Butler � Parker � Nr. 73 � 73
John D. Acton �
Parker und die � ›grünen Witwen‹ �
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Lächelnd und freundlich begrü...
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Butler � Parker � Nr. 73 � 73
John D. Acton �
Parker und die � ›grünen Witwen‹ �
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Lächelnd und freundlich begrüßte sie ihren Mörder. Sie bat ihn einzutreten und entschuldigte sich wegen ihrer etwas nachlässigen Kleidung. Maud Hellers trug einen leichten, durchknöpfbaren Nylonkittel, der über der Brust ungewollt weit geöffnet war. Als sie vor ihrem Mörder hinüber in die Küche ging, zeichneten ihre Beine sich wie Schattenrisse gegen den leichten Stoff ab. Sie bot ihm wie selbstverständlich eine Tasse Kaffee an und fragte dann ohne Ungeduld, was sie für ihn tun könnte. Sie ahnte nicht, daß sie bereits jeden Wunsch im vorhinein erfüllt hatte. Sie war da, und sie allein wollte der Mörder haben! »Nehmen Sie doch Platz«, meinte sie, »und hier wäre der Kaffee. Er ist noch heiß.« Sie wandte sich ab und drehte ihrem Gast den Rücken zu. Der Mörder stand auf und trat hinter sie… * »Nun, Parker, Sie machen ja einen aufgeräumten erstaunlich Eindruck«, sagte Mike Rander und nickte seinem Butler zu, der das Frühstück servierte. »Sehr wohl, Sir«, gab Parker steif und würdevoll zurück, »ich war so frei, mir bereits zur frühen Morgenstunde die Schönheiten der erwachenden Natur zu Gemüte zu führen.« »Hier in Chikago?« Rander verzog skeptisch den Mund. »Auch eine Millionenstadt wie Chikago hat durchaus Reize anzubieten, Sir.« »Sie wollen mir doch nicht einreden, daß Sie sich die Blumen im Lincoln-Park angesehen haben.« »Eigentlich weniger, Sir. Mehr die
Blumen auf Biergläsern.« »Sie waren schon in einer Kneipe?« Rander grinste ironisch, »ich muß schon sagen, Parker, Sie scheinen einen recht seltsamen Geschmack zu entwickeln. Blumen auf Biergläsern. Es ist doch nicht zu glauben!« »Die gerade angesprochenen Blumen befanden sich auf Biergläsern, die ein gewisser Mister Mel Handerson zu füllen pflegt, Sir.« »Lassen Sie schon die Katze aus dem Sack, Parker!« Rander nahm einen Schluck Kaffee zu sich und kümmerte sich um den frischen, knusprigen Toast, den Parker mit Landbutter, leicht gesalzen übrigens, serviert hatte. »Besagter Mister Mel Handerson, 3 �
Sir, hatte meine bescheidene Wenigkeit förmlich beschworen, ihm einen Besuch abzustatten.« Rander schob den Teller samt dem Toast energisch zurück. Er sah seinen Butler fast strafend an. »Wir wollen eines klarstellen«, sagte er dann kühl, »es wird Ihnen diesmal nicht gelingen, mich für einen Kriminalfall zu interessieren. Ausgeschlossen! Versuchen Sie’s also erst gar nicht!« »Wie Sie meinen, Sir.« »Wer ist überhaupt Mel Handerson?« fragte Rander gegen seinen Willen, um sich sofort wegen dieser Frage zu ärgern. Er spürte, daß er sehr vorsichtig sein mußte, wenn er sich von seinem Butler nicht hereinlegen lassen wollte. »Mister Mel Handerson, fünfundvierzig Jahre alt, insgesamt sechs Jahre Gefängnis, verteilt allerdings auf drei Zeitabschnitte, vorbestraft wegen Diebstahl, Unterschlagung und Körperverletzung. Zur Zeit verheiratet mit Joan, einer knapp dreißigjährigen, recht attraktiven Frau. Mister Mel Handerson betreibt eine Bierbar und scheint den sprichwörtlichen Pfad der Tugend auf keinen Fall mehr verlassen zu wollen.« »Sehr erschöpfend. Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, daß Sie sehr eigenartige Bekannte und Freunde besitzen, Parker.« »Mister Mel Handerson wurde von Ihnen, Sir, vor etwa anderthalb
Jahren verteidigt. Es kam zu einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld. Die Anklage hatte Mister Mel Handerson vorgeworfen, er habe sich an einem Bankraub beteiligt.« »Richtig, jetzt erinnere ich mich. Und dieser Mister Mel Handerson, um bei Ihrer Umschreibung zu bleiben, hat jetzt Kummer…?« »Sehr wohl, Sir. Ehemalige Freunde versuchen Mister Handerson unter Druck zu setzen. Sie möchten ihn dazubringen, ihnen seine Fähigkeiten zu leihen.« »Wobei soll er denn mitmachen?« »Dies, Sir, hängt mit seinen speziell Kenntnissen zusammen, auf die die einschlägigen Behörden bisher noch nicht aufmerksam wurden.« »Worin bestehen diese Fähigkeiten, Parker? Glauben Sie jetzt nur ja nicht, Sie hätten mich bereits für einen Fall interessiert! Ich frage nur rein rethorisch.« »Mister Mel Handerson soll ungewöhnlich geschickt sein, was Tresore und Safes angeht, Sir.« »Warum wendet er sich nicht an Polizei?« »Dies, Sir, würde Mister Handerson zweifelsfrei tun, falls es da nicht gewohnte Hindernisse gäbe.« »Wie sehen die aus, Parker?« »Es handelt sich um die recht attraktive Frau Mister Handersons, Sir. Man hat damit gedroht, sie umzubringen, falls Mister Hander4 �
son sich den unmoralischen Wünschen seiner früheren Freunde nicht geneigt zeigt.« * »Das ist der dritte Fall in anderthalb Wochen.« Lieutenant Madford, klein, schmal, drahtig und cholerisch wie ein Südfranzose, blitzte seinen schrankgroßen Mitarbeiter gereizt an. Sergeant McLean, an einen freundlichen Grislybären erinnernd, beschränkte sich auf ein zustimmendes Kopfnicken. »In allen drei Fällen Tod durch Erdrosseln«, redete Madford weiter. »Und in allen drei Fällen ›grüne Witwen‹, Sir!« McLean sah auf die Tote hinunter, die vor dem Elektroherd in der gutausgestatteten Küche lag. »Was soll das ›grüne Witwen‹?« Madford sah seinen engsten Mitarbeiter auffordernd an. »So nennt man verheiratete Frauen in Randsiedlungen großer Städte, die tagsüber allein sind, weil ihre Männer irgendwo in der Stadt arbeiten und erst spät abends nach Hause kommen.« »Natürlich… Weiß ich doch! Glauben Sie etwa, ich würde keine Zeitungen lesen?« Sergeant McLean hütete sich darauf zu antworten. Er wollte seinen gereizten Chef nicht noch mehr her-
ausfordern. Er beschränkte sich darauf, die Arbeit der übrigen Mitglieder der Mordkommission zu verfolgen. »Keine Kampfspuren«, stellte Madford gereizt fest, »in allen drei Fällen scheinen die Opfer ihrem Mörder vertraut zu haben. Was haben Sie bisher in der Nachbarschaft herausgefunden, McLean?« »Eine Nachbarin der Toten erinnert sich an einen grauen Ford, der hier vor dem Haus stand. Sie will auch einen mittelgroßen Mann gesehen haben, der einen kleinen Weidenkorb getragen hat!« »Einen was?« »Einen Korb aus Weidengeflecht, Sir!« »Unsinn!« Madford wandte sich ab und zündete sich eine der schwarzen Zigaretten an, die er grundsätzlich nur zu rauchen pflegte. »Ein Korb aus Weidengeflecht… Können Sie sich daraus einen Vers machen?« »Nein, Sir.« »Natürlich, war ja auch nicht anders zu erwarten. Wann haben Sie sich schon mal einen Vers auf irgendeine Sache gemacht, McLean? Denken Sie überhaupt?« McLean kannte die Anspielungen seines Vorgesetzten, mit dem er übrigens ausgezeichnet harmonierte. Er überhörte Anspielungen dieser Art. Sie prallten einfach an ihm ab, worüber Madford sich dann prompt ärgerte. 5 �
»Ich habe an Butler Parker gedacht.«, sagte McLean harmlos. Er wußte aber im gleichen Moment, daß Madford wie eine Mittelstreckenrakete hochgehen würde. Der Name Parker allein war für Madford mehr als das rote Tuch für einen Stier. »Parker?« Madford funkelte seinen Sergeanten cholerisch an. »Sie glauben wohl, daß wir ohne diesen Wunderknaben den Fall nicht lösen werden, wie?« »Das habe ich nicht gesagt.« »Aber gedacht haben Sie’s… Ich will Ihnen mal was sagen, von dieser Geschichte hier wird er nichts erfahren, ist das klar? Und ich reiße Ihnen den Kopf ab, wenn Sie mit ihm reden! Ist das auch klar?« »Wie. ich Mister Parker einschätze, Chef, wird er längst hellhörig geworden sein.« »Selbst wenn! Falls er sich einmischen will, wird er mich endlich mal von einer anderen Seite kennenlernen!« »Klar, Chef!« »Grinsen Sie nicht, McLean!« Madford drehte sich um und ging mit schnellen, nervösen Schritten aus der Küche. McLean sah seinem Chef feixend nach.
irgendwelche Schwierigkeiten gesprochen.« Mel Handerson schüttelte sehr nachdrücklich den Kopf und mimte erfolglos den Unwissenden. »Hat man Sie inzwischen noch weiter unter Druck gesetzt?« fragte der Butler. »Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie eigentlich reden.« »Hören Sie, Handerson«, schaltete Mike Rander sich ein, »ich kann verstehen, daß Sie vor Angst nicht wissen, was Sie tun sollen, aber ohne Offenheit oder ohne einen Tip können Parker und ich Ihnen nicht helfen.« »Ihr Butler muß mich verwechseln.« Handerson zog ein unglückliches Gesicht und sah sich in seiner netteingerichteten Bierbar verstohlen und ängstlich zugleich um. Seine Bierbar war in der Art einer Scheunentenne eingerichtet. Wagenräder, Pferdegeschirr und Utensilien von alten Kutschen und Kaleschen schufen einen rustikalen-einfachen Eindruck. Selbst um diese Morgenstunde – es war gerade zehn Uhr – war seine Bierbar bereits gut besucht. Sein Publikum bestand aus berufsmäßigen Trinkern, die ihren Alkoholpegel im Blut auffüllten, aus klei* nen Geschäftsleuten, die sich schnell einmal mit Freunden unterhalten »Sie müssen sich irren, Mister Par- wollten, und schließlich aus Reisenker, ich habe mit Ihnen nie über � den und Angestellten, die die Zeit 6 �
zwischen zwei Terminen ausfüllen mußten. »Wir brauchen nur einen einzigen Namen«, sagte Rander eindringlich. »Wer setzt Sie unter Druck, Handerson?« »Wünschen Sie noch ein Bier?« wich Handerson aus. Er wirkte ungemein verlegen und ängstlich zugleich. »Okay, Handerson, überlegen Sie sich den Fall!« Rander sah ein, daß hier im Augenblick nichts zu machen war. »Rufen Sie uns an, wenn Sie es sich anders überlegt haben. Aber machen Sie nicht den Fehler, aus Angst bei einem krummen Ding mitzumachen. Das zahlt sich niemals aus!« Rander wollte zusammen mit seinem Butler gehen, doch als er sich nach Parker umwandte, war der Butler nicht mehr zu sehen. Er hatte die Zwischenzeit genutzt, gewisse Dinge bereits in Angriff zu nehmen. * Der Mörder saß auf einer Bank im kleinen Park und genoß die Sonne. Jetzt, nach der Tat, fühlte er sich entspannt. Der Gedanke an das Unrecht, das er getan hatte, war in ihm überhaupt nicht vorhanden. Genau das Gegenteil war der Fall. Der Mörder war sicher, etwas für die menschliche Gesellschaft geleistet zu haben…
Er sah hinüber in die Straße, die zu beiden Seiten mit gleichförmig aussehenden Reihenhäusern bebaut war. Es handelte sich um Bungalows der mittleren Preisklasse. Vor vielen Garagenauffahrten und Häusern standen kleine Zweitwagen, VWs, italienische Autos und Limousinen amerikanischer Firmen. Es war etwa 10.30 Uhr, als der Mörder aufstand, sich in seinen grauen Ford setzte, der in der Nähe parkte und dann in diese Straße hineinfuhr. Sein Ziel war ihm bekannt. Er brauchte sich nur an die Hausnummern zu halten, die es überhaupt ermöglichten, ein Haus vom anderen zu unterscheiden. Vor dem Bungalow Nr. 236 hielt er den Ford an, griff nach einem kleinen geschlossenen Weidekorb auf dem Rücksitz und stieg aus. Mrs. Link öffnete ihm die Tür. Sie war etwas über mittelgroß, wirkte leicht mollig und hatte ein freundliches Gesicht. Sie trug Lockenwickler und öffnete die Tür nur spaltbreit. Der Mörder lächelte freundlich und überzeugend. Er öffnete den Deckel des Weidenkorbs und sagte dazu kein Wort. Die mollige Mrs. Paula Link gab ihr Mißtrauen sofort auf. Sie lächelte den Mörder strahlend an und hakte die Sicherheitskette aus. »Aber kommen Sie doch herein«, 7 �
meinte sie zu dem Mann, »ich dachte schon, Sie würden nicht mehr kommen.« Der Mörder betrat die kleine Diele und folgte seinem Opfer, das ahnungslos vorausging und nur darauf zu warten schien, umgebracht zu werden… * »Sie ahnen nicht, wie unendlich ich es bedaure, Ihnen Ungelegenheiten bereitet zu haben«, sagte Parker, lüftete höflich seine schwarze Melone und richtete den schlanken, mittelgroßen Mann auf, der aus der Telefonzelle kam. »Schon gut.«, sagte der Mann verlegen. »Ihr Jackett, Sir!« Parker war der fleischgewordene Butler, als er die fast unsichtbaren Stäubchen von den Revers des Jacketts abwedelte. »Ja, danke… schon gut. Wirklich!« Der schlanke Mann, der etwa dreißig Jahre alt sein mochte, löste sich hastig von Josuah Parker, ging zurück zum Tresen und widmete sich wieder seinem Bier. Parker betrat nun die Telefonzelle und sah interessiert auf seine rechte Hand, in der sich jetzt zufälligerweise eine Brieftasche befand, die ihm offensichtlich nicht gehörte. Als korrekter Finder prüfte er nach, wem diese Brieftasche wohl gehörte. Dazu sah er sich gezwun-
gen, sie zu öffnen und den Inhalt kurz zu studieren. Diese Arbeit nahm etwa anderthalb Minuten in Anspruch. »Ihre Brieftasche, Sir!« Parker stand hinter dem schlanken Mann, der zusammenzuckte, sich dann leicht umdrehte und schließlich fast bestürzt auf seine Brieftasche in Parkers Hand schaute. »Sie müssen Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Telefonzelle verloren haben.« Der Mann war nun das, was Parker im Ton des Volksmundes bedient genannt hätte. Er griff nach seiner Brieftasche, warf Handerson einen Geldschein zu und hatte es sehr eilig, hinaus auf die Straße zu kommen. Handerson benahm sich übrigens recht eigenartig. Er sah dem davoneilenden schlanken Mann seinerseits bestürzt nach, schenkte dem Butler einen mehr als unsicheren Blick und beschäftigte sich anschließend mit seinen Biergläsern, die er auf Hochglanz polierte. »Sie hatten wohl mal wieder Leim an Ihren Fingern, wie?« Rander der die Szene mitbekommen hatte, schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich habe die Brieftasche an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben, Sir.« »Nachdem Sie sie ihm vorher wegstibitzt hatten, wie?« »So etwas, Sir, würde ich mir nie8 �
mals erlauben. Sie muß dem betreffenden Herrn entfallen sein, als ich mir erlaubte, sein Jackett etwas zu richten.« »Na schön!« Rander wechselte sicherheitshalber das Thema, »mit wem hatten wir’s denn zu tun?« »Der Inhaber der Brieftasche, Sir, ist ein gewisser Haie Portner, der seinen Lebensunterhalt in einer Autolackiererei zu verdienen scheint.« »Sie haben sich Name und Adresse dieser Lackiererei natürlich gemerkt, nicht wahr?« »In der Tat, Sir. Sie können sich – wie immer – fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.« »Wie beruhigend! Hören Sie, Handerson, kannten Sie den Gast, der es gerade so eilig hatte?« »Nie gesehen«, sagte Handerson etwas zu schnell. »Und wo hält Ihre Frau sich zur Zeit auf?« »Zu Hause natürlich. Sie kommt erst gegen Nachmittag hierher ins Geschäft.« »Wäre es nicht vielleicht richtig und angebracht, Mister Handerson, Ihre Frau in einen unbefristeten Urlaub zu schicken?« Parker kam mit diesem Vorschlag. »Unsinn! Ich wüßte nicht, warum ich sie in Urlaub schicken sollte«, erwiderte Handerson fast scharf. Es war ganz offensichtlich, daß er unter starkem Druck stand und nicht
mehr frei handeln konnte. »Wir zahlen, Parker!« Rander nickte Handerson zu und verließ den Tresen. Josuah Parker griff in die stets bereite Kriegskasse und beglich die gemeinsame Rechnung. Dann folgte er seinem jungen Herrn hinaus auf die Straße. »Und jetzt?« Rander sah Parker interessiert und aufmunternd an. »Darf ich freudig unterstellen, Sir, daß Sie sich an diesem Fall zu beteiligen gedenken?« »Das wissen Sie doch längst, Parker!« Rander lächelte matt, »Sie haben es wieder einmal geschafft. Aber das ist der letzte Kriminalfall, in den ich mich einschalten werde, klar?« »Sehr wohl, Sir«, gab der Butler unbewegten Gesichts zurück, »ich werde mir erlauben, mich zu ergebener Zeit an Ihre Erklärung zu erinnern!« * »Normalerweise kostet das Lackieren pro Wagen einhundertzwanzig Dollar«, sagte Matt Levell, ein massiger Fünfziger mit breitem Gesicht und kleinen, schlauen Augen, »der genaue Preis hängt natürlich vom Modell ab. Dazu gehört Grundieren und Zweilackschicht. Was Besseres bekommen Sie in der ganzen Stadt nicht. Sagen Sie, haben wir uns nicht schon mal gesehen?« 9 �
Parker überhörte die Frage. Er deutete zum Fenster des kleinen Büros hinaus. »Dort befindet sich mein Privatwagen. Wenn Sie ihn bitte mal einstufen würden?« Matt Levell erhob sich und trat neben seinen Schreibtisch. Er sah hinunter in den Hof. Sein breites Gesicht wurde fast doppelt so breit, als er jetzt grinste. »Sind Sie sicher, daß das unten auch ein Auto ist?« fragte er ironisch und drehte sich zu Parker um. »Bei der Einfuhr deklarierten die Zollbeamten es als ein Auto«, erklärte der Butler würdevoll. »Aus welchem Jahrhundert stammt der Schlitten?« Levell amüsierte sich königlich. »Entschuldigen Sie, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen, aber so was bekommt man schließlich nicht alle Tage zu sehen.« »Es handelt sich um ein ehemaliges Londoner Taxi«, gab Parker bereitwillig Auskunft, »für meine überaus bescheidenen Ansprüche, die ich an Automobile zu stellen pflege, reicht dieser Wagen.« »Dann müssen Ihre Ansprüche aber verdammt klein sein«, meinte Levell, »ich mach Ihnen einen Vorschlag, bringen Sie den Schlitten zur nächsten Schrottpresse. Das Lackieren lohnt sich nicht. Dabei zahlen Sie nur zu!« »Dem Rat eines Fachmannes beuge ich mich stets gern und willig, nur in
diesem besonderen Fall möchte ich davon Abstand nehmen, Mister Levell. Vielleicht sind Sie auf dem Gebiet, das Sie gerade angesprochen haben, nicht besonders kompetent. Im Gegensatz vielleicht zu anderen Fachgebieten.« Das war deutlicher und starker Tabak zugleich. Parker, der sich selbstverständlich vor diesem Besuch informiert hatte, spielte auf das Vorleben des Mannes an. »Wie meinen Sie das?« Levell sah den Butler jetzt drohend an. »Wie ich es meinte«, gab der Butler höflich zurück. »Oder sollten Sie nicht über Fähigkeiten verfügen, die über die Ihrer Lackier er ei hinausgehen?« Levell war unsicher. Wurde hier nun auf sein Vorleben als Bandenchef angespielt? Wußte dieser seltsam gekleidete Mann undefinierbaren Alters mit dem gekonnten, glatten Pokergesicht von aktuellen Neuigkeiten? »Ich… Ich kann Ihren Schlitten nicht einschieben«, sagte Levell also, »ich bin bis zur Halskrause besetzt. Fragen Sie in vierzehn Tagen noch einmal nach!« Parker bedankte sich durch Lüften seiner schwarzen Melone und verließ das Büro. Er ging die schmale, steile Treppe hinunter, passierte den Glasverschlag mit der Arbeitsannahme und befand sich dann im 10 �
Hof, in dem sein hochbeiniges Monstrum stand. Als er in den Wagen steigen wollte, lief ihm ein bekanntes Gesicht über den Weg. Haie Portner, jener junge Mann also, der in der Telefonzelle der Bierbar seine Brieftasche verloren hatte, blieb wie angewurzelt stehen, als er den Butler erblickte. »Welch ein interessanter und erfreulicher Zufall.« Parker nickte grüßend. »Man sagt nicht ohne Grund, daß die Welt klein ist! Haben Sie hier geschäftlich zu tun?« Haie Portner nickte zögernd. »Oder sollten Sie hier sogar angestellt sein?« Parker fragte, obwohl er es genau wußte. Schließlich hatte er seine Grundinformation ja aus der Brieftasche bezogen. »Entschuldigen Sie mich!« Haie Portner war an einer Unterhaltung nicht interessiert und verschwand hastig im Steinbau neben der Lackierhalle. Parker, der sich lebhaft vorstellen konnte, welche Gespräche Portner jetzt mit Matt Levell führte, nahm sich sehr viel Zeit mit der Abfahrt. Er wollte seinen potentiellen Gegnern Zeit und Gelegenheit geben, sich das Kennzeichen seines hochbeinigen Monstrums zu merken. Er hatte eigentlich schon immer die Ansicht vertreten, daß man es seinen Gegnern nie zu schwer machen sollte.
