Die letzte Fahrt Western von G. F. Barner
Scan, Korrektur und Layout by Orkslayer E-Book Version 1.0 ( Oktober 2002 )
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Die letzte Fahrt Western von G. F. Barner
Scan, Korrektur und Layout by Orkslayer E-Book Version 1.0 ( Oktober 2002 )
Walt Landons Lider zuckten nur einmal. Dann wurde sein Blick starr. Er sah die dunkle, gähnende Mündung des Derringers genau zwischen den Stäben und Bodkins narbige, behaarte Hand. Die Mündung hob sich langsam, und Landons Blick folgte ihr wie hypnotisiert, bis der Lauf auf seine Stirn deutete. Es war still im Jail von Gunnison in Colorado. Zwei Männer hockten noch auf ihren einfachen Pritschen, nur ihre Augen bewegten sich. Ihre huschenden Blicke erinnerten Landon an mörderische Ratten, die man gestellt hatte und die nun nach einem Ausweg aus einer Drahtfalle suchten. Großer Gott, dachte Landon. Sein Mund wurde trocken wie nach einem Ritt von zwanzig Meilen durch staubiges Gelände. Bodkin hat eine Waffe. Dies war alles, was er noch denken konnte. Bodkins Stimme meldete sich im schweren Schlagen der Uhr drüben im Office. Die Uhr schlug Mitternacht. Landon hatte seinen letzten Kontrollgang ins Jail machen wollen und Bodkin an den Wassernapf treten sehen. Er hatte nichts dabei gefunden, daß Bodkin vor dem Lichtauslöschen noch trinken wollte. Bodkin tat das fast jeden Abend. Dann aber war Bodkins Hand emporgezuckt. Und jetzt wußte Landon, daß der Derringer hinter dem Wasserkrug gelegen haben mußte. »Komm!« sagte Bodkin. Seine Stimme klang weder erregt noch ungeduldig. Sie war nur kalt und schien aus der Eiswüste der White River-Bergriesen zu kommen. »Komm her, Deputy, geh langsam, sonst hast du ein Loch zwischen den Augen. Komm schon, Mann, sonst drücke ich ab.« In Landon brach der Widerstandswille zusammen. Er trat mit kreidebleichem Gesicht an das Gitter. Im gleichen Augenblick sah er, daß sich Fletcher und Cummings, diese beiden Ratten, blitzschnell von ihren Pritschen erhoben. Sie kamen rechts und
links neben Bodkin an das Gitter. Der hagere Fletcher griff mit seinem langen Arm durch die Stäbe. Er packte mit einer Hast, als griffe er nach einem Sack voller Goldmünzen, Landons Revolverkolben. Dann riß er die Waffe mit einem Ruck aus Landons Halfter und schwenkte sie herum. Das Knacken des Revolverhammers tönte durch das Jail, und Fletchers Hand fuhr wieder nach vorn. Er stieß sie vorwärts wie eine Lanze, deren Spitze der schwere Vierundvierziger bildete. Die Mündung der Waffe bohrte sich in den Magen des Deputysheriffs. Cummings, ein bulliger Kerl mit aschblonden Haaren und fliehender Stirn, packte mit zuckenden Mundwinkeln und gierigen Augen das Schlüsselbund. Im Klimpern und Klirren der Schlüssel sah Landon, wie Cummings seinen Arm verbog. Der Mann mußte durch das Gitter langen, um den Schlüssel in das Zellenschloß einzuführen. Zweimal rutschte der Schlüssel ab, und Bodkins Seitenblick traf den leise fluchenden Cummings. »Machst du bald?« zischte Bodkins wütend und gereizt. »Bring das verdammte Ding schon auf, Mensch.« Danach blickte er Landon aus seinen engstehenden dunklen Augen finster an. »Wenn du schreist, Mann, dann hast du ein Loch im Schädel.« Die Warnung war überflüssig, denn Landons Hals war wie zugeschnürt. Der Deputysheriff brachte vor Furcht keinen Laut über die Lippen. Er wagte nicht sich zu rühren, und er roch Cummings' sauren Schweiß, der dicht vor ihm am Schloß hantierte, das nun endlich aufsprang. Wie ein wildes Tier, das lange in seinem Käfig zugebracht hatte und die Freiheit witterte, kam Cummings krummbeinig und schwerfällig in den Gang getappt. Er ließ die Schlüssel achtlos in der Tür stecken. Dann trat er hinter den Deputy. Sein
fauliger Atem streifte Landons Nacken, ehe sich seine schwieligen Hände um Landons Hals legten. »Haben wir dich, Hund?« keuchte Cummings. »Jetzt schrei mal, wenn du kannst.« In seiner Stimme schwang der nackte Hohn mit, und er hob sein Knie, um es Landon mit einem wilden Schrei in den Rücken zu jagen. Landon bekam keine Luft mehr, er sperrte den Mund auf und sah, daß Bodkin sich um die offene Tür schlängelte. Bodkins Gesicht glich einer höhnischen Fratze. So trat er, jetzt ein meckerndes, gemeines Lachen ausstoßend, um die Gitter vor Walt Landon. In der gleichen Sekunde riß Cummings den Deputysheriff hintenüber, und Landons Bauch entfernte sich von dem Colt Fletchers. Dafür wölbte sich Landons Magen nach oben. Indem Cummings den Deputy immer mehr durchbog, trat Bodkin mit einem schmierigen Grinsen neben ihn. Landon starrte auf Bodkins Hand. Sie hob sich nun bedächtig, bis sie mit dem Derringer unmittelbar vor Landons Augen stillstand. »Siehst du das?« stieß Bodkin hervor. »Sieh genau hin, du Narr.« Es war Landon, als bliebe ihm der Verstand stehen. Er hatte den Derringer unmittelbar vor Augen, und er konnte die kleine, tödliche Waffe in jeder Einzelheit studieren. In Landons Ohren begann ein Tosen und Knattern. Der Jailraum schien vor Landons Augen zu verschwimmen und in weite Ferne zu rücken. Landon sah nur den Derringer, und er erkannte nun, daß die Waffe nicht aus Stahl gefertigt war. Sie blinkte schwarz wie ein frisch brüniertes Mordinstrument, und doch . . . Die Stiefel, schoß es Landon durch den Kopf, großer Gott,
wir haben unsere Stiefel den Kerlen zum Putzen gegeben, damit sie wenigstens eine sinnvolle Arbeit hinter Gittern tun konnten. Das ist Schuhwichse. Das Ding ist mit Schuhwichse schwarz gefärbt und blank gerieben worden. Dies war die ganze Wahrheit, und er sah aus schreckgeweiteten Augen, während ihm Bodkins gemeines Gelächter in den Ohren gellte, daß Bodkin die Waffe an Lauf und Kolben packte. Bodkin bog die Hände nach unten. Die Waffe zerbrach in zwei Teile. Einige Krümel rieselten zu Boden. Der Derringer war aus Brot geknetet und geformt worden. Landons Blicke nahmen diese letzte Tatsache wahr. Er hörte Bodkins Gelächter verstummen und dafür die vor Hohn triefende Stimme des Deportierten, der hier auf seine Auslieferung nach Nebraska wartete. »Hereingefallen, du Idiot. Geh zur Hölle.« In der nächsten Sekunde schoß Bodkins große Faust mit der Gewalt eines Dampfhammers herab. Einen winzigen Moment glaubte Landon eine Laterne zu sehen, die in tausend Stücke zerplatzte. Danach wurde es Nacht um ihn. * Der Schmied sah hoch, als Jim Wadell in den vom Essenfeuer und einer Lampe erhellten Schuppen trat. Keine Stunde fehlte mehr bis Mitternacht, und in Silverton, dem Hauptsitz der Western Colorado, schliefen bereits die meisten Leute. »Ich sah noch Licht«, murmelte Wadell. »Hallo, Duke, noch bei der Arbeit?« »Ich muß, ich will nicht«, lachte Duke. Er musterte Wadells
staubige Kleidung. »Zu Fuß gegangen?« »Nun ja, sieben Meilen«, bestätigte Wadell. Er setzte sich rittlings auf den Amboß und sah zu, wie Duke einen Wellenhebel in die helle Glut der Esse schob. »Ein Pumpenhebel?« »Von Brackmans Schachtpumpe«, brummte Duke. »Er sagt, der Schacht säuft ihm ab, wenn er die Pumpe nicht morgen früh einsetzen kann. Jim, warum gehst du zu Fuß?« »Sieh dir meinen Gaul vor der Tür an, dann weißt du es«, erwiderte Wadell. Er war groß, schwarzhaarig und ein Mann, nach dem sich die meisten Mädchen umsahen. Mit seinen hellen Augen und dem leicht gewellten Haar machte Wadell sogar auf einige der unverstandenen Ladies der Stadt Eindruck. Doch er ging in seinem Beruf vollständig auf, und die hundertsechzig Fahrer und Packer der Western Colorado sahen in ihm mehr den eigentlichen Boß, als in Big Dave Greener, dem die Linie gehörte. »Hufeisen?« erkundigte sich Duke. »Das linke hinten«, bestätigte Wadell. »Konnte dem Pferd nicht zumuten, mich zu tragen. Da bin ich ein wenig durch die Gegend gewandert. Kannst du das bis morgen früh erledigen, Duke?« »Der eine Mister muß seine Pumpe unbedingt haben - und du deinen Gaul«, nörgelte Duke, dann griff er nach der Zigarre, die Wadell ihm nachlässig hinhielt. »In Ordnung, wann stehst du auf?« »Vor den Hühnern, Duke, ich muß nach Süden.« »Doch nicht nach Durango, was?« grinste Duke anzüglich. Er wußte, daß Wadell es vermied, nach Durango zu reiten. Dort wohnte Wadells Vater, der alte John Wadell. Warum sich Vater und Sohn verkracht hatten, konnte niemand genau sagen. Man wußte nur, daß der alte John ein
barscher, brummiger und eigensinniger Oldtimer war. »Laß das«, knurrte Wadell auch sofort. »Ich habe in Rockwood zu tun. Also, ich hole den Wallach dann hier ab.« Er stand auf, ein baumlanger Mann mit bedächtigen Bewegungen und einem so leisen Tritt, daß man ihn meist nicht kommen hörte. »Jim, ich wollte nur einen Spaß machen.« »Ist schon gut, Duke«, erklärte Wadell kurz. »Ist Old Dave Greener in der Stadt?« »Nicht hier, soviel ich weiß. Luisa fuhr am Nachmittag mit dem Buggy durch die Gegend, also muß er weg sein. He, Jim, warst du nicht in Gunnison, als diese drei Kerle ausrissen? Das muß ja ein Ding gewesen sein. Kauen Brot durch und machen einen Derringer daraus. Und Landon fällt darauf herein, das Rindvieh.« »Darauf wäre jeder 'reingefallen. Ich war in der Nacht weggeritten und kam erst am nächsten Vormittag zurück. Dann sah ich mir das Ding, beziehungsweise seine Teile an. Ich sage dir, Duke, es war höllisch ähnlich. Also, bis morgen früh.« Er verließ lautlos die Schmiede und nahm Sattel und Gewehr mit. * Die Station lag westlich der Schmiede. Sie war vor über zwanzig Jahren entstanden und besaß noch Palisaden. Von hier aus hatte Old Dave Greener seine ersten Wagen über die damals noch schlechten Wege gebracht. Greener war ein bärtiger, harter Mann, der alles von seinen Leuten
verlangte. Das Leben hatte ihn hart gemacht, und wenn es eine weiche Stelle in Greeners Leben gab, dann waren es seine Frauen. Old Daves erste Frau war bei einem Indianerüberfall in einer Kutsche gestorben. Greener blieb einige Jahre Witwer, bis er Mary Shelton heiratete, die wie er den Ehegatten verloren hatte. Die Ehe mit Mary Shelton, die einen Sohn mitbrachte, hielt genau elf Jahre, danach starb sie an einer Blutvergiftung. Old Dave gab jedoch nicht auf, sich einen Erben zu verschaffen. Weder seine erste Frau noch Mary Shelton hatten ihm Kinder schenken können, und Old Dave heiratete vor vier Jahren Luisa Rockwell. Daß sie fünfundzwanzig Jahre jünger war als er, schien ihm ein gutes Zeichen zu sein. Einen Erben konnte sie ihm auch nicht geben. Jim Wadell öffnete das kleine Seitentor der Station. Er warf einen Blick auf die geduckt liegenden Schlafhäuser der Fahrer. Nirgendwo brannte Licht. Auch im Lagerhaus waren alle Laternen erloschen. Nur die Außenlampe am weit zurückliegenden Wohnhaus Daves verbreitete einen matten Lichtschimmer. Ganz hinten am südlichen Zaun der Station jedoch flammte nun Lichtschein auf. Dort lag das Office, in dem Harvey Shelton, Greeners Stiefsohn, manchmal bis in die Nacht über den Büchern saß. Wadell seufzte einmal, als er seinen Sattel über einen Pfahl legte und sein Gewehr nahm. Dann ging er los. Er schlief seit Jahren im Anbau des Hauses, war jedoch die meiste Zeit nicht in der Station, sondern ritt die insgesamt einundzwanzig Stationen der Western Colorado ab. Wadell öffnete die Hintertür des Hauses, dann ging er auf leisen Sohlen durch den Flur, sah das Licht unter der Officetür durchfallen und wollte wenigstens Harvey Bescheid sagen, daß
mit verstärkten Lieferungen für Cimaron gerechnet werden müßte. Jim Wadell öffnete die Tür zum Office. Und dann blieb er stehen. In diesem Augenblick wünschte er sich um Meilen fort. * An Wadells Ohren drang der leise, entsetzte Aufschrei von Luisa Greener, während Harvey Shelton wie von einer Natter gebissen herumfuhr. Die Tür zu den beiden Räumen neben dem Office des alt en Dave stand sperrangelweit offen. Das Licht der Officelampe fiel durch diese Tür auf das zerwühlte Bett Sheltons und auf das über einem Stuhl liegende Kleid von Luisa Greener. Luisa Greener stand halbbekleidet und mit wirren Haaren an der Tür. Sie riß jetzt die Hände vor den sinnlichen, vollen Mund. Ihre grünen Augen blickten mit allen Zeichen des Entsetzens auf Jim Wadell. Sie war fünfundreißig Jahre alt, und es gab genug Geschichten hinter vorgehaltener Hand über ihre Vergnügungen. Wadell hatte diese Geschichten gehört, ihnen aber niemals irgendwelche Bedeutung beigemessen. Shelton stand in Hemd und Hose gebückt vor dem Schreibschrank. Dieser Schrank hatte unten ein Fach, in dem Old Dave für Besucher ständig einige Flaschen Brandy stehen hatte. Shelton hielt eine pasche in der linken Hand. Mit der rechten hatte er gerade die Klapptür des Schrankes schließen wollen. Jetzt traf sein zuckender Blick, während alles sonst an ihm erstarrt zu sein schien, Wadells Gesicht. Und danach wurde Harvey Shelton blaß wie ein
Leichentuch. Nur einige purpurne Flecke erschienen auf seinen bleichen Wangen. Seine Augen aber begannen nun zu flackern. Sie sagten nichts, und auch Wadell fehlten die Worte. Er fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht schoß, als er sich klar darüber wurde, was hier geschehen war. »So ist das«, brachte Wadell endlich über die Lippen. »So also. Der alte Mann sorgt für euch alle. Er vertraut euch, und ihr .. .« Ihm ging die Luft aus. Es mochte sein, daß Luisa in ihrer notdürftigen Bekleidung für manchen Mann ein aufregendes Bild bot, aber Wadell sah nichts von der starken Rundung ihrer Schenkel. Er sah weder ihren vollen Busen noch die alabastern schimmernde Haut ihrer Schultern und ihres Halses. Wadell begriff lediglich, daß diese Frau ihren Mann betrogen hatte. Und er erkannte voller Grauen, daß all jene Gerüchte über sie und ihren Lebenswandel nur zu wahr sein mußten. Sie hatte es auf ihren Reisen mit einigen Männern getrieben, und Wadell vermochte sich nun vorzustellen, zu welchen Ausbrüchen von Leidenschaft und Sinnlichkeit diese so engelsgleich wirkende Frau fähig sein mußte. »Wadell!« keuchte Shelton. Seine Stimme klang schrill. Er erhob sich langsam und bemühte sich, seine Kleidung notdürftig in Ordnung zu bringen. »Wadell, was - was hast du hier umherzuschleichen? Wadell. . .« »Ich schleiche nicht herum, ich gehe«, zischte Wadell. Er betrachtete dieses nervöse, zuckende Gesicht, er sah die Flasche, diese Sorte, die nur Luisa mochte. »Shelton, du Hundesohn, wie lange geht das schon mit euch beiden?« Er duzte Shelton, seitdem der vor zwei Jahren nach langjähriger Abwesenheit wieder zu seinem Stiefvater Greener zurückgefunden hatte, er duzte auch Luisa, denn Greener hatte es so gewollt. »Verdammt, Shelton, eine Erklärung, aber schnell.«
»Eine Erklärung?« Shelton schien sich zu fassen, es kam Wadell sogar vor, als huschte nun ein wegwerfendes Lächeln um Sheltons Mundwinkel. »Was, zum Teufel, geht dich das an, Wadell?« stieß Shelton durch die Zähne, während sich sein Gesicht wieder rötete. »Das ist eine Sache zwischen mir und Luisa. Und keinen Dritten kümmert das, verstanden? Mach, das du hinauskommst. Du hast nichts gesehen und gehört, das wird besser für dich sein, denn sonst kann. ..« »Harvey, Harvey«, wimmerte Luisa voller Angst. »Harvey, nimm dich zusammen. Großer Gott, Jim, ich bitte dich ...« »Du bittest?« fuhr Jim Wadell herum. »Oh, zum Teufel, er ist ein alter Mann, er ernährt dich, er hat dich zu dem gemacht, was du heute bist, Luisa. Die Frau Dave Greeners genießt das höchste Ansehen in West Colorado. Seid ihr wahnsinnig, ihr zwei?« »Wadell, jetzt halte die Luft an, wer bist du denn?« zischte Shelton. »Das ist nun mal passiert. Du hast recht, er ist ein alter Mann — und sie ist jung. Wie sollte das gehen auf die Dauer? Er kann ja nicht mehr . . .« Es war zuviel, Wadell reagierte auf seine Art, die manche als unheimlich schnell und tödlich gefährlich bezeichneten. Wadell sprang blitzschnell vorwärts. Es war ein Satz, der auch für einen weitaus besseren Mann als Shelton zu schnell erfolgte. Im Sprung noch holte Wadell aus. Seine Faust schoß steil nach oben. Sie traf Shelton am Kinnwinkel und schleuderte den hageren, verkniffenen Mann rücklings gegen den Aktentisch. »Kerl!« knurrte Wadell. »Ich könnte dich in der Luft zerreißen und den Geiern vorwerfen. Dein Stiefvater hat dich aus Gnade und Barmherzigkeit wieder aufgenommen. Jahrelang hast du dich herumgetrieben. Und wenn du ihm
schriebst, dann brauchtest du Geld. Du bist in seinem Haus, unter seinem Dach, und du? Pfui Teufel, du betrügst ihn. Mensch, ich sollte dich totschlagen!« Er hörte hinter sich Luisas schreckliches Schluchzen. Es klang hysterisch und schrill. »Zieh dich anständig an«, fuhr er herum. »Ich müßte es Old Dave sagen, ich müßte es tun, aber weiß Gott, ic h bringe es nicht fertig. Dieser Mann ist zu gut, um euren verdammten, gemeinen Schmutz kennenzulernen. Betrügen ihn unter seinem Dach und schämen sich nicht mal. Ich schwöre euch, macht ihr das noch einmal, dann geht der Ofen hier für euch beide aus. Ihr fliegt schneller raus, als ihr beten könnt. Steh auf, du erbärmlicher Schurke, hoch mit dir.« Er riß Shelton in die Höhe, der abwehrend beide Hände vor das Gesicht hielt, um seinen Kopf in Erwartung des nächsten Hiebes zu decken. Wadell stieß ihn in den Lehnstuhl am Schreibtisch. Dort blieb Shelton mit bebenden Lippen hocken, während Luisa ins Nebenzimmer hastete. * Cummings stank nach Schweiß, und seine feuchte, klebrige Hand, die Bodkins Arm berührte, verursachte in Bodkin einen gesunden Ekel. Cummings trank Unmengen Wasser, er schwitzte es auch wieder aus, und so dachte Bodkin manchmal, daß man Cummings auf eine Meile riechen mußte. »Bleib zurück«, stieß Bodkin leise hervor. »Das ist keine Arbeit für dich, Cummings. Fletcher, mach du das, aber leise, Mensch.« Sie kauerten unter dem Fenster an der Hauswand. Es war Fletchers Vorschlag gewesen, den kleinen Umweg zu machen.
Sie hatten seit gestern früh nichts mehr zwischen den Zähnen gehabt. Der Hunger saß wie ein grimmig nagendes Tier in ihren Eingeweiden, er ließ sie mürrischer, angriffslustiger und bissiger werden als jemals zuvor. Dennoch verband sie der gemeinsame Willen, diese Flucht zu einem glücklichen Ende zu bringen. Fletcher kannte sich hier aus. Er war ein halbes dutzendmal als Frachtfahrer für den alten Burton in dieser Gegend gewesen und kannte dessen Tochter Luisa ziemlich genau. Unterwegs hatte er sie mit Geschichten über Luisa erfreut, da er nur das eine Thema Frauen und die Beziehungen zu ihnen kannte. Fletcher stammte aus Utah — und dorther stammte auch Dave Greeners Frau Luisa. Daß sie alle nach Utah wollten, hatte einen einfachen Grund: Fletcher kannte den Weg. Und bis jetzt waren sie jeder menschlichen Siedlung ausgewichen. Sie hatten den Weg über die Kälteregion der südwestlich von Gunnison liegenden Berge genommen. Niemand hatte sie gesehen. Nun jedoch hatte sie der Hunger ins Tal getrieben. Sie lagen seit einer Stunde auf der Lauer neben der Ridgeway Station der Western Colorado. Fletcher kroch nun an der Hauswand empor, bis er am Fenster stand. »Bist du auch sicher, daß es der richtige Raum ist, Fletcher?« fragte Bodkin mißtrauisch. »Nicht, daß wir uns vertun und genau dort einsteigen, wo die Fahrer der letzten Kutsche und die Passagiere schlafen.« Fletcher schüttelte den Kopf. Er kannte dieses Haus und dessen Räumlichkeiten. Hier lag die Vorratskammer. Sie besaß ein einfaches Fenster, allerdings dahinter noch einen Fliegendrahtrahmen.
