Seewölfe 117 1
Kelly Kevin 1.
Hochaufgerichtet stand Philip Hasard Killigrew auf der roten Klippe. Der Wind wühlte in ...
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Seewölfe 117 1
Kelly Kevin 1.
Hochaufgerichtet stand Philip Hasard Killigrew auf der roten Klippe. Der Wind wühlte in seinem schwarzen Haar, die eisblauen Augen hatten sich verengt zu schmalen. glitzernden Sicheln. Das Gesicht des Seewolfs glich einer steinernen Maske. Er starrte zur Kimm — dorthin, wo vor ein paar Sekunden die „Isabella VIII.“ im Sonnenglast verschwunden war. Die „Isabella“ unter dem Kommando eines bretonischen Südsee-Piraten. Mit Dan O’Flynn und Batuti, dem riesigen GambiaNeger, als Gefangenen. Und mit drei Männern, die sich in der Vorpiek verborgen hatten, um — vielleicht — das Blatt noch einmal zu wenden. Hasard knirschte mit den Zähnen, als er daran dachte, wie die verdammten Piraten sie hereingelegt hatten. Meuterer waren sie. Ihren Kapitän, der jetzt an einem provisorischen Galgen baumelte, hatten sie ausgesetzt. Von den Seewölfen war er aufgefischt worden: ein halbirres Wrack, nur noch von dem Gedanken an Rache beseelt. Und zum Dank hatte er eines Nachts Dan und Batuti mit schußbereiter Muskete gezwungen, ein Boot abzufieren und ihn zu der Insel zu pullen, an deren Riff das Schiff der Meuterer zerschellt war. Sinnlos, darüber nachzugrübeln, dachte Hasard erbittert. Sinnlos auch, sich zu fragen, ob sie vielleicht zu unvorsichtig gewesen waren, als sie auf der Suche nach Dan und Batuti die Insel anliefen. Die Piraten hatten den kleinen Suchtrupp in einen Hinterhalt gelockt und überwältigt - und danach brauchten sie nur noch zu drohen, die Gefangenen einen nach dem anderen umzubringen, um den Rest der Crew zur Übergabe des Schiffs zu zwingen. Hasard betrachtete flüchtig seine blutenden Hände, die er sich an den scharfen Palmwedeln zerschnitten hatte. Es war ihm gelungen, die Palme zu entwurzeln, an die er von den Piraten gefesselt worden war. Und er hatte sofort
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die Klippen erklettert, um wenigstens zu sehen, welchen Kurs die „Isabella“ nahm. Denn selbst wenn Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark, die sich in der Vorpiek der Galeone verborgen hielten, nichts erreichten, gab es noch eine Chance. Der schwarze Segler war in der Nähe. SiriTong und Thorfin Njal hatten die „Isabella“ im Sturm aus den Augen verloren, aber sie würden zweifellos nach den Seewölfen suchen. Mit einem tiefen Atemzug wandte sich Hasard ab und kletterte wieder - die Klippen hinunter. Der Rest der Crew war immer noch an die Palmstämme gefesselt. Arwenack, der Schimpanse, kauerte am Boden und keckerte anklagend, weil er seinen speziellen Freund Dan O’Flynn nicht finden konnte. Sir John hatte sich auf der Schulter des Profos niedergelassen, und die beiden fluchten in schöner Eintracht um die Wette. Hasard konnte im Augenblick beim besten Willen nicht darüber lachen. Er band Carberry los, dann Old O’Flynn, Will Thorne und den Kutscher, und gemeinsam brauchten sie nur noch ein paar Minuten, um die anderen zu befreien. Schweigend kauerten sich die Männer auf umgestürzte Baumstämme oder ins niedrige Gras. Der Kutscher wollte nach Hasards zerschrammten Händen sehen, aber der Seewolf winkte ungeduldig ab. „Dümmere dich lieber um Smokys Schädel“, sagte er knapp. „Er hat einen Stein auf den Kopf bekommen. Sonst noch jemand verletzt?“ Niemand meldete sich. Ein paar Schrammen hatten viele von ihnen davongetragen, vor allem die sechs, die in den Hinterhalt der Piraten geraten, mit einem Steinhagel bombardiert und von der Übermacht überwältigt worden waren. Aber was zählten schon ein paar Schrammen, die heilten ohnehin an der Luft am besten. Der Kutscher betrachtete die mächtige Beule an Smokys Hinterkopf und blickte dem bulligen braunhaarigen Mann prüfend in die Augen. „Weißt du, wo wir hier sind?“ fragte er.
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Smoky verzog das Gesicht. „Klar weiß ich das, ich bin ja nicht blöd. Laß mich in Ruhe, verdammt! Ich ramme dich unangespitzt in den Boden, wenn du ...“ „Schon gut“, sagte Hasard scharf. Der Kutscher zuckte mit den Schultern und setzte sich ebenfalls. Genau wie den anderen war ihm sofort eingefallen, wie Smoky einmal nach einem Schlag auf den Schädel zeitweise das Gedächtnis verloren und ständig dämliche Fragen gestellt hatte. Aber im Moment war ohnehin niemand in der Stimmung, ihn mit der alten Geschichte aufzuziehen. Hasard warf einen Blick in die Runde und stellte fest, daß tatsächlich niemand schwerverletzt war. „Die ‚Isabella’ ist auf Nordkurs gegangen“, sagte er ruhig. „Auf Dan und Batuti passen die Piraten vermutlich wie die Schießhunde auf. Daß sich Ben, Stenmark und Big Old Shane in der Vorpiek verborgen halten, habt ihr ja inzwischen mitgekriegt. Sie werden die Nacht abwarten und versuchen, Jean Morro als Geisel zu nehmen.“ Er schwieg einen Moment und preßte die Lippen zusammen, weil ihm die Schwächen dieses Plans nur zu klar waren. Ferris Tucker und Ed Carberry wechselten einen Blick, und der Profos tastete mit den Fingerkuppen über die Narben an seinem Rammkinn. „Hmm“, brummte er. „Und wenn diese Rübenschweine nun auf ihren selbsternannten Kapitän pfeifen? Wenn sie ihn einfach über die Klinge springen lassen und ...“ Er stockte. Was er hatte sagen wollen, wußten die anderen ohnehin: Falls der Trumpf mit der Geisel nicht stach, wurde es für die Seewölfe an Bord der „Isabella“ äußerst brenzlig. „Sie — sie werden sie doch nicht umbringen?“ fragte Bill mit belegter Stimme. „Ich meine, sie brauchen doch Leute, sie sind doch ohnehin zu wenig, oder?“ Hasard nickte mit mehr Zuversicht, als er empfand. Der Gedanke in die alten Kampfgefährten, die ich in tödlicher Gefahr befanden, nagte an ihm. Und den
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anderen ging es genauso, das war deutlich in ihren Gesichtern zu lesen. „Der schwarze Segler wird uns finden“, sagte der hagere Gary Andrews. „Klar“, pflichtete Matt Davies bei. Er biß sich auf die Lippen und rieb an seiner Hakenprothese herum. „Vielleicht finden sie uns heute noch. Dann können wir sofort die Verfolgung aufnehmen. ,Eiliger Drache’ ist schneller als die ,Isabella’!“. „Aber die Piraten haben Geiseln“, sagte der Kutscher leise. „Oder auch nicht!“ Sam Roskill war es, der das hervorstieß. Seine dunklen Augen funkelten dabei. „Vielleicht schaffen wir’s genau im richtigen Augenblick. Wenn Ben, Stenmark und Shane auf dem Schiff die Hölle loslassen und Dan und Batuti noch mitmischen, müßte es klappen.“ „Wenn!“ knurrte Ferris Tucker. „Auf jeden Fall ist es Sinnlos, auf dem Hintern sitzenzubleiben und zu warten, finde ich.“ „Ach nein!“ brauste der temperamentvolle Luke Morgan auf. „Und was, zum Teufel, willst du unternehmen? Vielleicht der alten ‚Isabella’ auf ‘ner Kokosnuß nachreiten?“ „Zuallererst sollten wir ein Signalfeuer anzünden“, sagte Hasard sanft. „Dann findet uns der schwarze Segler möglicherweise schneller. Außerdem sollten wir die Insel etwas näher untersuchen. Ich habe meine Pistole zum Beispiel in ein Gebüsch geworfen, wo die Piraten sie bestimmt nicht gefunden haben. Außerdem erinnere ich mich, daß auch die Waffen, die unsere zweite Gruppe an der Nordseite auf der Brandungsplatte weggeworfen hat, nicht wieder eingesammelt worden sind. Essen und Trinken müssen wir uns ebenfalls beschaffen sowie das Lager der Piraten suchen — für den Fall, daß es dort irgendeinen Hinweis auf ihr Ziel gibt.“ Luke Morgan schluckte und brachte es tatsächlich fertig, rot zu werden. „Aye, Sir“, murmelte er. „Vielleicht - eh sollten wir versuchen, das Feuer da oben auf dem Felsenkegel anzuzünden. Ich kann ja schon mal an fangen, Holz zu Sammeln.“
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„Ein vernünftiger Vorschlag.“ Hasard lächelte leicht. „Blacky und Pete sollen dir helfen. Der Kutscher hat ab sofort die Verantwortung für das Feuer. Ferris, du schaust dir die Trümmer der Galeone auf dem Riff an und siehst zu, ob du so etwas wie einen schwimmfähigen Untersatz daraus zimmern kannst. Außerdem werden wir den Irren begraben. Dafür sorgst du, Ed.“ „Wieso ich? Verdammt, ich ...“ „Weil du der Profos bist, Mister Carberry. Nimm zwei Mann mit! Matt, Bill und Al kommen mit mir, Gary und Jeff kümmern sich um die Waffen. Die anderen bleiben hier. Als Reserve, falls Ferris Hilfe braucht. Noch Fragen?“ Niemand sagte etwas. Die Männer waren froh, daß sie endlich wieder etwas tun konnten. Und selbst Edwin Carberry vergaß für den Moment das Fluchen, weil er wußte, daß es in gewissen Situationen nicht ratsam war, dem Seewolf zu widersprechen - vor allem dann nicht. wenn er jemanden „Mister“ nannte. 2. Die „Isabella rauschte mit halbem Wind unter Vollzeug nach Norden. Nuevo Espana war das Ziel. Jenes Gebiet im Südwesten der Landenge von Tehuantepec, das die Indianer Chiapas nannten, und in dessen dichtem tropischen Dschungel sich, genau wie auf der Halbinsel Yucatan, ein paar Maya-Stämme vor den spanischen Eroberern versteckten. Um das Gold dieser Mayas ging es den Piraten, um einen sagenhaften Schatz, der in einer Tempelstadt im Urwald verborgen sein sollte. Einer der Männer, der alte Valerio, hatte eine Karte, die das Versteck zeigte. Eine uralte Karte, nur noch mühsam zu entziffern. Jacahiro, der Indio, war reinblütiger Maya und gehörte zum Stamm der Chamula, die sich aus ihren heißen, trockenen Hochtälern in die grüne Hölle des Regenwaldes geflüchtet hatten. Chiapas! Das Gold der Maya!
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Der .Gedanke daran stachelte die Piraten an und trieb sie zu fiebriger Eile. Die Gier funkelte in ihren Augen. Es schien sie nicht zu stören, daß sie hart zu schuften hatten, weil die „Isabella“ hoffnungslos unterbemannt war. Besonders legten die Piraten allerdings Wert darauf, ihre Gefangenen schuften zu lassen. Seit Dan O’Flynn und Batuti von den Fesseln befreit worden waren, gelangten sie nicht mehr zur Ruhe: Normalerweise hätten sich weder der hitzköpfige Dan noch der hünenhafte Mann aus Gambia so ohne weiteres zum Borddienst pressen lassen. Aber hier und jetzt lag die Sache anders. Sie wußten, daß sich drei ihrer Kameraden an Bord versteckt hielten. Irgendwann würden Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark losschlagen, und dann wollten Dan und Batuti nicht hinter einem Schott schmoren oder an der Rahnock baumeln, sondern nach Möglichkeit die Hände frei haben, um ihre Gegner das Fürchten zu lehren. Schon während der ersten Stunde tat Dan O’Flynn wenig anderes, als sich diese Tatsache wieder und wieder vor Augen zu führen. Er und Batuti hatten einigen von den Piraten ziemlich zugesetzt. Vor allem Pepe le Moco und der einäugige Esmeraldo bereiteten sich ein Vergnügen daraus, es ihren Gefangenen heimzuzahlen. Der schwarze Herkules wurde von einer schweißtreibenden Arbeit zur anderen gescheucht. Und Dan schäumte innerlich vor Wut, weil man ihn dazu ver- donnert hatte, einem dicken, schmierigen Kerl namens Tomaso in der Kombüse zu helfen. Tomaso hatte einen Fraß zusammengebraut, für den sich der Kutscher für den Rest seines Lebens geschämt hätte. Dan wurde losgeschickt, um Abfälle über Bord zu kippen. Hinter ihm meckerte der sogenannte Koch, weil es ihm nicht schnell genug ging. Dan hätte ihn am liebsten in seinem undefinierbaren Brei ersäuft, aber er dachte an seine versteckten Kameraden und riß sich zusammen.
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Er beschleunigte sogar seine Schritte. Nicht, daß er sich etwa vor dem Dicken gefürchtet hätte. Im Gegenteil! Aber Dan wußte eins: Wenn dieser schmierige Kerl noch weiter laberte oder ihn gar anfaßte, würde es ein Unglück geben. Dan brauchte seine ganze Selbstbeherrschung. Vielleicht achtete er deshalb nicht genug auf seine unmittelbare Umgebung. Er sah zu Batuti hinüber, der beim Anbrassen zupackte, weil die „Isabella“ geringfügig den Kurs änderte. Dan musste dicht an dem einäugigen Esmeraldo vorbei — und der streckte mit einem bösen Grinsen den Fuß vor. Dan stolperte und schlug lang hin. Die Pütz, die er geschleppt hatte, flog im Bogen auf die Kuhl, Küchenabfälle regneten auf die Planken. Donegal Daniel. O’Flynn schnellte wie ein Kastenteufel vom Boden hoch, wirbelte herum und starrte seinem Gegner keuchend vor Haß in sein eines Auge. Esmeraldo grinste. „Kannst du nicht aufpassen, du Tölpel?“ fragte er höhnisch. Dans Augen verschleierten sich. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Wie durch eine dicke Schicht Wachs hörte er die schneidende Stimme des Bretonen. „Was soll die Schweinerei, in drei Teufels Namen? Aufwischen, du Bastard, aber ein bißchen plötzlich! He, Nigger! Hilf ihm, bevor jemand auf dem Mist ausrutscht und sich die Knochen bricht! Esmeraldo, mach ihnen gefälligst Feuer unter dem Hintern!“ Batuti murmelte etwas Unverständliches, während er seinen Platz verließ, um Dan zu helfen. Der blonde Dan O’Flynn schluckte mit einer fast übermenschlichen Anstrengung seine Wut herunter. Schweigend wandte er sich ab und ging in die Kombüse, um einen Lappen zu holen, während der hünenhafte Neger bereits die gröberen Abfälle zusammensuchte. Der fette Tomaso grinste hämisch. „Saudämliche Engländer“. sagte er. Aber dann verstummte er ganz schnell, weil ihm der mörderische Blick des Gefangenen denn doch unter die Haut ging.
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„Nimm dich in acht!“ zischte Dan. „Wenn du mir noch einmal krumm kommst, setze ich dich mit dem Hintern in die Bratpfanne. Und wenn ihr mich hinterher zehnmal aufhängt oder kielholt — deinem Arsch wird es davon nicht bessergehen, kapiert?“ Der dicke Koch war kein Kämpfer. Er überschlug in Gedanken, was sein Gegner ihm alles antun konnte, bevor die anderen zur Stelle waren, und schluckte erschrocken. Dan wandte sich ab. Mit Lappen und Segeltuchpütz trat er ins Kombüsenschott und biß die Zähne zusammen. Batuti hatte den Großteil der Abfälle aufgesammelt. Er ging über die Kuhl, um die Ladung außenbords zu kippen. Da er gewarnt war, dachte er nicht daran, über einen vorgestreckten Fuß zu stolpern. Er wollte über Esmeraldos Bein hinwegsteigen, aber der Einäugige trat blitzschnell zu. Eine Sekunde später brüllte er auf, weil ihm Batuti die Pütz mit den Abfällen über den Kopf gestülpt hatte. Ein paar Männer lachten. Die meisten dagegen stürzten sich sofort auf den hünenhaften Neger. Und einer von ihnen, der „Burgunder“ genannt wurde, holte tückisch grinsend mit einem Belegnagel aus. „Du hinterhältiger Mistkerl!“ schrie Dan gellend. Lappen und Segeltuchpütz hatte er bereits fallenlassen. Er sah, wie Batuti noch herumzuwirbeln versuchte und der Belegnagel ihn knapp über der Stirn traf. Der schwarze Herkules wankte. Wieder zuckte der Belegnagel auf ihn zu. Im nächsten Moment war Dan O’Flynn mitten unter den Kerlen wie ein leibhaftiger Wirbelsturm. Ein Wirbelsturm war es auch, der in den nächsten Minuten auf der Kuhl der „Isabella“ tobte. Bevor die Piraten überhaupt begriffen, daß sie eine Art Naturkatastrophe entfesselt hatten, lagen vier von ihnen schon bewußtlos am Boden. Batuti hätte ihrer Meinung nach eigentlich ein Loch im
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Schädel haben müssen, doch stattdessen stemmte er den nicht gerade leichtgewichtigen Pepe le Moco hoch in die Luft und feuerte ihn außenbords wie ein Bündel Lumpen. Der schlanke, drahtige Dan O’Flynn wirkte äußerlich nicht eben wie ein Kraftpaket — und entpuppte sich als leibhaftiger Tiger. Er kratzte und biß, schlug Nasen platt, knackste Rippen an und bewegte sich schneller, als seine Gegner denken, geschweige denn zuschlagen konnten. Selbst als zwei Mann an seinen Armen hingen, ein dritter in sein Genick sprang und ein vierter von vorn auf ihn eindrosch, trat er noch mit den Füßen um sich. Batuti beförderte gerade den zweiten Gegner ins Wasser. Die Muskete, die auf ihn selbst zielte, störte ihn nicht. Aber als er mit furchterregend rollenden Augen herumwirbelte und nach dem nächsten Opfer Ausschau hielt, sah er die Steinschloß-Pistole, die sich gegen Dans Magengrube preßte — und damit war auch für den schwarzen Herkules der Kampf zu Ende. „Aufhören, oder dein Freund ist eine Leiche!“ brüllte Jean Morro. Mit dieser Methode hatte er schon zweimal Erfolg gehabt, wenn es so aussah, als würden die Seewölfe eine dreifache Übermacht mit Leichtigkeit auseinandernehmen. Auch diesmal funktionierte es. Batuti knirschte mit den Zähnen, stöhnte vor Wut, aber er konnte nichts mehr tun, wenn er nicht Dans Leben aufs Spiel setzen wollte. Jean Morro atmete langsam aus. Seine Stimme klang schneidend. „Bindet sie an die Gräting!“ befahl er. „Zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen für jeden! Esmeralda!“ Der Einäugige rappelte sich mühsam von den Planken hoch. Noch stöhnte er, aber er hatte den Sinn des Befehls begriffen, da begann sein eines Auge in bösem Triumph zu glitzern. Er sah zu, wie Dan und Batuti an die schräggestellte Kuhlgräting gefesselt wurden. Sie konnten sich nicht wehren. Denn Jean Morro, der Bretone, hatte längst ihren
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einzigen schwachen Punkt herausgefunden. Jeder dieser beiden ungleichen Männer war notfalls bereit, sich für seinen Kameraden in Stücke hauen zu lassen, und man brauchte nur dem einen eine Waffe an die Schläfe zu setzen, um den anderen ohne großen Aufwand zum Gehorsam zu zwingen. Dan O’Flynn befand sich in einem Delirium der Wut, als hinter ihm die Peitsche zu pfeifen begann. Batuti wurde als erster ausgepeitscht. Zwanzig Hiebe waren viel, selbst für einen Bullen von Kerl, aber der schwarze Herkules nahm sie hin, ohne einen Laut von sich zu geben oder das Bewußtsein zu verlieren. Dan spannte die Muskeln und schloß die Augen. Die Stimme, die laut die Schläge mitzählte, schien wie eine gigantische Glocke in seinem Schädel zu dröhnen. Er glaubte, jeden einzelnen Hieb, der Batuti traf, auf seinem eigenen Rücken zu spüren, und er wußte, daß es Batuti genauso gehen würde. „Zwanzig!“ rief Pepe le Moco. Esmeraldo keuchte. Er war wütend, weil es ihm nicht gelungen war, den Neger zum Schreien zu bringen. Aber bei dieser halben Portion, diesem schlanken, jungen Mann würde er es schaffen, das glaubte er jedenfalls. Er irrte sich. Dans Kiefer preßten sich wie ein Schraubstock zusammen. Nach dem zehnten Hieb war sein Rücken eine brennende Hölle, aber er versuchte, nicht an den Schmerz zu denken. Er dachte daran, wie er Jean Morro an der Kehle packte, ihn langsam erwürgen, ihm die Haut abziehen, ihn den Haien zum Fraß vorwerfen würde. Die letzten drei, vier Hiebe spürte Dan nicht mehr. Er kam erst wieder zu sich, als ihm jemand eine Ladung Seewasser über den zerfetzten Rücken kippte. Das Salz brannte in den offenen Wunden. Dan biß sich die Lippen blutig. Verzweifelt klammerte er sich an den Gedanken, wie er es Jean Morro
