt wahrscheinlich mit ihm unter einer Decke und wollte Sie hier abservieren lassen wie Ihre vier Landsleute, die einfach zu neugierig geworden waren.« »Spuren von ihnen konnten bisher nicht festgestellt werden?« »Sie sind wie vom Erdboden verschwunden, Parker. Inzwischen wurden sämtliche amtlichen und privaten Kliniken abgefragt. Auch in den Leichenschauhäusern nichts… Im Grund eigentlich ein gutes Zeichen, nicht wahr?« »Glauben Sie tatsächlich, Sir, daß die vier Herren noch unter den Lebenden weilen?« fragte Parker. »Wollen Sie die Wahrheit hören? Schön… Ich glaube, daß Cockson sie beseitigt hat. Sie waren ihm wohl zu nahe auf den Pelz gerückt und haben vielleicht mit einer Anzeige gedroht. Da hat er sie einfach kurzerhand abserviert.« »Sein Ruf war bisher das, was man als ehrenwert bezeichnet, Sir?« »In Maklerkreisen gilt Cockson als risikofreudiger und harter Spekulant, der in letzter Zeit allerdings ein paar harte Einbrüche hinnehmen mußte.« »Kann solch ein Mensch ohne weiteres vier Menschen umbringen, Sir?« »Eine gute und richtige Frage, Parker.« Gary Fielding sah direkt traurig aus. »Aber vielleicht stand Cockson das Wasser bis zum Hals. Zudem braucht er es ja auch nicht selbst getan zu haben… Hier in dieser verdammten Stadt kann man fast an jeder Straßenecke einen Killer mieten. Vielleicht hat Cockson es getan. Übrigens, Ihre vier Landsleute sind ohne Gepäck aus dem Hotel gegangen, in dem sie abgestiegen waren… Nein, nein, sie haben keine Hinweise oder Spuren hinterlassen.« Detektiv-Leutnant Fielding wurde zu einem der Streifenwagen gerufen. Er beugte sich in den Wagen und nahm eine Durchsage entgegen. Dann richtete er sich wieder auf und kam zu Parker zurück. Er deutete dabei auf die beiden Limousinenfahrer. »Zwei gesuchte Killer«, sagte er, »die Namen werden Ihnen nichts sagen, aber für mich hat die Festnahme sich schon gelohnt. Ich glaube, Sie können von Glück sagen, daß Sie diesen Profis entwischten.« »Möglicherweise sind auch die beiden Männer froh, sich von My49
lady verabschieden zu dürfen«, deutete Parker an, »gehören die beiden Männer irgendeiner festen Organisation an, Sir?« »Das sind sogenannte Freischaffende«, meinte Fielding müde, »und sie werden nie verraten, von wem sie angeheuert wurden. Da brauchen wir uns keine Hoffnung zu machen. Fahren Sie mit zurück in die Stadt?« »Mylady hat die Absicht, auf Long Island zu verweilen und das ausgeprägte Strandleben zu studieren«, erwiderte der Butler. »Strandleben?« Fielding schüttelte den Kopf. »Sie haben also ‘ne Spur ausfindig gemacht und wollen allein weitermachen, ja? Nee, antworten Sie erst gar nicht, dann brauchen Sie mir auch keine Lüge aufzutischen… Sie rechnen immer noch damit, daß die Gangster Cassetti und Landron ungewollt für Sie arbeiten, wie? Mann, was sind Sie doch für ein Selbstmörder und Optimist zugleich!« »Mylady gedenkt, hier auf Long Island einen Bungalow zu mieten.« Parker ging auf Fieldings Feststellung nicht ein. »So nach dem Motto: Lasset die Killer zu mir kommen… wie?« Fielding wirkte sehr bekümmert und winkte ab. »Es ist Ihr Leben, Parker. Und auch das der Lady! Sie werden mir natürlich nicht sagen, wieso ein Norman Landron für Sie arbeitet, wie?« »Aus Geldgier, Sir, wenn ich diese Vermutung äußern darf.« Parker weihte den Polizeidetektiv nicht ein. »Mylady hat eine Belohnung ausgesetzt, die man nur als fürstlich bezeichnen kann.« »Sagen Sie mir bei Gelegenheit, wo Sie sich eingemietet haben, Parker. Und denken Sie immer daran, daß unsere Gangster hier aus anderem Holz geschnitzt sind als die drüben in England!« »Ein Hinweis, Sir, den man beherzigen sollte.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Die Richtigkeit Ihrer Feststellung konnte bereits hier an Ort und Stelle nachgeprüft werden.« »Ich glaube, Sie sind ein durchtriebener Fuchs, Parker«, sagte der Detektiv-Leutnant und mühte sich mit einem schwachen Lächeln ab, »ich glaube auch, daß man von Ihnen noch lernen kann.« »Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Menschen, Sir«, gab Parker in seiner typisch bescheidenen Art zurück. * 50
Bei Seaford, oberhalb der Oyster Bay, fand Josuah Parker den Bungalow, den er sich insgeheim vorgestellt hatte. Bis zum Strand war es nicht besonders weit, das Haus bestand aus solidem Bruchstein und verfügte auch über drei Kellerräume. Dieses Haus, von einem örtlichen Immobilienmakler schnell vermittelt, da der Mietpreis recht hoch war, lag inmitten eines kleinen Gartens, der allerdings reichlich verwildert war, wogegen Parker aber keine Einwände erhob. Er war sicher, daß das Gestrüpp mögliche Besucher ermunterte, sich an das Haus heranzupirschen. Lilian Friday war von Leutnant Fielding zu einem ausgiebigen Gespräch mitgenommen worden. Die beiden Limousinengangster befanden sich längst hinter Schloß und Riegel. Lady Agatha schritt durch den gemieteten Bungalow und hielt einen Silberbecher in der rechten Hand. Aus einer stets mitgeführten Taschenflasche hatte Josuah Parker ihr einen Kreislaufbeschleuniger serviert. Die ältere Dame machte einen durchaus zufriedenen Eindruck. »Wie schätze ich die Situation ein, Mr. Parker?« erkundigte sie sich. »Ist dieser Cockson nun tatsächlich entführt worden, oder hat Lilian Friday mich nach Strich und Faden belogen?« »Sie dürfte Mylady eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit angeboten haben.« »Das denke ich allerdings auch.« Die Detektivin nickte bestätigend. »Und was ist mit diesen Nachtclubbesitzern? Wie war der Name des Burschen noch, der drüben auf Coney Island seine Clubs hat?« »Miß Friday nannte ihn Lou Garnett, Mylady.« »Sie hofft natürlich, daß ich umgehend in einem dieser Clubs erschiene, nicht wahr?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Dort wird man zu Myladys Empfang bereits alle Vorbereitungen getroffen haben.« »Demnach werde ich also nicht erscheinen?« »Man sollte die Herren hierher bitten, wenn ich es so ausdrücken darf. Sie werden durch Miß Friday erfahren, wo Mylady jetzt zu wohnen geruhen.« »Sie hat sich ja wirklich ordentlich ins Zeug gelegt, mir einen Makler zu besorgen, Mr. Parker.« Lady Agatha lächelte. »Und dieser Mann wird keine Bedenken haben, ihr meine neue Adresse zu 51
nennen.« »Mit einem nächtlichen Besuch sollte man durchaus rechnen, Mylady.« »Auf der anderen Seite lege ich nicht gern die Hände in den Schoß, Mr. Parker.« »Mylady sollten davon ausgehen, daß Leutnant Fielding Miß Friday ununterbrochen überwachen lassen wird«, versicherte der Butler. »Leutnant Fieldings Vertrauen ihr gegenüber kann man nur als gering bezeichnen. Er geht davon aus, daß Miß Friday sehr wohl weiß, welche Rolle der verschwundene Mr. Cockson spielt.« »Offen gesprochen, Mr. Parker: Leben unsere vier Freunde noch?« Agatha Simpson blieb stehen und sah ihren Butler erwartungsvoll an. »Mylady sollten tunlichst keine großen Hoffnungen hegen«, entgegnete Parker, »darf ich daran erinnern, daß die Herren Sir Randolph, Clattner, Pannerson und Poldyke praktisch ohne Vorankündigung in New York erschienen, um hier Rechenschaft zu fordern. Sie dürften damit die Kreise des Mr. Cockson empfindlich gestört haben.« »Also, ich weigere mich, an einen vierfachen Mord zu glauben«, sagte die Lady, streng, »verschaffen Sie mir diesen Cockson, Mr. Parker, verschaffen Sie ihn mir möglichst schnell!« »Mylady können davon ausgehen, daß man sich bemühen wird«, versprach Josuah Parker, »die kommenden Besucher werden bereits Teilantworten liefern, wenn ich es derart umschreiben darf.« »Und wie erfahren Cassetti und Norman Landron, daß ich hier Wohnung bezogen habe, Mr. Parker?« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Mylady, habe ich der Hotelleitung erlaubt, die neue Adresse jedem Interessenten mitzuteilen. Das Gepäck dürfte übrigens bald hier erscheinen.« »Sehr nett, Mr. Parker. Und was esse ich zum Dinner?« »Auch die Anlieferung gewisser Grundnahrungsmittel wurde bereits in die Wege geleitet, Mylady.« »Achten Sie auf meine Diät, Mr. Parker«, schärfte sie ihrem Butler ein, »nur ein paar Kleinigkeiten, die den größten Hunger dämpfen. Drei kleine Gänge und eine Käseplatte müßten eigentlich völlig reichen.« Sie wollte ins Detail gehen, doch in diesem Moment erschien auf 52
der Zufahrt zum Bungalow ein Kastenwagen, der offensichtlich das Gepäck aus dem >Waldorf< brachte. Parker entschuldigte sich und verließ den großen Wohnraum, um diesen Wagen auf seine spezielle Art in Empfang zu nehmen. * Auf den beiden Türen stand diskret und fast kaum erkennbar der Name des weltbekannten Hotels. Das >Waldorf< hatte es nicht nötig, Reklame zu machen. Und die beiden Männer, die inzwischen dem Fahrerhaus entstiegen waren, entsprachen der diskreten Aufmachung. Sie trugen dunkelbraune Overalls, die schon fast wie Zivilanzüge aussahen, wenn ihr Sitz sich am Körper ein wenig besser gemacht hätte. Einer hatte einen zu großen, der andere einen zu engen Overall. »Das Gepäck«, sagte der Fahrer, der den engen Overall trug, »wo sollen wir es abstellen?« »In die Diele, bitte!« Parker deutete mit der ausgestreckten rechten Hand auf die geöffnete Haustür und… besprühte dann den Mann, der die Frage gestellt hatte. Er benutzte dazu die winzige Spraydose, die es jedoch in sich hatte, wie sich erneut zeigte. Der Mann, der den Spray voll nehmen mußte, schnappte nach Luft, verdrehte die Augen und taumelte gegen den Kastenaufbau des Wagens. Der zweite Mann im großen Overall, der bereits an der hinteren Ladetür stand, sah den Butler neugierig an. »Ihrem Begleiter scheint es nicht optimal zu gehen«, sagte Parker gemessen, »er kniet aus unerfindlichen Gründen nieder und leidet unter Atembeschwerden.« Der Mann im großen Overall geriet für einen Moment aus der Fassung, entschloß sich dann aber, nach seinem Mitfahrer zu sehen. Er ging um den Wagen herum und sah seinen Begleiter, der tatsächlich kniete und auf einen Anruf nicht reagierte. Er wandte sich zu Parker um und wurde das Opfer eines höflichen Grußes. Der Butler hatte seine schwarze Melone gezogen und konnte es nicht mehr vermeiden, daß die stahlgefütterte Wölbung seiner Kopfbedeckung sich auf die Stirn des Mannes legte. Daraufhin kniete auch dieser Mann nieder, doch er hatte keine 53