»Nichts, das hier ist das Kammerfenster. Wir nehmen uns, was wir brauchen. Sie merken es erst am Morgen.« Dann zog Fletcher sein Messer. Die Klinge war scharf, und es gelang Fletcher, mit einigen lautlosen Schnitten neben dem Fensterrahmen ein kleines Loch zu schneiden. Die Arbeit ging rasch, und es mochte kaum eine Minute vergangen sein, als Fletcher mit dem Messer den Riegel innen ausheben konnte. Danach zertrennte er mit vorsichtigen Schnitten den Fliegendraht. Er sah den Ständer mit Eiern auf dem Fensterbrett stehen, rollte den Draht nach unten und tat es so vorsichtig, daß er nicht etwa ein Ei herabwarf. Sie hatten nicht vor, ein Geräusch zu machen. Danach kroch Fletcher in den Raum. Es schurrte einmal ganz sacht, und Fletcher reichte Bodkin die Hand. »Komm jetzt, Mann. Nicht vom Fenster weglaufen, ich muß mich erst umsehen. Bleib da unten hocken.« Bodkin tat, wie ihm Fletcher sagte. Er war es gewohnt, daß Fletcher bei Nacht wie eine Katze sehen konnte. Während Fletcher kein Geräusch machte, schmatzte der verdammte Cummings draußen. Fletcher streckte den Kopf aus dem Fenster und zischte: »Du sollst aufpassen, du Affe. Noch mal passiert es uns nicht, daß sie uns beim Einsteigen erwischen, begriffen?« »Ich penne doch nicht, macht voran.« Fletcher drängte sich nun neben Bodkin. Er hängte einen leeren Sack, den er trotz der Dunkelheit gefunden hatte, vor das Fenster und zündete ein Streichholz an. Jetzt konnte auch Bodkin die Regale und den hier gestapelten Vorrat sehen. »Mensch, alles voll, wir decken uns ein bis Utah.« »Yeah«, knautschte Fletcher. »Nur langsam, wir haben Zeit. Da, die Wurst.« Er nahm sie aus dem Regal.
Bodkin, der alle Herrlichkeiten mit offener Gier betrachtete, musterte eine Deckelschüssel. Er schnupperte wie ein junger Hund, als er sich der Schüssel näherte und Fletcher eine Kerze angezündet hatte. Dann hob er den Deckel an und stieß einen tiefen Schnaufer aus. »Mann, ein halbes, gebratenes Huhn. Die sorgen für uns, die sorgen für .. .« Er hob den Deckel ab und griff sich das knusprig gebratene, wenn auch kalte Huhn. Wie ein Vandale riß er dem Huhn den Schenkel herunter und begann ihn zu benagen. Dann jedoch Fletcher war dabei, den Vorrat zusammenzustellen — erstickte Bodkin um ein Haar an dem Hühnerbeinfleisch. Auch Fletcher fuhr zusammen. Sie sahen sich an, der eine Mister mit herausquellenden Augen und dem Hühnerbeinfleisch zwischen den Zähnen - der andere mit tödlichem Schreck in den Augen. Die Schritte kamen nicht von draußen, von Cummings. Irgendwer ging durch das schlafende Haus. Und er kam auf diese Kammer zu. * »Neben die Tür!« Bodkin übernahm jetzt das Kommando. Er überblickte meist jede Situation und hatte noch immer einen Ausweg gewußt. Daß sie nicht mehr aus dem Fenster kamen, war ihm sofort klar, Wer immer auch in die Kammer trat, er mußte schon halbblind sein, wenn er nicht sah, was mit dem Fenster geschehen war. Während Fletcher sich neben die Tür an die Wand quetschte und seinen Colt zog, schnappte sich Bodkin die Kerze. Er war kein Narr, darum huschte er mit der Kerze zum Fenster. Dort
hob er den Sack an und sah in Cummings' verstörtes Gesicht, dem das Licht genau in die Augen fiel. »Ausmachen«, zischte Bodkin. »Ich kann es innen nicht, den Geruch hat doch jeder gleich in der Nase. Jemand kommt, paß auf.« Cummings zuckte zusammen. Das heiße Wachs lief ihm über die Finger, und Cummings schlenkerte die Hand. Vor ihm fiel der Sack herab. Bodkin verschwand für Cummings. »Laß ihn kommen«, flüsterte Bodkin Retcher zu. »Lagen neben der Kerze nicht Streichhölzer?« »Ja, sie liegen noch dort.« »Gut, dann wird er sie nehmen. Sobald er ein Hölzchen anreißt . . .« Bodkin verstummte, denn im Türschloß knirschte nun der Schlüssel. Das Schloß knackte, die Tür ging auf, und Bodkin, der unter dem Fenster kauerte, sah nur einen großen, düsteren Schatten gegen die Zwielichtigkeit des Ganges erscheinen. Der Schatten kam näher, Pantoffeln klappten leise gegen den Boden. Etwas klapperte am Regal, bis ein mürrischer Baß sich meldete: »Teufel, wo ist denn die Kerze? Da muß sie doch ...« Es ratschte einmal, der blendende Lichtschein flammte auf, und Bodkin blieb hocken. Der Mann sah ihn nicht. Er trug ein Nachthemd, aus dem seine stacheligen Beine unten hervorblickten. Von der Tür her schob sich Fletcher unhörbar heran, während der Mann immer noch vor sich hin brabbelte. Das Licht des Streichholzes tastete über das Regal und beleuchtete den leeren Fleck, an dem die Kerze gerade noch gestanden hatte. Dann wanderte die Hand des Mannes nach oben zur Schüssel. »Wa - was?« stotterte der Mann bestürzt. »Wo hat sie denn das halbe Huhn?«
In dieser Sekunde hatte sich Fletcher weit genug herangeschlichen. Sein Arm sauste herunter, und sein Colt krachte dem Mann über den Kopf. Er kippt um, schoß es Bodkin durch den Kopf, oh, verdammt, er fällt gegen das Regal. Bodkin sprang blitzschnell in die Höhe. Er streckte die Arme aus, um den Mann aufzufangen, doch er kam zu spät. Auch Fletcher wollte den Fall verhindern. So sprangen sie beide auf dasselbe Ziel los, stießen jedoch zusammen, statt den Mann zu erwischen und hörten das Scheppern. Der Mann stürzte gegen die Schüssel. Sie sauste vom Regal, überschlug sich und knallte zu Boden. Das Klirren mußte sämtliche Bewohner der Station wecken. Zwei Fahrer befanden sich todsicher in der Station. Dazu kamen vielleicht noch Passagiere, die mit einer Waffe umgehen konnten. »Cummings, komm«, stieß Bodkin heraus. »Schnell herein, schnell, Mann.« Er brachte die Worte kaum zu Ende, als sich irgendwo im Haus etwas regte. Und dann wurde es hinten im Gang hell. »Guy?« meldete sich eine Frauenstimme. »Guy? Guy, wo bist du? Wenn du wieder nachts in die Kammer gestiegen bist . . . Guy, komm sofort her!« Bodkin schoß mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles vom Boden hoch. Er sah Cummings hereinsteigen und zu Fletcher hinüber. »Wir müssen sie alle packen«, entschied er mit kalter Stimme. »Zum Fahrerschlafraum, Fletcher. Cummings, die Passagiere haben eine Kammer, vor die Tür.« Dann rannte er los. Er stürmte durch den Gang und hörte ein Bett knarren. Der Gang machte einen Knick um den Schankraum, zu diesem führte eine offene Tür. Das Licht aber
fiel aus einer Tür rechter Hand. Bodkin sprang wie ein Tiger auf die Tür zu. Er sauste in den Raum, sah eine Frau auf der Bettkante sitzen und riß seinen Revolver hoch. Als er auftauchte und sein Colt sich auf die dicke Frau richtete, stieß sie einen gellenden, durch das ganze Haus hallenden Schrei aus. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie schwankte, riß abwehrend beide Hände empor und fiel dann mit einem langen Seufzer hintenüber. * »Jim, Jim, wach auf.« Wadell war schon wach. Er hatte das Schlagen der Haustür und die aufgeregte Stimme eines Mannes gehört. Sein Schlaf war unruhig genug gewesen, und er fuhr nun hoch, als er Old Dave Greeners Stimme erkannte. Mit drei Sätzen stand Jim Wadell an der Tür und riß sie auf. Big Dave stand vor ihm, die Lampe in der einen und einen Zettel in der anderen Hand. »Jim«, keuchte der Alte. Er war völlig angekleidet und schien gerade erst nach Hause gekommen zu sein. »Telegrafennachricht aus Ouray. Drei Kerle haben die Station in Ridgeway überfallen und eine Menge unserer Pferde gestohlen. Es sollen Bodkin, Cummings und Fletcher gewesen sein.« Jim überflog die Depesche, dann nickte er und hastete zum Stuhl, über dem seine Sachen hingen. Er warf einen Blick auf seine Uhr und wußte, daß er kaum zwei Stunden geschlafen hatte. Dennoch war dies seine Aufgabe. Dafür war er bei der Western Colorado. »Was willst du tun?« erkundigte sich Big Dave kurz. Er
liebte keine langen Reden. »Das sind doch die gleichen Kerle, die aus dem Jail in Gunnison mit dem Derringertrick ausgebrochen waren, oder?« »Sie scheinen eine Vorliebe für die Western Colorado zu haben«, antwortete Jim, indem er in seine Sachen stieg. »Dave, in Gunnison glaubte man, daß sie nach Süden oder Südosten geflohen wären. Cummings soll aus New Mexico stammen, und von New Mexico aus kommt man leicht über die Staatsgrenze nach Mexiko hinüber. Der Sheriff muß eine Suchmeldung erhalten haben. Ich werde sie mir zuerst ansehen.« Er lauschte dem Klappern der Tür und hörte den leichten Schritt von Luisa im Flur. Sie kam selbstsicher und gelassen bis vor die Zimmertür. »Was ist passiert, Dave?« erkundigte sie sich, und nichts an ihr verriet, daß sie sich vielleicht Sorgen um Wadells Schweigsamkeit gemacht hatte. »Ein Überfall?« »Ja, meine Liebe, aber Jim besorgt das schon, du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, gab Big Dave zurück. Er blickte sie freundlich durch seinen Kneifer an und verzog seinen Mund zu einem Lächeln. »Du kannst wieder zu Bett gehen, meine Liebe.« »Dave, ich wurde munter . . .« »Ja, schade, ich gönne dir deinen Schlaf. Nun geh schon, Luisa.« Wadell musterte Greener aufmerksam, doch er fand nichts, was ihm Sorge bereitet hätte. Der alte Dave war gelassen und ruhig wie immer, er schien sogar freundlicher als sonst zu Luisa zu sein. »Nun, dann gehe ich, Dave.« Sie verschwand, und Greener blickte ihr einen Moment nach. »Soll ich einige Männer wecken, Jim?« fragte er dann.
»Ich denke nicht«, murmelte Jim. Er war fertig, ging zum Schrank und nahm eine Anzahl Patronen heraus, ehe er zur Tür trat. »Dave, kann ich deinen Hengst und die Stute haben?« »Natürlich.« Sie sprachen kein Wort mehr, sondern hasteten in den Hof. Dave Greener sattelte die beiden Pferde selbst, während Wadell aus dem kleinen Tor rannte. Kaum war der Alte mit der Versorgung der beiden Pferde für einen wahrscheinlich langen Ritt fertig, als Wadell schon wieder erschien. »Der Sheriff ist drüben im Minencamp«, erklärte Wadell knapp. »Dave, jetzt weiß ich, warum die Kerle nach Westen geritten sind. Sie haben dabei einen südlicheren Kurs genommen. Fletcher kennt sich im Gebirge aus. Wußtest du, daß er bei Luisas Vater einmal Frachten gefahren hat? Der Kerl kennt die ganze Gegend bis nach Utah, und daher stammt er auch.« Greener pfiff durch die Zähne. Er hatte es längst aufgegeben, sich über Wadells Schlußfolgerungen zu wundern. Wadell stieg in den Sattel und ritt zum Tor hinaus. Seine Pferde liefen bereits nach zwanzig Längen in jenem ausdauernden Trab, mit dem ein Mann sein Pferd schonte und dennoch stetig vorankam. Greener blickte seinem besten Mann einen Moment nach, ehe er das Tor schloß. Danach sah der Alte zum Haus hinüber. Harvey mußte so wach wie Luisa. geworden sein, doch er hatte sich nicht sehen lassen. Als Big Dave Greener an Harvey dachte, kräuselten sich seine Lippen verächtlich. Er bemerkte eine schwache Bewegung an Harveys Fenster. Dort stand Harvey Shelton in der Dunkelheit und betastete seine aufgeplatzte Mundecke. »Da reitet der Hund hin«, stieß Harvey Shelton durch die
Zähne. »Hoffentlich bringen ihn die drei Kerle um, dann brauche ich es nicht zu tun. Wenn der einmal redet, bin ich hier fertig. Der Alte feuert mich hinaus, er hat nie viel von mir gehalten und muß wohl um meine Kartenleidenschaft in vergangenen Jahren Bescheid gewußt haben. Reite in die Hölle, Wadell, und komm darin um.« Er hatte nichts als diesen Wunsch. Und er wußte sich darin mit Luisa einig. Sie würden in Zukunft bedeutend vorsichtiger sein müssen. * Wadell roch die Glut eines erloschenen Feuers. Er kam auf Hände und Knie, bis sein Kopf sich über den zweiten Felsblock schob. Keine zwei Schritt vor Wadell kauerte ein Posten zusammengesunken auf seinem Stein. Er hatte den Kopf zwischen die Knie genommen. Sein Gewehr lag neben ihm, und es mochten die sägenden Schnarchtöne seiner Partner sein, die ihn auch in den Schlaf gebracht hatten. Jim Wadell erhob sich lautlos. Er huschte geduckt die letzten zwei Schritt vorwärts, bis er unmittelbar hinter dem Mann stand. Einen Moment lauschte Wadell seinen gleichmäßigen Atemzügen und dem Geschnarche der beiden anderen Burschen. Dann schoß seine Linke nach vorn, während die Rechte das Messer herumschwang. Der Griff um die Kehle des Mannes erfolgte so blitzschnell und zielsicher, daß der Bursche nur zu einem einzigen Zucken kam. Wadells Messerknauf knallte gegen die Schläfe des Banditen, der danach schlaff wurde und sich streckte. Wadell zog ihn nach hinten vom Felsblock herab, nahm zwei Enden seiner Teerschnur aus der oberen Jackentasche. Hinter
dem Felsen kauernd band er den Mann nach Indianerart zusammen. Er gab ihm einen Knebel, stand auf und wuchtete ihn auf seine Schulter. Dann ging Wadell kaltblütig zurück. Er hatte sich zwei dicht aneinanderliegende Felsen ausgesucht, zwischen die er den Mann schob. Durch das Zwielicht des beginnenden Morgens vernahm Wadell das Schnarchen bei seiner Rückkehr. Er wußte, daß der schwierigste Teil seines Unternehmens jetzt bevorstand. Er mußte leise und schnell vorgehen, wenn sein Vorhaben gelingen sollte. Indem Jim links der beiden Schläfer vorbeischlich, näherte er sich den Pferden. Sie dösten vor sich hin, prusteten nur ab und zu und ließen ihn herankommen. Wadell hatte die beiden anderen Männer kaum zehn Schritt neben sich, als er den Pferden die Zügelleinen zusammenband. Sein Kopf fuhr herum, denn eins der Pferde prustete nun zu laut und bewegte sich. Die Hufe klackten auf dem Steinboden gefährlich laut, und das Geschnarche des einen Mannes brach sofort ab. Jim sank herab, er lauschte und blickte starr auf den Block, hinter dem die beiden Banditen lagen. Doch seine Sorge und Vorsicht waren nicht nötig gewesen. Die Burschen schliefen weiter. Kaltblütig verband Wadell die Zügelleinen von drei Pferden, dann legte er sie am Bauchgurt des mittleren, gesattelten Pferdes fest. Kurze Zeit später hatte Wadell auch die Zügel der beiden links stehenden Pferde zum mittleren geführt. Der erste Teil seines Vorhabens war geglückt. Behutsam zog sich Wadell jetzt in den Sattel des mittleren Pferdes. Augenblicklich prustete das Pferd scharf und schwenkte leicht. Wieder knallten die Hufe gegen das Gestein, und Wadell wendete den Kopf. Sein Colt deutete nun auf den Felsen. Graue Schatten schienen überall zwischen den Steinen
und Blöcken zu nisten, der Tag kam bereits. Jetzt, dachte Wadell, als er die Hacken anhob, jetzt angehen lassen. Schnarchen sie noch beide? Er stieß die Hacken in die Weichen des Pferdes. Da er keine Stiefel trug, brachte der gedämpfte Stoß das Pferd langsam zum Angehen. Die Hufe tackten nun los, das Geräusch brach sich an den Steinen, und Wadell sah sich immer noch um. Er wußte, wohin er die Pferde bringen mußte, darum lenkte er sie ohne Sicht nach vorn. Aus dem einzelnen Tacken wurde Getrappel, denn die Zügelleinen strafften sich nun. Auch die restlichen Pferde fielen in den Trott. Wenn sie jetzt nicht munter werden, dachte Wadell verwundert, verschlafen sie sogar das Verschwinden ihrer Pferde. Hinter den Blöcken regte sich etwas, und dann knurrte jemand heiser: »Cummings, he, Cummings, was machst du da? Cummings, he, verdammt! « Im gleichen Moment hob Wadell noch einmal die Beine an. Diesmal stieß er die Hacken hart in die Flanken des Tieres. Das Pferd machte einen Sprung vorwärts. Es schoß nun zwischen den Felsblöcken des vorher eingeplanten Fluchtweges durch. Wadell blickte immer noch nach hinten. Und nun sah er endlich den nächsten Mann auftauchen. Es war Bodkin, dessen verstörtes Gesicht über den einen Felsblock erschien. Bodkin trug keinen Hut, und Wadell erkannte ihn trotz der Zwielichtigkeit an seinem fast viereckig wirkenden Kopf. Dann riß Bodkin den Mund auf. Er konnte nur die Pferde erkennen, weil Wadell flach hingesunken war und sich sein Schatten nicht von dem der Pferde abhob. »Fletcher!« kreischte Bodkin los. »Fletcher, die Pferde sind frei. Fletcher, Cummings haut ab.« Wadell hob die Hand. Er brauchte noch drei Sekunden Zeit.
Dann drückte er ab, als Bodkin eine Bewegung machte und Wadell sicher war, daß Bodkin zu seiner Waffe griff. Das Brüllen des Schusses riß Bodkin die Worte von den Lippen. Er spürte den Luftsog der an seinem Gesicht vorbeistreichenden Kugel. Die gefährliche Nähe des Geschosses ließ Bodkin aufschreien. Dann warf er sich hinter dem Felsblock in Deckung. Er rollte sich zur Seite, um am Felsblock vorbeizuziehen. Dies wären die drei Sekunden, die Wadell noch brauchte. Als Bodkin endlich schießen konnte, starrte er auf den leeren Fleck zwischen den Felsen. Dort hatten sich die Pferde gerade noch befunden, jetzt war die Stelle leer. Und nur der prasselnde Hufschlag.verriet, daß die Pferde davonrasten. »Fletcher, die Gäule, der Hund Cummings will weg!« schrie Bodkin los. »Wir sind ohne Pferde verloren! Hinterher, Mann!« * Der Einschlag der Kugel klang wie ein dumpfes Klatschen durch die Nacht. Wadell hatte die nächsthöheren Felsen noch vor sich, als das Pferd mit einem schrillen Wiehern stieg und danach zu Boden ging. Es war das Pferd rechts neben seinem Gaul. Die Kugel mähte es nieder, die Zügelleine straffte sich, riß aber nicht. Wadell flog bei dem jähen Ruck nach links. Es fehlte nicht viel, und er wäre aus dem Sattel gestürzt. Das Hufgetrappel verstummte fast, Bodkin schrie schrill: »Schieß doch, Fletcher, schieß, da oben sitzt er, der Kerl. Schieß, Mann!« Wadell hatte Mühe sich zu halten und zudem noch sein
Messer zu gebrauchen. Er durchtrennte die Zügelleine und jagte wieder an. Es war unmöglich, fünf Pferde im Zickzack zu lenken. Wadell preschte auf die höhergelegenen Felsen zu, doch sie schossen nun hinter ihm auf das dunkle, sich bewegende Ziel. Das nächste Pferd ging zu Boden, ehe Wadell die Deckung erreichen konnte. Diesmal riß die Zügelleine durch. Wadell hatte keine andere Wahl, als auszuholen und die anderen Leinen auch zu durchhauen. Indem er sein Pferd antrieb, lenkte er es vor zwei andere. Sie stürmten jetzt auf die Felsen zu, erreichten sie und jagten zwischen ihnen durch, als es noch einen Gaul erwischte. Das Pferd blieb am Beginn dieser achtzig Schritt von Bodkin und Fletcher entfernten Felsreihe liegen. Die anderen, auch Wadells Pferd, stürmten weiter. Zähneknirschend wegen des Verlustes von drei Pferden, warf sich Wadell aus dem Sattel. Die anderen Pferde rasten weiter, ihr Hufgetrappel knatterte durch den grauen Morgen. Während Wadell hinter die Felsen rannte, entfernten sich die drei Pferde. Sie liefen am Hang entlang, der ihre Schatten für Bodkin und Fletcher nicht zeigte. »Hinterher, Mann!« tönte Bodkins vor Wut heisere Stimme zu Wadell. »Der Hundesohn muß über den Hang, da sehen wir ihn und haben ein deutliches Ziel. Wir schießen ihn ab, den Halunken!« Wadell sah sie kommen. Sie rannten in langen Sprüngen, die Gewehre in den Händen, über das klickende Geröll den Hang empor. Die Furcht, ohne Pferde in den Bergen zu stecken, trieb sie zur wilden Hast. So kamen sie heran, liefen zwischen den Felsen durch und hatten nun den Steilhang vor sich. Als sie mitten auf dem Hang waren und das Geröll unter ihren Stiefeln in die Tiefe zu rauschen begann, zog, Wadell durch. Er sah den Feuerstrahl zwischen den Felsen, doch seine
Aufmerksamkeit galt den beiden Banditen auf halber Hanghöhe. Bei dem Knall fuhren sie gewaltig zusammen. Bodkin verlor augenblicklich den Halt. Er stieß einen gellenden Entsetzensschrei aus, als er ins Rutschen kam. Das Geröll gab unter ihm nach. Er ruderte verzweifelt mit den Händen in der Luft umher, dann kippte er auch schon um und schoß, die Arme vorgestreckt, über das nachgebende Geröll in immer schneller werdendem Tempo hangabwärts. Fletcher jedoch rannte nach einem Blick auf den herunterkugelnden Bodkin weiter. Es mochte nackte Verzweiflung sein, die Fletcher antrieb, denn er machte keinen Versuch, auf den vermeintlich unten am Hang zwischen den Felsen liegenden Schützen zu feuern. Fletcher gewann die obere Hangkante, als Bodkin unten zwischen die größeren Steine geschossen kam. Dort überschlug sich Bodkin noch einmal, ehe er an die großen Brocken prallte und wie tot liegenblieb. Bei seiner wilden Kollerei hangabwärts hatte er sein Gewehr verloren. Als Fletcher die Hände nach der Kante ausstreckte, um sich über sie zu ziehen, sah er Jim Wadell genau vor sich. Vor Schreck ließ er wieder los. Er schrie, als er abwärtsfiel und sich sein Körper überschlug. Da er schräger als Bodkin das letzte Stück des Hanges angenommen hatte, veränderte sich auch seine Fallbahn. Wadell öffnete die Augen vor Schreck und Grausen weit, denn der Mann rutschte genau auf einer Geröllfläche entlang. Diese Fläche führte nicht zwischen den Felsen durch, sondern auf sie zu. Einen fürchterlichen Augenblick klang nichts als der heulende, fürchterliche Schrei Fletchers durch den frühen Morgen. Dann gab es einen dumpfen Schlag. Das Geprassel herabfallenden Gerölls folgte. Es klickerte und rauschte fast
eine Minute lang. Nach dieser Minute erhob sich Wadell langsam. Er hielt den Revolver schußbereit auf Bodkin gerichtet. So näherte er sich dem an den Felsen liegenden Banditen. Er stieß ihn an, doch Bodkin war tatsächlich besinnungslos. Der stämmige Bandit spürte nicht, daß Wadell ihn band. Jim ließ ihn an den Felsen liegen und betrat vorsichtig die Geröllbahn auf den Felsen. Von ihrer Kante aus warf er einen Blick in die Tiefe. Es war nun hell genug, um Einzelheiten in jener Mulde ausmachen zu können. Das Geröll hatte Fletcher bis an die Hüfte bedeckt. Der Mann lag halb unter Steinen begraben, und er war tot nach diesem Fall. »Der verdammte Narr«, stieß Wadell durch die Zähne. »Ich wollte sie alle drei lebend haben. Was mußte er weiterrennen?« Jim Wadell verließ den Platz. Er stieg an Bodkin vorbei den Hang hoch. Oben angekommen lief er los, kam zu seinen Pferden und sah in einiger Entfernung die anderen drei stehen. Eins der Pferde trug den Brand der Western Colorado, die anderen beiden mußten aus dem Stall des Sheriffs in Gunnison stammen. Wadell brauchte kaum eine Viertelstunde, ehe er mit den Pferden wieder unten bei Bodkin war. * Shelton biß sich auf die Lippen. Er hörte die Männer schreien, sah sie Wadells Pferd umringen und warf Luisa, die in der Küche stand, einen Blick zu. Wie die anderen Männer war auch Big Dave Greener in den Hof gestürmt. Es regnete Bindfäden, und naß bis auf die Knochen war Wadell gerade ins Tor geritten. Der Tag hatte grau in grau begonnen.
