ÜBER DAS BUCH!
Foresters berühmt gewordener Tatsachenbericht gibt mit minutiöser
Genauigkeit wieder, was sich an den ...
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ÜBER DAS BUCH!
Foresters berühmt gewordener Tatsachenbericht gibt mit minutiöser
Genauigkeit wieder, was sich an den neun Tagen vor dem 27. Mai 1941
– der Versenkung des mächtigsten deutschen Schlachtschiffs – auf engli scher Seite ereignete. Er nimmt uns mit in die Diensträume der britischen Admiralität in London und Schottland, wo die Treibjagd auf die Bis marck geleitet wurde, angespornt von Premier Churchill selbst. Und er zeigt uns, wie diese Befehle an Bord der englischen Kriegsschiffe in die Tat umgesetzt wurden. Wir erleben die triumphale Versenkung der Hood und die ganze erdrückende Übermacht, der die Bismarck zuletzt erlag. Das Buch ist ein Denkmal für die über dreitausend Toten auf beiden Seiten und bei gewissenhafter Wahrung der historischen Tatsachen so spannend geschrieben, daß es von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Acht Übersichtskarten veranschaulichen die Schiffsbewegungen in der Dänemarkstraße und im Atlantik. DER AUTOR: Cecil Scott Forester wurde am 27.8.1899 als Sohn eines britischen Re gierungsbeamten in Kairo geboren, aber in England erzogen. Ein Medi zinstudium brach er ab, um freier Schriftsteller zu werden. Er war Korre spondent der Londoner »Times«, bereiste ganz Europa und nahm auch am spanischen Bürgerkrieg teil. Schrieb seit Mitte der zwanziger Jahre Abenteuerromane, Reiseberichte und Biographien, sein Hauptwerk ist jedoch der marinehistorische Romanzyklus um den Nelson nachempfun denen Seehelden Horatio Hornblower. Forester starb 1966 in Kaliforni en.
C. S. Forester
Die letzte Fahrt der
Bismarck
ein Ullstein Buch
Scan von Kaahaari ein Ullstein Buch/maritim Nr. 22.430 Herausgegeben von J. Wannenmacher im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin
Titel der englischen Originalausgabe: Hunting the Bismarck Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz
Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann Umschlagillustration: C. A. de Vries: Schlachtschiff Bismarck, entnommen dem Buch »Maler der See« von Prof. Dr. Jörgen Bracker, Dr. Michael North und Peter Tamm, Koehlers Verlagsgesellschaft m.b.H. Herford 1980 Alle Rechte vorbehalten Taschenbuchausgabe in Vereinbarung mit C. S. Foresters Erben © I959C. S. Forester © Übersetzung 1960 Wolfgang Krüger Verlag GmbH / S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt/M. Printed in Germany 1990 Druck und Verarbeitung: Ebner Ulm ISBN 3-548-22.430-X Oktober 1990
Vom selben Autor in der Reihe der Ullstein Bücher:
Fähnrich zur See Hornblower (422)
Leuntnant Hornblower (22.441)
Hornblower wird Kommandant (462)
Der Kapitän (481)
An Spaniens Küsten (502)
Unter wehender Flagge (529)
Der Kommodore (555)
Lord Hornblower (570)
Hornblower in Westindien (598)
Hornblower auf der Hotspur (2651)
Zapfenstreich (2834)
Brown von der Insel (21.009)
Die »African Queen« (21.015)
Die Kanone (21.083)
Tod den Franzosen! (21.092)
Zahlungsaufschub (10.564)
Glatter Mord (l0612)
CIP-Titelaufnahme
der Deutschen Bibliothek
Forester, Cecil Scott:
Die letzte Fahrt der Bismarck / C. S. Forester. [Aus d. Engl. von Eugen
von Beulwitz]. – Frankfurt/M; Berlin: Ullstein, 1990
(Ullstein-Buch; Nr. 22.430: Maritim)
Einheitssacht.: Hunting the Bismarck
›dt.›
ISBN 3-548-22.430-X
Diese Seiten künden von verzweifeltem Wagemut und glühender Vater landsliebe, von einem gewaltigen Spiel um die Weltherrschaft, ausgetra gen auf dem grünen Spieltisch des Ozeans, einem Spiel auf Leben und Tod für Tausende tapferer Männer. In der Weite des Atlantiks entwickelte sich eine Verfolgungsjagd, die in der Seekriegsgeschichte aller Zeiten nicht ihresgleichen hat. Dabei wurden Gefechte ausgetragen, die dem Besiegten ebenso zur Ehre ge reichten wie dem Sieger, in deren Verlauf ungeahnte Rückschläge durch unwahrscheinliches Glück ihren Ausgleich fanden. Sechs Tage lang währte diese Jagd, Tage, erfüllt von brüllendem Sturm, von schäumenden grauen Seen und niedrig hängenden Wolken, Tage ohne einen einzigen Sonnenstrahl, der den Schauplatz der Tragödie in freundliches Licht getaucht hätte. Alle Mitspieler in dieser Tragödie, die ihre Rollen auf See zu spielen hatten, taten dies in einem Inferno von heulendem Wind, schäumenden Brechern, fliegendem Gischt und bitterer Kälte. Und all das spielte sich ab, während in der übrigen Welt eine wichtige historische Entscheidung nach der anderen fiel, wä hrend sich England mutterseelenallein und fast schon umzingelt gegen einen unvorstellbar mächtigen und gehässigen Feind zur Wehr setzen mußte. Damals hatte England keine Bundesgenossen mehr, aber es stand dennoch furchtlos seinen Mann, wachsam und auf der Hut, obwohl die Rotationspressen aller Länder die Welt täglich mit Schlagzeilen überschwemmten, die die Schrecken von gestern meldeten und ähnliche Schrecken für morgen voraussagten. ‹Englands letzter Verbündeter geschlagen! Griechenland überrannt!› wußte eine dieser Schlagzeilen zu berichten. ‹Überfall auf Kreta›, lautete eine andere. ‹Jugoslawien niedergekämpft.› ‹Die Englän der in vollem Rückzug in Nordafrika.› ‹Rommel rückt vor.› ‹Wird Hitler in Spanien einfallen?› ‹Deutsche Unterseeboote melden gewaltige Erfol ge im Nordatlantik.› ‹Scharnhorst und Gneisenau liegen in Brest klar zum Auslaufen.› ‹Neue Luftangriffe erschüttern England.› Auch die Kriegskarten, die die Tageszeitungen auf ihren Titelseiten veröffentlich ten, zeigten deutlich genug, wie die schwarzen Flächen nationalsoziali 6
stischer Eroberungen in unheimlichem Tempo eine Landesgrenze nach der anderen übersprangen. Zu eben diesem Zeitpunkt, da Englands Hilfsquellen ohnedies aufs äu ßerste angespannt waren und sein Durchhaltewille kaum noch eine weite re Belastung vertrug, traf der Feind Vorbereitungen, einen neuen, ve r nichtenden Schlag gegen seine lebenswichtigen Seeverbindungen zu führen. Das Schlachtschiff Bismarck machte in Kiel seeklar, um nach einer verlängerten Probefahrts- und Ausbildungsperiode in der Ostsee zu einer Feindunternehmung auszulaufen. Die Bismarck war das größte, das gefährlichste, das modernste Kriegsschiff, das je vom Stapel gelaufen war. Jetzt wurden Vorräte und Ausrüstung ergänzt, man stopfte in das Schiff hinein, was seine Lasten, seine Munitionskammern und seine Bunker irgend aufnehmen konnten. Fleisch in Massen wanderte in die Kühlräume, Mehl und Gemüse füllten die Proviantlasten, Öl die Bunker, Frischwasser die Tanks, als Wichtigstes von allem aber gab es Munition. Ein geschäftiger kleiner Dampfzug brachte eine lange Kette von Güter wagen längsseit, sie enthielten die unheimlichen 38 cm Granaten, von denen jede einzelne dreiviertel Tonnen wog und deren bloßer Anblick einen Begriff von ihrer tödlichen Sprengkraft gab. Der Ladebaum des Schiffs hob sie an, schwenkte sie durch die Luft und fierte sie durch alle Decks bis in die tief unter der Wasserlinie gelegenen Granatkammern. Während dies noch im Gange war, kam eine Abteilung in geschlosse ner Ordnung anmarschiert, um die Besatzung des Schiffes zu verstärken – oder zum mindesten zu ergänzen. Diese Kolonne bestand aus blutjun gen, kaum dem Knabenalter entwachsenen Fähnrichen. Es handelte sich um frischbeförderte Seekadetten, sie waren voll Stolz auf ihren neuen Rang und ihre neuen Uniformen und setzten sich nun in frischem, exak tem Gleichschritt in Zweierreihen, um über die Stelling des Schiffes an Bord zu gelangen. Die Musikkapelle, die ihnen voranmarschiert war, machte am Fuß der Stelling halt und setzte ihr Spiel fort, während die jungen Männer an Bord marschierten und auf dem Achterdeck Aufstel lung nahmen. Der Offizier, der sie geführt hatte, trat an den Wachhaben den Offizier heran und meldete ihm die Abteilung an Bord. Ein kurzes 7
Kommandowort bewirkte, daß sie herumschwenkte und nun mit Front zur Brücke stand. In diesem Augenblick war die Granatübernahme been det. Der Werftbeamte, der die Übergabe der Munition beaufsichtigte, rief: «Letzte Granate!» «Letzte Granate!» wiederholte der Offizier an Deck und beantwortete das von Land gegebene Zeichen durch einen kurzen Wink mit der Hand. Die letzte 38 cm Granate schwang sich drohend und unheimlich an der Tross des Ladebaums binnenbords und versank wie ihre Vorgängerinnen in der Granatkammer. Die geschäftigen Gruppen der Werftarbeiter stell ten ihre Arbeit ein und verschwanden, die Musikkapelle marschierte mit klingendem Spiel dem Werfttor zu, so daß die Rhythmen ihres Marsches langsam in der Ferne verklangen. Admiral Lütjens, ein frischer, energi scher und tatkräftiger Mann, trat aus seiner Brückenkammer und ging raschen Schrittes an das Mikrophon auf der Brücke. Allem Anschein nach befanden sich auf der Pier nur noch die zum Bedienen der Leinen abgeteilten Matrosen. «Meine Herren», begann er, und die jungen Offiziersanwärter lauschten hingerissen auf seine Worte, die durch die Lautsprecher im ganzen Schif fe verbreitet wurden. Er hieß die Fähnriche willkommen und eröffnete ihnen, sie seien von höchster Stelle ausersehen worden, diese Reise mit zumachen, damit sie nach ihrer Rückkehr in der ganzen Marine von den Heldentaten berichten könnten, deren Zeugen sie geworden seien. Sie seien jetzt an Bord des neuesten und mächtigsten Kriegsschiffes, das die Meere befahre, und gingen mit ihm Abenteuern entgegen, die in der ganzen Welt Staunen und Bestürzung hervorrufen würden. In der ganzen britischen Marine gebe es kein Schiff, das der Bismarck im Einzelkampf gewachsen sei, es gebe auch kein größeres Schiff, das ihr zu entkommen vermöge. Vier Monate harter Ausbildung in der Ostsee hätten die Bis marck zum kampfkräftigsten Kriegsschiff der Welt gemacht. Der Atlan tik wimmle von britischen Geleitzügen – aber die Bismarck werde so wohl mit den Dampfern wie mit den geleitenden Kriegsschiffen kurzen Prozeß machen, zumal sie sich der Unterstützung der Prinz Eugen er freuen könne, die sie auf dieser ehrenvollen Unternehmung begleiten 8
werde. Die Queen Elizabeth und die Queen Mary, die stolzesten Han delsschiffe Englands, kreuzten den Atlantik wieder und wieder ohne Geleit, da sie sich auf ihre Geschwindigkeit verließen. Nun, die Bismarck sei noch schneller als diese beiden. Was werde die Welt sagen, wenn sie erfahre, daß die Queen Mary mit zehntausend Mann an Bord versenkt sei? Man brauche nur einen oder zwei solcher Schläge zu führen, und England werde nicht mehr wagen, ein Handelsschiff über See zu schik ken. Solange sich die Bismarck draußen im Atlantik halten könne, seien Englands Handelsverbindungen abgerissen und das englische Volk, das schon durch die Luftangriffe schwer in Mitleidenschaft gezogen sei, dem Hunger preisgegeben. Er selbst, Lütjens, habe schon einmal mit den Schlachtkreuzern Scharnhorst und Gneisenau den ganzen Atlantik durchmessen und dabei eine Viertelmillion Tonnen englischer Handels schiffe versenkt. Nun, mit der Bismarck, sei eine Versenkungsziffer von zwei Millionen Tonnen ein durchaus erreichbares Ziel. Das bedeute aber einen Schlag, von dem sich England niemals wieder erholen könne. Unterdessen trieb sich unten auf der Pier noch ein zurückgebliebener Arbeiter herum, der, halb versteckt zwischen Vorratsstapeln, irgendwe l cher Beschäftigung nachzugehen schien. Die durch Lautsprecher ve r stärkten Worte der Ansprache drangen gerade noch bis an sein Ohr. So bekam er zu hören, was der Admiral über den Vorstoß in den Atlantik, über die Queen Mary und über die Queen Elizabeth zu verkünden hatte. Wahrend die letzten Worte der Rede verklangen, schlenderte er langsam durch die Werft davon und machte auf jeden, der ihn sah, einen durchaus harmlosen, unschuldigen Eindruck. Seine Papiere, die er am Werfttor dem Polizisten vorwies, waren selbstverständlich in bester Ordnung. Inzwischen erhielten die Matrosen an den Leinen Befehl loszuwerfen, die Bismarck drehte und setzte sich mit Kurs nach See zu in Fahrt. Die Werftarbeiter drängten sich am Tor und beobachteten ihr Auslaufen, die Bordkapelle spielte dazu einen Marsch.
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In einer kleinen schwedischen Hafenstadt ragte eine lange Hafenmole weit in die See hinaus. Auf ihrer Brüstung hockte ein Mann in Zivilklei dern und fischte. Alles, was ihn umgab, zeigte ihm, wie ängstlich Schweden darauf bedacht war, seine Neutralität zu wahren, wie sehr es vor einem überraschenden Angriff auf der Hut war: Schwedische Solda ten und schwedische Küstenwächter patrouillierten ständig die Küste ab und starrten nach See hinaus. Der Mann saß Stunde um Stunde auf sei nem Platz, er aß in aller Gemütsruhe sein Mittagsbrot, er erneuerte den Köder und fing ab und zu sogar einen Fisch. Die Sonne ging zur Neige, und der Tag dieser nördlichen Breiten näherte sich seinem Ende, als er ein paar Schatten entdeckte, die sich im Süden gegen das letzte Tages licht abhoben. Da riß er das Doppelglas an die Augen, das er um den Hals hängen hatte, und starrte lange und aufmerksam auf die Objekte, die er ebe n entdeckt hatte, dann ruhte er die Augen eine Weile aus und hob das Glas von neuem. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es handelte sich um zwei fast gleiche Schattenrisse, einen größeren und einen kleineren. Das waren die Bismarck und die Prinz Eugen. Ihnen folgte ein ganzes Ge schwader von Handelsschiffen – im ganzen elf an der Zahl –, die offen bar zu ihnen gehörten. Jetzt zerlegte der Mann seine Angelrute, nahm seine Gerätschaften auf und eilte die Mole entlang nach Land zu. Er passierte die Kette der schwedischen Küstenwächter und ging am Post amt vorüber durch die Hauptstraße des kleinen Städtchens. Wenige Minuten später betrat ein nicht mehr ganz junger Engländer dieses Postamt, beschrieb mit hastigen Worten ein Telegrammformular und reichte es über den Schaltertisch. Das junge Mädchen dort las die Adresse und winkte durch einen kurzen Blick einen wartenden schwedi schen Polizisten herbei. Dieser trat sogleich herzu und begann den Auf geber des Telegramms zu befragen. Es war an eine Londoner Firma in Cheapside gerichtet, der Text lautete: ‹Grubenholz und Stangenholz steigend. Elf Punkte mindestens.› Das war alles. «Was ist das für eine Firma?» fragte der Polizist. «Holzimporteure – jedermann kennt diese Leute.» «Und was bedeutet dieses Telegramm?» 10
Der Engländer hatte eine zufriedenstellende Erklärung zur Hand und zeigte seine Papiere, dann hatte der Polizist nichts mehr dagegen einzu wenden, daß das Telegramm abging. Er entschuldigte sein Verhalten noch mit den Worten: «Schweden muß ängstlich darauf bedacht sein, daß seine Neutralität nicht verletzt wird. Sie werden dafür Verständnis haben, Sir.» Auf einem Londoner Telegraphenamt tickerte ein Empfänger, als das Telegramm durchkam. Eine Telegraphistin wollte damit so verfahren, wie sie es gewohnt war, aber die Aufsichtsbeamtin las die Adresse und wurde stutzig. «Einen Augenblick», sagte sie, griff eilig nach einem Aktenstück und fuhr mit dem Finger eine Liste entlang. Eine Minute später brauste ein Motorradfahrer durch die zerstörten Straßen Londons. Vo r der Admiralität sprang er von seinem Fahrzeug und lieferte den Umschlag mit dem Telegramm ab. Hier ging es nun rasch von Hand zu Hand, bis es einen Konteradmiral erreichte. Die Uhr zeigte jetzt acht Uhr morgens, man schrieb den 21. Mai. Der Admiral las: ‹Grubenholz und Stangenholz steigend.› Er warf einen Blick auf die Karte der Ostsee, die neben ihm an der Wand hing, suchte die Stadt, aus der das Telegramm gekommen war – es war Malmö –, und blätterte dann in einem Code. «Da haben wir’s», sagte er zu einem Kameraden. «Die Bismarck ist ausgelaufen, steuert nordwärts durch das Kattegatt. Hier.» Er deutete auf die Karte. «Sie hat in der Ostsee vier Monate lang geübt», sagte der Kamerad. «Höchste Zeit, daß wir etwas von ihr hörten.» «Die Prinz Eugen ist auch dabei», sagte der Konteradmiral, der wieder seinen Code zu Rate gezogen hatte. «Außerdem elf Handelsschiffe.» «Das würde darauf hindeuten, daß es sich um eine große Unterneh mung handelt.» «Ich werde das Telegramm jedenfalls sofort weitergeben.» 11
Der Konteradmiral eilte ins Lagezimmer und fand dort einen Admiral, der die Meldung entgegennahm und sich alsbald dazu zu äußern begann, indem er mit dem Bleistift langsam von Punkt zu Punkt über die Karte fuhr. «Die Bisma rck ist also unterwegs. Nun, sie hätte sich einen schlimme ren Augenblick dafür auswählen können, allerdings keinen viel schlim meren. Aber der Gegner pflegt uns ja nicht zu fragen, wann uns seine Unternehmungen gelegen kommen. Sie wissen doch, daß soeben der 12
Angriff auf Kreta begonnen hat? Cunningham ist also im östlichen Mit telmeer voll beschäftigt. Und Somerville hat in Gibraltar auch alle Hände voll zu tun. Die Scharnhorst und die Gneisenau liegen in Brest, wir müs sen darauf gefaßt sein, daß sie jeden Augenblick ausbrechen. Hier und hier und hier, allenthalben im Atlantik stehen unsere Geleitzüge. Die Prince of Wales steckt noch mitten in der Ausbildung, sie ist noch längst nicht damit zu Ende. Man kann sie beim besten Willen noch nicht als einsatzfähig bezeichnen. Das gleiche ist mit der Victorious der Fall. Was wird die Bismarck weiter unternehmen, wenn sie in die offene See ge langt? Wir hören, daß sie Handelsschiffe bei sich hat. Nun, vielleicht bringt sie diese nur nach Norwegen, aber wir müssen auf alles, auch auf das Schlimmste, gefaßt sein. Da liegen die Färöer. Und hier liegt Island. Da wie dort wäre ein Angriff unangenehm nein, schlimmer, er wäre eine Katastrophe. Und wenn die Bismarck versuchte, in den Atlantik durch zubrechen? Welchen Weg würde sie dazu wählen? Den Pentland Firth? Fair Island? Die Passage östlich der Färöer? Oder die westlich davon? Geht sie durch die Dänemark-Straße? Was hat sie vor? Wir haben volle tausend Meilen Seeraum zu überwachen, aber verdammt wenig Schiffe zur Verfügung, die diese Aufgabe erfüllen können.» «Und keines dieser Schiffe ist der Bismarck auch nur entfernt gewach sen, Sir», sagte der Konteradmiral. «Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern.» Die beiden Flaggoffizie re betraten das Dienstzimmer des Admirals. «Wie dem auch sei», fuhr dieser fort, «lassen Sie das Coastal Command* sofort an die Arbeit ge hen. Ich brauche Luftaufklärung der norwegischen Küste. Ich brauche Luftaufnahmen. Dieses Telegramm ist jetzt acht Stunden alt. Die Bis marck könnte» – der Zirkel beschrieb einen Kreis auf der Karte – «ir gendwo südlich Bergens stehen. Wir brauchen also Aufnahmen von jedem verdächtigen Fahrzeug zwischen Bergen, dem Oslo Fjord und der Gegend südlich davon.» «Ich werde dem Coastal Command entsprechenden Befehl geben, Sir.» * Anm. d. Übers.: ‹ Coastal Command› Verband der Royal Air Force zur Aufklärung im Küstenvorfeld, zu Angriffen in diesen Gewässern und für den Minendienst.
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Es war jetzt neun Uhr vormittags. Die Aufklärungsflugzeuge starteten donnernd zur Erfüllung ihrer Auf gabe und suchten die ganze zerklüftete Küste Südnorwegens ab. Der Führer einer dieser Maschinen glaubte im Grimstad Fjord südlich von Bergen etwas zu sehen; er beschrieb einen Kreis, um sich zu vergewi s sern, was er vor sich hatte, und photographierte dieses Objekt. Zugleich las er von seiner Armbanduhr die Zeit ab – ein Uhr fünfzehn. Dann trat er den Rückflug an. An Bord der Bismarck hatte man das Flugzeug mit dem Radarapparat entdeckt und die Flugzeugabwehrgeschütze besetzt. Die überzähligen Fähnriche stürzten schon voller Spannung an Deck, um das Gefecht zu beobachten. Aber sie hatten nur eben Zeit, den Typ des feindlichen Flug zeugs – eine ‹Schpitfeuer› – zu erkennen, dann war es schon wieder verschwunden. Der Flugzeugführer landete und kletterte aus seiner Maschine. «Zwei Kreuzer im Grimstad Fjord», waren seine ersten Worte an die Neugieri gen, die ihn begrüßten. Sie griffen sofort nach seiner Kamera und eilten damit davon. Ruhige Hände nahmen den Film heraus, entwickelten ihn, kopierten ihn und vergrößerten die Abzüge, während die Zeiger der Uhr rastlos über das Zifferblatt weiterkrochen, so daß nach der Landung des Flugzeuges um zwei Uhr fünfundvierzig Minuten eine gute halbe Stunde verstrichen war, ehe die Vergrößerungen in die Hände der Sachverstän digen gelangten. «Zwei Kreuzer?» sagte einer von diesen. «Nein, das sind die Bismarck und die Prinz Eugen.» Die Fernsprecher begannen zu klingeln. «Die Bismarck im Grimstad Fjord!» Irgendein Offizier in der Admiralität nahm die Nachricht entgegen, sei ne Uhr zeigte drei Uhr fünfundvierzig. «Wir haben Glück gehabt», sagte er. «Zuerst entdeckten wir sie vor der schwedischen Küste, jetzt haben wir sie in Norwegen wiedergefunden. Bis sechs Uhr haben sie unsere Bombengeschwader gefaßt.» 14
«Glück gehabt?» gab der Angeredete zurück. «Schauen Sie sich einmal dies hier an.» Er reichte ihm eine Wettermeldung von den Orkney Inseln, derzufolge Dunst, Regen und rasche Verschlechterung der Sicht in Aussicht standen. «Bis sechs Uhr ist alles dicht. Ausgeschlossen, daß sie die Schiffe fin den. Sagen Sie nur nicht wieder, wir hätten Glück gehabt, das heißt gera dezu das Pech heraufbeschwören. Glück gehabt!»