Schwierigkeiten mit dem Atem. Er war schlicht und einfach besinnungslos geworden und legte sich neben seinen Begleiter. Parker kümmerte sich nicht weiter um die beiden Overallträger, sondern schritt zurück zur zweigeteilten Ladetür und interessierte sich für die fingerbreiten Luftschlitze oben in den beiden Türhälften. Um jedes Risiko auszuschalten, opferte der Butler eine seiner PatentAmpullen. Er knickte sie ein, damit sich wenig später gewisse Dämpfe entwickeln konnten. Dann warf er die Ampulle zielsicher durch einen der Luftschlitze in das Innere des Kastenaufbaus. Es zeigte sich, daß sich im Wageninnern Wesen befanden, die husten konnten. Parker wartete noch einen Moment, bis dieses Husten intensiv geworden war, öffnete dann die Tür und nahm zwei Männer in Empfang, die geblümte, kurze Unterhosen und weiße Unterhemden trugen. »Habe ich es möglicherweise mit den Fahrern des Wagens zu tun?« erkundigte sich Parker und lüftete die schwarze Kopfbedeckung. Sie bestätigten ihm das hustend und waren dann nicht mehr ganz bei der Sache. Parker empfahl ihnen, sich im Garten ein wenig auszulüften und später die Augen unter der Dusche zu spülen. Sie nickten und »husteten« in den verwilderten Garten. Parker kümmerte sich um die beiden Männer, die unrechtmäßigerweise die braunen Overalls trugen. Sie waren noch immer nicht zu sich gekommen und merkten überhaupt nicht, daß sie entwaffnet wurden. Sei trugen moderne Schulterhalfter und kurzläufige 38er. Parker holte eine private Handschelle aus der Tasche seines schwarzen Zweireihers und koppelte die beiden falschen Fahrer zusammen. Anschließend begab er sich zu Lady Agatha, die wohlwollend und zufrieden in der Haustür stand. »Ich wußte es sofort«, sagte sie und deutete auf die beiden falschen Fahrer, »für so etwas hat man eben einen Blick.« »In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler, »die Dinge nehmen ihren vorhergesehenen Verlauf und erwarteten Erfolg, wenn ich so sagen darf… Man wird wohl bald in Erfahrung bringen können, von wem sie in Marsch gesetzt wurden.« »Natürlich von diesem Nachtclubbesitzer und von Cockson«, behauptete die ältere Dame, »man wollte mich ermorden, Mr. Parker. Sehen Sie sich die beiden Galgenvögel doch mal genau an!«
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* Sie waren inzwischen wieder zu sich gekommen, befanden sich im Wohnraum und hörten aufmerksam zu. Natürlich hatten sie erst mal jede Mitarbeit verweigert und nur verächtlich gelächelt, als Parker sich nach ihren Auftraggebern erkundigt hatte. Sie ärgerten sich zwar maßlos darüber, daß man sie hereingelegt hätte, aber dennoch hielten sie sich im Endeffekt für überlegen. Sie stammten schließlich aus New York, und diese beiden Engländer aus einem »kleinen Nest« namens London. Für sie war das die tiefste Provinz… Parker hatte die beiden richtigen Fahrer mitsamt dem Kastenwagen in die Stadt zurückgeschickt und ihnen ein Trostpflaster in Form eines hübschen Schecks überreicht. Er hatte ihnen zusätzlich empfohlen, diesen Zwischenfall nicht unbedingt an die große Glocke zu hängen. Die beiden Angestellten hatten sofort begriffen und erklärt, schweigen zu wollen. Parker war sicher, daß sie sich an diese Zusage hielten. Wer würde sich schon freiwillig den Zorn irgendwelcher Gangster zuziehen? »Sehen Sie sich etwas im Garten um, Mr. Parker«, schlug Lady Agatha vor, »ich werde mich mit diesen Subjekten allein und auf meine Art unterhalten.« »Man könnte vielleicht auch die Herren Cassetti oder Landron direkt anrufen, Mylady«, schlug Parker vor. Während er diese Anregung äußerte, beobachtete er die beiden falschen Fahrer. Sie zeigten keine Reaktion, die Namen Cassetti oder Landron beeindruckten sie nicht. »Sie sind von diesem Lou Garnett geschickt worden«, meinte Lady Agatha grimmig, »und Cockson mischt da ebenfalls mit… Aber ich werde es gleich ganz genau wissen.« »Mylady wollen doch nicht…« Parkers Stimme drückte diskretes Entsetzen aus. Die beiden falschen Fahrer wurden sofort aufmerksam. »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, erwiderte Agatha Simpson grimmig, »man wollte mich schließlich umbringen, Mr. Parker!« »Dem sollte man nicht widersprechen, Mylady, aber Mylady wissen doch, wie zeitraubend es stehts ist, Gruben auszuheben…« »Papperlapapp, Mr. Parker!« Sie winkte verärgert ab. »Gehen Sie endlich, damit ich ungeniert arbeiten kann!« »Mylady, man könnte die Schreie bis zur Grundstückseinfahrt 55
hören.« »Dann legen Sie diesen Mördern Knebel in den Mund, Mr. Parker.« Sie wandte sich um und verschwand in Richtung Küche. Kurz darauf hörte man deutlich, wie sie Schubladen geräuschvoll aufzog und mit Stahlwaren klapperte. »Was… Was hat das zu bedeuten?« fragte der Mann, der den zu engen Overall getragen hatte, der jetzt wieder den Körper des rechtmäßigen Besitzers zierte. »Myladys Absichten finden keineswegs meine Billigung«, erwiderte der Butler, »ich möchte Sie bitten, stets daran zu denken.« »Verdammt, was hat die Alte vor?« fragte der andere Mann. Seine Stimme klang belegt. »Mylady wird möglicherweise ein wenig tranchieren«, entgegnete Josuah Parker, »ich sehe mich außerstande, es zu verhindern…« »Was… Was heißt tranchieren?« fragte der erste Mann. Seine Stimme klang noch belegter. »Mylady nennt das das Herausschneiden der Wahrheit«, bluffte der Butler, »ich kann nur hoffen, daß Sie bald ohnmächtig werden…« »Die… Die will uns zerschneiden?« Der erste Gangster richtete sich steil auf. »Sie erlauben, daß ich Ihnen Knebel anlege«, bat Parker, »ich kann diese Schreie nicht mehr hören, meine Nerven sind einfach zu schwach geworden.« Er hatte sie über die Handschellen hinaus zusätzlich gefesselt, und sie konnten so gut wie keinen Widerstand leisten. Parker trennte eine Tischdecke auseinander und drehte die beiden Hälften zu je einem Knebel. »Das ist doch… Das ist doch Mord«, stöhnte der zweite Gangster, »die Alte ist verrückt, wie?« »Ich werde mir erlauben, später ein passendes Gebet zu sprechen«, beruhigte Parker die beiden Gangster, »möglicherweise werde ich auch ein paar Blumen pflanzen.« Lady Agatha erschien wieder im Wohnraum. Sie bot einen gespenstischen Anblick. In beiden Händen hielt sie ein Küchentablett, über das sie ein weißes Handtuch gelegt hatte. Auf diesem Handtuch lagen Schneidwaren aller Art. Sie reichten vom kleinen Kartoffelmesser bis zum Tranchierbesteck für eine Pute. 56
Die Gangster stöhnten. Noch waren sie nicht geknebelt. Ihre Augen traten fast aus den Höhlen. So etwas hatten sie während ihrer kriminellen Laufbahn noch nicht erlebt. »Soll ich mit Mundschutz arbeiten, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler. Sie setzte das Tablett ab und ordnete geschickt ihr >Operationsbesteck<. »Steriler wäre es schon, Mylady«, erwiderte Parker höflich, »wenngleich den beiden Herren eine mehr oder weniger starke Infektion kaum noch etwa ausmachen dürfte… Wenn Sie gestatten, werde ich einen Mundschutz improvisieren.« Er verließ den Wohnraum, und Lady Agatha befaßte sich weiter mit ihren Schneidwaren. Die Gesichter der beiden »Delinquenten« waren bereits schweißüberströmt. Sie stierten auf Lady Agatha, die für sie zu einem fleischgewordenen Alpdruck geworden war. Dann – sie hob gerade prüfend ein Messer – kamen die beiden Männer zum Thema und redeten ununterbrochen, doch Lady Agatha nahm das alles schon nicht mehr zur Kenntnis, wie es schien. Sie konzentrierte sich bereits auf das, was sie plante… * Es war dunkel geworden. Butler Parker hatte die Jalousien des Hauses geschlossen und befand sich draußen im verwilderten Garten. Er hatte seinen Universal-Regenschirm mitgenommen und wartete auf Besucher, die seiner Ansicht nach mit Sicherheit früher oder später erschienen. Parker hatte sich auf der Rückseite des gemieteten Ferienhauses postiert. Wenn die Besucher erschienen, würden sie natürlich versuchen, von der Rückseite ins Haus einzudringen. Parker bot dafür ein Fenster an, hinter dem der Baderaum lag. Hier war die Jalousie nur halb geschlossen. Die beiden Gangster befanden sich inzwischen in einem niedrigen Kellerraum und konnten nicht stören. Natürlich waren sie von Lady Agatha nicht operiert oder tranchiert worden. Sie hatte niemals diese Absicht gehabt. Es hatte sich aber wieder mal gezeigt, daß ihre >Operationsvorbereitungen< auf der ganzen Linie gewirkt hatten. Die Kerle hatten sich förmlich darum gerissen, Aussagen zu machen. Sie hatten das, was man ihnen geboten hatte, für bare Münze genommen. 57
Sie gehörten übrigens zu der Gang des Norman Landron, wie sie zugaben. Und Lady Agatha hatte wie selbstverständlich ihre ursprüngliche Behauptung auf den Kopf gestellt und den anfangs erwähnten Namen Lou Farnett nicht mehr genannt. Natürlich hatte sie von Beginn an auf den Gangster Norman Landron gesetzt. Parker hatte das alles mit bekannt stoischer Ruhe und Höflichkeit zur Kenntnis genommen. Er konnte sich gut vorstellen, warum Landron endlich aktiv würde. Da existierten schließlich noch die bewußten Fotos, die er, Parker, an den Docks von Landron aufgenommen hatte. Der Gangster der Oberliga, wie Leutnant Fielding es ausgedrückt hatte, mußte einfach um jeden Preis in den Besitz dieser Aufnahmen gelangen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, lächerlich gemacht zu werden. Laut Detektiv-Leutnant Fielding hatte Landron im Gegensatz zu Cassetti einen direkten Zugang zur allmächtigen Mafia. Diese Direktverbindung würde eine Veröffentlichung der bewußten Aufnahmen blockieren oder gar beenden. Zwei seiner Mitarbeiter hatte Landron vorgeschickt. Sie hatten den Kastenlieferwagen überfallen und die Fahrer außer Gefecht gesetzt. Durch die schlecht sitzenden Overalls aber hatten diese beiden Gangster sich verraten und saßen nun in einem der Keller des Ferienhauses. Nach Parkers Berechnung war bald mit einem Ersatz zu rechnen. Landron war einfach gezwungen, weitere Leute in Marsch zu setzen. Und sie würden selbstverständlich vorsichtiger, aber auch cleverer sein. Parker hatte keine der bisher erbeuteten Schußwaffen mit in den Garten genommen. Sie verursachten einmal zuviel Lärm, zum anderen böse Verletzungen. Darüber hinaus aber waren es schließlich Waffen, die den Standort des Schützen verrieten und den Gangstern vertraut waren. Butler Parker setzte nach wie vor auf das Ungewöhnliche. Man mußte die Schläger und Killer der Großstädte völlig überraschen und vor Rätsel stellen. Sie mußten mit Waffen konfrontiert werden, die sie nicht kannten und die darüber hinaus auch noch ein gewisses Entsetzen auslösten. Parker glaubte nicht, daß Landron mit seinem Besuch lange warten würde. Seine Leute hatten sich bisher nicht gemeldet, also mußte er weitere nachschicken. Landron selbst hielt sich mit einiger Gewißheit bestimmt in der Nähe auf, um so schnell wie möglich eingreifen zu können, sobald eine erste Erfolgsmeldung bei 58
ihm eintraf. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis Parker eine erste Gestalt ausmachte, die im Garten erschien. Sie huschte von einem Strauch zu einem kleinen Zierbaum. Dann folgten eine zweite und eine dritte Gestalt. Parker kontrollierte noch mal den richtigen Sitz der beiden Gummistränge der Gabelschleuder und entschied sich für hart gebrannte Tonmurmeln als Geschosse. Er holte sie aus einer der vielen Westentaschen. Seine Waffe war nichts anderes als ein Gabelschleuder, wie sie von Jungen immer wieder benutzt wurden. Er hatte dieses Grundmodell selbstverständlich nach seinen Vorstellungen modifiziert und wirksamer gemacht. In seinen Händen befand sich eine Präzisionswaffe von erstaunlicher Durchschlagskraft. * Der erste nächtliche Besucher wurde vom Badezimmerfenster magnetisch angezogen. Er ging wohl davon aus, dort bequem einsteigen zu können, lief in gebückter Haltung auf dieses Fenster zu und machte sich daran, die Scheibe zu zerschneiden, um dann den Verschluß zu öffnen. Die beiden anderen Männer hatten ihre Deckung verlassen und bauten sich hinter dem Spezialisten auf. Die drei nächtlichen Besucher fühlten sich erstaunlich sicher, was wohl mit der Musik zusammenhing, die im Innern des Hauses zu vernehmen war. Lady Agatha hatte das Fernsehgerät eingeschaltet und täuschte Ahnungslosigkeit vor. Tatsächlich aber stand sie ihrerseits bereit, ihren Pompadour einzusetzen. Sie wartete darauf, ihren sogenannten >Glücksbringer< wieder mal arbeiten zu lassen. Parker strammte die beiden starken Gummistränge, hatte in die Lederschlaufe bereits eine Tonmurmel gelegt und visierte den Mann an, der am weitesten hinten stand. Dann ließ Parker die Lederschlaufe los und katapultierte das Geschoß nach vorn. Nur ein feines Zischen war zu vernehmen. Das Geschoß entwickelte eine geradezu erstaunliche Anfangsgeschwindigkeit und sauste unbeirrt und zielsicher auf den Hinterkopf des Opfers. Es landete genau im Nacken des Mannes, der wie von einer unsichtbaren Handkante getroffen wurde und entsprechende Reaktion zeigte. Er taumelte vor, dann zog es ihm die Beine unter dem 59