* � »Das Haus wird ganz offensichtlich beschattet.«, sagte Anwalt Mike Rander zu seinem Butler. Er hatte in der Cafeteria einer Tankstelle auf Parker gewartet und in der Zwischenzeit die Lage vor dem Privathaus von Mel Handerson sondiert. »Um welches Haus, Sir, handelt es sich?« »Der vierte Reihenbungalow auf der rechten Seite. Dort, wo der kleine Lieferwagen steht.« »Müßte ich mir das Kennzeichen dieses kleinen Lieferwagens noch zusätzlich einprägen, Sir?« »Nicht nötig, Parker.« Rander lächelte, schwieg aber, bis die Bedienung die Bestellung des Butlers aufgenommen hatte. Der Butler hatte sich für einen Tee entschieden, eine Erinnerung an seine englische Heimat. »Der Lieferwagen gehört der Firma Levell«, sagte Mike Rander, als er ungestört weiterreden konnte. »Was hat sich denn in der Lackiererei getan?« Josuah Parker berichtete kurz. »Damit hätten wir Levell ja auf uns aufmerksam gemacht. Und zwar sehr gründlich. Hoffentlich gebt das nicht ins Auge. Hoffentlich denkt er nicht, Handerson habe geredet.« »Wenn dem so ist, Sir, wird Mister Levell sich hüten, die Feindseligkeiten zu eröffnen. Inzwischen dürfte 11 �
er wissen, wer Sie und meine bescheidene Wenigkeit sind. Ich gab ihm Gelegenheit, sich das Kennzeichen meines Wagens zu merken. Zudem traf ich den Besitzer der Brieftasche.« »Wie lange wollen wir hier warten?« »Falls Sie einverstanden sind, dürfte der Lieferwagen in relativ kurzer Zeit seinen Beobachtungsposten aufgeben.« »Und wie wollen Sie das erreichen?« »Ich werde mir erlauben, mir etwas Passendes einfallen zu lassen.« Bevor der Butler allerdings zu Taten schritt, trank er erst noch seinen Tee. Dann erhob er sich und griff nach seinem Universal-Regenschirm. Er nickte seinem jungen Herrn verabschiedend zu und verließ die Cafeteria. * Im geschlossenen Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens langweilten sich zwei jüngere Männer, beide etwa zwischen fünfundzwanzig und achtundzwanzig Jahre alt. Durch kleine, kaum wahrzunehmende Beobachtungsschlitze konnten sie das Vorfeld vor dem Haus Mister Mel Handersons kontrollieren. Auf einer Konsole hinter dem Führersitz war ein Funksprechgerät
installiert worden. Damit konnten sie sich jederzeit mit ihrem Chef in Verbindung setzen oder neue Befehle empfangen. Sie hatten sich die Arbeit geteilt. Joe Hubert saß vor einem der Beobachtungsschlitze und beobachtete den Vorgarten. Mike Stalton lag auf einer sehr einfach gehaltenen Pritsche und duselte vor sich hin. Er war erst in einer halben Stunde an der Reihe. Hubert und Stalton hatten solche Beobachtungen schon sehr häufig durchgeführt, wenn es etwas auszubaldowern gab. Sie waren aber auch in anderer Hinsicht kalte Routiniers, denen Angst unbekannt war. »Mensch, Mike, die Handerson taucht gerade im Vorgarten neben der Garage auf.« Joe Hubert schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Die Beine solltest du dir mal ansehen…« »Na, wenn schon.« Mike Stalton blieb desinteressiert. »Sie trägt ganz knappe Shorts. Und nur ‘ne dünne Bluse.« »Von mir aus.« »’ne rassige Figur. Die würde in jedem Striptease-Laden durchkommen.« »Na, schön.« Mike Stalton blieb auf der Pritsche liegen. Er zündete sich eine Zigarette an und schimpfte still in sich hinein. Ein blöder Auftrag, den Levell ihnen da verpaßt hatte! Wieso war es wichtig, diese 12 �
Frau zu beobachten? Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man sie entweder gekidnappt oder gleich umgebracht. Levell, so fand er insgeheim, wurde langsam übervorsichtig. Er hatte nicht mehr den Schneid früherer Tage. »Mensch, Mike, jetzt rupft sie Unkraut.« Joe Hubert vor dem Sehschlitz war begeistert. »Mann, laß mich endlich in Ruhe!« Joe Hubert genoß die sportlichen Übungen, die Joan Handerson unbewußt vorführte. Er genoß sie derart, daß er den näherkommenden Mann übersah, der so seltsam und ungewöhnlich gekleidet war. Dieser Mann trug einen schwarzen Zweireiher, eine schwarze Melone und einen altväterlichen gebundenen Regenschirm, der schon bessere Tage gesehen hatte. Dieser Mann tauchte erst wieder knapp vor dem Schlitz auf und nahm Joe Hubert die Sicht. Nur für Sekunden übrigens, dann war er schon vorüber. Dennoch fuhr Joe Hubert wie elektrisiert zusammen. Irgendeine Flüssigkeit hatte seine Augen, die er dicht vor den Schlitz gepreßt hatte, getroffen. Er wischte sich über die Augen, die sofort wie Feuer brannten und tränten. Mrs. Joan Handerson löste sich in undeutliche Linien auf und wurde von seinen Augen dann schon nicht mehr wahrgenommen.
»Was ist denn?« Mike Stalton sprang von der Pritsche auf, als sein Partner Hubert eine Art Steptanz aufführte und sich dabei die Augen rieb. »Mann… Mann, meine Augen!« »Seh ich. Was ist mit ihnen?« »Irgendwas ist mir in die Augen gespritzt worden.« »Unsinn, wer soll denn das getan haben. Laß mal sehen!« In ehrlicher Sorge wollte Mike Stalton sich um die tränenden Augen seines Partners kümmern, doch in diesem Moment traten Ereignisse ein, die seinen Entschluß rapide änderten. Im geschlossenen Kastenaufbau des Lieferwagens wallten graugelbe Dämpfe auf. Diese Dämpfe, woher sie kamen, ließ sich nicht feststellen, reizten die diversen Schleimhäute und verursachten Hustenanfälle, die mittelschwer bis heftig waren. Im Chor und fast synchron husteten Joe und Mike. Der Kastenaufbau samt Chassis des Lieferwagens geriet in Schwingung. Der Wagen bewegte sich, als rumpele er über einen geschotterten, schlaglöchergepflasterten Weg dritter Ordnung. »‘raus. Nichts wie ‘raus!« brüllte Mike, der die neue Situation sofort erkannte, »das ist Tränengas!« Er tastete sich durch die graugelben Wolken, die den Kastenaufbau schon fast ausfüllten, erreichte durch 13 �
die Schiebetür das Fahrerhaus, warf sich über das Sitzpolster, klinkte die Tür auf und rollte sich hinaus auf die Straße. Joe Hubert, der wesentlich weniger sah als Mike Stalton, brauchte etwas mehr Zeit, bis er das rettende Freie erreichte. Als er sich hinaus in die frische Luft warf, landete er genau im Genick des gerade aufstehenden Mike Stalton, der daraufhin zurück auf den Asphalt gedrückt wurde und sich dabei nachdrücklich das Nasenbein anbrach, worüber er überhaupt nicht glücklich war. »Falls Ihnen an meiner bescheidenen Hilfe gelegen ist, meine Herren, so werde ich Ihnen gern die notwendige Hilfestellung geben.« Neben Joe Hilpert und Mike Stalton stand plötzlich der seltsam gekleidete Herr in Schwarz. Seine Stimme klang sonorbaritonal, sehr höflich und sehr mitfühlend… * »Die feine englische Tour war das aber gerade nicht.«, sagte Mike Rander lächelnd und sah dem in Schlangenbewegungen davonkriechenden Lieferwagen nach, »was haben Sie da eigentlich angestellt, Parker?« »Ich spritzte ein paar Tropfen Augenwasser durch einen der Sehschlitze, Sir!« »Das reichte bereits?«
»Ich hielt eine zusätzliche Tränengaspatrone für wirkungsvoll, Sir. Ich war so frei, sie durch den Entlüftungsrotor des Dachaufbaus zu werfen.« »Damit gewinnt man sich keine Freunde, Parker.« »Sehr wohl, Sir, aber ich war der Ansicht, daß Sie sich ungestört und unbeobachtet mit Mrs. Handerson unterhalten wollen.« »Sie ist bereits auf uns aufmerksam geworden, Parker. Wollen Sie nicht mitkommen?« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich die Straße weiter beobachten. Meiner bescheidenen Ansicht nach werden die beiden Lieferwagenfahrer früher oder später ersetzt werden.« »In Ordnung, dann halten Sie hier die Stellung, Parker. Ich glaube kaum, daß sich etwas tun wird. Vorerst dürften die Herren um Levell die Nase voll haben.« Parker blieb also auf der Straße zurück und begutachtete die Vorgärten und die mehr oder weniger gut gepflegten Rasenflächen. Er hatte bereits zur Kenntnis genommen, daß Mike Rander zusammen mit Mrs. Handerson ins Haus gegangen war. Parker nahm hinter dem parkenden Zweitwagen der Familie Handerson Stellung. Von hier konnte er ein gutes Stück der Straße beobachten, ohne selbst auf den ersten Blick 14 �
gesehen zu werden. Er befaßte sich mit seinem Universal-Regenschirm, den er in seiner sehr privaten Bastelstube in der Dachgartenwohnung seines jungen Herrn mit einer neuen Überraschung versehen hatte. Als begeisterter Benutzer eines indianischen Blasrohrs hatte er dem Schirmstock ein langes Blasrohr zugefügt, kaum zu erkennen und nur für den Eingeweihten zu benutzen. Parker versprach sich von dieser Neuerung hohen Effekt. Er brauchte nun nicht mehr wie in der Vergangenheit jeweils sein Kleinrohr zusammenzustecken. Dieses Blasrohr stand ihm jederzeit voll zur Verfügung, zeichnete sich durch große Länge aus und garantierte damit eine bessere Treffmöglichkeit. Bisher hatte der Butler dieses neue Blasrohr noch nicht benutzen können. Er hoffte jedoch, recht bald davon einmal Gebrauch machen zu können. Seine Hoffnungen sollten sich sehr früh schon erfüllen. Zuerst erschien auf der Straße ein grauer Ford älteren Datums, dessen Linien durch einige Roststellen und Beulen leicht gestört waren. Am Steuer dieses Wagens saß ein Mann undefinierbaren Alters, der eine Sonnenbrille trug. Er hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, stieg aus und griff nach hinten zum Rücksitz. Dieser Mann holte
einen Weidenkorb hervor, den er in seine linke Armbeuge hakte. Als dieser Mann, der wie ein motorisierter Hausierer der Mittelklasse aussah, die Straße überquerte und auf das Haus der Mrs. Handerson zuschritt, blieb er jedoch plötzlich stehen. Er schien unentschlossen zu sein, wandte sich ab und ging zurück auf seine ursprüngliche Straßenseite. Hier schien er nach einer bestimmten Hausnummer zu suchen, kehrte zu seinem Wagen zurück und fuhr derart schnell an, daß Josuah Parker sich veranlaßt sah, leicht vorwurfsvoll den Kopf zu schütteln. Im übrigen hatte der Butler natürlich nicht die geringste Ahnung, welch einen eminent wichtigen Kontakt er um ein Haar hätte herstellen können. Etwa drei, vier Minuten später hielt ein Buick am Straßenrand. Zwei Männer im Alter zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren stiegen aus. Sie trugen einwandfreie graue Anzüge, sahen gepflegt aus und konnten dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie Mitglieder der Unterwelt sein mußten. Dies war schon daran zu erkennen, daß die Schulterhalfter ihre Jacketts eine Kleinigkeit zu sehr ausbeulten. Sie wußten genau, was sie wollten. Ihre Befehle schienen sehr eindeutig zu sein. Die beiden Männer, wahrscheinlich handelte es sich um Ersatz für 15 �
die tränenreichen Ganoven, schritten schnell und zielstrebig auf das Haus der Mrs. Handerson zu. Parker war innerlich froh, endlich einmal das Blasrohr benutzen zu können, das dem Stock seines Universal-Regenschirms parallel geschaltet war. * Clay Mortimer, der fünfunddreißigjährige Mann, hartes Gesicht, graue Augen, schmale Lippen, ging einen halben Schritt voraus. Dadurch nahm er seinem Partner Steven Gonski, dreißig Jahre alt, glattes Gesicht, nervös flackernde Augen und betonte Hakennase, die Sicht in Richtung Garagenauffahrt. Gonski zuckte überrascht zusammen, als seine betonte Hakennase von einem Gegenstand getroffen wurde, der sich sofort verformte und auseinanderbarst. Hastig griff er mit der Hand hoch zur Hakennase, zog sie zurück und… starrte fast entsetzt auf die rote Flüssigkeit, die seine Finger bedeckte. »Was ist denn?« Clay Mortimer blieb stehen und schaute sich unwillig nach seinem Partner um. Dann weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Was ist denn das? Nasenbluten?« »Ich… ich weiß nicht.« Gonski fühlte noch einmal vorsichtig nach
seiner Nase und schüttelte dazu ratlos den Kopf. Er konnte sich verständlicherweise nicht erklären, was ihm und seiner Nase da zugestoßen sein sollte. »Mensch, Steven paß doch auf mit deinem Zinken!« Clay Mortimer grinste etwas schadenfroh, wandte sich zum Haus um und… zuckte nun seinerseits zusammen. Irgend etwas hatte sein rechtes Auge getroffen. Fast ängstlich griff er nach der Stelle, die überhaupt nicht schmerzte. Er erwartete Blut zu sehen, wurde jedoch erheblich enttäuscht. Seine Finger waren schwarzgefärbt. Eine klebrige Flüssigkeit pappte die Finger aneinander. Hastig griff er zurück nach dem Auge und verrieb ungewollt die schwarze Paste. »Was… was ist denn mit dir los?« Nun war Steven Gonski an der Reihe, sich einmal so recht von Herzen zu freuen, »ist dir was in die Pupille geflogen?« »Wer… wer war das?« Mortimer war restlos sauer und kam sich veralbert vor. Mit dem noch sehfähigen Auge hielt er Ausschau nach einem Gegner, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. »Hier stimmt was nicht!« Steven Gonski war unsicher geworden und witterte eine Falle. »Komm, Clay, wir hauen lieber ab!« 16 �
»Nein!« Clay Mortimer schüttelte fast wütend den Kopf. »Wir unterhalten uns mit der Handerson, wie der Chef es gesagt hat. Oder hast du Angst?« »Unsinn! Aber so Wie wir aussehen, läßt die uns erst gar nicht ‘rein!« »Das wollen wir doch mal sehen!« Clay Mortimer übernahm wieder die Führung und steuerte auf die Haustür zu. Dabei wischte er intensiv, aber nutzlos am verklebten Auge und ärgerte sich fürchterlich. Er ärgerte sich noch weit mehr, als plötzlich ein bohrender und stechender Schmerz sich in der linken Gesäßhälfte breitmachte. Unwillkürlich sprang er etwa dreieinhalb Zentimeter von den Steinplatten hoch und griff dabei automatisch nach der schmerzenden Stelle. »Ein Giftpfeil!« stöhnte Gonski, der etwas besser sah. »Nichts wie weg, Clay!« Er wandte sich zum Wagen und… sprang Bruchteile von Sekunden später etwa viereinviertel Zentimeter senkrecht hoch. Verständlicherweise, denn in seiner rechten Gesäßhälfte stak nun ebenfalls ein gefiederter, nadeldünner Pfeil. Er riß ihn heraus, kümmerte sich nicht weiter um seinen Partner Mortimer und flüchtete hinüber zum Wagen. Er warf sich förmlich ans Steuer und startete den Motor. Mortimer folgte nur mit unwesent-
licher Verspätung. Keuchend nahm er neben Gonski Platz und sah dabei scheu zum Bungalow des Ehepaares Handerson hinüber. Die Reifen des Buick quietschten und produzierten kleine, blaue Qualmwölkchen, als der Wagen wie von einer Sehne geschnellt vorschoß und dann in gefährlicher Schräglage hinter der nachsten Straßenecke verschwand! * »Sie hatte keine Ahnung, in welchen Schwierigkeiten ihr Mann steckt.« Mike Rander hatte sich mit seinem Butler in der Tankstellen-Cafeteria getroffen, nachdem er Mrs. Handerson in seinem Wagen weggebracht hatte. Seit dem Verschwinden des Buick waren etwa dreißig Minuten verstrichen. »Hat Mrs. Handerson sich bereit erklärt, Sir, die Wohnung vorerst einmal aufzugeben und zu meiden?« »Erfreulicherweise hatte sie sofort begriffen, Parker. Sie befindet sich jetzt bei einer Freundin in einer Nachbarsiedlung. Von dort aus will sie ihren Mann verständigen.« »Ich bin sehr froh, Sir, wenn ich das sagen darf, daß Mrs. Handerson vorerst in Sicherheit ist.« »Und ich erst. Handersons frühere Freunde scheinen nicht geblufft zu haben, sonst hätten sie Handersons 17 �
Bungalow nicht so überwacht. Ihnen muß an Handersons Fähigkeiten verdammt viel liegen.« »Ich erlaubte mir bereits zum Ausdruck zu bringen, Sir, daß Mister Handerson im Umgang mit komplizierten Schlössern ungemein erfahren ist.« »Wie ich die Dinge sehe, dürften diese Freunde jetzt endgültig mit Zitronen gehandelt haben. Jetzt kommt es darauf an, daß Handerson selbst nichts passiert. Ich werde ihn anrufen und informieren, Parker. Warten Sie einen Moment!« Mike Rander ging hinüber in die Telefonzelle und rief Mel Handerson an. Er kam nach wenigen Minuten schon wieder zurück und nickte seinem Butler beruhigend zu. »Alles in Ordnung, Parker! Zuerst schnappte er nach Luft, als er vom Stellungswechsel seiner Frau hörte, aber dann schien er doch sehr froh darüber zu sein.« »Hegt Mister Handerson keine Befürchtungen, daß man sich an ihm rächen könnte, Sir?« »Darauf habe ich ihn natürlich aufmerksam gemacht. Er scheint aber jetzt keine Angst mehr zu haben.« »Dann bliebe nun ausreichend Zeit, Sir, Mister Levell weiterhin au beschäftigen.« »Und wie stellen Sie sich diese Beschäftigungstherapie vor?« »Man müßte Mister Levell und
seine Mitarbeiter höflich und nachdrücklich davon überzeugen, daß sich ein Verstoß gegen die herrschenden und gültigen Gesetze kaum lohnen wird.« »Können Sie nicht konkreter werden?« Rander lächelte. »Falls Mister Levell wirklich plante, irgendeinen Tresor zu leeren, so wird er sich kaum davon abhalten lassen, auch wenn gewisse Grundvoraussetzungen sich geändert haben sollten. Mit anderen Worten, Sir, Mister Levell wird sich einen anderen Mister Handerson engagieren.« »Na schön, Parker, dann nutzen Sie mal Ihre Freizeit und überwachen Sie Levell!. Ich muß jetzt zurück ins Büro, ich habe schließlich noch einen Beruf. Bis dahin!« Rander verließ den kleinen Tisch am Fenster, nickte seinem Butler zu und ging hinaus zu seinem Wagen. Josuah Parker, der höflich aufgestanden war, nahm wieder Platz und überdachte die Lage. Er spielte mit dem kleinen Notizzettel, den Rander ihm zurückgelassen hatte. Auf diesem Zettel stand die neue Adresse der Mrs. Handerson. Parker fragte sich, ob Levell nun jeden Kontakt zu Mrs. Handerson verloren hatte. Oder wußte er bereits, wo sie sich versteckt hielt? Es war wohl sicher, dies zu unterstellen. Ein Mann wie Levell hatte sicher stets mehrere Eisen im Feuer. 18 �
* � »Dieser Kerl ist ja geradezu eine Bestie!« Lieutenant Madford rauchte nervös eine Zigarette an. »Das ist nun das vierte Opfer, McLean!« Der Sergeant nickte nur stumm, als er zusammen mit seinem Chef die kleine Eßecke des Bungalows verließ. In dieser Ecke lag das vierte Opfer des Mörders. »Wieder erdrosselt.«, redete Madford weiter, der sich nicht mehr um die Arbeit seiner routinierten Spezialisten zu kümmern brauchte. »Und wie in allen bisherigen Fällen muß der Mörder eine besondere Art der Mordwaffe gehabt und benutzt haben.« »Deutliche Strangulationsmerkmale.« McLean hatte sich die Worte des Polizeiarztes genau gemerkt. »Der übliche Strick scheint hier nicht zu passen, Chef.« »Aber das Opfer paßt dafür um so besser.« Madford schmeckte die Zigarette nicht. Er warf sie auf die Steinplatten der Terrasse und trat sie aus. »Wieder eine grüne Witwe, McLean, um bei Ihren Worten zu bleiben. Und wieder eine junge, recht attraktive Frau.« »Und wieder keine Kampfspuren, Sir.« »Ich möchte nur wissen, mit welcher Methode der Mörder arbeitet.« Madford griff nach der Zigaretten-
packung, merkte endlich, wie fahrig und nervös er war und steckte die Packung schnell wieder zurück in die Tasche des Jacketts. »Der Mörder muß einen ganz besonderen Trick haben, McLean. Normalerweise läßt eine alleinstehende Frau doch keinen fremden Mann in die Wohnung.« »Könnte er irgendein flüchtiger Bekannter seiner Opfer gewesen sein, Chef?« »Kaum anzunehmen, McLean, denken Sie doch an die Tatorte! Sie liegen völlig auseinander.« »Befinden sich aber dennoch nur in Randsiedlungen, Chef. Darauf scheint der Mörder sich spezialisiert zu haben.« »Richtig, McLean. Irgendwie haben es ihm die grünen Witwen angetan.« »Müßte man diese Frauen nicht warnen, Chef?« »Wie stellen Sie sich das vor?« »Eine vorsichtig verpackte Meldung über die örtlichen Radio- und Fernsehstationen. Berichte in den Zeitungen!« McLean, dessen Selbstvertrauen riesig geworden war, seitdem seine Frau endlich einmal für einige Ferienwochen zu Verwandten aufs Land gefahren war, sah seinen Chef abwartend an. »Das könnte eine Panik geben, McLean, sind Sie sich darüber klar?« »Man könnte aber vielleicht den fünften Mord verhindern, Chef.« 19 �
»Ich werde mir die Sache erst noch mal überlegen, McLean. Stellen Sie in der Nachbarschaft Nachforschungen an! Ich bin gespannt, ob wir wieder auf einen Mann stoßen, der einen Weidenkorb mit sich herumschleppt!« McLean verließ den Bungalow und war sicher, von solch einem Mann zu hören. Dieser Weidenkorb mußte es sein, oder besser gesagt, der Inhalt dieses Korbes, der die Opfer dazu brachte, dem Mörder freundlichst die Tür zu öffnen! * »Zuerst war ich ja sauer«, meinte Handerson lächelnd, »aber als ich dann hörte, daß Joan in Sicherheit ist, verging das sehr schnell, Parker.« »Warum kamen Sie nicht selbst auf die Idee, Ihre Frau wegzuschicken, Mister Handerson?« »Weil ich genau wußte, daß Levell sie überwachen Keß. Ich weiß doch, wie diese Brüder arbeiten… Wenn die sich mal was in den Kopf gesetzt haben, lassen sie nicht mehr locker.« »Demnach könnten Sie sich vorstellen, daß Levell und seine Mitarbeiter hier auftauchen werden?« »Damit rechne ich sogar fest. Levell wird schäumen.« »Haben Sie sich entsprechend präpariert?« »Darauf können Sie sich verlassen,