Es erwies sich, daß der Mann recht behielt. Die Zeiger krochen weiter bis Mitternacht und darüber hinaus, irgendwer riß das Blatt vom 21. Mai 15
vom Kalender, so daß dort jetzt der 22. zu lesen stand. Inzwischen lief eine Hiobsbotschaft nach der anderen ein. ‹Kein Glück.› ‹Kein Glück.› ‹Wolkenhöhe siebzig Meter.› ‹Sicht gleich null.› ‹Überhaupt nichts aus zumachen.› So lauteten die Meldungen der erschöpften Piloten der Royal Air Force an die Offiziere, die sie nach ihren Flügen befragten. Um diese Mitternachtsstunde betrat ein deutscher Seeoffizier Admiral Lütjens Kammer, der Admiral schlummerte in einem Lehnstuhl und hielt dabei den Kopf auf die Hand gestützt. «Die Wettermeldung, Herr Admiral», sagte der Offizier. Lütjens war im Augenblick hellwach. «Rufen Sie den Kommandanten», sagte er nach einem kurzen Blick auf den Zettel. Als der Kommandant erschien, empfing er ihn mit den Wor ten: «Hier ist die Wettermeldung, es bleibt mindestens zwei Tage dick. Das heißt, wir müssen los. Ich möchte hier in zehn Minuten heraus sein.» «Jawohl, Herr Admiral», sagte der Kommandant. Auf der Bismarck war eine Kriegswache auf Stationen, die Flugzeug abwehrgeschütze waren besetzt. An Deck war es stockfinster, kaum daß man in den wirbelnden Schwaden die Männer auf ihren Stationen erke n nen konnte. Unter Deck schlief die halbe Besatzung, oder machte wenig stens den Versuch dazu, als die Lautsprecher loszubrüllen begannen. Sie riefen die Backsgasten zum Ankerlichten und alle Mann auf ihre Ge fechtsstationen. Sogleich entwickelte sich jene streng geregelte Geschäf tigkeit, die an Bord eines Schiffes jedem Ruf zum Manöver folgt; die Männer stolperten in der Dunkelheit auf ihre Posten, die überzähligen Fähnriche waren in einem Zustand höchster Erregung. Eine abgeblendete Morselampe blinkte einen Befehl zur Prinz Eugen hinüber, die alsbald ‹verstanden› zeigte. Die Spills beider Schiffe begannen sich zu drehen, die triefenden Ankerketten kamen Glied für Glied binnenbords, Meldun gen und Befehle wurden zwischen Back und Brücke ausgetauscht. Dann begannen die Maschinen zu arbeiten, die Schrauben drehten sich, das gewaltige Schlachtschiff nahm allmählich Fahrt auf und schob sich, 16
gefolgt von der Prinz Eugen, langsam und gewichtig durch den wirbeln den Dunst. Zur gleichen Stunde ratterte ein Motorradfahrer so rasch er irgend konnte durch die verdunkelten Straßen Londons und brachte wie zuvor einen verschlossenen Umschlag in die Admiralität. Wie die letzte, gelangte auch diese Botschaft wieder an den Konteradmiral. Ihr Inhalt nahm sich aus wie ein gewöhnlicher Brief, aber der Text wurde mit größter Sorgfalt und unter ständiger Zuhilfenahme von Codeschlüsseln gelesen. Dann eilte der Konteradmiral ohne Verzug zum Admiral. «Was ich hier bekommen habe, scheint wichtig zu sein, Sir, es dreht sich um die Bismarck.» «Ja?» «Die Nachricht ist vier Tage alt, Sir, sie kommt von unserem Verbin dungsmann in der Kieler Werft und mußte darum über die Schweiz und Portugal laufen.» «Ich habe nicht gewußt, daß Sie einen Verbindungsmann in der Kieler Werft haben.» «Je weniger Leute davon wissen, desto besser ist es, Sir. Wir hören nicht oft von ihm – er darf es nicht zu häufig riskieren, mit uns Verbin dung aufzunehmen, das werden Sie verstehen, Sir. Aber der Mann ist gut er hat uns jedenfalls noch nie enttäuscht.» «Und was hat er zu melden?» «Er sagt, die Bismarck werde versuchen, in den Atlantik durchzubre chen, Sir. Er meint, er sei seiner Sache ganz sicher. Seine Information stamme vom Admiral, von Lütjens selbst.» «Das ist doch Unsinn.» «Es klingt unglaublich, aber ich wäre überrascht, wenn es nicht stimm te, Sir.» «Sie sagen, dieser Mann sei gut?» «Er ist einer unserer besten Leute, Sir. Bis jetzt hat er sich immer als zuverlässig erwiesen.» «Es fällt mir schwer, das zu glauben.» 17
«Ich gehe jede Wette ein, Sir, daß seine Nachricht stimmt.» «Das läßt sich hören. Aber denken Sie daran, daß es diesmal nicht um Geld, sondern um Ihr Amt und Ihren Ruf in der Marine geht. Und ich könnte hinzufügen, daß mehr auf dem Spiel steht als Ihr Posten. Es han delt sich um Sieg oder Niederlage – es handelt sich um die Sicherheit Englands. Ich frage Sie noch mal, welchen Wert messen Sie dieser Me l dung bei?» Der Konteradmiral zögerte nur einen Augenblick. «Ich würde mich darauf verlassen, Sir. Der Mann hat bestimmt die Wahrheit aufgeschnappt.» «Also schön.» Der Admiral griff nach dem Telephon. «Geben Sie mir den Chef des Stabes, Flaggschiff der Home -Fleet.» Während er auf die Verbindung wartete, ließ er sein Auge wieder über die Karte wandern. «Vielleicht stimmt Ihre Nachricht wirklich so genau wie Sie sagen. Aber dadurch werden die tausend Meilen Seeraum, die wir zu überwa chen haben, nicht weniger – die Lücken zwischen den Inseln sind seit heute morgen nicht enger geworden.» Von der Admiralität lief ein Telephondraht fünfhundert Meilen über Land bis in den äußersten Norden Schottlands, tauchte dort in den stür mischen Pentland Firth und wand sich weiter bis nach Scapa Flow. Dort kletterte er zu einer Boje hinauf, die an der Wasseroberfläche schwamm, und schwang sich von dieser Boje zum Flottenflaggschiff hinüber, das an ihr festgemacht war. Hier lief er zunächst über Deck ein Stück achteraus und dann tief unter die Wasserlinie in die Befehlszentrale, wo er an ei nem Schaltbrett mündete. Der Matrose, der dieses Schaltbrett bediente, sah ein Lämpchen aufleuchten, hörte, wer von Land aus anrief, und stöp selte ein. Der Admiral hatte inzwischen noch einige Überlegungen ange stellt. «Nein», sagte er halb vor sich hin, halb zum Konteradmiral, «ich denke nicht daran, dem Flottenchef Befehle zu geben. Ich biete ihm nicht ein mal meinen Rat an. Der Flottenchef weiß genauso gut wie ich, was er zu tun hat, und kennt die ihm unterstellten Kommandanten wesentlich bes 18
ser als ich. Die Entscheidung liegt bei ihm. Ich gebe ihm diese zusätzli che Agentennachricht weiter, sowie ich sie bekommen habe, soll er da mit anfangen, was er will. Es fällt mir auch nicht ein, ihn zu beunruhigen, indem ich dieser Sache allzu großes Gewicht beimesse. Sie wissen ja, wir haben noch eine zweite Telephonverbindung, die gegen Abhören und gegen Spione abgesichert ist und die sich ausgezeichnet für vertrauliche Gespräche eignet. Und doch mache ich in diesem Fall mit Absicht nicht von dieser Verbindung Gebrauch…» Das Telephon schrillte, und er nahm den Hörer zur Hand. «Ist dort der Chef des Stabes? Ich bekomme da eben von unserem Nachrichtendienst eine kleine zusätzliche Beobachtung gemeldet. Dieser Lütjens hat auf seiner Bismarck offenbar nicht den Mund gehalten und vor dem Auslaufen irgend jemandem erzählt, daß er in den Atlantik vo r stoßen wolle. Ja, nicht wahr, es klingt wie Phantasterei, aber der Konter admiral schwört darauf, daß es damit seine Richtigkeit habe. Immerhin, wir dürfen die Nachricht nicht einfach in den Wind schlagen – die Mel dung geht noch heute nacht schriftlich an Sie hinaus. Der Flottenchef kann dann handeln, wie er es für richtig hält. Ja, wir haben grade noch ausreichend Zeit, die Dänemark-Straße unter Bewachung zu nehmen. Ich stimme vollkommen mit Ihrer Ansicht überein. Das wäre alles, leben Sie wohl.» Er legte den Hörer auf die Gabel und wandte sich wieder an den Kon teradmiral. «Bei diesem dicken Wetter wird die Bismarck wahrscheinlich sofort in See gehen, um ihren Vorteil wahrzunehmen. Läuft sie mehr als fünfund zwanzig Meilen, so wird Tovey augenblicklich handeln müssen, sonst entwischt sie ihm durch die Dänemark-Straße, und dann wäre der Fuchs mitten unter den Hühnern.» «Gesetzt den Fall, daß sie diesen Weg wählt, Sir.» «Gewiß.» Der Bleistift des Admirals wanderte über die Karte. «Es gibt natürlich noch viele andere Wege, und Tovey muß sie alle überwachen. Wahrscheinlich wird er die Sperrung der anderen Zugänge zum Atlantik 19
selbst übernehmen und die Hood und die Prince of Wales sofort an den Ausgang der Dänemark-Straße schicken.» «Eine alte Dame und einen kleinen Jungen, Sir», bemerkte der Konter admiral. «Die alte Dame ist immer noch recht frisch und munter, und der kleine Junge wird wohl inzwischen herangewachsen sein. Wir wollen es jede n falls hoffen. Andere Schiffe haben wir leider nicht zur Verfügung. Die beiden zusammen dürften aber genügen, die Bismarck aufzuhalten.» «Der Strolch führt immerhin eine mächtige Keule», sagte der Konter admiral. Die beiden gingen wieder in das Lagezimmer und mengten sich dort in das geschäftige Treiben. Telephone klingelten, durch eine Rohrpost lie fen klappernd Meldungen ein. Eine Marinehelferin trat an die Karte und nahm in der Nähe von Scapa Flow eine Änderung in den Einzeichnungen vor. Der Admiral sah sich an, was sie eingetragen hatte. «Sie sind ausgelaufen», sagte er. In der pechrabenschwarzen Finsternis, die über Scapa Flow lag, blinkten die Morselampen rufend und antwortend von Schiff zu Schiff. Seestiefel klapperten über die verlassenen Decks, Telephone quäkten durch die Dunkelheit. Eine Stimme sprach in ein Schallrohr. «Herr Kapitän? Signal vom Flaggschiff…» Unten in den Wohndecks schrillten die Bootsmanns maatenpfeifen durchdringend aus den Lautsprechern. «Die Backbordwa che auf! Antreten auf Manöverstationen. Die Backsgasten klar zum An ker lichten.» In dem riesigen Wohndeck drängte sich die Masse Mensch, Hängematten hingen an jeder erdenklichen Stelle, aus ihnen glitten jetzt verschlafen und die Augen reibend die aus dem Schlummer geweckten Männer. «Was soll denn der blöde Krach?» fragte einer. «Geh doch hin und frag den Admiral», sagte ein anderer. «Ich muß auf die Back zum Ankerlichten.» «Laß dir’s da vorne recht gut gehen», meinte ein dritter. Der Mann, mit dem er sprach, zog soeben seine Seestiefel an und langte sich sein Öl 20
zeug aus der unheimlichen Menge von Habseligkeiten, die hier allenthal ben verstaut lagen und einen Begriff davon gaben, in welcher drangvo l len Enge die Menschen auf einem solchen Schiff leben mußten. «Warum wirfst du dich denn in Schale, Nobby?» fragte jemand. «Heißt es auf deiner Einladungskarte nicht, daß Abendanzug freigestellt sei?» «Er glaubt, er sei an der sonnigen Riviera», sagte wieder ein anderer. Nobby war nun glücklich angezogen und stand fix und fertig in See stiefeln und Ölzeug da. «Platz da für einen Mann, der Männerarbeit zu tun hat», sagte er und schob sich durch die Menge. Mit klappernden Sohlen ging er durch das riesige Schiff nach vorn, der Weg führte ihn durch lange Gänge und über steile Niedergänge, überall um ihn her herrschte geschäftiges Treiben. Er tauchte aus dem hellen Licht unter Deck in die Finsternis auf der Back, wo man grade noch das naßglänzende Ölzeug der anderen zu unterschei den vermochte. Der Regen jagte über das Deck, und der Wind heulte in der Takelage, während sie sich dranmachten, den Anker zu lichten. Unten in einer dunklen Kammer quäkte ein Telephon, und obwohl so fort Licht eingeschaltet wurde, quäkte es noch ein zweites Mal, ehe der schlaftrunkene Mann in der Koje nach dem Hörer reichen konnte. «Hier ist der Leitende Ingenieur.» «In zehn Minuten haben wir Dampf auf, Sir», tönte es aus dem Tele phon. «Schön, ich komme», sagte der Leitende Ingenieur, sprang vom Lager und langte nach seiner Uniform. Hier spielte sich also dasselbe ab, was in diesem Augenblick auch auf der Bismarck vor sich ging, die Uhren in den beiden hellerleuchteten Maschinenräumen stimmten genau überein, es war zwanzig Minuten nach Mitternacht. Das Spill drehte sich, die Ankerkette kam Glied für Glied binnenbords, Meldungen und Befehle wurden ausgetauscht, die Ventile wurden geöffnet, um Dampf in die Turbinen zu lassen, die Schrauben begannen sich in dem nachtschwarzen Wasser zu drehen, und das Schiff, auf dem immer noch mit abgeblendeten Morselampen signa lisiert wurde, glitt langsam aus dem Hafen von Scapa Flow und passierte 21
die äußeren U-Bootssperren. Dem Aussehen nach hätte dieses Schiff die Bismarck sein können, nur daß im schwachen Licht der abgeblendeten Lampen auf ihrem Heck der Name Hood zu lesen war. Die beiden Schif fe machten sich also im gleichen Augenblick auf den Weg, die Bismarck holte weit nach Norden aus, um die Insel Island zu runden, die Hood und die Prince of Wales wählten einen südlicheren Kurs, um ihr vor der Dänemark-Straße den Weg zu verlegen – falls sie diesen Weg wählte. Kaum hatte die Hood die geschützte Bucht von Scapa Flow verlassen, als sie die volle Wucht des Sturmes zu spüren bekam. Ein um das andere Mal hob sich ihr Bug auf den Kamm der Seen und sank dann wieder zu Tal, auf und nieder stampfte das mächtige Schiff, zischend fegten ganze Wolken von Gischt über Brücke und Aufbauten. Und die Bismarck erleb te das gleiche, wenn nicht sogar schlimmeres Wetter. Auch sie pflügte sich schwer arbeitend durch eine bergehohe, eisige, graue See, außerdem war sie hier, weit von Land, in einem Gebiet, wo sie jedermann gegen sich hatte. Hier hatte sie keine Aussicht mehr, einen Freund zu treffen, dagegen mußte sie jeden Augenblick gewärtigen, daß sie auf einen Feind stieß. Über eben dieses Problem besprachen sich Admiral Lütjens und Kapitän Lindemann in der Brückenkammer des Kommandanten bei einer Zigarre. Der kleine Raum, der sich unmittelbar unter der Brücke befand, schwang im Rhythmus der Stampfbewegungen des Schiffes auf und nieder. «Der Gegner wird uns noch im Grimstad Fjord vermuten, Herr Admi ral», sagte Lindemann. «Die Engländer können höchstens annehmen, aber nicht mit Bestimmtheit wissen, daß wir in See gegangen sind. Und wenn sie es wüßten, könnten sie unmöglich erraten, welchen Kurs wir steuern.» «Das ist alles schön und gut, mein lieber Lindemann. Aber wir müssen diese Angelegenheit eben doch auch von einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Die See gehört nun einmal den Engländern, sie gehört ihnen ganz und gar. Und wir, wir sind die Diebe in der Nacht, die sich heimlich in ihr Eigentum eingeschlichen haben. Damit müssen wir uns abfinden. Das ist zunächst die Rolle, die wir zu spielen haben, wenn es uns auch in 22
ein paar Monaten bestimmt sein wird, diesen Zustand gründlich auf den Kopf zu stellen. Woher wollen Sie wissen, ob uns nicht ein englisches Kriegsschiff schon im nächsten Augenblick vor den Bug läuft in einer Minute, in fünf Minuten?» «Unser Nachrichtendienst…» «Unser Nachrichtendienst hat schon Fehler genug gemacht, das wissen Sie ja wohl selbst. Wie steht es mit der Sicht? Sind es zwei Meilen? Ich meine, wir können froh sein, wenn wir eine Meile sehen können. Unser Radar ist unerprobt. Wir merken erst dann etwas vom Gegner, wenn er uns unter Feuer nimmt. Also müssen wir unbedingt jeden Augenblick bereit sein, jeden Gegner in die Luft zu jagen, ehe er uns auch nur den geringsten Schaden zufügen kann.» «Aber wir werden noch sehr lange in See sein, Herr Admiral. Die stän dige Gefechtsbereitschaft wird den Leuten bald zu anstrengend werden.» «In ein paar Tagen werden wir ihnen den Dienst wohl erleichtern kön nen. Bis dahin aber gilt mein Befehl: Alle Mann bleiben auf Gefechtssta tionen. Die Hälfte der Besatzung kann schlafen, aber kein Mann darf seinen Posten verlassen.» «Zu Befehl, Herr Admiral.» Dies war also die Lage auf der Bismarck. In der drangvollen Enge der Geschütztürme, tief unten in den Munitionskammern, in den Schalträu men, in den Maschinen- und Kesselräumen waren ständig alle Mann zur Stelle. Die Hälfte der Leute tat ihren Dienst, die andere Hälfte ruhte so gut sie konnte. Es gab Glückliche, die einen Liegeplatz fanden, wenn sie die Ecken und Winkel des Decks auch dazu zwangen, sich wie eine Schnecke zusammenzukrümmen. Andere wieder saßen an die Schott wände gelehnt, sie schwankten bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her und wurden jedesmal aus dem Schlaf gerissen, wenn es einmal hefti ger einsetzte. «Ja, Lindemann», sagte Lütjens, «das gehört auch zu dem Preis, den wir dafür zu zahlen haben, daß wir die See nicht beherrschen. Vielleicht denken wir daran, wenn uns England eines Tages um Frieden bittet.» 23
«Jawohl, Herr Admiral», sagte Lindemann. Um den Gesprächsgegen stand zu wechseln, stellte er durch ein Sprachrohr eine Frage und wartete auf die Antwort, die er Lütjens weitergab. «Sicht wesentlich unter einer Meile, Herr Admiral.» In der Admiralität in London drückte sich ein Offizier noch drastischer aus, als er seinem Admiral eine Meldung gleichen Inhalts erstattete. «Sicht gleich null, Sir. Es besteht nicht die geringste Aussicht, im Grimstad Fjord etwas zu entdecken.» «Hm», machte der Admiral. «Gestern mittag um ein Uhr wurde sie dort gesichtet. Jetzt ist es – er warf einen Blick nach der Uhr und nach dem Kalender – zwölf Uhr mittags. Das heißt, daß seither dreiundzwanzig Stunden vergangen sind. Wo kann sie also bestenfalls stehen?» Der Offizier zog mit dem Zirkel einen weiten Bogen um Grimstad. «Auf dieser Linie, Sir, wenn sie fünfundzwanzig Meilen läuft. Nehmen wir an, sie hätte insgesamt sechshundert Meilen zurückgelegt, dann be fände sie sich irgendwo innerhalb dieses Kreises.» «Oder sie liegt noch in aller Ruhe in Grimstad, während wir uns hier zum Narren machen. Sagen Sie dem Coastal Command, sie sollen ihre Aufklärungsflüge fortsetzen.» «Aye, aye, Sir. In Hatston» – der Offizier zeigte auf den Flugplatz die ses Namens, der in der Nähe von Scapa Flow lag – «liegen unsere Mari neflieger, die in solchen Aufgaben eine gewaltige Erfahrung besitzen. Sie brennen darauf, ebenfalls einen Versuch zu machen, Sir.» «Na schön», sagte der Admiral. «Sollen sie ihren Willen haben. Sorgen Sie mir dafür, daß das Coastal Command davon unterrichtet wird.» So kam es, daß am gleichen Nachmittag in Hatston ein Kampfflugzeug vom Typ Maryland startete. Die Maschine hatte einen äußerst gefährli chen Flug. Die Wolken hingen tief über der See, dennoch mußte der Flugzeugführer bis in Sicht der Wasseroberfläche heruntergehen, um aus der Stärke und Richtung des Seegangs Rückschlüsse auf den Wind zu ziehen. Das hieß, daß er in solchen Augenblicken bis auf wenige Meter 24
über das Wasser herabgehen mußte und die Wellenkämme fast streifte, ehe er wieder in die Wolken hineinziehen konnte. Er setzte dieses hals brecherische Unternehmen so lange fort, bis plötzlich recht voraus die norwegische Küste in Sicht kam. So dicht lag sie vor ihm, daß er sofort abdrehen mußte, um nicht gegen die Felsen zu fliegen. Nun ging es der Küste entlang nach Norden, die Wolken hingen immer noch gleich nied rig über der See.
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«Grimstad», sagte der Beobachter. Da lag der Grimstad Fjord. Er war leer. «Wir wollen rasch noch einen Blick nach Bergen hineinwerfen», mein te der Beobachter. Es dauerte nur Sekunden, da hatten sie die Hausdächer Bergens dicht unter sich, Flakgeschütze feuerten aus allen Richtungen, und Granaten barsten rings um sie her. Aber Kriegsschiffe konnten sie dort im Hafen nicht entdecken. Als sie abgedreht hatten, schrieb der Beobachter einen Funkspruch aus: ‹Bismarck weder im Grimstad Fjord noch in Bergen in Sicht.› Er reichte das Blatt dem Funker, der es nickend entgegennahm und sofort daranging, die Meldung abzusetzen, während das Flugzeug durch die Wolken nach Hause flog. Die Uhr des Funkers zeigte sieben Uhr. Um sieben Uhr fünfzehn Minuten gelangte der Funkspruch in das La gezimmer. «Der Vogel ist ausgefloge n», sagte der Admiral. «Jetzt sind dreißig Stunden vergangen, seit die Schiffe zuletzt gesehen wurden. Wo könnten sie also äußerstenfalls sein?» Der Offizier zog diesmal einen wesentlich größeren Kreis auf der Kar te. «Hier, Sir, das sind siebenhundertfünfzig Meilen.» «Wie gut, daß die Hood vergangene Nacht auslief», bemerkte der Ad miral. «Sehen wir uns an, wo die Bismarck sein könnte…» Er griff nach seinem Bleistift und zog eine Reihe von Kursen, die die Bismarck ge steuert haben konnte. Die Linien endeten jeweils an dem äußeren Kreis. «Hier, oder hier, oder hier, an allen diesen Stellen könnte sie sein.» Er zeichnete eine Linie, die zurück in die Ostsee und dann durch den NordOstsee-Kanal führte. «Wenn sie so gefahren ist, haben wir vierzigtausend Tonnen Öl für nichts und wieder nichts verbrannt – vierzigtausend To n nen? – eher sechzigtausend Tonnen und haben zugleich zwanzigtausend Mann eine Freifahrt in See geschenkt, vorausgesetzt, daß auch die übrige Home-Fleet aus Scapa ausläuft, und es sieht zur Zeit ganz so aus, als ob das nötig wäre.» 26
Durch eine der Röhren langte klappernd eine Nachricht an und wurde dem Admiral ausgehändigt. «Sehen Sie», sagte er und gab das Papier an die Herren seines Stabes weiter. «Tovey ist auch dieser Meinung. Er läuft aus. Schließlich sind ja auch außer der Dänemark-Straße genügend andere Durchfahrten zu überwachen. Was hat er denn an Schiffen? Da ist die King George, die Repulse, die Victorious. Damit kann er es schaffen, wenn ihm die Bis marck in den Weg läuft.» Während er dieses sagte, war die Home-Fleet mitten in den Vorbereitun gen, in See zu gehen. Und zugleich hatten sich Lütjens und Lindemann und verschiedene andere Offiziere seines Stabes im Kartenhaus der Bis marck eingefunden. Auf dem Kartentisch vor ihnen lag eine Karte des Nordatlantiks, auf der der Kurs der Bismarck bis zum augenblicklichen Zeitpunkt eingetragen war. «Ich kann mich immer noch nicht überzeugen, Herr Admiral, daß wir die Dänemark-Straße benutzen müssen», sagte Lindemann. «Die anderen Durchfahrten sind wesentlich näher und vor allem viel breiter. Wir könn ten schon jetzt nach Süden abdrehen.» «Die Sicht ist noch immer sehr schlecht, Herr Admiral», bemerkte ei ner der Offiziere des Stabes. Ein Blick nach draußen zeigte, daß dies stimmte. Von einer Kimm war keine Spur zu sehen, während die Bis marck stampfend und rollend durch die schweren, grauen Seen dampfte. «Wahrscheinlich werden alle Durchfahrten von Kreuzern überwacht», sagte ein anderer Offizier des Stabes, «auch we nn sich kein Flugzeug in der Luft halten kann.» «Die letzte U-Bootsmeldung besagt, daß sich das Eis von Grönland bis sechzig Meilen von der Küste Islands erstreckt», sagte ein anderer. «Und auf der anderen Seite liegen die Minenfelder. Ein einziger Kreuzer reicht selbst bei dickem Wetter aus, eine zwanzig Meilen breite Durchfahrt zu überwachen.» Während sie noch sprachen, langte ein Funkspruch an. Ein Offizier des Stabes öffnete ihn und gab ihn dem Chef des Stabes. 27
«Aus Berlin, Herr Admiral», meldete dieser. «Ein englisches Aufklä rungsflugzeug überflog um neunzehn Uhr Grimstad und Bergen. Die Sicht war zeitweise gut, und das Flugzeug hat zweifelsohne festgestellt, daß wir ausgelaufen waren.» Aller Augen wanderten nach der Uhr und dann nach der Karte. Der Chef des Stabes griff nach dem Zirkel. «Sie sahen uns gestern ein Uhr mittags in Grimstad. Das war vor drei ßig Stunden. Wir liefen um Mitternacht aus. Nach dem, was sie festge stellt haben, könnten wir hier sein» er machte ein Kreuz zweihundert fünfzig Meilen weiter in der Kursrichtung «oder auch erst hier» er setzte ein zweites Kreuz an eine Stelle dicht vor der norwegischen Küste «und in Wirklichkeit sind wir hier.» «Richtig», sagte Lütjens, nickte mit dem Kopf und beugte sich über die Karte. «Haben wir denn keinerlei Nachricht über die englischen Schiffs bewegungen?» «Nein, Herr Admiral. Aus England sind Nachrichten schwer zu be kommen. Und die Sicht war für unsere Flugzeuge ebenso schlecht wie für die englischen.» «Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Engländer etwas unternommen haben, ehe sie diese Aufklärungsmeldung in Händen hatten», sagte Lüt jens und tippte mit dem Finger auf den Funkspruch. «Die Home -Fleet war nach unseren letzten Meldungen geschlossen in britischen Heimat gewässern. Vielleicht setzt sie sich jetzt in Bewegung. Dann ist es aber ausgeschlossen, daß sie die Dänemark-Straße noch rechtzeitig erreicht, wohl aber könnte sie uns hier, in der Nähe der Färöer, den Weg verlegen. Es bleibt also bei meinem Befehl, die Dänemark-Straße anzusteuern. Dort treffen wir vielleicht auf einen Kreuzer, aber mit dem machen wir kurzen Prozeß.» «Jawohl, Herr Admiral.» H.M.S. Suffolk tat in der Dänemark-Straße ihren Aufklärungsdienst. Nach dem Stand der unsichtbaren Sonne war es später Nachmittag der dünne Dunst über dem westlichen Horizont zeigte schon schwache rosa 28
Tone. Dem Betrachter bot sich ein unsagbar trübes und düsteres Bild. Im Westen erstreckte sich, bucklig und zerklüftet, das Packeis, so weit das Auge sehen konnte. Im Osten lag eine undurchdringliche Nebelbank. Unaufhörlich pfiff kalter Wind über das Deck, und das Schiff rollte schwer in der hohen See. Rings um die Brücke saßen die Ausguckposten, sie hatten ihre Doppelgläser an den Augen und suchten gleichmäßig nach rechts und links und dann nach oben und unten ihre Sektoren ab, dabei schwenkten sie auf ihren Drehstühlen in ständigem Wechsel voraus und achteraus. Andere dick eingemummelte Männer suchten hinter ihren Flakgeschützen so gut es ging Schutz zu finden, aber die Gischtwolken, die immer wieder über Deck fegten, drangen überallhin und machten den Aufenthalt erst recht ungemütlich. Aus der Lautsprecheranlage ertönte die Pfeife des Bootsmannsmaaten der Wache. «Hier spricht der Kommandant. Aus England liegen neue Nachrichten vor. Das deutsche Schlachtschiff Bismarck ist, geleitet von dem Kreuzer Prinz Eugen, in See gegangen. Soweit wir bisher feststellen konnten, stehen die beiden Schiffe irgendwo nördlich von Island. Das Wetter ist so dick, daß es nicht möglich ist, sie mit Flugzeugen zu stellen. Aber wir können jedenfalls sicher sein, daß sie nicht da bleiben werden, wo sie jetzt sind. Sie steuern bestimmt sehr bald nach Süden. Und es ist wahr scheinlich ja, man kann es fast als sicher annehmen, daß sie hier durch die Dänemark-Straße kommen. Wenn sie kommen, dann laufen sie fünf undzwanzig Meilen, wenn nicht noch mehr. In diesem Falle wird es unsere Sache sein, ihren Schiffsort festzustellen und der Admiralität zu melden. Falls ihr es vergessen haben solltet, möchte ich euch daran erin nern, daß die Bismarck über 38 cm Geschütze verfügt und uns auf fünf zehn Meilen Entfernung treffen kann. Darum seid ihr jetzt auf Gefechts stationen, darum sind die Ausguckposten verdoppelt worden. Jeder, der jetzt seine Pflicht verletzt, gefährdet das Schiff und das Leben der ganzen Besatzung. Ich bin gewiß, daß ihr auch ohne diese Erinnerung treu und gewissenhaft euren Dienst tut.» «38cm, hast du gehört? Jetzt halt aber die Augen offen, Dusty», rief einer der Männer an den Flakgeschützen einem der Ausguckposten zu. 29
«Und du halt gefälligst die Klappe», brummte Dusty, ohne das Doppel glas auch nur einen Augenblick von den Augen zu nehmen und seine Schwenkbewegungen mit dem Drehstuhl zu unterbrechen. «Wenn er überhaupt zu sehen ist, dann sehe ich ihn, da kannst du Gift darauf neh men.» Die Suffolk. tat weiter ihren Vorpostendienst zwischen der Eiskante und den Nebelbänken, ungeachtet des beißend kalten, stürmischen Windes und der groben See. «Wenn man denkt», sinnierte einer der Geschützmannschaften an Deck, «daß es zu Hause sogenannte Seeleute gibt, die jetzt in ihrer war men Bude sitzen, Burschen, die überhaupt vergessen haben wie es ist, wenn man richtig friert.» Im Lagezimmer in London ging es zur Zeit ziemlich ruhig zu. Es gin gen kaum neue Meldungen ein, es gab weder Eile noch Aufregung. Der Konteradmiral unterhielt sich mit einem Vizemarschall der Luftwaffe, einem großen, stämmigen Mann, der den typischen Luftwaffen schnurrbart trug. «Wahrscheinlich ist es bei der Luftwaffe genauso wie bei uns», sagte der Konteradmiral, «wir in der Marine machen jedenfalls überall die gleiche Erfahrung. Zuerst wartet man endlos, daß etwas geschehen soll, und dann gibt es plötzlich mehr zu tun, als man beim besten Willen schaffen kann. Einen goldenen Mittelweg scheint es nicht zu geben.» «Gewiß, gewiß», versicherte der Luftmarschall, «bei uns ist es genau dasselbe.» «Immerhin», meinte der Konteradmiral und deutete in eine andere Ecke des Zimmers, «da drüben führen sie wenigstens noch richtig Krieg. Für sie gibt es keine Langeweile. In Kreta ist die Hölle los. Die Lage im östlichen Mittelmeer hält sie vollauf beschäftigt, darum bleibt es uns allein überlassen, mit der Bismarck und den Vorgängen im Nordatlantik fertig zu werden. Aber Sie sehen ja selbst, wie wenig sich da im Augen blick tut.» «Gewiß, gewiß», meinte der Luftmarschall. 30
«Wenn Ihre Brüder nur endlich starten könnten», sagte der Konterad miral mit einer Handbewegung nach dem nördlichen Teil der Karte, «dann würde uns das lange Warten nicht so schwerfallen.» «Die Sicht dort oben ist immer noch gleich null. Wie ist denn nach Ih ren Nachrichten die Lage?» «Gehen wir an die Karte, dann will ich Ihnen zeigen, was wir wissen», sagte der Konteradmiral. Eine Marinehelferin im Offiziersrang trat an die große Lagekarte, um eine Eintragung zu machen. «Was bedeutet das?» fragte der Konteradmiral in scharfem Ton. «Den Standort eines Konvois, Sir.» «Schön», der Konteradmiral hielt einen schwarzen Kohlestift in der Hand und begann, auf der Karte schwungvolle Linien zu ziehen. «Diese beiden Kurse könnte die Bismarck steuern. Jedenfalls besteht die größte Wahrscheinlichkeit, daß sie einen der beiden wählt. Läuft sie ihre höch ste Marschgeschwindigkeit, dann steht sie irgendwo zwischen hier und dort, oder zwischen hier und da. Genaueres läßt sich beim besten Willen nicht aussagen.» «Mhm.» «Die Hood und die Prince of Wales sind vor zwei Tagen von Scapa Flow ausgelaufen. Genau vor dreiundvierzig Stunden. Sie dürften sich etwa hier befinden.» «Wissen Sie auch das nicht sicher?» «Nein, leider nicht. Sie halten Funkstille. Die Bismarck übrigens auch, wie Sie wohl selbst vermuten werden. Wir haben natürlich Kreuzer in See, die die Seeräume von Grönland bis England überwachen, so gut es bei dem dicken Wetter möglich ist. Die Arethusa und die Manchester patrouillieren hier zwischen den Färöern und Island, die Suffolk hier in der Dänemark-Straße. Jetzt werden Sie selbst begreifen, warum wir so wild nach Fernaufklärern geschrien haben.» Wahrend dieser Worte hatte der Konteradmiral immer wieder erwar tungsvoll nach den Offizieren und Unteroffizieren Ausschau gehalten, 31
die die einlaufenden Meldungen aus der Rohrpostanlage holten. Aber jedesmal hatte ihn ein Kopfschütteln des Betreffenden enttäuscht. «Und wie geht es weiter?» fragte der Luftmarschall. «Ich bin überzeugt, daß die Bismarck versuchen wird durchzustoßen. Vielleicht hier, möglicherweise aber auch dort.» Der Konteradmiral zog zwei schwarze Linien, die jene fortsetzten, die er bereits eingezeichnet hatte. Dann zog er von dem angenommenen Schiffsort der Hood aus zwei auseinanderstrebende Linien, die auf die Kurslinien der Bismarck zuliefen. «Die Hood wird je nach den Meldungen der Kreuzer den einen oder den anderen Kurs steuern. Dann kommt es entweder hier oder dort zum Zusammenstoß.» Dabei zeigte er auf einen Punkt östlich und einen westlich von Island. «An einem der beiden Punkte wird es also krachen, wie?» sagte der Luftmarschall. «Höchste Zeit, daß wir von unseren Kreuzern etwas hören», meinte der Konteradmiral. Auf der Suffolk wurden die Ausguckposten abgelöst. Einer um den an deren kletterten die neuen Männer in ihre Drehstühle und setzten sich hinter ihre Doppelgläser, um alsbald in Kälte und Wind mit ihrem ewi gen Hin- und Herschwenken zu beginnen. Auch Dusty gehörte wieder zu dieser Wache. Es dauerte nicht lange, da bekam er etwas in Sicht. Er blickte noch einmal scharf hin. Ja, da war es wieder, ein Schiff, das rasch von achtern aufkam. «Schiff vierzig Grad Steuerbord achteraus!» Schon in der kurzen Zeit, die seit seiner Entdeckung vergangen war, hatte das Fahrzeug immer deutlichere Umrisse angenommen. Jetzt waren es zwei. Sie hoben sich drohend und deutlich gegen den grauen Himmel ab. «Zwei Schiffe vierzig Grad Steuerbord achteraus!» Ein Dutzend Doppelgläser schwenkten augenblicklich in die angegebe ne Peilung. Am Ruder, tief unter der Brücke, stand der Rudergänger und steuerte mit stoischer Ruhe seinen Kurs. Plötzlich ertönte aus dem Schallrohr über seinem Kopf der laute Befehl: «Hart Backbord!» Er drehte das Rad so schnell er konnte in der angegebenen Richtung. Das 32
Schiff begann so schnell zu drehen, daß es sich stark nach außen überleg te. Die Suffolk flog nur so herum – die beiden Objekte in Dustys Doppel glas schwenkten aus seinem Gesichtsfeld.
