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Butler Parker und die »Wiking-Killer« Günter Dönges »Von einer geradezu bestechenden Authentizität, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte Butler Parker in seiner einfachen Art und nahm sich die Freiheit, anerkennend zu nicken. Sein Interesse galt den Langbooten die um die Landspitze herumkamen und Kurs auf den flachen Strand nahmen. Die geblähten Segel verliehen den beiden »Wikingern« eine erstaunliche Geschwindigkeit. Zusätzlich tauchten noch die langen Ruderriemen ins Wasser und erhöhten die Fahrt. Die Männer, die diese sicher nicht leichten Ruder bewegten, waren hinter den Rundschilden, die außenbords hingen, nicht zu sehen. Dafür aber war jetzt das dumpfe und drohende Kampfsignal zu vernehmen, das aus den bronzenen Luren stammte. »Netter Zeitvertreib«, stellte Mike Rander fest. Er stand neben dem Butler und schien sich wieder mal zu langweilen. »Unheimlich«, meinte Kathy Porter und schüttelte sich, »man könnte es mit der Angst zu tun bekommen.« Die Hauptpersonen: Albert Hoogan wird erpreßt und braucht Myladys Hilfe. Willie Peterson fungiert als Sekretär und könnte der Täter sein. Mark Penwick leitet einen Touristenverband und macht diverse Seeleute flott. Dave Caldy trainiert Wikinger im Zweikampf. Mike Rander schlägt sich lässig mit Nordmännern herum. Kathy Porter wird von einigen Wikingern attackiert. Lady Agatha Simpson richtet Flurschaden unter Stuntmen an. Butler Parker soll 50.000 Pfund an sich gebracht haben. »Wer sind diese Burschen?« erkundigte sich Mike Rander und deutete auf die beiden Langboote, die noch schneller geworden waren. Sie hatten den Kurs geändert, um Klippen zu entgehen. Die Insassen waren recht deutlich zu erkennen. Die Männer an den langen Rudern trugen Flügel- oder Hörnerhelme und Fellkleidung. Obwohl man wegen der Entfernung noch keine Einzelheiten 2
registrieren konnte, machten sie einen recht grimmigen Eindruck. »Es handelt sich, Sir, um begeisterte Laiendarsteller«, beantwortete Parker die Frage des Anwalts. »Die Wikinger-Langboote sind naturgetreue Nachbildungen jener Transportmittel, die im achten bis elften Jahrhundert verwendet wurden. Diese sogenannten Drachenschiffe sind etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Meter lang und ungefähr zwischen drei und fünf Meter breit. Man darf sie als durchaus seegängig bezeichnen. Sie bieten bis zu fünfzig Kriegern Platz, wenn ich dies noch hinzufügen darf.« »Und dieses Spektakel findet jedes Jahr hier statt?« Mike Rander, etwa vierzig Jahre alt, schlank und über mittelgroß, trug ein Dinner-Jackett und machte wie üblich einen leicht blasierten Eindruck. Kathy Porter trug einen modischen Jeans-Anzug und sah im Gegensatz zu dem Anwalt sportlich aus. Sie war einen halben Kopf kleiner als Rander und hatte rotbraunes Haar und exotisch geschnittene Augen. Sie war eine Frau, nach der sich fast jeder Mann automatisch umdrehte. Dennoch wirkte sie nicht herausfordernd, sondern mehr wie ein scheues Reh. Dieser Eindruck täuschte allerdings. Kathy Porter war in fast allen Künsten ostasiatischer Selbstverteidigung erfahren und konnte sich, wenn es sein mußte, innerhalb von Sekunden in eine Pantherkatze verwandeln. Josuah Parker, seines Zeichens Butler der Lady Agatha Simpson, schien, was seine Kleidung anbetraf, noch in der Zeit der Queen Victoria zu leben. Er war die Würde und Korrektheit in Person. Entsprechend sah er auch aus. Er hatte das Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers und hätte es sich nie verziehen, eine Gefühlsregung zu zeigen. Parker war etwa so groß wie Mike Rander, neigte ein wenig zur Vollschlankheit und trug grundsätzlich nur schwarze Kleidung. Der Bowler auf dem Kopf gehörte ebenso dazu wie sein altväterlich gebundener Regenschirm. »Und wie geht’s jetzt hier weiter?« erkundigte sich Mike Rander. Die beiden Langboote waren näher gekommen und hielten genau auf den schmalen Sandstreifen zu. Die zu drohenden Drachenköpfen ausgearbeiteten, hochgezogenen Vordersteven ihrer Boote schienen im nächsten Moment bereits Feuer zu spucken. »Die Herren Wikinger werden sich gleich mit der Besatzung jener Burg dort, Sir, einen Schaukampf liefern«, erläuterte Josuah Parker. »Heute handelt es sich um eine Art Generalprobe. Der 3
eigentliche Höhepunkt wird morgen sein, und Tausende von Neugierigen anlocken.« »Geht denn das ohne Beulen ab?« fragte Mike Rander. »Keineswegs, Sir, wie ich vermelden darf. Im vergangenen Jahr waren etliche Knochenbrüche, Schnitt- und Stichverletzungen und Prellungen dritten Grades zu verzeichnen.« »Netter Sport«, witzelte der Anwalt. »Ich denke, wir ziehen uns etwas zurück, sonst geraten wir zwischen die Fronten.« »Seit wann werden diese Spiele denn veranstaltet?« erkundigte sich Kathy Porter. »Seit vier Jahren, Miß Porter«, gab Parker, Auskunft. »Alte Ritter- und Turnierspiele erfreuen sich immer großer Beliebtheit. Die Fremdenverkehrsverbände pflegen solche Bemühungen nachdrücklich zu unterstützen.« »Es ist soweit«, sagte Mike Rander und zog sich mit Kathy Porter und Butler Parker noch weiter zurück. Die beiden Langboote waren gelandet. Etwa fünfzig brüllende Wikinger stürmten die Festung, die jenseits des Strandes lag. Die begeisterten Laiendarsteller schwangen ihre Schwerter, Streitäxte und Schilde. Sie kamen dicht an der Dreiergruppe vorüber, ein Wikinger brach plötzlich aus der Reihe der Angreifer und stürzte sich mit erhobener Streitaxt auf Kathy Porter. Josuah Parker war mit dieser Sondereinlage nicht einverstanden, doch er griff den Dingen nicht vor und wartete erst mal ab. * Agatha Simpson war eine mehr als stattliche Erscheinung, die automatisch zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft avancierte. Sie war groß und füllig. Über ihr Alter sprach sie schon seit Jahren nicht mehr. Sie feierte auch keine Geburtstage mehr, um peinlichen und gezielten Fragen aus dem Weg zu gehen, die ihren Lebenszahlen hätten gelten können. Sie war immens reich, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, sagte stets ungeschminkt, was sie gerade dachte, und besaß das Durchsetzungsvermögen einer Dampfwalze. Lady Agatha hatte sich der Kriminalistik verschrieben und hielt sich für einen einmalig guten Amateurdetektiv. Darüber hinaus schrieb sie schon seit Jahren an einem Bestseller 4
und hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Bisher hatte sie sich allerdings noch nicht für ein bestimmtes Thema entscheiden können. Als die Wikinger den Strand stürmten, hielt Lady Simpson sich in der schottischen Küstenstadt Arbroath auf, einem beliebten Ferienort an steiler Felsküste nördlich von Dundee. Die ältere Dame befand sich in bester Laune, da man sie um Hilfe gebeten hatte und sie deshalb einen interessanten Kriminalfall witterte. »Kommen Sie endlich zur Sache, Albert«, sagte sie fast freundlich und schaute ihr Gegenüber ein wenig ungeduldig an, »ich möchte mir schließlich diesen Wikinger-Kampf ansehen.« Albert Hoogan, ein rundlicher Fünfziger, seufzte. Er befand sich mit Lady Agatha in einem konservativ eingerichteten Büro, in dem wertvolle alte Möbel standen. »Ich werde erpreßt«, sagte er und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Sie kennen unsere berühmte Arbroath Smokies, Mylady?« »Natürlich«, erwiderte die ältere Dame und nickte wohlwollend, »ich lasse sie mir gern und häufig servieren.« »Unser erstklassig geräucherter Schellfisch ist neben dem Leinen hier das Rückgrat unserer heimischen Wirtschaft.« »Halten Sie mir keine volkswirtschaftlichen Vorträge, Albert«, verlangte die Detektivin. Ihre an sich schon dunkle Stimme näherte sich den Baßtönen. »Wer erpreßt Sie wie?« »Ich habe direkt Angst, darüber zu sprechen«, redete Albert Hoogan weiter. Er war der Leiter der örtlichen Handelskammer und zudem Reeder. Darüber hinaus stand er einem großen Räuchereibetrieb vor, dessen Name auf der Insel sehr bekannt war. »Wenn Sie Angst haben, dann lassen Sie es eben.« Lady Agatha erhob sich erstaunlich leicht aus dem tiefen Ledersessel. »Ich werde mir jetzt diese Wikinger-Generalprobe ansehen.« »Mylady, bitte!« Albert Hoogan hob die gefalteten Hände, »ich brauche Hilfe. Und nicht nur ich!« »Gehen Sie zur Polizei!« Lady Agatha griff nach ihrem Pompadour. Es handelte sich um einen perlenbestickten Handbeutel, wie ihn Damen um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten. »Falls ich mich an die Polizei wende, ist mit Repressalien zu rechnen«, flüsterte Hoogan. »Das hat man mir erst heute angedroht.« »Man will also Geld von Ihnen?« Agatha Simpson blieb stehen 5
und sah auf den wesentlich kleineren Hoogan hinunter. »Was sollen Sie zahlen?« »Fünfzigtausend Pfund. Als eine Art Rate…« Hoogan seufzte erneut und wurde noch kleiner. »Fünfzigtausend Pfund, Lady Simpson! Eine unvorstellbare Summe, wenn man bedenkt, daß mit weiteren Forderungen fest zu rechnen ist.« »Kein Taschengeld«, räumte Lady Agatha ein. »Bis wann sollen Sie zahlen, Albert? Werden nur Sie allein erpreßt?« »Nein, nein, Mylady«, antwortete Hoogan, »ich bin nur so eine Anlaufstelle, weil ich Präsident der örtlichen Handelskammer bin. Meiner Schätzung nach werden wenigstens ein halbes Dutzend Reeder und Bootseigner erpreßt. Alles Leute, die mit dem Schellfisch zu tun haben.« »Wann sollen Sie zahlen, Albert?« Die Detektivin sah ihn leicht gereizt an. »Lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!« »Morgen soll ich die fünfzigtausend Pfund abliefern, Mylady«, antwortete Hoogan. »Ich soll es mit hinaus zur Wikinger-Landung nehmen. Dort will man sich dann bemerkbar machen.« »Nicht schlecht. Diese Idee könnte von mir sein«, fand die ältere Dame und nickte erfreut. »Tausende von Besuchern – da fällt ein einzelner überhaupt nicht auf.« »Das Geld haben wir sicherheitshalber bereits zusammen«, berichtete Albert Hoogan weiter und deutete auf einen schönen, aber leider auch altmodischen Geldschrank in der Ecke seines Büros. »Mylady, wenn Sie uns nicht helfen, werden wir alle hier ruiniert.« »Natürlich werde ich diese Gangster fassen und unschädlich machen«, antwortete die resolute Dame wie selbstverständlich. »Was hat man Ihnen angedroht, falls Sie nicht zahlen?« »Alles, was man sich nur denken kann.« Hoogan schwitzte leicht. »Das reicht vom Zerstören der Fangnetze bis zur Versenkung der Fischerboote. Und dann droht man noch, unsere Räuchereien unbrauchbar zu machen. Wenn wir nicht zahlen, sind wir ruiniert! Und wenn wir zahlen, sind wir’s ebenfalls!« »Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen, Albert«, grollte Lady Simpson. »Noch bin ich da! Solch einen Routinefall löse ich mit der linken Hand. Man geniert sich ja fast, so etwas überhaupt anzugehen! Haben Sie einen bestimmten Verdacht, wer ihnen diese Daumenschrauben vielleicht angesetzt hat?« 6
»Nicht den geringsten, Mylady«, sagte Hoogan. »Ich weiß nur, daß der oder die Erpresser mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sein müssen.« Lady Agatha machte einen leicht zerstreuten Eindruck, nickte geistesabwesend und ging auf Zehenspitzen zur Tür. Hier holte sie tief Luft und… riß dann die schwere Mahagonitür mit wildem Schwung auf. »Aha«, sagte sie, »das dachte ich mir doch!« »Was… Was ist denn?« fragte Albert Hoogan irritiert. »Wir wurden belauscht, aber dieses Subjekt hat sich im letzten Moment abgesetzt.« »Ich… Ich habe nichts gehört.« »Ich auch nicht, aber das hat nichts zu besagen. Ich weiß einfach, daß man uns belauschte. Wer sitzt hier im Vorzimmer?« »Mein Sekretär, Willie Petersen, Mylady.« »Sehr aufschlußreich«, redete die Detektivin weiter, »Sekretäre sind immer verdächtig.« »Aber Mylady«, protestierte Albert Hoogan, »Willie Peterson arbeitet schon seit vielen Jahren…« »Papperlapapp«, unterbrach sie barsch, »Sie sind eben kein Menschenkenner. Peterson ist ein junger, ehrgeiziger Mann, ein Wolf im Schafspelz!« »Er ist gut und gern fünfzig Jahre alt und ein friedlicher Mensch.« »Das dachte ich mir«, bestätigte Lady Agatha, »ich sehe ihn genau vor mir.« »Sie sagten doch eben…« »Schnickschnack, Albert«, schnitt sie ihm das Wort ab, »Sie sind zu arglos. Für mich steht fest, daß Ihr Sekretär ein Doppelleben führt. Ich werde mir dieses Subjekt mal gründlich kaufen. Und nun werde ich mir erst die Landung der Wikinger ansehen. Alles zu seiner Zeit.« Agatha Simpson ließ einen Mann zurück, der sich an den Kopf faßte und total verwirrt war. Sicher bedauerte er es bereits, um Lady Simpsons Beistand gebeten zu haben. * Der streitaxtschwingende Wikinger machte keinen sonderlich 7
friedlichen Eindruck. Er sah auch danach aus. Sein Gesicht war geschwärzt, seine Augen funkelten. Die nackten Oberarme zeigten dicke Muskelpakete. Der Mann stieß urige Kampflaute aus, schwang ständig die nicht gerade kleine Waffe und hielt nach wie vor auf Kathy Porter zu, wobei er Mike Rander und Butler Parker passierte. Josuah Parker war ein überaus höflicher Mensch. Er lüftete seine schwarze Melone, um dann seinen UniversalRegenschirm vom angewinkelten linken Unterarm zu lösen. Mike Rander hingegen lächelte ein wenig amüsiert. Kathy Porter wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück, um sich von dem anstürmenden Wikinger nicht überrennen zu lassen. Der Mann reagierte darauf recht merkwürdig. Er strauchelte aus noch unerfindlichen Gründen, verlor das Gleichgewicht und warf sich mit halbnacktem Oberkörper auf die Luft, die seinem Gewicht selbstverständlich nicht gewachsen war. Er landete krachend auf dem Boden und schlug mit der Schneide der Streitaxt eine tiefe Furche. Danach blieb der Wikinger erst mal leicht benommen liegen. Parker legte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms inzwischen wieder über den angewinkelten linken Unterarm und sah relativ harmlos aus. Mit dem Griff seines Schirms hatte er dem anstürmenden Nordmann den linken Fuß weggezogen und somit die kurze Luftreise eingeleitet. »Nicht so stürmisch«, sagte Kathy Porter und prustete vor Lachen. »Sie sollten sich neu orientieren, guter Mann«, empfahl Mike Rander dem Wikinger, der sich inzwischen wieder erhob und Mike Rander mit finsterem Blick musterte. »Haben Sie mir ein Bein gestellt?« erkundigte sich der Nordmann. »Auf keinen Fall«, versicherte der Anwalt. »Sie dürften gestolpert seih«, schaltete sich Josuah Parker gemessen ein. »Ihre Mitstreiter werden Sie inzwischen vermissen.« Während der Butler darauf verwies, deutete er mit der Spitze seines Regenschirms auf die Wikinger, die sich bereits mit der Besatzung der Festung auseinandersetzten. Es war zu Zweikämpfen gekommen, und die Streitäxte und Schwerter dröhnten auf den Buckelschildern. Die Laiendarsteller schenkten sich nichts und nahmen diesen Kampf sehr ernst. 8
»Lackaffe«, sagte der gestrauchelte Wikinger wütend und warf sich auf Mike Rander. Vorher aber nahm er sich noch die Zeit, Kathy Porter einen glühenden Blick zuzuwerfen. Wahrscheinlich wollte er dieser attraktiven Zuschauerin besonders imponieren. »Bester Mann, ich genieße neutralen Status«, meinte der Anwalt, »dort drüben findet das wilde Kampfgetümmel statt.« Der Wikinger ging nicht darauf ein, schwang wieder eine langstielige Axt und ließ den Arm mit dem schweren Schild vorprellen. Es war seine erklärte Absicht, Mike Rander gerade mit dem Schild zu Boden zu stoßen. »Was soll denn das?« fragte der Anwalt, der geschmeidig zur Seite wich. »Lackaffe«, wiederholte der Wikinger und bemühte sich, Mike Rander einen Schlag mit der Axt zu verpassen. Es gelang ihm aber nicht, da der Anwalt erneut durch einen blitzschnellen Sidestep sich in Sicherheit brachte. »Wenn Sie gestatten, möchte ich meinem Mißbehagen Ausdruck verleihen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen und tippte dem aggressiven Wikinger mit dem Bambusgriff seines Schirms auf die rechte Schulter. Der Nordmann fuhr herum und maß den Butler mit grimmigem Blick. »Sie scheinen das zu sein, was man gemeinhin hitzköpfig nennt«, stellte Josuah Parker fest. »Wollen Sie sich nicht endlich dem interessanten Spiel dort zuwenden?« Das wollte der Wikinger nicht. Er fintierte mit dem Schild und beabsichtigte dem Butler dann einen Schlag mit der Streitaxt zuzufügen. Er holte weit nach hinten aus und… war plötzlich nicht mehr in der Lage, die Streitaxt über den Kopf nach vorn zu bringen. Mike Rander war nämlich hinter ihn getreten und hielt den Unterarm des Mannes fest. »Nun kommen Sie endlich wieder zu sich«, sagte der Anwalt in seiner stets ein wenig herablassend wirkenden Art, die völlig ungewollt war. »Sie machen sich langsam lächerlich!« Der Wikinger schnaubte, wollte seinen Arm befreien und brüllte dann vor Wut. Daraufhin sonderten sich zwei andere Wikinger ab, verließen das Kampfgetümmel und eilten zu der Gruppe. Überraschenderweise schwangen auch sie Schwert und Axt. Sie schienen etwas gegen Butler Parker, Mike Rander und auch Kathy Porter zu haben.