»Nun?« fragte Luisa spöttisch mit gekräuselten Lippen. »Du warst doch so sicher, daß der Kerl niemals aus den Bergen zurückkommen würde, Harvey. Was sagst du jetzt? « »Die Pest!« stieß Harvey durch die Zähne. »Ich wünschte, sie hätten diesem verfluchten Schleicher eine Kugel durch das Gehirn geblasen. Luisa, wir werden uns etwas einfallen lassen müssen, um den Burschen loszuwerden. Wenn er jemals redet...« »Du wolltest doch alles abstreiten«, erinnerte sie ihn. Sie trug eine rosa Bluse von engem Schnitt, und als sie den Oberkörper zurückbog, spannte sie sich bedenklich über der Brust. Sheltons Adamsapfel tanzte an seinem hageren Hals. Er konnte den Blick nicht von Luisa wenden, und sie lachte leise und kehlig, denn sie kannte ihre Wirkung auf ihn. Shelton ging los. Er konnte hier nicht länger stehenbleiben, wenn es nicht auffallen sollte, daß er etwas gegen Wadell hatte. Bis heute hatte Wadell Glück gehabt, er hatte die drei Banditen erwischt, ohne selbst einen Kratzer einzufangen. Aber das konnte sich ja ändern. * Der alte John Wadell konnte sich nicht erinnern, jemals ein derartiges Gewitter im engen Tal von Durango erlebt zu haben. Der Himmel schien sich in eine schwarzgraue Wand zu verwandeln, aus der unaufhörlich Blitze zu Tal schossen. Das Gewitter stand vor den nördlichen Bergen, es tobte sich hier im Tal aus. Noch war kein Tropfen Regen gefallen, und John rannte mit Ben Carter, seinem stelzbeinigen Gehilfen, zum Balkengerüst der neuen Scheune herüber. Links lag der alte Stall mit der
baufälligen Scheune, dazwischen standen die neuen Bretter und Bohlen zum Teil an den Wänden oder lagen gestapelt im Hof. »Schnell, deck die Kalkwanne zu!« schrie John Wadell. »Wenn es regnet, wäscht er sie aus. Alle Teufel, das kommt her. Sieht aus, als fiele das Wasser wie eine Wand vom Himmel.« Sie packten einige Bohlen und deckten die Kalkwanne ab, aber sie waren noch nicht ganz fertig, als ein fürchterlicher Donnerschlag die Erde erbeben ließ. In der gleichen Sekunde schienen sich unsichtbare Schleusentore am Himmel zu öffnen. Was Old John Wadell befürchtet hatte, trat binnen drei Sekunden ein. Der Regen prasselte auf die beiden Männer herab, so daß sie sofort bis auf die Haut naß wurden. Sie liefen zum Haus zurück, schafften es aber nicht ganz, als der brüllende Donner über ihnen die Wolken zu spalten schien. Mit einem Krachen, als ginge die Welt unter, schlug der nächste. Blitz in die Koniferen am Hang ein. Er spaltete einen der mächtigen Stämme, dessen Krone sich neigte und dann prasselnd und rauschend den Hang herunterkollerte. John Wadell blieb stehen. »Lauf ins Haus!« brüllte er Ben Carter zu. »Das wird sich...« Er wollte sagen, daß es sich über ihren Köpfen entladen würde, als ihm der nächste Donner die Worte vom Mund riß. Der Blitz fuhr keine hundert Schritt entfernt in den Boden, und das Beben warf den Alten beinahe um. Nun achtete er nicht mehr auf die Bäume am Hang. Er rannte zum Haus, kam unter den Türbalken und sah Gil, seine einzige Tochter, leichenblaß an der Wand auf der Bank kauern. »Dad, die Pferde...« »Pferde und Maultiere sind sicher«, antwortete der Alte keuchend. Er stand barhäuptig und breitschultrig in der Küche. Seine wuchtige Gestalt füllte den Türrahmen aus. Ihm machte es wenig aus, naß zu werden.
»John, die neuen Tiere«, meldete sich Ben Carter, aber der Alte hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab. »Die stehen in Reih und Glied im Stall angebunden, da sind sie gut aufgehoben, Ben. Es kann nichts passieren. Tochter, du solltest keine Angst vor einem lächerlichen Gewitter haben. Das geht vorbei.« Und weiter kam er nicht. Die Luft um die drei Menschen schien von einem grellen, alles blendenden Licht verdrängt zu werden. Dann gab es einen Donnerschlag, daß die Erde gespalten sein mußte, und der alte John flog, ehe er etwas sagen oder tun konnte, durch seine Küche. Er raffte sich zwar augenblicklich wieder auf. Seine Tochter schrie, doch kaum stand der Alte, als der nächste schmetternde Schlag herniederfuhr. John Wadell sah nichts mehr. Für Sekunden nahm ihm das grelle, gleißende Licht beinahe das Bewußtsein. Er flog rücklings zu Boden und fand sich neben dem Herd wieder. Was dann kam, erschien ihm schlimmer als die Hölle zu sein. Der Boden schwankte und zitterte. Die Luft schien nur noch aus Schwefel zu bestehen. Durch das gewaltige, ohrenbetäubende Brüllen der Blitzeinschläge kam dünn und wie von weit her die Stimme des Girls durch den Raum. Ben Carter lag, die Hände über den Kopf gerissen, am Boden. Er glaubte nichts anderes, als daß die Welt jetzt tatsächlich untergehen müßte. Sein magerer, kleiner Körper wurde hochgehoben und hin und her geschleudert. Er lag keine Sekunde an einem Fleck. Glas klirrte, Geschirr zerbrach im Schrank, der zu hüpfen schien. Das Rauschen hatte aufgehört, es regnete nicht mehr. Dafür gab es trockene, fürchterliche Schläge in diesem Ende des Talkessels von Durango. John Wadell kroch zu seiner Tochter. Er warf sich über sie und preßte sie an die Wand. Dann hörte er das Fauchen des Sturmes und durch das Fauchen das Gewieher.
John Wadell biß die Zähne zusammen, denn er konnte nicht hinaus. Die Blitze schienen vom Animas River und den Koniferen angezogen zu werden. Zwischen diesem Streifen lag Wadells Pferde- und Maultierhandlung, standen Wadells drei Wagen und warteten über vierzig Pferde und Maultiere auf den Verkauf, die John gehörten. Es gab aber noch jene vierunddreißig Reitpferde, die John nach Fort Lewis liefern sollte. Sie standen zum Teil in der Scheune. John Wadell hatte sein Bargeld für den Neubau der Scheune und des Stalles ausgegeben. Die Pferde hatte er mit geborgtem Bankgeld gekauft. Jedoch bekam er das mit Gewinn wieder herein, sobald er seine Reitpferde in Fort Lewis abgeliefert hatte. Daran dachte John, als er seine Tochter festhielt. Sie schrie immer noch, sie kam auf seine Frau hinaus, die zeit ihres Lebens ängstlich gewesen war. »Sei ruhig!« brüllte der Alte. »Halt den Mund, ich befehle es dir, Gil!« Er hatte sein halbes Leben nur befohlen. In diesem Augenblick gelang es Ben Carter aus der Tür zu blicken. Der alte Ben riß die Augen entsetzt auf. Er war sekundenlang nicht fähig zu schreien oder auch nur ein Lallen herauszubringen. Als er schließlich aufschrie, drang seine Stimme kaum durch das Krachen der Blitze, aber sie erreichte den alten John. »Feuer?« schrie John entsetzt. »Was schreist du da, Feuer? Ben, wo brennt es?« »Die Scheune, der Stall, alles!« brüllte Ben. »John, alles brennt, das neue Holz, die Balken, alles!« Ben Carter sah voller Entsetzen, wie sich John Wadell erhob. Der Alte ging geduckt los. Er schwankte wie ein Baum, kam aber auf Ben Carter zu und stieg über ihn hinweg.
»Halt, John, nicht hinaus!« rief Ben voller Furcht. »Du kannst nicht hinausgehen, es bringt dich um. John, John, bleib hier! John ...« John Wadell trat vor die Haustür. Er stierte fassungslos auf den linken Teil des Hauses und die Trümmer. Das Dach war dort herabgesunken, die Mauern aus Lehmziegeln geborsten, und aus den Trümmern kroch jetzt der Rauch. Dann flog John Wadells Blick herum. Er sah nichts als Feuer und einige bockende, durchgehende Maultiere und Pferde. Sie rannten alle den Hang empor auf die Bäume zu. »Meine Tiere«, stieß der alte John dumpf hervor. »Alles brennt, und meine Tiere, die neuen Pferde für das Fort?« Er begriff nicht, daß sie nicht alle aus dieser Flammenhölle entwichen. Er taumelte los, hinaus in die tobende Hölle. In diesem Augenblick war es ihm gleichgültig, ob ihn ein Blitz traf oder nicht. Er schrie, als er auf die Flammen zuwankte. So sah ihn Ben Carter gehen und sich gegen den lodernden Hintergrund abheben. Es kam Carter vor, als hätte John die Absicht, immer weiter und mitten in die Flammen zu marschieren. Aus weitaufgerissenen Augen sah der alte Ben seinem Boß nach. Dann erkannte er, daß die glühende Hitze John Wadell stehenbleiben ließ. Der Alte kam keinen Schritt mehr voran. John Wadell rang nach Atem. Die Hitze schnitt ihm die Luft ab. Es ging über seinen Verstand, daß von den Tieren aus Stall und Scheune nur wenige oder vielleicht keins mehr leben sollte. Nichts in diesem Leben hatte geschafft, den Mann John Wadell von den Beinen zu bringen, nicht mal eine Kugel. Aber jetzt knickte er ein. Halb erstickend, die Augen und den Mund weit geöffnet, fiel er auf Hände und Knie. Er begriff, er war ein armer Mann geworden. *
Er stand langsam auf, erhob sich zu seiner vollen. Größe, und stemmte dann die Fäuste auf den Tisch. So sah er Gavin an, einen jungen Mann, der es schon zum Leiter der Bank von Durango gebracht hatte. Der Zorn, dieser verdammte Jähzorn des alten John Wadell brach los. Ein Wadell gab nie auf, das war Johns Wahlspruch schon immer gewesen. Ein Wadell verdiente Vertrauen, man konnte sich auf ihn verlassen. John Wadell betrachtete Gavin mit halbgeschlossenen Lidern und fest zusammengepreßten Lippen. »Was soll das heißen?« brach es dann aus ihm. »Gavin, ich habe Pech gehabt, nun gut, aber ich baue wieder auf. Mich hat noch nie etwas umgeworfen, verstehen Sie, Mister? Alles was ich brauche sind viertausend Dollar. Seitdem es diese Bank hier gibt, bin ich mit meinem Geld zu ihr gegangen. Ich brauche jetzt viertausend Dollar, sonst kann ich der Armee keine Pferde liefern. Was kann ich für das Gewitter und die Blitze, die mir die gerade gekauften Reitpferde töteten? Gavin, ich brauche die viertausend Dollar. Und zwar jetzt!« Gavin erhob sich. Er war schlank, groß und kühl. Seine grauen Augen blickten den Alten einen Moment an. Dann murmelte er: »Mr. Wadell, jedes Kind weiß heutzutage, daß man Pferde bei Gewitter nicht in einen Stall oder eine Scheune sperrt. Sie hätten sie in den Corrals lassen müssen. Das war purer Leichtsinn, Wadell.« John Wadetl holte tief Luft. Leichtsinn, dachte er, was sagt er da, ich und leichtsinnig? Dieser grüne Bursche. Als der alte Jeffrey Holt noch die Bank hatte, hätte es keine Schwierigkeiten gegeben, aber dieser junge Bursche jetzt. Bildet er sich ein, daß ein Wadell jemals zu Kreuze kriecht? »Hören Sie zu, Mister«, knurrte Old John scharf. Er wurde immer zorniger. »Sie mögen etwas von Bankgeschäften
verstehen, aber ich habe ein Leben lang mit Pferden und Maultieren zu tun gehabt. Bei der Armee mußten wir immer sämtliche Pferde in die Ställe bringen, kam so ein Wetter. So habe ich es gelernt, und so bleibt es auch. Erzählen Sie mir nichts von Benjamin Franklin und Isaac Newton, Mister. Das mögen kluge Leute gewesen sein, aber von Pferden haben sie ganz sicher nichts verstanden. Gavin, geben Sie mir das Geld, ich brauche es.« Lynn Gavin schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, Mr. Wadell. Sie hatten scho n viertausend Dollar Schulden bei uns, bevor das Gewitter kam. Achttausend Dollar wären es, wenn ich Ihnen jetzt noch mal viertausend borgen würde. Sie haben doch Freunde. Sehen Sie zu, daß Sie das Geld dort auftreiben. Für mich gibt es Bestimmungen, verstehen Sie doch. Es ist keine Deckung mehr für das Geld da. Ich müßte sogar herkommen und von Ihnen die viertausend Dollar sofort verlangen. Sie haben acht Wochen Zeit zu bezahlen.« John Wadells Gesicht wurde kreidebleich. Keine Sicherheiten mehr? »Sie — Sie sind wohl verrückt, was?« keuchte der Alte wütend. »Ich bin die Sicherheit, ich, hier, sehen Sie mich an. Ich bin die Sicherheit. John Wadell hat noch immer seine Schulden bezahlt. Das waren keine Schulden, Mister. Nächste Woche hätte die Bank das Geld bekommen. Gavin, soll das heißen, daß ich nicht vertrauenswürdig bin?« »Wadell, fangen Sie hier nicht an zu schreien«, antwortete Gavin kalt. »Ich habe meine Bestimmungen, ich kann Ihnen das Geld nicht geben. Brüllen Sie mich nicht an, Mister, denn das kann ich auch. Ich sehe keine Sicherheiten, keine Werte mehr. Wadell, ich bin großzügig, wenn ich Ihnen acht Wochen Zeit gebe.« Acht Wochen Zeit, großzügig, fuhr es dem Alten durch den Kopf. Was, das nennt dieser Halsabschneider großzügig?
»Sie - Sie reden da von großzügig? Mister, das ist Halsabschneiderei, das ist Betrug, Gaunerei, das ist eine Niedertracht. Wucher ist das. Sie grüner Bursche, Sie Taugenichts, Sie wollen mich betrügen, mich, John Wadell? Ich werde dir die Ohren abschlagen, du verdammter Kerl, ich werde dir zeigen, daß John Wadell immer noch für viele Dinge gut ist. Du verdammter Halsabschneider, du nachgemachter Steinzeitmensch . . .« Er war nie klug gewesen, wenn sein Jähzorn ihn packte, der alte John. Er hatte auch noch nie aufgesteckt oder sich vor jemand gebückt. Er begriff nur, daß man zu ihm kein Vertrauen hatte und er in den Augen dieses jungen Mannes nichts wert war. Darum die Wut — und darum steigerte er sich und brüllte. Er warf Gavin, der verstört zurückwich, denn er hatte nichts als seine Pflicht getan, die wildesten Ausdrücke an den Kopf. Dabei blieb er nicht etwa stehen, sondern rannte wie ein Löwe durch den Raum und stieß hier einen Stuhl um, schleuderte dort ein dickes Kontobuch zu Boden und ließ schließlich seine Fäuste auf den Schreibtisch Gavins trommeln, daß Tintenfaß und Federhalter hüpften. »Was, du aufgeblasener Ochsenfrosch, du Sohn eines Affen, du Trottel mit Hängeohren . . .« Er schrie so laut, daß die Leute vor der Bank zusammen rannten und in der Bank einige Kassierer zu den Colts griffen. »Ich brauche euer verdammtes, dreckiges Geld nicht!« brüllte John Wadell. »Steckt es euch in die Ohren, freßt es auf, ihr Halsabschneider und Gauner. Mit euch habe ich das letzte Geschäft meines Lebens gemacht, ihr widerlichen Ratten. Du aufgeblasener Ochsenfrosch!« .Er sah Gavin an und reckte ihm die Faust unter die Nase. Gavin wich noch weiter zurück. Er stand an der Wand und glaubte, daß der Alte ihn niederschlagen würde. »Sie — raus hier!« keuchte Gavin. »Jetzt — jetzt zahlen Sie
binnen einer Woche die viertausend Dollar zurück, Mister. Binnen einer Woche, und dabei bleibt es. Hinaus, verlassen Sie die Bank. Und über die Beleidigungen reden wir auch noch.« »Du halbe Portion!« schrie der Alte. »Weißt du, was du mich kannst? Nicht nur einmal, sondern dreimal, und dann ...« Er ging, und die Leute rannten vor ihm weg, als er herauskam und seine gewaltigen Fäuste wie Dreschflegel schwang. Er warf die Tür hinter sich zu, daß Präsident Lincolns Bild in Gavins Zimmer von der Wand fiel. Er brüllte noch, als er zu Hause ankam und sich in der Küche auf die Bank fallen ließ. Danach wurde seine Stimme immer leiser, und Gil, seine Tochter, die diesen Ausbruch zitternd miterlebt hatte, hörte, wie er die Arme auf den Tisch und schließlich den Kopf auf die Arme legte, um zu lallen: »Kein Vertrauen zu einem Wadell, ich bin nichts wert, wie? Sehe ich aus wie ein Betrüger, ich, John Wadell?« Sie kannte ihn zu gut, und sie wußte, daß ihn nichts so hart treffen konnte wie mangelndes Vertrauen. Er hockte da und mußte nahe daran sein, den Verstand zu verlieren. Sie wechselte einen Blick mit Ben Carter, der sie hinaus winkte. »Mein Gott, Ben, so hat er seit Jahren nicht mehr getobt«, flüsterte Gil Wadell erschüttert. »Jetzt hat er sich alles verdorben. Er kann doch unmöglich in einer Woche schon zurückzahlen. Soviel Geld hat niemand, und soviel Freunde gibt es auf der ganzen Welt nicht für ihn, daß er sich das Geld leihen könnte. Ben, Mister Gavin ist doch kein schlechter Mann, ich werde zu ihm gehen.« »Um Gottes willen, dann jagt John dich hinaus wie damals Jim«, sagte der alte Ben. »Eine Wadell kriecht auf dem Bauch vor jemand, daran erstickt John augenblicklich. Nein, das geht nicht.« »Aber Ben, wenn er nicht zahlen kann, was wird dann?« »Dann nimmt die Bank ihm alles weg.«
Gil erstarrte, in ihren Augen tauchten Tränen auf. »Ben, du meinst, sie würden ihm alles wegnehmen, die restlichen Tiere, das Haus, das Land, alles?« »Das können sie tun, Gil.« »Dann bringt er sie um, zuerst Gavin - und danach alle anderen«, stammelte sie. »Ben, es muß doch einen Ausweg geben.« Gil Wadell sah sich um. Sie blickte zu den anderen Häusern hinüber. Dort war das Hotel, dort der Saloon, das Eldorado McCords, daneben McCords Generalstore, weiter hinten lagen Sattlerei, der Bäcker, die Sägemühle. Wo eigentlich in dieser Stadt saßen John Wadells Freunde? Richford, der Sägewerksbesitzer vielleicht. Der würde John Bretter und Balken geben, aber Geld? »Ben, das ist das Ende.« Ben schüttelte den Kopf. Dann stampfte er mit seinem lahmen, steifen Bein auf. »Nichts ist zu Ende. Du vergißt jemand«, sagte er heiser. »Ich muß bleiben, bis er sich beruhigt hat, dann werde ich mich wegstehlen. Ich reite zu Jim, er wird ihn nicht im Stich lassen, niemals. Das darf John aber nie erfahren«, ängstigte sich Old Ben. »Er schlägt mich tot, wenn er es weiß.« Sie nickte und lächelte. Dann trocknete sie ihre Tränen und sah hinüber zum Eldorado. Dort stand jemand, eine Frau wie aus einem Märchenbuch. Die Frau hatte kupferrotes Haar und war schlank, jeder Zoll eine Lady. Carry McCord, die viele Leute nur Ruby wegen ihrer Haare nannten, trug ein schilfgrünes Kleid und einen kleinen Hut. Sie blickte zu den Wadells herüber, und es schien Gil, als hätte ein nachdenklicher Ausdruck Ruby McCords Gesicht irgenwie verändert. Ruby McCord blickte sie immer so freundlich an, wenn sie
sich trafen. Da gab es zwar Old Johns Verbot, jemals dieses verdammte Frauenzimmer zu grüßen. Kein Wadell sollte je im Leben einem McCord die Tageszeit nennen. Aber Gil fand alles an Ruby prächtig. In Gils Augen besaß Ruby McCord alle Vorzüge einer Frau. Sie war energisch, hatte Geschäftssinn und führte Hotel, Saloon und Store ihres verstorbenen Vaters besser, als der es je im Leben gekonnt hätte. Jedesmal, wenn sie sich begegneten, senkte Ruby McCord den Kopf. Dann sah sie Gil aus ihren grünblauen Augen an und lächelte ihr zu. Aber sie sprach nie ein Wort. Und Jim, dachte Gil etwas schwärmerisch, wie es Mädchen manchmal tun, Jim hatte sie geliebt. Dann ist sie mit diesem Spieler davongegangen. Als sie wiederkam, nannte sie sich wieder McCord und legte den Namen ihres Mannes ab, der bei irgendeiner Schießerei in einem Spielsaloon über seine Karten sank und nie wieder aufstand. Ob sie Jim mochte? Gil Wadell seufzte tief. Jim muß kommen, dachte Gil, Jim kann alles in Ordnung bringen. * Shelton blickte den kleinen, mageren Ben Carter mit hochgezogenen Brauen abschätzend an. Dann forderte er ihn auf, Platz zu nehmen und hüstelte, indem er sich freundlich stellte: »Das tut mir aber mächtig leid, Mr. Carter. So, Sie wollten zu Jim. Aber der ist auf einer Inspektionsreise im Norden. Vor acht Tagen erwarten wir ihn nicht hier. Ich weiß auch nicht, wo ich ihn finden könnte. Sicher, wir haben den Telegrafen, aber Jim ist manchmal meilenweit von einer Station entfernt. Er muß mit den Bahnleuten verhandeln, zu Ranches reiten und Pferde beschaffen. Da verhandelt er manchmal eine Woche oder mehr. Carter, warum soll er denn nach Hause kommen?«
Immer freundlich, dachte Shelton, der Alte darf nicht merken, wie sehr ich den verfluchten Hundesohn Wadell hasse. Er grinste und bot dem Alten sogar einen Drink an. Der nahm ihn und begann zu erzählen. Er berichtete von dem Gewitter und von dem Spektakel, den Old John in der Bank gemacht hatte. Shelton hörte zu, er legte sein Gesicht in kummervolle Falten und rang die Hände. Verstellen hatte er sich immer schon können. »So ist das, was für ein Unglück«, heuchelte er Mitleid und Erschrecken. »Carter, was tun wir da? Ich werde den Telegrafen benutzen müssen, aber ich kann nicht versprechen, daß wir Jim erreichen. Und dann - ich glaube nicht, daß er soviel Geld besitzt. Woher sollte er es haben?« »Aber vielleicht kann ihm Mister Greener das Geld leihen?« murmelte der Alte und knetete seine Finger. »Old John ist verloren, wenn ihm niemand hilft. Mr. Greener hat doch Geld und Jim soll doch sein bester Mann sein, hörte ich. Vielleicht kann Mr. Greener helfen, wenn Jim nicht zahlen.. .« »Oh, lieber Freund«, seufzte Shelton. »Das geht bestimmt nicht. Mr. Greener hat Verpflichtungen, überall Verpflichtungen, müssen Sie wissen. Mein Vater kann das kaum, aber ich werde es ihm vortragen, natürlich tue ich das. Sie wollten gleich wieder zurück?« »Ich muß, ich kann Old John nicht so lange allein lassen«, preßte sich der alte Ben ab. »Wenn Sie Nachricht haben, schicken Sie die doch nach der Western Colorado Station in Durango, Mr. Shelton. Jim hat wirklich kein Geld?« »Ich denke nicht«, antwortete Shelton. »Woher sollte er es haben, Carter? Soviel verdient er schließlich nicht, daß er achttausend Dollar auf den Tisch legen könnte. Mein Freund, das könnten wir nicht mal. Viel Hoffnungen habe ich nicht, Carter, aber wir versuchen alles und geben Nachricht.«
Carter erhob sich, er reichte Shelton die Hand und verließ die Hauptstation von Silverton, um mit der Mittagskutsche nach Durango zu fahren. Shelton sah ihn verschwinden und hörte Luisa hinter sich leise lachen. »Nun?« fragte sie. »Sieht aus, als wären die Wadells am Ende, Harvey. Hast du eine Ahnung, ob Jim Geld besitzt?« »Ich habe keine, aber ich denke, er wird etwas haben, nur nicht so viel, wie sein Alter braucht«, erwiderte Shelton. »Ein Glück, daß Dave nicht hier ist. Hätte dieser Oldtimer Dave die Geschichte erzählt, so würde Dave ihm vielleicht geholfen haben, fürchte ich.« »Das wäre was geworden«, zischte Luisa wütend. »Diese alten Narren halten zusammen. Und was wirst du tun? Du hast Carter Nachricht versprochen.« »Die bekommt er auch«, grinste Shelton. »Ich werde an unsere Station telegrafieren und etwa drei Tage damit warten, denn in vier Tagen müssen die Wadells die Bank bezahlen. Ich werde dem Alten telegrafieren, daß ich das Geld nicht habe und Dave Greener mir nichts borgt — ich - in Jims Namen.« Luisa sah ihn erschrocken an. »Du kannst in die Hölle kommen, wenn Jim von der Sache erfährt.« Shelton grinste und zuckte die Achseln. »Hast du nicht gehört, daß der alte Carter sagte, daß John Wadell von seinem Besuch kein Sterbenswort erfahren dürfte? Carter bekommt die Nachricht, er wird glauben, daß Jim nicht helfen will oder kann. Wie also sollte Jim etwas davon erfahren?« Shelton lachte höhnisch. Er hatte eine Gelegenheit gefunden, Jim Wadell einen Schlag zu versetzen, doch er rechnete nicht mit dem alten Carter. Carter traf den alten Piet Harting, der die Durangostrecke fuhr, und stieg zu ihm auf den Bock der Kutsche. Dort berichtete Carter von dem Pech des alten John Wadell.
