Antje Hornscheidt Die sprachliche Benennung von Personen aus konstruktivistischer Sicht
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Linguistik ⫺ Impulse & Tend...
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Antje Hornscheidt Die sprachliche Benennung von Personen aus konstruktivistischer Sicht
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Linguistik ⫺ Impulse & Tendenzen Herausgegeben von
Susanne Günthner Klaus-Peter Konerding Wolf-Andreas Liebert Thorsten Roelcke 15
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Antje Hornscheidt
Die sprachliche Benennung von Personen aus konstruktivistischer Sicht Genderspezifizierung und ihre diskursive Verhandlung im heutigen Schwedisch
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-018526-3 ISBN-10: 3-11-018526-1 ISSN 1612-8702 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ⬍http://dnb.ddb.de⬎ abrufbar.
쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort Meine Motivation für meine linguistische Forschungsarbeit resultiert aus meiner Neugier, wie Sprache funktioniert und als was sie konkret fungiert. Sprache gibt es für mich nicht jenseits sprachlicher Handlungen, sondern ist Handlung. Sie spielt eine Rolle für die unterschiedlichsten Konzeptualisierungen von Welt, beispielsweise für die Fragen, wie Gesellschaften aus welcher Perspektive aussehen und verstanden werden und was wir als solche wahrnehmen, wie und was Menschen jeweils konkret sich vorstellen und vorstellen können, welche Machtaspekte deutlich und welche unsichtbar bleiben und was überhaupt als Macht verstanden wird – „language matters“ in einem umfassenden Sinne. Dies durch die Untersuchung einer konkreten, gesellschaftlich äußerst relevant Frage, der Konzeptualisierung von Gender, genauer zu untersuchen, ist für mich grundlegend in der Entscheidung für diese Forschung gewesen. Dass ich überhaupt die Möglichkeit zur Entscheidung zu forschen hatte, habe ich im Verlauf dieser Forschungsarbeit immer mehr auch als ein Privileg meiner westeuropäischen weißen Herkunft und kontinuierlich reproduzierten Selbstverortung, meiner Bildungschancen und meines privilegierten Lebenszusammenhangs anfangen können zu begreifen. Die Privilegien dieser meiner eigenen Normalvorstellung sind auch durch sprachliche Normalisierungen getragen, die ich nicht hinterfragt habe. Auch an diesem Punkt habe ich angefangen zu verstehen, welche Wirkmacht Prozesse sprachlicher Benennung und Nichtbenennung haben. Damit verbunden und darüber hinausgehend hätte ich diese Zeit intensiver Forschung nicht leben können ohne das Interesse von anderen Menschen an meiner Arbeit, ihr Zutrauen in meine ‚Zugänge’ zu Sprache und Identität, ihr Vertrauen in meine Fragen und Perspektivierungen. Dafür möchte ich besonders Henriette Freudenberg, Annelie und Klaus Hornscheidt, Gabriele Jähnert, Charlotta Brylla und den Gutachtenden meiner Habilitationsschrift Jurij Kusmenko, Anne Pauwels und Damaris Nübling danken. Den Kolleginnen und Kollegen des NordeuropaInstituts der Humboldt-Universität zu Berlin danke ich darüber hinaus zusätzlich auch für einen institutionellen Rahmen, der mir immer Freiheit
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Vorwort
in meinen Entscheidungen gelassen und Bestärkung zu meiner Forschung gegeben hat. Den Studierenden insbesondere der Geschlechterstudien an der HU danke ich für ihr großes Interesse und die Neugier, mit der sie meine Positionen herausgefordert und mir dadurch neue Perspektivierungen eröffnet haben. Eine langfristige Förderung über das C1/C2-Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an den Hochschulen des Landes Berlin hat mir überhaupt die Möglichkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten geboten. Auch dafür möchte ich mich bedanken. Ganz besonders ist diese Arbeit mit Elke Millauer verbunden, was nur unzureichend durch Dank ausgedrückt werden kann. Antje Hornscheidt
Berlin, 3. Januar 2006
Ich widme die Arbeit dem auch wissenschaftlichen Andenken an Günther Freudenberg († 2000) Christian Tobler († 2002)
Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................... V Einleitung .............................................................................................................. 1 1. Erkenntnistheoretische Grundlagen zur Analyse von Genderspezifizierung personaler Appellation.........................................11 1.1 Einleitung .............................................................................................11 1.2 Ein konstruktivistisches Sprachverständnis: von einer strukturalistischen zu einer poststrukturalistischen Auffassung...13 1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses für die vorliegende Arbeit .......................................31 1.4 Ein poststrukturalistisches Verständnis von Gender .....................45 2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Apellation......................................................................................................51 2.1 Einleitung .............................................................................................51 2.2 Infragestellung des Konzepts der Referenz und Etablierung des Konzepts Appellation .................................................................53 2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument für genderspezifizierende personale Appellation ..................................89 2.4 Terminologische Differenzierungen zur Kategorisierung personaler Appellation in Bezug auf Gender ..................................99 2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene der Genderspezifizierung personaler Appellation ...............................111 2.6 Ein konstruktivistisches Modell zur Untersuchung von Genderspezifizierung personaler Appellation ...............................125 2.7 Ausblick ..............................................................................................129 3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen im Schwedischen...................................................133 3.1 Einleitung ...........................................................................................133 3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation im heutigen Schwedisch ..............................................140 3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation im heutigen Schwedisch ............................................. 253 3.4 Zusammenfassung ............................................................................ 268 4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht.... 272 4.1 Einleitung .......................................................................................... 273
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Inhaltsverzeichnis
4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes zu strategischer Sprachveränderung auf der Grundlage traditioneller Sprachwandelmodelle ............................................... 277 4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen ....................................................................... 288 4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung aus einer konstruktivistischen Sicht............ 323 5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen ............................................................................................ 331 5.1 Einleitung .......................................................................................... 331 5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ..........................................................................333 5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts – Tendenzen und Institutionalisierungen mit Hinblick auf personale Appellation und Gender.................. 361 5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien für das Schwedische in Bezug auf Genderspezifizierung ............................................... 381 5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender im heutigen Schwedisch .................................................... 435 6. Produktion personaler Appellationsformen – quantitative und qualitative Korpusauswertungen schwedischer personaler Appellation unter Genderaspekten ....................................445 6.1 Einleitung .......................................................................................... 445 6.2 Methodische Diskussion.................................................................. 447 6.3 Untersuchungskorpus....................................................................... 451 6.4 Konventionalisiert genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen ...............................................459 6.5 Konventionalisiert genderspezifizierend grammatikalisierte substantivische Appellationsformen durch Suffigierungen........ 556 6.6 Konventionalisierte Genderspezifizierung durch Attribuierung mit kvinnlig ‚weiblich‘ und manlig ‚männlich‘ ........ 589 6.7 Strategien der Genderspezifizierung und Genderneutralisierung bei Personalpronominaformen .............. 594 6.8 Ausgewählte genderunspezifizierende substantivische personale Appellationsformen ........................................................ 606 6.9 Zusammenfassung der Ergebnisse der Korpusauswertungen... 610 7. Ausblick .................................................................................................... 614 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 628
Einleitung Vielleicht kann ich mich einmal erkennen, eine Taube einen rollenden Stein... Ein Wort nur fehlt! Wie soll ich mich nennen, ohne in anderer Sprache zu sein. Bachmann 1982: 201 Why is it that we sometimes do feel that if a term is dislodged from its prior and known contexts, that we will not be able to live, to survive, to use language, to speak for ourselves? Butler 1997a: 162 Seit uns die Namen in die Dinge wiegen, wir Zeichen geben, uns ein Zeichen kommt, ist Schnee nicht nur die weiße Fracht von oben, ist Schnee auch Stille, die uns überkommt. Bachmann 1982: 892
Identitäten werden durch ihre sprachlichen Benennungen sozial relevant und auf diese Weise zu interaktiv hergestellter und erlebter Realität. Dies geschieht in einem kontinuierlichen Prozess von Selbst- und Fremdzuschreibungen, in dem Sprache ein aktiv angewendetes Mittel der Konstruktion entsprechender Kategorisierungen ist. Sprachliche, auf Menschen bezogene Benennungen werden im folgenden als personale Appellation bezeichnet, was den Handlungsaspekt der Benennung betont. Ohne die Möglichkeit der kategorialen Benennung von sich selbst, der identifikatorischen Bezeichnung und der Abgrenzung des und vom Anderen, wäre keine Kommunikation über Identität denkbar. Personale Appellationsformen, die verbalen Mittel zur Appellation von Personen, stellen zentrale sprachliche Mittel dieser Konstruktion dar. Manche der appellativen Kategorisierungen finden sich in einer Sprachgemeinschaft über lange
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Entnommen aus dem Gedicht „Wie soll ich mich nennen“: Bachmann, Ingeborg 1982 Werke Band 1: Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen: 20. Entnommen aus dem Gedicht „Von einem Land, einem Fluß und den Seen“: Bachmann, Ingeborg 1982 Werke Band 1: Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen: 84-94.
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Einleitung
Zeiträume sprachlich in Formen von Lexemen ausgedrückt3 und werden innerhalb der entsprechenden Gruppe als so selbstverständlich erlebt, dass die mit ihrer Nennung permanent vollzogene ReKonstruktion4 von Identitäten und Zuschreibungen einer bewussten Konzeptualisierung entgeht und die Vorstellung ihrer Natürlichkeit und sprachlichen Vorgängigkeit dadurch verfestigt wird. Als Ausgangspunkt der Frage der Konzeptualisierung von Identitäten wird in der vorliegenden Arbeit die Kategorie Gender5 gewählt, da sie als ein grundlegender Faktor der Herstellung von Identität angesehen wird und einer weitgehenden Natürlichkeitserwartung und -vorstellung unterliegt, wie konkret für unterschiedliche Diskurse aufzuzeigen ist. Die Auffassung von Gender als einer natürlichen Kategorie menschlicher Zugehörigkeit und Identität ist beispielsweise grundlegend von Butler (1990) analysiert worden und wird in der vorliegenden Arbeit auf eine Untersuchung personaler Appellation fokussiert. Während in der Nachfolge zu Butler (1990) Sprache vor allem als Mittel symbolischer Konstruktion von Gender und Genderverhältnissen ins Blickfeld gekommen ist, ist dies in der Linguistik, bezogen auf personale Appellationsformen, bisher nicht systematisch untersucht worden. In der vorliegenden Arbeit geht es zum einen darum, welche Erkenntnisse eine linguistische Analyse zu diesem Thema beitragen kann und zum anderen wird analysiert, welche Konzeptualisierung von Sprache, Bedeutung und Gender der linguistischen Beschäftigung zu Grunde liegt und welche Vorannahmen in Bezug auf Fragestellung, Methode und Herangehensweise dadurch festzustellen sind. Die Natürlichkeitsannahme für bestimmte identifikatorische Kategorisie-rungen geht mit einer Sprachsicht und einem wissenschaftlichen Umgang mit Sprache einher, in denen Sprache ein Abbildcharakter einer außerhalb ihrer selbst zu verortenden Realität zugeschrieben wird. Sprache repräsentiert in dieser Sicht das außersprachlich Vorhandene. In der vorliegenden Studie wird diese Auffassung von einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse ausgehend hinterfragt und anhand des Bereichs personaler Appellation im heutigen Schwedisch kon-
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Zu denken ist in Bezug auf Genderspezifizierung beispielsweise an vertikale aufstrebende Verwandtschaftsbezeichnungen ersten Grades, im Deutschen Mutter und Vater. Die an dieser Stelle und im Verlauf der gesamten Arbeit gewählte, unkonventionelle Schreibweise gibt einem konstruktivistischen Verständnis von Sprache Ausdruck, wie es in der vorliegenden Arbeit entwickelt wird, indem es auf die Annahme der Bedeutungsketten nach Derrida (1983) verweist und die Vorstellung eines Ursprungs von Bedeutung ablehnt. Dieser Gedanke wird in den nachfolgenden Kapiteln ausführlicher dargestellt. Gemäß einer konstruktivistischen Perspektive wird in dieser Arbeit die Begrifflichkeit Gender statt Geschlecht gewählt. Ausführlicher dazu ist Kapitel 1.4.
Einleitung
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kret untersucht. Es wird dargestellt, welche methodischen und inhaltlichen Konsequenzen eine konstruktivistische Perspektive auf den Erkenntnisgegenstand personale Appellation hat, wenn Sprache nicht als Repräsentations-, sondern als Konstruktionsmedium verstanden wird. Es wird herausgearbeitet, welche sprachlichen Mittel der Genderspezifizierung für die Konzeptualisierung personal appellierender Kategorisierungen im heutigen Schwedisch festgestellt werden können und welche in welchen Kontexten, Diskursen und in welchem Umfang realisiert werden. Personale Appellation wird als eine Manifestierung von Kategorisierungen angesehen, die einerseits kulturell geprägt sind und andererseits Auswirkungen auf Konzeptualisierungen haben können. Diese möglichen Ebenen werden auf ihre gegenseitige Bedingtheit hin befragt, wozu sich die gesamte Studie als eine Diskursanalyse versteht, in der auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Diskurse analysiert und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Ihren linguistischen Ausgangspunkt nimmt die Studie auf der Ebene des sprachlichen Materials in personalen Appellationsformen und auf der Ebene des Ansatzes in einer perspektivischen Variante der Pragmatik. Während personale Appellationsformen in der traditionellen Linguistik in der Regel als ein Phänomen auf der Ebene von Wortbildung und Grammatik angesehen und im Rahmen eines strukturalistisch-linguistischen Selbstverständnisses untersucht werden, wird hier ein perspektivischpragmatischer Ansatz gewählt, der in Teilen als Ergänzung zu strukturalistischen Studien zu personaler Appellation lesbar ist, in Teilen jedoch auch eine Herausforderung an diese darstellt, indem personale Appellation neu konzeptualisiert wird. Hiervon ausgehend wird in der vorliegenden Studie ein konstruktivistisches Modell zur Analyse personaler Appellation vorgeschlagen, welches aus einer Verknüpfung perspektivisch-pragmatischer und kognitiv-linguistischer Ansätze entwickelt wird und sowohl inhaltliche und disziplinäre als auch methodische Konsequenzen hat, die in den einzelnen Kapiteln ausgeführt werden. Die Kategorie Gender hat eine hohe Relevanz für personale Appellationspraktiken. Mit Gender als Ausgangspunkt der Betrachtung personaler Appellation ist eine Reflexion einschlägiger linguistischer Beschäftigung möglich, was eine kritische Analyse linguistischer Praktiken bedeutet und sich als historiografisch versteht. Es wird nicht nur untersucht, welche Möglichkeiten zur personalen Appellation konventionalisiert im heutigen Schwedisch zur Verfügung stehen, sondern auch, welche realisiert werden und wie der fachwissenschaftliche Umgang mit dem Thema aussieht. Durch die Betrachtung des Themas auf den verschiedenen Ebenen seiner
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Einleitung
Verhandlung – im Alltagsdiskurs, im öffentlichen Diskurs vor allem der schriftsprachlichen Medien und im fachwissenschaftlichen Diskurs – wird zugleich auch die Interdependenz der Annahmen dieser verschiedenen Bereiche herausgearbeitet. Der heutige schwedische Sprachgebrauch ist für eine entsprechende Fragestellung auch insofern besonders interessant, als dass Schweden im westeuropäischen Heterostereotyp wie auch im Autostereotyp als das Land mit der am weitestgehend realisierten Gendergleichstellung gilt. Interessant ist, ob sich auch in schwedischer Sprachpolitik und feministischer Politik zeigt, welche Relevanz Sprache beigemessen wird und welche Sprachveränderungen auf der Grundlage spezifischer Gender- und Sprachvorstellungen vorgeschlagen und realisiert worden sind. Aus dieser Perspektive positioniert sich die vorliegende Studie zwischen verschiedenen disziplinären Zugängen, deren enge Verzahnung und gegenseitige Bedingtheit ebenfalls heraus gearbeitet werden soll. So verstanden ist diese Monografie ein Plädoyer für eine transdisziplinäre Herangehensweise zum Themenkomplex Sprache und Denken, welches an dem Beispiel der Konstruktion von Gender durch sprachliche Mittel personaler Appellation exemplifiziert wird. Eine konstruktivistisch verstandene Linguistik nimmt in dieser Analyse mit ihrer starken Betonung sprachlicher Prozesse einen zentralen Platz ein. Entsprechend diesen verschiedenen, eng miteinander verknüpften Ebenen der Betrachtung ist die Zielsetzung der Arbeit sowohl konkret inhaltlich in Bezug auf eine Analyse personaler Appellation im heutigen Schwedisch als auch methodisch-theoretisch in Bezug auf die Entwicklung eines konstruktivistischen Modells zur Analyse personaler Appellation lesbar. Darüber hinausgehend ist die Operationalisierung konstruktivistischer Ansätze zu Gender für eine linguistische Analyse ebenso eine Zielsetzung wie eine Herleitung der transdisziplinären Eingebundenheit einer linguistischen Analyse, die hier im Kontext sprachphilosophischer, soziologischer, psychologischer und politikwissenschaftlicher Zugänge und Erkenntnisinteressen verortet wird. Mit dem linguistic turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, der grundlegende methodologische Konsequenzen hatte und bis heute ein ausschlaggebender Motor für eine Reflexion disziplinärer Praktiken und Grenzziehungen ist,6 entwickeln sich Status, Rolle und Funktion von Sprache zu einem zentralen Erkenntnisin-
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Vgl. Hornscheidt (1997).
Einleitung
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teresse geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungen. Sprachliche Manifestationen sind zu einem zentralen Untersuchungs‚objekt‘ geworden. Gleichzeitig wurde mit der Veröffentlichung von Butler (1990) die diskursive Konstituiertheit von GenderIdentität zu einer Leitfrage U.S.amerikanischer und westeuropäischer Frauen- und vor allem Genderforschung. Diese Frage wurde, in unterschiedlichem Umfang, von allen Disziplinen aufgenommen und umgesetzt. Optimistisch formuliert könnte man zunächst annehmen, dass der linguistic turn mit seiner Fokussierung sprachlicher Prozesse zu einer Aufwertung linguistisch-disziplinären Forschens im inter- oder transdisziplinären Gesamtkontext beigetragen habe. Entgegen dieser Annahme wird massive Kritik an einem linguistischen Vorgehen geübt, welches als strukturalistisch und auf Schriftsprachlichkeit fixiert kritisiert wird. Diese Kritiken, die unter anderem prominent – und für andere Disziplinen konsequenzenreich – von Derrida (1983), Bourdieu (1991) und Foucault (1974) formuliert worden sind, sind an weiten Teilen der Linguistik, vor allem im westeuropäischen Raum, bisher ohne nennenswerte Rezeption vorübergegangen. Liegt dies daran, dass die Kritik so vernichtend ist, dass nur ihre Ignorierung als ein möglicher, auf Selbsterhaltung bedachter Umgang erscheint? Oder trifft sie so wenig auf die Linguistik zu, dass sie schlichtweg ignoriert werden konnte? Warum aber spielt die Disziplin Linguistik als Methode und Inhalt eine so untergeordnete Rolle im linguistic turn der Sozial- und Kulturwissenschaften, wo es doch eigentlich um eine Neubewertung sprachlicher Prozesse geht? Erst in den letzten Jahren finden sich verstärkt Ansatzpunkte für Bezüge und Aufnahmen entsprechender Ideen, und linguistische Umsetzungen zeigen sich beispielsweise in der linguistischen Gesprächsanalyse und der Kritischen Diskursanalyse. Die thematisch ausgerichtete Frage personaler Appellation spielt in beiden Entwicklungen eine untergeordnete Rolle. Durch die vorliegende Analyse wird begonnen, diese Lücken zu schließen. Dabei wird ein sozialkonstruktivistisches Verständnis von Diskursanalyse als ein übergeordneter Rahmen für die gesamte Arbeit gesehen.7 Die Fragen geben einen Einblick in ein hinter dieser Studie liegendes größeres Erkenntnisinteresse im Hinblick auf die theoretische und methodische disziplinäre Bestimmung der Linguistik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ausgehend von diesem Erkenntnisinteresse gibt die vorliegende Untersuchung in Form einer
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Es wird in dieser Arbeit ein linguistisch basiertes, sozial-konstruktivistisches Verständnis von Diskursanalyse zu Grunde gelegt, welches sich vor allem an Mills (1997) und Winther Jørgensen und Phillips (2000) orientiert und dabei auch konkrete methodische Instrumente der Kritischen Diskursanalyse nach Fairclough (1992a, 2003) verwendet.
