Butler Parker Nr. 195
Günter Dönges
PARKER und die ›Falsch-Gardisten‹
2
Josuah Parker war bestrebt, unter Wahrung ...
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Butler Parker Nr. 195
Günter Dönges
PARKER und die ›Falsch-Gardisten‹
2
Josuah Parker war bestrebt, unter Wahrung der Höflichkeit sich einiger aufdringlicher Schweizer Gardisten zu erwehren, die ihrerseits versuchten, ihn aufzuspießen. Der Butler hatte sich einer Hellebarde bemächtigt und zähmte die Attacken seiner Gegner, die mit solchem Widerstand nicht gerechnet hatten. In den Künsten des fernöstlichen Kendo erfahren, blockte Parker die Hellebarden scheinbar spielerisch leicht ab und fand immer noch Zeit, gezielte Hiebe auszuteilen. Es war eine geradezu groteske Szene, die sich den vielen Besuchern auf dem Petersplatz bot. Vor der Kulisse des ehrwürdigen Domes mühten sich Schweizer Gardisten, einen superkorrekt gekleideten Butler in einen Kastenlieferwagen der Marke Fiat zu drängen, doch sie hatten nicht die geringste Chance, es auch zu schaffen. Parker war einfach zu gut, wie immer deutlicher zu erkennen war. Rom hatte seine Sensation!
Die Hauptpersonen: Maud Crillborn braucht schleunigst einen Entlastungszeugen. Antonia Navona dient mit Hinweisen, und spielt mit dem Feuer. Carlo Gambassi bezeichnet sich auch als Schrittsteller. Marco Bergamo entpuppt sich nicht nur als Edel-Komparse. Lome Rockland sucht nach einer Drogenladung. Walt Linwood ist ebenfalls hinter verschwundenen Drogen her. Giovanni Pisani schnupft Koks und stapelt tief. Lady Simpson schockiert einen römischen Justizbeamten. Butler Parker duelliert sich mit einem Schweizer Gardisten. Gerade verformte sich der mittelalterliche Helm eines Mannes und rutschte über seine Ohren. Daraufhin sah er nichts mehr und stieß einen quiekenden Laut des Entsetzens aus. Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, um die vierzig, etwas über mittelgroß, schlank und sportlich aussehend, genoß die Feinheiten
dieser Auseinandersetzung und rauchte dazu eine Zigarette. Mike Rander wirkte gerade jetzt ein wenig blasiert und desinteressiert, in Wirklichkeit aber war er bereit, Parker beizustehen, falls die Lage es erforderte. Er war zusammen mit dem Butler nach Rom gekommen, um als Anwalt tätig zu werden. Eine briti3
sche Staatsbürgerin war von den italienischen Behörden in Haft genommen worden. Man warf ihr vor, mit ihrer Jacht Haschisch und Heroin transportiert zu haben, ein Vorwurf, den die junge Dame bisher hartnäckig von sich gewiesen hatte. Josuah Parker, der sich bisher nur höflich verteidigt hatte, ging inzwischen zum Angriff über. Er wollte den peinlichen Auftritt so schnell wie möglich beenden. Das hier entsprach nämlich keineswegs seinem ausgeprägten Stilgefühl. Immerhin befand man sich in Sichtweite jener Baulichkeiten, in denen der Papst wohnte. Zudem wurde die Menge der Zuschauer immer größer. Diese Menschen aus aller Herren Länder fragten sich verständlicherweise zu Recht, warum und wieso die Schweizer Gardisten sich um ihr Opfer mühten. Diese mußten, was ihre Tracht betraf, direkt aus dem Vatikan gekommen sein. Um Rowdies konnte es sich unmöglich handeln. Mike Rander schaute weiter zu und nickte anerkennend, als Butler Parker bereits den dritten der insgesamt sechs Schweizer Gardisten außer Gefecht setzte. Der bewußte Mann kollerte mitsamt seiner Rüstung und Hellebarde in Richtung Kastenwagen und blieb hier leicht benommen liegen. Josuah Parker befaßte sich mit dem vierten Gegner, der bereits ner-
vös zurückwich. Dieser Mann hatte ebenfalls noch keinen einzigen Treffer gelandet. Als Parker auch ihm den Helm über die Ohren trieb, ergriff der Gardist die Flucht. Genau in diesem Moment entdeckte Mike Rander einen gut gekleideten Mann. Er trug einen dunklen Anzug und sah keineswegs aus wie ein sogenannter Mann der Straße. Dieser Beobachter hob die rechte Hand und winkte den verbliebenen Gardisten mit einer entschiedenen Geste zu. Daraufhin setzten sich die beiden restlichen Männer ab und rannten zu ihrem Transportwagen. Der Butler holte mit der Hellebarde weit aus und benutzte sie als Speer. Das schwere Kampfgerät zischte förmlich durch die Luft, beschrieb eine Parabel und landete mit der Spitze im dünnen Blech des Wagenaufbaus. Die Hellebarde blieb in dem Kastenaufbau stecken. Daraufhin entwickelten sämtliche Schweizer Gardisten eine erstaunliche Schnelligkeit. Sie drängten sich, vom Fahrer mal abgesehen, in den Kastenaufbau und zogen die Tür hinter sich zu. Butler Parker hob seinen altväterlich gebundenen Regenschirm auf und legte den Bambusgriff über den angewinkelten linken Unterarm. Er wischte sich mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand einige unsichtbare Stäubchen von 4
seinem schwarzen Zweireiher und schaute dem davonjagenden Wagen nach. Die neugierige Menge schien inzwischen bemerkt zu haben, daß diese Gardisten keineswegs zum Personal des Vatikans gehörten. Sie würdigte jetzt spontan die Kunst des Mannes, der sich hier mit Grazie, Kraft und Können der plumpen Angriffe erwehrt hatte. Aus der Irritation wurde überschäumende Begeisterung. Josuah Parker deutete eine knapp, überaus höfliche Verbeugung an, prüfte den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und schritt gemessen von dannen. Anwalt Mike Rander war schon nicht mehr zu sehen. Er hatte sich an die Fersen des eleganten Mannes geheftet, auf dessen Wink hin die angeblichen Schweizer Gardisten sich abgesetzt hatten.
schiff verlassen müssen. Er nahm sich vor, diesen Besuch bei passender Gelegenheit nachzuholen. Zudem gestand er sich ein, daß er im Augenblick nicht so recht in Stimmung war, dieses einmalige Bauwerk gebührend zu betrachten. Selbstverständlich beschäftigte er sich mit dem peinlichen Zwischenfall vor der Kirche. Er fragte sich, wer die sechs falschen Schweizer Gardisten auf ihn angesetzt hatte. Aus welchem Grund hatte man ihn entführen wollen? Stand dieser Überfall im Zusammenhang mit dem Fall den Anwalt Rander übernommen hatte? Oder sollte ihm hier wieder mal eine Rechnung der allmächtigen Mafia präsentiert werden? Parkers Verhältnis zu der weltweiten Organisation war gestört. Er hatte sie in jüngster Zeit mehrfach lächerlich gemacht und ihr einige gezielte Niederlagen beigebracht. Parker konnte sich vorstellen, daß man ihn auf die sogenannte schwarze Liste gesetzt hatte. Ihm war weiterhin klar, daß sämtliche Filialen der Mafia angewiesen worden waren, sich mit ihm zu befassen. Der spektakuläre Auftritt der sechs Schweizer Gardisten erschien nur auf den ersten Blick absurd. Tatsächlich aber zeugte dieser showartige Effekt von taktischem Geschick: Wer würde der Mafia schon unterstellen, mit solchen Methoden zu arbeiten?
* Der Butler hatte sich in den Dom begeben und war hier sicher vor weiteren Begeisterungsstürmen und möglichen Autogrammwünschen. Er mischte sich unter die Zuschauer in einem Seitenschiff und schüttelte die letzten Bewunderer ab. Zu seinem Leidwesen konnte er es sich nicht leisten, Berninis wundervollen Baldachin zu betrachten. Dazu hätte er nämlich das Seiten5
Diese Methoden gehörten doch in ein bestimmtes Schema. Die Mafia arbeitete heimtückisch und möglichst geräuschlos. Sie war an Schlagzeilen nicht interessiert. So und ähnlich war die Meinung der Öffentlichkeit. Wie raffiniert und erfinderisch diese internationale Gangsterorganisation in Wirklichkeit vorging, wußte Parker nur zu gut. Die Zeiten waren längst vorbei, als man, wie zum Beispiel während der Prohibition, in den Staaten, Machtkämpfe mit der Maschinenpistole allein austrug. Josuah Parker wurde auf einen Jungen aufmerksam, der ihn eindeutig beobachtete. Dieser recht ordentlich gekleidete, etwa Fünfzehnjährige trug einen Brief in der linken Hand und kam zögernd in Parkers Nähe. »Ist dieser Brief für mich bestimmt?« fragte Parker. Sein Italienisch war perfekt. »Nur, wenn Sie ein englischer Butler sind und Parker heißen«, erwiderte der Junge. »Und wenn ich eine Pfundnote bekomme.« »Hier wäre die Pfundnote.« Parker reichte dem aufgeweckten Burschen die gewünschte Banknote. »Ich hätte noch eine zweite Pfundnote.« »Dafür soll ich sagen, von wem ich den Brief hab, wie?« »Der Name interessiert nicht, junger Freund«, erwiderte Parker
freundlich. »Ich traue dir aber eine gute Personenbeschreibung zu.« »Das ist ein Pater gewesen?« »Und wie sah er aus?« »Wie ein falscher Pater.« Der aufgeweckte, junge Römer lächelte abfällig. »Krieg’ ich wirklich auch noch die andere Pfundnote?« Parker reichte sie ihm. »Der Kerl war schwer wie ein fetter Preisboxer«, beschrieb der Fünfzehnjährige den Absender des Briefes. »Und er hat eine Warze am linken Auge.« »Sehr gut beobachtet, mein junger Freund.« Butler Parker nickte anerkennend. Er spürte, daß, der Junge nicht log. »Und er fährt einen Lancia«, erzählte der Informant weiter, um anschließend auch noch das Kennzeichen des Wagens zu nennen. »Ich möchte sagen, daß auch eine dritte Pfundnote noch durchaus angebracht ist.« Parker reichte dem jungen Römer die weitere Belohnung. »Du hast eine sehr gute Beobachtungsgabe, du solltest später mal zur Polizei gehen.« »Bin ich verrückt?« Der kecke Römer sah den Butler fast empört an. »Bei der schlechten Bezahlung!? Nee, ich spare für einen Souvenirladen.« »Eine gute Idee, mein junger Freund.« »Immer Saison«, redete Parkers Zeuge weiter. Er deutete in die Tiefe 6
des Petersdoms und meinte eindeutig die große Zahl der andächtigen Besucher. »Das hier bleibt, da weiß man, was man hat.« »Eine gute Überlegung.« Parker lächelte und reichte dem Jungen seine Visitenkarte. »Verwahre sie gut, mein Freund, und schreibe mir, wenn du ein paar Jahre älter geworden bist!« »Und warum soll ich schreiben?« Der junge Römer wurde wachsam und hellhörig. »Vielleicht werden sich zur gegebenen Zeit einige weitere Banknoten finden«, gab Parker zurück. »Während der nächsten Tage erreichst du mich in der Via Veneto.« Während Parker dies sagte, reichte er dem aufgeweckten Junge noch zusätzlich eine schmale Karte, auf der der Name des Hotels stand. »Sie glauben, daß ich den fetten Pseudo-Pater noch mal sehe?« fragte der Junge. »Das Leben liebt die Überraschung, mein junger Freund.« Parker lächelte. »Und Vorsicht ist ein Teil der Intelligenz.« »Kapiert.« Der Junge grinste und winkte dem Butler noch mal zu, bevor er in der Schar von Besuchern verschwand, die sich das weihevolle Innere des Domes ansehen wollten. Parker wunderte sich kaum, wie geschickt und geschmeidig dieser Junge untertauchte. Er steckte den
Brief in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und verließ den Dom. Er hatte es überhaupt nicht eilig, ins Hotel zurückzukehren oder gar den Brief zu lesen. Er ahnte ohnehin, was man ihm mitteilen wollte. * »Sie haben den Brief noch nicht geöffnet.« wunderte sich Anwalt Mike Rander. Parker war in das Hotel an der Via Veneto zurückgekehrt und hatte den Umschlag gerade weitergereicht. »Der Inhalt dieses Schreibens dürfte eine Warnung und Drohung zugleich sein, Sir.« »Lassen wir uns mal überraschen«, antwortete der Anwalt und öffnete den Umschlag, zog einen Briefbogen hervor und überlas die handschriftlichen Zeilen. Dann sah er hoch und schüttelte den Kopf. »Weder Warnung noch Drohung«, sagte er. »Hier bietet sich eine Zeugin an, die für unsere Mandantin positiv aussagen will.« »Ein umständlicher Weg, Sir, wenn ich das so sagen darf, um sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.« »Sie denken an diesen Mönch, von dem der Junge erzählt hat, nicht wahr?« »In der Tat, Sir! Dieser fette Mann mußte schließlich damit rechnen, daß der erwähnte Junge eine 7
Beschreibung seiner Person lieferte.« »Man will uns neugierig machen, wie?« Mike Rander hielt sehr viel von der Erfahrung des Butlers. In früheren Zeiten hatten sie eng zusammengearbeitet, bis Mike Rander einige Jahre in die Staaten gegangen war, um dort als Anwalt für britische Firmen tätig zu sein. Nach seiner Rückkehr war Rander von einer gewissen Lady Agatha Simpson total vereinnahmt worden. Mit ihrem unwiderstehlichen Charme hatte sie den Anwalt überredet, ihre Interessen als Vermögensverwalter wahrzunehmen. Seit dieser Zeit arbeitete Josuah Parker zu seiner ehrlichen Freude noch zusätzlich für Mike Rander. Aus diesem Grund war er zusammen mit dem Anwalt nach Rom geflogen, denn die inhaftierte und beschuldigte Britin gehörte zum weitläufigen Bekanntenkreis der Lady Simpson. Der Butler hatte die Frage des Anwalts gehört und nickte andeutungsweise. »Der Absender des Briefes, Sir, weiß sehr wohl, daß Sie mit einer Falle rechnen«, antwortete er dann. »Dieser Unbekannte spekuliert jedoch eindeutig auf Ihre Neugier, wenn ich es so hart sagen darf. Er geht davon aus, daß das Entlastungsmaterial für Miß Crillborn noch immer gleich Null ist. Er kann also fest damit rechnen, daß Sie, Sir,
nach jedem sprichwörtlichen Strohhalm greifen werden.« »Stimmt, Parker. Ich soll eine bestimmte Nummer anrufen. Und ich werde es natürlich tun!« »Darf ich die Verbindung herstellen, Sir?« Butler Parker warf einen Blick auf das Schreiben, das Mike Rander ihm gereicht hatte. Dann ging er hinüber zum Wandtisch, auf dem ein Telefonapparat stand. Er wählte die Nummer und brauchte nur wenige Sekunden zu warten, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Eine Frau meldete sich mit dem Namen Antonia Navona. »Ich gestatte mir, im Namen Mr. Randers anzurufen«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art. »Mr. Rander würde unter Umständen Kontakt mit Ihnen aufnehmen, Madam.« »Kontakt allein reicht mir nicht«, erwiderte die Frau, die sich als Antonia Navona vorgestellt hatte. Ihre Stimme klang ein wenig ordinär und schrill in Parkers Ohren. »Ich will Bargeld sehen, ist das klar, und nicht zu knapp!« »Ihr Englisch ist ausgezeichnet«, stellte Parker höflich fest. »Hoffentlich werden es auch Ihre Informationen sein, Madam.« »Ich kann Ihnen ein paar heiße Tips liefern, mehr nicht, ich kann Ihnen sagen, an wen Sie sich halten müssen, wenn Sie rausbekommen wollen, wer Miß Crillborn das 8
Rauschgift untergejubelt hat.« »Darf ich davon ausgehen, Madam, daß Sie eine Untertanin Ihrer Majestät waren – oder es gar noch sind?« »Ich komme aus London und hab hierher nach Rom geheiratet«, erwiderte Antonia Navona. »An einen ganz miesen Typ bin ich Idiotin geraten, aber lassen wir das.« »Ein trefflicher Vorschlag, Mrs. Navona«, pflichtete der Butler ihr bei. »Wann und wo kann Mr. Rander Kontakt mit Ihnen aufnehmen? Ich möchte unterstellen, daß Sie keineswegs die Absicht haben, hierher ins Hotel zu kommen, wie?« »Damit die Bullen mich schnappen?« Die Frau am anderen Ende der Strippe lachte schrill. »Warum, glauben Sie, hat mein Mann sich als Mönch rausstaffiert? Nichts als Vorsicht! Nee, wenn der feine Pinkel was missen will, dann hat er sich an meine Bedingungen zu halten, ist das klar?« »Ihre Aussage läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, Madam«, gab Parker gelassen zurück. »Also, in einer Stunde, am Lido von Ostia.« »Eine weitläufige Strandregion, Mrs. Navona«, sagte Parker. »Wie wird man sich dort treffen?« »Keine Sorge, mein Alter und ich passen schon auf. Und bringen Sie Bargeld mit. Sagen wir mal, fünftausend Pfund, sonst bleibt Ihre Miß
Crillborn hinter Gittern, bis sie schwarz wird.« »Aufgelegt«, meldete Parker und sah zu Mike Rander hinüber, der am Fenster neben dem Balkon stand und auf die belebte Straße schaute. »Sehen Sie sich mal diesen Burschen da unten an, Parker«, sagte der Anwalt. »Genau den habe ich bis in ein Hotel verfolgt. Ich möchte wetten, daß er mit den Schweizer Gardisten unter einer Decke steckt.« »Sie denken an jenen Mann, auf dessen Handzeichen hin die Gardisten ihren Rückzug antraten, Sir?« »Richtig, Parker.« Mike Rander deutete noch mal nach unten. »Ein Zweifel ist ausgeschlossen. Das ist der Mann!« Der Anwalt hatte Josuah Parker von der Verfolgung des Mannes bis hin zum Hotel berichtet. Der Unbekannte dort unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte von der Halle des Hotels aus ein kurzes Telefongespräch geführt und sich dann eindeutig einen Zimmerschlüssel geben lassen. Mike Rander hatte sicherheitshalber darauf verzichtet, sich nach dem Namen des Mannes zu erkundigen. Möglicherweise hätte der Portier solch eine Nachfrage an seinen Hotelgast weitergegeben. »Ihre Zustimmung vorausgesetzt, Sir, würde es vielleicht recht sinnvoll und nützlich sein, den betreffenden Herrn in näheren Augenschein 9
zu nehmen«, sagte der Butler. »Es wird sich sicher eine Gelegenheit bieten, die Personalien dieses Mannes kurzfristig zu überprüfen.« »Okay, Parker.« Mike Rander lächelte. Er konnte sich gut vorstellen, wie solch eine Überprüfung stattfand. »Ich werde das hier vom Fenster aus beobachten. Ich lerne immer noch gern dazu.« * Der flotte alte Herr mit dem gepflegten und sorgfältig gestutzten Kinnbart hielt einen Reiseführer in der linken Hand und fand sich offensichtlich nicht zurecht. Er hatte sich bereits bei einigen Passanten erkundigt, wohl aber keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Er marschierte deshalb direkt auf den eleganten jungen Mann zu und baute sich vor ihm auf. Mike Rander, der neben dem Balkon am Fenster stand, genoß die Szene. Selbstverständlich war der gepflegte alte Herr identisch mit Butler Parker. Doch selbst der Anwalt hätte echte Schwierigkeiten gehabt, ihn wieder zu erkennen. Parker schien sich in eine völlig andere Person verwandelt zu haben, seine Gesten hatten mit einem gewissen Butler überhaupt nichts mehr gemein. Josuah Parker hatte bis auf den
Spitzbart so gut wie keine Maske gemacht. Er trug nur einen leichten Staubmantel und dazu einen hellen Sommerhut. Parker sah aus wie ein seit längerer Zeit pensionierter Collegelehrer, der dazu noch ungeschickt und ein wenig fahrig war. Dieser Collegelehrer hantierte mit seinem Reiseführer und verlor das Buch prompt aus der Hand. Es rutschte gegen die Brust des jungen Mannes, wurde dann aber von beiden Händen des scheinbar Pensionierten im letzten Moment wieder aufgefangen. Dabei kam Parker in einen beabsichtigten engen Kontakt mit dem elegant gekleideten Mann. Der Pensionierte entschuldigte sich wortreich, klopfte das Jackett des Eleganten ab, entschuldigte sich erneut wirkte verlegen, trat einen halben Schritt zurück, ging wieder auf den nervös zurückweichenden jungen Mann zu und brachte ihn so weit, daß er ziemlich hastig die Straße betrat und zwischen parkenden Wagen verschwand. Der alte Herr schüttelte erstaunt den Kopf, als könne er solch rüdes Verhalten nicht begreifen. Dann stopfte er den Reiseführer unter den leichten Staubmantel und schritt straff und mit kleinen schnellen Schritten davon. Er verschwand in einer schmalen Seitenstraße und war nicht mehr zu sehen. Mike Rander ahnte, was kommen würde. Er hatte sich nicht getäuscht. 10
Der Elegante erschien plötzlich wieder zwischen den abgestellten Wagen, schaute sich verärgert nach allen Seiten um und suchte eindeutig nach dem Touristen. Dann blickte er auf den Boden und fahndete nach irgendeinem Gegenstand, den er wohl verloren hatte. Der Anwalt schmunzelte. Der Elegante konnte lange suchen! Seine Brieftasche befand sich längst im Besitz des Butlers, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Parker hätte einem Meistertaschendieb noch Nachhilfeunterricht geben können, so geschickt waren seine Finger. Der elegante junge Mann gab bald die Suche auf. Er warf seine gerade angerauchte Zigarette wütend in die Gosse und verließ den Gehweg. Er ging ein Stück die Straße hinunter und verschwand in der Menge der Passanten. Er hatte keine Lust mehr, noch weiterhin das Hotel zu beobachten. »Darf ich hoffen, Sir, daß Sie mit meinem bescheidenen Auftritt zufrieden waren?« hörte Rander Parkers Stimme hinter sich. Er fuhr herum und sah sich dem Butler gegenüber, der geräuschlos das Zimmer betreten hatte. »Zum Teufel, Parker, hüsteln sie wenigstens«, meinte der Anwalt. »Wie schaffen Sie es eigentlich, derart leise zu sein?« »Eine Frage des Trainings, Sir«, erwiderte Josuah Parker gemessen.