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heimzahlen würde, und aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Bretonen. * „Schneidet sie los! In die Vorpiek mit ihnen! Wir werden die Kerle schon kleinkriegen!“ Der Schiffsjunge Bill wand sich durch das Gewirr der Schlinggewächse wie eine Schlange. Immer wieder mußten sie sich für Minuten durch das Dickicht kämpfen, das jede Lücke zwischen den roten Felsen ausfüllte. Hasard lächelte still vor sich hin, während er den Jungen beobachtete. Bills Gesicht glühte nicht nur von der Hitze. Seine ganze Haltung spiegelte hellwache Spannung, die braunen Augen leuchteten erregt. Fünfzehn Jahre war er alt, der Moses. Und mit seiner unbekümmerten Jugend brachte er es immer wieder fertig, Sorgen und Ängste abzuschütteln wie Wassertropfen und das Abenteuer des Augenblicks zu genießen. Soll er, dachte Hasard. Aber gleichzeitig wurde ihm wieder einmal klar, daß Bill noch lange kein Mann war, der für sich selbst einstehen konnte, daß er jemanden brauchte, der auf ihn aufpaßte. Dan O’Flynn war vor ein paar Jahren genauso gewesen, nur noch entschieden frecher, vorwitziger und hitzköpfiger. Ein Heißsporn war er immer noch. Ungerechtigkeit und Gemeinheit vermochte er nicht mitanzusehen, da war es mit seiner Beherrschung vorbei, Vernunft hin oder her - und deshalb bereitete sich Hasard Sorgen. Vor ihm hatte Bill eine Art Hochfläche erreicht und lief leichtfüßig durch das Gewirr von Felsen und lichtem Buschwerk. Vor einer tief eingeschnittenen Mulde hielt er. Seine Stimme klang triumphierend. „Da ist es! Ich kann die Feuerstelle sehen!“ Hasard und Al Conroy traten neben ihn. Sie hatten das Lager der Piraten noch nicht gesehen, da der Bretone sie offenbar von Dan und Batuti hatte fernhalten wollen. Der Seewolf schloß daraus, daß die beiden über das Ziel der „Isabella“ Bescheid
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wußten. Er hoffte, daß es ihnen vielleicht gelungen war, irgendeine. Art von Nachricht zurückzulassen. Daß die Mulde mit der Quelle, dem dichten Gras und den schattenspendenden Felsen tatsächlich der Schlupfwinkel der Piraten gewesen war, ließ sich an vielen Kleinigkeiten ablesen. Die Männer des Bretonen hatten eine zerfetzte Persenning zurückgelassen, leere Flaschen, Tabaksbeutel, gestapeltes Feuerholz und einen zerbeulten Kessel, der an einem provisorischen Dreibein baumelte. Noch war das Gras niedergedrückt von den Tritten vieler Füße. Bill wollte rasch in die Mulde hinuntersteigen, aber Hasard hielt ihn an der Schulter zurück. „Warte! Schau dich erst einmal genau um!“ Bill warf dem Seewolf einen Blick zu, dann kniff er die Augen zusammen. Nach einer Weile hob er wieder den Kopf. „Man kann aus den Spuren etwas herauslesen, nicht wahr, Sir?“ „Richtig. Und was liest du daraus?“ „Rund um die Feuerstelle ist das Gras am meisten zertrampelt“, sagte Bill. „Da hinten ist es glatt niedergedrückt, wahrscheinlich haben die Kerle da geschlafen. Aber ich verstehe nicht, was die Löcher und Narben da drüben im Gras bedeuten.“ „Stiefelspuren“, sagte Hasard. „So rammt man die Absätze ins Gras, wenn man gefesselt ist und sich mit den Füßen abstößt.“ „Also haben Dan und Batuti dort gelegen und sich nach einer Weile aufgerichtet, um sich mit dem Rücken an die Felsen zu lehnen?“ „Wahrscheinlich.“ Der Seewolf lächelte. „Schauen wir uns die Stelle mal näher an.“ Über die glatten roten Felsen glitten sie nach unten. Die Mulde war windgeschützt, und die Luft schien zu kochen. Hasard, Al Conroy und Bill durchquerten die Senke und traten zu der Stelle, wo das Gras von Stiefelabsätzen aufgerissen war. Der Seewolf wußte, wonach er suchte. Zwei Minuten später fiel sein Blick auf die Buchstaben, die Dan O’Flynn in den Stein
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gekratzt hatte. Auch Al und Bill standen schweigend vor der krakeligen, nur schwer entzifferbaren Inschrift. „C-A-I-A-P-A-S“, buchstabierte Bill mühsam. Hasard schüttelte den Kopf. „Der zweite Buchstabe ist ein H. Es heißt Chiapas.“ „Kommt mir bekannt vor“, murmelte Al Conroy. „Sollte es auch“, sagte der Seewolf trocken. „Erinnerst du dich nicht an die Karten, die wir auf Sabreras Schiff gefunden haben? Chiapas ist ein Zipfel von Nueva Espana, südlich der Landenge von Tehuantepec. Im Landesinneren muß es ziemlich hohe Berge geben. Und an der Küste den schönsten Urwald.“ „Ach du liebe Zeit“, sagte Al Conroy ergriffen. Hasard grinste freudlos. Ihm hatten die Abenteuer im Dschungel von Guayana und der grünen Hölle des Amazonas ebenfalls gereicht. Und er fragte sich, was, zum Teufel, die Piraten in einer Wildnis suchten, wie er sie hinter dem Namen Chiapas vermutete. Al Conroy hatte offenbar ganz ähnliche Gedanken. „Vielleicht suchen sie auch so etwas wie El Dorado`’, sagte er. „Oder gibt es da oben keine Inkas?“ „Inkas nicht. Aber Maya. Möglich, daß du recht hast, Al. Die Maya haben sicher nicht weniger unter den spanischen Eroberern gelitten als alle anderen Indios. Warum sollen sie sich nicht ebenfalls dorthin zurückgezogen haben, wo sie. am sichersten vor Verfolgung und Terror sind: in die Regenwälder.“ „Also segeln wir nach Chiapas?“ fragte Bill eifrig. Hasard warf ihm einen Blick zu. Der Junge hatte das kurze Gespräch stumm und gebannt verfolgt, und seine Augen leuchteten. Der Seewolf mußte lächeln, obwohl ihm eigentlich nicht danach zumute war. „Sicher geht es nach Chiapas“, sagte er. „Notfalls auf einem Floß, mit einem alten Hemd als Segel:“ Und als er den Schatten sah, der über Bills Gesicht flog: „Nur keine
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Angst, mein Junge! Irgendwie werden wir es schon schaffen.“ 3. Die Vorpiek der „Isabella“ wurde von den Seewölfen seit jeher als „Vorhof zur Hölle“ bezeichnet. Ein finsteres Loch, stickig, mörderisch heiß, von Ratten bewohnt und mit Gerüchen erfüllt, die auch dem härtesten Burschen den Magen umdrehen konnten. Unter der Gräting, auf der Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark kauerten, schwappte stinkendes Bilgewasser. Mehr als zwei Stunden hielten es die Männer jetzt schon hier aus, und ihr einziger Trost war, daß sie es freiwillig taten. Was sich an Deck der „Isabella“ abspielte, nahmen sie nur als dumpfes Schrittegetrampel wahr, das sich vor ein paar Minuten für kurze Zeit zu wilder Heftigkeit gesteigert hatte. „Scheint so, als ob sie sich prügeln“, sagte Stenmark mit gerunzelter Stirn. „Sollen sie“, brummte Big Old Shane. Genauso wenig wie Stenmark und Ben Brighton konnte er wissen, daß die Piraten Dan O’Flynn und Batuti mit an Bord geschleppt hatten. „Ich hoffe, sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Umso leichter können wir sie dann später auseinandernehmen.“ „Später“, wiederholte Stenmark angewidert. „Müssen wir wirklich erst die Nacht abwarten?“ Ben Brighton nickte nachdrücklich. „Doch, Sten. Wir sind darauf angewiesen, Jean Morro in seiner Kammer Zu überraschen. Wir können nicht zu dritt gegen eine ganze Schiffsmannschaft kämpfen.“ Stenmark zuckte mit den Schultern. Dem blonden Schweden war anzusehen, daß er sich in einer Stimmung befand, in der er notfalls auch ganz allein über die Piratenbande hergefallen wäre. Big Old Shane preßte die Zähne zusammen. Das verwitterte, graubärtige Gesicht des früheren Waffenmeisters von Arwenack wirkte wie aus Stein gemeißelt.
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Seine Fäuste schlossen sich fester um die Eisenstange, die er als Waffe benutzte. „Ich bin nicht mal so sicher, ob es wirklich gut ist, die Nacht abzuwarten“, sagte er in seiner langsamen, bedächtigen Art. „Es sei denn, wir verlassen uns blindlings darauf, daß es so läuft, wie wir es uns vorstellen.“ „Dafür steht zu viel auf dem Spiel.“ Ben Brighton hob fragend die Brauen. Er wußte, daß der graubärtige Alte einen ganz bestimmten Gedankengang verfolgte. Shane bewegte die mächtigen Schultern. „Angenommen, wir schaffen es nicht! Wenn die Piraten auf Jean Morros Leben keine Rücksicht nehmen, müssen wir kämpfen, und wie das ausgeht, mag der Teufel wissen. Wenn alle Stricke reißen, bleibt uns immer noch die Möglichkeit, von Bord zu verschwinden. Jetzt! Heute nacht wird sich die ‚Isabella’ schon zu weit von der Insel entfernt haben, um zurückzuschwimmen.“ „Zurückschwimmen?“ stieß Stenmark durch die Zähne. „Und uns von den Haien anknabbern lassen?“ „Shane redet vom äußersten Notfall, Sten. Besser vielleicht im Bauch eines Hais als mit Sicherheit an der Rahnock, oder?“ „Aber dafür stehen unsere Chancen besser, wenn wir die Dunkelheit abwarten“, führte Big Old Shane seine eigenen Überlegungen weiter. „Ich glaube ...“ Er konnte den Satz nicht mehr beenden. Jäher Lärm ließ ihn den Kopf heben. Schritte näherten sich, die Schritte von mindestens sechs, sieben Männern. „Verdammt“, stieß Stenmark durch die Zähne. „Ruhig“, sagte Ben Brighton mit schmalen Augen. „Vielleicht untersuchen sie nur das Schiff, die Laderäume ...“ Er stockte abrupt. Die Schritte waren jetzt deutlicher zu hören. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie sich der Vorpiek näherten. Ben Brighton und Stenmark griffen schweigend nach ihren Pistolen. Big Old Shane richtete sich auf und glitt in den toten Winkel neben dem Schott. Die Schritte verhielten, dann erklang eine
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heisere, verzerrte und dennoch unverkennbare Stimme. „Nimm deine Pfoten weg, du Sohn einer verlausten Wanderhure! Laß mich erst wieder die Hände frei haben, dann verarbeite ich dich zu Haferbrei, du verdammter, widerlicher ...“ Ein klatschendes Geräusch erstickte die Stimme. Aber es war eindeutig die Stimme von Dan O’Flynn gewesen: Die drei Männer in der Vorpiek starrten entgeistert das Schott an, das im selben Augenblick aufflog. Eine Gestalt taumelte herein, ein hünenhafter Schatten, der stolperte, mit den gefesselten Händen das Gleichgewicht nicht halten konnte und auf die Gräting prallte. Batuti, durchzuckte es Ben Brighton, und im selben Moment wurde auch Dan O’Flynn mit einem brutalen Stoß in die Vorpiek befördert. Tanzendes Lampenlicht fiel in das finstere Loch. Der Widerschein streifte die Gesichter von drei, vier Männern. Sie grinsten hämisch. Einer von ihnen kicherte im Tonfall satter Zufriedenheit. Keine Sekunde später wurden ihre Mienen zu verzerrten Grimassen. Gellend schrie einer der Kerle auf. „N-n-nein ...“ stammelte jemand im Hintergrund. Die Männer glaubten, Gespenster zu sehen. Der bullige Pepe le Moco war der erste, der sich blindlings herumwarf und flüchtete. * Unter Vollzeug segelte „Eiliger Drache über den Wassern“ nach Südwesten. Der Wind wehte raumschots, der schwarze Segler lag über Steuerbord und lief gute Fahrt. Die Stürme der letzten Tage hatten ihn weit nach Norden verschlagen, der Ruderschaden, der aufgetreten war, hatte ein übriges getan, um die Fühlung zwischen der „Isabella“ und dem „Drachen“ abreißen zu lassen. Aber SiriTong, Thorfin Njal und die anderen
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glaubten nicht, daß es besonders schwer sein würde, die Seewölfe wiederzufinden. „Eiliger Drache“ war mit seinen vier Masten ein außergewöhnlich schnelles Schiff. Und das gemeinsame Ziel stand fest: der geheimnisvolle Westen, jene unbekannten Inseln inmitten der endlosen Wasserwüste zwischen der Westküste der neuen Welt und Siri-Tongs Heimat. Die Rote Korsarin stand aufrecht auf dem Achterkastell und ließ ihr langes schwarzes Haar im Wind flattern. Ab und zu wanderte ihr Blick zu der riesenhaften, in Felle gekleideten Gestalt des Wikingers am Kolderstock. Thorfin Njal trennte sich - genau wie Eike, Arne, Olig und der Stör -auch in der schlimmsten tropischen Hitze nicht von seiner gewohnten Kleidung. Und seinen alten, zerbeulten Kupferhelm abzunehmen, wäre ihm erst recht nicht eingefallen. Im Augenblick steuerte er einen Kurs, bei dem das Kielwasser wie mit dem Lineal gezogen wirkte. In seinen mächtigen, schwieligen Fäusten nahm sich der Kolderstock wie ein Kinderspielzeug aus. Der schwarze Segler lief wie Samt und Seide. An Deck war es ruhig. Nur ab und zu unterbrachen knappe Segelkommandos die Stille, die Schreie der Seevögel, das Plätschern der Wogen gegen den Schiffsrumpf. Auf der Kuhl döste Missjöh Buveur vor sich hin, eine Flasche in der Faust, aber da er Freiwache hatte, verzichtete Siri-Tong darauf, ihn wegen der Sauferei zusammenzustauchen. Dafür begann plötzlich Cookie, der Koch, lautstark zu lamentieren. Wie eine Wildkatze fuhr er auf Missjöh Buveur zu und versuchte, ihm die Flasche zu entreißen. Der untersetzte Mann wehrte sich. Binnen Sekunden war ein wildes Gerangel im Gange, das erst Siri-Tongs scharfer Zuruf stoppte. „Er hat geklaut!“ zeterte der schmierige, dickliche Koch. „Er hat den KokosnußSchnaps aus der Kombüse ...“ „Kokosnuß-Schnaps?“ fragte die Rote Korsarin.
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Cookie schluckte erschrocken. In seiner Aufregung fuhr er sich mit allen fünf Fingern durchs Haar - und dieses Haar war fast einen halben Yard lang und mit Öl von rechts nach links an den Schädel geklebt, um eine kahle Stelle zu verdecken. Rod Bennet, genannt Cookie, sah in Sekundenschnelle aus, als habe ihm jemand einen Eimer Algen über den Kopf gekippt. „Das - das ist ein Rezept von den Eingeborenen“, stotterte er. „Man -man bohrt Löcher in die Kokosnüsse, damit Luft an die Milch dringt. Dann stopft man die Löcher wieder zu. Na ja, und dann wird mit der Zeit eben Schnaps daraus.“ „So“, sagte Siri-Tong. Cookie sagte gar nichts, sondern fuhr fort, seine Haarpracht zu verwirren. Er wußte genau, was jetzt folgen würde. „Kannst du dich vielleicht noch entsinnen, warum wir die Kokosnüsse in den Laderaum gepackt haben, Mister Bennet?“ fragte die Rote Korsarin gefährlich sanft. „Als - als Verpflegung, Madam!“ „Nicht, damit du dir deinen Privatschnaps daraus herstellst’?“ „N-nein, Madam!“ Siri -Tong atmete tief durch. Ihr Gesicht wirkte steinern. Sie überlegte noch, wozu sie den Sündenbock verdonnern sollte, da wurde sie unterbrochen. „Deck!“ ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen Backbord voraus!“ „Ho!“ brüllte der Wikinger. „Das muß die alte ‚Isabella’ sein! Kannst du sie erkennen?“ Hilo sah im Augenblick nur drei Mastspitzen, haarfeine Nadeln über der Kimm, und es würde auch noch eine Weile dauern, bis er mehr erkennen konnte. SiriTong wollte sich wieder dem Koch zuwenden, der sich an den Vorräten vergriffen hatte, aber der war inzwischen verschwunden. Dafür drang gedämpftes Wehgeschrei durch das geschlossene Kombüsenschott. Siri-Tong wandte sich ab. Sie gab vor, nichts zu hören, aber sie wußte, was jetzt .passierte, genau wie die Wikinger, der
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Boston-Mann und der. Rest der Crew, die sich eins grinsten. Der Koch wurde gebraucht. Man konnte keine der üblichen Disziplinarstrafen über ihn verhängen, ohne daß die gesamte Mannschaft darunter litt. Aber die rauhen Kerle hatten da im Laufe der Zeit ihre eigene Methode entwickelt. Dazu brauchten sie nichts weiter als die heiße Herdplatte in der Kombüse. Und danach wurde meist sogar das Essen, das der Koch zustande brachte, etwas besser. Allerdings nur für eine Weile. Ungefähr genauso lange, wie Cookie auf dem Bauch schlief und es sorgfältig vermied, sich hinzusetzen. Das Geschrei verstummte allmählich. Dabei polterte es - vermutlich flogen Töpfe und Pfannen durch die Kombüse. Ein paar Minuten später war auch das vorbei, und die Männer, die leicht zerrauft auf die Kuhl zurückkehrten, widmeten ihre Aufmerksamkeit nun ebenfalls dem Schiff, das der Ausguck gesichtet hatte. Nur Cookie ließ sich nicht sehen. Er heulte fast vor Wut. Am liebsten hätte er sich mit einer Kakerlaken-Suppe oder etwas ähnlichem revanchiert, aber dafür hatte ihm die Herdplatte als Sitzplatz denn doch zu wenig gefallen. * Für den Bruchteil einer Sekunde hatte in der Vorpiek der „Isabella eine Stille geherrscht, wie man sie im Zentrum, im „Auge“ eines Wirbelsturms findet. Esmeraldos Aufschrei und die Art, wie sich Pepe le Moco jählings herumwarf, wirkten als Signal. Dann ging alles so schnell, daß die Männer des Bretonen es im einzelnen erst viel später begriffen. „Arwenack!“ schrie Dan O’Flynn, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war und überhaupt nichts unternehmen konnte. „Arwenack!“ brüllten Batuti, Stenmark und Big Old Shane im Chor, und die Piraten erhielten endgültig den Eindruck, als habe die Hölle selber ihre Dämonen ausgespuckt.
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Vier Mann wollten sich gleichzeitig zur Flucht wenden. In dem engen Durchlaß des Schotts war das etwas schwierig. Für einen Moment behinderten sich die Kerle gegenseitig, und der erste, der handelte, war Big Old Shane. Wie ein angreifender Stier senkte er den Schädel und stürmte einfach in die schwankende Front seiner Gegner. Die beiden mittleren Kerle torkelten zurück wie von einem Rammsporn getroffen. Einer. von ihnen stieß einen gurgelnden Schrei aus und klappte zusammen. Der zweite ruderte verzweifelt mit den Armen, um nicht zu fallen. Dabei ließ er die Öllampe los, die er getragen hatte. Im Bogen flog sie durch den kleinen Laderaum unter dem Vordeck der „Isabella“, knallte auf den Boden und ging in Scherben. „Feuer!“ kreischte einer der Piraten entsetzt. „Feuer! Feu…“ Er verstummte, weil Ben Brighton ihm die Faust in die Zähne geschlagen hatte. Dem letzten Mann, der noch völlig verdattert im Schott stand und nicht wußte, wie ihm geschah, verpaßte Stenmark ein Ding in die Magengrube. „Uuuiiie“, gurgelte der Kerl. Dabei quollen ihm fast die Augen aus den Höhlen. Den Weg gab er erst frei, als Stenmark ihn am Kragen packte und kurzerhand in die Vorpiek beförderte. „Was soll das denn?“ schrie Dan O’Flynn aufgebracht, als der? Bursche über ihm landete. „Feuer!“ schrien jetzt auch andere Stimmen. Tatsächlich tanzten ein paar Flämmchen auf den Planken des Laderaums. Feuer stellte auf einem Schiff eine furchtbare Gefahr dar. Vor allem auf einem Schiff mit schwerer Armierung und entsprechenden Pulvervorräten, die verhältnismäßig trocken gehalten werden mußten, damit sie im Bedarfsfall funktionierten. Ben Brighton wollte sich auf die Flammen stürzen, aber einer der kopflosen Piraten rannte ihm - vielleicht in gleicher Absicht vor die Füße.