«Funkspruch an die Admiralität», sagte eine Stimme auf der Brücke. «Höchste Dringlichkeitsstufe: Bismarck und Kreuzer in Sicht, Feind steuert Süd. Mein Schiffsort – setzen Sie unsere Länge und Breite ein.» 33
«Wenn sie uns nur nicht abschießt, ehe wir diesen Funkspruch losge worden sind», sagte eine andere Stimme. «Gott sei Dank, da ist der Nebel», meinte ein Dritter. «Ah!» Die Suffolk brach in den Nebel ein, als wäre er eine weiße Mauer. Er wirbelte von der Back nach achtern um die Brücke und hüllte schließlich das Heck ein, nach zehn Sekunden war das ganze Schiff in den tropf nassen Schwaden verschwunden, es lag von der harten Drehung immer noch über, sein Kielwasser zog hinter ihm eine kochende Bahn. Dusty und die anderen Ausguckposten saßen schweigend, wie es die Disziplin verlangte, auf ihren Stühlen. «Neuer Kurs einhundertachtzig Grad», befahl die Stimme von vorhin dem Rudergänger durch das Schallrohr. Inzwischen war der Funkspruch diktiert und nahm nun seinen Weg, erst zu dem Offizier, der ihn verschlüsselte, dann weiter in die Funkstati on. Die Morsetaste klapperte und verkündete der ganzen Welt die wich tige Nachricht. Im Lagezimmer wandte sich ein Leutnant an den Konteradmiral. «Soeben kommt ein Funkspruch von höchster Dringlichkeit durch, Sir.» «Sehen Sie zu, daß wir ihn so schnell wie möglich bekommen.» Die langen Sekunden des Wartens vertrieben sich der Konteradmiral und der Vizeluftmarschall an der Karte. Jetzt kam der Zettel in seiner Büchse ratternd durch das Rohr. Es schien Stunden zu dauern, bis der Offizier endlich die Büchse geöffnet hatte, und wieder Stunden, bis der Konteradmiral endlich gelesen hatte, was auf dem Zettel geschrieben stand. «Es ist alles in bester Ordnung», sagte er, «die Bismarck ist gefunden. Die Suffolk hält in der Dänemark-Straße Fühlung mit ihr. Länge – Brei te» – er vergewisserte sich der Angaben des Funkspruchs – «das wäre hier.» Irgendwer rief hurra, alle Anwesenden zeigten fröhliche Gesichter.
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«Das wäre also entschieden», sagte der Vizeluftmarschall und deutete dabei mit seinem Stöckchen auf den einen der beiden wahlweisen Kurse für die Hood. «Hier werden sie also aufeinanderstoßen, wie?» «Ja», sagte der Konteradmiral. Er zeigte eine etwas ernstere Miene als die anderen Anwesenden. «Was haben Sie denn? Bedrückt Sie etwas?» fragte der Vizeluftmar schall. «Es kann allzuleicht schiefgehen. Die Hood ist eine alte Dame, eine sehr alte Dame. Sie ist volle zwanzig Jahre älter als die Bismarck . Erin nern Sie sich etwa an die Flugzeuge von 1920, Sir? Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie mit einem Farman-Doppeldecker gegen eine neue Me s serschmitt kämpfen müßten?» «Aber es ist doch noch ein zweites Schiff dabei – wie heißt es doch gleich? – War es nicht die Prince of Wales?» «Ja, und diese ist zu jung, Sir. Es war noch keine Zeit, die Besatzung gehörig einzuexerzieren, bei ihr sind sozusagen noch nicht einmal die Milchzähne durchgebrochen. Es ist ja noch nicht einmal einen Monat her, daß sie aus der Werft kam, man könnte also mit Fug sagen, sie sei im Grunde noch in den Händen ihrer Erbauer. Ich habe gehört, daß sie mit den Werftarbeitern an Bord in See ging.» «Das wird für diese Brüder ein gewaltiges Erlebnis sein.» «Ja, sie werden wohl mit ihren steifen Hüten ins Gefecht gehen mü s sen.» Der Offizier, der die Funksprüche entgegennahm, brachte die nächste Meldung. «Schiffsort, Kurs und Geschwindigkeit, Sir», sagte er. Inzwischen war auch der Admiral im Lagezimmer erschienen. Hier hat te sich die Atmosphäre mit einem Schlag gründlich gewandelt. Es herrschte eine erregte, aber freudige und zuversichtliche Stimmung, die nur der Konteradmiral nicht so recht mit den anderen teilen wollte. In rascher Folge wurden Funksprüche aufgegeben: «Funkspruch an den Flottenchef, King George V.» «Funkspruch an Rodney.» 35
«Funkspruch an Ramillies.» Der Admiral wandte sich an den Vizeluftmarschall. «Bringen Sie Ihre Leute in Schwung, daß sie die Dänemark-Straße ab riegeln», sagte er. «Jawohl, Sir», sagte der Vizeluftmarschall. «Leider ist die Sicht immer noch sehr schlecht, Sir.» «Das weiß ich. Aber jetzt können Sie ihnen doch erklären, wie drin gend es ist, daß sie starten. Sie kennen die allerletzten Meldungen über die Lage. Morgen bei Tagesanbruch steht der Gegner etwa hier.» Der Admiral deutete auf einen Punkt auf der Karte, der etwas südlich der Dänemark-Straße lag. Im Kartenhaus der Hood beugten sich der Admiral und einige Herren seines Stabes über die gleiche Karte. Einer der Offiziere arbeitete mit Lineal und Zirkel. «Der Kurs nach dem Treffpunkt wäre dreihundertzehn Grad, Sir», sagte der Navigationsoffizier. «Nach zwei Uhr ist jederzeit Fühlung mit dem Gegner zu erwarten.» «Ich möchte aber nicht vor Tagesanbruch Gefechtsberührung haben. Geben Sie mir einen Kurs und eine Fahrt, die uns eine Stunde vor So n nenuntergang in Berührung mit dem Gegner bringen.» Zirkel und Lineal bekamen aufs neue zu tun, bis sich die beiden Kurs linien auf einem anderen Punkt schnitten. «Wenn wir siebenundzwanzig Meilen laufen, Sir, und zweihundert fünfundneunzig Grad steuern, dann treffen wir die Bismarck hier bei Tagesanbruch.» Der Navigationsoffizier malte – wie in Vorahnung des Kommenden – ein schwarzes Kreuz in die Karte, wo sich die beiden Kurslinien trafen. «Gut. Herr Kapitän, Sie können die Besatzung über unsere Absichten unterrichten», sagte der Admiral. Dann fuhr er, zum Chef des Stabes gewandt, fort: «Sorgen Sie mir dafür, daß die Prince of Wales sofort ins Bild gesetzt wird.»
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Auf einen Wink des Kommandanten pfiff der Bootsmannsmaat der Wache, der sich außerhalb des Kartenhauses aufhielt, schrill ins Mikro phon, und der Kommandant begann zu sprechen. «Hier spricht der Kommandant…» Unten, in dem unglaublich überfüllten Wohndeck, gab sich die Freiwa che so gut es ging der Ruhe hin. «Wir wissen nicht, wohin die Reise geht, aber wir sind unterwegs», sagte ein Matrose. Die zum Trocknen aufgehängten Kleidungsstücke schwangen sämtlich im Takt der Bewegungen des Schiffes hin und her. «Ach Nobby», meinte ein anderer, «du willst immer wissen, wohin du fährst. Kannst du denn nie mit deinem Los zufrieden sein?» «Ich weiß nur, wohin wir nicht fahren», ließ sich einer vernehmen, «nämlich nach Süden. Ein Ausflug in die Tropen stünde uns allen gut zu Gesicht.» «Draußen soll es schneien. Und dabei gibt es Leute, die ihren Hof ve r kaufen möchten, weil sie sich in den Kopf gesetzt haben, zur See zu fahren.» In diesem Augenblick hörten sie die Pfeife des Bootsmannsmaaten und die Stimme des Kommandanten durch den Lautsprecher. «Hier spricht der Kommandant. Ich gebe euch die neuesten Meldungen durch. Die Bismarck . ist ausgelaufen und wurde vor kurzer Zeit von uns gesichtet. Die Suffolk hält mit ihr Fühlung, und wir beabsichtigen, ihr den Weg abzuschneiden. Wenn alles nach Plan verläuft, kommen wir morgen früh bei Tagesanbruch mit ihr in Gefechtsberührung. Ich hoffe, daß wir mit Unterstützung der Prince of Wales rasch mit ihr fertig werden, aber das brauche ich euch wohl nicht besonders zu sagen. Denkt nur alle an eure Pflicht und Schuldigkeit. Bald nach Mitternacht geht ihr alle auf Gefechtsstationen, bis dahin möchte ich, daß sich die Freiwache so gut wie möglich ausruht. Falls ich keine Gelegenheit mehr habe, noch einmal zu euch zu sprechen, wünsche ich euch allen jetzt schon von Herzen Glück und Erfolg.» Die Lautsprecheranlage trug die Worte des Kommandanten in alle Te i le des Schiffes, in die Maschinenräume und Lasten, in die Geschütztürme 37
und in die Messe, in die Kombüsen und Hellegatts. Die abschließenden guten Wünsche des Kommandanten erklangen in jeder Abteilung des Schiffes und wurden von den verschiedensten Menschen verschieden aufgenommen. Die Schicksalsergebenen, die Überschwenglichen, die Gleichgültigen, die Aufgeregten – jeder hörte diese Worte, jeder nahm sie auf, wie es seiner Veranlagung entsprach. Von der verdunkelten Signalbrücke der Prince of Wales herab kam eine rasche Meldung. «Signal vom Flaggschiff, Sir, Fahrt siebenundzwanzig Meilen.» «Danke. Lassen Sie dem Kommandanten Meldung machen. Befehl an die Maschine: zweihundertvierundvierzig Umdrehungen.» Der Wachha bende Offizier trat an das Schallrohr und sprach mit dem Kartenhaus. «Wir vermehren Fahrt auf siebenundzwanzig Meilen.» Das Kartenhaus lag unter der Brücke, das Schallrohr kam durch das Deck von oben und mündete über dem Kartentisch. Der Navigationsoffi zier stand über die Karte gebeugt, er hörte die Worte: «Vermehren Fahrt auf siebenundzwanzig Meilen», und wiederholte sie. Dann notierte er die Zeit und trug den Schiffsort ein. In diesem Augenblick betraten der Kommandant und sein Adjutant den Raum. «Soeben kommt ein langes Signal von der Hood, Sir», sagte der Adju tant. «Hier ist das erste Blatt.» Während der Kommandant noch las, kam erst das zweite, dann das dritte Blatt durch das Rohr von der Signalbrücke herab. Der Komman dant las sie hastig, so wie sie ihm der Reihe nach gereicht wurden. «Endlich die Meldung, auf die wir so lange gewartet haben», sagte er. «Die Suffolk hält in der Dänemark-Straße Fühlung mit der Bismarck. Der Admiral möchte fünfundsechzig Grad Nord und achtundzwanzig Grad West mit ihr in Gefechtsberührung kommen. Lassen Sie mich einmal sehen, wo das ist.» «Hier, Sir», sagte der Navigationsoffizier und zeichnete ein schwarzes Kreuz in die Karte. Es sah genauso aus wie das schwarze Kreuz auf der Hood. 38
«Danke», sagte der Kommandant. «Ich hoffe nur, daß wir einigerma ßen gefechtsklar sind.» Im Wohndeck der Prince of Wales waren mitten unter den uniformierten Matrosen seltsame Gestalten zu sehen, es waren Arbeiter in Zivilklei dern, einige von ihnen trugen Overalls, andere elegante Maßanzüge. Angekündigt durch ein Pfeifensignal, kam der Erste Offizier auf seiner nächtlichen Runde durch das Deck und prüfte die hier herrschenden Zustände mit einem scharfen Blick. «Nun, sind Sie alle einigermaßen untergebracht?» wollte er von einer Gruppe von Arbeitern wissen. «Nein, keineswegs», sagte einer der Arbeiter, der ostentativ sitzen ge blieben war. «Wir schlafen nicht gerne in Hängematten, wir mögen das Essen nicht, und wir wollen vor allem nicht, daß man uns ohne unsere Zustimmung in dieser Weise entführt. Ich bin nur gespannt, was unsere Gewerkschaft sagt, wenn wir nach Hause kommen…» «Ich nehme an, Sie bekommen doppelten Stundenlohn und Gefahren zulage», sagte der Erste Offizier. «Die Gewerkschaft kümmert mich wenig, Sir», meinte ein anderer, der offenbar nicht so streitsüchtig gestimmt war. «Mir geht es um meine Frau. Sie denkt jetzt wahrscheinlich alles mögliche dumme Zeug von mir.» «Um so mehr wird sie sich freuen, wenn sie hört, daß ihr Verdacht falsch war», sagte der Erste Offizier. «Haben Sie eine Ahnung, wann wir wieder nach Hause kommen, Sir?» «Nein, und wenn ich es wüßte, so würde ich es Ihnen wahrscheinlich nicht sagen dürfen. Kopf hoch, Leute, es ist nun einmal so, wir haben Krieg, und da muß jeder seine Pflicht tun.» Einem der Zivilarbeiter gingen offenbar ganz andere Dinge durch den Kopf. «Merken Sie etwas, Sir?» fragte er. «Horchen Sie! Wir vermehren Fahrt. Fühlen Sie das Zittern? Ich meine, wir laufen jetzt siebenund 39
zwanzig Meilen. Vielleicht sogar achtundzwanzig. Nein, es sind sieben undzwanzig.» «Sie kennen die Maschinen dieses Schiffes besser als ich», sagte der Erste Offizier. «Ich habe sie bauen helfen, und jetzt habe ich sie drei Tage lang mit bedient. Jetzt kenne ich sie durch und durch. Aber wie kommt es, daß wir mitten in der Nacht plötzlich Fahrt vermehren?» In diesem Augenblick kam ein Läufer atemlos angerannt, grüßte den Ersten Offizier und reichte ihm einen Zettel. Dieser las den Inhalt der Meldung und schickte den Läufer wieder weg. «Ich kann Ihnen ja gleich sagen, was da eben einging», meinte er. «Sie werden es ohnedies sofort durch den Lautsprecher hören. Die Bismarck ist gesichtet worden. Sie ist nicht mehr weit von uns entfernt, und wir wollen sie bei Tagesanbruch angreifen.» «Wir wollen angreifen? Aber unsere Turbinen…» «Sie werden sicher Ihr Möglichstes tun, daß sie sich weiter drehen», sagte der Erste Offizier. Als der erste Sprecher hörte, was bevorstand, sprang er auf die Beine. Seine Beschwerden schienen ihn plötzlich nicht mehr zu drücken. «Wollen wir wirklich ins Gefecht gehen? wie?» sagte er. «Wissen Sie, der Granatring im Turm Y gefällt mir nicht. Ich war nie damit zufrieden und habe auch jetzt noch meine Bedenken. Am liebsten möchte ich ihm gleich noch einmal auf den Zahn fühlen. Ob ich wohl jetzt hinaufgehen kann, Sir?» «Sie werden zweifellos willkommen sein. Alles Gute für Ihr Sorgen kind.» » Im Hintergrund tauschten zwei andere Zivilarbeiter Bemerkungen aus. «Da, schau dir das an», sagte einer von ihnen. «Hier steht es schwarz auf weiß. Henry J. Jones, Nichtkombattant. Und bei dir heißt es ebenso. Schau: ‹Nichtkombattant›.» «Das haben sie uns bescheinigt, damit wir gedeckt sind, wenn wir in Gefangenschaft geraten. Sie können uns dann nicht als Spione an die 40
Wand stellen. Und wir kommen in ein Lager für Zivilisten und nicht in ein Soldatenlager.» «Aber wie sollten wir denn hier in Gefangenschaft geraten?» «Nun, nehmen wir an, unser Schiff wird versenkt, und sie fischen uns auf. Wenn das Wasser nicht zu kalt ist, halten wir vielleicht so lange aus, bis sie uns haben.» «Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie mit uns Zivilisten ins Gefecht gehen. Das wäre ja gegen Recht und Gesetz.» «Dann geh doch zum Kommandanten und verlange von ihm, daß er dich an Land setzt», sagte jener, der zuerst das Wort genommen hatte. «Ich gehe jetzt in den Turm Y.» Was er weiter sagte, ging im Lärm des Lautsprechers unter, der die Männer auf ihre Gefechtsstationen rief. Auf der Brücke der Bismarck. standen der Admiral und der Kommandant und blickten in den grauen Dunst hinaus, der sich in der beginnenden Dämmerung allmählich heller färbte. Der Funkoffizier trat ein und mel dete ihnen: «Der englische Kreuzer hat die ganze Nacht hindurch alle fünfzehn Minuten Funksprüche abgegeben, Herr Admiral.» «Können Sie sich ungefähr denken, was sie enthalten?» «Darüber gibt es kaum einen Zweifel, Herr Admiral. Es handelt sich um Meldungen über unseren Standort und unseren Kurs.» «Ja», sagte Lütjens zu Lindemann. «Das war ja wohl anzunehmen.» Dann wandte er sich wieder an den Funkoffizier: «Was haben Sie sonst noch herausgefunden?» «Ich meine, ich konnte nach dem Anruf den Namen des Schiffes fest stellen, Herr Admiral. Es ist die Suffolk.» «Ein Kreuzer von zehntausend Tonnen mit 21 cm Geschützen. Im Jahr 1933 vom Stapel gelaufen. Der letzte uns bekanntgewordene Komman dant hieß Ellis», sagte ein Offizier des Stabes, nachdem er rasch eine Flottenliste zu Rate gezogen hatte.
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«Ich danke Ihnen, aber diese Einzelheiten interessieren uns weniger.» Er wandte sich abermals an den Funkoffizier: «Haben Sie sonst noch etwas?» «Ja wohl, Herr Admiral. Die englische Admiralität hat die ganze Nacht hindurch gefunkt, eine Reihe dieser Funksprüche waren zweifellos an Schiffe gerichtet – nicht nur an die Suffolk, sondern auch an andere Schiffe, Herr Admiral.» «Konnten Sie nicht herausfinden, um welche Schiffe es sich handelte, oder wo diese Schiffe standen?» «Leider nein, Herr Admiral.» «Sie haben also kein Wort von irgendeinem Schiff in See gehört?» «Kein Wort, Herr Admiral.» «Ich danke Ihnen.» Als der Funkoffizier mit einem Gruß abgetreten war, wandte sich Lütjens an Lindemann. «Das nenne ich Funkstille, so gründlich sollte sie durchgeführt werden. Wir könnten froh sein, wenn es die Engländer nicht so genau damit näh men. Aber jetzt sagen wir der Dänemark-Straße Lebewohl, und dann liegt der offene Atlantik vor uns. Bitte sagen Sie mir offen Ihre Meinung. Glauben Sie, daß uns dort noch jemand aufhalten kann?» Lindemann zögerte mit der Antwort. Er wollte nicht zu optimistisch erscheinen. «Bitte reden Sie, nehmen Sie kein Blatt vor den Mund», drang Lütjens weiter in ihn. «Wenn die Engländer mit Zeitverlust ausgelaufen sind und nicht den richtigen Kurs gewählt haben, um uns den Weg zu verlegen, dürfte der Atlantik offen vor uns liegen, Herr Admiral.» «Die Suffolk werden wir bald abgehängt haben, dann darf sich zwi schen Amerika und England kein Geleitzug mehr blicken lassen», sagte Lütjens triumphierend. Ein Bordtelephon quäkte in der Nähe, ein Offizier sprang sofort an den Apparat. «Hier ist die Brücke», sagte er, hörte sich die einlaufende Meldung an und gab sie dann laut bekannt. «Rauchwolken Backbord voraus!» 42
Während alle anderen in die angegebene Richtung blickten, fuhr er fort, die telephonischen Meldungen weiterzugeben. «Schiff backbord voraus! Zwei Schiffe backbord voraus! Entfernung nimmt rasch ab!» Eine ganze Batterie von Doppelgläsern richtete sich auf das angegebe ne Ziel. «Geben Sie Alarm!» sagte Lütjens. Das Schrillen der Alarmglocken brachte die ganze Besatzung auf die Beine und bewirkte, daß jeder Mann auf seine Gefechtsstation eilte. «Zwei Kreuzer?» erkundigte sich Lütjens. «Es sieht mir so aus, als wären es schwere Kreuzer», antwortete Lin demann. Er wie sein Admiral blickten durch ihre Doppelgläser und setzten sie nur von den Augen ab, um kurze Bemerkungen auszutauschen. Da sich der Dunst allmählich lichtete, wurden die grauen Umrisse im Gesichts feld der Gläser immer deutlicher. «Signal an Prinz Eugen: In Kiellinie folgen», befahl Lütjens. «Feuer eröffnen, sobald der Gegner in Schußentfernung ist.» «Sie halten auf uns zu», sagte Lindemann. «Also suchen sie, mit uns ins Gefecht zu kommen.» «Es wäre besser für sie, wenn sie abdrehten, um ihre Breitseiten zum Tragen zu bringen», antwortete Lütjens. Die Bordtelephone gaben keine Ruhe mehr. «Schwere Artillerie gefechtsklar!» meldete der Wachhabende Offizier. «Die Türme schwenken auf das Ziel!» Die Männer auf der Brücke konnten selbst verfolgen, wie die gewalti gen Rohre langsam herumschwangen und nach backbord vorne zeigten. «Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen sagte, Lindemann? Wir müs sen jede Minute bereit sein, jeden Gegner, der uns in die Quere kommt, in die Luft zu jagen, und sehen Sie, nun ist es so we it», sagte Lütjens, ohne das Doppelglas von den Augen zu nehmen. «Das sind keine Kreuzer», sagte Lindemann. «Da! Jetzt drehen sie. Das ist die Hood! Die Hood! Und das zweite ist gewiß ein Schlachtschiff!» 43
Seine letzten Worte wurden durch den Donner der ersten Salve der Bismarck übertönt. «Treffer! Wir brauchen Treffer!» mahnte Lütjens. Der Mündungsqualm der Geschütze wirbelte um seine aufrechte Gestalt. Im Kartenhaus der Hood beugte sich der Navigationsoffizier wieder über die Karte, auf der südlich der Dänemark-Straße das deutliche schwarze Kreuz eingetragen war. «Im Augenblick stehen wir hier, Sir. Nach meiner Berechnung müßten wir sie in den nächsten fünf Minuten in Sicht bekommen. Die Entfernung nimmt rasch ab.» «Also brauchen wir nicht mehr lange zu warten», sagte der Admiral. «Die Geschütze sind geladen, Sir», meldete ein anderer Offizier. In einem der Türme warteten die Geschützmannschaften neben ihren Geschützen. Einer von diesen Männern war Nobby. Sie waren bereit, jeden Augenblick das Feuer zu eröffnen. «Lang kann es jetzt nicht mehr dauern», sagte der Mann neben Nobby. «Jetzt sind wir dran», bemerkte Nobby, «wir wollen es ihnen schon ge ben.» «Achtung!» rief der Turmkommandant, «Feind in Sicht!» «Der Turm dreht!» sagte Nobby. Er fühlte, wie der Turm herumkam, während das Schiff in der schweren See stampfte und rollte. Die Männer tauschten Blicke aus. Viele von ihnen waren noch nie im Gefecht gewe sen, hatten noch nie gehört, wie ihre eigenen Geschütze auf den Feind schössen, hatten noch nie, so wie jetzt, gewartet, bis die tödlichen Grana ten des Gegners über die See herangeheult kamen, um an ihrem Panzer zu zerschellen oder seine schützenden Wände mit vernichtender Gewalt zu durchschlagen. Diese Pause, dieses kurze Zwischenspiel, war von Spannung und Aufregung geladen, jetzt, in diesen kurzen Sekunden, stand alles untätig in Bereitschaft: Bis zu diesem Augenblick hatte die Ausbildung für das Gefecht jeden einzelnen so in Anspruch genommen, daß er keine Zeit zum Denken fand. Aber Gedanken konnten auch in wenigen Sekunden gewaltige Sprünge machen. Sie eilten zurück in die 44
englische Heimat, in ein Haus, in eine Familie, sie eilten voraus und mündeten in einem dumpfen Gefühl fast unvorstellbaren Grauens. «Ich wollte, es ginge los», sagte einer der Männer. Ein anderer trommelte mit den Fingern auf das Bodenstück seines Ge schützes. «Paßt gefälligst auf euren Dienst auf», schnauzte sie der Geschützfüh rer an. Endlich donnerte die erste Salve los, und damit setzten dann auch so fort die lang geübten Handgriffe ein. Die Verschlüsse öffneten sich, die neuen Granaten kamen herauf und wurden angesetzt, die Kartuschen folgten und wurden hinter ihnen ins Rohr geschoben, und endlich fielen die Verschlüsse klingend wieder zu. «Rechtes Geschütz fertig!» «Linkes Geschütz fertig!» Wieder fiel eine Salve. Und die Männer gingen aufs neue mit verbisse nem Eifer ans Werk. Ein Krach und ein heller Flammenblitz im Turm ließ sie alle taumeln. «Wir sind getroffen!» «Das schert uns den Teufel», sagte Nobby. «Komm, los!» Während die nächsten Granaten angesetzt wurden, machte sich im Turm beißender Qualm bemerkbar. Die See kochte förmlich, als die hohen Wassersäulen der Einschläge rund um die verbissen kämpfenden Schiffe aufstiegen. Schornsteinrauch und Mündungsqualm wi rbelten über die grauen Wogen. Das Auge wa n derte hinüber zur Bismarck, die schwer im hohen Seegang rollte, und es ließ sich sogar denken, wie es hinter ihrem Seitenpanzer, etwa in der Granatkammer des vorderen Turms, zuging. Hier war eine kleine Mann schaft deutscher Matrosen an der Arbeit, sie schoben mit Hauruck die mächtigen Granaten in den Aufzug, hielten einen Augenblick inne, wä h rend der Aufzug nach oben fuhr, und griffen dann sofort nach dem näch sten Geschoß. Ein bärtiger deutscher Maat hatte die Aufsicht, neben ihm stand einer der sehr jungen überzähligen Fähnriche. Der Maat redete auf 45
den jungen Mann ein, er unterbrach sich nur, wenn es galt, die Lage der Granaten in dem Aufzug zu überprüfen, und seine Worte wurden von dem Donner der Salven begleitet, die hoch über ihren Köpfen eine nach der anderen abgefeuert wurden. «Jetzt sind wir dran, Herr Fähnrich», sagte er. «Ich und meine Männer hier. Im Marineamt in Berlin können sie planen, was sie wollen. Der Admiral Raeder kann über seinen Karten brüten, und Admiral Lütjens oben auf der Brücke kann seine Pläne schmieden, und der Kapitän Li n demann kann seine Befehle geben, aber letzten Endes geben eben doch die Geschütze den Ausschlag. Und wenn wir hier unten versagen, wenn die Granaten nicht hinauf in den Turm kommen, dann können die Ge schütze nicht feuern, dann könnte der Admiral genauso gut zu Hause geblieben sein. Das ist doch so klar wie etwas, Herr Fähnrich.» Er mußte seine Rede unterbrechen, weil ihm eine der Granaten nicht ganz richtig im Aufzug zu liegen schien. «Hoch mit dir, meine Kleine», sagte der bärtige Unteroffizier, als der Fehler beseitigt war. Er warf der Granate einen Handkuß zu, während sie im Aufzug nach oben verschwand. Vielleicht war es eben jene, die im Kieler Hafen mit dem Ruf «letzte Granate!» an Bord geheißt worden war. Jetzt glitt sie im Aufzug nach oben, rutschte auf den Ring, wanderte im Kreis und stieg dann weiter in den Turm hinauf. Dort wurde sie vom Ansetzer gefaßt und in das Bodenstück des Geschützes gestoßen, wä h rend die Turmbesatzung schwitzend auf ihren Augenblick wartete. Der Granate folgte die Kartusche, und dann lösten sich die Geschütze wieder mit donnerndem Krach. Lütjens beobachtete das Schießen auf der Brük ke durch sein Doppelglas. Jetzt sagte er: «Treffer! Schauen Sie nur! Schauen Sie!» Eine gewaltige Rauchsäule schoß von der Hood in die Höhe. Linde mann hatte den Vorgang durch sein Glas ebenfalls beobachtet. Zuerst hatten sich die Umrisse des Schiffes scharf und klar gegen den Horizont abgehoben, da sie nun ganz aus dem Dunst aufgetaucht war. Dann schoß dicht vor dem Schornstein ein Strahl dicken grauen Qualms hervor. Aber ehe dieser noch seine Bahn vollendet hatte, ehe sich noch an seiner Spit 46
ze ein Pilz zu formen begann, brachen noch ein Dutzend weitere Detona tionswolken aus dem Schiff, von denen jede mächtiger war als die erste. Sie breiteten sich blitzschnell aus, so daß sie sich dicht über dem Schiff vereinten, sie stiegen höher und höher, sie wuchsen dabei immer mehr in die Breite, bis sie eine dichte, dunkle Wolke bildeten, die wie an einem dünnen Stengel hoch über dem Schiff zu hängen schien. In diesem Au genblick glaubte Lindemann durch sein ausgezeichnetes Doppelglas zu erkennen, daß mächtige Schiffstrümmer zu der Wolke hinaufflogen, die zuerst schneller emporgeschossen war als sie, aber jetzt fast reglos über dem Schauplatz der Katastrophe schwebte. Er war ferner fast sicher, daß er sah, wie der Bug und das Heck des Schiffes senkrecht aus dem Wässer stiegen, während das Mittelschiff in der Tiefe verschwand, als ob ein ungezogenes Kind beim Baden sein Spielschiffchen mitten durchgebro chen hätte. Das alles sah Lindemann nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn das zerbrochene Spielzeug hüllte sich alsbald in dichten Qualm, der aus jeder Öffnung des Schiffes drang und schwer auf der Meeresoberfläche lie genblieb, so daß man nur noch ein kurzes Aufschäumen des Wassers sah, als die durch die Luft gewirbelten Trümmer von Masten, Decks und Panzerplatten in gewaltigem Bogen wieder in die See hinabstürzten. Und als sich diese lastende Qualmschicht endlich hob, war von der Hood nichts mehr zu sehen. Absolut nichts mehr. Auch von Nobby und seinen Kameraden in jenem Turm gab es keine Spur mehr. Noch vor einem Augenblick hatten sie hart gearbeitet, waren sie in der scharfen, blendenden Helle der elektrischen Birnen unter An spannung aller Kraft mit Granaten und Kartuschen umgesprungen, einge schlossen in ihr kleines, enges Gehäuse, durch fußdicke Panzerplatten von allem geschieden, was es um sie herum und über ihnen gab. Und was war unter ihnen? Da war nur die abgrundtiefe See ja, und die Kartusch kammer und die Granatkammer und dreihundert Tonnen hochexplosiver Sprengstoff. So hatte es noch vor einem Augenblick ausgesehen, im nächsten bahnte sich die Granate, die von der Bismarck herangeheult 47
kam, wie mit einem teuflischen Scharfsinn begabt, ihren Weg durch das Schiff. Sie durchschlug ein halbes Dutzend Decks, ein halbes Dutzend Schotten, sie traf genau die schwache Stelle in der Panzerung der Hood, sie fand den schmalen, ungeschützten Weg in die Munitionskammer unter dem Turm, sie barst dort inmitten der dreihundert Tonnen Spreng stoff. In diesem Augenblick wurden Nobby und seine Kameraden, ohne etwas davon zu ahnen, mitten aus dem Leben heraus zu Atomen zerris sen. Im Lagezimmer der Admiralität herrschte eine fast unerträgliche Span nung. Der Konteradmiral gab dem Vizeluftmarschall weitere Erläuterun gen. «Wenn die Hood da steht», sagte er, «wo wir annehmen, dann be kommt sie jeden Augenblick Fühlung mit dem Gegner. In der DänemarkStraße wird es jetzt gerade Tag.» «Wo steht die Bismarck?» fragte der Vizeluftmarschall. «Nach der letzten Meldung der Suffolk stand sie vor zehn Minuten hier.» Der Konteradmiral deutete nach dem Punkt auf der Karte, wo sich die zwei mit Bleistift eingetragenen Kurse schnitten. Er bezeichnete diese Stelle mit einem schwarzen Kreuz. «Funkspruch von Suffolk, Sir!» meldete ein junger Offizier, der das Sprachrohr an dem Tisch besetzt hielt, wo die Meldungen einliefen. «Höchste Dringlichkeitsstufe. ‹Habe gesichtet Hood und Prince of Wales um Süd-Ost. Abstand fünfzehn Meilen. Schiffe steuern südwestlichen Kurs.›» «Sie haben es geschafft! Sie haben den Gegner gefunden!» Im Lagezimmer herrschte freudige Erregung. «Noch zwei Minuten, dann bekommen sie die Bismarck in Sicht!» sag te der Konteradmiral. «Da haben wir’s, es ist so weit!» Die letzte Äußerung bezog sich auf einen Funkspruch, der soeben durch das Sprachrohr mü ndlich vorausgemeldet wurde und gleich darauf auch in schriftlicher Form durch die Rohrpost einging. 48
Der Konteradmiral würdigte das Papier kaum eines Blickes. «Dringender Funkspruch von Suffolk», meldete der Offizier am Sprach rohr. «‹Hood und Bismarck eröffnen Feuer. Hood steuert westlichen, Bismarck südwestlichen Kurs.»› «Die Hood geht also an den Gegner heran», sagte der Konteradmiral. Wieder schenkte er dem Funkspruch kaum Beachtung, der ihm ausge händigt wurde. «Dringender Funkspruch von Suffolk», meldete der junge Offizier. Er war offenbar bemüht, seine Erregung nach besten Kräften zu verbergen und den anderen ein Schauspiel eiserner Ruhe zu bieten. Aber in diesem Augenblick war es um seine Ruhe geschehen. Es war, als sackte er plötz lich in sich zusammen. «Was war das? Wiederholen Sie das.» Er saß stumm an seinem Sprachrohr und rührte eine ganze Weile kein Glied. «Was ist denn los? Lassen Sie mich gefälligst nicht warten, Mann», schnauzte der Konteradmiral. Der Offizier wandte sich mit völlig verstörter Miene nach ihm um: «Die Hood ist in die Luft geflogen.» «Wie? Was sagen Sie?» In diesem Augenblick kam der geschriebene Funkspruch ratternd durch das Rohr herunter. Ein Dutzend Hände langten sofort danach, und der Konteradmiral riß den Zettel persönlich aus dem Behälter. «Die Hood ist in die Luft geflogen», sagte er. «Die Hood ist in die Luft geflogen.» «Was – was – soll das heißen?» stammelte der Vizeluftmarschall. Der Konteradmiral maß ihn nur mit einem kurzen Blick. Alle hielten mit der Arbeit inne und standen vor Entsetzen wie versteinert. «Mein Gott, die Hood!» ließ sich endlich einer der Offiziere verneh men. «Mein Bruder Dick…» Ein für seine ausgesuchte Höflichkeit bekannter älterer Commander stieß in diesem Augenblick mit der Marinehelferin zusammen, die die Eintragungen in die Karte zu machen hatte.