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* »Sie haben diesen Flegeln doch hoffentlich eine ordentliche Lektion erteilt, wie?« fragte Lady Agatha eine knappe Stunde später. Mike Rander hatte gerade von dem Erlebnis am Strand erzählt. Er, Kathy Porter und Josuah Parker befanden sich in einem umgebauten Fischerhaus, das zu einem großen Hotel gehörte und an gut zahlende Gäste vermietet wurde. »Dazu, Mylady, lag keine Veranlassung vor«, antwortete der Butler, »die beiden Wikinger bemühten sich um ihren offensichtlich angetrunkenen Nordmann und führten ihn zurück in das Kampfgeschehen.« »Wie schade.« Lady Agatha seufzte. »Wie ist dieses alberne Schauspiel am Strand ausgegangen?« »Die Besatzung der Festung wurde planmäßig überwältigt«, fuhr Parker gemessen fort. »Es kam zu durchaus eindrucksvollen Zweikämpfen, wie ich bemerken möchte.« »Diese Laiendarsteller haben sich tatsächlich nichts geschenkt«, warf Mike Rander ein. »Teilweise haben sie halsbrecherische Einlagen geboten.« »Nun ja, vielleicht werde ich mir das morgen allein mal ansehen, falls Zeit dazu bleibt«, sagte Lady Agatha, »bis dahin müßte ich diesen Kriminalfall eigentlich gelöst haben.« »Bestimmt, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter. »Er ist eigentlich bereits gelöst«, sagte die ältere Dame wegwerfend, »ich wußte sofort, wer der Erpresser ist.« »Dürfte man unter Umständen Einzelheiten erfahren, Mylady?« Parker hatte Tee serviert und reichte dann Kognak. Lady Agatha, die in einem hochlehnigen Sessel ihren Platz hatte, ließ sich natürlich nicht lange bitten. Sie schilderte, was Albert Hoogan ihr erzählt hatte und verwies anschließend auf den Sekretär. »Sie sind mit Mr. Hoogan bekannt, Mylady?« fragte Mike Rander. »Wie man Leute eben so kennt«, erwiderte sie, »ich habe ihn auf irgendeiner Party kennengelernt, die die schottische Handelskammer gab. Ein netter, aber hilfloser Bursche.« »Fünfzigtausend Pfund, die morgen während der WikingerLandung überbracht werden sollen«, faßte Mike Rander zusammen. »Keine schlechte Idee, sich diesen Tag auszusuchen.« 10
»Tausende von Zuschauern«, meinte Kathy Porter. »Wir werden uns auf Hoogan konzentrieren«, empfahl die Detektivin und sah den Butler an. »Wir werden ihn nicht aus den Augen lassen. Oder haben Sie einen besseren Vorschlag zu machen, Mr. Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, antwortete der Butler. »Man könnte den Transportbehälter, in dem das Geld sich befindet, mit einem kleinen Miniatursender ausstatten.« »Das wollte ich selbstverständlich gerade vorschlagen«, fügte sie umgehend hinzu. »Hoogan soll das Geld laut Erpresser in einem kleinen Picknickkoffer zum Strand bringen.« »Mylady verdächtigen den Sekretär des Mr. Hoogan nicht ohne Grund?« fragte Parker. »Sekretäre sind immer verdächtig«, wiederholte sie auch hier noch mal. »Ich habe ihn mir genau angesehen, als ich Hoogans Büro verließ. Er lief mir im Treppenhaus der Handelskammer direkt in die Arme.« »Mylady gewann keinen sonderlich günstigen Eindruck?« erkundigte sich Josuah Parker. »Ein Heimtücker«, sagte sie prompt. »Dieser Willie Peterson sieht völlig durchschnittlich, subaltern und harmlos aus. Und das macht ihn natürlich bereits verdächtig. Er ist um die Fünfzig und hat einen unsteten Blick. Eigentlich könnten wir ihn schon jetzt verhaften lassen.« »Und wie sehen Sie Mr. Albert Hoogan?« fragte Mike Rander und hatte einige Mühe, ein aufsteigendes Lächeln zu unterdrücken. Er wollte die selbstbewußte Dame aufs Glatteis führen und ein wenig provozieren. »Wie… Wie kommen Sie auf Hoogan, Mike?« fragte sie und wirkte wie elektrisiert. »Er sammelte doch die Einzelbeträge, Mylady«, redete Mike Rander weiter, »und nur über ihn läuft diese Erpressung. Könnte Hoogan sich damit nicht einen besonders raffinierten Trick ausgedacht haben?« »Ich wollte es ja noch nicht aussprechen, mein lieber Junge«, erwiderte sie jetzt wohlwollend, »aber Sie dürfen mir glauben, daß ich auch Hoogan nicht über den Weg traue. Um ehrlich zu sein, gerade ihn halte ich für sehr verdächtig. Wie denken Sie darüber Mr. Parker?« »Es gibt der Möglichkeiten mehrere und viele, Mylady«, erwi11
derte der Butler und zeigte ein ausdrucksloses, glattes Gesicht. »Wie Mylady stets zu bemerken belieben, ist jeder verdächtig.« »Richtig«, sagte sie und nickte bekräftigend, »und dazu gehören auch diese sogenannten Wikinger! Ich denke, ich werde diesen Anführer mal aus der Nähe betrachten. Mr. Parker, wo treffe ich diese ungehobelten Flegel?« * Die ungehobelten Flegel befanden sich in einem sogenannten Landhaus hinter den Palisaden der Festung. Sie hatten sich zum Umtrunk mit einer Art Manöverkritik versammelt. Die beiden eben noch gegnerischen Parteien saßen friedlich zusammen und labten sich an Met, jenem alten nordischen Getränk, das aus Honig zubereitet wurde. Der allgemeinen Stimmung nach zu urteilen, war der vergorene Met noch zusätzlich mit modernen Spirituosen angereichert worden. »Es handelt sich um eine interne Feier«, sagte Mark Penwick, der Leiter des Fremdenverkehrsverbandes, ein großer und schlanker Mann, der noch das Kostüm eines Wikingers trug. Er stand Lady Agatha gegenüber und machte einen besorgten Eindruck. »Die Leute sind ziemlich in Fahrt, Mylady. Sie können es ja hören.« »Das sind einige von Ihnen bereits vor diesem Fest gewesen«, antwortete die Detektivin und deutete auf Kathy Porter, »einer Ihrer Wikinger hat meine Gesellschafterin ja fast zu Tod erschreckt.« »Ich weiß, Mylady, ich weiß.« Mark Penwick nickte. »Ich selbst habe diesen Mann zur Ordnung gerufen.« »Er sollte sich entschuldigen, junger Mann.« Agatha Simpson machte einen durchaus kriegerischen Eindruck. »Dazu dürfte er jetzt nicht mehr in der Lage sein, Mylady.« Der junge Mann, immerhin runde vierzig Jahre alt, lächelte. »Inzwischen dürften alle Nordmänner ziemlich geladen haben.« »Woraus setzen die Wikinger sich eigentlich zusammen?« fragte Kathy Porter, die neben der älteren Dame stand. »Es sind Fischer, Handwerker und kleine Geschäftsleute«, erwiderte der Oberwikinger. Mark Penwick hatte sich Lady Simpson gegenüber als Leiter der Festspiele vorgestellt. »Glauben Sie mir, Miß Porter, es 12
sind alles durchaus brave Leute.« »Die Sie hoffentlich durch die Bank genau kennen, oder?« fragte Lady Agatha und sah Mark Penwick streng an. »Ich kenne jeden von ihnen«, bestätigte Penwick. »An solchen Tagen schlagen sie natürlich leicht mal über die Stränge. Sie wissen, der Ehrgeiz…« »Was für ein Ehrgeiz?« blieb Lady Agatha am Ball. »Nun ja, der Ehrgeiz, besonders gut zu sein, Mylady«, sagte Penwick. »Sie wollen zumindest genausogut sein wie ihre Trainer.« »Sie haben Trainer verpflichtet?« Agatha Simpson wurde hellhörig. »Stuntmen aus London.« Mark Penwick nickte. »Sie arbeiten für die Filmindustrie. Sie haben unseren Männern wichtige Tricks beigebracht, damit es dann während der Festspiele keine Verletzungen gibt – oder daß solche Verletzungen eben nicht zu böse ausfallen.« »Stuntmen aus London.« Agatha Simpson lächelte überraschend wohlwollend und freundlich. »Ihre Festspiele existieren seit vier Jahren, wie ich hörte. Arbeiten diese Stuntmen auch seit vier Jahren für Sie?« »Natürlich, Mylady.« Mark Penwick nickte. »Aber sie wechseln immer mal wieder, was die einzelnen Personen anbetrifft.« »Kennen Sie die Stuntmen dieser Festspiele vom Vorjahr her?« fragte Lady Agatha interessiert weiter. »Einen schon, Mylady.« Penwick nickte. »Die anderen sind neu, aber wie gesagt, das hat nichts weiter zu bedeuten. Diese Leute sind immer Spitze, das kann ich Ihnen versichern.« »Wer war der Flegel, der meine Gesellschafterin anzugreifen wagte, junger Mann?« »Dave Caldy, Mylady, aber bitte, denken Sie daran, daß er leicht angetrunken war.« »Er stammt hier aus Arbroath, Mr. Penwick?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Ein Hitzkopf, Miß Porter.« Penwick hüstelte nervös. »Er ist bei der Handelskammer als Fahrer beschäftigt. Wenn Sie darauf bestehen, wird er sich bei Ihnen entschuldigen, bestimmt.« Bevor Lady Agatha sich dazu äußern konnte, öffnete sich die Tür des Landhauses, und drei Wikinger erschienen, die erst mal stutzten, dann Kathy Porter musterten und anschließend mehr als 13
deutlich zu erkennen gaben, daß Wikinger durchaus in der Lage waren, auch Frauen zu rauben. Sie stürzten sich mit Gebrüll auf Kathy und übersahen Lady Agatha, die sich übergangen fühlte und deshalb ein wenig verstimmt wirkte. * »Mylady ließen Ihren Unmut erkennen?« fragte Josuah Parker etwa anderthalb Stunden später, als seine Herrin mit Kathy Porter in das ehemalige Fischerhaus zurückkam. »Andeutungsweise«, antwortete Lady Agatha und nickte grimmig. Sie schaute unwillkürlich auf ihren Pompadour, den sie gerade abgelegt hatte. Der perlenbestickte Handbeutel enthielt immerhin ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit Schaumstoff umwickelt war. »Zwei Wikinger mußten ärztlich versorgt werden«, warf Kathy Porter ein, »ein dritter konnte an Ort und Stelle behandelt werden.« »Allmächtiger Gott, Mylady, haben Sie die Absicht, die Wikinger-Festspiele auffliegen zu lassen?« fragte Mike Rander und schmunzelte. »Wikinger«, schnaufte sie verächtlich und winkte ab, »Waschlappen wäre der bessere Ausdruck, mein Junge. Sobald diese Laien improvisieren müssen, sind sie erledigt.« »Wie darf man dies unter Umständen verstehen, Mylady?« erkundigte sich der Butler in seiner höflichen Art. »Diese ganzen Zweikämpfe sind Hieb für Hieb nur einstudiert«, berichtete die informierte Lady und nickte huldvoll, als der Butler ihr Tee servierte. »Ich habe mich eingehend mit diesem Oberwikinger unterhalten, Mr. Parker. Wie war doch noch sein Name, Kindchen?« »Mark Penwick, Mylady«, sagte Kathy Porter. »Er ist gleichzeitig der Leiter des hiesigen Fremdenverkehrsverbandes.« »Eine sehr dubiose Erscheinung«, fügte die Detektivin prompt hinzu, »ich frage mich bereits die ganze Zeit, ob er nicht der Erpresser sein könnte.« »Warum sollte er es gerade während der jetzigen Festspiele tun?« wollte der Anwalt wissen. Auch er trank seinen Tee. 14
»Irgendwann beginnt man immer zum ersten Mal, mein Junge«, ließ Lady Agatha ihre Weisheit vom Stapel. »Vielleicht steckt er zusammen mit diesem Dave Caldy unter einer Decke.« »Das ist der Mann, der mich nach der Landung anvisiert hatte«, erläuterte Kathy Porter. »Er ist Fahrer bei der Handelskammer.« »Natürlich traue ich auch diesen Stuntmen aus London nicht über den Weg«, redete die ältere Dame weiter. »Sie könnten sich diesen Coup ebenfalls ausgedacht haben. Sagen Sie, Mr. Parker, wo sind denn eigentlich Sie gewesen?« »Wir haben uns hier in Arbroath umgesehen«, betonte Mike Rander wie beiläufig. »Ein hübsches Städtchen.« »Es hat etwa dreiundzwanzigtausend Einwohner und ist als Ferienort geschätzt und bekannt«, zählte Josuah Parker sofort auf. »Arbroath genießt den Ruf, als Ferienort den meisten Sonnenschein zu haben, was Schottland betrifft. Die Spazierwege auf den Klippen werden gerühmt, Mylady, ebenso die lokalen Golfplätze und auch die Möglichkeiten für das Seeangeln.« »1320 wurde hier die schottische Unabhängigkeit erklärt«, lieferte Mike Rander den nächsten Beitrag, »und seit vielen Jahren finden vor der Arbroath Abbey historische Festspiele statt. Das Wikinger-Festival hat damit nichts zu tun.« »Schnickschnack«, urteilte die ältere Dame grollend, »wer ist der Erpresser? Wer will die fünfzigtausend Pfund haben, die in Hoogans Tresor liegen? Alles andere interessiert mich nicht.« »Liegt das Geld tatsächlich bereits in Hoogans Tresor?« fragte Mike Rander und wechselte schnell einen Blick mit Parke?. »Gezeigt hat er’s mir natürlich nicht, aber er sagte, er habe das Geld sicherheitshalber bereits eingesammelt. Dabei deutete er auf diesen altersschwachen Geldschrank, den ich mit einer Haarnadel öffnen könnte.« »Ein Hinweis, Mylady, den man nur als ungemein interessant bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker dann fest. »Es wird nicht mehr lange in dieser Blechschachtel liegen«, fuhr die ältere Dame grimmig fort. »Morgen soll es ja an den Erpresser weitergegeben werden. Aber ich werde Hoogan nicht aus den Augen lassen, Mr. Parker. Ich werde mich maskieren und in seiner Nähe bleiben. Sobald der Erpresser zulangt, werde ich ihn mit ein paar saftigen Ohrfeigen zur Ordnung rufen. Wo kommen wir denn hin, wenn das so weitergeht? Morgen werde ich mir diesen 15
Erpresser kaufen. Und er kann sich bereits jetzt auf einiges gefaßt machen!« * Josuah Parker hütete das Feuer im Kamin. Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander hatten bereits ihre kleinen Zimmer in der umgebauten Fischerkate aufgesucht und sich zu Bett begeben. Der Butler aber saß, vollständig angekleidet, steif und korrekt in einem hochlehnigen Sessel und blätterte in einer Zeitschrift für Elektronik. Er informierte sich über den neuesten Stand der Technik auf diesem Gebiet, denn er war ein begeisterter Hobbywerker, der sich immer wieder neue Tricks einfallen lassen, um potentielle Gegner elegant und möglichst geräuschlos aus dem Verkehr zu ziehen. Parker verachtete plumpe Gewalt und spielte mit Gangstern und Ganoven am liebsten eine Art Schach. Er liebte es, sich in die Vorstellungs- und Gedankenwelt seiner Gegner zu versetzen und ihre Ansichten im vorhinein zu berechnen. Dank dieser Methode war es ihm bisher stets gelungen, auch die übelsten Burschen auszuspielen. Es ging auf ein Uhr, als Parker sich erhob und nach Melone und Regenschirm griff. Er legte noch einige Holzscheite ins Feuer und suchte dann seine Schlafkammer auf. Er öffnete das Fenster und stieg lautlos in die Dunkelheit. Der Butler hatte keineswegs nur vor, sich die Füße zu vertreten. Sein Ziel war das alte Backsteingebäude im Zentrum des Ferienortes, wo die Handelskammer untergebracht war. Er hatte die Absicht, den Büroräumen einen Besuch abzustatten. Nach einer Viertelstunde war das Ziel bereits erreicht. Unterwegs hatte er nur wenige Autos auf den Straßen gesehen und sich vor deren Scheinwerfern in Sicherheit gebracht. Auch einigen Passanten war er ebenfalls aus dem Weg gegangen. Parker wollte nicht gesehen werden. Arbroath schlief um diese Zeit. Nachtlokale gab es hier nicht, wenigstens nicht im Zentrum. Die wenigen privaten Clubs, die noch geöffnet hatten, befanden sich weiter unten in der Nähe des Hafens. Mit Überraschungen rechnete der Butler nicht. Parker ging um das Haus herum, brachte den Parkplatz hinter sich und stieg über eine Steintreppe hinunter zum Souterrain des 16
Hauses. Er fand hier eine Tür, die laut Aufschrift zu den Heizungsräumen führte, die aber selbstverständlich verschlossen war. Parker bemühte sein kleines Spezialbesteck und brauchte nur etwa anderthalb Minuten, bis er diese Tür geöffnet, sie passiert und wieder hinter sich geschlossen hatte. Er ging durch den altertümlich geschlossenen Raum, dann über eine Eisentreppe nach oben und musterte die schwere Eisentür. Als Lichtquelle benutzte er einen seiner Spezial-Kugelschreiber, der nichts anderes war als eine Taschenlampe mit einem scharf gebündelten Strahl. Er bemühte erneut sein Spezialbesteck und dann eine kleine Spraydose, die er einer seiner vielen Westentaschen entnahm. Diese Spraydose war kaum größer als ein Zerstäuber, wie im Fall eines hartnäckigen Schnupfens von der pharmazeutischen Industrie angeboten wird. Parker besprühte mit dem Inhalt die drei schweren Türangeln und beugte so einem Ächzen oder Quietschen vor. Die Tür öffnete sich geräuschlos. Butler Parker konnte in den rückwärtigen Teil der Eingangshalle sehen. In einer Art Loge, die zur eigentlichen Halle hin verglast war, saß ein Nachtwächter und blätterte gelangweilt in einer Zeitung. Der Mann schien sechzig zu sein, die hintere Tür zu seiner Loge war halb geöffnet. Um sie zu erreichen, hätte Josuah Parker rund zehn Meter gehen müssen. Der Butler unternahm erst gar nicht den Versuch, diese Distanz vorsichtig zu überwinden. Er wollte nicht per Zufall entdeckt werden. Zudem lag es ihm mehr als fern, diesen Mann dann etwa durch körperliche Gewalt außer Gefecht zu setzen, um der Auslösung eines Alarms zuvorzukommen. Parker hatte andere Möglichkeiten, den Nachtwächter für eine gewisse Zeit in Ruhestellung zu bringen. Er zog aus seiner Ziertuchtasche eine Zigarettenspitze, die sich erstaunlicherweise teleskopartig verlängern ließ. Damit verfügte er in Sekundenschnelle über ein kleines Blasrohr von etwa dreißig Zentimeter Länge. Er bemühte seine kleine, unscheinbare Pillendose und entnahm ihr eine Pille, die nicht größer war als der Kopf eines Streichholzes. Er schob dieses Geschoß in das Mundstück des Blasrohrs, visierte dann die Thermoflasche an, die vor dem sitzenden Mann auf dem schmalen Tisch stand, holte tief Luft und… beförderte die Pille in die Loge. Sie landete zielsicher auf der Thermosflasche und bröckelte an der Plastikummantelung ab. 17
Der Nachtwächter zuckte vor Überraschung zusammen, beugte sich vor und tat damit genau das, was Parker vorausberechnet hatte. Der Mann schaute nach, was da wohl gegen die Thermosflasche geflogen war. Er beugte sich also vor atmete prompt die unsichtbaren Dämpfe ein, die den winzigen kleinen Tonscherben entstiegen. Der Mann war nach etwa anderthalb Sekunden bereits so benommen, daß er keine Zeit mehr fand, den Alarmknopf zu betätigen. Er schnaufte noch ein wenig, beugte sich dann noch weiter vor, legte seine rechte Gesichtshälfte auf den Unterarm und schnarchte diskret. * Parker, der es normalerweise ablehnte, einen bestimmten Gemütszustand zu zeigen, lächelte andeutungsweise, als er vor dem Geldschrank stand. Er war hinauf ins Privatbüro Albert Hoogans gegangen und leuchtete das Schloß ab. Lady Simpson hatte in der Tat nicht übertrieben. Der Geldschrank war altersschwach und mit einer Haarnadel zu öffnen. Dennoch war Parker vorsichtig. Bevor er sich mit dem Schloß befaßte, vergewisserte er sich, ob eine elektronische Warnanlage existierte. Nach wenigen Augenblicken wußte er, daß dies nicht der Fall war. Er benutzte selbstverständlich keine Haarnadel, sondern sein Spezialbesteck. Es befand sich in einer Art Zigarettenetui und bestand aus hochwertigen Werkzeugen, die nach Art eines Baukastensystems kombiniert werden konnten. Mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Chirurgen beschäftigte er sich etwa drei Minuten mit dem Schloß, um dann die Tür aufzuziehen. Der Butler leuchtete ins Innere des Geldschranks und gestattete sich in Anbetracht der Lage, ein wenig verwundert zu sein. Vom Geld war nämlich nichts zu sehen… Die meisten Fächer waren leer, wie sich zeigte. Dann gab es einige Schnellhefter und Aktenordner mit unwichtiger Korrespondenz, aber von Pfundnoten war weit und breit nichts zu sehen. Entweder hatte Albert Hoogan die fünfzigtausend Pfund sicherheitshalber erst gar nicht diesem Schrank anvertraut und das Geld an anderer Stelle versteckt – oder aber es war bereits ent18
nommen worden. Bevor der Butler sich mit dieser Frage näher befassen konnte, hörte er ein Geräusch im Treppenhaus. Er reagierte blitzschnell. Parker drückte die Tür des Geldschranks zu und begab sich in eine Garderobennische. Er baute sich hier auf und harrte der Dinge, die kommen mußten. Daß es nicht der Nachtwächter sein konnte, der sich näherte, war ihm klar. Dieser Mann mußte noch fest schlafen. Vor einer halben Stunde erwachte er sicher kaum. Schritte waren zu hören, die auf Selbstsicherheit und Ortsvertrautheit schließen ließen. Dann wurde die Tür geöffnet, und der Lichtstrahl einer Taschenlampe bewegte sich über den Parkettboden. Dieser Lichtschein heftete sich auf den Geldschrank und schälte ihn aus der Dunkelheit. Im Widerschein der eingeschalteten Taschenlampe machte der Butler zu seiner Überraschung einen Wikinger aus, dessen Gesicht geschwärzt war. Die Gestalt trug einen Hörnerhelm, Fellbekleidung und Fellschuhe, die bis zu den Waden hochgebunden waren. Der Wikinger fühlte sich hier in Hoogans Privatbüro sicher und kam überhaupt nicht auf die Idee, das Büro erst mal auszuleuchten. Der Mann befaßte sich umgehend mit dem Geldschrank und benutze zum Öffnen der Tür ein modernes Brecheisen. Der Nordmann Schaffte es mit roher Gewalt. Gewiß, er brauchte erheblich mehr Zeit als Josuah Parker, doch nach zehn Minuten hatte die Tür jeden Widerstand aufgegeben und ließ sich aufzerren. Der Wikinger beugte sich vor und… fluchte. Auch ihm fiel sofort auf, daß hier keine Beute zu machen war. Josuah Parker hielt seine überlange Zigarettenspitze in der rechten, schwarzen behandschuhten Hand. Im Mundstück befand sich ein fast winzig zu nennender Blasrohrpfeil, der kaum größer war als eine Nähnadel. Zur Stabilisation während des Fluges waren am Ende dieses Blasrohrpfeils kleine Flaumfedern angebracht. Der Butler holte Luft, visierte den nackten linken Oberschenkel des Wikingers an und schickte den Pfeil auf die Luftreise. Der Überraschte zuckte zusammen, als der Blasrohrpfeil sich in seinen Oberschenkel festbiß. Er fuhr hoch, griff nach der brennenden Stelle in seiner Haut und hielt dann das seltsame und unheimliche wirkende Geschoß in Händen, über die er moderne Handschuhe gestreift hatte. Er achtete verständlicherweise nicht weiter auf seine nähere Umgebung und mußte wohl erst mal seelisch mit 19
diesem kleinen Pfeil fertig werden. Butler Parker nutzte die Gelegenheit, um die Garderobennische zu verlassen. Er wechselte lautlos zum Geldschrank hinüber, blieb dicht neben ihm stehen und benutzte dann den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms, den Wikinger auf eine Traumreise zu schicken. Parker legte diesen schweren Bambusgriff nämlich auf den Hörnerhelm des Wikingers und trieb ihn mit einem kurzen, aber kräftigen Schlag über Stirn und Augen des Nordmannes. Der Wikinger produzierte einige gurgelnde Geräusche, um sich dann vor dem aufgestemmten Geldschrank zu einer Ruhepause niederzulassen. * Mike Rander war von einem scharrenden Geräusch wach geworden. Er atmete natürlich ruhig und fest weiter, spitzte aber die Ohren und dachte sofort an ungebetene nächtliche Besucher. Er hatte inzwischen herausgefunden, daß man sich am Fenster seiner Schlafkammer zu schaffen machte. Wahrscheinlich war jemand dabei, die Scheibe mit einem Glasschneider zu ritzen. Mike Rander wunderte sich nicht. Sein Bett stand in einem ungünstigen Winkel der Kammer. Um an ihn heranzukommen, mußte der Angreifer schon ins Zimmer einsteigen. Ob man ihn ins Jenseits befördern wollte, wußte er natürlich nicht, doch er richtete sich darauf ein, daß der Vorgang nicht gerade ein Höflichkeitsbesuch werden sollte. Der Anwalt ließ sich vorsichtig aus dem Bett gleiten und baute sich neben dem Kleiderschrank auf. Er hatte den Aschenbecher auf dem Nachttisch als Waffe mitgenommen. Nun wartete er darauf, daß der nächtliche Besucher endlich das Fenster öffnete. Der Unbekannte besorgte das mit Einfühlungsvermögen und handwerklicher Tüchtigkeit. Er zog die angeschnittene Scheibe mit einem Saugheber aus dem Fensterglas, griff dann nach dem Riegel und schob das Fenster hoch. Wenig später stieg er ein, leuchtete kurz das Bett an und… schnaufte dann tief. »Scheußliche Zeit für einen Besuch«, sagte Mike Rander, der ihm den Zeigefinger in den Rücken bohrte. »Spielen Sie nicht 20