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Der ruhige, besonnene Bootsmann brauchte immer einen kleinen Anlauf, um richtig in Fahrt zu geraten. Jetzt war es soweit. Nur mit halbem Ohr nahm Ben Brighton das Gebrüll an Deck wahr, wo Pepe le Moco vermutlich den Rest der Crew alarmierte. Er sah das Feuernest, und er sah den keuchenden Kerl dicht vor sich. Es war der, den sie den „anderen Burgunder“ nannten, aber das konnte Ben Brighton nicht wissen. Er trat den Burschen mit Wucht vor das Schienbein, rammte ihm die Faust ins Gesicht, als er sich jaulend zusammenkrümmte, und schlug ihm zum Abschluß noch von oben aufs Haupt - was entschieden mehr war, als der „andere Burgunder“ vertragen konnte. Er sackte sang- und klanglos in sich zusammen. Ben Brighton wirbelte herum, suchte das Feuer und sah stattdessen einen um sich schlagenden Schatten durch die Luft fliegen. Der einäugige Esmeraldo überschlug sich zweimal und krachte auf die Planken. Die riesige Faust des Waffenmeisters von Arwenack hatte den Piraten genau dahin befördert, wo Shane ihn hinhaben wollte: auf die Flammen, die unter dem Anprall zum Glück erstickten. Jäh breitete sich Dunkelheit aus. Eine Dunkelheit, die erfüllt war von Stöhnen, Geschrei und keuchenden Atemzügen. „Da!“ knurrte Stenmarks Stimme. „Und da - und da - und das auch noch ...“ Jedes „da“ wurde von einem klatschenden Geräusch begleitet. Der Empfänger der Hiebe wimmerte zum Steinerweichen. Irgendwo erklangen tiefe, grollende Atemzüge, die nur aus dem mächtigen Brustkasten von Big Old Shane stammen konnten. Ben Brighton riß sich die Jacke vom Leib, um den Rest des brennenden Öls zu löschen. Als er die letzten Funken austrat, sprang ihm jemand von hinten in den Nacken. Ben spürte heißen Atem über sein Ohr streichen und feuerte einen Ellenbogen nach hinten. Der Pirat ließ los. Nicht nur das: Er segelte auch noch ein Stück durch
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die Luft. Unglücklicherweise prallte er im Dunkeln gegen Big Old Shane, und der graubärtige Alte lehrte den Burschen endgültig das Fliegen. Wo der Kerl landete, war nicht zu überhören, weniger wegen des Aufpralls als wegen des Empörungsschreis, der aus der Vorpiek ertönte. Dan O’Flynn fand es ausgesprochen unfair, daß man ihm ständig Leute auf die Figur warf, statt ihn endlich zu befreien, damit er sich in den Kampf stürzen konnte. Was Dan O’Flynn von sich gab, war allerdings nicht zu verstehen. Denn mindestens zwei von den Piraten, die noch auf eigenen Beinen stehen konnten, ergriffen jetzt blindlings die Flucht und verursachten ein fürchterliches Gepolter. Sie kannten den vorderen Laderaum der „Isabella“ nicht so gut. Im Gegensatz zu Ben Brighton und Big Old Shane, die keine Schwierigkeiten hatten, den Flüchtenden auch im Dunkeln nachzusetzen. „Ihr seid vielleicht Kameraden!“ schrie Dan O’Flynn mit etwas gequetschter Stimme. „Verdammt, wollt ihr uns nicht endlich ...“ „Losbinden!“ forderte der hünenhafte Neger mit Donnerstimme. „Batuti fressen Bretonen zum Frühstück. Gottverdammt, ihr nicht ganzes Vergnügen für euch allein!“ „Mist!“ schrie Stenmark im selben Moment. Nicht wegen Batutis berechtigter Forderung, sondern wegen des bewußtlosen Piraten, über den er gestolpert war. Nach der Bauchlandung fühlte sich der blonde Schwede sekundenlang benommen, und bei dieser Gelegenheit wurde ihm bewußt, daß Batuti ständig etwas von „Frühstück“ und „Vergnügen“ schrie. Stenmark verstand das nicht so recht, aber er verfiel von selbst auf den Gedanken, daß es von Vorteil war, die beiden Gefesselten in der Vorpiek zu befreien. Der blonde Schwede hatte nicht geahnt, daß sich noch zwei Männer aus der Crew auf der „Isabella“ auf - hielten. Mit Dan und Batuti, fand er, waren sie so gut wie
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unschlagbar. Fünf Seewölfe gegen einen Haufen lausiger Piraten, da würden die Fetzen fliegen. Aber nicht bei den Seewölfen, sondern bei ihren Gegnern. Stenmark grinste und rappelte sich hoch etwas taumelig, da er unglücklicherweise mit dem Kinn auf eine Querplanke geschlagen war. Die völlige Finsternis wurde ihm zum Verhängnis. Er griff bereits zum Messer, während er auf das Schott zuschwankte, aber weder er noch Batuti, noch selbst Dan mit seinen scharfen Augen konnten sehen, daß der Kerl, den Big Old Shane -in die Vorpiek geschleudert hatte, eben jetzt aus seinen Träumen erwachte. Jacahiro, reinblütiger Maya vom Stamme der Chamula. Der Bursche war nicht nur zäh, er hatte auch den Instinkt eines Raubtieres. Als er sich aufrichtete, geschah es mit der lautlosen Geschmeidigkeit, die seiner Rasse angeboren war und die man zum Überleben in der Wildnis brauchte. Jacahiro trug einen unterarmlangen Bronzestab am Gürtel, eine fünfkantige Waffe, die -mit einer Schlaufe am Handgelenk befestigt - in ihrer Funktion entfernt an Batutis Morgenstern erinnerte. Lautlos löste der Maya-Krieger die Waffe von seinem Gürtel, streifte sie über seine Rechte und schloß die Augen, um sich völlig auf die Geräusche im Dunkeln zu konzentrieren. Stenmark ging von der irrigen Annahme aus, daß der unbekannte Pirat aufgrund eines Faustschlags von Big Old Shane in der Vorpiek gelandet sei. Wo der ehemalige Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack hinhaute, wuchs nichts mehr. Stenmark ahnte nichts Böses, als er sich bückte und über die Gräting tastete. Er grinste im Dunkeln, als er ein Hosenbein zu fassen kriegte. „Bist du das, Dan?“ fragte er. „Nein, die Königin von England!“ knirschte Dan O’Flynn. „Verdammt, beeil dich! Ich will diesen verdammten Bretonen zu fassen kriegen.“
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„Na, na, na“, sagte Stenmark, während er nach Dans Fesseln tastete. „Verdammtes Pirat hat kleines O’Flynn auspeitschen lassen“, grollte Batuti. „Bretone wird Fischfutter! Picadillo! Grrr!“ „Dieser Bastard!“ knurrte Stenmark. „Verdammt, Dan, halt still, ich kann nicht ...“ Er stockte abrupt. In allerletzter Sekunde spürte er den Luftzug, aber er hatte keine Chance mehr, Jacahiros Bronzestab auszuweichen. Tief in Stenmarks Schädel schien etwas zu explodieren. Er fiel nach vorn, und Dan stöhnte auf, weil der Schwede auf seinem zerschundenen Rücken landete. Jacahiro schwang herum und glitt lautlos in den Laderaum. Dan und Batuti fluchten um die Wette, aber es nützte ihnen nichts. Sie waren gefesselt und vermochten sich nicht zu rühren. Sie konnten nur noch abwarten, wie der ungleiche Kampf ausgehen würde. Ben Brighton und Big Old Shane hatten nichts mehr zu verlieren. Die Kerle, die vor ihnen über den Niedergang flüchteten, prallten mit ihren eigenen Kumpanen zusammen und wurden zurückgespült von der Woge der Angreifer. Der einäugige Esmeraldo verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ben Brighton empfing ihn mit einem Tritt, der ihn vor die Füße seiner Kumpane beförderte. Auch Pepe le Moco und der Burgunder stolperten. Klirrend schlidderte ein Säbel über die Planken. Die anderen Kerle rückten nach, sprangen über die Gestürzten weg - und prallten zurück angesichts der furchterregenden Gestalt, die sie im einfallenden Licht sahen. Big Old Shane schwang mit beiden Fäusten eine mächtige Eisenstange. Schritt um Schritt trieb er die Piraten zurück, fegte den Niedergang leer und kämpfte sich weiter. Wo er traf, gingen Männer brüllend zu Boden. Schon hatte Shane das Vordeck erreicht, doch im nächsten Moment ließ er sich fallen, weil
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die lange Flammenzunge aus einer Muskete auf ihn zuzuckte. Ben Brighton schoß zurück, aber er schaffte es nicht mehr, seine Waffe wieder zu laden. Wie ein lautloser Schatten tauchte Jacahiro hinter ihm auf. Blitzschnell holte der Maya aus. Der Bronzestab. wirbelte durch die Luft, traf den Nacken des Opfers -und der Bootsmann der „Isabella“ sank mit einem dumpfen Stöhnen zusammen. Big Old Shane stieß einen Wutschrei aus, als er vom Boden hochschnellte. Undeutlich sah er den geschmeidigen braunhäutigen Mann sowie den wirbelnden Bronzestab - und hob blitzartig die Eisenstange. Ein helles Klirren ertönte. Loslassen konnte Jacahiro seine Waffe nicht, da sie an seinem Handgelenk festsaß. Der Maya schrie auf. Urgewalten schienen an seinem Arm zu zerren und schleuderten ihn zur Seite. Jacahiro stolperte und fiel, aber Big Old Shane hatte dem Niedergang eine Sekunde zu lange den Rücken wenden müssen. Den schmetternden Hieb. mit dem Musketenkolben, der seinen Schädel traf, konnte selbst er nicht verkraften. Ohne einen Laut kippte- er nach vorn. Er wachte erst wieder auf; als er zwischen Stenmark und Ben Brighton auf den Planken der Kuhl lag. Auch die beiden anderen waren bei Bewußtsein. Sie waren nicht einmal gefesselt, aber das nutzte ihnen nichts. Mindestens ein halbes Dutzend Musketen Zielten auf sie. Beim geringsten Widerstand würden die Geschosse sie zerfetzten. „... vielleicht besser mitnehmen“, hörten sie die Stimme des einäugigen Esmeraldo. „Wir sind ohnehin zu wenig, wir könnten die Kerle gebrauchen.“ „Unsinn“, knurrte Jean Morro. „Es ist schon schwer genug, auf die beiden anderen aufzupassen. Mit fünf von diesen Teufeln an Bord hätten wir keine Minute mehr Ruhe.“ Für einen Moment blieb es still.
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„Na dann“, sagte Esmeraldo gleichmütig und stieß Stenmark mit dem Fuß an. „Aufstehen, ihr Hunde! Ihr dürft schwimmen!“ Der blonde Schwede preßte die Lippen zusammen und quälte sich hoch. Ben wollte ihm folgen, aber Pepe le Moco stieß ihn mit dem Lauf der Muskete zurück. „Einer nach dem anderen“, sagte er grinsend. Und in Stenmarks Richtung: „Hopp-hopp! Ab in den Bach! Und grüß die Haie!“ Die Seewölfe hatten keine Wahl. Einer nach dem anderen wurde über Bord befördert, und dann konnten sie nur noch der „Isabella“ nachsehen, die wie ein stolzer Schwan nach Norden rauschte. Wenig später sichtete der Ausguck auf der Galeone Mastspitzen über der Kimm, aber das konnten die drei Männer im Wasser nicht mehr hören. Sie ahnten nicht, daß der schwarze Segler in der Nähe war. Sie mußten versuchen, die Insel zu erreichen, und alle drei wußten nur zu genau, was ihnen damit bevorstand. 4. „Mannomann !“ sagte Smoky andächtig. Ferris Tucker grinste und fuhr sich leicht verlegen durch das rote Haar. Hasard schlug ihm krachend auf die Schulter. Sie hatten alle wie die Wilden gearbeitet, aber daß das Ergebnis tatsächlich wie ein Boot aussah, war in erster Linie das Verdienst des Schiffszimmermanns. Das Kernstück des abenteuerlichen Fahrzeugs stammte von dem Wrack auf dem Riff: ein Stück des Kielschweins, an dem noch der halbe Fockmast hing. Drumherum hatten sie unter Ferris Tuckers Anleitung ein Mittelding zwischen Auslegerboot und Floß gebaut. Ein ausgesprochen stabiles Fahrzeug, nicht kentersicher natürlich, aber unsinkbar, da es keine Hohlräume gab, die volllaufen konnten. Sechs bis acht Mann hatten Platz darauf. Wenn der Teufel es wollte, daß sie tatsächlich keine andere Möglichkeit fanden, die Insel zu verlassen, würden sie
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drei von diesen Konstruktionen brauchen, und deshalb waren sie vor allem mit der Segelfläche sparsam gewesen. Sie bestand aus einem kleinen dreieckigen Lateinersegel, das sie aus der einigermaßen heilgebliebenen Fock des Wracks herausgeschnitten hatten. Beim nächsten Mal würden sie sich mit der Persenning begnügen müssen, die im Lager der Piraten zurückgeblieben war. Übermäßig seetüchtig sah die ganze Konstruktion nicht aus, aber es grenzte ohnehin an ein Wunder, daß die Seewölfe binnen kürzester Zeit geschafft hatten, was der Piratenbande während ihres ganzen Aufenthalts auf der Insel nicht gelungen war. „Probieren wir es aus“, sagte Hasard trocken. „Zuerst nach Nordosten, damit wir sehen, ob man mit dem Ding überhaupt an den Wind gehen kann. Dann nach Nordwesten ...“ Er lächelte. matt. „Könnte ja sein, daß wir dem schwarzen Segler begegnen.“ „Du willst ihn suchen?“ fragte Carberry skeptisch. Hasard schüttelte den Kopf. „Das dürfte ziemlich sinnlos sein. Vielleicht hilft uns der Zufall. Aber vor allem möchte ich sehen, ob das Ding hier funktioniert. Falls nicht, müssen wir uns beim nächsten Versuch etwas anderes einfallen lassen.“ „Es wird funktionieren“, erklärte Ferris Tucker überzeugt. „Klar“, sagte Carberry ebenso überzeugt. „Wenn du Ferris einen Bugspriet in die Hand drücken und ihm .befehlen würdest, er soll eine Kutsche daraus bauen, würde das Ding garantiert auch rollen. Also was ist? Hieven wir den Waschzuber ins Wasser?“ Hasard nickte nur. Der „Waschzuber“ war ziemlich schwer, aber schließlich schwamm er auf der Lagune. Der Seewolf suchte drei Mann aus, die mit an Bord gingen: Ferris Tucker, Carberry und Matt Davies. Etwas mißtrauisch kletterten sie auf die Gräting, die das Deck bildete, und der Seewolf bediente das reichlich provisorische Fall, mit dem die Gaffelrute hochgezogen wurde.
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Das Boot setzte sich tatsächlich in Bewegung. Mit dem Ruder, das eigentlich seinen Namen nicht verdiente, ließ es sich sogar einigermaßen sicher aus der Lagune steuern. Hasard peilte das Strömungsluv an, korrigierte gefühlvoll den Stand des Segels, und Minuten später schaukelte das seltsame Fahrzeug in der sanften Dünung. „Na also“, sagte der Profos, über das ganze zernarbte Gesicht grinsend. „Läuft doch wie Samt und Seide, was, wie?“ Das war zwar übertrieben, aber Hasard fand, daß in diesem Fall etwas Optimismus nicht schaden konnte. *
Siri-Tongs Mandelaugen funkelten. Sie war in die Wanten geentert und spähte durch das Spektiv nach Südwesten dorthin, wo die überlangen Masten der „Isabella VIII.“ jetzt deutlich zu erkennen waren. Die ranke Galeone lag über Backbordbug auf Nordkurs. flüchtig überlegte Siri-Tong, was den Seewolf dazu bewogen haben mochte. Dann ließ sie das Spektiv sinken, enterte ab und trat neben den Wikinger ans Schanzkleid des Vordecks. Thorfin Njal kratzte hingegeben an seinem Kupferhelm - eine Angewohnheit, die speziell Ed Carberry immer wieder in Rage bringen konnte. „Wieso sind die auf Nordkurs?“ fragte er gedehnt. „Ich hätte eher damit gerechnet, daß sie nach Westen voraussegeln würden.“ „Das dachte ich auch.“ Siri-Tong furchte flüchtig die Stirn. „Vielleicht suchen sie uns.“ „Auf Nordkurs? Der Pazifik ist doch keine Waschschüssel.“ Die Rote Korsarin zuckte mit den Schultern. „Wir werden es erfahren, Thorfin. Spätestens in einer Stunde. Laß etwas anluven! Wir, gehen auf Parallelkurs.“ Thorfin Njals Stimme dröhnte über die Decks. Siri-Tong kehrte zurück aufs Achterkastell und warf dem Rudergänger
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einen prüfenden Blick zu, während „Eiliger Drache“ um eine Kleinigkeit nach Backbord herumschwang. Der schwarze Segler lief jetzt ebenfalls mit halbem Wind, und stetig wurden die beiden Schiffe aufeinander zugetrieben. Die Stimmung an Bord des „Eiligen Drachen“ war ausgezeichnet. Kein Mensch ahnte etwas Böses. Man würde mit der „Isabella“ zusammentreffen, es würde eine Wiedersehensfeier geben, Rum für alle, und dann konnte es endlich weitergehen, dem fernen Ziel entgegen. Gespannt starrten Siri-Tongs Männer zu der ranken Galeone hinüber. Schon ließen sich Einzelheiten erkennen, hastige Bewegungen an Bord. Selbst der Wikinger strahlte jetzt über sein ganzes bärtiges, wettergegerbtes Gesicht. Er hatte aufgehört, sich über den Kurs der Seewölfe den Kopf zu zerbrechen. Siri-Tong stand am SteuerbordSchanzkleid des Achterkastells. Ihr Blick suchte Hasard. Noch hatte sie ihn nicht entdecken können. Mit einem weichen, ungemein weiblichen Lächeln hob sie von neuem das Spektiv, aber sie kam nicht mehr dazu, einen Blick hindurchzuwerfen. Denn genau das war der Moment,’ in dem drüben auf der „Isabella“ die Stückpforten hochgingen und die schwarzen Mündungen der SiebzehnpfünderCulverinen wie drohende Augen über das Wasser starrten. * Ben Brighton, Stenmark und Big Old Shane wußten genau, daß sie um ihr Leben schwammen. Die erste häßliche Dreiecksflosse hatten sie vor einer halben Stunde gesehen. Der Anblick ließ sie versteinern, atemlos und fast ohne Bewegung trieben sie in der See, bis der Hai vorbeizog. Stenmark hielt das Messer zwischen den Zähnen, das in seinen längst auf dem Meeresgrund verschwundenen Stiefeln verborgen gewesen war und das die Piraten nicht entdeckt hatten. Es war die einzige Waffe,
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über die die drei Männer verfügten, und sie wußten, daß sie ihnen im Notfall nicht viel nutzen würde. „Da!“ stieß Ben Brighton hervor. „Links voraus!“ „ „Hölle!“ murmelte Big Old Shane, der sorgfältig darauf achten mußte, nicht unterzuschneiden, damit kein Blut aus der Platzwunde an seinem Schädel ins Wasser geriet. Schwarz und unheilvoll schnitt die dreieckige Flosse vor ihnen durch die See. Für einen Augenblick verschwand sie und tauchte dann in bedrohlicher Nähe wieder auf. Die drei Männer bewegten sich so wenig wie möglich und hielten sich lediglich mit behutsamen Armbewegungen an der Oberfläche. Sie wußten, daß Geschrei und Gezappel Haie nicht abschreckten, sondern anlockten — und daß es außer einem Schuß in den Rachen nur eine Art gab, sie mit Sicherheit zu töten: indem man ihnen die Kehle durchschnitt. Stenmark nahm das Messer in die Rechte. Sein Gesicht hatte sich gespannt. Aus schmalen Augen beobachtete er den Hai, der sich jetzt als unheimlicher schwarzer Schatten unter dem Wasserspiegel abhob. Kein Zweifel, er hatte die Männer entdeckt und witterte Beute. Pfeilgerade schoß er heran, lautlos und geschmeidig - und dann war die Dreiecksflosse plötzlich verschwunden. Stenmark holte Luft und tauchte. Zwei, drei Yards tief. Jetzt schwamm er tiefer als der Hai, der sich sofort nach der jähen Bewegung richtete. Stenmarks Muskeln verkrampften sich, als das Vieh auf ihn zuschoß wie eine schwarze Lanze, die ihn durchbohren wollte. Erst im letzten Moment vollführte der geschmeidige Leib eine Wendung, drehte ab und begann, die Beute zu umkreisen. Stenmark spannte die Muskeln, dann tauchte er blitzartig tiefer. Schräg von unten schoß er auf den Hai zu. Mit voller Wucht stieß er die Faust mit dem Messer nach oben und spürte, wie sich die Klinge tief in die empfindliche Kehle des Hais bohrte. Der schwarze Leib
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bäumte sich auf, wild peitschte die Schwanzflosse. Zwei-, dreimal riß Stenmark mit verzweifelter Kraft die Klinge. hin und her, dann warf er sich herum und schwamm wie wahnsinnig, während hinter ihm eine Wolke von Blut die schimmernde grüne See färbte. Als Stenmarks Kopf die Wasserfläche durchstieß, war der Todeskampf des Hais vorbei. Ben und Big Old Shane atmeten erleichtert auf. Jedenfalls für den Augenblick, denn im Grunde wußten sie, daß sie zur Erleichterung keinen Anlaß hatten. „Wir müssen hier weg“, sagte Ben gepreßt. „Das verdammte Blut wird ganze Rudel von Haien anlocken und ... „Dem Himmel sei Dank!“ keuchte Stenmark im selben Augenblick mühsam. „Dem Himmel ... Bist du übergeschnappt? Hat dir der verdammte Hai eins mit der Flunke auf den Kopf gegeben?“ Stenmark grinste. Er war völlig außer Atem und beschränkte sich darauf, mit der Hand nach Süden zu zeigen. Ben Brighton und Big Old Shane warfen sich im Wasser herum, und ihre Augen weiteten sich ungläubig. „Ein Boot!“ Bens Stimme klang heiser. „Verdammt, das ist doch ...“ „Hasard!“ brüllte Shane mit voller Lungenkraft. Und dann begannen die drei Männer aus Leibeskräften zu schwimmen. Minuten später wurden sie von kräftigen Fäusten an Bord des abenteuerlichen Fahrzeugs gezogen. Gerade noch rechtzeitig. Denn ein paar Yards von ihnen entfernt schossen von allen Seiten pfeilschnelle schwarze Leiber auf die verschwimmende Blutwolke zu. Das Wasser verwandelte sich in eine brodelnde, aufgepeitschte Hölle. 5. Das Gesicht der Roten Korsarin schien zu Stein zu erstarren. Ungläubig blickte sie auf die geöffneten Stückpforten der „Isabella“, auf die
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drohenden Geschützrohre und auf die Männer an den Drehbassen. Siri-Tong begriff nicht. Sie war wie vor den Kopf geschlagen und genauso fassungslos wie Thorfin Njal, wie Juan, der Boston-Mann und all die anderen. Die Rote Korsarin wußte nur eins: daß hier ihr Schiff innerhalb der nächsten Minuten in einen furchtbaren Feuerhagel hineinlaufen würde und sie sofort etwas tun mußte. Mit einer wilden Bewegung warf sie den Kopf zurück. Ihre schwarzen Mandelaugen glänzten wie polierte Onyxe. „Abfallen!“ peitschte ihre Stimme. „An die Brassen! Auf Ruder! Klar bei Musketen! Konzentriertes Feuer auf die Geschützführer der Bugdrehbassen!“ „Weg mit dem Besan!“ brüllte Thorfin Njal. „Vierkant brassen die Großrahen!“ Auf den Decks war es schlagartig lebendig geworden. Ohne achteres Segel fiel „Eiliger Drache“ rasch ab. Siri-Tong preßte die Lippen zusammen, als sie den Fremden auf dem Achterkastell der „Isabella“ sah und die erschrockene Geste, mit der er das Manöver des schwarzen Seglers quittierte. Für einen Moment lagen die beiden Schiffe genau auf Kollisionskurs, und selbst aus der Entfernung war das jähe Geschrei zu hören, mit dem der Unbekannte dort drüben anluven ließ. Männer mit Musketen stürzten zum Backbord-Schanzkleid des „Eiligen Drachen“. Befehle gellten, Juan und der BostonMann sorgten in fliegender Hast dafür, daß wenigstens die Backbord-Geschütze bemannt wurden. Die Männer schufteten in wilder Hektik, und dennoch schien sich die Zeit endlos zu dehnen. Der Wind drückte den schwarzen Segler jetzt schneller herum. Die „Isabella“ luvte an, um die drohende Kollision zu vermeiden. Trotzdem stand die Situation auf des Messers Schneide, aber Siri-Tong wußte glasklar, daß sie keine Wahl gehabt hatte. Nicht mit einem Schiff, das nicht gefechtsklar war, völlig überrascht von dem Angriff, dem Gegner fast hilflos
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ausgeliefert. An der Steuerbord-Breitseite der „Isabella“ vorbeizulaufen, hätte das Ende bedeutet. Hart an ihrem Bug vorbeizuschneiden, blieb riskant genug, und das konzentrierte Feuer auf die Bugdrehbassen war die einzige Chance, ohne Treffer davonzukommen. Eine dünne Chance! Siri-Tong wußte es. Sie hielt buchstäblich den Atem an — und dann begingen die Piraten auf der „Isabella“ den entscheidenden Fehler. Der Rudergänger paßte nicht auf. Wahrscheinlich saß ihm die Angst vor einem Zusammenstoß mit dem unheimlichen schwarzen Schiff im Nacken. Jedenfalls schwang die „Isabella“ plötzlich schneller herum, und ihr Bug drehte an „Eiliger Drache“ vorbei, ohne daß die Männer an den Drehbassen Gelegenheit zum Schuß hatten. Die Backbordkanonen der Galeone waren zwar feuerbereit, aber die Geschützführer hatten nicht damit gerechnet, so schnell feuern zu müssen. Die „Isabella“ war in den Wind geschossen, und der schwarze Segler lief mit vierkant gebraßten Rahen aus dem Schußbereich. Sekunden später krachte die Breitseite. Aber von den acht siebzehnpfündigen Eisenkugeln klatschten sieben ins Wasser, und nur eine einzige riß ein Loch in das auf gegeite dreieckige Lateinersegel am Besan. Immerhin war der Bretone geistesgegenwärtig genug, um sofort den Feuerbefehl für die achteren Drehbasse zu geben. Pfeifend und orgelnd schlugen die Geschosse ins Rigg des schwarzen Seglers. „Eiliger Drache“ lag platt vor dem Wind und rauschte davon. Schon die nächsten Drehbassen-Schüsse lagen zu kurz und konnten nur noch das Wasser aufwühlen, aber das änderte nichts daran, daß die beiden ersten schon genug Schaden angerichtet hatten. Siri-Tong hatte durch ihr riskantes Manöver verhindert, daß sie gleich im ersten Ansturm in Fetzen geschossen wurden.