Leib weg, und er klatschte rücklings ins Gras. Dies alles geschah derart schnell, daß die beiden anderen Männer nichts davon mitbekamen. Parker hatte bereits die zweite Tonmurmel auf die Reise geschickt. Sie traf nicht weniger genau. Der Mann schwankte und flog gegen die Wand des Bungalows, um an ihr hinabzurutschen. Er blieb regungslos zwischen einigen Rosenstöcken liegen. Der Mann, der sich bisher mit der Fensterscheibe befaßt hatte, stutzte in diesem Moment, schaute zur Seite und verstand die Welt nicht mehr. Seine Begleiter schienen aus seiner Sicht heraus eine Verschnaufpause eingelegt zu haben. Genau das konnte er nicht verstehen. Er rief ihnen etwas zu, erhielt verständlicherweise keine Antwort und wurde endlich mißtrauisch. Er bückte sich nach dem zweiten Mann und bot deshalb dem Butler ein prächtiges Ziel. Parker konnte einfach nicht widerstehen und setzte die dritte Tonmurmel genau auf die rechte Gesäßhälfte des Mannes, der damit fast einen unsichtbaren Fußtritt einsteckte. Es warf ihn nach vorn, und sein Kopf knallte gegen die Steinwand des Bungalows. Ein deutliches Knacken war zu vernehmen, dann ächzte der Mann und machte es sich ebenfalls zwischen Rosenstöcken bequem. Parker blieb in Deckung. Er hatte sich während der vergangenen Minute ausschließlich um die drei Männer gekümmert und wußte also nicht, wer inzwischen sonst noch erschienen war. Parker war ein geduldiger Mensch, der nie etwas überhastete. Er lauschte in den Garten, konnte jedoch keine verdächtige Geräusche ausmachen. Mehr als drei Männer schienen also nicht gekommen zu sein. Nun, sie würden so schnell bestimmt nicht aufstehen. Parker kannte die Wirkung der gebrannten Tonmurmeln, die beachtliche Beulen produzierten. Nach seiner Berechnung würden die Getroffenen wenigstens zehn Minuten ruhig bleiben. Der Butler verließ sein Versteck, doch er mied die Hauswand. Er bewegte sich mit der Geschicklichkeit und Lautlosigkeit eines Indianers durch den Garten, erreichte die Vorderseite des Hauses und hielt Ausschau nach dem Wagen, mit dem die Besucher gekommen sein mußten. Gab es noch einen Fahrer, der am Steuer saß und ungeduldig wartete? Da war der Wagen. Da war der Fahrer! 60
Josuah Parker entdeckte den Chrysler am Straßenrand, nicht weit von der Einfahrt zum Grundstück entfernt. Den Fahrer im dunklen Wagen machte er anhand eines kleinen glühenden Pünktchens aus. Eine brennende Zigarette. Der Mann hatte keine Ahnung, daß er bereits beobachtet wurde. In Anbetracht der lauen Sommernacht hatte er das Seitenfenster heruntergedreht. Parker benutzte noch mal seine Gabelschleuder, oder auch Zwille genannt, um den Fahrer in einen kurzen Tiefschlaf zu schicken. Est danach verließ er das Grundstück, überquerte die Straße und übernahm den Chrysler, den er dann vor das Haus steuerte. Wenig später konnte er Lady Simpson vom Gelingen des Unternehmens berichten. * »Das sind ja die drei Jogger aus dem Central-Park, Mr. Parker«, staunte die Detektivin, nachdem Parker die Männer von der Rückseite des Bungalows aus ins Haus geschafft hatte. Er hatte dazu einen Servierwagen benutzt. »In der Tat, Mylady«, bestätigte der Butler, »damit dürften auch die letzten Zweifel aus dem Weg geräumt sein. Es sind Mitglieder der Norman-Landron-Gang.« »Und wer ist dieser Fahrer? Auch sein Gesicht kommt mir bekannt vor, Mr. Parker.« »Einer der beiden Leibwächter, Mylady. Der zweite Leibwächter dürfte sich in der Nähe Mr. Landrons aufhalten.« »Und wo finde ich dieses Subjekt?« fragte sie animiert. »Falls meine bescheidene Vermutung mich nicht trügt, Mylady, wahrscheinlich in einem nicht gerade billigen Lokal in Seaford. Er dürfte dort auf Erfolgsnachrichten warten.« »Genau das, was ich längst vermutet habe.« Sie nickte und deutete auf die drei Jogger und den Leibwächter. »Schaffen Sie die Lümmel in den Keller, Mr. Parker! Leutnant Fielding soll sich später um sie kümmern…« Parker rollte den Servierwagen zur Kellertreppe und legte die vier nächtlichen Besucher erst mal ab. Dann zog er einen nach dem anderen hinunter in den zweiten Kellerraum und verschloß die schmale Tür aus Eisenblech sorgfältig, nicht ohne vorher noch eine kleine Ampulle zu zerdrücken und im Raum zurückzulassen. 61
Die sich danach entwickelnden Dämpfe sorgten dafür, daß die Bewohner des Kellers von einer glücklichen Gleichgültigkeit erfaßt wurden und mit Sicherheit kein Interesse daran hatten, gemeinsam etwa die Tür aufzubrechen. Parker kam gerade wieder in den Wohnraum zurück, als das Telefon sich meldete. »Landron, nicht wahr?« fragte Lady Agatha. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« »Ich sollte ihm sagen, welche Versager er mir ins Haus schicken wollte«, meinte sie ärgerlich, »eigentlich grenzt das schon an Beleidigung, Mr. Parker, finden Sie nicht auch?« »In der Tat, Mylady«, folgerte Parker, »aber Mylady wollen dies wahrscheinlich Mr. Landron direkt sagen, wie ich unterstellen darf.« »Selbstverständlich.« Sie nickte hoheitsvoll, »fahren wir, Mr. Parker… Ich hoffe, Sie. wissen, wo ich diesen sogenannten Gangster der Oberliga erreichen kann.« »Wenn Mylady gestatten, sollte man vorher noch DetektivLeutnant Fielding verständigen«, gab Parker zu bedenken, »er könnte mit einem Sammeltransportwagen hier erscheinen.« »Wie viele dieser Lümmel befinden sich inzwischen im Keller?« fragte sie wohlwollend und schadenfroh zugleich. »Es handelt sich um sechs Personen, Mylady, die beiden falschen Fahrer, dann die drei Jogger und schließlich um Mr. Landrons Leibwächter.« »Ich habe heute einen guten Tag«, stellte sie fest, »fahren wir, Mr. Parker, lassen wir diesen Spitzengangster nicht warten.« Sie benutzten den Chrysler. Parker verließ den Küstenstreifen und kurvte in die Schnellstraße, die nach Norden führte, um dann später in die Merrick Road abzubiegen. Groß war das kleine Städtchen wirklich nicht. Nachdem Parker die Mainstreet abgefahren hatte, steuerte er auf ein Restaurant zu, das einen teuren Eindruck machte. Die parkenden Wagen links und rechts vom Eingang zeigten eindeutig, daß die Gäste beim Kauf ihrer Autos nicht sparen mußten. »Mylady könnten Mr. Landron freundlicherweise ablenken«, sagte Parker, als er die Wagentür auf Lady Simpsons Seite öffnete und dazu natürlich höflich die schwarze Melone lüftete, »wenn es erlaubt ist, würde ich den Kücheneingang benutzen.« »Ich werde dieses Subjekt sehr herzlich begrüßen«, verhieß die 62
ältere Dame grimmig, »kommen Sie nur ja nicht zu früh, Mr. Parker. Ihre Höflichkeit wirkt manchmal recht störend.« Sie rauschte zum Eingang des Restaurants, dessen Fenster von innen zugehängt waren. Parker hingegen beeilte sich, auf die Rückseite zu gelangen. Ihm kam es darauf an, Mylady nicht zuviel Spielraum einzuräumen. Er kannte ihr Temperament. Parker fand die Tür zur Küche. Er lüftete höflich die schwarze Melone und schritt gemessen an den verdutzten Köchen vorüber, die an Herden standen und Speisen zubereiteten. Sie waren derart überrascht, daß sie nicht weniger höflich den Gruß erwiderten. Parker erreichte einen Vorraum, in dem die Speisenausgabe eingerichtet war, grüßte den Manager des Hauses und beobachtete Lady Agatha, die gerade Norman Landron entdeckt hatte. Der Gangster der Oberliga, wie Leutnant Fielder ihn bezeichnet hatte, saß in einer Nische und stand überrascht auf. Mit diesem plötzlichen Erscheinen der Lady Agatha hatte er auf keinen Fall gerechnet. Sein Begleiter erhob sich ebenfalls und machte eine Bewegung, die dem Butler mißfiel. * Eine Sekunde später zuckte der Begleiter zusammen und schaute ungläubig auf den bunt gefiederten Pfeil im rechten Oberarm. Er schien angewidert und traute sich nicht, nach dem stricknadellangen Blasrohrpfeil zu greifen. Er nahm wieder Platz und lehnte sich erschöpft zurück. Der Pfeil stammte aus Parkers Universal-Regenschirm. Der Schirmstock war hohl und diente als Blasrohr. Die Pfeile wurden durch komprimiertes Kohlensäuregas abgeschossen und auf Kurs gebracht. Parker war in der Lage, quasi aus der Hüfte heraus zu schießen. Die Spitzen waren mit einer Art Pfeilgift präpariert. Dieses Gift lähmte natürlich nur die Aktivitäten der Personen, die getroffen wurden. »Jetzt haben Sie bereits sechs, nein, schon sieben Personen auf mich gehetzt, Sie Flegel«, dröhnte Mylady inzwischen den völlig irritierten Gangsterboß an, »und Sie sitzen hier und essen Hummer… So habe ich mir einen Gangsterboß schon immer vorge63
stellt.« Norman Landron, im Umgang mit Amateurdetektiven dieser Provenienz überhaupt nicht erfahren, bekam einen dunkelroten Kopf. Der fast schlanke Mann mit dem seriösen weißen Haar, hob wütend-abwehrend den linken Arm. Lady Simpson mißverstand dies gründlich. Ob absichtlich oder nicht, wollte Josuah Parker nicht entscheiden. Norman Landron, der Gangster mit dem direkten Draht zur New Yorker Mafia, machte die Bekanntschaft mit Myladys >Glücksbringer<. Das nur oberflächlich in Schaumstoff gewickelte Hufeisen traf voll den linken Unterkiefer. Landron mußte den Pompadour voll nehmen, legte sich fast waagrecht in die Luft und dann auf den festlich gedeckten Tisch. Sein Kopf landete auf der Silberplatte, wo der Hummer lag. »Das fehlte noch, eine wehrlose Frau schlagen zu wollen«, erregte sich die ältere Dame, »muß man sich von diesen Gangstern denn alles gefallen lassen?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, antwortete Parker, der inzwischen die Nische erreicht hatte, »Mr. Landron schien in der Tat auf Mylady einen Angriff geplant zu haben…« Während Parker diese Feststellung traf, ließ er erst mal den bunt gefiederten Pfeil aus dem Oberarm des Leibwächters verschwinden. Dieser Pfeil kam in einen Köcher, der sich an der Längsrippe des Drahtgestells des Regenschirms befand. Parker schaffte das mit taschenspielerischer Geschicklichkeit. Im Restaurant, in dem tatsächlich nur Leute verkehrten, die exklusive Preise zahlen konnten, war eine leichte Unruhe entstanden. Männer und Frauen verließen ihre Tische und riefen nach dem Manager des Hauses. »Lady Simpson dankt den Herrschaften für ihr Taktgefühl«, rief Josuah Parker in die allgemeine Unruhe, »Mylady ist beeindruckt von der amerikanischen Nervenstärke. Als Myladys Butler darf ich Ihnen versichern, daß die beiden Herren hier in der Nische in wenigen Minuten von der zuständigen Polizei abgeholt werden.« Landron schielte. Er sah eine Schere des Hummers dicht vor seiner Nase, fuhr zusammen und wollte sich aufrichten, doch dazu reichten seine Kräfte nicht aus. Er ließ den Kopf wieder zurück auf die Silberplatte sinken. Der Leibwächter lächelte inzwischen geistesabwesend und hatte eindeutig vergessen, warum er hier saß. 64