verrückt, guter Mann, ich drücke sonst ab!« »Schon gut, schon gut«, erwiderte der nächtliche Besucher und blieb stocksteif stehen. »Lassen Sie Ihre Kanone fallen«, redete der Anwalt weiter. »Ich… Ich hab’ keine bei mir.« Während der Besucher das sagte, spannte er seine Muskeln, wie Mike Rander spürte. Der Mann hatte eindeutig die Absicht, die momentanen Kräfteverhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern. Ob er tatsächlich ohne Schußwaffe gekommen war, konnte Mike Rander nicht beurteilen. Dann erfolgte auch schon der Angriff. Der Besucher wirbelte blitzschnell herum und hätte den Anwalt voll erwischt, wenn Mike Rander sich nicht tief gebückt hätte. Die herumschnellende Hand des Angreifers traf nichts als Luft, Mike Rander hingegen zielte mit seiner Handkante wesentlich besser. Der Schlag landete auf den kurzen Rippen unterhalb der Herzgegend, worauf der nächtliche Besucher sofort echte Atemschwierigkeiten bekam. Er knickte ein, ließ ein Messer fallen und schnappte nach Luft. Mike Rander verabreichte seinem ungebetenen Gast einen zweiten Jagdhieb und ging dann fast lässig zur Tür. Er schaltete Licht ein und zog die Vorhänge vor das Fenster. Erst dann widmete er sich dem Mann, der wie geistesabwesend auf dem Boden hockte. Er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre zählen, war mittelgroß und stämmig. Nicht weit von seiner rechten Hand entfernt lag tatsächlich ein Messer auf dem Läufer, doch der Mann war einfach wie gelähmt und nicht in der Lage, danach zu greifen. Die beiden Handkantenschläge hatten ihm arg zugesetzt. »Ich weiß, Sie wollten die junge Dame besuchen, die hier wohnte«, sagte Mike Rander und zündete sich eine Zigarette an. »Ihr Pech, daß wir die Zimmer getauscht haben.« Der Mann sah ihn wütend an und erhob sich langsam. »Wollten Sie mit dem Messer einen Flirt einleiten?« erkundigte sich der Anwalt weiter. »Dafür werden Sie noch bezahlen«, keuchte der Mann kurzatmig und drückte sich weiter hoch. »Für den Tausch des Zimmers?« Rander lächelte herablassend. »Warum haben sie sich nicht gründlicher informiert?« »Ich… Ich bin nicht allein«, sagte der Mann und bemühte sich um ein triumphierendes Grinsen. Er sah betont zum Fenster hinüber. 21
»Wie schön für Sie, guter Mann.« Mike Rander dachte nicht daran, sich zum Fenster umzuwenden. »Eben«, sagte da leider eine dritte Stimme. Sie kam vom Fenster her. »Nehmen Sie schleunigst die Flossen hoch, Mann, sonst zapfe ich Sie an!« * Butler Parker sah sich das Gesicht des Wikingers eingehend an. Er hatte den Nordmann bisher noch nicht gesehen. Der kühne Seefahrer und Eroberer war seiner Schätzung nach knapp dreißig Jahre alt, von normaler Größe und schlank. Er trug keine reguläre Waffe, sondern eine Art Holzkeule, die in seinem Fellgürtel steckte. Josuah Parker begab sich gemessen hinüber in das Vorzimmer von Hoogans Privatbüro und besorgte sich ein Stempelkissen. Dann schritt er zurück zu dem Wikinger und färbte dessen Fingerkuppen der rechten Hand. Anschließend preßte er die präparierten Finger auf einen Papierkorb und erhielt somit einen erstklassigen Satz von auswertbaren Fingerabdrücken. Als er diese Arbeit beendet hatte, kam der Wikinger wieder zu sich. Das chemische Präparat, mit dem die Spitze des kleinen Blasrohrpfeils bestrichen war, ließ in seiner Wirkung nach. Aber noch stand der Wikinger ganz unter dem Eindruck seines Hörnerhelms, der ihm tief über die Ohren getrieben worden war. »Ich bitte, diese Behandlung entschuldigen zu wollen«, sagte Josuah Parker zu dem Mann, der gerade ein wenig fahrig nach dem hinderlichen Helm langte. »Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen später behilflich sein.« »Wer sind Sie?« fragte der Mann langsam und zerrte inzwischen schon wütend an seiner Kopfbedeckung, die sich nicht anliften ließ. »Sehen Sie in meiner bescheidenen Wenigkeit einen ebenfalls interessierten nächtlichen Besucher«, antwortete Parker in seiner barock-höflichen Art. »Darf ich darauf aufmerksam machen, daß der Geldschrank leer ist, wie der Augenschein mich lehrte?« »Leer? Haben Sie das Geld?« Der Wikinger zerrte verzweifelt an seinem Hörnerhelm, der sich bereits lockerte. 22
»Die Antwort darauf möchte ich schuldig bleiben«, entgegnete Josuah Parker ausweichend, »darf ich anregen, daß Sie dieses Thema mit der Polizei diskutieren?« »Sie wollen die Polizei alarmieren?« »Sobald Sie Platz genommen haben!« »Hören Sie, ich bin kein Dieb!« Die Stimme des Wikingers klang wütend und verzweifelt zugleich. »Mit einem Brecheisen verstehen Sie aber ausgezeichnet, umzugehen, wenn ich dies bemerken darf.« »Ich wollte nur… Also schön, ich wollte das Geld rausholen, aber ich wollte nicht…« »Sie wollten es wahrscheinlich nur in Sicherheit bringen, weil Sie diesem Geldschrank nicht trauten, oder?« »So ungefähr.« Der Wikinger hatte es endlich geschafft und den Hörnerhelm hochgedrückt. Seine Ohren machten übrigens einen lädierten Eindruck. Sie waren stark gerötet, ein wenig zerschrammt und lädiert. Der Helm hatte ziemlich festgesessen. Parker konnte sich jetzt das Gesicht des Mannes noch genauer ansehen. Er leuchtete es mit seiner Kugelschreiber-Taschenlampe an. »Sie werden meiner bescheidenen Wenigkeit sicher sagen können, woher Ihr Wissen stammt, wonach sich in diesem Schrank Geld befinden soll?« »Ich weiß es eben.« Der Mann schielte nach seiner Keule. »Ihrem Dialekt nach zu urteilen, müssen Sie aus dieser Region stammen, oder sollte man sich irren?« »Haben Sie das Geld aus dem Schrank geholt?« fragte der Mann. Er wollte sich gelassen geben, doch er schielte inzwischen noch intensiver nach der Keule. »Sie brachen ihn mit dem Stemmeisen auf«, deutete der Butler diskret an. »Meine Wenigkeit erschien erst nach diesem Gewaltakt.« »In dem Geldschrank lag keine einzige Pfundnote!« »Dies war und ist nicht zu übersehen, wie ich einräumen möchte.« »Mit welch einer Summe hatten Sie denn gerechnet, wenn man fragen darf? Sollten Sie sich etwa Hoffnung auf fünfzigtausend Pfund gemacht haben?« Der Wikinger blieb die Antwort schuldig, da weitere Wikinger in Erscheinung traten. Es handelt sich um genau drei Nordmänner in Fellkleidung, die mit geschwungenen Streitäxten und Schwertern 23
das Büro Albert Hoogans stürmten und erkennen ließen, daß sie Butler Parker nicht gewogen waren. * »Einen Moment, wenn ich höflichst bitten darf«, rief Josuah Parker den anstürmenden Nordmännern entgegen. Die drei Wikinger bremsten ihren Schwung ab und sahen den Butler ausgesprochen verdutzt an. Ja, sie wirkten sogar ein wenig verlegen. »Man muß davon ausgehen, daß Sie einen Akt planen, den ich nur als unfreundlich bezeichnen kann?« Parkers Stimme klang höflich. Die jetzt insgesamt vier Nordmänner hatten solch eine gezielte Frage mit Sicherheit nicht erwartet. Sie schauten sich wechselseitig an und ließen dabei ein wenig ihre diversen Kampfgeräte sinken. »Sie sollten sich über die möglichen Konsequenzen einer Körperverletzung im klaren sein«, sagte der Butler weiter und langte dabei völlig unauffällig in eine seiner Westentaschen. Mit Daumen und Zeigefinger griff er nach einer vielfach durchlöcherten, aber kleinen Plastikkapsel, die eine Glasampulle enthielt. »Wo ist das Geld?« fragte jetzt der Wikinger, der den Tresor aufgestemmt hatte. »Woher, wenn man fragen darf, wissen Sie von diesem Geld? Es handelt sich doch offensichtlich um jene fünfzigtausend Pfund, die man einem Erpresser zuspielen will.« Die vier Wikinger wechselten erneut Blicke und verloren nichts von ihrer Verlegenheit. Ihr Angriffsschwung war inzwischen nicht nur gebremst, er schien auch bereits in sich zusammengefallen zu sein. »Der Geldschrank war leer«, sagte der erste Wikinger zu seinen drei Hilfskräften. »Dies erlaube ich mir zu bestätigen«, pflichtete Parker ihm bei. »Darf man davon ausgehen, daß Sie zu jenen Leuten gehören, die diese horrende Summe mitaufgebracht haben?« Butler Parker hatte die Gelegenheit genutzt, die Schreibtischlampe einzuschalten. Die Licht- und Sichtverhältnisse in Hoogans Privatbüro waren inzwischen ausgezeichnet. 24
»Sie fragen zuviel«, meinte ein Nordmann, der sich durch einen kräftigen Bauchansatz auszeichnete. »Sie schnüffeln zuviel herum. Ich denke, wir sollten Ihnen ‘ne Lektion erteilen. Danach werden Sie bestimmt schleunigst unsere Stadt verlassen.« »Wäre dies eine Lösung Ihres Problems?« Parker blieb höflich und zeigte nicht die Spur von Angst. Und die vier Wikinger nahmen das nicht nur zur Kenntnis, sie waren auch beeindruckt. »Weshalb sind Sie hierher ins Büro gekommen? Sind Sie hinter dem Geld her?« fragte ein anderer Wikinger, der ein wenig schwachbrüstig wirkte. »Wer sagt uns denn, ob Sie das Geld nicht geklaut haben?« stellte der nächste zur Debatte. »Fünfzigtausend Pfund müßten meine diversen Taschen mit Sicherheit ausbeulen«, meinte Josuah Parker. »Finden Sie nicht auch, daß die erwähnte Summe sich möglicherweise gar nicht im Geldschrank befunden haben könnte? Ich möchte dies zur allgemeinen Diskussion stellen.« Die vier Wikinger starrten den Butler an und brauchten einige Zeit, bis sie seine Worte verdaut hatten. Sie mußten sich verständlicherweise erst mal auf die Ausdrucksweise des Butlers einstimmen. »Zum Teufel, wer sollte sie denn gestohlen haben?« fragte schließlich der Besitzer des Stemmeisens. »Sie gehen, wenn ich dies in aller Bescheidenheit feststellen darf, von der falschen Voraussetzung aus«, erwiderte der Butler. »Ich frage noch mal: War die Summe in Form von Pfundnoten überhaupt dort im Geldschrank? Oder mit anderen Worten: Könnte Mr. Hoogan die fünfzigtausend Pfund sicherheitshalber gar nicht darin deponiert haben? Wenn dem so wäre, so müßte das Geld sich vielleicht in seiner Privatwohnung befinden, oder selbstverständlich auch an einem anderen Ort. Es gibt der Möglichkeiten viele.« Dieser Ansicht waren auch die vier Nordmänner. Sie steckten die Köpfe zusammen und diskutierten leise miteinander. Die Anwesenheit des Butlers schienen sie darüber zu vergessen. Daß er es nicht mit berufsmäßigen Gaunern zu tun hatte, war Parker längst klar. Dennoch wollte er kein unnötiges Risiko eingehen. Er schnipste die Plastikkapsel auf die vier Männer zu, nachdem er die Glasampulle darin zerdrückt hatte. Dann holte Parker tief 25
Luft und beobachtete die feine Nebelwolke, die prompt vom Boden aufstieg und bei den vier Wikingern einen ausgiebigen Hustenreiz auslöste. Sie husteten noch, als Parker bereits im Treppenhaus war und gemessen nach unten stieg. Ihm lag daran, die Meinungsfindung der vier Nordmänner nicht weiter zu beeinflussen. Zudem hatte er noch einiges vor, das keinen weiteren Aufschub duldete. * Der zweite Mann in Mike Randers Zimmer war ebenfalls etwa fünfundzwanzig Jahre alt, allerdings klein und schlank. Er hielt einen Revolver in der rechten Hand, der mit einem Schalldämpfer versehen war. Der zweite nächtliche Besucher machte auf den Anwalt einen recht unangenehmen Eindruck. Er schien nur auf eine Gelegenheit zu warten, um abdrücken zu können. Der zweite Mann baute sich vor der Tür zu Mike Randers Schlafkammer auf und lächelte tückisch. »Sie wollten zu Miß Porter?« fragte der Anwalt. »So geht’s auch«, sagte der zweite Mann, »wer im Spital landet, ist uns egal.« »Sie sind nicht auf irgendeine Beute aus?« fragte Mike Rander weiter. »Mit Bargeld könnte ich durchaus dienen.« »Wir wollen, daß Sie von hier verschwinden«, antwortete der Schlanke. »Sie stören.« »Bezieht sich das nur auf mich?« »Auf euren ganzen Verein«, lautete die Antwort. Der erste Besucher hielt sein Messer wieder in der Hand und musterte den Anwalt haßerfüllt. Der Mann war eindeutig nachtragend, wie Mike Rander erkannte. Er hatte die beiden Jagdhiebe nicht vergessen und wollte sich dafür revanchieren. »Wir haben nichts gegen Wikinger«, stellte Mike Rander richtig. »Wir haben aber was gegen Schnüffler«, sagte der Besitzer des Messers und rückte langsam auf Mike Rander vor, »wir lassen uns die Tour nicht vermasseln.« »Halt die Klappe«, fuhr ihn der Besitzer der Schußwaffe barsch an, um sich dann wieder dem Anwalt zuzuwenden. »Du kannst wählen, Messer oder Kanone.« 26
»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Anwalt. Er tat nervös und wich zur Seite aus. So schaffte er es, daß nun auch der Messerheld in Höhe der Tür zu stehen kam. »Auf was sollen die Ärzte dich behandeln?« Der Schlanke grinste. »Du kannst frei entscheiden.« »Wollen Sie etwa auch die beiden Damen…?« Mike Rander tat noch nervöser. »Mal sehen.« Der Stämmige mit dem Messer zuckte die Achseln. »Typen wie ihr brauchen ‘ne kräftige Lektion.« »Einen Moment«, erwiderte Mike Rander hastig, »man kann sich doch auch verständigen. Was halten Sie davon, wenn wir freiwillig Arbroath verlassen und uns nicht weiter um das Festival kümmern? Wir könnten in spätestens einer Stunde losfahren. Aber wir müssen erst noch packen, verstehen Sie?« »Messer oder Kanone?« fragte der Schmale erneut. Er schien von Mike Randers Vorschlag überhaupt nichts zu halten. »Die fünfzigtausend Pfund interessieren uns nicht«, versicherte der Anwalt gespielt hastig. »Fünfzigtausend!« Der Schlanke lachte spöttisch, als amüsiere ihn dieser Betrag. »Mann, was sind schon…« »Schnauze«, fuhr der Stämmige warnend dazwischen. Er stand seitlich neben seinem Partner. Mike Rander wunderte sich innerlich immer mehr darüber, daß Josuah Parker noch immer nicht in Erscheinung trat. Der Butler mußte doch inzwischen längst aufgewacht und aufmerksam geworden sein. »Ihnen geht es gar nicht allein um die fünfzigtausend Pfund?« fragte Mike Rander sofort. Er richtete sich darauf ein, die beiden Gangster anzugreifen. Während seines langjährigen Aufenthaltes in den USA hatte er viel dazugelernt, was diverse Kampftechniken betraf. Er fürchtete hier nicht das Messer, sondern die Schußwaffe. Ihm war längst klar, daß der Schlanke förmlich danach giert, endlich einen Schuß anzubringen. Doch dann kam wieder mal alles ganz anders. Die Zimmertür, vor der die beiden Gangster standen, löste sich plötzlich explosionsartig aus dem Schloß, schwang in den Raum und wurde mit Urgewalt in die Rückenpartie der Gangster befördert. Sie reagierten entsprechend. Per Stämmige verlor zuerst sein Messer, dann sein Gleichgewicht. Er flog auf Mike Rander zu, der verständlicherweise ein 27
wenig zur Seite trat, um nicht gerammt zu werden, als der Gangster ihn passierte, langte der Anwalt mit seiner Handkante blitzschnell zu und veranlaßte den Mann, einen Salto vorwärts zu absolvieren, der allerdings völlig mißlang. Der Gangster blieb stumm auf dem Fußboden liegen und ließ deutlich seih Desinteresse an weiteren Vorgängen erkennen. Der Schmale schaffte es zwar noch, einen Schuß abzufeuern, doch das Geschoß verfehlte sein gedachtes Ziel und landete im Holzbalken des kleinen Kamins. Inzwischen aber hatte Mike Rander schon die Ferse seines linken Fußes als Waffe eingesetzt und kickte den Gangster in Richtung Kamin. Der Mann krachte in die hochstäubende Asche und blieb dann ebenfalls liegen. Er stierte auf Lady Agatha, die in der geöffneten Tür stand, die übrigens windschief in der Angel hing. Die ältere Dame erinnerte Mike Rander irgendwie an eine etwas füllig geratene Rachegöttin aus der griechischen Mythologie, was wohl mit dem weiten, wallenden Nachthemd zusammenhing, das sie trug. * »Spät kommt ihr – doch ihr kommt«, zitierte Mike Rander einen bekannten kontinentalen Dichter und Dramatiker. Er nickte Butler Parker zu, der im Wohnraum der umgebauten Fischerhütte erschien und höflich seine schwarze Melone lüftete. »Der weite Weg, Sir, entschuldigt möglicherweise mein Säumen«, vollendete der Butler das Zitat, wenn auch in leicht abgewandelter Form. »Shakespeare?« fragte Lady Agatha interessiert, während Kathy Porter lächelte. »Ein Herr namens Schiller«, erwiderte Josuah Parker. »Wurde meine bescheidene Wenigkeit vermißt, wenn man fragen darf?« »Natürlich nicht, Mr. Parker«, antwortete seine Herrin genußvoll, »Sie hätten hier wahrscheinlich nur gestört.« »Was unverzeihlich gewesen wäre, Mylady.« »Ich habe zwei Gangstern die Flötentöne beigebracht«, berichtete Lady Agatha weiter, »sie hängen jetzt im Rauch.« »Wie wäre dies zu interpretieren, Mylady?« »Diese beiden Gangster hocken in einer Räucherkammer«, schaltete sich Mike Rander lächelnd ein, »früher wurden darin mal 28
Fische präpariert.« »Demnach erhielten Mylady nächtlichen Besuch?« erkundigte sich Parker. »Man wollte Miß Porter mit einem Messer behandeln«, erklärte der Anwalt, »aber wir hatten die Schlafkammern getauscht, und so gerieten die beiden Burschen an mich.« »Sie hatten Grund für den Zimmerwechsel Sir?« »Reine Instinktsache«, meinte der Anwalt wegwerfend, »ich denke, die beiden Gangster können von Glück reden, daß Miß Porter sie nicht in Empfang genommen hat. Ich war wohl etwas friedfertiger.« »Handelt es sich um wirkliche Gangster, wenn diese Frage erlaubt ist?« »Profis«, antwortete Rander, »und erstaunlicherweise scheinen sie herzlich wenig an diesen fünfzigtausend Pfund interessiert zu sein, wie ich heraushörte.« Josuah Parker lauschte überaus höflich dem Bericht, den Mike Rander ihm erstattete. Dann mußte er sich anhören, wie Mylady in einem dramatischen Bericht von Kampf mit den beiden Gangster erzählte. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich den Flegeln ein kleines Feuer unter den Füßen angezündet«, schloß sie, »aber angeblich soll das ja herzlos und roh sein.« »Vielleicht ein wenig zu streng«, meinte Josuah Parker und verzog keine Miene, »aber darf ich noch mal auf die erwähnten fünfzigtausend Pfund zurückkommen? Die beiden Gangster dürften also völlig andere Vorstellungen haben, was die Summe anbetrifft?« »Eindeutig«, bestätigte der Anwalt, »diese fünfzigtausend Pfund betrachteten sie als eine Art Bagatelle. Ich glaube, daß ich mich nicht verhört habe.« »Sie werden uns schnell sagen, an welche Summe sie denken«, ließ die Detektivin sich vernehmen, »man sollte die beiden Subjekte ein wenig anräuchern. Nur ein klein wenig, das würde schon reichen.« »Die Herren Wikinger, mit denen ich das Vergnügen hatte, waren eindeutig nur an fünfzigtausend Pfund interessiert.« Josuah Parker lenkte damit die ältere Dame erfolgreich ab. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte man es also mit zwei verschiedenen Gruppen zu tun haben.« 29
»Sie hatten mit Wikingern zu tun?« Agatha Simpson sah den Butler unwirsch an. »Sie waren heimlich unterwegs?« »Wenn Mylady erlauben, werden Mylady umgehend Einzelheiten erfahren«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich aber vorher noch Tee servieren?« »Und etwas gegen meinen angegriffenen Kreislauf«, bat die resolute Dame, »auf den Tee kann ich gern verzichten, mir genügt ein Schluck Kognak!« * »Fassen wir also noch mal kurz zusammen«, sagte Mike Rander, nachdem Josuah Parker seinen Bericht beendet hatte. »Die vier Wikinger verließen also die Handelskammer und fuhren sofort in Mr. Hoogans Privathaus.« »In der Tat, Sir!« Parker deutete ein zustimmendes Nicken an. »Die vier Herren waren derart innerlich engagiert, daß ihnen entging, daß meine Wenigkeit ihnen folgte.« »Woher hatten Sie denn den Wagen, Mr. Parker?« erkundigte sich die Lady süffisant. »Ich war so frei, Mylady, ihn mir zu entleihen«, gab der Butler zurück, »nachdem ich ihn später an seinen Platz zurückgebracht hatte, hinterließ ich eine Art Benutzungs- und Benzingeld auf dem Vordersitz.« »Immer korrekt, nicht wahr?« Die Detektivin nippte ausgiebig an ihrem Kognak. »Mylady dürfen mir glauben, daß es meiner bescheidenen Wenigkeit ungemein peinlich war, einen fremden Wagen zu benutzen«, versicherte Parker, »in Anbetracht der Ermittlungen jedoch war ein schnelles Handeln vonnöten.« »Die vier Wikinger klingelten also Hoogan aus dem Schlaf?« Mike Rander kam auf das Thema zurück. »Und wurden umgehend empfangen«, redete der Butler weiter, »ich war so frei, dieser Unterhaltung ein aufmerksames Ohr zu leihen, wenn ich es so umschreiben darf. Das Gespräch verlief recht lebhaft und fand seine Krönung in der Behauptung der vier Wikinger, Mr. Hoogan sei ein Betrüger und Gauner.« »Und Hoogan zeigte daraufhin die fünfzigtausend Pfund«, stellte Mike Rander fest. »Er hatte das Geld sicherheitshalber mit nach 30
Hause genommen, wie er sagte.« »Eine durchaus korrekte Wiedergabe dessen, was ich hörte, Sir.« »Darauf beschlossen die Wikinger, bei Hoogan zu bleiben und gemeinsam auf das Geld aufzupassen.« »In der Tat, Sir! Man richtete sich häuslich ein. Der anschließenden Unterhaltung war zu entnehmen, daß man sich untereinander mehr als nur flüchtig kennt: Die vier Wikinger sind Mitglieder der Geschäftswelt von Arbroath, wenn ich so sagen darf. Genauer gesagt, sie sind sogar kleine Unternehmer und haben den Löwenanteil der geforderten Summe aufgebracht.« »Kennen Sie diesen Hoogan näher, Mylady?« Mike Rander wandte sich an Parkers Herrin. »Was heißt kennen?« Sie hob die Schultern. »Ich habe ihn irgendwann mal während einer Party in London gesehen. Natürlich kann er ein Gauner sein.« »Der sich aber direkt an Sie um Hilfe gewandt hat«, erinnerte der Anwalt. »Die Frage ist, warum seine Freunde oder Bekannten ihm nicht trauten. Das muß doch einen Grund haben.« »Ich werde ihn danach fragen«, antwortete die Detektivin. »Und ich werde dann sehr deutlich werden! Ich lasse mich nicht hinters Licht führen.« »Man müßte in Erfahrung bringen, Mylady, aus welchen Teilsummen sich die fünfzigtausend Pfund zusammensetzen«, warf Josuah Parker ein. »Laut Mr. Hoogan werden ja wenigstens mehrere Reeder und Unternehmer erpreßt.« »Und Hoogan will die Anlauf- und Sammelstelle sein«, erinnerte die ältere Dame, »das kann natürlich nur ein Trick sein. Vielleicht will Hoogan sich nur sanieren, vielleicht steht er sonst vor einer Firmenpleite.« »Das wäre die eine Seite der Medaille«, sagte Anwalt Rander nachdenklich, »was aber ist mit diesen beiden echten Gangstern, die jetzt in der Räucherkammer hocken? Warum waren sie versessen darauf, uns aus Arbroath zu verscheuchen? Was planen diese Burschen? Haben die einen ganz anderen Fischzug vorbereitet?« »Vielleicht sollte man von dieser Hypothese ausgehen, Sir«, schlug der Butler vor, »dieser Fischzug, um Ihre Worte zu benutzen, dürfte in engem Zusammenhang mit dem morgigen Wikinger-Festival stehen.« 31
»Das wann beginnt?« fragte Rander sofort. »Um zehn Uhr, Sir. Es beginnt mit der Landung der Nordmannen und mit dem Kampf um die Festung. Nach dem offiziellen Festspielprogramm zieht sich dies hin bis gegen Mittag. Anschließend wird zu einem großen Festessen und zu einer allgemeinen Volksbelustigung eingeladen.« »Merken Sie denn nichts?« Agatha Simpson stellte ihren Kognakschwenker ab und beugte sich vor, »geht Ihnen denn wirklich kein Licht auf?« »Nicht unmittelbar und direkt, Mylady«, versicherte Josuah Parker höflich. »Die Gangster werden die Zuschauer ausrauben«, redete die passionierte Detektivin eifrig weiter. »Ich sehe bereits alles deutlich vor mir: Die Zuschauer – es werden ja eine ganze Menge sein – sollen ausgeraubt werden. Tausende von Brieftaschen…« »Tausend Brieftaschen á fünf Pfund«, warf Kathy Porter skeptisch ein. »Das reicht nicht, wenn ich an die fünfzigtausend Pfund denke, die erpreßt werden sollen.« »Fünftausend Zuschauer zu je zehn Pfund«, rechnete Lady Simpson optimistisch hoch. »Nun, Kathy, was sagen Sie jetzt?« »Ein ziemlich umständliches Verfahren, Mylady«, erwiderte Kathy Porter lächelnd, »wenn ich Gangster wäre, würde ich mich an die fünfzigtausend Pfund halten, die ich an einer Stelle einstecken kann.« »Das Einsammeln diverser Brieftaschen dürfte in der Tat recht zeitraubend sein«, ließ Parker sich vernehmen, »falls die beiden Gangster nicht geblufft haben, so muß es um erheblich größere Beträge gehen.« »Wo soll es die hier schon geben?« spottete die ältere Dame. »Sie widersprechen doch nur aus Prinzip, Sie wollen nur nicht zugeben, daß ich wieder mal die Lösung gefunden habe.« Parker deutete nur eine knappe Verbeugung an, enthielt sich jedoch jeden Kommentars. Die Worte seiner Herrin hatten in ihm einen ganz bestimmten Denkprozeß ausgelöst. * Die beiden Gangster machten keinen glücklichen Eindruck. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt und lagen auf den 32