Parker. Jetzt, wo meine Frau in Sicherheit ist, habe ich keine Angst mehr. Ich bin heilfroh, daß ich Sie angerufen habe. Ohne Sie hätte ich meine Frau nicht ungesehen aus dem Haus bekommen.« »Wären Sie eventuell bereit, vor der Polizei auszusagen?« »Das schon, Parker, aber was versprechen Sie sich davon? Levell wird alles abstreiten. Ich kann nicht beweisen, daß er mich unter Druck gesetzt hat.« »Allerdings!« Parker nickte. »Demnach muß man wohl warten, bis Levells Mitarbeiter hier erscheinen.« »Hört sich so an, als wollten Sie zusammen mit mir warten.« »Hätten Sie dagegen etwas einzuwenden, Mister Handerson?« »Bestimmt nicht, Parker… Levell ist nicht zu unterschätzen, der versteht sein Handwerk.« »Gehört er irgendeinem Ring oder einem Syndikat an?« »Sehr wahrscheinlich sogar… Auf eigene Faust lassen die Syndikate ihn bestimmt nicht arbeiten. Ich nehme an, er zahlt pro Monat so ‘ne Art Miete an das Syndikat. Dafür darf er dann in seinem Rahmen auf eigene Rechnung arbeiten.« »Man wird ja sehen.« Parker zog sieh in eine der Nischen der Bierbar zurück und beschäftigte sich lustvoll mit einem guten alten Kognak, den Handerson ihm aus seinen Privatbeständen serviert hatte. 20 �
Es ging auf die Mittagsstunde zu und die Bar füllte sich schnell. Handerson und seine beiden Angestellten hatten alle Hände voll zu tun, den Ansturm der durstigen Gäste abzuwehren. Zu den Getränken servierten sie noch Hamburger und Sandwiches, die in einer winzig kleinen Küche hinter der Bar zubereitet wurden. Nach Parkers bescheidener Meinung war dies die genau richtige Zeit, um Handersons Geschäfte empfindlich und nachhaltig zu stören. Für Gangster, Gauner und Ganoven gab es viele Mittel, Gäste für immer aus irgendeinem Lokal zu vertreiben. Josuah Parker wartete also auf Zwischenfälle. Doch sie stellten sich zu seiner ehrlichen Überraschung nicht ein. Er konnte sich dennoch schlecht vorstellen, daß ein Mann wie Levell aufsteckte. Dieser Gangsterboß wollte sich sicher neue Methoden einfallen lassen. Aber wie sahen die aus? Was führte Levell im Schilde? Parker bedauerte es fast ehrlich, daß sich nichts tat. Schon ein kleiner Überfall wäre für sein Gefühl ausgesprochen beruhigend gewesen… * Josuah Parker wollte nach einer knappen Stunde gehen und befand sich schon in der Höhe der Bartheke,
als er plötzlich draußen auf der Straße eine für ihn erfreuliche Entdeckung machte. Ein Buick hielt. Zwei immer noch leicht triefäugig wirkende Männer stiegen aus. Es handelte sich um die Herren Hubert und Stalton, die noch rot geweinte Augen hatten und etwas eigenartigwehleidig aussahen. Sie kamen schnurstracks auf Handersons Bierbar zu. Zwei weitere Herren folgten. Gonski und Mortimer, leicht hinkend, ausgesprochen mißmutig wirkend, was wohl mit ihren schmerzenden Gesäßhälften zusammenhing, schienen sich ebenfalls für die Bierbar zu interessieren, die jetzt fast leer war. »Ich werde mir erlauben, mich ein wenig in Ihrer Küche umzusehen«, sagte Parker gemessen zu Handerson. Dabei wies er mit dem Kopf leicht hinüber zum Eingang. Die vier Gangster und Mitarbeiter von Matt Levell betraten die Bierbar und bauten sich an der Theke auf. Sie gaben sich rüde und arrogant. Sie brauchten nur zwei Minuten, bis der letzte reguläre Gast das Lokal schleunigst geräumt hatte. Mortimer, der Mann mit dem harten Gesicht und kalten, grauen Augen, schloß die Tür hinter dem letzten Gast ab. »Was soll denn das?« Handerson protestierte. Leichte Unruhe hatte 21 �
ihn erfaßt. Selbst einmal in dieser Branche tätig gewesen, wußte er natürlich, daß er es mit ausgekochten Profis zu tun hatte. »Schnauze…!« sagte Mortimer, der das Wort führte. »Spiel’ dich bloß nicht auf, Handerson, sonst drehen wir dich durch die Mangel! Wir möchten gern wissen, wo sich deine Frau aufhält.« »Meine Frau?« »Mann, schaltest du aber schnell!« Mortimer leistete sich ein mokantes Grinsen. Seine drei Freunde verhielten sich sehr zurückhaltend. Sie kontrollierten die beiden Angestellten Handersons, die irgendwie ahnten, daß tödliche Gefahr in der Luft lag. Sie waren ausgesprochen froh und glücklich, als sie von Hubert und Stalton in der Toilette eingeschlossen wurden. »Sonst noch jemand hier?« Mortimer beugte sich vor, um in die kleine Küche hinter dem Bartresen hineinsehen zu können. »Nein… Nein…!« stotterte Handerson ängstlich. Er hoffte, daß man den Butler nicht bemerkte. Von ihm allein hing es ab, ob dieser Kelch noch einmal an ihm vorübergehen würde. »Kommen wir zur Sache!« Mortimer beschränkte sich auf den schnellen Blick in die Küche. »Also, Handerson, wo steckt deine Frau? Du hast doch nicht geglaubt, so davonzukommen, wie?«
»Ich… Ich…« »Sprich’ immer hübsch langsam, mein Junge! Noch kannst du ja reden. Also, wo steckt Joan?« »Sie… Sie ist verreist…!« »Wohin?« Hinter und neben Mortimer hatten sich die Herren Gonski, Hubert und Stalton aufgebaut. Sie hatten plötzlich kleine Stahlruten parat, die ungemein provozierend und drohend aussahen. »Laßt Joan doch in Ruhe!« Handerson wich gegen die Regale zurück, die mit Gläsern gefüllt waren, »sagt Levell, daß ich mitmachen werde!« »Das ist ihm klar.« Mortimer grinste, »daran hat er nicht einen Moment lang gezweifelt. Aber zur Sicherheit möchte er Joan um sich haben.« »Aber ich mach’ doch mit.« »Natürlich! Aber der Chef meint, daß du doch besser spuren wirst, wenn Joan ein paar Tage Urlaub bei ihm macht…« »Ich… Ich weiß nicht, wo sie ist.« Handerson vergaß jetzt den Butler in der Küche. Seine Lippen waren trocken geworden. Er schwitzte und starrte auf die wippenden Stahlruten in den Händen der Männer. »Hab’ ich euch nicht gleich gesagt, daß er stur spielen wird?« Mortimer wandte sich an seine Freunde, die sofort nickten. »Hab’ ich’s euch nicht gleich gesagt? Tja, Jungen, dann werden wir ihn wohl doch überre22 �
den müssen.« »Moment. Ich… Ich rück’ ja schon mit der Sprache ‘raus.« Handerson starb fast vor Angst. Wie gesagt, diese Branche war ihm nicht fremd. Er kannte Methode und Grausamkeit dieser Männer. Er war tatsächlich bereit, Joans neue Adresse zu verraten. Das hatte nichts mit Feigheit zu tun. Es kam aus einer Resignation heraus, aus einem Wissen um die Grausamkeit dieser Männer, die jeden noch so verstockten oder harten Mann zum Reden brachten. »Im Moment wollen wir überhaupt nichts wissen.« Mortimer lächelte kalt und kam langsam um die Theke herum, »im Moment wollen wir uns nur mal über diesen komischen Butler Parker unterhalten… den kennst du doch, Handerson, oder?« Handerson nickte. »Wer sollte denn den Mund halten und keine Schwierigkeiten machen?« Mortimer stellte diese Frage betont freundlich. »Und wer hat gequasselt und mit fremden Leuten über unsere Geschäftegeredet?« »Ich… Ich…« Handerson konnte nicht weiter zurückweichen. Eine Wand stemmte sich ihm entgegen. »Natürlich bist du das gewesen.« Mortimer nickte zustimmend. »Daran hat der Chef nicht einen Moment lang gezweifelt. Du ahnst ja überhaupt nicht, wie enttäuscht er
ist. Er hatte mehr von dir erwartet!« »Jungens, macht doch keinen Quatsch!« Handersons Stimme klang heiser, »sagt Levell, daß ich mitmache!« »Das wissen wir doch!« Mortimer wunderte sich sichtlich, weil Handerson dies immer wieder betonte, »aber Strafe muß doch sein, oder? Gerade du mußt das doch verstehen, Handerson. Du stammst doch aus der Branche!« »Joan wohnt…« »Uninteressant. Das kannst du uns später sagen, Handerson. Jetzt geht’s doch erst mal um deine Quasselei!« Er wandte sich an seine drei Freunde: »Paßt auf seine Hände und Finger auf, Jungens, die werden noch gebraucht! So, und jetzt wollen wir mal, denke ich, sonst denkt Handerson noch, wir würden nur leeres Stroh dreschen!« Die vier Männer hoben ihre Stahlruten und kamen langsam auf Handerson zu, der glaubte ersticken zu müssen. * Clay Mortimer war ausgesprochen unangenehm berührt, als plötzlich ein knappes Kilo weicher Erdnußbutter sich auf seinem Gesicht breitmachte. Das so körperfreundliche und leicht verdauliche Fett verklebte seine Augen und machte es ihm im 23 �
Augenblick unmöglich, die erhobene Stahlrute in Richtung Handerson fallen zu lassen. Mortimer wischte sich durch das fettige Gesicht und kämpfte gegen die Erdnußbutter an. Steven Gonski, der Mann mit den nervös zuckenden Augen und der ausgeprägten Adlernase, starrte verblüfft auf den Wortführer der Gruppe. Als er sich gerade von seiner Verblüffung erholen wollte, traf ein tellergroßes und rohes Beefsteak seine Gesichtsfläche. Worüber er sich ausgesprochen wunderte! Da dieses Beefsteak vorsorglich und sehr ausgiebig mit schwarzem Pfeffer bestreut worden war, begann Gonski sofort hemmungslos zu weinen. Darüber vergaß auch er seine Stahlrute. Joe Hubert erkannte sofort die Nachteile der veränderten Situation und suchte sein Heil in der Flucht. Er wollte schleunigst hinüber zur Tür. Dabei übersah er leider, wie sich schnell herausstellte, den derben Porzellanteller, der wie ein Diskus durch die Bar schwirrte. Als der Rand dieses Tellers seinen Hinterkopf nicht nur erreichte, sondern auch innigen Kontakt mit ihm aufnahm, blieb Hubert für Bruchteile von Sekunden starr und steif stehen. Dann entrang sich seinem Mund ein fast wohliges Stöhnen,
worauf er sich ohne jeden weiteren Widerstand quer über einen günstig stehenden Tisch legte. Mike Stalton, der vierte Gangster, robust und kalt bis ans Herz, hatte inzwischen nach seiner Schußwaffe gegriffen. Für ihn gab es nur eine einzige Lösung: er mußte ein paar schallgedämpfte Schüsse durch die Gegend fetzen, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Er kam nicht recht dazu… Zwei etwas scharf gebratene Hamburger, sprich Buletten oder Frikadellen, zerplatzten auf seinem Gesicht. Bevor Stalton sich von seiner Überraschung erholen konnte, folgte der dazugehörige Senf, und zwar in reichlicher Portion. »Haben die Herren vielleicht sonst noch Wünsche?« Parker erschien, aus der Küche kommend, hinter dem Bartresen und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ich werde ehrlich bemüht sein, Ihre kulinarischen Liebhabereien prompt zu erfüllen.« Mortimer reagierte nicht, da er sich nach wie vor mit der Erdnußbutter beschäftigte. Gonski hatte mit seinem Steak zu tun. Oder genauer gesagt, mit dem schwarzen Pfeffer. Er äußerte keine weiteren Wünsche. Hubert lag nach wie vor über den Tisch und hörte überhaupt nicht zu, was Parker ihm aber nicht weiter übelnahm. 24 �
Stalton spuckte wütend um sich, da ihm ein Teil der Senfportion in den Mund geraten war. »Vielleicht etwas von dem obligaten Ahornsirup?« Parker hatte bereits eine Flasche davon in der Hand und rundete den Geschmack der diversen Lieferungen ab. Dazu wandte er sich an Handerson, der fassungslos und stumm zuschaute. »Wissen Sie, Mister Handerson, ich werde nie begreifen, warum der Amerikaner, generell gesehen, diesen Sirup so ausgiebig benutzt, um damit alle Geschmacknuancen zu überdecken. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich, wie der Volksmund es so treffend auszudrücken versteht…« Die vier Gangster, längst entwaffnet, ohne es überhaupt gemerkt zu haben, kämpften gegen den Sirup an, der ihnen die Hemdkragen verklebte. »Oder steht Ihnen der Sinn mehr nach Ketchup?« Parker wußte um die Würzgewohnheiten vieler Amerikaner. Um die Süße des Ahornsirups etwas zu neutralisieren, bot er also Ketchup an. Reichlich und ohne Hemmung. »Öffnen Sie bitte die Tür, Mister Handerson!« Der Inhaber der Bierbar wußte später selbst nicht zu sagen, wie er das geschafft hatte. Wie in Trance, fasziniert von den einmaligen Vorgängen, fand er zur Tür und öffnete
sie. »Beehren Sie Mister Handerson bald wieder!« Parker schob die fassungslosen vier Gangster hinaus auf die Straße und schloß die Tür hinter ihnen. Die vier harten Männer, Routiniers ihres Faches, gefürchtet und bewundert zugleich von Kollegen, tappten halbblind zum Buick und ließen sich in den Wagen fallen. Ihr Bedarf an einem Mittagessen war vorerst reichlich gedeckt. »Nach diesem kleinen Intermezzo, das Ihnen hoffentlich gefallen hat, Mister Handerson, würde ich Ihnen doch anraten und empfehlen, vorerst Ihr Lokal zu schließen.« Parker sprach ernst und eindringlich. »Ich könnte mir nämlich vorstellen, daß die vier Herren nun das sind, was man im Volksmund vielleicht ›sauer‹ nennen würde.« * »Ich höre schon, Parker, Sie waren wieder einmal in Ihrem Element.«, sagte Mike Rander und grinste wie ein großer Lausejunge, »schade, daß ich nicht dabeisein konnte.« »Ich tat nur meine Pflicht, Sir, zumal ich Gewalt in der üblichen Form ausgesprochen verabscheue.« »Wie wird die Sache weitergehen? Wird Levell sich das bieten lassen?« Mike Rander und Josuah Parker befanden sich im Studio des jungen 25 �
Anwalts, hoch oben im Penthouse des Bürohochhauses hart in der Nähe des Lincoln-Parks. »Mister Levell wird und darf sich das nicht bieten lassen, Sir.« »Das würde also bedeuten, daß er sich mit Ihnen, und damit auch mit mir befassen wird, oder?« »So erlaube ich mir die Dinge ebenfalls zu sehen, Sir.« »Das bedeutet weiter, daß Levell und seine Leute ein Kesseltreiben auf uns veranstalten werden.« »Ich fürchte, Sir, daß Mister Levell so denken wird.« »Sie fürchten!?« Mike Rander schmunzelte, »sagen Sie doch lieber, daß Sie sich das sehnlichst wünschen!« »Ich möchte Ihnen nicht widersprechen, Sir.« »Sie rechnen also damit, daß Levell Handerson vorerst in Ruhe läßt?« »So stelle ich mir seine Reaktion vor, Sir!« »Hoffen wir, daß Sie richtig kalkuliert haben. Hat Handerson sich wenigstens abgesetzt?« »Nach der intensivkulinarischen Unterhaltung mit den vier Herren des Mister Levell zog Mister Handerson es vor, zu seiner Frau zu fahren. Er wird, wie er mir andeutete, zusammen mit ihr die Stadt verlassen und warten, was sich im Fall Levell tut.« »Schon allein vom gesundheitlichen Standpunkt aus gesehen sehr
klug!« Rander lächelte. »Jetzt bin ich nur noch gespannt, wann Lieutenant Madford uns ins Gehege kommt. Ich wette, daß seine V-Männer ihm längst die ersten Informationen zugesteckt haben.« * »Laßt euch doch einpacken!« Matt Levell wanderte wütend vor seinem Schreibtisch auf und ab. Er kochte vor Zorn. Er spürte, daß seine Pläne sich in Luft auflösten. Und dabei hatte vor vierundzwanzig Stunden alles noch so wunderschön ausgesehen. »Ich möchte wissen, wie euch Flaschen das passieren konnte!« »Sie kennen eben die faulen Tricks von diesem Parker nicht.«, antwortete Mortimer, in dessen Ohrmuscheln noch immer etwas Erdnußbutter klebte. »Dieser verdammte Hund ist gerissen wie ein Fuchs«, beklagte sich Gonski, der die Beefsteakpackung einfach nicht vergessen konnte, zumal der schwarze Pfeffer noch immer Tränen produzierte. »So was müßte man umbringen«, schlug Hubert wütend vor. Er faßte vorsichtig nach der veritablen Beule an seinem Hinterkopf, die von einem Porzellandiskus herrührte. »Je schneller, desto besser«, steigerte Stalton, der die beiden Frikadellen samt der dazugehörigen Senf26 �
portion nicht vergessen wollte und konnte. »Da ist was dran!« Matt Levell setzte sich auf die Schreibtischkante und gab sich etwas ruhiger. »Ich habe mit Freunden gesprochen. Sie haben mich vor diesem Parker gewarnt und auf ihn eine Kopfprämie ausgesetzt.« Die vier Gangster wurden hellwach. Geld, nun, das war ein Thema, über das sie Tag und Nacht reden konnten. »Das Syndikat zahlt über mich dreitausend Dollar für Parkers Abschuß«, redete Levell weiter, »es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich das nicht schaffen ließe. Vier ausgewachsene Routiniers! Wenn ihr das nicht schafft, blamiert ihr euch bis auf die Knochen!« »Dreitausend?« fragte Gonski sicherheitshalber noch einmal. »Dreitausend«, wiederholte Levell. »Und zwar so schnell wie möglich müßte diese Sache über die Bühne gehen. Anschließend können wir uns dann mit Handerson befassen.« »Warum brauchen wir ihn eigentlich, Chef?« Mortimer wollte es genau wissen. »Weil er in seiner Art einmalig ist.« »Es muß doch noch andere Leute geben, die einen Tresor öffnen können.« Stalton schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, »und was ist, wenn Han-
derson uns verpfeift?« »Dazu wird es erst gar nicht kommen, Jungens.« Levells Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln, »sobald er seine Arbeit getan hat, bleibt er am Tatort zurück. Oder dicht dabei. Das ist dann unser Alibi.« »Aber Parker weiß doch inzwischen, was gespielt wird. Handerson wird ihm doch alles gesteckt haben.« Hubert kamen Bedenken. »Und wenn Parker es weiß, wird es doch auch die Polizei erfahren?« Mortimer hatte plötzlich noch mehr Bedenken. »In der Beziehung kann ich euch beruhigen.« Levell sprang von der Schreibtischkante und nahm seine Wanderung wieder auf. »Ich habe vorn Syndikat erfahren, daß Parker und dieser Anwalt Rander Einzelgänger sind, die auf eigene Faust arbeiten. Wir können also unterstellen, daß die Polizei noch gar nichts weiß. Desto schneller müssen Parker und der Anwalt umgelegt werden.« »Jetzt auf einmal zwei für dreitausend Dollar?« wunderte sich Gonski. »Für Rander die gleiche Summe noch mal! Und die aus meiner Tasche! Beruhigt?« Man nickte. Man war zufrieden. Man glaubte an leicht verdientes Geld und vergaß im Eifer darüber die peinlichen Pannen, die man gerade erst hatte einstecken und überwinden müssen… 27 �
»Nee, Moment mal, das übernehmen wir.« Gonski und Mortimer waren sich vollkommen einig. Schließlich hatte man sie vor dem Bungalow der Handersons mit Blasrohrpfeilen beschossen. Daraus ließen sich gewisse Rechte ableiten. »Also gut! Dann warten Stalton und ich hier in der Tiefgarage.« Hubert war einverstanden. »Aber versprecht uns, daß ihr diesen Parker und Rander lebend hier anschleppt. Fertig machen wir die dann gemeinsam. Ich kenn’ da eine prima Kiesgrube, da sind wir vollkommen ungestört!« Gonski und Mortimer waren einverstanden. Sie nickten ihren beiden Freunden zu, stiegen in den Schneilift und fuhren hinauf zum Penthouse Mike Randers. Sie kannten die Tücken des Lifts nicht, daher fühlten sie sich auch noch immer siegessicher. »Sobald der Kerl die Tür aufmacht, sofort schießen«, sagte Gonski, »der darf überhaupt keine Chance haben!« * Josuah Parker, der seinem jungen Herrn gerade einen kleinen Imbiß serviert hatte, hörte das diskrete Summen, das das ganze Penthouse angenehm zu füllen schien. Er ging hinüber in die große Ein-
gangsdiele und öffnete hier einen Wandschrank. Hinter der Tür befanden sich Kontrollampen, Schalter und schließlich auch ein eingebauter Fernseh-Monitor. Parker schaltete das Gerät ein. Er hatte fast so etwas erwartet. Im Lift befanden sich zwei vertraute Gesichter: Gonski und Mortimer! Sie hatten natürlich nicht die geringste Ahnung, daß sie beobachtet wurden. Die im Lift eingebaute war geschickt Fernsehkamera kaschiert. Und sie ahnten selbstverständlich auch nicht, daß man jedes ihrer Worte verstehen konnte. »… denk’ doch nicht im Traum daran, mit den beiden Idioten da unten zu teilen«, meinte Mortimer gerade, »die Kopfgeldprämie geht an uns, Clay!« »Ob Parker nicht damit rechnet, daß wir ihn überfallen wollen?« »Selbst wenn. Bevor der geschaltet hat, hat’s ihn erwischt! Falls er durch die Tür fragt, wer draußen ist, sagst du einfach, ‘n Telegrammbote hätte was abzuliefern…« Sie unterhielten sich über Einzelheiten und surrten weiter hinauf zum Dachgarten des imposanten Bürohochhauses, das um diese Zeit natürlich menschenleer war. Dienstschluß war lange vorüber, es begann bereits zu dunkeln… *
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»Sehr freundliche Zeitgenossen!« Rander, der neben seinem Butler stand, schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. »Soviel Ahnungslosigkeit, Parker, macht schon fast mitleidig!« »Auf welche Art und Weise wünschen Sie die beiden Gangster zu strafen, Sir?« »Das überlasse ich Ihnen, Parker, Sie haben mehr Phantasie als ich…« »Dann würde ich raten, Sir, den beiden Herren eine Abkühlung zu verschaffen.« »Tun Sie, was Sie wollen, ich habe noch zu arbeiten. Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können.« Mike Rander verließ die große Eingangsdiele. Der Fall interessierte ihn nicht mehr. Besuche dieser Art waren schon fast zur Routine geworden. Gangster der verschiedensten Provenienz versuchten immer wieder, ihn und seinen Butler umzubringen. Aus diesem Grund allein war der Lift nach Parkers Vorstellungen von auswärtigen Spezialfirmen um- und ausgebaut worden. Ein Patentanwalt hätte an Parkers Ideen sicher seine helle Freude gehabt. Der Butler griff mit traumhafter Sicherheit nach einigen Schalthebeln und Knöpfen, nahm einige Einstellungen vor, programmierte seine Wünsche und verfolgte dann am Monitor, ob die Technik auch genau das tat, was er von ihr gerade verlangt hatte.