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«Scheren Sie sich aus dem Wege, verflucht nochmal», fuhr er sie an, dann murmelte er kopfschüttelnd immer wieder vor sich hin: «Die Hood! Die gute alte Hood!» Der Konteradmiral hatte sich als erster wieder gefaßt. «Los, an die Arbeit», rief er ärgerlich in den Raum, «wir haben keine Zeit, die Hände in den Schoß zu legen.» Wieder kam eine mündliche Meldung durch das Sprachrohr, der junge Offizier mußte sich zusammenreißen, um sie ruhig anzuhören. «Dringender Funkspruch von Suffolk», verkündete er, und seine Stim me klang gegen vorher plötzlich seltsam verzerrt. «‹Die Hood gesunken. Prince of Wales und Bismarck im Feuergefecht.» › «Hoffen wir, daß die Prince of Wales nun doch noch ganze Arbeit macht», meinte der Vizeluftmarschall, aber er fand mit seinen Worten wenig Gehör. Diesmal wurde die schriftliche Fassung des Funkspruchs sorgfältig stu diert. «Dringender Funkspruch von Suffolk», ließ sich der junge Offizier wi e der vernehmen. «‹Die Prince of Wales schwer getroffen. Die Prince of Wales brennt im Vorschiff. Die Prince of Wales nebelt sich ein und setzt sich vom Gegner ab.›» «Das heißt, daß auch die Prince of Wales geschlagen ist», sagte der Konteradmiral mit tonloser Stimme. Als ihm der Funkspruch übergeben wurde, hielt er ihn eine ganze Weile in der Hand, ohne einen Blick dar auf zu werfen. Aber schon bald riß ihn die Meldung eines anderen Offi ziers aus seinem Brüten heraus. «Meldung von der Funkbeobachtung, Sir. Kräftiger Funkverkehr in deutscher Ve rschlüsselung, Ursprung Dänemark-Straße. Die Bismarck ruft Berlin, Sir.» «Jetzt geht die Schreckensnachricht in die Welt hinaus», sagte der Kon teradmiral. «Mein Gott, jetzt erfährt die ganze Welt davon.» Überall auf der Prince of Wales, in den Maschinenräumen, wo die Turbi nen ihr Lied sangen, in den Munitionskammern, in der Offiziersmesse, 50
die jetzt als Gefechtsverbandsplatz eingerichtet war, in den Geschütztür men, begannen die Lautsprecher eine Bekanntmachung zu verkünden, die durch ein Pfeifensignal eingeleitet wurde. «Männer der Prince of Wales! Der Kommandant hat mir befohlen, euch laufend über alles zu unterrichten, was hier draußen vorgeht. Ich bin der Adjutant und spreche von der Brücke aus. Der Gegner ist in Sicht, und wir sind eben im Begriff, näher an ihn heranzuschließen. Eben eröff net die Hood das Feuer. Gleich ist auch für uns der Augenblick gekom men.» Die Stimme wurde durch den brüllenden Geschützdonner übertönt, der aus dem Lautsprecher drang. Unten in einem Maschinenraum meinte ein Zivilarbeiter zu einem der Heizer: «Schau dir einmal das Lager dort an. Wenn du nicht aufpaßt, läuft es im Handumdrehen heiß.» Droben im Turm Y beobachtete ein anderer Zivilarbeiter, wie die Ge schützrohre ein- und wieder ausrannten, wie die Granaten und die Kartu schen aus den Kammern heraufkamen, wie die Ansetzer blitzschnell vorstießen und wieder verschwanden. «Jetzt scheint es ja zu klappen», meinte er. «Jetzt gehe ich einmal nach unten und schaue mir diesen Granatring an.» Dieser Granatring befand sich zwei Decks tiefer, die Granaten kamen mit dem Aufzug aus der Kammer und wurden automatisch auf ihn ge schoben. Und der Lautsprecher gab laufend die Schilderung der Lage. «Aufschläge rund um die Bismarck. Unser Schießen liegt ausgezeich net. Die Hood» – die Stimme schwieg endlose Sekunden lang, und als sie endlich wieder begann, klang sie plötzlich ganz verstört. «Die Hood – die Hood…» Der Lautsprecher knackte, dann blieb er stumm. «Was wohl mit der Hood gewesen ist?» fragte einer der Matrosen, die den Granatring bedienten. «Paß du lieber auf den Schalter da auf und kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen», sagte der Zivilist. «Männer der Prince of Wales», begann der Lautsprecher von neuem. «Der Kommandant hat mich beauftragt, euch bekanntzugeben, daß die 51
Hood verloren ist. Sie ist in die Luft geflogen und gesunken. Sie war ein tapferes Schiff, jetzt ist sie weg, und wir werden sie nie wiedersehen. Nun ist die Reihe an uns. Die Bismarck ist eine harte Nuß, das wissen wir jetzt, aber wir werden mit ihr fertig.» «Was, die Hood ist weg? Mit all den Männern an Bord?» sagte einer der Leute am Granatring. Auf der Brücke der Prince of Wales blickten der Kommandant und die Offiziere durch einen richtigen Wald von Aufschlägen. Der Adjutant sagte soeben in das Mikrophon: «Nun ist die Reihe an uns. Die Bis marck…» und so weiter. Der Wachhabende Offizier sagte durch das Sprachrohr: «Kurs zwe i hundertvierzig Grad.» Im Kartenhaus dicht unter der Brücke hörte der Offizier am Kartentisch diese Kursangabe und wiederholte sie. Dann beugte er sich über die Karte. Unten am Granatring hörte man wieder den Lautsprecher. «Der Kommandant spricht euch allen seine Anerkennung aus, macht nur…» Die Worte endeten mit einem fürchterlichen Krach, der betäubend aus dem Lautsprecher drang. «Jetzt haben sie denen da droben einen verpaßt», sagte einer der Leute am Granatring. Die ganze Brücke hatte sich in einen brennenden Trümmerhaufen ve r wandelt, allenthalben lagen verstümmelte Leichen umher. Unten im Kartenhaus bemerkte der Navigationsoffizier, daß etwas Flüssiges aus dem Sprachrohr auf die Karte vor ihm tropfte. «Was ist denn das?» Er streckte die Hand aus und tastete danach. «Mein Gott, das ist ja Blut!» Es fiel weiter in dicken roten Tropfen auf seine Karte. Oben auf der Brücke kroch eine in Fetzen gehüllte rauchgeschwärzte Gestalt an das Sprachrohr und zerrte den Leichnam beiseite, der über seiner Mündung hing. «Hart Backbord! Kurs hundertfünfzig Grad. Hart Backbord!» 52
«Hart Backbord», wiederholte der Navigationsoffizier im Kartenhaus. Als das Ruder gelegt wurde, holte das Schiff so hart über, daß sich der Navigationsoffizier festhalten mußte, um auf den Beinen zu bleiben. Auch tief unten in der Umladekammer des Turms machte sich die Krängung so stark bemerkbar, daß sich die Männer festhalten mußten. Unter Klappern und Krachen rutschte der Granatring von seinen Leitrol len und blieb in schräger Stellung hängen. Eine Granate glitt herunter und klemmte dem dort stehenden Zivilarbeiter mit ihrem DreiviertelTonnengewicht das Bein, daß es wie in einem Schraubstock festsaß. Er stieß vor Schmerz einen lauten Schrei aus, als ihm aber die Besatzung der Umladekammer zu Hilfe kam, zwang er sich mit aller Gewalt dazu, ruhig zu sprechen. «Schon recht, Kumpels. Sagt nur denen da oben Bescheid, daß der Ring klemmt. Turm Y kann nicht feuern, bis ihr ihn wieder klarbekom men habt.» Die Granate auf seinem Fuß rührte sich ein wenig von der Stelle, da stöhnte er vor Schmerz laut auf und fiel in Ohnmacht. Auf der Brücke der Bismarck blickten Lütjens und Lindemann unentwegt durch ihre Doppelgläser, während unter ihnen eine Salve nach der ande ren donnernd die Rohre verließ. An der Kimm lag noch die Qualmbank auf dem Wasser, die das Ende der Hood bezeichnete. Nicht weit davon sah man den Schattenriß der Prince of Wales, die sich zuweilen fast ganz hinter Rauch und Aufschlägen verbarg. «Das Schlachtschiff dreht ab», sagte Lütjens. «Der Qualm nimmt im mer mehr zu. Ja, es nebelt sich ein. Kein Zweifel, es ergreift die Flucht!» Plötzlich schwiegen die Geschü tze, der Artillerieoffizier meldete durch das Telephon: «Ziel nicht mehr auszumachen.» Lütjens und Lindemann setzten gleichzeitig ihre Gläser ab und blickten einander an. «Ein herrlicher Sieg, Herr Admiral», sagte Lindemann. «Ein vernich tender, entscheidender Schlag für den Gegner, der Ihren, des Siegers, Namen unsterblich macht. Es ist mein stolzes Vorrecht, Sie als erster beglückwünschen zu dürfen.» 53
Sie schüttelten einander die Hände, alle Mannschaften und Offiziere auf der Brücke wohnten dieser Szene voll überschwenglicher Begeiste rung bei. «Vielen Dank, Lindemann», sagte Lütjens. Er hatte die rechte Hand noch nicht frei, als er schon mit der Linken den Chef des Stabes herbei winkte. «Senden Sie sofort einen Funkbericht über das Geschehene nach Be r lin», sagte er. «Sehen Sie zu, daß er ohne Verzug abgesetzt wird.» «Jawohl Herr Admiral.» Im Senderaum in Berlin stand der Ansager mit seinem Manuskript in der Hand am Mikrophon. Auf ein Zeichen des Sendeleiters hinter dem Fenster setzte ein Trompeter sein Instrument an die Lippen und blies eine lange Siegesfanfare. «Meine Volksgenossen», begann der Ansager, «wir unterbrechen unser Programm für eine Sondermeldung von größter Bedeutung. Unsere Schiffe haben im Atlantik einen großen, einen herrlichen Sieg errungen. Die Kriegsmarine trägt ihre Flagge siegreich in die Weite des Atlantiks. Der stolze englische Schlachtkreuzer Hood zerstob unter der Wucht ihres Angriffes in Atome und riß die ganze Besatzung mit in die Tiefe. Nach dieser Katastrophe drehten die anderen englischen Kriegsschiffe ab und brachten sich, gedeckt durch künstlichen Nebel, vor den vernichtenden Schlägen unserer Marine in Sicherheit. Ein zweites britisches Schlacht schiff wurde schwer getroffen und ist bis zur Stunde wahrscheinlich ebenfalls schon gesunken, um der Hood in den eisigen Gewässern der Dänemark-Straße Gesellschaft zu leisten. Zehntausend britische Seeleute haben für die Gefolgschaft, die sie dem Kriegshetzer Churchill und sei ner jüdischen Clique leisteten, teuer, allzu teuer bezahlen müssen. Unsere vereinten Glückwünsche aber gelten jetzt dem Führer, der diesen stolzen Sieg erst ermöglichte. Ein Volk, ein Reich, ein Führer!» So flog die Nachricht über ganz Deutschland. In allen Häusern und Fa briken, allen Lazaretten und Cafés wurde sie mit flammender Begeiste rung aufgenommen. 54
Im englischen Informationsministerium klingelten die Fernsprecher. «Berlin funkt die Nachricht schon in alle Welt. Machen Sie zu, beeilen Sie sich mit der Herausgabe. Es ist bestimmt besser, daß man die Hiobs botschaft von uns zuerst erfährt, als daß sie von der anderen Seite kommt.» «Es ist nicht ganz einfach, über eine Niederlage zu berichten», antwo r tete der Angerufene. «Bringen Sie nur die nackten Tatsachen, Mann. Die Leute müssen er fahren, was geschehen ist, und sie sind Manns genug, den Schlag einzu stecken.» In der Fabrik nahm die leichte Musik aus dem Radio plötzlich ein En de, dafür ertönte jetzt die ruhige Stimme eines Ansagers der B.B.C.: «Die Admiralität bedauert, mitteilen zu müssen, daß der Schlachtkreu zer Hood heute morgen im Kampf gegen deutsche Seestreitkräfte in der Dänemark-Straße mit Mann und Maus gesunken ist. Weitere Zusammen stöße mit dem Gegner stehen unmittelbar bevor.» Durch die von Bomben schwer getroffenen Straßen Portsmouths wan derte ein Mütterlein mit seiner Einkaufstasche. Als sie sah, wie ein Zei tungsverkäufer eine Schlagzeile seiner Blätter auf seine Werbetafel schrieb, blieb sie stehen. ‹H-o-o-d›, begann er und fuhr dann fort: ‹Gesunken.› Die Frau blieb sekundenlang schaudernd vor Entsetzen stehen, dann rieselten ihr die Tränen über die Wangen herab. «Na, Mutti», fragte ein Polizist des Sonderdienstes, der zufällig des Weges kam, «was ist denn mit Ihnen, ist Ihnen nicht gut?» Da riß sie sich zusammen und entgegnete mit tränennassen Wangen: «Danke, mir fehlt nichts.» Sie hatte mit ihrer Einkaufstasche nicht weit zu gehen, nur um die Ek ke, wo ein Haufen Schutt daran erinnerte, daß dort zwei Häuser gestan den hatten, und dann die Straße weiter bis zu ihrem kleinen Heim, dessen zertrümmerte Fenster mit Brettern verschalt waren. Dort trat sie ein und setzte ihre Tasche ab. Auf dem Tisch stand eingerahmt die Photographie eines jungen Mannes in Matrosenuniform; sie setzte sich so davor, daß 55
sie das Bild trotz der Dunkelheit hinter den mit Brettern vernagelten Fenstern betrachten konnte. «Und ich brachte es fertig, zu sagen, mir fehle nichts», sprach sie laut vor sich hin. Ihr gutes altes Gesicht verzerrte sich, der verzweifelte Schmerz, der ihr die Seele zerriß, raubte ihren Zügen jede Gelassenheit, ihr Greisenkörper schien noch mehr zusammenzuschrumpfen, als sie kraftlos vornüber sank. «Nobby, mein Nobby», stöhnte sie immer wieder. Ihre Stirn lag auf den mageren Knien, und ihr schmaler Rücken zuckte, sobald sie von wildem Weh gepeinigt aufschluchzte. Die New Yorker Zeitungen brachten gewaltige Schlagzeilen: ‹Die Bis marck versenkt Hood! Größter Schlachtkreuzer der Welt in die Luft geflogen!› In einem New Yorker Fernsehstudio erklärte ein Kommentator im Scheinwerferlicht und mit dem Zeigestock in der Hand seiner Hörer schaft vor der Karte, was sich ereignet hatte: «Die erste Meldung ist Ihnen schon durch den Nachrichtendienst bekannt geworden, meine Damen und Herren, und ergänzendes Material dazu ist vorläufig noch nicht eingegangen. Aber das, was wir wissen, genügt zu der Feststellung, daß die Bismarck offenbar die Absicht hatte, in den Atlantik durchzubre chen, und daß die englischen Kriegsschiffe ihr – hier – den Weg – verlegen wollten. Ebenso sicher ist es, daß die Engländer dabei vernich tend geschlagen wurden. Die Hood flog in diesem Kampf in die Luft, das bedeutet den Verlust einer wichtigen Einheit der englischen Marine und einer großen Zahl von Menschenleben. Die Toten zählen sicherlich nach Tausenden, wir greifen nicht zu niedrig, wenn wir ihre Zahl auf minde stens zweitausend schätzen. Zweitausend Tote in einem einzigen, un meßbar kurzen Augenblick, meine Damen und Herren. Machen Sie sich einmal klar, was das bedeutet. Und doch ist das noch nicht alles. Die deutsche Meldung besagt weiter, daß noch ein zweites britisches Schlachtschiff schwer beschädigt, wenn nicht gar versenkt wurde. Wir 56
haben keinen Anlaß, die Wahrheit dieser Meldung anzuzweifeln. Die Engländer haben eine schwere Niederlage einstecken müssen, so viel ist gewiß. Wie geht es weiter, was hat jetzt zu geschehen? Das, meine Da men und Herren, ist die brennende Frage, die uns im Augenblick gestellt ist. Die Bismarck hat freie Bahn – die Engländer scheinen jedenfalls nichts davon zu wissen, daß sie etwa beschädigt worden wäre. Was wird sie nun weiter unternehmen? Einstweilen wissen wir nur, daß es im Um kreise von vielen hundert Meilen kein britisches Kriegsschiff gibt, das ihr mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten könnte. Sie kann also ungestört tiefer südwärts in den Atlantik vordringen, um hier die britischen Geleit züge zu zerschlagen – denn es gibt gewiß kein Geleitfahrzeug, das ihr auch nur eine Minute lang Widerstand leisten könnte. Deutsche Tank schiffe werden sie an einem geheimen Treffpunkt erwarten sie ist also imstande, monatelang den Atlantik unsicher zu machen und die lebens wichtigen britischen Schiffahrtswege zu unterbrechen. Ich darf Sie im übrigen daran erinnern, meine Damen und Herren, daß in Brest das ist hier zwei deutsche Schlachtkreuzer, die Scharnhorst und die Gneisenau, liegen. Auf sie müssen die Engländer ein scharfes Auge halten, daß sie nicht ebenfalls ausbrechen können. Das heißt aber, daß sie die Bismarck sozusagen mit der Linken bekämpfen müssen, we il ihnen die Rechte gebunden ist. Ziehen wir alles dies in Betracht und fragen wir uns, we l che Aussichten sich den Engländern bieten, das Schlachtschiff am Ende doch noch zu stellen. Soviel ich weiß, gibt es nach dem Verlust der Hood kein britisches Kriegsschiff mehr, das sich an Größe, Geschwindigkeit und Kampfkraft mit der Bismarck messen könnte. Auch wenn sie eines Tages gestellt und niedergekämpft werden sollte – ein Erfolg, der sich vielleicht niemals einstellen wird –, kann sie bis dahin unermeßlichen Schaden anrichten. Aber es gibt noch eine zweite Möglichkeit: Die Bis marck könnte kehrtmachen und – östlich oder westlich an Island vorbei – nach Deutschland zurückkehren. Wenn sie dann nach ihrem triumphalen Erfolg unbeschädigt in ihrem Heimathafen eintrifft, dann wird Dr. Goeb bels imstande sein, dieses Ereignis nach besten Kräften auszuschlachten, zumal alles dafür spräche, daß sie diesen, ihren Vorstoß, jederzeit mit 57
dem gleichen Erfolg wiederholen könnte. Ich war immer ein guter Freund der Engländer, das wissen Sie, meine Damen und Herren, aber jetzt fällt es mir doch allmählich schwer, noch an ihren Enderfolg zu glauben. Sie haben ja nicht nur im Atlantik ihre Sorgen, sondern auch im Mittelmeer, in Griechenland, in Kreta, in Nordafrika…!» Lindemann und Lütjens studierten auf der Bismarck die Karte. «Wir könnten jetzt kehrtmachen, Herr Admiral, kein Mensch würde uns den Weg verlegen.» «Kehrtmachen? Was sollte uns dazu veranlassen?» «Wir hatten einen großen Erfolg, und wenn der deutsche Rundfunk verkünden könnte, daß wir auch noch unangetastet heimgekehrt sind, dann wäre das für die Welt…» «… höchstens ein Beweis, daß wir zwar zu siegen verstanden, aber nicht willens oder in der Lage waren, die Früchte unseres Sieges zu ern ten. Im Kriege muß man Wagnisse auf sich nehmen, Lindemann. Denken Sie nur daran, welche Fülle von Möglichkeiten uns hier draußen im At lantik geboten ist. Sollen wir sie einfach opfern und unverrichteterdinge umkehren? Erinnern Sie sich noch an meine Unternehmung mit Scharn horst und Gneisenau? Propaganda ist ja ganz schön, aber selbst ein Dr. Goebbels könnte nicht in Abrede stellen, daß Kriege nicht durch Worte, sondern durch Taten gewonnen werden.» «Aber die Engländer…» «Es scheint mir höchst zweifelhaft, ob die Engländer in den nächsten Tagen und Wochen auch nur einen Finger gegen uns rühren können. Nein, jetzt gibt es nur eins: Vorwärts! Wir schütteln noch diesen engli schen Kreuzer ab, dann sind wir frei. Denken Sie doch an die Geleitzüge, die uns weiter südlich in die Hände fallen werden.» «Jawohl, Herr Admiral – nun, was haben Sie?» Der Erste Offizier war grüßend an die beiden herangetreten und wartete darauf, seine Meldung machen zu dürfen. «Wir haben einen Granattreffer, Herr Kapitän, bei Spant 46 an Back bord.» 58
«Wo ist das?» fragte der Admiral. «Im Vorschiff, Herr Admiral, über dem zweiten Brennstofftank. Da der Tank voll ist, kann ich den Umfang des Schadens nicht genau feststellen. Sicher ist nur, daß er keineswegs schwer oder gar bedenklich ist.» «Ist das alles, was wir an Schäden erlitten haben?» fragte der Admiral. «Jawohl, Herr Admiral, aber der Brennstofftank ist leck geschlagen. Wenn die Herren mitkommen wollen…» Er ging voraus auf die Backbord-Brückennock, und dort sahen sie auf das Wasser hinab, das quirlend und brodelnd an der Bordwand entlangrauschte. «Sehen Sie es, Herr Admiral? Wir lassen eine schwache Ölspur hinter uns. Der Tank wird soeben leergepumpt, der Brennstoff wird anderweitig untergebracht.» «Dann brauchen wir der Sache keine weitere Beachtung zu schenken», sagte der Admiral. «Nein, Herr Admiral», sagte der Erste Offizier und fuhr dann nach kur zem Zögern fort: «Das Öl in dem beschädigten Tank hat sich mit Seewasser vermischt, Herr Admiral. Wir haben also zweihundert Tonnen weniger Brennstoff an Bord, als wir dachten.» «Das ist mir klar», sagte der Admiral. «Es steht uns immer noch frei, kehrtzumachen», bemerkte Lindemann. «Auch darüber bin ich mir im klaren», sagte der Admiral, und dann zum Ersten Offizier gewandt: «Ich danke Ihnen, Herr Kapitän.» Lütjens und Lindemann starrten wieder auf die Karte. «Zweihundert Tonnen weniger Öl», sagte Lindemann, «und das ist na türlich ein ständiges Defizit, Herr Admiral, das wir solange hinnehmen müssen, wie wir in See sind. Treffen wir unsere Tanker, so können wir auch nur zweihundert Tonnen weniger übernehmen, als wir bei heilem Tank fassen könnten.» «Ja, natürlich», sagte Lütjens. Er war tief in Gedanken versunken und beschrieb mit dem Zeigefinger fortgesetzt Bogen auf der Karte. Endlich begann er, mehr im Selbstgespräch als zu seinem Kommandanten ge wandt, zu reden. «Die Entscheidung, die ich zu treffen habe – die näch 59
sten Worte, die ich spreche –, können einen Wandel im Ablauf der Ge schichte herbeiführen, können über das Schicksal ganzer Nationen ent scheiden und für die Zukunft Deutschlands, des Nationalsozialismus und seines Führers von unabsehbarer Bedeutung sein. Mein nächster Befehl mag zehn- zwanzig- fünfzigtausend Menschen Tod und Vernichtung bringen.» «So ist es ohne Zweifel, Herr Admiral.» «Vorwärts? – Zurück? Jetzt ist der letzte Augenblick, den einen oder den anderen Weg zu wählen. Später bleibt uns keine Wahl mehr.» «Ich habe meine Ansicht dazu bereits geäußert, Herr Admiral.» «Nein!» sagte Lütjens plötzlich mit erhobener Stimme, «es bleibt da bei, ich gehe vorwärts. Wir haben uns nicht bis in den Atlantik durchge kämpft, um dann zu kuschen und wieder nach Hause zu fahren. Vo r wärts! Zunächst halten wir noch durch, dann drehen wir seitwärts ab, um nach Brest einzulaufen. Zwei Tage dort in der Werft, und der Schaden ist ausgebessert. Dann laufe ich zusammen mit der Scharnhorst und der Gneisenau wieder aus an der Spitze eines Geschwaders, das an Ge schwindigkeit und Kampfkraft in der Welt nicht seinesgleichen hat.» «Jawohl, Herr Admiral.» «Vielleicht laufen uns jetzt schon englische Geleitzüge über den Weg, unsere U-Boote werden uns auf ihre Spur setzen. Vorwärts also!» «Jawohl, Herr Admiral. Darf ich um Ihre endgültigen Befehle bitten?» «Steuern Sie heute noch den bisherigen Kurs weiter, bis wir den Kreu zer abgeschüttelt haben. Dann setzen wir Kurs auf Brest ab, ich glaube nicht, daß die Engländer unsere Absicht erraten werden.» «Jawohl, Herr Admiral.» Im Lagezimmer der Admiralität stand eine Gruppe von Offizieren, dar unter der Admiral, der Konteradmiral und der Vizeluftmarschall, an der Karte. «Funkspruch der Suffolk», meldete ein Leutnant und las vor: «‹Bis marck steuert Südwest, Fahrt fünfundzwanzig Seemeilen. Bismarck ver liert Öl und zieht eine breite Ölspur nach.»› 60
«Also hat sie doch einen Treffer abbekommen», sagte der Konteradmi ral. «Immerhin läuft sie noch glatt ihre fünfundzwanzig Meilen», sagte der Admiral. «Wahrscheinlich handelt es sich nur um ein kleines Leck in einem Brennstofftank. Wie ist die Wettermeldung?» «Schlecht, wie gewöhnlich», sagte der Vizeluftmarschall. «Wolkenhö he dreihundert Meter, Windstärke fünf, schwerer Seegang.» «Alle Aussichten für die Suffolk, ihre Fühlung zu verlieren. Könnten uns Ihre Flieger nicht endlich ein wenig beispringen, wie?» «Sowie sich die geringste Mö glichkeit bietet, tun wir es, Sir. Leider hat die Bismarck Island schon recht weit hinter sich gelassen.» Ein Offizier trat an die Karte, um den Schiffsort der Home -Fleet darauf zu verschieben. «Tovey steht also jetzt hier», sagte der Admiral, «hält die Bismarck ih ren Kurs, dann bekommt er sie morgen in Sicht. Um welche Uhrzeit wird das sein?» «Zwölf Uhr mittags», antwortete ihm der Offizier am Koppeltisch. «Ja, wenn die Bismarck ihren Kurs beibehält. Wir müssen jedes Schiff einsetzen, über das wir verfügen, um ihr den Weg zu verlegen. Da haben wir die Rodney. Sie soll in Gottes Namen ihren Geleitzug verlassen und einen Kollisionskurs steuern. Ramillies kann das gleiche tun. Kabeln Sie nach Halifax, Revenge soll auslaufen, sobald sie Dampf auf hat. Rufen Sie die London und die Edinburgh ebenfalls von ihren Geleitzügen weg und dirigieren Sie sie nach Norden. Dann hätten wir noch die Kampf gruppe H. Was ist mit Somerville?» «Er ist in See, Sir.» «Das ist gut. Lassen Sie mich einmal sehen, wie sich das Bild morgen ausnimmt.» «Jawohl, Sir, ich werde es sofort aufzeichnen.» Auf einem anderen Tisch lag eine zweite Karte des Nordatlantik, und ein Offizier begann, Linien darauf einzuzeichnen. Eine dicke rote be zeichnete den Kurs der Bismarck, je eine dicke schwarze den der Home 61
Fleet und der Gruppe H, dünnere schwarze für Rodney, Ramillies und Revenge, gestrichelte schwarze für die Kreuzer.
«Hier stehen Bismarck und Suffolk morgen mittag, wenn die Bismarck ihren Kurs beibehält.» «Ja, wenn –», sagte der Admiral skeptisch. «Hier ist die Home -Fleet», fuhr der Offizier fort, «da die Rodney, die Kampfgruppe H, die Ramilles, die Revenge, die London, die Edinburgh.»