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Einleitung
Detailstudie Aufschluss über die disziplinären Konzeptualisierungen von Sprache und Bedeutung und ihre Perpetuierung in einer größeren Öffentlichkeit. Bezogen auf den Erkenntnisgegenstand Gender in personaler Appellation wird untersucht, wie Sprache, Bedeutung und strategische Sprachveränderungen innerhalb der Disziplin konzeptualisiert und in Argumentationen ausgehandelt werden. Personale Appellation wird in diesem Zusammenhang als ein geeigneter Untersuchungsgegenstand angesehen, da es sich um ein sprachliches Phänomen handelt, an welchem Fragen der RePräsentation, des Verhältnisses von ‚Sprache‘ und ‚Wirklichkeit‘ und unterschiedlicher linguistischer Analyseebenen erörtert werden können. Alle diese Aspekte spielen bei der Beschäftigung mit der linguistischen Konzeptualisierung von Sprache und Bedeutung eine Rolle. Neben den Bedingungen und Wirkungsweisen epistemologischer Macht, durch sprachliche Mittel der personalen Appellation auf die symbolische Konstruktion von Genderzugehörigkeiten, -differenzen und – verhältnissen bezogen, wird gleichzeitig auch das Verhältnis von epistemologischer zu sozialer Macht untersucht. Während Diskursanalysen im Anschluss an Butler (1990) besonders die Dimension der symbolischen Konstruktion von Gender fokussieren, bleiben Aspekte sozialer Macht bezogen beispielsweise auf Aspekte sprachlicher Benennungen häufig unbeachtet. Soziale Macht zeigt sich u.a. darin, wer in welchen Kontexten, Situationen und Zusammenhängen Definitionsmacht besitzt. Es werden Fragen nach den Produktionsbedingungen und Wirkungskontexten von Diskursen gestellt. Für Bourdieu (1990) bedeutet dies ein Fragen danach, wer spricht und wie gesprochen wird. In dieser Fokussierung bleiben Fragen nach dem Inhalt des Gesprochenen wenig berücksichtigt. Die Relevanz der Verzahnung der epistemologischen und sozialen Aspekte von Macht in einer Analyse wird in der vorliegenden Untersuchung durch eine Verknüpfung der Analyse unterschiedlicher Felder und Zugänge deutlich gemacht. Zum einen wird der linguistische Diskurs dazu, was ausgehend von Genderspezifizierung personaler Appellation gesprochen wird, für das Schwedische untersucht. Dabei wird die Analyse auf der Erkenntnis, dass die Art, wie in einer Gesellschaft bestimmte Aspekte konventionell und normiert kategorisiert und hergestellt werden, basiert. Zum anderen wird die Frage, was mit personalen Appellationsformen im heutigen Schwedisch appelliert wird, systematisch erörtert. Die Art der Kategorisierung personaler Appellation im heutigen Schwedisch wird als eine Form des Ausdrucks kultureller Wertungen und Konzeptualisierungen verstanden. Dies wird auch in einer Analyse strategischer Sprachveränderungen zu Gender thematisiert. In dieser Analyse spielen beide zuvor genannten
Einleitung
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Betrachtungsebenen – die Frage des Was und Wie linguistischer Forschung – eine entscheidende Rolle. Im Hinblick auf die Rolle von Sprache in der Gesellschaft steht das Verhältnis zwischen sprachlicher und sozialer Veränderung und seine disziplinäre Konzeptualisierung exemplarisch zur Debatte. Die in der vorliegenden Monografie vertretene Ansicht der Komplexität in der Interdependenz der verschiedenen Ebenen der Betrachtung kann nur in eine schriftliche, lineare Form gebracht werden, wenn bestimmte Zusammenhänge als zentral und andere als sekundär gesetzt werden. Die gewählte Abfolge der Kapitel ermöglicht ein eingehendes Verständnis der Materie und der Interdependenzen unterschiedlicher Diskurse, indem die Analysen jeweils aufeinander aufbauen und sich aufeinander rückbeziehen. Gleichzeitig aber – und dies entspricht dem Ansatz und der Themenstellung – lassen sich zahlreiche Vor- und Rückverweise nicht vermeiden, da in bestimmten Bereichen Grenzen gezogen worden sind, die aus einer anderen Perspektive anders ausgefallen wären. In der Struktur des Buches wird der traditionelle linguistische Zugang zum Thema ‚Personenreferenzformen‘ als wichtiger Ausgangspunkt antizipiert, um von diesem ausgehend das eigene konstruktivistische Modell zu entwickeln und sukzessive durch aufeinander bezogene Diskursanalysen zu füllen. Dies äußert sich begrifflich in einem terminologischen Wechsel von ‚Personenreferenzformen‘ zu ‚personalen Appellationsformen‘, mit dem der Wechsel einer Konzeptualisierung von Sprache als abbildend zu einer konstruktivistischen Sicht von Sprache als Handlung umgesetzt wird. Um diese terminologische und inhaltliche Entwicklung und Neuformulierung herzuleiten, werden in dem ersten Kapitel die linguistischen Traditionen einer Beschäftigung mit Sprache, die für die vorliegende Studie relevant sind, vorgestellt und aus einer konstruktivistischen Sicht kritisiert. Die historische, vor allem sprachphilosophische Tradition zeigt eine Kontinuität mit der Beschäftigung des Zusammenhangs von Sprache und Denken, die auch in der vorliegenden Arbeit wieder aufgenommen wird. Das erste Kapitel verdeutlicht Unterschiede und Gemeinsamkeiten einer essentialistischen und einer konstruktivistischen Sicht auf Sprache und Gender. Das Kapitel dient einer erkenntnistheoretischen Kontextualisierung der vorliegenden Studie. Dies ist der Grundstein für die im zweiten Kapitel vorgenommene Formulierung eines konstruktivistischen Ansatzes zur Analyse personaler Appellation, der sich vor allem aus perspektivisch-pragmatischen und kognitiv-linguistischen Anteilen speist. Das dritte Kapitel bildet so den theoretischen Rahmen für die nachfolgenden empirischen und diskursiven Analysen.
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Einleitung
Ausgehend von diesem Modell werden im dritten Kapitel die konventionalisierten Möglichkeiten personaler Appellation im heutigen Schwedisch an Hand dieser neuen Kategorisierung vorgestellt. Sie unterscheidet sich von den bisherigen Darstellungen, indem weder Substantive als Ausgangsgröße genommen werden noch das Verhältnis von Genus und Gender als zentral gesetzt ist; stattdessen werden die konventionalisierten Möglichkeiten der Konzeptualisierung personaler Appellation unter dem Aspekt Gender systematisch dargestellt. Diese Form der Darstellung und der Entwicklung einer Fragestellung ist neu im Verhältnis zu bisherigen einschlägigen Studien, indem die Frage der Konzeptualisierung von Gender als Ausgangspunkt der sprachlichen Analyse genommen wird und formal-sprachliche Aspekte als nachrangige Realisierungen behandelt werden und in ihrer Funktionen für die Konventionalisierung einer Genderspezifizierung betrachtet werden können. Ein konstruktivistischer Ansatz personaler Appellation bedingt über die Analyse der Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Genderspezifizierungen personaler Appellation hinausgehend weitere und andere Perspektiven auf das Thema, als es in der traditionellen Forschung der Fall ist. Diese werden nachfolgend entwickelt. Anhand der öffentlichen Verhandlung personaler Appellation mit der Frage potentiell gegenderter Diskriminierung als politische Strategie wird in den nachfolgenden Kapiteln die öffentliche Verhandlung von Sprache unter diesem Gesichtspunkt analysiert. Ausgehend von einer konstruktivistischen Sprachauffassung wird in Kapitel 4 strategische Sprachveränderung als politische Strategie neu bewertet und ein konstruktivistisches Modell der ReSignifizierung zur Ersetzung strategischer Sprachveränderungen entworfen, mit dem zugleich auch ein neues Konzept strategischer Sprachveränderung zum Ausdruck kommt. In Kapitel 5 wird die schwedische Diskussion zu strategischer Sprachveränderung bei festgestellter oder angenommener Genderdiskriminierung der letzten 30 Jahre analysiert. Es werden die konkret vorgeschlagenen Sprachveränderungsstrategien zum Schwedischen vorgestellt und mit Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Vorannahmen kritisch diskutiert. Diese vor allem sprachpflegerische Diskussion wird in den Kontext der schwedischen öffentlichen Verhandlung von Feminismus und Gleichstellung gestellt. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen der Konzeptualisierung von Gleichstellung in der schwedischen Öffentlichkeit zur Konzeptualisierung von Gender auf der Ebene von Sprache an Hand personaler Appellation hergestellt. Dadurch wird die Konzeptualisierung von Sprache als politisches Instrument im öffentlichen Diskurs betrachtet.
Einleitung
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Diese Analyse gibt darüber hinaus Aufschluss über Vorstellungen von Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung im schwedischen Kontext. Neben einer Analyse der potentiellen Möglichkeiten personaler Appellation unter dem Aspekt Gender sowie der öffentlichen Diskussion derselben spielt für ein konstruktivistisches Modell personaler Appellation auch die realisierte Produktion eine entscheidende Rolle. In Kapitel 6 wird anhand unterschiedlicher Sprachkorpora untersucht, welche Formen personaler Appellation unter dem Aspekt Gender im heutigen Schwedisch produziert werden. In dieser Analyse werden sowohl Daten schriftlichen, vor allem medialen - auch aus den neuen Medien -, als auch mündlichen Sprachgebrauchs betrachtet. Während die traditionelle Forschung weitgehend auf Schriftsprachengebrauch fokussiert ist, wird in der vorliegenden Studie die Relevanz der Einbeziehung mündlichen Sprachgebrauchs betont. Durch das analysierte Material verschiedener Sprachkorpora wird die Bandbreite möglicher Kontexte jenseits konventionalisierter Verwendungsweisen vergrößert, um ein breiteres Spektrum des Gebrauchs personaler Appellation zu bekommen. Auf dieser Grundlage können in bestimmten Bereichen Aussagen über Entwicklungen personaler Appellation unter dem Aspekt Gender innerhalb der letzten 30 Jahre gemacht werden. Dadurch wird ein Bogen von der öffentlichen Diskussion personaler Appellation zu ihren Realisierungen geschlagen. Aus Raumgründen können weitere Teile der durchgeführten Diskursanalyse zum Thema im Rahmen dieser Monografie nicht dargestellt werden, die die hier vorgestellten Ergebnisse weiter unterstützen.8 Im abschließenden Ausblick in Kapitel 7 wird ein Bogen zu möglichen weiteren Ergänzungen und empirischen Umsetzungen einer entsprechenden Themenstellung diskutiert. In der Arbeit wird eine neue Theorie zu personaler Appellation aus einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie heraus entwickelt und empirisch am Beispiel von Genderspezifizierung in personaler Appellation im heutigen Schwedisch umgesetzt. Teil der Umsetzung dieses Modells ist eine wissenschaftshistoriografische und wissenschaftskritische Analyse, in der tradierte Vorannahmen linguistischer Forschung in Bezug auf die Darstel-
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Diese können in Hornscheidt (2006b) gefunden werden. Hierzu zählt beispielsweise die Analyse der schwedischen linguistischen Fachliteratur zum Zusammenhang von Gender und Genus sowie eine Untersuchung aktueller ReSignifizierungen traditionell pejorisierender personaler Appellationen im schwedischen Kontext. Aus letzterer Analyse wird ein pragmatisches Modell der ReSignifizierung abgeleitet. Darüber hinaus finden sich hier Analysen zur Perzeption des Gebrauchs unterschiedlicher personaler Appellationsformen in Bezug auf Gendervorstellungen.
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Einleitung
lung von ‚Personenreferenzformen‘ hinterfragt und in ein neues Modell der Analyse personaler Appellation umgesetzt werden. Die Arbeit ist eine neue Darstellung der konventionalisierten Möglichkeiten der Genderspezifizierung personaler Appellation sowie eine umfangreiche Korpusanalyse mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die zu erwartenden Ergebnisse dieser Studie liegen auf theoretischer Ebene in der Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes personaler Appellation, auf methodischer Ebene in der diskursanalytischen Umsetzung des Ansatzes an einer konkreten Fragestellung und auf inhaltlicher Ebene in der Beantwortung der konkreten Themenstellung, der Genderspezifizierung personaler Appellation im heutigen Schwedisch.
1. Erkenntnistheoretische Grundlagen zur Analyse von Genderspezifizierung personaler Appellation Jag står framför havet. Där är det. Där är havet. Jag tittar på det. Havet. Jaha. Det är som på Louvren. Palm 1964: o.S.1
1.1 Einleitung Dieses Kapitel dient einer Darstellung der erkenntnistheoretischen Ausgangspunkte der Studie, die vorgestellt und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Es ist der erkenntnistheoretische, methodologische Rahmen der Studie. Zunächst und als Ausgangspunkt wird ein konstruktivistisches Grundverständnis entwickelt, welches der gesamten Arbeit zu Grunde liegt. Dies betrifft die Sichtweisen auf Sprache und Gender, die beiden zentralen Größen in der vorliegenden Themenstellung. Ein konstruktivistisches Grundverständnis schlägt sich in Bezug auf die Vorgehensweise in einer durchgehend verfolgten diskursanalytischen Perspektive auf den Erkenntnisgegenstand nieder, was insbesondere in der Frage des Umgangs mit der einschlägigen Forschungsliteratur von Relevanz ist. Das konstruktivistische Grundverständnis wird im nachfolgenden Unterkapitel 1.2 zunächst einleitend erläutert und konkret auf das Verständnis von Sprache in diesem Rahmen bezogen. Dazu werden zunächst Grundzüge eines strukturalistischen Sprachverständnisses entwickelt und im Anschluss daran ein poststrukturalistisches Verständnis in seinen spezifischen Weiterentwicklungen und Abgrenzungen diskutiert. Dieses Unterkapitel ist
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‚Ich stehe vor dem Meer. / Dort ist es. / Dort ist das Meer. / Ich blicke darauf. / Das Meer. Aha. / Das/Es ist wie im Louvre.‘ Alle Übersetzungen in dieser Monografie stammen von der Autorin.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
damit auch eine diskursanalytische, historiografische Studie zu der Frage, wie sich ein bestimmter Zugriff auf den Erkenntnisgegenstand ‚Sprache‘ in der Linguistik herausgebildet hat und wie andere Theoretisierungen im Laufe des letzten Jahrhunderts weitgehend verworfen bzw. aus der Linguistik ausgegliedert worden sind. Auf dieser Grundlage wird im Unterkapitel 1.3 ein pragmatisches Sprachverständnis erarbeitet, welches auf der Grundlage einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie pragmatische und kognitive Aspekte von Sprachgebrauch miteinander kombiniert. In 1.4 wird die in dieser Arbeit als thematischer Ausgangspunkt genommene Kategorie Gender aus einer konstruktivistischen Perspektive erläutert und dargestellt, was dies für eine Konzeptualisierung von Gender heißt und wie sich dieses Verständnis von einem abgrenzen lässt, das in Einklang mit einer strukturalistischen Vorstellung steht. Die Verwendung der Begrifflichkeit ‚Gender‘ dient ebenso der begrifflichen Kennzeichnung einer poststrukturalistischen Auffassung wie die Verwendung des Begriffs Appellation. Ausgehend von diesem theoretischen Hintergrund kann im zweiten Kapitel in Abgrenzung von der traditionellen linguistischen Forschung zu Personenreferenz und Geschlecht ein Modell genderspezifizierender und genderunspezifizierender personaler Appellation entwickelt werden2. Der damit entworfene, erkenntnistheoretische Rahmen der vorliegenden Studie wird im zweiten Kapitel in ein konstruktivistisches Modell zur Analyse personaler Appellation umgesetzt. Als Arbeitsdefinition soll bis dahin unter personaler Appellation die sprachliche Benennung von Personen verstanden werden. Es kann sich dabei um eine Selbst- wie eine Fremdbenennung handeln. Ausgenommen von der Betrachtung in dieser Arbeit ist die ausschließliche Benennung der kommunikativen Rollen durch entsprechende pronominale Formen der ersten und zweiten Person. In traditioneller linguistischer Begrifflichkeit wird das Phänomen personaler Appellation in der Regel als ‚Personenreferenz(formen)‘ bezeichnet. Durch die veränderte Begrifflichkeit wird hier zugleich auch eine veränderte Konzeptualisierung zum Ausdruck gebracht, wie in den weiteren Teilen dieses Kapitels noch näher ausgeführt wird.
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Für eine ausführliche kritische Darstellung traditioneller Forschungen zu Personenreferenzformen fehlt hier leider der Platz. Vgl. aber Hornscheidt (2006b).
1.2 Ein konstruktivistisches Sprachverständnis
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1.2 Ein konstruktivistisches Sprachverständnis: von einer strukturalistischen zu einer poststrukturalistischen Auffassung Der Strukturalismus entzieht der Welt nicht die Geschichte: er versucht, die Geschichte nicht nur an Inhalte zu binden [...], sondern auch an Formen; nicht nur an das Materielle, sondern auch an das Intelligible; nicht nur an das Ideologische, sondern auch an das Ästhetische. Und eben weil jeder Gedanke über das geschichtliche Intelligible auch ein Beitrag zu diesem Intelligiblen ist, liegt dem strukturalen Menschen wenig daran, ob er dauert: er weiß, dass auch der Strukturalismus eine bestimmte Form der Welt ist, die sich mit der Welt ändern wird; und so wie er seine Gültigkeit (nicht seine Wahrheit) in der Fähigkeit sieht, die alten Sprachen der Welt auf neue Weise zu sprechen, weiß er auch, dass, sobald aus der Geschichte eine neue Sprache auftauchen wird, die nun ihrerseits ihn spricht, seine Aufgabe beendet ist. Barthes 1996: 223 But look, many people say, we do live in a real world with houses and cars, with other people, with rain and sunshine – why do you deny this apparent truth? My answer is: We live the world with what we describe in ever changing ways as houses and cars and so on. Only “within“ our world can we postulate a beyond of our world which thus forms a possible part of our world, viz. our discourses. Schmidt 2001
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird in der Philosophie von konstruktivistischen Ansätzen gesprochen, die ursprünglich aus einer Kritik an der Mathematik entstanden sind. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich eine Vielzahl unterschiedlicher konstruktivistischer Schulen und Richtungen, auch innerhalb verschiedener Disziplinen, deren gemeinsame Grundlage die Annahme der eigenständigen, aktiven Konstruktionsleis-
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tung der an Kommunikation Beteiligten (bzw. der Beobachtenden) ist. Die Vorstellung einer interaktiv wahrnehmbaren, objektivierbaren und auch jenseits der Wahrnehmungen vorhandenen Wirklichkeit wurde in Frage gestellt und verworfen. Im Zentrum der konstruktivistisch begründeten, wissenschaftlichen Aufmerksamkeit steht damit die Frage nach der Art des Erkenntnisvorgangs und nicht die nach dem Erkenntnisobjekt der angenommenen Wirklichkeit. Wirklichkeit ist in dieser Sicht nicht objektiv erfassbar, sondern immer nur konkret konstruiert.3 „I conceive of „reality“ not in terms of a space or environment in which we operate, but in terms of processes in the broadest sense of the term. What I call „reality“ emerges from a process of systematically self-organising interactions of cognition, communication and media which altogether operate on the common basis of culture seen as the program for socially relevant semantic interpretations of the world model(s) of a society.“ (Schmidt 2001: o. S.)
Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit und im Kontext einer linguistischen Verortung ist dabei die Frage der Bestimmung, Rolle und Funktion von Sprache von besonderer Relevanz. Dies soll in der vorliegenden Arbeit konkret auf den Aspekt der personalen Appellation bezogen werden. Eine konstruktivistische Sprachsicht findet sich in verschiedenen poststrukturalistischen Ansätzen zu Sprache und wird dort in der Regel aus einer Abgrenzung von Saussures Modell zu Sprache entwickelt. Diese Ansätze stellen hier das zu Grunde gelegte konstruktivistische Grundmodell dar. Traditionell werden sie nicht innerhalb der Linguistik verortet, so dass ihre Anwendung auf die Linguistik für die Frage der personalen Appellation einen neuen Ansatz bietet. Es sollen aber auch Bezugspunkte innerhalb der Linguistik ausgemacht werden, die mit einer poststrukturalistischen Sprachsicht und einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse in bestimmten Punkten konform gehen bzw. in einem solchen Rahmen anwendbar erscheinen, was gleichzeitig aber nicht über wichtige erkenntnistheoretische Unterschiede hinwegtäuschen soll. Diese Verbindungslinie läuft von Humboldt über Wittgenstein bis hin zu der von Sapir und Whorf formulierten sprachlichen Relativitätstheorie. Um eine konstruktivistische Sprachsicht in seiner Relevanz und Genese einordnen zu können, muss einführend die strukturalistische Sprachsicht erläutert werden.
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Vgl. Schmidt (1987).