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Jetzt galt es, das Schiff gefechtsklar zu machen, trotz zerraufter Takelage schnell auf Distanz zu gehen und Zeit zu gewinnen. Zeit brauchten sie am dringendsten. Und Zeit würde ihnen ihr Gegner nicht lassen, wenn es sich nicht gerade um einen blutigen Anfänger handelte. Siri-Tong hatte genug Erfahrung, um die Lage einschätzen zu können. Als der Wikinger neben ihr auftauchte, wirkte ihr schmales, rassiges Gesicht wie aus Marmor gemeißelt. „Dreck!“ fluchte Thorfin Njal. „Wir sind im Nachteil. Wenn es wenigstens nicht die ‚Isabella’ wäre!“ Die Rote Korsarin nickte mit zusammengepreßten Lippen. Ihr Blick hing an dem Schiff - dem feindlichen Schiff, obwohl ihr das immer noch nicht recht in den Kopf wollte. Hätte es sich nicht um die „Isabella“ gehandelt, wäre die Sache einfach gewesen. Der schwarze Segler hatte Brandsätze an Bord, kleine Raketen, die weiter flogen und genauer trafen als Kanonenkugeln und die chinesisches Feuer regnen ließen, unlöschbares Feuer. Ein Schiff, das in dieses Feuer geriet, war rettungslos verloren. Deshalb würde Siri-Tong die Raketen nicht einsetzen. Denn weder sie noch der Wikinger wollten die „Isabella“ in Brand schießen. Die Rote Korsarin warf das lange Haar auf den Rücken. „Klar zum Halsen!“ befahl sie. „An die Geschütze!“ Und mit einem tiefen Atemzug: „Wir versuchen, die Kerle von Steuerbord zu packen, den Rudergänger wegzuputzen und zu entern.“ * Für Dan und Batuti erfolgte das Rumpeln, mit dem die Geschütze der „Isabella“ ausgefahren wurden, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie hockten immer noch gefesselt in der Vorpiek. Seit das Schott wieder fest dichtgerammt worden war, hatten sie nur das Knarren der Rahen und Blöcke gehört und das Klatschen nackter Füße auf den
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Decksplanken. Dann wurden die Bewegungen an Deck plötzlich schneller, aufgeregter, und das Getrampel verriet, daß irgendetwas Ungewöhnliches passiert war. Die beiden Gefangenen richteten sich unwillkürlich auf — und kippten prompt auf die Gräting, als die Galeone urplötzlich anluvte. Eine Breitseite donnerte. Höchstens zwei Sekunden später hämmerten die achteren Drehbassen. Das taten sie bestimmt nicht, weil Jean Morro die Funktionstüchtigkeit der Geschütze prüfen wollte, denn zu diesem Zweck hätte er weder überhastet anluven noch das Schiff in den Wind schießen lassen müssen. Die Ereignisse ließen nur einen Schluß zu: Die „Isabella“ war in ein Seegefecht verwickelt. „Mein lieber Mann“, flüsterte Dan ergriffen, während er sich aufrappelte. Batuti lehnte mit der Schulter an einem der Süßwasser-Fässer. Im Dunkeln schimmerte das Weiß seiner Augäpfel. „Verdammtes Don?“ fragte er heiser. „Woher soll ich das wissen?“ Dan stockte, dann kniff er seine blauen Augen zusammen und sog scharf die Luft durch die Zähne. „Hölle! Das könnte der schwarze Segler sein. Ha! Die werden unser Schiff zu Kleinholz verarbeiten!“ „Kleinholz aus schönes ‚Isabella’ von Seewolf?“ fragte Batuti empört. Dan schluckte. Verdammt, daran hatte er nicht gedacht. Natürlich würde die Rote Korsarin Hasards Schiff nicht in Fetzen schießen. Und überhaupt: Woher sollten Siri-Tong und der Wikinger wissen, daß eine Bande von lausigen Piraten den Seewölfen das Schiff geklaut hatte? Thorfin und die Korsarin mußten völlig ahnungslos gewesen sein. Wahrscheinlich hatte die ganze Crew gejubelt, als die „Isabella“ gesichtet wurde. Und wenn sie irgendetwas veranlaßt hatten, dann waren allenfalls die Rumflaschen klar, aber ganz bestimmt nicht die Geschütze. „Himmel, Mond und Haifischkotze!“ murmelte Dan. „Sie sind in die Falle gelaufen! O verdammt! Sie haben garantiert die volle Breitseite erwischt und
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„Weil nix Ahnung, daß verdammtes Piraten auf ‚Isabella’?“ fragte Batuti. „Genau, Mann! Ich werde verrückt! Dieser Mistbock hat den schwarzen Segler in Trümmer gelegt!“ „Nix Trümmer“, sagte der schwarze Herkules mit schlagender Logik. „Wenn Trümmer, dann Krach, Bumm, Krrch, Rack! Und neue Breitseite, nix Drehbasse.“ Dan starrte seinen Freund an, schluckte zweimal und nickte. „Ja, verdammt! Das stimmt!“ Und nach einer Pause: „Jetzt hab ich’s! Der ‚Drache’ hat Lunte gerochen und ist im letzten Moment an unserem Bug vorbeigeschert. Vierkant platt vor dem Wind wahrscheinlich! Und weil der Bretone ein hirnrissiger Affe ist, hat er sich verschätzt und anluven lassen. Und dann ist dem Rudergänger der Kahn in den Wind geschossen! Ha!“ Dan grinste triumphierend. Batuti grinste auch, wie das Blitzen seines schneeweißen Raubtiergebisses bewies. Er lauschte und ließ die Augen rollen. „Schwarzer Segler zurück“, prophezeite er. „Gleich Krach, Bumm, Krrch und ...Weiter gelangte er nicht. Das Donnern einer Breitseite riß ihm die Worte von den Lippen, und im nächsten Augenblick schien sich die „Isabella“ in den sprichwörtlichen Korken unter dem Wasserfall zu verwandeln. Inzwischen war die Galeone abgefallen und glitt mit halbem Wind nach Norden. Das nächste schmetternde Krachen rührte eindeutig von den Backbord-Culverinen der „Isabella“ her. Nur sehr fern waren dröhnende Befehle zu hören. Wieder orgelte eine todbringende Ladung heran, wieder wurde die Galeone von Treffern durchgerüttelt. Diesmal krängte sie schwer nach Steuerbord, und Dan und Batuti wurden quer durch die Vorpiek gewirbelt. Sie fluchten um die Wette. Noch in ihre Flüche hinein begannen die Bugdrehbassen der „Isabella“ zu hämmern, während das Schiff weiter abfiel. Dan O’Flynn zappelte wie ein Fisch auf der
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Gräting und versuchte dabei zu rekonstruieren, was passiert war. Der schwarze Segler hatte sich vermutlich erst mal außer Reichweite gebracht, in sicherer Entfernung gehalst, und war dann von achtern aufgesegelt — um längsseits zu gehen und zu entern, klar. Aber die Siebzehnpfünder der „Isabella“ waren mit ihren überlangen Rohren, ihrer großen Reichweite und Treffsicherheit nicht zu verachten. Und Siri-Tong wollte die Galeone in einem Zustand haben, in dem sie noch zu mehr taugte als zum Feuerholz. Mit einem einzigen Brandsatz hätte die Rote Korsarin das Gefecht entscheiden können. Doch genau das durfte nicht passieren. Dabei dachte Dan einzig und allein an die „Isabella“, dieses Prachtstück von Schiff. Denn daß er und Batuti ebenfalls in den Flammen umkommen würden, hatte er im Augenblick völlig vergessen. „Hölle und Leibhaftiges!“ fluchte der riesige Gambia-Neger in seinem schauderhaften Englisch. „Mist, elendig verdammichtes! Gleich großes Loch in Bauch von altes ,Isabella’. Batuti schneidet Streifen aus Haut von Wikinger, wenn ...“ „Quatsch“, unterbrach ihn Dan. „Wenn sie gewinnen, ist der Bretone im Eimer, aber sie können nicht gewinnen, wenn sie Salut schießen. Wir fallen ab, verdammt! Himmel, wenn der Scheiß-Bretone jetzt das Heck des ,Drachen’ schneidet ...“ Er sprach nicht weiter. Das war auch nicht nötig. Batuti wußte selbst, daß der schwarze Segler keine Drehbassen führte und bei einem Angriff über Heck oder Bug ziemlich hilflos war, solange er nicht die Bronzegestelle zum Abschießen der Brandsätze einsetzte. Aber Siri-Tong verstand ihr Handwerk. Wenn die „Isabella“ abfiel, würde der schwarze Segler anluven. Und eine volle Breitseite, solange sie nicht die Wasserlinie traf, war immer noch besser als das chinesische Feuer. Die nächsten Minuten schienen sich für die beiden gefesselten Männer in der Vorpiek zur Ewigkeit zu dehnen.
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Wieder und wieder krachten die Breitseiten. Dan zerbiß sich die Lippen. Er glaubte jedes einzelne Manöver vor sich zu sehen. Dem Bretonen war am Anfang ein Fehler unterlaufen, als er anluven ließ und auswich, weil er die Gefahr des Zusammenstoßes überschätzte. Einen zweiten Fehler beging er nicht. Er wußte, daß er sich auf keinen Enterkampf einlassen durfte, weil die Besatzung des schwarzen Viermasters seiner Crew zahlenmäßig weit überlegen war. Immer wieder wich er geschickt aus und gab dem Gegner keine Gelegenheit, an ihn heranzukommen. Einmal dröhnte ein vielstimmiger Triumphschrei über die Decks der „Isabella“, den selbst die Gefangenen in der Vorpiek hörten. Noch einmal donnerte eine Breitseite, dann fiel die Galeone ganz plötzlich ab und legte sich vor den Wind. Kein Zweifel, die „Isabella“ floh. Hätte sie den schwarzen Segler versenkt, wäre sie wieder auf Nordkurs gegangen. Daß sie mit achterlichem Wind nach Westen segelte, konnte nur bedeuten, daß sich die Piraten so schnell wie möglich in Sicherheit bringen wollten. Und das hieß, daß der „Eilige Drache“ zwar nicht mehr die Verfolgung aufnehmen konnte, aber auch nicht in einem Zustand war, in dem er den Piraten als leichte Beute erschienen wäre. Dan O’Flynn biß die Zähne zusammen. „Mist“, knirschte er. „Elender Mist! SiriTongs Crew hätte die ganze Bande in die Planken gestampft, wenn sie nur herangekommen wäre.“ „Crew wird jetzt Hasard suchen“, sagte Batuti. „Und dann hinter ,Isabella’ herjagen wie Teufel hinter armes Seele.“ „Hoffentlich“, murmelte Dan. Und nach einer Pause: „Wir müssen hier ‘raus, Batuti. Und wir müssen zusehen, daß wir nicht wieder hier landen. Wenn der ‚Drache’ auftaucht und Jean Morro kann uns die Pistole an den Kopf setzen, ist alles im Eimer. Wenn es soweit ist, müssen wir die Hände frei haben.“ „Für Morro abmurksen? Krrch?“
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Batuti vollführte eine Bewegung, als drehe er jemandem den Hals um. Dan brachte schon wieder ein Grinsen zustande. „Von wegen krrch! Wenn wir den Bretonen ins Jenseits schicken, schnappen uns die anderen. Sobald wir einen Schimmer von dem schwarzen Segler sehen, jumpen wir außenbords, das ist die einzige Chance.“ Batuti nickte im Dunkeln. „Gut! Jumpen außenbords, schwimmen zu schwarzes Segler und helfen mit, ,Isabella` wieder unter Nagel zu reißen.“ Er legte eine Pause ein, grinste breit und zeigte sein prächtiges Gebiß. „Und dann werden Piraten in Planken gestampft“, vollendete er. „Und Bretone abgemurkst. Krrch!“.
Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihre Augen waren noch dunkler als sonst und wirkten wie mit einem Schleier überzogen. „Es gibt Inseln in der Nähe“, sagte sie. „Wir müssen suchen. Aber zuerst müssen wir diesen Trümmerhaufen wieder in ein Schiff verwandeln.“ Der Wikinger nickte nur. Sein mächtiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug. Langsam wandte er sich um, stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte auf die verwüstete Kuhl hinunter. „Was steht ihr da herum?“ brüllte er. „Hopp-hopp! Klar Schiff überall, aber ein bißchen plötzlich, bevor ich euch Feuer unter den Hintern entfache.“
*
6.
Auf dem schwarzen Segler war die Stille gespenstisch. Siri-Tong, der Wikinger und der BostonMann standen auf dem Achterkastell und starrten das an, was einmal ein Rigg gewesen war. Jetzt bestand es vorwiegend aus Fetzen. Die Großrah lag zerbrochen an Deck, Brassen, Fallen und Geitaue bildeten ein unentwirrbares Knäuel, von Fock und Lateinerbesan wehten nur noch Reste im Wind. Die Rote Korsarin hatte es bis zuletzt vermieden, die „Isabella“ in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die Galeone war zwar auch ziemlich zerrauft aus dem Gefecht hervorgegangen, aber sie befand sich immer noch in einem Zustand, in’ dem sie dem „Eiligen Drachen über den Wassern“ mit Leichtigkeit davonsegeln konnte. „Ich begreife es nicht“, sagte Siri-Tong leise. „Die ‚Isabella’ war unterbemannt. Vierzehn oder fünfzehn Leute, schätze ich. Ich begreife nicht, wie es dieser Haufen fertiggebracht hat, das Schiff in Besitz zu nehmen.“ „Vielleicht haben sie einen schmutzigen Trick angewandt. Der Teufel mag es wissen. Aber Hasard und die anderen müssen irgendwo stecken, verdammt noch mal!“
„Land ho!“ Stenmark war aufgesprungen und zeigte nach Süden, wo sich ein dunkler Buckel über die Kimm schob. Ferris Tucker fluchte, weil das Boot unter der heftigen Bewegung noch stärker schwankte. In einem mittleren Sturm würde es zweifellos sofort kentern. Der rothaarige Schiffszimmermann war auffallend schweigsam und grübelte darüber nach, wie er die Konstruktion verbessern konnte. Überflüssige Grübeleien wahrscheinlich. Hasard war überzeugt davon, daß der schwarze Segler sie finden würde. Aus .schmalen Augen sah er zu den beiden charakteristischen Felsenkegeln der Insel hinüber und beobachtete die dünne Rauchfahne, die jetzt von der höchsten Erhebung aufstieg. Sie hatten Wachen eingeteilt, die das Feuer unterhielten und in regelmäßigen Abständen grüne Zweige hineinwarfen, damit der Rauch dichter wurde. Das Signal war auf diese Weise aus großer Entfernung zu sehen. Die Männer auf dem Boot hatten die dünne graue Rauchfahne schon zweimal entdeckt, als die Insel noch hinter der Kimm lag, und dem Ausguck des schwarzen Seglers würde es genauso gehen.
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Es dauerte noch fast eine Stunde, bis das schwerfällige Fahrzeug das Riff erreichte und durch eine der Lücken in die Lagune glitt. Die Seewölfe standen am Strand, winkten und halfen dann, das’ Boot auf den Sandstreifen zu ziehen. Die Männer wirkten erregt, bedrückt, hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung, Ben, Shane und Stenmark gesund und unverletzt wiederzusehen, und der Enttäuschung über das mißglückte Unternehmen. Ben Brighton mußte die Ereignisse auf der „Isabella“ noch einmal in allen Einzelheiten berichten, und die anderen knirschten mit den Zähnen vor hilfloser Wut. Hasard, Ed Carberry und Blacky stiegen zu dem roten Felsenkegel hinauf, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen. Die anderen gingen unter Ferris Tuckers Leitung daran, brauchbare Wrackteile für ein weiteres Floß zusammenzusuchen. Im Grunde wußten sie alle, daß es nicht viel Sinn hatte. Aber niemand sprach es aus, denn alles war besser, als untätig hier herumzusitzen und auf den schwarzen Segler zu warten. * Die Karavelle „Santa Monica“ lag über Backbordbug am Wind und segelte Nordostkurs. Juan de Correggio, Capitan im Dienste Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, stand auf dem Achterkastell und starrte aus schmalen Augen über die leicht bewegte, im Sonnenlicht glänzende See. Die „Santa Monica“ war in den Stürmen der letzten Tage von ihrem Verband getrennt worden. Es waren fünf Karavellen und eine dickbauchige Galeone, die Silber transportierte. Capitan Correggio hatte sich eingebildet, daß es leicht sein würde, die Schiffe wiederzufinden, aber in den letzten Stunden hatte es so ausgesehen, als schwimme die „Santa Monica“ mutterseelenallein auf dem Pazifik. Der Capitan fluchte.
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Nur in Gedanken allerdings, denn alles andere war seiner Meinung nach für einen Diener Seiner Allerkatholischsten Majestät nicht angemessen. Und Juan de Correggio hielt sich für einen besonders guten Diener seines Herrn — er hielt überhaupt’ eine Menge von sich, seinen seemännischen Fähigkeiten, seinem Verstand und seiner Kampfkraft. Daß seine Mannschaft anderer Meinung war, hätte ihn im höchsten Maße erstaunt, denn natürlich kam es ihm nie zu Ohren. Die gesamte Crew vom Moses bis zum Steuermann wünschte den langen, dürren Capitan dem monströsen Zwirbelbart dahin, wo der Pfeffer wächst. Daß er einen Kaplan an Bord hatte, der jeden Morgen die Messe las, mochte noch angehen. Daß er jegliches Fluchen bei Strafe verbot, spielte auch nicht die Hauptrolle, da er seine Ohren nicht überall haben konnte. Aber Juan de Correggio war ein miserabler Kapitän, er war einfach unfähig, und das hatte auch der letzte der Mannschaft längst herausgefunden. Daß die „Santa Monica“ nicht im Sturm gescheitert war, grenzte an ein Wunder, das einerseits dem Steuermann Und andererseits einem gütigen Geschick zu danken war. Jetzt kreuzte der Capitan blindlings und sinnlos durch die Gegend, um den Verband wiederzufinden, der vermutlich längst in Richtung Nueva Espana segelte. Genau das hätte Correggio ebenfalls tun sollen, aber in diesem wie in vielen anderen Punkten hatte er nun mal seine eigenen Ansichten. Ansichten. die sich anscheinend als richtig erwiesen, als der Ausguck im Großmars plötzlich Rauchzeichen Backbord voraus meldete. Durch das Spektiv konnte der Capitan die dünne Rauchfahne’ jetzt ebenfalls sehen. Seine Augen glitzerten leicht, als er sich dem Steuermann zuwandte, der neben ihn getreten war. „Rauchzeichen, Diaz! Eins unserer Schiffe ist gestrandet. Oder im Sturm gekentert. Die Männer haben sich offenbar auf eine Insel gerettet.“
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Jose Diaz kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Daß das Feuer auf einer Insel brannte, stand fest. Aber wer es angezündet hatte, war nach Meinung des Steuermanns noch sehr die Frage. „Es könnten auch Eingeborene sein, Capitan. Oder Piraten.“ Juan de Correggio schüttelte den Kopf. Er sah sich bereits als Retter seiner Landsleute und Held der Stunde. Außerdem hatte seine Version ja immerhin etwas für sich, weshalb er auch keinerlei Gefahren sah, denen man besser auswich. Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf und versuchte, seine eher schmal geratenen Schultern zu recken. „Eingeborene und Piraten geben keine Rauchzeichen!“ erklärte er kategorisch. „Klar zum Abfallen! Wir laufen die Insel an und suchen nach den Schiffbrüchigen!“ * „Schiff ho!“ brüllte Blacky. „Mastspitzen! Genau Backbord querab!“ Wenn man seine Sitzposition bedachte und sich die Insel als Schiff vorstellte, hatte er recht. „Backbord querab“ lag für ihn im Süden. Aber auf solche Feinheiten achteten im Augenblick weder Hasard noch Ed Carberry, dafür waren sie viel zu erleichtert. „Eiliger Drache!“ schrie Carberry. „Verdammt, das muß er sein, das ...“ „Was? Wo?“ Es war Pete Ballie, der das fragte. Er, Bob Grey und Matt Davies kletterten gerade über die Schräge des Felsenkegels, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen. Jetzt standen sie in der flachen Mulde auf der höchsten Erhebung der Insel und betrachteten verständnislos den wie ein Wilder mit den Armen fuchtelnden Profos und Blacky, der auf einem Felsblock hockte und unverwandt durch das Spektiv nach Süden starrte. „Der schwarze Segler!“ dröhnte Carberry. „Was sagt ihr nun, ihr Rübenschweine?“ „Halt mal die Luft an, Ed!“ Hasard schwang sich mit einem Sprung zu Blacky auf den Felsen und nahm ihm das Spektiv
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aus der Hand. Selbst der Profos wurde sehr still. Sicher, es lag nahe, zu glauben, daß es sich bei dem fernen Schiff um den schwarzen Segler handelte. Aber es konnte genauso gut ein Spanier sein, ein Pirat oder sonst was, und die Gesichter der Männer spiegelten fiebrige Spannung. Hasard schwenkte langsam den südlichen Horizont ab. Eine Viertelminute später hatte er die Mastspitzen im Blickfeld. Hauchfeine Linien - als ragten dünne Stecknadeln über die Kimm. Drei Stecknadeln! Hasard biß die Zähne zusammen, beobachtete weiter und starrte zwei volle Minuten auf das ferne Gebilde, aber an den Tatsachen konnte das nichts ändern. Der Seewolf ließ das Spektiv sinken. „Es ist ein Dreimaster“, sagte er ruhig. „Verdammt!“ knirschte Matt Davies. „Die ‚Isabella’?“ fragte Blacky hoffnungsvoll. „Du hast wohl Bilgewasser im Hirn!“ fauchte der Profos. „Die ‚Isabella’ ist nach Norden abgehauen, du Heringsbändiger. Glaubst du, die ist durch die Luft nach Süden geflogen, was, wie?“ „Phh!“ machte Blacky. Hasard setzte von neuem das Spektiv an die Augen. Die drei Mastspitzen waren jetzt deutlicher zu sehen, aber das Schiff würde noch mindestens eine Stunde brauchen, bis es die Insel erreichte - wenn es überhaupt Kurs auf die Insel nahm. Hasards Blick wanderte zu der dünnen Rauchsäule des Signalfeuers. Auch Ed Carberry starrte in die Flammen und kratzte sein zernarbtes Rammkinn. „Sollen wir das solange löschen?“ fragte er. „Warum? Erstens ist der Rauch bestimmt schon gesichtet worden. Zweitens, weshalb sollen sie uns nicht finden? Etwas Besseres als ein spanisches Schiff kann uns doch gar nicht begegnen, oder?“ Für einen Moment blieb es still. Pete Ballie begann breit zu grinsen. Blacky wurde plötzlich so zappelig, daß er fast von &m Felsblock fiel. Ed Carberry starrte Hasard an, atmete tief durch - und schlug
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sich ziemlich unsanft mit der flachen Hand an die Stirn. „Ich Esel!“ stöhnte er. „Na klar, wir entern den Don! Die Einfachheit selber, Himmel, Archibald und Zwirn! Die Dons werden nachsehen wollen, was die Rauchzeichen bedeuten. Wir locken sie auf die Inseln und klauen ihnen ihr Schiff unter den Füßen weg.“ „Abwarten“, sagte Hasard trocken. „Es könnte nämlich auch ein ganzer Verband sein. Und dann werden wir uns verdammt anstrengen müssen.“ Die Seewölfe grinsten nur. Etwa so, wie man sich das Grinsen eines Tigers vorstellen mag, bevor er in die Hammelherde einfällt. Man hatte ihnen übel mitgespielt, sie waren wütend, sogar sehr wütend - und angesichts dieser Tatsache hätte auch ein spanischer Verband besser daran getan, in einem weiten Bogen um die Insel zu segeln. Zwanzig Minuten später glaubte Hasard mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, daß -sich kein Verband, sondern ein einzelnes, vielleicht versprengtes Schiff der Insel näherte. Nach einer weiteren Viertelstunde war deutlich zu erkennen, daß es sich um eine Karavelle handelte... Und noch etwas sah der Seewolf: das große Holzkreuz, das unter dem Bugspriet baumelte und das auf allen Meeren nur von den Schiffen Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, geführt wurde. Als Hasard diesmal das Spektiv sinken ließ, grinste er mit blitzenden Zähnen. „Es ist ein Spanier!“ verkündete er. „Und jetzt Tempo, Leute! Wir angeln uns den Fisch! Ich will endlich wieder Planken unter den Füßen haben.“ 7. Eine halbe Stunde später kauerten die Seewölfe versteckt zwischen Felsen und Dickicht und beobachteten die Bemühungen der spanischen Karavelle, möglichst dicht an die Insel heranzulaufen.