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Die dicke rote Kurslinie der Bismarck schnitt sich mit der dicken schwarzen der Home -Fleet. Und die anderen schwarzen Linien strebten ebenfalls diesem Punkt zu, einige kamen ihm nahe, andere endeten in weiter Entfernung, alle zusammen aber boten sie einen Eindruck über wältigender Machtentfaltung. «Hier auf dem Papier sieht das ja wunderschön aus», bemerkte der Admiral. «Schreiben Sie sofort die entsprechenden Befehle aus.» Jetzt stürzte ein anderer junger Offizier herein: «Der Premierminister, Sir», meldete er. «Ich komme», sagte der Admiral. «Bringen Sie mir das da in mein Zimmer.» Er betrat sein Dienstzimmer, einer der Offiziere legte die Karte mit den letzten Eintragungen auf den Tisch an seiner Seite, damit er darauf Be zug nehmen konnte. Er drückte auf den Schaltknopf des LautsprecherTelephons. «Flaggoffizier vom Dienst.» Aus dem Apparat ertönte unverkennbar die Stimme des Regierungs chefs. «Versenken Sie mir die Bismarck», tönte der Apparat. «Das ist jetzt Ihre Aufgabe, Ihre vordringlichste, unerbittlichste Pflicht. Ihr gegenüber darf keine andere Erwägung ins Gewicht fallen.» «Jawohl, Herr Premierminister.» «Was ist mit der Ramillies? Was macht die Rodney?» «Beide erhalten soeben ihre Befehle, Herr Premierminister.» «Und die REVENGE, die Kampfgruppe H? » «Haben bereits ihre Befehle.» «Sie treffen mir alle erdenklichen Maßnahmen, um die Bismarck zu versenken?» «Gewiß, Herr Premierminister.» «Aber bitte nicht nur die naheliegenden und einfachen, nein, auch die schwierigen, ja, die unmöglich scheinenden. Der Zweck rechtfertigt in diesem Falle jedes Mittel, auch das nach menschlichem Ermessen un 63
möglichste. Denken Sie daran, daß die Blicke der ganzen Welt in diesen Tagen auf uns gerichtet sind.» «Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern, Herr Premierminister.» «Gut, und jetzt gibt es nur noch eins: Versenken Sie die Bismarck!» «Dringender Funkspruch von Suffolk», meldete der junge Leutnant. «Sie wird von der Bismarck beschossen.» An Bord der Suffolk sah es immer noch genauso aus wie vor dem tragi schen Untergang der Hood. Sie dampfte nach wie vor mit hoher Fahrt über die dunstbedeckte See und glitt dabei immer wieder für kurze Minu ten aus einer Nebelbank heraus, um alsbald in der nächsten zu ve r schwinden. Die Ausguckposten waren immer noch in voller Zahl auf ihren Stationen, die weniger geschützten waren vom fliegenden Gischt wie bereift, alle aber schwenkten auf ihren Drehstühlen gewissenhaft hin und her und ließen keinen Winkel im ganzen Umkreis des Schiffes aus dem Auge. «Fünf Grad Steuerbord Schiff in Sicht!» rief plötzlich einer der vorde ren Ausguckposten. Es war die Bismarck , die da plötzlich aus dem Nebel heraus auf Gegenkurs auf sie zukam. Aus dem Schallrohr zu Häupten des Rudergängers ertönte im Bruchteil einer Sekunde der scharfe Befehl: «Hart Backbord!» Augenblicklich wirbelte der Rudergänger das Rad herum, er fühlte, wie das hartdrehende Schiff nach außen krängte, und beobachtete, wie die Kompaßrose stetig von Strich zu Strich herumschwang. Unten im Heizraum klingelte der Maschinentelegraph: ‹Äußerste Kraft voraus›, und ein klappernder Zeiger rückte auf die Worte ‹Qualmen›. Während das Schiff krängend herumkam, drehten die Maschinisten fie berhaft an ihren Manövrierventilen, ein Heizer öffnete ein Ventil, um Qualm zu erzeugen, dann peilte er durch ein Schauloch und sah, wie die weißglühenden Flammen hinter seinem Fensterchen dick und schwarz wurden. Oben auf der Brücke sah Dusty, wie die Kimm durch das Gesichtsfeld seines Doppelglases herumschwenkte, und mußte sich festhalten, als das 64
Schiff zum Drehen überholte. Erst als sich der Kreuzer wieder aufrichte te, hatte er die Bismarck plötzlich klar und deutlich vor Augen. Eben fuhr flammend und qualmend die erste Salve aus ihren Rohren. «Gleich kommen die Brocken geflogen», sagte er trocken. Die mächti gen Wassersäulen der Aufschläge zeigten sich eine Viertelmeile steuer bord achteraus. «Diesmal ging’s vorbei», sagte er. «Wo bleibt nur unser Qualm?» fragte ein Unteroffizier neben ihm und warf einen Blick nach oben. Aus den Schornsteinen kamen gerade die ersten Puffs, dann aber quoll es dick und schwarz und ölig heraus und bildete hinter dem Schiff eine Wolke, die sich schwer und undurchsichtig auf das Wasser legte. Und doch stiegen aus diesem undurchdringlichen Qualm heraus plötzlich neue Wassersäulen auf, diesmal unmittelbar neben der Bordwand – die zweite Salve der Bismarck, der die Suffolk nur um Haaresbreite entging. Die hochgewirbelten Wassermassen stürzten an Deck herab und übergo ssen jeden, der zufällig in der Nähe stand. Auch Dusty wischte sich spuckend das Wasser aus den Augen und von den Linsen seines Glases, als schon die nächste Salve über sie hinwegdonner te, als ob ein Expreßzug durch einen Tunnel raste. Er schüttelte die Faust nach der Bismarck, die irgendwo unsichtbar hinter der Qualmwolke stak. Dort auf der Brücke beobachteten Lindemann und Lütjens den dicken Rauchschleier, der sich über das Wasser legte. «Da kann ich mich nicht hineinwagen», sagte Lütjens, «bitte gehen Sie wieder auf den alten Kurs zurück.» «Jawohl, Herr Admiral.» Er gab den Befehl, abermals kehrtzumachen. «Und jetzt geben Sie noch unseren Abschiedsgruß an die Prinz Eu gen», sagte Lütjens. «‹Leben Sie wohl und glückliche Fahrt.›» Weit draußen an der Kimm, fast unsichtbar im Dunst, blinkte ein Scheinwerfer herüber. Der Signalgast auf der Brückennock las den Mo r sespruch ab. 65
«‹Danke. Leben Sie wohl, beste…›. Das übrige war im Dunst nicht mehr zu erkennen, Herr Admiral.» «Danke. Den Rest können wir uns denken», sagte Lütjens, dann meinte er plötzlich zu Lindemann: «Ob wir wirklich erraten können, wie dieser Rest aussehen wird?» «Jedenfalls konnte die Prinz Eugen ungesehen von hier ablaufen. Das ist sehr wertvoll, sie hat jetzt freie Bahn für die Rückfahrt.» Der Chef des Stabes erschien mit einem Funkspruch in der Hand und trat grüßend zu seinem Admiral. «Funkspruch vom Ob. d. M. Herr Admiral: Unser Verbindungsmann in Algeciras meldet: ‹Kampfgruppe H, bestehend aus Flugzeugträger Ark Royal, Schlachtkreuzer Renown, Kreuzer Sheffield mit fünf Zerstörern heute um Mitternacht mit Kurs nach dem Atlantik aus Gibraltar ausge laufen.›» «Danke sehr», sagte Lütjens, «wir wollen uns das einmal ansehen.» Sie begaben sich ins Kartenhaus, wo der Navigationsoffizier eben im Begriffe war, angenommene Kurse abzusetzen. «Gesetzt, wir drehen um Mitternacht nach Os ten ab, so ist dies hier un ser Kurs, Herr Admiral», sagte er. «Und das da ist der günstigste Kurs für die Kampfgruppe H.» «Kann sie uns den Weg verlegen?» «Kaum, Herr Admiral.» «Wir haben ja außerdem U-Boote, die sich dieses Verbandes annehmen werden. Wie ist die Wettermeldung für das Gebiet, in dem er steht?» Der Chef des Stabes blätterte in einem Bündel von Funksprüchen und meldete dann: «Wind Süd bis Südwest, Stärke 6, schlechte Sicht, Wolkendecke in einhundertfünfzig Meter Höhe, schwere See.» «Dann brauchen wir wohl mit der Kampfgruppe H nicht zu rechnen», sagte Lütjens. «Der Seegang hindert ihre leichten Aufklärungsschiffe, hohe Fahrt zu laufen, außerdem werden ihre Flugzeuge bei diesem We t ter nicht starten können.» 66
«Die Ark Royal ist ein Schiff von höchstem Gefechtswert und großer Erfahrung», wandte Lindemann ein. «Gedanken lesen können sie dort auch nicht», sagte Lütjens. «Diese Ark Royal kann mich nicht aus der Fassung bringen.» «Immerhin haben sich die Engländer bis jetzt nicht gerade töricht ange stellt», sagte Lindemann. «Wie meinen Sie das?» «Ich denke nur an das, was wir heute erlebt haben, und an die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen.» «Bitte drücken Sie sich etwas deutlicher aus.» «Wir haben Norwegen bei dickstem Wetter verlassen, Herr Admiral, wir haben mit höchster Fahrt und auf dem kürzesten Wege die Dänemark-Straße angesteuert. Das war aber nur eine von den Dutzend Mö g lichkeiten, die uns zu Gebote standen. Wenn uns die Engländer hier zu fassen bekamen, so konnten sie das nur, wenn sie sich sofort und ohne einen Augenblick des Zögerns in Bewegung setzten.» «Was wollen Sie damit sagen?» «Daß sie erstaunlich rasch und sicher reagierten. Wir fanden heute bei Tagesanbruch zwei Kriegsschiffe genau auf unserem Kurs. Sie müssen mir zugeben, Herr Admiral, daß man auf der Gegenseite unsere Absich ten mit bemerkenswertem Scharfsinn erraten hat.» «Sie vergessen, Lindemann, daß die Leute vielleicht nur unwahrschein liches Glück hatten. Im Kriege läuft man immer Gefahr, den Gegner für unheimlich klug und gewaltig stark zu halten – so lange, bis es zum Kampf kommt. Ob die Engländer nun so schlau oder so glücklich waren, uns auf Anhieb zu finden, ihre Aktion endete mit einer vernichtenden Niederlage. Wir wollen hoffen, daß das Glück der Ark Royal genauso aussehen wird.» In Gibraltar ging es lebhaft zu, da die Kampfgruppe H im Hafen lag und eine Wache Landurlaub bekommen hatte. In den Wirtschaften drängten sich die Matrosen und tranken ihr Bier, auf den Straßen wimmelte es von Urlaubern, die ziellos durch die Stadt bummelten. Das Kino war eben 67
falls voll von fröhlichen jungen Männern, die den Vorgängen auf der Leinwand unter lautem Scherzen und Lachen folgten. Als dann mitten in der Vorstellung der Filmstreifen plötzlich abriß und die Lautsprecher schwiegen, hielten sie dies erst für eine technische Störung und quittier ten dafür mit einer übermütigen Katzenmusik, die dann aber ganz un vermittelt verstummte, als auf der Leinwand ein in schlechter Hand schrift und fehlerhaftem Englisch geschriebenes Diapositiv erschien. ‹Alle Marineangehörigen haben sofort an Bord ihrer Schiffe zurückzu kehren!› lautete sein Text. Hier und dort hörte man ein vereinzeltes «Buh!» und wohl auch ein paar Seufzer, aber als dann die Lichter angin gen, zeigte es sich, daß bereits alles auf den Beinen war und den Aus gängen zudrängte. Durch die Straßen zogen überall Patrouillen. «Sofort an Bord zurück! Der Landurlaub ist aufgehoben.» Die Streifen gingen in alle Wirtschaften, unterbrachen die Männer beim Trinken und schickten sie ohne langes Hin und Her auf ihre Schiffe. Rings um den Felsen von Gibraltar eilte alles, was Marine hieß, an Bord, die Eiligsten benutzten Pferdedroschken und lehnten sich aus den Fen stern, um die Kutscher zur Eile zu treiben. Andere rannten schwitzend zum Hafen, alle drängten sich gutmütig wie die Heringe in den überfüll ten Booten. Die Ark Royal lag an der Pier, eine nicht abreißende Me n schenschlange kroch über ihre Stelling und verschwand unter Deck. Von einem Tanker wurde Öl in ihre Bunker übergepumpt, Vorräte und Ausrü stungsstücke verschiedenster Art wurden in aller Eile an Bord genom men. An der Außenkante lag ein Leichter längsseit, der Ladebaum des Schiffes hievte aus ihm blanke Torpedos an Deck. «Wie viele von den Dingern habt ihr noch?» rief ein Offizier von der Höhe des Decks herab. «Noch einen!» schrie der Vormann der Werftarbeiter aus dem Leichter herauf und hob dazu einen Finger in die Höhe. Der Ladebaum faßte ihn, hievte den schweren Burschen knarrend hoch bis über das Flugdeck und fierte ihn zuerst durch das Hallendeck und dann tiefer und tiefer in die unteren Räume des riesigen Schiffes, wo ihn 68
eine Arbeitsgruppe wahrnahm und an seinen Platz im Torpedolagerraum verbrachte. «Du bist also der letzte, nicht wahr, mein Schatz», sagte Ginger, der Torpedomaschinistenmaat, der hier die Aufsicht führte. «Sag nur Musso lini einen schönen Gruß von uns!» Er tätschelte das eiserne Monstrum liebevoll mit der flachen Hand, es wirkte mindestens so bösartig und bedrohlich wie eine 38 cm Granate. Schon hallten Befehle durch alle Decks, die die Männer zum Inseegehen auf ihre Manöverstationen riefen. Hier und dort in der Bucht blinkten Morselampen. Auf der Brücke meldete ein Signalgast: «Die Zerstörer sind ausgelaufen, Sir.» «Sehr schön, danke.» Ohne Hast wurden dann die Befehle gegeben, die das Riesenschiff im nächtlichen Dunkel in Fahrt brachten. «Vorleinen los! Achterleinen los! Backbordmaschine kleine Fahrt vo r aus! Alle Maschinen stop. Steuerbord zehn. Alle Maschinen langsame Fahrt voraus. Ruder mittschiffs. Alle Maschinen stop. Alle Maschinen langsame Fahrt voraus. Alle Maschinen halbe Fahrt voraus. Steuerbord fünfzehn.» Hinter ihren Zerstörern steuerte die Kampfgruppe H durch die Hafen sperren nach See hinaus. Die Lichter von La Linea und Algeciras bewe g ten sich scheinbar im Bogen um den Horizont, als der Flugzeugträger drehte. Auf dem Außendeck standen die Schattengestalten zweier Offi ziere der Marineluftwaffe und verfolgten die kreisende Bewegung der Lichter. «Kein Nazi-Agent in Algeciras und La Linea läßt uns jetzt mit seinem Doppelglas aus dem Auge», bemerkte der eine. «Ja, und schau nur», meinte der andere, «diesmal haben sie sicher al lerhand zu melden. Hast du schon gemerkt, wohin wir drehen?» «Ja, wir laufen in den Atlantik», sagte der andere, «nicht wie sonst im mer ins Mittelmeer.» Unten im Torpedolagerraum erschien ein Torpedomatrose vom Ober deck, um sich Gingers Arbeitskommando anzuschließen. 69
«Jetzt heißt es Lebewohl, sonniges Mittelmeer», verkündete er. «West kurs! Der offene Atlantik wartet auf uns.» «Das gibt’s ja gar nicht!» rief einer von den Umstehenden. «Doch, ihr könnt es glauben, wir steuern in diesem Augenblick durch die Straße von Gibraltar hinaus.» «Ob wir wohl nach Hause schippern?» meinte einer hoffnungsvoll. «Dann könnte es sein, daß wir einmal richtig Urlaub bekommen», fügte ein anderer hinzu, der seine Hoffnungen allem Anschein nach noch ein wenig höher schraubte. «Vielleicht gibt es da draußen Arbeit für uns», sagte Ginger und riß damit seine Leute aus ihren Phantasien. Jetzt richtete er wieder das Wort an den eben übernommenen Torpedo: «Na, so komm, mein Schwein chen. Diesmal sollst du Freund Mussolini ungeschoren lassen, wir haben dich für Hitler und für die deutsche Marine aufgespart.» «Haben Sie eine Ahnung, wohin wir gehen, Herr Obermaat?» «Nein, mein Freund Winston hat leider vergessen, mich anzurufen. Ihr müßt schon solange warten, bis er das Versäumte nachholt.» «Hui! fühlst du das?» sagte ein Matrose. Die Ark Royal bekam eben zum erstenmal die atlantische Dünung zu spüren, ihr Bug hob sich hoch in die Luft, alles, was nicht eisern festge zurrt war, begann zu schlenkern und herumzurutschen, hielt sich wohl einmal einen Augenblick auf der Stelle, glitt aber dann plötzlich seitwärts davon, wenn sich das mächtige Schiff durch die Seen schraubte. Die sichernden Zerstörer hatten unter dem Seegang noch schwerer zu leiden, auch sie bahnten sich stampfend und schlingernd ihren Weg durch die aufgewühlten Wogen, als sie weit vor der Ark Royal und der Renown in den Atlantik hinausstrebten. Die Bismarck arbeitete nicht viel weniger in der rauhen See. Admiral Lütjens trat aus seiner Brückenkammer und ging auf die Brücke. Er trug drei oder vier lederne Schatullen in der Hand.
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«Ich möchte ein paar Worte an die Besatzung richten», sagte er zu Lin demann. «Bitte lassen Sie die überzähligen Fähnriche und Offiziere an treten.» Auf ein Zeichen Lindemanns schaltete ein Maat die Lautsprecheranlage ein und gab bekannt, daß der Admiral die Besatzung zu sprechen wü n sche. Die überzähligen Offiziere und Fähnriche standen bereits angetre ten auf dem Achterdeck. Sie machten jetzt einen müden, abgespannten Eindruck, kein Wunder, da sie nächtelang keinen Schlaf mehr bekommen hatten. «Bitte lassen Sie Kapitän Schwarz und Kapitänleutnant Dollmann zu mir kommen», sagte Lütjens. «Jawohl, Herr Admiral», antwortete Lindemann, während Lütjens schon an das Mikrophon trat. «Männer der Bismarck», begann er. «Ich kann euch nicht von euren Gefechtsstationen wegrufen, während der Feind hinter der Kimm auf uns lauert. Darum kann ich nur eine kleine Zahl der überzähligen Offiziere und Fähnriche persönlich an der kurzen Feier teilnehmen lassen, die ich nun abhalten werde, ihr anderen aber könnt an euren Maschinen, an eu ren Geschützen wenigstens meine Worte hören. Männer der Bismarck! Als erstes ist es meine Pflicht, euch von der hohen Ehrung zu unterrich ten, die uns zuteil geworden ist. Unser Führer hat mich persönlich beauf tragt, den Kommandanten, Kapitän Lindemann, und die ganze Besatzung dieses Schiffes zu den errungenen Erfolgen zu beglückwünschen. Er sagte wörtlich: ‹Die Nachricht von unserem Sieg wird die Hauptstädte der feindlichen Welt erzittern lassen. Churchill, der ewige Kriegshetzer, bangt um seine und Englands Zukunft. Das bedeutet, daß wir nicht lok kerlassen dürfen. Für uns gibt es jetzt nur eins, vorwärts und immer wi e der vorwärts, vorwärts von Sieg zu Sieg, bis die jüdische Sippschaft am Boden liegt und die Welt unter dem Hakenkreuzbanner wieder in Frieden leben darf.› Unser Führer Adolf Hitler: Sieg Heil!» «Sieg Heil!» kam gehorsam die Antwort aus dem Munde der Angetre tenen, und dann noch einmal: «Sieg Heil!» 71
Es klang nicht gerade überzeugend, dieses ‹Sieg Heil!›, aber die jungen Männer waren eben sterbensmüde und machten sich vielleicht auch Ge danken, wie es nun weitergehen sollte. «Der Führer hat mir zugleich befohlen, in seinem Namen jene Offiziere und Mannschaften auszuzeichnen, die sich im Kampf besonders hervo r getan haben. Korvettenkapitän Dollmann!» Der Gerufene trat sichtlich gehemmt vor seinen Admiral. «Im Namen des Führers und Reichskanzlers verleihe ich Ihnen, dem Zweiten Artillerieoffizier der Bismarck, das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz.» Als er dem Ausgezeichneten das Ordensband mit dem Kreuz umhäng te, ließen die jungen Offiziere und Fähnriche erneut ihr dreifaches ‹Sieg Heil!› vernehmen. «Fregattenkapitän Schwarz! Ihnen, dem Artillerieoffizier dieses Schif fes, ist es in erster Linie zu danken, daß die Hood so rasch ihren Unter gang fand. Im Namen des Führers verleihe ich Ihnen das Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz.» Wieder riefen die jungen Leute: «Sieg Heil!» «Euer Kommandant ist bereits stolzer Träger des Ritterkreuzes. Heute, Herr Kapitän Lindemann, habe ich die hohe Ehre und die besondere Freude, Ihnen im Namen des Führers das Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz verleihen zu dürfen!» Lindemann war eben im Begriff vorzutreten und die Auszeichnung entgegenzunehmen, als im ganzen Schiff die Alarmglocken anschlugen. «Luftwarnung! Luftwarnung! Feindliche Flugzeuge in Sicht! Flugzeu ge Backbord achteraus!» Die Flakartillerie hatte das Ziel gefaßt und begann zu feuern, ehe Lüt jens und Lindemann noch auf der Brücke nach vorn geeilt waren. In einem wahren Schneckentempo kamen neun Swordfish-Maschinen ange flogen – jetzt drehten sie ab, um in vorliche Stellung zur Bismarck zu gelangen und ihre Torpedos aus günstiger Schußposition abwerfen zu können. «Hart Steuerbord!» schrie Lindemann. 72
Der Himmel war mit den schwarzen Sprengwolken der Flakgranaten gesprenkelt. Die schimmernde Schleppe des Kielwassers schloß sich fast zum Kreis, als die Bismarck weit überliegend abdrehte. «Hart Backbord!» schrie jetzt Lindemann, und das Schiff holte nach der anderen Seite über, als das Ruder gelegt war und die neue Drehung begann. Die Torpedos huschten dicht an beiden Seiten des Schiffes ent lang, ihre Laufbahnen waren im bleigrauen Wasser deutlich genug zu sehen. Plötzlich ein Donner, eine hohe Wassersäule. Ein Torpedo war am Steuerbordvorschiff detoniert. Dann, kaum begonnen, war der böse Spuk auch schon wieder vorbei. «Das waren Maschinen vom Typ Swordfish», sagte Lütjens zu seinem Chef des Stabes. «Wie viele davon haben Sie gezählt?» «Sieben, Herr Admiral.» «Und Sie?» «Ich glaubte, ich hätte neun gesehen.» «Neun, ja, das dachte ich auch.» «Diese Swordfish-Maschinen deuten darauf hin, daß ein Träger in der Nähe ist», sagte der Chef des Stabes. «Wenn dieser Träger nur neun Swordfish einzusetzen hat», meinte Lüt jens, «dann ist er kümmerlich bestückt. Immerhin, einen Treff er haben sie erzielt, im Steuerbord-Vorschiff. Was hat er dort angerichtet, Linde mann?» «Die Meldung des Lecksicherungsdienstes kommt eben durch, Herr Admiral.» Lindemann lauschte eine Weile am Telephon, ehe er auf Lüt jens Frage antwortete. «Der Lecksicherungsdienst meldet, der Schaden sei kaum der Rede wert. Verletzt ist niemand, die Pumpen können das einströmende Wasser leicht bewältigen. Das entstandene Leck wird in weniger als einer Stunde gedichtet sein. Die Kampfkraft des Schiffes ist nicht im geringsten beeinträchtigt, Herr Admiral.» «Die kleinen Torpedos, die die Swordfish-Flugzeuge tragen können, vermögen eben unserer Bismarck kaum etwas anzuhaben», sagte Lütjens. «Jetzt wollen wir aber einmal sehen, woher die Burschen gekommen sind.» 73
Er ging den anderen voran ins Kartenhaus und beugte sich über die Karte. «Wie groß ist der Aktionsradius einer Swordfish?» «Hm. Etwa hundertzwanzig Seemeilen, jedenfalls weniger als hundert fünfzig Seemeilen.» Auf einen Wink Lütjens’ zog der Navigationsoffizier mit dem Zirkel einen entsprechenden Kreis. «Irgendwo innerhalb dieses Kreises schwimmt unser Träger», sagte Lütjens. «Meine Herren, das ist ein verdammt großes Gebiet.» Jetzt erschien ein junger Funkoffizier im Kartenhaus. «Leutnant Helder hat mich geschickt, Herr Admiral. Wir nehmen den Funkverkehr der Swordfish auf.» «Ja?» «Nach unseren Peilungen ist ihr Kurs etwas nördlicher als Ost – fünf undachtzig Grad dürfte ziemlich genau stimmen, Herr Admiral.» Ein Blick nach dem Navigationsoffizier veranlaßte diesen, vom Schiff sort de r Bismarck aus in der angegebenen Richtung eine Linie zu ziehen, die bis zum Kreisumfang reichte. «Dort stünde also der Flugzeugträger», sagte Lütjens. «Und die Ark Royal ist noch tausend Meilen entfernt», bemerkte der Chef des Stabes und deutete dabei nach dem östlichen Kartenrand. «Ein Träger mit ganzen neun Swordfish und sonst nichts an Bord», meinte Lütjens. «Wann geht die Sonne unter?» «In siebzehn Minuten, Herr Admiral», sagte der Navigationsoffizier. «Eine Stunde brauchen sie, um zu tanken und neue Torpedos an Bord zu nehmen», sagte der Chef des Stabes, «eine weitere Stunde, bis sie wieder hier sind. Wir haben zur Zeit keinen Mond und eine niedrige Wolkendecke. Ich halte es für ausgeschlossen, daß sie uns heute abend unter diesen Umständen wiederfinden.» «Ebensowenig finden sie uns morgen, wenn wir diesen Kreuzer los werden», sagte Lütjens. «Und damit machen wir nun Ernst.»
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Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, wollte er mit der geballten Rechten in die hohle Linke schlagen und wurde dabei inne, daß er die Lindemann zugedachte Auszeichnung immer noch in der Hand hielt. «Mein Gott, jetzt hätte ich fast vergessen, was ich Ihnen noch schulde. Im Namen des Führers übergebe ich Ihnen hiermit Ihren hohen Orden.» «Danke gehorsamst, Herr Admiral.» «Mögen Sie ihn noch lange und in Ehren tragen.» «Das hoffe ich, Herr Admiral», sagte Lindemann mit einem Blick auf das glitzernde Ehrenzeichen in seiner Hand. «Gleich tauchen wir wieder in eine Nebelbank, Herr Admiral», sagte der Chef des Stabes. «Es scheint, als wäre die Zeit zum Handeln für uns gekommen.» Im Lagezimmer der Admiralität studierten der Admiral, der Konteradmi ral und der Vizeluftmarschall mit noch einer Anzahl anderer Offiziere die Karte, auf der alle mit der Verfolgung der Bismarck befaßten Schiffe markiert waren. «Die Bismarck wird offenbar systematisch eingeschlossen», sagte der Vizeluftmarschall. «Ja, einstweilen sieht es ganz so aus.» «Schiffsort, Kurs und Fahrt der Suffolk, Sir», meldete ein junger Offi zier. «Die Bismarck steuert immer noch den alten Kurs.» «Ich möchte nur wissen, was die Kerle im Schilde führen», sagte der Admiral halblaut vor sich hin. «Bis morgen mittag hat sie die HomeFleet gefaßt.» «Die wissen nicht, daß die Home -Fleet in See ist, Sir», bemerkte der Konteradmiral. «Dringender Funkspruch der Suffolk, Sir», sagte der junge Offizier mit erhobener Stimme: «‹Haben neun Swordfish gesichtet, die die Bismarck anflogen.›» «Neun Swo rdfish!» sagte der Admiral. «Die kommen von der Victori ous, mehr hat sie nicht an Bord.» «Wenn die Home-Fleet dort steht, wo sie nach unseren Berechnungen sein müßte, dann ist die Victorious noch hundertfünfzig Seemeilen von 75
der Bismarck entfernt», sagte einer der Offiziere, nachdem er den Ab stand mit dem Zirkel abgegriffen hatte. «Sind noch weitere Meldungen eingegangen?» erkundigte sich der Admiral. «Jawohl, Sir. Suffolk meldet: ‹Schweres Artilleriefeuer der Bismarck.›» «Die Flugzeuge greifen an», sagte der Vizeluftmarschall. «Ich verstehe nur nicht, warum es nur neun sind.» «Der Victorious geht es um kein Haar besser, als der Prince of Wales», sagte der Konteradmiral. «Sie ist nagelneu und kommt soeben erst aus der Bauwerft. Die Swordfish-Flugzeugführer sind noch nie vom Deck eines Trägers gestartet und natürlich auch noch nie auf einem solchen schwankenden Untersatz gelandet. Sie sind also noch ganz und gar uner fahren. Aber wir hatten eben einfach nichts Besseres aufzubieten, als sich die Bismarck auf die Reise machte.» «Suffolk meldet», sagte der junge Offizier, «‹Bismarck hat Feuer einge stellt.›» «Das heißt, daß der Angriff beendet ist», sagte der Vizeluftmarschall. «Suffolk meldet: ‹Habe Funkspruch von Flugzeug an Victorious aufge fangen. Ein Treffer beobachtet.›» «Gebe Gott, daß sie dadurch langsamer wird», sagte der Konteradmiral. «Nur darum hat Tovey diesen Angriff fliegen lassen.» «Ich möchte eher annehmen», sagte der Admiral, «daß dieses Schiff glatt ein halbes Dutzend Torpedos einstecken kann, ohne allzuviel Wir kung zu verraten.» «Suffolk meldet wieder Schiffskurs und Fahrt», sagte der junge Offi zier. «Und wie steht es mit dem Kurs und mit der Fahrt?» forschte der Kon teradmiral. «Kurs hundertneunzig Grad, Fahrt fünfundzwanzig Meilen.» «Da haben Sie es», sagte der Admiral. «Alles unverändert. Es sieht nicht so aus, als ob dieser Treffer irgendwelche Wirkung hinterlassen hätte.» 76
«Wo sich die Schiffe befinden, geht jetzt gerade die Sonne unter», sag te der Konteradmiral. «Es wird also bald dunkel sein. Außerdem herrscht in jenem Seegebiet Nebel.» «Und der Wind frischt ständig auf», ergänzte der Admiral. «Die armen Flugzeugführer müssen also zum erstenmal in ihrem Leben bei schwe rem Seegang und in Nacht und Nebel ein Trägerdeck anfliegen. Gebe Gott, daß sie es schaffen.» «Suffolk meldet», sagte der junge Offizier: «‹Habe Fühlung mit Bis marck verloren. Bin auf der Suche nach dem Gegner.›» «Was? Die Fühlung verloren?» sagte der Admiral. «Die Dunkelheit und der Nebel sind schuld daran», sagte der Konter admiral. «Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sie wiederfindet.» Der Fernsehkommentator in New York stand wieder vor seiner Karte: «Es ist nun gerade vierundzwanzig Stunden her, meine Damen und Herren, daß ich von dieser Stelle aus zu Ihnen sprach, um Ihnen über die Versenkung der Hood durch das Schlachtschiff Bismarck zu berichten. Seit jener ersten Meldung hat nun die britische Regierung kein Ster benswörtchen mehr von sich hören lassen. Es ist geradezu, als ob die Bismarck für John Bull überhaupt nicht existierte. Dafür haben wir von Dr. Goebbels und der Naziregierung um so mehr über das Schiff erfah ren. Berlin meldet, die Engländer hätten die Bismarck gestern abend mit Trägerflugzeugen angegriffen. In dem Bericht heißt es dann weiter ich zitiere wörtlich, meine Damen und Herren, die Bismarck habe den An griff abgeschlagen, sie selbst sei unbeschädigt geblieben, die Angreifer aber hätten schwere Verluste erlitten. Ich stehe nicht an, dieser Meldung Glauben zu schenken, meine Damen und Herren. Wenn dieser Angriff aber stattgefunden hat, dann wäre es das erste Mal in der Geschichte, daß Flugzeuge auf hoher See von einem Träger starteten, um ein deutsches Kriegsschiff anzugreifen. Deutsche Schlachtschiffe im Hafen und italie nische Kriegsschiffe sind schon des öfteren aus der Luft angegriffen worden ich erinnere mich an die englische Aktion gegen Taranto. Aber dies ist, wie ich besonders betonen möchte, das allererste Mal, daß Tr ä 77
gerflugzeuge ein deutsches Schlachtschiff auf See angriffen. Dieses Schlachtschiff aber ist hochmodern, es ist bestens bemannt und unerhört kampfkräftig. Nach dem, was wir gestern hörten, dürfte daran nicht zu zweifeln sein. Ich nehme also an, daß der Angriff wirklich stattgefunden hat, meine Damen und Herren. Und obwohl es mir widerstrebt, den Wor ten eines Dr. Goebbels zu glauben, scheint es mir fast sicher, daß er kläg lich gescheitert ist. Andernfalls hätten wir schon längst von London dar über gehört. Das kann nur bedeuten, daß sich die Bismarck jetzt unge stört auf den Schiffahrtswegen austoben kann. Der Angriff jener Träger flugzeuge war ein letzter, verzweifelter Versuch, ihre unglaubliche Fahrt leistung zu beschneiden. Dies ist nicht gelungen. Wird es den Engländern jetzt überhaupt noch gelingen, sie zu stellen? Ein einzelnes Schiff im weiten Atlantik zu finden, kommt etwa der Aufgabe gleich, einen be stimmten Kraftwagen zu entdecken, der sich irgendwo im riesigen Staate Texas herumtreibt. Und wenn dieser Kraftwagen auch noch größer, schneller und wehrhafter ist, als alle Fahrzeuge, die man zu seiner Ve r folgung auf treiben kann, dann, meine Damen und Herren, können Sie sich ungefähr vorstellen, wie diese Jagd ausgehen wird. Wenn es je schlimm um das alte England bestellt war, dann gewiß in diesen Tagen. Denken Sie nur einmal an Kreta…» Die Frage: «Wo ist die Bismarck?» schwirrte durch die ganze Welt. Tau send Zeitungen in hundert verschiedenen Sprachen brachten diese Frage als Schlagzeile auf ihren Titelseiten. Die Bismarck aber strebte um diese Zeit mit höchster Fahrt durch die stürmische See dem Hafen von St. Nazaire zu. Wie es von Anfang der Unternehmung an gewesen war, so wehte auch jetzt noch ein halber Orkan, und die See ging entsprechend hoch. Vier Tage war sie jetzt in See, und die Besatzung hatte während dieser ganzen Zeit noch keine Stunde Ruhe gehabt, denn die Möglichkeit, sich nahe der Gefechtsstation auf einem stählernen Deck ein wenig auszustrecken, konnte wohl kaum als Erholung gelten. Überall, selbst auf den Wangen der blutjungen über zähligen Fähnriche, sprossen die Bärte. Lütjens selbst saß, vom Schlaf 78
übermannt, in seinem Lehnstuhl, als der Chef des Stabes seine Kammer betrat.