* Piet Harting zog unwillkürlich den Kopf ein, nachdem er einen Blick auf Jim Wadells Gesicht geworfen hatte. Jim Wadells Wangenknochen traten hart hervor. Die Haut spannte sich über ihnen, und die Starre in Wadells Gesicht verriet Harting genug. »Halt an!« knirschte Wadell. »Halt die Kutsche an, Piet!« Piet legte sich zurück. Er brachte die Kutsche zum Stehen, noch ehe sie die Sil-Vertonstation erreicht hatte. Sie hielten nun mitten auf der Straße, und Wadell blieb einen Moment wie erstarrt neben Harting sitzen. »Er hat also zu Ben gesagt, er würde nach den Stationen telegrafieren und mich benachrichtigen?« fragte Wadell leise. Die Ruhe in seiner Stimme konnte den alten Piet nicht täuschen. Wadell kochte, und wenn er sich auch beherrschte, der Zorn mußte irgendwann wie jenes fürchterliche Gewitter in Durango losbrechen. Allmächtiger, dachte Piet, das entlädt sich über Sheltons Kopf, wetten? Er nickte und brummte: »Yeah, Jim. Ben fuhr mit mir zurück. Er war ziemlich am Ende mit seinem Mut und der Zuversicht. Shelton hat gesagt, er würde alles versuchen und dich benachrichtigen. Aber vor zwei Tagen mußte dein Vater bezahlen, Jim.« »Schon gut, schon gut.« Einer der Passagiere streckte den Kopf aus dem Kutschenfenster und brüllte nach oben, warum sie hier mitten auf der Straße hielten und ob er vielleicht die letzten dreihundert Schritt zu Fuß gehen sollte. Piet sah nach unten und schrie ihm zu, er könne es tun, wenn
er Spaß daran hätte. »Piet, kein Wort zu Shelton, klar?« sagte jetzt Jim Wadell. »Ich kann mich beherrschen«, versicherte Piet, während Wadell vom Bock stieg und sein Pferd nahm. Wadell war vier Meilen vor der Stadt hinter der Kutsche zu Pferd angekommen und hatte sich neben Piet gesetzt, um das letzte Stück zu fahren. »Jim, eine Schweinerei, wenn er nicht . . .« »Yeah, schöne Schweinerei.« Das war alles, was Wadell sagte, ehe er schräg über die Straße zum Telegrafenoffice ritt. Er hielt dort an, und Piet fuhr mit einem leisen Gekicher weiter. Niemand konnte Shelton leiden. Er war bei allen Fahrern der Western Colorado unbeliebt. Seine hochfahrende, mürrische Art hatte ihm keine Freunde eingetragen. * Wadell stieß mit dem Fuß die Tür des Telegrafenoffice auf. Er sah Bolton, den Telegrafisten, hinter seinem Morsegerät im Stuhl lehnen und Zeitung lesen. »Hallo, Bolton, wann war Harvey Shelton hier?« Bolton ließ die Zeitung sinken, sah Jim groß an und schluckte plötzlich. »He, Jim, ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er. »Vor drei Tagen war er hier. Ich dachte noch, es sei verdammt seltsam, daß er in deinem Namen nach Durango telegrafierte, aber es ging mich nichts an.« »Und vorher hat er nicht telegrafiert, auch nicht an alle Stationen im Norden, Bolton?« Bolton schüttelte heftig den Kopf. »Jim, das hätte ich schließlich wissen müssen, was? Nein, auch wenn er von einer anderen Station aus etwas durch den Draht hätte ticken lassen, gewußt hätte ich es in jedem Fall. Er hat nach Durango telegrafiert. Warte mal, den Spruch
habe ich noch.« Er kramte in einem Korb und fischte das Papier heraus. Jim Wadell las es, sein Gesicht blieb ganz ruhig, nur seine Augen begannen zu flackern. »Und das hast du durchgegeben, Bolton?« »Nun, sicher doch, mußte ich schließlich. Hast du wirklich kein Geld?« Wadell preßte jetzt die Lippen zusammen. Dann steckte er den Zettel ein. »Geld genug, aber jetzt kommt es zu spät, fürchte ich«, knurrte er. »Danke, Bolton.« »Grüß Shelton«, stichelte Bolton. »Vergiß es nicht.« Wadell nickte nur, dann verließ er das Office und stieg auf sein Pferd. Er sah die Kutsche vor der Station stehen. Etwa ein halbes Dutzend Fahrer, zwei Pferdehelfer und der Lagermeister standen zusammen und lauschten Piets Ansprache. Wadell kam, er ritt an ihnen vorbei und hörte, daß sie ihm folgten. Sie kamen ihm nach. Sie waren stumm wie Fische und warteten, bis er abstieg und quer über den Hof zum Office ging. Sie betrachteten das offene Fenster des Office und sahen, daß Shelton an seinem Schreibtisch hockte und hinter dem Ohr einen Federhalter geklemmt hatte, während er mit einem anderen Zahlen malte. Sie warteten alle und hielten den Atem an. Jim Wadell betrat das Haus. * Harvey Shelton spürte den Luftzug und schrak hoch. Dann sah er den Mann, den er in Gedanken nur »den Schleicher« nannte. Wadell war lautlos hereingekommen. Die Zugluft strich
durch den Flur und hob eins der auf dem Tisch liegenden Blätter sacht an. Papier raschelte, als Wadell die Tür schloß und auf den Schreibtisch zukam. Shelton wußte es, als er Wadells Gesicht sah. Es kam wie ein Guß flüssigen Bleies, den ihm jemand in den Bauch gegossen hatte. Shelton fühlte plötzlich, daß sein Magen schwerer und schwerer wurde. Sein Blick irrte hilfesuchend durch das Office, verfing sich am Fenster und tastete danach herunter zu der Schublade des Schreibtisches, in der sein Revolver lag. Mit Entsetzen stellte Shelton fest, daß er nicht in der Lage war, die Schublade aufzureißen. Seine Hände waren wie gelähmt - und Wadell war schon da. Er stand vor dem Schreibtisch, legte langsam das Blatt Papier aus Boltons Korb vor Shelton hin und stützte dann die Hände auf die Platte. Shelton las, was er nach Durango telegrafiert hatte. Er las es immer wieder, weil Wadell schwieg und dieses Schweigen sich wie ein Alpdruck über Shelton legte. »Ich habe also kein Geld, und deine Bemühungen bei Big Dave sind erfolglos geblieben?« fragte Wadell. Er sprach ganz ruhig, fast im singenden Tonfall. »Ich kann Old John nicht helfen, wie? Hattest du versprochen, jeder Station eine Depesche zu schicken, Mr. Harvey Shelton? Das mußt du dann vergessen gehabt haben, fürchte ich. Und meinem Vater haben sie vielleicht vorgestern das letzte Hemd ausgezogen. Harvey Shelton, du bist eine widerliche, stinkende Ratte, ich habe jetzt genug von dir. Und es wird mir gleich sein, was Big Dave davon denkt, du gemeiner, hinterlistiger Hundesohn!« Sheltons Starre fiel, und seine Hände schossen nach der Schublade. Sie fuhren hinein und berührten die Waffe, aber dann schrie Shelton wie ein Tier auf. Wadell stieß die Schublade nach einem blitzschnellen Vorwärtsbücken zu. Er
klemmte mit diesem Stoß Harvey Sheltons Unterarme ein. Danach kam die linke Faust herangeschossen. Es war für Shelton der Beginn der irdischen Hölle. Er konnte seine Arme nicht aus der Klammer der Schubladenkante reißen. So versuchte er sich nur zurückzubeugen, aber die Faust traf sein linkes Auge und ließ einen Regen von Sternschnuppen vor Shelton aufblenden. Dann klatschte ihm die flache Hand Wadells über den Mund. Wadell schlug mit sturer Regelmäßigkeit von rechts nach links ins Gesicht, bis Blut aus Sheltons Nase schoß. Danach stieß Wadell den Schreibtisch samt Stuhl und dem nach hinten gebeugten Shelton um. Shelton flog zu Boden. Er sah die herausfallende Schublade und seinen Colt am Boden liegen. Darum spannte er sich an und sprang nach der Waffe. Seine langen Finger versuchten sie zu erreichen, aber er kam nicht an den Kolben, denn Wadells Fuß war zuerst da. Die Waffe wirbelte bis an die Wand, Shelton sprang auf, streckte die Arme vor und wollte Wadells Beine umklammern. Er hatte die Absicht, Wadell umzureißen, doch Wadell sauste zur Seite. So platschte Shelton schwer auf die Dielen. Er brüllte, als ihn eine Hand am Hosenbund und eine im Genick erwischte. Dann flog er durch den Raum, und plötzlich war der Schrank vor ihm. Er sauste gegen die Tür. Ihre Füllung zersplitterte. Einen Moment hing Shelton im Schrank zwischen dem Ölzeug und den dicken Mänteln für die Winterfahrt auf einem Kutschbock. Dann riß ihn eine unwiderstehliche Gewalt am Hosenboden aus dem Schrank, hob ihn hoch, schwenkte ihn herum und trieb ihn aus dem offenen Fenster. Zu Füßen der nun vollzählig versammelten Männer der Western Colorado blieb er im Hof liegen. Es war lichter Tag, aber er sah Sterne und den Mond scheinen.
Um ihn gruppierten sich die Männer, sie blickten auf ihn herab. Dann hörten sie, daß Wadell durch den Flur herauskam. Sie hätten an seiner Stelle den Weg durch das Fenster genommen, doch Wadell schien die Absicht zu haben, Shelton eine Verschnaufpause zu gönnen. Er tauchte neben Shelton auf, als der stöhnend herumrollte und auf die Knie kam. So blieb Shelton kauern. Die Männer bildeten einen Halbkreis vor dem Haus. Sie warteten auf die Fortsetzung der Tracht Prügel, die Shelton ihrer Meinung nach schon lange hätte erhalten müssen. Wadell hob Shelton an. Er stellte ihn gegen die Hauswand und wedelte ihm mit der Hand vor der Nase herum. Endlich schien Shelton klar genug zu sein, um ihn sehen und auch hören zu können. »Paß auf, du widerliche Ratte!« knirschte Wadell. »Ich werde jetzt nach Durango reiten. Und haben sie meinem Vater alles weggenommen, dann komme ich wieder, um dich totzuschlagen. Ich würde wegrennen an deiner Stelle, sollte mein Vater jetzt ein armer Mann geworden sein.« Er holte aus und schlug noch einmal zu. Sheltons Hinterkopf knallte an die Hauswand. Danach gaben Sheltons Knie nach, und der hagere Mann brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Wadell aber spuckte aus, als hätte er einen fauligen Apfel angebissen. * Der Hammer fuhr auf den Nagelkopf und jagte den Siebenzöller durch den neuen Dachsparren. John Wadell hockte rittlings auf dem Balken und lachte grimmig. Man mußte es diesen grünen Burschen nur einmal
richtig sagen und zeigen, wie? Sie nahmen schon Vernunft an, wenn man sie richtig anbrüllte. Old John nahm den nächsten Nagel aus dem Mund. Er hatte sich sechs Stück zwischen die Lippen geklemmt. Unter ihm hielt Ben den Sparren fest. Doch plötzlich verschob sich der Sparren. Ben ließ ihn sinken. Der alte John knurrte wie ein Löwe und knallte den Hammer gegen den Balken, statt auf den Nagel. Da er nicht gut mit Nägeln zwischen den Zähnen reden konnte, wollte Old John brummen, ob Ben den Verstand verloren hätte. Dann sah der alte John, daß Ben wie hypnotisiert nach hinten stierte und den Mund aufsperrte. John folgte diesem verstörten Blick seines alten Partners, bis auch ihm die Lippen aufgingen. Seine Nägel purzelten vom Balkengerüst herunter und klimperten unten auf Brettern. Danach lagen sie im Sand. Old John Wadell blinzelte. Er sah den Mann breitbeinig und groß mitten im Hof stehen, die Arme verschränkt und den Kopf leicht nach hinten genommen, weil er gegen die tiefstehende Sonne blinzeln mußte. John Wadell hätte die Nägel verschluckt, wenn er jetzt den Kopf im Nacken und die Nägel zwischen den Lippen gehabt hätte. Der Mann im Hof sagte nichts, er stand nur da und sah zu ihm empor. Heiliger Rauch, dachte John, heiliger Rauch, der verdammte Lümmel, da steht er. Ich habe ihn nicht eingeladen, wie? Soll er doch zum Teufel gehen. Ein Wadell hilft sich selbst. Hat er gehört, was hier passiert ist? Aha, darum kommt er, nur darum. Sonst hätte er sich nie blicken lassen, der verdammte Lümmel. Gar nicht darum kümmern, der ist für mich nicht da.