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Strukturalistische Sprachsicht Um zu verstehen, in welchen Aspekten sich poststrukturalistische Sprachauffassung von strukturalistischer abgrenzt bzw. inwiefern sie diese in bestimmten Punkten weiterentwickelt, sollen hier zunächst zentrale Aspekte der strukturalistischen Sprachsicht erläutert werden, die für die vorliegende Themenstellung von besonderer Relevanz sind, um darauf jeweils aufbauend spezifisch poststrukturalistische Aspekte abgrenzen zu können. Die Begrifflichkeit von Strukturalismus und Poststrukturalismus ist als eine erkenntnistheoretische Oppositionsbildung lesbar, die in dieser Form der Dichotomisierung hier nicht nachvollzogen wird. Stattdessen sollen vor allem Verbindungslinien und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen betont werden. Dies ist besonders dann gut möglich, werden vor allem Saussures Ansätze unter einem strukturalistischen Ansatz verstanden und nicht primär die Weiterentwicklungen seiner Ideen in verschiedenen linguistischen Traditionen, die teilweise in einem sehr viel stärkeren Kontrast zu poststrukturalistischen Konzeptionen stehen. Ausgehend von Saussures strukturalistischem Zeichenkonzept kann hingegen in gewissem Sinne auch eine Kontinuität von strukturalistischen zu poststrukturalistischen Ansätzen heraus gearbeitet werden, die gerade auch für die vorliegende Themenstellung von Relevanz ist, da so verschiedene Aspekte einer potentiellen linguistischen Analyse zu personaler Appellation deutlich gemacht werden können. Die linguistische Ausformung des Strukturalismus, die über die Linguistik hinaus für zahlreiche weitere Disziplinen erkenntnistheoretisches Prinzip geworden ist, ist der von Saussure geprägte strukturalistische Ansatz. Der Kern des Strukturalismus nach Saussure ist die Beschreibung allgemeiner sprachlicher Strukturen, die raum- und zeitübergreifende Gültigkeit besitzen und für ihn in der langue liegen, der Struktur einer Sprache, dem Sprachsystem mit einer synchron gesehen unveränderlichen Objektivität, die er im Gegensatz zur parole sieht, der konkreten und individuellen Sprachrealisation. Dieses als in sich geschlossene und aus sich heraus charakterisierbare System gilt es innerhalb eines strukturalistischen Erkenntnisinteresses wissenschaftlich zu beschreiben. Damit geht zugleich auch jegliche Form des Vorschriftenmachens und -formulierens mit dem strukturalistischen Projekt einer Linguistik, wie es im Rahmen der vorliegenden Themenstellung von besonderer Bedeutung ist, nicht konform.4
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Die Grundannahme, Beschreibungen durchführen zu können, ist hingegen eines der von poststrukturalistischer Theorie grundsätzlich bezweifelten Theoreme. Hier liegt zugleich
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Das sprachliche Zeichen ist nach Saussure (1986 [1916]) in der Frage nach dem Zusammenhang von Bezeichnetem und Bezeichnendem unmotiviert, es ist arbiträr. „Weil es keinen außersprachlichen Grund gibt, der das Verhältnis von Signifikat und Signifikant bestimmen und so die Bedeutung eines Zeichens festlegen würde, muss sich die Konstitution sprachlichen Sinns sprachintern erläutern lassen. [...] Die Sprache wird dadurch zu einer Form, die von einer bestimmten Substanz unabhängig ist. Wichtig sind die Differenzen, unwichtig dasjenige, was different gesetzt wird. Dieser Gesichtspunkt wird dem Strukturalismus ermöglichen, die Bestimmungen von Saussure aus dem Kontext der Sprache herauszulösen und auf andere Bereiche zu übertragen.“ (Münker und Roesler 2000: 4)
Die strukturalistische Linguistik in der Nachfolge von Saussure will auf dieser Grundannahme basierend die Differenz zwischen den Zeichen, folglich die Relation der Zeichen zueinander, erforschen. Sprachlicher Sinn entsteht für Strukturalist/inn/en aus den Differenzierungen innerhalb des Systems, die ihrerseits aus einer Kombination eines Begriffs (signifié) mit einer Lautkette (signifiant) entstehen, die sprachintern determiniert sind, da es sich um eine sprachinterne Ausdifferenzierung der Lautketten handelt. Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ist sein Wert in Relation zu den anderen Zeichen der Sprache. Ausschließlich die strukturelle Relation zwischen Signifikaten und Signifikanten ist das, was im Zuge einer strukturalistischen Analyse interessiert, kein in der traditionellen Linguistik so bezeichnetes ‚Referenzobjekt‘ tritt in der Betrachtung hinzu. Bedeutung entsteht damit nur aus der Relation der Zeichen zueinander, ist nicht ‚in‘ einem einzelnen Zeichen vorhanden. Die manchmal angeführten onomatopoetischen Wörter als Beispiele für die Motiviertheit von Zeichen sieht Saussure als marginal und damit unbedeutend für die Gesamttheorie an. Er weist jedoch darauf hin, dass er für die Wortbildung eine gewisse relative Motiviertheit bzw. relative Arbitrarität annimmt, die er in der Kombination einfacher Formen zu Komposita und Ableitungen findet, was auch in der Frage der personalen Appellation von Bedeutung sein kann. Mit der Postulierung der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens macht Saussure keine Aussage über die kognitive Verbindung zwischen
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auch eine der erkenntnistheoretischen Prämissen, warum Formen expliziter und strategischer Sprachkritik von einer strukturalistischen Linguistik verworfen werden, während sie aus einer poststrukturalistischen Sicht als permanent vorhandene, politische Vorgänge neu diskutiert werden, vgl. Kapitel 5.
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Signifikat und Signifikant, wie sie auch von Beneviste (1939) als notwendig bezeichnet worden ist.5 Saussure widerspricht auch der Annahme einer möglichen Natürlichkeit des Zeichens in der Frage seiner Signifikation, an deren Seite in einer synchronen Perspektive das Prinzip der Unveränderlichkeit des Zeichens6 steht. „Wenn der Signifikant hinsichtlich der Vorstellung, die er vertritt, als frei gewählt erscheint, so ist er dagegen in bezug auf die Sprachgemeinschaft, die ihn gebraucht, nicht frei, sondern auferlegt. [...] Der von der Sprache gewählte Signifikant könnte nicht durch andere ersetzt werden. [...] Es wäre nicht nur ein Einzelner außerstande, wenn er es wollte, die vollzogene Wahl auch nur im geringsten zu ändern, sondern auch die Masse selbst kann nicht einmal über ein einziges Wort Herrschaft ausüben; sie ist gebunden an die Sprache, so wie sie ist.“ (Saussure 1986: 104)7
Die Unveränderlichkeit des sprachlichen Zeichens in seiner Relation von Signifikant und Signifikat ist dabei ausschließlich synchron gültig und in Saussures Konzeptualisierung sozial bedingt, er leugnet damit nicht die im diachronen Sprachwandel enthaltene Veränderlichkeit desselben. Zugleich auch weist er im obigen Zitat auf die Rolle der Sprachgemeinschaft als bestimmender Rahmen von sprachlichen Zeichen hin, ohne dass diese Ebene in seinem Modell der Zeichenanalyse von Bedeutung wäre. Hier zeigt sich aber durchaus ein Verknüpfungspunkt zu den später vorgestellten poststrukturalistischen Ansätzen, die als eine Perspektivenverschiebung zu einer stärkeren Betonung des sozialen Rahmens der Sprachgemeinschaft hin Berücksichtigung finden könnten. Die Struktur der Sprache, das Sprachsystem, ist bei Saussure das dem Sprechen der Einzelnen vorgängige und gegebene. Das linguistische System einer Einzelsprache, langue, existiert dabei – in einer synchronen Perspektive – unabhängig von den konkreten Äußerungen von Sprechenden, parole. Es ist diesen unterlegt und bestimmt das individuelle Sprechen. Das System der Sprache kann seinerseits beschrieben, aber nicht dekonstruiert oder als solches im Hinblick auf die Effekte, die es auf Subjekte hat, hinterfragt werden. Es ist unabhängig vom bewussten Wissen der die Sprache Produzierenden.
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Während Beneviste (1939) sich hier in einem Widerspruch zu Saussure sieht, sind beide Ansätze aber durchaus miteinander kompatibel, da sie sich auf verschiedene Ebenen beziehen, wenn sie die Arbitrarität in Frage stellen bzw. bestätigen. Vgl. Saussure (1986): immutabilité. Deutsche Übersetzung vgl. Nöth (2000: 338).
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Ausgehend von diesem Erkenntnisinteresse für die Sprache hat schon Saussure selbst die Denkmöglichkeit angelegt, dieses Schema in Form einer Zeichenlehre (Semiologie) auf andere wissenschaftliche Bereiche zu übertragen und davon auszugehen, dass diese wie Sprache strukturiert seien. Der Strukturalismus kann damit als ein Ansatz charakterisiert werden, in dem Formen und Strukturen, aufgefasst als ein System überindividueller Zeichen, möglichst objektiv beschrieben werden sollen. Diachrone ‚Beschreibungen‘ konzeptualisieren entsprechend „[...] den historischen Prozess als bloße Aufeinanderfolge von Formen.“ (Barthes 1996: 215) Poststrukturalistische Sprachsicht Ausgehend von einem strukturalistischen Ansatz können aus einer poststrukturalistischen Perspektive verschiedene Weiterentwicklungen festgehalten werden, die im Rahmen eines konstruktivistischen Erkenntnisinteresses und bezogen auf Sprache von besonderer Bedeutung sind. Der Begriff Poststrukturalismus wird im folgenden als Sammelbegriff für Theorien und Ansätze verstanden, die die hier vorgestellten Gemeinsamkeiten in Bezug auf Sprache teilen, in vielen methodologischen und methodischen Punkten aber auch sehr heterogen sein können. In manchen Kontexten konkurrierende Begriffe und Ansätze sind Dekonstruktivismus, Radikaler Konstruktivismus und Postmoderne, die in der vorliegenden Arbeit auch gelegentlich mit Bezug auf die unterschiedlichen Quellen und ihre Selbstappellation verwendet werden.8 Wie bereits angedeutet, sind nicht alle poststrukturalistischen Ansatzpunkte als Widerspruch zum strukturalistischen Projekt Saussurescher Prägung zu verstehen, sondern auch als Perspektivverschiebungen und Modifikationen desselben. Vor allem ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Perspektivenverschiebung zwischen einem strukturalistischen und einem poststrukturalistischen Ansatz zu Sprache von besonderer Relevanz, was im folgenden behandelt wird.
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Wie in Kapitel 2 zu sehen sein wird, stellt der experiental realism nach Putnam (1981) für einige linguistische Ansätze, die im Rahmen der Entwicklung eines konstruktivistischen Modells personaler Appellation hinzugezogen werden, eine wichtige theoretische Quelle dar, die bis zu einem gewissen Punkt mit einer konstruktivistischen Grundvorstellung konform geht. Stegu (1998) beschäftigt sich mit den möglichen Anwendungen postmoderner Theorie durch die Linguistik. Seine Ausführungen fließen hier nicht mit ein, da sie in Bezug auf die hier diskutierten Phänomene zu stark an der Oberfläche bleiben.
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Die von Saussure angenommene Bedeutung der Sprachgemeinschaft wird in der Frage der relativen Motiviertheit bzw. Arbitrarität sprachlicher Zeichen im strukturalistischen Modell als außerhalb des Erkenntnisinteresses verortet, wohingegen ihr im poststrukturalistischen Modell ein zentraler Stellenwert eingeräumt wird, welches sich in mehreren, miteinander verbundenen Kritiken am strukturalistischen Modell der Sprachanalyse niederschlägt. Harris (1990) beispielsweise kritisiert die durch die Fokussierung auf sprachinhärente Strukturen in der Sprachanalyse von der strukturalistischen Linguistik begründete Abgrenzung der Linguistik von anderen Disziplinen. „Modern linguistics proceeded to demonstrate its indebtedness to Saussure by remaining profoundly segregationalist both in its methodology and in its attitude to neighbouring disciplines. It conceived its own scientific brief in narrowly segregationalist terms, and accordingly took its primary objective to be the construction of an internal systematics of relationships between units identifiable exclusively within the flow of speech.“ (Harris 1990: 22)
Dies gehe mit einer Beschränkung des Erkenntnisinteresses einher, welches in einer weitgehenden Ignoranz des Zusammenspiels von Sprache und Außersprachlichem liegt – eine Dimension, die anderen Disziplinen zugeschrieben worden ist oder in die sogenannten linguistischen Bindestrichdisziplinen verlagert wurde. Dies bedeutet gleichzeitig auch eine Abschottung gegenüber Transdisziplinarität, womit zugleich auch poststrukturalistische Sprachansätze als jenseits der Linguistik verortet wurden und werden.9 Die strukturalistische Begrenzung auf sprachinhärente Strukturen und Systematiken bedeutet, und das ist für viele poststrukturalistische Ansätze zentral geworden, vor allem auch die Irrelevanz von Macht und Ideologie als Faktoren im linguistischen Erkenntnisinteresse, die aber für eine Analyse aus poststrukturalistischer Sicht von Relevanz sind.10 Taylor (1990)
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Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der so genannte linguistic oder pragmatic turn bezogen auf die Kultur- und Sozialwissenschaften von großer epistemologischer Relevanz ist, die Benennung jedoch insofern irreführend, als es sich nicht um eine linguistische, sondern um eine sprachliche Wende handelt, die in der Linguistik nur relativ geringe Auswirkungen gezeigt hat. Dies schlägt sich beispielsweise in der Überblicksveröffentlichung von Nünning und Nünning (2003) nieder, in der die Relevanz verschiedener Disziplinen als kulturwissenschaftlich verhandelt wird, die Linguistik jedoch nicht vorkommt. Es sei hier noch mal angemerkt, dass diese Dimension bei Saussures Thesen durchaus angelegt war, von ihm aber als außerhalb des synchron ausgerichteten, semiotischen Erkenntnisinteresses verortet und in der linguistisch strukturalistischen Nachfolge weitestgehend ignoriert wurde.
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kritisiert die strukturalistische Linguistik als institutionalistisch mit den Merkmalen Deskriptivität, Empirie als Methode und Wahrheit als Autorität. Die Relevanz individueller Handlungen wird im Strukturalismus genauso negiert wie die normativen Mechanismen, durch die Handlungsfähigkeit beeinflusst ist. Linguistik wird so als unabhängig von politischen Fragen zu Autorität, Macht und Ideologie verstanden. „If purportedly descriptive discourse on language is best reconceived as a (covertly authoritarian mode of) normative discourse, then the assertion of the political irrelevance and ideological neutrality of linguistic science can no longer be maintained. Descriptive linguistics is just another way of doing normative linguistics, and an ideologically deceptive one at that. If, in language, our situation is one in which there is no escape from the mechanisms of power, then it is better that we be aware of our situation.“ (Taylor 1990: 25)
Taylor (1990) vertritt hier grundsätzliche Bedenken bei der Vorstellung einer Deskriptivität der strukturalistischen Linguistik, eine Kritik, die in der Konsequenz ihrer Umsetzung so zugleich zu einer poststrukturalistischen Auffassung von Sprache führt. In dieser ist Sprache kein starres und letztendlich schlussgültig beschreibbares System und besitzt keinen entsprechenden fixen Bedeutungskern. „Man wird kein Signifikanten-Signifikat-Paar finden, dessen Signifikat nicht in Frage gestellt, erweitert, nuanciert etc. werden kann. Der Sinn kommt dadurch in Bewegung, ohne dass er innerhalb des sprachlichen Systems noch einen sicheren, unveränderbaren Halt hätte.“ (Münker und Roesler 2000: 38)
Während Saussure die Struktur des sprachlichen Zeichensystems als ein Netz von Signifikanten versteht, die sich wechselseitig bestimmen und in Differenz zueinander stehen, verweist Derrida (1983), zugleich den Saussurschen Phonozentrismus für eine Neubewertung der Schrift aufgebend11, darauf, dass es ein ursprüngliches Signifikat nicht geben kann, da dieses folglich nicht aus der Differenz von Signifikanten erst beschreibbar werden dürfte. „Der Signifikant wäre immer schon ein technischer und repräsentierender, wäre nicht sinnbildend. Diese Derivation ist der eigentliche Ursprung des Begriffs des ‚Signifikanten‘. Der Begriff des Zeichens impliziert immer schon die Unterscheidung zwischen Signifikat und Signifikant, selbst wo diese (Saussure zufolge) letzten Endes nichts anderes sind als die zwei Seiten ein und desselben Blattes.“ (Derrida 1983: 25)
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Vgl. Krämer (1999), die die Entwicklung der Schrift als eine wichtige Voraussetzung für die analytische (nicht faktische!) Trennung zwischen Sprachsystem und Sprechen ansieht. Dies verdeutlicht sie für die Ebene der Phonologie, der Syntax und der Sprechakttheorie.
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Wichtig ist im hier verfolgten poststrukturalistischen Ansatz die Neufassung und Dezentrierung der Bedeutungszuschreibung, die als ein endloser Prozess und ohne Bezug zu definiten und eindeutigen, absoluten Endoder Fixpunkten verstanden wird. Gleichzeitig bekommen in dieser Sichtweise Texte als sprachliche Quellen einen neuen Status. Dies bedeutet soviel, dass es in den entsprechenden Untersuchungen nicht länger um Texte als ‚Monumente‘ kultureller Überlieferung geht, sondern stattdessen um die „zeitgebundenen Praktiken [...], über die sich das Herstellen von, sowie der Umgang mit diesen Werken vollzieht.“ (Krämer 1999: 396f) Im Rahmen eines konstruktivistischen Grundverständnisses ist Sprache ein Mittel der Herstellung einer inter-kommunikativ angenommenen bzw. gegenseitig unterstellten Wirklichkeit in einem sozialkommunikativen Prozess. Sprache wird dabei in dieser Arbeit als Mittel der aktiven Herstellung einer bestimmten Wirklichkeitsvorstellung und -sicht durchgehend als Sprachgebrauch verstanden, wenn es nicht anders gekennzeichnet ist, und entspricht damit einem spezifischen, linguistisch pragmatischen Verständnis, wie es im dritten Kapitel für ein pragmatisches Modell der Analyse von Genderspezifizierung personaler Appellation ausgeführt wird. Sprachliche Handlungen basieren in ihrer interaktiven Funktion auf einer auch sprachlich hergestellten symbolischen Ordnung, die jedoch der sprachlichen Handlung hier nicht als vorgängig verstanden wird, sondern in dieser immer erst wieder bestätigt bzw. (re)produziert wird. Eine ständige Wiederholung kann zur Konventionalisierung einer sprachlichen symbolischen Ordnung führen, die ihrerseits wiederum zu einer Verfestigung der Auffassung der Natürlichkeit derselben führen kann. Wie Derrida (1976) ausgeführt hat, geht die Idee der Struktur von der Vorstellung eines Zentrums aus, welches gleichzeitig als Fixpunkt Teil dieser Struktur ist und als deren Ableitung außerhalb ihrer steht. „Folglich mußte von da an das Gesetz gedacht werden, das über das Verlangen nach einem Zentrum in der Konstitution der Struktur in bestimmter Weise gebot, wie auch der Vorgang des Bezeichnens, der seine Verschiebungen und seine Substitutionen diesem Gesetz der Präsenz im Zentrum unterordnete. Diese zentrale Präsenz ist aber niemals sie selbst gewesen, sie ist immer schon in ihrem Substitut über sich selbst hinausgetrieben worden. Das Substitut ersetzt nichts, das ihm irgendwie präexistiert hätte. Infolgedessen mußte man sich wohl eingestehen, daß es kein Zentrum gibt, daß das Zentrum nicht in der Gestalt eines Anwesenden gedacht werden kann, daß es keinen natürlichen Ort besitzt, daß es kein fester Ort ist, sondern eine Funktion, eine Art von Nicht-Ort, worin sich ein unendlicher Austausch von Zeichen abspielt.“ (Derrida 1976: 424)
Das Wichtige und Zentrale an Sprache ist damit dieser Auffassung nach die Dynamik der Bedeutungsaushandlung in konkreten Sprechhandlungs-
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situationen. Sie ist nicht festlegbar auf bestimmte Bedeutungen. Diese entwickeln sich vielmehr in und durch endlose Verschiebungen auch innersprachlicher Differenzsetzungen – dem Bedeutungskern in strukturalistischer Sicht, der bei Derrida als Mythos eines Ursprungs dekonstruiert wird. Was bei Saussure theoretisch überhaupt nur als diachroner Prozess angelegt war, Sprachwandel, der auch einen Bedeutungswandel zur Folge hat, und durch seine Diachronizität außerhalb des strukturalistischen Erkenntnisinteresses im engeren Sinne steht, wird bei Derrida stattdessen als ein fortwährender, immerzu gültiger Prozess charakterisiert. Das grundlegende Charakteristikum der Sprache ist damit gerade ihre bedeutungsmäßige Unschärfe, die eine ‚Unfassbarkeit‘ des Systems Sprache impliziert, da dieses als System immer nur sein eigener Mythos des Vorgängigen sein kann, der von der Idee des Handlungsvorgängigen genährt ist.12 Die Trennung zwischen Signifikat und Signifikant bzw. die theoretische Möglichkeit derselben wird bei Derrida (1976) in Frage gestellt und letztendlich fallen gelassen.13 Damit verbunden ist zugleich ein für den Poststrukturalismus charakteristischer Perspektivenwechsel gegenüber dem Strukturalismus, indem im Poststrukturalismus versucht wird, die Bedingungen von Theorie, in diesem Fall Sprachtheorie, offen zu legen, die dem Strukturalismus als unhinterfragte Grundlage gelten. „Why does linguistic theory require the postulation of languages-as-such, and of semantic knowledge of them as something strictly distinct from knowledge of the extralinguistic world? The answer brings us to the second idea which has dominated modern linguistic theory. This is the idea that languages are devices designed to permit the thought-transference which constitutes linguistic communication. They do so by providing a context-neutral system of correspondences between forms and meanings. In Saussure's terms, a language (langue) is a set of signs uniting concepts (meanings) and acoustic images (forms). A language is a fixed code of correlations between forms and meanings, and it is the shared access of interlocutors to that code that makes communication possible. [...] The fixed-code
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Glasersfeld (1996) setzt aus einer konstruktivistischen Perspektive Machtprozesse als entscheidend für die Ausformung disziplinärer Erkenntnisinteressen an, die an diesem Punkt auch einen Ansatz bieten könnten, über die Ausformung der strukturalistischen Linguistik nachzudenken. Er betont, dass der konstruktivistische Ansatz nicht einer Leugnung einer ontischen Realität gleichkomme, sondern lediglich deren Unerkennbarkeit bedeute und das Erkenntnisinteresse damit von der Realität hin zu der Erfahrung und Wahrnehmung der dann angenommenen Realität verschoben sei. Derrida (1976) versteht ‚Zeichen’ in dem konventionalisierten Sinne von ‚Signifikat von’, wie es bei Saussure ursprünglich nicht angelegt gewesen ist, der stattdessen in ihm eine Einheit von Signifikat und Signifikant gesehen hat. Diese Sichtweise hat sich in der Rezeption Saussures jedoch bald verändert.