kräftigen Rundstäben in der Räucherkammer, die früher mal zur Aufnahme von Räucherfisch gedient hatten. Als Parker die schmale Tür zu dieser Kammer öffnete, stieg ihm ein kräftiger und immer noch beißender Fischgeruch in die Nase. Er schien die beiden Gangster, die sich mit Mike Rander und Lady Simpson angelegt hatten, gar nicht wahrzunehmen. Josuah Parker hielt einen Karton in Händen, in dem sich Holzwolle und Holzscheite befanden. »Was… Was soll das?« fragte der Schlanke, der mißtrauisch zu Parker schielte. »Ich wünsche den Herren einen verfrühten aber dennoch recht guten Morgen«, sagte der Butler und stellte den Karton ab. »Was soll das?« fragte nun auch der Stämmige unruhig und drehte sich mühsam auf die Seite, was recht schwer war. Er lag wie sein Partner auf harten, dunklen verräucherten Holzstäben und befand sich etwa einen Meter über jener Stelle, die als Feuerplatz gedient hatte. »Sie sollten sich nicht unnötig beunruhigen«, empfahl Josuah Parker höflich. »Wollen Sie hier etwa ein Feuer machen?« Der Schlanke, der die Schußwaffe besessen hatte, schnaufte erregt. »Die letzte Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen, wie ich versichern darf«, antwortete der Butler gemessen. »Mr. Rander ist zur Zeit noch damit beschäftigt, Mylady dieses Vorhaben auszureden.« »Was für ein Vorhaben?« Der ehemalige Messerbesitzer schnaufte ebenfalls. »Wenn Sie erlauben, möchte ich darüber nicht sprechen.« Parker beschäftigte sich mit der Holzwolle und breitete sie auf der früheren Feuerstelle aus. »Wollen Sie uns etwa räuchern?« Der Schlanke bäumte sich auf. »Falls überhaupt, so sicher nur andeutungsweise«, erklärte der Butler. »Mann, wir werden doch glatt ersticken«, protestierte der Messerträger mit belegter Stimme. »Das… das ist doch glatter Mord«, warnte der Schlanke. Seine Stimme war schon nicht mehr belegt, sie war heiser. »Sie übersehen, meine Herren, daß diese Räucherkammer einen Rauchabzug besitzt«, lautete Parkers beruhigende Erklärung. »Zudem werde ich mich bemühen, das Feuer, falls es angeordnet 33
werden sollte, so klein wie möglich zu halten.« »Parker, hören Sie jetzt mal genau zu«, sagte der Schlanke eindringlich. Ihm fiel vor Aufregung nicht auf, daß er den Namen des Butlers nannte, »hören Sie sehr genau hin: Sie spielen mit dem Feuer!« »Von einem Spiel kann keine Rede sein.« Parker legte die Holzscheite kunstvoll auf die ausgebreitete Holzwolle und richtete sich dann auf. »Verdammt, Sie können sich doch ausrechnen, daß wir nicht nur zwei Einzelgänger sind«, redete der Schlanke hastig weiter. »Wer sich mit uns anlegt, der hat’s mit…« Der Stämmige beendete abrupt den Satz. Er hatte wohl Furcht, bereits zuviel gesagt zu haben. »Sehen Sie in meiner bescheidenen Wenigkeit nur eine Person, die Anordnungen auszuführen hat, meine Herren.« »Die Sie das Leben kosten können!« Der Schlanke wurde eindringlich. »Mann, warum wollen Sie sich früher oder später abknallen lassen? Warum stecken Sie Ihren Kopf freiwillig in eine Schlinge?« »Sie sehen in mir einen Butler, der mühevoll sein Brot verdient.« »Und ein Vermögen machen kann, wenn er nur richtig spurt.« »Ein interessantes Thema, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Fünftausend Pfund, Parker, wenn Sie uns hier rauslassen.« »Zehn Prozent jener Summe, die Sie von der örtlichen Geschäftswelt erwarten?« »Zum Teufel mit den fünfzigtausend«, meinte der Schlanke wütend und Wegwerfend zugleich. Dann korrigierte er sich hastig. »Oder auch von mir aus, ganz wie Sie wollen, Parker. Schaffen Sie uns hier raus, und Sie werden ‘ne echte Chance haben!« »Werden Ihre Freunde Ihre Meinung teilen?« »Dafür verbürge ich mich, Parker. Mann, überlegen Sie mal, zehntausend Pfund!« »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie die Summe gerade verdoppelt haben?« Parker hielt inzwischen eine große Dose mit Streichhölzern in seinen schwarz behandschuhten Händen. Er schob sie auf und legte sich ein überlanges Zündholz zurecht. »Man wird uns hier rausholen, so oder so!« Der Stämmige hatte sich eingeschaltet. »Wir sind doch keine Amateure, Parker, wir sind…« 34
»Mylady hält Sie und Ihre Freunde für Erpresser«, stellte der Butler klar. »Mylady glaubt, daß Sie etliche Firmen um fünfzigtausend Pfund erleichtern wollen, wenn ich es mal derart salopp ausdrücken darf.« »Und… wie wollen wir das angeblich über die Bühne bringen?« fragte der Schlanke. »Die Übergabe der fünfzigtausend Pfund soll morgen während der Wikinger-Landung erfolgen. Aber dies dürften Sie ja genauer wissen.« »Ich bleibe bei den zehntausend Pfund«, wiederholte der Schlanke sein Angebot. »Schneller kann man Geld nicht verdienen, oder?« »Dann würden Ihnen ja nur noch vierzigtausend Pfund verbleiben«, rechnete Butler Parker den beiden Gangster vor. Er blieb absichtlich und hartnäckig bei der Summe von fünfzigtausend Pfund. »Lohnt dieses Geschäft sich dann noch für Sie?« »Das lassen Sie mal unsere Sorge sein, Parker«, entgegnete der Schlanke, »wir kommen schon zurecht. Also, wie ist es? Lassen Sie einen von uns frei, damit er das Geld holen kann, alles Weitere läuft dann wie geschmiert…« »Sie werden verstehen, meine Herren, daß man sich solch ein hochherziges Angebot erst mal gründlich überlegen muß«, bat Josuah Parker höflich, »ich möchte allerdings bekennen, daß meine bescheidene Wenigkeit durchaus beeindruckt ist.« * »Ich hoffe doch sehr, daß wir angegriffen werden«, sagte Lady Agatha und machte einen durchaus zufriedenen und animierten Eindruck, »man wird die beiden Lümmel doch bestimmt wieder befreien wollen.« »Eine Möglichkeit, die durchaus in Betracht zu ziehen ist, Mylady«, erwiderte Parker höflich. Er hatte seiner Herrin, Kathy Porter und Mike Rander von seiner Unterhaltung mit den beiden Gangstern in der engen Räucherkammer berichtet, die übrigens als Anbau hinter der eigentlichen Fischerhütte errichtet worden war. »Warum wollte man uns dazu bringen, Arbroath zu verlassen?« fragte der Anwalt. »Eindeutig, daß man uns kennt.« »In der Tat, Sir!« Parker deutete ein zustimmendes Kopfnicken 35
an. »Dieser nächtliche Doppelbesuch läßt ferner darauf schließen, daß die Gegenseite unter einem gewissen Zeitdruck steht.« »Die Gangster wollen wahrscheinlich morgen während des Festivals ihren Coup landen«, warf Kathy Porter ein. »Und wie Mylady bereits sagte, muß es sich um mehr Geld handeln als nur um fünfzigtausend Pfund.« »Sie hätten diesen beiden Lümmeln doch ein kleines Feuer anzünden sollen«, wiederholte Lady Agatha noch mal. »Sie nehmen einfach zuviel Rücksicht, Mr. Parker! Aber was nicht ist, kann ja noch werden… Bin ich auf eine Verteidigung vorbereitet, Mr. Parker?« »Durchaus, Mylady.« Parker verbeugte sich knapp, ohne sich jedoch näher über dieses Thema zu verbreiten. »Wenn man allerdings unterstellt, daß die Gangster bereits heute aktiv zu werden gedenken, so wäre als sicher zu unterstellen, daß sie sich nicht weiter um diese beiden Herren in der Räucherkammer kümmern werden.« »Das glaube ich allerdings auch«, meinte der Anwalt, »an irgendeiner Schießerei können die gar nicht interessiert sein.« »Das paßt mir aber gar nicht«, grollte Lady Agatha, »ich lege nicht gern die Hände in den Schoß. Warum statten wir diesem Hoogan und seinen vier Wikingern keinen Besuch ab? Was soll aus dem Lösegeld werden? Habe ich mir dafür schon etwas einfallen lassen, Mr. Parker?« »Mylady denken an die Übergabe der fünfzigtausend Pfund?« »Natürlich, Mr. Parker. Ich möchte mir die Subjekte kaufen, die das Geld erpreßt haben.« »Soll diese Übergabe uns ablenken? Ist das so eingefädelt worden, oder haben wir’s mit einem Zufall zu tun?« fragte Mike Rander. »Ich denke an den Coup der Gangster.« Während Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander sich diesem Thema widmeten, absolvierte Josuah Parker einen Kontrollgang durch das kleine Fischerhaus und schaute auch noch mal bei den beiden Gangstern vorbei. Der Stämmige und der Schlanke lagen nach wie vor auf den Holzstangen und warteten auf Parkers Entscheidung. Der Butler ging auf die entsprechende Frage des Schlanken erst gar nicht ein, sondern schloß die Tür zur Räucherkammer und begab sich durch eine kleine Seitentür ins Freie. Es ging auf den Morgen zu, der Tag versprach schön zu werden. 36
Von der See her wehte eine leichte Brise, und es roch nach Salz, Tang und Meer. Parker schritt um das Haus und schaute hinüber zu dem Hotel, das jenseits der Gärten und der beiden Tennisplätze lag. Er befragte seine innere Alarmanlage doch sie meldete sich nicht. Seine Gedanken kreisten um den großen Coup, den die Gangster landen wollten. Fünfzigtausend Pfund schienen für diese Profis keine Summe zu sein, Parker hatte sogar den Eindruck gewonnen, daß die Gangster von dieser Erpressergeschichte so gut wie nichts wußten. Wenn man davon ausging, dann handelte es sich tatsächlich um zwei völlig verschiedene Fälle. Auf der einen Seite war da Mr. Hoogan, der Lady Agatha um Hilfe gebeten hatte. Er und andere Geschäftsleute sollten fünfzigtausend Pfund zahlen, und zwar während der Landung der Wikinger. An diesem Tag aber hatten Profis einen völlig anderen Schlag vorbereitet. Auch sie wollten die Wikinger-Landung nutzen und Beute machen. Um welche Beute konnte es sich wohl handeln? War sie am Strand zu machen? Oder vielleicht in der menschenleeren Stadt? Wollte man eine Bank ausrauben? Ging es um den Tresorinhalt einiger Großbetriebe? Nun, diese Tresore waren über das Wochenende mit Sicherheit leer. Die eingegangenen Gelder wurden doch spätestens am Samstagmorgen weggeschafft und in die Tresore der Banken gebracht. Parker hatte das Gefühl, auf einer guten Spur zu sein. Es war an der Zeit, sich einen Überblick über die hiesigen Banken zu verschaffen. Bei dieser Gelegenheit war es vielleicht nützlich, sich mit dem Sekretär Mr. Hoogans zu unterhalten, nämlich mit Willie Peterson, der bisher noch nicht in Erscheinung getreten war. Parker wollte sich gerade abwenden und zurück ins kleine Haus gehen, als er die abgeblendeten Scheinwerfer eines näher kommenden Wagens ausmachte. Diese Scheinwerfer wurden plötzlich ausgeschaltet, dann war das Geräusch einer Wagentür zu vernehmen, die vorsichtig ins Schloß gedrückt wurde. Butler Parker dachte natürlich sofort an die Freunde jener beiden Gangster, die sich in der Räucherkammer befanden. Er wechselte zum Weg hinüber und blieb hinter einem Strauch stehen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er einige frühe Spaziergänger ausmachte, die sich der umgebauten Fischerhütte näherten. 37
Zu seiner Überraschung handelte es sich um Wikinger, die wohl auf keinen Fall nur aus Trainingsgründen unterwegs waren… * Es handelte sich um vier Wikinger, die einen recht kriegerischen Eindruck machten. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war, konnte Parker sie recht gut erkennen. Diese Nordmänner sahen ungemein robust und gefährlich aus. Sie waren zudem auch noch bewaffnet, wie sich zeigte. Sie schleppten einige Streitäxte, Schwerter und Keulen mit sich herum. Nein, zum frühen Morgentee waren diese kühnen Seefahrer sicher nicht gekommen. Bevor Josuah Parker sich mit diesen Wikingern befassen konnte, taten sich erstaunliche Dinge. Die Nordmänner hatten gerade das dichte Strauchwerk passiert, das vor der ehemaligen Fischerhütte stand, als eine majestätische Erscheinung hinter diesen ahnungslosen Männern erschien. Es handelte sich um Lady Agatha, die ihre Fülle in einen Morgenmantel gehüllt hatte. Sie schwang ihren Pompadour und ließ das darin befindliche Hufeisen äußerst hart und präzise gegen den Flügelhelm eines der Wikinger krachen. Der Mann verbeugte sich tief und… legte sich zu Lady Simpsons Füßen nieder. Der nächste Wikinger fuhr herum und ächzte überrascht auf, als der Pompadour beim Zurückschwingen seine Magenpartie streifte. Der Nordmann beeilte sich, ebenfalls zu Boden zu gehen. Die beiden anderen Nordmänner waren inzwischen natürlich aufmerksam geworden und hatten sich umgewendet, doch sie wußten augenscheinlich nicht recht, wie sie sich verhalten sollten. Das kurze Zögern zahlte sich für sie nicht aus. Kathy Porter und Mike Rander erschienen blitzschnell hinter ihnen und brachten die beiden Männer ebenfalls zu Fall. Sie nutzten dazu einige geschickt angesetzte Schläge mit bloßen Händen. »Jetzt können wir die Räucherkammer vollpacken«, verkündete die ältere Dame mit tiefer, durchaus zufrieden klingender Stimme. »Und ich werde wohl doch ein kleines Feuer anzünden.« »Mylady würden möglicherweise die falsche Beute räuchern«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. Er trat aus der Deckung und 38
lüftete seine schwarze Melone, »falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, Mylady, handelt es sich um jene Herren, die ich bereits in Mr. Hoogans Büro begrüßen konnte.« »Das macht doch nichts«, erwiderte die ältere Dame, »diese Rüpel hätten sich ja telefonisch ankündigen können. Für mich war das ein Überfall.« »Den Mylady bewundernswert abgeschlagen haben«, antwortete der Butler. »Die vier Herren werden dem später sicher anerkennend beipflichten.« »Oder uns verklagen – nämlich wegen Körperverletzung«, warf Mike Rander ein und lachte leise. »Schaffen wir die Helden aber erst mal ins Haus.« »Wenn es erlaubt ist, Sir, werde ich mich um den Wagen kümmern«, sagte Josuah Parker, »möglicherweise kann man noch einen fünften Herrn zum Tee einladen.« Parker verschwand zwischen den Sträuchern, kürzte den Weg ab und erreichte den Wagen, dessen Motor gerade angelassen wurde. Er hatte sich also nicht getäuscht. Es gab noch einen fünften Mann, der die vier Wikinger hierhergefahren hatte. »Darf ich mir erlauben, eine formelle Einladung auszusprechen?« Parker hatte die Beifahrertür geöffnet und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er sah sich Mr. Albert Hoogan gegenüber, der ihn überrascht und abwehrend zugleich ansah. »Darf man auch Sie zu einem Tee einladen?« fragte Josuah Parker, »bei dieser Gelegenheit werden Sie sicher Mylady erklären, was sie und die vier Wikinger hierhergeführt hat.« »Das ist… Das ist doch der Gipfel der Heuchelei«, entrüstete sich Mr. Hoogan jetzt, »das fragen Sie noch?« »Ihr Einverständnis voraussetzend, kann ich die Frage selbstverständlich noch mal wiederholen.« »Also gut, öffnen wir Lady Simpson die Augen.« Albert Hoogan schob sich aus dem Wagen, nachdem er den Motor abgestellt hatte. »Sie werden eine Erklärung dafür abgeben müssen, warum Sie die fünfzigtausend Pfund sagen wir, an sich genommen haben. Und das ist noch sehr vorsichtig und höflich ausgedrückt!« * »Natürlich sind Sie es gewesen«, sagte der erste Wikinger und 39
deutete wütend auf den Butler, »ich habe Sie doch genau erkannt.« »Sie und kein anderer hat das Geld gestohlen«, behauptete der zweite Wikinger, allerdings weniger nachdrücklich. Er litt noch unter den Nachwirkungen eines gewissen Pompadour. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen«, meinte der nächste und maß Josuah Parker mit empörten Blicken. »Und dafür lege ich meine Hand ins Feuer«, schloß der vierte Wikinger die allgemeine Beschuldigung ab. »In Ihrer Aufmachung läuft ja nicht gerade jeder herum.« Die vier Männer hatten sich vor dem Kamin aufgebaut und musterten Albert Hoogan, der sich nachdrücklich räusperte. Er wandte sich ausschließlich an die ältere Dame. »Wir sind bereit, diese Affäre nicht an die große Glocke zu hängen«, schickte er voraus, »Voraussetzung ist allerdings, daß Ihr Butler das Geld sofort wieder herausgibt, sonst…« »Sonst…!?« Lady Simpsons Stimme hörte sich irgendwie harmlos an, was Eingeweihte für unbedingt gefährlich hielten. »Sonst müßten wir uns an die Polizei wenden, Mylady«, erklärte Albert Hoogan. Daß er sich in seiner Haut nicht besonders wohl fühlte, war ihm deutlich anzusehen. »Mylady, bitte, wir brauchen das Geld. In ein paar Stunden müssen wir es den Erpressern zuspielen. Weitere fünfzigtausend Pfund können wir wirklich nicht aufbringen.« »Sie sind ein Dummkopf, Albert«, stellte die resolute Dame fest, »hoffentlich schaffen Sie es dennoch, der Reihenfolge nach zu erzählen. Was ist nun wirklich passiert?« »Wir… Also… Wir saßen in meinem Wohnraum und bewachten das Geld, Mylady. Ich hatte es sicherheitshalber mit ins Haus genommen, der Geldschrank in meinem Büro ist nicht besonders stabil. Ja, und dann mußten wir plötzlich die Hände hochnehmen und uns vor die Wand stellen. Wir wurden bedroht, verstehen Sie, Mylady? Ihr Butler sagte, er würde sofort schießen, wenn wir nicht gehorchten. Was blieb uns anderes übrig? Wir kamen dem Befehl nach.« »Und sahen Mr. Parker?« fragte die Detektivin. »Später, Mylady, als er mit dem Aktenkoffer verschwand.« »Jetzt wird’s aber spannend«, schaltete sich Mike Rander fast gelangweilt ein. »Wie deutlich haben Sie ihn denn gesehen?« »Er trug den schwarzen Bowler, den schwarzen Anzug und hatte 40
seinen Regenschirm bei sich.« Hoogan sah den Butler vorwurfsvoll an. »Eine Verwechslung ist so gut wie ausgeschlossen.« »Haben Sie Mr. Parkers Gesicht gesehen?« wollte Mike Rander wissen. »Ich nehme an, Sie alle standen mit dem Gesicht zur Wand, oder?« »Das schon, Sir«, entgegnete Hoogan, »aber als Mr. Parker zurück in die Halle ging, drehten wir uns natürlich um und sahen…« »… seine Rückfront, wie?« Mike Rander lächelte. »Die aber sehr typisch ist«, meinte Hoogan nachdrücklich, »geradezu unverwechselbar. Und dann noch etwas: Wieso erschien er in meinem Büro in der Handelskammer? Was suchte er dort? Er wollte doch schon zu diesem Zeitpunkt an die fünfzigtausend Pfund!« »Dem kann meine bescheidene Wenigkeit nur beipflichten«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Ich folgte, wenn ich es so ausdrücken darf, dem Beispiel Ihrer vier Begleiter, die wohl kaum mit Ihrer Billigung das Geld aus dem Tresor holen wollten.« »Weil wir Angst hatten, der Geldschrank könnte während der Nacht geknackt werden«, sagte der Stemmeisen-Wikinger. »Meine Freunde und ich…« »… nannten Mr. Hoogan einen Betrüger und Gauner, wenn ich höflichst daran erinnern darf«, stellte der Butler fest. »Ihre Unterhaltung mit dem Leiter der örtlichen Handelskammer ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.« »Lenken Sie nicht ab«, blaffte der Stemmeisen-Wikinger, »Sie haben sich die fünfzigtausend Pfund unter den Nagel gerissen, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Sie haben ja gerade selbst zugegeben, daß Sie uns gefolgt sind.« »Warum halten Sie Mr. Hoogan eigentlich für einen Gauner und Betrüger?« wollte Mike Rander wissen. »Ich wette, es gibt gute Gründe dafür, oder?« »Eine momentane Insolvenz«, erklärte Hoogan hastig, »sie ist aber in ein paar Wochen bereits überstanden.« »Insolvenz?« wunderte sich die ältere Dame. »Ihrem Betrieb muß es doch glänzend gehen. Ihr Räucherfisch ist doch ein Begriff.« »Und sein Pech im Spiel ebenfalls«, sagte der Wikinger, der den Geldschrank aufgestemmt hatte. »Hoogan sitzt ganz schön in der Tinte.« »Nur eine momentane Insolvenz«, murmelte Hoogan und senk41
te den Kopf, der eine tiefrote Farbe angenommen hatte. »Die mit einem Schlag gelöst wäre, wie?« fragte Lady Agatha grimmig und baute sich vor Hoogan auf. »Mit wem hat der Erpresser denn noch gesprochen, junger Mann?« »Er hat uns das Tonband vorgespielt«, sagte der StemmeisenWikinger, »er hat die Unterhaltung mit dem Erpresser aufgezeichnet.« »Und wieviel, wenn man fragen darf, meine Herren, zahlen die jeweils Beteiligten?« wollte Josuah Parker wissen. »Wir vier hier bereits schon zwanzigtausend«, antwortete der Wikinger, der sich als der Wortführer der Nordmänner entpuppte. »Und Hoogan will angeblich zehntausend aufgebracht haben. Gerade das hat uns doch verdammt mißtrauisch gemacht.« »Das wären nach einem gewissen Herrn namens Adam Riese erst mal dreißigtausend Pfund«, zählte Josuah Parker zusammen. »Wer ist Adam Riese?« fragte Lady Agatha und schaute ihren Butler irritiert an. »Ein Rechenmeister, der einige Lehrbücher verfaßte, Mylady«, gab Parker prompt wie üblich Auskunft, »er lebte in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts und wird in Deutschland gern und oft zitiert.« »Ich wußte doch, daß er mir noch nicht vorgestellt wurde«, erwiderte Lady Agatha, um sich dann wieder dem StemmeisenWikinger zuzuwenden, »wir haben also laut Mr. Riese dreißigtausend Pfund zusammen. Woher stammt der Rest von zwanzigtausend Pfund?« »Von noch etwa zehn Geschäftsleuten hier in Arbroath«, lautete die Antwort, »Hoogan hatte uns alle in sein Büro bestellt und dann das Tonband abgespielt.« »Haben die Herren hier, die meine bescheidene Wenigkeit erkannt haben wollen, die gesamte Summe im Aktenkoffer nachgezählt und überprüft?« Butler Parker sah den Wortführer der Wikinger abwartend und höflich an. »Das hatten wir vor, aber dann sind Sie uns ja dazwischengekommen«, lautete die anklagende Antwort. »Wir brauchen das Geld, Mr. Parker. Tun wir doch einfach so, als hätten auch Sie nur das Geld bis zur Übergabe sicherstellen wollen. Kann man sich nicht darauf einigen? Und dann Schwamm drüber, würde ich sagen!« »Ich beuge mich Ihren Argumenten, meine Herren«, sagte Jo42
suah Parker und löste bei Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander einige Verwunderung aus, »ich brachte den Geldkoffer in der Tat nur an mich, um ihn vor Diebstahl zu schützen. Wenn Sie erlauben, werde ich ihn sofort holen, um dann gemeinsam mit Ihnen das Geld zu zählen.« Bevor die Wikinger und Hoogan zu diesem Vorschlag Stellung nehmen konnten, wurde die Tür förmlich aus dem Rahmen gefetzt. Sie flog in den Wohnraum und gab den Blick frei auf drei Zivilisten, die sich mit kurzläufigen Maschinenpistolen ausgerüstet hatten, die sie eindeutig nicht zu Demonstrationszwecken mitgenommen hatten. Josuah Parker, ein höflicher Mensch, hob sofort die Arme. * Es handelte sich um Profis, wie Parker sofort erkannte. Es waren Killer, für die ein Menschenleben nicht zählte. Sie machten allerdings einen leicht überraschten Eindruck, denn diese Ansammlung von Personen hatten sie offensichtlich nicht erwartet. Die drei Männer schwärmten aus und richteten die Läufe ihrer Maschinenpistolen auf die Mitglieder der Diskussionsrunde. Die Killer tauschten schnelle Blicke. Butler Parker hatte sofort das Gefühl, daß sie nicht nur überrascht, sondern zusätzlich noch irritiert und ratlos waren. Lady Agatha hatte im Gegensatz zu den Wikingern, Hoogan, Mike Rander und Butler Parker nicht die Arme in der Höhe. Sie erlitt einen Schwächeanfall und ließ sich von Kathy Porter umsorgen. Die Lady starrte aus leicht verglasten Augen auf die drei Profis und stieß ächzende Töne aus, die auf einen Herzanfall deuteten. Sie ließ sich von Kathy Porter in einen Sessel schleppen und verlangte nach ihrer Medizin. »Erlauben die Herren?« erkundigte sich der Butler. Er deutete mit der linken erhobenen Hand auf die ältere Dame, deren Lebenslicht zu erlöschen schien. »In meiner Westentasche befindet sich ein Nitrospray, der, wie ich versichern darf, mit dem bekannten Sprengmittel kaum etwas gemein hat.« Die drei Killer, die Zivil trugen, tauschten wieder Blicke. Dann schob der mittlere der Männer sich vor und deutete mit dem Lauf seiner Maschinenwaffe auf die Wikinger und Hoogan. 43