»Darf ich Ihnen die Brieftasche überreichen?« »Sie werden den Inhalt bereits ausgewertet haben, wie?« »In der Tat, Sir! Der junge Mann heißt möglicherweise Carlo Gambassi, falls man unterstellt, daß seine Ausweise echt sind. Er gibt sich als Schriftsteller aus. Mr. Gambassi trug übrigens einen Achtunddreißiger in einer Gürtelhalfter. Aus Gründen der Opportunität verzichtete ich darauf, diese Waffe an mich zu nehmen.« »Sehr schön, so denkt er hoffentlich, nur von einem geschickten Taschendieb bestohlen worden zu sein.« »Dies, Sir, war meine bescheidene Überlegung«, erwiderte Josuah Parker. »Darf ich übrigens daran erinnern, daß Mrs. Navona Sie und meine bescheidene Wenigkeit am Lido von Ostia erwarten?« »Okay, machen wir uns auf den Weg, Parker. Vielleicht sehen wir diesen angeblichen Schriftsteller dort draußen noch mal. Durchaus drin, daß er mit dieser Navona zusammenarbeitet.« »Eine treffliche Überlegung, Sir«, sagte Parker. »Es wird, wenn ich das so ausdrücken darf, langsam nötig, daß gewisse Zusammenhänge sich abzuzeichnen beginnen. Es fragt sich, warum man Sie, Sir, daran hindern will, sich für Miß Crillborn einzusetzen.« 11
* Der Treffpunkt war ausgezeichnet gewählt, der Lido von Ostia am Nachmittag natürlich übervölkert. Touristen und Einheimische säumten den langen Badestrand und schienen den Schmutz und Unrat völlig zu übersehen, der streckenweise den Sand bedeckte. Man war einfach froh, Kontakt mit dem Meer zu haben, denn das Wetter war mehr als sonnig. Eine geradezu brütende Hitze macht jede noch so geringe Bewegung zur Qual und trieb den Schweiß aus allen Poren. Mike Rander hatte sich sommerlich leger gekleidet und trug einen leichten Anzug, doch Parker verzichtete auch hier nicht auf seine Berufskleidung. Zum schwarzen Zweireiher und der schwarzen Krawatte trug er seine gleichfarbige Melone. Über dem angewinkelten linken Unterarm hing der Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms. In der rechten, schwarz behandschuhten Hand hielt Parker eine diskret gemusterte Kühlbox mit erfrischenden Getränken. Er war eben der perfekte englische Butler, wie man ihn nur noch aus einschlägigen Filmen kennt. »Sie müssen in dieser Aufmachung doch umkommen«, wunderte sich Mike Rander, als sie den Mietwagen verlassen hatten und durch
ein schütteres Wäldchen schritten. »Eine Frage der Konzentration, Sir«, antwortete Josuah Parker, auf dessen Gesicht nicht die Spur eines Schweißtropfens zu erkennen war. »Sie sind ein Naturwunder, Parker.« Mike Rander lächelte. »Sie beschämen meine bescheidene Wenigkeit, Sir«, meinte Parker. »Darf ich übrigens darauf verweisen, daß wir seit einigen Minuten beschattet werden.« »Was Sie nicht sagen!« Mike Rander war erfahren genug, sich nicht umzuwenden. »Und wer hat sich an unsere Fersen gehängt?« »Ein Mann, den man sich als einen korpulenten Mönch durchaus vorstellen könnte, Sir.« »Der Bursche mit der Warze am linken Auge?« Mike Rander ging weiter, als sei alles in bester Ordnung. »In der Tat, Sir! Der kleine Römer lieferte eine ausgezeichnete Beschreibung. Man sollte ihm bei passender Gelegenheit eine weitere Belohnung zuteil werden lassen.« »Ist der Bursche allein, Parker?« »Er wird von einigen jungen Männern begleitet, Sir, die offensichtlich unbedeutende Hautrisse behandeln mußten.« »Unsere angeblichen Schweizer Gardisten?« »Dies wäre nicht auszuschließen, Sir.« »Dann können wir uns ja bald auf 12
einiges gefaßt machen, wie?« Mike Rander, leicht versnobt wirkend, lächelte fast erfreut. »Diesmal werde ich aber mitmischen.« »Darf ich an die brütende Hitze erinnern, Sir?« »Sie haben doch hoffentlich die richtigen Erfrischungen mitgenommen, oder?« »Geeiste Melone, Sir, Champagner, Scotch und einige Fruchtgetränke.« »Sehr hübsch, Parker.« Anwalt Rander lachte. »Genau das, was ich schätze. Tja, und nun?« Sie hatten das schüttere Wäldchen hinter sich gelassen und den Strand erreicht. Sie sahen sich der unüberschaubaren Menge der Erholungssuchenden gegenüber, die sich von der Sonne schmoren ließen. Josuah Parker beobachtete diskret den Mann den der kleine Römerjunge beschrieben hatte. Dieser Mann erinnerte tatsächlich an einen ehemaligen, aus der Form gekommenen Preisboxer. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein und trug einen viel zu knapp sitzenden, engen Sommeranzug, der schon bessere Tage gesehen hatte. Der Mann wurde von vier Freunden begleitet, die handfest und muskulös aussahen. Der Fette und seine vier Begleiter hatten nun ebenfalls den Strand erreicht und schienen sich nicht weiter um Butler Parker und Mike Rander zu kümmern. Sie schlender-
ten scheinbar gelangweilt ein Stück am Saum des schütteren Wäldchens entlang und verschwanden dann hinter einem kleinen Haus, das am Waldrand stand. »Hallo«, sagte eine schlanke, gutaussehende Frau, die über ihrem Badeanzug eine Art Poncho trug. Sie stand plötzlich vor Mike Rander und sah ihn prüfend an. »Mrs. Navona, wie ich vermute?« Mike Rander lächelte neutral und musterte die junge Frau, die seiner Schätzung nach etwa dreißig Jahre zählte. Sie hatte eine gute Figur, wie eindeutig zu erkennen war. Der Poncho über dem knappen Badeanzug war aus durchsichtigem, sehr leichtem Stoff. »Antonia Navona«, gab sie zurück. »Hoffentlich haben Sie Bargeld mitgebracht.« Während sie redete, fuhr sie sich nervös durch das wasserstoffsuperoxydblonde Haar. Ihre Fingernägel waren blutrot lackiert. »Sie werden auf Ihre Kosten kommen, Mrs. Navona«, antwortete Mike Rander. »Natürlich nur, falls das auch bei uns der Fall sein wird.« »Die kleine Crillborn ist unschuldig«, sagte sie. »Und ich kann Ihnen ein paar Tips geben, wie Sie das beweisen können. Aber nicht hier. Könnte sein, daß ich beobachtet werde.« »Natürlich.« Rander nickte. »Das Leben ist voller Gefahren.« 13
»Gehen wir rüber zu dem Strandhaus.« Antonia Navona wartete gar nicht erst die Zustimmung ab, sondern setzte sich sofort mit schwingenden Hüften in Bewegung. Sie ging auf das Strandhaus zu, hinter dem der Fette und seine vier Begleiter verschwunden waren. * Agatha Simpson befand sich in blendender Laune. Die ältere Dame hatte gerade das Büro eines hohen Justizbeamten betreten und genoß den entgeisterten Blick eines völlig irritierten Mannes, der hinter einem wahrlich gigantischen Schreibtisch saß. Er sah sich einer Frau gegenüber, deren Figur groß und stattlich war. Sie trug ein sehr weites TweedKostüm im Chanelstil und dazu einen Hut, der eine pikante Mischung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Am linken Handgelenk baumelte ein perlenbestickter Pompadour, wie ihn die Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten. Die Irritation des hohen Justizbeamten war verständlich. Er besaß zwei gut besetzte Vorzimmer, und normalerweise war es unmöglich, in dieses Allerheiligste vorzudringen. Diese resolute Dame jedoch schien alle Hindernisse spie-
lerisch leicht überwunden zu haben. Sie schaute ihn aus graugrünen Augen an, die sich in Gletschereis verwandelten. »Sie sind Mercato, nicht wahr?« fragte die Dame in englischer Sprache und donnerte den perlenbestickten Pompadour auf die Schreibtischplatte, worauf das Holz einige Risse und Sprünge zeigte. »Sie weigern sich also, mich zu empfangen!« Mercato, wirklich Justizbeamter mit besonderem Rang, klein, drahtig und sehr selbstbewußt, rutschte in sich zusammen und suchte nach einem Fluchtweg. »Sie weisen eine Lady Simpson ab, wenn ich das richtig verstanden habe«, redete die passionierte Detektivin weiter. »Sie lassen sich verleugnen und sind angeblich beim Justizminister.« »Verlassen Sie augenblicklich mein Büro«, krächzte Mercato in seiner Heimatsprache. »Ihr Glück, daß Sie sich entschuldigen«, redete Lady Agatha weiter. »Ich hätte Ihnen sonst Manieren beigebracht. Wann werden Sie endlich begreifen, daß Sie für den einfachen Bürger da sind? Nun gut, lassen wir das.« »Hinaus!« Mercato hatte sich auf seine englischen Sprachkenntnisse besonnen und deutete auf die Tür, deren Schloß ein wenig windschief aus dem Rahmen ragte. Agatha Simpson hatte die Tür mit ihrer Kör14
perfülle ohne jede Schwierigkeit gesprengt. »Wiederholen Sie das noch mal, Sie Lümmel!« Die Stimme der Lady wurde verdächtig leise. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in leichte Pendelbewegung. »Ich lasse Sie abführen und einsperren«, schrie Mercato. »Wissen Sie überhaupt, wen Sie vor sich haben?« »Einen ungezogenen Flegel, dem ich Manieren beibringen werde«, gab die resolute Dame zurück. »Ich denke, Sie brauchen unbedingt ein paar Ohrfeigen.« Daraufhin schrie der Justizbeamte um Hilfe. Er tat, als würde er gefoltert. Er hatte sich aus seinem Sessel gestemmt und wollte die Flucht ergreifen. Da er schmal und drahtig war, schaffte er es tatsächlich, um den riesigen Schreibtisch zu kurven, doch weiter kam er nicht. Dunkelheit umgab ihn plötzlich, und er litt auch ein wenig unter Atemnot. Lady Agatha hatte ihm den kostbar verzierten Papierkorb über den Kopf gestülpt und ihm damit jede weitere Orientierung genommen. Mercato tastete mit ausgestreckten Armen und Händen in der Luft herum und näherte sich bedrohlich einem zierlichen Wandtisch. »Haben Sie sich nicht so«, grollte Agatha Simpson, ohne ihn allerdings zu warnen. »Setzen Sie sich
wieder!« Mercato tat es wider Willen. Er krachte gegen den leichten Tisch, legte sich auf ihn und brachte ihn zum Einsturz. Das Holz knirschte, und Mercato lagerte zwischen den Trümmern. Er stöhnte und glaubte wahrscheinlich, seine Karriere sei physisch beendet. »Kommen wir endlich zur Sache«, meinte Lady Agatha zufrieden. »Ich brauche die Besuchserlaubnis für eine gewisse Maud Crillborn. Und ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich darum weiß Gott sehr höflich bitte! Ich könnte auch andere Saiten anschlagen, verlassen Sie sich darauf!« Nachdem die Lady in der ihr eigenen Bescheidenheit diesen Wunsch vorgetragen hatte, wurde sie abgelenkt. Zwei uniformierte Polizisten erschienen in der leicht angesplitterten und windschief in den Angeln hängenden Tür. Es waren große, stämmige Männer, die vermutlich einer Eliteeinheit angehörten. Sie orientierten sich schnell und kamen dann auf Lady Agatha zu. * »Kommen Sie, oder haben Sie etwa Angst?« fragte Antonia Navona, als sie das kleine Strandhaus erreichten. Sie deutete auf die schmale Pforte, die in den ummauerten Hinterhof führte. 15
»Ich vertraue Ihnen voll und ganz«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Gehen Sie nur voraus!« »Wenn es nicht mehr ist!« Sie lächelte, doch ihre Augen blieben kalt. Sie hatte ziemlich laut gesprochen und wollte den hinter der Mauer und Pforte wartenden Männern sicher eine Art Stichwort liefern. Eine Sekunde später waren ihre Augen dann schon nicht mehr kalt, sie spiegelten nur grenzenlose Überraschung wider. Mike Rander, lässig, versnobt wirkend, stand nämlich plötzlich nicht mehr neben ihr. Er hatte sich kraftvoll vom Boden abgedrückt und hechtete durch die geöffnete Pforte in den ummauerten Hinterhof. Butler Parker hörte hinter der Mauer einige erstaunte Rufe, doch er hielt es nicht für notwendig, seinem Herrn zu folgen. Er stellte die diskret gemusterte Kühlbox ab und ließ seinen altväterlich gebundenen Regenschirm mit dem Bambusgriff vorschnellen. Dieser Griff legte sich zielsicher und gekonnt um den Hals der blonden Badenixe, die eindeutig beabsichtigte, hinüber zum Strand zu laufen. »Ich darf Ihnen versichern, Madam, daß Sie sich meinem bescheidenen Schutz durchaus anvertrauen können«, sagte der Butler und lüftete dazu höflich seine schwarze Melone. »Hinter jener Mauer dort wird bald Entscheiden-
des passieren.« Parkers Vermutung bestätigte sich schon bald. Antonia Navona hatte sich von ihrer Überraschung noch nicht ganz erholt, als sich ein Besucher einstellte und auf sie zukam. Der junge Mann bevorzugte den direkten Weg und dazu noch die Luftlinie. Er flog mit dem Kopf voran über die weiß gekalkte Mauer und absolvierte genau über der Mauerkrone einen leicht mißglückten Salto. Dann landete er klatschend auf dem weichen Sandboden, direkt vor den Füßen der Wasserstoffsuperoxydblonden. Der junge Mann blieb betäubt liegen und erhielt nun seinerseits Besuch. Ein zweiter Mann flog über die Mauer. Er bevorzugte eine flache Flugbahn, vollführte eine Bauchlandung, schrammte etwa anderthalb Meter durch den Sand und ruhte sich dann am Fuß einer schütternen Fichte aus. »Sie verfügen über artistisch begabte Freunde«, stellte Josuah Parker in Richtung Antonia Navona fest. »Sind Sie nicht auch gespannt, wie der nächste Flug aussehen wird, Madam?« Sie rührte sich nicht von der Stelle und dachte nicht mehr an Flucht. Sie starrte auf die beiden Kunstflieger und sah dann den Butler an. Wahrscheinlich verstand sie die Welt nicht mehr. Inzwischen erfolgte der dritte 16
Anflug. Ein weiterer junger Mann erschien in der Luft, doch seine Fahrt reichte nicht mehr aus, die Mauer zu überwinden. Er klatschte mit dem Bauch auf die Mauerkrone und blieb dort wie ein nasses Handtuch liegen. Dann sah er den Butler aus verglasten Augen an und schnaufte ein wenig. »Darf ich Sie einladen, Madam, mir in den Garten zu folgen?« Parker deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf die Pforte, um dann würdevoll, doch durchaus geschickt zur Seite zu weichen. Ein vierter junger Mann taumelte ihm entgegen. Er vermochte sich kaum noch auf den Beinen zu halten. Der Ausdruck seines Gesichts glich einem großen Fragezeichen, seine Augen verstrahlten einen verklärten Glanz. Er taumelte an Parker vorbei und nahm auf dem Sandboden Platz. Während Antonia Navona zögernd durch die Pforte schritt, kümmerte sich Josuah Parker um die vier jungen Männer, was nur wenig Zeit erforderte. Er barg einige Springmesser und eine Stahlrute. Dann folgte er der künstlich Erblondeten und öffnete die Kühlbox. Seiner Schätzung nach brauchte Mike Rander nur noch wenige Augenblicke, um den fetten Mann zu Boden zu schicken. Dieser hatte dem Anwalt nichts mehr entgegen-
zusetzen. Er hatte bereits weiche Knie und schien froh zu sein, sich endlich legen zu können. Mike Rander verpaßte diesem Burschen einen letzten Schlag mit der Handkante und wandte sich dann fast gelangweilt ab. Er gönnte dem Fetten keinen weiteren Blick mehr. Der Mann, der wie ein Preisboxer aussah, fiel auf die Knie, wollte sich noch mal aufraffen, schüttelte dann aber mühsam den Kopf und fiel nach vorn auf seinen ausgeprägten Bauch. »Champagner, Sir?« fragte Parker, sich an Mike Rander wendend. »Könnte nicht schaden«, antwortete der Anwalt und lächelte. Seinem maßgeschneiderten Sommeranzug war der vorausgegangene Kampf nicht anzusehen. Er zupfte das Jackett ein wenig zurecht und deutete dann auf die völlig entgeisterte Antonia Navona. »Aber zuerst eine Erfrischung für die Dame, Parker. Sie sieht ein wenig mitgenommen aus, finden Sie nicht auch?« * »Das ist die Type«, bestätigte Antonia Navona und sah den Fetten verächtlich an. Josuah Parker hatte ihn und die übrigen vier Schläger eingesammelt und in das kleine Strandhaus gebracht. Die fünf Männer drängten sich, ein wenig müde, in einer Art engen Speisekammer 17
zusammen. Die Tür zu diesem fensterlosen Raum bestand aus solide miteinander verschweißten Eisenstäben. Die fünf Männer hatten also keine Möglichkeit, eine überraschende Flucht zu riskieren. »Darf ich mir die Anregung erlauben, Sir, in den Nebenraum zu gehen?« fragte Parker. »Dort könnte man sich ein wenig ungeniert mit der Dame unterhalten.« »Gute Idee.« Mike Rander nickte und wartete, bis Antonia Navona ins Nebenzimmer ging, Parker warf noch einen prüfenden Blick auf den Käfig, um dann dem Anwalt zu folgen. Er ließ die Tür zur Küche nur angelehnt. »Sie stammen aus London?« vergewisserte Rander sich bei der Superblondine. »Ich würde lieber heute als morgen dorthin zurückfahren«, sagte sie nachdenklich. »Dieser Ausflug nach Italien ist eine Schnapsidee gewesen. Du lieber Himmel, hatte ich da ein Leben. Sie müssen wissen, ich hab da mal in einer Nachtbar gearbeitet.« »Und dort Ihren Mann Genaro kennengelernt?« »Damals war dieser Typ noch ein richtiger Kerl«, seufzte sie. »Aber heute? Restlos versoffen und verfettet.« »Und warum gehen Sie nicht zurück nach London?« »Zum Teufel, wie denn? Und
womit? Ich hab keinen Penny auf der nackten Hand.« »Ein Zustand, der sich schnell ändern ließe, falls ich darauf verweisen darf«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Sie sind in der Lage, einige Aussagen im Fall Maud Crillborn zu machen?« »Ach Quatsch! Was soll ich schwindeln? Nichts weiß ich… Ich hab das doch nur behaupten müssen, um sie hierher an den Strand zu locken. Aber das werden Sie inzwischen schon selber bemerkt haben.« Sie machte einen verzweifelten Eindruck und senkte den Kopf. Sie war jetzt nur noch eine verbraucht aussehende Dreißigjährige, die wie vierzig wirkte, je mehr sie sich gehen ließ. »Für wen mußten Sie anrufen, wenn man höflichst fragen darf?« wollte Josuah Parker wissen. »Für Genaro«, gab sie zurück. »Und welche Person erteilte ihm diesen Auftrag?« forschte der Butler weiter. »Ich hab keine Ahnung.« Sie zuckte die Achseln. »Könnte es ein gewisser Carlo Gambassi gewesen sein?« Josuah Parker dachte an den Eleganten, dessen Brieftasche er sich ausgeliehen hatte. »Carlo Gambassi!« Sie sah den Butler überrascht an. »Woher kennen Sie denn den?« »Er war so höflich, sich mit Mr. 18
Rander in Verbindung zu setzen«, behauptete Josuah Parker. »Dieses Miststück!« Antonia Navona wurde erstaunlicherweise wütend, und Parker wußte, daß sein kleiner Trick bereits Wirkung zeigte. »Wenn das ein Schriftsteller sein soll, bleibe ich für den Rest meines Lebens freiwillig in Italien.« »Für wen halten Sie diesen Gambassi denn?« fragte Mike Rander. »Das ist ein kleiner Gauner«, erwiderte sie. »Was hat er denn von Ihnen gewollt?« »Er warnte mich vor dem kleinen Ausflug nach Ostia«, behauptete der Anwalt und baute den Bluff des Butlers noch weiter aus. Ihm kam es darauf an, Antonia Navona noch wütender auf Gambassi zu machen. »Das sieht diesem Schmalspurcasanova ähnlich«, regte sie sich auch prompt auf. »Dabei hat doch gerade er die kleine Crillborn nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz gelegt.« »Wo, wenn ich fragen darf, lernte man sich kennen?« wollte Josuah Parker wissen. In seiner Stimme lag nicht die Spur von Neugier. Er schien sich fast zu genieren, solch eine Frage überhaupt zu stellen. »Das liegt jetzt…« Antonia Navona wollte durchaus reden, doch in diesem Moment fielen einige Schüsse, die zwar schallgedämpft waren und die Trommelfelle schützten, den Putz an der
Wand aber nachdrücklich in Mitleidenschaft zogen. Josuah Parker reagierte augenblicklich, während Mike Rander die Blondine mit sich zu Boden riß. Der Butler kippte den schweren Tisch auf die Seite und funktionierte ihn in eine Art Barrikade um, was sich als äußerst nützlich erwies. Die nächsten Geschosse jagten in das schwere Holz der Tischplatte und blieben erfreulicherweise darin stecken. * Maud Crillborn betrat zögernd den Sprechraum des Frauengefängnisses und sah Lady Simpson mißtrauisch an. Die Sechsundzwanzigjährige wirkte selbst in dieser Umgebung noch wie ein verwöhntes, großes Kind, zumal sie nur mittelgroß, schlank und sehr zierlich aussah. »Setzen Sie sich, mein Kind«, raunzte Agatha die Untersuchungsgefangene an. »Ich habe den zuständigen Justizbeamten immerhin dazu gebracht, uns eine halbe Stunde einzuräumen. Wir wollen keine Zeit verlieren.« »Wer… Wer sind Sie?« fragte Maud Crillborn und nahm zögernd Platz. »Ich bin Lady Simpson«, stellte die ältere Dame sich vor. »Einer Ihrer entfernten Verwandten hat mich gebeten, Sie hier herauszuholen.« 19
»Lady Agatha Simpson?« Maud Crillborn schien diesen Namen schon gehört zu haben. »In voller Lebensgröße, mein Kind. Anwalt Rander, der mit Ihnen bereits Kontakt aufgenommen hat, ist mir, sagen wir, verpflichtet.« »Ja, er hat bereits mit mir gesprochen, Mylady.« Maud Crillborn hatte sich bereits gesetzt und zwang sich zur Ruhe. »Und Sie haben ihm einiges erzählt.« Agatha Simpson nickte grimmig. »Aber mir scheint, da sind einige Ungereimtheiten, die noch geklärt werden müssen.« »Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Mylady .« »Dann sagen Sie es gefälligst noch mal, wenn Ihnen geholfen werden soll. Man hat Sie also wegen eines Rauschgiftdeliktes festgenommen, nicht wahr? Wie ist es dazu gekommen?« »Meine Jacht ist irgendwo vor Rom aufgebrochen worden«, berichtete Maud Crillborn. »Wo das genau gewesen ist, kann ich nicht sagen. Und dann hat man in meiner Kabine Rauschgift gefunden. Das ist bereits alles, Mylady.« »Was an Rauschgift?« »Haschisch und Heroin, Mylady! Aber ich schwöre Ihnen, daß ich keine Ahnung habe, wie die Drogen in meine Kabine gekommen sind.« »Sie waren in dieser Kabine raffiniert versteckt, wie ich hörte.«
»Hinter der Wandvertäfelung, Mylady. Ich begreife einfach nicht, wie und wann das Gift dorthin gekommen ist.« »Seit wann gehört Ihnen die Jacht?« »Mein Vater hat sie mir vor etwa einem Jahr geschenkt, Mylady«, antwortete Maud Crillborn gehorsam wie ein Schulkind. »Das war nach meiner Scheidung.« »Von woher kamen Sie mit der Jacht?« Lady Simpson hatte ihre an sich dunkle und rauhe Stimme ein wenig erhoben und bemühte sich um Freundlichkeit. »Aus Tunis, Mylady«, lautete prompt die Antwort. »Und vor Tunis war ich in Marseille.« »Wie lange dauerte dieser kleine Ausflug?« fragte die passionierte Detektivin weiter. »In Marseille waren wir ein bis zwei Tage, in Tunis ebenfalls.« »Und wo ist der Liegeplatz der Jacht, Miß Crillborn?« »In Monaco. Ich wohne dort, wenn ich nicht gerade in England bin.« »Der Name Ihres geschiedenen Mannes, mein Kind!« »Ronald Deene, Mylady.« Maud Crillborn stand völlig im Bann der älteren Dame. Sie antwortete wie ein etwas ängstliches Kind, das von einer Gouvernante verhört wird. »Und wer ist Ihr Freund, der Sie während dieser Rundreise begleitet hat?« 20
»Marco Bergamo, Mylady.« Maud Crillborn bekam einen deutlich roten Kopf, nachdem sie diesen Namen genannt hatte. »Und wer ist das? Nun zieren Sie sich nur nicht! Ich bekomme es ohnehin heraus.« »Marco ist Schauspieler, Mylady.« »Und zur Zeit ohne Engagement, nicht wahr?« »Wo… woher wissen Sie das, Mylady?« »Er sieht hinreißend und blendend aus, wie?« »Doch, schon, Mylady.« Maud Crillborn bekam erneut einen roten Kopf und senkte den Blick. »Wo steckt er jetzt?« »Ich… Ich weiß es nicht, Mylady. Er hat sich bisher noch nicht gemeldet. Ich kann das überhaupt nicht verstehen. Ich habe versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen, aber er meldet sich einfach nicht.« Sie begann zu schluchzen, doch das Organ ihrer Gesprächspartnerin brachte sie schnell in die Wirklichkeit zurück. »Heulen Sie nicht, Kindchen, finden Sie sich damit ab, daß man Sie hereingelegt hat«, grollte Agatha Simpson. »Ist dieser Schauspieler nicht auch in Haft genommen worden?« »Er ist schon in Tunis von Bord gegangen, Mylady«, sagte Maud Crillborn und schnupfte ein wenig, aber sie weinte nicht mehr. »Marco
hatte ein Telegramm bekommen. Er sollte wegen einer Rolle hier in Rom vorsprechen. Wir wollten uns später wieder treffen.« »Schaumschlägerei!« Myladys Stimme klang verächtlich. »Dieser Lümmel dürfte sich rechtzeitig abgesetzt haben. So etwas kennt man doch. Glauben Sie einer erfahrenen Frau!« »So etwas würde Marco nie tun, Mylady.« Maud Crillborn schluchzte erneut. »Sie kennen Marco nicht. Nein, nein, ich glaube, daß ihm etwas passiert ist.« »Und was könnte das sein? Nun reden Sie doch endlich! Ich habe keine Lust, hier unnötig meine Zeit zu vertrödeln.« Lady Agatha verstand es ausgezeichnet, die junge Frau zu weiteren Aussagen zu verführen. Sie ließ ihr überhaupt keine Zeit, nach Ausflüchten oder Ausreden zu suchen. Wenn die Lady Fragen stellte, strahlte sie eine überwältigende Autorität aus. »Marco hatte in Tunis Streit mit einem Mann namens Carlo. Der will angeblich Schriftsteller sein und für den Film arbeiten, Mylady. Um was es ging, weiß ich nicht, aber ich glaube, daß dieser Carlo ein Doppelleben führt.« »Sie glauben es nur, Kindchen? Machen Sie mir nichts vor, Sie wissen mehr über diesen Lümmel! Wie ist sein Nachname? Und was tut er 21
tatsächlich? Nun zieren Sie sich nicht! Sie wollen doch schließlich Ihren einmaligen Marco wiedersehen, oder etwa nicht?« »Ich glaube, er heißt Carlo Gambassi, Mylady«, kam zögernd die Antwort. »Und Marco sagte mal andeutungsweise, Gambassi habe Beziehungen zur Unterwelt.« »Na bitte, das ist doch schon etwas.« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Ich werde jetzt erst mal nach Ihrem Marco Bergamo suchen. Und ich werde wiederkommen. Wie werden Sie hier behandelt?« »Ich kann mich nicht beklagen, Mylady, aber ich sage noch mal, mit dem Rauschgift habe ich wirklich nichts zu tun. Das kann ich jederzeit beschwören.« »Nur nichts überhasten, Kindchen«, warnte die Lady und bemühte sich um einen trostreichen Unterton in ihrer Stimme. »Alles zu seiner Zeit.« * »Ich hoffe, Sie hatten einen vergnüglichen Tag«, sagte Agatha Simpson spitz, als Mike Rander und der Butler in ihrer Hotelsuite erschienen. »Es war erholsam, Mylady«, meinte Rander und lächelte vergnügt. »Wir lernten interessante Menschen kennen und hatten gute Gespräche, nicht wahr, Parker?« »Es gab allerdings auch einen klei-