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concept of a language is required to explain how linguistic communication is possible, while a particular view of what communication is vindicates that concept of a language.“ (Love 1990: 57)
Die in der strukturalistischen Auffassung wichtige Annahme der Kontextlosigkeit der Form-Bedeutungs-Zuordnung, die der Sicht der Sprache als Code-System zu Grunde liegt, wird durch die poststrukturalistische Sichtweise gebrochen, indem der Kontext als entscheidendes Moment der Bedeutungsaushandlung betont wird. Diese Sprachauffassung lässt sich auch auf ein Diktum des späteren Wittgenstein (1988) und seine Idee des Sprachspiels zurückführen: „Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (Wittgenstein, 1988: 250 §23) Sprache wird hier als Sprech-Akt, als aktive Handlung aufgefasst, die als solche nicht entkontextualisiert denkbar ist. Der Idee eines Spiels entsprechend müssen Sprachbenutzende sich an Regeln halten, innerhalb derer die Handlungsmöglichkeiten variabel, individuell und frei sind. Bedeutung ergibt sich aus dem Gebrauch, es gibt keine dahinter liegende Relation eines Bedeutungskerns. „Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes „Bedeutung“ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ (Wittgenstein 1988: 262 §43)14
Bedeutung ist nichts in der Sprache als Differenz der Zeichen Enthaltenes, sondern etwas Konstruiertes, im Diskurs bzw. im Gebrauch der Sprache Hergestelltes, eine Idee, die in die Sprechakttheorie nach Austin (1962) umgesetzt worden ist. Diese poststrukturalistische Grundannahme der Konzeption von Sprache wird in einen diskursanalytischen linguistischen Ansatz der Behandlung von Sprache übersetzbar, in dem diese im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analyse steht. „Indem ich die Bedingungen unserer Rationalität analysiere, stelle ich auch unsere Sprache, stelle ich meine Sprache, deren Entstehen ich analysiere, in Frage.“ (Foucault 1974: 13) Eine Analyse von Macht ist dabei für Foucault ein zentraler Punkt in seinen späteren Schriften. Diese sieht er nicht als eine übergeordnete Dimension, die auf Individuen ausgeübt wird, sondern als ein Kennzeichen von Diskursen, in denen Machtverhältnisse komplex zum Ausdruck kommen und deren Entstehung ebenso auf Macht rückführbar ist wie sie
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Die strukturalistische Variante des Wittgensteinschen Diktums hätte lauten müssen: Die Bedeutung eines Zeichens ist seine Position im Sprachsystem.
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selbst diese Strukturen auch wieder bestätigen. Die Universalität von Bedeutungen wird damit in Frage gestellt. „I found a new way of analysing constructions of meaning and relationships of power that called unitary, universal categories into question and historicized concepts otherwise treated as natural (such as man/woman) or absolute (such as equality or justice).“ (Scott 1992: 253)
Wie Foucault sieht auch Scott Sprache als das zentrale Element poststrukturalistischer Analysen an, was sich im linguistic bzw. pragmatic turn für die Kultur- und Sozialwissenschaften auch terminologisch niedergeschlagen hat.15 Durch eine Infragestellung begrifflicher und terminologischer Vorgängigkeiten werden als natürlich wahrgenommene Konzepte, zu denen Scott (1992) Gender rechnet, neu hinterfragbar. Die konkrete Sprachanalyse, verstanden als der konkrete Sprachgebrauch, ist die einzige mögliche Analyseebene und die einzige ‚vorhandene‘ und damit analysierbare Sprachebene, wodurch auch hier die Dichotomie von langue und parole zugleich in Frage gestellt wird. Langue an sich wird so als objektive Größe hinterfragt, was Scott (1992) am übergeordneten Konzept wissenschaftlicher Wahrheiten, auf das die Dichotomie von langue und parole übertragen werden kann, erklärt: „Discursive fields overlap, influence and compete with one another; they appeal to one another’s truths for authority and legitimation. These truths are assumed to be outside human invention, either already known and self-evident or discoverable through scientific inquiry. Precisely because they are assigned the status of objective knowledge, they seem to be beyond dispute and thus serve a powerful legitimating function.“ (Scott 1992: 255)
Wie Scott hier in Anlehnung an Foucault betont, werden gerade diese als vorgegeben aufgefassten Wahrheiten mit einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse in Frage gestellt. So geht es im Kontext der vorliegenden Themenstellung auch um die Infragestellung der kommunikativen Vorgängigkeit der langue, wie sie u.a. in strukturalistisch verorteten linguistischen Studien kontinuierlich reproduziert wird. Dieser Aspekt der Infragestellung soll durch diskursanalytische Studien, die sich speziell auf linguistische Forschungstraditionen zu genderspezifizierender personaler Appellation beziehen, herausgearbeitet werden.16 In der soziologischen Theorie von Berger und Luckmann (1980) ist Sprache der Speicher gesellschaftlicher bzw. sozialer Erfahrungen. Eine Wortung sei ein Akt einer wahrgenommenen Objektivation, die der gesellschaftlichen Verständigung
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Vgl. Hornscheidt (1997) für eine ausführlichere Herleitung des linguistic turn. Vgl. Hornscheidt (2006b).
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diene und sich insofern verselbstständige, als dass die Objektivation den Anschein vermittele, dass es sich damit um Wirklichkeit handele, die gewortet sei und so auch als Wirklichkeit wahrgenommen werde.17 Sprache, im Kontext der vorliegenden Studie auf sprachliche Kategorisierungen und Benennungen bezogen, ist so der Grundstock des kollektiven, angenommenen Wissensbestandes. „Dieser Speicher versorgt die Nachgeborenen mit Wissen, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen greift das Individuum auf die im Speicher (Wortschatz) bereitliegenden Objektivationen zurück, wann immer es spricht und damit seine Erfahrungen, Empfindungen, Gedanken, Wahrnehmungen objektiviert, sie für sich und andere wirklich werden läßt. Sprache versorge die Sprachangehörigen gleichsam mit Vorfabrikationen, zwinge sie damit aber gleichzeitig in ihre vorgeprägten Muster.“ (Frank 1992: 116)
Gleichzeitig damit aber werden genau diese von Frank (1992) ‚Vorfabrikationen‘ genannten Kategorisierungen und Konzeptualisierungen als Wirklichkeit empfunden, was ihre Bewusstmachung erschwert. In einer feministischen Interpretation des Sprach- und Wirklichkeitsmodells von Berger und Luckmann (1980) spielt besonders die Frage eine Rolle, welche gesellschaftlichen Gruppen unter anderem mit Hilfe sprachlicher Benennungs- und Normierungspraktiken ihre Sicht auf Wirklichkeit zu einer allgemeinverbindlichen Norm machen können und wie dieser Prozess vonstatten geht. Zentral ist hier die Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen unter anderem mit Hilfe sprachlicher Benennungs- und Normierungspraktiken ihre Sicht auf Wirklichkeit zu einer allgemeinverbindlichen Norm machen können und wie dieser Prozess vonstatten geht. Eine Untersuchung konkreter Sprachpraktiken ist so zugleich mit der Frage nach dem Status und der Autorität der Sprachbenutzenden verknüpft. „The naïve question of the power of words is logically implicated in the initial suppression of the question of the uses of language, and therefore of the social conditions in which words are employed. As soon as one treats language as an autonomous object, accepting the radical separation which Saussure made between internal and external linguistics, between the science of language and the science of the social uses of language, one is condemned to looking within words for the power of words, that is, looking for it where it is not to be found.“ (Bourdieu 1991: 107)
Auch Bourdieu (1991) betont in seiner Kritik des Saussurschen Sprachansatzes die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Machtrelationen in einer Sprachanalyse, die er bei Saussure als nicht vorhanden ansieht, wenn
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Vgl. Berger und Luckmann (1980).
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letzterer in der Betonung der langue für die sprachliche Analyse die konkreten Bedingungen des Sprechens und des Gelingens von Sprechakten als außerhalb des Erkenntnisinteresses verortet. „Despite certain appearances, we could not be further from the Saussurian model of homo linguisticus who [...] is formally free to do as he likes in his verbal productions [...] but can be understood, can exchange and communicate only on condition that he conforms to the rules of the common code. This market, which knows only pure, perfect competition among agents who are as interchangeable as the products they exchange and the ‘situations’ in which they exchange, and who are all identically subject to the principle of the maximization of informative efficiency […] is […] as remote from the real linguistic market as the ‘pure’ market of the economists is from the real economic market.“ (Bourdieu 1991: 56)
Die Veränderung der erkenntnistheoretischen Perspektive gipfelt bei Bourdieu in der Feststellung, dass Sprache als Repräsentation von Autorität, ihre Manifestation und Symbolisierung zu untersuchen sei18 – Aspekte, die in dem strukturalistischen Ansatz keine Rolle spielen. Das Sprechen von der Sprache durch Linguist/inn/en interpretiert Bourdieu (1991) auf diesem Hintergrund als Versuche der ‚Neutralisierung‘ der sozialen Verortung von Sprache und als eine ReProduktion sozialer Normierungen, indem eine bestimmte sprachliche Varietät zur unhinterfragten Norm erhoben würde. Die Akzeptanz solcher von dieser sprachlichen Norm abweichenden Varietäten beruhe letztendlich auch auf der Annahme der Vorgängigkeit der so wiederum etablierten Norm.19 Die sprachliche Norm selbst steht dabei nicht zur Debatte, sondern ist in das System der Bezugnahme auf sie als Voraussetzung eingeschrieben. Ähnlich formuliert dies auch Butler: „Ich weiß zwar nicht, was der Terminus „postmodern“ bedeutet, doch wenn es eine zentrale These gibt [...] dann besagt diese These, daß die Macht sogar den Begriffsapparat, der versucht, über die Macht zu verhandeln, durchdringt, ebenso wie die Subjekt-Positionen des Kritikers. Diese Verwicklung der kritischen Begriffe in das Feld der Macht beinhaltet nicht die Heraufkunft eines nihilistischen Relativismus, der unfähig ist, Normen bereitzustellen, sondern sie ist gerade die Vorbedingung für eine politisch engagierte Kritik. Denn einen Normenkomplex aufzustellen, der sich jenseits der Macht oder Stärke ansiedelt, stellt selbst eine machtvolle, starke begriffliche Praxis dar [...] Die Aufgabe besteht eher darin zu fragen, was durch den theoretischen Schritt, Grundlagen festzulegen, autorisiert und was ausgeschlossen oder verworfen wird. Allem Anschein nach setzt die Theorie ständig Grundlagen fest und bildet unablässig implizite metaphysische
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Vgl. Bourdieu (1991: 109). Vgl. Bourdieu (1991: 45). Vgl. auch weiter unten in diesem Kapitel im Hinblick auf Wörterbücher und Grammatiken.
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Verbindlichkeiten als Selbstverständlichkeiten aus [...]. Grundlagen funktionieren in jeder Theorie als das Unhinterfragte, das Unhinterfragbare. Und doch stellt sich die Frage, ob diese „Grundlagen“, d.h. diejenigen Prämissen, die als autorisierende Gründe fungieren, sich nicht durch Ausschließungen konstituieren, die, sobald sie in Rechnung gestellt werden, die grundlegende Prämisse als eine kontingente, anfechtbare Annahme entlarven.“ (Butler 1993c: 36f.)20
Alle sprachlichen Praktiken werden an der implizit immer wieder hergestellten sprachlichen Norm bemessen und in ihrer Bewertung auf sie bezogen, ein Punkt, der in dieser Forschungsarbeit besonders in der Frage sprachlicher Veränderungen und strategischer Sprachveränderungsansätze von Bedeutung ist.21 Anschließend an Austins Entwicklung eines Sprechaktmodells als Grundkategorie sprachlicher Analyse22, auf die im dritten Kapitel genauer einzugehen sein wird, betont Bourdieu (1991) die Notwendigkeit, in die Gelingensbedingungen eines Sprechaktes Aspekte von Macht und Autorität mit aufzunehmen, ohne die ein Sprechakt nicht umfassend analysiert werden könne.23 „The logical execution shows, through the absurdities that this abstraction engenders, that the performative utterance, as an act of institution, cannot sociologically exist independently of the institution which gives it its raison d’être, and if it were to be produced in spite of everything, it would be socially deprived of sense.“ (Bourdieu 1991: 74)
Ohne den sozialen Status und die Macht, eine bestimmte performative Äußerungshandlung zu vollziehen, ist eine grundlegende Gelingensbedingung des entsprechenden Sprechakts nicht erfüllt. In diesem Zusammenhang spricht Bourdieu auch die besondere Bedeutung dieser Faktoren in der Frage von Benennungspraktiken an, deren Gelingen und Macht er als abhängig von der kontextuell zu bestimmenden Autorität der Sprechenden ansieht.24 Ein in diesem Zusammenhang wichtiges analytisches Instrumentarium ist die Unterscheidung unterschiedlicher Diskursebenen, auf denen Nor-
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Vgl. Foucault (1974: 114 f. ): „Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt. [...] Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht. Die Machtbeziehungen verhalten sich zu anderen Typen von Verhältnissen (ökonomischen Prozessen, Erkenntnisrelationen, sexuellen Beziehungen) nicht als etwas Äußeres, sondern sind ihnen immanent.“ Vgl. Kapitel 5. Vgl. Austin (1962). Bourdieu (1991) sieht dies durchaus in Austins Modell angelegt, misst diesen Aspekten hier aber eine ungleich größere Bedeutung zu. Vgl. Hornscheidt (2006b).
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
mierungspraktiken vollzogen und wirksam werden. Dem wissenschaftlichen Diskurs wird hier als Ort der Theorieentwicklung eine hohe sozial angenommene Autorität zugeschrieben, die es in einer Analyse entsprechend zu berücksichtigen gilt und die in Wechselbeziehung zu anderen Diskursebenen steht. In Anlehnung an u.a. Butler (1993a, 1993b) wird hier davon ausgegangen, dass auch die Theoriebildung stets von Machtstrukturen geprägt ist und diese wiederum zum Ausdruck bringt und weiter verfestigt oder verschiebt. Diese Annahme wird zur Grundlage genommen, um im nachfolgenden zweiten Kapitel die Konstituierung des Gegenstandes personale Appellation als Thema in der Linguistik zu untersuchen und um im vierten Kapitel die konkreten Studien zu personaler Appellation im Schwedischen in Bezug auf Gender kritisch zu diskutieren. Eine poststrukturalistische Sprachsicht impliziert beispielsweise bezogen auf konkrete Benennungspraktiken entscheidende Veränderungen gegenüber einer strukturalistischen: Der Fokus des wissenschaftlichen Interesses wird von sprachinhärenten und konkreten Sprechsituationen übergeordneten Differenzierungen zu einer Betrachtung von Sprache als jeweils konkrete sprachliche Handlung verlagert, der eine sprachsystematisch analysierbare Vorgängigkeit abgesprochen wird. Es wird die Relevanz von Sprache als wirklichkeitskonstruierendes Medium betont, welches sich u.a. in Konventionalisierungen von auch sprachlichen Differenzierungen niederschlagen kann, die dadurch den Eindruck der Statik und handlungsmäßigen Vorgängigkeit evozieren können. Darüber hinaus spielt in einer poststrukturalistischen Sprachanalyse die Miteinbeziehung von Aspekten von Macht und Status eine entscheidende Rolle. Auch dies geht auf eine Auffassung zurück, die die Abstrahierbarkeit von Sprache von konkreten Sprechhandlungen, wie sie in strukturalistischer Linguistik zu finden ist, negiert. Dies bedeutet für eine linguistische Forschung auf dem Hintergrund einer poststrukturalistischen Sprachsicht aber gleichzeitig auch die Involviertheit der Forschenden selbst in das Feld der Macht, welches sich diskursiv manifestiert und in entsprechenden Forschungen mit reflektiert werden muss. „The final problematic governing research in this century concerns the reflexive implications of the notion of relativity. If there is a linguistic relativity, then it may create real dilemmas for the conduct of research, because researchers themselves are not exempt from these linguistic influences. Not only might there be difficulties in understanding or characterizing the forms of thought of those speaking other languages, but the very generality and validity of our own linguistically formulated theories are brought into question. A linguistic relativity, if there is such,
1.2 Ein konstruktivistisches Sprachverständnis
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will not only lie out there in the object of investigation but will also penetrate right into the research process itself. This ‘reflexivity’ is a general problem in the social sciences.“ (Lucy 1992a: 2)
Lucys Anmerkungen, die auf die methodologischen Begrenzungen einer Übernahme der sprachlichen Relativitätssicht in linguistische Forschungen bezogen sind, sind auf eine linguistische Analyse im Rahmen eines poststrukturalistischen Sprachverständnisses übertragbar. Gleichzeitig deutet das Zitat aber auch eine linguistische Kontinuitätslinie im Hinblick auf eine poststrukturalistische Sprachsicht an. So kann die Frage der Beeinflussung von Wahrnehmung durch Sprachgebrauch erkenntnistheoretisch in einer sprachphilosophischen Tradition gesehen werden, die den Zusammenhang von Sprache und Denken behandelt. Die Beschäftigung mit dieser Relation reicht bis in die antike Philosophie zurück und stellt bis heute für viele Disziplinen, u.a. Philosophie, Kognitionspsychologie, Neurologie und Linguistik, ein zentrales Forschungsgebiet und Erkenntnisinteresse dar. Entsprechende Forschungen unterscheiden sich dabei grundlegend danach, was sie unter Sprache und Denken fassen und wie sie ihre Relation charakterisieren. Das häufige Fehlen einer klaren begrifflichen Bestimmung, terminologischer Abgrenzungen und Charakterisierung der Relation zwischen beiden Größen sowie eine unklare Kontextualisierung lassen das Feld als uneingrenzbar und sehr heterogen erscheinen. Bestimmte Rezeptionslinien und –prozesse, die häufig durch eine grobe Vereinfachung charakterisiert werden können, sowie Faktoren disziplinärer Grenzziehungen, die jenseits erkenntnistheoretischer Erwägungen eine Rolle für die Behandlung des Gegenstandes spielen, tragen außerdem mit dazu bei. Innerhalb der Linguistik ist der Zusammenhang von Sprache und Denken vor allem und lange Zeit exklusiv mit der ‚linguistischen Relativitätstheorie‘ identifiziert worden, was zu großen Teilen einer Verwerfung dieses Themas für die Linguistik als Disziplin gleichkam. In Fällen ihrer teilweisen Implementierung und Interpretation wurde sie klar den so genannten Bindestrichbereichen der Linguistik und als solche eher der Anthropologie als der Linguistik zugeordnet. Dies geht mit einer disziplinären Grenzziehung der Linguistik einher, die aufbauend auf dem strukturalistischen Paradigma die Relationen von Sprache als System in das Zentrum ihres Interesses gestellt hat und jegliche Relationen von Sprache zu X – sei es das sprechende Individuum, die ‚außersprachliche Welt‘, der Kontext der Sprechsituation – anderen Disziplinen überließ. Sprache wurde für die Linguistik dadurch vom Kontext abstrahiert und von der Handlung des Sprechens losgelöst. Eine Erforschung des Zusammenhangs von Sprache
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
und Denken wurde im 20. Jahrhundert lange Zeit der Philosophie, der Anthropologie und der Psychologie vorbehalten. Konkrete Forschungen zum Zusammenhang zwischen Sprache und Denken zu Beginn des 20. Jahrhunderts dienten der Linguistik als Negativfolie und Legitimation für die Verwerfung dieses Forschungsgebiets, da es sich, aus Sicht der Rezeption, als eine unzureichende Empirie auszeichnete. Die linguistische Relativitätshypothese wurde für die moderne westliche Linguistik zum sprachlichen Relativitätsmythos, der die Grenzen linguistischen Erkenntnisinteresses anschaulich aufwies. Erst mit dem linguistic turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften, der eine Neuverortung von Sprache in diskursiven Prozessen zur Folge hatte, wurde auch die Frage des Zusammenhangs zwischen Sprache und Denken innerhalb der Linguistik erneut explizit thematisiert. Seit den 90er Jahren hat eine intensivere Reflexion der Wissenschaftsgeschichte der sprachlichen Relativitätstheorie eingesetzt, die sich nicht nur in einigen Monografien zum Thema niederschlägt,25 sondern auch in einer Reihe von Sammelbänden, die die sprachliche Relativitätstheorie als Ausgangspunkt für eigene empirische Projekte und theoretische Erwägungen nehmen.26 Sie bieten damit Ansatzpunkte für linguistische Studien, die zumindest in Teilen ein konstruktivistisches Grundverständnis erkennen lassen.27 Da sie in einigen Fragestellungen das Thema der vorliegenden Arbeit berühren, werden einige der Forschungen aus diesen Bänden an späterer Stelle wieder aufgegriffen. Darüber hinaus ist vor allem aber die Entwicklung einer pragmatischen Perspektive in der Linguistik, verstärkt ausformuliert seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, festzustellen. Sie liegt somit zeitgleich mit dem linguistic turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften und dient als linguistischer Bezugspunkt der vorliegenden Studie.