»Haben Sie Cockson schon aufgespürt?« fragte Lady Simpson den Gangster der Oberliga. »Nichts«, brabbelte Landron. »Und welchen Erfolg hat Ihr Freund Cassetti, junger Mann?« bohrte die Detektivin weiter. »Nichts«, brabbelte Landron erneut. »Und wo sind die vier Besucher aus London?« Lady Simpson nutzte Landrons Verwirrung. »Nichts«, lautete die etwas gleichförmige Antwort. Dann ging ein Ruck durch Landrons Körper. Sein Kopf scheuerte über die Silberplatte und blieb ruhig liegen. Der Gangsterboß war ohnmächtig geworden. »Diese Leute haben einfach keine Kondition«, stellte Agatha Simpson fest, »Mr. Parker, ich brauche allerdings etwas für meinen geschwächten Kreislauf… Es muß hier doch einen passablen Kognak geben, möchte ich hoffen.« * »Nein, ich glaub’s einfach nicht«, sagte Detektiv-Leutnant Fielding und nahm einen Schluck aus dem Glas, das Parker ihm serviert hatte, »damit ist die Landron-Gang gestorben. Ich glaub’s einfach nicht!« »Dürften Sie nicht ein wenig zu optimistisch sein, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Werden geschickte Anwälte nicht gegen hohe Kautionen eine Freilassung erreichen?« »Natürlich werden sie das, Mr. Parker, aber das ist es doch nicht. Landron hat sich unsterblich blamiert! Sie müssen verstehen, was das für die hiesige Unterwelt bedeutet… Er ist mal von einer Dame vom Stuhl gehauen worden, und das in aller öffentlich… Und dann seine Kettenhunde! Alle fest in einem Keller und reingelegt von zwei Touristen aus London… Sie können sich bereits jetzt auf die Schlagzeilen von morgen freuen… Ich habe natürlich dafür gesorgt, daß diese Geschichte nicht unter irgendeinem Teppich verschwindet.« »Dieses Subjekt Norman Landron soll tatsächlich gefährlich gewesen sein?« wundert sich die ältere Dame. »Ein Hai, Mylady«, sagte Fielding, »aber einer, der mit diesem Brocken nicht fertig geworden ist. Entschuldigen Sie diesen Ver65
gleich, der natürlich nicht paßt.« Fielding sah keineswegs mehr aus wie ein alter, müder Wolf. Er lächelte glücklich wie ein sattes Kleinkind. Er befand sich im gemieteten Bungalow, während seine Mitarbeiter mit der >Gesamtbeute< bereits unterwegs war. »Wie könnte die Mafia auf diese Massenverhaftung reagieren, Sir?« wollte Josuah Parker wissen. »Die Mafia wird Landron wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, das liegt auf der Hand«, antwortete Fielding, »sie wird so tun, als habe sie diesen Norman Landron nie gekannt.« »Und was ist mit Cassetti?« hakte die Detektivin nach. »Er wird triumphieren, denke ich. Mit etwas Glück wird er jetzt Landrons Stelle einnehmen können. Unterschätzen Sie ihn nicht! Er ist schlau und gerissen… Aber da hätte ich noch eine Frage: Warum war Landron so verbissen hinter Ihnen her? Ich verstehe das nicht. Wieso waren Sie sicher, daß er für Sie eine Hand rühren würde, was diesen Makler Cockson betrifft?« »Wollen wir ihn in unser kleines Geheimnis einweihen, Mr. Parker?« Lady Agatha sah den Butler verschmitzt lächelnd an, und Parker berichtete dem Detektiv-Leutnant vom ersten Kontakt mit Landron in den Docks. Fielding hörte staunend und schweigend zu, dann schüttelte er wieder mal den Kopf. »Ihr Schutzengel muß vor Schwerstarbeit fast zusammengebrochen sein«, sagte er schließlich, »normalerweise erledigen die Gangster solche Fotogeschichten mit gezielten Schüssen aus dem Hinterhalt und setzen die Reporter unter Druck, die dann etwa auftauchende Fotos veröffentlichen wollen.« »Man respektiert eben eine Lady Simpson«, erwiderte die ältere Dame. »Wahrscheinlich wollte die Mafia keine Schlagzeilen«, vermutete der Detektiv-Leutnant, »Sie sind schließlich eine sehr bekannte Dame der internationalen Gesellschaft.« »Die vier Landsleute sucht, mein lieber Fielding«, antwortete Lady Agatha, »Sie und Ihre Leute haben immer noch keine Spur gefunden?« »Wir haben Cocksons privates Leben durchleuchtet, Mylady«, entgegnete Fielding, »es stimmt, daß er mit Lilian Friday mehr als nur befreundet ist… Wir sind augenblicklich dabei, diese Friday zu röntgen und zu beschatten. Wir strampeln uns wirklich ab, aber Ihre vier Landsleute sind 66
einfach wie vom Erdboden verschwunden. Wie auch Cockson…« »Welche Geldbeträge sind mit Mr. Cockson verschwunden, Sir?« fragte Butler Parker. »Konnten Ihre Herren Experten dies inzwischen kundig machen?« »Wir gehen von einem Betrug aus, der um die zwei Millionen Dollar hoch sein dürfte«, antwortete Fielding, »das ist die Summe, die er von seinen Konten abgezogen hat, die natürlich auf verschiedenen Banken eingerichtet waren.« »Handelt es sich um Barabhebungen, Sir?« »Das ist richtig. Die Beträge waren jedesmal happig, machten die Bankleute aber nicht sonderlich stutzig. Peter Cockson arbeitete ja seit Jahren mit hohen Beträgen. Wie schon gesagt, er gilt als risikofreudiger Banker, aber kriminell ist er nicht.« »Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie eine Fahndung nach Mr. Cockson ausgeschrieben haben?« »Das ist längst geschehen, Mr. Parker, aber nun möchte ich mal eine Frage stellen.« »Die sich wahrscheinlich auf die vier Herren aus London bezieht, Sir.« Parker nickte andeutungsweise. »Richtig, Mr. Parker. Könnte es nicht sein, daß diese vier, sagen wir mal, Touristen, Cockson entführt haben und sich das Geld zurückholen, das er veruntreut zu haben scheint. Haben Sie schon mal an diese Möglichkeit gedacht?« »Trauen wir das Sir Randolph und seinem Butler Hubert zu, Mr. Parker?« fragte Lady Simpson. Sie machte einen leicht erstauntnachdenklichen Eindruck. »Man sollte in der Tat in London anrufen, Mylady«, antwortete Parker, »möglicherweise sind die vier Herren längst wieder zu Hause.« * »Er hat kein Wort von diesem, wie heißt er noch, gesagt«, meinte Lady Agatha, nachdem Leutnant Fielding gegangen war. »Mylady denken an Mr. Lou Garnett?« erkundigte sich der Butler. »Richtig, diesen Nachtclubbesitzer, der doch angeblich den Börsenmakler festhält«, bestätigte die Detektivin, »unser kleiner Vamp scheint den Mund gehalten zu haben.« 67
»Darüber hinaus dürfte Miß Friday sich bald wieder melden, Mylady«, prophezeite der Butler, »spätestens jedoch morgen, sobald man weiß, daß die Landron-Gang nicht mehr existiert.« »Weil dieser Lou Garnett dann genau weiß, wie energisch ich bin, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady«, meinte der Butler, »aber man sollte auch Mr. Cassetti nicht vergessen.« »Warum sollte dieser Gemüsehändler noch frech werden, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha. »Er braucht doch Landron nicht mehr zu fürchten und kann nun auf eigene Faust nach Cockson suchen.« »Mylady stellen für jeden Gangster eine potentielle Gefahr dar«, antwortete Parker gemessen. »Das ist allerdings richtig, Mr. Parker.« Sie nickte und sah ihn wohlwollend an. »Eigentlich schade, daß unsere vier Freunde nicht in London sind.« »Sie sind es eindeutig nicht, Mylady«, bedauerte Parker, »die diversen Anrufe erweisen sich ja bekanntlich als negativ. Die Leute müssen sich noch hier in der Stadt befinden.« »Und der Weg zu ihnen führt über diesen Nachtclubbesitzer Lou Garnett, Mr. Parker. Die Nacht ist noch lang. Warum fahren wir nicht nach Coney Island? Dort wird man die Bars ja nicht kurz nach Mitternacht schließen, nicht wahr?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« Parker war mit dem Vorschlag mehr als einverstanden. »Man sollte das Grundstück hier allerdings recht vorsichtig und unauffällig verlassen.« »Sie rechnen damit, daß ich überwacht werde?« Ihr gefiel dieser Gedanke und sie strahlte erfreut. »Sowohl von den Gangstern, Mylady, als auch von den Mitarbeitern des Leutnant Fielding«, entgegnete der Butler. »Dann sorgen Sie dafür, daß man mich unbehelligt läßt«, verlangte sie und erhob sich. »Ich möchte in meinen Ermittlungen nicht gestört werden.« Bevor Parker etwas in dieser Hinsicht unternehmen konnte, meldete sich das Telefon. Parker hob ab und nannte seinen Namen. »Ihr Anruf, Mr. Cassetti kommt überraschend«, sagte er dann laut, damit seine Herrin informiert war, »möchten Sie eine übliche Drohung oder Warnung aussprechen?« »Weil Sie Landron aufs Kreuz gelegt haben?« Cassetti lachte 68
ungeniert. »Sie wurden bereits entsprechend informiert?« »Sowas spricht sich blitzschnell herum, Parker. Nein, Landron interessiert nicht mehr, der ist abgeschrieben… Ich rufe wegen Cockson an… Und wegen dieser vier Typen aus London.« »Sie erregen meine bescheidene Neugier, wie ich offen bekennen möchte, Mr. Cassetti.« »Ich weiß inzwischen, wie stinkreich Ihre alte Lady ist, Parker. Was läßt sie denn springen, falls ich da mit ‘nem brandheißen Tip dienen könnte?« »Würden Sie mir Ihre Vorstellungen mitteilen, Mr. Cassetti?« »Wenn Sie sich beeilen, können Sie die vier Typen vielleicht noch erwischen, bevor sie abkratzen!« »Sie sind sicher, daß die vier Herren noch leben?« »Im Moment leben sie wirklich noch, aber das kann sich verdammt schnell ändern.« »Wie lauten Ihre Forderungen, Mr. Cassetti?« »Die Lady ist Multimillionärin. Sagen wir, sie zahlt mir für jeden Typ rund hunderttausend Dollar.« »Demnach also insgesamt vierhunderttausend Dollar, Mr. Cassetti.« »Plus hunderttausend für das Risiko, das ich eingehe. Mit diesen Betonmixern ist nicht zu spaßen.« »Eine halbe Million, also. Was, bitte, soll und kann man sich unter den gerade erwähnten Betonmixern vorstellen?« »Vergessen Sie’s, Parker…« Cassetti tat so, als habe er bereits zuviel gesagt, doch seine Absicht war leicht zu durchschauen. Ihm kam es sogar darauf an, daß man sich diesen Begriff unbedingt einprägte. »Ich will das Geld morgen mittag sehen. Ich lasse wieder von mir hören. Falls Ihre komische Lady nicht blecht, vergesse ich, wo Ihre Landsleute sind, haben wir uns verstanden?« »Sie hätten sich kaum deutlicher ausdrücken können, Mr. Cassetti. Ich glaube bereits schon jetzt sagen zu können, daß Mylady die verlangte Summe zahlen wird… Darf ich in diesem Zusammenhang nach Mr. Peter Cockson fragen? Konnten Sie den gesuchten Börsenmakler inzwischen aufspüren?« »Er hält die vier Typen aus London fest… Aber er will sie sich möglichst schnell vom Hals schaffen. Er wartet nur auf ‘ne günstige Gelegenheit, sie spurlos verschwinden zu lassen.« 69