«Endlich haben wir eine Meldung aus Scapa Flow, Herr Admiral», sag te er. «Die Luftwaffe konnte heute morgen dorthin Aufklärung fliegen.» «Und was haben sie dort gesehen?» «Nichts, Herr Admiral. Kein Schlachtschiff, keinen Träger, keinen Kreuzer. Die Home -Fleet ist also irgendwo in See. Wahrscheinlich ist sie 79
schon seit drei Tagen unterwegs, denn so lange ist es her, seit die letzte Aufklärung nach Scapa Flow geflogen wurde.» «Allmählich», sagte Lütjens, «dürften wir uns auch ohne die Hilfe der Luftwaffe darüber im klaren sein, daß die Engländer in See sind.» «Jawo hl, Herr Admiral.» «Am besten werfen wir wieder einmal einen Blick auf die Karte.» Als sich die beiden über den Kartentisch beugten, gesellte sich Linde mann zu ihnen. «In drei Tagen», sagte Lütjens, «kann die Home -Fleet so ziemlich je den Punkt im östlichen Atlantik erreicht haben.» «Aber gewiß, Herr Admiral», bestätigte der Chef des Stabes diese Selbstverständlichkeit. «Wenn der Verband nur zwanzig Meilen läuft…» Er zog mit dem Zirkel einen gewaltigen Kreis auf der Karte – «dann kann er irgendwo innerhalb dieses Bogens sein, Herr Admiral.» «Ja», sagte Lütjens und tippte mit dem Finger auf das kleine Kreuz, das den Schiffsort der Bismarck bezeichnete. Es lag ein ganzes Stück inner halb des Kreises. «Wenn die Engländer irgendwo nördlich dieses Punktes stehen, dann können wir annehmen, daß wir ihnen schon durch die Lappen gegangen sind.» Im Lagezimmer der Admiralität wurde um diese Stunde ebenfalls ein Kreis auf die Karte gezeichnet, er war kleiner als der auf der Bismarck und der äußerste einer Anzahl von konzentrischen Ringen, die sich um den letzten bekannten Schiffsort der Bismarck zogen. «Bis hierher kann sie äußerstenfalls gelangt sein, Sir», sagte ein junger Offizier. «Vorausgesetzt, daß sie die gleiche Fahrt weiterläuft.» «Und die Home -Fleet steuert jetzt Nordostkurs?» fragte der Admiral. «Jawohl, Sir. Soweit wir es feststellen können, dürfte dies ihre Kursli nie sein.» Die dicke schwarze Linie, die sich gestern den ganzen Tag über stetig der roten Linie der Bismarck genähert hatte, war neuerdings gründlich abgeschwenkt und lief jetzt auf die Ostküste von Island zu. 80
«Und die Luft weiß nichts zu melden?» «Überhaupt nichts, Sir. Hier sind die von der R.A.F. abgesuchten Strei fen verzeichnet.» Eine Anzahl paralleler, gestrichelter Linien zeigte das Gebiet, das die Flugzeuge abgesucht hatten. «Es sieht wirklich ganz so aus, als ob die Bismarck doch nicht nach Nordost abgedreht hätte. Dann hätten wir also falsch geraten. Schade.» «Ich möchte das durchaus nicht als sicher bezeichnen, Sir», sagte der Konteradmiral. «Wie Sie wissen, Sir, war sich der ganze Stab darüber einig, daß es für uns den härtesten Schlag bedeuten würde, wenn es der Bismarck gelänge, heil und unangefochten nach Deutschland zurückzu kehren. Dagegen mußten wir in erster Linie Vorkehrungen treffen, und das haben wir denn auch getan.» «Ja. Das bedeutet aber durchaus nicht, daß der Gegner weiß, was wir für den schlimmsten Ausgang dieser Unternehmung halten. Nehmen wir einmal an, die Bismarck hätte sofort Kurs auf Brest genommen, als sie der Suffolk entschlüpft war. Wo stünde sie dann jetzt?» Vom Mittelpunkt des eben geschlagenen Kreises wurde mit dem Lineal eine rote, gestrichelte Linie nach seinem Umfang gezogen. «Hier, Sir.» «Und die Home -Fleet steht dort?» «Dann sieht es ganz so aus, als ob uns die Bismarck endgültig ent wischt wäre. Die Home-Fleet kann sie unmöglich einholen, wenn sie einmal eine verliehe Stellung erlangt hat.» «Wenn sich nichts ereignet, das sie zwingt, ihre Fahrt zu vermindern.» «Gewiß. Dazu hätten wir hier zum Beispiel die Ark Royal», sagte der Admiral und tippte mit dem Zeigefinger auf den Schiffsort des Trägers. Auf der Ark Royal saßen die Swordfish-Besatzungen vor einer Schultafel und wurden über die gleichen Probleme belehrt, die sich den Offizieren im Lagezimmer der Admiralität boten. «Sie sehen jetzt, wie die Dinge liegen, meine Herren. Soweit wir das beurteilen können, könnte uns nichts Schlimmeres widerfahren, als daß 81
die Bismarck auf dem gleichen Weg nach Hause entwischte, den sie gekommen ist. Die Home-Fleet ist in See, um ihr den Weg zu verlegen, wenn sie östlich oder westlich von Island vorbeilaufen will. Abgesehen davon, kann sie sich aber auch nach Nordwesten gewandt haben, um die Rückseite Grönlands zu erreichen jene Gegend wäre für ein Zusammen treffen mit Tankern besonders geeignet. Oder aber sie wählt einen süd westlichen Kurs, so weit ab von der Küste, daß sie für die kanadische Luftaufklärung unerreichbar bleibt. In diesem Falle hätte die Revenge von Halifax aus Gelegenheit, sie zu fassen. Eine weitere Mö glichkeit wäre, daß sie kurzerhand Süd steuert, etwa nach einem Treffpunkt mit Tankern auf der Höhe der Azoren, aber außerhalb der Reichweite unserer dortigen Aufklärungsflugzeuge. Darum hätten sich die Ramillies und die Edinburgh zu kümmern. Endlich käme noch in Frage, daß sie in das Mittelmeer einlaufen will oder einen spanischen oder französischen Ha fen – sagen wir Brest oder St. Nazaire – ansteuert. In diesem Fall, meine Herren, kommen wir zum Zuge, wenn sie diesen Weg wählt, nehmen wir sie auf’s Korn. Wir müssen sie zunächst finden und ihr dann so viele Torpedos verpassen, daß sie ihre Fahrt vermindern muß und von den anderen Schiffen den Rest bekommen kann. Unsere Torpedos, meine Herren, führen diese Entscheidung herbei.» Im gleichen Deck, nur weiter vorne, unterrichtete Ginger ein paar Re kruten über die Wartung und Pflege von Torpedos. «So, ihr jungen Dachse, nun habt ihr wenigstens einmal gesehen, wie man einen Torpedo behandeln muß. Es kann ja sein, daß dieser Krieg noch fünf Jahre dauert, dann bekommt ihr bis dahin wenigstens einen blassen Schimmer von der Wartung und Schmierung, die ein Torpedo von seinem Bedienungspersonal verlangt. Aber eins müßt ihr euch jetzt schon ständig vor Augen halten: Wir – ihr und ich – gewinnen die Schlachten und die Kriege. Ja, ihr könnt es mir glauben, ihr und ich. Diese Aale» – er tätschelte die stählerne Flanke eines Torpedos mit der flachen Hand «sind zum Versenken von Schiffen da. Winston sitzt zu Hause in London, gewiß, er weiß genau, was er will. Und der Erste Se e lord, der Admiral, der arbeitet die Pläne aus. Unser James Somerville 82
führt seine Admiralsflagge und kommandiert die Kampfgruppe H. Cap tain Maund, sein Untergebener, ist Kommandant dieses Schiffes nun, ihr wißt ja alle, was er treibt. Dann sind da die jungen Marineflieger, die fliegen los und werfen die Torpedos ab. Aber wenn ihr fragt, auf wen es letzten Endes ankommt, dann gibt es nur eine Antwort: auf euch hier und auf mich. Wenn diese Torpedos nämlich nicht geradeauslaufen und ihre Tiefe halten, ohne auf einer Laufstrecke von drei Meilen auch nur einen einzigen Fuß nach rechts oder links, nach unten oder oben abzuweichen, nun, dann gehen sie eben vorbei. Dann hätten Winston und der Seelord und James Somerville und Captain Maund und die ganze Marineluftwaf fe ebensogut zu Hause bleiben können, weil ihre ganze Arbeit für die Katz war. Ist euch das klar? Gut, dann laßt es euch ein für alle Male gesagt sein und denkt mir immer daran, wenn euch der Teufel ins Ohr flüstert: ‹Ach laß man, das wird schon hinhauen.› Der Krieg kann nur durch Treffer gewonnen werden, und diese Treffer gibt es nicht ohne uns.» Einen ganzen endlosen, grauen Tag hindurch pflügten alle eingesetzten Kriegsschiffe über den weiten Atlantik. Die King George V. und die Rodney, die Kampfgruppe H und Kapitän Vians Zerstörer. Flugzeuge huschten in gefährlich niedriger Höhe unter den tiefhängenden Wolken über die Wogenkämme – sie alle suchten unermüdlich nach der Bis marck, aber die Bismarck war und blieb verschwunden. Die neutrale Presse, die amerikanischen Millionenblätter, alle stellten sie spaltenlange Betrachtungen an, alle rätselten sie über den Verbleib des Schlacht schiffs. ‹Ist die Bismarck entwischt?› fragten sie. Selbst in den engli schen Zeitungen hieß es fettgedruckt: ‹Höchste Zeit, daß das Unterhaus gewisse Fragen an die Regierung richtet.› In den Fabrikkantinen meinten die Arbeiter bei ihrem Kaffee kopfschüttelnd: «Ein Unglück wäre es schon, wenn ihnen die Bismarck entkäme.» Im Kartenhaus der King George sah man eine Menge goldener Ärme l streifen um den Kartentisch versammelt, während der FlottenNavigationsoffizier seinen Vortrag über die Lage hielt. 83
«Dies hier ist der letzte bekannte Schiffsort der Bismarck, und bis zu diesem Kreisbogen könnte sie äußerstenfalls gelangt sein. Leider ist der Kreis inzwischen schon recht groß geworden, so groß, daß ganz Europa darin Platz fände. Irgendwo in diesem Riesengebiet kann der Gegner stehen. Hier und hier und hier ist allerdings bereits von Flugzeugen abge sucht worden» während dieser Worte bedeckte der Navigationsoffizier ein bestimmtes Gebiet rasch mit parallelen Strichen. Das ergab sogleich ein stark verändertes Bild, denn diese parallelen Li nien bedeckten schon reichlich die Hälfte des Kreises. «Wir selbst», fuhr der Navigationsoffizier fort, «haben mit einem Auf klärungsschirm von zwanzig Meilen Breite diesen Kurs hier gesteuert, so daß man den hier eingetragenen Streifen ebenfalls abrechnen kann. Sie sehen nun selbst, meine Herren, was von der Kreisfläche übrigbleibt. Wenn Lütjens nicht einfach Südkurs steuert, bleibt nur die Annahme, daß er einen französischen Hafen anlaufen will.» Als erst in die Karte eingetragen war, was das für ein Bild ergab, sah man sofort, daß die geäußerte Vermutung nicht weit fehlgehen konnte. «Dann stünde er also im Augenblick hier», ließ sich eine andere Stim me vernehmen, und ein Ärmel mit dem goldenen Streifen eines Admirals wies nach einem Punkt auf der Karte. «Leider ist es so, Sir.» «Das heißt, daß er hundert Meilen vor uns steht. Dabei ist er schneller als wir.» «Jawohl, Sir. Ich bedauere auch das bestätigen zu müssen. Die Luft waffe konnte beim besten Willen nicht überall absuchen. Die Flugzeuge reichen nicht aus, das Wetter ist zu schlecht, kurzum, es ließ sich nicht ermöglichen.» «Hoffentlich wird dieser Sektor wenigstens jetzt noch abgesucht. Wo steht eigentlich die Ark Royal? Sie müßte inzwischen nahe genug heran gekommen sein, um sich von Süden her an dieser Suche zu beteiligen.» «Nach Berechnung der Admiralität stünde sie hier, Sir.»
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Die Ark Royal hatte unter fürchterlichem Wetter zu leiden. Sie arbeitete entsetzlich in der See; wenn sie in den Wind drehte, schwangen ihr Bug und ihr Heck bei einer einzigen Stampfbewegung volle zwanzig Meter auf und nieder. Der Regen peitschte waagerecht durch die Luft, und es herrschte bittere Kälte, als die Swordfish-Maschinen auf dem Flugdeck startklar gemacht wurden. Unter diesen Umständen erforderte es das ganze Können der erfahrenen Piloten, heil abzukommen und die Suche nach dem Gegner aufzunehmen. Kaum gestartet, waren sie auch schon im grauen Dunst verschwunden. Ganz woanders, auf dem Lough Erne in Irland, waren eine Anzahl Cata linas gestartet, um in südwestlicher Richtung zu suchen. Sie starteten bei Nacht, so daß sie bei Hellwerden über dem ihnen zugewiesenen Seege biet waren, und steuerten, weit aus Sicht voneinander, zunächst auf paral lelen Kursen Südwest, um dann, an der Grenze des Suchgebietes ange langt, nach Steuerbord zu drehen und weitere fünfzig Seemeilen nach Nordwest zu fliegen. Endlich gingen sie für den Rückflug auf Kurs Nordost und überzogen auf diese Art eine weites Gebiet des Atlantik wie mit einem Gitterrost. Dieser Gitterrost nun wurde im Lagezimmer der Admiralität auf die Karte übertragen. Sooft ein Funkspruch wieder eine Wendung meldete, erhielt der Rost einen neuen Stab, zeigte die Karte eine neue Linie. Auf diese Art schrumpfte das von der Luftwaffe noch nicht abgesuchte Gebiet immer mehr zusammen. Eine der Catalinas hatte eben fast die Grenze ihres Aktionsradius erreicht, als die Besatzung unter sich etwas zu sehen glaubte. «Dort! Was ist das?» fragte einer der Männer. Das Wetter war so unsichtig, daß sie die aufgewühlte See nur hundert fünfzig Meter unter sich hatten. Aber selbst aus dieser geringen Höhe war das Fahrzeug dort unten nur schemenhaft zu erkennen. Jetzt waren sie fast genau über ihm. «Wir müssen näher heran. Am besten, wir runden sein Heck», sagte der Mann auf dem Platz des zweiten Flugzeugführers. 85
«Das ist ein Schlachtschiff. Jawohl! Und eines ohne Zerstörer Siche rung! Es ist die Bismarck !» Der Beobachter griff nach einem Funkspruchblock und begann sogleich seine Meldung auszuschreiben. Er hatte eben damit begonnen, als eine ganz in der Nähe krepierende Granate das Flugzeug heftig er schütterte. Während der Beobachter immer noch schrieb, riß der Flug zeugführer seine Maschine blitzschnell herum, das Schiff in der Tiefe unten schien um sie zu kreisen, rechts und links, oben und unten barsten 86
die Granaten, dann tauchten sie in die schützende Wolkendecke. Als sie endlich im dicken Dunst vor der Flakartillerie geborgen waren, begann der Funker seine Meldung herunterzuklopfen. Admiral Lütjens schlief, den Kopf in die Hand gestützt in seinem Lehn sessel, als der Alarm das ganze Schiff elektrisierte. Er fuhr hoch, wischte sich den Schlaf aus den Augen und stürzte auf die Brücke. Die Alarm glocken fuhren allen in die Glieder, sie rissen die erschöpften Männer der Freiwache aus dem bißchen Schlummer, den sie auf dem harten Eisen deck oder sitzend an ein Schott gelehnt gefunden hatten, sie ließen auch die Kriegswache zusammenzucken, die, schmutzig, bärtig und abgerissen wie sie war, auf ihren Posten nur mühsam die Augen offenhielt und den noch ab und zu machtlos einnickte. «Flugzeug Backbord voraus! Flugzeug Backbord voraus!» Die Flakgeschütze schwangen herum, hielten einen Augenblick zielend inne und jagten dann unter ohrenbetäubendem Donner einen wahren Strom von Granaten nach dem feindlichen Flugzeug. Lütjens und Lin demann begegneten sich auf der Brücke. «Nun haben sie uns doch gefunden», sagte Lütjens. «Jawohl, Herr Admiral. Das war eine Catalina, ein Typ, der nur von der Küste aus startet.» «Ja.» Die beiden gingen ins Kartenhaus. «Wie weit», fragte Lütjens, «müssen wir uns der französischen Küste nähern, bis wir auf Jagdschutz durch unsere Luftwaffe rechnen können?» Der Navigationsoffizier zog auf der Karte einen Kreis und schraffierte die Fläche zwischen seinem Umfang und der französischen Küste. «Dies dürfte die äußerste Reichweite unserer Maschinen sein.» Er nahm die Entfernung zwischen dem Schiffsort der Bismarck und dem Kreisumfang in den Zirkel: «Morgen bei Tagesanbruch sind wir so weit.» Lütjens und Lindemann blickten einander an. «Morgen bei Tagesanbruch», sagte Lindemann und sah nach der Uhr. 87
«Und heute haben wir noch zehn Stunden Tageslicht.» «Dann haben wir Jagdschutz», sagte Lütjens, «dann soll es noch einer wagen, uns anzugreifen.» Der Funkoffizier trat grüßend näher: «Wir nahmen die Meldung der englischen Maschine auf, Herr Admiral», meldete er. «Konnten Sie entziffern, was er gab?» «Nein, Herr Admiral, wir kennen diesen Schlüssel nicht. Aber der In halt war leicht zu erraten, es handelte sich um unseren Schiffsort nebst Kurs und Fahrt.» «Daß es Weihnachtswünsche wären, war ja wohl nicht anzunehmen.» «Außerdem haben wir noch zwei andere kurze Funksprüche aufgefan gen, Herr Admiral.» «Ja, und was war das?» «Auch sie konnte ich nicht entziffern, aber ich bekam wenigstens her aus, von wem sie herrührten. Die Sender waren Swordfish-Maschinen, Herr Admiral.» «Wie, Swordfish?» fragte Lindemann bestürzt. «Jawohl, Herr Kapitän.» «Dann ist ein Flugzeugträger in der Nähe.» «Jawohl, Herr Kapitän.» «Ich danke Ihnen», sagte Lütjens zum Funkoffizier. Dieser zog sich zurück, der Admiral und der Kommandant beugten sich wieder über die Karte. «Wenn ein Flugzeugträger im Spiel ist», sagte Lütjens, «so heißt das, daß die Kampfgruppe H nicht mehr weit sein kann. Sie könnte ja wohl diese Gegend hier inzwischen ohne Schwierigkeit erreicht haben.» Dann fuhr er zum Navigationsoffizier gewandt fort: «Sehen Sie doch bitte einmal nach, wo wir sie vermuten können. Sie wissen doch, wann sie ausgelaufen ist, nicht wahr?» Der Navi gationsoffizier zog wieder einen Kreisbogen auf der Karte, dessen Mittelpunkt in Gibraltar lag. Der Bogen lief dicht am Schiffsort der Bismarck vorüber. 88
«Sie kann jeden Augenblick Fühlung mit uns bekommen, Herr Admi ral», sagte er, als er fertig war. Der Chef des Stabes schlug eine Flottenliste mit Schattenrissen der englischen Kriegsschiffe auf. «Kampfgruppe H», sagte er und deutete auf eine der Silhouetten: «Hier ist die Renown .» «Wird von unseren Geschützen in fünf Minuten erledigt.» «Die Sheffield –» «Kann es nicht riskieren, auch nur eine Salve von uns einzustecken.» «Die Ark Royal –» «Ihre Swordfish haben wir abgehört. Einen Angriff dieser Maschinen haben wir schon abgewehrt, wir brauchen auch einen zweiten nicht zu fürchten.» Während die beiden miteinander sprachen, war der Navigationsoffizier, den Kopf auf die Hand gestützt, am Kartentisch eingeschlafen. Erst als ihm der Ellbogen wegrutschte, fuhr er wieder hoch. «Meine Sorge ist nur», warf Lindemann ein, «daß an Bord dieses Schiffes seit vollen sechs Tagen kein Mensch mehr in der Koje gelegen und richtig geschlafen hat.» «Noch eine einzige Nacht, Lindemann, nur noch eine Nacht.» Sie begaben sich wieder auf die Brücke und blickten auf die hochge hende See hinaus. «Hoher Seegang, niedrige Wolken, schlechteste Sicht. Gerade das, was ein Flugzeugträger am wenigsten brauchen kann», sagte Lütjens. An Bord der Ark Royal war Gingers Gruppe gerade damit beschäftigt, einen Torpedo unter einer Swordfish an seinen Platz zu bringen. Ein Offizier überprüfte ihre Arbeit. «Magnetzünder sind eingesetzt, Sir», sagte Ginger. «Gut, danke.» Als sie fertig waren, rollten sie die Swordfish in Startstellung. Es wehte heftig, ab und zu peitschte eine Wolke von Gischt über Deck. 89
Auch im Lageraum der Ark Royal spürte man den hohen Seegang. Menschen und Dinge schwankten mit den Schiffsbewegungen hin und her, als die Flugzeugbesatzungen hier ihre letzten Instruktionen entge gennahmen. «Hoffentlich ist Ihnen jetzt alles klar, meine Herren», sagte der älteste Beobachter. «Wir haben hier den Schiffsort der Bismarck, ihren Kurs und ihre Fahrt kennen wir. Unsere Aufklärer lassen sie nicht mehr aus dem Auge. An Ihnen ist es jetzt, ihr den Rest zu geben. Ihre Torpedos sind mit den neuen Magnetzündern ausgerüstet, sie werden Ihnen viel leicht gute Dienste tun. Wenn es Ihnen nicht gelingt, die Bismarck zum Stoppen oder wenigstens zur Fahrtverminderung zu zwingen, dann wird sie uns zu guter Letzt noch entschlüpfen. Morgen früh kann sie bereits mit Jagdschutz von der französischen Küste her rechnen. Es bleiben uns also nur noch neun Stunden Tageslicht. Die Home-Fleet steht hundert Meilen achteraus und wäre völlig außerstande, die Bismarck einzuholen, wenn sie ihre derzeitige Fahrt beibehält. Sie kennen also Ihre Aufgabe, meine Herren, möge Sie das Glück auf Ihrem Flug begleiten.» Im Lagezimmer der Admiralität verfolgte eine Anzahl hoher Offiziere in gedrückter Stimmung, wie die Eintragungen auf der Karte nach den neuesten Meldungen verändert wurden. «Zehn Stunden Tageslicht bleiben uns noch», bemerkte der Konterad miral, «dabei haben sie da draußen gröbste See und eine ganz tief hä n gende Wolkendecke.» «Das Coastal Command ist am Apparat, Sir», meldete ein Offizier. «Ja, ja. Bitte wiederholen Sie das: Neunundvierzig Grad dreißig Minuten Nord, zweiundzwanzig Grad West, steuert hundertfünfzig Grad. Ja, ve r standen. Eine Catalina meldet ein Schlachtschiff, Sir.» Er fand kein Gehör, da sich bereits alles um die Karte drängte. Einer der Offiziere bezeichnete die eben gemeldete Stelle mit einem Kreuz, sie lag fast im Mittelpunkt des Dreiecks, dessen Spitzen durch die Schiffsor te der King George V, der Rodney und der Ark Royal gebildet wurden. 90
«Das muß die Bismarck sein, etwas anderes kommt nicht in Frage», sagte der Konteradmiral. «Offenbar hat sie auf die französische Küste zugehalten, sobald wir die Fühlung verloren hatten.» «Ich möchte die Abstände von unseren Schiffen haben», verlangte der Admiral in ungnädigem Ton. «Die King George ist hundertfünfzig Meilen entfernt, Sir, und die Rod ney hundertdreißig.» «Dann bleibt ihnen die Bismarck unerreichbar. Ausgeschlossen, daß sie sie noch einholen.» «Wenn sie die Ark Royal nicht durch einen Torpedotreffer zwingt, die Fahrt zu vermindern.» «Ja, ja, ich weiß – unsere letzte Hoffnung. Ob es der Mühe wert ist, sich daran zu klammern? Vian mit seinen fünf Zerstörern ist allerdings auch noch da. Gewiß, er könnte nach Einbruch der Dunkelheit angrei fen.» Der Admiral hatte mit leiser, tonloser Stimme gesprochen, aber im nächsten Augenblick schon riß er sich zusammen und war jetzt wieder voll Leben und Tatkraft: «Lassen Sie die letzte Meldung sofort zur Ve r öffentlichung hinausgehen.» «Sie ist bereits unterwegs, Sir», gab der angesprochene Offizier zur Antwort. «Noch zehn Stunden Tageslicht», bemerkte der Admiral, dann, nach einem Blick auf die Uhr: «Nein, nur noch neuneinhalb. «Zeit genug für einen Angriff der Swordfish-Maschi-nen der Ark Ro y al», sagte der Konteradmiral. «Der Wind ist genau westlich, der Träger muß also für den Start und für die Landung seiner Maschinen weit von seinem Kurs abdrehen.» «Ja, dennoch reicht die Zeit für einen Tagangriff gut aus, bei etwas Glück vielleicht sogar für zwei.» «Und nach Dunkelwerden, wäre da nichts mehr zu machen?» «Nein, ich fürchte, das würde uns schlecht bekommen.» «Die Zerstörer sind auch noch da», warf ein anderer Offizier in siege s gewissem Tone ein. 91
«Wissen Sie, was es heißt, bei diesem Seegang ein Schlachtschiff an zugreifen, das siebenundzwanzig Meilen läuft? Wieviel Prozent Treffer glauben Sie da erwarten zu dürfen?» «Nun, Sir?» «Na, wie viele meinen Sie?» «Nicht sehr viele, leider, Sir. Es sei denn, der Gegner wäre schon vo r her lahmgeschossen.» «Damit wären wir also glücklich wieder bei der Ark Royal angelangt.» Die Herren waren schon im Begriff auseinanderzugehen, als ein Kapi tän (Ing.) mit einem Zettel in der Hand auf sie zutrat. «Hier habe ich die Brennstoffbestände für die King George und die Rodney, Sir. Sie sind so genau errechnet, wie mir das von hier aus mög lich war. Leider sieht das Ergebnis nicht allzu günstig aus, Sir.» «Lassen Sie sehen, wie es damit steht.» Tief unten in den Bilgen der King George V. peilte ein Stabsingenieur, begleitet von einem Unteroffizier, der Reihe nach alle Brennstofftanks. Aus jedem holten sie den Peilstock heraus, wischten ihn trocken, tauch ten ihn aufs neue ein und zogen ihn zum zweitenmal hoch, um an der Skala den Ölstand abzulesen. Bei jeder Ablesung brummte der Stabsin genieur etwas Unverständliches vor sich hin und kritzelte dann eine Zahl auf ein Stück Papier. Die Peilstöcke waren samt und sonders nur noch an ihren äußersten Enden benetzt, ein Zeichen, daß der Inhalt der Bunker schon bedrohlich zur Neige ging. «Dieser hier ist ganz trocken», sagte der Unteroffizier, als sie wieder einmal gepeilt hatten. «Das wäre alles», sagte der Stabsingenieur, als sie endlich durch waren, und ging in den Maschinenraum, wo überall die hellen Lampen brannten und die Turbinen ihr Lied sangen. Hier stand der Leitende Ingenieur in seinem Kesselpäckchen und hielt ein wachsames Auge auf die gewaltige Anlage. Der Stabsingenieur schüttelte den Kopf, als er zu seinem Vorge setzten trat. «Hoffnungslos, Sir», sagte er. «Hier sind die Zahlen.» 92