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Vgl. Lucy (1992a und b), Edwards (1997), Lehmann (1998). Vgl. Pütz und Verspoor (2000), Gumperz und Levinson (1996). Edwards (1997) beispielsweise bringt die Rezeption der Sapir-Whorf-Hypothese bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts auf den Punkt, dass sie von offensichtlichen Fehlinterpretationen aufgrund einer verfälschten Wiedergabe der Hypothesen an sich gekennzeichnet sei und dadurch eigentlich ins Leere gehe. Die Sapir-Whorf-Hypothese hätte damit eine psychologisierende Komponente zu Fragen universeller Kompetenzen bekommen, die sie so bei Sapir und Whorf nicht gehabt habe.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses für die vorliegende Arbeit Eine grundlegende Charakterisierung von pragmatischen Ansätzen ist die des Studiums des Sprachgebrauchs bzw. des Studiums sprachlicher Phänomene aus der Sichtweise der Eigenschaften und Prozesse ihres Gebrauchs, womit das Verhältnis von Sprache zu den die Sprache Benutzenden als linguistischer Gegenstand gefasst wird. Zurück geht diese Definition auf Morris (1938), der die Relation von sprachlichen Zeichen und ihren Benutzer/inne/n ins Zentrum seines Interesses gestellt hatte und damit die Semiotik begründete.28 Morris (1938) Charakterisierung wird als grundlegend für eine pragmatische Orientierung in der Linguistik angesehen und entsprechend in den meisten pragmatischen Einführungen29 mit diesem Vorsatz eines Begründungsmythos zitiert: 30 „One may study the relations of signs to the objects to which the signs are applicable. This relation will be called the semantical dimension of semiosis, [...]; the study of this dimension will be called semantics. Or the subject of study may be the relation of signs to interpreters. – This relation will be called the pragmatical dimension of semiosis, [...], and the study of this dimension will be named pragmatics.“ (Morris 1938: 6)
Ein wichtiger Faktor, der in pragmatischen Analysen eine zentrale Rolle spielt, ist der Kontext einer Sprechhandlung. Es wird von der grundsätzlichen kontextuellen Eingebundenheit sprachlicher Phänomene ausgegangen und diese für eine Analyse zentral gesetzt, wodurch Sprache als Sprachgebrauch oder Sprache im Gebrauch theoretisch und empirisch ins Zentrum des pragmatisch-linguistischen Interesses rückt. In der Frage, welche Rolle dem Kontext genau gegeben wird und wie er definiert, entoder eingegrenzt wird, liegt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal verschiedener pragmatischer Ansätze. Mey (2001) gibt eine breite Definition, die die unterschiedlichen pragmatischen Varianten, Kontext zu konzeptualisieren, umfassen können soll, und mit der er von einem traditionellen linguistischen Sprachverständnis ausgehend die durch die Pragmatik vollzogene Erweiterung zu erklären versucht:
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Einen umfassenden Überblick über die historischen Quellen der Pragmatik in Europa und den U.S.A. geben Nerlich und Clarke (1996). Vgl. Levinson (1983), Mey (2001), Verschueren (1999). Es kann auch deswegen in diesem Zusammenhang von einem Begründungsmythos gesprochen werden, da schon vor Morris (1938) konzeptuelle und theoretische Vorläufer für einen pragmatischen Ansatz zu Sprache festgestellt werden können.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
„Many linguists assert that it is the ‘context’ that we must invoke to understand what an ambiguous sentence means. This sounds OK, perhaps, if by ‘context’ we understand a rather undefined mass of factors that play role in the production and consumption of utterances.“ (Mey 2001: 8)31
Mey (1993) unterscheidet in seinen weiteren Ausführungen zwischen zwei Arten von Kontexten: „First, I want to distinguish between a context which is primarily determined by society’s institutions, and a context which is primarily created in interaction. The first I will call societal, the second social.“ (Mey 2001: 42) Diese Differenzierung zwischen unterschiedlichen Arten oder Ebenen des Kontextes kann helfen, pragmatische Ansätze und Studien voneinander zu unterscheiden bzw. unterschiedlichen Richtungen zuzuordnen, je nachdem, auf welches Konzept von Kontext sie sich jeweils beziehen.32 Die Fokussierung des Aspekts des Kontexts in der Analyse bedingt eine veränderte Sicht auf Bedeutung als sprachliches Phänomen. Statt Bedeutung als Phänomen von sprachlichen Zeichen anzusehen, ist die Ausgangsperspektive der Pragmatik die Frage nach der Bedeutung von Zeichen für die Zeichenbenutzenden. Bedeutung entsteht damit erst im Gebrauch und kann auch nur in diesem festgestellt und untersucht werden. Die Relation zwischen Zeichen und den die Zeichen Benutzenden, die bei Saussure in seiner Formulierung eines linguistischen Erkenntnisinteresses weitgehend ausgeklammert bzw. auf eine/n ideale/n Sprecher/in und Hörer/in reduziert wurde, wird in einer pragmatischen Perspektive in das Zentrum des Interesses gestellt. Pragmatische Ansätze können sich darüber hinaus auch in der Frage danach voneinander unterscheiden, ob in einem einfachen Kommunikationsmodell die potentielle Intention des Zeichenbenutzenden oder die potentielle Wirkung der Zeichen auf die Zeichenempfangenden stärker fokussiert wird.33 In den meisten pragmatischen Theorien wird an diesem Punkt eine Ebene des Sprachsystems angesetzt, die zwar nicht die alleinige oder bestimmende Rolle für die Frage der Bedeutung besitzt, wie dies in traditionellen linguistischen Ansätzen
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In diesem Zitat wird gleichzeitig auch deutlich, dass hier weiterhin eine Trennung zwischen einer semantischen und pragmatischen Analyseebene angenommen wird, auf die später noch zurück zu kommen ist. So wäre beispielsweise die ethnomethodologische Konversationsanalyse, nimmt man diese kontextuelle Differenzierung auf, der interaktiven Kontextbestimmung zuzurechnen. Zusätzlich dazu muss an diesem Punkt auch hinsichtlich der terminologischen Formulierung von Intention und Wirkung innerhalb verschiedener Ansätze weiter differenziert werden; vgl. Searle (1983). In Searles Ansatz ist Intention ein geschichtetes, hierarchisches Phänomen; es können zudem verschiedene Ebenen von Intention unterschieden werden bzw. in einer konkreten Kommunikationssituation zusammen spielen.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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der Fall ist, jedoch weiterhin als eine Ebene jenseits des Sprachgebrauchs angenommen wird. „It is also necessary for that model of context to be able to accommodate the notion that although meaning is generated dynamically and is not simply a property of the language used in an utterance, the language system does play a significant role in the generation of meaning.“ (Christie 2000: 73)
Diese Grenzziehung soll in der vorliegenden Untersuchung auf ihre Prämissen hin befragt werden, um zu sehen, ob sie einer Sprachgebrauchsanalyse standhalten kann. Es soll untersucht werden, ob die Annahme eines Sprachsystems nicht eine analytische und keine sprachexistentielle Größe darstellt und ob durch die Perpetuierung der Idee eines dem Sprachgebrauch vorgängigen Sprachsystems nicht Aspekte des Sprachgebrauchs als System ‚naturalisiert‘ worden sind. Die verschiedenen Herangehensweisen an die Gegenstandsbestimmung der Pragmatik manifestieren sich auch in einem unterschiedlichen Verständnis der Grenzziehung zwischen Semantik und Pragmatik. An dieser Differenz lassen sich zugleich auch wichtige Unterscheidungsmerkmale verschiedener pragmatischer Ansätze aufzeigen. In dem komplementären pragmatischen Ansatz wird mit der Pragmatik der Semantik eine weitere Bedeutungsebene an die Seite gestellt, die die von der traditionellen Linguistik definierte Ebene der Semantik an sich nicht hinterfragt und somit beide nebeneinander in einer sprachlichen Analyse Bestand haben lässt.34 Dies bedeutet, dass Pragmatik komplementär zum strukturalistischen und generativistischen Programm der Linguistik hinzukommt und keine neue Perspektive auf Sprache darstellt. „Pragmatics is the study of those relations between language and context that are grammaticalized, or encoded in the structure of a language.“ (Levinson 1983: 9) Eine so verstandene Pragmatik ist somit in ein von seinen Grundsätzen her strukturalistisches linguistisches Projekt als komplementärer Teil integrierbar, da es ebenfalls auf dem Aspekt der Grammatikalisierung bestimmter Phänomene aufbaut. Während Semantik die Bereiche der Wortund Kernbedeutung eines Wortes oder Begriffs behandelt, werden in diesem Konzept durch Pragmatik Bedeutungen im Sinne von Gebrauchsvarianten in Abhängigkeit von unterschiedlichen, vor allem situativ definierten Kontexten analysiert. Die Frage der der Semantik zuzurechnenden Analyse der Kernbedeutung von Wörtern wird dabei gleichzeitig unangetastet gelassen, so dass diese Form pragmatischer Analyse als eine additive Variante zum strukturalistischen Forschungsansatz der Linguistik angese-
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Vgl. Brown und Yule (1983), Levinson (1983).
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
hen werden kann. Auch hier können jedoch Tendenzen beobachtet werden, die darauf hinweisen, dass die Grenzziehungen zwischen langue und parole in Saussures Verständnis zunehmend verschoben werden, wenn der komplementären Pragmatik konkrete Sprechhandlungen als Analysematerial dienen. Aus diesem Material wird versucht, übergreifende sprachliche Regeln abzuleiten. In der perspektivisch-pragmatischen Version wird die Dichotomie zwischen Semantik und Pragmatik als zwei Analyseebenen von Bedeutung hingegen aufgelöst und eine Grenzziehung zwischen Pragmatik und Semantik auf der Grundlage eines veränderten Sprachverständnisses verworfen. Verschueren (1999) betont, dass Semantik und Pragmatik in einem perspektivischen pragmatischen Verständnis nicht als komplementär beschrieben werden können, sondern sich als ausschließende Sichtweisen auf den Erkenntnisgegenstand Sprache darstellen. Semantik wird aus einer perspektivisch-pragmatischen Richtung dahingehend kritisiert, dass sie auf der unausgesprochenen Prämisse basiere, dass Bedeutungen einer Standardsprache aus „[...] standardised meanings [bestünden] that are assumed to be accessible intuitively or directly but whose clarification need not go beyond normative descriptions of hypothetical environments.“ (Cicourel 1991: 38) 35 Die hier zum Ausdruck kommende perspektivisch-pragmatische Sichtweise auf Bedeutung nach Verschueren stellt die intradisziplinäre Aufteilung der Linguistik in einzelne Teilgebiete, die sich mit unterschiedlichen sprachlichen Komponenten beschäftigen, sowie solche, die sich mit Sprache im Verhältnis zu verschiedenen außersprachlichen Komponenten beschäftigen (z.B. Sozio- und Psycholinguistik), in Frage. In einer perspektivisch-pragmatischen Ausweitung des Erkenntnisgegenstandes Sprache gegenüber einem strukturalistisch-linguistischen Modell gibt es keine zuvor festgelegten Beschränkungen der betrachteten Sprachebene. Die Pragmatik ist nicht einer linguistischen Komponente bzw. Analysegröße zuzuordnen, sondern kann linguistische Einheiten auf allen in einem strukturalistischen Sprachanalysemodell ausdifferenzierten Ebenen unter dem Aspekt des Sprachgebrauchs je nach Fragestellung fokussieren und dabei aber auch Verbindungen zwischen den verschiedenen sprachlichen Ebenen herstellen oder diese überschreiten. Darüber hinaus impliziert ein perspektivisch-pragmatischer Ansatz die inter-disziplinäre Verortung von
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Diese Charakterisierung schließt an Cicourels Modell der Trennung zwischen System, Norm und Gebrauch an, vgl. Cicourel (1991), womit das zweigeteilte Modell von langue und parole von Saussure um eine weitere Ebene ergänzt wird.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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Erkenntnisinteressen und –objekten. „Probably the time has indeed come for a complete reassessment of the human sciences as a network of converging and diverging perspectives on different dimensions of human reality rather than a collection of disciplines.“ (Verschueren 1999: 13) Jede Bedeutung wird in der perspektivischen Variante als pragmatisch und nur auf dieser Ebene analysierbar angesehen. Gefragt wird hier nach der Rolle von Sprache im Prozess der Aushandlung von Bedeutung in der Kommunikation, eine vorgängige, auf die Sprache in ihrer internen Differenzierung zentrierte oder begrenzte Auffassung von Bedeutung wird verworfen.36 Ausgehend von diesem Ansatz wird zugleich eine Vorstellung der in Wörtern bzw. in Sprache ‚innewohnenden‘ Bedeutung, die klar aus dieser extrahierbar ist, in Zweifel gezogen. „[W]here the process of meaning generation is left unproblematised, the claims about content and utterance meaning that are made by an analyst tend to depend on unarticulated appeals to native-speaker intuition. And if what is intuited is not articulated the claims that are made cannot be substantiated. [...] My point is that claims about meaning, therefore, need a theoretical framework that (1) opens up the interpretation process to interrogation; (2) indicates what type of evidence constitutes valid support for a given interpretation; and (3) can explain the significance of the evidence called on in support of an interpretation.“ (Christie 2000: 71)
Aus einer pragmatischen Perspektive und vor einem konstruktivistischen epistemologischen Hintergrund kann somit nicht nur ein verändertes Bedeutungskonzept analytisch umgesetzt werden, sondern es können auch bisherige Ansätze zu Bedeutung und deren Umsetzungen in u.a. konkrete linguistische Studien neu hinterfragt werden. In diesem Fall wird die pragmatische zu einer wissenschaftskritischen, diskursanalytischen Analyse, wie es sich in der vorliegenden Arbeit in einer Auseinandersetzung mit bisherigen Forschungsansätzen zu Genderspezifizierung personaler Appellation niederschlägt. Eine mögliche zentrale, erkenntnistheoretische Verschiebung von einem strukturalistischen zu einem pragmatischen Ansatz liegt vor allem auch in der Betrachtung jeglicher sprachlicher Manifestationen als konkrete Sprachgebrauchssituationen. Dies ist zugleich eine notwendige Voraus-
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Dies bedeutet nicht, dass nicht auch sprachliche Differenzierungen betrachtet werden können. Diese werden in einer pragmatischen Analyse jedoch nicht als dem konkreten Sprachgebrauch vorgängige und zu Grunde liegende Alternativen aufgefasst, sondern als verschiedene Möglichkeiten des Sprachgebrauchs, die z.B. mit unterschiedlichen Konzeptualisierungen zusammen hängen. Vgl. Kapitel 2 für eine ausführlichere Diskussion dieses Aspekts.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
setzung für die Adaption einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie in die linguistische Forschung, die im Rahmen einer perspektivischen Pragmatik realisierbar erscheint. Ein grundlegender gemeinsamer Ausgangspunkt einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie und eines perspektivisch-pragmatischen Ansatzes ist, dass Sprache nicht als Mittel der Abbildung einer außersprachlichen Realität, sondern als ein Realität herstellendes Mittel aufgefasst werden kann.37 Pragmatik verstanden als Perspektive kann damit auch als ein Disziplinen übergreifendes, erkenntnistheoretisches Konzept aufgefasst werden, welches mit der zuvor entwickelten konstruktivistischen Sicht auf Sprache konform gehen kann. Diese Disziplinengrenzen überschreitende Dimension einer perspektivischen Pragmatik ist von vielen Linguist/inn/en kritisiert worden, da sie damit den Rahmen der Linguistik überschritten sehen und eine mögliche inhaltliche und methodologische Trennung zwischen Pragmatik und beispielsweise Sozio- und Psycholinguistik als nicht mehr möglich erachten.38 In dieser Argumentation bleibt die Frage der Notwendigkeit auch intradisziplinärer Grenzziehungen ausgespart. Nuyts (1992) stellt die Frage, inwiefern dies ein Argument gegen eine solchermaßen verstandene Pragmatik sein müsse, „[...] since it could enhance the possibilities of finding a common ground for research throughout the many subbranches of the language sciences.“ (Nuyts 1992: 66) Er sieht Pragmatik als eine mögliche Verbindung verschiedener linguistischer Erkenntnisinteressen und kritisiert Levinson für die fehlende Vision einer integrativen Sicht auf Linguistik. Der perspektivisch-pragmatische Ansatz, auf den in dieser Monografie zurückgegriffen wird, wird im weiteren lediglich als pragmatisch bezeichnet. Ein für die vorliegende Themenstellung zentraler Aspekt eines pragmatischen Verständnisses von Linguistik ist, dass nicht ‚hinter‘ Sprache als Sprachgebrauch zurück gegangen werden kann, sondern lediglich verschiedene Ebenen des Sprachgebrauchs unterschieden werden müssen, die – um mit Mey (1993) zu sprechen – unterschiedliche situative und situationelle Kontexte haben. Aus dieser Sichtweise muss damit auch die Ebene des Sprachsystems und/oder der Grammatik neu gefasst werden,
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Dies wird hier so vorsichtig formuliert, da es darüber unter Forscher/inne/n, die sich in der Pragmatik verorten, keine grundlegende Übereinstimmung gibt. Ein Aspekt, der hier betont werden soll, ist die Feststellung, dass eine pragmatische Konzeption von Sprache einen möglichen Rahmen für ein konstruktivistisches Verständnis derselben bieten kann. Wie dargestellt wurde, wird innerhalb eines komplementär pragmatischen Selbstverständnisses die Ebene der Kernbedeutung von Sprache nicht in Frage gestellt, sondern ihr additiv bzw. komplementär die Ebene des Sprachgebrauchs an die Seite gestellt. 38 Vgl. Levinson (1983).