»Sind Sie in der Lage, Mr. Cassetti, einen vierfachen Mord bis morgen zu verhindern?« »Für ‘ne Million tut man schon ‘ne ganze Menge«, antwortete Toni Cassetti, »aber unternehmen Sie nichts auf eigene Faust, sonst garantiere ich für nichts.« »Man wird Ihre Warnung auf keinen Fall in den sprichwörtlichen Wind schlagen, Mr. Cassetti«, antwortete der Butler gemessen, legte auf und berichtete seiner Herrin von dem Gespräch mit dem Gemüsehändler, wie Lady Simpson Cassetti zu nennen pflegte. »Betonmixer?« fragte sie und runzelte die Stirn, »was soll denn das schon wieder heißen?« »Mit Sicherheit der Name einer Gang, Mylady. Mr. Cassetti scheint größten Wert darauf zu legen, daß Mylady sich umgehend mit diesen sogenannten Betonmixern befassen.« »Und wo finde ich diese Subjekte, Mr. Parker? Hat er keine Andeutung gemacht?« »Das Gegenteil, Mylady, war der Fall! Mr. Cassetti tat so, als sei ihm die Nennung dieses Namens ungemein peinlich gewesen. Er rechnet selbstverständlich damit, daß Mylady umgehend Nachforschungen anstellen wird, um sich mit diesen sogenannten Betonmixern so schnell wie möglich in Verbindung zu setzen.« »Angenommen, ich hätte das vor, Parker? Woher bekomme ich diese Tips?« Sie machte wieder mal einen recht animierten Eindruck und schien sich auf eine nächtliche Auseinandersetzung zu freuen. »Mr. Cassetti dürfte davon ausgehen, Mylady, daß man ihm noch in dieser Nacht einen Besuch abstattet, um Einzelheiten in Erfahrung zu bringen«, lautete Parkers Antwort, »wenn ich mich erkühnen darf, einen Vorschlag zu unterbreiten, so sollte man Mr. Cassetti warten lassen…« * Nach Coney Island war es nicht sonderlich weit. Lady Simpson und Butler Parker benutzten die Schnellstraße unmittelbar an der Küste, durchfuhren die kleinen Ortschaften, die ausnahmslos auf nächtliches Vergnügen eingerichtet waren, und brauchten etwa zwanzig Minuten, bis sie das berühmtberüchtigte Zentrum von Coney Island erreichten, es gab hier 70
einen Vergnügungspark von gewaltigem Ausmaß, in dem die neuesten und verrücktesten Errungenschaften des Schaustellergewerbes vertreten waren. Obwohl es auf Mitternacht zuging, herrschte geradezu hektische Betriebsamkeit. Die breite Promenade war dicht besetzt. Erlebnishungrige Großstädter schlenderten umher und genossen die sanfte Brise, die vom Meer kam. Der eigentliche Strandstreifen war ebenfalls noch dicht bevölkert. Aus schier unendlich vielen Transistorradios drang Musik und mischte sich zu einem Klangbrei. Die Lichtreklamen des Luna-Parks zuckten und lockten Besucher an, die sich nur zu gern verführen ließen. Es gab kaum eine Attraktion, die man nicht ausprobierte. Auf Coney Island herrschte Hochbetrieb. Parker und Lady Agatha bahnten sich ihren Weg durch die Menge und fielen hier nicht weiter auf. Jeder gab sich so, wie er wollte, auch was die Kleidung betraf. Parker steuerte Bars und Restaurants an. Es ging vorbei an einer Unzahl von Stripteaslokalen, Kneipen und Nuditätenshows. »Wie will ich hier Garnett finden?« fragte Lady Simpson und wirkte ein wenig ratlos. »Nach der Beschreibung Miß Fridays, Mylady, beherrscht Mr. Lou Garnett eine Kette gewinnträchtiger Nachtclubs«, antwortete Parker, »man sollte, wenn ich vorschlagen darf, irgendeinen Club aufsuchen, der Umsätze verspricht.« Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms deutete Josuah Parker auf ein Stripteaselokal, das die Besucher förmlich in sich einsog wie ein riesiger Staubsauger. Wenig später befand die ältere Dame sich, in diesem Club, in dem es laut und ungeniert zuging. Auf einer schmalen Bühne oberhalb der Flaschenregale fand gerade ein Massen-Strip statt. Sechs Frauen vor einer riesigen Spiegelwand zogen sich aufreizend langsam aus, um den Umsatz an Trinkwaren zu fördern. Die Serviererinnen waren mehr als leicht geschürzt und boten viel nackte Haut, deren Farbe sekundenschnell wechselte. Kaskaden von buntem Licht schufen eine unwirkliche Atmosphäre, Laserblitze zuckten. Dröhnende Diskomusik strapazierte die Trommelfelle. Parker bahnte Mylady einen Weg durch die Menge und erreicht neben der Loge des Plattenjockeys eine Art Nische, in der nüchtern aussehende, grau gekleidete Männer saßen. Mit schnellem Blick identifizierte Parker diese Männer, die im Schnitt etwa drei71
ßig Jahre zählten. Sie bildeten eine Art Eingreifreserve für den Fall auftretender Streitigkeiten. Es waren Profis, die auf Alkoholika verzichteten, wie der Butler feststelle. Diese vier Männer ergötzten sich an Fruchtsäften. »Würden Sie die übergroße Freundlichkeit aufbringen, meine Herren, Mr. Lou Garnett zu informieren?« schickte Josuah Parker voraus und lüftete höflich die schwarze Melone. »Mylady wünscht einige Fragen an ihn zu richten, die sich auf Mr. Peter Cockson beziehen.« Die Männer waren deutlich irritiert. Sie wußten mit den Besuchern nichts anzufangen. Auch der Name Cockson sagte ihnen eindeutig nichts. »Lou Garnett?« fragte dann einer von ihnen, der wohl als Wortführer fungierte. Die drei übrigen Männer trafen Anstalten, sich von ihren Plätzen zu erheben. Für den Butler war dies bereits ein sicheres Zeichen dafür, daß der Nachtclubbesitzer sich im Etablissement aufhalten mußte. »Mr. Lou Garnett«, wiederholte die Detektivin grollend, »sind Sie taub? Beeilen Sie sich gefälligst, Sie haben es mit Lady Simpson zu tun! Ich bin es nicht gewöhnt, daß man mich warten läßt…« Die vier prusteten dummerweise vor Lachen und amüsierten sich. Doch dies hielt nicht lange vor. Die Grundhaltung änderte sich innerhalb weniger Augenblicke. Josuah Parker sorgte nämlich dafür, daß die Leute umgehend Tränen vergossen… * Sie hatten die kleine Spraydose in seiner rechten, schwarz behandschuhten Hand überhaupt nicht bemerkt. Dafür aber spürten sie den Spray, den der Butler äußerst großzügig versprühte. Sie rissen die Hände hoch und rieben die Augen. Sie sorgten ungewollt dafür, daß die Augen dadurch noch intensiver tränten. Im allgemeinen Trubel, der in dem großen Nachtclub herrschte, fielen die Bewegungen der vier Männer nicht weiter auf. Wahrscheinlich dachten Gäste in der Nähe der Nische, die vier Männer litten unter den Lichtblitzen der Laserkanonen. Butler Parker geleitete die ältere Dame inzwischen durch eine Tür, die seitlich in der Nische andeutungsweise zu erkennen war. 72
Sie beeilten sich, um dem tränenauslösenden Spray zu entgehen. Wenig später – Parker hatte die Tür hinter sich geschlossen – standen sie in einem langen, schmalen Korridor, der vor einer Betontreppe endete, die nach oben führte. Es war eine solide Tür, die er hinter sich geschlossen hatte. Kreuzweise angebrachte Eisenstreben sorgten dafür, daß sie nicht einfach eingetreten werden konnte. Zudem befand sich die Tür in einem soliden Eisenrahmen, der auch nicht gerade nach Leichtbauweise aussah. Parker, der vor Besuchsantritten dieser und ähnlicher Art stets sorgfältige Vorbereitungen traf, sicherte die Tür auf einfache Art und Weise. Aus einer der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers schob er zwei kleine Holzkeile, die er unter die Türkante schob und mit der Spitze seines linken Schuhs fixierte. Selbst mit einem Spezialschloß hätte er die Tür nicht besser sichern können. Es war so gut wie unmöglich, sie von außen zu öffnen. Parker lüftete höflich die schwarze Melone und erlaubte sich vorauszugehen. Sie hatten die Treppe gerade halb hinter sich gebracht, als oben die Tür geöffnet wurde. Butler Parker und Lady Simpson wurden von einer Maschinenpistole begrüßt, deren Lauf auf sie gerichtet war. Der Besitzer dieser Waffe machte einen erfahrenen, entschlossenen Eindruck, doch Parker ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. »Mr. Lou Garnett scheint Mylady bereits zu erwarten«, sagte er in seiner höflichen Art. »Sie lassen die Treppe per Fernsehkamera überwachen?« »Genau«, sagte der Mann und grinste, »und wir haben sogar mitbekommen, was da unten in der Nische gelaufen ist.« »Demnach dürften weitere Erklärungen nicht mehr am Platz sein«, meinte Parker, »würden Sie Mylady jetzt umgehend zu Mr. Garnett bringen?« »Sind Sie sicher, daß er sie überhaupt sehen will?« »Papperlapapp, junger Mann!« Lady Agatha schob sich an Parker vorbei und schritt weiter nach oben. Sie schien die Maschinenpistole zu ignorieren. »Natürlich will er mich sprechen…« »Stop, Lady«, warnte der Mann. Seine Stimme klang scharf. »Tummeln Sie sich, junger Mann«, reagierte die ältere Dame energisch, »Ihr Spielzeug imponiert mir nicht! Natürlich werden Sie niemals schießen…« 73
Er war irritiert, denn sie kam weiter auf ihn zu. Er nahm den Lauf der Waffe ein wenig höher und beugte sich vor. Agatha Simpson dachte nicht im Traum daran, stehen zu bleiben oder Angst zu zeigen. Sie hatte schon fast die Mündung der Waffe erreicht und sah verärgert aus. Und dann, bevor der Mann begriff, was eigentlich geschah, klatschte Myladys Pompadour gegen den Lauf. Der >Glücksbringer< tat voll seine Wirkung und fegte die Waffe aus der Hand. Der Mann bückt sich und jaulte dann auf. Lady Agatha verabreichte dem Gegner eine Ohrfeige und schickte ihn treppabwärts. Er ließ die Maschinenpistole liegen, tat einen Salto und segelte nach unten in den schmalen Korridor. Dort angekommen, gönnte er sich eine Ruhepause und blieb liegen. »Unglaublich«, sagte Lady Agatha und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, »wie kann man nur eine wehrlose Frau angreifen!? Haben diese Leute denn keine Hemmungen?« Parker hätte darauf gern geantwortet, doch im Moment erschien dies kaum angebracht. In der immer noch geöffneten Tür erschienen gerade zwei Männer, die ebenfalls bewaffnet waren. Auch sie hatten keine Hemmungen und bedrohten die Detektivin. »Mr. Garnett erwartet Sie«, sagte einer der beiden fast höflich, zumindest aber beeindruckt, »das da gerade war nur ein Mißverständnis.« Er deutete nach unten auf den Mann, der sich noch immer nicht rührte. * Das Büro war sachlich eingerichtet. Neben einem normalen Schreibtisch stand ein korpulenter Mann, etwa fünfzig Jahre alt. Er hatte ein rundes Gesicht, Stirnglatze und flinke, wachsame Augen. Er hatte sich gerade als Lou Garnett vorgestellt und musterte Parker und die Lady mehr als neugierig. »Sie sind das also«, sagte er schließlich. »Wollen Sie mir nicht einen Platz anbieten, junger Mann?« raunzte Agatha Simpson sofort. Sie zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt und ignorierte selbstverständlich die drei anderen 74
Männer, die sich seitlich und neben Lou Garnett aufgebaut hatten. »Einen Sessel für die Lady«, befahl Lou Garnett sofort, und einer der beiden Männer, die das Duo aus England ins Büro geführt hatten, schob einen Polstersessel heran, in dem die ältere Dame sich niederließ. »Sie sind also das Subjekt, das meine vier Landsleute umbringen will«, übernahm die Lady sofort die Initiative, »Sie also haben diesen betrügerischen Börsenmakler Cockson entführt!« »Sie sind ganz schön munter, Lady«, erwiderte Lou Garnett, »sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, wo Sie sind?« »Bei einem Gangster, selbstverständlich«, lautete ihre entwaffnend offene Antwort, »ich kann nur hoffen, daß meine vier Landsleute noch leben, Garnett.« »Wer hat Ihnen denn eigentlich aufgebunden, daß die sich in meiner Gewalt befinden?« »Meine Logik«, meinte die Detektivin ärgerlich, »ich mache Ihnen einen Vorschlag Garnett: Sie lassen meine vier Landsleute sofort frei, und ich werde mich nicht weiter um den Makler Cockson kümmern. Sie müssen sich schnell entscheiden.« »Ach so, jetzt verstehe ich.« Lou Garnett grinste wie ein Filmschurke bester Tradition. »Die kleine Friday hat Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt, wie?« »Entsprachen ihre Angaben nicht den Tatsachen, Mr. Garnett?« Parker schaltete sich in die Unterhaltung ein. »Nicht direkt«, sagte Garnett, »Cockson steht auf unserer Seite, sollte Sie das überraschen?« »Nicht direkt, Mr. Garnett«, räumte der Butler ein, »die Erzählung der Miß Lilian Friday klang ein wenig melodramatisch, wenn ich es so umschreiben darf. Kann man davon ausgehen, daß Mr. Cockson der eigentliche Urheber und Drahtzieher ist?« »Sagen wir mal so, Mr. Parker, er und ich ziehen an einem Strang«, lautete die Antwort des Gangsters, »als die vier Engländer hier aufkreuzten und Ärger machten, mußte wir was unternehmen, damit sie nicht zur Polizei rennen konnten.« »Und was wurde unternommen, wenn man höflichst nachfragen darf?« »Sie haben sie doch nicht etwa ermordet?« Agatha Simpson erhob sich aus dem Sessel und erinnerte plötzlich an einen fülligen Racheengel. Die Männer um Garnett gerieten prompt in Bewegung. 75