»Wer sind die?« fragte er den Butler. »Es handelt sich um Teilnehmer am heutigen WikingerFestival«, erläuterte Parker, »die Herren statteten Mylady einen Höflichkeitsbesuch ab, wenn ich so sagen darf.« »Wo gibt’s hier einen fensterlosen Raum?« herrschte der Killer den Butler an. Er hatte Mike Rander mit schnellem Blick abtaxiert und war zu dem Schluß gekommen, daß dieser elegant gekleidete Snob keine Gefahr darstellte. »Selbst mit einem Keller vermag meine bescheidene Wenigkeit nicht zu dienen«, antwortete Parker, »darf ich meinerseits fragen, ob Mylady das immerhin fragwürdige Vergnügen hat?« »Schnauze«, herrschte der Killer ihn an, »wo stecken die beiden Männer, die hier eingestiegen sind?« »Sie sollten den kritischen Zustand Myladys zur Kenntnis nehmen«, antwortete Josuah Parker und deutete mit erheblich tieferer Hand auf seine Herrin, die nach wie vor röchelte. Kathy Porter stand seitlich neben ihr und lockerte den Halsausschnitt von Myladys Tweed-Kostüm und Bluse. Dazu hatte sie bereits die prächtige große Brosche gelöst und hielt sie ein wenig ratlos in der Hand. »Zum Teufel mit der alten Schachtel«, wurde der Killer energisch, »von mir aus kann sie ruhig abkratzen, was mischt sie sich ein!« »Sollte hier ein Mißverständnis oder eine Personenverwechslung vorliegen?« erwiderte Parker sofort, »Mylady mischte sich in keinerlei Dinge.« »Was erlauben Sie sich eigentlich?« fuhr Albert Hoogan in diesem Augenblick dazwischen. »Sie heben…« Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Der zweite Killer rammte ihm das Griffstück seiner Maschinenwaffe in die Magengegend. Albert Hoogan stöhnte, schnappte nach Luft und fiel dann auf die Knie. Die vier Wikinger wagten nicht, sich um ihn zu kümmern. Die drei Killer wurden abgelenkt. Lady Simpsons Anfall erfuhr eine geradezu dramatische Steigerung. Sie stemmte sich aus dem Sessel hoch und keuchte. Sie hatte weit ihre Augen geöffnet und schien nur ihr allein zugängliche Dinge zu sehen. »Dreht die durch?« fragte der dritte Killer beeindruckt. »Angina pectoris«, kommentierte Mike Rander, »es geht dem Ende zu…« 44
Lady Agatha streckte weit ihre Arme aus, der Pompadour an ihrem linken Handgelenk schien sie dabei nicht zu stören. Sie atmete flach und hastig, entglitt der fürsorglichen Hand Kathy Porters und verkündete mit schicksalsschwangerer Stimme, sie brauche mehr Luft. Dann griff sie mit der rechten Hand nach ihrem nicht mehr faltenlosen Hals und schien sich selbst würgen zu wollen. »Wieso Angina?« fragte der erste Killer, der leicht beeindruckt war. »Ist sie erkältet?« »Ein Herzanfall, die Herzkranzgefäße…« Mike Randers Stimme klang düster. »Wennschon.« Der Killer beruhigte sich. »Ich sehe Licht«, stammelte Lady Agatha und tappte mit kleinen; schlurfenden Schritten auf den dritten Killer zu, der ihr am nächsten stand, »Licht… Sonne… Und da…!« Mit dramatischer Geste deutete sie auf die Tür und brachte die drei Profi-Killer dazu, sich unwillkürlich umzuwenden. Das hätten sie besser nicht getan, denn die eben noch herzkranke alte Dame wurde ausgesprochen munter… Sie donnerte dem Killer ihren Pompadour um die Ohren, daß es nur so eine Art war. Der Mann kickste auf und flog gegen die Wand. Als er von ihr zurückfederte, kam er zu seinem Pech in die Reichweite von Kathy Porter, die natürlich die Gelegenheit nutzte. Sie verabreichte einen Handkantenschlag auf den Oberarm, worauf der Killer seine Maschinenwaffe verlor. Er wollte, wenn auch bereits angeschlagen, brutal nach Kathy Porter treten, doch damit handelte er sich weiteren Ärger ein. Kathy Porter wich geschickt zur Seite und langte nach dem Fußknöchel. Mit beiden Händen faßte sie zu und verlieh dem Gelenk eine nicht normale Drehung. Der Killer konnte gar nicht anders, als mit seinem Körper dieser Drehung zu folgen. Er klatschte auf den Boden und verbog sich dabei seinen Nasenknorpel. Anschließend blieb der Killer liegen. Mike Rander war nicht untätig geblieben. Er hatte sich bereits mit dem zweiten Burschen befaßt und ihm mit der rechten Schuhspitze die Schußwaffe aus der Hand getreten. Sie segelte durch den Wohnraum und blieb auf einem Schrank liegen. Bevor der zweite Killer sich von dieser Überraschung erholte, setzte Mike Rander ihm die Faust auf die Kinnspitze. Der Killer blieb für den Bruchteil einer Sekunde stehen, um dann wie ein gefällter Baum zu Boden zu gehen. 45
Josuah Parker hatte sich selbstverständlich nicht ausgeschlossen, doch er arbeitete wieder mal mit dem geringsten Kraftaufwand. Keiner der Wikinger oder Hoogan hatten mitbekommen, wie blitzschnell er nach seinem Universal-Regenschirm gegriffen hatte. Gut, der erfahrene Killer vor ihm hatte zwar eine Bewegung wahrgenommen, doch bevor seine Hirnzellen dies verarbeiteten, saß der Mann bereits waffenlos auf dem Boden und lächelte den Butler ein wenig töricht und geistesabwesend an. Josuah Parker hatte ihm den bleigefütterten Bambusgriff auf die Stirn gedrückt, was immer ausreichte. »Darf ich eine kleine Erfrischung anbieten?« erkundigte sich der Butler dann in seiner höflichen Art. »Dies dürfte zu einer allgemeinen Entkrampfung der Situation beitragen, wie zu hoffen ist.« * »Kommen wir zurück zu den fünfzigtausend Pfund«, schlug Mike Rander vor. Er hatte auf Josuah Parker gewartet, der die Killer in die Räucherkammer gebeten hatte. Sie konnten sich darin frei und ungehemmt mit ihren beiden Vorgängern unterhalten, die nach wie vor auf den Holzstäben lagen. »Dazu reicht die Zeit nicht mehr«, sagte Albert Hoogan hastig und tippte auf seine Armbanduhr, »in ein paar Stunden beginnt der Schaukampf am Strand.« Die vier Wikinger und er machten einen nervösen und unsicheren Eindruck. Wahrscheinlich hatten sie den Überfall durch die Profi-Killer noch immer nicht verdaut. »Setzen Sie sich, junger Mann«, herrschte Lady Agatha den fünfzigjährigen Hoogan an, »das Geld dürfte innerhalb weniger Minuten durchgezählt sein. Dann können Sie es mitnehmen.« »Wenn es erlaubt ist, werde ich den Aktenkoffer jetzt holen«, warf Parker ein, »und ich möchte an dieser Stelle noch mal nachdrücklich konstatieren, daß der Koffer nur aus Gründen der Sicherheit von meiner bescheidenen Wenigkeit aus Ihrem Haus, Mr. Hoogan, entfernt wurde.« »Wir haben selbstverständlich Vertrauen zu Ihnen«, behauptete Hoogan plötzlich und schwitzte erstaunlicherweise, »geben Sie uns den Koffer, dann ist die Sache erledigt.« »Warum eigentlich nicht durchzählen?« fragte einer der vier Wi46
kinger und sah Hoogan an. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, zitierte Mike Rander und nickte Parker zu, »man soll Ihnen ja später nicht nachsagen, Parker, Sie hätten auch nur eine einzige Banknote unterschlagen.« »Also, so etwas würde ich nie behaupten«, erklärte Hoogan und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Wir werden schnell durchzählen«, sagte der zweite Wikinger, »das ist doch eine Sache von Minuten.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich Ihrer Auffassung voll und ganz beipflichten«, antwortete Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, »ich bitte mich entschuldigen zu wollen.« Er ging zur Tür seines Schlafraumes und hörte dann plötzlich hinter sich ein Ächzen und Hüsteln. Parker blieb stehen und wandte sich zu Hoogan um, der diese Geräusche produziert hatte. Der Leiter der örtlichen Handelskammer hatte seine Krawatte gelockert und befaßte sich erneut mit seinen Schweißperlen auf der Stirn. »Also gut«, sagte er dann mit belegter Stimme, »holen Sie den Koffer, Mr. Parker, aber wenn Geld fehlt, so geht das auf Ihr Konto…« »Sie fürchten, daß die Summe nicht ganz vollständig ist?« fragte Josuah Parker. »Es… Es könnte ja sein, oder?« Hoogan riß sich zusammen. »Es könnte ja sein, daß Geld fehlt.« »Wollen Sie Mr. Parker etwa unterstellen, er könne Geld bereits zur Seite geschafft haben?« grollte Lady Agatha und maß Hoogan mit vernichtendem Blick. »Das läßt sich doch leicht feststellen«, meinte einer der Wikinger. »Der Aktenkoffer ist doch in unserer Anwesenheit versiegelt worden, oder?« »Falls die Siegel in Ordnung sind, kann Mr. Parker nicht beschuldigt werden«, meinte Kathy Porter lächelnd. »Dann darf meine Person sich bereits als völlig entlastet betrachten«, sagte Parker, »aber Sie werden sich gleich durch Augenschein davon überzeugen können.« »Halt, warten Sie!« Hoogan rutschte förmlich in sich zusammen. »Sollten Sie von einem plötzlichen Unwohlsein befallen worden sein?« erkundigte sich der Butler. »Ich… Ich gebe auf«, sagte Hoogan leise und vermied es, seine 47
Wikinger anzusehen. »Was soll das heißen?« fragte einer der Wikinger mißtrauisch. »Das Geld ist nicht mehr im Koffer, wie?« fuhr der nächste fort. »Sie haben’s rausgenommen, oder?« Der dritte Wikinger griff unwillkürlich nach seiner Streitaxt. »Meine zehntausend Pfund«, redete Hoogan leise weiter, »die… die sind nicht im Koffer.« »Ach nee«, sagte der vierte Wikinger aufgebracht, »aber Sie haben die Banknoten doch in unserer Gegenwart in den Koffer gesteckt.« »Und sie wieder rausgenommen«, bekannte Hoogan, »das Geld stammte vom Konto der Handelskammer. Ich hatte es mir für ein paar Stunden von der Bank geholt und dann schnell wieder eingezahlt.« Die Wikinger gingen langsam und wie auf ein geheimes Kommando hin, auf Hoogan zu. Sie machten keinen friedlichen Eindruck. »Diese ganze Erpressung war also ein Schwindel von Ihnen?« Lady Simpsons Pompadour geriet in gefährliche Schwingung. »Und wer hat das Tonband besprochen, das Sie Ihren Geschäftsfreunden vorgespielt haben?« fragte Mike Rander fast desinteressiert und beiläufig. »Aber nein, so ist es nicht gewesen«, wehrte sich Hoogan jetzt und richtete sich auf, »mit der Erpressung habe ich nichts zu tun, wirklich nicht. Sie müssen mir das glauben! Das Tonband ist echt, und die Erpressung habe ich nicht vorgetäuscht. Mir ging es nur um die Zehntausend, die ich nicht hatte.« »Holen Sie bitte den Aktenkoffer.« sagte die Detektivin und nickte dem Butler zu. »Ich muß leider bedauern«, antwortete Parker höflich, »aber er befindet sich nicht in meinem Besitz. Er muß von einem falschen Butler aus Mr. Hoogans Privathaus geholt worden sein…« »Wiederholen Sie das noch mal!« Nun war Lady Simpson irritiert. »Der Geldkoffer ist eindeutig von einem falschen Butler gestohlen worden«, erklärte Josuah Parker zum zweiten Mal, »und dabei kann es sich nur um eine Person gehandelt haben, die mein bescheidenes äußeres Erscheinungsbild geschickt zu kopieren in der Lage war.« »Aber Sie haben doch eben erst noch gesagt, Sie hätten…« La48
dy Agatha war verwirrt und verzichtete darauf, ihren Satz zu beenden. »Es handelt sich im einen kleinen Bluff, wie der Volksmund es ausdrücken würde«, entschuldigte sich Parker höflich, »ein Teilgeständnis des Mr. Hoogan liegt bereits vor. Es wäre entgegenkommend, wenn Mr. Hoogan nun auch noch jene Person nennen würde, die in seinem Auftrag die Erpressung durchführte.« »Mein Ehrenwort, ich weiß es nicht.« Hoogan streckte abwehrend die Hände vor, »diese Erpressung ist echt! Darauf leiste ich jeden Eid.« »Natürlich ist sie echt«, schaltete sich der Anwalt lässig ein, »daran zweifelt hier kein Mensch, Hoogan. Aber die bewußten zehntausend. Pfund würden nach der Übergabe des Koffers doch fehlen, oder? Sie wußten genau, daß der Erpresser das freundlich übersehen würde. Los, kommen Sie schon Hoogan: Wer ist da mit im Spiel?« »Das sollen die Herren unter sich ausmachen«, schlug Agatha Simpson vor und lächelte die Wikinger wohlwollend an, »Sie werden bestimmt die richtigen Mittel finden, denke ich. Und ich werde mir, wenn es sein muß, die Ohren mit Watte verstopfen.« Die vier Männer griffen nach Hoogan und schleppten den Leiter der Handelskammer zur Tür der Fischerhütte. Hoogan wehrte sich, doch gegen seine aufgebrachten Geschäftsfreunde hatte er keine Chance. »Ich wußte es doch sofort«, sagte die ältere Dame zufrieden, als die Tür sich hinter den Männern geschlossen hatte, »aber auf mich hört ja keiner. Die Profis in der Räucherkammer sind ebenfalls von diesem Flegel engagiert worden. Für mich ist der Fall restlos geklärt. Eine Lady Simpson täuscht man eben nicht!« »Natürlich nicht«, sagte Mike Rander. »Ich werde mich jetzt mit diesen sogenannten Profis unterhalten«, kündigte Lady Agatha an. Sie marschierte zur Küche hinüber, um von dort aus in die ehemalige Räucherkammer zu gehen. Sie machte einen grimmigen Eindruck. Eine Minute später war ein wilder Aufschrei zu vernehmen, der die Fensterscheiben klirren ließ… »Großer Gott, was ist passiert?« fragte Mike Rander, nachdem er zusammengezuckt war. »Mylady wird sicher die Herren Profis vermissen«, erwiderte der Butler trocken. 49
»Sind Sie sicher, Parker?« Rander sah den Butler prüfend an. »Sehr sicher, Sir«, sagte Parker, »die Fesselung der Gangster war wohl ein wenig oberflächlich ausgefallen.« »Aha, ich verstehe.« Rander lächelte wissend, »bringen wir uns in Deckung, Lady Simpson wird gleich zurückkommen…« * Es ging auf zehn Uhr. Tausende von Menschen säumten die Klippen und den Strand von Arbroath und warteten auf das Erscheinen der Drachenboote. Es war schon erstaunlich, welche Zuschauermassen sich eingefunden hatten, um das Spektakel zu genießen. Besonders dicht war die Menge in der Nähe der Festung, die später von den Wikingern gestürmt werden sollte. Vor den Holzpalisaden hatten sich bereits die Verteidiger aufgebaut und wärmten sich. Sie schwangen ihre altertümlichen Waffen und übten noch mal deren Handhabung. Auch die Verteidiger sahen urtümlich echt aus. Sie trugen entweder Fellkleidung oder oberschenkellange Lappen aus grob gewebtem Stoff. Einige von ihnen hatten Eisenhelme auf und schleppten Brustpanzer durch die Gegend. Lady Agatha machte einen munteren und aufgekratzten Eindruck. Die gestörte und teilweise fehlende Nachtruhe sah man ihr nicht an. Neben ihr hatten sich Kathy Porter und Mike Rander aufgebaut. Butler Parker unterhielt sich mit einem hageren Mann, der etwa fünfzig Jahre zählte und einen leicht beleidigten Gesichtsausdruck besaß. Es handelte sich um Willie Peterson, den Sekretär der örtlichen Handelskammer. »Er hütet das Bett«, beantwortete er gerade Parkers Frage, »Mr. Hoogan hat übrigens bereits seinen Rücktritt erklärt, und zwar schriftlich. Ich war eben erst in seinem Haus und habe diesen Brief in Empfang genommen.« »Wer wird jetzt die Geschäfte der Handelkammer führen?« fragte Josuah Parker. »Das werde ich kommissarisch tun müssen«, gab Peterson zurück, »offen gestanden, für mich wird sich kaum eine zusätzliche Arbeit ergeben, Mr. Parker. Auch in der Vergangenheit überließ Mr. Hoogan mir die ganze Erledigung.« 50
»Werden seine ehemaligen Geschäftsfreunde jetzt Strafantrag stellen, Mr. Peterson?« »Davon will man absehen, Mr. Parker«, entgegnete der Sekretär der Handelskammer, »es soll Gnade vor Recht ergehen, aber Mr. Hoogan wird sich hier in der Stadt auf keinen Fall halten können. Ich denke, er wird Arbroath schon bald verlassen.« »Dann dürfte Mr. Hoogan mit dem sprichwörtlich blauen Auge davongekommen sein«, stellte der Butler fest. »Mit zwei blauen Augen, Mr. Parker«, korrigierte Peterson, »und mit einigen Prellungen und Schürfwunden. Leider konnte man seinen Mittäter nicht stellen.« »Den Fahrer der Handelskammer, Mr. Dave Caldy?« »Er dürfte noch rechtzeitig Lunte gerochen haben, Mr. Parker, und ist spurlos verschwunden. Auch ihn wird man mit einer Anzeige verschonen. Glauben Sie mir, ich begreife noch immer nicht, wie Mr. Hoogan sich auf solch ein Abenteuer einlassen konnte. Ich vermute, daß Dave Caldy ihn zu dieser Erpressung überredet hat.« »Sie kennen Mr. Caldy näher?« »Und er hat mir von Anfang an nicht gefallen«, antwortete Willie Peterson, »Caldy hat einen schlechten Einfluß auf Mr. Hoogan ausgeübt und ihn wahrscheinlich an die Wetten herangeführt.« »Habe ich Sie recht verstanden, daß Caldy als Wikinger das Geld in Empfang nehmen sollte?« »So hat es Mr. Hoogan seinen Freunden gegenüber ausgesagt«, bestätigte Willie Peterson traurig, »nun, Hauptsache ist wohl, daß ein Skandal vermieden wurde.« »Lady Simpson sieht ebenfalls von einer Anzeige ab«, beruhigte Butler Parker den Sekretär der örtlichen Handelskammer, »sagen Sie, Mr. Peterson, wie viele Banken gibt es in Arbroath?« »Banken, Sir?« Willie Peterson stutzte. Er hatte mit dieser Wendung der Unterhaltung nicht gerechnet. »Banken«, wiederholte der Butler noch mal, »Arbroath ist ja immerhin ein bekannter Ferienort.« »Wir haben… Ja, es sind drei Bankfilialen«, beantwortete Peterson Parkers Frage, »Sie werden diese in allen Seeorten entlang der Küste finden.« »Das dachte ich bereits.« Parker deutete ein Nicken an. »Ich darf Sie um weitere Auskünfte bitten?« »Wenn ich helfen kann, dann gern, Mr. Parker.« 51
»Handelt es sich um gut gesicherte Bankfilialen, Mr. Peterson?« »Das möchte ich doch bejahen, Mr. Parker.« Peterson nickte. »Aber viel Geld bleibt über die Woche nie in diesen Filialen.« »Es wird wie oft in der Woche zu den Bankzentralen geschafft?« »Zweimal, Mr. Parker, mittwochs und freitags.« »Und zwar mittels eines Geldtransporters, wenn ich das richtig einschätze?« »Richtig, Mr. Parker. Der Wagen kommt von Aberdeen und fährt an der Küste entlang bis nach Dundee und Edinburgh.« »Auch heute natürlich, Mr. Peterson.« »Er wird in etwa einer Stunde hier in Arbroath sein, denke ich. Darf ich meinerseits jetzt eine Frage stellen?« »Ich bitte darum, Mr. Peterson?« »Haben Sie sich aus bestimmten Gründen nach den Bankfilialen erkundigt?« »Mein bescheidenes Interesse gilt einzig und allein den Wikingern, Mr. Peterson«, antwortete Parker und deutete mit der Spitze des Regenschirms auf das erste Langboot, das um die Landspitze herumkam und von kräftigen Ruderschlägen angetrieben wurde. Das große Schauspiel konnte beginnen. * Die Verteidiger der Festung wehrten sich verbissen und schlugen den ersten Angriff der Wikinger ab, die versuchten, mit einfachen und improvisierten Leitern die Palisaden zu ersteigen. Das Publikum war hellauf begeistert und spendete immer wieder Beifall, der allerdings auch mehr als berechtigt war. Die engagierten Stuntmen aus London zeigten Kabinettstückchen ihrer Arbeit. Sie waren geschickterweise auf beide Kampfgruppen verteilt worden, damit die Spannung noch intensiver angeheizt wurde. Stuntmen in der Kleidung der angreifenden Wikinger stürzten ungemein effektvoll mit ihren Leitern um und landeten nach solchen Abwehrmanövern im Sand des Strandes. Mit Enter- und Mauerhaken wurden Kletterseile über die Palisaden geworfen, an denen die Angreifer sich dann nach oben hangelten. Auf dem oberen Rundgang der Festung lieferten sich die Laien52
darsteller packende Zweikämpfe. Dröhnen der gegeneinander prallenden Rundschilde und Geklirr der Schwerter und Streitäxte erfüllte die Luft. Wenn man sich nicht genau unter Kontrolle hatte, mußte man tatsächlich als Zuschauer den Eindruck gewinnen, man sei mit einer Zeitmaschine in die Wikinger-Epoche transportiert worden. Besonders raffiniert waren die sogenannten Verletzungen, die man sich zufügte. Das alles war selbstverständlich immer wieder geprobt worden und saß jetzt bis ins letzte Detail. Blutströme rieselten über die Fellkleidung der Nordmannen, Blut, das selbstverständlich aus Ketchup und Farbe bestand. »Ich hätte große Lust, dort unten ein wenig mitzumachen«, ließ sich Lady Agatha vernehmen. Ihre Augen glänzten vor Freude. Sie verfolgte gerade den Kampf zwischen einem Verteidiger der Festung und einem Wikinger, der sich bis hinauf zu einem viereckigen Wachtturm gearbeitet hatte. Es waren zwei Stuntmen, die sich hier produzierten und alle Finessen ihres Berufes zeigten. Der Wikinger drosch mit seiner Streitaxt auf den Verteidiger ein, der sich mit einem Langschwert gekonnt wehrte. Die beiden Streithähne gerieten an den Rand der niedrigen Turmbrüstung und schienen vor lauter Verbissenheit die Gefahr zu übersehen, in der sie schwebten. Und dann passierte es… Der Verteidiger wehrte einen Schlag mit seinem Schild ab, wurde aber von der Gewalt des dreschenden Wikingers über die Brüstung gedrückt. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus, warf die Arme in die Luft und fiel rücklings nach unten. Vom Rand der Brüstung bis in den Sand waren es rund acht Meter. Noch in der Luft absolvierte der Bedauernswerte einen Salto vorwärts und… landete auf dem Zeltdach einer Hütte, die vor den Palisaden stand. Der Mann verschwand durch einen Riß der Hütte und blieb verschwunden. Das Publikum jauchzte, der Wikinger ebenfalls, doch nicht lange. Er übersah einen Verteidiger, der sich von hinten an ihn herangepirscht hatte. Dieser Mann hielt einen Zweihänder in den Händen, holte weit aus und schlug dann gnadenlos zu. Der Wikinger brüllte auf, flog ebenfalls über die Brüstung und krachte durch den Riß in die Hütte, um dort seinem Gegner Gesellschaft zu leisten, der bereits vor ihm eingetroffen war. Doch damit nicht genug. 53
Der Mann mit dem Zweihänder beugte sich triumphierend über die Brüstung, um nach unten zu sehen. Nun, er hätte es besser nicht getan, denn ein Bogenschütze visierte ihn an und jagte ihm dann einen Pfeil in die Flanke. Schon kippte auch der dritte Mann nach unten und gesellte sich zu den beiden Abgestürzten. Während der Mann durch die Luft nach unten flog, war der lange Pfeil in seiner Hüfte deutlich zu erkennen. »Hübscher Trick«, sagte Mike Rander. »Wie ist das gemacht worden?« wollte die ältere Dame wissen und wandte sich an Parker. »Meiner bescheidenen Meinung nach, Mylady, war dieser Pfeil bereits vorhanden und am Körper fixiert«, erwiderte Parker höflich, »er wurde nach der Freigabe durch eine kleine Feder hochgedrückt und dann in die spektakuläre Lage gebracht.« »Kann man als Zuschauer wirklich nicht mitmachen?« wollte die Detektivin wissen. »Falls Mylady darauf bestehen, werde ich mir erlauben, entsprechende Erkundigungen einzuziehen«, gab Parker zurück. Lady Agatha fiel überhaupt nicht auf, daß auch Mike Rander ging. Die beiden Männer hatten sich bereits vorher verabredet und beeilten sich, zurück in das Zentrum des Ferienortes zu gelangen. Nach Parkers Ansicht war dort mit einigen Überraschungen zu rechnen. * Der Butler öffnete mit seinem kleinen Spezialbesteck die Tür zu einem Wohnhaus und trat dann höflich zur Seite, um Mike Rander den Vortritt zu lassen. Dieses Spezialbesteck befand sich in einem weichen, selbstverständlich auch schwarzen Lederetui und erinnerte auf den ersten Blick an ein Pfeifenbesteck. Man mußte schon genauer hinsehen, um gewisse Unterschiede zu erkennen. Die Stopfer, Schieber und Kratzer zur Behandlung einer Pfeife waren durchaus vorhanden, doch sie dienten nur als Tarnung der diversen und raffinierten Nachschlüssel, mit denen Josuah Parker selbst die kompliziertesten Zylinderschlösser zu öffnen verstand. Er hatte diese Fertigkeit vor vielen Jahren schon bei einem Mann gelernt, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und sich nicht mehr für fremdes Eigentum interessierte. Dieser hochkarätige Fachmann 54