nen Feuerüberfall«, fügte Josuah Parker hinzu. »Ich darf Mylady versichern, daß es ohne Verletzungen abging.« »Feuerüberfall?« Die Detektivin sah die beiden Männer grimmig an. »Sie amüsierten sich also, während ich langweilige Verhöre führte, wenn ich mal von einem kleinen Zwischenfall im Justizministerium absehe.« »Ein Zwischenfall, Mylady?« Parker wurde hellhörig. Er kannte das Temperament seiner Herrin. »Ich war bei einem gewissen Mercato«, berichtete die Lady. »Und ich mußte etwas deutlich werden, bis ich eine Besuchsgenehmigung bekam.« »Mylady wurden deutlich?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Nun ja, ich stülpte diesem ungehobelten Flegel einen Papierkorb über den Kopf und brachte zwei Polizisten Manieren bei.« »Mußte der Notarzt eingreifen?« wollte Mike Rander wissen. Auch ihm war nicht unbekannt, wie stürmisch die immer noch sechzigjährige Lady sein konnte. »Nein, nein, sie verarzteten sich gegenseitig«, beruhigte Agatha Simpson ihre beiden Zuhörer. »Und anschließend trennten wir uns fast wie gute Bekannte.« »Mylady genossen das Privileg, Miß Crillborn zu sprechen?« wollte Josuah Parker wissen. 22
»Ein unreifes, unerfahrenes Ding«, urteilte die ältere Dame. Dann setzte sie sich zurecht und berichtete von ihrem Gespräch. »Carlo Gambassi«, meinte Anwalt Rander, als seine Brötchengeberin geendet hatte. »Auch wir sind auf diesen Namen gestoßen. Dieser angebliche Schriftsteller scheint gewisse Fäden zu ziehen.« »Ich möchte informiert werden«, verlangte Lady Simpson, um sich dann an den Butler zu wenden. »Vorher aber brauche ich einen kleinen Kreislaufbeschleuniger. Ich glaube, ich habe mich verausgabt. Das Klima hier in Rom bekommt mir einfach nicht.« Parker brauchte nur knapp anderthalb Minuten, bis er der Lady den gewünschten Kreislaufanreger servieren konnte. Der Kognakschwenker war gut gefüllt, und Lady Agatha genoß ihre Spezialmedizin, die prompt ihre Wangen rötete. Mike Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und berichtete von den Dingen, die sich am Strand von Ostia zugetragen hatten. »Wo stecken dieser Fette und seine vier Begleiter jetzt?« wollte Agatha Simpson anschließend wissen. »Wir haben sie in dieser Speisekammer zurückgelassen«, erwiderte Mike Rander. »Genaro Navona und seine Helfershelfer, Mylady, sind meiner bescheidenen Ansicht nach unwich-
tige Randfiguren«, erläuterte der Butler zusätzlich. »Es dürfte sich bei diesen Männern um sogenanntes Fußvolk handeln. Darf ich bei dieser Gelegenheit noch hinzufügen, daß die jungen Männer in der Tat als Schweizer Gardisten auftraten!« »Sie und Ihre Menschenfreundlichkeit!« Lady Simpsons Stimme grollte. »Hoffentlich werden Sie Ihre Großzügigkeit nicht noch bereuen, Mister Parker.« »Mrs. Navona bekam nach der allgemeinen Unterhaltung und nach dem Feuerüberfall einen Barscheck, Mylady«, fügte Parker hinzu. »Falls sie über eine gewisse Klugheit verfügt, wird sie sich auf dem schnellsten Weg nach London zurückbegeben, wie sie es Mr. Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit versprach.« »Diese Frau hat sie immerhin in eine böse Falle gelockt, Mister Parker.« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Was sollte eigentlich mit Ihnen geschehen?« »Laut Mrs. Antonia Navona sollten Mr. Rander und meine Wenigkeit für einige Zeit in einem Haus auf dem Land festgehalten werden.« »Und Sie haben diesen Schwindel geglaubt?« Lady Simpson lachte aus vollem Hals. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete Parker mit stoischer Ruhe. »Mrs. Navona dürfte kaum ahnen wie mörderisch dieser 23
Fall noch werden kann. Dasselbe dürfte auch für ihren Mann, Genaro Navona, zutreffen. Er und seine Bande wurden offensichtlich von Mr. Carlo Gambassi ins Spiel gebracht, der seinerseits wiederum, wie zu vermuten ich mir erlauben möchte, nur der Handlanger jener Hintermänner ist, die sich dem Transport und der Verteilung von Drogen widmen.« »Haben Sie das verstanden, Mike?« erkundigte sich Lady Agatha bei dem Anwalt. »Ich denke schon, Mylady.« Rander lächelte. Er kannte und schätzte die barocke Ausdrucksweise des Butlers, die ihm seit Jahren vertraut war. »Über diesen angeblichen Schriftsteller Gambassi werden wir vielleicht an die eigentlichen Drahtzieher der Affäre herankommen.« »Und wo finde ich dieses Subjekt?« wollte Lady Agatha wissen. Ihr Kreislauf war eindeutig angeregt, und sie schien nur darauf zu warten, sich in die nächste Auseinandersetzung zu stürzen. »Mrs. Antonia Navona war so kooperativ, einige Adressen zu nennen, Mylady«, antwortete Parker. »Man scheint zudem eine eindeutige Vorliebe für einen Nachtclub zu haben, der vor den Toren dieser bemerkenswerten Stadt liegt und nur für Mitglieder zugänglich ist.« »Diesen Nachtclub möchte ich
besuchen«, verlangte die ältere Dame. »Sorgen Sie dafür, Mister Parker, daß ich umgehend Mitglied werde! Sie finden schon einen passenden Weg.« »Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen«, versprach Josuah Parker. »Es dürfte sich übrigens empfehlen für diesen Besuch gewisse Vorbereitungen zu treffen.« »Treffen Sie, Mister Parker, treffen Sie!« Die passionierte Detektivin wirkte schon jetzt recht animiert und lächelte versonnen. »Normale Nachtclubs interessieren mich nicht.« »Myladys Erwartungen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllt werden«, meinte der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an. »Nach bereits eingeholten Erkundigungen wurde vor dem Besuch dieses Clubs eindringlich gewarnt. Dort soll man unter anderem dem Falschspiel huldigen.« »Sehr hübsch.« Sie nickte gönnerhaft. »Gegen ein nettes Falschspiel habe ich nichts einzuwenden, Mister Parker. Mal sehen, ob ich es noch kann!« * Der Nachtclub befand sich in einem alten Landsitz auf halber Strecke zwischen Rom und der Hafenstadt Civitavecchia, einige Kilometer hin24
ter der kleinen Stadt Fregene. Von hier aus mußte man die Küstenstraße verlassen und brauchte dann noch etwa zehn Minuten, bis das alte Landgut erreicht war. Es war dunkel geworden. Josuah Parker saß am Steuer eines in Rom gemieteten Mercedes. Im Fond dieses Wagens hatten Lady Agatha und Anwalt Rander Platz genommen. Die ältere Dame trug ein leicht antiquiert wirkendes Abendkleid und präsentierte eine erstaunlich lange Perlenkette, die ein Vermögen wert zu sein schien. Mike Rander präsentierte einen dezenten Smoking mit solch einer Selbstverständlichkeit, als sei er darin zur Welt gekommen. Butler Parker war natürlich wieder mal der formvollendet aussehende Butler, wie man ihm nur noch in englischen Komödien begegnete. Er war jedoch mehr, er war nämlich sehr wachsam und mißtrauisch wie stets. Im Licht der aufgedrehten Scheinwerfer machte Josuah Parker einen Wagen aus, der offensichtlich eine Reifenpanne hatte. Zwei Männer in Abendanzügen beschäftigten sich reichlich umständlich mit einem Ersatzrad und einem Wagenheber. Der plattfußgeschädigte Wagen stand quer zur Straße und blockierte den schmalen Weg. Der Fahrer schien das Lenkrad bei der plötzlichen Panne gründlich verrissen zu
haben. Parker mußte notgedrungen halten. »Wenn Mylady erlauben, werde ich den beiden Herren ein wenig zur Hand gehen«, sagte er, wartete diese Erlaubnis natürlich nicht ab, sondern stieg aus dem Wagen, wobei er überraschenderweise nicht vergaß, seinen altväterlich gebundenen Regenschirm mitzunehmen. »Vom Landgut ist noch nichts zu sehen, Mike«, stellte Agatha Simpson fest und beugte sich vor. »Es dürfte hinter dem Hügel liegen, Mylady«, erwiderte der Anwalt. Er deutete auf die Anhöhe, auf der einige Zypressen und Pinien standen, die sich wie Scherenschnitte gegen den nächtlichen Himmel abhoben. Die schmale, asphaltierte Straße führte in einem engen Bogen um den Hügel herum. »Hoffentlich erwischen wir diesen Gambassi«, redete die ältere Dame weiter. »Ohne diesen Lümmel dürften wir nicht weiterkommen, oder?« »Finde ich auch, Mylady.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an. »Aber wir sollten auch nicht diesen angeblichen Schauspieler Marco Bergamo vergessen.« »Gibt es ihn überhaupt? Oder hat die kleine Crillborn sich da etwas vormachen lassen, Mike?« »Ich habe bereits bei einigen Künstleragenturen nachgefragt, Mylady. Diesen Mann gibt es, aber er ist mehr eine Art Edelkomparse, 25
der die Agenten löchert, um endlich an eine kleinere Rolle heranzukommen. Er versucht… Zum Teufel, was macht Parker?« »Sehr eigenwillig«, fand auch Lady Simpson und bekam gerade noch mit, wie der Butler den zweiten Mann mit dem Bambusgriff seines Regenschirms behandelte. Er hatte diesen Griff auf die Stirn des Mannes gedrückt, worauf der Getroffene in sich zusammenrutschte. Der erste Mann lag bereits regungslos am Boden. Josuah Parker beugte sich über die beiden Männer und durchsuchte ungeniert ihre Taschen. Nachdem er sich aufgerichtet hatte, kam er würdevoll zum Mercedes zurück und lüftete vor seiner Herrin die schwarze Melone. »Ich möchte mich ja nicht in Ihre Angelegenheiten mischen, Mister Parker«, schickte Agatha Simpson voraus, »aber muß man immer gleich so unbeherrscht sein? Nehmen Sie sich an meiner Selbstzucht ein Beispiel!« »Ich bitte um Vergebung, Mylady.« Der Butler deutete eine knappe Verbeugung an. »Die beiden Herren dort neben dem Wagen stellen eine Art Kontrollposten dar, wie ich feststellen konnte.« »Kontrollposten?« Mike Rander stieg aus dem Mercedes. »Die Reifenpanne ist permanent und nur vorgetäuscht«, berichtete
der Butler gemessen weiter. »Tatsächlich handelt es sich um eine Straßensperre mit Funkverbindung zum Nachtclub, wie ich unterstellen möchte.« »Sind Sie sicher, Mister Parker?« fragte die Detektivin ungläubig. »Man fragte meine bescheidene Wenigkeit nach dem Losungswort«, erklärte Parker. »Da ich mich in einer gewissen Zwangslage befand, hielt ich es für angebracht, dieses Losungswort mit meinem Regenschirm zu nennen.« »Hoffentlich haben Sie Ihre Rücksicht nicht wieder übertrieben«, sorgte Lady Simpson sich. »Bis zur Ankunft vor dem Landhaus dürften die beiden Herren der intensiven Ruhe pflegen«, entgegnete Parker höflich. »Zudem war ich so frei, die Waffen der Herren und ein Funksprechgerät an mich zu nehmen. Wenn es genehm ist, könnte man die Fahrt zum Nachtclub jetzt fortsetzen.« * Das Landhaus befand sich tatsächlich jenseits des Hügels und wirkte mehr als abweisend. An das Haupthaus schlossen sich Wirtschaftsgebäude an, die in Mauern übergingen. Die einzige Zufährt zum Innenhof war ein Tor, das allerdings geöffnet war. In diesem Innenhof standen teure 26
Wagen, die überhaupt nicht in die rustikale Umgebung paßten. Aus dem Innern des Haupthauses drang leise Musik nach außen. Die Fenster waren übrigens noch zusätzlich durch Holzläden verschlossen. Licht war so gut wie nicht zu sehen. Nur über dem Portal brannte eine Laterne. »Vielleicht sollte man sich ein paar dieser Wagenkennzeichen merken«, sagte Mike Rander. »Das ist bereits geschehen, Sir«, erwiderte Josuah Parker, der den Mercedes durch das Tor gesteuert hatte und hielt. Seine Antwort klang weder aufgesetzt noch besserwisserisch. Ein Butler Parker war eben umsichtig und vorausschauend. Lady Simpson schüttelte grimmig den Kopf, als Parker ihr seine hilfreiche Hand beim Aussteigen leihen wollte. Sie schob ihre Fülle nach draußen und ordnete die schwere Perlenkette, die, wie jetzt zu sehen war, sogar noch einen Anhänger aufwies, der etwa die Größe eines Tischtennisballes hatte. Sie ließ die Halteschnüre des Pompadours in ihre Hand gleiten und marschierte dann energisch auf das Portal des Gutshauses zu. Sie hatte es noch nicht ganz erreicht, als die Tür geöffnet wurde. Ein untersetzter, muskulöser Mann erschien, der in seinem Smoking ein wenig unglücklich aussah. Der teure Stoff war kaum in der Lage, die
Muskeln dieses Türstehers zu bändigen, der übrigens einen mehr als erstaunten Eindruck machte. »Sie… Sie sind angemeldet?« erkundigte sich der Mann. »Eine Lady Simpson erscheint, doch sie meldet sich niemals an«, antwortete Parker in der Landessprache. »Man hat Mylady diesen Privatclub empfohlen.« »Sie… Sie… Ah… Sie müssen noch einen Moment warten«, sagte der Türvorsteher und war blitzschnell verschwunden, nachdem er die Klinke ins Schloß gedrückt hatte. »Was sagen Sie zu dieser Flegelei, Mister Parker?« Lady Agatha wandte sich erzürnt an ihren Butler. »Man dürfte den befreienden Funkspruch vermißt haben, Mylady.« Während der Butler diese Feststellung traf, hielt er bereits sein kleines Spezialbesteck in der rechten, schwarz behandschuhten Hand, um damit das Türschloß aufzusperren. Und erneut zeigte sich, über welche einmaligen Fähigkeiten Parker verfügte. Ein Dieb hätte immerhin zwei bis drei Minuten gebraucht, um das Yaleschloß illegal zu öffnen; Parker hingegen benötigte genau zwanzigeinhalb Sekunden, bis das Schloß jeden Widerstand aufgab. Parker drückte die Tür auf und ließ Mylady eintreten. Mike Rander folgte unmittelbar, allerdings weniger zum Schutz der 27
älteren Dame als vielmehr aus Sorge um einen weiteren Türsteher. Mike Rander kannte die Angriffslust der Lady. Nun, der große Vorraum war leer. Eine zweiflügelige Tür führte in die Tiefe des Hauses, eine zweite Tür, die nur angelehnt war, gab den Blick frei auf eine Treppe, die ins Obergeschoß führte. »Darf ich anregen, Mylady, hier vielleicht ein wenig zu warten?« Der Butler deutete auf die Treppentür. »Möglicherweise ist mit dem Erscheinen einiger Angestellten zu rechnen.« Lady Agatha, Mike Rander und Butler Parker waren gerade hinter diesem Durchlaß verschwunden, als die Tür zum Club aufgestoßen wurde. Drei Männer, alle im Smoking, erschienen auf der Bildfläche. Unter ihnen befand sich der Typ, der die Tür geöffnet hatte. »Keine unnötige Gewalt«, sagte er zu seinen beiden Begleitern. »Wir schieben die Leute erst mal ab in die Kellerbar. Der Conte will erst genau wissen, wer die Leute sind.« Die drei Männer hatten natürlich keine Ahnung, daß die Neuankömmlinge sich bereits im Haus befanden. Sie passierten die Tür, hinter der die Gäste sich aufgebaut hatten und eilten zur Haustür. Sie bekamen nicht mit, daß Josuah Parker die schützende Deckung bereits verlassen hatte, um den Wissens-
durst der drei Türwächter zu dämpfen. Er besorgte das übrigens mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms… * Der Oberkellner, der ihnen wenig später diensteifrig entgegeneilte, hatte selbstverständlich keine Ahnung von den Vorfällen, die sich im Flur abgespielt hatten. Er mußte einfach der Ansicht sein, daß alles seine Ordnung hatte. »Zu Mr. Gambassi«, sagte Parker in unterkühltem Ton, der keine Gegenfrage duldete. »Man wird erwartet.« »Zu Gambassi, sehr wohl! Er befindet sich in der kleinen Bar. Wenn ich vorausgehen darf?« Er durfte und ging voraus. Lady Agatha schaute sich neugierig in dem großen Raum um, der mit guten, alten Möbeln ausgestattet war. Das Publikum, das hier saß und aß, erinnerte auf keinen Fall an die Unterwelt. Die allgemeine Atmosphäre war gedämpft vornehm. Der Oberkellner hielt auf einen schweren Vorhang zu, teilte ihn und trat abwartend zur Seite. Josuah Parker, der dem Mann gefolgt war, schaute in einen kleineren Raum, der als Bar eingerichtet war. An einem Tisch, schräg hinter einem offenen Kamin, saß der junge und 28
elegante Gambassi, dessen Brieftasche der Butler erst vor wenigen Stunden an sich gebracht hatte. Gambassi, der einen Smoking trug, unterhielt sich angeregt und temperamentvoll mit zwei älteren Männern und sah erst hoch, als die Lady neben ihm stand und sich räusperte. Dieses Räuspern hörte sich an wie eine Folge kleiner Detonationen. Gambassi fuhr zusammen, als sei neben ihm eine Maschinenpistole abgefeuert worden. Dann entdeckte er Mike Rander und schließlich auch Butler Parker. Gambassis Augen wurden groß und kreisrund. Die beiden älteren Männer am Tisch lehnten sich betont zurück. »Wollen Sie mir keinen Platz anbieten, junger Mann?« raunzte Lady Agatha den Italiener an. »Haben Sie Ihre halbwegs gute Kinderstube vergessen, falls Sie je eine hatten?« Bevor Gambassi reagieren konnte, saß die ältere Dame bereits. Sie hatte sich zwischen seine Gesprächspartner plumpsen lassen und drückte sie mit ihrer Fülle links und rechts unverrückbar fest gegen die Lehnen des Doppelsessels. Sie machte es ihnen unmöglich, unkontrollierbare Bewegungen auszuführen. Gambassi, der aufspringen wollte, setzte sich bereits wieder. Er tat es auf keinen Fall freiwillig. Mike Rander hatte ihn wieder in den tie-
fen Sessel gedrückt, während Parker sich hinter dem Italiener aufbaute. Mike Rander nahm auf Gambassis Sessellehne Platz. »Kommen wir gleich zur Sache«, sagte Lady Simpson und verzichtete darauf, ihre dunkel getönte, energische Stimme zu dämpfen. »Ihr Navona und seine angeblichen Schweizer Gardisten werden Ihnen wohl schon erzählt haben, was sich am Strand von Ostia abgespielt hat, nicht wahr?« »Wer… Wer ist Navona?« versuchte Gambassi sich herauszureden. Seine Stimme klang belegt. »Dieser fette Lümmel, der früher vielleicht mal ein Rummelplatzboxer gewesen ist«, erwiderte Agatha Simpson und nahm zur Kenntnis, daß Gambassis Englischkenntnisse akzeptabel waren. »Kommen Sie mir aber nicht mit weiteren Ausreden, junger Mann, sonst werde ich ärgerlich. Sie kennen Marco Bergamo und haben sich mit ihm in Tunis gestritten, oder wollen Sie das etwa leugnen?« »Ich… Ich protestiere«, schnaufte Gambassi und sah die beiden eingezwängten Männer hilfesuchend an. »Ich streite alles ab!« »Gleich nicht mehr.« Agatha Simpson schaute prüfend auf ihre rechte Handfläche. »Nach der ersten Ohrfeige werden Sie höflicher sein. Sie haben es immerhin mit einer alten, hilflosen Frau zu tun.« 29
»Das… Das ist ein Überfall«, jaulte Gambassi verzweifelt. »Wer also hat der kleinen Crillborn das Rauschgift untergeschoben?« Der Detektivin war klar, daß sie keine offene und ehrliche Antwort erhielt. Sie wollte nur provozieren und Gambassi in Verlegenheit bringen und ihm Schwierigkeiten bereiten. »Rauschgift? Ich weiß nichts von Rauschgift.« Gambassi bekam einen dunkelroten Kopf und warf den beiden älteren Männern links und rechts von Lady Simpson einen verzweifelten, zugleich auch entschuldigenden Blick zu. »Aber Sie kennen Miß Crillborn?« schaltete sich Mike Rander ein. »Flüchtig, nur flüchtig«, behauptete Gambassi. »Ich… Ich habe sie auf irgendeiner belanglosen Party kennengelernt.« »Und in Tunis zufällig getroffen, wie man vermuten darf?« fragte daraufhin Josuah Parker. »So war es.« Gambassi nickte erleichtert. »Bei dieser Gelegenheit hatten Sie einen intensiven Streit mit einem gewissen Marco Bergamo, wenn meine bescheidene Wenigkeit richtig informiert wurde?« »Bergamo kenne ich nur flüchtig. Und Streit hatte ich nicht mit ihm. Niemals! Warum sollte ich mich mit ihm gestritten haben?« »Weil er nach diesem Streit Tunis
schnell verließ. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß Sie Mr. Marco Bergamo nachhaltig bedroht haben müssen.« »Niemals. Ich habe…« »Sie haben sechs Strolche unter der Führung dieses Genaro Navona auf Mister Parker gehetzt«, fuhr Lady Agatha grollend dazwischen. »Falls Sie das jetzt abstreiten, jünger Mann, werde ich Ihnen eine Ohrfeige geben.« »Genaro Navona? Schweizer Gardisten?« Gambassi schluckte und nahm sicherheitshalber den Kopf zurück. »Genaro muß Sie belogen haben, Mylady.« »Darf ich mal was sagen?« fragte der ältere Mann, der links von Agatha Simpson eingeklemmt war und sich unwohl fühlte. »Wer sind Sie, junger Mann?« Lady Simpson attackierte den etwa fünfzigjährigen Mann. »Walt Linwood«, kam prompt die Antwort. »Und Sie stammen aus New York, nicht wahr?« fügte Anwalt Rander hinzu. »Ihr Akzent ist unüberhörbar. Ich würde sagen, Hoboken, oder?« »Sie arbeiten am Fall Maud Crillborn, wie?« lenkte Walt Linwood ab, ohne auf Mike Randers Frage einzugehen. »Schön, ich mache Ihnen einen Vorschlag, Lady: Morgen wird die Polizei den Kerl bekommen, der das Rauschgift auf die Jacht der kleinen Crillborn gebracht hat. Reicht 30
Ihnen das?« »Würden Sie diesen Vorschlag Unterstützen?« Parker hatte sich an den schmaleren Mann rechts von seiner Herrin gewandt. »Einverstanden«, antwortete der Gefangene langsam und gedehnt. Auch er sprach deutlich mit amerikanischem Akzent. »Die Crillborn ist schon jetzt frei.« »Und wie ist Ihr Name?« Agatha Simpson stieß dem Schmaleren ermunternd mit der Spitze ihres Ellenbogens in die Rippen, worauf der Mann unter leichten Atembeschwerden litt. »Lome Rockland«, keuchte der Mann mühsam. »Was meinen Sie, Mister Parker?« Die Lady sah ihren Butler fragend an. »Ein Angebot, das man nicht ausschlagen sollte, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Also schön.« Die Detektivin erhob sich, wobei Parker ihr behilflich war. Er hatte einige Mühe, die Fülle der Dame hochzuwuchten, denn das zweisitzige Sofa war recht eng. Dabei fiel Parker nach vorn und drückte sich von den Herren Walt Linwood und Lome Rockland ab. Die Lady baute sich vor den beiden Amerikanern auf und sah sie aus ihren grasgrünen Augen drohend an. »Gnade Ihnen Gott«, meinte sie dann. »Ich habe heute noch meinen
höflichen Tag. Falls Sie mich hintergehen, werden Sie in Zukunft nur noch bedauern, mich je kennengelernt zu haben.« »Ihre Brieftaschen, meine Herren.« Butler Parker, der zur Seite getreten war, reichte Linwood und Rockland zwei teure Brieftaschen aus Krokoleder. Linwood und Rockland zuckten zusammen und machten einen verwirrten Eindruck. Sie hatten überhaupt nicht bemerkt, daß Parker ihnen die Brieftasche mit spielerischer Leichtigkeit abgenommen hatte. Carlo Gambassi sperrte den Mund auf. Ihm war aufgegangen, wo sein Heiligtum gelandet war. Er warf dem Butler einen giftigen Blick zu. Dann aber schüttelte er ungläubig den Kopf. War dieser Butler tatsächlich der ältere Tourist, der ihn vor dem Hotel in der Via Veneto angesprochen hatte? Er konnte und wollte es nicht glauben, doch die Tatsachen redeten ihre eigene Sprache. Lady Simpson marschierte inzwischen auf den schweren Vorhang zu, ohne sich weiter um einige mehr als erstaunte Gäste in der kleinen Bar zu kümmern, die Augen- und Ohrenzeugen dieser interessanten und lauten Unterhaltung geworden waren. Mike Rander und Josuah Parker folgten. Sie ließen drei wütend miteinander tuschelnde Männer zurück, die wahrscheinlich darüber disku31
tierten, was jetzt zu machen war. Josuah Parker konnte sich gut vorstellen, daß dieser Besuch noch längst kein glückliches Ende gefunden hatte. * »Darf ich mir erlauben anzuregen, Mylady, die Haupttür zu meiden?« fragte Parker, als sie das Hauptrestaurant erreicht hatten. »Wozu denn das?« wollte die ältere Dame wissen. »Im Innenhof des Landsitzes, Mylady, dürfte inzwischen Verstärkung eingetroffen sein.« »Natürlich.« Mike Rander nickte bekräftigend. »Auch die Zufahrtsstraße dürfte inzwischen ein paar zusätzliche Sperren erhalten haben.« »Dann werden wir diese Sperren eben durchbrechen«, fand Lady Agatha munter und erfreut. »Dies scheint noch eine recht erfreuliche Nacht zu werden.« Angst war ihr fremd. Agatha Simpson stützte sich dabei auf das außerordentliche Glück, von dem sie bisher immer begünstigt wurde. Wahrscheinlich wußte sie noch nicht mal, daß es ein gewisser Butler Parker war, der schützend seine Hand über sie hielt. Er hatte es bisher immer verstanden, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen noch einen rettenden Ausweg zu finden.
»Was schlagen Sie vor, Parker?« wollte Mike Rander wissen. Zur Freude des Butlers war er seit einiger Zeit zum vertrauten ›Parker‹ zurückgekehrt und verzichtete darauf, das Mr. voranzusetzen. »Möchten Mylady vielleicht vor der Abfahrt noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen?« fragte Parker seine Herrin. »Ist die Küche hier überhaupt akzeptabel?« »Möchten Mylady einen prüfenden Blick in die Räume werfen?« »Aha, ich habe verstanden.« Sie nickte und lächelte grimmig. »Also schön, Mister Parker, inspizieren wir sie. Können Sie hier nicht für etwas Aufregung sorgen?« Dazu war Josuah Parker durchaus in der Lage. Er hatte immerhin vor der Fahrt nach hier einige Vorkehrungen getroffen, um aufdringliche Verfolger zu irritieren. Parker hielt zuerst auf die Pendeltür zu, durch die die Kellner mit den Speisen kamen. Logischerweise mußte sich dahinter die Küche oder zumindest die Annonce befinden. Nachdem Lady Simpson einen herauseilenden Kellner gerammt hatte und Mike Rander hinter der Pendeltür verschwunden war, griff Parker in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und… warf eine schwarze, riesige Ratte ins Lokal. Sie bestand zwar nur aus Gummi, aber sie tat ihre Wirkung!