* � »Donnerwetter, Clay, was ist mit dem verdammten Lift los?« Gonski wurde leicht hysterisch und nervös, als der Lift nach Bruchteilen der Ruhe sich plötzlich wie im freien Fall nach unten absetzte. »Wir fallen!« Mortimer stöhnte und sah seinen Partner entsetzt an. »Los, mach’ doch was!« Bevor Gonski reagieren konnte, hatte Mortimer sich bereits auf die Schalttafel geworfen und schlug mit der flachen Hand mehrmals auf sämtliche Knöpfe zugleich. Nichts tat sich… Der Lift raste weiter nach unten und stoppte plötzlich! Mortimer und Gonski verloren den Halt und wurden wie in einem großen Mixbecher gründlich durcheinandergeschüttelt. Schwankend und ungläubig erhoben sie sich endlich. »Mensch, haben wir Glück gehabt!« Gonski wischte sich den kalten Angstschweiß von der Stirn. »Das ist sicher wieder so ein Trick von diesem verdammten Parker gewesen«, mutmaßte Mortimer, »jetzt aber nichts wie ‘raus! In dem verdammten Ding hält mich nichts mehr!« Hastig drückten sie die Lifttür auf und übersahen dabei, daß sie keineswegs zurück in die Tiefgarage 29 �
kamen, wo Hubert und Stalton auf ihr Opfer warteten. »Falsch… Wir sind noch nicht… Weg is’ er!« Gonski hatte es endlich herausgefunden, aber bevor sich etwas tun ließ, rauschte der Lift bereits wieder nach oben. »Ein Gang!« Mortimer stellte dies überflüssigerweise fest, denn Gonski stand ja bereits ein paar Schritte in diesem gekachelten, engen und mannshohen Gang, der vor einer Tür endete. »Hilft alles nichts, wir müssen weiter. Zurück geht’s nicht mehr!« Gonski übernahm die Führung. Und sicherheitshalber packte er seinen schallgedämpften 45er aus, den er sofort entsicherte. Er war fest entschlossen, auf alles zu schießen, was sich seiner Waffe als Ziel darbot. Zögernd schritten sie durch den Gang, erreichten die Tür und wollten sie öffnen, das heißt, Gonski wollte den Türknauf bewegen, doch seine Hand zuckte zurück, als habe sie einen elektrischen Schlag davongetragen. »Nun mach’ doch endlich«, drängte Mortimer. »Nach dir!« Gonski sagte tückischerweise keine Wort, trat aber so weit zur Seite, daß Mortimer nach dem Türknauf greifen konnte. Mortimer bewegte ihn, ohne sich etwas dafür einzuhandeln. Die Tür hingegen war nicht zu öffnen. »Hast du nichts gespürt?« fragte
Gonski fast enttäuscht. »Was soll ich gespürt haben?« »Na, irgendso ein elektrischer Schlag.« »Nee, ich hab’ nichts gespürt. Hier, ich versuch’s noch einmal…« Er griff nach dem Knauf und bewegte ihn. Es tat sich nichts. »Komisch, und bei mir… Moment, ich versuch’s noch einmal…« Gonski tippte vorsichtig auf den Türknauf. Nichts… Er versuchte es erneut, und wieder blieb der erwartete Schlag aus. »Komische Geschichte!« Gonski griff jetzt fest zu, drehte den Knauf und… jaulte wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten hat. »Da war’s wieder!« wütete er aufgebracht, »du, Clay, hier nimmt uns einer ganz schön auf den Arm!« »Unsinn… Du spinnst!« Mortimer griff nun doch etwas vorsichtiger nach dem Türknauf, bewegte ihn, grinste Gonski triumphierend an und… konnte die Tür plötzlich aufziehen. Sie schien sich wie durch ein Wunder von selbst entriegelt zu haben. Sie betraten einen viereckigen Raum und merkten viel zu spät, daß es hier keine Türen mehr gab. Sie wollten sich umwenden und zurück in den Kachelgang flüchten und prallten gegen die Tür, die sich hinter ihnen geräuschlos geschlossen hatte. »Verdammte Kiste! Jetzt sitzen wir 30 �
in der Falle!« Gonski preßte die Lippen zusammen und kam sich verraten und verkauft vor. »Ich bin nur gespannt, welche Teufeleien dieser Butler sich sonst noch ausgedacht hat!« Das schien das Stichwort gewesen zu sein. Schweißtreibende Heißluft füllte den viereckigen Raum. Sie kam aus zwei verdrahteten Einlaßöffnungen oben in der Decke. Mortimer und Gonski glaubten schon nach wenigen Minuten in einer überheizten Sauna zu sein und verhielten sich dementsprechend, was man ihnen nicht verübeln konnte. Sie lösten sich zuerst die Krawatten, zogen sich die Jacketts aus, knöpften sich die Hemden auf, zerrten sich die Unterwäsche von den Leibern und hatten es eilig, sich ihrer Schuhe und Strümpfe zu entledigen. Nach knapp fünf Minuten standen sie in ihren knappen Wäscheshorts. »Der Kerl will uns umbringen!« stöhnte Gonski, »ich kann’s vor Durst kaum noch aushalten. Jetzt müßte man ‘nen Schluck Wasser haben!« Das nächste Stichwort! Aus den beiden verdrahteten Öffnungen in der Decke rauschte kübelweise das Wasser. Wie zwei nasse Katzen drückten Gonski und Mortimer sich in die Ecke des Vierecks und verfolgten
aus mißtrauischen Augen das Ansteigen des Wassers. »Der will uns ersäufen!« stöhnte Gonski. »Den zerreiß ich in der Luft, wenn wir noch mal ‘rauskommen sollten!« Mortimer hatte herausgefunden, daß das Wasser bereits seine Knie erreichte. »Wenn ich hier noch mal ‘rauskomme, suche ich mir ‘nen anderen Job!« schwor Gonski leichtfertig, »ich habe die Nase endgültig voll. Ich steige aus!« »Mich kriegt Levell nicht mehr dazu, Parker umzubringen«, schwor nun auch Mortimer entsetzt. Das Wasser erreichte inzwischen seine Oberschenkel. »Ich werde mir erlauben, Sie zur gegebenen Zeit an Ihre Schwüre zu erinnern«, sagte in diesem Moment eine Stimme, die aus den beiden mächtigen Wasserstürzen zu kommen schien, »ein anderer, besserer Job, wie Sie sich auszudrücken beliebten, wäre wirklich angebracht, meine Herren. Hoffentlich sind Sie so konsequent, Ihre Worte auch in die Tat umzusetzen!« Wie durch Zauberei blieb das Wasser aus. Und wie durch Zauberei floß es plötzlich ebenso sturzbachartig ab. Nach wenigen Minuten standen Gonski und Mortimer auf zwar noch nassem, aber sonst begehbarem Boden. Sie stürzten zur Tür und waren 31 �
kaum erstaunt, sie öffnen zu können, rannten wie gehetzt durch den langen Gang und… sahen den rettenden Lift vor sich, den sie sofort bestiegen. Doch der Lift rührte sich nicht. Dafür war auf der anderen Seite ein Ausstieg zu sehen. Gonski und Mortimer verließen dort den Lift, schnupperten den typischen Geruch einer vollbesetzten Tiefgarage und erreichten nach einigen Minuten endlich ihre beiden Freunde Hubert und Stalton. »Schon wieder zurück?« fragte Hubert erstaunt. »Wieso schon wieder?« Gonski staunte. Ihm war alles wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen. »Na, ihr seid doch erst vor zehn Minuten losgegangen. Was ist? Wo habt ihr diesen ulkigen Parker gelassen?« Gonski antwortete flüssig, ausgiebig, aber leider in einer Form, die schriftlich niederzulegen sich aus Gründen der Sitte, des Anstands und der Moral verbietet! * »Natürlich verschwinden wir.« Mel Handerson, bereits fix und fertig angekleidet, stand vor dem Bett seiner Frau und nickte nachdrücklich. Er hielt eine Tasche in der Hand und rauchte. »Und wohin gehen wir, Mel?«
Joan Handerson richtete sich auf. Nach einer ruhigen, traumlosen Nacht war ihr sofort wieder klar, in welch böser Situation sie sich befanden. Da waren die Gangster um Matt Levell, die sich bestimmt nicht leicht abschütteln ließen. »‘raus aufs platte Land, Joan, dort sind wir sicher.« Mel und Joan hatten schon am Vorabend ihre Lage durchdiskutiert. Joan wußte, daß Mel kein Risiko eingehen wollte. Er hatte ihr klargemacht, daß mit Levell nicht zu spaßen war. »Ich hole den Wagen. Er müßte jetzt eigentlich fit sein.« Mel Handerson hatte seinen Wagen in eine Werkstatt gebracht. Nach dem Verlassen seiner Bierbar hatte es Schwierigkeiten mit der Wasserpumpe gegeben. »Komm’ bitte schnell zurück«, bat Joan. Sie hatte Angst. Ihre Freundin war zusammen mit ihrem Mann ausgerechnet an diesem Tag mit ins Geschäft gefahren, was sonst nie der Fall war. Die Sekretärin war ausgefallen und mußte kurzfristig ersetzt werden. »‘ne knappe Viertelstunde, dann bin ich ja schon wieder zurück.« Mel Handerson lächelte ihr beruhigend zu und ließ sich von ihr zur Tür bringen. Sie schaute ihm verstohlen nach, bis er hinter einer übermannshohen Buchenhecke verschwunden war…
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* � Der Mörder mit dem Weidenkorb näherte sich dem Haus, das er sich für diesen Tag vorgemerkt hatte. Er stieg aus seinem grauen Ford, griff nach dem Korb aus Weidengeflecht und überquerte gelassen die Straße. Er sah vertrauenswürdig aus. Man hätte ihm mit Sicherheit ein Haus anvertraut oder ihn als Babysitter engagiert. Er läutete und kümmerte sich schon gar nicht mehr um die Straße, die hinter ihm lag. Seine Augen flackerten etwas nervös, als sich eine Zeitlang nichts im Haus rührte. Sollte sein Opfer ausgerechnet an diesem Tag weggegangen sein? Das konnte unmöglich der Fall sein. Nicht umsonst hatte er sich gerade mit der »grünen Witwe« dieses Bungalows befaßt. Und sie war es gewesen, die sein Gefühl von Moral besonders angesprochen hatte. Er sah sie noch genau vor sich. In dieser Hinsicht besaß er ein fast fotografisch genaues Gedächtnis: da waren die üppigen Formen unter dem leichten Nylonkittel, das seiner Ansicht nach schamlos große Dekollete und die stets nackten Füße in den kleinen Pantöffelchen mit dem verrucht aussehenden Schwanenpelzbesatz. Der Mörder klingelte erneut. Es wurde höchste Zeit, daß diese Person ihre gerechte Strafe erhielt. Sie
durfte nicht länger in dieser schamlosen Art posieren. Endlich Schritte…! Der Mörder räusperte sich leicht, knipste förmlich sein Lächeln an und nickte seinem Opfer zu, das hinter der spaltbreit geöffneten Tür zu sehen war. »Ich mußte etwas früher kommen«, sagte er mit angenehmer Stimme, »aber das spielt doch hoffentlich keine Rolle. Hier, sehen Sie… Ich glaube, es ist genau das, was Sie meinten!?« Während er redete, öffnete er den Deckel des Weidenkorbs und wartete auf die ihm bekannte Situation. »Wie süß!« Joan Handerson lächelte überrascht und hakte gleichzeitig bereits die Sicherheitskette aus, »kommen Sie doch herein! Sie brauchen bestimmt nicht lange zu warten!« Der Mörder merkte überhaupt nicht, daß er einer völlig anderen Frau gegenüberstand. Seine Mordlust war größer als sein Erinnerungsvermögen. Er sah nur eine Frau vor sich, die einen leichten Bademantel trug, die langbeinig war und genauso reagierte wie seine bisherigen Opfer. Der Mörder trat an Joan Handerson vorbei ins Haus. Langsam schloß sich die Tür hinter Mörder und Opfer… *
Josuah Parker stieg aus seinem hochbeinigen Monstrum, überquerte den Vorplatz der Lackiererei und blieb vor dem Glasverschlag der Arbeitsannahme stehen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Glasverschlags befand sich ein breites Fenster, dessen Scheiben angeschmuddelt waren. Durch dieses Fenster konnte er in einen Teil der Werkstatt sehen. Hier wurde tatsächlich regulär gearbeitet. Es gab Spritzboxen mit mächtigen Entlüftungsschächten darüber, Arbeiter in Overalls und Atemmasken. Parker schätzte, daß in diesem Teil der Lackiererei etwa sechs Wagen hergerichtet wurden. Ihn wunderte das nicht. Auch Gangsterbosse wie Matt Levell brauchten der Öffentlichkeit gegenüber Firmen, die als Aushängeschilder dienen mußten, Firmen, die illegal verdientes Geld der Steuerbehörde gegenüber ausweisen konnten. »Sie?« Haie Portner, den Parker vor der Telefonbox in Handersons Bierbar kennengelernt hatte, starrte den Butler verwundert an. »Läßt es sich möglicherweise einrichten, Mister Levell zu sprechen?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone. »Auf Sie hat der Boß gerade gewartet!« Portner schüttelte konsterniert den Kopf.
»Wie sich das doch trifft! Melden Sie mich bitte bei ihm an!« Portner griff nach dem Telefon und wählte eine Hausnummer. Dann informierte er vorsichtig seinen Chef am anderen Ende der Leitung. »Mister Parker… Dieser Butler… Ja, er ist hier. Er will Sie sprechen, Boß… Ja, wirklich, er steht hier vor der Arbeitsannahme… Natürlich mache ich keine faulen Witze! Ehrenwort! Gut, er soll ‘raufkommen! In fünf Minuten! Ich werde es ihm ausrichten!« Portner wollte auflegen, doch Parker nahm ihm ebenso höflich wie bestimmt den Hörer aus der Hand. »Hier spricht Parker, Josuah Parker«, meldete er sich, »Mister Levell, es gelüstet meine bescheidene Wenigkeit tatsächlich, einige Worte mit Ihnen zu wechseln. Aber wozu soll ich fünf Minuten warten? Wollen Sie bis dahin gewisse Vorbereitungen treffen, die Sie für erforderlich halten!? Benehmen Sie sich jetzt nicht doch etwas naiv, um es vorsichtig anzudeuten?« Levell legte auf. Parker nahm sich vor, den Mann bei passender Gelegenheit darüber zu informieren, was Höflichkeit bedeutet, nickte Portner zu und ging auf die steile Treppe zu, die hinauf in die oberen Büroräume führte. »Nein… Nein…. Erst in fünf Minuten!« Portner kam aus der Tür
der Arbeitsannahme und wollte dem Butler den Weg versperren. Josuah Parker sah ihn kurz und knapp aus seinen grauen, kühlen Augen an. Portner zog den Kopf zwischen die Schultern, wirkte nun sehr verlegen und gab sofort den Weg frei. Er beeilte sich, zurück in die Annahme zu kommen. Wahrscheinlich wollte er Levell alarmieren… * »Sie haben keine Ahnung, wer Ihre Frau umgebracht haben könnte?« Lieutenant Madford fragte leise und eindringlich zugleich. Er stand vor Mel Handerson, der auf der Kante der Couch hockte und zu Boden starrte. Handerson antwortete nicht. Er schien die Worte Madfords überhaupt nicht mitbekommen zu haben. Madford wandte sich ab und ging zu McLean hinüber, der gerade aus der kleinen Küche des Bungalows kam. »Erdrosselt!« meldete McLean leise, damit Handerson ihn nicht hören konnte, »aber diesmal nach einem schweren, fast wütenden Kampf, Chef!« »Wieso?« »Sie muß sich sehr gewehrt haben. Der Arzt meint, sie müßte den Mörder ganz erheblich verletzt haben. Kratzwunden und so.«
»Sieht das nach unserem irren Mörder aus, McLean? Was meinen Sie?« »Ja und nein, Chef!« McLean hob hilflos die mächtigen und breiten Schultern, die selbst einen mittleren Grislybären leicht in Verlegenheit gebracht hätten. »Lieutenant?« Der Polizeiarzt kam aus der Küche. Man sah ihm an, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. »Was Neues?« Madford sorgte dafür, daß Handerson nichts hörte. »Tod durch erdrosseln scheidet aus, Lieutenant!« »Wieso? Ist sie nun…« »Die Frau ist erschossen worden. Eben habe ich es entdeckt. Wahrscheinlich 38er… Aus nächster Nähe… Die Platzwunde am Hinterkopf hatte den Einschuß verdeckt.« »Das sieht nun gar nicht nach unserem Mörder aus.« Madford wandte sich an McLean. »Bisher hat dieser Irre nicht in einem einzigen Fall geschossen.« »Vielleicht sollte man mal an ‘ne ganz andere Möglichkeit denken, Chef.« »Sie meinen…?« »Immerhin gehörte er mal der Unterwelt an, Chef.« Madford ging zurück zu Handerson, der gerade langsam, fast im Zeitlupentempo, aufstand und sich mit völlig ruhiger Hand eine Zigarette anzündete.
»Sie ist also erschossen worden?« fragte Handerson, der alles oder zumindest das Wichtigste mitbekommen hatte. »Tut mir leid, Handerson…« Madford wirkte etwas verlegen. »Haben Sie eine vage Ahnung, wer das getan haben könnte?« »Nein!« Hart und abweisend war die Stimme plötzlich. »Überlegen Sie genau, Handerson! Dieser Mord sieht ganz nach einem Routinier aus der Branche aus.« »Weiß ich nicht.« »War man aus irgendwelchen Gründen hinter Ihnen und Ihrer Frau her?« »Weiß ich nicht! Lassen Sie mich erst mal in Ruhe, Lieutenant. Ich muß mit dieser Geschichte erst fertig werden. Fragen Sie mich später! Haben Sie was dagegen, daß ich mal für’n Moment vors Haus gehe? Mir wird schlecht, glaube ich.« »Natürlich, gehen Sie, Handerson!« Mel Handerson nickte dankend und verließ die kleine Diele. Er ging hinaus vor den Bungalow, vor dem immer noch Neugierige herumstanden und die Wagen der Mordkommission und die beiden Streifenwagen der Verkehrspolizei umlagerten. Handerson ging um den Bungalow. Er wollte jetzt keinen Menschen sehen. Mit einer einzigen Ausnahme.