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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was für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz ist. In einer entsprechenden Analyse wird der Ebene der Konvention und davon abgeleitet dem Prozess der Konventionalisierung eine wichtige Bedeutung zugemessen. Aus einer pragmatischen Perspektive muss in einer kontextsensitiven Analyse die Ebene der Konvention bzw. der kontinuierliche Prozess der Konventionalisierung mit einer häufig mit dieser verbundenen Autorisierung eines bestimmten Sprachgebrauchs berücksichtigt werden. Wie weiter oben dargestellt, steht diese Auffassung der Relevanz von Konvention nicht unbedingt in einem Gegensatz zu Saussures These der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens, welche dieser auf die Relation von Signifikat und Signifikant bezogen hat. Damit hat er nicht die Rolle der Sprachgemeinschaft in der Frage des Gebrauchs bestimmter Zeichen in Abrede gestellt, sondern auch selbst hier eine Ebene der Konventionalität angesetzt, die jedoch außerhalb des von ihm formulierten sprachwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses lag. Ein Widerspruch von Saussures Verständnis zu einem konstruktivistischen Verständnis besteht jedoch an dem Punkt, an dem in strukturalistischer Perspektive über die Rolle der Sprachgemeinschaft hinaus ein unabhängig davon existierendes Sprachsystem angenommen wird, welches hier stattdessen als eine stark konventionalisierte Form des Sprachgebrauchs angesehen wird. An dieser Stelle wird auch die Frage der Berücksichtigung von Aspekten sozialer Macht und Autorität im Sinne von Bourdieu (1991) relevant39, die dieser für die Standardisierung der Sprache exemplarisch in Wörterbüchern manifestiert sieht. Standardisierung von Sprachnormen, wie sie in Wörterbüchern und Grammatiken zum Ausdruck kommt, wird hier als Manifestation einer dominanten Sprachauffassung gesehen, die als autorisierende Quellen die Vorstellung ihrer eigenen Vorgängigkeit vor dem konkreten Sprachgebrauch nähren. Als solche werden sie im Kontext dieser Studie als stark konventionalisierte Formen des Sprachgebrauchs angesehen, wobei die Betonung, dass es sich hier um Formen des Sprachgebrauchs handelt, von besonderer Relevanz für die Analyse ist. Neben der Relevanz einer Kontext differenzierenden Betrachtung unterschiedlicher Ebenen des Sprachgebrauchs soll auch die Fokussierung auf die Relation von Sprache zu den Sprache Benutzenden innerhalb des pragmatischen Verständnisses als wichtige konzeptuelle Ebene der vorliegenden Studie betont werden.
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Vgl. weiter oben.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
„At the same time, the behavior is of interest only to the extent that it is related to the meaning it has for the people involved. Hence, the empirical orientation has to be combined with a clearly interpretive stance. And since cognitive processing is involved, evidence as to the psychological reality of the described phenomena is at least desirable.“ (Verschueren 1999: 13)
Verschueren formuliert die stärkere Einbeziehung kognitiver Prozesse in einer pragmatischen Forschung als zukünftiges Forschungsdesiderat. In diesem noch sehr tentativ formulierten Forschungsprogramm wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch gerade ein Anschlusspunkt für eine linguistische Forschung vor einem konstruktivistischem Hintergrund und mit einer poststrukturalistischen Sprachsicht gesehen. Seit Ende der 90er Jahre zeichnen sich erste Ansätze ab, die sich verstärkt um eine Verbindung perspektivisch-pragmatischer Forschung mit kognitivlinguistischen Ansätzen und Forschungen bemühen und versuchen, beide in ein pragmatisches Modell zu integrieren.40 Für die Erforschung des Zusammenhangs von Sprache und Denken ist in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts unter anderem auch die sich neu etablierende Kognitive Linguistik zentral geworden, wobei zwischen den Teilen der psycholinguistischen Forschung, die sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Denken beschäftigt41, und der Kognitiven Linguistik nicht immer klare Grenzziehungen möglich sind. Der in dieser Arbeit vertretene pragmatische Ansatz versteht sich als die Frage nach Kognition integrierend. Sprachgebrauch wird hier auf ihren Bezug zur Kognition hin befragt. In Teilen reproduziert die Kognitive Linguistik strukturalistische Sprachvorstellungen und vertritt dann allenfalls ein komplementär-pragmatisches Verständnis, in Teilen ist sie ein Ansatz, der als pragmatisch im Sinne des vorliegenden Sprachmodells aufgefasst werden kann. Die hier verwendeten Bereiche Kognitiver Linguistik können verstanden werden als Teil einer umfassenderen, Disziplinen übergreifenden kognitiven Wissenschaft, die definiert werden kann als „[...] a contemporary, empirically based effort to answer long-standing epistemological questions – particularly those concerned with the nature of knowledge, its components, its sources, its development, and its deployment.“ (Gardner 1985: 6) Gardner beschränkt seine Sichtweise auf Kognition auf den As-
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Dies bedeutet nicht, dass es nicht auch für die kognitive Perspektive einer pragmatischen Forschung zahlreiche Vorläufer/innen gegeben hätte. So kann beispielsweise die Idee der indirekten Sprechakte bei Searle (1969) ebenso in diese Tradition eingeordnet werden wie Grices Konzept konversationeller Implikaturen (1975). Vgl. Levinson (1997); siehe auch weiter unten.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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pekt der mentalen Repräsentation. Menschliche Kognition soll durch eine Analyse von Symbolen, Schemata, Bildern und Ideen möglich gemacht werden. Diese Sichtweise ist auch Ausgangspunkt einer sich so verstehenden Kognitiven Linguistik, wenn sie davon ausgeht, dass der menschliche Organismus nur dadurch in der Lage ist, mit seiner Umwelt umzugehen, weil er „[...] create elaborate representations of the world around it, to represent within itself its own view of what the world surrounding the organism is like.“ (Chafe 1990: 80) Dass Sprache mentale Repräsentationen in irgendeiner Form ausdrückt oder beeinflusst, ist eine Grundannahme der Kognitiven Linguistik. Wie sie das macht und was genau sie macht, wird von verschiedenen Forscher/inne/n verschieden gesehen und charakterisiert, u.a. als Schemata, Bilder oder als idealisiertes kognitives Modell42, die im Rahmen des hier entwickelten Ansatzes zur personalen Appellation in Bezug auf die Rolle von Kategorisierungen noch eingeWährend Bedeutungen im hender besprochen werden.43 nicht-wissenschaftlichen Alltagsverständnis direkt in den Wörtern, die die Bedeutungen tragen44, sowie in bzw. durch Kombinationen dieser Wörter (Sätze, Texte) zu finden sind, sieht die Kognitive Linguistik Sprache als Bedeutungen auslösend und verursachend, aber nicht tragend an. „The more general illusion that meaning is in the language forms is both hard to repress and hard to acknowledge. And for that reason, it has made its way into many scientific accounts of language. In such accounts, the notion that forms have meaning is unproblematic, and the “only” problem becomes to give a formal characterization of such meanings associated with forms. Clearly, if the presupposition that there are such meanings is an error, the very foundations of such accounts are in jeopardy. It has been, I believe, a major contribution of cognitive linguistics to dispel this very strong unquestioned assumption.“ (Fauconnier 1999: 99f.)
Fauconnier (1999) stellt hier nicht nur klassische linguistische Prämissen in Frage, zusätzlich bekommen menschliche Kognition und Kommunikation für die Analyse von Sprache auch einen anderen Stellenwert, als dies in der traditionellen Linguistik der Fall ist. Sprache wird hier als ein bedeutungsauslösendes Phänomen gesehen, Bedeutung selbst wird in der Kognition verortet. Dieser Ansatz passt in ein konstruktivistisches Erkenntnisinteresse und wird als eine notwendige Modifikation des bis hierhin entwickelten pragmatischen Sprachmodells angesehen. Linguistik kann so als
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Idealized cognitive model (ICM). Vgl. Kapitel 2. Beachtenswert ist das metaphorische Konzept, das hier zum Verständnis herangezogen wird.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
Teil einer umfassenderen kognitiven Wissenschaft mit einem spezifisch auf Sprache ausgerichteten Erkenntnisinteresse verstanden werden. Als Teil einer größeren Einheit kognitiver Wissenschaft wird der Sprache damit nicht eine Priorität oder größere Wichtigkeit eingeräumt als anderen potentiell Bedeutung auslösenden Faktoren. Während in der Pragmatik sprachliche Bedeutung als kontextuell abhängig und nicht in der sprachlichen Form festgelegt verstanden wird, wird in der Kognitiven Linguistik der Ort von Bedeutung in der Kognition lokalisiert. Dies widerspricht der pragmatischen Auffassung nicht, sondern konkretisiert das Verhältnis von Sprache zu Kognition. Sprache ist dem kognitiv-linguistischen Verständnis nach nicht länger ein semantisches System, welches sowohl losgelöst vom aktuellen Kontext konkreter Äußerungen als auch von den damit verbundenen Kognitionsprozessen bei den Kommunizierenden, die sich auch wiederum in kommunikativen Handlungen niederschlagen, analysiert werden kann. Die Kognitive Linguistik ist „[...] no longer a self-contained account of the internal properties of languages; it is in its own right a powerful means of revealing and explaining general aspects of human cognition.“ (Fauconnier 1999: 102) Eine Integration eines pragmatischen und eines kognitiv-linguistischen Ansatzes könnte dazu verhelfen, die bisherigen gegenseitigen Ausschließungsmechanismen zu überwinden. Während in den kognitiven Ansätzen bis Ende der 80er Jahre soziale Bedeutungsaspekte als außerhalb eines auf kognitive Kompetenz ausgerichteten Erkenntnisinteresses liegend wahrgenommen wurden, wird in den sozial-linguistischen Ansätzen Kognition als universeller Einflussfaktor angesehen und aus der Analyse ausschließbar gemacht, da er als universell gültig keine Relevanz für die soziale Bedeutung von Sprachgebrauch besitzt. So entstehen besonders in der Nachfolge von Lakoff (1987) und Langacker (1987) zunehmend Arbeiten aus einer kognitiv -linguistischen Richtung, die auf die komplexe Verbindung von Erfahrungen, Kognition, sprachlichen Strukturen und Funktionen hinweisen. Die meisten dieser Studien nehmen dabei das Lexikon als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen. Taylor (1995b) formuliert die Prämissen eines entsprechenden kognitiv-linguistischen Ansatzes: „[...] a conception of language as an non-autonomous system, which hypothesizes an intimate, dialectic relationship between language on the one hand and more general cognitive faculties on the other, and which places language in the context of man’s interaction with his environment and with other of his species. On this view, a clean division between linguistic and non-linguistic faculties, between linguistic facts and non-linguistic facts, between a speaker’s linguistic knowledge proper and his non-linguistic knowledge, between competence and performance, may ultimately prove to be both unrealistic and misleading.“ (Taylor 1995b: 18)
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
41
Sweetser (1990) hat mit Hinblick auf angenommene universell -menschliche, perzeptuell bestimmte Möglichkeiten zum Verständnis spezifischer Konzepte darauf hingewiesen, dass diese nicht bedeuten, dass Menschen nicht zusätzlich dazu auch durch kulturell unterschiedliche Lexikalisierungen in ihrem Verständnis dieser Konzepte beeinflusst sind. In dem kognitiv-linguistischen Ansatz von Sweetser (1990) findet sich eine Verbindung sozialer und kognitiver Aspekte, wenn metaphorische und kulturelle Aspekte von kognitiven Strukturen betont werden. Auch Mey (2001) vertritt in seinem pragmatischen Ansatz, der generell die sozialen Aspekte betont, die gegenseitige Abhängigkeit von Sprache und Kognition, wenn er die Entwicklung der Sprache durch soziale Interaktion auf der einen Seite postuliert, aber gleichzeitig sieht, dass „[...] once the world has been worded, it influences our ways of looking at our environment.“ (Mey 2001: 301) Der Versuch, kognitive und soziale Aspekte in einem pragmatischen Modell überzeugend zusammen zu führen, ist noch relativ jung.45 Marmaridou (2000) integriert, ausgehend von dem philosophischen Ansatz des experiential realism nach Putnam (1981) kognitive und soziale Elemente in ein pragmatisches Modell. „It seems to me that this possibility may be realized if it is sufficiently understood that socially based situational meanings are conceptually internalised by interlocutors in terms of certain cognitive structures and mechanisms which, however, cannot be restricted to deductive reasoning, as already indicated. [...] the pragmaticist’s task is not only to show whether social reality is reproduced in language use, but also to explain how it is created, perceived and worded so that it is reproduced or changed.“ (Marmaridou 2000: 39f.)
Marmaridou betont die Notwendigkeit einer Zweiseitigkeit der Perspektive in pragmatischer Forschung. Die implizite Annahme des Abbildungscharakters der Sprache in Bezug auf soziale Realität wird verlassen und stattdessen ihre Interdependenz in der ReProduktion auch auf kognitiver Ebene berücksichtigt. Der Ansatz geht mit der zuvor dargelegten konstruktivistischen Erkenntnistheorie sowie mit einer poststrukturalistischen Sprach- und Wirklichkeitssicht konform, in der die beiden Ebenen eben-
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Dieses verwundert nicht, da auch die Pragmatik insgesamt als relativ junger Zweig linguistischer Beschäftigung zunächst die Elemente, die aus dieser Perspektive wichtig sein können, im Einzelnen und parallel zueinander in verschiedenen Schulen und theoretischen Entwicklungen betrachtet hat. Dieses wiederum ist dem Entstehen dieser Richtung in Abgrenzung zur und Reaktion auf strukturalistische und generativistische Linguistik geschuldet, wozu zunächst einzelne Elemente isoliert für die Argumentation betrachtet wurden, was die Vorarbeit zu dem Versuch beinhaltet, verschiedene Elemente miteinander in einem Ansatz zu integrieren.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
falls als untrennbar konzipiert sind, und bietet sich somit als ein linguistischer Bezugsrahmen der vorliegenden Studie an. Marmaridou (2000) versteht ein kognitiv-pragmatisches Projekt als „[...] the study of the use of language to structure reality as meaningful experience. According to this definition, pragmatic meaning emerges interactively while language is so being used.“ (Marmaridou 2000: 61) So kann die Frage nach der Konventionalisierung bestimmter Sprachverwendungen und damit von Bedeutungen auch theoretisch neu verankert werden, wobei die Ebene des institutionellen Charakters von Sprache eine herausragende Rolle spielt. Sprache wird als ein symbolisches Mittel verstanden, um Erfahrungen auszudrücken. Das bedeutet gleichzeitig, dass sie nicht direkt einer angenommenen physikalischen Realität entspricht, sondern imaginär in Form von beispielsweise metaphorischen mappings46 oder spezifischen Bilderschemata47 strukturiert ist. Dadurch, dass die so verstandene Sprache einmal diese institutionelle Funktion übernommen hat, werden die Bilderschemata, ICMs oder mappings Teil menschlicher Erfahrungen und damit auch sozialer Identitäten. „[...] since meaning emerges from an understanding of experience and since it is symbolically expressed in linguistic form, it follows that linguistic form expresses how human beings understand experience, or, alternatively, how they conceptualize reality. Once created, language is itself experienced by human beings as a means of communication and thought. Because human beings experience language as members of a particular linguistic community, they actually experience a specific symbolic form of their physical and social experiences.“ (Marmaridou 2000: 61f.)
An dieser Erweiterung des pragmatischen Grundverständnisses aus einer kognitiven Perspektive48 sind mehrere Aspekte wichtig: Die Interdependenz jeglicher Form von Erfahrung mit Sprache und gleichzeitig die Relativierung der Idee eines Ursprungs und Originals von Erfahrung als jeweils im Rahmen einer symbolischen Ordnung erfahren. Diese Sichtweise geht auch mit Derridas Modell der Repräsentation konform, in der diese „[...] nicht die Modifikation eines ‚Re-, eines Wieder-, Zurück oder Ver-‘, das sich einer ursprünglichen Präsentation überstülpt“ (Derrida 1979: 169) ist, sondern zum einen immer wieder selbst auch Zeichen ist und anderer-
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Vgl. Lakoff und Johnson (1980). Vgl. Marmaridou (2000: 61). Vgl. auch Fauconnier (1997: 35), der von einer kognitiv-linguistischen Position kommend Kognition als den entscheidenden Faktor für eine Wendung von Semantik zu Pragmatik ansieht.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
43
seits in jeder RePräsentation zugleich auch eine kontinuierliche Veränderung enthalten ist. Zum anderen ist mit Blick auf Sprachveränderungsprozesse in der pragmatisch-kognitiven Bestimmung beispielsweise auch der Aspekt wichtig, dass Sprache institutionalisiert nicht mehr als aktives und kreatives Medium von den Sprachbenutzenden wahrgenommen, sondern als solches als reflektierendes und passives Ausdrucksmittel von Gedanken verstanden wird. Diese generelle Wahrnehmung von Sprache durch die Sprachbenutzenden ist grundlegend für die Funktion und den Stellenwert, die Sprache als Instrument und Mittel sozialer Veränderung eingeräumt werden und findet sich entsprechend auch in öffentlichen und privaten Einstellungen zu bewussten und expliziten Sprachveränderungen wieder, wie in Kapitel 7 konkret an der Aufnahme und Diskussion feministischer Sprachveränderungsvorschläge untersucht wird. Ein dritter wichtiger Aspekt eines entsprechenden pragmatischen Ansatzes liegt in der damit verbundenen Perspektive auf konventionalisierte Bedeutungen. Diese werden als sprachliche Einheiten charakterisiert, die im Prozess der Konventionalisierung eines bestimmten Sprachgebrauchs derselben zunehmend von den Sprachbenutzenden als dekontextualisiert wahrgenommen werden und dann als semantisch spezifiziert gelten. Marmaridou (2000) betont vor allem, dass konventionalisierte Bedeutung etabliert wird, wenn kontextuelle Bedeutung bis zu einem gewissen Grad durch ständige Wiederholung schematisiert wird und konventionalisierte Einheiten dann keine kontextuelle Bedeutung mehr tragen, sondern vielmehr kontextuelle Bedeutung durch Prozesse der Schematisierung sanktionieren. In Ergänzung dazu sollen in dem hier vorgestellten Modell Aspekte von Machtrelationen, die für diese Konventionalisierung, die zu einer Dekontextualisierung in der Wahrnehmung der Bedeutungen führen, als entscheidende Größe Berücksichtigung finden. Gleichzeitig wird die Idee der ReProduktion von Bedeutung durch Wiederholung auch vor dem Hintergrund einer Machtanalyse in Frage gestellt, von der ausgehend in Anlehnung an Derrida (1976) keine mit sich identische Wiederholung angenommen wird. Durch diese Fokusverschiebung wird die kontinuierliche Dynamik sowohl der Bedeutungsaushandlungen als auch der Machtrelationen stärker betont, ohne dass damit die Machtrelationen den sprachlichen Prozessen als vorgängig vorgeordnet werden. Es wird stattdessen davon ausgegangen, dass auch die Machtrelationen sich kontinuierlich in und mit den Bedeutungsaushandlungen konstituieren. Auch mit dieser Fokusverschiebung wird weiterhin von stark konventionalisierten Formen der Bedeutungsaushandlung ausgegangen, in denen sowohl die
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
Machtrelationen relativ unverbrüchlich erscheinen als auch die ReProduktion von Bedeutungen nur geringe Verschiebungen aufzuweisen scheint. Eine vergleichbare Sichtweise findet sich, wenn auch weniger explizit, bei Sweetser (1990), wenn sie kulturelle49 Aspekte von Bedeutungen als Teil kognitiver Strukturen ansieht. Mit diesem Ansatz ist es möglich davon auszugehen, dass soziale Bedeutungskomponenten in Form kognitiver Strukturen internalisiert sind. Damit stehen in diesem pragmatischen Ansatz kognitive und soziale Aspekte nicht unverbunden und/oder additiv nebeneinander und weisen auch nicht nur eine dialektische Interdependenz zu Sprache auf, sondern es wird hier ein pragmatisches Bedeutungsverständnis als kognitiv relevant konzipiert und somit eine komplexe Verbindung zwischen einem pragmatischen Sprachverständnis und Kognition gesehen. In dem pragmatisch-kognitiven Modell wird damit auch nicht zwischen Sprecher/in und Hörer/in unterschieden, sondern es sind beide (Einfluss)Richtungen zwischen Konzeptualisierung und Äußerung möglich und beiden wird dabei eine aktive Komponente zugesprochen. „I would like to suggest that reality is constructed, maintained or changed not only in the way we word the world, but also in the way that we cognitively interact with, rather than simply recover, others’ wording of it at the same time.“ (Marmaridou 2000: 55) Zusammenfassend kann damit für die vorliegende Arbeit Verschuerens (1999) Definition von Pragmatik als Ausgangspunkt genommen werden: „[...] a general cognitive, social and cultural perspective on linguistic phenomena in relation to their usage in forms of behaviour (where the string ‘cognitive, social, and cultural’ does not suggest the separability of what the terms refer to).“ (Verschueren 1999: 7) Pragmatik wird in der vorliegenden Arbeit als eine Perspektive auf Sprache angesehen, die diese immer und grundsätzlich als Sprachhandlung versteht. Von besonderem Interesse ist dabei das interdependente Verhältnis von kognitiven und sozialen Faktoren in Bezug auf Sprache. Die Beziehung dieser verschiedenen Größen zueinander wird als eine Beziehung wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit angenommen, was konkret am Beispiel personaler Appellation im Schwedischen untersucht wird. Darunter fallen sowohl Betrachtungen der konkreten Machtrelationen in bestimmten Diskursen und Diskursfeldern als auch die Frage der Strukturierung und Kommunikation von Erfahrung, hier konkret bezogen
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Bei Sweetser (1990) definiert als standardsprachlich zu differenzierende.
1.3 Entwicklung eines pragmatischen linguistischen Verständnisses
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auf die Frage der Genderspezifizierung personaler Appellation. Der hier vertretene Ansatz kann damit als konstruktivistisch bezeichnet werden. Eine konstruktivistische Sichtweise ist jedoch nicht nur in Bezug auf die hier vertretene Sprachsicht relevant, sondern auch für die Frage des Verständnisses von Gender, was im folgenden Unterkapitel erläutert wird.