Er wendete den Kopf und begann auf dem Balken entlangzurutschen, bis er den Nagelkasten erreichte. Dabei begannen seine Knie zu zittern und seine Hände zu flattern, aber er ließ sich nichts merken. Er nahm wieder sechs Nägel zwischen die Lippen, tat sie aber noch einen Moment heraus, als er zurückgerutscht war, und brüllte heiser nach unten: »Hebst du haariger Affe bald den Sparren richtig an?« Ben Carter zuckte zusammen. Der Balken kam hoch, und John knallte den zweiten Haltenagel ins Holz. »Sieht aus, als hättest du doch Geld bekommen«, hörte er den Lümmel sagen. »Seit wann macht ein Wadell Schulden?« Es ging ihm durch wie ein Stich, dem Alten. Seit wann macht ein Wadell Schulden! »Die Zinsen fressen dich auf«, fing der Lümmel schon wieder an. »Man sagte mir, du hättest das Geld von der Bank doch bekommen. Aber die Zinsen . . . Hast du mir nicht eingetrichtert, daß ein Wadell niemals Geld borgt?« Oh, Hölle, das hatte er ihm zehnmal gesagt. Was der von Zinsen dachte, ein Wadell bezahlte doch keine Zinsen. »Brauch keine Zinsen zu bezahlen«, knurrte er, nachdem er die Nägel wütend ausgespuckt hatte. »Ich zahl's zurück in zwei Jahren, das hat mir dieser grüne Bursche Gavin angeboten. Man muß es ihnen nur richtig zeigen, dann werden sie vernünftig. Was willst du überhaupt hier?« »Ich wollte dir das Geld bringen.« Da steht er, der Lümmel, will Geld bringen, das macht er für seinen alten Vater? Hol's der Teufel, bringt Geld mit. Ob er nicht vergessen hat, daß ein Wadell einen anderen nie im Stich läßt? »Kann mir selber helfen, verstanden?« »Sicher, weiß ich. Nur, mein Geld ist dein Geld, also bezahle
ich die verdammte Bank und laß sie ihr Geld an sonst wen verborgen, meine ich.« »Dein Geld? Woher hast du es und wieviel?« Neugierig war er doch, der Alte. »Zehntausend. Es ist mein gespartes Geld.« Der Teufel, der Teufel, spart zehntausend Dollar, der Lümmel. Hätte er nicht gedacht, der Alte, ehrlich nicht. Als er so alt wie der Lümmel war, hätte er keine zweihundert zusammengebracht. Der Alte rutschte am Balken entlang zur Leiter. Dann kletterte er herab. Oh, verdammt, ihm zitterten die Knie gewaltig, aber er ging los und stampfte richtig auf. Bloß keine Bewegung zeigen, es gehörte sich nicht für einen echten Wadell. Und dann hielt er an. Er mußte schlucken und breitete die Arme aus. Danach hielt er ihn fest, seinen Sohn Jim, den er einmal davongejagt hatte. »Oh, Hölle, muß doch Sägemehl am Balken gewesen sein«, knurrte er schließlich. »Ins Auge geflogen, hol's der Teufel. Siehst gut aus, Sohn. He, Tochter, Tochter, dein Bruder ist gekommen. Nachher geht er zur Bank und bezahlt alles. Ich geh' nicht mit, in die Räuberhöhle setze ich keinen Fuß mehr. Sohn, immer herein, das Haus steht ja noch, was? Und hol eine Flasche, Tochter, verstanden?« Die Tochter stand im Flur, und die Tränen kullerten ihr über das Gesicht. Er war nach Hause gekommen, der große Bruder. Jetzt wurde alles gut. *
Lynn Gavin stand auf, um Wadell zwei Schritt entgegenzukommen. Gavin hatte genug von Jim Wadell gehört, und er wußte, welches Geld hinter der Western Colorado steckte. »Hallo, Mr. Wadell«, sagte er etwas steif und förmlich. »Ich dachte schon, es wäre Ihr Vater.« Wadell lachte leise. »Dann hätten Sie keine Zeit gehabt oder wären nicht hier gewesen, wie?« »Nun, ich hatte noch nie jemand wie ihn in meinem Office«, antwortete Gavin vorsichtig. »Ich hatte schon einige Dinge über ihn gehört, aber so wild hatte ich ihn mir im Traum nicht vorgestellt. Als er loslegte, glaubte ich einen Vulkan in meinem Zimmer zu haben. Was kann ich für Sie tun, Mr. Wadell?« Wadell setzte sich, sah Gavin aufmerksam an und erkannte dessen Unruhe. »Aber Sie haben ihm dennoch achttausend Dollar geliehen?« forschte Wadell. »Gavin, er erzählte, er hätte die Papiere sogar von einem Ihrer Leute in unser Haus bringen lassen, um sie dort zu unterschreiben. Er will keinen Fuß mehr in die Bank setzen. Nun gut, Gavin, ich will die achttausend Dollar bezahlen, jetzt!« Lynn Gavin fuhr zusammen. Der schlanke Mann erhob sich leicht, sank wieder zurück und starrte Wadell groß an. »Sie wollen alles bezahlen?« »Ich denke so«, murmelte Jim. »Ein Wadell macht keine Schulden, meines Vaters Spruch, nicht meiner, Gavin. Warum stört Sie das, Gavin?« »Weil - nun, weil das Geld, ich meine - zinsloses Geld bekommt man nicht alle Tage.« »Eben«, sagte Wadell trocken. »Gavin, wer hat Ihnen das Geld für meinen Vater gegeben, wer, Gavin? Keine Bank der
Welt verleiht zinslos Geld. Dad gehört noch zu jener Generation, die keine Beziehung zu Bankgeschäften hat, er versteht nicht viel von Zinsen. Gavin, wer hat Ihnen das Geld gegeben?« Gavin begann unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Das - das habe ich befürchtet«, ächzte er. »Ihr Vater schien zinsloses Geld für selbstverständlich zu halten. Nun gut, es ist nicht mein Geld gewesen, Mr. Wadell. Jemand gab es mir, der ungenannt bleiben wollte. Er — er scheint allerhand von den Wadells zu halten.« In Wadell schoß ein Verdacht hoch. Big Dave war nie ein Narr gewesen. Wenn er auch, als Carter in Silverton war, nicht in der Station gewesen war, er konnte es erfahren haben. Und dann hatte er geholfen, schnell und hilfsbereit wie selten. Himmel, der alte Dave Greener vielleicht? »Also er«, stieß Wadell hervor. »So ist das - dieser alte, gerissene Burcehe. Nun gut, hat er gesagt, daß er ungenannt bleiben will? Das paßt zu ihm. Gavin, ich werde ihn mir vorknöpfen.« Gavin starrte Wadell verstört an. Er senkte den Kopf, spielte mit einem Federhalter und seufzte: »Wadell, der Geldgeber wollte ungenannt bleiben. Was immer Sie denken und wen Sie hinter dem Geld vermuten, er wird alles abstreiten, das hat er mir versichert. Tut mir leid, Wadell, ich kann seinen Namen nicht nennen.« »Das brauchen Sie auch nicht«, lachte Wadell. »Dieser alte Fuchs, nun gut, soll er Augen machen, wenn er sein Geld zurückbekommt. Gavin, ich brauche nur eine Bescheinigung, daß mein Vater keinen Cent Schulden mehr bei der Bank hat. Wenn jemand den Geheimnisvollen spielen will, dann soll er. Ich kann auch so tun, als wüßte ich von nichts. In Ordnung?«
Gavin schüttelte den Kopf, als ginge ihm etwas nicht in den Schädel. Dann nickte er. »Wie Sie wollen, Wadell. Ich mußte Ihrem Vater das Geld verweigern, meine Vorschriften ...« »Schon gut, ich weiß das, aber Dad sieht es nicht ein«, lachte Jim. »Noch etwas, Gavin?« »Yeah, Wadell. Ich - ich bin bei Ihrem Vater unten durch. Wir - wir sind etwa in einem Alter, denke ich -Sie und ich. Kann ich ein offenes Wort von Mann zu Mann mit Ihnen reden?« »Sicher, Gavin, es bleibt unter uns. Und?« »Wadell, ich persönlich hätte Ihrem Vater das Geld gegeben, aber ich konnte nicht. Ich habe schließlich einige Leute in Denver über mir sitzen. Wenn diese Leute die Sache überprüft hätten ...« »Das weiß ich, Gavin, die Sache ist erledigt.« »Nicht für mich - nicht für mich«, ächzte Gavin. »Ich bin nun zwei Monate hier, ich — ich habe keine Eltern, nur eine Tante. Ich bin nicht reich, verstehen Sie, aber ich denke, eines Tages schaffe ich es, zu etwas zu kommen. Ich hätte John das Geld gegeben, schon weil — weil es — ich meine, Wadell, Sie haben eine Schwester, und ich hoffte immer ...« Wadell fuhr herum. »Wie - was?« fragte er erstaunt. »Gavin, Gil und Sie, aber davon hat mir Gil gar nichts gesagt.« Jim Wadell holte tief Luft. Er hatte alles erwartet, aber nicht diese Erklärung Gavins. * Gavins -Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Er erkannte,
daß Wadell lächelte, öffnete ihm hastig die Tür und überfiel ihn noch im Flur: »Jim, was sagt Gil, was hat sie gemeint?« »Oh, als ich sie fragte, was sie von Ihnen hielte, Lynn, wurde sie feuerrot«, berichtete Wadell. »Ich sagte ihr, Sie wären an sich ein ganz prächtiger Bursche und gefielen mir. Danach murmelte ich etwas davon, ob Sie ihr auch gefielen, und sie nickte heftig. Nun, dann habe ich ihr die Wahrheit gesagt.« »Um Gottes willen, gleich mit der Tür ins Haus«, schnaufte Lynn Gavin. »Jim, und?« »Ich habe ihr gesagt, Sie würden in einer halben Stunde unten am Fluß sein.« Gavin schnappte nach Luft, wurde rot und blaß und riß dann Jims Hand an sich. »Jim, Jim, Sie sind ein feiner Bursche, ein prächtiger Mahn.« »Wir sollten uns das ‚Sie‘ schenken, Lynn«, lachte Wadell. »Mir gefällst du, Gil auch. Und Dad schlagen wir gemeinsam breit, wie? Ich bin morgen noch hier und werde einen Tag später reiten. Viel Glück für euch beide, Lynn.« »Jim, das vergesse ich dir nie.« Gavin war aufgeregt, wie es nur ein heimlicher Liebhaber sein konnte. Binnen Minuten hatte Jim bezahlt und seine Bescheinigung in Händen. Er grinste, als er Gavin verließ und in die Nacht hinaustrat. Drüben wußte er Gil genauso aufgeregt wie Gavin, und er lachte vor sich hin, bis er das Eldorado vor sich sah. Jim Wadells Lachen verlor sich. Er sah die Pferde vor Saloon und Hotel stehen, er sah den Wagen dort und die erleuchteten Fenster. Und diese verdammte, dreimal verfluchte Sehnsucht, die ihn nie verlassen hatte, ließ ihn Schritt für Schritt machen. Wadell wußte, er würde weder das Hotel, den Saloon oder den Store betreten. Aber irgendwo in ihm war der Gedanke, er
könnte Rubys Schatten sehen. Dann blieb er hinter dem Wagen stehen. Er verkroch sich im Schatten und starrte zu den Fenstern empor. Leute gingen vorbei. Ich muß sie sehen, dachte er, und ich werde dann wissen, ob ich sie hasse oder noch immer an ihr hänge. Mein Gott, was war sie für eine Frau, wie hing sie an mir, und wie heiß war die Leidenschaft ihrer Küsse. Sein Mund wurde trocken, er wartete, aber die Zimmer oben blieben dunkel. Lächerlich, dachte Wadell, ich stehe hier wie ein Narr. Ich gehe. Was ist bloß in mir? Ein ausgewachsener Mann steht an einem Wagen und sieht zu den Fenstern des Girls hoch, das ihm einmal mehr als die Welt bedeutete. Ich bin glatt verrückt. Er gab sich einen Ruck. Als er am Wagen vorbei war und zur Deichsel kam, sah er noch einmal hoch. Plötzlich war Licht oben. Das Fenster stand offen, und die Frau kam. Wadell ging, aber als er sie sah und sie aus dem Fenster blickte und ihn erkannte ... Er wußte es, als sie erstarrte. Sie hatte ihn gesehen, denn er ging im vollen Licht der Hotellaternen. Sie erkannte ihn und erschrak, sie wurde steif vor Schreck. Wadell blieb mit einem Ruck stehen und wendete sich um. Er wollte sie ansehen, ihr jetzt ins Gesicht blicken. Und da, in dieser Wendung, die ihn jäh und abrupt Front zu Ruby McCord machen ließ, war plötzlich ein Knall da. In Jim Wadells Ohren brüllte der Krach eines Schusses. Ruby McCords Erscheinen hatte ihm das Leben gerettet. Wäre er auch nur einen halben Schritt weitergegangen, hätte ihn die Kugel mitten in die Brust getroffen. So erwischte sie nur seinen linken Oberarm. Wadell hörte jetzt oben einen Schrei.
Rubys Angstruf gellte über die Straße: »Jim —Jim!« * Der Revolver lag in seiner rechten Faust, ehe er gegen den Wagen zurückprallte und zu Boden ging. Jim Wadell schwang sich herum, er wälzte sich über den schmerzenden linken Arm und blieb jäh liegen. Der Schuß konnte nur von Stapeltons Hardwarestore drüben gekommen sein. Rechts neben dem Store stand ein Schuppen, an den ein kleiner Zaun grenzte. Er schießt noch mal, dachte Wadell, der Kerl feuert noch mal, ehe ich am Wagen sein kann. Er wird kurz vor den Wagen zielen und warten, daß ich ihm in die Ziellinie hineinrolle. Dann schießt er. Er blieb liegen. Und das, was er erwartet hatte, geschah im selben Augenblick. Wadell sah den Blitz hinter dem Schuppen und über dem Zaun. Dies war die beste Stelle für einen Heckenschützen. Wadells Colt spuckte in derselben Sekunde Feuer. Neben Wadell riß das Geschoß des hinterhältigen Schützen den Dreck der Straße hoch. Durch das Dröhnen der Schüsse kam ein schriller Schrei aus dem Dunkel des Zaunes. Wadell riß den Hammer durch. Er gab Feuer, so schnell er konnte. Seine Kugeln hämmerten drüben in den Zaun. Das Knarren der losgerissenen Holzsplitter begleitete das dumpfe Hämmern, in dem sich Wadell hochwarf und nach vorn stürmte. Er schoß noch einmal auf den Zaun, ehe er schräg nach links auf die Gasse zujagte, die neben dem Hardwarestore zum Animas River führte. Im wilden Lauf lud Wadell seinen Colt nach. Patronenhülsen flogen blinkend auf die Fahrbahn. Wadell lief mit dem
aufgeladenen Revolver in der Faust zur Hausecke und spähte über den zerschossenen Zaun. Ein dunkler Klumpen lag reglos dahinter. Vorsichtig stieg Jim über den Zaun. Hinter ihm schrien Männer und Frauen. Er hörte einen Mann brüllen: »Jemand hat auf Jim Wadell gefeuert. Jim ist hinter ihm her!« Jim Wadell bückte sich indes schon. Er stieß den Klumpen an. Es war ein Mensch - ein Mann. Von irgendwoher kam Licht, Männer schrien und hielten dann am Zaun an. »Jim, wer ist das?« fragte Stapelton und hob die Laterne höher. »Ist er tot?« Wadell sagte nichts, bis er den Mann umgedreht hatte. Das Licht blendete Wadell etwas, aber er sah nun das Gesicht und erkannte den Mann. Es war George Black, der früher als Transportbewacher für die Western Colorado gefahren war. Jim hatte Black auf Greeners Befehl hin fristlos entlassen, nachdem Black in Montrose wieder mal eine Schießerei mit jemand gehabt hatte. Black besaß zu schnelle Hände, er trank gern und ging keinem Kampf aus dem Weg. Die Western Colorado hatte es sich nicht leisten können, einen Revolverschwinger zu beschäftigen. Als Jim Black entließ, schwor der ihm, sich eines Tages zu rächen. »George Black, der Revolverkiller!« schrie Stapelton verstört. »Jim, hat er nicht mal für euch gearbeitet?« »Ja, bis vor anderthalb Jahren.« Black, dachte Wadell, George Black, er hatte mir seine Rache angedroht. Ein wenig spät, diese Rachsucht, wie? Sein Arm brannte wie Feuer. Er drückte sein Halstuch auf das Kugelloch und ging zurück zur Main Street. Old John kam ihm entgegen. Gil lief neben ihm her, und von der Bank stürzte
Lynn herbei. »Jim, o Gott, dein Arm, du blutest!« schrie Gil auf. »Jim, du mußt zum Doc. Jim ...« Er nickte nur — er blickte an allen vorbei zum Vorbau des Eldorado. Dort sah er sie stehen. Sie war kreidebleich und betrachtete aus großen grünblauen Augen das Blut, das über seine Hand in den Straßenstaub tropfte. Der Lichtschein der Laterne tauchte ihr Haar in Feuer. Sie hatte seinen Namen gerufen, als er fiel -und sie konnte nicht ahnen, daß ihr Erscheinen am Fenster ihm das Leben bewahrt hatte. Sie ist schön, dachte Wadell, viel schöner als damals. Und sie hat meinen Namen gerufen wie eine Frau, die Angst um jemand hat. Dabei hat sie mich betrogen. Sein Gesicht wurde hart, er wandte sich mit einem Ruck ab und ging davon zum Doc. * Wadell bewegte prüfend den linken Arm. Der Verband saß fest, er würde ihn nicht beim Reiten behindern. Wenn sich Wadell an den gestrigen Abend erinnerte, dann mit dem zwiespältigen Gefühl, einige gute und einige schlechte Dinge erlebt zu haben. Gavin hatte ihn zum Doc begleitet. Vielleicht war es Gavins offensichtliche Anteilnahme und Sorge gewesen, die den alten John beeindruckt hatte. Der Alte hatte nur gebrummelt, als Gavin später mit ins Haus kam, danach aber waren seine immer noch scharfen Blicke zwischen Gavin und Gil hin und her gezuckt. Er hatte später seinen Sohn beiseite genommen, und Jim hatte ihm einige Dinge erklärt. »Dann werde ich bald allein sein«, hatte der Alte gemurmelt. »Du bei der Western, Gil vielleicht in der Bank - nun ja, sie ist
ja nahe, aber du wirst unterwegs sein.« »Sollte ich herkommen?« fragte Jim. »Dad, du hast dein Leben eingerichtet. Es sind deine Maultiere und Pferde, es ist dein Leben. Ein Mann muß leben können, wie er will, ich würde dich nur stören. Wenn du mich brauchst und irgendwann zu müde bist, werde ich hier sein, aber - ein Mann muß seine Arbeit allein tun können.« Der Alte hatte genickt. Nun — und an diesem Morgen war er wie immer früh auf den Beinen. Er hatte die beiden Pferde Jims gesattelt, striegelte sie und stand neben ihnen, als Jim aus dem Haus kam, fertig zum Reiten. »Sohn, hast du noch mehr Freunde wie diesen Hundesohn Black?« erkundigte er sich brummig. »Dann sieh dich unterwegs vor.« »Ich denke nicht, daß ich noch mehr Ärger haben werde«, antwortete Wadell. Er trat neben den Alten und sah ihn fest an. »Sobald du mich brauchst, schick mir Nachricht. Big Dave wird warten. Ich habe mit ihm ohnehin dringend zu reden. Nun Gil ... Ben ...« Er küßte Gil, und sie zog ihn an sich. Dann drückte er dem alten Ben die Hand. Der Abschied von Old John fiel ihm schwer. Er wäre lieber geblieben, um hier beim Wiederaufbau zu helfen, aber Big Dave und die Western brauchten ihn. Dann ritt er zum Tor hinaus. Und dann sah er sie. Es waren sechs oder sieben Rotznasen, die auf irgendwen gewartet zu haben schienen. Ihr Herumstehen war zu auffällig. Ihre Blicke ließen Wadell nicht los, und er hatte das Gefühl, von ihnen mit Unsicherheit und Bewunderung betrachtet zu werden. »Das ist er«, hörte er einen der vielleicht achtjährigen Burschen flüstern. »Das ist der Mann, der Rattlesnake Black erschoß. Er ist es - seht, er hat einen Verband um den Arm und das Hemd darüber. Aber man kann den Verband sehen.« Wadell mußte an ihnen vorbei. Sie hatten sich den richtigen
Platz ausgesucht, um ihn auch von ganz nahe zu Gesicht zu bekommen. »Seht doch, seinen Revolver!« Die Pferde prusteten, als Wadell sie vor der Gruppe anhielt. »Nun, Freunde«, er sah auf die kleinen Burschen herab, »ihr solltet euch etwas für euer Leben merken. Wenn ihr jemals einen Revolver besitzt und ihn gebrauchen müßt, dann macht es nur, um für das Gesetz zu kämpfen. Schießt nur, wenn euer Leben oder das anderer in Gefahr ist. Black schoß, weil er zu feige war, offen und ehrlich zu kämpfen. Er ist daran gestorben. Also merkt es euch.« In diesem Moment sah er links an der Ausfahrt zur Main Street eine Bewegung. Seine Lider zuckten einmal, sein Blick weitete sich, als er Ruby dort stehenbleiben sah. Sie war um die Ecke gelaufen, und ihr langer Rock wirbelte noch eine Staubfahne mit. »James!« rief Ruby McCord. Es hörte sich an, als hätte sie vor irgend etwas Angst. »James, komm sofort her! James!« Wadells Blick zuckte zurück auf die Gruppe der Jungs. Und dann sah er einen der kleinen Burschen unter sich erschreckt zusammenfahren. Der Junge hatte schwarzes Haar und helle Augen, sein Gesicht wies eine gewisse Ähnlichkeit mit Rubys ebenmäßigen Zügen auf. »James, komm sofort her!« Der Junge lief los, und seine Mutter zog ihn an sich. Sie legte ihm erst die eine Hand auf die Schulter, und als Wadell näher kam auch noch die zweite. Es sah aus, als fürchtete sie sich zu Tode, so fest umklammerte sie den kleinen Burschen. James, dachte Wadell, James hat sie ihn genannt? Ich heiße auch James, wenngleich mich alles Jim nennt. Oh, das ist zuviel, das hätte sie nicht tun sollen. Sie schien seinen wachsenden Zorn zu spüren, denn sie wich
mit dem Jungen bis an den Zaun zurück und verfärbte sich. »Er heißt also James«, sagte Wadell heiser. »Das ist kein Zufall, denke ich. Was sollte es sein, eine Erinnerung an jemand? Oder wolltest du mich noch einmal treffen? Du hättest ihn nie James nennen dürfen, Ruby McCord. Das vergesse ich dir nicht.« Er sah, daß sie zitterte wie Espenlaub und sich ihre Lider schlössen. Ihr Gesicht war schneeweiß. »Oh, mein Gott!« flüsterte sie mit bebenden Lippen. »Oh, mein Gott, was noch?« In diesem Augenblick schwand Wadells Zorn hin wie Schnee in der Sonne. »Es tut mir leid«, sagte er plötzlich. »Ruby, es tut mir leid, ich — wäre ich doch nie nach Durango zurückgekommen. Und hätte ich dich nie wieder sehen müssen.« Seine Hacken schlugen dem Tier in die Weichen. Es wieherte schrill und stieg. Dann spannte es sich, riß das Ersatzpferd mit und jagte auf die Main Street. * Wadell blickte sich um, als er den Hufschlag hörte. Sie hielten mit der Stagecoach vor der Station in Montrose. Jetzt war keine normale Fahrzeit, denn dies war eine der Sonderkutschen, die Wadell oft begleitete. Big Dave Greener kam auf seinem Schecken heran. Er hielt und blinzelte unschuldig zum Bock hoch. Wadell schien er nicht zu sehen. »Hallo, Dave«, knurrte Wadell. Er öffnete den Schlag und sprang zu Boden. »Gut, daß ich dich endlich sehe. Als ich von Durango zurückkam, hattest du irgend etwas im Norden zu tun. Dann war ich im Norden, aber ich traf dich nicht unterwegs,
obgleich du angeblich nach Süden unterwegs sein solltest. Dave, hast du jetzt endlich Zeit für mich?« Greener konnte eulenhaft grinsen. Er tat es jetzt, stöhnte etwas beim Absteigen und hielt sich dann den Rücken. »Tatsächlich, sind wir uns vierzehn Tage nicht begegnet?« wunderte er sich scheinheilig. Er schien bester Laune zu sein und warf seinem ersten Mann einen schiefen, zwinkernden Blick zu. »Du hast doch alle Arbeit besorgt, ich wollte mal mit mir allein sein, Jim. Ah, was schmerzt mich der alte Rücken. Ich denke, ich sollte das Polster dem Sattel vorziehen und mit euch fahren. He, Piet, binde meinen Schecken an die Kutsche, du hast noch einen Passagier.« Wadell stieg nach Dave in den Kutschkasten, während Timley, der Geldbewacher, neben Leene, dem zweiten Fahrer, oben auf dem Bock Platz nehmen mußte. Wenig später verließen sie Montrose. Der Alte sah aus dem Fenster. »Erzähle, wie war es in Durango? Hast du endlich nachgegeben?« Wadell berichtete, sah den Alten dann durchbohrend an und knurrte: »Du hättest also nicht auszureißen brauchen, Dave. Dein Geld hast du in der Zwischenzeit von der Bank zurückbekommen, wie? Verrückte Idee von dir, meinem Vater zu helfen.« Dave Greener fuhr zusammen, starrte ihn an und sperrte den Mund auf. »Was, wovon redest du, Mensch? Alle Teufel, du denkst doch nicht etwa, der große Unbekannte wäre ich gewesen?« »Das habe ich doch geahnt«, zischte Jim. »Jetzt streitest du es natürlich ab, Dave. Schon gut, ich vergesse dir die Hilfe für die Wadells nie, ich werde dir immer etwas schuldig bleiben.« Big Dave Greener starrte ihn entgeistert an. »Bist du verrückt, Junge? Du bist mir nichts schuldig, im
Gegenteil, ich schulde dir eine Menge. Das verstehst du jetzt nicht, aber eines Tages wirst du mich alten Narren begreifen. Jim, bei allem, was mir heilig ist, ich habe jene achttausend Dollar nicht Savin gegeben. Schlage mich tot, Junge, aber ich war es nicht. Ich schwöre es, wenn du es willst.« Jim Wadell prallte zurück. Er lehnte sich in die Polster und schnappte nach Luft. Daß Big Dave nicht log, wußte er genau. Der Alte trieb keine Scherze mit solchen Dingen. »Dave, du nicht?« fragte Wadell beklommen. »Aber wer, um Himmels willen, Dave, wer sonst? Sollte dieser Halunke Lynn Gavin, mein zukünftiger Schwager, etwa doch ... Dave, er sagte, er besäße nicht viel Geld, und ich will meinen Hut fressen, wenn es nicht ganz ehrlich klang. Nein, Lynn hat mich nicht angelogen. Also hat jemand ihm das Geld gegeben, aber wer?« »Du verstehst dich doch sonst darauf, Leute auszufragen. Warum fragst du nicht Lynn Gavin, wenn du wieder in Durango bist, Junge?« »Du kannst wetten, daß ich es tun werde«, versicherte Wadell grimmig. »Es gibt niemand in Durango, der das Geld so locker sitzen hat. Alle Teufel, Dave, wer mag Dad das Geld gegeben haben?« »Da fragst du mich zuviel, Junge.« * Piet Harting blickte zum McKenzie Butte. Nur in der Höhe beschien die Sonne den Berg noch, während hier im Tal bereits die Dämmerung voll eingesetzt hatte. Zwischen den gewaltigen Koniferen zog sich der Fahrweg hin. Harting warf den nächsten Blick in die Tiefe. Ihn fröstelte, denn von unten wehte die Luft kühl herauf. Wer dort herunterfiel, der lebte nicht mehr.