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Hasards Lippen hatten sich zu einem Strich zusammengepreßt. Neben ihm rang Ed Carberry verzweifelt die Hände. „Nein flüsterte er. „Das darf nicht wahr sein! Diese Rübenschweine! Diese Vollidioten - verstehen die überhaupt was von der Seefahrt?“ „Die sind lebensmüde“, meinte Smoky. „Oder blind.“ Matt Davies kratzte sich mit seinem Haken im Genick. „Vielleicht haben sie ‘n Tropenkoller oder ... Da! Gleich kracht es!“ Hasard knirschte mit den Zähnen. Sein Blick hing an der Karavelle, die den wahnsinnigen Versuch unternahm, in die Lagune einzulaufen. Am liebsten hätte sich der Seewolf die Haare gerauft. Den anderen ging es genauso. „Die kriegen es fertig, unserem Schiff den Bauch aufzuschlitzen, ehe wir es überhaupt haben“, prophezeite Ferris Tucker düster. „Der Kerl muß doch - sag mal, Kutscher, gibt’s irgendeine Krankheit, bei der man ein Mauseloch mit einem Scheunentor verwechselt?“ „Größenwahn“, sagte der Kutscher. Womit er nicht einmal unrecht hatte. Um etwas anderes als Größenwahn, gepaart mit heilloser Dämlichkeit, konnte es sich nach Hasards Meinung bei dem Spanier überhaupt nicht handeln. „Wenn der den Kahn auf Grund setzt, krieg ich’s in den Kopf“, murmelte Smoky. „Im Kopf hast du’s sowieso“, knurrte der Profos. „Gesalbter Mist, sieht der denn nicht, daß er gleich aufläuft? Abfallen, du Blödmann von Kapitän, abfallen, in drei Teufels ...“ Der Spanier konnte Carberrys durch die Zähne gezischten Worte nicht verstanden haben, aber vielleicht hatte ein gütiges Geschick den Profos erhört. Noch ehe er mit seinem Fluch zu Ende war, brüllte drüben auf der Karavelle eine sich fast überschlagende Stimme „Klar zum Abfallen!“ Der Capitan, erkannte Hasard, hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich nach vorn auf die Back zu begeben, um nachzusehen, ob er sich bei der vermeintlichen Einfahrt im Riff nicht verschätzt hatte. Die Warnung des
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Bootsmanns war buchstäblich in letzter Sekunde erfolgt, und jetzt wurden auf der Karavelle in fliegender Hast die achteren Segel aus dem Wind genommen, damit das Schiff nach Backbord abfiel. Es ging gerade noch gut. Blacky bekreuzigte sich, der Profos drehte die Augen gen Himmel. Ben Brighton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Kopfschüttelnd verfolgte er, wie die Karavelle dicht an den Felsen des Riffs entlangschor, eine halbe Ewigkeit platt vor dem Wind lag und endlich auf dem anderen Bug anluvte, um aus der Gefahrenzone herauszulaufen. „Mannmann“, stöhnte Ferris Tucker. „Der ist wohl auf ‘nem Waschzuber Kapitän geworden“, sagte Bill mit seiner hellen Stimme. „Mit ‘nem alten Hemd als Segel und einer Besatzung von verlausten, triefäugigen Kakerlaken.“ „Wenn du dem Profos in allen anderen Dingen auch so nacheiferst, bist du bald ein perfekter Seemann“, sagte Hasard trocken. Bill schluckte. „Das — das möchte ich ja auch werden, Sir.“ „Dann fluch mal weiter“, sagte Smoky erheitert. „Wenn du fleißig übst, bist du bald besser als Sir John, Junge.“ Bill schluckte noch einmal. Der Seewolf grinste still vor sich hin. Er beobachtete die Karavelle, die jetzt fast genau dieselbe Stelle ansteuerte, an der die „Isabella“ auf Reede gelegen hatte. Fast wunderte sich Hasard, daß auch dieser Esel von Capitan die Vorzüge des Platzes erkannte. Fallen Anker!“ ertönte das spanische Kommando. „Fallen Anker!“ klang es von der Back zurück, die Trosse rauschte aus, und zwei Minuten später verkündete der Bootsmann, daß der Anker Grund gefaßt hatte und die Trosse steifkam. Danach tat sich erst mal eine Weile gar nichts. Die Spanier suchten mit Spektiven die Insel ab, die Seewölfe duckten sich tief in ihre Deckungen. Eigentlich war es ganz klar, daß die Dons mißtrauisch werden würden: Wer Rauchzeichen gab, brauchte
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Hilfe, und wer Hilfe brauchte, versteckte sich nicht, wenn die Retter nahten. Ein halbwegs vernunftbegabter Mensch hätte jetzt äußerst vorsichtig werden müssen. Aber ein Capitan, der sein Schiff fast auf ein Riff setzte, das ein Blinder als unpassierbar erkannt hätte, konnte nach Hasards Meinung nur in sehr geringem Maße mit Vernunft begabt sein. Nach fünf Minuten ergebnisloser Beobachtung fierten die Spanier ein Beiboot ab. Sechs Mann kletterten hinein und pullten zu den Felsen, die an der Westseite der Insel den Strand begrenzten. Hasard lächelte matt. Er nahm an, daß die Spanier genau das tun würden, was auch die Seewölfe getan hatten: zunächst einmal das gesamte Eiland umrunden. Dabei würden sie auf die Nordseite mit der Steilküste geraten, außer Sicht- und Hörweite der Karavelle — und dort konnte man sie dann in aller Gemütsruhe vereinnahmen. Erwartungsgemäß wandten sich die sechs Männer zunächst nach rechts, um am Strand entlangzugehen. Hasard fragte sich flüchtig, warum das eigentlich jeder tat, der die verdammte Insel untersuchen wollte. Weil der Strand mit der tiefblauen Lagune und dem Palmengürtel so einladend wirkte? Oder weil man annahm, daß derjenige, den man suchte, sich zuerst an diesem einladenden Strand zeigen würde? Egal! Die Spanier würden bis zur Nordseite der Insel etwa eine halbe Stunde brauchen, und die Seewölfe hatten Zeit genug, einen Hinterhalt zu legen. Vorsichtig zog sich Hasard tiefer zwischen die Felsen zurück. Die anderen folgten ihm. Zwei Dutzend Schritte, dann deckte der kleinere der beiden Bergkegel sie gegen die Sicht von der Karavelle aus. Ein paarmal mußten sie sich noch durch Dickicht kämpfen, dann durch lichteres Gebüsch, und schließlich erreichten sie die zerklüftete Hochfläche oberhalb der Klippen. Noch war von den Spaniern nichts zu sehen. Die Seewölfe — mit Ausnahme der Gruppe, die Hasard zurückgelassen hatte,
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um die Karavelle zu beobachten verbargen sich zwischen den Felsen und kletterten so weit wie Möglich nach unten. Sie würden wie die Teufel über die ahnungslosen Spanier herfallen. Und sie würden schnell sein müssen. Ein bißchen Geschrei und Kampflärm durfte es getrost. geben, aber der Knall eines Schusses würde auf der Karavelle ganz sicher gehört werden. Hasard, Ferris Tucker, Ed Carberry und Matt Davies kauerten an einer Stelle, wo eine vorspringende Felsennase mit der Brandungskehle unter dem Kliff eine Art Höhle bildete. Die Männer rührten sich nicht und lauschten gespannt. Ihre Bewaffnung war spärlich, das meiste hatten die Piraten mitgenommen. Aber wenn alles nach Plan lief, würden die Spanier ohnehin nicht dazu kommen, Degen oder Pistolen zu ziehen. Ein paar Minuten später verrieten das Poltern von Schritten und die wüsten Flüche, daß sich die Gruppe näherte. Die Sonne brannte immer noch erbarmungslos vom Himmel, die Felsen auf der Landzunge speicherten die Hitze des Tages: Jedenfalls _registrierte Hasard mit einem vorsichtigen Blick, daß die Spanier reichlich verschwitzt aussahen. Der Seewolf zog den Kopf zurück, grinste leise und lauschte auf die keuchenden, verbiesterten Stimmen. „Verrückte Idee!“ knurrte jemand. „Wenn wirklich ein Schiff aus dem Verband untergegangen wäre, hätten sich unsere Leute doch längst gemeldet.“ „Wem sagst du das? Sag’s dem Capitan, du Hammel.“ „Der ist doch nicht bei Trost! Unsere Leute könnten verletzt sein und sich deshalb nicht am Strand zeigen -ha! Aber auf den Berg klettern und ein Feuer anzünden, das können sie, was?“ „Vergiß es! Wir tun, was man uns sagt und ...“ „Und lassen uns von Eingeborenen auffressen oder sonst was, he? Ich habe die Schnauze voll! Bei der nächsten Gelegenheit mustere ich ab, da kannst du
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Gift drauf nehmen. Ich bin doch nicht blöd, ich doch nicht, Mann!“ Hasard spannte die Muskeln. In der nächsten Sekunde mußten die Kerle in sein Blickfeld geraten. Sie erweckten zwar nicht gerade den Eindruck, als achteten sie besonders aufmerksam auf ihre Umgebung, aber man konnte nie wissen. „Jetzt!“ flüsterte der Seewolf. Mit einem Panthersatz schnellte er aus seinem Versteck und federte von der Seite her auf die ahnungslosen Spanier zu. Gleichzeitig wurde es überall zwischen den Felsen lebendig. Die sechs Kerle prallten zurück, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, wirbelten herum, aber da hatte Hasard den ersten schon am Kragen. „Car ...“ stieß der Bursche hervor. Vielleicht wollte er „Caramba“ sagen, aber das brachte er nicht mehr heraus. Eine Faust krachte unter sein Kinn. Eine Viertelsekunde lang hatte er das Gefühl, sein Kopf fliege davon, und dann gingen für ihn so schnell die Lichter aus, daß er von der eigenen Luftreise nichts mehr merkte. Hasard wirbelte herum und rammte dem nächsten Spanier den Kopf in den Bauch. Ferris Tucker schwang Batutis Morgenstern, Matt Davies zog sich einen der Kerle mit seinem Haken heran und donnerte ihm die Linke auf den Schädel. Ed Carberry hieb, ausnahmsweise ohne Gebrüll, mit einem Knüppel um sich, und alles in allem dauerte es nur ein paar Sekunden, bis die sechs Spanier bewußtlos im Geröll der Brandungsplatte lagen. „Kinderkram!“ knurrte der Profos unzufrieden. „Ein Mistspiel ist das“, pflichtete Matt Davies bei. „Macht gar keinen Spaß, wenn sich die Kerle schon beim ersten Antippen hinlegen.“ „Spaß kriegt ihr noch, wenn wir die Karavelle entern“, sagte Hasard trocken. „Das eine Boot ist ein bißchen wenig. Wir brauchen mindestens zwei. Aber die Kerle werden uns das zweite schon noch liefern.“ Smoky kicherte. „Na klar! Hat Ben ja auch getan, als wir ‘ne Weile verschwunden
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waren. Wollen wir aus einem von den lahmen Dons herauskitzeln, wie viele Leute sie an Bord haben?“ „Gute Idee! Aber zuerst werden sie gefesselt und eine Etage höher gehievt. Ed, Ferris, Blacky!“ „Hopp-hopp, ihr müden Krieger!“ tobte der Profos los. „Ihr denkt wohl, heute ist Weihnachten, was, wie? Her mit den verdammten Tampen, aber ein bißchen plötzlich. Blacky, wenn du deine Quadratlatschen nicht schneller bewegst, hau ich dir auf deinen dicken Schädel, daß du genauso aussiehst wie die Mehlsäcke da! Seid ihr Betbrüder, oder was seid ihr?“ In diesem Stil ging es weiter. Nur etwas gedämpfter als gewöhnlich, denn der Profos hatte ein Organ, das normalerweise glatt Kanonendonner übertönte. Hasard grinste, während er mit Ferris Tucker und Big Old Shane über das Kliff aufenterte und ein stabiles Tau nach unten warf. Der erste Spanier war bereits gefesselt und wurde Hand über Hand hochgezogen. Dabei wachte er auf und begann jämmerlich zu ächzen. Kein Wunder, denn er schwebte durchaus nicht in der Luft, sondern schrammte immer wieder unsanft über die Felsen. Und da zwei Kerle wie Ferris Tucker und Big Old Shane an dem Tau zogen, ging das Ganze durchaus nicht langsam, sondern sehr schnell und sehr ruppig vonstatten. Einer nach dem anderen wurden die sechs Spanier hochgezogen, ein Stück vom Klippenrand weggeschleppt und nebeneinander auf den Boden geworfen. Mit einer Ausnahme hatte die unsanfte Prozedur sie alle aus der Bewußtlosigkeit geweckt. Mit aufgerissenen Augen starrten sie in die grimmigen Gesichter der Seewölfe und sahen allesamt so aus, als hätten sie Bauchschmerzen. Hasard blieb vor dem ersten stehen und grinste auf ihn hinunter. Der Spanier fand dieses Grinsen ziemlich beunruhigend, genau wie den zwingenden Blick der leicht zusammengekniffenen eisblauen Augen. Und die anderen sahen auch nicht friedlicher aus: dieser fürchterliche rothaarige Riese, der Bulle mit dem
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wüsten, zernarbten Gesicht und dem Amboßkinn, der Kerl mit dem Stahlhaken... „Wie heißt euer Kapitän?“ fragte Hasard in seinem akzentfreien Spanisch. „C-c-correggio“, stotterte der Bursche. „Juan de Correggio!“ „Wieviel Mann Besatzung habt ihr?“ Der Spanier schluckte unglücklich. Hasard zuckte mit den Schultern und gab Matt Davies einen Wink. „Ab mit dem Kerl!“ Matt schnitt eine wahrhaft furchterregende Grimasse, als er den Schweiger mit seinem Stahlhaken am Kragen packte. Das Opfer schrie Zeter und Mordio und wimmerte in allen Tonarten um Gnade. Kaum daß Matt hinter dem nächsten Felsen verschwunden war, verstummte das Geschrei, und das Gesicht des nächsten Spaniers nahm die Farbe von schmutziger Milch an. Hasard grinste jetzt ausgesprochen bedrohlich. Er wußte, daß Matt sein Opfer lediglich geknebelt hatte. Aber das wußten die anderen Spanier nicht. Sie glaubten felsenfest daran, daß ihr Kumpan über die Klinge gesprungen sei, und der Seewolf brauchte seine Frage kein zweites Mal zu stellen. „Dreißig!“ sprudelte der Spanier hervor. „Wir sind dreißig Mann, wir ...“ „Dreißig Mann für dieses Schiffchen?“ fragte Hasard zweifelnd. „Es ist wahr! Wir – wir haben unterwegs die Leute einer leckgeschlagenen Karacke aufgenommen. Vor zwei Wochen war das. Ich schwöre ...“ „Ab mit ihnen“, sagte Hasard. „Ihr werdet geknebelt und an die Felsen gebunden“, setzte er hinzu, als er das aufflackernde Entsetzen in den Augen des Mannes sah. „Wir brauchen nämlich noch ein zweites Boot, bevor wir euer Schiff entern.“ „A-aber ...“ „Keine Angst, es gibt Wasser, Früchte und sogar Wildschweine auf dieser Insel. Ihr werdet wie im Paradies leben. Und außerdem seid ihr ja im Verband gesegelt, oder?“
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„Aber die anderen sind doch längst weitergefahren. Nur Correggio, dieser verdammte Narr ...“ Der Spanier schluckte und biß sich auf die Lippen. Daß man irgendwann nach ihnen suchen und sie sicher auch finden würde, fiel ihm bestimmt noch ein, wenn er Zeit zum Nachdenken hatte. Und die würde er haben, genau wie seine Kumpane, die jetzt einer nach dem anderen geknebelt und so an einzelne Felsblöcke gefesselt wurden, daß man sie höchstens aus unmittelbarer Nähe entdecken konnte. Hasard lächelte zufrieden vor sich hin, als er das Ergebnis noch einmal inspizierte. Die Spanier waren unfähig, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Wie lange sie so aushalten mußten, lag an ihren Kumpanen. Oder besser an ihrem Capitan, auf den sie offenbar eine Stinkwut hatten. Der Kerl war ein Idiot, das hatte er bereits mit seinen irrsinnigen Manövern bewiesen. Vielleicht würde er überstürzt handeln, vielleicht war er auch ein typischer Zögerer. Letzteres wäre Hasard lieber gewesen. Denn für das Enterunternehmen, das er vorhatte, mußte er ohnehin die Dämmerung abwarten. Dreißig Mann, überlegte er. Weniger sechs, waren vierundzwanzig. Noch mal weniger sechs, blieben achtzehn. Und die Seewölfe waren zwanzig. Damit war das Verhältnis mehr als ausgeglichen, wenn man bedachte, daß selbst der schmalbrüstige Kutscher und der alte O’Flynn mit seinen Krücken zwei Spanier aufwogen und daß Kerle wie Ferris Tucker oder Ed Carberry notfalls ganz allein ein halbes Dutzend Dons zu Hackfleisch verarbeiten konnten. Hasard grinste vor sich hin. Er wußte schon jetzt, daß sich Edwin Carberry hinterher wieder darüber beklagen würde, daß derartiger „Kinderkram“ einfach keinen echten Spaß bereitete. * „Rum für alle!“
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Die Rote Korsarin lächelte. Ihr Blick wanderte über die erschöpften Männer, über die aufgeklarten Decks, über das Rigg, das wieder ganz manierlich aussah. Die neue Großrah war in Rekordzeit geriggt worden, obwohl sie keinen Schiffszimmermann an Bord hatten. Aber ein paar von den Männern hatten eine Menge von Ferris Tucker gelernt. Und nicht nur von ihm, sondern auch von Will Thorne, dem weißhaarigen Segelmacher der „Isabella“. Siri-Tong war zufrieden mit ihren rauhen Kerlen. Eine Crew wie der Seewolf hatte sie nicht und würde sie wohl auch nie kriegen, denn diese verschworene Gemeinschaft war etwas Einmaliges. Aber auch die Mannschaft des schwarzen Seglers konnte sich sehen lassen: Die Gefahren und Abenteuer der langen Fahrt hatten sie zusammengeschmiedet und zurechtgeschliffen und selbst aus einer schmutzigen Ratte wie Muddi am Ende einen halbwegs brauchbaren Kerl werden lassen, der zumindest in gefährlichen Situationen einigermaßen seinen Mann stand. Was jetzt hinter ihnen lag, war der Beweis dafür gewesen. Die „Isabella“ in den Händen von Spaniern, Piraten oder was auch immer, die Seewölfe einem ungewissen Schicksal ausgeliefert – das ließ der Crew des schwarzen Seglers keine Ruhe. Sie hatten in den letzten Stunden eine Leistung vollbracht, die man nur bewundern konnte. Thorfin Njals Flüche und Drohungen waren nur als vertraute Begleitmusik notwendig gewesen. Niemand hätte die Männer anzutreiben brauchen. Sie hatten ihr Bestes gegeben, sich nicht gedrückt, wie die Wilden geschuftet und alle Schäden in der Hälfte der Zeit behoben, die man normalerweise hätte dafür veranschlagen müssen. „Cookie!“ rief Siri-Tong. „Mister Bennet, wo steckst du, verdammt noch mal!“ „Hier, Madam!“ Cookie erschien im Kombüsenschott. Er hatte nicht weniger geschuftet als die anderen. Und die nicht ganz saubere