* � »Ich erlaube mir, einen schönen guten Morgen zu wünschen.« Josuah Parker lüftete seine Melone und nickte Matt Levell zu, der wie ein sprungbereiter Tiger, neben seinem Schreibtisch stand. Levell nickte zurück. »Sie wollen mich sprechen?« »In der Tat, ich freue mich, daß es Ihnen richtig ausgerichtet wurde!« »Sie haben verdammt gute Nerven, das muß ich schon sagen.« »Ich schlafe erstaunlich gut.« »Bald aber nicht mehr, Parker, darauf können Sie Gift nehmen!« »Wie darf ich diese Art von Prophezeiung verstehen?« »Sie glauben doch nicht, daß ich mir Ihre Mätzchen gefallen lasse, oder?« »Wovon reden Sie, Mister Levell?« »Das wissen Sie genau. Und da wir schon mal unter uns sind, wollen wir sogar Fraktur reden!« »Ein interessanter Vorschlag. Ich höre.« »Sie und Ihr Arbeitgeber haben sich da in Dinge eingemischt, die Sie einen Dreck angehen!« »Spielen Sie jetzt ganz offiziell und speziell auf Mister Mel Handerson an?« »Endlich geht Ihnen ein Licht auf, Parker. Ich gebe Ihnen den guten Rat, sich von Handerson zu trennen.« 36 �
»Damit er für Sie tätig werden kann, wie ich vermute?« »Das steht nicht zur Debatte.« »Und was ist, Mister Levell, falls Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit Ihren Ratschlag nicht weiter beachten?« »Warten Sie’s doch ab!« Matt Levell grinste tückisch. »In großen Zügen wurde ich bereits ungewollt informiert, als die Herren Gonski und Mortimer meine bescheidene Wenigkeit mit einem nicht angekündigten Besuch beehren wollten. Darf ich bei dieser Gelegenheit nachfragen, ob die beiden Herren sich inzwischen von ihrem Schock erholt haben?« »Laufen Sie denen besser nicht über den Weg, Parker!« »Warum nicht, Mister Levell? Über mangelnde Aufmerksamkeit können sie sich auf keinen Fall beklagen.« »Sie haben die Jungens lächerlich gemacht.« »Nachdem sie sich zuerst lächerlich machten, Mister Levell. Wie kann man nur unterstellen und annehmen, einen Doppelmord so aus dem Handgelenk begehen zu können.« »Was Sie da behaupten, müssen Sie erst mal beweisen.« »Daran sind Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit nicht interessiert. Im Moment wenigstens nicht. Da Sie die Freundlichkeit hatten, gewisse Warnungen zu äußern,
möchte ich Ihnen nicht nachstehen, Mister Levell. Im Interesse Ihrer Firma und Ihrer Person dürfte es angebracht sein, Mister Mel Handerson ab sofort in Ruhe zu lassen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Person der Mrs. Handerson.« »Und wenn ich nur lachen kann?« »Gegen ein gesundes Lachen ist vom ärztlichen wie vom menschlichen Standpunkt aus gesehen nichts einzuwenden. Dieses Lachen könnte hingegen ausgesprochen bitter ausfallen, wenn Sie bei Ihren ursprünglichen Plänen bleiben sollten.« »Ich hätte verdammt große Lust, Sie mal durch die Mangel zu drehen, Parker, verdammt große Lust!« Levell stand inzwischen hinter seinem Schreibtisch und wollte diskret nach dem Klingelknopf greifen, der unter der Schreibtischplatte angebracht war. Er zuckte zusammen und wurde kreideweiß im Gesicht, als plötzlich aus der Spitze des Universal-Regenschirms ein nadelspitzer Stockdegen hervorschnellte, dessen Spitze sich zwischen seinem Ring- und Mittelfinger breitmachte. »Ihre Methoden sind das, was ich beschämend nennen würde«, tadelte Parker den Gangsterboß, »haben Sie doch jetzt die Güte, mich hinunter zu meinem Wagen zu bringen!« Vorsichtig nahm Levell seine Finger von der Schreibtischplatte, knirschte, rein bildlich gesehen, mit 37 �
den Zähnen und kam dem Wunsch des Butlers nach. Draußen vor dem Büro hatten sich Hubert und Stalton aufgebaut und auf das Signal ihres Bosses gewartet. Nun traten sie sehr vorsichtig und höflich zurück, als Parker mit Levell erschien. »Mister Levell verzichtet im Moment auf Ihre guten Dienste«, meinte Josuah Parker zu den beiden Gangstern, »höflich wie er ist, hat er die Güte, mich hinunter zu meinem Wagen zu begleiten. Ich möchte doch sehr hoffen, daß Sie dagegen nichts einzuwenden haben.« Sie schauten leicht verwundert auf den alten, vorsintflutlich aussehenden Colt, den Parker in der Hand hielt. Dieser Colt, wahrscheinlich aus der Zeit der Goldfunde am Klondike, sah alles andere als einladend oder gemütlich aus. Selbstverständlich ging Josuah Parker voraus. Gegen einen Schuß in den Rücken hatte er verständlicherweise einiges einzuwenden. Levell folgte gehorsam und fluchte innerlich. Er kam sich ungemein lächerlich vor. War denn gegen diesen verdammten Butler kein Kraut gewachsen? Parker blieb plötzlich stehen, als ein Schuß unten im oder vor dem Eingang krachte. Levell, zwar massig und etwas verfettet, nutzte seine Chance und warf sich auf den Butler. Doch Par-
ker wich so elegant wie ein Stierkämpfer zur Seite. Matt Levell rauschte im Sturzflug an ihm vorüber und leitete seine Bauchlandung noch auf den unteren Treppenstufen ein. Hier schrammte er auf, überschlug sich und blieb dann im schmalen Korridor regungslos liegen. Parker hatte längst einen seiner Spezialkugelschreiber in der Hand. Er warf ihn hoch hinauf in den oberen Korridor, wo sich sofort dichter Nebel ausbreitete. Parker begab sich weiter nach unten, stieg über den noch bewußtlosen Levell und schritt auf den Ausgang zu. Betroffen blieb er stehen. Auf dem Boden vor der Arbeitsannahme lag Haie Portner. Und er war ganz offensichtlich tot! * »Aus Gründen der allgemeinen Diskretion hielt ich es für richtig und angebracht, Sir, erst einmal das Feld zu räumen.« Parker stand im Anwaltbüro Mike Randers. Die Firmenräume befanden sich in einer Doppeletage des Bürohochhauses. Sie waren auf seltsamen Wegen mit dem Penthouse auf dem Dachgarten verbunden, doch darüber schwiegen Mike Rander und Josuah Parker sich verständlicher38 �
weise aus. Randers Firma lief auch ohne den jungen Anwalt, der sich nur noch auf die besonders interessanten Fälle spezialisiert hatte. Ein kleines Heer geschulter Juristen, die selbständig tätig waren, bearbeiteten und führten die normalen Prozesse. Geschulte Angestellte führten alle notwendigen Arbeiten aus. Schließlich kam es mehr als häufig vor, daß Mike Rander zusammen mit Josuah Parker, wenn auch oft widerwillig, den Kriegspfad beschreiten mußte. »Haben Sie eine Ahnung, wer diesen Portner erschossen haben könnte?« »Ich muß leider bedauern, Sir, zumal ich nicht die notwendige Zeit hatte, gewisse Recherchen anzustellen. Die Angestellten des Mister Levell brannten darauf, aktiv zu werden.« »Galt dieser Schuß Portner oder Levell?« »Instinktiv würde ich sagen, Sir, daß dieser Schuß Mister Levell gegolten haben muß. Portner war schließlich nur ein unbedeutender Mitarbeiter.« »Dumme Geschichte. Wir werden Lieutenant Madford verständigen müssen.« »Direkt oder auf einem der üblichen Umwege?« »Direkt selbstverständlich. Wir sind als Staatsbürger dazu verpflichtet, ein Verbrechen zu melden.«
»Gewiß, Sir, ich pflichte Ihnen selbstverständlich bei, nur glaube ich annehmen zu müssen, daß der Tote mit einiger Sicherheit nicht mehr am Tatort sein wird!« »Wieso?« Mike Rander wirkte ‘nun doch etwas verblüfft. »Haben Sie Portner nun gesehen oder nicht?« »Mit letzter, endgültiger Sicherheit, Sir! Nur glaube ich annehmen zu müssen, daß man den Toten inzwischen weggeschafft hat. Mister Levell dürfte kaum daran interessiert sein, daß die Polizei erscheint und Fragen stellt.« »Wollen Sie mir einsuggerieren, daß es sinnlos wäre, Madford zu verständigen?« Rander lächelte andeutungsweise. »Dies, Sir, würde ich mir niemals erlauben. Ich rate nur zu einem vielleicht anonymen Anruf.« »Die Meldepflicht liegt bei Ihnen«, entschied Rander, »tun Sie, was Sie glauben tun zu müssen. Aber Sie werden es sein, der von Madford dann später in der Luft zerrissen wird!« * »Er ist wie vom Erdboden verschwunden«, meldete Sergeant McLean und zog sicherheitshalber den Kopf ein, als Lieutenant Madford Luft holte. Es war schon ein recht seltsames Bild, der grisly39 �
haft große McLean schien sich vor dem kleinen, drahtigen Terrier Madford fast zu fürchten. »Schon gut.«, sagte Madford zu McLeans Überraschung. »Handerson hat sich abgesetzt, Chef«, wiederholte Madford fast in heroischer Selbstvernichtung, »er ist verschwunden. Er muß getürmt sein!« »Ich bin ja nicht schwerhörig«, Madford abwinkend, meinte »irgendwann wird er schon wieder auftauchen.« »Aber warum hat er sich abgesetzt, Chef? Ob er es war, der seine Frau umgebracht hat?« »Sie sind ein schlechter Menschenkenner, McLean. Wann werden Sie’s endlich begreifen. Handerson hat mit dem Mord bestimmt nichts zu tun, darauf gehe ich jede Wette ein.« »Warum ist er dann aber abgehauen, Chef? Das begreife ich nicht.« »Weil er den Mörder seiner Frau kennt, weil er sich diesen Strolch kaufen will!« »Und da bleiben Sie so ruhig, Chef? Jetzt verstehe ich Sie nicht!« »Ich hatte mit dieser Reaktion gerechnet, McLean. Wir wissen doch, daß Handerson früher mal sehr enge Kontakte zur Unterwelt hatte. Dort dürfte auch der Mörder zu suchen sein. Und nun wird Handerson uns ungewollt die richtigen Tips liefern, damit wir zupacken können.«
»Freiwillig? Der sagt uns nie auch nur ein einziges Wort!« »Er doch nicht, Sie Trottel! Ich habe selbstverständlich zwei Männer vom Morddezernat auf ihn angesetzt!« »Nicht mich?« McLean war nun ehrlich entrüstet. »Sie hätte er doch auf Meilen hinweg ausgemacht, McLean. Sie sind ja nicht gerade ein Baby.« Dann schloß Madford böse-bitter: »Was Ihre Körpermasse anbetrifft, McLean!« * »Die nehmen mir doch glatt die Lizenz«, schimpfte Levell und wanderte wieder einmal vor seinem Schreibtisch auf und ab. »Soviel Dusseligkeit nimmt das Syndikat uns niemals ab. Da habe ich vier ausgemachte Profis. Und die sind einfach nicht in der Lage, ihren Boß gegen einen komischen Butler abzuschirmen. Nein, sie lassen sich am laufenden Band hereinlegen und benehmen sich wie ausgemachte Kamele… Feuern sollte ich euch!« »Sie sind doch auch…« Gonski wollte die Dinge richtigstellen, doch als er die blitzenden Augen seines Chefs wahrnahm, hielt er lieber den Mund. »Und es kann hier in meinem Laden passieren, daß ein Mitarbeiter einfach niedergeschossen wird. So 40 �
einfach und nebenbei! Schlaft ihr? Pennt ihr am hellichten Tag? Laßt euch doch euer Lehrgeld wiedergeben, ihr Flaschen! Habt ihr wenigstens eine Ahnung, wer Portner umgelegt haben könnte?« Sie hatten keine Ahnung, sagten es aber nicht. Sie wollten ihren Boß nicht unnötig reizen. Als Levell gerade wieder zu einer Suada starten wollte, schrillte das Telefon. Fast angewidert hob er ab. »Wer spricht da? Handerson! Ja, was ist? Sie haben Portner niedergeschossen. Ja, ich höre…!« Levells Gesicht lief rot an, als er zuhörte. Er setzte ein paarmal zu einer Antwort an, schien von Handerson aber stets daran gehindert zu werden. Endlich ließ Levell resigniert den Hörer in die Gabel fallen. »Handerson! Aber das habt ihr ja mitbekommen. Er hat Portner umgelegt. Und er droht mir, uns der Reihe nach zu erledigen. Einen nach dem anderen!« »Und warum?« Mortimer war irritiert. Diese Absicht konnte er sich nicht richtig erklären. »Weil wir angeblich seine Frau umgebracht haben sollen!« »Aber das stimmt doch überhaupt nicht!« Gonski schüttelte heftig den Kopf. »Ob es stimmt oder nicht, scheint Handerson nicht zu interessieren.« Levell zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lun-
gen. »Er hält uns für ihre Mörder und wird dementsprechend handeln. Jungens, das war keine so dahingesprochene Drohung, Handerson meint es ernst!« »Dann meinen wir’s auch ernst, Chef!« Hubert warf sich in die Brust. »Richtig, wir müssen ab sofort verdammt aufpassen. Handerson ist jetzt wie ein reißendes Tier. Der nimmt keine Rücksicht. Da hilft nur eines, Leute, wir müssen schneller sein als er. Ist das klar?« Sie fühlten sich nicht besonders wohl in ihrer Haut. Bisher immer nur Jäger, sollten sie jetzt gejagt werden. Diese Umkehrung schmeckte ihnen nicht sonderlich. »Aber wer könnte die Frau von Handerson umgebracht haben?« stellte Stalton endlich die entscheidende Frage, »wollte man uns mit dem Mord irgendwas in die Schuhe schieben?« »Richtig, Boß.« Gonski merkte auf. »Wer kann denn gewußt haben, daß wir Handersons Frau so als ‘ne Art Geisel hochnehmen wollten?« »Parker!« warf Mortimer schnell ein, »er und sein Chef kennen doch inzwischen alle Zusammenhänge.« »Moment mal, Jungens.« Levell hob stoppend die Arme, »Rander oder Parker bringen doch keine Menschen um, um uns in Schwierigkeiten zu bringen. Den Zahn könnt ihr euch ziehen lassen.« »Aber irgendeiner muß Bescheid 41 �
gewußt haben!« Gonski blieb hart am Ball. »Fragen wir Parker oder Rander! Oder noch besser, schnappen wir uns Handerson, bevor er restlos verrückt spielt…« Levell sah seine Leute der Reihe nach kritisch und auffordernd zugleich an, »los, tut was, Leute! Euer Leben hängt schließlich davon ab! Noch etwas, sind die Spuren unten im Eingang verschwunden?« »Die und Portner, Chef. Da können sie mit ‘nem Polizeilabor anrauschen, die werden nichts finden. Portner hat niemals existiert. Und von ‘nem Schuß oder von ‘ner Leiche wissen wir nichts!« * »Ich bin ruhig! Vollkommen ruhig!« Lieutenant Madfords kleines Bärtchen auf der Oberlippe sträubte sich borstig auf, »ich werde bestimmt nicht verrückt. Ich werde…« McLean ging hinter seinem Schreibtisch in Deckung. Sein Chef mußte jeden Moment explodieren. »Ich werde diese Idioten feuern!« tobte Madford endlich, »wie soll ich Verbrechen aufklären, wenn ich nur von Schwachköpfen umgeben bin?« McLean hütete sich zu protestieren. Volle Deckung, darauf allein kam es jetzt noch an. Er ahnte, warum Madford so in Wallung gekommen war.
»McLean!« Madford brüllte. »Chef?« McLean tauchte auf und baute sich in fast strammer Haltung vor seinem Vorgesetzten auf. »Ahnen Sie, was passiert ist?« Madford säuselte jetzt gefährlich leise. »Handerson muß seine Verfolger abgewimmelt haben«, sagte McLean, »vielleicht wäre mir das nicht passiert.« »Hören Sie auf, McLean, reizen Sie. mich nicht!« Madford ließ sich erschöpft in seinen Ledersessel sinken, der seitlich neben dem Schreibtisch stand. »Hören Sie auf! Ich werde meinen Abschied nehmen. Ich kündige. Ich gehe in Pension. Ich werde in Zukunft nur noch Bienen züchten.« McLean grinste. Er wußte aus Erfahrung, daß damit der Sturm vorüber war. Sobald Madford diese Töne anschlug, war alles überstanden. »Grinsen Sie nicht, McLean!« »Okay, Chef! Soll ich ‘ne Fahndung nach Handerson in die Wege leiten?« Bevor Madford sich dazu äußern konnte, klingelte das Telefon. McLean nahm den Anruf entgegen und machte sich dabei Notizen. Er legte nach kurzer Zeit wieder auf und sah seinen Chef bedeutungsvoll an. »Ein anonymer Anruf«, meldete er. 42 �
»Lassen Sie mich in Ruhe! Ich denke…« »Der Anrufer teilt uns mit, daß in der Lackiererei eines gewissen Matt Levell ein Mann namens Portner erschossen worden ist.« Madford dachte nicht mehr nach. Er war hellhörig geworden. »Weiter… Weiter…!« drängte er. »Nichts weiter, Chef. Danach hat der Anrufer aufgelegt.« »Hätten Sie ihn nicht ausquetschen können?« fauchte Madford schon wieder in altgewohnter Forsche und Frische. »Hätte schon, Chef, wenn er eben nicht aufgelegt hätte.« »Und so was nennt sich nun mein persönlicher Mitarbeiter«, brummte Madford, wirkte dabei aber unternehmungslustig. »Nicht fähig, ein paar Informationen zu sammeln…« »Eine Information hätte ich vielleicht doch noch, Chef.« »Dann packen Sie schon aus, McLean!« »So höflich wie der Mann am Telefon redet eigentlich nur einer, Chef.« »Parker, wie?« »Ich bin fast sicher, Chef!« * Der Mörder stand vor dem Spiegel des Badezimmers und untersuchte die tiefen Kratzwunden. Jetzt, nachdem alles vorüber war, benahm er sich vielleicht noch
unauffälliger als sonst. Selbst die tiefen Kratzwunden brachten ihn nicht in Wallung oder Zorn. Sachlich, als habe er einen fremden Menschen vor sich, desinfizierte er die Kratzspuren erneut, bevor er sich neue Pflasterstreifen anlegte. Er hatte eine unausgestandene Angst vor Entzündungen. Nachdem er sich versorgt hatte, verließ er das Badezimmer und erreichte nach dem Durchqueren seines Schlafraums das große Wohnzimmer, das einfach, aber geschmackvoll eingerichtet war. Es gab einen echten Kamin. Davor ein altertümliches, aber sehr bequemes Sofa mit einem Beistelltischchen. Links und rechts vom Kamin erhoben sich weißgestrichene Stellagen, in denen Nippes, Fotos und Bücher herumstanden. Der Mörder ging weiter in die Küche und sah nach dem Filterkaffee, den er sich aufgegossen hatte. Er war trinkfertig und brauchte nur noch umgegossen zu werden. Dem Mörder war klar, daß er seine Strafen vorerst nicht mehr auszuteilen vermochte. Er mußte warten, bis er die Heftpflaster wieder abnehmen konnte. Seiner Schätzung nach konnte das drei bis vier Tage dauern. Er hatte sich damit abgefunden. Er hatte sehr viel Zeit. Zeit genug, um noch alle jene frivolen Frauen zu strafen, die es seiner Ansicht nach 43 �
mit der Moral nicht genau nahmen. Es galt, Sitte und Anstand wieder herrschen zu lassen. Und wenn dies mit drakonischen Mitteln erreicht werden mußte! * »Kaffee, Sir, oder vielleicht ein Gläschen Portwein, Sherry oder Kognak?« Parker hatte Madford und McLean eingelassen. Sie saßen in Randers Studio und warteten auf die Ankunft des Anwalts, der inzwischen von seinem Besuch verständigt worden war. »Whisky!« sagte McLean, obwohl er noch gar nicht gefragt worden war. »Mit dem größten Vergnügen!« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an. »Für mich Kaffee. Aber der hat noch Zeit… wie der Whisky, Parker. Bleiben Sie hier! Ich habe Sie was zu fragen.« »Sehr wohl, Sir?« »Warum haben Sie Ihren Namen nicht genannt, als Sie mit McLean sprachen?« »Liegt hier möglicherweise ein Mißverständnis vor, Sir?« Parker war die Ahnungslosigkeit in Person. »Wir wissen genau, daß Sie von dem Mord an Portner in Levells Lackiererei gesprochen haben.« »Ist denn dort tatsächlich eine Lei-
che gefunden worden, Sir?« »Nein… äh… Ich frage! Sie haben nur auf meine Fragen zu antworten.« »Sehr wohl, Sir. Darf ich jetzt den Kaffee servieren?« »Die Wahrheit will ich wissen! Wieso wußten Sie von diesem Mord?« »Bevorzugen Sie amerikanischen oder schottischen Whisky, Mister McLean?« Parker wandte sich an den Sergeant. »Schottischen, wenn ich ihn schon bekommen kann. Hören Sie, Parker, ich habe Ihre Stimme genau erkannt. Warum geben Sie nicht zu, daß Sie angerufen haben?« »Ich möchte erst Mister Rander in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger und Anwalt konsultieren«, entschied Josuah Parker, »wenn ich mich für einen Moment entschuldigen dürfte.« Ohne die Erlaubnis abzuwarten und nach einer knappen Verbeugung verließ der Butler das Studio. »Warum hat er seine Stimme nicht verstellt?« fragte sich Madford halblaut, sah dabei aber in Richtung McLean. »Wäre ihm doch sehr leichtgefallen.« »Er wollte sicher, daß wir hier aufkreuzen, Sir.« »Warum hat er’s dann nicht offen gesagt?« »Sie kennen ihn doch, Chef. Bei Parker muß es einfach umständlich 44 �
zugehen, sonst fühlt er sich nicht wohl. Aber irgendwie erreicht er doch immer, was er will. Und oft schneller als wir!« »Übertreiben Sie bloß nicht!« Madford geriet schon wieder in leichten Zorn, zumal sein Sergeant recht hatte. Er stand schnell auf, als Mike Rander das Studio betrat. Die Männer begrüßten sich und nahmen wieder Platz. »Ich denke, wir legen die Karten auf den Tisch«, sagte Rander ohne jede Überleitung, »Parker erhielt vor einer halben Stunde einen interessanten Anruf.« »Vor seinem Gespräch also mit uns.« Madford sah McLean bedeutungsvoll an. »Mag sein, ist aber jetzt überhaupt nicht wichtig.« Mike Rander wirkte sehr konzentriert. »Handerson rief an. Dieser Name sagt Ihnen ja inzwischen etwas, wie ich weiß. Handerson hat auf Portner geschossen und ihn getötet. Dürften Sie auch inzwischen wissen. Handerson glaubt, daß Levell und seine Leute seine Frau auf dem Gewissen haben. Er hat sich geschworen, sie alle zu töten! Einen nach dem anderen! Das will er Levell auch schon gesagt haben. Ich fürchte, Madford, da tut sich etwas, was wir kaum noch steuern können!« »Ich brauche erst mal Details«, sagte Madford schnell, »was ist zwi-
schen Levell und Handerson?« »Darf ich anregen, Sir, daß Mister Madford Ihnen und meiner bescheidenen Person einige Details über jene Toten zuteil werden läßt, die man ›grüne Witwen‹ nennt? Mister Handerson will diesen Ausdruck während der Ermittlung von Lieutenant Madford einige Male gehört haben. Möglicherweise bieten sich hier Ansatzpunkte, die sich gemeinsam nutzen lassen.« »Was haben unsere ›grünen Witwen‹ mit dem Mord an Mrs. Handerson zu tun?« fauchte Madford sofort. »Eben dies, Sir, möchte Mister Rander ergründen.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich, als er gleichzeitig den Kaffee und den schottischen Whisky servierte. * Matt Levell schwitzte vor Aufregung, als er aus dem Lift trat und sich bei der platinblonden Sekretärin meldete. Sie nahm kühl und gelassen seinen Namen entgegen, telefonierte kurz und bedeutete ihm, einen Moment zu warten. Levell war nicht in der Lage Platz zu nehmen. Unruhig wanderte er auf dem dicken Teppich umher und dachte an die kommende Unterhaltung. »Mister Levell!« Ein junger, sehr Mann, schlank, gutgekleideter 45 �
braungebrannt und elastisch, kam ihm lächelnd entgegen. »Mister Levell, Mister Grandner erwartet Sie. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Levell, zum ersten Mal hier oben in dieser Büroetage, war beeindruckt. So hatte er sich die Direktion der Sektion Chikago nicht vorgestellt. Hier residierte also die Filiale des Syndikats: vornehm, geldschwer und beeindruckend. Grandner, ein jovial aussehender Fünfziger mit glatten Gesichtszügen, mittelgroß, leichter Bauchansatz, hielt es überhaupt nicht für notwendig, Levell die Hand zu bieten. Er wies auf eine Sitzecke und wartete, bis eine zweite Sekretärin ein paar Drinks serviert hatte. Grandners Benehmen entsprach einer gewissen Überlegenheit und Arroganz. Leute wie Levell, nun, das waren kleine Gangsterbosse, die man duldete, die dafür aber hohen Tribut an das Syndikat zu zahlen hatten. »Kommen wir gleich zur Sache«, sagte Grandner und setzte sich, während sein Sekretär vor einem Wandtisch Platz nahm und die Unterhaltung auf einem Tonband festhielt, das wahrscheinlich anschließend wieder gelöscht wurde, nachdem man es ausgewertet hatte. »Dieser Handerson hat also gedroht, Sie und Ihre Leute der Reihe nach zu eliminieren, habe ich das richtig verstanden?«