Zuerst schrie nur eine einzelne Dame, dann erlitten zwei weitere Besucherinnen einen Schreikrampf. Anschließend brüllten einige Männer wenig heldisch. Es dauerte nur Sekunden, bis die gedämpft-vornehme Atmosphäre sich in ein kleines, lautes Chaos verwandelt hatte. Die Damen stiegen auf Stühle und Tische, ohne Rücksicht auf das teure Porzellan. Beherzte Männer machten sich auf die Jagd und traten nach der Rattenimitation, die eine Art Eigenleben besaß, in ihrem Inneren befand sich eine Art Schnappmechanismus. Eine starke, rotierende Feder, die von Parker natürlich vorher aufgezogen worden war, ließ das Gummitier immer wieder hochspringen und herumhopsen. Die eben noch souverän wirkenden Kellner benutzten Wärmehauben aus Silber und Messing, um den hüpfenden Nager einzufangen. Da diese Männer ein wenig zu eifrig zu Werke gingen, behinderten sie sich und brachten sich wechselseitig zu Fall. Wärmehauben stülpten sich auf unschuldige Menschenschädel, man trat und kickte nach dem springenden Tier, benutzte Porzellan als Wurfgeschosse und traf natürlich nicht, da die Gummiratte dank ihres Mechanismus in der Lage war, auch Salti rückwärts auszuführen. Josuah Parker betrachtete wohlwollend sein Werk. Er hatte vorn an der Eingangstür einige handfeste
Männer ausgemacht, deren Smokings zu knapp saßen. Es handelte sich um spezielles Nachtclubpersonal, das wohl zur Aufrechterhaltung der Ordnung diente. Diese muskulösen Männer warfen sich in das wilde Tohuwabohu, um an Parker heranzukommen. Doch sie drangen kaum durch die Menge. Sie wurden immer wieder gestoppt und teilweise auch lädiert. Einer von ihnen – es handelte sich um den untersetzten, muskulösen Türsteher – machte gerade innige Bekanntschaft mit einer gefüllten Suppenterrine, deren Inhalt ihm gar nicht schmeckte, wie Parker deutlich sah. Der Mann erlitt einen Erstickungsanfall und wurde dann von zwei flüchtenden Damen förmlich niedergewalzt. Es waren gewichtig aussehende Matronen, die jeder Schlankheitskur bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen sein mußten. Parker wandte sich ab und betrat die Küche. Ein schneller Blick informierte ihn, wie Agatha Simpson hier tätig geworden war. Der Chefkoch saß in einem riesigen Kessel und litt sichtlich unter der Hitze einer heißen Speise, die gar werden sollte. Er strampelte mit den Beinen und brüllte ein Italienisch, das selbst der sprachbegabte Butler nicht mehr zu identifizieren vermochte. Ein anderer Koch pflückte sich
gerade Crevetten aus dem schwarzen Haar, ein dritter Küchenmeister beendete die Inspektion einer Backröhre. Er hatte den Kopf tief in sie gesteckt und kam mit total verschmiertem Gesicht wieder ans Tageslicht. Parker identifizierte beiläufig, daß des Küchenmeisters Gesicht in einem Auflauf gesteckt hatte. Mike Rander schob gerade einen angehenden Koch über die Herdfläche, während Lady Simpson damit beschäftigt war, einem Zivilisten eine Eisbombe ins Gesicht zu drücken. Hier herrschte emsige Betriebsamkeit. »Wird meine bescheidene Wenigkeit möglicherweise gebraucht?« erkundigte sich Parker bei dem Anwalt. Gleichzeitig griff der Butler nach einem schweren Küchenbeil und schleuderte es wie ein professioneller Messerwerfer durch die Luft. Das kompakte Gerät krachte neben einem hereinkommenden Mann ins Türholz. Dieser Mann ließ vor Entsetzen seinen gezückten Revolver fallen und warf sich zu Boden. Als er sich wieder erheben wollte, legte Lady Simpson ihren Pompadour auf seinen Hinterkopf. Daraufhin streckte sich der Zivilist auf dem gekachelten Boden aus und landete mit dem Gesicht in einer Platte mit Kartoffelbrei. Mike Rander hatte die Ausgangs-
tür erreicht und drückte sie vollends auf. Er warf einen Blick in den dahinterliegenden Raum und nickte Lady Simpson aufmunternd zu. Sie dankte mit majestätischem Kopfnicken und verließ die ein wenig unaufgeräumte Küche. Josuah Parker blieb noch für einen Moment zurück. In der Pendeltür erschienen der Muskulöse und seine beiden Begleiter, sie hatten sich nun doch durchgekämpft und wollten die Verfolgung der Flüchtenden aufnehmen. Der Butler nebelte sie auf seine zwar sehr einfache, aber wirkungsvolle Weise ein. Er ergriff einen kleinen Kessel, in dem eine Minestrone sich im Stadium der Vorbereitung befand. Nachdem er die Flüssigkeit auf die heiße Herdplatte gegossen hatte, stieg dampfender Nebel auf, der die Küche in Sekunden füllte. Erst jetzt schickte der Butler sich an, Lady Simpson und Mike Rander zu folgen. * Das allgemeine Chaos setzte sich auf dem Innenhof fort. Die Gäste purzelten förmlich aus dem Portal und hasteten zu ihren Wagen. Was dann erfolgte, war schon sehr beeindruckend und bewies die Vergänglichkeit irdischer Güter. In der festen Absicht, dieses ungastliche Haus so schnell wie
möglich zu verlassen, jagten die Fahrer mit ihren teuren Karossen auf das Tor zu, wobei sie sich ohne Rücksicht gegenseitig abdrängten oder gar rammten. Die Vorstellung einer Crash-Car-Truppe hätte kaum wirkungsvoller sein können. »Das wird die Autoindustrie wieder zusätzlich ankurbeln«, stellte Rander ironisch fest. Er stand zusammen mit Lady Simpson und Butler Parker unter einer Remise und sah dem munteren Treiben zu. Das Hupkonzert, das die zumeist italienischen Gäste veranstalteten, war infernalisch und hätte den Schöpfer neuer Musik vor Neid erblassen lassen. Dazu krachte Wagenblech, splitterten Scheinwerfer und barsten Autoscheiben. Das an sich recht schwere Tor hing bereits windschief in den Angeln und löste sich immer nachdrücklicher in seine Bestandteile auf. »Sehr hübsch«, meinte Agatha Simpson und nickte Parker zu. »Ich bin soweit zufrieden mit Ihnen, Mister Parker, obgleich sie eigentlich noch ein paar Knallfrösche hätten einsetzen können.« »Dies, Mylady, wird der Fall sein, sobald der Elan dort vor dem Tor nachlassen sollte«, versprach Josuah Parker. »Hoffentlich verschwindet dieser Gambassi nicht«, sorgte sich Lady Agatha weiter. »Damit ist kaum zu rechnen,
Mylady«, antwortete Parker. »Die Herren Linwood und Rockland dürften ihn daran hindern das Weite zu suchen.« »Wie denken Sie über die beiden Amerikaner, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. Er konnte ungeniert laut fragen, denn der Lärm im Innenhof hatte sich eindeutig verstärkt. Inzwischen waren einige Autofanfaren zu hören, die die musikalische Untermalung abrundeten. »Die Herren Linwood und Rockland, Sir, sollte man bereits zum inneren Kreis jener Hintermänner rechnen, die für die Verbringung der Drogen an Bord der Jacht zuständig sind«, lautete Parkers Antwort, während er weiterhin prüfend das muntere Chaos musterte. »Hat die kleine Crillborn jetzt überhaupt noch eine Chance, entlastet zu werden?« fragte Agatha Simpson. »Hatte sie je eine?« Rander wandte sich an Parker. »Meiner bescheidenen Ansicht nach keineswegs«, gab Parker zurück. »Die Herren Linwood und Rockland wollten wohl nur Zeit gewinnen, um Mylady und Sie, Sir, aus dem Weg räumen zu lassen, wobei ich meine bescheidene Wenigkeit erst gar nicht erwähnen möchte.« »Warum, guter Gott, will man verhindern, daß wir für die Kleine tätig 35
werden?« Lady Simpson seufzte. »Ist sie denn für die Gangster überhaupt wichtig?« »Als Sündenbock, Mylady, wenn mir dieser Vulgärausdruck gestattet ist«, entgegnete Josuah Parker. Dann legte er eine kleine Pause ein und klopfte mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Universalregenschirms auf die Stirn eines Mannes, der dem Versteck wohl ungewollt zu nahe gekommen war. »Treffer«, konstatierte Rander, als der Mann zu Boden ging. »Man sollte langsam herausfinden, wer die Drogenladung an Bord der Crillborn-Jacht an die Behörden verpfiffen hat, finden Sie nicht auch, Parker?« »Es bieten sich da zwei Möglichkeiten an, Sir«, sagte Parker gemessen. »Entweder wurden die Behörden von einem Konkurrenzunternehmen unterrichtet, oder aber von einem Agenten der Drogenbekämpfungsbehörde.« »Aha, und wer ist das?« Agatha Simpson hatte die Ohren gespitzt. »Ich habe gleich an so etwas gedacht, wie Sie sich erinnern können.« Sie hatte natürlich nichts in dieser Richtung gesagt, doch weder Mike Rander noch Josuah Parker stellten das richtig. »Was halten Sie von diesem Marco Bergamo?« warf Mike Rander ein. »Sie nehmen mir das Wort von
den Lippen.« Lady Simpson nickte nachhaltig. »Für mich ist die Sache völlig klar und ohne jedes Geheimnis: Dieser angebliche Schauspieler ist ein Agent der Drogenbehörde und wahrscheinlich ermordet worden.« Weder Mike Rander noch Butler Parker sagten etwas. »Denken Sie an den Streit, den Gambassi mit Bergamo in Tunis hatte«, zählte die ältere Dame weiter auf. »Seitdem ist Marco Bergamo verschwunden, also ermordet worden. Sonnenklar, wenn man nur ein wenig logisch nachdenkt.« »In der Tat, Mylady«, gab Parker höflich zurück und studierte die Lage auf dem Innenhof. Es waren nur vier teure Wagen hoffnungslos auf der Strecke geblieben, die anderen Autos hatten mitsamt den Insassen den rettenden Ausgang erreicht und jagten durch die Nacht. Es wurde langsam ruhiger auf dem Landsitz. »Und jetzt?« fragte Lady Simpson. »Die Herren Linwood, Rockland und Gambassi schätzen es möglicherweise, Mylady noch mal begrüßen zu dürfen«, schlug Josuah Parker vor. »Anschließend sollte man die drei Herren dann zu einer gemeinsamen Rückfahrt nach Rom einladen.« »Genau das, was ich vorschlagen wollte.« Die Detektivin nickte. »Aber 36
vorher muß ich noch eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Die Küche sah eigentlich recht einladend aus, wenn ich mich recht erinnere.« * »Sie sind ein ausgemachter Idiot, Gambassi«, sagte der massige Walt Linwood zu dem angeblichen Schriftsteller, der einen zerknirschten und nervösen Eindruck machte. »So was wie Sie hätte in den Staaten noch nicht mal ‘ne Chance als Tellerwäscher bekommen«, fügte der schmale Rockland hinzu. »Was gibt es eigentlich nicht, was Sie restlos versiebt haben?« »Wer konnte denn ahnen, daß dieser Butler…« Gambassi wollte sich verteidigen, doch die beiden Besucher aus den USA ließen ihm keine Möglichkeit dazu. »Sie haben’s noch nicht einmal geschafft, die Ware nach Rom zu kriegen.« Linwood sah den angeblichen Schriftsteller wütend an. »Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, Gambassi. Sie scheinen keine Ahnung zu haben, was da Ihnen noch alles blüht.« »Ich muß entweder von der kleinen Crillborn oder von diesem Bergamo reingelegt worden sein«, antwortete Gambassi. »Vergessen Sie nicht, daß von der Ware nur ein kleiner Teil gefunden wurde!«
»Weil der große Rest fehlt, leben Sie noch«, meinte Rockland nachdrücklich. »Aber wenn Sie den nicht bald auftreiben, sehe ich schwarz für Sie, Gambassi.« »Bergamo ist wie vom Erdboden verschwunden«, redete Gambassi hastig weiter. »Er muß die Ware bereits in Tunis von der Jacht geschafft haben, anders kann ich mir das nicht vorstellen.« »Natürlich hat er sie weggeschafft, Sie Kamel«, brauste Linwood wütend auf. »Wo sollte sie sonst geblieben sein? Das alles haben wir doch lange genug durchgekaut.« »Und ich wiederhole noch mal, Gambassi: Es muß nicht in Tunis passiert sein.« Rockland nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. »Das kann auch während der Fahrt nach Rom über die Bühne gegangen sein.« »Schaffen Sie die Ware herbei«, sagte Linwood zu dem angeblichen Schriftsteller. »Viel Zeit lassen wir Ihnen nicht mehr. In einer Woche muß das Zeug hier in Italien endlich an den Mann gebracht werden.« »Wir werden Ihnen entgegenkommen.« Rockland tat fast schon gönnerhaft. »Linwood und ich werden uns mit dieser verrückten Lady und ihrem Butler befassen. Und den Anwalt kassieren wir gleich mit. Sie haben also freie Hand.« »Sie können sich fest auf mich verlassen.« Gambassi machte jetzt einen 37
erleichterten Eindruck. »Ich werde mir noch mal die Besatzung der Crillborn-Jacht vornehmen.« Die drei absolut nicht ehrenwerten Männer befanden sich in der kleinen Bar hinter dem schweren Vorhang und wiegten sich in dem Glauben, unter sich zu sein. Das war natürlich nicht der Fall. Parker stand in einer weiten Falte dieses Vorhangs und war so frei gewesen, das Gespräch abzuhören. Er hatte Lady Agatha Simpson und Mike Rander in einem Raum hinter der Küche zurückgelassen. Von dort aus waren die noch verbliebenen Wagen im Innenhof des Landsitzes erreichbar. Seine Rechnung war aufgegangen. Das Personal war immer noch unterwegs und suchte wahrscheinlich nach dem Trio, das dieses wilde Chaos angerichtet hatte. Keiner dieser Männer kam auf den Gedanken, die Leute etwa im Landhaus zu suchen. Für diese Muskelmänner konnten die Gesuchten nur Hals über Kopf geflüchtet sein. Also fahndete man nach ihnen draußen vor dem Gebäude. »Ich möchte auf keinen Fall unnötig stören«, schickte Josuah Parker voraus, als er den kleinen Barraum betrat, lüftete höflich die schwarze Melone und wandte sich ausschließlich an die beiden US-Bürger. »Mylady hat meine bescheidene Wenigkeit beauftragt, die Herren
Linwood und Rockland zu einer Fahrt zurück nach Rom einzuladen.« Das Erscheinen des Butlers wirkte zuerst mal sehr lähmend auf die drei Männer. Dann verwandelten sie sich fast in so etwas wie Salzsäulen und starrten den Butler total entgeistert an. Während Gambassi weiterhin in seiner Lähmung verharrte, wurden Linwood und Rockland nun wieder ein wenig munter. Der massige Linwood hatte die Absicht, nach seiner Schußwaffe zu greifen, von deren Existenz Josuah Parker selbstverständlich längst wußte. Immerhin hatte er die Brieftaschen der beiden US-Staatsbürger visitiert. »Ein mögliches Feuergefecht würde zu Ihren Ungunsten ausgehen«, warnte Parker gelassen. »Sie werden sich vorstellen können, daß meine bescheidene Wenigkeit nicht allein gekommen ist. Aber ich möchte Sie natürlich keineswegs in der freien Entfaltung Ihrer Persönlichkeit und Absicht hindern.« Linwood und Rockland ließen es erst gar nicht auf eine Prüfung der Aussage ankommen. Linwood senkte Arm und Hand. »Okay«, sagte er. »Sie haben gewonnen.« »Jetzt wenigstens«, fügte Rockland hinzu. »Mylady wartet«, erwiderte der Butler. »Mylady dürfte ihren kleinen Imbiß inzwischen hinter sich 38
gebracht haben. Wenn ich die beiden Herren dann höflichst bitten dürfte? Mr. Gambassi wird nicht weiter benötigt. Handlanger waren noch nie Myladys Gesprächspartner.« Linwood und Rockland rutschten gehorsam und vorsichtig von ihren Barhockern und kamen auf Parker zu. Gambassi blieb vor dem Tresen sitzen und machte wieder einen sehr unglücklichen Eindruck. »Noch ein Wort zu Ihnen, Mr. Gambassi«, sagte Parker. »Es ist durchaus damit zu rechnen, daß Sie über eine gewisse Intelligenz verfügen. Vielleicht gehen Sie mal mit sich zu Rate und fragen sich, wie Ihre Zukunft aussehen wird. Sie wissen, wo Sie meine bescheidene und dann hilfreiche Person jederzeit finden können.« * Als Linwood und Rockland von Parker gebeten wurden, in einen Citroen zu steigen, der vom Chaos im Innenhof des Landsitzes verschont geblieben war, machte ausgerechnet der schmalere Rockland Schwierigkeiten. Als Gangster, der er mit Sicherheit war, rechnete er mit einer Reise ohne Wiederkehr. Er konnte sich wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen, daß er mit dem Leben davonkam und orientierte sich an den mörderischen Sitten seines Landes und der Mafia.
Rockland witterte deshalb eine Chance, als er Lady Simpson gegenüberstand. Sie war für ihn eine ältere Frau, mit der er leichtes Spiel zu haben glaubte. Er übersah sowohl den perlenbestickten Pompadour wie auch die lange, solide aussehende Perlenkette mit dem Anhänger in der Größe eines Tischtennisballes. Rockland legte sich mit Lady Agatha an. Er schob den Butler ruckartig zur Seite und stürzte sich auf die ältere Dame, um sie in seine Gewalt zu bringen und wohl als Geisel zu nehmen. Doch hatte er seine Rechnung ohne Lady Agatha gemacht, wie sich sofort zeigte. Die Detektivin benutzte ihre Perlenkette, um den Angreifer nicht nur zu stoppen, sondern auch außer Gefecht zu setzen. Sie warf die lange Kette mit den dicken Perlen wie ein Lasso vor und schlang sie geschickt um den Hals des Gangsters, der daraufhin sofort Luftschwierigkeiten bekam. Es kam allerdings noch schlimmer. Rockland, von der langen Doppelkette gewürgt, merkte wahrscheinlich nur im Unterbewußtsein, daß die Perlen nichts anderes waren als Eisenkugeln, die, entsprechend präpariert, Perlglanz vortäuschten. Von der Wucht der Kette, die sich mehrfach um seinen Hals schlang, wurde der Gangster zur Seite geris39
sen und erlitt so weiteres Ungemach: Der Anhänger von der Größe eines Tischtennisballes bestand ebenfalls aus Metall und war kinetisch aufgeladen. Dieser Anhänger klatschte gegen das Kinn des Gangsters, der völlig knockout geschlagen wurde. Rockland taumelte nach hinten und hatte es Josuah Parker zu verdanken, daß er weich landete. Der Butler hatte nämlich geistesgegenwärtig die hintere Wagentür geöffnet, schob den zurücksackenden Gangster mit seinem Regenschirm ein wenig zurecht und ließ ihn auf den Rücksitz rutschen. »Sehr hübsch«, meinte Anwalt Rander, der interessiert zugeschaut hatte, um sich dann an Walt Linwood zu wenden. »Haben Sie vielleicht auch besondere Wünsche? Sie sehen, hier kommt jeder auf seine Kosten.« Linwood hatte keine besonderen Wünsche, schob Rockland zur Seite und nahm neben ihm Platz. Mike Rander setzte sich zu den beiden US-Bürgern, während Agatha Simpson auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Josuah Parker setzte sich ans Lenkrad und ließ dann den großen Wagen anrollen. Weitere Zwischenfälle ereigneten sich nicht. Im Rückspiegel erkannte der Butler eine Gestalt, die in der noch immer geöffneten Tür zum Nachtclub erschien. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um
Carlo Gambassi, der dem Abtransport der beiden Gangster zugesehen hatte, ohne den Versuch zu machen, helfend einzuschreiten. »Hatten Mylady einen appetitanregenden Imbiß?« erkundigte sich Parker bei seiner Herrin, während er den Citroen über die Straße steuerte. »Der Mokka war passabel, Mr. Parker«, erwiderte sie, »auch die Salami war nicht schlecht, aber sonst. Wie gut, daß ich Diät halte, sonst hätte ich mich noch an dieser Mailändertorte vergriffen. Sie paßte besser in das Gesicht eines Lümmels, der mich belästigen wollte.« * Josuah Parker hatte die breite Küstenstraße nach Rom verlassen und den Citroen auf einem schmalen Feldweg geparkt, der zum nahen Strand führte. Nicht weit entfernt waren die verfallenen Reste eines Strandcafes zu erkennen, die von einem Sturm noch mal zusätzlich durcheinandergewirbelt worden sein mußten. Rockland und Linwood lagen im Gras und hatten auf Weisung des Butlers Arme und Beine weit spreizen müssen. Ein Überraschungsangriff war somit ausgeschlossen. »Ziemlich lästig, diese Knaben«, meinte Anwalt Rander in einem leicht versnobten und bewußt näselnden Tonfall. »Haben Sie etwa 40
die Absicht, sie noch länger mit herumzuschleppen?« »Ich würde mir niemals gestatten, Sir, Mylady vorzugreifen«, erwiderte der Butler. »Brauchen wir diese Subjekte noch?« erkundigte sich Lady Agatha prompt. »Die Frage läßt sich respektvoll verneinen, Mylady«, entgegnete der Butler. »Die Fronten sind geklärt, wenn ich dieses Bild mal verwenden darf. Die Herren Linwood und Rockland sind die Beauftragten eines Syndikats, um von Marseille über Tunis Drogen nach Italien zu bringen. Als Transportmittel wurde die Jacht der Miß Crillborn auserkoren, die auf See in der Höhe von Rom von Behörden aufgebracht wurde. Ein kleiner Teil der sogenannten Ware konnte dabei sichergestellt werden, wenn ich die Herren Linwood und Rockland recht verstanden habe, während der weitaus größere Teil der Drogen verschwunden zu sein scheint.« »Wahrscheinlich ist der Löwenanteil von einem Marco Bergamo beiseite geschafft worden«, schaltete sich Mike Rander sichtlich gelangweilt ein. »Ob zusammen mit der Crillborn oder nicht, ist unerheblich.« »Und wer ist dieser Marco Bergamo?« fragte die ältere Dame weiter. Sie labte sich an dem heißen Tee, den der Butler servierte, und beson-
ders an dem alten französischen Kognak, der dazu gereicht wurde. Diese Köstlichkeiten stammten aus dem Kofferraum des gemieteten Mercedes, der ziemlich lädiert auf dem Landsitz zurückbleiben mußte. »Ob man Linwood und Rockland danach fragen sollte«, meinte der Anwalt. »Wozu?« gab Agatha Simpson zurück. »Sie würden doch nur lügen. Diesen Bergamo werden wir auch so finden, Mike. Nein, nein, die beiden Subjekte sind wertlos für mich.« »Und wohin dann mit ihnen?« Rander blieb seiner Rolle treu und spielte den Gelangweilten. Natürlich verkörperten auch Parker und die Lady bestimmte Rollen. Sie wollten Linwood und Rockland suggerieren, hier stünde nur noch zur Debatte, wie man sich dieser beiden Mitfahrer entledigen könne. »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Mylady, gehört Mr. Bergamo zu einer Konkurrenzbande«, warf Parker gemessen ein. »Wahrscheinlich ist die Ware aufgebracht worden, um Einflußsphären abzugrenzen.« »Also Bandenkrieg, Mr. Parker?« »Treffender, Mylady, hätte meine bescheidene Wenigkeit es nie auszudrücken vermocht«, sagte Parker. »Es geht also um den italienischen Markt?« fragte die Detektivin. »Noch etwas Kognak, Mr. Parker, 41
die Seeluft ist kühl.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker versorgte seine Herrin mit einer zusätzlichen Erfrischung. »Myladys Hinweis auf den italienischen Markt trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, wenn ich das sagen darf. Marseille ist der generelle Anlaufpunkt für Rauschgifte aller Art, die aus dem Nahen und Fernen Osten kommen. Von dort aus werden die Drogen dann auf die einzelnen europäischen Länder verteilt, daher auch in diesem Fall der geschickte Umweg über Tunis und die Benutzung einer privaten Jacht.« »Dann gehören Linwood und Rockland also zu den etablierten Gangstern, wie?« fragte Mike Rander und gähnte hörbar. »Im Grund ist das überhaupt nicht wichtig, wenn Sie mich fragen, Parker.« »Die beiden Herren dort im Gras dürften in der Tat von Außenseitern belästigt und bestohlen worden sein«, entgegnete der Butler. »Und Mr. Bergamo dürfte mit einiger Sicherheit zumindest zum Führungskreis dieser Außenseiter gehören.« »Damit wären dann alle Klarheiten restlos beseitigt«, frotzelte Mike Rander. »Mylady, wie lautet Ihre Entscheidung?« »Ich bin eine rachsüchtige Frau«, sagte sie. »Die beiden Subjekte haben versucht, mir einige Strolche auf den Hals zu schicken. Sie wis-
sen, ich meine Gambassi und diesen Navona.« »Mylady denken an die Methode, die Mylady seinerzeit in Schottland anregten?« erkundigte sich Parker. Daß es solch eine Methode nicht gab, konnten die beiden Gangster nicht wissen. »Ich denke an die Methode, die wir damals in Soho anwendeten«, gab sie zurück. »Sie erinnern sich, Mr. Parker?« »Nicht direkt und unmittelbar, Mylady«, bedauerte Parker gekonnt, während Linwood und Rockland wahrscheinlich schon Blut und Wasser schwitzten. »Sie wissen doch, die Geschichte mit der Themse«, präzisierte Lady Agatha genußvoll. »Mylady meinen das Auto im Flußschlamm?« erkundigte sich Parker. »Richtig, Mr. Parker! Treffen Sie alle Vorbereitungen, aber geben Sie mir vorher noch einen doppelten Kognak, Sie wissen, ich habe keine besonders guten Nerven.« »My…My…«, keuchte Linwood in diesem Moment aus dem Gras. »Mylady, wie wäre es mit einem Geschäft? Ich meine, wie wär’s mit ein paar Informationen? Sie werden sich wundern, was wir zu bieten haben!« *
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»He, Rockland, alles in Ordnung.« flüsterte Linwood, als er endlich seine Zunge unter Kontrolle hatte. Der massige Gangster lag auf einem gepflegten Fliesenboden, der penetrant nach Reinigungsmittel roch. Er hatte die Augen aufgeschlagen und musterte verwirrt seine nähere Umgebung. Um ihn herum standen Regale an den Wänden, die mit seltsamen Töpferwaren und Tonscherben gefüllt waren. Licht drang durch zwei kleine, stark vergitterte Fenster in den Raum, der sich unterhalb des Straßenniveaus befinden mußte. Sein Partner Rockland lag neben ihm auf dem Steinboden und rührte sich gerade. Er faßte nach seinen Schläfen und stöhnte. »Alles in Ordnung?« wiederholte Linwood seine Frage. »Mensch, mein Schädel!« Lome Rockland setzte sich hoch und musterte nun ebenfalls seine Umgebung. »Was is’ passiert?« »Dieser verdammte Butler muß uns was in den Tee gekippt haben«, vermutete Walt Linwood. »Und wo sind wir hier?« »Irgendwo in ‘ner Töpferei.« Linwood zog sich mit den flachen Händen an der roh verputzten Wand hoch. Er blieb unsicher auf seinen wackeligen Beinen stehen. »Dann nichts wie raus«, sagte Rockland mit schwerer Zunge. »Warum haben die uns nicht umge-
bracht?« »Is’ das jetzt wichtig? Hauptsache, wir leben noch.« Linwood tastete sich an der Wand entlang und marschierte dann staksig hinüber zum ersten Regal. Er war wirklich noch nicht sicher auf den Beinen, rutschte gegen das Regal und fuhr zusammen, als es leicht schwankte und einige Töpferwaren zu Boden fielen. Der Mann achtete aber nicht weiter darauf. Er wollte so schnell wie möglich den Weg zurück in die Freiheit finden, weil er dem Frieden noch nicht so recht traute. Wer garantierte dafür, daß der skurrile Butler und die exaltierte Lady nicht zurückkamen, um das Verhör fortzusetzen? Auch Rockland stand endlich. Er hatte eine andere Marschrichtung eingeschlagen und bemühte sich, durch eines der schmalen, vergitterten Fenster zu sehen. Da es jedoch zu hoch war, schleifte er eine größere Vase an die Wand, stieg auf den ein wenig bröckeligen Rand und warf dann einen Blick nach draußen. Er sah in einen Innenhof, in dessen Mitte einige Skulpturen aus Marmor und Bronze standen. Dann aber brach die große Tonvase unter ihm zusammen und löste sich in viele kleine Scherben auf. »Hier is’ ‘ne Tür«, rief Linwood indessen. »Komme schon.« Rockland, der sich ein wenig besser fühlte, tastete 43
sich zu seinem Partner durch und entdeckte ihn vor einer schweren Eisentür. »Sieht verdammt böse aus«, sagte Linwood und trat wütend mit der linken Schuhspitze gegen die Tür, die darauf weithin ächzte. »Verdammt, wohin haben die uns geschleppt!?« Sie ließen sich neben der Tür auf einigen Kisten nieder und gaben sich ihrem Unbehagen hin. »Der Butler ist reif«, sagte Rockland nach einer kleinen Pause. »Den mach ich kaputt.« »Und ich die Alte und ihren Anwalt«, versprach Linwood. »Haben wir eigentlich zuviel gequasselt?« »Die wußten doch schon alles«, beruhigte Rockland seinen Partner. »Ich meine die Sache mit den Drogen, das mit Marseille, Tunis und der Konkurrenzbande.« »Aber wir haben immerhin den Namen Giovanni Pisani genannt«, ärgerte sich Linwood. »Den haben die doch auch schon gekannt«, schwächte Rockland ab. »Wer will uns das Gegenteil beweisen?« »Gut, okay.« Linwood hatte sofort verstanden. »Aber dabei müssen wir bleiben, sonst sind wir reif. Moment mal, mir fällt da noch was ein, Rockland: Wir behaupten, vielleicht habe Gambassi gequasselt.« »Der kennt Pisani doch gar nicht.