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Pfanne in seiner Faust bewies, daß er sich selbst jetzt nicht auszuruhen gedachte, sondern seine Pflichten als Koch erfüllte. Im übrigen sah er aus wie das leibhaftige schlechte Gewissen. Aber ein schlechtes Gewissen war schließlich der erste Schritt zur Besserung. Die Rote Korsarin lächelte. „Ich glaube, dies ist der richtige Augenblick, um deinen KokosmilchSchnaps zu probieren. Cookie“, sagte sie. „Eine Muck für jeden, zusätzlich zum Rum. Aber kein Besäufnis, wenn ich bitten darf! Missjöh Buveur, ich lasse dich kielholen, wenn du nachher blau an Deck liegst.“ „Aye, aye, Madame“, schmetterte der dickliche Franzose. Und der Koch kriegte rote Ohren, weil er sich freute, daß sein Kokosnuß-Schnaps, den er eigentlich für seinen Eigenbedarf gebraut hatte, nun doch noch zu Ehren gelangte. Als dann Siri-Tong persönlich probierte und dem Zeug einen gewissen Wohlgeschmack bescheinigte, waren nicht nur die Ohren des Kochs so rot wie mexikanischer Pfeffer. Thorfin Njal kippte gleich eine ganze Muck von dem Gesöff in sich hinein und nickte zufrieden. Auch die anderen Männer waren begeistert: Das Zeug war wesentlich stärker als Wein oder Bier und konnte es durchaus mit dem gewohnten Rum aufnehmen. Cookie erzählte, daß ihm die Eingeborenen auf der Insel der Steinernen Riesen das Rezept verraten hätten. Eingedenk der Tatsache, daß der Besuch auf jener Insel damals sehr kurz gewesen war, fanden alle den Koch sehr clever. Der wiederum strahlte wie ein Posaunenengel –und SiriTong sah voraus, daß das Essen an Bord des „Eiligen Drachen“ mindestens zwei Wochen lang entschieden besser als sonst werden würde. Sie gestattete noch eine weitere Muck Kokosnuß-Schnaps. Danach waren die erschöpften, körperlich bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausgelaugten Männer leicht beduselt, aber Siri-Tong
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wußte, daß sie trotzdem noch ihre Arbeit tun konnten. Mit Thorfin Njal und dem Boston-Mann zog sie sich in ihre Kammer im Achterkastell zurück. Wieder einmal wurden die Karten bemüht. Denn die Rote Korsarin kannte den Seewolf und wußte ganz sicher, daß er sich die „Isabella“ bestimmt nicht von irgendeinem Piratenschiff hatte abnehmen lassen. Ihre Vorstellungen über den Lauf der Dinge kamen der Wahrheit sehr nahe. „Hier!“ sagte sie. Ihr Finger beschrieb einen Kreis um ein Gebiet, in dem auf der Karte einige kleinere Inseln eingezeichnet waren. „Wenn sie irgendwo sind, dann müßten sie hier sein — oder?“ Thorfin Njal kratzte hingegeben an seinem Kupferhelm. „Stimmt“, sagte er. „Wenn sie auf einer Insel sind.“ „Wo sollen sie sonst sein, zum Teufel? Wir haben doch selbst gesehen, daß die Kerle auf der ‚Isabella’ nur vierzehn oder fünfzehn Mann waren. Selbst wenn wir mit einem Dutzend Todesopfern rechnen — so ein Trupp hat doch die ,Isabella’ nicht gekapert, Thorfin! Die Kerle müssen auf einer Insel festgesessen haben. Und dann ist es ihnen wahrscheinlich gelungen, Hasard zu schnappen. Du weißt doch, daß er jedes Unternehmen, das auch nur von Ferne nach Gefahr riecht, immer selbst anführt.“ „Bei Odin, das tut er“, sagte der Wikinger. „Du könntest recht haben. Vielleicht hat der verdammte Sturm auf der ‚Isabella’ Schäden angerichtet, die sich nicht mit Bordmitteln beheben ließen. Oder sie haben Rauchzeichen gesichtet, was weiß ich.“ Thorfin Njal atmete tief durch und nickte. „Suchen wir also diese Inselchen ab! Sofort, meine ich. Bis heute abend dürften wir’s geschafft haben.“ „Und dann folgen wir der ‚Isabella’ und zahlen es diesen Dreckskerlen heim!“ SiriTongs Augen funkelten, als sie aufstand und das schwarze Haar zurückwarf. „Die größenwahnsinnigen Halunken werden
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noch einsehen, daß sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen haben.“ Federnd wandte sich die Rote Korsarin ab, trat wieder auf den Niedergang und kehrte aufs Achterkastell zurück. Mit einem zufriedenen Blick stellte sie fest, daß bereits drei Mann am Spill standen, bereit, den Treibanker aufzuholen, und daß Brassen und Geitaue zum Laufen klargelegt worden waren. Minuten später war der Anker oben. Knatternd entfalteten sich die schwarzen Segel, der Wikinger legte Ruder, und „Eiliger Drache über den Wassern- segelte dunkel und majestätisch seinem Ziel zu. * Der Capitan der „Santa Monica“ war nicht beunruhigt, sondern verärgert. Er suchte nicht erst nach einer Erklärung für das lange Ausbleiben seiner Leute, denn nach seiner Meinung lag die Erklärung auf der Hand: Die Kerls hatten angefangen zu bummeln, kaum daß sie außer Sicht gewesen waren. Wahrscheinlich bereiteten sie sich ein paar angenehme Stunden, statt ihren Auftrag auszuführen. Juan de Correggio knirschte vor Wut mit den Zähnen und schwor sich, jedem einzelnen dieser faulen Halunken die Haut vom Rücken peitschen zu lassen. Der Rest der Mannschaft spähte ziemlich besorgt zu der Insel hinüber, von der sie nur die felsige Landzunge im Westen und die weit geschwungene. palmengesäumte Strandlinie sehen konnten. Die Sonne senkte sich bereits, die Schatten wurden unmerklich länger. In spätestens einer Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen, und dann konnte nur noch ein Verrückter auf die Idee verfallen, die Insel zu durchsuchen. „Wir sollten etwas unternehmen, Capitan“, sagte Jose Diaz, der Steuermann. „Sicher. Wenn diese Kerle in einer Stunde nicht zurück sind ...“ „In einer Stunde ist es dunkel, Capitan! Dann müssen wir bis zum Morgen hier liegenbleiben.“
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Correggio biß sich auf die Lippen. Er war kein Freund von schnellen Entscheidungen, aber immerhin sah er ein, daß der Steuermann recht hatte. Diaz traf ohnehin die meisten Entscheidungen. Jeder an Bord wußte das, nur der Capitan nicht. Denn Diaz war geübt darin, den anderen glauben zu lassen, daß es nach seinem eigenen Kopf ging. Hätte Juan de Correggio geahnt, daß in Wahrheit nicht er, sondern der Steuermann das Schiff führte, hätte er das Kommando sofort wieder an sich gerissen, und das wäre für Schiff und Mannschaft verhängnisvoll gewesen. „Beiboot klarmachen!“ befahl der Capitan. „Diaz, suchen Sie sechs Mann aus, die an Land pullen! Ein bißchen plötzlich, bevor es dunkel wird!“ Der Steuermann biß sich auf die Lippen. Er hatte eher daran gedacht, zunächst einmal die Insel zu umsegeln, was auch wesentlich vernünftiger gewesen wäre. Aber er wußte, daß er Correggio nicht dazu bringen konnte, einen einmal gegebenen Befehl wieder zurückzunehmen. Wenn beschlossen hatte, zum Beispiel in eine Lagune einzulaufen, weil er im Riff eine Durchfahrt sah, die überhaupt nicht existierte, dann versuchte er das eben. Und dann ließ sich die Katastrophe mitunter nur noch durch Tricks abwenden. Zum Beispiel damit, daß der Bootsmann eigenhändig die Tiefe auslotete und dabei wie Diaz sehr genau mitgekriegt hatte - ein bißchen mogelte, damit der Befehl zum Abfallen noch rechtzeitig erfolgte. „Jawohl, Capitan“, sagte Jose Diaz nur und sprang auf die Kuhl hinunter, um die Rudergasten einzuteilen. Sechs Männer enterten ab und kletterten auf die Duchten. Jose Diaz schwang sich als letzter über das Schanzkleid, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß er den Trupp anführte. Hinterher würde ihn der Capitan zusammenstauchen, aber nicht jetzt, vor versammelter Mannschaft, weil das die Disziplin untergrub, wie Correggio glaubte. Den Steuermann ließ das alles ziemlich kalt, denn er war felsenfest davon
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überzeugt, daß auf der Insel etwas nicht stimmte. „Nordkurs!“ befahl er den überraschten Männern. „Wir werfen erst mal einen Blick auf die Rückseite der Insel. Ich habe keine Lust, wie ein Anfänger in irgendeine Falle zu gehen.“ 8. Krachend flog das Schott der Vorpiek auf. Licht fiel in das finstere Loch. Licht, in dessen Schein die Läufe von zwei Pistolen schimmerten. Die Piraten hatten allmählich offenbar Respekt vor ihren Gefangenen, und sie hatten die Nase voll von unliebsamen Überraschungen. Diesmal allerdings stürmten ihnen keine rasenden Teufel entgegen. Dan O’Flynn und Batuti hockten ganz friedlich auf der Gittergräting. Sie hatten sogar auf den Versuch verzichtet, sich gegenseitig von den Fesseln zu befreien. Nicht, weil sie völlig, zerschlagen und halb verdurstet waren, sondern weil sie sich über eine neue Taktik geeinigt hatten. „Na, ihr Helden?“ sagte Pepe le Moco gehässig. „Gefällt’s euch da drinnen? Wollt ihr noch ein bißchen bleiben? Oder seid ihr etwa hungrig und durstig?“ Batuti knurrte nur noch. Dan beherrschte sich mit Mühe. „Wollt ihr uns etwa hier krepieren lassen?“ fragte er. Der Pirat grinste. Neben ihm stand der einäugige Esmeraldo und grinste ebenfalls. Lediglich Jacahiro, der Maya, schien kein Vergnügen daran zu finden, die wehrlosen Gefangenen zu verhöhnen. „Ihr arbeiten, dann essen und trinken“, sagte er ruhig. „Ihr noch einmal Ärger versuchen, dann hier verhungern. Verstanden?“ „Verstanden“, sagte Dan. „Und verhungern wollt ihr nicht, ihr Bastarde, oder?“ fragte Esmeraldo und kicherte. „Nein, verhungern wollen wir nicht.“ Dans Gesicht war steinern, und er brauchte seine ganze Beherrschung, um die kalte Wut herunterzuwürgen.
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„Na fein! Jacahiro, schneide den Bastarden die Fesseln durch. Erst mal nur die Fußfesseln, damit sie nicht auf dumme Gedanken verfallen.“ Der Maya zog sein Messer aus dem Gürtel und zersäbelte die zähen Riemen an den Fußgelenken der beiden Männer. Batuti schob sich mit einem tiefen Atemzug hoch, Dan wollte aufspringen und merkte, daß er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er wäre gestürzt, wenn Jacahiro ihn nicht aufgefangen hätte. Dan fauchte wie eine Katze, schüttelte die Hand ab, die ihn hielt, und stellte dabei widerwillig fest, daß das verhaltene Grinsen des Indianers eigentlich gar nicht höhnisch und niederträchtig wirkte. Batuti stampfte voran, Dan folgte ihm. Das helle Sonnenlicht an Deck ließ ihn blinzeln, und der frische, salzige Wind war nach dem Mief in der Vorpiek das reinste Paradies. Der hünenhafte Neger und der blonde Junge sahen sich um, dann blickten sie zu dem Bretonen hoch, der an der Schmuckbalustrade des Achterkastells lehnte. Dan hatte einen Kloß in der Kehle. „Was habt ihr mit unseren Leuten angestellt?“ fragte er rauh und hatte alle Mühe, kein „ihr verdammten Bastarde“ anzuhängen. „Die gehen zu Fuß“, sagte der Bretone kalt. „Wir konnten sie hier nicht brauchen. Also was ist? Wollt ihr jetzt Borddienst tun oder lieber an der Rahnock baumeln?“ Dan wurde bleich unter der Sonnenbräune. Batuti sog scharf die Luft ein und schloß die Augen. Zu Fuß gehen - das hieß, daß die Kerle Ben, Stenmark und Shane über Bord geworfen hatten. Einfach so. Ohne Rücksicht darauf, daß sie kaum eine Chance hatten, die Insel zu erreichen — schwimmend durch ein von Haien verseuchtes Gewässer! Batutis Zähne knirschten. Dan schwieg und focht einen fürchterlichen Kampf mit sich selbst aus. Alles in ihm drängte danach, dem Bretonen seinen Haß und seine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Oder ihm wenigstens an die Kehle zu fahren, sobald er die Hände frei hatte. Aber es war sinnlos, jetzt
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Selbstmord zu begehen. Solange sie am Leben waren, hatten sie eine Chance. Eine Chance, es diesen Bastarden heimzuzahlen und ihre Kameraden zu rächen. Jean Morro kniff die grauen Augen zusammen. „Also was ist?“ fragte er hart. „Borddienst oder Rahnock?“ „Borddienst“, quetschte Dan O’Flynn durch die Zähne. „Und dein Freund?“ „Borddienst“, murmelte Batuti. „Gut. Ich lasse euch jetzt die Fesseln abnehmen. Ihr werdet verschiedenen Wachen zugeteilt. Und bildet euch nicht ein, ihr könntet hier den Hund von der Kette lassen. Wenn einer von euch auch nur den geringsten Aufruhr veranstaltet, lasse ich den anderen sofort erschießen, ist das klar?“ Schweigen. Jean Morros Gesicht war eine kalte Maske. „Ob das klar ist?“ fragte er gefährlich leise. „Aye, aye“, sagte Dan zwischen zusammengepreßten Zähnen. „Aye, aye, Sir, heißt das.“ „Nigger?“ „Aye, aye, Sir”, sagte Batuti mit merkwürdig fremder Stimme. „Nimm ihnen die Fesseln ab, Esmeraldo! Der Lümmel kommt in die Kombüse, der Nigger zu den Fockmastgasten. Jacahiro, du paßt auf ihn auf!“ „In Ordnung“, sagte der Maya mit seiner dunklen, kehligen Stimme. Er nickte Batuti zu und wies mit dem Kopf in die Richtung, in die der schwarze Herkules marschieren sollte. Aber Jacahiro fluchte nicht und brüllte nicht herum, und damit hatte Batuti entschieden das bessere Los gezogen. Der schweigsame Maya war ein anständiger Kerl. Ganz im Gegensatz zu dem fetten Tomaso, der Dan O’Flynn wieder unter seiner Fuchtel hatte. Als erstes ließ er sein Opfer die Kombüse schrubben, und die Art, wie er auf einem Dreibein saß und Speckstücke in sich hineinstopfte, zeigte, daß er nicht gesonnen war, sich selbst jetzt noch zu überarbeiten.
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Dan O’Flynn kochte vor Wut. Aber es war keine gesunde, wohltuende Wut, die ihn erfüllte. Es war eiskalter, würgender Zorn, ein Zorn, wie ihn nur schwarze Verzweiflung hervorbringt. Der Gedanke an Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark schien wie ein Feuer in ihm zu brennen, und seine Gedanken fieberten, während er den Boden der Kombüse bearbeitete. Irgendwann würde der Bretone bezahlen. Und wenn er Ben, Stenmark und Shane umgebracht hatte, würde er noch den Tag verfluchen, an dem er geboren worden war. * „Sieben“, sagte Ferris Tucker leise. Der Seewolf nickte. Aus schmalen Augen verfolgte er das Boot, das sich von der Bordwand der „Santa Monica“ löste. Diesmal pullten die Männer nicht in Richtung Strand, sondern hatten offensichtlich den Plan, die Landzunge zu umrunden. Sie waren vorsichtig geworden und wollten erst einmal einen Blick auf die Nordseite der Insel werfen. Viel Zeit konnten sie sich allerdings nicht dazu lassen. In spätestens einer Stunde wurde es dunkel, dann konnte nur noch ein Verrückter versuchen, auf völlig unbekanntem Gelände irgendetwas zu finden. Das mußten auch die Spanier wissen. Nach Hasards Meinung hatten sie sich ohnehin schon unsinnig viel Zeit gelassen. Ihm konnte es recht sein. Für die Seewölfe ging es nur darum, mit den Booten die „Santa Monica“ zu erreichen, ohne von deren Kanonen in Fetzen geschossen zu werden. Im Enterkampf hatten die Spanier nicht den Schimmer einer Chance, darin waren ihnen die Seewölfe haushoch überlegen. Wenn sie erst einmal in den toten Winkel der Geschütze gelangten, gab es keine Schwierigkeiten mehr, dann war das Unternehmen für Hasards Crew so gut wie gelaufen.
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Wieder blieb eine kleine Gruppe zurück, die das Schiff beobachtete, während die anderen im Schutz der Felsen die Hochfläche überquerten. Als sie sich im Geröll am Rand des Kliffs auf den Boden preßten, hatte auch das Boot die Nordseite der Insel erreicht. Sechs Männer pullten, der siebte, ein großer, hagerer Bursche mit einer ausgeprägten Adlernase, beobachtete die Klippen. Schließlich befahl er, den Kurs zu ändern und steuerte einen Punkt etwa in der Mitte der Steilküste an. Der Seewolf wußte sofort, was der Bursche vorhatte. Er hatte gemerkt, daß der Felsenkegel auf dem höchsten Punkt der Insel von hier aus verhältnismäßig einfach zu erreichen war. Dort oben brannte immer noch das Feuer und stieg eine dünne Rauchfahne in den Himmel. Dort oben wollte der Mann nachsehen, solange es noch hell genug dazu war. Immerhin ein energischer Mann, dachte Hasard anerkennend. Und auf jeden Fall kein Idiot, der wie ein Anfänger in die Falle tappt. Der Seewolf grinste leise und wandte sich Ed Carberry zu. ,.Sie werden heraufkommen, Ed“, flüsterte: er. „Aber sie werden Wachtposten bei dem Boot zurücklassen. Die Kerle dürfen uns auf keinen Fall entwischen, klar?“ „Aye, aye! Ich klettere mit Matt und Bob da drüben hinter der Felsennase hinunter. Wir packen uns die Burschen, sobald hier oben der Tanz losgeht.“ „Gut, Ed. Aber seid vorsichtig!“ Der Profos murmelte etwas davon, daß er, verdammt noch eins, immer vorsichtig sei und man ihm das nicht extra zu sagen brauche. Hasard grinste nur, während Carberry Matt Davies und Bob Grey einen Wink gab und sich lautlos zwischen die Steinbrocken zurückzog. Die beiden anderen folgten ihm genauso leise. Jenseits der vorspringenden Felsennase konnten sie bis zur Brandungsplatte hinunterklettern, ohne von den Spaniern gesehen zu werden. Dann brauchten sie nur noch ein Dutzend Schritte bis zu. der Stelle, wo jetzt das Boot vertäut wurde.