»Er will uns umlegen. Er glaubt, wir hätten seine Frau umgebracht.« »Abgesehen davon, daß ich Ihre Taktik im Fall Handerson für verbrecherisch dumm halte, Levell, es war richtig, daß Sie sich sofort an uns gewandt haben. Wir können uns lautstarke Auseinandersetzungen nicht leisten. Wir wollen sie überhaupt nicht. Sie werden Sorge dafür tragen, daß Handerson so schnell wie möglich unschädlich gemacht wird.« »Okay. Äh, ich meine, natürlich.« »Sehr schön! Ich werde einige unserer Leute einschalten und Handerson aufspüren lassen. Lange kann das nicht mehr dauern. Sie kennen Handerson und seine Gewohnheiten. Geben Sie gleich alle Details über ihn an meinen Mitarbeiter weiter. Er wird sich die erforderlichen Notizen machen.« »Jawohl!« Levell kam sich vor wie seinerzeit beim Militär. Er wäre am liebsten aufgestanden und hätte die Hände in die Nähe seiner Hosennähte gebracht. »Sie selbst, Levell, werden Ihre Firma meiden. Ab sofort ziehen Sie sich in das Hotel zurück, das Ihnen mein Mitarbeiter nennen wird! Sie bleiben solange unsichtbar, bis Handerson keinen Ärger mehr machen kann.« »Und meine Jungens. Äh, ich meine die Mitarbeiter?« »Werden umgehend verreisen, 46 �
sobald Handerson erledigt ist. Für mich ist das nur eine Frage von Stunden, höchstens von einigen Tagen. Ich denke, das wär’s. Noch Fragen?« »Da ist dieser Butler Parker.« »Dieser Mann ist ein gewisses Problem«, räumte Grandner ein, »schade, daß er sich einschalten konnte. Uns paßt das überhaupt nicht. Mister Parker verbreitet überall dort Unruhe, wo er auftaucht und ermittelt.« »Könnte man nicht. Ich meine… müßte man ihn nicht… So wie Handerson?« »Sie verwechseln die Dimensionen«, tadelte Grandner, »Mister Parker ist kein Irgendwer. Aber wir werden selbstverständlich dafür sorgen, daß er unschädlich gemacht wird. Endlich einmal! Sollten Sie oder Ihre Leute dies schaffen, so erhöht das Syndikat die Kopfprämie auf fünftausend Dollar!« »Da wäre noch was, Sir.« Levell hielt es nicht länger auf der Sitzbank aus Leder. Er stand sicherheitshalber doch lieber auf, um seinen Respekt zu bekunden. »Ja?« Die Stimme von Grandner klang bereits leicht ungeduldig. »Der Mörder von Mrs. Handerson. Irgend jemand muß sie doch umgebracht haben.« »Das ist schon nicht mehr Ihr Problem, Levell! Vergessen Sie diesen Zwischenfall! Fahren Sie jetzt zurück
in Ihre Firma, packen Sie alles ein, was unter Umständen in falsche Hände fallen könnte, und begeben Sie sich anschließend in das Hotel, das man Ihnen anweisen wird! Viel Glück!« Ein leichtes Kopfnicken, dann so etwas wie einen Rausschmiß. Levell wischte sich im Lift später den kalten Schweiß von der Stirn. Ihm war endlich klargeworden, von wem er beherrscht wurde. Aber irgendwie freute ihn das nicht. Sein Selbstgefühl hatte einen gewaltigen Stoß erlitten. Und das alles hing ursprünglich mit diesem verdammten Butler Parker zusammen, der sich da störend eingeschaltet hatte. * Dieser Butler Parker, über den Levell sich so ergrimmte, hatte inzwischen Position bezogen. Josuah Parker stand auf dem inzwischen dunklen Vorplatz der Lackiererei und wartete auf Levell. Gewiß, Werkstatt und obere Büroräume waren dunkel, doch Parker wußte längst, daß hier das Hauptquartier der Bande war. Levell kam entweder, oder aber er bot durch sein Wegbleiben die Möglichkeit, die Büroräume näher zu inspizieren. Parker war gerade zu dem Schluß gekommen, daß er ungestört forschen konnte, als er plötzlich oben in einem Büroraum Licht sah. 47 �
War Levell zurückgekehrt? So mußte es sein. Wahrscheinlich hatte er einen Zugang gewählt, den er für sich persönlich reserviert hatte. Nach einem letzten prüfenden Blick in die Runde wechselte der Butler hinüber zum Werkstattor. Er brauchte nur wenige Sekunden, bis das einfache Schloß sich fast freiwillig öffnete. Er hatte fast den Eindruck, daß das Doppeltor überhaupt nicht verschlossen worden war. Er benutzte das Licht der Kugelschreiber-Taschenlampe, um seinen Weg zu suchen. Der fein gebündelte Lichtstrahl glitt über frisch lackierte Wagen und Autos, die für das Neuspritzen hergerichtet worden waren. Die Glasfüllungen dieser Wagen waren mit Papier zugeklebt worden. Parker wollte schon hinüber zu einer Tür wechseln, die in den Gang führte, als er plötzlich auf der Treppe leise und schnelle Schritte hörte. Er schaltete sofort das Licht aus und begab sich hinter einem Wagen in Deckung. Die Tür öffnete sich kreischend, fast widerwillig. Das Licht einer Taschenlampe glitt fahrig durch die dunkle Werkstatt. Im Widerschein dieses Lichtes erkannte Josuah Parker Matt Levell. Der Gangsterboß und gleichzeitige Inhaber der Lackiererei war ganz sicher nicht alarmiert worden. Er war nicht hier unten, um nach Ein-
dringlingen Ausschau zu halten. Er ging schnurstracks auf einen Elektroschaltkasten zu und öffnete ihn. Parker wartete in aller Ruhe ab. Sicherungen würde Levell bestimmt nicht reparieren wollen. Nun, das Rätsel sollte sich schnell lösen. Nachdem der Schaltkasten geöffnet worden war, manipulierte Levell einen Moment an ihm herum und… ließ dann den gesamten Einbau herumschwenken. Er griff in dieses Geheimversteck hinein und versorgte sich mit zwei Handfeuerwaffen, die der Butler einwandfrei als Revolver vom Kaliber 38 zu identifizieren vermochte. Das Versteck schnappte wieder zu, Schaltkasten sah wieder der unscheinbar, harmlos und schmutzig wie üblich aus. Auf leisen Sohlen ging Levell zurück zur Tür, hinter der er verschwand. Parker wartete anstandshalber noch eine knappe Minute, dann schritt er würdevoll und gemessen hinüber zu diesem Schaltkasten, fand sehr schnell heraus, wie er geöffnet werden mußte und entdeckte im Geheimversteck eine ansehnliche Waffensammlung, die ausschließlich aus Handfeuerwaffen verschiedener Kaliber bestand. Parker, der sich aus Schußwaffen nun gar nichts machte, ja, sie geradezu verachtete, fand es angebracht, diese Waffen aus dem Verkehr zu 48 �
ziehen, bevor sie irgendwelches Unheil anrichten konnten. Er wußte sich schnell zu helfen. Er holte sie nacheinander hervor und versenkte sie in einem großen Kübel, der fast bis zum Rand mit alten Öl- und Lackresten angefüllt war. Glucksend verschwanden die Waffen in dieser zähen Flüssigkeit und hauchten darin ihre vielgerühmte Präzision aus. * »Sie wollen verreisen, Mister Levell?« Der Gangsterboß wirbelte förmlich herum, als er Parkers Stimme hörte. Er starrte den Butler entsetzt an. »Wie sind denn Sie hier ‘reingekommen?« fragte er dann. »Ich finde diese Frage unerheblich. Sie entspricht nicht dem Thema, über das ich mich gern mit Ihnen unterhalten möchte.« Levell schielte nach der Schußwaffe, die in Griffweite auf dem Schreibtisch lag. Er hielt leider, von ihm aus gesehen, eine Aktentasche in der Hand, in die er Geldbündel und Papiere hineinversenkt hatte. »Hören Sie, Parier«, begann Levell und stellte die Aktentasche vorsichtig weg, »hören Sie… Ich weiß nicht, ob Handerson Sie geschickt hat. Ich schwöre, daß ich oder meine Leute mit dem Mord an Joan Handerson
nichts zu tun haben.« »Sie werden möglicherweise überrascht sein, aber ich glaube Ihnen!« »Was wollen Sie dann noch hier bei mir?« »Sie zur Rechenschaft ziehen, Mister Levell! Sie wissen doch, daß Handerson erst durch Sie und Ihre Pläne in eine gewisse Verzweiflung geraten ist. Sie sind der eigentliche Urheber dieses Mordes!« »Das ist doch…!« Levell kam nicht mehr dazu, diesen Satz zu beenden. Plötzlich nämlich erlosch das Licht im Büro. Parker ging sofort in Deckung. Er konnte sich leicht ausrechnen, was jetzt folgte. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Levell hatte längst seine Waffe in der Hand und feuerte wie wahnsinnig in Richtung Tür, wo Parker sich eben noch aufgehalten hatte. Krachend schlugen die Geschosse in der Türfüllung ein. Holz splitterte, ein Querschläger sirrte wie eine giftige Hornisse quer durch das Büro und zersplitterte die Fensterscheibe, bevor er seine Reise hinaus in die Dunkelheit antrat. * Parker ließ Levell gewähren. Er spürte aber an dem feinen Luftzug, der sein Gesicht traf, daß die angesplitterte Tür geöffnet wurde. 49 �
Irgendeine dritte Person pirschte sich in der Dunkelheit heran. Handerson hatte unten im Treppenhaus einen Kurzschluß verursacht und dafür gesorgt, daß das Licht erlosch. Er war über die steile Treppe hinauf zu Levells Büro gehastet und zur Abrechnung mit dem Gangsterboß bereit. Handerson kannte sich in der Lackiererei natürlich aus. Er war schon einige Male hier gewesen und hatte sich mit Levell unterhalten. Damals hatte man sich noch einigermaßen verstanden. Als Handerson fast die Tür erreicht hatte, peitschten die ersten Schüsse los. Handerson war verblüfft. Er hatte sofort herausgefunden, daß sie ihm unmöglich galten. Auf wen wurde geschossen? Wer schoß? Als die Schüsse plötzlich abbrachen, drückte er die Tür zu Levells Büro vorsichtig auf. In der Hand hielt er einen schweren 45er, der nach so langer Zeit überraschend gut und fest in seiner Hand lag. Handerson bückte sich, glitt schnell in das Büro hinein und wartete erst einmal ab. Dort hinten, in der Nähe des Schreibtisches, waren schnelle Atemzüge zu vernehmen. Instinktiv wußte er, daß Levell sie ausstieß. Aber sein Instinkt sagte ihm auch, daß sich im Büro eine zweite Person befand. Aber die ließ sich leider
nicht ausmachen. Er hatte noch nicht einmal die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Als Handerson sich gerade zu einem überraschenden Angriff entschlossen hatte, waren unten auf dem Vorplatz schnelle Schritte und Stimmen zu hören. »Hilfe?« Levell schrie vom Schreibtisch her, »Hilfe!« Handerson hätte am liebsten geschossen, doch er wußte ja nicht, wo sich die andere Person aufhielt und wer sie war. Das Risiko eines Schusses konnte er unmöglich eingehen. So etwas wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Er entschloß sich also klugerweise zum Rückzug. Als er um die Tür zurück in den Korridor hastete, preßte sich ihm plötzlich ein harter, unmißverständlicher Gegenstand in den Rücken. »Parker mein Name. Josuah Parker«, stellte eine Stimme sich vor, die ihm sofort vertraut erschien, »machen Sie keine Dummheiten, Handerson, kommen Sie!« Handerson nickte unwillkürlich. »Man wird uns den Weg abschneiden«, flüsterte Parker weiter, »wir werden das Dach benützen müssen.« Handerson ging voraus. Dankbar nahm er den feinen, aber starken Lichtstrahl zur Kenntnis, der ihm den Weg wies. »Dort… das Dachfenster!« Der Lichtstrahl wanderte nach oben. 50 �
Handerson orientierte sich schnell. Es wurde ohnehin höchste Zeit, denn auf der Treppe waren bereits Schritte zu hören. Und darüber erklang das hysterische Keifen von Levells Stimme, der nach wie vor um Hilfe schrie. Handerson kletterte über die schmalen Stufen einer Zugleiter hinauf aufs Dach. Parker folgte, und rutschte haltlos ab, als Handerson ihm plötzlich einen ungemein harten Gegenstand auf die Melone legte, die zwar mit Stahlblech ausgefüttert war, dennoch aber nicht in der Lage war, diesen Schlag völlig zu absorbieren. Parker rutschte in halber Ohnmacht zurück in den Korridor, während die Schritte und Stimmen schon gefährlich nahe waren. * »Jetzt sind wir endlich mal zur Abwechslung am Drücker«, sagte Levell und grinste triumphierend, »wissen Sie, wieviel Sie wert sind, Parker?« »Ich lasse mich in dieser Beziehung gern überraschen, Mister Levell.« »Fünftausend Dollar. Hübsches Geld.« »Das meiner bescheidenen Vermutung nach wohl vom allmächtigen Syndikat ausgesetzt worden sein dürfte.«
»Stimmt sogar, Parker! Aber für Sie ist das ja unerheblich!« Parker schaute sich in der Runde um. Außer Levell hatten sich die Herren Hubert, Stalton, Gonski und Mortimer um ihn versammelt. Sie alle machten einen ungemein zufriedenen Eindruck. Parker befand sich übrigens längst nicht mehr in der Lackiererei. Nach einem kurzen Ausflug in einem Kastenlieferwagen hatte man ihn erstaunlicherweise auf das Gelände einer kleinen Firma für Industrieöle und Fette gebracht. Was die Gangster sich davon versprachen, wußte Parker wirklich nicht zu sagen. »Sie werden gleich ‘ne kleine, interessante Reise antreten«, meinte Levell. Er deutete durch das Fenster einer Unterstellbaracke hinaus auf die nahen Gleise, auf denen Öltankwagen standen. »Diese Reise, so darf ich vermuten, soll doch sicher nicht meinem privaten Vergnügen dienen, Mister Levell?« »Erraten! Sie dient dazu, Ihre Leiche durch die Staaten zu transportieren. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Ich vermisse gewisse Details.« »Wir werden Sie in einen der leeren Öltanks werfen. Muß ich noch mehr sagen?« »Wenn ich Sie sehr höflich bitten darf?« 51 �
»Sobald wir den Verschluß da oben dichtgemacht haben, werden Sie ersticken. Die Ölreste bilden giftige Dämpfe. Müßte Ihnen jetzt aufgehen, finde ich.« »Erstaunlich, Mister Levell! Sollte dieser Plan Ihren Vorstellungen entsprungen sein?« »Sie haben mich eben bisher unterschätzt, Parker, und daran werden Sie jetzt sterben.« »Wie wollen Sie dem Syndikat meinen Tod beweisen?« »Nach Ihrer Ankunft in New York wird sich das mit Sicherheit herumsprechen. Dafür werde ich schon sorgen!« »Wie freundlich, Mister Levell!« Aber löst sich dadurch Ihr spezielles Problem?« »Sie meinen Handerson?« »In der Tat, Mister Levell! Ihn werden Sie dadurch nicht los! Er sieht in Ihnen weiterhin den Mörder seiner Frau und wird Ihnen auf den Fersen bleiben. Sie wissen doch sehr gut, daß er bereits in Ihrem Büro war.« »Handerson ist kein Problem. Dafür gibt es schließlich unser Syndikat.« »Sie werden seinen Aufenthalt niemals ausfindig machen können.« »Sie wissen natürlich, wo er sich versteckt hält, wie?« »Ich möchte nicht unbedingt widersprechen, Mister Levell.« »Jetzt bluffen Sie doch nur. Sie wollen nur Zeit herausschinden. Sie
haben Angst vor dem Sterben!« Levell grinste. »Diese Angst würde ich niemals abstreiten, Mister Levell. Der Aufenthaltsort von Mister Handerson hingegen ist eine völlig andere Sache. Sie werden sehr schnell herausfinden und am eigenen Leibe spüren, wie gut er sich zu tarnen vermochte. Und wie dicht er Ihnen auf den Fersen ist.« Levell war verständlicherweise beeindruckt. Er zog sich mit seinen vier Mitarbeitern in eine Ecke der Baracke zurück und diskutierte leise mit ihnen. Parker war nicht weniger beschäftigt. Wenn er mit dem Leben davonkommen wollte, mußte er sich etwas Zusätzliches einfallen lassen. Und dazu gehörte, daß er erst einmal seine Hände freibekam. * »Bringt ihn ’rüber zum Kesselwagen.« Levell war zu einem Entschluß gekommen. Er glaubte nach wie vor an einen Bluff, glaubte sich auf der andere Seite aber auch stark genug, gegen Handerson bestehen zu können. In dieser Hinsicht vertraute er dem Syndikat. Seiner Ansicht nach mußte die Organisation es leicht schaffen, Handerson aufzuspüren. Die Herren Hubert, Stalton, Gon52 �
ski und Mortimer hatten auf das Stichwort von Levell nur gewartet. Sie konnten es kaum erwarten, diesen Butler in den Kesselwagen zu stecken. Für sie war ein toter Parker der beste Butler, den sie sich vorzustellen vermochten. Sie hatten die Rechnung allerdings ohne den Wirt, beziehungsweise ohne einen gewissen Josuah Parker gemacht, dessen Hände inzwischen ungebunden waren. Eingebettet im linken Schuhabsatz befand sich eine Edelstahlklinge, die wie ein normales Schuheisen aussah. Daran hatte Parker die Handfesseln herangebracht und sie schnell und glatt durchschnitten. Parker hatte sich mit dieser privaten Befreiungsaktion nicht begnügt. Aus dem rechten Schuhabsatz hatte er sich ein flaches Stahletui hervorgeholt, dessen Inhalt lebensgefährlich sein konnte. In diesem flachen Etui befand sich eine Ladung Feinschrot, die durch einen Druck auf einen versteckt angebrachten Knopf gezündet werden konnte. Zu dieser Zündung kam es jetzt. Nicht, daß Parker auf lebensgefährliche Teile der vier Männer gezielt hätte, obwohl ihm dies sicher möglich gewesen wäre. Nein, Josuah Parker begnügte sich mit den Oberschenkeln und Waden als Ziele. Der Erfolg war frappierend. Aber nach der Zündung und dem Detonationsknall spritzten die vier
Gangster wie aufgescheuchte Hasen auseinander und beklagten deutliche Treffer. Sie hüpften, sprangen, hinkten und stolperten durcheinander. Dazu produzierten sie ein wimmerndes Geheul, das an das von hungrigen Wolfshunden erinnerte. Keiner von ihnen kam auf den Gedanken, etwa die Schußwaffe zu ziehen. Die feinen Schrotkörner beschäftigten sie derart, daß sie an nichts anderes zu denken vermochten. So dachte zum Beispiel Hubert an die vier Schrotkörner in seiner rechten Wade, die höllisch schmerzten. So dachte Stalton an die Ansammlung von Feinstschrot in seinem rechten Oberschenkel. Gonski hatte es in der unteren, rechten Gesäßhälfte erwischt. Er vollführte eine Art Ausdruckstanz, der auf Kenner faszinierend neu gewirkt hätte. Und Mortimer saß längst auf dem Boden der Baracke und suchte nach Schrotkörnern in seinem linken Unterschenkel. Parker hatte längst seinen Universal-Regenschirm in der Hand. Die Spitze dieses Schirms war auf Levell gerichtet, der eigentlich noch immer nicht so recht begriffen hatte, was vorgefallen war. »Ich sollte mich eigentlich entschuldigen«, sagte Parker in seiner überaus höflichen Art und Weise, »doch in Anbetracht der Lage werde 53 �
ich bewußt darauf verzichten. Immerhin spielten Sie sehr deutlich mit dem Gedanken, meine bescheidene Person dorthin zu befördern, was man im Volksmund das Jenseits nennt!« * »Warum, zum Teufel, haben Sie die Gangster nicht gleich hochgenommen?« Lieutenant Madford sah den Butler gereizt wie üblich an. »Darf ich höflichst fragen, unter welcher Anschuldigung Sie diese fünf Herren hätten festhalten wollen?« »Schon gut. Schon gut!« Madford hatte natürlich verstanden. Kein Untersuchungsrichter hätte einen Haftbefehl unterschreiben können, wenn die fünf Gangster das getan hätten, womit nun einmal fest zu rechnen gewesen wäre: nämlich Abstreiten auf der ganzen Linie. Madford, McLean, Mike Rander und Josuah Parker befanden sich im Penthouse des jungen Anwalts. Es ging auf Mitternacht zu, und sie diskutierten den Fall wieder einmal durch. »Unser Problem bleibt doch, daß Handerson nach wie vor glaubt, Levell oder dessen Leute hätten seine Frau umgebracht.« Rander faßte noch einmal das bisher Gesagte zusammen. »Wir wissen
inzwischen aber ziemlich sicher, daß sie von diesem Mörder der ›grünen Witwen‹ umgebracht worden sein muß.« »Das wird Handerson uns niemals abnehmen.« Madford nickte schwer, »er rennt in sein Verderben. Wie ich Levell und das Syndikat einschätze, wird man inzwischen ein Kesseltreiben auf ihn eingeleitet haben.« »Handerson muß so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden«, erklärte Mike Rander, »er muß erfahren, daß Levell, was seine Frau anbetrifft, unschuldig ist. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird er zum Massenmörder und selbst mit ein paar Schüssen im Leib enden!« »Alles gut und richtig.« Madford wirkte jetzt vergrämt. »Aber wie wollen wir an Handerson herankommen? Wir haben doch nicht die geringste Ahnung, wo er sich aufhalten könnte.« »Und wir wissen auch nicht, wo der Mörder der »grünen Witwen« wenigstens ungefähr zu finden ist.«, schaltete McLean sich ein, worauf er sich von Madford einen der leicht gereizten Blicke einhandelte. »Im Grunde, wenn ich dies andeuten und sagen darf, wissen wir bereits einiges von und über diesen Mörder.« Parker meldete sich zu Wort. »Er bevorzugt Randsiedlungen und scheint sich ausschließlich für die sogenannten ›grünen Witwen‹ zu interessieren. Zudem dürfte 54 �
er nach dem Mord an Mrs. Handerson einige deutlich sichtbare Kratzverletzungen davongetragen haben. Ferner ist bekannt, daß dieser Mann stets mit einem Korb aus Weidengeflecht erscheint und es versteht, sich durch irgendeine geschickte Manipulation Zutritt in die Häuser seiner Opfer zu verschaffen.« »Klar, wir brauchen ihn eigentlich nur noch festzunehmen«, spottete Madford. »In der Tat.«, erwiderte Parker, »es hängt alles davon ab, was sich in diesem Korb aus Weidengeflecht befindet. Dieser Inhalt ist der Schlüssel zum Mörder!« Madford sah zuerst McLean, dann Mike Rander und schließlich den Butler an. Entgeistert übrigens, leicht irritiert und mißtrauisch. »Wissen Sie vielleicht, was sich in diesem verdammten Korb befindet?« fragte er dann. »Keineswegs«, beschied Parker ihm, »aber ich werde mir erlauben, darüber ausgiebig nachzudenken.« * »Um diese Zeit können wir doch unmöglich stören.« Rander sah seinen Butler vorwurfsvoll an, »wo bleibt Ihre vornehme englische Erziehung, Parker?« »Besondere Umstände bedingen besonderer Methoden und oft auch den Verzicht auf die normalen
Regeln der Höflichkeit.« Parker klingelte und hörte sofort darauf Schritte hinter der Tür des Bungalows. »Wer ist da?« fragte eine energische Männerstimme. »Parker mein Name. Josuah Parker. Ich habe die Freude und die Ehre, Mister Rander, seines Zeichens Anwalt, begleiten zu dürfen. Läßt es sich einrichten, die Tür zu öffnen?« Es ließ sich einrichten. In der Tür stand, völlig angekleidet, ein untersetzter, stämmiger Mann mit einem runden Gesicht und braunen Augen über einer kleinen Nase. »Ich bin Brett Dolman«, stellte er sich vor. Parker übernahm die Vorstellung seines jungen Herrn und folgte in den Bungalow. Im großen Wohnraum kam ihnen Joan Handersons Freundin entgegen, eine große, schlanke Frau mit dunkelblondem Haar. Auch sie war völlig angekleidet. »Wir können einfach keine Ruhe finden«, sagte sie verzweifelt, »wir müssen immer wieder an Joans Ermordung denken. Brett und ich werden morgen schon in aller Frühe weggehen. Wir werden irgendein Hotelzimmer nehmen.« Man nahm Platz und kam sehr schnell zur Sache. Diesmal führte der Butler die Unterhaltung, freundlich, höflich, aber auch reserviert und sehr bestimmt. 55 �
»Wegen dieses schrecklichen Mordes haben Mister Rander und meine Wenigkeit es sich erlaubt, Sie um diese Zeit zu stören. Darf ich sehr offen und rundheraus reden?« »Natürlich«, sagte Brett Dolman und nickte seiner Frau aufmunternd zu. »Haben Sie sich möglicherweise schon einmal mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß Mrs. Handerson nicht das geplante Opfer des Mörders war?« »Wie kommen Sie denn darauf?« Hazel Dolman sah den Butler überrascht und erschreckt an. »Mrs. Handerson, Ihre Freundin also, kam doch völlig überraschend zu Ihnen und bat um Unterkunft für ein paar Tage. Interpretiere ich das richtig?« »Ja, natürlich, Mister Parker.« »Der Mörder kann demnach von Mrs. Handerson gar nichts gewußt haben!« »Richtig!« Brett Dolman nickte. »Gehen wir von der schrecklichen Voraussetzung aus, daß er Sie umbringen wollte, Mrs. Dolman! Können Sie sich an irgendwelche Vorfälle erinnern, die auf den Mörder hinweisen könnten?« »Aber nein!« Hazel Dolman sah schockiert und ängstlich aus. »Lieben Sie Tiere?« Parker wechselte zu Randers Überraschung das Thema. Seine Frage erschien ihm unverständlich.