Nein, wir bleiben stur und behaupten, der Butler hätte schon alles gewußt. Soll Pisani sich doch den Kopf darüber zerbrechen, wer seinen Namen genannt hat.« »Verdammt, wir müssen hier raus«, regte sich Linwood auf und erhob sich. »Los, wir treten und trommeln solange gegen die Tür, bis sich was tut. Vielleicht schaffen wir’s doch, Pisani zu warnen. Dann wären wir völlig aus dem Schneider.« Die beiden Gangster traten und trommelten gegen die Eisentür, die sich plötzlich langsam, fast widerwillig, öffnete. Linwood und Rockland sahen sich verblüfft an und machten sich auf den Weg, die Töpferei zu verlassen… Sie ahnten nicht, was sie erwartete! * Giovanni Pisani war etwa vierzig Jahre alt, sah unverschämt gut aus und hätte sich nur eine altrömische Toga umzulegen brauchen, um als Römer aus der Zeit Cäsars Figur zu machen. Sein nackter Körper war braungebrannt und durchtrainiert, sein Gesicht zeigte Bestürzung und Irritation, denn er wurde immerhin von einer majestätisch aussehenden Dame begutachtet und sogar noch durch eine sogenannte Lorgnette. Dabei handelte es sich um eine zusammenlegbare Stielbrille, wie sie 44
weit vor der Jahrhundertwende verwendet wurde. »Wie… Wie kommen Sie hier herein?« fragte der Nackte. Er lag in einer rechteckigen Wanne, die im Boden des Badezimmers eingelassen war und an einen kleinen Swimming-pool erinnerte. »Sind Sie Giovanni Pisani?« erkundigte sich Lady Simpson und beendete ihre eingehende Inspektion. »Und zieren Sie sich gefälligst nicht wie ein scheues Mädchen! Sie sind nicht der erste junge Mann, den ich nackt sehe!« »Giovanni Pisani«, gab der Mann zurück, der ein passables Englisch sprach. Er sah hilfesuchend nach einem Handtuch, drehte sich dann schamvoll zur Seite und traute sich nicht, aus dem kleinen Swimmingpool zu steigen. »Linwood und Rockland haben mich geschickt«, sagte Lady Agatha. »Sie sind zur Zeit verhindert und anderweitig beschäftigt.« »Wer… Wer sind Sie?« wollte Pisani wissen. Er hatte endlich eine Lage gefunden, die seinem Schamempfinden entsprach. »Sagt Ihnen der Name Simpson etwas?« Lady Agatha nahm auf einem breiten Hocker Platz, der mit dickem Frotteestoff überzogen war. »Sie sind Lady Simpson?« Daß dieser Name ihm nicht unbekannt war, ließ sich leicht feststellen. Pisani fuhr herum und vergaß seine Blöße.
»Eine zur Zeit noch friedliche alte Frau«, erklärte sie und nickte. »Wie war das mit der Crillborn-Jacht, junger Mann? Wieso hat man sich ausgerechnet meine Landsmännin ausgesucht? Ich bin sicher, daß Sie mir weiterhelfen werden.« »Und ich bin sicher, daß ich Sie rauswerfen lassen werde.« Giovanni Pisani wurde munter und pfiff auf seine Blöße. Er fühlte sich der älteren Dame überlegen, plantschte im Wasser herum und schickte sich dann an, den kleinen Swimmingpool zu verlassen. Als der perlenbestickte Pompadour auf seiner nur schwach behaarten Brust landete, klatschte er zurück ins Naß und tauchte erst mal unter. Prustend erschien er wieder an der Oberfläche und spuckte ausgiebig Wasser. »Sie haben wohl zu heiß gebadet, wie?« Lady Simpson schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Sie wollen sich an einer schutzlosen Frau vergreifen, Sie Strolch!? Sie brauchen unbedingt eine Abkühlung.« Giovanni Pisani war zwar erheblich anderer Meinung, doch er hatte keine Chance, sich gegen die anschließende Kaltwasserbehandlung zu wehren. Lady Simpson hatte den Hahn für das Wasser voll aufgedreht und harrte der Dinge, die da kommen mußten. Um den allgemeinen Vorgang ein wenig zu beschleunigen, zog sie sogar noch den 45
großen Stöpsel aus der riesigen, gekachelten Wanne. Gurgelnd rauschte das warme bis heiße Wasser durch den Abfluß, während kaltes nachfloß. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Pisani ein wenig unwohl wurde. Ihn fröstelte, und seine Haut wies die ersten Anzeichen einer Gänsehaut auf. »Nun habe ich doch glatt meine Frage vergessen«, sagte Agatha Simpson und schaute den inzwischen frierenden Pisani an. »Ach richtig: Warum haben Linwood und Rockland sich ausgerechnet die Jacht der kleinen Crillborn ausgesucht? Das kann doch kein Zufall gewesen sein.« »Lassen sie mich raus«, stöhnte Pisani und schnatterte mit den Zähnen. »Warum also Miß Crillborn?« fragte Lady Agatha erneut… »Ich hole mir den Tod«, sagte der Mann und zitterte vor Kälte. »Vielleicht später, aber noch nicht jetzt«, beruhigte Lady Simpson ihn. »Wissen Sie, was mein Butler vermutet? Mister Parker meint, daß Carlo Gambassi eine Art Lockvogel für dumme Dinger ist, die dann später ungefragt als Postboten für Drogen eingesetzt werden. Was, glauben Sie, ist richtig daran?« »Es… Es stimmt«, antwortete Pisani zähneklappernd. »Aber lassen Sie mich jetzt endlich raus! Ich halte es nicht mehr aus.«
»Gleich, junger Mann, gleich!« Die Lady hatte die Druckbrause eingeschaltet und duschte Pisani gründlich ab. Er hatte sich in eine weit entfernte Ecke seines kleinen Swimming-pools zurückgezogen und fror. »Fragen Sie, aber machen Sie endlich Schluß«, klapperte Pisani weiter. »Die beiden Strolche Linwood und Rockland arbeiten für sie, nicht wahr?« »Ich… für… sie«, lautete die ein wenig überraschende Antwort. »Den Chef von Linwood und Rockland kenne ich nicht, den habe ich noch nie gesehen.« »Wohin sollte die Ware von Bord der Jacht geschafft werden? Mr. Parker meint, daß Ihre hübsche Villa der Lager- und Umschlagplatz für die Drogen ist.« »Ich bin dazu gezwungen worden«, sagte Pisani, um Sekundenbruchteile später aufzujaulen. Agatha Simpson hatte auf warmes bis heißes Wasser umgeschaltet, um Pisanis Lebensgeister wieder zu wecken. »Wieso sind Sie gezwungen worden, junger Mann?« wunderte sich die ältere Dame. »Ich… schnupfe«, sagte Pisani. »Was Sie nicht sagen, junger Mann! Etwa Kokain?« »Linwood und Rockland haben mich völlig in der Hand«, jammerte der Mann. »Die werden mich umbringen, wenn sie erfahren, daß 46
ich gesungen habe.« »Gut, ich will Ihnen glauben. Sie können sich ankleiden, junger Mann. Wir werden gemeinsam zu Linwood und Rockland fahren. Nun beeilen Sie sich schon, ich bin ein etwas ungeduldiger Mensch, falls Sie das noch nicht begriffen haben sollten!« Die resolute Dame warf ihm einen Bademantel zu und wandte sich ab. Sie verließ den großen Raum und gab Pisani die Möglichkeit, umgehend die Flucht zu ergreifen. Was sie hier mit ihm angestellt hatte, entsprach genau dem Plan eines gewissen Josuah Parker. * »Mr. Pisani hat soeben seine Villa verlassen«, meldete Josuah Parker schon nach wenigen Minuten. »Erfreulicherweise hat er seinen Sportwagen benutzt.« »Damit transportiert er den Minisender genau in sein Geheimversteck«, stellte Mike Rander fest. »Scheint ja alles nach Plan zu gehen.« »Ich hätte diesen schamlosen Lügner gern noch weiterbehandelt«, bedauerte Lady Simpson. Sie stand zusammen mit Anwalt Rander und Butler Parker hinter einem Fenster der Villa. »Pisani ist der Chef der Drogenhändler, davon bin ich fest überzeugt.«
»Ich möchte mir gestatten, Mylady beizupflichten«, erwiderte Parker. »Die Aussage der Herren Linwood und Rockland war zu detailliert, als daß sie unwahr sein könnte. Sie rechneten mit amerikanischen Gangstermethoden und daher mit ihrer Ermordung.« »Haben Sie hier im Haus irgendwelche Ware gefunden?« fragte Agatha Simpson Rander und Parker. »Nichts, Mylady«, gab Mike Rander zurück. »Damit war auch kaum zu rechnen, Mylady«, weitete Parker die Feststellung des Anwalts aus. »Diese Villa ist der offizielle Wohnsitz Pisanis. Hier würde er nie auch nur ein Gramm Rauschgift aufbewahren. Daher auch meine Bitte um die kleine Komödie, die Mylady so trefflich in Szene zu setzen wußte.« »Wann fahren wir endlich los?« fragte die Detektivin. »Ich möchte Pisani so schnell wie möglich das Handwerk legen.« »Ein gewisser räumlicher und zeitlicher Vorsprung würde das Sicherheitsgefühl des Mr. Pisani nur erhöhen«, entgegnete der Butler. »Der Peilsender ist außerordentlich stark, wie ich versichern darf. Es dürfte kaum Schwierigkeiten machen, ihn aufzuspüren.« Butler Parker, Lady Simpson und Anwalt Rander waren schon lange auf den Beinen, doch von Ermüdung oder Erschöpfung war ihnen nichts 47
anzumerken. Sie hatten die beiden Gangster Linwood und Rockland nach Rom geschafft, um dann auf dem schnellsten Weg nach Ostia zu fahren. Sie hatten Glück gehabt und Pisani tatsächlich in der Hafenstadt erwischt, als er sein Morgenbad nahm. Seine beiden Angestellten, die dem Trio den Zutritt verwehren wollten, befanden sich im Keller des Hauses und grübelten darüber nach, was wohl mit ihnen noch geschehen würde. »Wir haben also noch etwas Zeit«, stellte Lady Agatha fest. »Wie wäre es mit einem kleinen Imbiß, Mr. Parker?« »Mylady können bereits Platz nehmen«, vermeldete Josuah Parker, der sich wieder mal als perfekter Butler erwies. »Während Mylady sich mit Mr. Pisani unterhielt, habe ich mir erlaubt, entsprechende Vorbereitungen in der wirklich gut ausgestatteten Küche zu treffen.« Josuah Parker führte Lady Agatha und Anwalt Rander durch einige elegant eingerichtete Räume in ein Frühstückszimmer neben der Küche. Zur Überraschung seiner Herrin hatte Parker bereits Gedecke aufgelegt. Während sie Platz nahm, verschwand Parker in der Küche. »Er ist ein Goldschatz«, sagte die ältere Dame zu Mike Rander, »schade, daß er es weiß.« »Ich begreife immer noch nicht, Mylady, warum Mr. Parker nie
daran dachte, sich selbständig zu machen«, gab Rander zurück. »Damals schon, als er noch für mich allein arbeitete und sie nicht kannte, habe ich ihm eine volle Teilhaberschaft angeboten. Er lehnte strikt ab.« »Geld und Ruhm interessieren ihn nicht«, gab sie lächelnd zurück. »Es genügt ihm, wenn er sämtliche Fäden in seinen Händen hält.« »Und ob er sie hält!« Rander seufzte auf in komischer Verzweiflung. »Haben Sie manchmal nicht auch das Gefühl, daß auch wir nur seine Marionetten sind, Mylady?« »Niemals«, sagte sie grimmig, als müsse sie sich gegen solch eine Betrachtungsweise verzweifelt wehren. »Was wäre dieser Mann ohne mich? Hilflos und einsam.« »Möglich.« Rander wich lächelnd aus. »Was mich betrifft, Mylady, so bin ich bis heute noch nicht so recht klug aus ihm geworden.« »Das macht ihre Jugend«, stellte Agatha Simpson fest. »Er sehnt sich nach Zuneigung und Liebe.« »Was Sie nicht sagen, Mylady…« Mike Rander sah seine Brötchengeberin verblüfft an. »Und ich gebe ihm das alles«, redete Lady Agatha weiter. »Was die Liebe betrifft, so sollten Sie das natürlich nicht so wörtlich nehmen.« »Natürlich nicht.« Mike Rander lächelte. »Ein Junggeselle wie Parker 48
braucht einfach Geborgenheit«, philosophierte die ältere Dame weiter. »Und er könnte endlich mit dem Frühstück erscheinen, um das mal deutlich zu sagen!« »Das Frühstück, Mylady!« Josuah Parker schien auf dieses Stichwort nur gewartet zu haben. Er erschien und servierte ein opulentes Frühstück. Lady Simpson nickte beifällig. »Recht hübsch«, stellte sie fest. »Spartanisch und kalorienbewußt.« Dann machte sie sich über die Köstlichkeiten her. Rühreier mit Speckscheiben, die kroß gebraten waren, Rostwürstchen, Schinken, diverse Wurstsorten, Käsespezialitäten aus Italien, frisches Obst und schließlich heiße Pfannkuchen mit einer Füllung aus gerösteten Mandeln, Pistazien und Honig. Dazu reichte Parker natürlich einen erstklassigen Kaffee, Tee und verschiedene Kreislaufbeschleuniger. »Sehr diätbewußt«, frotzelte Mike Rander, dem das Wasser im Mund zusammenlief. »Nicht wahr, Mike?« Lady Agatha nickte. »Man muß sich in die strenge Selbstzucht nehmen können, das allein ist das Geheimnis eines gesundheitsbewußten Lebens!« * »Genial, Mr. Parker«, sagte die Lady grollend. »Ihr Peilsender arbeitet ausgezeichnet, aber der Vogel dürfte
ausgeflogen sein.« Agatha Simpson stand neben dem teuren, eleganten Sportwagen, mit dem Giovanni Pisani sich abgesetzt hatte. Lange hatte er diesen Wagen auf keinen Fall benutzt. Nach Parkers Ansicht mußte Pisani frühzeitig Verdacht geschöpft haben, gerade durch die Verwendung dieses auffälligen Wagens eventuell aufgespürt zu werden. Der Gangster war also wahrscheinlich in ein Taxi umgestiegen und hatte sich von Ostia nach Rom bringen lassen. »Haben wir eine Chance, dieses Taxi ausfindig zu machen?« fragte Mike Rander. Man befand sich in Acilia, etwa auf halbem Weg zwischen Ostia und Rom. Der Sportwagen war von Parker mit Leichtigkeit entdeckt worden. Der kleine Peilempfänger, der zu seinem ›Gepäck‹ gehörte, hatte wieder mal ausgezeichnet gearbeitet. »Ein Mann wie Pisani dürfte sich ein Taxi aus Rom genommen haben«, erwiderte Parker. »Wenn er schon einen Verdacht hat, wird er dafür sorgen, keine Spuren zu hinterlassen.« »Ich hätte dieses Subjekt nie laufen lassen«, grollte Lady Agatha weiter. »Und was jetzt, Mr. Parker? Hoffentlich haben Sie einen brauchbaren Vorschlag.« »Nach dem Taxi suchen zu wollen, Mylady, wäre das, was meiner bescheidenen Ansicht nach reine 49
Zeitverschwendung darstellt. Zudem könnte Mr. Pisani auch von einem Freund oder Mitarbeiter abgeholt worden sein.« »Herrliche Aussichten!« Sie schüttelte verweisend den Kopf. »Mr. Pisani wird sich mit letzter Sicherheit wieder melden, Mylady.« »Wie soll ich denn das verstehen?« »Mylady mögen an die Niederlage denken, die Mylady Mr. Pisani beigebracht hat. Ein Mann wie Pisani wird sich für diese Schmach rächen wollen.« »Das klingt schon besser.« »Er wird wahrscheinlich schon jetzt Rachegedanken wälzen, Mylady.« »Hoffentlich, Mr. Parker, hoffentlich. Mit anderen Worten, er wird im Hotel erscheinen, wie?« »Mr. Pisani wird Mylady dort mit Sicherheit anläuten«, versprach Josuah Parker. »Mr. Pisani wird versuchen, Mylady eine tödliche Falle zu stellen.« »Ein makabrer Gedanke, Mr. Parker. Fahren wir also zurück nach Rom und ins Hotel.« »Arbeitet der Peilsender eigentlich noch?« erkundigte sich Anwalt Rander. »Die Spezialbatterie, Sir, wird eine Sendung für die kommenden fünf Stunden garantieren. Sie denken an die Möglichkeit, daß Mr. Pisani seinen teuren Wagen bergen läßt?« »Darauf möchte ich Gift nehmen,
Parker. Solch einen Wagen läßt man nicht stehen.« »Vor allen Dingen nicht so auffällig hier am Straßenrand, Mr. Parker«, warf Lady Agatha ein. »Wir wären auf den Wagen auch ohne den Peilsender gestoßen.« »In der Tat, Mylady! Darf ich darauf verweisen, daß man möglicherweise bereits beobachtet wird?« »Lenken wir die Spitzel also ab.« Agatha Simpson marschierte zum Citroen zurück. »Und hoffen wir auf einen Überfall unterwegs.« Sie war sehr enttäuscht bei der Rückkehr ins Hotel. Giovanni Pisani hatte sich nicht gerührt. Vielleicht stand er noch unter dem Schock, den Lady Simpson ihm verabreicht hatte. Vielleicht hatte er sogar panische Angst davor, sieh mit der älteren Dame noch mal anzulegen. * Josuah Parker pflegte ein wenig der Ruhe. Der Butler saß in leicht entspannter Haltung in einem Sessel, hielt die Augen geschlossen und ließ die Stadien der bisherigen Entwicklung des Falles Revue passieren. Es gab da einige Dinge, die noch mal genau durchdacht werden mußten. Er fragte sich, ob hier wirklich der Versuch gemacht worden war, eine etablierte Rauschgiftorganisation zu unterlaufen. Zu dieser Seite gehör50
ten eindeutig Pisani, die beiden USStaatsbürger Linwood und Rockland und schließlich auch noch Gambassi. Es stand fest, daß diese Männer nicht nur einmal ihre tödliche Ware von Marseille aus via Tunis nach Italien geschafft hatten. Der scheinbare Umweg über Tunis war die beste Methode, die Drogen hier ins Land zu schaffen. Das Reizwort ›Marseille‹ fiel für die zuständigen Behörden somit unter den Tisch und löste kaum übertriebenes Mißtrauen aus. Parker setzte sich in die Gedankenwelt von Drogenhändlern. Er fragte sich, ob er Rauschgift im Wert von Millionen von Dollar jeweils auf andere Jachten und Schiffe verfrachten würde. Die Ware mußte immerhin von Fall zu Fall an Bord dieser Schiffe geschmuggelt werden. Und nach der Ankunft in einem italienischen Hafen mußte eben diese Ware heimlich wieder von Bord geschafft werden. Die Gefahr einer Zufallsentdeckung war mehr als groß. Hinzu kam ein anderer Punkt. Der Rauschgifthandel befand sich inzwischen längst in der Hand einer weltweiten, straff geführten Organisation, die von der internationalen Mafia geleitet wurde. Wer würde es schon riskieren, sich mit ihr anzulegen? Gab es in diesem speziellen Fall der Maud Crillborn überhaupt ein Konkurrenzunternehmen, das den Löwenanteil der Ware an sich gebracht hatte? Parker konnte sich
so etwas kaum vorstellen. Wenn überhaupt, dann konnten es nur wenige Einzelpersonen sein, die das Risiko eingegangen waren, die Mafia zu hintergehen und zu berauben. Solche Einzelpersonen aber konnten unmöglich aus der Rauschgiftszene stammen. Eingeweihte wußten schließlich, was ihnen blühen würde, wenn die Mafia ihre Killer los schickte. Sie mußten wissen, daß sie erbarmungslos gehetzt wurden. Die Mafia hatte viel Zeit und noch mehr Verbindungen in aller Welt. Parker kam zu dem weiteren Schluß, daß hier nur Dilettanten am Werk gewesen waren, Menschen also, die die Macht der Mafia völlig falsch einschätzten. War dieser Marco Bergamo solch ein Laie, der sich völlig überschätzte? Und welche Rolle spielte Maud Crillborn tatsächlich? War sie so unschuldig, wie sie es beteuerte? Josuah Parker griff nach dem Telefon und führte innerhalb der nächsten halben Stunde wichtige Gespräche mit dem Hafenamt in Civitavecchia, dem modernen Hafen Roms. Er sprach mit den gleichen Ämtern in Monaco, Genua, Livorno und schließlich auch mit den zuständigen Behörden in Marseille und in Tunis. Dank seiner Sprachkenntnisse, die wirklich frappierend waren, erhielt er interessante Auskünfte, die alle für sich genommen 51
recht harmlos klangen. Nach dieser halben Stunde aber wußte er eindeutig, daß Maud Crillborns Jacht einen regen Pendelverkehr zwischen all diesen Häfen ausgeführt hatte. Die junge Engländerin schien das Kreuzen auf dem Mittelmeer über alle Maßen zu lieben. Ausgangspunkt dieser Kreuzfahrten aber waren Marseille und andere französische Mittelmeerhäfen wie Toulon, St. Tropez und Cannes. Von diesen großen und kleinen Orten aus ging es aber in allen Fällen hinüber nach Tunis. Die Liegezeiten der Crillborn-Jacht betrugen durchschnittlich zwei bis drei Tage, dann stach man wieder in See und zwar in Richtung Italien. Das alles konnte unmöglich ein Zufall sein. Innerhalb eines Jahres war die Jacht der Maud Crillborn wenigstens über zwölfmal unterwegs gewesen. Natürlich drängte sich Parker die Frage auf, ob Maud Crillborn wirklich der reine Unschuldsengel war, wie sie behauptete. Stand sie vielleicht in Diensten der RauschgiftMafia? Wurde sie möglicherweise erpreßt? Oder war sie nur ein verwöhntes reiches Mädchen, das keine Ahnung hatte, welche Konterbande es transportiert hatte? Nun, Parker bot sich noch eine zusätzliche Möglichkeit an. Hatte Maud Crillborn zusammen mit diesem Marco Bergamo versucht, die
Ware an sich zu bringen? War sie es gewesen, die den Behörden einen Tip gegeben hatte? Hatte sie sich absichtlich aufbringen und nun auch noch einsperren und unter Anklage stellen lassen? Mit solch einem Coup konnte sie immerhin den Verdacht der Mafia von sich wenden und auf ein Konkurrenzunternehmen verweisen, das überhaupt nicht existierte. Parker fuhr aus seinen Überlegungen hoch, als das Telefon sich meldete. Er hob ab, nannte seinen Namen und hörte auf der Gegenseite eine ihm inzwischen bekannte Stimme. »Hier Gambassi«, sagte der angebliche Schriftsteller. »Hören Sie, Mr. Parker, ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen.« »Ich erlaubte mir, so etwas bereits zu ahnen.« »Ich liefere Informationen über Linwood, Rockland und Pisani.« »Sie rechnen wahrscheinlich, wie ich vermute, mit einer entsprechenden Gegenleistung.« »Ich brauche Geld, um hier abzuhauen.« »An welche Summe haben Sie gedacht, Mr. Gambassi?« »Fünfundzwanzigtausend Dollar! Moment, noch etwas, Mr. Parker: Ich weiß vielleicht, wo Sie diesen Marco Bergamo erwischen können.« »Mylady wird gute Informationen entsprechend honorieren, Mr. Gam52
bassi. Wo und wann könnte man sich treffen?« »Ich habe nicht mehr viel Zeit, es müßte sofort sein.« »Nennen Sie Zeit und Ort, Mr. Gambassi.« »Ich warte in den Gärten der Villa Borghese auf Sie, Mr. Parker, am Äskulaptempel. Und bringen Sie das Geld mit, sonst sage ich kein Wort.« »Sie können versichert sein, Mr. Gambassi, daß ich umgehend reagieren werde«, antwortete Josuah Parker. »Erwarten sie mich in, sagen wir, einer Stunde.« »Erst in einer Stunde?« Enttäuschung lag in Gambassis Stimme. »Denken sie an die bizarren Verkehrsverhältnisse hier in Rom«, antwortete Josuah Parker. »Zudem werde ich mich um das verlangte Bargeld bemühen müssen. In einer knappen Stunde, Mr. Gambassi! Ich darf doch davon ausgehen, daß Sie allein sein werden?« »Wie Sie«, sagte Gambassi, um dann aufzulegen. * Der Butler hatte seinen schwarzen Lederkoffer geöffnet, der ihn auf allen Reisen und Wege begleitete, wenn es sich eben einrichten ließ. Dieser Koffer enthielt eine Reihe von ausgesuchten Spezialitäten zur Abwehr von Gegnern. Ein Butler Parker hielt nichts von den handels-