»Wir haben sie aus dem Verkehr gezogen«, erwiderte Lou Garnett und grinste wieder wie ein Filmschurke. »Leben sie noch oder nicht!?« Agatha Simpson war inzwischen sehr ärgerlich geworden. »Sie leben noch, aber sie sind nicht in bester Verfassung«, gab Lou Garnett zurück, »Sie werden das ja bald nachprüfen können.« »Was soll das heißen, junger Mann?« fauchte die ältere Dame den Gangster an. »Sie werden Ihren Freunden gleich Gesellschaft leisten, Lady«, entgegnete Garnett ironisch, »für längere Zeit… eigentlich für immer, wenn Sie’s genau wissen wollen.« »Wenn Sie erlauben, Mr. Garnett, möchte ich mir erlauben, die Fakten noch mal zusammenzufassen«, schickte Josuah Parker gemessen voraus, »Mr. Peter Cockson hat wahrscheinlich für Sie und Ihre Freunde an der Börse spekuliert und gewisse Verluste einstecken müssen. Er glich dieser Verluste mit den Einlagen aus den Warentermingeschäften aus und wurde plötzlich über Nacht mit vier Klienten konfrontiert, die gerade aus London angekommen waren.« »Verdammt gut zusammengefaßt«, sagte Lou Garnett amüsiert. »Bevor diese vier Herren sich an die Polizei wenden konnten, schaltete Mr. Cockson Sie und Ihre Freunde ein, die sich umgehend um die vier Reisenden kümmerten, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Sie treffen genau den Punkt, Parker.« Garnett grinste wieder. »Dann besuchten Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit diese Stadt, was zu weiteren Aktivitäten führte. Ihnen lag daran, Mylady und meine Wenigkeit ebenfalls aus dem Weg zu räumen. Dazu setzten Sie Miß Friday ein, die den Hinweis auf das Ferienhaus des Mr. Cockson gab.« »Sie wissen es fast besser als ich, Parker«, meinte Lou Garnett, »und Sie haben es diesem Landron ganz schön gegeben… Beste Arbeit.« »Es gibt aber immer noch einen gewissen Toni Cassetti, Mr. Garnett«, warf Parker ein, »Mr. Cassetti sieht eine gute Chance, in kürzester Zeit sehr viel Geld zu verdienen.« »Ach nee«, sagte Garnett und lachte, »tut er das? Was Sie nicht sagen!« »Mr. Cassetti sprach in diesem Zusammenhang von sogenann76
ten Betonmixern. Möglicherweise sagt Ihnen dieser Name etwas.« »Natürlich sagt er was«, meinte Garnett, »er hat von uns gesprochen… Wir sind nämlich diese Betonmixer!« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit ein wenig überrascht und erstaunt«, räumte Josuah Parker ein. »Sie nennen sich die Betonmixer? Was darf und kann man sich darunter vorstellen?« »Kommen Sie wirklich nicht von allein drauf, Parker? Cassetti ist bei uns eingestiegen und wird ganz schnell wieder ausgeladen, sobald er nicht mehr gebraucht wird.« »Er hat Sie und Mr. Cockson aufgespürt und anschließend um eine Beteiligung an diesem Geschäft nachgesucht, wie man vermuten darf?« »Richtig, Parker. Er hat uns aufgespürt, weil Sie ihn wohl heiß gemacht haben. Er glaubt jetzt, mitverdienen zu können, aber das glaubt er nur. Mit uns Betonmixern läßt man sich besser nicht ein…« »Was soll denn diese Geheimniskrämerei?« raunzte die altere Dame verärgert, »was verstehe ich unter dieser Betonmixerei? Betreiben Sie etwa ein Baugeschäft?« Lou Garnett sah seine Mitarbeiter an, zog eine Grimasse und löste damit anschließend ein donnerndes Gelächter aus. »Damit haben Sie den Zement genau in die Mixtrommel geworfen, Lady«, sagte Lou Garnett schließlich, »das war direkt ein Volltreffer! Sie werden ja noch erleben, wie hübsch Sie sich als Fundament oder Kaimauer ausmachen werden. Sie können völlig frei wählen… Oder war’s Ihnen lieber, zu ‘nem Stützpfeiler verarbeitet zu werden? Unser Angebot ist groß, Sie brauchen nur Wünsche zu äußern.« * »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was das alles zu bedeuten hat, Mr. Parker?« fragte Lady Simpson eine halbe Stunde später. Sie befand sich zusammen mit Parker in einem feuchten Kellerraum, der nur von einer nackten Glühbirne erhellt wurde. Die Sitzmöbel bestanden aus leeren Kisten, als Betten dienten einfache Matratzen, die nicht gerade einladend aussahen und auf dem Betonboden lagen. Es gab so etwas wie einen Waschraum mit Toilette, wie Parker 77
bereits herausgefunden hatte. Dabei handelte es sich um einen winzig kleinen Raum mit allen notwendigen Installationen, die man wohl erst vor kurzer Zeit angebracht hatte. Die Mauer, vor der die sanitären Einrichtungen standen, sah ebenfalls noch neu aus, der Verputz, nur oberflächlich angebracht, war feucht und hatte noch nicht vollständig abgebunden. »Darf ich mir gestatten, Mylady auf den Zementstaub aufmerksam zu machen?« fragte Parker und deutete auf den Boden. »Und was hat das zu bedeuten?« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit scheinen sich unter einer Werkhalle zu befinden, in der Fertigbetonteile hergestellt werden.« »Doch, so etwas habe ich mitbekommen, als man uns hierher brachte.« »Man scheint die Absicht zu haben, Mylady und meine Wenigkeit in Betonfertigteile einzuarbeiten, um es mal so auszudrücken.« »Wozu dieser Umstand?« Sie sah den Butler gereizt an. »Die Herren Betonmixer, wie sie sich branchenintern nennen, können auf diese Weise ihre Opfer verschwinden lassen.« »Nicht schlecht.« Die Detektivin nickte anerkennend und schien vergessen zu haben, daß auch sie selbst ein Opfer sein sollte. »Früher paßten Gangster ihren Opfern sogenannte Betonschuhe an, Mylady«, erinnerte Parker höflich und gemessen, »mißliebigen Menschen wurden die Füße in Schnellzement eingeschlossen. Anschließend versenkte man dann die Opfer in Seen und Flüssen.« »Scheußlich«, meinte sie. »Diese Herren Betonmixer dürften diese Methode perfektioniert haben«, redete der Butler weiter, »einmal als Betonfertigteil eingepaßt und verbaut, dürfte man nie wieder gefunden werden. Das Problem der Beseitigung von Opfern muß man in diesem Fall als gelöst betrachten.« »Ich hoffe, Ihnen fällt dagegen etwas ein, Mr. Parker. Ich habe keine Lust, als Stützpfeiler für alle Ewigkeit in einem Haus zu stehen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Wenigkeit sich bereits mit einer Lösung des anstehenden Problems befaßt.« »Ob man unsere vier Freunde aus London bereits zu Fertigteilen umgebaut hat, Mr. Parker?« 78
»Laut Mr. Garnett ist dies noch nicht der Fall, Mylady«, gab der Butler zurück, »man sollte davon ausgehen, daß Mr. Garnett die Wahrheit gesagt hat, zumal kein Zwang besteht, Mylady eine Lüge aufzutischen.« »Und dieser Cassetti steckt mit Cockson und Garnett unter einer Decke!« Sie nahm vorsichtig auf einer leeren Kiste Platz, »es ist doch nicht zu glauben… Hatte ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß er etwas mit dem Verschwinden unserer Freunde zu tun hat?« »Sein Kontakt zu Mr. Garnett dürfte sich wohl erst nach Myladys Besuch im italienischen Restaurant ergeben haben«, erwiderte Parker, »Mr. Cassetti war ja gezwungen, tätig zu werden. Im Augenblick aber winken ihm fünfhunderttausend Dollar. Möglich daß Mr. Cassetti noch ungewollt als Retter auftritt.« »Dieser Gemüsehändler?« Sie winkte ab. »Hoffentlich macht man aus ihm nicht auch einen Stützpfeiler, der dann noch in meiner Nähe aufgestellt wird. Schreckliche Vorstellung!« »Man sollte auf die zugesagten fünfhunderttausend Dollar setzen, Mylady«, wiederholte der Butler noch mal, »Mr. Cassetti sollte man nicht unterschätzen, was seine angeborene Schlauheit betrifft.« »Sie nehmen diesen Gangster noch in Schutz?« empörte sich die ältere Dame umgehen. »Hat er nicht von diesen Betonmixern gesprochen?« »Um Mylady zu veranlassen, das italienische Restaurant noch mal zu besuchen«, sagte Josuah Parker, »man sollte vielleicht unterstellen, daß Mr. Cassetti daran lag, Mylady davon abzuhalten, hierher nach Coney Island zu fahren.« »Genug der Theorie«, meinte sie spitz, »das bringt mich nicht weiter, Mr. Parker. Sorgen Sie gefälligst dafür, daß ich nicht zu einem Betonfertigteil verarbeitet werde… Muß ich denn wieder mal alles allein machen!?« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und befaßte sich noch mal mit der frisch verputzten Wand in der winzig kleinen Toilette. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms pochte er probeweise gegen die Wand und… hörte kurz darauf eine Antwort. Jenseits dieser Wand pochte es eindeutig zurück… * 79
Natürlich hatte man Butler Parker genau durchsucht und ihm so gut wie alles abgenommen. Er besaß weder seine Kugelschreiber noch die kleine Spraydose. Den Regenschirm hielt man wohl für ungefährlich, eine Auffassung, der Parker selbstverständlich nicht widersprochen hatte. Mit der Stahlspitze des Regenschirms, die die Austrittsöffnung des hohlen Schirmstocks verschloß, kratzte er den Verputz von der frisch hochgezogenen Wand und anschließend den Mörtel zwischen den Hohlblocksteinen. Parker arbeitete gemessen, aber durchaus nicht langsam. Lady Agatha, ohne ihren Pompadour und >Glücksbringer<, war ebenfalls nicht waffenlos. Man hatte die Nadeln in ihrem kapriziösen Hut übersehen und sie wohl für harmlos gehalten. Tatsächlich waren es recht gefährliche Waffen, wie gewisse Leute in der jüngsten Vergangenheit hatten feststellen müssen. Lady Agatha bewachte die Tür zum Keller, damit Parker ungestört arbeiten konnte. Auf der Gegenseite wurde leider nicht mitgeholfen. Warum das so war, sollte sich nach knapp einer Viertelstunde zeigen, nachdem Parker einen Stein herausgelöst hatte. Er sah in einen Raum, der kaum größer war als der, in dem er und Lady Agatha festgehalten wurden. Dieser Raum war allerdings als leicht überfüllt zu bezeichnen. Vier Männer mußten sich ihn teilen, vier Männer, die einen erschöpften Eindruck machten. »Habe ich die Ehre mit Sir Randolph Wollting?« fragte Parker durch die Maueröffnung. »Hubert Poldyke«, antwortete eine höfliche Stimme. Einer der vier Männer, deren Kleidung mit Zementstaub bedeckt war, erhob sich mühsam und kam langsam auf die Maueröffnung zu. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor. »Es hat Sie also auch erwischt?« fragte Butler Poldyke mit einer fast gleichgültigen Stimme. »Erfreulicherweise, Mr. Poldyke«, meinte Parker zu seinem Berufskollegen, »auf diese Art und Weise ist es wenigstens möglich, endlich Kontakt aufzunehmen.« »Kontakt für den Tod, Mr. Parker!« Hubert Poldyke war müde. »Sie sollten die Dinge doch ein wenig positiver sehen, Mr. Poldyke.« »Schlecht, Mr. Parker.« Poldykes Gesicht sah grau und verfallen aus. »Man hält uns hier schon fast zehn Tage fest.« 80