Ihn schauderte, und er wollte sich umblicken, als er den Knall zwischen den Bäumen am rechten Steilhang hörte. In der nächsten Sekunde stieß Leene, sein Beifahrer, einen kurzen erstickten Laut aus. Der Schuß zerriß die friedliche Stille des Tales am McKenzie. Leene fiel langsam nach rechts gegen Piet Hartings Schulter. Aus seinem Mund drang ein dünnes, pfeifendes Stöhnen. Seine Augen verdrehten sich, während Blut auf seinem Hemd erschien und es rot färbte. Piet Harting ließ sich fallen und griff nach der Peitsche. Dabei rutschte Leene von seiner Schulter ab. Der Mann fiel verdreht in den Fußkasten, in dem auch Piet kauerte und los schrie. »Vorsicht — Achtung, rechts am Hang!« brüllte Piet. Dann sauste die Peitsche über die Pferde hinweg. Durch den Wagen ging ein Ruck, die Pferde zogen an. Aber sie legten keine zwanzig Schritt zurück, als die Hölle vom Hang her losbrach. Das Krachen und Dröhnen von Schüssen steigerte sich zu einem von den Felsen und Bäumen zurückhallenden Donner, der sich im engen Tal brach und tausendfach verstärkte. Piet Harting lag klein und zusammengekauert im Fußkasten. Er bot hier ein schlecht zu treffendes Ziel, aber er hörte, wie die Kugeln mit häßlichem Knacken und Peitschen in den Kasten hinter ihm einschlugen. Aus den Augenwinkeln sah er die Blitze unter dem schwarzen Schatten der Bäume. Großer Gott, dachte Harting, während er sich bemühte, die Pferde zu halten und die Kutsche um die nächste Wegbiegung zu bringen, das sind mindestens fünf Mann. Sie schießen einfach, sie haben keinen Versuch gemacht, uns anzuhalten. Er hatte plötzlich das Gefühl, keinen normalen Überfall zu erleben. Sie feuerten auf den Kasten statt auf die Pferde.
Durch das Dröhnen der nachhallenden Schüsse und das grelle Pfeifen und Heulen der Querschläger hörte Piet, wie Wadell in der Kutsche schrie: »'runter, Dave, 'runter!« Glas splitterte, Scherben regneten auf den Weg. Mein Gott, dachte Piet, warum haben sie nicht versucht, uns anzuhalten? Sie schießen in den Kasten. Dave ist drin, Dave ... Piet Harting erwischte einen Schultertreffer, hielt aber die Leinen fest und sah die Wegbiegung vor sich. Die Kutsche hatte keine hundert Schritt mehr zurückzulegen, um hinter der Biegung aus dem Bereich des Feuers zu geraten. Harting wollte rufen und spürte dann das Zucken der Leinen in seiner Hand. Daves Schecke hatte sich losgerissen. Das Pferd preschte davon. Im nächsten Augenblick stieg das rechte Gespannpferd steil nach oben. Es sprang in die Luft, als hätte es eine Mauer vor sich gesehen, über die es gehen mußte. Es war die Ahnung kommenden Unheils, die Piet warnte. Er schrie gellend los und versuchte noch die Leinen nach links herüberzuziehen. Doch ihm fehlte dazu die linke Hand. Es gelang ihm nicht mehr, und das Wissen um die Gefahr ließ den alten Piet einen Moment erstarren. Dann jedoch stemmte er sich hoch. Er sah das wilde Knäuel, das seine Pferde bildeten. Der rechte Gaul lag, aber die Gewalt des Kutschengewichtes schob die Kutsche vorwärts. Sie kam über das Pferd, sie mußte hochkippen. Mit einer seltenen Klarheit erkannte der alte Piet, daß sie alle verloren waren. Piet warf sich ganz nach rechts. Er wollte vom Bock, doch die nach vorn schießende Deichsel der Kutsche war schneller als der Alte mit seinen Sichelbeinen und der Kugel in der linken Schulter. Piet schrie vor Furcht. Sein Gedanke vorhin, daß jeder
verloren sein mußte, der über die Wegkante in die Schlucht fiel, wurde nun zur entsetzlichen Wahrheit. »Raus aus dem Kasten!« schrie Piet mit letzter Kraft. »Raus - raus!« Der Alte schwang sich hoch und stieß sich ab. Er flog weg, unterschätzte aber das als Hindernis im Weg der Kutsche liegende Pferd. Die Vorderräder schnellten auf das Pferd zu, danach in die Höhe. Und mit den Rädern wuchtete es auch den Kasten hoch. Piet erhielt einen Stoß, ehe er abspringen konnte. Der Stoß fuhr ihm von unten her ins Gesäß, er schleuderte ihn im Bogen auf die Kante zu. Piet Karting sah die Tiefe, das Wasser unter sich, das schäumend mit weißen Kronen über die Steine hinweggurgelte. Er sah die Büsche und einige Baumschößlinge. Und dann fiel er. Er schrie während des Falles vor Angst und Grausen, doch dann stürzte er nicht so weit über die Kante, wie er geglaubt hatte. Sein Körper streifte einen Busch, er fiel in Zweige, rutschte ab und glitt den Hang abwärts. Dann fand er Halt an einem Schößling. Er dachte noch, daß er entkommen war und nichts als Glück im Unglück gehabt hatte, ehe er nach oben sah. Und dann schrie Piet Harting in diesem Leben zum letztenmal. Er blickte empor zur Schluchtkante und sah die Kutsche fallen. Sie erschien ihm ungeheuer groß, ein gewaltiger, viereckiger Schatten, der über die Kante kam. Danach raste der Schatten herab. Piet gelang kein Sprung mehr. Er hätte auch nicht gewußt, wohin er springen konnte. Die Kutsche kam und fiel mit ihrem ganzen Gewicht auf den alten Piet herab. Sie zerschmetterte ihn, ehe sie weiter den Weg abwärts in das Wasser des Baches nahm. Piet hatte den Fall gesehen, und Wadell hatte ihn gespürt. Doch weder Wadell noch der alte Piet konnten irgend etwas tun.
Die Kutsche fiel in die Tiefe samt Pferden und Männern. Sie stürzte zur rechten Seite, schwang nach links und drehte sich. Als der Boden der Kutsche dort war, wo sonst der Himmel sich erhob, sah Wadell noch das verzerrte Gesicht Big Dave Greeners über sich. Er hörte den Alten schreien, er schrie seinen Namen. Dann kam der Aufprall. Es war ein Schlag, der die Welt bersten lassen wollte. Das Dröhnen und Krachen war das letzte, was Jim Wadell hörte. * Das erste, was sie sahen, waren die im Mondlicht funkelnden Glassplitter auf dem Weg. Einer der Männer schrie aufgeregt, die anderen hoben ihre Laternen an und leuchteten. Sie starrten auf die Scherben, entdeckten nun Holzsplitter und einige Patronenhülsen. Danach ritten sie hart an der Kante des Weges entlang, vier Mann hintereinander, deren Blicke sich bald an den Schrammspuren der Radfurchen festsaugten. »Sie ist herumgeschleudert worden, da ist Blut«, sagte einer gepreßt. »Hier, der Busch, die Zweige sind geknickt, Evans.« Lee Evans, Leiter der Station am Alkali Creek, hob den Arm. Er stierte, indem er sein Pferd anhielt, in die dunkle, gähnende Tiefe der Schlucht, aus der es ihm kühl entgegenwehte. Als er sich noch weiter vorbeugte, sah er die geknickten Zweige, den halb aus dem kargen Erdreich der Wand gerissenen Busch und erkannte unten das leichte Blinken. »Mein Gott, sie liegen, unten!« schrie er. »Sie liegen dort unten, Leute!«
Es war gefährlich, bei Nacht den Abstieg zu wagen, aber sie seilten sich an und stiegen in die Tiefe. Ihre Laternen beleuchteten das grausige Bild im Wasser, ehe sie noch den Grund der Schlucht erreicht hatten. Der Anblick verschlug Evans den Atem. Er hatte viele grausige Dinge in seinem Leben als Fahrer und Stationsleiter im Indianergebiet gesehen, aber dies hier wirkte auf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Ihm zitterten die Hände, als er im Wasser stand und sich an die Trümmer wagte. Hinter ihm schrie jemand, er hatte Piet gefunden. »Zerschmettert, großer Gott, Piet ist zerschmettert worden!« Aus den Trümmern ragte eine Hand. Hier waren Bretter der Kutsche auseinandergezerrt worden. Es gab Spuren, doch niemand achtete auf sie. Die Hand gehörte zu Timley, den sie heraushoben und liegenließen, weil ihm nicht mehr zu helfen war. Danach fanden sie Old Dave Greener. Er lebte noch, hatte aber eine klaffende Kopfwunde und war unter den Polstern eingeklemmt worden. Sie hoben ihn heraus und legten ihn hin. »Jim - und Jim?« keuchte Evans. »Wo ist Jim Wadell?« Sie fanden weder die Kiste noch fanden sie Jim Wadell. Wadell war verschwunden, obgleich sie nun das Ufer absuchten und hundert Schritt weit den Bach hinunterliefen. Geldkiste und Wadell waren wie vom Erdboden verschwunden. »Was hat das zu bedeuten?« keuchte Evans verstört. »Wadell war dabei. Aber wo ist er, wo ist das Geld?« Einer der Männer rief nach Evans, ehe sie weitersuchen konnten. Sie hatten schon jedes Trümmerstück umgedreht und den Hang abgeleuchtet. »Lee, komm her, Big Dave sagt irgend etwas. Lee, schnell.« Evans stolperte über die Trümmer und Steine zu dem Brett und der Decke, auf die sie Greener gelegt hatten. Der Alte blinzelte. Er flüsterte irgend etwas, und Lee Evans
schrie nach Brandy. Einer der Leute hatte eine Flasche mitgenommen. Er brachte sie von oben, und sie flößten Big Dave etwas Brandy ein. Er atmete tief und rasselnd. »Boß, Boß«, fragte Evans heiser. »Boß, wer war das — wer, Boß?« Er sah in das Licht der Laterne und wendete den Kopf mühsam. Da nahmen sie die Laterne fort, um ihn nicht zu blenden. Er stöhnte, ehe er lallte: »Jim - Jim Wadell - Jim . . .« »Boß, er ist nicht dabei, wir finden ihn nicht. Er ist verschwunden wie das Geld. Boß . . .« »Wadell«, flüsterte der Alte. Er schien sich aufrichten zu wollen, sein Oberkörper hob sich, und Evans stützte ihn. »Jim — geschossen - das Geld.... .« Big Dave Greener zuckte einmal. Dann streckte er sich, und über seine Lippen kam ein kurzer Seufzer. Sie blickten Evans an, als er den Alten sinken ließ. Big Dave Greener, einer der Pioniere dieses Landes, war tot. Mehr als eine Minute verstrich, ehe Evans etwas sagen konnte. Er war mit Big Dave in diesem Land groß geworden, und er hatte wie alle Männer eine tiefe Zuneigung zu ihm besessen. Big Dave war für sie niemals nur der Boß, sondern ein Vorbild gewesen. »Wadell«, keuchte Evans. »Er hat es gesagt, habt ihr gehört? Es waren mehrere Kerle, aber Wadell muß ihnen geholfen haben. Er scheint mit dem Geld verschwunden zu sein und mit den Halunken unter einer Decke gesteckt zu haben.« »Ihr seid wahnsinnig!« knurrte Burrows wütend. »Wenn ihr das herumtragt, wird am Ende daraus eine ganz andere Story, und jeder wird glauben, daß Jim mit Banditen gemeinsame Sache gemacht hat. Hört bloß mit dem Blödsinn auf, Freunde, sonst schlage ich
jedem von euch den Schädel ein.« * Die Tür fiel hinter dem riesenhaften Alten ins Schloß. Dann drehte sich der Schlüssel, und Gil Wadell blickte mit verständnislosen, leeren Augen den alten Ben Carter an. »Ben, was ist passiert?« flüsterte sie. »Um Gottes willen, was hat Dad?« Ben zog sie mit hinaus. Er schien um Jahre gealtert zu sein. »Wir waren im Fort«, murmelte er, als sie außer Hörweite des Hauses waren. »Gil, Kind, sie haben ihm gesagt, er brauche keine Pferde mehr zu liefern, sie hätten woanders welche bestellt. Es hat ihm nichts ausgemacht, daß die Leute über Jim die schlimmsten Dinge erzählen, es hat ihn kaum berührt, daß alles behauptet hat, er hätte von Jim unterschlagenes Geld oder gar gestohlenes bekommen, um seine Schulden zu bezahlen. Aber daß die Armee - etwas, worauf er immer stolz war, ihn verdächtigt, mit seinem Sohn an irgendwelchen krummen Dingen beteiligt gewesen zu sein, das hat ihn umgebracht. Er hat nicht mal gebrüllt. Er - er hat sie angesehen wie ein sterbender Löwe, Gil.« »Ben, um Gottes willen, sie können Dad doch nicht - das ist doch alles Unsinn. Jim ist verschwunden, jetzt schon die sechste Woche, aber niemand weiß, ob er tot ist oder lebt.« »Sie erzählen sich, Jim wäre nach Mexiko hinüber mit dem Geld und führe dort ein gewaltiges Leben«, keuchte der Alte. »Und sie glauben es - sie glauben es, weil Shelton fünftausend Dollar Belohnung auf Jims Kopf ausgesetzt hat.« »Fünftausend?« Gil sank auf die alte Bank und vergrub den Kopf in die Hände.
Ich gehe zu Lynn, dachte sie, Lynn hält zu uns, Lynn muß mir helfen. Das ist doch Unsinn, niemals hat Jim etwas mit diesem fürchterlichen Mord zu tun gehabt. Lynn ist anständig und ehrlich, ich gehe zu Lynn. * John Wadell schien den Aussatz, die Pest, Cholera und alle anderen ansteckenden Krankheiten zu haben. Man sah weg, wenn man ihn traf, auch Käufer kamen nicht mehr zu ihm. Es war, als hätte niemand in diesem Land noch einen Maulesel oder ein Pferd nötig. Der Mietstall stand voller Pferde, die Maultiere schrien, aber niemand wollte reiten, keiner sich ein Pferd leihen. Es gab nur Lynn Gavin, der regelmäßig und den Leuten zum Trotz kam. Es gab den Sägewerkbesitzer und zwei Nachbarn, die wie immer zu den Wadells kamen. Doch die Käufer blieben aus. An diesem Morgen - es war der neunundvierzigste Tage von Jim Wadells Verschwinden, und der Alte zählte jeden Tag stand John Wadell im Stall. Er striegelte wie jeden Morgen seine Pferde, als hätte jeden Moment ein Käufer sich verirren können. Aber der Alte hielt inne in seiner Arbeit, lehnte sich an das Pferd und starrte durch das Fenster des Stalles hinaus. Und dann raschelte Stroh am Stalleingang. Er hob langsam den Kopf, er dachte, daß Gil gekommen war, aber es ... John Wadell sah die Frau dort stehen und den kleinen James McCord neben ihr. Zuerst dachte der Alte, daß er einen verrückten Traum hatte. Er hob die Hand und strich sich über die Augen, aber das Bild blieb. Eine McCord in seinem Stall! »Guten Tag, Mr. Wadell.«
Er lauschte ihrer Stimme, nachdem er sie eine halbe Minute angestarrt hatte. »'n Morgen«, brummelte er, denn unfreundlich wollte er nicht sein. Zu Ladys war ein Wadell immer höflich. »Morgen, Madam.« Sie kam nun näher, und er dachte, daß sie wirklich eine Frau war, wie es sonst keine im Umkreis von zweihundert Meilen gab. Sie hätte längst einen anderen Mann haben können. Dutzendweise hatten sich die Burschen um sie bemüht, aber alle waren abgefahren. »Mr. Wadell, der Junge, er wünscht sich ein kleines Maultier, auf dem er reiten kann. Er hat heute Geburtstag, und ich dachte, Sie könnten ihm ein zahmes Tier aussuchen, ja?« Der Alte schluckte und begriff es nicht. Da kam keine Seele zu ihm, um etwas zu kaufen. Und nun erschien ausgerechnet eine McCord. Die Leute würden sich das Maul zerreißen. Es würde schneller die Runde machen, daß sie zu ihm gekommen war, als wenn er wirklich jemand erschlagen hätte. »Sie wollen ein Maultier kaufen, Madam?« ächzte Old John. »Für den Jungen?« »Das wollte ich«, erwiderte sie. Sie lächelte, und dem Alten wurde ganz warm in der Brust dabei. »Ich brauche auch zwei Pferde für den Wagen und eins für mich zum Ausreiten.« Das ist nicht wahr, dachte Old John, ich träume man bloß. Hol's der Geier, ich spinne doch, ich alter Narr. »So, so, zwei Pferde«, stotterte er. »Und ein Reitpferd, Madam?« »Ja, Mr. Wadell.« Der Junge stand da und betrachtete die Pferde und Maultiere. Er ging los, trippelte an den Boxen vorbei und fragte: »Mammy, wo ist mein Maultier?« John Wadell räusperte sich. »Das zweitletzte von hinten,
mein Sohn, wäre gerade richtig. Sieh es dir nur an. So, Madam, kommen Sie nur mit. Es ist ein frommes Tier, gerade richtig für den kleinen Mann. Es ist nicht störrisch und bleibt auch nicht bockig stehen. Neun Jahre alt, Madam, gut im Futter, und es trägt willig einen Sattel.« »Genau das hatte ich mir vorgestellt, Mr. Wadell.« Sie ging neben ihm her an den Boxen vorbei auf ihren Sohn zu, der nun den Alten ansah. »Du mußt nicht traurig sein«, sagte der kleine Bursche plötzlich. »Er lebt ganz gewiß. Und was die Leute sagen, das ist doch alles Unsinn. Er ist so ehrlich und klug wie sonst niemand auf der Welt.« »James«, sagte Carry McCord. »James, bist du sofort still.« Der Junge schrak zusammen. Der alte Mann blieb stehen und erstarrte. »Aber Mammy, du hast es doch vorhin gesagt, warum soll ich still sein?« Danach wurde es ruhig im Stall. Der Junge sah zwischen seiner Mutter und dem alten Mann hin und her, der die Hände um das Oberbrett der Boxenwand legte, daß die Knöchel weiß aus der Haut traten. Seine Mutter war bleich geworden, sie sah zu Boden, bis der Alte leise sagte: »Madam, wenn Sie das gesagt haben, dann - dann bin ich es nicht wert, daß Sie bei mir kaufen.« »Aber John, ich mußte es James sagen. Die anderen Kinder reden zuviel, wie Kinder so sind. John, Jim hat das niemals getan, nie, John.« »Sie glauben es nicht?« keuchte er. »Warum Sie nicht, warum glauben es die anderen? Eines Tages kommt Jim wieder, und dann gnade Gott den Halunken, die schlecht über ihn geredet haben. Ich weiß, daß er lebt.« Sie fuhr zusammen. »Sie haben Nachricht von Jim?«
»Nein, nein, aber ich fühle es, daß erlebt.« »Ja«, flüsterte sie. »Ich auch, John. Er wird wiederkommen, ich weiß es. Ich hoffe so sehr, daß er bald kommt.« »Du bist in Ordnung, Ruby McCord«, murmelte er. »Bei Gott, du bist mehr wert als diese ganze verdammte Sippschaft hier. Und ich bin der größte Narr der Welt, es nicht eher erkannt zu haben.« Er ging zu dem kleinen Burschen und hob ihn hoch. Dann setzte er ihn auf den Rücken des Maulesels. Diesen Tag würde John Wadell niemals vergessen. * Terry Slocum döste während der Fahrt gern vor sich hin. Er und Hogan bildeten seit Jahren ein Fahrergespann. Sie kannten ihre Pferde und die Pferde kannten sie. Es kam vor, daß Terry Slocum eine halbe Nacht lang mit Hogan am Pokertisch verbrachte und sie sich beide hinterher sinnlos betranken. Unter Stagecoachfahrern kreisten ohnehin mehr Flaschen als unter anderen Leuten. Doch ans Ziel waren sie immer gekommen. Heute jedoch waren sie beide stocknüchtern. Zehn kleine Gläser, die Slocum gegen sein Magenkneifen getrunken hatte, zählten nicht. Das war eine Portion für den hohlen Zahn. Slocum ließ die Zügel hängen. Die Pferde wußten ihren Weg allein zu nehmen, und so schloß Slocum die Augen, bis Hogan neben ihm brabbelte. »He, du Nachtwächter, wir sind gleich da.« Slocum wußte, was Hogan meinte, und er sperrte die Lider auf. »Darum brauchst du doch nicht so zu schreien«, sagte er beleidigt. »Brüllt dieser haarige Affe mir ins Ohr, daß mir das Trommelfell platzt. Hast du etwa Angst hier?«
Hogan stammte aus Wales, und man sagte, es gäbe keinen Landstrich auf der Welt, in dem die Leute mehr an Geister, Spuk und Gespenstergeschichten glaubten. Tatsächlich hatte Barry Hogan jedesmal, wenn sie am Ort des Sterbens von Big Dave Greener vorüberfuhren, einen ängstlichen Blick. Das behauptete Slocum grinsend, der Barry mit seiner Gespensterfurcht oft genug auf zog. »Hölle, ich habe keine Angst«, knurrte Hogan zornig. »Wenn hier einer Angst hat, dann bist du Nachtwächter das. Du mußt dich ja sogar einschließen, damit du schlafen kannst.« »Das verstehst du Kalbskopf nicht«, murrte Slocum. »Ich muß die Tür abschließen, weil mich als Kind die Indianer beinahe geschlachtet hätten, als sie in unser Haus eindrangen. Meine gute Mutter hatte vergessen, die Tür ...« Slocum sprach plötzlich nicht mehr weiter. Das war nicht weiter schlimm, denn Hogan kannte all die Ausdrücke Slocums auswendig. Und neue erfanden sie nur noch selten. Hogan sah in Slocums Gesicht und glaubte eine Fratze zu erblicken. Slocum quollen die Auge n aus den Höhlen. Die Wagenlaterne beschien seine plötzlich spitz wirkende Nase und seinen weitgeöffneten Mund. Slocum hockte wie gebannt auf dem Wagen, die Blicke stur auf einen Punkt gerichtet. Aus seinem Mund stieg ein fürchterliches Lallen. Hogan wendete den Kopf, um zu sehen, was für greuliche Dinge Slocum entdeckt hatte. Und dann stieß der ehemalige Waliser Barry Hogan einen dünnen, pfeifenden Laut aus. Jetzt quollen auch Barry Hogan die Augen aus den Höhlen. Mondlicht beschien die andere Seite der Schlucht, in der Big Dave den Tod mit den anderen gefunden hatte. Diese steile Flanke drüben war zerrissen und schien unüberwindlich steil aufzuragen. Über dem Schluchtabfall gab es einen Felsen. Er schob sich wie eine gewaltige Nadel hoch über den Steilabfall. Das Mondlicht traf den Nadelfelsen voll.