üblichen Waffen, wie sie Gangster benutzten. Er wollte nicht töten, sondern nur unschädlich machen. Josuah Parker entschied sich erst mal für eine Zigarre, die an einen kleinen Torpedo erinnerte. Er kontrollierte den versteckten Mechanismus im Innern dieser Patentzigarre und ließ sie dann in einer seiner vielen Westentaschen verschwinden. Anschließend zierte er seine schwarze Krawatte mit einer etwas zu großen Schmuckperle, die von einer Art Miniaturkrone eingefaßt war. Der Schaft dieser Schmuckperle ging in einen äußerst dünnen und feinen Schlauch über, der seinerseits in einem kleinen Gummiballon endete, den Parker sich unter der linken Achselhöhle mit einem Heftpflaster befestigte. Es handelte sich um eine sinnvolle Einrichtung. Drückte er mit dem Oberarm gegen diesen kleinen Gummiballon, dann schoß die darin befindliche Flüssigkeit durch den schmalen Schlauch in die Miniaturkrone, deren Spitzen feinste Öffnungen aufwiesen und als Zerstäuber wirkten. Die Reichweite solch eines Sprays hing vom Druck des Oberarms ab und lag maximal bei gut einem Meter. Doch damit nicht genug, denn Parker rechnete mit Überraschungen im Park der Villa Borghese. Er traute Gambassi nicht über den Weg und konnte sich gut vorstellen, daß die53
ser angebliche Schriftsteller im Auftrag eines gewissen Giovanni Pisani handelte. Parker versorgte sich noch mit einigen Spezialkugelschreibern, die eigentlich schon zu seiner Standardausrüstung gehörten. Er präparierte sie in seiner Londoner Bastelstube und ließ sich immer wieder neue Überraschungen einfallen. Vom Hotel in der Via Veneto war es natürlich nicht weit bis zu den Gärten der Villa Borghese. Mit dem chaotischen Straßenverkehr brauchte er überhaupt nicht zu rechnen. Diese Strecke ließ sich leicht zu Fuß zurücklegen. Er rechnete jedoch mit einer diskreten Überwachung seiner nächsten Schritte und wollte auf jeden Fall eine der nahen internationalen Banken aufsuchen. Gambassi sollte den sicheren Eindruck gewinnen, daß er in aller Kürze fünfundzwanzigtausend Dollar kassieren würde. Josuah Parker verzichtete darauf, seine Herrin zu informieren. Ihr Ungestüm hätte wohl doch ein wenig störend gewirkt. Für sie und Anwalt Rander hinterließ Josuah Parker eine kurze Nachricht, in der er auf eine bestimmte Frequenz des Peilempfängers verwies. Und bevor er nun sein Hotelzimmer verließ, befestigte er einen Minisender unter dem linken Revers seines schwarzen Zweireihers. Er schaltete diesen winzig kleinen Sender bereits ein, als er
mit dem Lift in die Hotelhalle fuhr. Man erwartete ihn bereits, was ihn allerdings überhaupt nicht aus der Fassung brachte. Zwei gut gekleidete Männer, die wie seriöse Geschäftsleute aussahen, nahmen ihn in die Mitte und teilten ihm höflich mit, es käme ihnen nicht darauf an, sofort und gnadenlos zu schießen, falls er Dummheiten machen würde. »Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann wie meine bescheidene Wenigkeit ist über das Stadium jungenhafter Dummheiten seit Jahren hinaus«, stellte Josuah Parker klar. »Darf ich davon ausgehen, daß Sie mich zu Mr. Gambassi bringen werden?« »Zu dem auch«, sagte der Mann links neben ihm. »Also in erster Linie zu Mr. Pisani, wenn ich nicht irre?« »Zu dem auch«, sagte der Mann rechts von Parker. »Soll es vorher noch zur Bank gehen?« Der Butler faßte sich erstaunlich knapp. »Geld bekommen wir später«, sagte der Mann links von ihm. »Ich hoffe, Ihre Lady löst Sie aus.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab Parker zurück. »Darf ich Ihnen übrigens versichern, daß ich mit solch einer prompten und schnellen Konfrontation nicht gerechnet habe?« 54
»Wir sind von der schnellen und messerscharfen Truppe«, sagte der Mann rechts von Parker und lächelte dünn. »Vergessen Sie das nicht, wenn wir gleich zum Wagen rübergehen!« »Ein mir bekanntes Modell«, erwiderte Parker. Er sah auf der anderen Straßenseite den teuren Sportwagen, den Pisani in Ostia zurückgelassen hatte. Er fragte sich, ob Mike Rander und Agatha Simpson hin und wieder auch auf jene Sendefrequenz umschalten würden, auf der der Minisender geeicht war, der an diesem Modell haftete. * Man hatte Parker gründlich durchsucht und natürlich keine handelsüblichen Waffen gefunden. Die Kugelschreiber waren übersehen worden, und für die Zierperle in seiner Krawatte interessierte sich keiner von den beiden Gangstern. Sie hatten den kleinen Gummiball in der Achselhöhle überhaupt nicht wahrgenommen, denn sie hatten nur nach normalen Schußwaffen gefahndet. Auch die Revers seines schwarzen Zweireihers waren daher nicht kontrolliert worden. Josuah Parker war also nach wie vor abwehrbereit, doch noch dachte er nicht daran, sich gegen diese Ausfahrt zu sträuben. Er wollte Pisani so schnell wie möglich wiedersehen.
Er stand ihm nach etwa zwanzig Minuten gegenüber! Giovanni Pisani hatte im Stadtteil Trastevere Unterschlupf gefunden, jenem Viertel, das sich durch malerische Gassen, enge Straßen und intime Plätze auszeichnete. Das Lokalkolorit der Riesenstadt Rom war hier noch besonders bunt und eindrucksvoll ausgeprägt. Während der Fahrt hierher hatte Josuah Parker aber kaum auf die Schönheiten dieses Stadtteils geachtet. Die beiden seriös aussehenden Männer hatten ihn in einen engen Hinterhof gebracht und von dort aus in das Innere eines schmalbrüstigen Hauses, in dem trotz der Tageszeit nur Halbdunkel herrschte. Wegen der aufkommenden Mittagshitze waren die Sonnenblenden heruntergelassen worden. Giovanni Pisani musterte den Butler aufmerksam und schüttelte dann irritiert den Kopf. »So also sehen sie aus?« sagte er dann. Diese Feststellung war berechtigt, denn in seiner Villa in Ostia hatte er, wenn überhaupt, den Butler nur flüchtig gesehen. »Darf ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, daß Sie sich ausgerechnet meiner bescheidenen Wenigkeit versicherten?« fragte Josuah Parker. »Stapeln Sie bloß nicht tief, Parker«, erwiderte Pisani und lächelte allwissend. »Ich habe inzwi55
schen Erkundigungen eingezogen. Sie sind genau der Mann, den ich jetzt brauche.« »Sie versetzen mich in eine gewisse Erwartungshaltung, Mr. Pisani.« »Freunde von mir sind nicht besonders gut auf Sie zu sprechen, Parker.« Noch gab Pisani sich höflich, ja, fast amüsiert. »Sie denken an Freunde innerhalb der weltweiten Mafia, wenn ich nicht sehr irre?« »Richtig, Parker! Aus den Staaten liegen da einige Ausschreibungen vor. Einigen Freunden sind Sie sogar ein Kopfgeld wert.« »Sie erschrecken einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann, wenn ich das so sagen darf.« »Sie haben in den Staaten verdammt viel Ärger ausgelöst.« »Ich möchte nicht verhehlen, daß es hin und wieder zu gewissen Auseinandersetzungen gekommen ist, Mr. Pisani.« »Das Kopfgeld ist ziemlich hoch.« Pisani lächelte jetzt nicht mehr. »Wäre der Ausdruck Lösegeld unter Umständen passender?« »Vielleicht, aber darüber kann ich schon nicht mehr entscheiden. Das ist Sache unserer italienischen Sektion.« »Der Sie angehören, wie ich unterstellen darf, nicht wahr?« »Die ich leite, Parker!« Pisani war ein stolzer Römer und warf sich in
die Brust. »Was ich da Ihrer Lady erzählt habe, war natürlich alles reiner Unsinn.« »Mylady unterstellte das, Mr. Pisani. Sie war und ist der Ansicht, von Ihnen belogen worden zu sein. Die Herren Linwood und Rockland sind Ihnen unterstellt. Dies gilt selbstverständlich auch für Mr. Gambassi und dessen Muskelmänner.« »Wollen Sie mir auf den Zahn fühlen?« Pisani rauchte. »Wollen sie mich aushorchen?« »Ich erlaube mir nur, Tatsachen festzustellen, Mr. Pisani, doch ich möchte gestehen und einräumen, daß gewisse Zusammenhänge noch vollkommen undurchschaubar für meine bescheidene Person sind.« »Zum Beispiel, Mr. Parker?« Pisani wirkte plötzlich wieder amüsiert. Er glich einer Katze, die mit einer wehrlosen Maus spielen wollte. Noch zeigte diese Katze nicht ihre Krallen. »Die italienischen Behörden brachten die Jacht der Miß Crillborn auf und fanden Rauschgift an Bord«, erklärte Josuah Parker. »Die gefundene Menge scheint aber auf keinen Fall dem zu entsprechen, was tatsächlich an Bord hätte sein sollen. Mit anderen Worten, die eigentliche Drogenware ist auf eine geheimnisvolle Art und Weise verschwunden. Dies scheint Ihnen das zu bereiten, was man gemeinhin Kopfschmerzen 56
nennt.« »Richtig gesehen, Parker.« Pisani nickte bestätigend. »Sie verdächtigen einen gewissen Marco Bergamo, den Löwenanteil der Drogen beiseite geschafft zu haben.« »Immer noch richtig.« »Und Sie sind dagegen, daß Lady Simpson, Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit Schritte unternehmen, um Miß Crillborn aus der Haft zu befreien, legal, worauf ich besonders hinweisen möchte. Das hat natürlich Gründe.« »Reden sie nur ruhig weiter, Parker.« Pisani stand neben einem einfachen Tisch und hob ein Glas mit Rotwein. Er nahm einen kleinen Schluck. »Warum könnte ich dagegen sein, daß die Crillborn aus der Haft entlassen wird?« »Lassen sie es mich so sagen, Mr. Pisani: Solange Miß Crillborn sich in Haft befindet, kann sie weder flüchten noch etwas unternehmen. Und daran sind sie ungemein interessiert.« »Wofür ich selbstverständlich wieder mal meine Gründe habe, nicht wahr?« »In der Tat, Mr. Pisani!« Parker blieb gelassen und würdevoll, obwohl er sehr mit dem Feuer spielte. Er ließ immerhin deutlich erkennen, wie gut er orientiert war und wie geschickt er kombinierte. Schon allein nach den bisherigen
Feststellungen konnte Pisani ihn nie wieder freilassen. »Und welche Gründe habe ich? Genieren Sie sich nicht, Parker!« »Miß Crillborn hat nach meinen bescheidenen Ermittlungen mehrere sogenannte Vergnügungsund Kreuzfahrten durch das Mittelmeer unternommen«, entgegnete Parker. »In allen Fällen dürfte sie, ob informiert oder nicht, Drogen an Bord ihrer Jacht transportiert haben. Sie, Mr. Pisani, vermuten nun, daß Miß Crillborn den Löwenanteil der letzten Sendung an sich gebracht haben könnte.« »Mit diesem Marco Bergamo.« Pisani nahm wieder einen Schluck Rotwein. »Darf ich höflichst fragen, ob Sie diesen Mann kennen, Mr. Pisani?« »Gambassi kennt ihn. Und natürlich auch die kleine Crillborn.« »Aber ich gehe durchaus recht in der Annahme, daß besagter Marco Bergamo bisher nicht aufgespürt werden konnte, nicht wahr?« »Er hat sich rechtzeitig abgesetzt. doch weit wird er nicht kommen.« Pisani lächelte selbstsicher und überlegen. »Und dann haben wir ja immer noch die Crillborn, oder?« »Sie gehen davon aus, daß sie weiß, wo die Ware sich befindet?« Parker hakte hier noch mal bewußt nach. Er hatte längst gespürt, daß Pisani ausgesprochen mitteilsam war. Der Mafiavertreter fühlte sich 57
als Herr der Lage und hatte zudem wohl schon längst beschlossen, ihn, Josuah Parker, umbringen zu lassen. Warum also sollte Pisani sich einer gewissen Zurückhaltung befleißigen? »Sie weiß, wo Bergamo ist, sie weiß, wo die Ware versteckt ist«, erwiderte Pisani und nickte. »Aber jetzt möchte ich mal was von Ihnen wissen, Parker.« »Ich stehe zu Diensten, Mr. Pisani.« »Wohin sind Linwood und Rockland verschwunden, he? Sie haben sie doch nicht etwa umgebracht? Mißverstehen wir uns nicht, im Grund ist es mir völlig Wurst, was aus diesen beiden Großmäulern geworden ist. Diese Typen aus den Staaten stören hier nur, aber wissen möchte ich eben, ob ich noch mit ihnen rechnen muß.« Parker deutete ein verständnisvolles Nicken an und begann mit einer längeren Erläuterung. * Die beiden US-Staatsbürger Linwood und Rockland hatten das Töpfereimagazin verlassen und sich durch einen weiteren Keller gepirscht, um zurück in die Freiheit zu gelangen. Der langgestreckte Raum, der an einen riesigen Kellerkorridor erinnerte, war mit Regalen gefüllt, die
ihrerseits Tonscherben und Töpferwaren aller Art aufwiesen. »Weiß der Henker, warum man diesen Mist überhaupt aufbewahrt und nicht auf den Müll wirft«, sagte Rockland verächtlich. »Manche Idioten können sich eben von nichts trennen«, gab Linwood zurück und hielt auf eine weitere Eisentür zu. »Ich bin mal gespannt, was da hinter der Tür ist.« Sie ließ sich überraschenderweise ebenfalls öffnen und gab den Weg frei in das nächste Magazin, das die beiden Gangster durchquerten. Auch hier standen überall Regale, angefüllt mit Töpferwaren und Scherben. Die beiden Gangster nahmen sich nicht die Zeit, auch nur einen prüfenden Blick auf diese ›Müllhaufen‹ zu werfen, wie sie es nannten. Sie suchten weiterhin die Freiheit, die sie nicht fanden. Sie marschierten von einem Magazin ins andere und wunderten sich, wie groß die unterirdische Kelleranlage war. »Da stimmt doch was nicht«, sagte Linwood nach einer halben Stunde Fußmarsch und nahm müde auf einer Kiste Platz. »Wohin hat der verdammte Butler uns nur gebracht?« »Irgendwo muß es doch ‘ne Treppe nach oben geben?« Rockland war stehengeblieben und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und überhaupt nichts zu hören, 58
Linwood! Irgendwas ist hier faul…« »Wir müssen weiter.« Linwood stand auf und übernahm die Führung durch die nächsten Magazine. Dann erreichte er plötzlich eine Treppe und blieb mehr als überrascht stehen. »Die geht ja nach unten«, sagte Rockland. »Das sehe ich auch. Was machen wir jetzt?« »Wir gehen erst mal runter.« »Und dann?« »Sehen wir weiter, Hauptsache, wir. stecken nicht auf.« Die beiden US-Staatsbürger machten längst einen leicht aufgelösten Eindruck. Ihre Nerven waren zudem zum Zerreißen gespannt. Sie litten zwar nicht gerade unter Platzangst, doch sie hatten das unheimliche Gefühl, in ein Labyrinth gesteckt worden zu sein. Sie stiegen die Treppe hinunter und blieben in einem weiteren Kellerraum stehen, dessen Ende nicht mehr zu erkennen war. Das über die Treppe einfallende Licht reichte nicht mehr aus, Einzelheiten erkennen zu lassen. »Nee, ich gehe nicht weiter«, sagte Rockland. »Scharf drauf bin ich auch nicht gerade«, entgegnete Linwood. »Wenn ich diesen Butler erwische!« Rockland drängte es zur Treppe zurück. »Moment mal, was war das?« Lin-
wood hob warnend die Hand. »Was denn?« Rockland bedauerte es ungemein, seine Schußwaffe verloren zu haben, sonst hätte er wahrscheinlich sinnlos in die Dunkelheit geballert. »Da war so ‘n komisches Trippeln und Pfeifen.« »Ob wir mal rufen?« »Nee, zurück nach oben.« Die beiden müden Helden beeilten sich wieder hinaufzusteigen und hasteten dann weiter, nur um diese unheimliche Kellertreppe hinter sich lassen zu können. Endlich stießen sie auf eine Treppe, die nach oben führte. Die beiden Gangster pirschten sich dorthin und erreichten einen weiteren Saal, der als Magazin für Töpferwaren diente. Genau in diesem Moment erlitt Linwood einen hysterischen Anfall. Er konnte keine Töpferwaren mehr sehen. Er riß aus den Regalen, was er greifen konnte und feuerte diese Tonwaren mit Kraft und Wut quer durch das Magazin. Rockland fühlte sich seinerseits ermuntert und beteiligte sich an diesem Wurfspiel. Nachdem sie ein Regal geräumt hatten, marschierten sie über die knirschenden Trümmer und erreichten wieder eine Tür, die aus solidem Eisenblech bestand. Sie bauten sich vor ihr auf und eröffneten ein Trommelkonzert, bis ihre Kräfte erlahmten. Schließlich ließen sie sich neben 59
der Tür nieder und schauten sich entgeistert an. »Wer ist da.« fragte eine Stimme hinter der schweren Eisentür. »Auf… Aufmachen«, schrie Linwood sofort mit sich überschlagender Stimme. »Nun mach’ schon«, brüllte auch Rockland mit Stentorstimme, »los, Beeilung, sonst schlagen wir hier alles kurz und klein.« Hinter der Tür blieb alles still. »Der hat sich abgesetzt«, vermutete Linwood. Er flüsterte jetzt unwillkürlich. »Dem Kerl schlage ich die Nase ein«, regte sich Rockland auf. Die beiden US-Bürger hatten noch gut eine halbe Stunde Zeit und Gelegenheit, sich aufzuregen, dann endlich waren Schritte zu hören, die sehr energisch klangen. Jenseits der Tür wurden Riegel geöffnet, gleich darauf rasselten Schlüssel. Die beiden Gangster bauten sich links und rechts von der Tür auf, um nach dem Öffnen hinaus in die Freiheit zu hetzen. Das klappte allerdings nicht, als sie in die Mündungen einiger Pistolen schauten. Sie nahmen gehorsam die Arme hoch und verzichteten darauf, sich mit den Karabinieris anzulegen, die vor ihnen standen. »Was… Was soll das bedeuten?« fragte Linwood dann heiser. »Sie sind verhaftet«, sagte einer der Polizeibeamten. »Und Sie wer-
den uns erklären müssen, wie Sie hier hereingekommen sind.« »In diese blöde Töpferei?« fragte Rockland. Sein Italienisch war kaum besser als das seines Freundes. »Töpferei?« fragte der Polizeioffizier und krauste die Stirn. »Das hier ist das Magazin für Altersfunde.« »Für was?« Linwood schluckte und ahnte bereits, was ein gewisser Parker ihnen angetan hatte. »Für Altersfunde«, wiederholte der Polizeioffizier streng. »Sie wollten hier wohl antike Töpfereien stehlen, wie?« »An…Antike Töpfereien?« Rockland dachte an die Scherbenhaufen, die sie zurückgelassen hatten. »Darauf steht Gefängnis«, redete der Polizeioffizier weiter, der sich nun an einen Zivilisten wandte, der die Polizei wohl alarmiert hatte. »Stellen Sie fest, ob diese Vandalen Bruch gemacht haben. Falls ja, dann können die beiden Herren sich auf einige Jahre gefaßt machen.« Linwood und Rockland bekamen fast gleichzeitig einen trockenen Mund. Sie dachten nämlich an das Regal, das sie abgeräumt hatten. Sie warfen sich verzweifelt auf die Karabinieris, um vielleicht doch noch flüchten zu können. Nun, sie schafften es natürlich nicht und ließen sich Minuten später fast dankbar Handschellen anlegen. Sie waren froh, nicht weiter verprügelt zu werden. »Zum geplanten Diebstahl kommt 60
jetzt noch Widerstand gegen die Staatsgewalt«, sagte der Offizier fast erfreut. »Kunstdieben wie euch wird man gründlich das Handwerk legen. Wir haben es satt, ausgeplündert zu werden. Ich denke, der Richter wird ein Exempel statuieren!« * »Sie… Sie haben Linwood und Rockland in ein Magazin gesteckt?« fragte Pisani, als Parker seinen Bericht erstattet hatte. »Dort werden Altertumsfunde aufbewahrt«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art. »Hoffentlich waren die Herren Linwood und Rockland sich der Werte bewußt, die sie umgaben.« »Warum so umständlich?« wollte Pisani wissen. »Nun, Mr. Pisani, diesen beiden Bürgern der USA wird man schwerlich Rauschgiftdelikte nachweisen können«, antwortete der Butler gemessen. »Für das also, was sie bereits getan haben, würden sie straffrei ausgehen. Ich war und bin der Überzeugung, wenn ich das so sagen darf, daß man Rauschgifthändler möglichst für längere Zeit hinter Schloß und Riegel bringen sollte. Dies kann jetzt mit den Herren Linwood und Rockland geschehen. Man wird ihren Aufenthalt in den Magazinen gründlich mißverstehen, wie ich zu hoffen wage.
Hinzu wird ferner mit einiger Sicherheit noch das Delikt des Widerstandes gegen die Staatsgewalt kommen. Ihre beiden Mitarbeiter dürften also für eine längere Zeitspanne Aufenthalt in einem Gefängnis nehmen müssen.« »Das reicht jetzt.« Pisani wurde böse. Er war längst aufgestanden und hatte sich vor dem Butler aufgebaut. Angst zeigte er nicht, zumal seine beiden Leibwächter, die den Butler aus dem Hotel geholt hatten, dicht hinter Parker standen. »Sollte ich Sie ein wenig verärgert haben?« erkundigte sich Parker höflich und durchaus mitfühlend. »Ich kann die Mafia-Ausschreibung jetzt verstehen.« Pisani nickte nachdrücklich. »Sie arbeiten mit unfairen Tricks.« »Sie erlauben, daß ich widerspreche, Mr. Pisani.« Parker blieb gelassen. »Ich möchte allerdings durchaus einräumen, daß ich mir erlaube, List gegen brutale und nackte Gewalt zu setzen.« »Runter in den Keller mit dem Mann!« Pisani wollte wohl noch einige zusätzliche Anordnungen erteilen, doch dazu kam er nicht mehr. Für den Butler war nämlich der Zeitpunkt gekommen, die Innenseite seines Oberarms gegen den kleinen Ballon zu pressen. Das Ergebnis war frappierend! Eine Reizflüssigkeit schoß durch die dünne Schlauchleitung, dann 61
durch die Hohlnadel und hinauf in die Zacken der Krone, die die Zierperle einfaßten. Durch die haarfeinen Öffnungen der Krone sprühte diese Flüssigkeit in die Augen, Nase und sogar in den geöffneten Mund des hiesigen Mafiavertreters. Giovanni Pisani blieb wie erstarrt stehen und starrte den Butler entgeistert an. »Ist Ihnen nicht wohl?« Parker war sicherheitshalber einen halben Schritt zurückgetreten und stieß mit dem Rücken gegen die aufgerückten Leibwächter. »Hallo, Chef, was ist?« fragte der Mann links von Parker. Er erhielt keine Antwort. Pisani stand unbeweglich, zuckte mit keiner Wimper und schien das Luftholen vergessen zu haben. »Ihrem Arbeitgeber scheint es ein wenig schlecht zu gehen«, sagte Parker und wandte sich an den links von ihm stehenden Mann. »Mensch, Chef, was ist denn?« erkundigte sich der Mann nachdrücklicher. »Sagen Sie doch was!« »Wenn ich vielleicht den Puls fühlen dürfte?« Parker nutzte die Ratlosigkeit der beiden Leibwächter und wartete die Erlaubnis erst gar nicht ab, sondern trat vor und baute sich seitlich neben Pisani auf, der jetzt endlich zum ersten Mal nach Luft schnappte. Der Leibwächter, den Parker angesprochen hatte, trat neugierig näher.