hatte seinerzeit schnell erkannt, daß er in Parker nicht nur einen gelehrigen Schüler, sondern einen Meister gefunden hatte. Butler Parker und Mike Rander stiegen durch das Treppenhaus nach oben auf den Dachboden. Der Butler öffnete ein Dachfenster und betrat geschmeidig das Flachdach. Mike Rander wunderte sich bei dieser Gelegenheit wieder mal über die körperliche Fitneß und Gewandtheit Josuah Parkers. Neben einem Kamin nahmen die beiden Männer Platz und schauten hinunter auf den kleinen Platz, an dem die drei Bankfilialen lagen. Dieser Platz und auch die Straßen, die von ihm ausgingen, waren menschenleer. Wegen der Wikingerlandung hatte man alle Geschäfte geschlossen. Nur in den drei Bankfilialen brannte Neonlicht. Vom Dach aus konnte man in die Schalterhallen sehen. »Sie glauben, daß man den Geldtransporter hochnehmen will?« fragte der Anwalt skeptisch. »Eine Hypothese, Sir«, schränkte Butler Parker ein, »wegen fünfzigtausend Pfund dürften sich die Profi-Killer kaum hier in Arbroath versammelt haben.« »Das stimmt, Parker.« Mike Rander nickte. »Diese Profis sind hinter einem dickeren Brocken her. Und an einen Sammelüberfall auf die drei Filialen dort unten glauben Sie nicht?« »Auch damit ist durchaus zu rechnen, Sir«, antwortete der Butler, »aber am heutigen Vormittag kommt immerhin ein Geldtransporter aus Aberdeen, der die Ferienorte an der Küste abfährt und bis nach Dundee oder sogar Edinburgh zu rollen pflegt.« »Lassen Sie mich mal schätzen, Parker.« Rander lehnte sich zurück, »pro Ferienort und Bankfiliale, sagen wir… Moment mal, wie viele Ferienorte haben wir hier an der Küste eigentlich? Ich bin da nicht informiert.« »Ich war so frei, Sir, mir eine Touristenkarte anzusehen«, antwortete Parker, »von Aberdeen bis nach Arbroath sollte man mit einem guten Dutzend bekannter Ferienorte rechnen.« »Also gut, zwölf mal wieviel Pfund?« »Pro Filiale vielleicht dreißig- bis fünfzigtausend Pfund, Sir, vorsichtig geschätzt. Es fehlte leider die Zeit, genauere Ermittlungen anzustellen. So kann ich nicht sagen, ob es in den einzelnen Küstenorten jeweils nur eine oder mehrere Bankfilialen gibt.« »Es reicht auch, wenn nur je eine Filiale vorhanden ist«, gab Mike Rander zurück, »zwölf Filialen zu je, sagen wir, dreißigtau55
send Pfund, das wären immerhin dreihundertsechzigtausend Pfund, die im Geldtransporter ankommen.« »Ein Betrag, für den professionelle Gangster sich schon durchaus erwärmen könnten, Sir.« »Ich glaube, Sie liegen mit Ihrer Vermutung richtig, Parker«, meinte Anwalt Rander und pfiff leise. »Während die Stadt hier wie leergefegt ist, können die Gangster in aller Gemütsruhe den Geldtransporter vornehmen. Raffiniert ausgedacht!« »Man scheint bereits zu kommen, Sir«, antwortete Josuah Parker und deutete nach unten. »Der Geldtransporter?« Mike Rander beugte sich vorsichtig vor und fuhr dann zurück. Er sah den Butler erstaunt an. »Allmächtiger Gott, da sind ja Wikinger, Parker! Die kommen aber genau im falschen Moment…« »Möglicherweise auch nicht, Sir«, entgegnete Parker höflich. Er griff nach seinem Regenschirm und holte seine Gabelschleuder aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers. * Es handelte sich um insgesamt fünf Wikinger, die ungemein stilecht aussagen und offensichtlich das Schlachtfeld unten am Strand verlassen hatten. Sie trugen Fellkleidung, Umhänge aus grobem Stoff und selbstverständlich auch Waffen. Sie hatten sich mit Rundschilden, Streitäxten und Schwertern ausgestattet. Auf den Köpfen saßen Hörnerhelme, ihre Gesichter waren rußbeschmiert. Diese fünf Männer ließen sich nur kurz auf dem Platz sehen. Lärmend bogen sie in die Durchgangsstraße ein und waren dann plötzlich nicht mehr zu hören. »Das riecht nach Ärger«, sagte Mike Rander. »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich Ihren Eindruck teilen«, antwortete Josuah Parker, »man sollte vielleicht den Standort wechseln.« Während Parker diesen Vorschlag unterbreitete, deutete er auf einen anderen Schornstein, der sich auf der Schmalseite des Flachdachs befand. »Waren das diese fünf Profis?« fragte Mike Rander. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, antwor56
tete der Butler. »Sie haben sie absichtlich nur oberflächlich gefesselt, nicht wahr?« »Ich möchte dem keineswegs widersprechen, Sir«, sagte Parker, »erst durch die Aktivitäten werden die fünf Profis zu erkennen geben, welchen Coup sie zu landen gedenken. Eine Überstellung an die Polizei hätte kaum ein Ergebnis gebracht. Die fünf Herren hätten den Waffenbesitz abgestritten und wären höchstens wegen Ruhestörung belangt worden.« »Wenn die Burschen nur kein Blutbad anrichten«, sorgte Mike Rander sich. »Wohl kaum, Sir«, meinte Parker, »da es sich eindeutig um sogenannte Profis handelte, werden sie eine Schießerei möglichst vermeiden. Sollte es jedoch dazu kommen, so dürften Ihre Befürchtungen eintreffen.« »Ich werde mal zur anderen Dachseite gehen, Parker.« Mike Rander schob sich zurück und widmete sich wieder dem Platz, an dem die drei Bankfilialen lagen. Butler Parker hingegen hielt weiter Ausschau nach den fünf Wikingern, die nach wie vor wie vom Erdboden verschwunden waren. Dennoch wußte Parker, daß sie irgendwo an der Durchgangsstraße Stellung bezogen hatten. Die fünf Profis hatten es seiner Ansicht nach einzig und allein auf den Geldtransport abgesehen. Parker fragte sich, wo er als Gangster Stellung beziehen würde. Er fand schnell eine Antwort auf diese Frage. Die Durchgangsstraße, an sich schon schmal genug, verengte sich noch zusätzlich in der Höhe eines alten Fachwerkhauses, das sich wie ein stumpfer Keil in die Fahrbahn schob. Hinter diesem Engpaß bog die Straße dann scharf nach links ab. Mike Rander kam zurück und nickte. »Es ist soweit«, sagte er leise, »der Geldtransporter steht bereits vor der ersten Filiale.« »Und dürfte sicher gut abgeschirmt sein, Sir.« »Drei Begleiter, bis an die Zähne bewaffnet.« »Handelt es sich um einen üblichen Transportwagen, Sir?« »Ein Tresor auf schußsicheren Reifen, würde ich sagen.« »Solch einem Gefährt dürfte man weder mit einer Streitaxt noch mit einem Schwert beikommen können, Sir.« »Darauf können Sie Gift nehmen, Parker.« Rander nickte. »Da hilft nur Dynamit, würde ich sagen.« »Eine Vorstellung, die ich als unergiebig bezeichnen möchte, 57
Sir. Man sollte…« Parker verzichtete aus gutem Grund darauf, seinen Satz zu beenden. Für einen Moment waren laute Stimmen zu vernehmen, dann ertönte das mehrfache »Plopp« schallgedämpfter Schüsse. »Vielleicht wäre es ratsam, Sir, den Standort noch mal zu wechseln«, schlug Butler Parker vor und deutete zurück auf jene Dachseite, die sie eben erst verlassen hatten. »Die Herren Gangster scheinen bereits aktiv geworden zu sein.« Die fünf Wikinger hatten das Geschehen in der Hand. Streitäxte oder Schwerter trugen sie jetzt nicht mehr, sondern kurzläufige Maschinenpistolen mit langen Schalldämpfern. Sie hatten die drei Wachmänner bereits außer Gefecht gesetzt. Sie saßen auf dem Pflaster vor der zweiten Bankfiliale und waren gerade dabei, sich zusätzlich auf den Steinen auszustrecken. Sie wurden von einem Wikinger kontrolliert, der den Lauf seiner Maschinenwaffe auf sie gerichtet hatte. Aus allen drei Bankfilialen kamen die wenigen Angestellten. Sie hatten ihre Hände hinter den Nacken verschränkt und machten einen konsternierten und ängstlichen Eindruck. Drei Wikinger trieben sie zu den bereits auf dem Pflaster liegenden Männern. Der fünfte Wikinger stand neben dem Geldtransporter und winkte den Fahrer heraus. Die Stimme dieses Mannes war auf dem Dach überdeutlich zu hören. »Beeilung«, sagte der Wikinger drohend, »wenn du Alarm gibst, sind deine Freunde erledigt. Und das ist keine leere Drohung.« Der Wikinger bluffte tatsächlich nicht. Butler Parker und Mike Rander hatten inzwischen bemerkt, daß ein Wachmann angeschossen worden war. Er lag auf der rechten Körperseite und hielt sich mit beiden Händen den blutenden linken Oberschenkel. Der Fahrer des Geldtransporters hatte inzwischen eingesehen, daß jeder Widerstand sinnlos war und seine Begleiter und die Bankangestellten nur in Lebensgefahr bringen würde. Er öffnete die schwere Panzertür des Fahrerhauses und stieg aus. Er hatte die Hände hochgenommen und ging zu den am Boden liegenden Männern hinüber. »Scheußliche Situation, Parker«, stellte Mike Rander fest, »können wir was tun?« »Jedes Eingreifen, Sir, könnte ein Blutbad auslösen«, antwortete der Butler höflich. 58
»Dann dürften die Gangster es also doch noch geschafft haben.« »Im gegenwärtigen Zeitpunkt, Sir, liegen die Vorteile eindeutig auf der Seite der diversen Gangster dort unten.« »Keine begeisternde Vorstellung.« »In der Tat, Sir!« Parker beobachtete gemeinsam mit Anwalt Rander die Szene, in die nun Bewegung kam. Die am Boden liegenden Männer mußten aufstehen und bemühten sich um den verwundeten Wachmann. Dann wurden die Männer von drei Wikingern in die erste Bankfiliale getrieben. Auch jetzt zeigte sich wieder, wie routiniert und konsequent die Gangster arbeiteten. Sie ließen den Leuten keine Chance und verschwanden mit ihnen in der Schalterhalle. Um dies alles zu beschleunigen, droschen sie mit den Kolben ihrer Maschinenwaffen in die Rücken der völlig Geschockten. »Sehr unerfreulich, Parker«, stellte Mike Rander fest, »ich würde gern etwas unternehmen.« »Man wird die Bankangestellten und Wachmänner jetzt wohl einschließen, Sir.« »Ich würde gern etwas unternehmen, Parker«, erinnerte Mike Rander. »Könnten Sie nicht ein paar Giftpfeile verschießen? Nehmen Sie sich doch diese beiden Knaben vor, die dort neben dem Transporter stehen.« Die Anregung des Anwalts kam um Sekunden zu spät, wie sich zeigte. Parker hielt bereits seine Gabelschleuder in den schwarz behandschuhten Händen und hatte sich für eine »scharfe« Munition entschieden. Wegen der Entfernung – bis zum Transporter waren es fünfunddreißig bis vierzig Meter – benutzte der Butler kleine Stahlkugeln. Zu diesen »Geschossen« griff er eigentlich immer nur in Notfällen, denn die Aufschlagswucht war beträchtlich. Parker strammte die beiden Gummistränge, visierte kurz nach unten und ließ dann die Lederschlaufe vorschnellen. Die Stahlkugel zischte so gut wie geräuschlos auf den Geldtransporter zu und erwischte den Wikinger, der gerade in den Wagen steigen wollte, am Hinterkopf. »Donnerwetter«, murmelte Mike Rander beeindruckt. Der Wikinger schien einen Stromstoß erhalten zu haben. Er richtete sich steil auf, wurde um schätzungsweise drei Zentimeter größer und… fiel dann nach hinten auf seinen Partner, der nachsteigen wollte. Der Mann wurde von den Beinen gerissen und von dem Betrof59
fenen förmlich begraben. Der Mann strampelte mit den nackten Beinen in der Luft herum und ruderte mit den Armen. Dabei verlor er seine Maschinenwaffe. Butler Parker hatte inzwischen die zweite Stahlkugel auf die Reise geschickt. Der eben noch Strampelnde unterließ das plötzlich und blieb völlig entspannt unter seinem Partner liegen, der langsam zur Seite rollte und kein Lebenszeichen von sich gab. »Sehr beeindruckend, Parker«, meinte Anwalt Rander und nickte anerkennend, »bleiben nur noch drei Wikinger!« * Sie waren ahnungslos und offensichtlich bester Laune. Die drei Wikinger erschienen in der Tür zur Schalterhalle und hielten auf den Transporter zu. Sie konnten noch nicht sehen, was mit ihren beiden Partnern geschehen war. Parker hielt die Hochleistungsschleuder in seinen Händen und visierte den ersten der drei Wikinger an. Er hatte sich selbstverständlich für den Nordmann entschieden, der einen halben Schritt hinter den beiden anderen Männern ging. Die Stahlkugel zischte nach unten und verfehlte ihr Ziel. Das heißt, sie hätte mit Sicherheit getroffen, doch ausgerechnet vor dem Aufschlag stolperte der Wikinger über eine etwas hochstehende Gehwegplatte. Die Stahlkugel jagte gegen den Hörnerhelm des Wikingers und brachte den Mann immerhin noch deutlich aus dem Gleichgewicht. Doch dies reichte leider nicht, ihn völlig außer Gefecht zu setzen. Nachdem der Wikinger wieder Tritt gefaßt hatte, wollte er seinen beiden Partnern folgen, doch eine weitere Stahlkugel hinderte ihn daran. Josuah Parker hatte natürlich blitzschnell wieder die Lederschlaufe geladen und den nächsten Schuß abgefeuert. Die Stahlkugel traf diesmal genau das linke Knie der Nordmanns, der daraufhin brüllend prompt unter Gelenkschmerzen litt. Er brachte durch seinen Aufschrei die beiden anderen Wikinger dazu, sich erst mal umzuwenden. Sie riefen ihrem steif stehenden Mann etwas zu, was Mike Rander und Josuah Parker wegen der Entfernung allerdings nicht verstanden. Der betroffene Nordmann zeigte anklagend auf seinen Hörnerhelm, dann auf sein Knie. 60
Parker nutzte die Gunst der Minute. Stahlkugel auf Stahlkugel jagte nach unten. Der Butler schoß eine Art, Sperrfeuer und traf trotz der großen Entfernung erstaunlich genau. Die beiden eben noch unversehrten Wikinger brüllten nun ihrerseits auf und hüpften verzweifelt herum. Sie wußten nicht, woher diese tückischen Kleinstgeschosse kamen, sie fühlten sie nur deutlich. »Sehr erfreulich«, sagte Mike Rander zufrieden, »das haben die Burschen aber gar nicht gern.« Mike Rander untertrieb deutlich. Die beiden Nordmänner schlugen mit den Händen um sich, als müßten sie wütend angreifende Hornissen abwehren. Sie wurden gegen ihren Willen immer weiter vom Geldtransporter weggetrieben und suchten Schutz in einem nahen Torbogen. Mit einiger Verspätung folgte ihnen der dritte Nordmann, der aus verständlichen Gründen nicht mehr so schnell auf seinen Beinen war. Kurz vor dem Erreichen des Torbogens traf ihn eine Stahlkugel in der rechten Kniekehle, worauf der Mann endgültig von den Beinen kam. Er absolvierte eine einfache Rolle vorwärts und krachte dann mit seinem Hörnerhelm gegen die Mauerkante. Hilfreiche Hände zogen und zerrten ihn in Deckung. »Diese Burschen werden nicht sonderlich erbaut sein«, sagte Mike Rander und lächelte, »wann werden sie versuchen, an den Transporter zu kommen?« »Die Verschnaufpause wird nur wenige Augenblicke andauern, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »Ihr Einverständnis voraussetzend, werde ich nun eine andere Geschoßart einsetzen.« »Genieren Sie sich nur nicht, Parker.« »Wären Sie unter Umständen mit einem leichten Reizgas einverstanden, Sir?« »Es kann wegen mir auch etwas schwerer ausfallen, Parker.« Der Butler hatte inzwischen in eine seiner vielen Westentaschen gegriffen und die entsprechende Munition hervorgeholt. Es handelte sich um die vielfach durchlöcherten Plastikkapseln, die mit einer Glasampulle versehen waren. Josuah Parker spannte erneut die beiden Gummistränge und setzte kurz nacheinander zwei dieser Kapseln gegen die ihm zugewandte Seite des Torbogens. Unmittelbar darauf verteilte sich ein leichter, weißlicher Schwaden, der von einem günstigen Windhauch in die Tiefe des Durchgangs getrieben wurde. Bis hinauf zum Dach war kurz danach ein röchelndes Massenhusten zu vernehmen. Die drei Wikinger dach61
ten jetzt mit Sicherheit, nicht mehr an den Geldtransporter. »Was halten Sie davon, Parker, wenn wir uns den Geldtransporter holen?« fragte der Anwalt. »Eine ausgezeichnete Idee, Sir, wenn ich dies bemerken darf«, lautete Parkers Antwort. »Das Verschwinden dieses Gefährts sorgt mit Sicherheit dafür, daß die falschen Wikinger auch weiterhin Interesse an diesem Transporter zeigen werden.« * Der Kampf war beendet, die Festung genommen. Die eben noch wütend angreifenden Wikinger hatten sich unter die Zuschauer gemischt und ließen sich bewundern. Ihre Gegner, die gerade unter den fürchterlichen Hieben der Nordmänner zusammengebrochen waren, standen wieder auf den Beinen und machten, von einigen Schrammen und kleinen Blessuren mal abgesehen, einen recht gesunden und munteren Eindruck. Mark Penwick, der Ober-Wikinger und Leiter des Fremdenverkehrsverbandes, widmete sich Lady Agatha. Der große, schlanke Vierzigjährige, der eben erst seine mächtige Streitaxt geschwungen hatte, zeigte stolz auf die vielen Zuschauer, die sich im Innern der Festung zu einem Schmaus nach Wikingerart eingefunden hatten. Ein Ochse am Spieß drehte sich über einem Holzkohlenfeuer und wurde bereits in die ersten Portionen zerlegt. Es gab Met und Wein. »Entschuldigen Sie bitte noch mal, Mylady, daß ich Sie nicht auf die Ehrentribüne geladen habe«, sagte Mark Penwick, »aber ich habe ja eben erst erfahren, wer Sie sind. Mr. Peterson hat mich informiert.« »Der Sekretär der Handelskammer, nicht wahr?« warf Kathy Porter ein. »Ein immer erstklassig informierter Mann«, antwortete Penwick, »wie hat den Damen das Spektakel gefallen?« »Soweit recht gut«, meinte die Lady und sah fast ein wenig neidisch auf die Streitaxt, die Penwick noch in der rechten Hand hielt, »nur schade, daß wir Zuschauer nicht mitmachen konnten.« »Du lieber Himmel, Mylady«, wehrte Penwick ab und lächelte, »in solch einem Fall hätten die Sanitäter jetzt Hochbetrieb. Und unterschätzen Sie nicht unsere Waffen. Sie sind den Originalen in 62
den Museen haargenau nachgebildet.« »Darf ich mal?« Lady Agatha konnte nicht anders, sie mußte einfach nach Penwicks Streitaxt greifen, die er ihr lächelnd überließ. Sie zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt, sondern schwang das Kriegsgerät mit spielerischer Leichtigkeit durch die Luft. Penwick war ehrlich beeindruckt. Er wußte natürlich nicht, daß Lady Simpson noch sehr intensiv Golf spielte und auch mit dem Sportbogen umzugehen wußte. Er trat allerdings sicherheitshalber einen Schritt zurück und schaute sich unruhig um. Lady Agatha wirbelte die langstielige Streitaxt durchaus gekonnt über ihren Kopf und nickte dann beifällig. »Wo finde ich einen jungen Mann, der mit mir kämpft?« fragte sie Penwick, während sich bereits die ersten Neugierigen einstellten. Sie lächelten amüsiert über den Eifer der angejahrten Dame. »Mylady, bitte, mißverstehen Sie mich nicht«, schickte Penwick voraus und schaute sich verlegen in der Runde um, »ich könnte es wirklich nicht verantworten, wenn dabei etwas passieren würde.« »Schnickschnack, junger Mann«, sagte sie animiert, »ich werde ja nur andeuten, der junge Mann hätte überhaupt nichts zu befürchten.« »Ich, äh, ich dachte eigentlich mehr an Sie, Mylady.« »Unsinn, Penwick.« Sie schwang erneut die Streitaxt, »wollen Sie mir diese Bitte wirklich abschlagen?« Penwick wurde zu seiner Erleichterung einer Antwort enthoben, denn neben ihm erschien ein Wikinger, der Schwert und Schild in den Händen hielt. Er mußte die Bitte der älteren Dame mitbekommen haben und nickte ihr lächelnd zu. Er grinste, als die Zuschauer, die einen Kreis gebildet hatten, Beifall spendeten. Kathy Porter machte erst gar keinen Versuch, vermittelnd einzugreifen. Aus reiner Erfahrung wußte sie, daß so etwas sinnlos war. Wenn Lady Agatha sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nicht mehr zu bremsen. Sie konnte störrisch sein wie ein Maulesel. Der junge Wikinger baute sich vor der Sechzigerin auf und fintierte mit seinem Schwert. Kathy Porter merkte sofort, daß Agatha Simpson es mit einem durchtrainierten Stuntman aus London zu tun hatte. Der junge Mann beherrschte seine Waffe. »Bitte, passen Sie auf«, rief Mark Penwick nervös und ängstlich. 63
»Natürlich, Penwick«, antwortete Lady Agatha, die sich angesprochen fühlte, »aber er hat ja immerhin einen Schild.« Sie wich nach hinten aus, ließ sich von dem immer wieder vorschnellenden Schwert des Wikingers beeindrucken und… schlug dann plötzlich mit der Streitaxt zu. Der Wikinger konnte gerade noch seinen Buckelschild hochreißen, sonst hätte es ihn erwischt. Er wurde von dem harten Schlag förmlich durchgeschüttelt und taumelte zurück. Lady Agatha setzte augenblicklich nach und drosch auf den leicht verwirrten und stark beeindruckten Stuntman ein, der die niedersausenden Hiebe mit dem Schild abzuwehren suchte. Die Zuschauer jubelten vor Vergnügen. »Ein Schwert, Kindchen«, rief Lady Agatha ihrer Sekretärin und Gesellschafterin zu, »ein Schild kann auch nicht schaden.« Als Kathy Porter nicht sofort reagierte, langte die ältere Dame wie selbstverständlich zu und entwaffnete einen völlig überraschten Wikinger, der nicht weit von ihr entfernt unter den Zuschauern stand. Sie riß ihm das Schwert aus der Scheide und packte es mit beiden Händen. Der Stuntman witterte eine Chance und drang auf Lady Agatha ein. Es war seine Absicht, ihr das Schwert aus den Händen zu prellen. Der Mann rechnete sich offensichtlich einen Vorteil aus. Er hätte besser nicht gerechnet… Die sportgestählten Arme der passionierten Golfspielerin widerstanden ohne weiteren diesen harten Prellschlag und brachten das Langschwert wieder hoch. Bevor der Stuntman einen zweiten Schlag anbringen konnte, kam die streitlustige Dame in Fahrt. Penwick schwitzte Blut und Wasser. Der Stuntman kam nicht mehr dazu, einen zweiten Prellschlag zu versuchen. Lady Agathas Schwert deformierte den Schild und verwandelte ihn in einen zerbeulten Blechhaufen. Der Wikinger wurde zurückgedrängt und sah keine Möglichkeit, sich die Walküre vom Leib zu halten. Er wich zurück und wurde wütend. Er merkte, daß er sich nun doch ein wenig lächerlich machte. Dazu trugen allerdings auch die wenig aufmunternden Worte bei, die ihm galten. Er raffte sich gerade zum Gegenangriff auf, als plötzlich Butler Parker erschien. Er schob sich zwischen die beiden Duellanten und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Es ist Teezeit, Mylady, wenn ich daran erinnern darf«, sagte er 64
dann gemessen. * »Warum haben Sie die fünf Strolche nicht gleich zur Polizei gebracht?« wunderte sich Lady Agatha eine Viertelstunde später, nachdem Butler Parker und Mike Rander Bericht erstattet hatten. »Ich habe mir erlaubt, von der Voraussetzung auszugehen, daß Mylady den eigentlichen Drahtzieher kennenlernen möchten.« »Selbstverständlich«, gab sie zurück, »und das ist dieser Sekretär der Handelskammer, dieser Willie Petersen.« »Falls er es tatsächlich ist, wird er früher oder später Flagge zeigen müssen«, warf Mike Rander ein. »Die fünf WikingerGangster hätten von uns aus jeden Hinweis verweigert.« »Ich sollte mir diesen Peterson mal gründlich kaufen«, meinte die ältere Dame grimmig. »Er würde nach zehn Minuten ein Geständnis ablegen.« »Und es vor Gericht selbstverständlich widerrufen, Mylady«, sagte der Anwalt. »Darüber hinaus würde er gegen Sie dann noch Strafantrag wegen Körperverletzung stellen.« »Unsinn, ein paar Ohrfeigen sind keine Körperverletzung.« »Es hängt davon ab, Mylady, wer diese Ohrfeigen austeilt«, urteilte Mika Rander lächelnd. »Denken Sie an den Wikinger, den Sie eben fast in den Boden geschlagen hätten…« »Es war sehr entspannend«, gab sie zurück, um Josuah Parker dann mit einem anklagenden Blick zu mustern. »Was ist aus dem Geldtransporter geworden?« fragte Kathy Porter, während man auf die ehemalige Fischerhütte zuging. »Genau danach wollte ich gerade fragen«, warf die ältere Dame ein. »Man dürfte ihn inzwischen wohl gefunden haben«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Leer, selbstverständlich«, fügte der Anwalt hinzu. »Das klingt schon besser. Sie haben ihn ausgeräumt?« »Knapp vierhunderttausend Pfund«, meinte Anwalt Rander lakonisch und nickte. »Das klingt ja noch besser«, sagte die Detektivin. »Und wo ist das Geld jetzt?« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Mylady, wurde das Geld in 65