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Hasard stellte fest, daß er den Drahtigen richtig eingeschätzt hatte: er ließ tatsächlich zwei Mann als Wache zurück. Die restlichen fünf marschierten auf die schräge Geröllrinne zu, die in das Kliff schnitt und die Möglichkeit für einen problemlosen Aufstieg bot. Der Mann mit der Adlernase kletterte als erster. Für die nächsten Minuten waren die fünf Männer aus dem Blickfeld der Seewölfe verschwunden, aber rollende Steine und ein paar unterdrückte Flüche verrieten ihren ungefähren Standort. Der Drahtige schwang sich als erster über die Kante des Kliffs. Hasard lag in der Deckung einiger durcheinander gewürfelter Felsbrocken und spähte durch eine schmale Lücke zwischen den Steinen. Deutlich konnte er das scharfe Profil seines Gegners sehen, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte und aus schmalen Augen zu dem roten Felsenkegel hinaufsah. Nach einer Weile wandte er sich um und überzeugte sich, daß auch der Rest seiner Leute die Hochfläche erreicht hatte. „Wir teilen uns“, sagte er auf spanisch. „Diego und ich klettern auf den Berg. Die beiden anderen Gruppen schwärmen aus, decken uns den Rücken und sichern unsere Flanken. Verstanden?“ „Si, Senor“, tönte es vierstimmig zurück. Die Männer hatten funkelnde Augen. Hier war ein Mann, der wußte, was er wollte, und die Sache vernünftig anpackte. Prompt zeigten seine Leute ein ganz anderes Kaliber als die sechs, die bereits von den Seewölfen überwältigt worden waren. Der Hagere nötigte Hasard Achtung ab. Trotzdem hatte er keine Chance. Denn die Seewölfe hatten sich so über das Plateau verteilt, daß die. eigentlich ganz vernünftige Idee mit den drei Gruppen den Spaniern nur zum Verhängnis werden konnte. Der Drahtige und der Bursche mit dem Namen Diego marschierten quer über das Plateau auf den Felsenkegel zu. Die anderen teilten sich und schwärmten nach links und rechts aus. Auf diese Art bildeten sie eine keilförmige Formation und mußten
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annehmen, daß sie das größtmögliche Maß an Sicherheit erreicht hatten. Hasard lächelte matt, richtete sich etwas auf und wartete darauf, daß die rechte Flanke der Formation in seine Reichweite geriet. Ben Brighton, der hinter dem Seewolf kauerte, hielt einen handlichen Stein in der Faust. Ferris Tucker betrachtete einen Augenblick nachdenklich Batutis Morgenstern, dann deponierte er ihn sanft auf dem Boden und griff sich ebenfalls einen Stein. Die beiden lächerlichen Spanier, die da heranpolterten, waren völlig ahnungslos und konnten nichts dafür, daß man den Seewölfen die „Isabella“ geklaut hatte. Sie würden flachgelegt werden, aber man mußte ihnen ja nicht gleich den Schädel einschlagen. Hasards Lächeln vertiefte sich. Seiner Meinung nach zerbrach sich der rothaarige Schiffszimmermann unnütz den Kopf. Die zwei lächerlichen Spanier gedachte der Seewolf nämlich allein zu erledigen. Als sie noch drei Schritte entfernt waren, sprang Hasard mit einem Satz auf den Felsblock und jumpte den Spaniern von da aus unmittelbar vor die Füße. Die Kerle prallten zurück und rissen erschrocken die Münder auf. Beide holten Luft, um loszubrüllen, aber bevor sie auch nur einen Ton herausbrachten, packte sie der Seewolf links und rechts bei den Ohren und donnerte ihre Köpfe gegeneinander. Die Burschen sackten zusammen. In einiger Entfernung klatschte es zweimal dumpf. Und damit war auch die linke Flanke der fabelhaften Formation im Eimer. „Fesseln und knebeln“, flüsterte Hasard, während sein Blick den Drahtigen und seinen Begleiter suchte, die sich schon in einiger Entfernung befanden. Trotzdem mußten sie etwas gehört haben. Hasard zog den Kopf ein, als der Drahtige herumfuhr. Durch die Lücke zwischen den Steinen konnte der Seewolf deutlich die Spannung in dem schmalen, asketischen Gesicht mit der Adlernase lesen. Jose Diaz, erster Offizier der „Santa Monica“, war ein
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Mann mit Instinkt. Er spürte die Gefahr mit jeder Faser, spürte sie jäh und bedrohlich überall ringsum, aber er konnte nicht ahnen, aus welcher Richtung der Teufel aus der Kiste fahren würde. Nur drei Schritte hinter den beiden Spaniern richtete sich die stämmige Gestalt von Jeff Bowie auf. Er hatte links den gleichen Haken, wie ihn Matt Davies rechts trug. Piranhas hatten ihm die Hand zerfetzt, aber inzwischen hatte er sich an den Verlust seiner Linken gewöhnt und konnte mit seinem Haken perfekt umgehen. In der Rechten hielt er ein kurzes, stabiles Kantholz. Hasard konnte ihn deutlich grinsen sehen, als er sich zum Sprung duckte. Der Drahtige und sein Begleiter starrten immer noch dorthin, wo sie das zweimalige dumpfe Klatschen gehört hatten. Jeff Bowie sprang. Geschmeidig wie ein Panther flog er durch die Luft, und noch ehe er mit den Füßen aufsetzte, hatte er zweimal kurz und trocken zugeschlagen. Der Drahtige erhielt die Rundung des Stahlhakens auf den Kopf, der Bursche mit dem Namen Diego den Holzknüppel. Beide kippten um. Jeff schlug zur Sicherheit noch zweimal mit dem Knüppel zu, dann winkte er und zeigte triumphierend seine Zähne. „Wer sagt’s denn“, brummte Hasard. „Und jetzt müssen wir Ed und den anderen Bescheid geben. Die warten nämlich immer noch darauf, daß hier oben der Tanz losgeht.“ „Schöner Tanz“, sagte Ferris fröhlich. Mit ein paar Schritten erreichte er den Rand des Kliffs. Da stand er nun in voller Größe, und den beiden Spaniern, die angestrengt zu der Hochfläche hinaufgestarrt hatten, drohten fast die Augen aus dem Kopf zu fallen. „Buh!“ rief Ferris. „Ed! Matt! Bob!“ befahl Hasard .scharf. Ehe die beiden Spanier dort unten begriffen, wie ihnen geschah, fielen die drei Seewölfe über sie her wie die Teufel. Matt Davies knallte dem ersten seinen Stahlhaken gegen die Stirn. Bob Grey
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klopfte Nummer zwei mit einem Stein auf den Schädel, so daß der Bursche wie ein Bündel Lumpen in sich zusammenfiel. Ed Carberry stemmte beide Hände in die Hüften, holte tief Luft und durchbohrte Bob. Grey mit einem vernichtenden Blick. „Das war meiner!“ fauchte der Profos aufgebracht. „Wer zuerst kommt, haut zuerst“, widersprach Bob mit schlagender Logik. Der Profos zählte prompt sämtliche fürchterlichen Strafen auf, die auf See, an Land oder in der Hölle auf vorwitzige, unverschämte Kerle warteten. Aber immerhin verschnürte er dabei schon einen der Spanier, während Bob den zweiten fesselte. Ein paar Minuten später wurden auch diese beiden auf die Hochfläche gezogen. Dreizehn Männer waren jetzt hier oben an die Felsblöcke gebunden und geknebelt, damit sie ihre Leute nicht durch Geschrei warnen konnten. Siebzehn Männer hielten sich noch an Bord der „Santa Monica“ auf. Und diese Männer standen unter dem Kommando eines Kapitäns, der sein Schiff fast auf das Riff gesetzt, den zweiten Suchtrupp viel zu spät losgeschickt hatte und der demnach schlicht und einfach nichts taugte. „Die frühstücken wir im Vorbeigehen“, sagte Ed Carberry überzeugt. „Sicher“, bestätigte Hasard. „Nur dürfen sie nicht merken, daß gar nicht ihre eigenen Leute in den Booten sitzen. Sonst schießen sie uns nämlich in Fetzen, nur mal so im Vorbeigehen.“ „Nachts sind alle Katzen grau“, bemerkte Smoky weise. „Richtig. Aber wir werden uns trotzdem zumindest mit den Kopfbedeckungen der Dons tarnen, damit der Unterschied nicht so auffällt. Bill bleibt hier oben und..... Der Schiffsjunge protestierte. „Warum soll ich ...“ „Weil ich es sage!“ Gegen diesen Ton gab es keinen Widerspruch, und Bill zog beleidigt den Kopf ein. „Dreizehn Mann von uns besetzen die Boote“, fuhr Hasard fort. „Und zwar diejenigen, die am ehesten als Spanier durchgehen würden, also keine
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Riesen wie Ferris oder Ed. Die anderen schwimmen, und zwar im Sichtschutz der Boote. Wer seinen verdammten Schädel zu weit vorstreckt, kriegt von mir persönlich die Haut abgezogen. Gary, du spielst den Drahtigen und legst die Hände in den Schoß. Ben wird dicht neben dir bleiben, damit er auf spanisch für dich antworten kann, falls die Kerle an Bord dich anrufen. Aber sieh zu, daß du deine blonden Haare versteckst, klar? Noch Fragen?“ „Wer schwimmt?“ fragte Ferris Tucker sachlich. Hasard grinste. „Du, Ed, Smoky, Stenmark, Shane und ich. Bill, du paßt auf Arwenack auf! Ed, wo steckt Sir John?“ „In meiner Tasche“, sagte der Profos grinsend. „Aber ich laß ihn lieber hier bei Bill. Nicht, daß mir jemand das Rabenaas versehentlich zu Brei schlägt, wenn da drüben das Fest losgeht.“ „Gut. Und jetzt knöpft euch die Spanier vor und seht zu, daß das mit den Kopfbedeckungen klar geht. Wenn die Dons an Bord ein blondes Haar sehen, sind wir verraten!“ Die Männer brauchten nur wenige Minuten. Danach war kein blondes, rotes oder weißes Haar mehr zu sehen, und die Dons auf der „Santa Monica“ würden erst im letzten Moment erkennen, daß nicht ihre Landsleute zurückkehrten, sondern eine englische Entermannschaft. Im Westen stand die Sonne als blutrote Scheibe über der Kimm. Noch eine Viertelstunde, schätzte Hasard, dann würde es dunkel sein. Von jetzt an konnten sie nur noch warten. 9. Der letzte winzige Rest der roten Sonne versank hinter der Kimm. Wie ein Tuch breitete sich die Dunkelheit über die See und die Insel. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel, auch die Sterne verbreiteten nur einen schwachen Schimmer, der mit seinen glitzernden, tanzenden Reflexen auf dem Wasser mehr verbarg, als er enthüllte. Es war
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unmöglich, bei dieser Beleuchtung auf mehr als vier, fünf Schritte Entfernung ein Gesicht genau zu erkennen. Die Spanier auf der „Santa Monica“ würden erst aufmerksam werden, wenn es zu spät war – und zu spät sein würde es in dem Augenblick, in dem die beiden Boote nicht mehr im Schußbereich der Kanonen lagen. Hasard wartete noch ein paar Minuten, dann richtete er sich auf und stieß den Daumen nach oben. Der lange, hagere Gary Andrews, der von der Statur her dem drahtigen spanischen Offizier am ähnlichsten sah, stieg als erster ins Boot, Ben Brighton, der Kutscher, Old O’Flynn, Will Thorne, Matt Davies und Jeff Bowie folgten ihm. Die Männer, die schwimmen würden, standen auf der Brandungsplatte bereit. Sie waren vollständig angezogen. Das würde das Schwimmen zwar erschweren, aber dafür würden sie im Wasser nicht so leicht zu erkennen sein. Hasard wartete und lauschte in die Dunkelheit. Das Boot, das in Sichtweite der „Santa Monica“ lag, würde als erstes starten. Und es war mit den Männern besetzt, die als Spanier gelten konnten: Sam Roskill, Bob Grey, der sich ein Tuch um sein blondes Haar geschlungen hatte, Luke Morgan, Blacky, Pete Ballie und Al Conroy. Sie alle konnten in etwa Spanisch. Es würde reichen, um dem Capitan zu erklären, sie hätten sich verirrt, falls er fragte, und jedem anderen Überneugierigen zu sagen, er solle gefälligst nicht so herumbrüllen, Caramba! Hasard grinste, als er die Schritte der Männer hörte, die zur Landzunge marschierten. Sie übten bereits. „Caramba!“ fauchte Sam Roskill. „Hijo de Puta!“ gab Luke Morgan prompt zurück. Und Al Conroy, der Stückmeister, demonstrierte genießerisch, daß er von allen Teufeln der Hölle über eine kastilische Wanderhure bis hin zum blöden Hammel und anderen freundlichen Bezeichnungen aus dem Tierreich eine ganze Menge saftiger englischer Flüche ins Spanische übersetzen konnte.
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„Die sollen bloß nicht so übertreiben“, murmelte Ben Brighton besorgt. „Werden sie auch nicht.“ Hasard nickte seinem Bootsmann zu. „Gut, Ben! Gary, laß verdammt noch mal die Finger von den Riemen! Ein spanischer Offizier pullt doch nicht, du Esel!“ „Scheiß-Spanier“, sagte Gary Andrews ungerührt. „Da kannst du recht haben. Alles fertig?“ Zustimmendes Gemurmel. Hasard watete als erster ins Wasser. Ed Carberry, Ferris Tucker, Big Old Shane, Smoky und Stenmark folgten ihm. Der rothaarige Tucker und der blonde Stenmark trugen Tücher um die Köpfe, der riesenhafte Shane hatte sich zusätzlich das halbe Gesicht verhüllt, um seinen grauen Bart zu verbergen. Sie hatten zwar nicht vor, sich den Spaniern zu zeigen, aber sicher war sicher. Die Männer begannen in dem Augenblick zu schwimmen, in dem sich das Boot unter kräftigen, langen Riemenschlägen in Bewegung setzte. Die Rudergasten pullten, als wollten sie Rekorde brechen. Oder als legten sie es darauf an, mit den Schwimmern ein Wettrennen zu veranstalten. „Ben!“ zischte Hasard. „Ihr seid wohl übergeschnappt! Pullt gefälligst einen schönen gemächlichen Rundschlag, ja? Wir wollen hier nicht die See zum Kochen bringen!“ „Verdammt! Verzeihung, Sir! Hätte ich fast vergessen.“ Das Boot wurde langsamer. Hasard und die anderen paßten ihre Geschwindigkeit dem gemächlich durch die Dünung schwimmenden Boot an. Die zweite Gruppe hatte inzwischen das Boot erreicht, das in Sichtweite der Karavelle lag — soweit überhaupt von Sicht die Rede sein konnte. Aber die Männer warteten noch und taten so, als müßten sie irgendetwas an der Vorleine klarieren. Sie würden erst starten, wenn das zweite Fahrzeug hinter den Felsen der Landzunge auftauchte, damit beide Boote etwa gleichzeitig das Schiff erreichten. Jetzt war es soweit.
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Hasard konnte ein paar spanische Kommandos hören, die Männer brachten das Boot aufs Wasser. Dabei zahlte sich mal wieder der Sprachunterricht aus, den Hasard ab und zu veranstalten ließ. Es hatte zwar seine Zeit gedauert, bis auch der letzte an Bord die Notwendigkeit dieser Übung begriff, aber inzwischen hatten sie es schon ein paarmal geschafft, die Dons erfolgreich zu täuschen. Riemen klatschten ins Wasser und wurden durchgezogen. Hasard konnte im Augenblick weder das zweite Boot noch die Karavelle sehen. Aber er sah den hageren Gary Andrews, der das hellblonde Haar unter dem Eisenhut des spanischen Offiziers verborgen hatte und aufrecht und mit verschränkten Armen auf der Heckducht saß. Wie ein echter Grande, dachte Hasard und grinste breit. „Eh, Ben!“ flüsterte er. „Sir?“ „Steck dir den Sir an den Hut! Ich will wissen, was sich auf der verdammten Karavelle tut.“ „Gar nichts“, sagte Ben Brighton gelassen. „So um die zehn Mann stehen am Steuerbord-Schanzkleid und stieren Löcher in die Luft. Das Achterdeck ist leer. Dieser saubere Capitan scheint doch tatsächlich zu pennen.“ „Der wird schon aufwachen“, sagte Hasard grimmig. „Ist der Ausguck besetzt?“ „Aye, aye. Aber der Kerl hat kein Spektiv da oben.“ „Na bestens! Ben, du mußt jetzt verdammt die Augen offenhalten. Wie ist dein Kurs?“ „Schräg auf den Bug zu, was sonst? Die Kerls werden denken, daß wir vorbeipullen wollen.“ „Laß dich etwas zurückfallen. Die Dons dürfen unsere Köpfe noch nicht sehen, wenn das zweite Boot die Jakobsleiter erreicht. In dem Moment, in dem die anderen die Vorleine belegen, sagst du uns Bescheid, damit wir abtauchen.“ „Aye, aye! Noch drei Minuten, schätze ich. Die Kerls da oben wer- den allmählich zappelig.“ Von Bord der Karavelle war spanisches Stimmengewirr zu hören. Die Männer
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wollten wissen, was, zum Teufel, passiert sei. Und Sam Roskill im ersten Boot rief ihnen zu, sie sollten, verdammt noch mal, lieber eine zweite Jakobsleiter außenbords hängen, statt dämlich herumzubrüllen. Hasard grinste. Ben Brighton verschluckte sich fast. „Mann, die tun das tatsächlich“, flüsterte er. Und nach einer Pause: „Aufpassen, jetzt! Abtauchen!“ Wie ein Mann tauchten die sechs Seewölfe, die im Sichtschutz des Bootes schwammen, weg. Hasard schnellte mit vorgestreckten Armen geschmeidig wie ein Fisch durchs Wasser. Er ging möglichst tief, wurde langsamer und vollführte eine geschmeidige Drehung, als seine Finger sacht gegen die Bordwand stießen. Unmittelbar unter der mächtigen Galion durchstieß sein Kopf die Wasserfläche. Eilig schwamm er um den Vorsteven nach Backbord hinüber, um den anderen Platz zu machen. Kein Wort fiel, kein Prusten oder Keuchen erklang - nur ein leises Plätschern, das sich mit dem Gurgeln und Schmatzen der Dünung an den Bordwänden mischte. Ed Carberrys zernarbtes Gesicht tauchte hinter dem Vorsteven auf, Ferris Tucker folgte ihm, dann Smoky, Stenmark und schließlich Big Old Shane, dessen wettergegerbte Züge sich grimmig verzogen hatten, weil er von jeher der Ansicht war, daß man das Schwimmen besser den Fischen überließ. Schweigend und konzentriert arbeiteten sich die Männer bis auf die Höhe der Kuhl vor. Wahrscheinlich ging auch hier auf der Backbordseite jemand Wache, aber der würde im Moment ganz bestimmt nicht über das Schanzkleid blicken. Hasard spannte die Muskeln, schnellte seinen Körper aus dem Wasser und schwang sich geschmeidig auf den hölzernen Wulst, der sich um den Bauch der Karavelle zog. Neben ihm enterte Stenmark auf, Ferris Tucker streckte Big Old Shane die Hand entgegen, links von Hasard erschienen Ed Carberry und Smoky. Der Profos warf einen Blick zum Schanzkleid hoch, rammte eine Schulter an
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die Bordwand und faltete die Hände. Nicht, um ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, wohlgemerkt. Hasard setzte einen Fuß auf die behelfsmäßige Stufe und in derselben Sekunde ging an der Steuerbordseite der Tanz los. Einer der Spanier brüllte erschrocken auf. Es klatschte laut. „Arwenack!“ schrie der schwarzhaarige, dunkeläugige Sam Roskill, der am spanischsten aussah und deshalb wohl als erster aufgeentert war, und dann brach auf der „Santa Monica“ von einer Sekunde zur anderen die Hölle los. * Der schwarze Segler verschmolz fast mit der Dunkelheit. Siri-Tong und der Wikinger standen vorn auf der Back. Thorfin Njal hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und kratzte ab und zu an seinem Kupferhelm. Die Rote Korsarin schwenkte mit dem Spektiv die Kimm ab: eine dünne Linie zwischen dem schwarzen Himmel, auf dem die Sterne wie Brillanten funkelten, und einem Meer, in dem sich die Sterne als gleißende, verschwimmende Flecken spiegelten. Und genau voraus, sehr fern, gab es zwischen glitzerndem Meer und sternengespicktem Himmel so etwas wie einen unregelmäßigen schwarzen Buckel, auf dessen höchster Erhebung ein winziger rötlicher Punkt glomm. Siri-Tong setzte das Spektiv ab und reichte es dem Wikinger. „Genau voraus, Thorfin“, sagte sie knapp. „Schau es dir an und sag mir, wofür du es hältst.“ Der bärtige nordische Riese brauchte einen Moment, bevor er den Buckel über der Kimm gefunden hatte. „Die Insel“, brummte er. „Und zwar haargenau da, wo sie der Karte nach auch liegen soll.“ „Das weiß ich selbst“, sagte die Korsarin ungeduldig. „Schau dir diesen Berg an oder was immer es ist. Den Gipfel vor allem!“ „Hmm!“ brummte der Wikinger.
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Er hielt den Kieker in der Rechten, und mit der Linken kratzte er seinen Helm, was bei ihm ein Zeichen äußerster Konzentration war. Zwei Minuten vergingen, dann setzte er mit einem Ruck das Spektiv ab. Sein mächtiger Brustkasten dehnte sich unter einem tiefen Atemzug. „Teufel!“ knurrte er. „Wenn es nicht gerade ein Vulkan oder der Eingang zur Hölle ist, dann ist es ein Signalfeuer.“ „Daß es ein Vulkan ist, halte ich für unwahrscheinlich“, sagte Siri-Tong trocken. „Und der Eingang zur Hölle liegt bestimmt nicht mitten in der Südsee. Es ist ein Signalfeuer, Thorfin.“ „Die Seewölfe!“ stieß der Wikinger durch die Zähne. „Wir haben sie! Bei Thors Hammer, wir haben sie gefunden, diese Teufelsbraten!“ „Hoffentlich“, sagte Siri-Tong leise. Nicht einmal -der hünenhafte Mann an ihrer Seite sah den sehnsüchtigen Schimmer, der ihre Augen in diesen Sekunden verschleierte. * Um dieselbe Zeit waren die Männer, die der Wikinger „Teufelsbraten“ genannt hatte, gerade dabei, die Probleme auf ihre Art zu lösen: nämlich so, daß die Fetzen flogen, die See kochte und die Luft erzitterte. „Arwenack!“ hatte Sam Roskill geschrien. „Arwenack!“ dröhnte es plötzlich wie Donnergrollen von den beiden Booten herauf, und in diesem Augenblick trat der Seewolf bereits in Ed Carberrys gefaltete Hände, warf die Arme nach oben und schwang sich mit einem Klimmzug über das Backbord-Schanzkleid der Kuhl. Ein Spanier flog ihm vor die Füße. Sam Roskill hatte ihm zu der unfreiwilligen Luftreise verholfen, jetzt wirbelte der ehemalige Karibik-Pirat blitzartig herum und sprang dem nächsten Don an die Kehle. Blackys Kopf schob sich über das Schanzkleid. Ein Spanier wollte ihm die Faust auf den Schädel donnern, aber Blackys Rechte war schneller und donnerte unter das Kinn des Gegners. Der Kerl
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unternahm ebenfalls eine Luftreise und landete vor Hasards Füßen. Der Seewolf grinste und warf einen raschen Blick auf Ferris Tucker und Big Old Shane, die sich neben ihm über das Schanzkleid schwangen.. „Arwenack!“ brüllte Hasard. „Ar-we-nack!“ fielen Ferris und Shane ein. Und dann rasten sie los und stürzten sich wie ein Keil zwischen die völlig überrumpelten Gegner. Blacky flankte über das Steuerbordschanzkleid und trat gleichsam nebenbei einem Spanier in den Hintern, der erschrocken herumgefahren war. Sam Roskill hatte einen zweiten Don fast erwürgt, riß ihm den kurzen Säbel aus der Scheide und begann, um sich zu schlagen und die zweite Jakobsleiter freizukämpfen, damit die restlichen Seewölfe in Ruhe auf entern konnten. An Backbord beugte sich gerade Stenmark über das Schanzkleid, um auch Carberry hochzuziehen. Der Profos grinste glücklich, warf einen raschen Blick in die Runde und stürmte mit einem urigen Kampfschrei über die Kuhl. Ferris Tucker hatte mit einem einzigen kräftigen Rundschlag mit Batutis Morgenstern die Stelle freigelegt, wo die andere Jakobsleiter angeschlagen war. Sam Roskill glaubte, den Luftzug gespürt zu haben, und drohte dem rothaarigen Hünen an, ihm gleich mit dem Morgenstern den Schädel weichzuklopfen. Vorerst allerdings wurde sein eigener Schädel weichgeklopft. Einer der Spanier hieb mit einem Belegnagel zu, und Sam lernte die Lektion, daß man mitten in einem Enterkampf keine Debatten anfängt. Der Spanier stieß einen Triumphschrei aus, der zu einem dumpfen Gurgeln wurde, als Stenmark ihm die Faust an den Schädel knallte. Zwei Schritte entfernt schwang Hasard eine Handspake und trieb damit einen Giftzwerg von Don vor sich her, der ihn mit seinem Degen aufspießen wollte. Beim dritten Spakenhieb brach die Klinge mit einem hellen Klirren. Fassungslos stierte der Spanier auf den schäbigen Rest seiner Waffe, und Hasard konnte ihn in aller
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Ruhe am Kragen packen und außenbords feuern. Elegant schwang der Seewolf herum und widmete der Situation auf der Kuhl einen kurzen Blick. Ein Spanier außenbords und fünf bewußtlos auf den Planken. Nein, sechs der Bursche, dem Big Old Shane da gerade die Faust auf die Nase setzte, würde auch nicht wieder aufstehen. Ed Carberry reckte den Kopf und suchte nach einem Gegner, bei dem sich die Mühe lohnte. Dem Don, der sich von der Seite an ihn heranschlich, trat der Profos die Beine weg, ohne hinzusehen. Der Bursche hielt einen Dolch in der Faust, und Carberry mußte wohl aus den Augenwinkeln den blitzenden Lichtreflex auf der Klinge gesehen haben. Kopfschüttelnd wandte er sich um. „Tz, tz“, sagte er, stampfte einmal kurz mit dem Fuß auf, und für zwei Sekunden übertönte das Schmerzensgeheul des Mannes mit dem Dolch alles andere. In diesen zwei Sekunden setzte Jeff Bowie einen Spanier mit seinem. Haken außer Gefecht, und Matt Davies geriet ein bißchen durcheinander, als er seine linke Faust auf einen Kopf donnerte, der von einem Helm geschützt wurde. Matt brüllte erbittert, weil er sich die Hand verstaucht hatte. Der Spanier war plötzlich blind, denn der Eisenhut war ihm über die Nase gerammt worden. Ed Carberry nahm sich des herumtorkelnden Mannes an und trat ihm in den Hintern, womit der zweite außenbords war. Ebenfalls binnen dieser ereignisreichen zwei Sekunden enterte der Ausguck aus dem Großmars ab und sprang Big Old Shane ins Genick, was er besser nicht getan hätte. Der Schmied von Arwenack stand wie ein Baum, feuerte einen Ellenbogen nach hinten - und der vorwitzige Don krachte mit dem Hinterkopf an die Oberkante des Schanzkleids. Neun Spanier waren bereits außer Gefecht, als die restlichen sieben erst aus dem Vorkastell stürmten.