Er wollte den Butler keinen Moment aus den Augen lassen, schob seinen Kopf vor und erhielt eine weitere Portion des Sprays zugeteilt. Daraufhin blieb auch er wie versteinert stehen. »Haben Sie möglicherweise verdorbene Speisen zu sich genommen?« Parker sah den ersten Leibwächter kopfschüttelnd an und widmete sich dem zweiten. »Dürfte ich sicherheitshalber erfahren, was Sie gegessen haben?« »Was wohl schon? Spaghetti, Tomaten, etwas Fleisch, alles bestens.« »Sie verspüren nicht etwa einen leichten Druck in der Magen- oder Nierengegend?« »Ich… Ich weiß nicht recht.« Der verwirrte Mann vergaß seine Schußwaffe, die er in der rechten Hand hielt und tastete seine Magenpartie ab. Genau in diesem Moment versprühte der Butler eine dritte Dosis. Ohne sich dann weiter um die drei Mafia-Angehörigen zu kümmern, ging er erst mal hinüber an Pisanis Tisch und widmete sich den Papieren, die auf der Schreibunterlage zu sehen waren. Pisani und seine beiden Leibwächter standen weiterhin wie Marmorstatuen im Zimmer herum und sahen ins Leere. *
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»Und was weiter«, drängte Lady Simpson und sah Parker grollend an. »Ich sage es noch mal, ich bin verbittert.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich dies ungemein bedaure«, erwiderte der Butler. »Sie hätten mich mit zu diesem Strolch Pisani nehmen müssen.« »Die allgemeinen Verhältnisse, Mylady, gestatteten dies nicht«, sagte Josuah Parker. »Wollen Mylady, daß ich meinen Bericht fortsetze?« »Natürlich, was denn sonst!« Parker war wieder im Hotel und stand in. der komfortabel eingerichteten Suite seiner Herrin. Von seinem immerhin mehr als gefährlichen und heiklen Abenteuer war ihm überhaupt nichts anzusehen. »Die Herren Pisani und Leibwächter, Mylady, dürften inzwischen von der italienischen Polizei verhaftet worden sein. Dies gilt auch für die drei anderen Männer, die das Haus in Trastevere sicherten.« »Wie haben Sie denn das geschafft, Parker?« schaltete sich Anwalt Rander schmunzelnd ein. »Haben Sie mal wieder mit Tricks gearbeitet?« »Die drei Hauswächter im Treppenhaus setzte ich mit einem meiner Kugelschreiber außer Gefecht«, erläuterte Parker höflich. »Anschließend brauchte ich nur noch die Polizei telefonisch zu verständigen.«
»Wird man diese Strolche nicht bald wieder auf freien Fuß setzen, Parker?« »Mit Sicherheit nicht, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Im Haus des Mr. Pisani wird die Polizei Drogen der verschiedensten Provinzen entdeckt haben. Ich denke da an Haschisch und Heroin. Ware dieser Art lag in ausreichender Menge in verschiedenen Verstecken, die zu öffnen ich mir erlaubte.« »Die Kerle können von Glück sagen, daß ich nicht mitkommen konnte«, meinte Lady Agatha grimmig. »Ich hasse diese Drogenhändler. Übrigens, kokst dieser Pisani wirklich?« »Auf keinen Fall, Mylady. Es handelte sich um eine Schutzbehauptung Ihnen gegenüber. Ich darf vielleicht höflichst daran erinnern, daß ein Mann vom Range Pisanis niemals drogenabhängig sein darf, wenn er für die Mafia arbeitet.« »Hoffentlich steckt man das Gelichter für Jahre hinter Gitter«, sagte Lady Agatha. »Inzwischen muß es sich doch herumgesprochen haben, welch Unheil sie anrichten. Ich, Mr. Parker, hätte diesen Subjekten noch einen persönlichen Denkzettel verabreicht.« »Mylady wissen, daß es sich bei meiner Wenigkeit um einen äußerst friedfertigen und friedliebenden Menschen handelt«, entschuldigte sich der Butler. »Myladys Theorie 63
haben sich übrigens bestätigt, wenn ich dieses Thema anschneiden darf.« »Meine Theorie?« Agatha Simpson hatte keine Ahnung, wie sie lautete. »Nach Myladys Theorie hat Miß Maud Crillborn entweder bewußt oder unbewußt Rauschgift von Marseille über Tunis nach Rom transportiert.« »Ach, das meinen Sie!« Sie nickte wie selbstverständlich. »Für mich stand das von Anfang an fest.« »Mr. Pisani und seine Auftraggeber in Marseille vermuten weiter, daß Miß Crillborn zusammen mit Mr. Marco Bergamo die Ware unterschlagen hat. Sie wird wohl nach wie vor verzweifelt gesucht, denn es handelt sich um Millionenbeträge.« »Halten Sie sie für unschuldig, Parker?« wollte Mike Rander wissen. »Nur bedingt, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Natürlich ist sie schuld«, polterte die Lady los. »Dieses kleine Biest hat mir gegenüber unschuldig getan, aber mich kann man nicht täuschen.« »Unschuldig kann sie wirklich nicht sein«, meinte nun auch Mike Rander skeptisch. »Zwölfmal von Marseille über Tunis nach Civitavecchia – da muß ja selbst ein reiner Unschuldsengel mißtrauisch werden und Verdacht schöpfen. Sagen Sie, Mister Parker, wo ist eigentlich dieser Gambassi geblieben?«
»Es war ein Riesenfehler von Ihnen, Mister Parker, diesen Lümmel in Freiheit zu lassen«, warf Parkers Herrin ein. »Mr. Gambassi befand sich nicht im Haus des Mr. Pisani«, antwortete Butler Parker, sich zuerst mal an den Anwalt wendend, um dann ich Richtung Lady Agatha eine Verbeugung anzudeuten. »Was die Freiheit des angeblichen Schriftstellers betrifft, so ist er im Augenblick, falls meine Wenigkeit keiner Täuschung unterliegt, der einzige Mafiavertreter, der Mylady an die vermißten Drogen heranführen kann.« »Stimmt, die kleine Crillborn sitzt ja noch fest«, warf Anwalt Rander ein. »Und Bergamo?« Agatha Simpson gab sich nicht so leicht geschlagen. »Zur Zeit handelt es sich bei dieser Person noch um eine Art Phantom«, erwiderte Parker höflich. »Sein Name wird zwar immer wieder genannt, doch er scheint vom Erdboden verschluckt worden zu sein, falls ich diese bildhafte Umschreibung mal verwenden darf.« * Josuah Parker wurde wie ein Staatsoberhaupt empfangen. Der Justizbeamte, der mit Lady Simpson bereits einschlägige Erfahrungen gemacht hatte, zeigte sich von ausgesuchter Höflichkeit. Es 64
war ihm deutlich anzumerken, daß er sich inzwischen über die ältere Dame aus London informiert hatte. Ihm war klar geworden, über welche Verbindungen zu höchsten Regierungskreisen Lady Agatha verfügte. Er wußte inzwischen auch, wer Butler Parker war. »Ich habe mit Interpol Kontakt aufgenommen«, sagte Mercato offen. »Man scheint Sie dort sehr zu schätzen.« »Es kam in der Vergangenheit hin und wieder zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit«, erwiderte der Butler, nachdem er stocksteif Platz genommen hatte. »Und nun stehe ich den italienischen Behörden selbstverständlich zur Verfügung.« »Eine Frage im Vertrauen, Mister Parker! Sind Sie wirklich ein echter Butler?« »Ich genieße die Ehre und habe den Vorzug, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen.« »Ein schwieriges Amt, oder?« Mercerto dachte respektvoll an die kriegerische Dame. »Ein ungeteiltes Vergnügen«, erwiderte Parker. »Darf ich mir erlauben, jetzt zur Sache zu kommen, zumal die Zeit zu drängen scheint.« »Geht die Verhaftung dieses Pisani und seiner Helfershelfer auf Ihr Konto, Mister Parker?« Mercato war neugierig.
»Nur, was den Ansatz betrifft«, entgegnete Parker höflich. »Ohne die ausgezeichnete und schnelle Arbeit der italienischen Polizei hätten diese Mafiavertreter nicht verhaftet werden können.« »Gilt Ihre Mitarbeit auch im Fall dieser beiden US-Gangster als gegeben?« »Hoffentlich wurde nicht zuviel an antiken Kostbarkeiten zerstört«, meinte Parker und gestattete sich die Freiheit, andeutungsweise zu lächeln. »Nein, nein, Sie können beruhigt sein«, versicherte Mercato ihm und lächelte ebenfalls. »Es handelte sich um antike Massenware, verstehen Sie? Aber alles zusammen genommen reicht, die Gangster unter Anklage zu stellen. Vergessen Sie nicht, daß sie sich mit einigen Beamten geprügelt haben!« »Eine alles in allem erfreuliche Entwicklung, Sir.« »Bis auf diesen Gambassi, Mister Parker. Der Mann ist untergetaucht.« »Und kann dennoch gefunden werden, Sir, falls man sich zu einer kleinen List entschließt.« »Ich warte auf Ihre Vorschläge, Mister Parker.« »Wie würden die zuständigen Justizbehörden reagieren, wenn Anwalt Rander für Miß Crillborn eine Freilassung gegen Kaution beantragen würde?« 65
»Ich verstehe! Miß Crillborn soll uns zu Gambassi führen. Und auch zu diesem Bergamo, oder?« »Es ist eine erklärte Freude und zusätzlich ein Genuß, Sir, mit einem Mann Ihres Formats zusammenarbeiten zu dürfen.« »Mr. Rander sollte einen Kautionsantrag stellen.« Mercato lächelte geschmeichelt. »Wir werden schnell und unbürokratisch entscheiden, Mister Parker. Und wir werden Miß Crillborn dicht auf den Fersen bleiben, darauf können Sie sich verlassen.« »Darf ich mir eine zusätzliche Anregung gestatten, Sir?« »Sie haben einen aufmerksamen Zuhörer.« »Könnte man nicht auf eine mehr oder weniger diskrete Überwachung verzichten, Sir? Miß Crillborn wird, wenn sie schuldig sein sollte, sehr vorsichtig und mißtrauisch sein.« »Und wenn sie sich absetzt?« Mercato kamen Bedenken. »Gegen eine etwaige Flucht aus Italien ließen sich gewisse technische Vorkehrungen treffen, Sir.« »Gut, wir werden gleich darüber reden, Mister Parker. Ich habe… Einen Moment, wenn ich bitten darf.« Das Telefon hatte sich gemeldet, und Mercato hob ab. Er hörte kurz zu, hielt dann die Hand über die Sprechmuschel und beugte sich zu Parker hinüber.
»Marco Bergamo ist gefunden worden«, sagte er. »Hoffentlich erfreut er sich noch bester Gesundheit, Sir.« »Er lebt und wissen Sie, wo er steckt? Sie werden es nicht ahnen, Mister Parker. Er ist in seiner kleinen Wohnung in Trastevere.« »Wird er bereits observiert, Sir?« »Ich habe vor, ihn festnehmen zu lassen.« »Könnte man das vielleicht noch ein wenig hinausschieben, Sir? Es wäre mir ein Vergnügen, mich mit Mr. Bergamo privat unterhalten zu können.« »Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mister Parker.« Mercato schmolz vor Liebenswürdigkeit. Er hatte überhaupt nichts dagegen, daß andere die Kastanien aus dem Feuer holten und diesen Fall für ihn klärten. * Butler Parker war ein Mann, für den Selbstkontrolle eine Selbstverständlichkeit war. Seinem ausdruckslosen Pokergesicht war so gut wie nie eine Gefühlsregung anzumerken. Nun aber eilte doch seine linke Augenbraue hoch, ein Zeichen dafür, daß Parker zumindest ein wenig überrascht war. »Ich darf davon ausgehen, daß Sie Mr. Marco Bergamo sind?« fragte er sicherheitshalber, als der Wohnungsinhaber ihn eingelassen hatte. 66
»Marco Bergamo«, bestätigte der völlig durchschnittlich aussehende Mann, der etwa vierzig Jahre alt war. Er war etwas über mittelgroß, hatte bereits einen leichten Bauchansatz und ein volles Gesicht. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und teilte Bergamo mit, in wessen Auftrag er kam. »Von einer Lady Simpson?« fragte Bergamo nun seinerseits überrascht. »Mylady finanziert hin und wieder Filmproduktionen«, antwortete der Butler, was übrigens durchaus den Tatsachen entsprach. »Mylady sucht einen Insider, wenn ich es so ausdrücken darf, einen Mann nämlich, der die heimischen und hiesigen Verhältnisse kennt.« »Donnerwetter!« Bergamo – er unterhielt sich in einem recht guten Englisch mit Parker – war tief beeindruckt. Dann holte er Luft und setzte dem Butler auseinander, daß er der Mann war, den die Lady suchte. »Sie werden sich inzwischen bereits insgeheim gefragt haben, wie Lady Simpson an Sie gedacht haben könnte«, schickte Parker voraus, nachdem Bergamo sich ausgiebig angepriesen hatte. »Nun, Mylady ist auf einigen Umwegen mit einer Miß Maud Crillborn bekannt. Ich darf davon ausgehen, daß Sie diese Dame kennen, nicht wahr?« »Natürlich«, gab Bergamo sofort
und ohne jede Umschweife zu. »Miß Crillborn hat mich für einige Monate als Sprachlehrer engagiert, Mister Parker. Ich gab ihr auch Schauspielunterricht. Sie müssen nämlich wissen, daß ich in erster Linie Lehrer bin, dann erst Schauspieler.« »Sie waren als Schauspieler in den vergangenen Tagen unterwegs?« »Ich hatte eine kleine, aber ungemein wichtige Rolle in einem Spionagefilm, der drüben in Spanien gedreht wurde. Ich spielte, ich kann es durchaus sagen, eine Schlüsselrolle.« »Wozu ich Sie beglückwünschen möchte.« Parker unterbrach den Redefluß des Mannes mit einem Kopfnicken. »Doch zurück zu Miß Crillborn. Wer hat Sie empfohlen, wenn man fragen darf?« »Ein Gambassi, den Sie nicht kennen werden. Ein schlechter Schriftsteller, aber ein blendend aussehender Bursche. Ich lernte ihn in einer Bar kennen, in der nur Künstler verkehren, verstehen Sie? Er sprach mich wegen eines Drehbuches an, und ich…« »Sie wurden von Miß Crillborn eingeladen, einige Kreuzfahrten auf einer Jacht mitzuerleben?« »Auf der Jacht von Miß Crillborn. An Bord sollte ich ihr Sprech- und Schauspielunterricht geben, aber…« »Ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt, wie ich vermute?« »Überhaupt nicht!« Marco Ber67
gamo schüttelte den Kopf. »Offen gesagt, Mister Parker, ich kam mir ziemlich überflüssig vor. Miß Crillborn interessierte sich ausschließlich für diesen Gambassi, was ich ja verstehen kann. Ich sagte schon, er sieht blendend aus und kann mit Frauen umgehen.« »Darf man unterstellen, daß zwischen Miß Crillborn und Mr. Gambassi eine gewisse Freundschaft zu erkennen war?« »Freundschaft?« Bergamo lachte amüsiert. »Eine wilde Affäre war das während all der drei Fahrten, die ich mitgemacht habe. Aber mir konnte es ja gleichgültig sein. Ich wurde pünktlich bezahlt, und ich kann Geld brauchen.« Dieses Geständnis deckte sich mit der Einrichtung der kleinen Wohnung, deren Mobiliar mehr als spärlich war. »Sie hatten, es muß ausgesprochen werden, Mr. Bergamo, in Tunis einen Streit mit Mr. Gambassi?« »Er warf mich von einer Minute zur anderen von Bord, und das ließ ich mir nicht gefallen.« »Handelte Mr. Gambassi im Auftrag von Miß Crillborn?« »Das wollte ich ja gerade wissen, aber er ließ sich auf nichts ein und setzte mich an die frische Luft. Fairerweise aber muß ich sagen, daß ich meinen Scheck für den vollen Monat bekam.« »Ihnen ist bekannt, daß Miß Crill-
born in Untersuchungshaft sitzt?« »Wie war das? Untersuchungshaft? Sie ist festgenommen worden?« Falls Bergamo das bereits wußte, so war er ein erstklassiger Schauspieler. Seine Überraschung wirkte überzeugend. »Weshalb ist sie denn festgenommen worden?« »Sie können es sich nicht denken?« Butler Parkers Stimme ließ Ironie erkennen. »Kaum, Mister Parker. Das heißt… Wenn ich es recht bedenke… Nun ja, unter uns, sie schmuggelte!« »Dabei wurde Miß Crillborn in der Tat überrascht. Handelte es sich immerhin um…« »… um Grabfunde«, sagte Bergamo und nickte. »Sie war ganz versessen auf etruskische Grabbeigaben. Darum ja auch ihre Kreuzfahrten von Civitavecchia, Tunis und Marseille. Ich glaube, auf allen Fahrten, an denen ich teilgenommen habe, hat sie Antikes an Bord gehabt.« »Haben die Herren Pisani, Linwood und Rockland hin und wieder an solchen Kreuzfahrten teilgenommen?« »Diese Namen sind mir nicht bekannt«, redete Bergamo munter weiter. »Das heißt, von einem Pisani habe ich schon mal gehört. Ich glaube, er verschaffte diese etruskischen Grabbeigaben, aber sicher bin ich mir da nicht.« 68
Josuah Parker versuchte, sich ein Bild von diesem Mann zu machen. War er tatsächlich so naiv, wie er sich gab? Oder war er in Wirklichkeit ein ausgekochter und raffinierter Gangster? Hatte er mit dem Rauschgiftschmuggel nichts zu tun, oder war er einer der Hauptdrahtzieher? »Noch mal zurück zu Mr. Gambassi«, bat Parker, der zu keinem Resultat kam. »Wo könnte man ihn erreichen? Er scheint über mehrere Wohnungen zu verfügen.« »Wo wird er schon sein?« Bergamo lächelte wissend und geheimnisvoll zugleich. »Natürlich bei seiner Freundin!« »Miß Crillborn, befindet sich in Untersuchungshaft«, wiederholte der Butler provozierend. »Ich denke an seine wirkliche Freundin, Mister Parker. Sie heißt Antonia Navona, wie ich zufällig weiß. Sie wohnt draußen in Ostia, die genaue Adresse kenne ich allerdings nicht.« »Nicht so wichtig, Mr. Bergamo.« Parker winkte beherrscht ab. »Darf ich Ihnen vorab bereits einen Scheck überreichen? Betrachten Sie die Summe als eine Art Vorschuß auf Ihre Tätigkeit, die Sie nach Absprache aufnehmen können. Ich erlaube mir, Ihnen noch einen erholsamen und wunderschönen Tag zu wünschen.«
* Der Butler blieb noch eine kleine Weile vor dem einfachen und schmalbrüstigen Haus in Trastevere stehen. Er wollte zusehen, wie die Polizei Marco Bergamo in Haft nahm. Es war keine billige Sensationslust, die ihn dazu trieb, Parker wollte sich Gewißheit verschaffen. Er hatte sein Urteil über diesen Mann noch nicht abgeschlossen. Irgendwie kamen ihm die prompten Antworten des Mannes zu plausibel vor. Bergamo hatte sich nicht ein einziges Mal in Widersprüche verwickelt oder hatte Unsicherheit gezeigt. Er schien sich die Antworten auf alle nur möglichen Fragen im vorhinein zurechtgelegt zu haben. Inzwischen betraten vier Zivilisten das Haus. Es handelte sich um die Beamten, die Mercato auf Bergamo angesetzt hatte. Innerhalb weniger Minuten mußten sie mit dem Schauspieler wieder unten auf der schmalen Straße erscheinen. Ein Mann wie Bergamo würde natürlich höflich und geduldig mitkommen. Parker spürte plötzlich, wie seine ›Innere Alarmanlage‹ sich meldete. Er registrierte eine gewisse Unruhe in sich, seine Nerven sensibilisierten sich. Er sah zwei Männer, die einen Gemüsekarren schoben und laut miteinander redeten. Er sah zwei weitere Männer, die auf einer Vespa 69
saßen und plötzlich Ärger mit dem Motor hatten. Und er beobachtete einen einzelnen Mann, der einen Handwerkskasten über der rechten Schulter trug. Josuah Parker harrte in einem schmalen Torbogen der Dinge, die da kamen. Er warf einen Blick auf die Fenster der umstehenden Häuser, sah Hausfrauen, Kinder und blickte wieder auf die fünf Männer, die jetzt das schmalbrüstige Haus erreicht hatten. Genau in diesem Moment erschienen die vier Kriminalbeamten, die Bergamo aus dem Haus führten und dann plötzlich wie auf ein geheimes Kommando hin ihre Arme in die Luft streckten und regungslos stehen blieben. Dann fielen Schüsse. Es waren schallgedämpfte Schüsse, die sich wie das Entkorken von Weinflaschen anhörten. Marco Bergamo fiel gegen die Hausmauer und wurde von den beiden Gemüsehändlern blitzschnell wieder auf seine Beine gerissen. Sie schleppten ihn zu einem Fiat, der im breiteren Teil dieser Straße stand. Die übrigen drei Männer trieben die Beamten ins Haus zurück und jagten einige schallgedämpfte Schüsse in die Tür, die sie zugeschlagen hatten. Dann liefen sie zu dem Fiat, dessen Motor bereits lief. Mit geradezu artistischer Gewandtheit zwängten sie sich zusätzlich in
den an sich recht kleinen Wagen, der mit durchtourenden Reifen anfuhr. Sekunden später war der Fiat dann bereits in einer nahen Seitenstraße verschwunden. Die Menschen in den Häusern und auf der Straße merkten erst jetzt, daß hier ein Überfall passiert war. Der ausbrechende Lärm war beachtlich. Man dachte gar nicht daran, etwa die Polizei zu alarmieren, sondern diskutierte mit südländischem Temperament, mit Sachverstand und auch Schadenfreude die Niederlage, die die Polizei hatte einstecken müssen. Um was es tatsächlich gegangen war, interessierte die Bewohner dieser Straße überhaupt nicht. Josuah Parker, der darauf verzichtet hatte, helfend einzugreifen, hatte inzwischen den schützenden Torbogen verlassen und schritt zum schmalbrüstigen Haus hinüber. Als er es fast erreicht hatte, wurde die Haustür vorsichtig geöffnet. Einer der Kriminalbeamten vergewisserte sich, was von der allgemeinen Lage zu halten war. »Ich möchte anregen, den zuständigen Heiligen einige Kerzen zu spenden«, rief Josuah Parker dem Mann zu. »Sie können herauskommen. Die Gangster haben inzwischen zusammen mit Mr. Bergamo das Weite gesucht.« *
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»Das ist aber eine Überraschung«, sagte Maud Crillbom, als sie sich plötzlich Lady Agatha und Mike Rander gegenübersah. »Woher haben Sie gewußt, daß ich entlassen werde?« »Lady Simpson hat eine Kaution für Sie hinterlegt«, erwiderte der Anwalt und überreichte Maud Crillbom einen Blumenstrauß. »Drüben steht der Wagen.« »Ich habe selbstverständlich die ganze Zeit über Kontakt mit Ihrem Vater gehalten«, erklärte die ältere Dame und bemühte sich um Mütterlichkeit. »Jetzt aber zuerst mal ins Hotel und unter die Dusche, Kindchen. Nein, was müssen Sie alles ausgestanden haben!« »Ich bin sehr gut behandelt worden«, meinte Maud Crillbom. »Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Hat sich inzwischen etwas getan, Mylady?« »Fragen Sie Mr. Rander!« Agatha Simpson marschierte auf das wartende Taxi zu und glich jetzt einer riesigen Glucke, die sich um ihr einzig kleines Küken bemüht. »Eines kann ich Ihnen aber jetzt schon sagen, Kindchen: Inzwischen sind eine Menge Gangster der Polizei ins Netz gegangen. Ihre Sache sieht gut aus. In ein paar Tagen wird sich Ihre völlige Unschuld herausstellen.« »Es sind Gangster festgenommen worden?« Sie hatte Platz im Taxi, wurde aber von der Fülle der nach-
rückenden Lady fest in eine Ecke gedrängt. Mike Rander, neben dem Fahrer sitzend, wendete sich zu Maud Crillbom um. »Die Namen Linwood und Rockland werden Ihnen nichts sagen«, schickte er voraus. »Zwei US-Gangster, direkt von der Mafia geschickt. Sie sitzen hinter Schloß und Riegel.« »Haben sie bereits gestanden? Sie werden doch hoffentlich erklären können, daß ich mit den Drogen überhaupt nichts zu tun gehabt habe.« »Das rückt sich alles noch zurecht, Kindchen«, meinte die ältere Dame beruhigend. »Und diesen Gambassi, von dem Sie mir erzählt haben, den wird man bestimmt auch bald erwischen.« »Hoffentlich«, sagte Maud Crillborn. »Ihr Freund Marco Bergamo ist bisher allerdings noch nicht aufgetaucht, Miß Crillborn«, schaltete Mike Rander sich ein. »Tut mir leid, daß ich Ihnen keine bessere Nachricht geben kann.« »Nun zieren Sie sich nicht, Kindchen«, warf Agatha. Simpson mütterlich ein. »Natürlich mußte ich Mr. Rander einweihen, er ist ja immerhin Ihr Anwalt. Hat er sich auch bei Ihnen noch nicht gemeldet?« »Nein, leider nicht«, hauchte sie. »Mylady, glauben Sie, daß er noch lebt?« »Aber selbstverständlich, Kind71