»Und welche Pläne hegt man?« »Man will uns einmauern oder so, Mr. Parker. Sie doch auch, nicht wahr?« »Wem verdanken Sie diese Lage, die man auf keinen Fall als angenehm bezeichnen kann?« »Diesem Makler Cockson. Er hat uns in eine Falle gelockt. Dieser Mann ist ein Verbrecher…« »Schickten Sie die bewußte Ansichtskarte, Mr. Poldyke, die Mylady und meine Wenigkeit in London erreichte?« »Die stammt bereits von hier aus dem Keller.« Poldyke nickte gleichgültig. »Aber das alles ist nicht mehr wichtig… Man wird uns umbringen.« »Warum hat man es bisher noch nicht getan, wenn diese ungewöhnliche Frage erlaubt ist, Mr. Poldyke?« »Morgen oder übermorgen ist es soweit, dann werden neue Fertigteile gegossen. Haben Sie die Baustelle hinter dem Club gesehen? Dafür sind wir vorgesehen. Keine Chance… Die Betonmixer sind gnadenlos…« »Sie kennen sich in den Zusammenhängen mit Sicherheit besser aus«, schickte Parker höflich voraus, »wird Mr. Cockson Ihrer Ansicht nach überleben?« »Er weiß noch nicht, daß auch er verarbeitet und eingegossen werden soll«, lautete Poldykes Antwort, »er und wir werden für immer von der Bildfläche verschwinden. Und kein Mensch wird uns helfen können. Wir alle werden im Fundament des Hochhauses landen. Der Bau wird unser Grab werden.« Butler Poldyke war nur noch in der Lage, Rede und Antwort zu stehen. Sir Randolph Wollting, Lionel Clattner und Ralph Pannerson saßen völlig unbeteiligt auf ihren feuchten Matratzen und reagierten kaum. Sie hatten jede Hoffnung auf ein Weiterleben aufgegeben. »Wären Sie damit einverstanden, daß ich mir die Freiheit nehme, die trennende Mauer einzureißen?« erkundigte sich Parker bei seinem Berufskollegen, der um Jahre jünger war. »Was sollte das schon bringen?« fragte Hubert Poldyke mit müder Stimme. »Wozu sich noch anstrengen, Mr. Parker? Gestehen Sie sich ein, daß auch Sie nun kapitulieren müssen. Wir haben keine Chance mehr. In ein paar Stunden wird man uns einmauern. Die Gangster haben darin Erfahrung, das weiß ich inzwischen… Wir werden nicht die ersten sein, die im Beton landen.« 81
* »Wir bekommen Besuch von diesen Subjekten«, rief Lady Agatha von der Tür her. Josuah Parker nahm den Stein, drückte ihn wieder in die Trennwand und begab sich zurück in den größeren Raum mit den beiden Matratzen. Lady Agatha war in aufgebrachter Stimmung. Sie hatte natürlich mitbekommen, was Hubert. Poldyke gesagt hatte. Man sah es ihr an, daß sie keine Lust hatte, sich in ein Betonfertigteil einpassen zu lassen. Es machte ihr nichts aus, daß man ihr den >Glücksbringer< weggenommen hatte. Sie zog eine der langen Nadeln aus dem Hut und schob diese Waffe griffbereit in den Rock ihres Tweed-Kostüms. Die Tür öffnete sich. Lou Garnett erschien, begleitet von zwei Männern, die Maschinenpistolen mitgebracht hatten. Sie bauten sich links und rechts von Garnett auf. Der Gangster mit der Stirnglatze lächelte irgendwie satt und zufrieden. Er schien eine zusätzliche Siegerstraße betreten zu haben. »Ich komme gerade von Cassetti«, sagte er, »wir hatten eine interessante Unterhaltung.« »Wann lassen Sie endlich einen kleinen Imbiß servieren, junger Mann?« raunte die ältere Dame sofort, »und wann hören Sie endlich mit dieser Beton-Komödie auf?« »Fünfhunderttausend Dollar«, redete Lou Garnett weiter. Seine wieselflinken Augen wanderten von Agatha Simpson hinüber zu Parker und dann schnell wieder zurück. »Sie dürften inzwischen mit Mr. Cassetti geredet haben«, stellte der Butler fest. »Das auch.« Lou Garnett war wieder der grinsende Filmschurke. »Er wollte mit Ihnen ein kleines Privatgeschäft abziehen, wie?« »Es war Mr. Cassettis Vorschlag«, gab der Butler zurück. »Und dafür hätte dieses Miststück mich glatt in die Pfanne gehauen«, sagte Lou Garnett verächtlich, »ich wußte doch gleich, daß man ihm nicht trauen kann.« »Es scheint zu gewissen Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und Mr. Cassetti gekommen zu sein, Mr. Garnett?« »Sie haben ‘ne prächtige Art, sowas auszudrücken, Parker«, 82
lobte Garnett fast, »seine Typen haben ‘rausbekommen, wo Cockson und die vier Londoner stecken. Da hat er sich an mich ‘rangeworfen und wollte mitmischen. Das wird er jetzt bekommen.« »Sie haben sich bereits von ihm getrennt, Mr. Garnett?« »Noch nicht ganz, Parker, aber das kommt noch. Wollen Sie mal sehen, wie es ihm geht?« »Es dürfte sich um gewisse Spielereien in Beton handeln, wie ich wohl unterstellen darf?« »Mann, wie Sie das wieder ausdrücken, sagenhaft.« Lou Garnett grinste und winkte dem Butler. »Sie kommen mit, die Lady bleibt als Sicherheit hier im Salon. Alles klar?« »Mylady wird sich gewiß langweilen, Mr. Garnett.« »Daran gewöhnt man sich, Parker. Da sind ja noch diese fünfhunderttausend… Die übernehmen wir natürlich. Sie haben die vier Londoner und Cockson ja gefunden, oder?« »Sie befinden sich hier in diesem Gebäude?« »Gar nicht weit von hier.« Garnett nickte. Weder er noch seine beiden Begleiter kamen auf die Idee, einen Blick in die winzig kleine Toilette zu werfen, wogegen Parker natürlich nichts hatte. Der herausgebrochene Hohlblockstein wäre sonst mit Sicherheit entdeckt worden. »Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich Ihnen fünfhunderttausend Dollar zahlen werde?« schaltete sich die Detektivin grimmig ein. »Sie werden sie mit Wonne zahlen, Lady«, versicherte Lou Garnett ihr, »warten Sie mal, bis Ihre Beine erst im Beton stecken. Wetten, daß Sie dann jeden Scheck unterschreiben werden?« »Das ist doch…« Sie schnappte nach Luft und ging auf Garnett zu. Butler Parker, der Verwicklungen befürchtete, schnitt ihr praktisch den Weg ab und baute sich vor ihr auf. Er nickte dem Gangster zu. »Wenn Sie einverstanden sind, Mr. Garnett, sollte man jetzt gehen.« »Sie sind wild darauf, Cassetti zu sehen, wie?« »Ich muß einräumen, daß Ihre Praktiken mich durchaus interessieren. Und ich würde gern noch mehr darüber hören, warum man Sie und Ihre Freunde Betonmixer nennt. Diese Bezeichnung scheint doch geläufig zu sein, was Ihre Kreise betrifft.« »Nur in Fachkreisen, Parker, nur in Fachkreisen… Einer meiner 83
Freunde ist Bauunternehmer und hat sich hier auf Coney Island eingekauft. Der Mann ist inzwischen Gold wert.« »Sollte die Polizei die Betonmixer nicht kennen?« » Zwischen kennen, hören und beweisen, Parker, besteht ein verdammt großer Unterschied. Los, kommen Sie! Wir wollen Cassetti doch nicht warten lassen…« * Die große Baustelle war nicht weit entfernt vom Striplokal, das Lady Simpson und Parker aufgesucht hatten. Obwohl inzwischen geraume Zeit verstrichen war, herrschte auf den Straßen und Gassen nach wie vor großer Betrieb. In Coney Island schien man nur tagsüber zu schlafen. Der Weg zu dieser Baustelle war einfach und verwickelt zugleich. Es ging durch einige Hinterhöfe, dann durch den Keller eines alten Lagerhauses, durch eine Halle und schließlich durch eine Art Tunnel, der aus starkem Wellblech bestand. Dann standen die nächtlichen >Touristen< vor einem Bretterzaun, hinter dem sich eine große Baugrube befinden mußte. Baukräne ragten über den Zaun hinaus, und das Licht der vielen Reklamen sorgte für Helligkeit, die fast der des Tages glich. Besucher waren hier nicht vertreten. Offensichtlich waren die Zufahrtstraßen abgesperrt worden, um einen ungehinderten Baustellenverkehr zu gewährleisten. »Wir gehen ‘runter in die Grube, Parker«, sagte Lou Garnett, »vorerst natürlich Baugrube, damit wir uns nicht mißverstehen… Und wenn Sie Mätzchen machen wollen, dann wird’s bereits heute für Sie zu ‘ner echten Grube, glauben Sie mir!« Lou Garnett zeigte auf den zweiten Begleiter, der seine Maschinenpistole gegen ein doppelläufiges Schrotgewehr getauscht hatte. Wahrscheinlich versprach der Gangster sich davon größere Treffsicherheit und Feuerkraft. Garnett wartete, bis der andere Begleiter ein einfaches Drahttor geöffnet hatte und deutete dann auf eine Holztreppe, die in die tiefe Baugrube führte. Weit unten brannten einige Lichter, aber sie erhellten nur einen kleinen Kreis. Parker hatte sich längst gefragt, ob man ihn vorab umbringen wollte. Glaubte man etwa, mit Lady Simpson leichteres Spiel zu 84
haben, wenn er, Parker, ihr nicht mehr zur Verfügung stand? Wußten auch diese sogenannten Betonmixer inzwischen, daß Parker für sie eine permanente Gefahr darstellte? Der Butler schritt inzwischen nach unten. Er setzte auf diesen Lou Garnett und dessen Großspurigkeit. Dieser Mann mit der Stirnglatze und den flinken Augen hörte sich gern sprechen und wollte bewundert werden. Im Augenblick triumphierte er über Cassetti. Und um diesen Triumph wohl voll auskosten zu können, brauchte er wenigstens einen Zuschauer, den er beeindrucken wollte. Es dauerte lange, bis man über die solide Holztreppe endlich die Sohle der Baugrube erreicht hatte. Es gab einige Zwischenpodeste, die die Treppe unterteilten und überhaupt begehbar machten. Parker schaute hoch, als man endlich unten war. Er sah nur noch einen schmalen Ausschnitt des nächtlichen Himmels, der jedoch erstaunlich hell war. »Dort ‘rüber«, sagte der Mann, der das Schrotgewehr mit den abgesägten Läufen trug. Er dirigierte den Butler nach rechts in eine Art Stollen. Sein Begleiter schaltete nach wenigen Metern plötzlich eine lichtstarke Taschenlampe ein. Im Kegel dieser Lampe erkannte Josuah Parker den Gangster Cassetti. Parker war bestürzt. Cassetti war bereits bis zu den Hüften einbetoniert worden. Seine Hände wurden ebenfalls schon von dieser erstarrten Masse festgehalten. Er hatte keine Möglichkeit, das breite Heftpflaster, das als Knebel diente, vom Mund zu entfernen. In den Augen des Gangsters spiegelte sich nackte Panik. »Morgen kommen die frischen Betonladungen«, erläuterte Lou Garnett, »aber dann wird man Cassetti schon nicht mehr sehen. Den verschalen wir nachher noch fachmännisch.« »Eine Mordmethode, die man nur als ungemein grausam bezeichnen kann«, stellte der Butler fest. »Wurde sie von Ihnen und Ihren Freunden schon häufiger angewendet, wenn man fragen darf?« »Konsequenter kann man keine Leiche verschwinden lassen«, lautete Lou Garnetts Antwort, »wir haben alte Methoden verfeinert.« »Fürchten Sie nicht, daß Miß Friday sich im Interesse ihres Freundes Cockson an die Polizei wenden wird?« »Wieso sollte sie?« Garnett lachte leise auf. »Noch glauben 85
Cockson und sie, daß alles in Ordnung ist. Geben Sie jetzt zu, Parker, daß Sie Ihren Meister gefunden haben? Jetzt helfen Ihnen keine Tricks mehr.« »Mr. Cassetti hat Freunde, Mr. Garnett, die nach ihm suchen werden.« »Die sind bereits fest gekauft und arbeiten für mich und meine Freunde. Alles nur eine Geldfrage. Sehen Sie sich doch diesen Cassetti an! Vor ein paar Stunden kam er sich noch vor wie der Absahner auf der ganzen Linie – und jetzt? Was er so fühlt, werden Sie gleich auch wissen. Wir haben für Sie nämlich was vorbereitet, Parker. Ich seh’s lieber, wenn Sie im Beton stecken. Ohne Sie ist die alte Lady doch völlig aufgeschmissen und muß zahlen, was immer ich verlange.« »Sie wollen meine bescheidene Wenigkeit einbetonieren?« fragte der Butler würdevoll. »Wir haben da ‘nen hübschen Schnellbinderzement«, gab Lou Garnett zurück und deutete tiefer in den Stollen, »dort wird morgen auch das Fundament gegossen. Sie werden nur noch ein paar Stunden warten müssen, aber die gehen schließlich auch mal ‘rum, oder?« »Eine Feststellung, Mr. Garnett, die man nur als trefflich umreißen kann«, gab Parker höflich zurück, »der kommende Morgen scheint demnach nicht besonders angenehm zu werden, wenn ich so sagen darf.« * »Nun reißen Sie sich mal zusammen, Poldyke«, sagte Agatha Simpson grimmig zu dem Butler jenseits der Trennwand. Sie hatte den Hohlbockstein wieder herausgezogen und den Butler des Sir Randolph Woolting zu sich herangewinkt. »Mylady, Sie machen sich unnötige Hoffnungen«, gab Poldyke zurück. Seine Stimme klang schwach, »sehen Sie sich doch die drei Herren an… Sie sind nicht mehr fähig, etwas zu unternehmen.« »Wie ist es dazu gekommen, Poldyke?« wollte sie wissen. »Man hat uns förmlich ausgehungert, Mylady«, lautete die Antwort, »und wahrscheinlich ist auch was im Wasser, das man uns gibt…« 86