Richtung London auf den Weg gebracht«, antwortete Butler Parker, »es befindet sich in einem Koffer, den man jederzeit am Gepäckschalter von Victoria Station abholen kann.« »Das könnte von mir sein«, stellte Lady Agatha umgehend fest, »Sie lernen wirklich dazu, Mr. Parker.« »Mylady machen meine bescheidene Wenigkeit glücklich«, versicherte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Mylady billigen also die getroffene Maßnahmen?« »Falls Sie die Polizei nicht verständigt haben, Mr. Parker.« »Davon wurde noch Abstand genommen, Mylady, wenngleich ich betonen möchte, daß…« »Wie lange kann man damit noch warten, Mike?« Die ältere Dame wandte sich an den Juristen. »Eigentlich überhaupt nicht, Mylady«, antwortete Mike Rander, »genauer gesagt, wir hätten das Geld und die Gangster bereits abliefern müssen.« »Papperlapapp, Mike!« Sie winkte ab, während sie das Haus betraten, »diese Leute werden sich noch früh genug auf Knien bedanken, daß ich Ihnen den fertig gelösten Fall auf den Tisch lege.« »Darf ich Mylady darauf aufmerksam machen, daß man mit dem sprichwörtlichen Feuer spielt, was die Wikinger-Killer betrifft?« warf Josuah Parker ein. »Diese fünf Herren werden alles daransetzen, sich in den Besitz der ihnen entgangenen Beute zu bringen. Sie werden auch vor Mord nicht zurückschrecken, wie ich versichern darf.« »Lassen Sie sich dagegen etwas einfallen Mr. Parker.« Agatha Simpsons Stimme klang plötzlich überraschend freundlich. »Woher wissen die Gangster, daß wir sie überlistet haben?« fragte Kathy Porter. »Nun ja, gesehen haben sie uns zwar nicht«, erwiderte Mike Rander, »aber der Drahtzieher im Hintergrund weiß Bescheid, davon können wir ausgehen.« »Natürlich«, sagte die ältere Dame nachdrücklich, »dieser Sekretär der Handelskammer, wie heißt er noch…?« »Willie Peterson, Mylady«, half Butler Parker aus. »Dieses Subjekt also«, sagte sie und nickte, »dieser Heimtücker wird bald seine Zähne zeigen. Und darauf freue ich mich schon jetzt. Eine Lady Simpson vermag dieser Strolch nicht zu täuschen!« 66
* Keiner zeigte seine Zähne, weder die fünf Wikinger noch der Drahtzieher im Hintergrund, der laut Lady Simpson Willie Peterson war. Die Nacht verlief ausgesprochen ruhig und entspannt. Josuah Parker hatte das hoteleigene, ehemalige Fischerhaus selbstverständlich entsprechend abgesichert, doch seine installierte Alarmanlage sprach nicht an. Als Mylady zum Frühstück erschien, hatte der Butler bereits die Morgenzeitung besorgt. »Wie groß sind die Schlagzeilen, Mr. Parker«, erkundigte sich die ältere Dame, um sich dann allerdings sofort nach der Zusammenstellung ihres Frühstücks zu erkundigen. Sie hatte vor einiger Zeit beschlossen, ihre Fülle ein wenig zu reduzieren und Diät zu halten. »Mylady erwarten nur ein wenig Rührei mit Speck aus Schottland, dann einige kleine Delikateßwürstchen, zwei gedünstete Nierchen, ein wenig geräucherten Fisch aus Arbroath und schließlich Toasts und diverse Marmeladen.« »Das muß leider reichen«, sagte sie seufzend und schaute sich in dem großen Wohnraum um, »wo stecken Kathy und Mr. Rander?« »Die Herrschaften lassen sich entschuldigen, Mylady«, erwiderte der Butler in seiner ungemein korrekthöflichen Art. »Miß Porter und Mr. Rander wurden von Mr. Peterson angerufen und in die örtliche Handelskammer gebeten.« »Also wirklich, das ist doch die Höhe!« Mylady war tief entrüstet. »Dieses Subjekt hat sich gefälligst hierher zu bemühen, wenn es etwas wünscht, finden Sie nicht auch?« »Im Prinzip erlaube ich mir, Myladys Ansicht zu teilen«, gab Josuah Parker in seiner so überaus korrekt-höflichen Art zurück, »in diesem speziellen Fall hingegen schien es angebracht, Mr. Petersen in der Handelskammer aufzusuchen.« »Zum Kaffee nehme ich einen winzig kleinen Kognak«, warf die ältere Dame ein, um dann nach den Gründen für den Besuch zu fragen. »Mr. Dave Caldy, Mylady, hat sich telefonisch bei Mr. Peterson gemeldet.« 67
»Dave Caldy? Kenne ich diesen Mann? Habe ich diesen Namen schon mal gehört?« »Mylady erinnern sich vielleicht an den Fahrer der Handelskammer, der zusammen mit seinem Chef, Mr. Albert Hoogan, die fünfzigtausend Pfund erpressen wollte.« »Richtig, der Name kam mir ja gleich bekannt vor.« Sie nickte. »Und was will dieser Gauner?« »Noch mal anrufen und dann per Telefon eine Aussage machen, Mylady. Laut Mr. Peterson bezieht sie sich auf den Erpresserversuch.« »Hoogan hat doch längst alles zugegeben oder?« »In der Tat, Mylady, und in diesem Zusammenhang Mr. Caldy zusätzlich beschuldigt.« »Haben die Gangster sich schon…« Das Läutern des Telefons unterbrach den Satz der älteren Dame. Butler Parker schritt zu einem der Sideboards im großen, zentralen Wohnraum und hob den Hörer ab. »Hier bei Lady Simpson«, meldete er sich, »wer, bitte, spricht?« »Nun passen Sie mal genau auf, Sie komischer Butler«, sagte eine ziemlich gereizt klingende Stimme, die allerdings verzerrt klang, »sperren Sie Ihre Löffel auf!« »Können Sie sich freundlicherweise allgemeinverständlicher ausdrücken?« fragte Parker. »Schnauze«, blaffte die gereizte Stimme, »kommen Sie mir bloß nicht mit Mätzchen. Wir wissen genau, daß Sie uns die Beute aus dem Transporter abgejagt haben. Okay, war gute Arbeit, aber wem der Zaster gehört, dürfte ja wohl klar sein, oder?« »Eine Frage, über die man grundsätzlich und lange diskutieren könnte, wenn ich so sagen darf.« »Sogar bis ins Grab«, konterte die verzerrte Stimme, »und zwar bis in Ihr Grab, Parker! Aber wir geben Ihnen ‘ne echte Chance…« »Sie finden mein ungeteiltes Interesse.« »Sie rücken den Zaster raus, Parker. Versuchen Sie erst gar nicht, uns aufs Kreuz zu legen. Im Transporter müssen wenigstens vierhunderttausend Pfund gewesen sein. Ich wiederhole, vierhunderttausend Pfund! Genau die wollen wir wiedersehen; was darüber sein sollte, gehört Ihnen.« »Ich gestatte mir, Ihr Angebot zur Kenntnis zu nehmen, möchte jedoch betonen, daß meine bescheidene Person auf keinen Fall weiß, wovon Sie eigentlich reden.« 68
»Mann, machen Sie uns nichts vor! Nur Sie können da mitgemischt haben. Inzwischen wissen wir ‘ne Menge über Sie und Ihre hinterlistigen Methoden.« »Ihre Unterstellungen befinden sich bereits im Bereich der Beleidigung, wenn ich dies feststellen darf.« »Wenn wir den Zaster nicht bis Mittag haben, Parker, knallen wir Sie und Ihre Begleiter gnadenlos zusammen! Und zwar einen nach dem andern… Und Sie, Parker, werden das letzte Opfer sein. Wir spaßen nicht!« »Gibt es Ihrerseits gewisse Vorstellung darüber, an welcher Stelle Sie den Zaster, wie Sie sich auszudrücken beliebten, erwarten?« »Irgendwo am Rand, den genauen Ort teilen wir Ihnen noch mit. So, und jetzt lassen Sie sich mal alles gründlich durch den Kopf gehen, Sie wildgewordener Amateur. Wir knallen einen nach dem anderen nieder, wenn Sie nicht spuren, Ende!« * »Natürlich habe ich die Morgenzeitung gelesen, Caldy«, sagte Mike Rander auf die entsprechende Frage des Anrufers, »der ausgeräumte Geldtransporter wurde von der Polizei oben auf den Klippen in einer alten Abtei-Ruine gefunden. Warum fragen Sie?« Mike Rander und Kathy Porter befanden sich im Vorzimmer zu Albert Hoogans Privatbüro. Willie Petersen, der nun kommissarisch die Geschäfte der Handelskammer leitete, war nicht in das Chefbüro übergewechselt. Er hielt sich ebenfalls im Vorzimmer auf und stand vor einem Aktenschrank. »Ich weiß, daß Hoogan mich wahrscheinlich in die Pfanne gehauen hat«, erwiderte der Fahrer von Albert Hoogan, »und wahrscheinlich hat er alles mir angehängt.« »Sie liegen nicht besonders falsch, Caldy.« »Hoogan hat natürlich das Blaue vom Himmel heruntergelogen, Sir. Wie hätte ich denn als einfacher Fahrer meinen Chef beeinflussen können? Haben Sie sich das mal gefragt?« »Falls nicht, werde ich das nachholen, Caldy.« »Hoogan ist ein gerissener Hund, Sir. Als ich heute morgen die Zeitungen gelesen hab’, da wußte ich genau, wer hinter dem dreifachen Bankraub steht.« 69
»Sie meinen die Leerung des Geldtransporters, nicht wahr?« »Genau, Sir. Das geht auf Hoogans Konto. Der hat diese Sache mit den fünfzigtausend Pfund doch nur aufgezogen, damit sich alles auf diese Wikinger-Landung am Strand konzentriert.« »Klingt plausibel, Caldy, doch reden Sie weiter.« »Die Erpressungsgeschichte war doch nur ein Ablenkungsmanöver, Sir. Hoogan hatte es von Anfang an auf den Geldtransporter abgesehen. Wollen Sie wissen, warum ich mir da so sicher bin?« »Könnte nicht schaden, Caldy.« Mike Rander schien gelangweilt und gähnte hörbar. »Seit ein paar Wochen habe ich ihn über die Küstenstraße fahren müssen, Mr. Rander und immer mittwochs und freitags. Ich habe diesen Geldtransporter wenigstens viermal unterwegs gesehen, mal sind wir ihm entgegengefahren oder wir haben ihn überholt. Klarer Fall, daß Hoogan sich alles genau angesehen hat.« »Warum sagen Sie das nicht der Polizei, Caldy?« »Ich soll mich wohl auch noch stellen, wie?« Caldy lachte leise auf, »ich bin doch nicht verrückt. Ich traue mich erst aus meinem Mauseloch hervor, wenn Hoogan überführt ist.« »Also schön, Caldy, damit wir zu einem Ende kommen«, schickte Mike Rander voraus, »wo könnte Hoogan das Geld aus dem Transporter versteckt haben? Wie kann man ihn überführen?« »Nun passen Sie mal genau auf, Mr. Rander: Hoogan hat das Geld bestimmt auf seinem Kutter versteckt.« »Der hier im Hafen von Arbroath liegt, nicht wahr?« »Ein seegängiger alter Fischkutter, aufgetankt bis zum Rand. Wetten, daß Hoogan sich bald absetzen wird?« »Wie kann Hoogan den Geldtransporter entführt haben?« fragte Mike Rander und lachte leise. »Mann, erzählen Sie mir doch keine Märchen!« »Natürlich hat er Helfershelfer gehabt, Sir«, lautete die schnelle und eifrige Antwort, »aber wer das gewesen ist, weiß ich nicht.« »Ohne einen Tip werden wir keine Hand rühren, Caldy.« »Lassen Sie sich doch mal von ihm sagen, wen er in den vergangenen vierzehn Tagen für seinen Betrieb engagiert hat«, kam prompt die Antwort. »Sie, Caldy, sind demnach also das reine Unschuldslamm oder?« »Das sage ich nicht, Sir. Ich gebe ja zu, daß ich von der Erpressergeschichte wußte. Und ich sollte das Geld während der Wikin70
ger-Landung in Empfang nehmen, aber Hoogan hat mich dazu angestiftet. Erst heute morgen, als ich die Zeitungen gelesen habe, ist mir ein Licht aufgegangen.« »Sie wissen, daß man Sie wegen dieser fünfzigtausend Pfund nicht belangen wird?« »Das hat Mr. Peterson mir schon beim ersten Anruf gesagt. Aber wenn ich jetzt den entscheidenden Tip wegen des Geldtransporters gebe, springt für mich ja wohl eine anständige Belohnung heraus, wie?« »Der Kutter also«, wiederholte Mike Rander, »kann sein, daß ich ihn mir mal ansehen werde, Caldy, aber versprechen werde ich nichts. Woran erkenne ich Hoogans Kahn?« »Pechschwarz gestrichen, weißes Ruderhaus. Der Kutter heißt >Glamis< und liegt weit vor den Fischkuttern, oberhalb von Hoogans Räuchereibetrieb.« »Eine Frage am Rand, Caldy: Warum sehen Sie sich nicht diesen Kutter an?« »Weiß ich, ob er für mich nicht zu ‘ner tödlichen Falle werden kann, Sir? Ich bin allein, Sie aber nicht.« * »Ich möchte nur wissen, Mr. Parker, was Sie da alles zusammenkaufen«, wunderte sich die ältere Dame, als Butler Parker aus einem kleinen Elektrogeschäft kam. Er hielt ein kleines Päckchen in der rechten Hand und legte es zu den übrigen und dem Aktenkoffer, den er vor einer Viertelstunde erstanden hatte. »Es gilt, gewisse Vorbereitungen zu treffen, Mylady«, erwiderte der Butler höflich, »darf ich daran erinnern, daß die Gangster die Übergabe gewisser Gelder verlangen und erwarten?« »Warum so umständlich?« fragte sie grollend, »warum verhören wir nicht diesen Willie Peterson? Das ist mein Mann! Er ist der Drahtzieher, der die fünf Gangster engagiert hat.« »Wie Mylady bereits andeuteten, gibt es natürlich auch noch andere Verdächtige.« Parker hatte am Steuer Platz genommen und lenkte den Wagen zurück zum hoteleigenen Fischerhaus. »Habe ich das?« »Mylady verwiesen auf die Herren Hoogan und Mark Penwick«, redete Parker weiter. 71
»Hoogan?« Sie stutzte. »Und wer ist Penwick?« »Der Leiter des Fremdenverkehrsverbandes, Mylady.« »Ein sehr undurchsichtiger Bursche.« Sie nahm den Köder sofort an. »Wie Mr. Hoogan, Mylady.« »Das ist doch nur ein kleiner Gauner, der schnell und risikolos auf Kosten seiner Geschäftsfreunde an fünfzigtausend Pfund kommen wollte.« »Mylady deuteten an, wenn meine bescheidene Wenigkeit dies richtig verstand, daß Mr. Hoogan durchaus auch die fünf falschen Wikinger auf den Geldtransporter angesetzt haben könnte.« »Richtig.« Sie konnte sich zwar nicht erinnern, aber sie nahm auch diesen Köder an. »Demnach kämen als Drahtzieher die Herren Peterson, Hoogan und Penwick in Betracht, wie Mylady treffend sagten. In diesem Zusammenhang sollte man selbstverständlich auch Mr. Caldy nennen, den Fahrer der Handelskammer.« »Aha.« Die Detektivin nickte zustimmend. »Hatte ich darüber hinaus noch andere Namen genannt?« »Keineswegs, Mylady. Es ist durchaus treffend, daß Mylady die Erpressung mit dem Überfall auf den Geldtransporter zu koppeln bedenken.« »Natürlich, Mr. Parker.« Sie nickte gewichtig. »Das habe ich ja gleich gesagt. Die beiden Fälle sind eng miteinander verbunden: nichts war leichter zu durchschauen als das. Die Erpressung sorgte für die Ablenkung, damit man den Transporter entführen konnte.« »Myladys Erfahrungen zahlen sich wieder mal glänzend aus«, erklärte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Was werde ich jetzt tun?« fragte sie, während man sich bereits dem hoteleigenen Fischerhaus näherte. »Falls Mylady zustimmen, sollte jetzt der Aktenkoffer ein wenig präpariert werden«, schlug Butler Parker vor. »Diese Arbeit wird kaum länger als eine Stunde dauern, wie ich versichern darf.« »Dann werde ich mir einen kleinen Imbiß bringen lassen«, sagte sie. »Ihr Frühstück, Mr. Parker, ist doch recht knapp ausgefallen. Ich habe nicht die Absicht, in Rekordzeit abzunehmen. Sie müssen nicht immer übertreiben.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit tief zerknirscht«, lautete Parkers Antwort. »Ja, ich möchte behaupten, daß ich zu72
tiefst beschämt bin.« * In der Eingangshalle des Backsteingebäudes, in dem die Räume der Handelskammer sich befanden, passierte es dann. Kathy Porter und Mike Rander hatten Peterson verlassen und wollten auf die Straße gehen, als sie sich plötzlich drei unauffällig gekleideten Männern gegenübersahen. »Hallo«, sagte der Anwalt, der sofort begriff, um wen es sich handelte. »Sie können mitspielen, Sie können’s aber auch sein lassen«, sagte der Wortführer der drei Zivilisten. »Okay, Sie sind am Drücker, schätze ich«, meinte Mike Rander, »Sie laden uns zu ‘ner kleinen Spazierfahrt ein, denke ich.« »Richtig geschätzt.« Der Zivilist nickte, »draußen steht unser Wagen.« »Geht dieser Trick auf Caldys Konto?« fragte Mike Rander lässig. »Keine Fragen stellen, mitkommen«, sagte der Mann und grinste, »in ein paar Stunden ist alles über die Bühne gegangen, dann können Sie uns noch mal danach fragen.« Eine Gegenaktion wäre sinnlos gewesen, das hatte Kathy Porter eingesehen. Sie hatte es mit den Gangstern zu tun, die den Geldtransporter überfallen hatten, daran bestand kein Zweifel. Und damit stand man Gangstern gegenüber, die dazu noch Killer waren. Diese Männer würden sich nicht scheuen, von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen, auch wenn die Mordinstrumente im Moment noch nicht zu sehen waren. »Wird die Geschichte unblutig ausgehen?« fragte Kathy Porter und versetzte sich sofort in die Rolle des scheuen und ängstlichen Rehs. »Das hängt von diesem komischen Butler ab«, sagte der Wortführer, »aber der weiß inzwischen Bescheid, woher der Wind weht. Da drüben steht der VW-Bus für unseren Ausflug.« Sie ließen Kathy Porter und Mike Rander ein paar Schritte vorausgehen und nahmen ihnen so jede Möglichkeit, einen überraschenden Gegenangriff zu starten. »Wir machen erst mal mit und warten auf besseres Wetter«, 73
sagte der Anwalt leise zu seiner Begleiterin, »im Moment ist nichts zu machen.« »Caldy hat uns reingelegt, nicht wahr?« »Oder Peterson«, erwiderte Mike Rander. Nach dieser Feststellung war die knappe Unterhaltung bereits beendet, denn sie hatten den VW-Bus bereits erreicht und nahmen Platz. Am Steuer saß bereits der Fahrer und ließ sie nicht aus den Augen. Die drei Zivilisten stiegen nach, und der Wortführer schloß die Schiebetür. »Wohin werden Sie uns bringen?« erkundigte sich Mike Rander. »Wir machen ‘ne kleine Seereise«, sagte der Mann, »und dann werden wir wahrscheinlich noch mal vor der Festung landen.« »Wir nehmen den Kutter von Hoogan?« »Laßt euch überraschen«, sagte der Gangster, »wir werden es euch schon bequem machen.« Während er redete, sah er Kathy Porter immer wieder interessiert an, und sie schlug sehr züchtig die Augen nieder. Sie errötete sogar gekonnt und nahm scheinbar unwillkürlich die Arme schützend hoch, um ihr Dekollete abzuschirmen. Wie Mike Rander es erwartet hatte, nahm der VW-Bus Richtung auf den Fischerhafen und hielt dann am Kai. Nicht weit von hier entfernt war der Betrieb von Albert Hoogan zu sehen. Und an einem firmeneigenen Liegeplatz war ein Fischkutter festgemacht, der sich als die »Glamis« entpuppte. Die vier Gangster waren vorsichtig, als Kathy Porter und Mike Rander auf den Kutter überstiegen. Sie gingen kein Risiko ein und lotsten ihre Gäste an Bord und dann unter Deck. Kathy Porter schrie leise auf, als zwei harte Hände nach ihr griffen und sie in einen engen Verschlag drängten. Mike Rander hatte sich zwar noch umwenden wollen, doch er erhielt einen Fausthieb ins Genick und fiel auf eine schmale Koje. Er wollte sich instinktiv noch hochstemmen, aber ein zweiter Schlag setzte ihn außer Gefecht. Zwei Gangster schleiften ihn durch die Kajüte in einen anderen Verschlag und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken. Als er wieder zu sich kam, war bereits alles vorüber. Mike Rander spielte weiter den Bewußtlosen. Die Gangster brauchten wirklich nicht zu wissen, wie gut seine Kondition war. Sie sollten ihn ruhig für einen versnobten Weichling halten, der nichts vertrug. Es dauerte nicht lange, bis der Kutter losmachte. Der Diesel tuckerte, und dann schob sich das Boot langsam vom Liegeplatz in 74
den Hafen und nahm Kurs auf die offene See. Mike Rander dachte an Kathy Porter und setzte gleichzeitig auf sie. Situationen dieser Art hatte sie in der Vergangenheit schon oft auf gekonnte Art und Weise bereinigt. Sie war eine erstklassige Schauspielerin und keineswegs so ängstlich und hilflos, wie die Gangster mit Sicherheit annahmen. * »Wenn Sie erlauben, werd ich Ihre Bedingungen noch mal möglichst wortgetreu wiederholen«, sagte Josuah Parker, der vor dem Sideboard stand und vor wenigen Augenblicken angerufen worden war, »Sie erwarten vierhunderttausend Pfund im Austausch gegen Miß Porter und Mr. Rander.« »Sie sind ja ein richtiger kleiner Schnelldenker«, spottete Parkers Gesprächspartner, dessen Stimme wieder verzerrt klang. Wahrscheinlich hatte der Anrufer ein Taschentuch über die Sprechmuschel gelegt. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses Kompliment nicht ehrlich gemeint ist«, erwiderte der Butler. »Mann, Sie sind ja fast Spitze«, lautete die ironische Antwort, »wenn die Kleine und dieser Snob nicht bei den Fischen landen sollen, müssen Sie den Zaster rausrücken.« »Wann und wo soll der Austausch erfolgen?« »In einer Stunde unten am Strand, wo die komischen Wikinger gelandet sind.« »Ich werde Mylady sofort verständigen.« »Und keine Mätzchen, Parker, keine faulen Tricks. Wir lassen uns auf nichts ein.« »Dieser Tatsache ist man sich durchaus bewußt«, entgegnete Parker höflich und gemessen, als handele es sich um ein normales Gespräch, »ich werde mir erlauben, das Geld in einem Aktenkoffer zu überbringen.« Parker legte auf und ging zu Lady Simpson hinüber, die ihn erwartungsvoll ansah. Er berichtete erstaunlich kurz und knapp. »Diese Kinder«, seufzte die ältere Dame auf und schüttelte dann ein wenig vorwurfsvoll den Kopf. »Wie kann man sich nur so hereinlegen lassen, Mr. Parker.« »Diese Frage sollte man vielleicht auch Mr. Peterson stellen, 75
Mylady.« »Dieses Subjekt hat die Falle gestellt«, entrüstete sich die Detektivin, »ich habe es ja gleich von Anfang an gewußt.« »Auch Mr. Caldy käme durchaus in Betracht, Mylady.« »Warum kaufe ich mir nicht diesen Peterson?« fragte sich Lady Agatha grimmig. »Habe ich den Drahtzieher, müssen die Gangster kapitulieren.« »Wenn Mylady gestatten, möchte ich mich erkühnen, andeutungsweise zu widersprechen«, schickte Parker voraus, »die Dinge entwickeln sich inzwischen nach eigenen Gesetzen.« »Das sage ich ja«, meinte sie sicherheitshalber. »Selbst wenn man diesen Drahtzieher nun auch stellen könnte, Mylady, so würden die fünf Gangster auf keinen Fall auf das Geld verzichten«, redete Parker weiter. »Sie haben Miß Porter und Mr. Rander entführen können und besitzen somit zwei Trumpfkarten, die sie gnadenlos ausspielen werden.« »Wahrscheinlich werden sie überhaupt nicht mehr mit dem Drahtzieher teilen wollen.« »Mylady sehen die Dinge klar und realistisch. Aus diesem Grund wäre es auch sinnlos, sich zum Beispiel mit den Herren Peterson oder Penwick unterhalten zu wollen.« »Sie haben Hoogan vergessen.« »In der Tat, Mylady!« Parker hatte den Räuchereibesitzer keineswegs vergessen, es aber Lady Simpson überlassen, diesen Namen zu nennen. Sie brauchte, wie er längst wußte, ihre Erfolgserlebnisse. »Wen halten Sie eigentlich für den Drahtzieher, Mr. Parker?« fragte sie jetzt, »reden Sie aber nicht um den heißen Brei herum.« »Mr. Peterson, Mylady, hat…« »Also Peterson, ich wußte es doch!« Sie nickte triumphierend. »Mr. Peterson, Mylady, bat Miß Porter und Mr. Rander zu sich in die Handelskammer, weil Caldy dort noch mal anrufen und eine wichtige Mitteilung machen wollte. Genauer gesagt, er teilte nur mit, daß der Fahrer Mr. Hoogans noch mal anrufen würde.« »Was soll diese Spitzfindigkeit, Mr. Parker?« Sie sah ihn grollend an, »Sie wollen sich nur um eine klare Aussage drücken.« »Keineswegs, Mylady, wie ich versichern darf. Mr. Perterson sorgte zwar durchaus dafür, daß man ihn in der Handelskammer aufsuchen mußte, wenn man mit Caldy sprechen sollte. Meiner 76
bescheidenen Meinung nach hat man den Sekretär allerdings nur mißbraucht.« »Wozu, Mr. Parker? Ich weiß es, aber wissen Sie es wirklich?« »Man wollte den Gangstern eine Gelegenheit verschaffen, ein Kidnapping durchzuführen, Mylady. Mr. Caldy hätte ja auch durchaus hier im Fischerhaus anrufen können.« »Richtig, gut, daß Sie mich daran erinnern, Mr. Parker.« Sie tat wieder mal so, als habe sie alles im vorhinein gewußt und auch gesagt. Sie schaffte es mit Leichtigkeit und wurde noch nicht mal andeutungsweise verlegen. »Mr. Caldy lockte für die Gangster an, wenn ich so sagen darf, Mylady«, redete Parker weiter, »doch der eigentliche Drahtzieher ist er auf keinen Fall.« »Und wieso nicht? Was wissen wir denn über ihn?« »So gut wie nichts, Mylady, was die Deutungen erheblich erschwert«, räumte Parker ein, »ich möchte allerdings davon ausgehen, daß der Drahtzieher sich nie als Fahrer verdungen hätte. Dieser Mann im Hintergrund hat eine Position, die ihnen einen größeren Handlungsspielraum gewährt.« »Caldy ist also ein Handlanger, aber wer ist der Drahtzieher, der sich das alles ausgedacht hat? Bekennen Sie doch endlich Farbe, Mr. Parker, oder haben sie Angst, sich eindeutig festzulegen?« »Es verbleiben von den bekannten Personen noch die Herren Penwick und Hoogan«, faßte Josuah Parker zusammen. »Da Mr. Hoogan sich auf die sehr dubiose und betrügerische Erpressung einließ, da er sich offenbar auf die kleine Beute beschränkt, besitzt er wahrscheinlich nicht die kriminelle Energie für den großen Coup.« »Also ist Penwick das Subjekt?« »Nach Lage der Dinge, Mylady, möchte ich mir erlauben, dem zuzustimmen«, antwortete Parker höflich, »falls nicht neue Erkenntnisse gewonnen werden können.« * Kathy Porter sah den eintretenden Gangster ängstlich an und schob sich in die Ecke der an sich schon recht engen Kammer. Sie betete vor Angst. »Es ist soweit«, sagte der Mann, der bereits in der Halle des al77