1.4 Ein poststrukturalistisches Verständnis von Gender Perhaps, for those of us who have never known what life in a vernacular culture is/was and are unable to imagine what it can be/could have been, gender simply does not exist otherwise than grammatically in language. Trinh 1989: 104
Die wohl am meisten seit den 90er Jahren im westeuropäischen Raum auf akademischer Seite rezipierte Neuformulierung der Kategorie Gender im Anschluss an poststrukturalistische Theorie stammt von Butler (1990). Sie geht in ihrer Analyse der Konstruktion dessen, was Gender ausmacht, einen Schritt weiter als poststrukturalistische Theoretikerinnen vor ihr, die in englischer Terminologie zwischen gender als sozio-kulturell konstruiertem Geschlecht und sex als biologischem oder natürlichem Geschlecht unterschieden haben und den Aspekt der sozialen Konstruktion dessen, was unter Gender sowohl im wissenschaftlichem als auch im Alltagsverständnis subsumiert wird, betonen.50 Der Differenzierung in sex und gender liegt in Butlers Analyse die von ihr kritisierte Annahme zu Grunde, dass es etwas wie sex als den ‚Körper‘ oder als ‚die‘ Sexualität gäbe, sozusagen als ‚tabula rasa‘, auf der kulturelle Einschreibungen vorgenommen werden. Butler (1990) steht in einer Foucaultschen Tradition und vertritt die Vorstellung, dass auch der sogenannte ‚natürliche‘ Körper an sich eine Geschichte hat, und wendet diese Erkenntnis auf den sex-Teil in der Opposition von sex und gender an. Während Foucault den Körper als Oberfläche und Bühne für kulturelle Einschreibungen ansieht, geht Butler auch hier einen Schritt weiter, indem sie annimmt, dass der Körper keine ‚vorgängi-
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Vgl. auch Weedon (1991) als Einführung. Ein früher und für die nachfolgende Forschung wichtiger Beleg für die terminologische und inhaltliche Trennung zwischen sex und gender im Englischen ist Rubins (1975) Verwendung der Termini.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
ge Materialität‘ ist, sondern auch selbst schon kulturell geformt ist. Durch die grundsätzliche Sicht auf den Körper als kulturell und gesellschaftlich vermittelt wird die Trennung von sex und gender ad absurdum geführt, bzw. die Naturalisierung von sex als etwas Vordiskursives und als politische Strategie verstanden, die die dahinter stehenden Normierungs- und Machtverhältnisse verschleiert. Wo sex aufhört und gender anfängt, sei nicht klar benennbar in unserer Kultur, postuliert Butler.51 Die begriffliche und konzeptuelle Grenzziehung und Unterteilung sei damit immer auch eine geschaffene, keine natürlich vorgegebene, eine Konstruktion, die die Fiktion verfestige, dass es ‚den natürlichen Körper‘ als geschlechtliche Essenz gäbe. Sex, das biologische Geschlecht einer Person, sieht Butler als eine bis dahin weitgehend unhinterfragte Grundlage an, die durch diesen Status extrem machtvoll normativ wirkt. Das hinter dieser Vorstellung der Natürlichkeit der Sex-Zuordnung von Menschen stehende System der gleichzeitig damit angenommenen biologischen, natürlichen Zweigeschlechtlichkeit ist auch kulturell in der Frage bestimmt, was ihm als natürlich zu zurechnen und somit eine kulturelle Konstruktion ist. Ihre Theorie ist somit eine Fortführung und Erweiterung oder Radikalisierung feministischer Konstruktionskonzepte, die zwischen sex und gender differenzieren. Als natürlich angesehene Körper und damit verbundene Geschlechtsdifferenzierungen sind für Butler Materialisierungen von regulierenden Normen, die sich durch ständige Wiederholung verfestigen. Materialität – in diesem Fall die Materialität des Körpers, gelebt in seinen Grenzen und seinen Bewegungen – ist produktiver Effekt von Macht. Die Unterscheidung in sex und gender basiert darüber hinaus auf der Unterscheidung in Natur und Kultur. Dies lässt außer Acht, dass der Zugang zu jeglicher Form oder Wahrnehmung von ‚Natur‘ auch immer durch ‚Kultur‘ vermittelt ist und damit nie ein ‚natürlicher‘ bzw. ein Zugang zur ‚eigentlichen‘ Natur ist. Ein ‚natürlicher‘ Zugang ist durch die eingeschriebene soziale Konstruktion unmöglich. Wenn gender, so Butler, die soziale Konstruktion von sex ist, dann gibt es keinen Zugang mehr zu sex außer über seine Konstruktion, die wiederum gender ist. Sex wird sozusagen absorbiert durch gender, wird zu einer Fiktion von etwas Natürlichem. Ist sex diese erfundene natürliche Prämisse, dann ist es gleichzeitig auch keine Voraussetzung mehr für gender, sondern Teil der Konstruktion, indem es als prädiskursiv konstruiert wird. ‚Frau‘, so Butler, sei kein feststehender Begriff, entbehre jeder natürlichen Grundlage, in der sich dieser Terminus aus sich selbst erkläre, sondern sei immer nur verständlich aus
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Vgl. Butler (1990).
1.4 Ein poststrukturalistisches Verständnis von Gender
47
seiner Relation zum Begriff ‚Mann‘. Die Subjekte, die als ‚Frauen‘ bezeichnet werden, werden ausschließlich diskursiv hervorgebracht – durch ihre Appellation. Die Schranken des Diskurses, d.h. die Möglichkeiten und Grenzen dessen, was durch Sprache benannt werden kann, legen auch die Möglichkeiten des Vorstellbaren fest und damit auch die in einer Gesellschaft möglichen Konfigurationen von sex und gender. „Die politischen Verfahrensweisen nachzuzeichnen, die das produzieren und verschleiern, was als Rechtssubjekt des Feminismus bezeichnet werden kann, ist genau die Aufgabe einer feministischen Genealogie der Kategorie ‚Frau(en)‘.“ (Butler 1991: 21) Die poststrukturalistische Annahme, dass das Subjekt konstituiert ist, bedeutet nicht gleichzeitig, dass es determiniert und damit handlungsunfähig ist. Gerade seine Konstitution sieht Butler als die Voraussetzung für Handlungsfähigkeit an. Veränderung und Widerstand sind in dieser Vorstellung auch ohne die Annahme einer ‚genuinen‘ Handlungsfähigkeit möglich. Diese ist immer auch ein politisches Vorrecht, und es ist dementsprechend wichtig, nach den Bedingungen der Möglichkeit der Handlungsfähigkeit zu fragen und sie nicht als eine a priori feststehende Garantie für selbstverständlich zu nehmen.52 Eine Kritik an Butlers Ansatz53 trifft sich häufig auch mit einer generelleren Kritik an konstruktivistischen Vorstellungen, die sich konkret auf die Konzipierung von Gender beziehen. Ein regelmäßig wiederkehrendes Argument ist, dass gerade zu dem historischen Zeitpunkt, an dem Frauen zum ersten Mal in der Geschichte Handlungsfähigkeit als Subjekte erlangt hätten, diese durch die postmoderne Theorie grundlegend in Frage gestellt würde. Butler entgegnet dazu, dass gerade die Produktion von Subjekten54 eine Funktionsweise der Herrschaft sei, die machtvoll mit der Kategorie Frauen umgeht und die Fähigkeit zur Ausgrenzung besitzt. „Wollen die Frauen wirklich nach einem Modell zu Subjekten werden, das einen vorgängigen Bereich des Verworfenen fordert und produziert?“ (Butler 1993c: 48) Die Dekonstruktion des Subjekts ‚Frau‘ ist für Butler nicht die Verneinung der Kategorie, sondern die Möglichkeit zur Betrachtung aller und besonders auch der sprachlichen Bedeutungszuschreibungen, also all dessen, worauf sich der Terminus bezieht. Butler betont, dass sie nicht die Kategorie an sich vollkommen aufgelöst wissen möchte, sondern ihre
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Vgl. Butler (1993c: 44ff). Vgl. Benhabib, Butler, Cornell und Fraser (1993), ein Sammelband, in dem verschiedene zentrale Kritikpunkte an Butlers Konzept in Form von aufeinander bezogenen Artikeln diskutiert werden. Das heißt auch die Produktion von Subjekten als Frauen.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
politische Notwendigkeit als Identitätskategorie sieht; ihre Forderung ist, nicht mehr zu versuchen, der Kategorie Frauen einen universellen oder spezifischen Gehalt zuzuweisen. Die Kategorie Frauen auf Identität aufzubauen hätte immer auch eine zersplitternde Wirkung, da Identitätskategorien immer normativ und damit selektiv seien, nie nur deskriptiv. „Das Subjekt des Feminismus dekonstruieren heißt also nicht, den Gebrauch dieses Begriffs zensieren, sondern ihn im Gegenteil in eine Zukunft vielfältiger Bedeutungen entlassen, ihn von den maternalen oder rassischen Ontologien befreien und ihm freies Spiel geben als einem Schauplatz, an dem bislang unvorhergesehene Bedeutungen zum Tragen kommen können. [...] Freilich kann man fragen, ob es nicht dennoch einen Komplex von Normen geben muß, die unterscheiden, welche Beschreibungen in die Kategorie ‚Frauen‘ gehören und welche nicht. Die einzige mögliche Antwort auf diese Frage ist eine Gegenfrage, nämlich: Wer sollte diese Normen festlegen, und welche Anfechtungen werden sie im Gegenzug hervorrufen?“ (Butler 1993c: 50)
Die Aktivität der Annahme oder Zuschreibung einer Genderidentität ist in diesem Modell keine aktive Aneignung eines Individuums, sondern eine Matrix, durch deren Zuschreibung Subjekte zu wollenden, aktiv handelnden Subjekten in einer Gesellschaft werden. Konstruktion ist damit keine singuläre, individualisierte und autonome Handlung, sondern ein ständiger Prozess von Wiederholungen und diskursiven Verschiebungen, aus dem Subjekte in Form diskursiver Subjektpositionierungen55 hervorgehen. Dies ist jedoch nicht mit dem vielfach in Kritik an poststrukturalistischen Theorien formulierten Tod des Subjekts gleichzusetzen. Stattdessen bietet dieser Ansatz die Möglichkeit der Hinterfragung der Prämissen einer Konstitution des Subjekts, wie Butler in Anlehnung an Foucault formuliert: „Kein Subjekt ist sein eigener Ausgangspunkt. Die Phantasie, die es zu einem solchen erklärt, kann ihre konstitutiven Beziehungen nur verleugnen, indem sie sie zum entgegengesetzten Gebiet reiner Äußerlichkeit umformt. [...] Die Kritik des Subjekts beinhaltet keine Verneinung oder Nichtanerkennung des Subjekts, sondern eher eine Infragestellung seiner Konstruktion als vorgegebene oder normativ als Grundlage dienende (foundationalist) Prämisse.“ (Butler 1993c: 41)
Konstruktion ist so verstanden ein Prozess der Materialisierung, der sich mit der Zeit stabilisiert und dadurch Grenzen, Fixierungen und Oberflächen produziert. Sprache spielt in diesem Modell der Subjektkonstitution eine zentrale Rolle, sie wird als performative Handlung56 verstanden, die das hervorruft, was sie benennt. Auch in Bezug auf die Herstellung eines
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Vgl. Jørgensen und Phillips (2000). In Anlehnung an Austin (1962).
1.4 Ein poststrukturalistisches Verständnis von Gender
49
gegenderten Subjekts hängt das Funktionieren der performativen Äußerung von der Bezugnahme auf Konventionen ab, die von Machtrelationen bestimmt sind. „Die Kraft oder Effektivität eines Performativs hängt von der Möglichkeit ab, sich auf die Geschichtlichkeit dieser Konventionen in einer gegenwärtigen Handlung zu beziehen und sie neu zu kodieren. Diese Macht des Rezitierens ist nicht Funktion der Intention des Einzelnen, sondern Effekt der historisch abgelagerten sprachlichen Konventionen.“ (Butler 1993b: 124)
Die Analyse von Gender wird, so verstanden, zur Analyse von GenderPerformanz bzw. -Performativität, ohne damit gleichzeitig ein intentionales Subjekt zu implizieren, welches als ‚Täter/in‘ hinter den Akten der Performanz stehe. Stattdessen bedeutet es in Anlehnung an Foucaults Vorstellung einer Diskursanalyse die Analyse der Konstitutionsbedingungen für die Herstellung einer GenderPerformativität. In der hier vorgestellten poststrukturalistischen Sichtweise auf Gender wird sprachlichen Prozessen der Subjektkonstitution eine zentrale Position zugeschrieben, wodurch sie sich besonders als Ausgangspunkt in Bezug auf die Gendertheorie für die vorliegende Arbeit anbietet. Sie geht mit der zuvor entwickelten konstruktivistischen Sichtweise konform, in der Sprache als eine Form der Konstruktion einer Wirklichkeit verstanden wird. Diese Sichtweise ist hier auf die Konstitution von Gender übertragen worden und dekonstruiert die Vorstellung einer Natürlichkeit dieser Kategorie. Als entscheidende sprachliche Handlung zur Konstitution von Gender in der Herstellung von Subjekten werden Akte sprachlicher Benennung angesehen, die das Thema der vorliegenden Monografie bilden. Um die konstituierenden Bedingungen für die Herstellung von Gender in personaler Appellation im heutigen Schwedisch zu untersuchen, werden verschiedene Diskursebenen analysiert, die zusammen Teile eines komplexen Machtgefüges bilden. Ein Ziel ist die Sichtbarmachung der Interdependenz der Konstitution von Gender auf verschiedenen Diskursebenen. Als Grundlage der Annäherung an das Phänomen personaler Appellation werden im nachfolgenden Kapitel traditionelle linguistische Ansätze zur Analyse derselben analysiert. Hier wird auf der Ebene des wissenschaftlichen Diskurses die Konstitution des Gegenstandsbereichs personale Appellation in Bezug auf Gender untersucht. Diese Analyse bildet zugleich die Voraussetzung für die Entwicklung eines konstruktivistisch verorteten, pragmatischen Modells zur Analyse personaler Appellation, wie es im Anschluss daran im dritten Kapitel vorgestellt wird.
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1. Erkenntnistheoretische Grundlagen
Um eine Übernahme eines an Butler (1990 [1991], 1993a, 1993b, 1997a, 1997b) angelehnten Konzepts deutlich zu machen, wird der aus dem Englischen stammende Begriff Gender hier übernommen. Da durch diesen begrifflich ein bestimmtes Konzept zum Ausdruck gebracht wird, wird er im Text nicht besonders markiert. Stattdessen dient er als Grundform für verschiedene Wortbildungen in diesem Kontext im Bereich der Komposita, Adjektive und Verben wie beispielsweise gendern, gegendert, Genderidentität. Auf diese Art und Weise soll zugleich versucht werden, eine terminologische Uneindeutigkeit so weit wie möglich zu vermeiden.
2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation Denn nicht nur das Mass, sondern auch der Mittelpunkt der Welt ist der Mensch, dünkt sich es zu sein. Alles dreht sich um ihn, bewegt sich nach ihm hin oder von ihm weg; was über ihm ist, ist oben, was hinter ihm liegt, ist hinten, und um ihn herum zieht sich der Kreis dessen, was er sein nennt und scharfen Blickes unterscheidet. Gabelentz 1969 [1901]: 317 Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen. Wittgenstein 1988: 246 There is nothing more basic than categorization to our thought, perception, action, and speech. Every time we see something as a kind of thing, for example a tree, we are categorizing. Whenever we reason about kinds of things – chairs, nations, illnesses, emotions, any kind of thing at all – we are employing categories. Whenever we intentionally perform any kind of action, say something as mundane as writing with a pencil, hammering with a hammer, or ironing clothes, we are using categories.” Lakoff 1987: 5f.
2.1 Einleitung Aufbauend auf den im ersten Kapitel vorgestellten erkenntnistheoretischen Prämissen wird im vorliegenden zweiten Kapitel ein Ansatz zur Analyse sprachlicher personaler Appellation entwickelt, in dem poststrukturalistische Sprach- und Machtkonzepte für eine linguistische Analyse in einem pragmatischen Modell umgesetzt werden. Dieses Kapitel bietet einen linguistisch fundierten Ansatz zur analytischen Umsetzung eines
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
konstruktivistischen Verständnisses zum potentiellen Zusammenhang von Sprache und Gender im Bereich der personalen Appellationsformen. Es ist ein praktisches Instrumentarium zur Analyse der sprachlichen Konstruktion von wirklichkeitskonzeptualisierenden Kategorisierungen. Im Unterkapitel 2.2 wird das Konzept der Referenz aus konstruktivistischer und pragmatischer Perspektive hinterfragt und aus dieser Kritik ein konstruktivistisches pragmatisches Konzept der Appellation entwickelt, welches im Kontext der vorliegenden Arbeit auf personale Appellation eingeschränkt wird. Für die Frage der Konstruktion von Gender in personalen Appellationsformen wird der Ansatz der Kategorisierung in der Tradition der Kognitiven Linguistik im Unterkapitel 2.3 vorgestellt und auf den Erkenntnisgegenstand der vorliegenden Arbeit bezogen. Dem schließt sich in Kapitel 2.4 eine Diskussion konventionalisierter Begrifflichkeiten zur Kategorisierung von Gender bei personalen Appellationsformen an, denen eine neue begriffliche Differenzierung gegenüber gestellt wird, durch die ebenfalls die pragmatische, konstruktivistische Perspektive betont wird. Nicht nur auf der Ebene der Lexikalisierung von Genderspezifizierung personaler Appellation spielt Kategorisierung eine Rolle1, sondern ebenso auf der Ebene der Grammatikalisierung. Um dies für die vorliegende Fragestellung umsetzen zu können, werden grammatikalisierungstheoretische Ansätze vorgestellt und diskutiert, die mit einem konstruktivistischen Grundverständnis konform gehen. Im abschließenden Unterkapitel 2.6 werden die Ergebnisse der Entwicklung eines konstruktivistischen pragmatischen Modells zu personaler Appellation zusammengefasst und seine konkrete Umsetzung für eine Analyse des heutigen Schwedisch diskutiert.