»Sie sollten froh sein, daß man Sie noch nicht umgebracht hat, Poldyke!« Die Detektivin sah ihn streng an. »Froh, Mylady?« Der Butler Sir Randolph Wooltings zuckte die Achseln. »Vielleicht wäre es ganz gut, wenn man schon alles hinter sich hätte.« »Warum hat man Sie noch nicht umgebracht? Sie sind doch immerhin seit fast vierzehn Tagen verschwunden.« »Cockson war dagegen, dieser Makler, Mylady. Aber jetzt kann er’s nicht mehr verhindern, weil die Fundamente gegossen werden.« »Möchten Sie dagegen nichts tun, Poldyke?« »Was denn, Mylady? Diese Männer sind doch bis an die Zähne bewaffnet. Sie haben sie doch gesehen. Und wir haben nichts, aber auch gar nichts.« »Trauen Sie sich zu, eine Waffe zu benutzen, Poldyke? Mann, sehen Sie mich an, wenn ich mit Ihnen rede… Trauen Sie sich zu, eine Waffe zu führen?« »Was für eine Waffe, Mylady?« Poldyke nahm Haltung an, denn die Stimme der älteren Dame klang sehr energisch. »Diese hier, Poldyke!« Sie reichte ihm eine Hutnadel. »Seien Sie vorsichtig, die Spitze ist vergiftet…!« »Damit soll ich gegen Maschinenpistolen angehen?« Poldyke hatte die Hutnadel entgegengenommen und lächelte traurig. »Wenn sie vergiftet ist, wäre das was für mich, dann habe ich alles schnell überstanden.« »Dazu reicht das Gift nicht, Poldyke. Es schmerzt und betäubt nur für einen gewisse Zeit… Wie viele Wachen kommen zu Ihnen?« »Nur ein Mann, wir sind ja down, wie Sie sehen.« »Diesem Mann werden Sie zeigen, was ein englischer Butler ist«, herrschte sie ihn an, »Mr. Parker wird stolz auf Sie sein. Poldyke, Sie sollen mich ansehen, wenn ich mit Ihnen rede…« »Sehr wohl, Mylady!« »Und wenn Sie schon vorher sterben wollen, dann rammen Sie der Wache wenigstens die Hutnadel in den Körper. Haben Sie mich verstanden?« »Und dann, Mylady?« Poldyke riß sich zusammen. »Werden Sie meinen Raum hier aufschließen, Poldyke. Warten Sie, hier ist meine Perlenkette…« »Wozu brauchte ich denn die, Mylady?« 87
»Die Perlen sind falsch, der Stahldraht ist zäh. Diese Kette wird nicht zerreißen.« »Ich glaube, ich habe Sie verstanden, Mylady…« »Achtung, Poldyke, man kommt!« Agatha Simpson reichte dem Butler Sir Randolph Wooltings die Perlenkette und schloß schnell die Lücke in der Mauer. Dann baute sie sich neben einer der Kisten auf und wartete darauf, daß ihre Tür geöffnet wurde. Sie sah sich einem völlig fremden Mann gegenüber, der teuer und gut gekleidet war. »Schnell, Mylady«, rief er hastig, »ich bin Cockson. Schnell! Wir haben nur ein paar Minuten Zeit, bevor Garnett wieder…« »Sie wollen mir helfen, Cockson?« fragte die Detektivin. »Ich mach’ ‘ne Menge mit, aber keinen Mord«, sagte Cockson, »beeilen Sie sich doch! Wo ist denn Ihr Butler?« Lady Agatha ging auf den Mann zu, der sich Cockson nannte, doch leider ratterte in diesem Moment eine Maschinenpistole. Der Mann, der sich als Cockson bezeichnet hatte, wurde wie von einer unsichtbaren Riesenfaust gegen die Wand geschleudert, und Lady Simpson hatte die Gelegenheit, Querschläger aus nächster Nähe zu erleben. Und sie schien auch getroffen worden zu sein wie Cockson. Sie sank auf die Knie und legte sich dann mit ihrer Fülle über eine etwas höhere Kiste. Sekunden später erschienen zwei Männer in der Tür und betrachteten mißtrauisch ihre Opfer. »Dieser Dreckskerl von einem Cockson«, sagte einer der Schützen verächtlich, »gut, daß Garnett uns gewarnt hat…« »Und was ist mit der Alten da drüben? Mensch, wenn die hin ist, hat Garnett ein Vermögen verloren und wir auch.« »Die stöhnt doch, hör’ mal…!« Die beiden Männer eilten auf die tatsächlich stöhnende Mylady zu und… erlebten eine schreckliche Überraschung. Agatha Simpson erhob sich dank der Hilfe der beiden Männer und nahm dabei wie zufällig die Holzkiste mit. Genau dieselbe donnerte sie den beiden verdutzten Gangstern gekonnt um die Ohren. Als leidenschaftliche Golfspielerin verfügte sie über den notwendigen Schwung und die erforderliche Muskulatur. Die Kerle sackten zu Boden und dachten nicht mehr an ihre Waffen. Sie stöhnten und wollten aufstehen, doch sie schafften es nicht mehr. Lady Agatha, Besitzerin einer zweiten Hutnadel, stach genußvoll zu und sorgte dafür, daß die Nadel tief eindrang. Daraufhin wimmerten die beiden Gangster jämmerlich, zuckten und scharrten mit ihren Beinen auf dem Betonboden. Nach wenigen 88
Augenblicken jedoch gaben sie Ruhe und rührten sich nicht mehr. Lady Agatha richtete sich auf und sah in die Mündung einer Maschinenpistole, die von dem Mann gehalten wurde, der sich als Cockson vorgestellt hatte. »Sehr hübsch, einer alten und hilflosen Frau helfen zu wollen«, lobte Lady Agatha wohlwollend, »aber jetzt sollten wir uns auf den Weg machen, Mr. Parker zu helfen. Was ist er denn schon ohne mich?« Cockson war nicht in der Lage, die Waffe noch länger zu halten. Seine Verletzung war doch zu schwer. Klirrend landete die Maschinenpistole auf dem Zementboden. Lady Agatha hob sie auf und setzte dann ihr Befreiungswerk fort. Sie befand sich in außerordentlich guter Stimmung und hoffte, die Waffe noch richtig einsetzen zu können. * »Das glaub’ ich einfach nicht, obwohl ich’s sehe«, sagte Detektiv-Leutnant Fielding und grinste wie ein Twen, »das kann doch nur ein wunderschöner Traum sein.« »Mylady überreicht Ihnen durch meine bescheidene Wenigkeit den Anführer der sogenannten Betonmixer, Sir«, antwortete der Butler, »Mr. Cassetti steht dort drüben im Beton und dürfte bereit sein, entsprechende Aussagen zu machen.« Fielding genoß den Anblick. Lou Garnett und seine beiden Begleiter saßen bis zum Hals im Schnellbinderzement und fühlten sich nicht wohl darin. Parker hatte ihre diversen Waffen miteinbetoniert, was der Szene noch einen besonderen Anflug von Pikanterie verlieh. »Man wollte Sie einbetonieren?« erkundigte sich Fielding bei Parker. »Das war die erklärte Absicht der Herren«, antwortete Parker, »aber sie übersahen meinen Regenschirm. Aus verständlichen Gründen lehnte ich es ab, im Zement Platz zu nehmen.« »Das ist nur ein Traum«, sagte Fielding und schaltete das Licht seines Handscheinwerfers aus, »gehen wir, Parker, kümmern wir uns um Cassetti, der scheint Realität zu sein und eine Aussage machen zu wollen.« Lou Garnett und seine beiden Leibwächter schrien und beteuer89
ten, ebenfalls ein Geständnis machen zu wollen, doch DetektivLeutnant Fielding überhörte das geflissentlich. Er war der Ansicht, daß vor allen Dingen Lou Garnett noch nicht in der richtigen inneren Verfassung war, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Bei Cassetti sah das dagegen erheblich anders aus. »Wir lassen die Kerle noch etwas schmoren«, sagte Fielding zu seinen Mitarbeitern, »auf ‘ne Stunde soll’s mir nicht ankommen.« »Inzwischen könnte man sich ja um Mr. Cockson kümmern, Sir«, schlug Josuah Parker vor, »Mylady wird ihn bereits recht ausgiebig und intensiv verhört haben.« »Sagenhaft, wie diese Lady da unten in den Kellerräumen gewütet hat«, freute sich Fielding und lachte, »diese Frau ist bewundernswert…« »Sie stellt meine bescheidene Wenigkeit immer wieder vor neue Rätsel, wenn ich so sagen darf, Sir. Fest steht übrigens, daß Mr. Cockson tatsächliche einen geplanten Mord verhindern wollte. Daran besteht nicht der geringste Zweifel.« »Und auch nicht daran, daß er ausgerechnet von seiner Freundin Lilian Friday verraten und verkauft wurde«, meinte Fielding, »hat sie bereits zugegeben, nachdem Lady Agatha ihr ein paar Ohrfeigen verabreicht hat.« »Liegen bereits Nachrichten aus dem Hospital vor, Sir?« fragte Parker weiter. »Ihren Londoner Freunden geht es soweit ganz ordentlich. Aber es wird noch einige Zeit dauern, bis sie den Betonschock überwunden haben werden, Mr. Parker! Tja, ansonsten ist ja alles klar. Lady Simpson und Sie haben uns da ein paar Gangs auf einmal serviert. Warum bleiben Sie nicht für ein paar Monate in New York?« »Mylady liebt die Abwechslung, Sir, wie ich aus Erfahrung versichern darf. Der Flug nach New York war nur eine Art Kurzausflug, weil die vier Herren nicht mehr zu erreichen waren.« Man hatte inzwischen die riesige Baugrube verlassen und betrat den Club durch die Hintertür. Im Büro des Lou Garnett saß Cockson in einem Sessel. Er war von einem Polizeiarzt versorgt worden und trank gerade einen Schluck Whisky. Lady Agatha hingegen stärkte ihren Kreislauf mit einem Kognak und machte einen sehr aufgekratzten Eindruck. Sie deutete auf den Börsenmakler. »Ich werde später ein gutes Wort für diesen Windhund einle90
gen«, sagte sie gnädig, »er ist zwar ein Betrüger, aber eben kein Mörder… Was machen die Betonmixer, Mr. Parker?« »Mr. Garnetts Freunde werden im Moment verhaftet«, warf Leutnant Fielding ein, »die betreffenden Namen hat Garnett uns schon verraten. Nur zu gern… Sie sollten sich das ansehen, Mylady, wie dieser Garnett im Beton steckt…« »Ist er schon gut abgebunden?« »Knochenhart, Mylady«, sagte Fielding. »Wir wollen doch nichts überhasten«, meinte Agatha Simpson, »von mir aus kann der Betonmixer noch stundenlang im Zement sitzen. Aber ich werde dabei sein, wenn man ihn mit einem Preßluftmeißel herausschält. Mein lieber Fielding, Sie müssen mir einen Gefallen erweisen.« »Jeden, Mylady«, sagte der Detektiv-Leutnant ein wenig voreilig. »Ich selbst werde diesen Lou Garnett herausmeißeln«, sagte sie, »dabei können Sie ihn dann meinetwegen verhören… Man möchte ja schließlich wissen, wo seine bisherigen Opfer stecken… Ich glaube, ich werde dieses Subjekt nicht gerade mit weichen Handschuhen anfassen, und der Meißel wird mir ein paarmal abrutschen…« »Ich werde nichts sehen, Mylady«, versprach Fielding. »Ich machte Mr. Parker bereits den Vorschlag: Warum bleiben Sie nicht für ein paar Monate hier bei uns in der Stadt. Es gibt noch viel zu tun.« »Dann packen Sie’s an, mein Lieber«, erwiderte die Detektivin, »Mr. Parker und ich werden in London gebraucht, hoffe ich. Man wird dort sonst zu üppig, nicht wahr Mr. Parker?« »Gewisse Kreise werden Mylady in der Tat bereits vermissen«, lautete Parkers Antwort, »man sollte diese Kreise nicht enttäuschen, wenn ich es so ausdrücken darf. Man hat sich eindeutig an Mylady gewöhnt, wie ich behaupten möchte. Und vielleicht auch ein wenig an meine bescheidene Wenigkeit, wie ich hinzufügen möchte…«
-ENDE-
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