»Sehr…«, erwiderte Hazel Dolman und lächelte unwillkürlich. »Darf ich unterstellen, ob diese Liebe sich auf kleine Kätzchen erstreckt?« »Auf Hunde«, gab sie spontan zurück. Während sie antwortete, nahmen ihre Augen einen nachdenklichen und überraschten Ausdruck an. »Wollten Sie möglicherweise einen kleinen Hund kaufen?« »Doch… ja…« »Hatte irgendein Hundezüchter Kontakt mit Ihnen aufgenommen? Vielleicht auf dem üblichen Umweg über ein Telefongespräch?« »Ja! Woher wissen Sie das?« »Wollte dieser Hundezüchter Sie aufsuchen und Ihnen einen kleinen jungen und quicklebendigen Hund offerieren?« »Ja… Ja, genauso ist es gewesen!« »Wollte er an jenem Tag kommen, an dem Ihre Freundin ermordet wurde? Hier in Ihrem Bungalow?« »Ja! Das stimmt alles haargenau. Ich hatte Joan gebeten, sich das Tier anzusehen und den Hundezüchter auf den heutigen Tag zu bestellen. Ich mußte ja weg.« Rander und Brett Dolman waren längst aufgestanden und starrten den Butler fast entgeistert an. Parker erhob sich jetzt ebenfalls. Feierlich, würdevoll und mit einem Gesicht, auf dem keine Regung zu erkennen war. 56 �
»Der Mörder der ›grünen Witwen‹, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, dürfte ein Hundezüchter sein. Und in dem oft zitierten Korb aus Weidengeflecht muß sich jeweils ein reizender kleiner Hund befunden haben, der den Argwohn des betreffenden Opfers nicht nur einschläferte, sondern gar nicht erst aufkommen ließ! Ich möchte annehmen, daß dieser Mörder nun schnell gefunden wird!« * »Warum fahren Sie denn nicht weiter?« Mike Rander, der neben Parker im hochbeinigen Monstrum des Butlers saß, hatte den Wagen hinter der nächsten Straßenecke angehalten und schaltete die Scheinwerfer aus. »Es besteht eine gewisse Hoffnung, Sir, daß Mister Dolman versuchen wird, sich mit Mister Handerson in Verbindung zu setzen.« »Wie kommen Sie denn darauf? Ist das nicht etwas weit hergeholt?« »Möglicherweise, Sir. Auf der anderen Seite hege ich die stille Hoffnung, daß es eine gewisse Verbindung zwischen dem Ehepaar Dolman und Handerson gibt. Falls dem so ist, so schlußfolgere ich weiter, würde Mister Dolman sich beeilen, Mister Handerson mitzuteilen, daß der Mörder seiner Frau auf jeden Fall in der Gruppe Levell zu
finden ist.« »Sie haben mir mal wieder was verschwiegen, wie?« »Sir, ich muß gestehen, daß ich mir die Freiheit nahm, einige Erkundigungen über Mister Dolman und Frau einzuholen.« »Und wie fielen diese Erkundigungen aus?« »Mister Dolman, jetzt ein durchaus ehrenwerter Geschäftsmann, der sich auf dem Gebiet des Schrotthandels betätigt, war in früheren Jahren einige Male mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Damals muß er Mister Handerson kennengelernt haben. Und seine Frau Hazel arbeitete vor vielen Jahren in jener Bar, in der Mister Handerson seine Frau dann kennenlernte.« »Ich bin gespannt, ob Ihre Ermittlungen sich auszahlen werden.« Rander zündete sich eine Zigarette an und blickte hinaus in die Dunkelheit. »Sie hoffen also, daß Dolman Handersons Versteck kennt?« »Ich wäre glücklich, Sir, falls dem so ist. Man könnte Mister Handerson dann daran hindern, zu einem Massenmörder zu werden.« Mike Rander wollte gerade antworten, als zwei Lichtfinger durch die Dunkelheit griffen. Gleichzeitig damit war das Geräusch eines Automotors zu hören. »Mister Dolman!« Für Parker stand dies einfach fest. Das heißt, er stand auch so günstig mit seinem 57 �
hochbeinigen Monstrum, daß er wenigstens einen Teil der Garagenauffahrt der Dolmans einsehen konnte. Er wartete, bis der Wagen sie passiert hatte. Dann ließ er sein Monstrum anrollen und nahm die Verfolgung auf. »Er muß uns doch bemerken«, sagte Rander kopfschüttelnd, »halten Sie Dolman für einen Idioten? Wir sind doch der einzige Wagen hinter ihm.« »Gewiß, Sir«, erwiderte Parker, bog plötzlich scharf rechts in eine Nebenstraße ein, fuhr um einen kleinen Häuserblock herum und… kam wieder dort heraus, von wo er die Verfolgung aufgenommen hatte. »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, Parker«, sagte Rander, als er sich von seiner Verblüffung erholt hatte, »ich möchte aber auch nicht hoffen, daß Sie mich auf den Arm nehmen wollen!« * »Dies, Sir, würde ich mir niemals erlauben«, sagte Parker würdevoll und gemessen, »ich habe nur versucht, mich in die Gedankenwelt von Mister Handerson und Mister Dolman zu versetzen.« »Von Handerson?« »Ich neige zu der Annahme, Sir, daß Mister Handerson die Nacht bei der Familie Dolman verbracht bat.«
»Donnerwetter! Das könnte möglich sein, Parker…« »Man sollte dies nachprüfen. Nach unserem Besuch eben wird Mister Dolman damit gerechnet haben, daß Sie und meine Wenigkeit auf sein Wegfahren warten. Schließlich, so mußte er wohl denken, waren ihm ja sehr wichtige Neuigkeiten für Handerson überbracht worden. Diesen Gedankensprung voraussetzend, wollte er Sie und meine Wenigkeit vom Haus weglocken, damit Handerson nun ungestört das suchen kann, was man das Weite nennt.« »Lassen wir uns überraschen!« Sie stiegen aus dem Wagen und gingen durch die Dunkelheit auf das Reihenhaus der Dolmans zu. Parker blieb plötzlich stehen. »Dort parkt ein Wagen, der eben noch nicht vorhanden war«, sagte er und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms nach vorn auf die Straße. »Ich… Ich kann mich leider nicht erinnern.« »Ich glaube sicher sein zu dürfen, Sir… Hoffentlich ist Mrs. Dolman nicht mit einem ungebetenen Besuch beehrt worden. Und mit ihr Mister Handerson.« Rander und Parker wechselten sofort die Annäherungstaktik. Sie mieden ab sofort die Straße, die man immerhin trotz der Dunkelheit unter Sichtkontrolle halten konnte. Sie stiegen in einen der vielen Vor58 �
gärten, wechselten von dort hinüber in die rückwärtigen Gärten und kamen nach Überwindung einiger Trennzäune endlich hinter das Haus der Dolmans. Vorsichtig pirschten sie sich an die kleine Terrasse heran… * »Eine falsche Bewegung, und schon wird’s knallen«, sagte Gonski und richtete die Mündung seiner schallgedämpften Pistole auf Handerson, der wie festgenagelt vor dem Sideboard stand. »Los, schießen Sie doch schon!« Handersons Kiefer mahlten nervös. Er sah den Gangster gereizt an. Handerson war dabei, eine Dummheit au begehen. »Es wird auch knallen, aber nicht hier!« Gonski grinste, »wenn Sie Glück haben, läßt unser Boß mit sich reden. Los, kommen Sie, und immer hübsch jetzt die Hände hinter dem Kopf! Und Sie, Lady, legen sich am besten auf den Boden, Gesicht nach unten!« Hazel Dolman tat, was Gonski ihr befohlen hatte. Wahrscheinlich konnte sie sich nicht vorstellen, daß Gonski auf sie schießen würde. Handerson hingegen ahnte es wohl. Er setzte alles auf eine Karte. »Da!« sagte er plötzlich in Richtung Terrassentür und sprang gleichzeitig Gonski an, der tatsäch-
lich auf Hazel Dolman hatte schießen wollen. Dieser Schuß bohrte sich neben der aufschreienden Hazel Dolman in den Parkettboden, doch der nächste Schuß schon traf Handerson mitten im Ansprung. Wie von einer unsichtbaren Riesenfaust erfaßt, wirbelte Handerson um seine Längsachse, doch er hatte noch soviel Kraft und war so nahe, daß er den nächsten Schuß verhindern konnte. Im Niederfallen trat er nach Gonski, dem die Waffe aus der Hand geschlagen wurde. »Mortimer!« rief Gonski unnötigerweise, denn Mortimer erschien bereits auf der Bildfläche. Auch er war selbstverständlich bewaffnet und mußte draußen in der kleinen Diele Wache gehalten haben. Mortimer wollte schießen. Er hob die Waffe und visierte in Richtung Handerson, der keuchend auf dem Boden lag, während Hazel Dolman sich verwirrt aufrichtete. »Knall sie nieder!«, schrie Gonski und zeigte auf Hazel, die abwehrend die Hände hob. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Nein«, stammelte sie, »nein… Nicht schießen! Bitte, nicht schießen!« Mortimer krümmte den Zeigefinger. *
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»Ich sah mich leider zu diesem Schluß gezwungen«, entschuldigte sich Parker Bruchteile von Sekunden später, »aber mir schien, daß ich diesem Gangster zuvorkommen mußte.« Rander und Parker traten durch die Terrassentür in das Wohnzimmer. Dabei löste die Tür sich in ihre Bestandteile auf, von den Glassplittern ganz zu schweigen. Gonski starrte den Butler wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an. Mit dieser mitternächtlichen Überraschung hatte er ganz sicher nicht gerechnet. Dann kam Leben in ihn. Er warf sich auf seine Waffe, die Handerson ihm aus der Hand getreten hatte. Er wollte sie an sich reißen und Parker niederschießen. Er wollte, doch ein wippender Stockdegen zwischen seinen gespreizten Fingern ließ ihn erstarren. »Hören Sie endlich mit diesen Mätzchen auf«, sagte Rander ernstlich böse, »los, aufstehen, Gonski! Ihr Spiel dürfte jetzt aus sein! Hoffentlich haben Sie das kapiert?« »Ich stelle Ihnen gern eine meiner privaten Handschellen zur Verfügung, Sir!« Parker reichte seinem jungen Herrn die Stahlfessel, die Mike Rander sofort zweckgebunden verwandte. Nach wenigen Augenblicken saß Gonski wehrlos in einem tiefen Sessel. Mortimer, der durch einen geziel-
ten Schuß von Parker entwaffnet worden war, hatte bisher nur mit seiner Wunde zu tun gehabt. Es handelte sich um einen harmlosen Streifschuß auf dem Handrücken. Er wollte nun verrückt spielen und sich auf Rander werfen. Doch der junge Anwalt war um diese Zeit an Kämpfen gleich welcher Art nicht interessiert. Mortimer staunte nicht schlecht, als er nach einer kleinen Luftreise auf den Boden krachte. Und er staunte noch mehr, als der Butler eine zweite Handschelle opferte, die sich dann um seine Handgelenke schloß. Josuah Parker kümmerte sich inzwischen um Handerson, den es sehr böse erwischt hatte. »Die Polizei und den Krankenwagen, wenn ich höflichst bitten darf!« Parker nickte Hazel Dolman zu, die schluchzte, kopflos wirkte, jetzt aber, als man ihr konkrete Wünsche äußerte, sofort reagierte, das Weinen vergaß und schließlich anrief… * »Ihre Zeitung, Bernie!« Leighton, der gerade zu seinem grauen Ford gehen wollte, blieb stehen und lächelte zerstreut. Dann ging er zurück zur Tür des kleinen Store und ließ sich die druckfrische Morgenzeitung geben. »Was machen die Hunde?« fragte der Besitzer des Store, ein überra60 �
schend magerer, krank aussehender Mann von schätzungsweise sechzig Jahren. Er hieß Pete Stillman und handelte mit allem, was nur eben Geld versprach. »Denen geht’s gut wie immer.« Bernie Leighton klemmte sich die Zeitung unter den Arm und setzte sich in seinen Wagen. Da er sich von Stillman beobachtet fühlte, fuhr er sofort los. Erst auf der Abzweigung zu seiner kleinen Farm hielt er den Wagen an und schlug die Zeitung auf. Sein Blick fiel selbstverständlich sofort auf eine große Balkenüberschrift, die sich mit dem Mörder der »grünen Witwen.« beschäftigte. Hastig überflog er den Artikel. Und während er las, spürte er in sich wieder das Hochsteigen jenes heiligen Zorns, der ihn fast ununterbrochen ausfüllte. Es war vor allen Dingen das Foto einer gewissen Mrs. Hazel Dolman, das ihn faszinierte. Er erkannte sie sofort wieder. Sie war das Opfer gewesen, das er gemeint hatte. Doch gerade sie hatte er nicht strafen können, sie, diese schamlose Person, die er so intensiv beobachtet hatte. Und da war das Bild des Opfers. Eine für sein Gefühl uninteressante Frau. Bernie Leighton dachte an die Szene in der Küche, bevor er hatte schießen müssen. Warum hatte sie sich auch derart gewehrt? Sie hatte schließlich ihre verdiente Strafe
bekommen, als sie ihm das Gesicht zerkratzt hatte. Bernie ließ sich von der inneren Erregung überfluten. Mechanisch setzte er seinen Ford in Bewegung und fuhr weiter bis zu seiner Farm. Und während der Fahrt mußte er immer wieder an sein eigentliches Opfer denken, an diese Mrs. Dolman. Durfte sie ungestraft bleiben? Durfte sie weiterhin ihr schamloses Treiben vollführen? Wurde es nicht höchste Zeit, sie zu züchtigen? »Hoffentlich sind Sie mit diesem Artikel zufrieden?« sagte Lieutenant Madford etwa um diese Zeit zu Josuah Parker, der seinem jungen Herrn gerade das Frühstück servierte. »Durchaus und vollkommen, Sir«, gab Parker zurück, »darf ich für Sie noch ein Gedeck auflegen?« »Ich bin zu nervös, um etwas essen zu können, aber gegen eine Tasse Kaffee hätte ich nichts einzuwenden.« »Und ich nichts gegen den schottischen Whisky«, sagte McLean, der wieder schweigsam geworden war, was darauf schließen ließ, das seine Frau zurückgekehrt war. Parker versorgte die beiden Gäste mit den gewünschten Getränken und baute sich dann abwartend schräg hinter seinem jungen Herrn auf. »Falls Parker diesen Witwenmörder richtig einschätzt, müßte dieser 61 �
Mann sich ab sofort um Mrs. Dolman kümmern. Ist es nicht so?« »Parker, entwickeln Sie Ihre, Theorie!« Rander wandte sich halb zu seinem Butler um. »Ich gehe davon aus, Sir, daß wir es mit einem geistesgestörten Täter zu tun haben«, begann Parker in seiner üblichen umständlichen, dafür aber ungemein würdevollen Art, »dieser Mann handelt aus einem Bestrafungskomplex heraus und scheint sich, wie wir ahnen, auf die sogenannten »grünen Witwen« spezialisiert zu haben. Mit anderen Worten, seine Opfer dürften von ihm sehr genau ausgewählt worden sein. Ich möchte unterstellen, daß er sie vielleicht tagelang beobachtet und belauert hatte. Im Falle der Mrs. Dolman hoffe ich nun, daß ich ihn erneut für dieses Opfer interessierten kann. Diesem Zweck sollte der lancierte Artikel dienen, den die Presse so freundlich abzudrucken geneigt war.« »Unterschätzen Sie diesen Mörder nicht?« Madford schüttelte skeptisch den Kopf. »Wenn dieser Mörder normal wäre, wobei ich den Ausdruck normal unter Vorbehalt verwende, wenn wir es also mit einem normalen Menschen zu tun hätten, so würde er mit Sicherheit mißtrauisch werden und sich hüten, noch einmal bei Mrs. Dolmen vorzusprechen. Ich aber gehe davon aus, daß der Mör-
der der »grünen Witwen« geistig krank ist. Das mitabgedruckte Bild von Mrs. Dolman muß ihn entzünden, muß ihn daran erinnern, daß er sein eigentliches Opfer noch nicht gestraft hat!« »Hoffen wir, daß er in die Falle geht!« Madford nahm einen Schluck Kaffee. »Sicherheitshalber lasse ich aber bereits nach Hundezüchtern fahnden. Eine Riesenfahndung, wie Sie sich vorstellen können. Vielleicht können wir diesen Kerl erwischen, bevor er sich an Mrs. Dolman heranmacht.« »Sind Ihre Leute bereits fort?« Rander stand auf und ließ sich vom stets aufmerksamen Parker Feuer für seine Zigarette geben. »Mrs. Dolman und ihren Mann haben wir in einem Motel außerhalb der Stadt untergebracht.«, sagte Madford, »sie werden diskret, aber sehr genau überwacht. Im Hause der Dolmans habe ich ein paar erstklassige Beamte…« »Wie sind Sie eigentlich auf den Hund gekommen?« fragte Sergeant McLean, »ich meine den von dem Mörder?« »Eine Schlußfolgerung, die zu stellen ich mir die Freiheit nahm«, gab der Butler Auskunft, »ich suchte nach dem Schlüssel, mit dem der Mörder sich Zutritt zu Seaman Opfern verschaffte. Es mußte sich in dem oftmals zitierten Weidenkorb irgendein Gegenstand befinden, der 62 �
das Entzücken oder das Mitleid der Opfer zu erregen imstande war. So verfiel ich auf ein kleines unschuldiges Wesen. Ein Kätzchen oder ein kleiner Hund. Die Tatsachen lehrten die Richtigkeit meiner Theorie.« »Darum sind Sie zu beneiden«, meinte Madford etwas sauer, »eigentlich hätten auch wir das herausfinden müssen!« »Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann«, gab der Butler in seiner so überaus bescheidenen Art zurück, »darf man sich nach dem Befinden des Mister Handerson erkundigen?« »Ihm geht’s schlecht, sehr schlecht.«, berichtete Madford und trank seine Tasse leer. »Die Ärzte glauben nicht, daß sie ihn durchbekommen. Die Verletzung ist zu schwer…« »Hat er noch den Schuß auf Partner gestehen können?« wollte Mike Rander wissen. »Den hat er zugegeben«, sagte Madford und nickte, »aber ich nehme an, daß er sich wegen dieser Tat wohl nicht mehr zu verantworten braucht, wenigstens nicht vor einem irdischen Richter!« »Eine schreckliche Verstrickung!« Rander blieb vor dem großen Fenster seines Studios stehen und sah hinüber zum See. »Handerson wollte auf keinen Fall mehr rückfällig werden. Gerade weil er nicht mehr mit seinen alten Bekannten
mitmachen wollte, gerade deswegen wandte er sich ja an Parker. Und daraus wurde schließlich ein Mord!« »Wobei wir nicht vergessen sollten, daß es Levell gewesen ist, der das alles inszeniert hat.«, warf Madford hart ein, »und dafür werde ich Levell noch belangen, darauf können Sie sich verlassen!« »Ich gestatte mir, mich Ihren Worten anzuschließen«, sagte Josuah Parker ohne jedes Pathos, »auch ich bin der bescheidenen Ansicht, daß Levell und seine Mitarbeiter so schnell wie möglich hinter Schloß und Riegel wandern müssen.« »Zwei seiner Leute haben wir ja schon«, warf McLean ein und schielte nach der Whiskyflasche. »Gonski und Mortimer!« Madford nickte zufrieden, »die richten kein Unheil mehr an. Aber vergessen wir nicht Levell und die beiden Gangster Hubert und Stalton. Die sind noch immer gefährlich genug!« * Den Mörder sah man ihm keineswegs an. Bernie Leighton versorgte seine Hunde in den sauberen und geräumigen Zwingern. Er scherzte mit ihnen, kraulte sie und befaßte sich vor allen Dingen mit den kleinen Welpen, die ihn umhechelten. Dennoch war er nicht ganz bei der 63 �
Sache. Da war diese Mrs. Dolman, die ihm einfach nicht aus dem Kopf ging. Wie unter einem fremden Zwang stehend, ging er zurück ins Haus hinter den Zwingern und holte seine Schußwaffe aus dem Küchenschrank. Er steckte sie achtlos in seine Hosentasche und griff nach dem kleinen Korb aus Weidengeflecht. Er hielt ihn nachdenklich in der Hand und stellte ihn schließlich zurück auf den Boden. Die Welpe, die er sonst mitnahm, brauchte er diesmal nicht. Diesmal wollte er sich seinem Opfer nicht auf die übliche Art und Weiss nähern. Der Mörder ging hinaus zu seinem grauen Ford, setzte sich ans Steuer und fuhr langsam los. Sein Ziel war ihm sehr genau bekannt. Und instinktiv spürte er, daß er diesmal sehr vorsichtig und schlau sein mußte… * Es war kurz nach zehn Uhr, als der Mörder die Reihensiedlung erreicht hatte. Er ließ seinen Wagen in einer Parallelstraße stehen, ging zu Fuß durch den verwilderten Garten eines unvermieteten Hauses und stand schon nach wenigen Minuten auf der Terrasse des Dolman-Bunga-