Der Leitende nahm die Liste entgegen und mußte dem Stabsingenieur recht geben, als er die Endsumme gelesen hatte. «Wissen Sie schon, daß die Bismarck wiedergefunden wurde?» «Nein, wo ist sie denn, Sir?» «Hundertvierzig Meilen vor uns – mit Kurs auf Frankreich.» «Das ist alles andere als schön.» «Wir könnten sie auch mit höchster Fahrt unmöglich einholen. Morgen um diese Zeit ist sie schon in Brest.» «Gibt es denn…» «… und bei Tagesanbruch hat sie bereits Jagdschutz von der Küste aus. Die ganze Luftwaffe wird sich über ihr tummeln.» «Ja, das nehme ich auch an.» «Ach was, reden wir nicht mehr darüber», stieß der Leitende Ingenieur in einem Anfall ohnmächtiger Wut hervor. «Wir ändern ja doch nichts daran. Unser Öl reicht nicht einmal für vier Stunden Höchstfahrt, ge schweige denn für vierundzwanzig. Mit sparsamster Marschfahrt kom men wir grade zur Not nach Hause – wenn das überhaupt noch möglich ist. Unsere Zerstörer sind schon nach Hause gelaufen, weil sie kein Öl mehr hatten, unsere Kreuzer sind ihnen gefolgt, weil ihnen das Öl aus ging, und jetzt… o Gott!» Auf der Brücke der Bismarck beobachteten Lütjens und Lindemann, wie das mächtige Schiff in dem entsetzlichen Wetter stampfte und arbeitete. «Sie dürfen nicht vergessen, daß der Gegner ebenfalls mit einer Fülle von Schwierigkeiten zu kämpfen hat», sagte Lütjens. «Ich glaube, drüben kochen sie jetzt vor Wut, da sie endlich wissen, wo wir sind. Haben wir nicht ihren Ring durchbrochen, haben wir nicht schon freie Bahn nach Hause?» «Jawohl, Herr Admiral, abgesehen nur von den Swordfish. Wir hören ständig die Meldungen des Fühlunghalters.» Im ganzen Schiff sah man einzelne Leute, die den Männern auf ihren Gefechtsstationen Essen brachten. Sie mußten die Freiwächter wachrüt teln, damit sie ihre Mahlzeit in Empfang nahmen, aber sie wollte ihnen 93
nicht schmecken, und so mancher brachte keinen Bissen hinunter, wä h rend sich das Schiff schwer arbeitend durch die Seen wühlte. «Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich wieder ein paar Worte an die Besatzung richte», sagte Lütjens. Er begab sich an das Mikrophon, der Unteroffizier, der dort Dienst tat, kündete seine Ansprache an, dann nahm er sogleich das Wort: «Männer der Bismarck! Noch einmal richte ich das Wort an euch, wahrscheinlich das letzte Mal hier draußen in See, denn bald schon liegen wir wieder im sicheren Hafen. Ihr wißt ja, daß uns die Aufklärungsflieger der Ark Royal nicht aus den Augen lassen, ihre Meldungen werden ständig von uns abgehört. Wir müssen also damit rechnen, daß bald ein Angriff von To r pedoflugzeugen gegen uns geflogen wird. Ihr kennt ja die SwordfishMaschinen, die sie dazu einsetzen, und ihr wißt, daß wir sie schon einmal abgeschlagen haben. Solange wir alle – jeder an seinem Platz – uner schrocken unsere Pflicht tun, haben wir auch weiterhin nichts von ihnen zu fürchten. Sie mögen angreifen, wie immer sie wollen, wir müssen und werden sie wieder verjagen. Ich weiß wohl, daß ihr müde seid, Männer der Bismarck, ich weiß, daß ihr notwendig Schlaf braucht. Einmal nur müßt ihr euch noch zusammenreißen, einmal noch alle Kraft einsetzen, und ich verspreche euch, daß es das letzte Mal ist. Denn morgen früh sind wir bereits in Reichweite unserer eigenen Luftwaffe, dann wird es im Umkreis von fünfzig Meilen um unser Schiff keine SwordfishMaschine mehr geben, die sich in der Luft zu zeigen wagt. Morgen abend könnt ihr dann in Frieden schlafen, und ich gebe euch mein Wort, daß niemand eure Ruhe stören wird. Bis dahin aber ist es unsere Pflicht, weiter zu wachen und weiter zu kämpfen für unser geliebtes Vaterland, für den Sieg des Großdeutschen Reiches. Ich bin sicher, daß ihr unserer Marine Ehre machen werdet.» Der Funkoffizier wartete bereits auf ihn, als er dem Mikrophon den Rücken kehrte. «Ich habe soeben einen seltsamen Funkspruch aufgefangen, Herr Ad miral.» «So? Und was enthielt er?» 94
«Er stammt, von einem englischen Schiff, wahrscheinlich von dem Träger Ark Royal.» «Und was ist daran so seltsam?» «Er war nicht verschlüsselt, Herr Admiral, sondern wurde als äußerst dringend in offener Sprache gegeben.» «Nun verraten Sie mir aber endlich seinen Inhalt, Mann!» «Er lautete: ‹Achtet auf Sheffield, achtet auf Sheffield!› Diese Mahnung wurde ständig wiederholt, Herr Admiral.» «Die Sheffield ist der Kreuzer, der zur Kampfgruppe H gehört», be merkte der Chef des Stabes. «Was habe ich Ihnen eben gesagt, Lindemann? Da haben Sie den Be weis: Die Engländer haben auch ihre Sorgen.» «Gewiß, Herr Admiral, aber…» «Was dieser Funkspruch auch bezwecken mag, wenn er so dringend war, daß er in offener Sprache gesandt werden mußte, dann bedeutet das, daß es beim Gegner harte Nüsse zu knacken gibt. Ich meine, wir sollten darüber nicht böse sein, finden Sie nicht auch?» Auf der Ark Royal richtete der älteste Beobachter seine letzten Worte an die Flugzeugführer. «Die Bismarck ist jetzt nur noch vierundzwanzig Meilen von uns ent fernt, ihre Peilung ist einhundertdreiundachtzig Grad. Sie können sie also nicht verfehlen, Sie können sie auch nicht mit einem anderen Schiff verwechseln. Sie fährt allein, ohne irgendwelches Geleit. Geben sie ihr keinen Augenblick Zeit zur Gegenwehr aber darüber brauche ich Sie ja nicht erst zu belehren. In fünf Minuten drehen wir in den Wind.» Der Geschwaderkommodore verließ die Brückennock und meldete dem Kommandanten: «Maschinen startklar, Sir.» Die Ark Royal drehte majestätisch in den Wind, als der Befehl dazu durch das Sprachrohr von der Brücke herab zum Rudergänger gelangte, und wurde dann genau gegenan gesteuert, wobei die Windrichtungsan zeiger als Kontrolle dienten. Jetzt starteten die fünfzehn Swordfish so wie sie, eine nach der anderen, vom Flugdeck entlassen wurden. In der 95
Luft schlossen sie sich zum Verband zusammen und verschwanden gleich darauf im grauen Dunst der Ferne. In diesem Augenblick kam der Funkoffizier atemlos auf die Brücke ge stürzt, wo der Kommandant neben dem Wachhabenden Offizier an der Reling stand. «Die Sheffield ist in der Flugrichtung, Sir. Sie bekam den Gegner in Sicht und drehte auf Gegenkurs von ihm ab. Das war gerade, als wir in den Wind gingen.» «Sie sagen, die Sheffield befände sich vor unseren Maschinen?» «Jawohl, Sir, und die Flugzeugführer haben Anweisung, jedes allein fahrende Schiff anzugreifen.» «Geben Sie sofort: ‹Achtet auf Sheffield!› Machen Sie rasch, senden Sie das in offener Sprache verlieren Sie keine Sekunde!» «Aye, aye, Sir.» Die erste Swordfish flog in den Wolken, als ihr Beobachter auf seinem Radarschirm ein leuchtendes Zeichen, einen sogenannten Blip, entdeck te, der ihm ein einzelfahrendes Schiff verriet. Auf ein Wort an den Flug zeugführer drückte dieser seine Maschine so weit, daß er freie Sicht bekam, flog das Ziel im richtigen Schußwinkel an, warf seinen Torpedo und drehte dann ab. Dem Beispiel des ersten Flugzeuges folgte in kur zem Abstand das zweite und dann das dritte. Der Führer dieses dritten Flugzeugs sah während seines Angriffs zu seiner größten Überraschung, daß die beiden ersten Torpedos schon nach einer kaum nennenswerten Laufstrecke in gewaltigen Wassersäulen detonierten. Der dritten Maschi ne folgte die vierte und warf ebenfalls ihren Torpedo ab. In diesem Au genblick hörte der Bordschütze der fünften in seinem Kopfhörer eine kurze Nachricht, schrieb sie in fliegender Hast auf einen Zettel und reich te ihn dem Beobachter. ‹Achtet auf Sheffield!› Dem Beobachter wiederum gelang es gerade noch, den Flugzeugführer zu unterrichten, als er eben im Begriff war, seinen Torpedo abzuwerfen. Jetzt zog er die Hand hastig vom Auslöser zurück und riß seine Maschine herum. Seine Hinterleute folgten ihm. Das ganze Geschwader kehrte auf 96
Gegenkurs zur Ark Royal zurück und landete in der Reihenfolge der taktischen Nummern auf ihrem schwankenden Flugdeck, wo die Maschi nen sofort von eifrigen Wartungsgruppen in Empfang genommen wur den, während sich die Besatzung im Belehrungsraum versammelte. «Diesmal ist es schiefgegangen», sagte der Kommodore, «darüber sind wir uns doch alle einig, nicht wahr? Wir sehen, wie leicht so etwas pas siert. Sorgen wir dafür, daß es kein zweites Mal vorkommt. Im übrigen wollen wir die dumme Geschichte vergessen und unbeschwert an den nächsten Versuch gehen, wie das in der Navy üblich ist. Wir haben gera de noch Zeit für einen weiteren Tagangriff. Wollten Sie etwas sagen, Mr. Jones?» «Jawohl, Sir. Ich meine, Sie sollten die Magnetzünder auswechseln las sen. Alle Torpedos, die wir abwarfen, detonierten vorzeitig.» «Ich wette», meinte ein anderer Flugzeugführer, «daß sie sich auf der Sheffield nicht darüber beklagen werden.» «Also hatte auch diese Panne ihr Gutes», sagte der Kommodore. «Jetzt wissen wir wenigstens, daß wir uns auf die Magnetzünder nicht verlassen können. Wahrscheinlich ist ihre vorzeitige Zündung auf den schweren Seegang zurückzuführen. Jedenfalls werde ich sofort veranlassen, daß in alle Torpedos Aufschlagzünder eingesetzt werden.» Damit waren auch Ginger und seine Arbeitsgruppe beschäftigt. Sie schraubten soeben einen Magnetzünder von einem Torpedo ab und er setzten ihn durch einen Aufschlagzünder. «Hier wird der Krieg gewonnen, ja, von euch, ihr Kerle, und von mir», sagte Ginger, der mit aller erdenklichen Sorgfalt zu Werke ging. «Dieses Ding hier muß losgehen, wenn es die Bismarck trifft, nicht früher und nicht später. Sonst könnten wir diesen Hitler ebensogut gleich für heute abend in den Buckingham-Palast einladen. So, fertig. Jetzt könnt ihr mit dem Aal losschieben.» Es war bei den heftigen Bewegungen des Schiffes gar nicht so einfach, den Torpedo auf seinem Transportwägelchen über das Flugdeck zu rol len, aber schließlich gelangte er doch an seinen Platz unter der Sword fish, für die er bestimmt war. Und die fünfzehn Maschinen ordneten sich 97
von neuem zum Start. Der Geschwaderkommodore meldete auf der Brücke, daß alle Maschinen klar seien, und das Schiff drehte daraufhin abermals langsam in den Wind. «Eine Stunde haben wir noch Tag», sagte der Kommodore zum Kom mandanten. «Unsere Jungs gehen ran, das muß man ihnen lassen», sagte der Kom mandant, als sich der Verband mit dröhnenden Motoren auf den Weg machte. «Es gibt auch in der ganzen Welt weiter keinen Flugzeugträger», sagte der Kommodore, «auf dem bei solchem Wetter Starts und Landungen möglich wären.» Auf der Bismarck blickten Lütjens und Lindemann in den grauen Him mel. «Eigentlich wäre der Luftangriff schon vor zwei Stunden fällig gewe sen», sagte Lindemann. «Wahrscheinlich ist eben auf der Gegenseite etwas schiefgegangen», gab ihm Lütjens zur Antwort, «im Kriege ist das ja keine Seltenheit.» Im gleichen Augenblick schrie ein Ausguck: «Flugzeug Steuerbord voraus!» Und gleich darauf gellte der Alarm durch das ganze Schiff. Die Flakgeschütze schwenkten herum und begannen zu feuern, aber mitten in ihren ohrenbetäubenden Lärm hinein schrien die Ausguckposten weiter mit überschnappender Stimme: «Flugzeug Backbord querab!» «Flugzeug Steuerbord achteraus!» Lindemann gab rasch aufeinanderfolgende Ruderkommandos, die durch das Sprachrohr übermittelt und vom Rudergänger in fliegender Hast ausgeführt wurden. Das mächtige Schiff wurde herumgeworfen wie ein kleines Boot und ließ die schäumende, quirlende Bogenspur seines Kielwassers hinter sich. Ein dumpfer Knall und eine Wassersäule vorne am Bug verrieten, daß dort ein Torpedo getroffen hatte, aber das Schiff hatte allem Anschein nach keinen Schaden genommen, es kämpfte we i ter, als ob nichts geschehen wäre. Dann, als es gerade wieder im Drehen war, stieß eine andere Maschine auf das Achterschiff zu. Die Laufbahn 98
ihres abgeworfenen Torpedos war deutlich zu erkennen. Lütjens stand auf der Brückennock und schüttelte wütend die Fäuste nach dem Angrei fer. «Hart Backbord! Hart Backbord!» schrie Lindemann, aber der ur sprüngliche Steuerborddreh ließ sich nicht schnell genug abstoppen. Der Torpedo traf das herumschwenkende Heck und detonierte in einem Schauer von Gischt ganz nahe dem Ruder. Ein furchtbares Zittern lief durch das Schiff, als ob sich das ganze mächtige Gebäude selbst in Stük ke schütteln wollte, dabei lag es zugleich in absurder Weise über, weil es mit höchster Fahrt auf engstem Kreis weiterdrehte. «Steuerbord! Steuerbord!» schrie Lindemann. Unten mühte sich der Rudergänger vergebens an seinem Rad, der Steuerstrich am Kompaß glitt nach wie vor links herum über die Rose. «Ruder läßt sich nicht legen!» meldete er. «Ruder klemmt!» Oben auf der Brücke fühlte man das Zittern immer noch, und das Schiff drehte sich nach wie vor im Kreis. Ein Telephon quäkte, der Wachhabende Offizier griff nach dem Hörer. «Die Maschine mit einer Meldung», sagte er zum Kommandanten. «Hier ist der Kommandant», sprach Lindemann mit ruhiger Stimme in den Apparat. «Ja, ja, danke.» Als er den Hörer wieder aufhängte, hörte das unheimlich schwingende Vibrieren plötzlich auf, zugleich aber verlor das Schiff merklich an Fahrt. «Die Backbordmaschinen haben gestoppt, Herr Admiral», meldete er Lütjens. «Die Backbordschrauben schlagen gegen ein Hindernis.» «Danke», sagte Lütjens. Jetzt meldete sich ein anderes Telephon. «Der Lecksicherungsdienst, Herr Kapitän», meldete der Wachhabende Offizier. «Hier ist der Kommandant», sprach Lindemann in den Apparat. «Ja, ja. Danke. Sehen Sie nur zu, daß die Arbeit möglichst rasch in Gang kommt.» Dann wandte er sich an Lütjens. 99
«Die Ruderanlage ist vollgelaufen, Herr Admiral, Rudermaschine aus gefallen.» «Und das Handruder, wie steht es damit?» «Es wurde soeben versucht, Herr Admiral, aber das Ruderblatt klemmt in Hartlage. Man bemüht sich, die Störung so schnell wie möglich zu beseitigen.» «Vielleicht hä ngt mehr davon ab, als wir denken, daß dieses Ruder wieder klar wird», sagte Lütjens. Im Lagezimmer der Admiralität in London standen die Offiziere um eine Karte, die ganz anders aussah, als die bisher benutzte. Ihr Maßstab war so groß, daß sie außer einem Stück französischer und spanischer Küste am rechten Rand nur freien Seeraum zeigte. Aber auf dieser leeren Flä che staken verschiedenfarbige Fähnchen mit den Aufschriften: Bismarck, King George V, Rodney, Kampfgruppe H, Vians Zerstörer, und bei je dem dieser Fähnchen endete eine schwarze Linie, die Strecke, die das betreffende Schiff oder der Verband während der letzten Stunden zu rückgelegt hatte. Sonst war auf dieser Karte nur der große Kreisbogen ausgezogen, der aufzeigte, wie weit vor der französischen Küste mit dem Eingreifen der deutschen Luftwaffe zu rechnen war. Ein junger Leutnant kam mit einem Funkspruch in der Hand herbeige eilt. «Die Sheffield hat jetzt die Bismarck in Sicht, Sir», sagte er und verbes serte den Schiffsort der Bismarck. «Sie meldete soeben Schiffsort, Kurs und Fahrt.» «Wie weit hat die Bismarck noch zu laufen, bis sie auf Jagdschutz durch deutsche Flugzeuge rechnen kann?» fragte der Admiral. Einer der Offiziere griff mit dem Zirkel den Abstand zwischen dem Schiffsort der Bismarck und dem Kreisbogen ab. «Einhundertzweiund siebzig Meilen, Sir.» «Also keine sieben Stunden mehr, und sie ist in Sicherheit», sagte der Konteradmiral. «Dabei bleibt es höchstens noch eine Stunde hell. Und die Ark Royal läßt immer noch auf sich warten. Ich möchte nur wissen, was da los ist.» 100
«Soeben kommt ein dringender Funkspruch, Sir», meldete ein Offizier. «Von Sheffield: ‹Swordfish greifen an, Bismarck feuert.›» «Na endlich!» sagte der Admiral. «Das sind die Flugzeuge der Ark Royal.» «Los ihr Männer, gebt es ihm!» sagte der Vizeluftmarschall voll Begei sterung. «Wieder dringend von Sheffield: ‹Die Bismarck steuert im Kreis.›» «Damit wäre schon etwas gewonnen, wenn es auch nicht viel ist», be merkte der Konteradmiral. «Ach», sagte der Admiral, «der kleine Aufenthalt fällt überhaupt nicht ins Gewicht.» «Dringend von Sheffield: ‹Angriff offenbar beendet. Swordfish fliegen ab.›» Der Konteradmiral wollte etwas sagen, aber der Admiral schnitt ihm das Wort ab, da der Offizier noch weitersprach. «‹Bismarck steuert immer noch im Kreis.›» «Dann ist der Angriff auch noch nicht beendet», sagte der Konteradmi ral. «Seltsam, ich werde nicht daraus klug», sagte der Admiral. Die Funksprüche kamen in ihren Büchsen klappernd durch die Röhren geschossen und wurden in aller Hast geöffnet, aber sie enthielten alle samt nur die Bestätigung dessen, was der junge Offizier an seinem Tele phon abgehört und gemeldet hatte. «‹Bismarck steuert Nord.›» «Steuert Nord? Ausgerechnet Nord? Dann hielte sie ja geradewegs auf die Rodney zu», sagte der Admiral. «Vielleicht weicht sie nur einem Flugzeug aus, das die Sheffield nicht sehen kann», meinte der Konteradmiral. «Ich weiß noch immer nicht, was ich aus all dem machen soll», sagte der Admiral. «Funkspruch: ‹Bismarck läuft zehn Seemeilen.›» «Das klingt nicht gerade glaubhaft», sagte der Admiral. «Inzwischen ist es dort wohl schon ziemlich dunkel geworden.» 101
Ein anderer Leutnant meldete sich jetzt von einem der Telephonappara te her: «Dringender Funkspruch von Ark Royal: ‹Die ersten fünf Maschi nen zurück. Null Treffer.›» Der Vizeluftmarschall hieb sich mit der Faust in die hohle Hand, aber der Funkspruch war noch nicht zu Ende: «Die Fühlunghalter-Maschine meldet: ‹Bismarck steuert Nord, neun Seemeilen Fahrt.›» «Dann muß ihr etwas zugestoßen sein», sagte der Admiral, «daran ist kaum noch zu zweifeln.» «Funkspruch von Ark Royal: ‹Flugzeug meldet Treffer am Steuerbord Vorschiff.›» «Gut, gut!» rief der Vizeluftmarschall. «Der hätte keine so einschneidende Wirkung gehabt», sagte der Kon teradmiral. «Sheffield meldet», sagte der erste der beiden jungen Offiziere: «‹Bis marck steuert Nord, Fahrt neun Seemeilen.›» «Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, daß diese Beobachtung richtig ist», sagte der Konteradmiral. «Ark Royal meldet», ließ sich der zweite Offizier vernehmen, «‹Flug zeug meldet Treffer im Heck der Bismarck.›» «Da haben wir’s. Damit erklärt sich ihr Verhalten», sagte der Konter admiral. «Ja, der Torpedo hat ihr die Schrauben oder das Ruder oder gar beides beschädigt.» «Funkspruch: ‹Bismarck steuert Nord, Fahrt zehn Seemeilen.›» «Da draußen herrscht schwerer Seegang», sagte der Admiral. «Offen bar ist sie nicht imstande, das Heck gegen die See zu drehen.» «Vian ist in einer Stunde heran», sagte der Konteradmiral. «Er wird ihr während der Nacht noch tüchtig zu schaffen machen.» «Die King George und die Rodney sind bei Tagesanbruch ebenfalls zur Stelle. Ich glaube, damit haben wir sie. Sie kann uns nicht mehr ent kommen.» «Hurra!» ließ sich der Vizeluftmarschall vernehmen, als er das hörte. 102
«Sheffield meldet, Sir: ‹Habe Vians Zerstörer gesichtet. Die gesichteten Zerstörer gehen in Ausgangsstellung zum Angriff.›» «Hurra!» rief der Vizeluftmarschall von neuem. «Ich glaube, daß für viele Männer sehr bald das letzte Stündlein ge schlagen hat», sagte der Admiral mit ernster Miene. «Haben Sie noch Befehle für Kapitän Vian, Sir?» Der Admiral zögerte nur eine Sekunde mit seiner Antwort: «Nein», sagte er, «wir alle kennen Vian. Niemand weiß besser als er, was er zu tun hat. Er läßt die Bismarck bestimmt nicht mehr aus den Augen. Bleibt sie flügellahm, dann braucht er sich nicht besonders anzu strengen. Er kann die Schlachtschiffe bis morgen früh heranführen, damit sie ihr den Rest geben. Gelingt es ihr allerdings, den Schaden aus eigener Kraft zu reparieren, dann muß er sie unter vollem Einsatz angreifen.» «Das ist bei diesem Seegang nicht so einfach», sagte der Konteradmi ral. «Die Bismarck hat allem Anschein nach ein ausgezeichnetes Radar gerät. Das heißt, daß Vian von der Dunkelheit behindert wird, die Bis marck aber nicht.» «Ich glaube nicht», sagte der Admiral, «daß sich Vian dadurch von ei nem Angriff abhalten läßt. Wahrscheinlich wird es heute nacht auf der Bismarck lebhaft zugehen.» «Um so besser für unsere Schlachtschiffe, wenn sie morgen eingreifen. Die Besatzung der Bismarck ist mit Sicherheit schon jetzt erschöpft und übermüdet, nun erwartet sie eine weitere schlaflose Nacht – aber nein, ich brüte lieber keine ungelegten Eier aus. Wir wissen ja längst nicht alles, was sich da draußen begibt.» Tief unten im Heck der Bismarck herrschte pechrabenschwarze Finster nis, die nur von den Lichtstrahlen elektrischer Handlampen durchbohrt wurde. Man hörte, wie das Wasser im Raum rauschend voraus und ach teraus schwappte, und sah, wie es dabei im Schein der Lampen jedesmal spiegelnde Lichter warf. Die Männer der hier eingesetzten Arbeitsgruppe waren nur in schwachen Umrissen zu erkennen. Ein paar Sekunden lang sah man im Lichtschein einen Mann mit Tauchretter, der gleich darauf in 103
dem wogenden Wasser verschwand. Etwas we iter vorne legte ein Elek triker ein Kabel für Notlampen, die endlich den finsteren Raum erhellten, so daß man sehen konnte, wie das Wasser gurgelnd und zischend in einer Wirrnis von verbogenem und zerrissenem Stahl hin und her schoß. Man hörte, wie die Pumpen arbeiteten, um der eindringenden Wassermassen Herr zu werden. Jetzt kam der Taucher wieder zum Vorschein, er blutete heftig aus den Rißwunden, die er sich an beiden Schultern zugezogen hatte. Der Leitende Offizier bekam von ihm Meldung und begab sich an den nächsten Fernsprecher, um sie weiterzugeben. Der Apparat befand sich hinter einer Schottwand; damit er zu ihm gelangen konnte, mußte eine wasserdichte Tür für ihn geöffnet und hinter ihm wieder geschlossen werden. Die paar Sekunden genügten, daß das Wasser beim Überholen in Massen über das Süll in die nächste Abteilung rauschte. Ein Arbeits kommando war dort eben dabei, die Schottwand eiligst gegen den Druck von achtern abzustützen, und der Offizier mußte erst den Höllenlärm abstellen, den das Festschlagen der Keile verursachte, ehe er sich am Telephon verständlich machen konnte. Im Kartenhaus der Bismarck nahm der Kommandant die Meldung ent gegen. «Verstanden», sagte er, «danke.» Er hängte den Hörer auf und wandte sich an Lütjens und die Offiziere seines Stabes, die hier versammelt waren. «Nach dem, was ich eben gehört habe», sagte er, «ist eine Reparatur des Schadens ausgeschlossen. Ferner wird es nötig sein, den Bug auch weiterhin gegen die See zu halten, da sonst das Schott vor der lecken Abteilung nicht standhielte und weitere Räume vollaufen würden. Wir müssen also so gut es geht den anliegenden Kurs weitersteuern.» «Damit», sagte Lütjens, «sehen wir uns gezwungen, der Übermacht mutig die Zähne zu zeigen, statt uns vor ihr in Sicherheit zu bringen.» Der Chef des Stabes erschien mit einem ganzen Bündel von Funksprü chen. «Berlin sandte uns eben einen langen Funkspruch, der alles zusammen faßt, was der Nachrichtendienst über den Gegner ermitteln konnte», sagte 104
er. «Demnach steht die King George V. zur Zeit etwa fünfzig Seemeilen nordwestlich von uns.» Der Zweite Admiralstabsoffizier schlug die Flottenliste auf und wies auf eine Reihe photographischer Aufnahmen.