»Da - da - aah!« röchelte Hogan. Eine Gänsehaut lief ihm jäh über den Rücken, und er hob die Hände, um den Anblick nicht länger ertragen zu müssen. Neben Hogan stöhnte Slocum wie ein Sterbender. Er nahm die Hände an den Hals, als müßte er ersticken. Auf dem Felsen hielt Jim Wadell, und er saß im Sattel von Big Dave Greeners Schecken, den man so wenig wie ihn oder das Geld gefunden hatte. Sie sahen ihn so deutlich auf die achtzig Schritt, daß Hogan vor Grausen mit den Zähnen zu klappern begann und Slocum immer lauter stöhnte. Es war beinahe Mitternacht. Sie fuhren die letzte Kutsche nach Alkali Creek. Und es war, darum hatten sie heute besonders an Big Dave denken müssen, genau drei Monate nach Big Daves Sterben. Das Pferd stand drüben, der Reiter saß reglos im Sattel. Slocum riß jetzt an den Zügeln, denn die Furcht packte ihn, daß ihm bei der Weiterfahrt irgend etwas passieren könnte. So hielt er an, und jedes Geräusch erstarb. Sie hörten nur noch das Ra uschen und Gurgeln des Rivers tief unten. Es war totenstill. In diesem Moment der absoluten Ruhe bewegte sich drüben das Pferd. Es war noch grauenhafter als jener Anblick bisher, denn das Pferd setzte die Hufe ein und spannte sich, während der Reiter kerzengerade im Sattel sitzenblieb. Slocum blieb beinahe das Herz stehen, während Hogan die Rechte bewegte und schnell ein Kreuz über seiner Brust schlug. Aus weit aufgerissenen Augen sahen sie, wie das Pferd steil nach oben jagte. Es mußte abstürzen, denn die Wand war zu glatt und zu abfallend. Aber dann war es fort. Der Fleck, an dem es hätte in die Tiefe fallen müssen, war leer. Völlig lautlos war das Pferd samt Reiter verschwunden. Kein
Hufschlag, kein Schnauben oder Prusten - nichts hatte man gehört. Hogan stieß einen grauenhaften Schrei aus, als er fort war. Slocum besann sich und griff zum Gewehr. In der Stagecoach wurde es lebendig. »Was ist - ein Überfall?« »Kei - kein Überfall«, antwortete Slocum mit krächzender Stimme nach zwei Sekunden. »Da — da war er. Dort war Jim Wadell. Wir haben Jim Wadell gesehen. Und dann ist er durch die Luft auf Big Daves Pferd davongeflogen.« »Seid ihr betrunken?« brüllte der Mann von unten. »Los, laßt die Späße, uns zu erschrecken. Fahrt endlich weiter, ihr Gauner!« * Die Tür klappte hinter Slocum und Hogan ins Schloß. Shelton wartete, bis sich die Schritte der beiden Männer verloren hatten, dann sah er zu Luisa Greener hinüber. Sie lehnte an der Wand, und wenn ihr Gesicht auch beherrscht blieb, in ihren Augen las er die Furcht. »Nun gut«, sagte Shelton gepreßt. »Dann ist es also wahr, was Evans schon berichtet hat. Ein Glück, daß er vor den beiden herjagte. Luisa, da es keine Geister gibt, lebt der Hund noch. Jetzt werden Slocum und Hogan nach drüben in den Saloon gehen. Ich habe ihnen nicht umsonst zwanzig Dollar für den Schreck gegeben. Wetten, daß wir bald Besuch bekommen werden? Es leben genug rauhe Burschen hier, die sich fünftausend Dollar verdienen .wollen. Wenn der Kerl eine Fährte hinterlassen hat, dann findet man sie auch.« Er sah, daß sie zitterte.
»Laß das«, keuchte sie, als er den Arm um sie legen wollte. »Diese ganze Sache - ich habe immer Angst gehabt, und jetzt sterbe ich an ihr. Er lebt, er muß etwas wissen, verstehst du? Du hättest es mir damals früher sagen müssen, Harvey. Du bist zu weit gegangen, viel zu weit.« »Und wer hat damals davon angefangen?« knirschte er wütend. »Weibervolk, ängstliches. Für fünftausend Dollar jagt ihn alles, was es an rauhen Burschen gibt. Sie schießen ihn ab wie einen Hasen.« * Clint Bronston und Hai Joynes fluchten leise. Sie hatten jetzt kein Mondlicht mehr und hielten am Ufer des McKenzie an. Die beiden Männer trugen ihre Gewehre stets schußbereit bei sich. Am Kolben von Bronstons Fox-Karabiner befanden sich neun Kerben, auf die Bronston einigermaßen stolz war. Jede Kerbe bedeutete einen Mann, den Bronston gefangen oder auf der Flucht erschossen hatte. Man nannte Bronston auch einen menschlichen Aasgeier, weil er sein Geld mit der Suche nach entflohenen oder vom Gesetz verfolgten Männern verdiente. »Siehst du was?« knurrte Bronston finster. »Ich will Blut trinken, wenn der Hund nicht im Wasser geritten ist. Kein Licht mehr, Hölle.« Joynes schien zum anderen Ufer zu blicken. Aber er schielte in Wahrheit an diesem Ufersaum entlang. »Hier ist der Strolch lang«, stellte Joynes fest. »Aber, die Pest, dann ins Wasser. Wer will bei der Dunkelheit sehen, wo der Schurke wieder herausgeritten ist?« Sie mußten die Suche bis zum Morgengrauen aufgeben, allerdings waren es nur noch dreieinhalb Stunden Wartezeit für
sie, dann mußte es hell werden. »Wir suchen uns einen Lagerplatz«, entschied Bronston. »Eins ist nun mal sicher, der Hund hat am Nadelfelsen seinem Gaul die Hufe umwickelt gehabt, darum sein lautloses Verschwinden. Und dann ist er in den Spalt in der Wand gejagt. Er hat das verflucht geschickt angefangen. Der Spalt verbreitert sich tiefer im Fels. Er hielt hinter der Ecke und ließ die Kutsche vorbei. Später ritt er dann heraus und davon. Mist, verdammter, wir müssen warten. Er hat einen Tag Vorsprung.« »Aber wir finden ihn«, schwor Joynes. Wenig später hatten sie ihre Pferde angebunden. Sie hatten den ganzen Tag und die dreiviertel Nacht gesucht. Bronston war so müde wie Joynes, darum machten sie kein Feuer, sondern legten sich nach einigen Bissen Kaltverpflegung neben ihren Pferden hin. Irgendwann fuhr Bronston hoch. Etwas hatte ihn aus den Schlaf gerissen, und er griff augenblicklich nach seinem Gewehr. Als er seine Decke von sich schleuderte, sah er links neben sich den Schatten eines Mannes. Es war nicht Joynes Schatten, der sich auf ihn stürzte. Joynes war viel kleiner und magerer. »Joynes, vorsi ...« Joynes rührte sich nicht mehr, das war es, was Bronston noch begriff, ehe er das Gewehr herumschwang. Dann traf die Waffe den Angreifer an den Beinen, aber der Mann war zu schnell da. Der Hieb mit dem Gewehr blieb ohne Wirkung. Bronston ließ es fallen, er wollte sich rollen, stieß sich ab und glaubte noch, es zu schaffen, als ihn der Schlag erwischte. Der Revolverlauf , traf Bronston an der Schläfe. Bronston sah Feuer, hatte aber noch die Kraft, sein Messer herauszureißen. Doch zum Zustechen kam er nicht mehr. Von irgendwoher kam der zweite Hieb gegen seinen Kopf und löschte Bronstons Bewußtsein aus. Eine halbe Minute blieb es danach still, bis es in den
Büschen am McKenzie raschelte und ein struppiges Gesicht unter einer alten Biberfellmütze sich aus den Zweigen schob. »Ho, hast du sie, Jim?« fragte jemand kichernd. »Diese Narren sind dir auf den Leim gekrochen wie die Fliegen. Und was machst du jetzt?« »Gar nichts, ich werde sie binden, daß sie erst im Morgengrauen damit fertig sind, sich loszumachen«, kam Jim Wadells kühle Antwort aus der Dunkelheit an der Felswand. »Moosiger Boden hätte mich mißtrauisch gemacht. Ich hätte mir ganz sicher gesagt, daß sich auf diesem Boden jemand so leise anschleichen konnte, daß er meine Haare zu packen bekommt, ehe ich ihn hörte. Old Man, komm jetzt her und hilf mir.« Old Man Batson glich einem Waldgeist. Er trug eine an tausend Stellen geflickte Lederjacke und Hirschlederhosen, die er in die Stiefelschächte gesteckt hatte. Seine Beine waren so krumm, daß er sich auf zwei Sicheln fortzubewegen schien. Als er jetzt lachte, hörte es sich an, als meckerte eine ganze Ziegenherde um die Wette. Sein Bart wucherte kaum beschnitten bis auf seine Brust herab und ließ nur den Mund und Augen frei. »Niemand wird glauben«, kicherte er, »daß du vor drei Monaten mit gebrochenem Bein, ausgerenkter Schulter, neun angeknickten Rippen und einer Kugel im Fell auf Tod und Leben gelegen hast. Du bewegst dich wie eine Schlange, und du springst wie ein Hirsch. Jim, das sind zwei widerliche Halunken, so ziemlich die widerlichsten Kerle, die ich jemals gesehen habe.« »Ich konnte sie nicht erschießen.« »Wäre nicht schade gewesen« brummte der Alte. »Gelichter, wirkliches Gelichter, Jim. Und was wird jetzt passieren?« Jim Wadell band Bronston die Hände auf dem Rücken zusammen.
»Sie sollen laufen, und sie können in zwei Tagen wieder in Silverton sein.« »Und dann?« Wadell kannte die Neugierde des alten Batson. Er verdankte es nur der Neugierde Old Man Batsons, daß er noch lebte. In jener Nacht hatte Old Man die Schüsse gehört und auf einen Übefall getippt. Da er neugierig wie ein junger Bär war und sich die Sache ansehen wollte, ritt er hin. Er hatte nach Grand Junction zu den Fellhändlern reiten wollen, doch war er dort nie angekommen. Er hatte Jim gefunden, zwischen seinen beiden Lastpferden eine Trage gemacht und Jim auf den weichen Fellen nach und nach in die Berge zu seiner Blockhütte gebracht. Später hatte er grinsend behauptet, er hätte nur sehen wollen, ob ein so zerbrochener Mensch länger als drei Tage leben konnte. »Wenn ich kein ganzer Narr bin«, murmelte Wadell nachdenklich, »sind sie nicht allein in die Berge geritten. Sie sind die gerissensten Spürhunde in Colorado. Andere Männer hätten meine Fährte nicht so leicht gefunden, die beiden jedoch gleich. Haben gewisse Burschen Verstand im Schädel, werden sie sich an die Fährte der beiden Kerle klemmen.« Old Man Batson nickte heftig. Er hatte mit Jim hundertmal die verschiedensten Ereignisse durchgesprochen. Und je länger Jim nachgedacht hatte, um so sicherer waren sie beide gewesen, daß Jims Verdacht Hand und Fuß hatte. Sie banden die beiden Halunken, wie sie es geplant hatten. Dann verdrückten sie sich in die Büsche. * Joynes blieb keuchend und schwitzend am Boden sitzen. Er rieb sich die aufgescheuerten Handgelenke und knirschte vor
Wut mit den Zähnen. Es war hell geworden. Sie hatten Stunden gebraucht, um sich zu befreien, fanden aber weder ihre Pferde noch irgendeine Waffe oder genügend Vorrat. Alles war verschwunden. »Den bringe ich um!« brüllte Bronston. Er war zum McKenzie getaumelt und hatte sich die Handgelenke im Wasser gekühlt. »Das verdammte Schwein mach ich kalt. Alles weg, nichts mehr da. Zu Fuß rennen, ich werde verrückt, Joynes!« »Und ich schneide ihm die Haut in Streifen, aber langsam, damit er mehr davon hat!« gurgelte Joynes. Bronston und Joynes fuhren zusammen. Es klickerte über ihnen leise. Dann fielen ein paar Steinchen von der Wand und schlugen dumpf im Moos auf. Ihre Blicke flogen empor. Sie sahen den Mann mit dem Gewehr unter dem Arm über ihnen auf dem Felsen stehen. Der Lauf der Waffe zeigte auf Bronston, und der, warf die Arme mit einem schrillen Schrei empor. »Nicht schießen, Wadell, nicht schießen!« »Gerade wolltest du Halunke mich doch kaltmachen, was?« erkundigte sich Wadell eisig. »Und du, Joynes -wolltest du mir nicht die Haut in Streifen schneiden? Aufstehen, Joynes!« Joynes sprang mit aschfahlem Gesicht in die Höhe. Er hielt die Hände über den Kopf. »Well«, knirschte Wadell. »Jetzt werdet ihr laufen, ihr Halunken. Aber ihr werdet niemals vor mir beim Sheriff in Silverton sein. Ich habe nur noch einen kleinen Ritt zu machen, um das Geld zu holen. Ich weiß jetzt, wo es liegt oder wer es hat. Beinahe hättet ihr Gauner mich um den Spaß gebracht, die Halunken zu erwischen, die damals das Geld gestohlen haben. Los, laufen, sagte ich!« Er zielte auf Joynes' Beine, und Joynes stieß einen Heulton
aus, ehe er davonrannte. Bronston stürzte ihm nach. * Bronston lief und schrie, aber plötzlich wurde seine Stimme immer leiser und seine Schritte langsamer. Joynes, der Blasen an den Füßen hatte und Bronston nachhumpelte, sah aus hundert Schritt Entfernung, daß Bronston jetzt anhielt. Der vierschrötige Kopfgeldjäger blieb stehen. Dann tat er etwas, was Joynes nicht verstand. Statt weiter auf die Reiter zuzulaufen oder wenigstens auf sie zu warten, machte Bronston kehrt. Er kam in seltsamen, eckigen Sprüngen, wobei er mit den Armen ruderte, um schneller voranzukommen, auf Joynes zugelaufen, und schrie irgend etwas. Erst im Näherkommen verstand Joynes, was Bronston brüllte. Er sah, wie Bronstons Augen zuckten, wie sein Mund bebte und seine Glieder die seltsamsten Verrenkungen ausführten. »Lauf, lauf weg!« kreischte Bronston, als hätte er den Teufel gesehen und nicht vier scheinbar harmlose Reiter. »Lauf weg, es ist Denville, es ist Denville!« Joynes glaubte einen Moment, keine Luft mehr zu bekommen. Dann machte auch er kehrt. Er vergaß seine Blasen, seine wundgelaufenen Füße und schrie wie ein Tier, als er davon stürzte. Jetzt konnte er laufen, doch Bronston holte ihn ein und lief brüllend vor Furcht an ihm vorbei. »Er bringt uns um!« schrie Bronston mit rollenden Augen. »Fort, nur fort hier! Sie kommen, ah, oh, sie kommen, sie kommen schon!« Er stolperte und fiel hin. Schreiend raffte er sich auf, aber die vier Mann trieben ihre Pferde und die Ersatzgäule zum vollen
Galopp an. Joynes bekam Stiche, sie fuhren ihm durch die Säuferleber, und er japste mit offenem Mund wie ein hechelnder Hund, bis seine Knie nachgaben. So stürzte er hin, blieb am Boden kauern und preßte seine Hände auf die schmerzende Leber. Bronston versuchte, den nächsten Hang hochzurennen und fiel zurück. Die Erinnerung Bronstons ging auf den Tag zurück, an dem sie Dutch-Charlie gejagt und wie einen Hasen abgeknallt hatten. Dutch-Charlie hatte einen reichen Viehhändler westlich von Denver ausgeraubt. Der Mann setzte später eine hohe Belohnung aus, und Bronston hatte sie sich und Joynes verdient. Einige Wochen später war ihnen Denville begegnet. Sie kamen damals aus Laramie in Wyoming, und Denville traf sie in Four Corners, kurz vor der Grenze nach Wyoming. Er war mit seinem Bruder Gus zusammen, der noch rücksichtsloser und verrufener als Lester Denville war. Hätten die beiden Brüder Bronston und Joynes nicht in Begleitung eines halben Dutzend rauher Kerle gesehen, wäre es damals schon zur Schießerei gekommen, denn Dutch-Charlie war der Freund der Denville-Brothers gewesen. »Bis an die Zähne bewaffnet«, stellte jetzt Denville mit seiner knarrenden, spöttischen Stimme fest. Er betrachtete die beiden Kopfgeldjäger am Boden wie eine Schlange ein Kaninchen und lachte leise. »Nun, ihr habt ihn also getroffen, was? Aber er hat euch alles abgenommen. Los, macht's Maul auf, Bronston, habt ihr Wadell gesehen?« Bronston glotzte ihn nach Atem ringend an. Was denn, dachte Bronston, die suc hen ihn? Aber was haben sie mit Wadell zu tun? Die Burschen müßten ja selbst dauernd auf der Flucht sein, weil man sie in drei oder vier Staaten sucht.