ten Backsteingebäudes der Wortführer gewesen war, »in einer halben Stunde sind Sie wieder frei.« »Wo… Wohin bringen Sie mich?« fragte sie. »An Land, Süße. Bargeld gegen Sie und diesen Lackaffen.« »Soll ich an Deck kommen?« »Nee, reichen Sie mir mal die Hände, ich denke, wir sollten ‘nen kleinen Strick drehen.« »Aber… Aber ich werd Ihnen bestimmt keine Schwierigkeiten machen.« »Sicher ist sicher, Süße. Nun mach schon.« Sie kam seinen Befehlen nach und streckte beide Hände aus. Der Gangster konnte nicht widerstehen und zog sie blitzschnell an sich und wollte sie küssen. Kathy stieß einen halb erstickten Schrei aus, wehrte sich und sorgte dafür, daß ihr Ring am Finger der linken Hand mit seinem Nacken in engen Kontakt kam. »Verdammt, was war das?« fragte der Gangster und ließ sie sofort los. Er faßte verdutzt nach der schmerzenden Stelle. »Was… Was meinen Sie?« fragte Kathy und tat wieder ängstlich. Natürlich sagte sie ihm nicht, daß diese kleine Verletzung absichtlich von ihr herbeigeführt worden war. Dieser an sich völlig harmlos aussehende Ring hatte es nämlich in sich und stammte aus Parkers Bastelstube. Durch ein Verdrehen des Schmucksteins wurde eine winzige kleine Spitze seitlich an der Ringfassung nach oben gedreht, und diese Spitze war chemisch präpariert. Sie enthielt allerdings kein Gift, wie es bei den berüchtigten Borgia-Ringen der Fall war. Dieses Präparat sorgte nur dafür, daß der Getroffene sein Interesse an der Umwelt verlor und sich nach Ruhe sehnte. »Blöde Ziege, kannst nicht aufpassen?« beschimpfte der Gangster sie jetzt und wischte erneut über die schmerzende Hautstelle. »Entschuldigung«, hauchte Kathy Porter überzeugend. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Nun sack nicht gleich zusammen«, meinte der Gangster wegwerfend und zeigte erneut auf ihre Hände. »Rüber mit den Flossen und…« Er schien vergessen zu haben, was er eben noch gewollt hatte, starrte Kathy Porter aus großen Augen an und schüttelte dann erstaunt seinen Kopf. Er fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht und lachte dann unvermittelt. Kathy Porter nutzte die Gunst des Augenblicks. 78
Sie langte blitzschnell nach der Schulterhalfter des Gangsters und wollte dessen Schußwaffe an sich bringen doch leider legte der Kutter sich in diesem Moment auf die Seite und der Mann fiel haltlos und schlaff gegen sie. Kathy Porter kam nicht dazu, nach der Schußwaffe zu greifen. Ihr Arm wurde durch das Körpergewicht des Gangsters fest gegen die Wand der kleinen Kammer gepreßt. »Was wird denn hier gespielt?« rief eine sehr normal klingende Stimme. Der Gangster wurde zurückgezerrt, und Kathy Porter sah sich einem zweiten gegenüber, der zu ihrer Überraschung wie ein Wikinger gekleidet war. »Gut, daß Sie kommen«, stieß sie gegen ihre Überzeugung erleichtert hervor, »er wollte mich… Er war schrecklich!« »Los rauskommen«, herrschte der Wikinger-Gangster sie an, »hier sollen wohl wieder faule Tricks probiert werden, wie? Aber nicht bei mir!« Sie mußte erst mal gehorchen und hoffte auf eine zweite Gelegenheit, ihren Ring noch mal einsetzen zu können. Sie schob sich vorsichtig aus der engen Kammer in die größere Kajüte und sah sich weiteren Wikingern gegenüber. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ihre Hände gefesselt waren. * »Himmel, was haben Sie mit mir vor?« fragte Mike Rander. Er war von zwei Wikinger-Gangstern in die Kajüte gebracht worden und entdeckte Kathy Porter, die auf dem Rand einer Koje saß. Er entdeckte auch einen Gangster, der sich noch umgekleidet hatte und wie träumend auf einer Kojenmatratze lag. »Wir steigen jetzt um«, sagte der Mann, der die Leitung des Landemanövers übernommen hatte. »Falls der Butler und die Lady spuren, haben Sie’s in ‘ner halben Stunde überstanden.« Kathy Porter und Mike Rander tauschten einen schnellen Blick. Sie brauchten sich nichts zu sagen, sie verstanden sich auch so. Es hatte keinen Sinn, jetzt noch für eine Änderung der Situation zu sorgen. Gewiß, sie waren gefesselt, doch sie hätten sich noch durchaus eine Chance ausrechnen können, was ihre Beinarbeit betraf. Da der angekündigte Austausch nun aber erfolgen mußte, 79
mußte man erst mal abwarten und sich auf die neue Situation einstellen. »Rauf an Deck«, kommandierte der neue Wortführer. Er hielt einen kurzläufigen Revolver in der rechten Hand und machte einen wachsamen und mißtrauischen Eindruck. Kathy Porter und Mike Rander gehorchten. Sie mußten allerdings warten, bis zwei andere Wikinger aufgestiegen waren, die sie an Deck in Empfang nahmen. »Da rüber«, lautete der nächste Befehl. Kathy und Mike wechselten die Bordseite und… sahen dann plötzlich, längsseits am Kutter festgemacht, ein Langboot der Wikinger. »Ihr legt euch gleich flach auf den Boden des Bootes«, forderte der Wikinger sie energisch auf. »Wer den Kopf auch nur hebt, bekommt ‘nen Schlag mit dem Revolverlauf, ist das klar?« »Sonnenklar, guter Mann«, erwiderte Mike Rander, »aber warum dieser Umstand?« Er erhielt keine Antwort. Er beobachtete, wie Kathy Porter in das Wikinger-Langboot hinuntergelassen wurde. Während er noch wartete, sah er zur erstaunlich nahen Küste hinüber. Seiner Schätzung nach befand man sich knapp hinter jener Landzunge, hinter der am Vortag die Langboote der Wikinger hervorgekommen waren. Mike Rander sah aber noch mehr. Dieses Langboot hier war mit einem starken und leistungsfähigen Außenborder ausgestattet worden. Nach der Übergabe der Beute wollten diese Pseudo-Nordmänner wohl so schnell wie möglich zurück zum Kutter fahren und jeden Verfolger abhängen. Nachdem auch Anwalt Rander auf dem Boden des Langbootes lag, nahmen die übrigen Wikinger Platz und hakten ihre Rundschilder außenbords und stilecht ein. Sie griffen nach den langen Riemen und lösten sich dann vom Kutter. Nur der träumende Wikinger blieb zurück, wie Rander festgestellt hatte. Der Kutter wurde ganz sicher nicht ohne einen Steuermann draußen auf See zurückgelassen. Mike Rander bedauerte es, daß er diesen Steuermann im Ruderhaus nicht hatte ausmachen können. Vier Wikinger ruderten das Boot, einer war wegen Konzentrationsmangel zurückgeblieben. Wer also war der sechste Mann? Wer schickte die Wikinger auf die Reise? Wer mochte das alles durchgerechnet und veranlaßt haben? Es dauerte eine Ewigkeit, bis die unerfahrenen Wikinger das 80
Langboot endlich in Strandnähe gebracht hatten. Während der Schwerarbeit fluchten sie. Rander merkte, daß man ihm die Handfesseln zerschnitt. »Liegenbleiben«, sagte eine keuchende Stimme, »erst aufstehen, wenn ich’s sage.« »Schon gut, schon gut«, erwiderte Mike Rander, »und was ist dann?« »Dann schnappst du dir die Kleine und trägst sie an den Strand, rauf zu der Festung. Wir sind dicht hinter dir. Eine falsche Bewegung – und schon knallt’s.« »Alles sehr klar«, versicherte Mike Rander. »Werden Sie nur nicht nervös, guter Mann.« * Butler Parker stand vor der Festung und beobachtete das Näherkommen des Langbootes. Er war allein. Lady Agatha hatte darauf bestanden, sich mit einem gewissen Mark Penwick zu befassen. Sie wollte den Leiter des Fremdenverkehrsverbandes abfangen, falls er sich am Strand sehen lassen würde. Die Gangster hatten eine recht günstige Zeit gewählt. Über Mittag befanden die Feriengäste und Touristen sich in den vielen Gaststätten und Teestuben, um ihr Essen einzunehmen. Hier am Strand war man so gut wie unter sich. Nur etwas weiter entfernt, in Richtung der Klippen, befanden sich Menschen, die in Liegestühlen ruhten und Siesta hielten. Parker zeigte keine Nervosität. Über dem angewinkelten linken Unterarm hing sein UniversalRegenschirm. In der rechten Hand hielt er den wohlpräparierten Koffer. Darüber hinaus hatte er sich natürlich noch zusätzlich ausgerüstet. Er war bereit, den Gangstern einige Überraschungen zu bereiten. Das Langboot kam wegen der günstigen Flutverhältnisse bis hart an den Sandstrand. Vier Nordmänner stiegen aus und hielten Schwerter und Schilder bereit. Dann entdeckte Josuah Parker den Anwalt und Kathy Porter. Mike Rander hielt Kathy Porter auf den Armen und trug sie durch das auflaufende Wasser an den Strand. Hinter ihm formier81
ten sich die Wikinger und folgten dichtauf. Einige Menschen in den Liegestühlen waren aufmerksam geworden und richteten sich auf, doch sie zeigten britische Gelassenheit und störten nicht weiter. »Haben Sie das Geld, Parker?« fragte der neue Wortführer der Wikinger, dem man sich bis auf etwa zehn Meter gegenüberstand. »Wie verabredet«, erwiderte der Butler, »aber ich muß Ihnen gestehen, daß die Summe sich nur auf dreihundertvierundachtzigtausend Pfund beläuft. Sie dürfen versichert sein, daß ich ungewöhnlich genau nachzählte.« »Schmeißen Sie den Koffer rüber!« »Würden Sie die beiden Herrschaften freundlicherweise vorgehen lassen?« »Was soll das heißen?« schnauzte der Wikinger. »Sie hegen ein verständliches Mißtrauen gegen meine bescheidene Person«, gab Josuah Parker gemessen zurück, »mein Mißtrauen dürfte kaum geringer sein.« Die Wikinger beratschlagten leise miteinander, dann nickte der Wortführer. »Ihr Anwalt wird die Kleine jetzt fünf Schritte auf Sie zutragen«, rief er dann, »sobald Ihr Rander steht, werfen Sie uns den Koffer zu.« Eine Regelung, die man als vernünftig betrachten kann. Mike Rander löste sich aus der Gruppe und trug Kathy Porter auf den Butler zu. Der Wortführer der Wikinger zählte halblaut jeden Schritt mit. »Halt«, rief er dann, und der Anwalt blieb stehen. Mike Rander legte Kathy Porter in den weichen Sand und zog sich sein Jackett zurecht. »Der Koffer, meine Herren!« Butler Parker holte seitlich aus und warf den Koffer zielsicher und gekonnt in die Luft. Er segelte auf die Wikinger zu, und gleich zwei Nordmänner langten nach der begehrten Beute. Bevor Josuah Parker den Koffer auf die Reise geschickt hatte, war von ihm ein versteckt angebrachter Kontakt ausgelöst worden. Er hatte damit den Koffer scharfgemacht. Klatschend landete der Schalenkoffer in den nackten Armen eines der Wikinger und… detonierte. Im wahrsten Sinne des Wortes! Es gab einen dumpfen Knall, und aus vielen Bohrungen schossen dichte Nebelwolken, die die Szene einhüllten. 82
Mike Rander reagierte sofort. Er bückte sich, griff nach der an Händen und Füßen gefesselten Kathy Porter und zerrte sie erst mal zur Seite. Sie durfte auf keinen Fall dort liegenbleiben, wo er sie abgesetzt hatte. Josuah Parker ging sofort zum Gegenangriff vor und nutzte die Verwirrung der falschen Wikinger. Da ein recht steifer Wind aufgekommen war, wurden die Nebelschwaden leider nachdrücklich weggeweht. Die Herren Wikinger hatten sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt und wollten sich wenigstens wieder in den Besitz ihrer Geiseln bringen, um eine Zweitauflage des Geschäftes vornehmen zu können. Doch da war Butler Parker bereits zur Stelle und drosch mit seinem umgedrehten Regenschirm auf die wütenden, nun anstürmenden Wikinger ein. Mike Rander nutzte die Gelegenheit, sich erst mal eine Zigarette anzuzünden. Er hatte mit klarem Blick erkannt, daß die PseudoWikinger so gut wie chancenlos waren, was nicht allein mit Josuah Parker zusammenhing. Aus der nahen Festung stürmten ebenfalls Wikinger, die mit ihren altmodischen Waffen allerdings erstklassig umzugehen verstanden. * Willie Peterson, der kommissarische Leiter der Handelskammer, saß ausgesprochen ängstlich in einem Sessel und musterte die ältere Dame aus konsternierten Augen. »Ich… Ich werde mich beschweren«, sagte er wieder mal, »Sie halten mich gegen meinen Willen fest.« »Wie wollen Sie das beweisen, junger Mann?« fragte sie amüsiert und warf einen prüfenden Blick nach draußen. »Sie lassen mich ja nicht gehen.« »Versuchen Sie es, Peterson«, schlug die Detektivin vor, »dort ist die Tür.« »Und Ihr Pompadour, Mylady?« Peterson warf einen scheuen und respektvollen Blick auf den perlenbestickten Handbeutel, mit dem er bereits oberflächliche Bekanntschaft gemacht hatte. Er wußte, wie eisenhart der Inhalt war, denn seine Hüfte schmerzte 83
noch immer. »Sie langweilen mich, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha, »wenn Sie unschuldig sind, wird man Sie später beglückwünschen. Und ich werde aller Welt sagen, wie eng Sie mit mir zusammengearbeitet haben. Wenn aber nicht, dann…« »Ich habe mit allem nichts zu tun.« »Hoffentlich«, sagte Lady Simpson, »halten Sie jetzt den Mund, mein nächster Gast kommt.« Vor der ehemaligen Fischerhütte hielt ein Wagen. Lady Agatha baute sich seitlich neben der Tür auf und wartete, bis schnelle Schritte das Haus erreicht hatten. Nach einem harten Anklopfen bat sie den Gast herein. Es war Mark Penwick, der Leiter des Fremdenverkehrsverbandes. »Was machen Sie denn hier, Peterson?« fragte er überrascht, denn er hatte die ältere Dame dicht neben der Tür noch nicht entdeckt. »Fragen Sie nicht mich, sondern…« »… mich!« blaffte Lady Agatha und löste sich von der Wand. »Sie haben sich Zeit gelassen, Penwick!« »Was soll das?« Penwick sah die Lady neugierig an. »Warum haben Sie mich…« »Halten Sie den Mund und setzen Sie sich, junger Mann!« »Moment mal, Lady Simpson, ich bin…« »Sie sind verdächtig«, schnitt die Detektivin ihm das Wort ab, »und bis gewisse Dinge gelaufen sind, halte ich Sie hier fest.« »Sie wollen mich festhalten?« Mark Penwick lächelte. »Sie wollen mich daran hindern, das Haus wieder zu verlassen?« Sekunden später bereute er sichtlich, sich derart stark gemacht zu haben. Nachdem er Bekanntschaft mit Myladys Pompadour gemacht hatte, saß er verdutzt auf dem Boden und schnappte nach Luft. Das Hufeisen im Handbeutel hatte seine linke Rippenpartie massiert. »Das ist… Körperverletzung«, keuchte Penwick wütend und erhob sich. »Setzen Sie sich neben Peterson, junger Mann!« »Das lasse ich mir nicht gefallen, Mylady. Sie haben…« »Reden Sie nur weiter«, antwortete die ältere Dame grimmig und zeigte Penwick eine kurzläufige Maschinenpistole, die aus dem Besitz der falschen Wikinger stammte. 84
»Schon gut, schon gut«, wiegelte Penwick ab, »aber ich möchte endlich wissen, was das alles bedeutet.« »Lady Simpson hält Sie und mich für Drahtzieher gewisser Gangster«, warf Peterson ein. »Das ist doch blanker Unsinn«, entrüstete Penwick sich. »Wieso ausgerechnet Peterson oder ich?« »Warten wir ab«, sagte Lady Agatha, »unten am Strand müssen inzwischen die Gangster eingetroffen sein. Und ich sage Ihnen, sie werden einige Überraschungen erleben.« »Ich verstehe überhaupt nichts«, behauptete Peterson. »Ich noch weniger«, fügte Penwick hinzu und massierte sich vorsichtig die schmerzende Stelle. »Das alles ist doch ein Mißverständnis, Mylady. Unsere Unschuld wird sich herausstellen, glauben Sie mir.« »Hoffentlich nicht«, lautete Myladys grollende Antwort, »ich möchte Sie nämlich später verhören. Und darauf freue ich mich schon jetzt!« »Wie sieht’s aus?« fragte ein gewisser Albert Hoogan und betrat das kleine Ruderhaus. »Sie kommen«, erwiderte Dave Caldy, der den Kutter steuerte, »in zehn Minuten sind wir steinreich.« »Jeder findet seinen Meister«, stellte Albert Hoogan fest, »diesen komischen Butler haben wir auf der ganzen Linie geleimt.« »Der Kerl war eine verdammt harte Nuß«, meinte Caldy und deutete dann nach vorn, »hoffentlich haben sie ihn fertig gemacht.« »Bestimmt«, versicherte Caldy gelassen, »aber gleich müssen wir noch mal ran.« »Scheußliche Sache«, meinte Hoogan, »ich kann kein Blut sehen.« »Es lohnt sich aber, Chef«, redete Caldy weiter, »so brauchen wir wenigstens nicht zu teilen.« »Und die Leichen, Caldy?« »Lassen wir zusammen mit dem Langboot an Land treiben«, gab Caldy zurück. »Man wird annehmen, daß sie sich gegenseitig umgebracht haben. Uns wird man nichts beweisen können.« »Caldy, Sie sind verdammt clever«, lobte Hoogan seinen ehemaligen Fahrer, »ich bin froh, daß wir in einem Boot sitzen. Ohne Sie wäre ich nie auf die Idee gekommen, diesen großen Fischzug zu versuchen. Na ja, geträumt habe ich von so etwas eigentlich 85
schon immer, aber…« »Und ich hab nicht gewußt, wie ich Sie interessieren konnte«, meinte Dave Caldy lächelnd, »das war ein verdammtes Stück Arbeit.« Die beiden Ehrenmänner, die sich so einig waren, beobachteten das schnelle Näherkommen des Langbootes, dessen Außenborder auf vollen Touren arbeitete. »Bleiben wir zusammen oder trennen wir uns später?« erkundigte sich Hoogan. »Wir trennen uns natürlich«, erwiderte der ehemalige Cheffahrer, »sicher ist sicher.« »Gut, daß dieser Butler nicht aufmerksam wurde, als Sie bei der Generalprobe diesen Angriff ausführten. Warum haben Sie das eigentlich getan?« »Mir ging’s um diesen Butler«, antwortete Caldy, »ich hatte ihn sofort erkannt. Ich war nicht scharf auf die Kleine, ich wollte ihn fertigmachen und ins Krankenhaus schicken. Dann hätten wir weniger Ärger gehabt.« »Und hätten dieses Manöver hier nicht gebraucht«, sagte Hoogan, »wer konnte denn auch ahnen, daß der Butler den Geldtransporter wegschaffen würde.« »Mancher ahnt manches nicht.« »Richtig, Caldy und… Was soll das?« Hoogan starrte auf den Revolver, den Caldy plötzlich in der rechten Hand hielt. Auf dem Laufende der Waffe befand sich ein langer Schalldämpfer. »Mancher ahnt eben manches nicht, Chef.« »Wieso, Caldy? Hören Sie, Sie haben doch nicht etwa vor…« »Doch, Hoogan, habe ich. Die Polizei braucht einen Schuldigen. Und der werden Sie sein!« »Caldy, Sie sind verrückt!« »Nee, kalt bis ans Herz. Ich teile nicht gern.« »Aber ich habe doch…« »Sie haben überhaupt nichts, Sie Idiot! Ich allein habe alle Pläne gemacht, oder etwa nicht? Wer hat denn die fünf Typen aus London besorgt? Doch wohl ich, oder?« »Aber ich habe Sie doch die ganze Zeit über hochbezahlt, Caldy.« »Wenn schon, Hoogan. Ich war für Sie ja auch ein wertvoller Partner. Ohne mich hätten Sie den Trick mit der angeblichen Erpressung nie über die Bühne gebracht. Und wer hatte die Idee, 86
daß man Sie als kleinen Betrüger durchschauen sollte? Das war doch ich, wie? Und wer hat blitzschnell geschaltet, als der Transporter mit dem Zaster verschwunden war? Mann, Hoogan, Sie waren nur ein nützlicher Idiot!« »Sie sind ein Schwein, Caldy!« »Regen Sie sich nicht auf, Hoogan. Sie werden…« Hoogan, körperlich wirklich kein Sportsmann, setzte alles auf eine einzige Karte und trat nach Caldys Hand. Und er hatte sogar einiges Glück, denn der auf ihn abgefeuerte Schuß traf nur seinen Oberschenkel. Caldy aber fiel gegen die nur angelehnte Tür des Steuerhauses und rutschte nach draußen. Er fluchte und fing sich gerade noch an der Reling ab. Als er zurückstürmte, um wieder ins Ruderhaus zu gelangen, erhielt er einen harten Schlag auf den Handrücken und brüllte auf. Er verlor die Schußwaffe, wandte sich um und… hatte das Gefühl, als schlüge ein unsichtbares Geschoß gegen seine Stirn. Er taumelte, rutschte aus und blieb regungslos an Deck liegen. Hoogan arbeitete sich aus dem Ruderhaus hervor, humpelte auf seinen ehemaligen Fahrer zu und wollte sich in den Besitz der Schußwaffe bringen. Er hörte über sich seltsam harte Geräusche, achtete jedoch nicht weiter darauf und griff nach der Waffe. Er richtete sich mühsam auf und wollte dann auf Caldy schießen. Auch er schaffte es noch, einen Schuß abzufeuern, und Caldy zuckte zusammen, als das Geschoß in seinen Oberarm drang. Dann aber richtete sich Hoogan steil auf, wollte noch nach seinem Hinterkopf greifen und fiel dann ebenfalls haltlos in sich zusammen… * »Sagenhaft, Parker«, sagte Wikinger Rander zu einem Butler, der ein wenig ungewöhnlich aussah. Parker trug nicht die übliche schwarze Melone, sondern einen Hörnerhelm. Über seinen schwarzen Zweireiher hatte er sich ein Wikingerfell gehängt. Die beiden Männer halfen Kathy Porter an Bord und untersuchten dann Hoogan und Caldy, die langsam wieder zu sich kamen und verständlicherweise stöhnten. »Wegen des leichten Seegangs ließen sich einige Fehlschüsse der Gabelschleuder leider nicht vermeiden«, entschuldigte sich 87
Parker bei dem Anwalt. Er deutete auf Hoogan und Caldy. »Dennoch, Sir, in Anbetracht dessen, was die beiden Herren sich wechselseitig zugefügt haben, dürfte mit umfassenden Geständnissen zu rechnen sein. Man wird sich bemühen, sich gegenseitig zu belasten.« »Haben Sie damit gerechnet, Parker? Mal ehrlich?« Mike Rander verwies auf Hoogan und Caldy. »Was Mr. Caldy betrifft, Sir, so fragte ich mich wegen des Angriffs anläßlich der Generalprobe, warum einer der Wikinger, also Mr. Caldy, wie wir ja inzwischen wissen, sich derart exponierte, wenn ich es so ausdrücken darf. Er mußte dafür gute Gründe gehabt haben, denn es handelte sich ja keineswegs um einen Scheinangriff.« »Ich maß diesem Zwischenfall kaum Gewicht bei, Parker.« »Mr. Caldy mußte aus noch unerfindlichen Gründen daran interessiert gewesen sein, Sie, Miß Porter oder meine bescheidene Wenigkeit zu verletzen, Sir. Dies erweckte mein Mißtrauen.« »Und was ist mit Hoogan?« »Mr. Hoogan war förmlich versessen darauf, als kleiner Betrüger und Erpresser dazustehen, Sir. Dies mußte ebenfalls Gründe haben, wie ich mir zu sagen beliebte. Mein bescheidener Schluß ließ den Verdacht aufkommen, daß Mr. Hoogan größere Dinge plante.« »Und Penwick? Haben Sie Mylady nicht auf ihn gehetzt?« »Mr. Penwick gab zu bereitwillig und zu präzise Auskunft über die Fahrten der Geldtransporter«, entgegnete der Butler, »dies hätte er als Drahtzieher der fünf falschen Wikinger nie getan. Und Mr. Peterson ist der Prototyp des grundehrlichen Angestellten, Sir. Ein letzter und wirklich nur noch vager Verdacht fiel von ihm, als er das Gespräch von Caldy weiterleitete. Solch eine Blöße hätte er sich als Drahtzieher sicher nicht gegeben.« Kathy Porter, die unter Deck gegangen war, erschien wieder in der Höhe des Ruderhauses. »Er schläft«, sagte sie lächelnd und tippte dann auf ihren Spezialring, »er wird keine Schwierigkeiten machen, aber sicherheitshalber habe ich den Mann gefesselt.« »Dann könnten wir ja zurück in den Fischereihafen tuckern«, schlug Mike Rander vor, »der Fall ist geklärt, die Polizei kann endlich informiert werden.« »Man sollte vielleicht nicht nur tuckern, Sir«, entgegnete Josuah 88
Parker, »Volldampf, wenn ich es so sagen darf, wäre doch angebracht.« »Wieso denn, Parker?« Rander lächelte. »Mylady könnte inzwischen ebenfalls tätig geworden sein«, deutete der Butler höflich an, »Mylady hat andere Drahtzieher in Verdacht, ein Umstand, der den Herren Penwick und Peterson recht unangenehm sein könnte.« »Himmel noch mal«, sagte Mike Rander und schaute Kathy Porter fast entsetzt an, »sie bringt es fertig und löst den Fall erneut und auf ihre Weise.« »Sie sagen es, Sir«, gab Parker gemessen zurück, »man sollte tunlichst nicht an die Konsequenzen denken!«
ENDE Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 200 Günter Dönges
PARKER und die »Western-Mafia«
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