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Sie stürmten mit Gebrüll und schwangen Handspaken und Belegnägel. Alle sieben sahen sehr wild aus, aber der erste, auf den sie trafen, war Philip Hasard Killigrew, der Seewolf. „Laß uns auch noch welche übrig, verdammt!“ schrie Carberry erbittert, als die ersten zwei Spanier am Boden lagen. Hasard grinste, packte den nächsten Mann am Kragen und wirbelte ihn so herum, daß er mit seinen Beinen einen der eigenen Kumpane umsäbelte. Danach warf er den kreischenden Mann Carberry zu, und der Profos wartete, bis sich der Bursche von den Planken aufrappelte, damit er wenigstens ein bißchen Spaß hatte. Die letzten Spanier wichen bis zum Schott des Vorkastells zurück und hatten bleiche Gesichter. Hasard grinste sie an und zeigte sein Wolfsgebiß. Die Burschen begannen zu schlottern. Ein Belegnagel polterte auf die Planken, - und eine Viertelsekunde später folgten die beiden Handspaken. „Mist“, sagte Carberry. „Die hätte ich alle drei zum Abendbrot verspeist.“ „Tröste dich, es gibt -noch mehr Spanier“, sagte Hasard trocken. „Durchsuchen und entwaffnen!“ Seine Handbewegung erfaßte die ganze Kuhl, auf der der kurze Kampf getobt hatte. „Der Capitan von diesem Waschzuber fehlt noch.“ „Der liegt in der Koje und hat sich die Decke über den Kopf gezogen“, meinte Ferris Tucker. „Oder er sitzt auf der Koje und zielt mit der Pistole auf die Tür. Also Vorsicht, ja? Verdammt noch mal, Matt, was ist denn mit dir los?“ Matt Davies schlenkerte mit schmerzverzerrtem Gesicht seine einzige Hand. Heillose Wut stand in seinen braunen Augen. „Meine Linke ist gestaucht!“ knirschte er. „Diese Rübenschweine mit ihren dreimal verdammten Helmen!“ „Erst denken, dann schlagen“, empfahl Hasard ungerührt. „Laß dich vom Kutscher verarzten. Ed, Smoky, Blacky, ihr pullt zur Insel und holt Bill, Arwenack und Sir John. Übrigens würde ich an eurer Stelle
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aufpassen. Ich wette nämlich, daß hier gleich die Luft bleihaltig wird.“ „Ha!“ knurrte Smoky. „Das wollen wir doch mal seh ...“ Er stockte jäh. Das Schott des Achterkastells flog auf, und Capitan Juan de Correggio erschien mit einer zweischüssigen Radschloß-Pistole auf der Szene. Sein Unterkiefer klappte herunter. Was er eigentlich zu sehen erwartet hatte; war Hasard schleierhaft. Auf jeden Fall nicht das, was er jetzt wirklich sah: eine verwüstete Kuhl, bewußtlose, tote und verletzte Männer und eine Horde furchterregender Gestalten, die die Situation eindeutig beherrschten. „Guten Abend“, sagte Hasard in formvollendetem Spanisch. „Du hast zehn Sekunden Zeit, die Waffe fallen zu lassen. Danach bist du Hackfleisch, mein Freund. Picadillo!“ Capitan Juan de Corregio war noch nie ein besonders mutiger Mann gewesen. Er schluckte. Aus flackernden Augen starrte er die wilden Kerle an, die wie aus dem Nichts auf seinem Schiff aufgetaucht waren: zwei Burschen, bei denen jeweils ein gefährlich blinkender Stahlhaken eine Hand ersetzte, ein graubärtiger Kerl, der wie ein Vorzeit-Riese aussah, ein Hüne mit einem wüsten, zernarbten Gesicht, der den Capitan anstarrte wie ein Tiger, der eine Beute erspäht hat. Juan de Correggio schluckte noch einmal beim Anblick des rothaarigen Kerls mit dem fürchterlichen Morgenstern. Und er schluckte ein drittes Mal, als sein Blick zu dem schwarzhaarigen Teufel zurückwanderte, dessen blaue Augen ihn anfunkelten wie pures Gletschereis. „Noch drei Sekunden“, sagte Hasard sehr leise und sehr gefährlich. „Wenn du schießen willst, würde ich an deiner Stelle die Hand ruhig halten. Sonst ballerst du Löcher in die Luft.“ Correggio blickte auf die Pistole in seiner Rechten. Die Pistole zitterte. Und nicht nur die Pistole. Capitan Juan de Correggio, treuer Diener Seiner Allerkatholischsten
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Majestät, des Königs von Spanien, gelangte in diesem Augenblick zu der Erkenntnis, daß es vielleicht doch nicht so erstrebenswert war, ein toter Held zu werden. „Noch zwei Sekunden“, sagte Hasard sanft. Und ehe er ganz ausgesprochen hatte, polterte die Pistole auf die Planken. Juan de Correggio schloß schicksalsergeben die Augen. Und Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien, hatte von diesem Moment an eine Karavelle weniger, die für ihn in die Neue Welt gesegelt war, um sie auszuplündern. 10. „Zehn Minuten später schallte Ed Carberrys Donnerstimme über das dunkle Wasser. „Hool weg! Hoool weg! Wollt ihr wohl pullen, ihr müden Helden? Was denkt ihr, wie lange wir mit dem Schiffchen hier herumliegen wollen, verdammt und zugenäht?“ Hasard lächelte leicht, als er wieder auf die Kuhl hinuntersprang. Zusammen mit Ben Brighton und Ferris Tucker hatte er die Karavelle einer ersten kurzen Musterung unterzogen und festgestellt, daß sie ein schnelles, zuverlässiges, rank und wendig gebautes Schiff war. Mochte Capitan Correggio auch ein schlechter Seemann sein - auf Ordnung und penible Sauberkeit mußte er wohl großen Wert legen. Die Geschütze drei an jeder Seite, Vierpfünder mit gegossenen Bronzerohren - waren bestens gepflegt, genau wie die Serpentinen vorn und achtern. Al Conroy fand am Zustand der Armierung nichts auszusetzen, wenn sie sich auch gegen die der „Isabella“ eher bescheiden ausnahm. Ferris Tucker hatte festgestellt, daß der Kasten hundertprozentig dicht war, und die Vorräte an Proviant, Pulver, Munition und Waffen konnten sich ebenfalls sehen lassen.
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Und noch etwas hatte Hasard entdeckt: einen sehr großen, sehr dicken Mann, der beim Geräusch der Schritte nicht mit Gebrüll, sondern mit salbungsvollen Bibelsprüchen aus der Vorpiek hervorbrach. Der einunddreißigste Mann an Bord war Kaplan und wurde von den Spaniern auf der Kuhl nicht gerade freundlich empfangen. Die Sprache verschlug es ihm nicht: Hasard hörte amüsiert zu, wie der Bursche etwas von „gerechter Strafe des Himmels“, Fluchen und Saufen und einem halben Dutzend anderer Sünden faselte, die die jetzige Katastrophe verursacht hätten. Unterdessen war das Boot längsseits gegangen, und die Seewölfe enterten auf. Sir John hockte sichtlich zufrieden auf Ed Carberrys Schultern, und Arwenack fegte keckernd über die Kuhl, in der vergeblichen Hoffnung, seinen Freund Dan zu entdecken. Der Kaplan warf einen Blick auf das braune, zottige Biest, bekreuzigte sich und jumpte außenbords. Wie ein Hund paddelte er in Richtung auf die Landzunge. Hasard lächelte den Capitan an und wies einladend auf das Schanzkleid. „Sie dürfen schwimmen“, sagte er trocken. „Auf der Insel haben wir Waffen zurückgelassen. Ihr erster Offizier weiß, wo sie liegen. Es gibt Trinkwasser, und Sie werden nicht verhungern, bis man Sie findet. Ferris, wirf zwei Balken außenbords, damit die Gentlemen ihre Toten und Verwundeten mitnehmen können.“ Tucker nickte nur. Minuten später klatschten zwei Balken ins Wasser, und die ersten Spanier sprangen mit grimmigen Gesichtern über das Schanzkleid. Es hatte nur einen Toten gegeben, und, die meisten von den Verletzten waren lediglich zerschrammt und mehr oder weniger benommen. Die meisten schienen froh zu sein, daß sie überhaupt mit dem Leben davonkamen. Der einzige, der jammerte und protestierte, war der Capitan. Aber als Jeff Bowie die Absicht erkennen ließ, ihn ein bißchen mit
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seinem Haken zu kitzeln; raste auch er wie angestochen über die Kuhl und jumpte außenbords. Mit ein paar langen Schritten stand Philip Hasard Killigrew wieder auf dem Achterkastell, warf das schwarze Haar zurück und witterte in den Wind. Hatte es wirklich aufgebrist, oder erschien ihm das nur so; weil er endlich wieder Planken unter den Füßen hatte? Sein Blick glitt über das Schiff, über die funkelnden Augen seiner Männer, und mit einem tiefen Atemzug reckte er die Schultern. „Übernimm das Ruder, Pete! Klar hei Anker, klar bei Brassen und Fallen! Na los, hoch mit dem Anker, oder wollt ihr hier übernachten?“ Die Männer grinsten. Ed Carberry begann in gewohnter Weise zu toben, lüftete die Ankergasten an und brüllte, ob sich Stenmark und Bob Grey einbildeten, der verdammte Besan setze sich von selber — was, wie? „Auf und nieder!“ ertönte Ben Brightons Stimme von der Back. „Aus dem Grund!“ Bob Grey und Stenmark hingen am Besanfall, die Brassen waren zum Laufen klargelegt. Knatternd entfaltete sich das große dreieckige Lateinersegel, Pete Ballie legte Ruder, und der einfallende Wind drückte das Heck der Karavelle über Steuerbordbug von der Landzunge weg. „Hoch mit der Fock! Anluven auf den anderen Bug, Pete! Recht so!“ Die „Santa Monica“ ging über Stag, knarrend schwangen Fockrah und Gaffelrute herum. Mit halbem Wind zog die Karavelle an der vorspringenden Landzunge vorbei, die Insel blieb achteraus, und Hasard ließ Blinde, Großund Marssegel setzen. Wie eine verlorene Hammelherde standen die Spanier zwischen den Felsen und starrten ihrem Schiff nach. Die „Santa Monica“ rauschte mit halbem Wind über Backbordbug nordwärts. Der Kurs war klar. Chiapas ! Das geheimnisvolle Land der Maya! Dorthin wollten die Piraten Jean Morros mit der „Isabella“ segeln, und dorthin würden
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ihnen die Seewölfe mit der gekaperten „Santa Monica“ folgen. Der Kutscher nahm sofort die Kombüse in Besitz, um endlich wieder eine ordentliche Mahlzeit zu kochen. Bill enterte in den Großmars. Hasard hatte ihm eingeschärft, die Augen offenzuhalten. Denn noch bestand die Möglichkeit, einem weiteren versprengten Schiff des spanischen Verbandes zu begegnen, und die „Santa Monica“ war alles andere als eine schwimmende Festung. Eine Viertelstunde später klang Bills helle Stimme aus dem luftigen Ausguck. „Deck!“ schrie er erregt. „Schiff Steuerbord voraus! Ich glaube, es ist ein Viermaster!“ Hasard hob den Kopf. Ein Viermaster? Hatte der schwarze Segler sie am Ende doch noch gefunden? Mit einem Sprung setzte der Seewolf auf die Kuhl, enterte in den Hauptmars und suchte mit dem Spektiv die Kimm ab. Ein paar Sekunden später atmete er tief durch. Es war der schwarze Segler. Unverkennbar, schon weil er fast mit der Nacht verschmolz. Er glitt über das Wasser wie ein unheimlicher dunkler Schatten. Hasard enterte wieder ab und nickte Ben Brighton zu, der ihm gespannt entgegenblickte. „Na bestens!“ sagte der Bootsmann zufrieden. Hasard lächelte. „Oder auch nicht! Abwarten, Ben!“ „He, verdammt! Wieso ...!! Ben Brighton brach ab. Denn auch ihm war eingefallen, daß sie sich schon einmal in einer ganz ähnlichen Situation befunden hatten. Damals, bei der Insel der Steinernen Riesen war ihnen um eine Kleinigkeit zu spät eingefallen, daß Siri-Tong und der Wikinger sie nicht auf einem spanischen Schiff vermuteten. Und ehe sie den Irrtum aufklären konnten, hatte ihnen der schwarze Segler schon die Beutegaleone unter den Füßen weggeschossen.
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Damals war das nicht sonderlich schlimm gewesen, weil die „Isabella“ beigedreht auf sie wartete. Diesmal durfte es nicht passieren. Hasard seufzte leicht.. „Streicht die Flagge!“ befahl er. „Und dann mannt ein paar Laternen an Deck! Aber ein bißchen plötzlich, sonst geht der Kahn hier gleich auf Tiefe.“ * „Klar Schiff zum Gefecht!“ gellte die Stimme der Roten Korsarin durch die Dunkelheit. „Klar Schiff, ihr müden Kakerlaken!“ brüllte Juan, der Bootsmann, drüben auf dem Vordeck. „Cookie, das Kombüsenfeuer aus! Klar bei Backbordund Steuerbordgeschützen! Hilo. Jonny, Diego — wollt ihr wohl die verdammten Kugeln und Kartuschen mannen, oder glaubt ihr, die kriegen Beine und kommen von selbst, ihr Idioten?“ Der Wikinger grinste. Neben ihm starrte Siri-Tong geradeaus, das Gesicht hart und gespannt wie eine Marmormaske. Vor ein paar Minuten hatte Mike Kaibuk im Großmars das Holzkreuz entdeckt, das unter dem Bugspriet der fremden Karavelle baumelte. Für den schwarzen Segler mit seinen zwölf schweren Geschützen an jeder Seite war der Dreimaster dort vorn nur ein Schiffchen, ein weit unterlegener Gegner. Aber auch ein unterlegener Gegner konnte eine Menge Kleinholz verursachen, bevor er auf Tiefe ging — und Siri-Tong hatte noch mehr als genug von der Begegnung mit der „Isabella“. „Alle Geschütze klar?“ fragte sie scharf. „Klar!“ schrie der Boston-Mann. „Klar!“ echoten Eike, Olig, Arne und der Stör, die an der Backbordseite als Geschützführer fungierten. „Gut, Männer! Wir laufen unter Vollzeug auf die Karavelle zu. Sie werden versuchen, an unserem Bug vorbeizuscheren, um uns aus der Luvposition anzugehen. Dem kommen wir zuvor, indem wir abfallen und ihnen eine volle Breitseite servieren. Arne, Stör,
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Boston-Mann —ihr stanzt ihnen ein paar Löcher mittschiffs in die Wasserlinie. Die anderen halten auf die Stückpforten. Sie werden schneller auf Tiefe gehen, als sie denken können.“ „Bei Odin, das werden sie“, murmelte der Wikinger. „Wenn sie nicht schon vorher alle vor Schrecken umfallen, diese lausigen Kastanienfresser!“ Er setzte das Spektiv an und schüttelte den Kopf. „Drei Kanönchen an jeder Seite! Und vorn sehe ich zwei lächerliche Serpentinen. Diese armen Irren!“ „Abentern, Mike!“ rief die Rote Korsarin zum Großmars hinauf. „Aye, aye, Madam !“ Mike Kaibuk verließ seinen luftigen Posten. Siri-Tong ließ noch einen prüfenden Blick über das Geschützdeck wandern. Der Wikinger spähte angestrengt durch das Spektiv — und plötzlich ging ein Ruck durch seinen mächtigen Körper. „Ha!“ schrie er. „Der Don streicht die Flagge!“ „Er streicht die Flagge? Zeig her!“ Siri-Tong schnappte sich das Spektiv und starrte zu der Karavelle hinüber. Tatsächlich: Der vermeintliche Spanier hatte die Flagge gestrichen. Seine Stückpforten blieben geschlossen, jetzt flammten auf Achterdeck und Kuhl ein paar Laternen auf. Die Karavelle schien sich kampflos ergeben zu wollen, aber als Siri-Tong das Spektiv absetzte, funkelten ihre schwarzen Mandelaugen vor Mißtrauen. „Das ist ein schmutziger Trick“, erklärte sie kategorisch. „Laß die Stückpforten öffnen, Thorfin. Wir werden ...“ Der riesige Wikinger warf ihr einen Blick zu und kratzte seinen Kupferhelm. „Eh!“ knurrte er. „Und wenn er sich nun wirklich ergeben will?“ „Sollen wir riskieren, daß er uns auch noch die letzte Rah abrasiert, die wir an Bord haben?“ „Hölle und Verdammnis! Und einen wehrlosen Gegner in Fetzen schießen — sollen wir das, in drei Teufels Namen?“ Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihre Mandelaugen funkelten den Wikinger
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an. Aber sie sagte nichts, sondern starrte stattdessen wieder durch das Spektiv nach vorn, wo die Karavelle inzwischen deutlicher zu erkennen war. „Und ich sage dir, es ist ein Trick!“ stieß sie durch die Zähne. „Klar“, erwiderte Thorfin Njal. „Und die Laternen zünden sie an, damit wir besseres Licht zum Zielen haben.“ „Es ist ein Trick! Sie wollen uns in Sicherheit wiegen, nahe genug heransegeln und ...“ Sie verstummte. Thorfin warf ihr einen Seitenblick zu. Er sah, wie sich ihre Züge von einer Sekunde zur anderen entspannten und die dunklen Augen plötzlich aufleuchteten. Als die Rote Korsarin endlich ihre Sprache wiederfand, konnte sie den Wikinger schon nicht mehr überraschen. „Die ,Isabella`-Crew“, sagte sie tonlos. Und lauter: „Klar bei Brassen und geitauen! Es sind die Seewölfe! Sie haben sich ein spanisches Schiff unter den Nagel gerissen!“ Einen Augenblick war es Still, dann brandete jäher Jubel auf. Ein Jubel, der von Bord der Karavelle erwidert wurde. „Arwenack!“ dröhnte es wie Donnerrollen über das Wasser. „He, ho!“ brüllte der Wikinger begeistert und schwenkte die Arme. In den nächsten Minuten schien mitten in der Stille der Nacht ein Naturereignis abzurollen und die Besatzungen der beiden Schiffe nur noch aus Verrückten zu bestehen. Nur die Rote Korsarin starrte reglos durch das Spektiv. Ihr Blick suchte den Mann, der hoch aufgerichtet auf dem Achterkastell der Karavelle stand. Den Seewolf! Sein schwarzes Haar flatterte im Wind, die Augen funkelten. Für einen Moment glaubte die Rote Korsarin, den Blick dieser eisblauen Augen ganz deutlich zu fühlen, und sie konnte nicht verhindern, daß ihr Herz plötzlich wie ein gefangener Vogel zu flattern schien. *
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Eine Viertelstunde später pullten SiriTong, Thorfin Njal, Juan und der Boston-Mann in einem Beiboot des schwarzen Seglers zu der Karavelle hinüber. Die Rote Korsarin schwang sich als erste über das Schanzkleid. Der Seewolf war auf der Kuhl erschienen. Für eine endlose Sekunde tauchten ihre Blicke tief ineinander, aber weder Hasard noch SiriTong wären auf die Idee verfallen, sich hier und jetzt vor versammelter Mannschaft so zu begrüßen, wie sie es sich eigentlich gewünscht hätten. Als sie sich die Hand reichten, waren sie, zumindest äußerlich, nichts weiter als zwei Verbündete, die sich nach langer Trennung wiedergefunden hatten. Daß sich die Männer wesentlich stürmischer begrüßten, war etwas anderes. Der Wikinger hieb Hasard krachend seine Pranke auf die Schulter und röhrte, wieso, bei Odins Raben, er sich die „Isabella“ habe klauen lassen. Hasard verpaßte dem bärtigen Riesen einen freundschaftlichen Magenhaken, der ihm die Luft aus den Lungen trieb, und fragte ihn, seit wann der die Flöhe husten höre. Daß eine Ration Rum für alle ausgeteilt wurde, verstand sich von selbst. Das allgemeine Begrüßungs-Hallo hatte sich immer noch nicht gelegt, als Siri-Tong, der Seewolf, Ben Brighton und Thorfin Njal wenig später in Hasards Kammer im Achterkastell saßen. Der Wikinger nahm einen tiefen Schluck Rum und atmete auf. „So“, brummte er. „Und jetzt erzählt mal, wer neuerdings mit der guten alten ‚Isabella’ über den Pazifik segelt.“ „Ihr seid ihr begegnet?“ fragte Hasard erstaunt. „Begegnet? Ha! Die hätten unseren ‚Drachen’ beinahe zu Kleinholz verarbeitet. Das Verhältnis war etwas ungleich. Wir hatten Bierfässer und Rumbuddeln klargestellt, und die anderen waren gefechtsbereit“-
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Seewölfe 117 44
„Und was ist von der ‚Isabella’ übriggeblieben?“ fragte Ben Brighton mit leicht belegter Stimme. „Na, was wohl?“ Der Wikinger grinste. „Glaubt ihr vielleicht, wir zerschießen unseren alten Freunden das Schiff? Nein, die ‚Isabella’ schwimmt noch! Sie konnte sogar ganz schön flott abhauen, während wir wie eine flügellahme Ente im Wasser lagen, sonst wären wir nämlich geentert und hätten Fischfutter aus den Kerlen gemacht. Nach Westen sind sie abgehauen. Aber das können sie natürlich auch getan haben, weil sie vor dem Wind verschwinden wollten, bevor wir sie doch noch auf Tiefe schickten.“ „Stimmt“, sagte Hasard. „Sie wollen nach Norden, nach Chiapas ...“ In kurzen Worten erzählte er, was alles geschehen war, seit der Sturm die „Isabella“ von dem schwarzen Segler getrennt hatte. Thorfin Njal und die Rote Korsarin hörten schweigend zu, und Siri-
Die Irrfahrt der „Isabella“
Tongs Augen wurden sehr schmal, als Hasard von Dans und Batutis Entführung berichtete. Danach war die Besprechung im Achterkastell ebenso schnell zu Ende wie die Wiedersehensfeier im Vorschiff. Sie alle brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. Der Kurs war klar. Und klar war auch, daß sie sich beeilen mußten, wenn sie noch eine Chance haben wollten, Jean Morros Piratenbande einzuholen. Siri-Tong und ihre Leute setzten wieder mit dem Boot über. Auf beiden Schiffen wurden Segel gehißt, schallten Kommandos, flitzten die Männer über die Decks, und wenig später liefen der große, düstere Viermaster mit den schwarzen Segeln und die kleine Karavelle bereits mit halbem Wind über Backbordbug nach Norden. Jean Morro, der Bretone, hatte den Kampf schon so gut wie verloren...
ENDE