»Äh, wir haben ihn getroffen, Denville.« »Das sieht man«, knirschte Denville. »Na und — wo ist der Schurke?« »Er will zum Sheriff nach Silverton«, schrie Joynes, der auf eine Chance hoffte. »Denville, der verfluchte Kerl hat uns im Schlaf überrascht. Er hat das Geld nicht - sagte er, aber er weiß, wo er es finden kann.« Einer der drei Begleiter Denvilles fuhr wie die anderen zusammen, aber die anderen schwiegen verstört, und nur der eine Mann japste: »Alle Teufel, wie sollte der Strolch das herausbekommen haben, Lester?« »Halt dein Maul!« fuhr ihn Denville an. »Du verdammter Narr, mußtest du das Maul aufreißen? Sieh dir Bronston an, der denkt nach, der gemeine Heckenschießer. Na, Bronston, was denkst du denn?« »Nichts, nichts«, beteuerte Bronston um zwei Grad zu hastig. »Ich denke gar nichts - niemals, Denville.« »So, du Lump?« schrie Denville. »Du hast aber gedacht, daß wir etwas von dem Geld wissen? Und jetzt hast du noch einen Gedanken, Mister. Soll ich dir sagen, welchen?« »Ich hab' keinen«, kreischte Bronston. »Denville, ich vergesse alles und denke nie, ich schwöre dir . . .« Denville hob die Hand, und Bronston schwieg, als er in den Revolver des Viehdiebes blickte. »Du hast an meinen Bruder gedacht, Hund«, entfuhr es Denville zischend. »Fünf Mann überfielen die Kutsche, das weißt du doch. Mit Gus wären wir fünf. Du weißt jetzt, daß Wadell das Geld niemals hatte und auch nichts mit dem Überfall zu tun hatte, Bronston. Du kannst denken, du menschlicher Spürhund, du mörderischer. Schlimm, wenn einer zuviel denkt, Bronston. Wir sind eurer Fährte gefolgt, weil wir hofften, ihr würdet uns zu Wadell
bringen. Der Kerl weiß zu gut, daß er unschuldig ist. Er könnte uns Ärger machen, meinst du nicht?« »Ich denke nie mehr, ich schwöre es, ich habe euch nie gesehen, ich weiß von nichts!« brüllte Bronston mit überschnappender Stimme. »Denville, über meine Lippen kommt kein Wort!« »Haut ab, ihr Ratten, aber schnell!« knirschte Denville. »Komm schon, wir müssen Wadell haben.« Er zog sein Pferd herum. Dann ritt er an, und die anderen folgten ihm. Bronston sah Joynes an und flüsterte gepreßt: »Schnell, laufen wir hinter die Steine. Ich traue dem Halunken nicht.« Sie rannten los, legten aber kaum zehn Schritt zurück, als in ihrem Rücken das Hufgetrappel jäh verstummte. Die Furcht schoß in Bronston hoch wie eine Flamme, und er sah sich um. Als er das Gewehr in Denvilles Händen erkannte, stieß er einen gellenden Schrei aus. Denville lachte höhnisch, indem er die Waffe hob. »Lauft!« schrie er ihnen zu. »Lauft wie Dutch-Charlie damals!« Bronston sah Joynes mit auf den Rücken gepreßten Händen auf die Felsen zuwanken, während es ihm die Beine wegriß. Er stürzte hin und wollte etwas sagen, aber er brachte nur ein Lallen über die Lippen. * Denville stieß mit dem Fuß die Asche des erloschenen Feuers auseinander. Dann legte er seine Hand hinein und zog sie sofort wieder zurück. »Warm, ziemlich heiß noch«, keuchte er aufgeregt. »Keine Stunde her, seit das Feuer erloschen ist. Der Kerl hat gemütlich
sein Abendessen zubereitet.« Sie waren auf der Spur der beiden Kopfgeldjäger zurückgeritten und hatten die Fährte der Pferde gesehen, die die Spur der Kopfgeldjäger schnitt. Danach hatten sie aus der Richtung ersehen, daß Wadell nicht zu der Bergranch geritten sein konnte, auf der Gus Denville seit Monaten hauste. Jim Wadell hatte die Richtung zur Stadt eingeschlagen. Er schien bis Mitternacht reiten zu wollen, sonst hätte er nicht so früh sein Abendessen bereitet. Er konnte Silverton erst gegen Mitternacht erreichen, da er langsam ritt. »Der Hund hat keine Eile«, bemerkte Lewis, ein schwergebauter Mann mit krausen, roten Haaren. »Er weiß, daß die beiden Halunken zu Fuß nicht ein Drittel der Strecke schaffen. Wie weit kann er jetzt sein, Lester?« »Zehn Meilen höchstens, wir haben ihn in drei Stunden«, knurrte Denville. »Er müßte schon schneller geritten sein, aber er hat die Pferde der Menschenjäger dabei. Vorwärts, wir haben ihn, ehe der Mond weg ist.« * Das Mondlicht beschien die Schlucht. Es tauchte die linke Wand in helles Licht, unter der Wadell jetzt geritten kam. Er hatte sein Ersatzpferd hinter sich, während er die beiden anderen Pferde an der linken Flanke führte. Sie sahen ihn so kommen, warteten jetzt zehn Minuten und hatten ihn überholt, um sich dann über der Schlucht in Deckung zu werfen. Ihre Pferde standen etwa achtzig Schritt hinter ihnen. Sie wollten vermeiden, daß einer von Wadells Gäulen ihre Pferde witterte. »Verflucht, er hat die Pferde an dieser Seite!« fluchte Denville bissig. »Sie werfen Schatten, und er reitet verdammt
nahe an der Wand entlang. Paßt auf, sobald er an den großen Steinen vorbei und genau auf unserer Höhe ist, schießen wir ihn ab.« Im gleichen Augenblick sah Denville, wie ihre Pferde losjagten und links der Pferde der kleine, geduckte Schatten eines Mannes herrannte. Dann setzte auch schon der Hufschlag laut ein. Das Echo erreichte jetzt die vier Banditen, aber ehe sie sich herumwerfen konnten, stand der kleine Mann still. Denville erkannte deutlich das Blinken des Mondlichtes auf dem Lauf eines Gewehres über sie. Er schrie schrill los, um die anderen zu warnen, und sah aus den Augenwinkeln, daß sich Lewis herumwarf. Lewis kam mit seinem Gewehr hinter dem Felsbrocken hoch. Er stand, riß die Waffe an die Schulter und konnte von Wadell unten in der Schlucht nicht gesehen werden. In diesem Moment schlug der Feuerstrahl aus dem Gewehr des kleinen Mannes hoch. Im Brüllen des Schusses schrie Lewis kurz und durchdringend auf. Sein Gewehr donnerte los, aber die Kugel knallte in den Steilhang unter dem kleinen Schatten. Kies spritzte auseinander. Lewis flog an die Felsen zurück. Er taumelte an ihnen entlang. Seine Beine trugen ihn, bis er um sie kam und mit einem kurzen Schritt ins Leere trat. Dann verschwand Lewis über die Kante. Die anderen hatten sich herumgeworfen, als der Schuß oben fiel. Erst Denville dachte an Wadell, fuhr zurück und sah weder die Pferde noch etwas von Wadell. Jim Wadell war verschwunden, der tiefe Schatten zwischen den Felsblöcken unten hatte ihn aufgenommen. »Die Pferde!« brüllte Patterson entsetzt. »Sie sind fort! Unsere Pferde!« »Halt!« schrie ihm Denville zu. »Halt an, du Narr, halt, da oben ...« Patterson schien nur noch an sein Pferd zu denken. Er rannte
geduckt los, starrte mit der Waffe im Hüftanschlag nach oben und sah den kleinen Mann oben nicht mehr. Ehe er jedoch am Ende des Hanges war, tauchte weiter rechts das Gewehr des kleinen Mannes hinter einem Stein auf. Denville sah es und schrie Patterson eine Warnung zu, doch es war bereits zu spät. Zwar feuerte Patterson aus vollem Lauf, aber er traf weder den Stein noch erwischte er den kleinen Mann oben. Dafür krachte es hinter dem Stein, und Patterson blieb im vollen Lauf stehen. Das Gewehr entfiel seinen Händen, er griff sich an den Leib und krümmte sich zusammen. So stürzte er auf die Knie und neigte sich nach vorn. Und dann schlug er auf die Brust. Shuyler stieß eine Reihe von Flüchen aus. Er machte hinter dem kleinen Steinwall kehrt, feuerte wie ein Rasender gegen die Hanghöhe und schrie plötzlich. In diesem Moment sah Denville, daß sich oben zwei Steine an der Hangkante lösten. Sie begannen über den Hang zu kollern, hüpften, sprangen, überschlugen sich und rissen weitere Steine los. Von jenem kleinen Mann war nichts mehr zu sehen. Nur die Steine kollerten mit immer größer werdendem Getöse den Hang herunter. Erst in dieser Sekunde begann Denville die volle Gefahr zu ahnen. Dort oben lagen genug Steine, um hier unten alles zu zertrümmern. »Deckung!« brüllte er Shuyler zu. »Deckung, schnell!« Shuyler kam hoch. Er flog nach links, um hinter größere Brocken zu kommen, aber die Steine kamen nun wie Geschosse angesegelt. Ehe Denville sprang, sah er, daß einer der kleineren Steine Shuylers rechtes Bein traf. Der Mann schrie gellend, er fiel hin, und zwei, drei andere Steine prallten nun gegen seinen Körper. Sie ließen Shuylers gellendes Geschrei verstummen. Denville warf sich geduckt herum. Er konnte es nicht fassen,
daß er allein sein sollte, als er loshechtete, um hinter einem Brocken sichere Deckung zu suchen. Noch hatte er nicht den dritten Sprung getan, als es unten aus der Schlucht aufbellte. Dann jagte ihm etwas in die linke Brustseite. Er stöhnte, knickte ein und fiel auf die Knie. Und dann rollte er auf den Rücken, das Gewehr noch in den Händen. So fand ihn Jim Wadell. Old Man Batson kam herab und starrte auf Denvilles bleiches, totes Gesicht. »Warum hat er es versucht?« fragte Old Man Batson verstört. »Er hatte keine Chance, das muß er gewußt haben, Jim. Verstehst du das? Jim, zwei Mann leben, ist das genug?« Wadell nickte. Er sah über das Tal hinweg. Jetzt lag wieder die Nachtruhe um ihn. Daß es sieben waren, wußte keiner von denen, die noch lebten. Der siebte Mann lag westlich der sechs anderen und war aschfahl geworden. In seinen Augen spiegelte sich die Furcht wider, als er sah, was unter ihm passierte. Er blieb wie erstarrt hinter einem Felsblock liegen und konnte vor Schreck einige Sekunden nicht reden. Es war zu spät für ihn, einzugreifen. Seit Stunden war er weit hinter Denville geritten, um zu erleben, wie Denville Wadell beseitigte. Er hatte es mit eigenen Augen sehen wollen, doch alles war anders gekommen, als er erwartet hatte. »Wadell«, keuchte er, »du dreimal verdammter Hund!« * GUSDenville richtete den Lauf der Schrotflinte auf die Tür. Mitternacht war vorbei, das Klopfen hatte Denville munter gemacht. »Wer ist da?« fragte Denville freundlich. Er war ein Meister
in der Verstellungskunst, ein eiskalter Mann mit dem Revolver, und er erwartete keinen Besuch. »Wer ist draußen?« »Ich«, antwortete der Mann vor der Tür. »Gus, mach schon auf.« Gus Denville griff nach dem Seil, das über seinem Bett hing und durch zwei Rollen bis zur Tür lief. Er konnte so die Tür durch einen Zug öffnen. Sie knarrte etwas, der Mann trat in den halbdunklen Raum und ging zum Tisch. Als die Lampe brannte, drehte er sich um. Er lächelte leicht, kam an Denvilles Bett und setzte sich auf den Stuhl. »Du bist schon wieder da?« brummte Denville finster. »Wenn ich schon mal schlafen kann, dann kommst du und störst mich. Was hast du denn jetzt?« Denville legte die Schrotflinte, deren Läufe abgesägt waren, auf das Wandbrett. Er konnte sie im Liegen mühelos erreichen. Und wenn Denville auch seit drei Monaten und vier Tagen ein Krüppel war - schießen konnte er immer noch. Die Beweglichkeit seiner Arme hatte er behalten, während seine Beine gelähmt waren. Wadells Kugel hatte ihm den letzten Stützwirbel angeschlagen, und er lag Tag und Nacht voll angekleidet auf seinem Bett, unzufrieden mit sich und hadern mit der Welt und seinem Schicksal. »Ich hielt es nicht mehr aus, ich mußte kommen«, meinte sein Besucher. »Ah, du hast Angst? Es geht nicht schief«, zischte Denville. Sein Gesicht rötete sich, es bekam rote Flecken vor Erregung, sobald er an Wadell dachte. »Doch, Gus. Es ist bereits schiefgegangen.« Der Mann stand auf. Gus Denvilles Augen weiteten sich langsam. Er sah in das dunkle Loch einer Revolvermündung. »Was - was soll das?« ächzte er. »Bist du verrückt? Was
willst du mit dem Colt?« »Lester kommt nicht«, sagte der Mann leise. Sein Gesicht war nun nicht mehr freundlich oder mitleidsvoll verzogen. Seine Augen blickten eiskalt auf Denville herunter. »Sie kommen alle nicht mehr, Gus. Wadell hat sie erwischt. Lester ist tot. In zwei Stunden dürfte Wadell hier sein, verstehst du?« »Nein!« schrie Denville. »Nein, das ist nicht wahr. Sie waren vier Mann, vier Mann und du lügst, du Kartenhai, du lügst, du gemeiner Strolch!« »Sie sind tot«, wiederholte der Mann sanft und kühl. »Ich sah sie sterben, als sie schon glaubten, Wadell zu haben. Es war seine Falle, nicht ihre, Gus. Er wird kommen und dich finden und das Geld!« »Das Geld?« Denvilles Augen zuckten, seine rechte Hand kroch über das Bett und bewegte sich auf das Regal und dem zu einem Revolvergriff geschnitzten Kolben der Schrotflinte zu. »Hund, du willst das Geld«, keuchte er. »Du findest es nicht. Es ist fort, es ist verschwunden — versteckt, durchgebracht!« »Du lügst«, kam die kalte Antwort zu ihm herab. »Gus, du warst immer der Boß deines Bruders, du hast immer bestimmt. Ich weiß, daß sie kaum Geld ausgegeben haben. Du wolltest doch mit den achtzehntausend Dollar nach Mexiko und dort ein sorgloses Leben führen, wie Gus? Darum ist das Geld noch da, du hast ihnen nicht erlaubt, es unter die Leute zu bringen und Girls für ein paar nette Stunden damit zu füttern. Das Geld ist hier, Gus, denn du hast gehofft, wieder gesund zu werden und dann dein erträumtes Leben in einem anderen Land zu führen. Es gibt kein anderes Leben, es gibt auch kein anderes Land.« Gus Denvilles Hand schnappte zu.
»Hund!« brüllte er, weil er wußte, daß der Mann ihn zu gut gekannt hatte. »Hund, noch hast du es nicht!« Seine Hand erfaßte den Kolben der Waffe, er wollte sie herumreißen und sah, wie der Feuerstrahl aus der Mündung des Revolvers schoß. Seine Hand riß nur noch die fürchterliche Waffe vom Regal, dann war er tot. »Du Narr!« stieß der Mann neben dem Bett heraus. »Du armer Narr, ich brauche Geld, viel Geld.« Er riß den Erschossenen von seinem Lager. Gus Denville fiel auf den Boden. Der Mann riß die Decke hoch, auf der Denville gelegen hatte. Er betastete den Strohsack und begann zu lachen, als er die Tasche endlich hatte. Denville hatte sie als Kopfkissen benutzt und in den Strohsack stecken lassen. * »Was machst du da?« schrie sie verstört. »Wozu packst du alles ein? Wo kommst du jetzt her?« Sie hatte geschlafen, ihr Gesicht wirkte nun nicht engelsgleich, sondern leicht verquollen. Ihr Haar war zerzaust, ihr Unterkleid, in dem sie immer schlief, wenn sie überhaupt etwas zum Schlafen trug, angeschmuddelt. Shelton starrte auf ihren bebenden Busen, das bleiche Gesicht ohne Puder, das seinen Reiz ohne Malerei verlor. Dann machte er weiter. Er warf seinen leichten Anzug in die Reisetasche, zwei Socken hinterher und noch ein Hemd. »Harvey!« kreischte sie. »Wo warst du? Ich will es wissen! Und was bedeutet dein Aufbruch? Harvey, ich habe ein Recht...« Er klappte die Tasche zu und griff nach den Satteltaschen. In diesem Moment fiel ihr Blick auf den offenen Geldschrank. Sie erkannte die Schwere der Taschen und rannte mit flatternden
Haaren, die Augen weit geöffnet, auf Shelton zu. »Harvey, das Geld, warum hast du den Schrank ausgeräumt? Harvey, was ist los? Sag es, sage es doch.« »Ich muß weg«, sagte er kalt. »Es ist vorbei, ich verschwinde. Wadell hat meine Freunde erwischt, er wird bald hier sein, Luisa.« »Nein!« schrie sie. Sie taumelte, klammerte sich aber an ihn wie eine Klette. »Nein, Harvey, nein. Nimm mich mit, Harvey, nimm mich mit, er bringt mich um, wenn er alles weiß.« »Mitnehmen, dich?« Er sah sie an wie ein giftiges Reptil. Seine Mundwinkel zogen sich verächtlich herab. »Du bist so eine«, zischte er. »Du bist eine von der Sorte, die mit einem Mann nicht genug haben. Gestern hast du Dave betrogen, morgen würde ich es sein, übermorgen mein Nachfolger, du billiges Stück. Du widerst mich an, du dumme Gans. In deinem Kopf ist nichts als Lust und Wonne. Du taugst nicht die Bohne!« »Harvey!« kreischte sie. »Harvey, nimm mich mit. Ich werde dir immer treu sein, ich werde nur dich kennen und ...« Er holte aus und schlug zu, und sie fiel mit einem dumpfen, ächzenden Laut zu Boden. Dort blieb sie reglos liegen. Drei Minuten später saß Shelton auf seinem Pferd und jagte los. * Shelton lachte in sich hinein, als er die Station mit zwei neuen Pferden verließ und Bishop, der Stationsleiter, ihn respektvoll zum Abschied grüßte. Narren, dachte er, zwei frische Pferde, der Abend nicht weit. Niemand holt mich ein, kein Wadell, kein Mensch auf dieser Welt. Durango heute, morgen auf halbem Weg nach
Albuquerque. In vier, fünf Tagen Mexiko. Und dann, Sonne, Frauen und Leben. Shelton ritt nicht allzu schnell. Es sollte aussehen, als hätte er eine Geschäftsreise angetreten. Das hatte er auch in der Station erzählt. Jetzt sah er den neuen Stall, die neue Scheune - und er verzog verächtlich die Lippen. Da wohnt der alte Wadell, schade, daß er ihm das Haus nicht anstecken konnte. Alle Wadells sollte der Satan holen. Das dachte er, als er am Eldorado vorbeiritt. Er sah den Jungen am Vorbau in einem Sandhaufen knien und etwas wie eine Burg bauen. Shelton mußte lachen, als er den Jungen betrachtete. Er erinnerte sich an McGulloch, den Spieler, und er hob den Kopf, weil es ihn nichts mehr anging. In diesem Moment sah Shelton zur Straßenbiegung. Das Pferd kam um die Ecke, es ging langsam. Der Mann saß im Sattel, die Hände auf dem Sattelhorn, den Blick auf Shelton gerichtet. Nein, dachte Shelton, nein, unmöglich, er kann noch gar nicht hier sein, er kann doch nicht . . . Er war es. Er ritt langsam um die Ecke, sein Pferd ging im Schritt, so kam er. Shelton stieß einen gurgelnden Laut der Furcht aus und sah sich um. Der Junge, schoß es ihm durch den Kopf, der Junge. Im nächsten Moment riß er mit einem Schrei sein Pferd herum. Er jagte an, genau auf den Jungen zu. Der kleine Bursche James McCord sah den Mann und die Pferde kommen. Er erhob sich, wollte auf den Vorbau treten und blieb erschrocken stehen. Shelton stürzte sich aus dem Sattel wie ein Geier auf den
kleinen McCord herunter. Es geschah so schnell, daß auch Jim Wadell nichts mehr tun konnte. Shelton packte den Jungen an den Haaren, und der kleine Bursche stieß einen Schmerzlaut aus. Danach warf Shelton den kleinen McCord herum. Seine Hand zuckte hoch, er hielt den Revolver in ihr und setzte ihn mit einem Ruck an den Kopf des Jungen. Leute waren stehengeblieben, als das Kind schrie. Sie sahen Shelton und dessen Revolver, sie sahen verstört zu Wadell, den Mann, der achtzehntausend Dollar geraubt und seinen väterlichen Freund Big Dave Greener umgebracht hatte. Sie sahen den Mann, auf dessen Kopf fünftausend Dollar Belohnung standen, jäh anhalten. »Wadell!« schrie Shelton mit schriller, hallender Stimme über die Straße. »Wadell, keinen Schritt näher, sonst drücke ich ab. Ich schieße den Jungen nieder, Wadell! Bleib da, ich will freien Abzug. Du läßt mich laufen, oder das Kind hier stirbt!« Wadell war aus dem Sattel, er hob die Hand und trieb die Pferde zur Seite. »Du Lump!« sagte er scharf und grimmig. »Laß den Jungen los, sonst breche ich dir das Genick, du Schurke. Ich weiß alles, Shelton, ich weiß, was du in den Satteltaschen hast und wer für dich Big Dave ermordete. Ich weiß, daß der Überfall eigentlich mir galt. Aber du bist ganz zufrieden gewesen, daß der verdammte Zufall Big Dave in die Kutsche steigen ließ. So sollten wir beide sterben, aber ich lebe. Und ich stehe hier für Big Dave Greener, den besten Mann nächst meinem Vater. Laß den Jungen frei, sonst reiße ich dich in Stücke!« Er ging, aber Shelton spannte den Hammer. Das Klicken tönte laut genug über die Straße. »Halt!« kreischte Shelton. »Stehenbleiben, Wadell! Ich
schieße ihm den Kopf herunter. Wenn du noch einen Schritt machst, dann gibt es einen Wadell weniger auf der Welt. Du Narr, soll ich deinen Sohn umbringen? Sieh an, blicke auf meinen Revolver, er sitzt deinem Sohn an der Schläfe. Was hast du denn, he, warum bleibst du nun stehen? Du glaubst mir nicht, was? Nun gut, du Narr, frage Carry McCord, frage deine ehemalige Freundin danach, wer der Vater dieses prächtigen Burschen hier ist, los, ruf sie, frage sie doch. Sie war nie verheiratet, die ganze Geschichte war eine einzige, von Nat McCord aufgezogene Lüge, um die Leute zu tricksen. Der Spieler McGulloch war in Wahrheit Carrys Vetter. Du warst drei Monate im Auftrag der Western fort, und Carry merkte, daß sie ein Kind von dir erwartete. Der alte Nat McCord beschwatzte sie wegen der Schande und dem Gerede der Leute zu der Komödie. Sein Neffe spielte den Ehemann. Carry ging davon, sie bekam den Jungen, deinen Jungen, Mister, verstehst du?« Jim Wadell stand still. Er preßte seine Fingernägel in die Handballen, bis sie schmerzten. Nein, dachte Wadell, nein, es ist nicht wahr. Der Spieler, damals - ihr Vetter. Sie bekam ein Kind, und Nat McCord schickte sie weg? »Frag Carry!« schrie Shelton weiter. »Frag sie doch! Es ist die Wahrheit, Wadell!« Die Wahrheit? dachte Wadell. Und ihm war, als setze irgendwo in seinem Kopf Paukenschlag ein und drohte ihm den Schädel zu zersprengen, alles wahr, er heißt James. Sie war nie verheiratet, sie hat nur mich die ganzen Jahre geliebt. Und seinem Sohn war sie eine gute Mutter. Ich aber, ich habe sie beleidigt. Die Pauke dröhnte immer wilder. Er sah Schleier vor den Augen. Und plötzlich schrie er mit einer Stimme, daß die Scheiben der umliegenden Häuser klirrten: »Du Hund, laß ihn
los, laß ihn los!« Er schrie, er sah rote, wogende Schleier. Der Kerl da hielt seinen Sohn fest. Der Lump hielt Rubys Sohn den Colt an die Schläfe. Plötzlich ging durch seinen großen Körper ein Zucken. Irgendwo in seinem Gehirn saß ein Gedanke. Er würde schießen, wußte Wadell, aber er würde zuerst auf ihn, Wadell, feuern. Soll er schießen, schoß es Wadell durch den Kopf, die Kugel nehme ich, die stecke ich ein. Aber er muß dazu den Revolver von James' Kopf nehmen. Und dann bekommt er meine Kugel. Rubys Sohn, mein Sohn, und der wagt es. Ruby muß ja vor Angst sterben! Er stürzte los, ein großer, sehniger Mann. »Halt!« schrie Shelton. »Halt, du Hund, ich drücke ab, ich drücke ab!« Sein Colt fuhr vom Kopf des kleinen James und schwang zuckend hoch. Jetzt, dachte Wadell und spannte die Muskeln an, jetzt freß ich sein Blei, aber meins kriegt er auch. Es war ein Doppelknall. Jim Wadell lief weiter und wunderte sich, daß nichts ihn anstieß und nichts ihn umwerfen wollte. Er lief, bis er die Tür des Eldorado langsam aufgehen sah. Er hörte jemand schreien und sah, wie Shelton den Jungen freigab. James blieb stehen, als hätte er nichts von all den fürchterlichen Dingen begriffen. Er schrie und weinte auch nicht. Shelton machte einen Schritt und noch einen. Dann neigte er sich nach vorn. Sein Körper fiel steif wie ein Brett in den Staub der Fahrbahn. Aus der Tür des Eldorado kam zuerst eine auf die Vorbaudielen deutende Hand. In der Hand lag ein Derringer,
dessen beide Läufe rauchten. Dann erschien ein Arm - und danach Ruby McCord. Wadell sah ihr kupfernes Haar und die fürchterliche Blässe ihres Gesichtes. Jetzt blieb sie stehen, ihr Rücken berührte den linken Türpfosten. Sie lehnte sich an ihn und sah über den kleinen James hinweg auf den großen James Wadell. Er lief immer noch, er streckte nur den Arm aus und hob den Jungen an seine breite Brust. Dann lief er weiter. Er blickte in Rubys Augen und sah den Derringer aus ihrer Hand auf die Bohlen poltern. Ihre Lippen bewegten sich, sie flüsterte nur. »Jim - Jim, ich mußte es tun. Als er den Revolver von seinem Kopf nahm — dachte ich — ich mußte es tun, Jim ich...« Ihr Seufzer ließ ihn mit der anderen Hand zugreifen. Er packte sie um die Hüfte und riß sie an sich. Ihr Kopf mit dem langen, seidenweichen Haar sank an seine Schulter. Dann tasteten ihre Hände über seine Jacke, bis sie seinen Hals erreichten und sich um seinen Nacken legten. »Mein Gott«, stöhnte Wadell. »Ruby, ich — ich ...« »Wenn du mich nur liebst«, stammelte sie. »Wenn du mich nur immer liebst, Jim, dann - ist alles gut.« Ich verdiene sie nicht, dachte er. Kein Mann verdient so eine Frau. Wahrscheinlich gibt es zu wenige von ihnen. Man müßte wohl höllisch lange suchen. Und ausgerechnet ich und sie und der Junge. Sie - sie hat Gavin das Geld für Dad gegeben. »Jim!« Der alte Wadell schrie, seine Stimme grollte. Dann war er da und nahm Jim den kleinen Mann ab. »Ho, verdammt, Bomben, Granaten und Kanonenschlag, komm her, du kleiner Bursche. Komm zu deinem Großvater. Oha, James Wadell, was hast du für eine prächtige Mutter. Carry McCord, das hätte keine Wadell besser machen können.
Komm, mein Söhnchen, der Großvater zeigt dir ein drei Tage altes Fohlen, du willst es doch sehen, wie? Du mußt jetzt deine Mutter und deinen Vater allein lassen, verstehst du?« Er sagte nichts, der kleine Bursche, er hockte auf des Großvaters gewaltigem Arm und umklammerte seinen Hals. Der Teufel, dachte John Wadell -er blinzelte wie eine Eule -, der Teufel, der verdammte Wind treibt mir den Sand in die Augen. Ich werde doch nicht wie ein altes Weib flennen? Dann ging er davon. Erst drüben sah er sich um. Ruby stand noch immer mit den Armen um Jims Hals auf dem Vorbau. Doch nun hob sie den Kopf, und Jim schwenkte sie herum, bis sie vor seiner Brust lag. Dann trat er gegen die Saloontür. So verschwanden sie vor Old John Wadells Blicken. -ENDE-