lows. Er befand sich wie in Trance… Der Mörder achtete nicht auf die wenigen Anwohner, die um diese Zeit die Siedlung bevölkerten. Die meisten Ehemänner befanden sich bereits in ihren Büros, die Kinder in den Schulen. Es gab da nur eine handvoll Ehefrauen, die selbst mit sich genug zu tun hatten. Der Mörder konnte ungeniert in den Wohnraum sehen. Die Terrassentür war nur angelehnt, der Vorhang zur Seite geschoben. Gierig, böse und wild starrte der Mörder auf die Gestalt, die dort auf der Couch lag. Mrs. Dolman…! Sie trug ein schulterfreies Nachthemd, hatte sich die Haare aufgebunden und eine leichte Decke über die Körpermitte geschoben. So hilflos hatte sich ihm noch nie ein Opfer dargeboten. Bernie Leighton dachte an seine Frau… Wie hatte sie ihn doch betrogen, dieses unschuldige Engelsgesicht! Wie oft hatte sie ihn hintergangen, als er damals noch in der Stadt gearbeitet hatte! Wie glücklich war sie gewesen, als er ihr das Reihenhaus in der Vorstadtsiedlung gekauft hatte. Und wie dankbar hatte sie sich erwiesen. So dankbar, daß sie ihm am laufenden Band Hörner aufgesetzt hatte. 64 �
Bernie Leighton dachte an den Tag, als er sie umgebracht hatte. Und daran, daß er es sich dann zur Lebensaufgabe gemacht hatte, Frauen wie sie zu bestrafen. Vorsichtig schob er die Terrassentür auf. Er griff in die Innentasche seines Rocks und holte die dünne geflochtene Hundeleine hervor, jene Leine, mit der er damals seine Frau erdrosselt hatte. Auf leisen Sohlen pirschte er sich an die Couch heran. Seine Augen glühten, sein Mund hatte sich weit geöffnet. Stoßweise ging sein Atem. Ein seltsames Glücksgefühl, eine Art Befriedigung durchpulste seine Adern. Am liebsten hätte er laut aufgeschrien. Er hob die Arme mit der Hundeleine und schlang dann blitzschnell das Mordinstrument um den Hals seines Opfers, das plötzlich mit lautem Knall zerbarst und sich in Nichts auflöste! * »Setzen Sie sich!« sagte Parker und betrat das Wohnzimmer des Bungalows, »setzen Sie sich, ich möchte mit Ihnen sprechen!« Bernie Leighton wollte nach seiner Schußwaffe greifen, doch seine Hand war wie gelähmt. Immer wieder sah er fassungslos auf die Couch hinunter, auf der nichts mehr von
einer Frau zu sehen war. Er begriff, einfach nicht, daß er es mit einer Gummipuppe zu tun gehabt hatte, die der Butler dort bewußt placiert hatte. »Warum hören Sie nicht endlich auf, diese harten Strafen zu verteilen?« fragte Parker ruhig und gemessen, »Sie sollten sich jetzt Ruhe gönnen!« »Das geht nicht!« Bernie Leighton setzte sich und sah den Butler fasziniert und erstaunlich ruhig an. Tat es ihm gut, sich einmal richtig aussprechen zu können? »Wann wollen Sie denn mit Ihren Bestrafungen aufhören?« fragte Parker. »Nie!« erwiderte Bernie Leighton, »ich darf nicht! Und es gibt noch so viele Frauen, die gezüchtigt werden müssen… Ich darf nicht aufhören, ich weiß es genau.« »Sie hassen Frauen?« »Nur eine gewisse Sorte! Und die muß ich ausrotten. Mit Stumpf und Stiel…« »Wollen Sie den Frauen denn nicht helfen?« »Das tue ich doch«, wunderte sich Bernie Leighton, »ich bringe sie ja um, damit sie endlich ihre Ruhe haben!« Parker wußte längst Bescheid. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Er hatte es mit einem bedauernswerten Menschen zu tun, dessen Geist total verwirrt war. Eine Diskussion um 65 �
Recht oder Unrecht wäre sinnlos gewesen. Diese Begriffe hätten den Mann nie erreicht. »Kommen Sie«, sagte er überraschend milde, »kommen Sie! Über diesen Punkt müssen wir uns noch sehr ausführlich unterhalten. Ich möchte Ihnen gern meine Erfahrungen mitteilen.« »Und sie hier?« Bernie Leighton erinnerte sich plötzlich an sein Opfer, das sich in Luft aufgelöst hatte, »was ist mit ihr? Ich muß sie erst noch bestrafen!« »Ich weiß, wo sie ist…« »Wirklich?« »Mein Wort! Kommen Sie, Sie werden sie sehen, wenn Sie nur wollen!« Bernie Leighton war zufrieden. Überraschend ruhig ging er mit Josuah Parker hinüber in die Diele, in der zwei von Madfords Beamten, warteten, die selbstverständlich Zivil trugen. »Diese Herren werden Sie jetzt zu Mrs. Dolman bringen«, sagte Parker. »Und was wird aus meinen Hunden?« Bernie Leighton sah den Butler plötzlich mißtrauisch an. »Um die wird man sich kümmern. Ich müßte nur wissen, wo ich sie finden kann.« Bernie Leighton nannte die Adresse seiner Farm. Dann ließ er sich friedlich hinaus zum Wagen bringen. Josuah Parker ging zurück ins Wohnzimmer und rief seinen jungen
Herrn an. »Der Fall des Mörders der ›grünen Witwen‹ wäre gelöst.«, berichtete er, »bleibt noch der Fall Mister Levell und Partner… Ich möchte glauben und hoffen, Sir, daß ich schon recht bald mit einer weiteren Erfolgsmeldung dienen kann.« * Mike Rander verließ die Handelsbank und ging hinunter zu seinem Wagen. Als er einsteigen wollte, erschienen zwei Männer neben der Tür, die er noch nicht ganz geschlossen hatte. »Nicht nervös werden«, sagte Hubert, der kleine, drahtige Gangster und ließ den jungen Anwalt in die Mündung seines 38ers gucken, »wir wollen uns nur zu ‘ner kleinen Spazierfahrt einladen!« Stalton hatte sich nach hinten gesetzt und nickte Hubert zu, der inzwischen neben Rander saß. »Fahren Sie los, wir sagen Ihnen schon, wo und wann Sie abbiegen müssen.« Hubert machte es sich bequem, steckte die Schußwaffe jedoch nicht weg. »Gibt Levell immer noch nicht auf?« fragte Rander, der genau wußte, wer sich da zu der geplanten Spazierfahrt eingeladen hatte. »Levell steckt nie auf«, meinte Hubert lächelnd, »ich glaube, Sie haben unseren Boß unterschätzt.« 66 �
»Überschätzen Sie ihn nicht vielleicht?« »Wieso?« fragte Stalton vom Rücksitz her. »Ich glaube, daß das Syndikat ihn fallen lassen wird wie eine heiße Kartoffel!« »Das ist nicht unser Bier, Rander. Wir finden immer einen Job…« »Wollen Sie ab sofort direkt für das Syndikat arbeiten?« »Jetzt werden Sie aber verdammt neugierig, Rander. Wir wollen erst mal Ihren komischen Butler einkassieren. Und das Kopfgeld – fünftausend Dollar – Leicht verdientes Geld!« »So glaubt eben jeder an seinen ganz persönlichen Irrtum!« »Was soll das heißen?« Hubert wollte es genau wissen. »Leute wie Sie braucht das Syndikat nicht. Haben Sie noch nie daran gedacht?« »Spielen Sie sich bloß nicht auf, sonst ziehe ich Ihnen mit meiner Kanone ‘nen Scheitel!« Stalton wurde ärgerlich. »Das Syndikat braucht höchstens ein paar Spezialisten für die Dreckarbeit. Und die hat es bereits… Sie und Ihr Partner sind doch nur Ballast. Wie Level! Wetten, daß er nicht mehr lange leben wird?« »Sie schlagen da aber ganz nette Töne an!« Hubert schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. »Mal sehen, ob Sie gleich auch noch reden werden.
Haben Sie wenigstens ‘ne Vorstellung, Sie kluges Kind, wohin man Sie bringt?« »Ich lasse mich überraschen.« »In die Lackiererei von Levell!« »Wird man mich gerade dort nicht sofort suchen?« »Eben!« sagte Stalton nur, »und nun sagen Sie noch mal, daß unser Boß ‘ne Flasche ist!« * Es lag an Parkers Bemühen, Levell so schnell wie möglich zu finden. Nur aus diesem Grund fuhr er vom Bungalow der Dolmans sofort in Richtung Lackiererei. Natürlich erwartete er nicht Levell dort anzutreffen. Der Gangsterboß hatte sich inzwischen wohl längst eine neue, sichere Unterkunft besorgt. Parker wollte sich nur mit Angestellten der Lackiererei unterhalten. Und etwas im Büro umsehen. Dort hoffte er gewisse Spuren finden zu können. Wie es seiner Art entsprach, fuhr er mit der größten Selbstverständlichkeit in den Vorhof, stieg aus und begab sich hinüber zum Glasverschlag der Arbeitsannahme. »Auf Sie haben wir gerade gewartet.«, sagte eine ihm nicht ganz unbekannte Stimme. »Mister Hubert, wenn mich nicht alles täuscht, ja?« Parker übersah die Schußwaffe in Huberts Hand souve67 �
rän. Er lüftete höflich grüßend seine Melone. »Soviel Dusseligkeit gibt’s ja gar nicht.«, freute sich Hubert, »los, kommen Sie ‘rein, Parker! Ihr Chef ist auch schon da! So schnell möchte ich mal wieder Geld verdienen!« Im Korridor tauchte Stalton auf. Er trug selbstverständlich ebenfalls eine Waffe mit sich herum. Und ebenso selbstverständlich war es, daß die Mündung dieser Waffe auf den Butler gerichtet war. »Mister Stalton, nicht wahr?« Parkers Gruß fiel nicht weniger höflich aus. »Wir sind ganz unter uns«, Hubert und Stalton bugsierten den Butler in die Werkstatt, in der neue Wagen spritzfertig gemacht worden waren. Angestellte waren sonst nicht zu sehen. »Die haben zwei freie Tage bekommen«, meinte Hubert, der Parkers erstaunten Blick wahrgenommen hatte, »hoffentlich stört Sie das nicht, Parker.« »Sie werden, oder besser gesagt, Sie möchten Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit umbringen?« »Was dagegen?« Stalton grinste. »In der Tat!« Parker schüttelte leicht vorwurfsvoll den Kopf, »ich könnte gute Gründe dagegen anführen.« Sie drückten den Butler gegen eine der Spritzboxwände und bauten sich
vor ihm auf. »Diesmal ist nichts mit faulen Tricks«, behauptete Hubert, »Mike, hol’ diesen Anwalt!« »Laß’ dich bloß nicht ‘reinlegen!« warnte Stalton, bevor er auf eine Kellertreppe zuging. »Ich doch nicht.«, wehrte Hubert lächelnd ab, »ich bin doch kein Anfänger!« »Sind Sie sicher?« fragte Parker und lächelte höflich. »Wieso?« Hubert wurde prompt nervös. »Haben Sie denn nicht gewußt, daß die Lackiererei überwacht wird?« »Überwacht!?« Huberts Nervosität Steigerte sich. »Lieutenant Madford«, sagte Parker in einem ausgesprochenen Konversationston an Hubert vorbei, »würden Sie diese peinliche Situation bitte beenden!« Hubert konnte nicht anders, er mußte sich halb umwenden. Er mußte einfach wissen, ob nicht irgend jemand hinter ihm stand. Und er stöhnte auf, als der bleigefütterte Bambusgriff des UniversalRegenschirms gegen seine Stirn pochte. »Beschämend«, stellte der Butler fest, »und mit diesen Nerven wollten Sie für das Syndikat arbeiten?« Statt einer Antwort peitschte von der Nebentür her ein Schuß auf, der den Butler nur um ein Haar ver68 �
fehlte… � * Parker verschwand sofort in einer der Spritzboxen und ging erst einmal in Deckung. »Hubert… Hierher… Zu mir!« Das war Levells Stimme. Der Gangsterboß, wahrscheinlich alarmiert von seinen beiden Mitarbeitern, hatte nicht widerstehen können. Er hatte sich den Doppelmord aus nächster Nähe ansehen wollen. Hubert, knapp vor der Box, wollte schleunigst aus Parkers Reichweite verschwinden. Der Bambusgriff züngelte wie eine Kobra hinter der Trennwand hervor. Er hakte sich in den Hals des Gangsters und zerrte den ängstlich aufschreienden Gangster zurück in die Box. »Hilfe!« schrie Hubert. Level! antwortete nicht. Nun mußte es sich entscheiden, ob er blieb oder flüchtete. Er entschied sich für den Kampf. Er wollte endlich mit Rander und Parker Schluß machen. Level pirschte sich von Wagen zu Wagen, arbeitete sich immer näher an die Spritzbox heran und… fuhr plötzlich entsetzt zurück. Lack sprühte ihm aus einer Spritzpistole entgegen und färbte sein Gesicht. »Granadarot!« konstatierte der Butler in seiner höflichen Art,
»darf es vielleicht noch etwas Taubenblau sein?« Bevor Levell sich für diese neue Farbe entscheiden konnte, sprühte der Butler ihn bereits an. Levell, dem jede Sicht genommen war, taumelte zurück, stolperte über ein am Boden liegendes Reserverad und knallte im Niederfallen mit dem Kopf gegen einen Kotflügel, der saharagelb gespritzt war. Diese Farbe gesellte sich den beiden ersten Farbtönen zu, was eine durchaus apart zu nennende Mischung ergab. Hubert nutzte die Gunst der Sekunde. Er wollte sich vorsichtig wegstehlen und sein Heil in der Flucht suchen. Er kam nicht weit… »Resedagrün!« verkündete der Butler, bevor er dem Gangster den Topf mit der angesprochenen Farbe über den Kopf stülpte. Hubert geriet in konvulsivische Zuckungen und durfte von Glück sagen, daß der Butler ihm den Farbtopf wieder vom Kopf zog. »Verhalten Sie sich vollkommen ruhig, dann wird Ihnen geholfen werden«, sagte Parker. Er hatte eine Rolle Klebeband in der Hand, mit der die Abdeckungen an den Wagenfenstern vor dem Lackieren befestigt wurden. Innerhalb von zwanzig Sekunden war Hubert nur noch ein hilfloses Bündel. Das Klebeband schnürte ihn 69 �
vollkommen ein. Er legte sich neben Levell, der gerade wieder zu sich kam und an ein Farbmuster erinnerte. Parker benutzte den Rest der Rolle, um auch Levell in eine Art Mumie zu verwandeln. Dann kontrollierte er, ob Gilbert auch noch richtig zu atmen vermochte. »Akute Gefahr besteht auf keinen Fall«, tröstete Parker den Gangster. »Sie werden verstehen, daß ich mich jetzt erst einmal um Mister Rander kümmern muß!« * Stalton stand steif und starr wie eine Bildsäule vor einem Wandbrett. Er starrte auf den jungen Anwalt, der sich ebenfalls mit einer Pistole bewaffnet hatte. Es handelte sich jedoch um eine Spritzpistole, deren Farbstoff ockerähnlich war. Mit dieser Farbe bespritzte Rander den zweiten Gangster, sobald er auch nur den Versuch machte, sich zu rühren. »Ihnen passiert überhaupt nichts«, sagte Rander, »aber wenn Sie verrückt spielen, Stalton, dann geht’s ins Gesicht! Und die Farbe, die werden Sie in den nächsten vierzehn Tagen bestimmt nicht mehr los!« »Ich möchte keineswegs stören«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »mir geht es nur darum zu vermelden, daß die
Herren Levell und Hubert bereits verpackt sind. Falls Sie einverstanden sind, Sir, könnte man das Feld räumen.« Stalton stolperte hinauf in die Werkstatt und wurde von Parker in eine dritte Mumie verwandelt. Während Mike Rander Lieutenant Madford verständigte, sorgte Parker in seiner menschlichen Art dafür, daß wenigstens die Augen, Nasen und Münder der Gangster vom Lack befreit wurden. »Noch kann ich meinen jungen Herrn zurückrufen und verhindern, daß die Polizei informiert wird«, sagte Parker, »dafür müßte ich daran aber einem gewissen Mister Grandner Nachricht darüber zukommen lassen, daß es hier zu ausgesprochenen Mißergebnissen und Pannen gekommen ist.« »Grandner?« Levell sah den Butler groß an und schluckte. »Den Filialleiter des Syndikats«, sagte Parker wie selbstverständlich, »glauben Sie mir, auch seine Tage werden bald gezählt sein. Nun, wie haben Sie sich entschieden?« »Rufen… Rufen Sie lieber die Polizei«, entschied sich Levell hastig. »Sie wissen, was das bedeutet?« »Ja!« »Man wird Sie und Ihre Mitarbeiter wegen verschiedener Delikte unter Anklage stellen. Die Herren Gonski und Mortimer werden gegen Sie aussagen. Sie werden also mit 70 �
empfindlichen Haftstrafen rechnen müssen.« »Warum erzählen Sie mir das alles. Parker?« Levell war wütend. »Weil ich Sie warnen möchte, Mister Levell. Sollten Sie sich doch für Mister Grandner entscheiden, so warten erheblich andere Dinge auf Sie… Unfähigkeit verzeiht das Syndikat niemals!« »Die Polizei!« schrie Levell, der mit den Nerven am Ende war. »Rufen Sie sie schon! Sie wissen doch, daß ich fertig bin! Aber das sage ich Ihnen, Parker, ich werde ja auch mal wieder ‘rauskommen. Dann sind Sie dran! Dann werde ich solange hinter Ihnen her sein, bis ich Sie erwischt habe!« »Sollten Sie diesen Schwur vergessen, werde ich Sie zur richtigen Zeit daran erinnern«, versprach Josuah Parker seinerseits. Er sah hoch, als Mike Rander zurückkehrte und nickte. »Sie müssen gleich da sein«, sagte Rander und zündete sich eine Zigarette an. »Ich fürchte«, bemerkte Parker, »ich werde mir eine neue Kopfbedeckung zulegen müssen, Sir. Sie hat etwas von den diversen Farbmischungen abgekriegt!« »Na, wenn das Ihre einzige Sorge ist!?« Rander grinste, »ich bin heilfroh, daß wir es mal wieder überstanden haben, Parker. Aber das sage ich Ihnen, gleich, noch einmal
werden Sie mich nicht in einen Fall hineinziehen. Langsam ist mein Bedarf in dieser Hinsicht gedeckt!« * »Alles wie geplant verlaufen«, berichtete Lieutenant Madford zwei Tage später in Mike Randers Studio, »Levell und seine vier Mitarbeiter legten Geständnisse am laufenden Band ab. Die reichen, um sie für Jahre hinter Schloß und Riegel zu bringen.« »Sie haben die Erpressung Handersons zugegeben?« fragte Rander. »Auch die… aber sie haben auch die Mordversuche an Ihnen und Parker gestanden. Was wollen wir mehr!?« »Die Angst vor Grandner muß enorm sein, Sir«, stellte Parker zufrieden fest, »Meiner bescheidenen Ansicht nach müßte man sich mit diesem Mann einmal gründlich befassen.« »Wollen Sie der Hydra die Köpfe abschlagen?« Madfords Stimme klang resignierend. »Die ganze Hydra sprengen«, sagte McLean, der sich bisher schweigend verhalten hatte. »Sehr gut und sehr richtig«, stellte der Butler fest, »dies dürfte die einzige Methode sein, im übertragenen Sinne selbstverständlich.« »Sag’ ich doch«, meinte McLean, »aber kann ich mal erfahren, was 71 �
eigentlich ‘ne Hydra ist?« Madford stöhnte. »Mann, McLean«, sagte er dann strafend, »Sie sollten mal was für Ihre Bildung tun, verstehen Sie… Hydra… Also das ist… Ich will mal sagen… Wenn Sie sich also vorstellen, daß es so was wie’n Fabeltier ist, das… Also, das Biest hat ‘ne Menge Köpfe…« »‘ne Seeschlange wie aus ‘m Loch Ness, Chef?« McLean war stolz auf seinen Geistesblitz. Rander grinste, Josuah Parkers Gesicht blieb unbeweglich. Dafür aber stöhnte Madford und hätte um ein Haar sein Haupt verhüllt. »Okay, von mir aus ‘ne Seeschlange«, sagte er dann ergeben, »lassen Sie sich einen Whisky geben und halten Sie endlich den Mund!« »Schottischen«, rief McLean in Richtung Parker, der den Drink vorbereiten wollte. »Ob Hydra oder nicht.«, sagte Rander in einem endgültigen Ton, »ob Grandner oder irgendein anderer Gangster… Mich geht das alles nichts an! Mich interessiert das nicht!«
»Sind Sie sicher?« fragte Madford spöttisch, der nur zu gut wußte, daß Parker es immer wieder verstand, seinen jungen Herrn in neue Kriminalfälle hineinzuziehen. »Vollkommen sicher! Mich interessiert kein Fall mehr!« »Auch nicht die Affäre mit den Dollargirls?« Parker kam mit einem Tablett zurück, auf dem drei gefüllte Whiskygläser standen. »Dollargirls?« Madford stutzte. »Dollargirls?« Mike Randers Augen wurden kreisrund. »Dollargirls«, wiederholte der Butler noch einmal, »wenn Sie erlauben, werde ich rechtzeitig darüber berichten. Im Moment befasse ich mich noch mit gewissen Vorstudien…« Rander stellte sein Glas ab und ging schnell zur Tür. »Was ist denn los, Rander? Wohin so plötzlich?« Madford wußte nicht, was er von Randers Verhalten denken sollte. »Ich verreise«, erwiderte Rander trocken von der Tür her, »irgendwo auf der Welt muß es doch noch ein Fleckchen Erde geben, wo Parker mich nicht erreichen kann!«
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