«35,6 cm Geschütze, Geschwindigkeit achtundzwanzig Seemeilen, fünfunddreißigtausend Tonnen Wasserverdrängung. Im vorigen Jahr in
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Dienst gestellt. Die King George V. ist Flaggschiff des Admirals Tovey, der Kommandant ist Kapitän Patterson. Renown und Ark Royal…» «Die gehören zur Kampfgruppe H», unterbrach ihn Lütjens. «Ihre Da ten kennen wir schon.» «Dann ist da noch eine Zerstörerflottille, wahrscheinlich unter Führung des Kapitäns Vian des Mannes, der seinerzeit die Altmark kaperte. Sie steht dicht nördlich von uns. Nach dem Schiffsort, den uns Berlin für sie gegeben hat, müßte sie eigentlich in Sicht sein.» «Wir werden sie früh genug zu sehen bekommen», sagte Lütjens. «Ich hatte gehofft, daß wir vor der morgen zu erwartenden Schlacht noch eine ruhige Nacht bekämen.» «Den Männern fallen auf ihren Gefechtsstationen die Augen zu», sagte Lindemann. «Ach ja», gab Lütjens zur Antwort, «das weiß ich leider nur zu genau.» «Dann haben wir noch die Rodney», berichtete der Chef des Stabes weiter. «Sie ist in Fühlung mit der King George und dürfte inzwischen zu ihr gestoßen sein.» Der Zweite Admiralstabsoffizier schlug eine andere Seite seines Nach schlagebuches auf: «40,6 cm Geschütze, vierundzwanzig Meilen Höchstgeschwindigkeit, fünfunddreißigtausend Tonnen Wasserverdrängung. Kurz nach dem letzten Krieg in Dienst gestellt. Kommandant Kapitän DalrympleHamilton.» «Ja», sagte Lütjens, «sie ist zwanzig Jahre alt, ich kenne sie gut. Als junger Leutnant war ich in Malta einmal an Bord dieses Schiffes zum Lunch geladen.» Es fiel ihm nicht schwer, sich jene schönen Jahre wieder ins Gedächtnis zu rufen. Er erinnerte sich an die Hitze, die damals herrschte, an das ruhige, in der Sonne glitzernde Wasser des Hafens, und diese heiteren Bilder wollten so gar nicht zu der bitteren Kälte, dem bergehohen See gang und dem grauen Himmel passen, die der harten Gegenwart ihr Ge präge gaben. Im Geist sah er wieder das mächtige Schlachtschiff vor sich, makellos in seinem frischen Anstrich, alles Messing auf Hochglanz 106
poliert, die Strecktaue schneeweiß, die Offiziere in weißen Uniformen mit blitzender Goldstickerei, und die Bootsmannsmaate am Fallreep, die ihm mit ihren zwitschernden Pfeifen den Willkommensgruß entboten. Die Offiziere der Rodney hatten sich zur Begrüßung auf dem Achterdeck versammelt, als er im Gefolge seines Kommandanten an Bord kam. Er gedachte der Begrüßungen, des Händeschüttelns, der Vorstellungen, kurz all der Formalitäten, die sich abspielten, ehe der englische Kommandant seine Gäste in die große, luftige Kajüte führte, wo die Stühle mit farbe n frohem Chintz bezogen waren und die Gläser auf dem weiß gedeckten Tisch in der Sonne blitzten und funkelten. «Ja, so war die Navy in Friedenszeiten», sagte Lütjens. Hätte er in diesem Augenblick die Rodney gesehen, wie sie sich durch die Seen wühlte, um möglichst rasch auf Schußentfernung an die Bis marck heranzukommen, er hätte sie wohl kaum wiedererkannt. Ein engli scher und ein amerikanischer Leutnant standen just in diesem Augen blick auf ihrem Bootsdeck und ließen ihre Blicke über das Schiff wan dern. «Ein Gefecht ist das letzte, was wir uns erwartet hätten», sagte der Eng länder. «Es sieht aber ganz danach aus», meinte der Amerikaner. Sein Auge wanderte über das Bootsdeck, auf dem sie standen, und über das Oberdeck unter ihnen. Wo sich irgend Raum bot, türmten sich, mit Zurrings gesichert, mächtige hölzerne Kisten. «Euer Pacht- und Leihgesetz ist eine großartige Sache», meinte der Engländer. «Es ist entschieden nett von euch, daß ihr die gute alte Rod ney überholen wollt. Ich weiß, wir kämen ohne eure Hilfe nicht zu Ran de. Aber gut die Hälfte von dem, was an Ersatzteilen nötig ist, müssen wir eben doch mitbringen, ihr könnt sie uns nicht liefern, weil wir ganz andere Normen und Typen entwickelt haben.» «Ja, davon habe ich schon gehört», sagte der Amerikaner. «In den Kisten dort sind zum Beispiel Lafetten für leichte Flakgeschü t ze», sagte der Engländer. 107
«So?» meinte der Amerikaner, «sie schauen fast aus wie Pyramiden.» Was sie meinten, waren zwei riesige hölzerne Verschläge, die ganz in der Nähe auf dem Bootsdeck standen. «Wir haben fünfhundert Kriegsbeschädigte an Bord, die zur Erholung nach Kanada sollen», fuhr der Engländer fort. «Sie bekommen jetzt noch eine Seeschlacht mit, ehe sie ans Ziel ihrer Reise gelangen, und kein Mensch hat sie gefragt, ob ihnen das auch gefällt.» «Geht es mir vielleicht anders?» fragte der Amerikaner lächelnd. «Ich wollte euch doch nur friedlich nach Boston lotsen.» «Ja, so ist eben die alte Rodney», sagte der Engländer. «Man meint, sie machte eine ruhige Spritztour nach Amerika, und schon läuft ihr ein deutsches Kriegsschiff vor den Bug. Sie sehen, wir tun unser Bestes, um unsere lieben Gäste gebührend zu unterhalten – die Kosten spielen dabei keine Rolle. Morgen erleben Sie zum Beispiel ein gewaltiges Feuer werk.» «Ich finde das reizend von Ihnen», sagte der Amerikaner. «Es könnte allerdings sein», fuhr der Engländer fort, «daß unsere Dar bietung nicht so großartig ausfällt, wie uns das vorschwebt. Wir haben immerhin zwei Jahre keine Zeit zu einer Verjüngungskur gehabt, darum sind wir jetzt alt und gebrechlich. Dennoch werden wir Ihnen morgen eine gute Vorstellung bieten. Wenn diese Burschen da unten erst das Wort nehmen…» Er zeigte auf die Tü rme, in denen die Stammbesatzung eben exerzierte. Es sah unheimlich aus, als die mächtigen 40,6 cm Geschütze herum schwenkten und ihre Mündungen hoben. Etwa zur gleichen Stunde blickte Lütjens in die niedergeschlagenen Mie nen der Offiziere, die ihn umstanden. «Wir haben wirklich keinen Grund, den Kopf hängen zu lassen, meine Herren», sagte er. «Vor drei Tagen erst hatten wir zwei Schlachtschiffe gegen uns und erfochten einen glänzenden Sieg. Und heute haben wir uns wieder mit zwei Schlachtschiffen zu messen. Unsere Kampfkraft ist um keinen Deut geringer geworden. Wir sind durchaus in der Lage, diese 108
King George V. samt ihrem Admiral Tovey in die Luft zu jagen wie die Hood, und die Rodney ebenso aus dem Feld zu schlagen wie vor ein paar Tagen die Prince of Wales. Bis morgen mittag haben sich außerdem so viele U-Boote rings um uns gesammelt, daß es niemand mehr wagen wird, uns anzugreifen. Was uns bevorsteht, ist kein Verzweiflungskampf, sondern ein Ringen um den Sieg, ein Ringen mit einem Gegner, dem wir unsere Überlegenheit schon einmal gezeigt haben. Es geht um Ruhm und Ehre unserer Marine, um unser deutsches Vaterland und seinen Führer.» Es schien, als hätten seine mannhaften Worte ihre Wirkung nicht ve r fehlt. Wer sie gehört hatte, trug den Kopf wieder höher und besann sich auf den alten Kampfgeist, der ihn noch vor kurzem beseelt hatte. Linde mann warf einen Blick nach der Uhr. «Es bleibt noch eine halbe Stunde hell», sagte er. «Ich werde jetzt Es sen ausgeben lassen, ehe es an der Zeit ist, das Schiff abzublenden.» «Sie sind eben immer vorbildlich um das Wohl Ihrer Leute besorgt», sagte Lütjens. Während der Tag zur Neige ging, wurde also die letzte Mahlzeit ausge geben und den Männern auf ihre Gefechtsstationen gebracht. Es gab Leute, die statt zu essen einfach weiterschliefen, das waren jene, die nach dem Alarm wegen des Angriffs der Swordfish als Freiwächter ruhen durften und sich in einem unwiderstehlichen, fast schmerzhaften Schlaf bedürfnis einfach auf das Stahldeck hingeworfen hatten. Andere nahmen nur ein paar Bissen zu sich, wieder andere aßen gierig und mit gutem Appetit. Für jene aber, die tief in den unteren Räumen des Schiffs um die Behebung des Schadens rangen, gab es weder Essen noch Schlaf. Der graue Himmel hüllte sich so plötzlich in nächtliches Dunkel, daß den Leuten selbst die halbe Stunde beschnitten werden mußte, die ihnen Lindemann für ihre Mahlzeit zugebilligt hatte. Die Alarmglocken schrill ten wieder einmal durch das Schiff, und die Schläfer, die nicht einmal dieser Höllenlärm zu wecken vermochte, wurden von ihren Kameraden aus dem Schlaf gerüttelt. Durch das Sprachrohr gelangten kurze Meldun gen in das Kartenhaus: «Zerstörer Steuerbord voraus!» Und gleich dar auf: «Zerstörer Backbord voraus!» 109
Außenbords wurde das sorgfältig verdunkelte Schiff plötzlich durch das aufflammende Mündungsfeuer der Mittelartillerie erleuchtet, als eine Salve nach der anderen krachend aus den Rohren jagte. So begann jene Schreckensnacht, die keiner der Beteiligten, der sie überlebte, je verges sen wird. Während die Zeiger der Uhr langsam von Minute zu Minute weiterkrochen, folgte Alarm auf Alarm: «Zerstörer an Backbord!» «Zer störer an Steuerbord!» lösten die Meldungen einander ab. In der finsteren Nacht hatten Vians fünf Zerstörer – es waren vier engli sche und ein polnischer – die Bismarck eingekreist, um sie auf keinen Fall mehr aus den Augen zu verlieren. Bei dem heulenden Wind und dem groben Seegang war das kein so einfaches Unterfangen. Die Zerstörer, die die Backbordseite der Bismarck aufzusuchen hatten, waren dabei gezwungen, genau gegenan zu dampfen. Der Kommandant und der Navigationsoffizier auf der Brücke des füh renden Zerstörers fühlten, wie ihr Schiff ein um das andere Mal beäng stigend einhieb, als die Seen krachend über das Vorschiff brachen. Sie vermochten in der Vorausrichtung nicht das geringste auszumachen, da die Brücke ständig in einen undurchdringlichen Nebel von Gischt gehüllt war. «Wir können diese Fahrt nicht durchhalten», sagte der Kommandant, «gehen Sie auf achtzehn Meilen herunter.» Mit dieser Fahrt hielt der Zerstörer der Wucht des Seegangs gerade noch ohne ernste Gefährdung stand – wenn auch jeder auf ungeschütz tem Posten stehende Mann Schauerliches auszustehen hatte – und strebte rollend und stampfend der befohlenen Position zu. Die Ausguckposten bohrten ihre Blicke förmlich in die Dunkelheit, aber sie konnten nichts erkennen, sie entdeckten auch nicht die leiseste Spur der gewaltigen Bismarck, die irgendwo in nächster Nähe durch die aufgewühlte See dampfen mußte. Auch der Steuerbord vordere Ausguck sah trotz aller seiner Bemühungen nichts als heulende Finsternis und jagende Gischt. Während er dennoch unverdrossen weiter Ausschau hielt, wurde die Finsternis plötzlich von den Flammenzungen feuernder Geschütze zerris 110
sen, die, wie ihm dünkte, genau auf ihn gerichtet waren. Vier Sekunden später – mehr Zeit ging darüber bestimmt nicht hin – gesellte sich zum Heulen des Windes das Gejaule der über den Zerstörer hinwegsausenden Granaten. Gleich darauf geriet die aufgewühlte See rings um das Schiff durch einen Hagel von Einschlägen noch wilder in Aufruhr, und trotz des harten Stampfens und Überholens wurde jedermann deutlich gewahr, wie die Granatsplitter hart auf die dünne Bordwand prasselten. «Backbord fünfzehn», befahl der Kommandant, und der Zerstörer dreh te ab. Ehe die Drehung noch beendet war, zuckte das Mündungsfeuer der Bismarck abermals auf. Diesmal schlug die Salve dicht hinter dem Heck des Zerstörers ein und warf dort hohe Wassersäulen auf, die in dem stürmischen Wind alsbald verwehten. «Im Nachtschießen können sie uns etwas vormachen», sagte der Ko m mandant. «Dabei hilft ihnen aber sicher ihr Radar.» Jetzt, nach dem Abdrehen, lag der Zerstörer quer zu der steilen See und holte unter dem Druck ihrer unwiderstehlichen Kraft bald nach der einen, bald nach der anderen Seite unheimlich weit über. «Versuchen wir es noch einmal», sagte der Kommandant. «Steuerbord fünfzehn.» Wieder bohrten sich drüben beim Gegner eine Reihe langer Flammen blitze in die Dunkelheit, diesmal waren sie länger und noch heller als das erste Mal, aber die erwarteten Einschläge der Salve blieben aus. «Die war für einen anderen von uns bestimmt», bemerkte der Navigati onsoffizier. «Ja, diesmal waren es ihre Achtunddreißiger», sagte der Kommandant. «Sie verwenden die Mittelartillerie gegen uns und die schwere nach der anderen Seite.» Der Zerstörer steckte seine Nase so tief in eine See, daß grünes Wasser hart gegen den Brückenaufbau brandete und das ganze leichte Schiff erbeben ließ.
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«Das halten wir nicht lange aus», sagte der Kommandant. «Drehen Sie zwei Strich nach Backbord und vermindern Sie die Fahrt auf fünfzehn Seemeilen.» Kaum war dieser Befehl gegeben, da erglühte der Himmel an Steue r bord aufs neue vom aufblitzenden Mündungsfeuer, und gleich darauf schlug die nächste Salve dicht neben dem Steuerbord-Vorschiff ins Was ser ein. «Gut, daß wir gedreht haben», sagte der Kommandant. «Die Kerle schießen unheimlich genau.» «Dabei haben wir sie noch nicht einmal zu Gesicht bekommen», wun derte sich der Navigationsoffizier. «Ihnen geht es genauso, sie sehen uns ebensowenig», sagte der Ko m mandant, «das ist die Kriegführung unserer Tage.» Ja, das war sie in der Tat. Tief unter Deck der Bismarck , umgeben von dicken Panzerwänden, saßen eine Anzahl Offiziere und Mannschaften an Tischen und vor Schalttafeln. Trotz des wüsten Wetters draußen, trotz Wind und Wogen, herrschte hier fast lautlose Stille. Neben den halblau ten Befehlen und Durchsagen der Radarfeuerleitung hörte man nur das leise Surren der sinnreichen Apparate, die diese Leute bedienten. Den Mittelpunkt des Raumes bildete das gelbgrüne Auge des Radarschirms, der alles optisch wiedergab, was im vierzig Meter hohen Topp die An tenne an Reflexen auffing. Im Raum herrschte Halbdunkel, damit auf dem Schirm auch alles deutlich zu erkennen war. Je nach dem, was sich nun dort zeigte, wurden von den Männern Knöpfe gedreht, Zeiger ve r schoben und Meldungen in Telephone gesprochen – hätten diese Leute nicht alle Uniformen getragen, man wäre versucht gewesen, sie für mit telalterliche Hexenmeister zu halten, die sich versammelt hatten, um irgendein geheimes Zauberritual zu zelebrieren. Aber es handelte sich hier beileibe nicht um jene schwachbrüstige schwarze Magie, deren Adepten einen Gegner unschädlich zu machen suchen, indem sie sein wächsernes Bildnis mit Nadeln durchbohren oder die Geister der Unter welt gegen ihn auf den Plan rufen. Die Beschwörungskunst, die von 112
diesen Männern hier geübt wurde, brachte es wirklich fertig, aus den Rohren der Bismarck ein halbes Tausend Metertonnen Energie über zehn Meilen tobender See hinweg gegen ein unsichtbares Ziel zu schleudern, so daß dort der Tod blitzartig seine Ernte hielt. Was jenes Zauberauge heute nacht erblickte, hatte zur Folge, daß sich die erschöpfte Besatzung der Bismarck noch einmal zusammenreißen mußte, um die Geschütze zu bedienen, obwohl es dabei so manchem widerfuhr, daß ihm sogar beim Krachen der eigenen Salven die Augen zufielen. Zuweilen schoß einer der Zerstörer mit Blitz und Knall eine Leuchtrakete, die dann blendend hell über dem zum Tode verurteilten Schlachtschiff hing, so daß man jede Einzelheit des gewaltigen Rumpfes deutlich wie bei Tage unter scheiden konnte. Auch die Zerstörer tauchten manchmal wie Schatten aus der Dunkelheit, wenn sie mit hoher Fahrt nach den zugewiesenen Positionen strebten. Ihre Bugwellen leuchteten, wenn sich ihr Bug nicht gerade in eine besonders schwere See vergrub. Selbst Lütjens, der sich in der Befehlszentrale aufhielt, nickte trotz der rollenden Salven in seinem Sessel immer wieder ein und mußte sich alle paar Minuten unter Aufbietung aller Willenskraft aus dem Schlaf reißen. Als er seine Müdigkeit wieder einmal für kurze Zeit abgeschüttelt hatte, rief er einen Offizier seines Stabes zu sich. «Senden Sie sofort folgenden Funkspruch nach Berlin: ‹Wir kämpfen bis zur letzten Granate. Es lebe der Führer!›» Im Lagezimmer der Admiralität erschien nach längerer Abwesenheit der Konteradmiral. «Vian ist immer noch am Feind», erklärte ihm einer der Offiziere. «Die Bismarck sendet nach wie vor», sagte ein anderer. «Was besagt die Wettermeldung?» «Keine Änderung, Sir. Wind aus West, Stärke acht, hoher Seegang, niedrige Wolken, schlechte Sicht.» «Dennoch kann es nicht mehr lange dauern, bis die King George den Gegner in Sicht bekommt.» 113
In der Zentrale der Bismarck war Lütjens auf seinem Sessel wieder ein genickt. Sein Kopf sank tiefer und tiefer, bis er zuletzt den Kampf aufgab und fest entschlummerte. Aber dieses Ausruhen währte nur allzu kurz, denn schon trat der Chef des Stabes neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. «In einer halben Stunde ist Sonnenaufgang, Herr Admiral.» «Gut, ich gehe auf die Brücke», sagte Lütjens. «Die frische Luft wird mir guttun.» «Ihren Mantel, Herr Admiral?» fragte ihn der Flaggleutnant, als er sich zum Gehen wandte. «Glauben Sie, daß ich ihn brauchen werde?» fragte Lütjens, zog ihn dann aber ohne weiteren Einwand an. Draußen dämmerte allmählich der neue Tag. Der Wind pfiff ihnen wie immer um die Ohren, das Schiff rollte schwer in der hohen See, der Gischt peitschte in Wolken über Deck. «Guten Morgen, Herr Admiral», sagte Lindemann. «Guten Morgen, Lindemann», sagte Lütjens. «Zerstörer stehen außer Reichweite der Geschütze an Steuerbord vo r aus», meldete Lindemann. «Irgendwo nördlich von uns befindet sich außerdem ein Kreuzer. Sicherlich ist das die Suffolk.» «Die Suffolk, die uns in der Dänemark-Straß e als erste in Sicht bekam», sagte Lütjens. «Sie leistet uns also immer noch Gesellschaft.» Einer der Ausguckposten setzte sein Glas ab, rieb sich den Schlaf aus den Augen und starrte dann noch einmal nach vorne. «Schiff recht vo r aus! Zwei Schiffe recht vo raus!» Lütjens und Lindemann richteten ihre Gläser ebenfalls nach vorn. «Ob das Schlachtschiffe sind?» fragte Lütjens. «Es sieht ganz so aus, Herr Admiral.» Auch die Ausguckposten der King George V. hatten ihre Gläser an den Augen. «Schiff recht voraus!» meldete einer von ihnen. Auf der Rodney rief im gleichen Augenblick der Ausguck: 114
«Schiff fünf Grad an Steuerbord!» «Das muß die Bismarck sein», sagte ein Offizier auf der Brücke dieses Schiffes. Durch das Schallrohr, das über dem Kopf des Rudergängers der Rod ney mündete, kam in gelassenem Ton der Befehl: «Backbord zehn.» «Backbord zehn, Sir», wiederholte der Rudergänger, während er schon das Rad drehte. Oben im Artillerieleitstand hörte der Artillerieoffizier im Kopfhörer die Stimme des Kommandanten: «Wir drehen nach Backbord. Eröffnen Sie Feuer, sobald Ihre Geschütze die Richtung nehmen können.» Der Artillerieoffizier warf einen Blick auf die Lampen, die ihm die Feuerbereitschaft der Geschütze anzeigten. Dann trat er an das Glas des Richtungsweisers und stellte den Nullfaden genau auf die Silhouette der Bismarck ein. Als das Schiff nicht mehr drehte, befahl er: «Salve – Feuer!» Auf der Brückennock standen der amerikanische Seeoffizier und der englische Leutnant, beide natürlich ebenfalls mit den Gläsern am Auge. Unter ihnen schwenkten wie am Abend zuvor die 40,6 cm Rohre und hoben dann ihre Mündungen bis beinahe zur höchsten Erhöhung. Dann folgte sofort der betäubende Donner der Salve, die das ganze riesige Schiff in bebende Schwingungen versetzte. Aus den Mündungen der Rohre schoß der braune Corditqualm und wurde alsbald vom Sturm verweht, während die Granaten unsichtbar ihren tödlichen Weg zum Ziel zurücklegten. «Kurz, aber dicht am Ziel, ganz dicht!» sagte der Engländer. Seine letz ten Worte gingen im ohrenbetäubenden Lärm der zweiten Salve unter; während der ganzen Flugzeit verharrte er in schweigender Spannung. Dann aber schrie er aufgeregt mit überschnappender Stimme: «Treffer! Treffer! Schon bei der zweiten Salve. Ich sagte Ihnen ja, die alte Rod ney…» Wieder verloren sich seine Worte im Donner der Geschütze. Seine Hände flogen vor Aufregung, er mußte sich dazu zwingen, sein Glas ruhig auf das Ziel zu halten. Jetzt ließ sich der Amerikaner vernehmen: 115
«Wieder ein Treffer», sagte er. «Es sieht mir ganz so aus, als ob die Bismarck geliefert wäre.» Dort, unten im Radarraum, war immer noch die gleiche disziplinierte Mannschaft am Werk. «Entfernung hundertsiebzighundert», meldete der Unteroffizier am Radarschirm. Dann schlug mit donnerndem Krachen die erste Salve der Rodney ein. Die Lampen gingen aus und an, aus und an, das gelbgrüne Auge des Radarschirms war plötzlich tot und leblos. Der Unteroffizier, der die Anlage bediente, griff nach verschiedenen Hebeln und legte sie ein und wieder aus. Er hoffte, das Gerät mit einer anderen Schaltung wieder klarzubekommen. Aber seine Bemühungen blieben erfolglos. «Radar ausgefallen», meldete er zuletzt. «Haben Sie auch die achtere Antenne versucht?» fragte der Offizier. «Jawohl, Herr Oberleutnant, ohne Erfolg.» «Artillerieleitstand gibt keine Antwort», meldete ein anderer Unteroffi zier. «Die Brücke…» begann ein dritter, aber ein neuer Donnerkrach schnitt ihm das Wort ab, und wieder flackerten die Lampen im Raum. «Die Brücke gibt keine Antwort», brachte er seine Me ldung schließlich zu Ende. «Danke.» «Kartenhaus gibt keine Antwort.» «Danke.» Die ersten dünnen Rauchschwaden drangen durch die Ventilationsan lage in den Radarraum. Immer kürzer wurden die Pausen zwischen den einzelnen Puffs, immer dichter wurde der Qualm, der den Raum erfüllte, immer trüber brannten die Lampen. Ein Donnerschlag nach dem anderen erschütterte das ganze Schiff mit der Gewalt eines Erdbebens, dessen Wellen sich durch den riesigen Rumpf fortpflanzten und bei jedem neuen Stoß den schwebenden Qualm herumwirbeln ließen. Plötzlich löste sich ein Stück Verschalung von einem Schott und fiel krachend und splitternd an Deck. Es war als wären alle Kräfte der Hölle losgelassen, um diesem 116
Hexensabbat ein Ende zu machen und die Bismarck vollends zu vernich ten. In dem ganzen todwunden Schiff brannten die Lampen nur noch matt und trübe, alle seine Räume waren von einem unerträglichen Qualm erfüllt, der von Minute zu Minute dichter und atemberaubender wurde. Im Lagezimmer der Admiralität wiederholte der junge Offizier die Mel dungen, die er am Telephon entgegennahm. «Dringend von Suffolk: ‹Rodney hat Feuer eröffnet, King George V. hat Feuer eröffnet. Bismarck erwidert das Feuer. Bismarck getroffen, Bis marck wieder getroffen.»› Wer das hörte, empfing einen so lebendigen Eindruck von dem, was sich da draußen abspielte, als wäre er selbst mit dabei. Während die Bismarck ihre Türme herumschwenkte, schlug bereits die erste Salve der Rodney ein, so daß sich rings um sie her ein Wald von riesigen Wassersäulen erhob. Ehe sie noch feuern konnte, rauschten in nächster Nähe neue Wassersäulen auf, die von der Salve der King George V. herrührten. Kaum hatten ihre Geschütze gesprochen, da traf eine Granate ihren zweiten Turm und detonierte mit einem krachenden Donnerschlag und unter gewaltiger Qualmentwicklung. Der Luftdruck und die Sprengstücke fegten über die Brücke und hinterließen ein wüstes Durcheinander von aufgerissenem Blech und verbogenen Relingstützen. Inmitten dieser Zerstörung lagen in den unmöglichsten Verrenkungen eine Anzahl Tote, unter ihnen Lindemann kenntlich an seinem Ritter kreuz mit Schwertern und Brillanten – und Lütjens. In der Admiralität meldete die Stimme des Offiziers am Telephon we i ter, was geschah: ««Bismarck brennt im Achterschiff. Bismarck getrof fen. Bismarck getroffen. Vorderer Turm der Bismarck außer Gefecht.›» Ein zweiter Offizier löste ihn mit einer neuen Meldung ab: «Ark Royal meldet, Sir: ‹Alle Flugzeuge gestartet.»» «Die Ark Royal? Ich nehme nicht an, daß ihre Maschinen noch etwas zu tun bekommen. Aber es war zweifellos richtig, sie einzusetzen.» 117
Auf dem Flugdeck der Ark Royal war das Geschützfeuer deutlich zu hören, wenn nicht gerade eine Maschine Vollgas gab, um zu starten. Die Flugbedingungen waren noch ebenso schlecht wie zuvor, der Träger stampfte mächtig in der hohen See, erschreckend dicht unter den niedrig hängenden Wolken. Dennoch gelang es den Piloten, die schweren Ma schinen abzuheben, ein paar Kreise zu ziehen und dann in geschlossener Ordnung nach Norden abzufliegen, dicht unter sich die wogende See, dicht über sich das brauende Gewölk. Schon nach wenigen Sekunden entdeckte der Führer des Geschwaders, wonach er Ausschau gehalten hatte. Eine langgestreckte Bank schwarzen Qualms lag über dem Wasser, die sich von einem schmalen und dichteren Kern aus weit in nördlicher Richtung hinzog. Auf diesen Kern und Ursprung des Qualms zu steuerte er sein Flugzeug. «Mein Gott!» stieß er erschüttert hervor, als er sah, was sich dort unten abspielte. Der Qualm drang ohne Unterlaß aus dem zerschlagenen, fast gestaltlo sen Rumpf der Bismarck. Sie hatte längst keine Aufbauten mehr, Mast, Brücke, Schornstein und was sonst noch zu einem Schiff gehört, waren weg. Und unter dem dicken Rauchschleier erkannte man in der trüben grauen Beleuchtung deutlich einen Wald oder besser gesagt ein Busch werk – von steilen roten Flammen, die aus dem Inneren des Rumpfes schlugen. Aber seltsamerweise vermochten der Rauch und der Brand den Blick nicht so zu bannen, wie der unaufhörliche Tanz gewaltiger Wasser säulen, die sich rings um das arme Wrack erhoben und wieder in sich zusammensanken. Zwei Schlachtschiffe schleuderten ununterbrochen ihre Granaten mittleren und schweren Kalibers auf die Bismarck, und die zwanzig Stück 20,3 cm Geschütze der Kreuzer fielen alsbald in das Feu er ein, um den Eisenhagel noch zu verstärken. Es gab in der Tat keinen Augenblick, in dem die Bismarck nicht von den Aufschlägen der Kurz und Weitschüsse umringt gewesen wäre, aber als sich der Verbandsfüh rer endlich nicht mehr von diesen wilden Wasserkünsten ablenken ließ, entdeckte er noch etwas anderes. Vom Bug bis zum Heck des gequälten Schiffes sah er, flammenden Vulkanen gleich, bald hier, bald dort eine 118
ununterbrochene Folge krepierender Granaten. Als er seine Swordfish tiefer drückte und noch näher heranging, konnte er bald jede Einzelheit unterscheiden. Die beiden vorderen Türme waren außer Gefecht, dem einen fehlte die ganze Decke, die offenbar weggeflogen war, und seine Geschütze zeigten mit höchster Erhöhung querab. Die Rohre des anderen Turmes standen längsschiffs, ihre Mündungen waren so weit gesenkt, wie es die Schlitze des Turms zuließen. Trotz aller Treffer und Zerstö rungen schoß der achtere Turm immer noch unentwegt weiter. Während er eben hinsah, entfuhr einem seiner Rohre eine Wolke Mündungsqualm in Richtung auf den schattenhaften Umriß der King George V. Dort unten in ihrem Stahlgehäuse mitten im Flammenmeer gab es also noch Helden, die trotz aller Greuel um sie her unentwe gt weiterluden, zielten und schossen. Und im letzten Augenblick, als es schon an der Zeit war, die Maschine wieder hochzuziehen, machte er wieder eine Entdeckung. Hier und dort waren, von oben her verkürzt, ein paar winzige Gestalten zu sehen, die zwischen den Bränden und Explosionen unglaublich flink über die Trümmer kletterten, die ihnen den Weg verlegten, um zuletzt von der Reling des glühenden Rumpfes aus in die kochende See zu springen. Er schwenkte seine Swordfish herum, um dem grauenvollen Anblick zu entgehen, und führte den Ve rband wieder zu der Ark Royal zurück. Wäh rend der Beschießung durch die Schiffe wäre ein gebrechliches Flugzeug niemals in der Lage gewesen, mit einiger Aussicht auf Erfolg einen To r pedoangriff gegen das Wrack zu fliegen. Es war ein Schauspiel unerhörter Machtentfaltung zur See, dessen Hö hepunkt er und seine Kameraden bei diesem Flug erlebten. Sie wurden Zeugen, wie der einsame Angreifer, der die britischen Seeverbindungen bedrohte, von der Gewalt und Kraft der britischen Navy niedergerungen wurde. Dabei konnten sie nicht ahnen, daß dieser Sieg an einem Haar gehangen hatte, weil es für die Operationen so gut wie keinen räumlichen und zeitlichen Spielraum mehr gab, weil zum Beispiel auf den englischen Schlachtschiffen buchstäblich die letzten Tonnen Öl in die Feuerung gepumpt wurden, weil die deutschen U-Boote bereits mit höchster Fahrt, aber um ein weniges zu spät aus allen Teilen des Atlantik herbeigeeilt 119
kamen, um in den Kampf einzugreifen, weil der Schauplatz dieses Kampfes nur wenige Meilen außerhalb der Reichweite der deutschen Luftwaffe lag, die darum zähneknirschend auf ihren Einsatz verzichten mußte. Während das Swordfish-Geschwader zur Ark Royal zurückflog, gab der Offizier, der das Telephon im Lagezimmer der Admiralität bediente, weiter Funkspruch um Funkspruch bekannt. ‹«Die Bismarck erneut getroffen. Sie ist nun ein bewegungsloses Wrack. King George V. und Rodney drehen ab.›» Die Männer im Lagezimmer blickten einander vielsagend an, als sie diese Meldung vernahmen. Der Admiral warf einen Blick auf die Uhr. «Offenbar war es höchste Zeit, daß sie Schluß machten. Jetzt haben sie grade noch genug Öl, um nach Hause zu kommen. Keine fünf Minuten haben sie dabei zu verlieren.» «Funkspruch vom Flottenchef», unterbrach ihn ein anderer junger Offi zier. «‹Schiffe mit Torpedos Gegner angreifen und versenken.»› «Meldung von Suffolk», sagte der erste der Leutnants wieder: «‹Dor setshire greift an.›» Die Bismarck war ein zusammengeschossenes, brennendes, sinkendes Wrack, als die Dorsetshire ihren Anlauf fuhr. Aus einer Entfernung von zwei Meilen schoß sie zwei Torpedos, die an der Steuerbordseite der Bismarck detonierten. Sie ging um das Heck des todgeweihten Schiffes herum und schoß aus eineinhalb Meilen Abstand den dritten Torpedo, der auf der Backbordseite explodierte. Daraufhin rollte der riesige Rumpf seitwärts herum, bis er kieloben trieb, und versank nach kurzer Zeit in der Tiefe. Wrackstücke und Menschen, die in den Fluten um ihr Leben kämpften, kennzeichneten die Stelle des Untergangs. «‹Bismarck versenkt›», meldete der junge Offizier im Lagezimmer. «‹Bismarck versenkt!›» 120
Er hatte nur leise gesprochen, und doch hallten seine Worte in der gan zen Welt wider. In hundert Ländern eilten die Rundfunkansager an ihre Mikrophone, um sie Millionen von Hörern zu übermitteln, in hundert Sprachen verbreitete die Weltpresse die Schlagzeile ‹Bismarck versenkt›, daß sie einer Milliarde von Lesern auf den ersten Blick in die Augen fiel. Es gab oberflächliche Frauenzimmer, die diese Worte zwar hörten, aber sich nichts dabei dachten, es gab ungebildete Bauern, die sie nicht begrif fen, obwohl ihrer aller Schicksal in diesem Augenblick eine neue We n dung nahm. Börsenspekulanten änderten auf diese Meldung hin ihre Pläne, Ministerpräsidenten und Staatschefs nahmen sie mit ernster Miene zur Kenntnis. In einem Dutzend Kriegsmarinen machten sich die Admi rale daran, Denkschriften zu verfassen, um ihren Regierungen die politi schen und technischen Schlußfolgerungen darzulegen, die sich aus dem gemeldeten Ereignis ergaben. Und wieder gab es Frauen und Mütter und Kinder, die jene paar Worte ebenso entsetzlich fanden, wie Nobbys Mutter die Meldung vom Verlust der Hood. Dies ist eine Schilderung der Vorgänge, wie sie sich zugetra gen haben könnten. Die Äußerungen der Beteiligten sind ihnen vom Verfasser in den Mund gelegt, der zwar nicht wissen kann, ob sie genau die von ihm gewählten Worte gebrauchten, aber nicht daran zweifelt, daß sie sich dem Sinne nach in der geschilderten Weise ausgedrückt haben. Abgesehen von wenigen Einzelheiten, über die keine authentische Nachricht vorliegt oder die der öffentlichen Kenntnis entzogen sind, wurden die Ereignisse jener Tage so geschildert, wie sie sich in Wirk lichkeit zutrugen. Viele der in dem Buch vorkommenden Gestalten sind zwar vom Verfasser erfunden, was allerdings nicht bedeutet, daß es nicht für jeden von ihnen ein Vorbild gegeben hätte.
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