chen.« Lady Simpson dachte nicht im Traum daran, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Sie verschwieg, daß Parker sich bereits mit diesem Marco Bergamo unterhalten hatte. Sie unterschlug auch die Tatsache, daß Bergamo von Gangstern praktisch vor den Augen der Polizei gekidnappt worden war. Der Butler hatte Mylady und Anwalt Rander noch sprechen können, bevor sie hierher zum Untersuchungsgefängnis gefahren waren. »Ich… Ich habe mir immer wieder alles durch den Kopf gehen lassen«, sagte Maud Crillborn jetzt. »Zeit genug dazu hatte ich ja. Ich bin jetzt völlig sicher, daß Gambassi der Mann ist, der mir die Drogen auf die Jacht geschmuggelt hat. Und wissen Sie, was ich noch glaube?« »Überraschen Sie mich, Kindchen.« Agatha Simpson sah sie erwartungsvoll an. »Er hat es aus Rache getan, Mylady, nur aus Rache. Er wollte sich an mich heranmachen. Ich brauche wohl nicht deutlicher zu werden, oder?« »Aber nein, Kindchen.« Die Lady tätschelte behutsam die Hand Maud Crillborns. »Gambassi wurde sogar zudringlich, und ich mußte sehr deutlich werden. Natürlich hatte ich Marco von dieser Sache erzählt, und das war auch der Grund, warum die bei-
den Männer sich so stritten. Gambassi hat Marco sogar bedroht. Was er Marco gesagt hat, weiß ich natürlich nicht, aber Marco hatte von diesem Moment an deutlich Angst. Jetzt frage ich mich, ob er tatsächlich wegen einer Rolle voraus nach Rom geflogen ist. Oder vielleicht war das Telegramm auch nur fingiert und stammte von Gambassi.« »Sehr gut möglich, mein Kind.« Lady Agatha nickte zustimmend. »Hören Sie, vom Untersuchungsrichter habe ich erfahren, daß Sie häufig von Marseille über Tunis über Civitavecchia gefahren sind. Unter uns, das muß doch Gründe gehabt haben, oder? Das Mittelmeer ist groß, aber warum immer wieder diese Route?« »Ihnen kann ich es ja sagen«, gab sie verschämt zurück. »Sind Sie sicher, daß der Taxifahrer kein Englisch versteht?« »Davon haben wir uns bereits überzeugt«, warf Mike Rander ein. »Also gut, Mylady. Ich… Ich habe geschmuggelt.« »Kindchen, Sie haben geschmuggelt?« staunte die ältere Dame gekonnt. »Grabfunde, etruskische Grabbeigaben.« »Und warum, Kindchen? Das ist doch streng verboten.« »Aus Sport«, sagte sie entwaffnend naiv. »Ich glaube, ich habe es nur getan, weil es verboten ist.« 72
»Wir werden das alles bei Gelegenheit an die italienischen Behörden zurückgeben«, schlug Lady Agatha mütterlich vor. »Danach brauchen sie sich dann keine Gewissensbisse mehr zu machen. Einverstanden?« »Einverstanden«, erwiderte sie und atmete befreit auf. »Ich glaube, ich war es Ihnen und mir schuldig, Ihnen die absolute Wahrheit zu sagen, Mylady.« * Butler Parker saß zu dieser Zeit ebenfalls in einem Taxi und ließ sich zum Lido di Roma bringen, dem sogenannten neuen Ostia, um Carlo Gambassi einen Besuch abzustatten. Er hatte den Hinweis des gekidnappten Marco Bergamo auf keinen Fall vergessen und hoffte sogar, den Schauspieler dort zu finden. Die Gangster, die ihn entführt hatten, waren bestimmt von Gambassi auf diesen Schauspieler angesetzt worden. Logischerweise würden die Gangster ihr Opfer jetzt in das Haus der Antonia Navona bringen. Bergamo hatte ihm die Lage des Hauses zwar nicht beschrieben, doch Josuah Parker glaubte zu wissen, wo er es finden konnte. Am Strand des neuen Ostia, also am Lido di Roma, waren Anwalt Rander und er schon mal in ein Strandhaus gelockt worden. Allem
Anschein nach gehörte es Genaro und Antonia Navona, diesem seltsamen Paar, das so gar nicht zusammenpaßte. Parker hatte sich über den Hinweis des Schauspielers Bergamo gewundert, wonach Gambassi und Antonia Navona miteinander liiert sein sollten. Entsprach dies überhaupt den Tatsachen? Carlo Gambassi war immerhin ein eleganter, junger und gut aussehender Mann, Antonia Navona besaß hingegen einen leicht ordinären Anstrich. Paßte so etwas zusammen? Nun, Parker hatte es im Lauf der Zeit aufgegeben, sich über solche Dinge zu wundern. Das Leben ging seltsame Wege, und über Geschmack ließ sich bekanntlich nicht streiten. Parker fragte sich, ob Antonia Navona überhaupt mit dem fetten Genaro je verheiratet gewesen war. Wahrscheinlich war das eine Lüge gewesen, um die Ermittlungen in die falsche Richtung zu bringen. Auch in diesem Fall, der der Auflösung harrte, logen alle Beteiligten mehr oder weniger gekonnt. Als das Taxi das neue Ostia erreicht hatte, also den Lido di Roma, verließ Josuah Parker den Wagen und überlegte einen Moment, Maske zu machen. Dazu hätte er nur ein paar Kleinigkeiten gebraucht, doch dann entschied er sich dafür, sein Äußeres nicht zu verändern. Er betrat ein Eiscafe und 73
rief von hier aus Rom an. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Mike Rander sich meldete. »Wo stecken Sie, Parker?« fragte der Anwalt. »Wir haben eben die kleine Crillborn vom Untersuchungsgefängnis abgeholt. Sie ist jetzt hier bei uns im Hotel und steht wahrscheinlich unter der Dusche.« Butler Parker gab durch, wo er sich aufhielt und was er plante. »Mensch, Parker, seien Sie verdammt vorsichtig«, warnte der Anwalt in seiner burschikosen Art. »Warum warten Sie nicht, bis Lady Agatha und ich bei Ihnen sind?« »Es empfiehlt sich, Sir, Miß Crillborn zu beschützen«, erwiderte Josuah Parker. »Ich möchte davon ausgehen, in aller Bescheidenheit selbstverständlich, daß sich die Dinge hier ohne zusätzliche Hilfe regeln lassen werden.« »Haben sie wenigstens Ihren Peilsender bei sich?« »Ich werde ihn in diesem Moment einschalten, Sir.« »Also gut, Parker, viel Glück! Aber Sie werden mich nicht daran hindern, sofort loszufahren. Lady Agatha wird mit der kleinen Crillborn schon allein zurecht kommen.« »Sir, ich möchte Sie auf keinen Fall beunruhigen«, antwortete Josuah Parker, »aber sind Sie sicher, daß Miß Crillborn sich noch in ihrem Hotelzimmer befindet?« »Moment mal, wie soll ich denn
das verstehen, Mister Parker?« »Darf ich daran erinnern, Sir, daß Miß Crillborn Lady Simpson gegenüber behauptete, mit Marco Bergamo eng und möglicherweise auch sehr intim befreundet zu sein?« »Das hat sie eben im Taxi noch mal bestätigt. Sie hält diesen Carlo Gambassi für den Burschen, der ihr das alles eingebrockt hat.« »Ich hatte den Vorzug, Sir, Mr. Bergamo zu sehen«, gab der Butler höflich, aber eindringlich zurück. »Er ist auf keinen Fall das, was man gemeinhin einen Adonis nennen würde.« »Gegenfrage: Parker, sind Sie sicher, daß der entführte Bergamo der richtige Bergamo ist?« »Eine berechtigte Frage, Sir«, antwortete der Butler. »Doch ein Zweifel scheint ausgeschlossen.« »Sie hingegen bezweifeln eine intime Freundschaft zwischen der kleinen Crillborn und Bergamo?« »Nachdrücklich«, lautete Parkers Antwort. »Ja, bitte, ich warte selbstverständlich.« Parker hatte das Organ seiner Herrin gehört, die gerade wohl Mike Randers Zimmer betreten hatte. Sekunden später wußte er bereits Bescheid und brauchte die Mitteilung des Anwalts erst gar nicht abzuwarten: Maud Crillborn befand sich nicht mehr in ihrem Hotelzimmer!
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* Josuah Parker hatte das schüttere Wäldchen in der Nähe des Strandes erreicht und konnte von hier aus das Haus sehen. Aufgrund neuester Nachrichten verzichtete er erst mal darauf, den Navonas einen Besuch abzustatten. Er nahm aber mit großer Befriedigung Kenntnis von einem Fiat, den er erst vor kurzer Zeit in einer schmalen Straße in Trastevere gesehen hatte. Die fünf Gangster hatten den Schauspieler Marco Bergamo also mit großer Wahrscheinlichkeit hierher gebracht. Die Frage war jetzt nur noch, ob Carlo Gambassi sich dort drüben im Strandhaus aufhielt. Parker blieb nicht ohne Grund untätig. Seiner Schätzung nach war schon recht bald mit dem Erscheinen der Miß Crillborn zu rechnen. Falls Marco Bergamo ihn nicht belogen hatte, würde Maud Crillborn sich beeilen, um bei ihrem Geliebten zu sein. Was dann geschah, mußte die nahe Zukunft bringen. Würden die beiden Frauen aneinander geraten? Kam es zu einer kleinen Eifersuchtstragödie zwischen Antonia Navona und Maud Crillborn. Es dauerte immerhin fast vierzig Minuten, bis ein Taxi jenseits des schütteren Wäldchens auftauchte. Josuah Parker brauchte nur noch wenige Augenblicke zu warten, bis
er Maud Crillborn erkannte. Sie hatte es sehr eilig und ging schnell zu dem Strandhaus. Nun war auch für den Butler die Zeit gekommen, sich in die Ereignisse einzuschalten. Er durchmaß das kleine Wäldchen und näherte sich der Mauer des Strandhauses. Obwohl bereits später Nachmittag herrschte, war der Strandbetrieb noch immer beachtlich. Gewiß, Parker fiel natürlich durch seine ein wenig unkonventionelle Kleidung auf, doch die Badelustigen begnügten sich mit spöttischen und amüsierten Blicken. Im übrigen kümmerten sie sich nicht weiter um diesen so verrückt aussehenden Mann, der trotz der schwülen Nachmittagshitze einen schwarzen Zweireiher, einen Regenschirm und eine schwarze Melone trug. Parker umging die Mauer, bis er die schmale Pforte erreicht hatte. Sie war natürlich verschlossen, doch das Schloß machte keinen sperrenden Eindruck. Parker benutzte sein kleines Spezialbesteck, um die Pforte zu öffnen. Er drückte sie vorsichtig auf und spähte in das Innere des kleinen Innenhofes. Kein Mensch war zu sehen. Dafür aber hörte Parker Stimmen, die sich temperamentvoll mischten. Ob es sich jedoch um einen echten Streit handelte, konnte der Butler nicht herausfinden. Italiener waren immer temperamentvoll, auch wenn sie sich nur übers Wetter unterhiel75
ten. Der Butler schlüpfte in den Innenhof und verschwand unter dem Dach einer niedrigen Remise. Hier herrschte Dämmerlicht, und er konnte dank seines schwarzen Zweireihers nicht sofort ausgemacht werden. Parker schaute zu der schmalen Terrassentür hinüber in den Wohnraum, den er ja ebenfalls schon kannte. Und nun war er auch in der Lage, dem Dialog zu folgen. Die beiden Damen Crillborn und Antonia Navona diskutierten gerade über das sicher interessante Thema, wer von ihnen eine aufdringliche und sexhungrige Ziege sei. Dann weiteten sie das Thema ein wenig aus und machten Besitzansprüche geltend, die sich auf einen Carlo Gambassi bezogen. Antonia Navona nannte Maud Crillborn ein dummes Luder, das noch immer nicht mitbekommen habe, daß man sie nur benutzt habe. Maud Crillborn, deren Stimme schrill geworden war, verwies auf eine nicht näher bezeichnete Gosse, aus der Antonia Navona stammen müsse. Kurz, das muntere Gespräch wurde recht persönlich und ordinär. Schließlich stellte Maud Crillborn die Vertrauensfrage. Sie hatte sich an Carlo Gambassi gewandt und fragte, was er Grundsätzliches zu diesem Themenkreis zu sagen habe. Carlo Gambassi genierte sich nicht. Zuerst lachte er amüsiert auf, dann
aber kam er zur Sache und verteilte den Siegerpreis. Er erklärte Maud Crillborn, sie sei eine dumme Ziege, zusätzlich noch ein dummes Luder und naiv wie ein unterentwickeltes Schulmädchen. Er bekannte sich eindeutig zu Antonia Navona und unterstrich die Behauptung seiner Freundin Antonia. Nach seinen Worten sei Maud Crillborn tatsächlich nur als Mittel zum Zweck benutzt worden. Ihre Jacht sei es gewesen, die die Mafia so geschätzt habe. Butler Parker rechnete mit einem mittelschweren Weinkrampf oder einem schweigenden Zusammenbruch der Miß Crillborn, wurde jedoch fast angenehm enttäuscht. Maud Crillborn schien ohne jede Vorwarnung zum Nahkampf übergegangen zu sein, denn plötzlich waren halb erstickte Aufschreie und unterdrücktes Stöhnen zu hören. Mobiliar wurde verrückt, Glas und Porzellan zerschellte auf dem Steinboden. Dann erschien Antonia Navona im Innenhof und wurde verfolgt von einer Maud Crillborn, die außer sich zu sein schien. Sie hielt einen schweren Schürhaken in der rechten Hand und mühte sich ab, diesen Gegenstand zum Scheiteln des Kopfhaares ihrer Rivalin zu verwenden. Antonia Navona aber war schnell auf den Beinen und schüttelte ihre Verfolgerin vorerst noch ab. Die bei76
den Damen kurvten dicht an Parkers Versteck vorüber, dann erschien Carlo Gambassi in der Terrassentür. Er wirkte wie ein stolzer Gockel, der wohlgefällig zwei streitenden Hennen zuschaute, die sich um seine Gunst bewarben. Es war ein sehr unfairer Gockel! Als die beiden Damen ihn bei ihrer Verfolgungsjagd wieder erreichten, stellte Carlo Gambassi der Jachtbesitzerin gekonnt ein Bein. Sie überschlug sich fast, um dann bäuchlings auf den Steinplatten des Innenhofes zu landen. Sie blieb schluchzend liegen, während Gambassi langsam auf sie zukam und neben ihr stehen blieb, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihr aufzuhelfen. »Dumme Gans«, sagte Gambassi darin verächtlich. »Es wird höchste Zeit, so etwas wie dich aus dem Verkehr zu ziehen.« »Laß sie verschwinden, Carlo«, rief Antonia Navona und trat mit ihrer Schuhspitze in einer recht unvornehmen Art in die Seite der Liegenden. »Ich mache es gern für dich.« »Ihr… Ihr wollt mich umbringen?« stotterte Maud Crillborn und schluchzte plötzlich nicht mehr. Sie stand mühsam auf und musterte Gambassi. »Du wirst nicht mehr gebraucht«, sagte Gambassi und grinste verächtlich. »Irgendwann wird sich schon wieder eine neue Ziege mit Jacht finden. Monaco ist ja voll davon.«
»Ihr… Ihr habt mich wirklich nur benutzt…?« »Endlich kapiert«, freute sich Gambassi. »Du hast an das große Abenteuer gedacht, wie? Mafia, Rauschgift, Unterwelt und so. Daß ich nicht lache! Die Chefs haben mich auf dich angesetzt, und ich habe es mal wieder geschafft. So einfach ist das alles.« »Und… Und die Drogen, die man an Bord gefunden hat?« »Die hat Bergamo da versteckt. Und er hat dich auch verpfiffen.« »Aber… Aber ich weiß, wo der Rest der Ware ist.« Sie kämpfte wahrscheinlich um ihr Leben. »Gar nichts weißt du, überhaupt nichts!« Gambassi grinste erneut. »Das weiß nur Bergamo. Und der wird gleich singen wie ein Kanarienvogel. Los, rein jetzt, sonst werde ich unangenehm!« »Schenke sie mir, Carlo«, bat Antonia Navona. »Sie gehört dir«, erwiderte Gambassi. »Aber mache diesmal nicht wieder solange, wie damals bei der kleinen Wanding!« * Butler Parker hatte zwei seiner Kugelschreiber durch die geöffnete Terrassentür in den Wohnraum rollen lassen, was im Innern des Hauses überhaupt nicht wahrgenommen worden war. 77
Die Kugelschreiber hatten es in sich. Verdrehte man beide Hälften gegeneinander, so wurde eine Miniaturzündung ausgelöst, die ihrerseits Reizdämpfe ausströmen ließ. Parker, der seitlich neben der Terrassentür stand, machte sich bereit, den Empfangschef zu spielen. Er brauchte nicht lange zu warten. Zuerst stand der fette Genaro Navona in der Terrassentür und hustete ausgiebig. Da seine Augen tränten, als habe er Heuschnupfen, bekam er überhaupt nicht mit, daß ein bleigefütterter Bambusgriff, der zu einem Regenschirm gehörte, über seinem Kopf hing. Nachdem Navona von Parker zur Seite gezogen worden war, erschienen noch zwei weitere Handlanger des Gauners, die sich übrigens schon mal als Schweizer Gardisten betätigt hatten. Parker ließ auch ihnen eine Spezialbehandlung zuteil werden und räumte sie aus dem Weg. Dann erschien Carlo Gambassi. Er war schon gewiefter und hielt eine Schußwaffe in der Rechten. Nachdem er die Tür allerdings passiert hatte, besaß er sie nicht mehr. Sie landete auf den Steinplatten, denn Josuah Parker hatte den Bambusgriff eingesetzt. Und von unten nach oben ließ er dann diesen Griff schwingen und traf die Kinnspitze des Gangsters. Carlo Gambassi stieg etwa zweieinhalb Zentimeter steil nach oben in die Luft, um dann halt-
los in sich zusammenzusacken. Maud Crillborn und Antonia Navona hingegen ließen sich nicht sehen, was den Butler ein wenig beunruhigte. Er warf einen prüfenden Blick auf die vier Männer. Nach seiner oberflächlichen Schätzung kamen sie vor etwa zehn Minuten nicht wieder zu sich. Er brauchte sie also vorerst nicht zu fesseln. Dann hörte er ersticktes Husten, Stöhnen und schleifende Schritte. Antonia Navona bemühte sich in den Innenhof. Sie konnte kaum etwas sehen und fiel auf die Knie, als sie die freie und frische Luft erreicht hatte. »Darf ich mich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« fragte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Und darf ich gleichzeitig auch nach Miß Crillborn fragen?« »Zum Teufel mit Ihnen«, keuchte Antonia Navona und hustete wieder ausgiebig. »Ich kann Ihre Erregung durchaus verstehen«, schickte Parker voraus, »aber dennoch, ich muß darauf bestehen, daß Sie mir antworten, sonst müßte ich Sie ins Haus zurückschicken.« »Sie… Sie ist im Keller«, keuchte Antonia. »Wo sich möglicherweise auch Marco Bergamo befindet?« »Geh zum Teufel«, schlug Antonia Navona erneut vor und griff nach ihrem Hals. 78
»Man sollte doch die Formen wahren«, erwiderte Parker gemessen und wandte sich dann zur Mauerpforte. Er hatte seinen Namen gehört und lüftete höflich seine schwarze Melone, als er dort Anwalt Rander und Lady Simpson sah. »Ich komme hoffentlich nicht wieder zu spät«, grollte die ältere Dame und kam mit energischen Schritten näher. »Diesmal, Mister Parker, lasse ich keine Entschuldigung gelten.« »Mylady haben den Vorzug, sich mit Marco Bergamo unterhalten zu können«, antwortete der Butler. »Er wird erfreut sein, Mylady die letzten Interna dieses Falles erläutern zu dürfen. Und er wird ferner geneigt sein, das Versteck der Drogen zu nennen.« * »Ein Waschlappen«, sagte Agatha Simpson eine halbe Stunde später. Sie hatte den Schauspieler auf ihre Art vernommen. »Schon nach drei Ohrfeigen redete der Strolch wie ein Wasserfall.« »Er hat Mylady das Versteck der Ware genannt?« Parker fragte zwar höflicherweise, doch er war fest davon überzeugt, daß dieser Marco Bergamo zusammengebrochen war. »Das Zeug befindet sich in Tunis, wo er sich ein Apartment gemietet hat«, antwortete die Detektivin. »Dieser Mercato vom Justizministe-
rium soll sich gefälligst darum kümmern, mit Kleinigkeiten dieser Art gebe ich mich nicht ab.« »Ganz schön clever von diesem Bergamo«, stellte Mike Rander fest. »Ein Außenseiter narrt die Mafia. Wie ist dieser Bursche eigentlich an Bord der Jacht gekommen? Das würde mich interessieren.« »Dazu hat die kleine Crillborn sich geäußert«, meinte die ältere Dame grimmig, aber durchaus zufrieden. »Bergamo war eine Art Entdeckung von Gambassi. Er engagierte ihn tatsächlich als Sprachlehrer und spielte ihm vor, Maud Crillborn würde Altertümer schmuggeln. Gambassi rechnete damit, daß die Behörden irgendwann mal mißtrauisch werden können. In solch einem Fall hätte Bergamo dann von etruskischen Grabbeigaben erzählt, aber das Thema Rauschgift wäre nie zur Sprache gekommen. Und für den Fall des Falles, nämlich bei einer Entdeckung, sollte Bergamo als der Schuft und Täter der Polizei präsentiert werden.« »Bergamo als Feigenblatt, aber er narrte sie alle.« Mike Rander lachte leise. »Er wollte wohl den großen Coup seines Lebens landen, denke ich.« »Und hätte mit seinem Leben dafür bezahlen müssen.« Lady Agatha nickte. »Er kann sich bei mir bedanken, daß er noch lebt. Gambassi hatte ihn bereits ganz schön in 79
die Zange genommen.« »Sind dieser Genaro und Antonia nun miteinander verheiratet?« stellte der Anwalt die nächste Frage. »Natürlich nicht, aber das wußte ich ja von Anfang an«, behauptete Lady Simpson mit der größten Selbstverständlichkeit. »Mir war ja ohnehin klar, daß der Dieb der Drogen nur dieser Bergamo sein konnte. Sie werden sich daran erinnern, daß ich davon gesprochen habe, oder?« »Selbstverständlich, Mylady«, bestätigte Mike Rander trocken. »Und warum sagen Sie nichts, Mister Parker?« Sie sah den Butler erwartungsvoll an. »Mylady haben diesen Fall mit Bravour gelöst«, entgegnete der Butler, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Ich darf mir höflichst erlauben Mylady auch zu diesem neuen Erfolg zu gratulieren.« »Nur kein Weihrauch«, wehrte sie ab. »Gekonnt ist eben gekonnt! Entweder man hat es, oder man hat es nicht.« »Noch eine kleine Frage, Mylady.« warf Mike Rander ein. »Bergamo was es also, der die italienischen Behörden auf die Jacht aufmerksam gemacht hat, nicht wahr?« »Richtig, Mike.« Sie nickte und lächelte fast. »Dieser Schauspieler hat die ganze Mafiaorganisation in Verwirrung gebracht, um sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, aber er hat nicht mit mir gerechnet!«
»Ich glaube, die Polizei erscheint endlich«, sagte Mike Rander. »Zeit für uns, nach Rom zurückzufahren, oder?« »Höchste Zeit«, antwortete Lady Simpson. »Was jetzt kommt, ist nur noch langweilig. Mich interessieren die wirklichen Mafiabosse in Marseille oder hier in Rom. Linwood, Rockland, Pisani und Gambassi sind doch nur Statisten gewesen, oder irre ich mich, Mister Parker?« »Mylady hätten es nicht treffender auszudrücken vermögen«, entgegnete Josuah Parker. »Aber diese Hintermänner dürften nur schwer zu finden sein.« »Mein nächster Fall«, entschied Agatha Simpson animiert. »Wir wollen keine Zeit verlieren.« Parker geleitete seine Herrin durch die Pforte hinaus in das schüttere Wäldchen, während Anwalt Rander sich mit der Polizei unterhielt, die zusammen mit Mercato inzwischen das Strandhaus besetzt hatte und die Mafiagangster einsammelte. »Ich glaube, ich brauche jetzt einen Kreislaufanreger«, sagte Lady Agatha. »Ich darf mir erlauben zu servieren, Mylady?« Parker hielt die flache Taschenflasche bereits in seinen schwarz behandschuhten Händen und reichte der Lady den gefüllten ovalen Becher. »Sie waren recht gut, Mister Parker«, sagte sie großzügig, nachdem 80
sie getrunken hatte und um Nachfüllung bat. »Nur weiter so, Mister Parker! Aus Ihnen kann noch ein guter Amateurdetektiv werden.« »Mylady machen meine bescheidene Wenigkeit außerordentlich glücklich«, erwiderte er würdevoll. »Haben Mylady für den Abend besondere Wünsche?« »Ich würde mir gern mal die Unterwelt dieser Stadt ansehen«, lautete ihre Antwort. »Sie verstehen, Mister Parker, endlich mal richtige Gauner und Gangster.« »Ich werde mich bemühen, ein entsprechendes Milieu zu finden, Mylady«, versprach Parker ungerührt. »Sollte man aber vorher nicht Miß Porter in London anrufen? Vielleicht sind dort Nachrichten eingetroffen, die eine schnelle Abreise verlangen?« »Richtig, das gute Kind!« Agatha
Simpson war fast gerührt, als sie an ihre Sekretärin und Gesellschafterin dachte, die in London zurückgeblieben war. »Drücken Sie mir die Daumen, Mister Parker! Hoffentlich liegt ein neuer Fall an. Sie wissen, wie schnell ich mich langweile. Ich bin nicht der Typ, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht.« »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker in gewohnt stoischer Ruhe. »Der nächste Fall wird garantiert auf Mylady warten, wie ich versichern möchte. Das Verbrechen stirbt nicht aus.« »Was ich mir aber auch ausgebeten haben möchte!« Sie nahm einen dritten Kreislaufbeschleuniger und nickte nachdrücklich. Sie war von sich wieder mal felsenfest überzeugt, und Parker hütete sich, einen Kommentar dazu abzugeben.
ENDE
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