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Lexikalisierung wird hier als die Inventarisierung eines sprachlichen Ausdrucks als Lexikoneintrag verstanden. Dieser Aspekt wird im nächsten Kapitel weiter ausgeführt.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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2.2 Infragestellung des Konzepts der Referenz und Etablierung des Konzepts Appellation Wie im ersten Kapitel herausgearbeitet wurde, steht der in dieser Monografie entwickelte Ansatz zu personaler Appellation in Abgrenzung zu einem strukturalistischen Modell zu Bedeutung, Kategorisierung und Referenz. Er ist als linguistischer Ausgangspunkt in einem perspektivischpragmatischen Sprachmodell vor einem konstruktivistischen erkenntnistheoretischen Hintergrund verortet. Referenz Aus der in dieser Arbeit vertretenen konstruktivistischen Perspektive wird davon ausgegangen, dass sprachliche ‚Referenz‘ gleichzeitig auch die sprachliche Herstellung einer bestimmten Welt- oder Wirklichkeitssicht ist, die nicht an einer objektivierbaren Realität ‚hinter‘ dieser bemessen werden kann. Diese durch den Sprachgebrauch hergestellte Wirklichkeit(ssicht) stellt die einzige mögliche analytische Ebene dar, an der Konzeptualisierungen u.a. in Form von Kategorisierungen, Ein- und Ausschlüssen, Benennungen und Nicht-Nennungen zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Gesellschaft und innerhalb verschiedener sozialer Gruppen herausgearbeitet werden können – wobei diese Gesellschaften und sozialen Gruppen durch Sprachgebrauch gleichzeitig auch konstituiert werden. In Ergänzung zu einem pragmatischen Ansatz zur Analyse von Sprache, in dem das Verhältnis von Sprache zu den Sprache Benutzenden zentral gesetzt wird, ist ausgehend von einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse zusätzlich die Herstellung von Welt durch Personen in der Benutzung von Sprache zentrales Anliegen der Forschung. Sprachliche ‚Referenz‘ wird auf der Grundlage eines konstruktivistischen Ansatzes hier als ein Akt der ZuSchreibung und Kategorisierung verstanden, der der Konzeptualisierung und Vermittlung von Wahrnehmungen dient, die ihrerseits durch Konventionen und Normierungen im Sprachgebrauch geprägt sind und auf der Grundlage bestimmter kognitiver Verarbeitungsprozesse geschehen, die wiederum durch den konkreten Sprachgebrauch beeinflusst werden. „Wahrnehmen und Erkennen operieren mit Unterscheidungen, die sowohl evolutionär als auch sozialisatorisch basiert sind und mit Hilfe von Sprachen als differentiellen Systemen von Benennungen kommunikativ verfestigt werden. Aus
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Interaktion und Kommunikation emergieren im Laufe der Geschichte die Wirklichkeitsmodelle von Gemeinschaften und Gesellschaften. Wirklichkeitsmodelle lassen sich bestimmen als kollektives Wissen der Mitglieder einer Gemeinschaft, das über Erwartungserwartungen deren Interaktionen koorientiert und damit kommunalisiert. Wirklichkeitsmodelle entstehen auf dem Wege der Konstruktion und Systematisierung für essentiell gehaltener Unterscheidungen.“ (Schmidt 1997: 175)
In einer solchen Sichtweise wirkt der Begriff ‚Referenz‘ irreführend, da er konventionalisiert die in konstruktivistischer Sicht kritisierte Vorstellung der Trennbarkeit und des Verweischarakters von Sprache und Welt tradiert, so dass mit der Entwicklung eines konstruktivistischen Modells auch die Verwendung des Begriffs ‚Referenz‘ zur Disposition steht. Als Ausgangspunkte für eine veränderte Sichtweise auf das Phänomen ‚Referenz‘ werden im folgenden zwei linguistische Traditionen herangezogen: Dies ist zum einen die Sprechakttheorie im Anschluss an Austin und Searle, vor allem in einer spezifischen Weiterentwicklung von Butler (1993a, 1997a, 1997b), und zum anderen kognitiv-linguistische Ansätze der Wissensverarbeitung, die unter dem Gesichtspunkt der Kategorisierung betrachtet werden.2 Die in der Linguistik übliche Begrifflichkeit der Referenz tradiert und reproduziert die Auffassung einer objekthaften Vorgängigkeit der Welt vor der sprachlichen Benennung.3 Zugleich liegt dem Begriff ‚Referenz‘
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Natürlich ließen sich an dieser Stelle auch noch andere Ansätze nennen, die auch einen gewissen Einfluss auf die hier entwickelte Theoriebildung haben bzw. in einer inhaltlichen Nähe zu dieser stehen. An erster Stelle wäre die Idee der Semiotisierung der Welt zu nennen, die innerhalb einer semiotischen Tradition besonders klar bei Eco (1972) und Eco (1987) vertreten wird. In diesem Ansatz, der ähnlich auch bei Greimas (1987) zu finden ist, wird das Konzept des Referenten als Analysegröße in seinem Vorhandensein und in seiner Relevanz in Frage gestellt, da sie sein objektives und in gewisser Weise auch ursprüngliches, unsemiotisiertes Vorhandensein voraussetze. Das von Eco noch sehr allgemein formulierte ‘Denken und Sprechen der Gesellschaft’ wird durch pragmatische Ansätze auf die Bedeutung von Zeichen für die die Zeichen Benutzenden spezifiziert. Im Rahmen eines konstruktivistischen Erkenntnisinteresses wird ähnlich wie bei Eco das Vorhandensein einer außersprachlichen oder nicht semiotisierten Welt nicht in Frage gestellt. Dieser Ebene wird jedoch jegliche Relevanz für Kommunikation und Bedeutungsaushandlungen abgesprochen, da es in dieser Sicht keinen möglichen menschlichen Zugriff auf dieselbe geben kann, da dieser immer schon ‚vor’semiotisiert wäre. Die einzig wahrnehmbare ‚Welt’ ist die, die im Akt der sprachlichen Semiotisierung geschaffen wird. Damit wird hier an die im vorigen Kapitel bereits vorbereitete These aus konstruktivistischer Sicht angeknüpft, dass nur durch die Benennung ein Signifikat überhaupt entsteht und einem bezeichneten Objekt jegliche Vorsprachlichkeit oder sprachliche Vorgängigkeit abgesprochen wird. Vgl. Vater (1992: 109): „Referenzlinguistik befaßt sich mit den Bezügen sprachlicher Ausdrücke auf Außersprachliches [...].“ oder vgl. Braunmüller (1977: 2): „Referenz bzw. Refe-
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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das konventionalisierte Konzept der Einseitigkeit der Herstellung einer zeichenhaften Beziehung zu einem außersprachlichen Objekt durch die Sprechenden zu Grunde. In der vor allem linguistischen Forschung zu Personenreferenzen kommt ein Grundkonzept humanistischer Welt- und Wirklichkeitsvorstellung zum Ausdruck, in der der Zusammenhang von Sprache, Welt und Wirklichkeit auf eine sprachliche Abbildfunktion reduziert wird. In den fachwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen zu Personenreferenzformen wird diese humanistische Grundvorstellung weiter transportiert und verfestigt, in einer konstruktivistischen Diskursanalyse steht auch diese Ebene zur Debatte. Zentral ist in beiden, sowohl dem humanistischen wie dem konstruktivistischen Ansatz, die Rolle und der Status sowie Annahmen zu der Vorstellung eines handelnden und autonomen Subjekts. Alleine schon in der Benennung als PersonenReferenzen ist eine Trennung der Referenz und der Person impliziert, womit die sprachliche Referenz einen der Person zeitlich nachgeordneten Akt darstellt. Personenreferenzformen beziehen sich in diesem Modell auf etwas bzw. jemanden, das/die/der vor dem Akt des Benennens bereits ‚ist‘. Referenz als Sprechakt Eine wichtige linguistische Tradition, auf der eine pragmatische Sichtweise auf Referenz fußt, ist die Idee des Referierens als Sprechakt, wie sie von Searle (1969) im Anschluss an Austin (1962) entwickelt wurde. Der sprachliche Akt des Be- oder Ernennens wurde von Austin als Grundform des Sprechaktes, der Sprechhandlung charakterisiert, die Schaffung einer Wirklichkeit, die vor dem Akt des Sprechens zumindest nicht in dieser Form gewesen ist. Der so definierte Akt des Referierens ist in diesem Modell sprecher/innenabhängig und konzeptuell somit nicht länger in der langue verortbar. Referenz ist demnach keine inhärente Eigenschaft von Wörtern, Phrasen und Äußerungen, sondern ein Sprechakt. „Of first importance here is the consideration that it is the users of language who refer and make references and not, except in a derivative sense, the expressions which they use in so doing.“ (Linsky 1967: 22) Aus diesem Blickwinkel kommt es nur dann zur Konstitution eines Signifikats, wenn
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rieren nennt man den Bezug auf Außersprachliches, auf die Dinge, über die geredet werden soll.“
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
dieses – in dieser Terminologie – referiert worden ist. Den Sprechenden wird hierbei eine zentrale Position eingeräumt, und sie werden auf diese Weise konstitutiver Teil pragmatisch-linguistischer Forschung, der in einem strukturalistischen Modell außerhalb des Erkenntnisinteresses verbleibt. Searle sieht seinen sprechakttheoretischen Ansatz als semantisches Modell, mit dem die der Alltagskommunikation zu Grunde liegenden Regeln beschrieben werden sollten. Innerhalb dieses Modells stellt er Regeln bzw. Bedingungen für erfolgreiches Referieren auf: „Given that S utters an expression R in the presence of H in a context C then in the literal utterance of R, S successfully and nondefectively performs the speech act of singular identifying reference if and only if the following conditions 1-7 obtain: 1. Normal input and output conditions obtain. 2. The utterance of R occurs as part of the utterance of some sentence (or similar stretch of discourse) T. 3. The utterance of T is the (purported) performance of an illocutionary act. 4. There exists some object X such that either R contains an identifying description of X or S is able to supplement R with an identifying description of X. 5. S intends that the utterance of R will pick out or identify X to H. 6. S intends that the utterance of R will identify X to H by means of H’s recognition of S’s intention to identify X and he intends this recognition to be achieved by means of H’s knowledge of the rules governing R and his awareness of C. 7. The semantical rules governing R are such that it is correctly uttered in T in C if and only if conditions 1-6 obtain.” (Searle 1969: 83)
Diese Regeln sind als Gebrauchsregeln für die erfolgreiche Ausführung des Sprechaktes Referieren zu verstehen, die siebte Bedingung betont diesen Aspekt noch einmal und fasst die Notwendigkeit des Erfüllens aller sechs zuvor genannten Bedingungen zusammen, um von einem erfolgreichen Sprechakt Referieren ausgehen zu können. Im Vorspann zu den Regeln schränkt Searle (1969) Referenz auf singular identifying reference ein, womit der interaktive Aspekt des Referierens von ihm angesprochen ist. Das Referieren enthält die Möglichkeit der Kommunikationsteilnehmenden zu einer Identifizierung des durch den referierenden Sprechakt Referierten. Im Kontext der in dieser Arbeit vorliegenden Themenstellungen sind besonders die Bedingungen 4 bis 6 von besonderem Interesse. In der vierten Regel stellt Searle einen Bezug des Sprechaktes zu einer außersprachlichen Realität her, wenn er von der Existenz eines Objekts X spricht, welches als Voraussetzung des Referierens in sein Modell eingeht. „Obwohl Searles Theorie darauf angelegt ist, zu zeigen, daß erfolgreiches Referieren auf einer Fähigkeit der Sprecher gründet, wird doch daran festgehalten, daß diese Referenzkompetenz sich letztlich darin bewähren muß, daß der Sprachteilhaber im Bedarfsfall über einen sprachlichen Ausdruck verfügt, der auf einen und nur einen Gegenstand mit Wahrheit zutrifft und dadurch dann die Bestimmtheit dieses Gegenstandes sichern kann.“ (Wimmer 1979: 85)
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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Diese Vorannahme findet sich in vergleichbarer Form auch in den Regeln 5 und 6 wieder. Hier besitzt Searles (1969) Ansatz eine Inkongruenz zu einem konstruktivistisch begründeten Modell des Referierens, indem von ihm die Vorgängigkeit eines Objekts impliziert ist, während für ein konstruktivistisches Verständnis der Aspekt des Identifizierens gleichzeitig einer des Konstituierens wäre. Ausgehend davon ist Searles (1969) Modell in einem konstruktivistischen Ansatz an den Punkten, an denen er von Identifizieren redet, durch Konstituieren zu ergänzen, um es mit einer konstruktivistischen Sichtweise kompatibel zu machen. Die Benennung des Identifizierens impliziert die Vorgängigkeit eines referierten Objekts, wohingegen eine Benennung als ‚konstituierend‘ darauf verweist, dass das Objekt erst im Moment und vor allem durch seine identifizierend intendierte Benennung auf Seiten der Sprechenden geschaffen wird. Mit dieser Einschränkung bzw. Erweiterung kann Searles (1969) Aufstellung von Bedingungen zum erfolgreichen Vollzug des Sprechakts Referieren auch neu betrachtet werden. Die Bedingungen 4 und 5 müssen von einem konstruktivistischen Ausgangspunkt aus umgeschrieben werden. Aus Gründen des Verständnisses müssen dabei auch die Bedingungen 4 und 5 umgetauscht werden, wodurch der erste Teil der 4. Regel identisch mit der 5. wird und hier deswegen in Klammern gesetzt ist:4 5. S intends (directly or indirectly) that the utterance of R will constitute X to H. 4. (S is able to give a constituting appellation of X by way of R so that an object X is constituted by R to H or) H is able to supplement R with aspects to constitute X. Bei der Formulierung letzterer Regel würde an dieser Stelle die von Grice (1975) aufgestellte Systematik der Gelingensbedingung eines Sprechakts wirksam werden5, indem die Kooperationswilligkeit der Kommunizierenden an diesem Punkt als konstitutives Moment mit hinzukommt. Die sechste von Searle aufgestellte Regel kann nun wieder aus seinem Original übernommen werden.6
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Die englische Sprachform ist an dieser Stelle gewählt worden, um eine direktere Vergleichbarkeit zwischen Searles oben zitierten Regeln und den hier vorgenommenen Neufassungen zu ermöglichen. Vgl. Grice (1957); vgl. weiter unten. Mit einem anderen Ausgangspunkt und anderer Schwerpunktsetzung kommt Wimmer (1979: 87f.) erstaunlicherweise zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er an einer Stelle von dem Aspekt der Konstituierung spricht, ohne ihn jedoch weiter zu reflektieren: “Es ist wichtig, festzustellen, daß Sprachteilhaber aufgrund bestimmter Fähigkeiten praktisch erfolgreich referieren, wenn es auch nicht bestimmte Ausdrücke sind, auf deren Bedeutung sie sich letztlich berufen können, um erfolgreich zu sein, sondern vielmehr gemeinsame
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Referenz als gemeinsame Kommunikationsleistung der Interagierenden: Interpellation Bei Althusser (1971), dessen Konzept der Interpellation an die vorangegangenen Ausführungen anschließend als sprechakttheoretisch manifestiert bezeichnet werden kann, findet sich die konstruktivistische Idee der Benennung als Akt der Herstellung wieder, wenn er das Gegenüber erst im Akt der Anrufung entstehen sieht. „In the famous scene of interpellation that Althusser provides, the policeman hails the passer-by with ‚hey you there‘ and the one who recognizes himself and turns around (nearly everyone) to answer the call does not, strictly speaking, preexist the call. Althusser’s scene is, therefore, fabulous, but what could it mean? The passer-by turns precisely to acquire a certain identity, one purchased, as it were with the price of guilt. The act of recognition becomes an act of constitution: the address animates the subject into existence.” (Butler 1997a: 25)
Althusser (1971) betont hierbei jedoch, dass der Sprechakt des Referierens, um mit Searle zu sprechen, lediglich einen Versuch, das so angesprochene Subjekt herzustellen7, darstellen kann und dass der Interpellation die Möglichkeit der Missdeutung oder der Nichtakzeptanz inhärent ist. „The one who is hailed may fail to hear, misread the call, turn the other way, answer to another name, insist on not being addressed in that way.“ (Butler 1997b: 95) Genau an diesem Punkt der Nichtakzeptanz der Interpellation durch das Gegenüber wird in Althussers (1971) Konzept die Wechselseitigkeit als Bedingung für das Gelingen des Sprechaktes Referieren konstitutiv. Eine entsprechende Erweiterung des Searlschen Modells findet auch in einer pragmatischen Weiterentwicklung der Sprechakttheorie statt, in der die Wechselseitigkeit jeglicher Kommunikationsvorgänge betont wird. In Bezug auf die Etablierung eines Referenzobjektes als eine gemeinsame Kommunikationsleistung der Interagierenden und nicht ausschließlich als in der Verantwortung des/der Sprechenden können entsprechende Ansätze sowohl bereits bei Austin (1962) als auch bei Grice (1975) gefunden werden und werden bis heute in der einschlägigen pragmatischen Literatur wieder aufgenommen. Bei Clark (1996) und Heeman und Hirst (1995) finden sie beispielsweise in Bezug auf die ge-
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Erfahrungen in der Konstituierung einer Gegenstandswelt und in der Bezugnahme auf sie […].” Diesen Akt nennt Butler (1997b) subjection, der Vorstellungen der Unterwerfung unter eine Konzeptualisierung konnotiert und daher ein interessantes Wortspiel in diesem Zusammenhang darstellt.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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meinsame Konstitution eines ‚Referenzobjekts‘ der Kommunizierenden eine Umsetzung. Was aber genau ‚ist‘ nun das Referenzobjekt, was sind seine konstitutiven Bedingungen auch in einem Modell seiner wechselseitigen Herstellung? Wie deutlich wurde, kann Bedeutung innerhalb eines pragmatischen Ansatzes nicht länger als objektivierbare Faktoren oder Merkmale von Gegenständen angesehen werden. Grice (1957) ist für ein vom klassisch semantischen Verständnis von Bedeutung sich abgrenzendes pragmatisches Verständnis grundlegend. Grice (1957) unterscheidet zwischen natürlicher und nicht-natürlicher Bedeutung. Während natürliche Bedeutung auf der Idee der Symptomatik und des kausalen Zusammenhangs beruht, ist nicht-natürliche Bedeutung diejenige, in der es keine notwendige Verbindung zwischen zwei Phänomenen gibt, sondern diese auf Konvention beruht. Ausgehend von Saussures Konzept der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gehört jegliche Form über sprachliche Zeichen vermittelter Kommunikation somit in die Kategorie der nicht-natürlichen Bedeutungsherstellung. Sprache als ‚Trägerin‘ von kommunikativen Intentionen ist in oder aus sich selbst nicht bedeutungsvoll. „’[S] meant something by x’ is (roughly) equivalent to ‚[S] intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of the recognition of this intention.‘“ (Grice 1957: 383) Wenn es auch Grices (1957) ursprüngliche Absicht mit seiner Definition von Bedeutung ist, diese auf die Ebenen von Wort- und Satzbedeutung rückzubeziehen, so ist sein Ansatz in der Pragmatik vor allem als Grundlage für ein Modell von Bedeutung genommen worden, welches gerade über die Ebenen von Wort- und Satzbedeutung hinausgeht bzw. sie relativiert. Sperber und Wilson (1995) nehmen Grices (1957) Ansatz als Ausgangspunkt für ihre Diskussion von Inferenz als bedeutungskonstituierend: „Communication is successful not when hearers recognise the linguistic meaning of the utterance, but when they infer the speaker’s ‚meaning‘ from it.” (Sperber und Wilson 1995: 23) Sie trennen zwischen sprachlicher Bedeutung und der der Sprechenden und halten die Bedeutungsentwicklung durch die Sprechenden in einer Kommunikation für entscheidend. Damit implizieren sie, dass es eine Ebene der von der Kommunikation losgelösten sprachlichen Bedeutung gibt, ohne dass in ihrem Modell klar würde, welchen Status sie hat oder einnimmt. Entscheidend für die Frage, was Bedeutung sei, ist die Wendung zu der Relevanzsetzung der Sprechenden. Sprache ist hier ein Hilfsinstrumentarium, welches Hinweise auf mögliche Bedeutungsintentionen der Sprechenden geben kann und die zentrale Frage aufwirft, wie Sprache zur Herstellung
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und Bestimmung von Bedeutung benutzt werden kann. Searle (1969) kritisiert an Grices (1957) Modell, dass es „[...] fails to account for the extent to which meaning can be a matter of rules and conventions. This account of meaning does not show the connection between one’s meaning something by what one says, and what that which one says actually means in the language.” (Searle 1969: 43)
In Searles (1969) Auffassung findet sich in Form von Regeln und Konventionen eine Unterscheidung zwischen Bedeutung im aktuellen Sprachgebrauch und der Sprache jenseits des aktuellen Sprachgebrauchs. Für die Frage, wie Sprache zur Generierung von Bedeutung in Kommunikation benutzt wird, bezieht sich Searle (1969) auf die Ebene von Regeln und Konventionen. Regeln sind bei Searle (1969) über verschiedene Sprachen hinweg gültig und bestimmen beispielsweise Sprechakte, während Konventionen die einzelsprachlichen Realisierungen dieser Regeln zu Sprechakten sind. Die Regeln werden von Searle (1969) in regulative und konstitutive Regeln unterteilt. Regulative Regeln fassen die Art der Realisierung einer bestimmten Regel, wohingegen konstitutive Regeln Handlungen überhaupt erst schaffen. Dies ist zum Beispiel im Bereich von Spielen der Fall, die ohne diese Regeln nicht denkbar wären8. Dadurch sind diese Regeln für das Spiel konstitutiv. Mit Searles (1969) Konzept von Bedeutung ist eine Differenzierung zwischen einer semantischen und einer additiv-pragmatischen Bedeutungsebene möglich. Sperber und Wilson (1995) sehen in der Searlschen Modifikation eine RückBezugnahme auf ein Kode-Modell von Kommunikation, welches sie als eine Fehlinterpretation von Grice (1957) lesen und welches sie als konträr zu dem von ihnen formulierten Inferenz-Modell von Kommunikation ansehen. Zu fragen bleibt auf der Grundlage dieser Diskussionen, wie Bedeutung aus einer perspektivisch-pragmatischen Sicht zu konzeptualisieren ist. Sperber und Wilson (1995) schlagen dazu ein Modell der Inferenz vor. „Verbal communication is a complex form of communication. Linguistic coding and decoding is involved, but the linguistic meaning of an uttered sentence falls short of encoding what the speaker means: it merely helps the audience infer what she means. The output of decoding is correctly treated by the audience as a piece of evidence about the communicator’s intentions. In other words, a codingdecoding processes subservient to a Gricean inferential process.” (Sperber und Wilson 1995: 27)
Offen bleibt hier zunächst die Frage, woraus sich die Kodier-DekodierFähigkeit der Interagierenden in Bezug auf Sprache ergibt, ob es sich hier-
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Hier ist eine Linie zu Wittgensteins Theorie des Spiels sichtbar.
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bei um einen Rückbezug auf konventionalisiertes Wissen handelt – was gleichzeitig also wieder einen Rückbezug auf Searles Kritik bedeuten könnte – oder um die Annahme von systematischen, sprachinhärenten semantischen Faktoren, auf denen diese Analyse beruht. McConnell-Ginet (1998) hat Grices (1957) Ansatz auf die Frage des kommunikativen Verständnisses von genderspezifizierenden Personenreferenzformen im Englischen übertragen. Sie thematisiert, inwiefern genderspezifisch männlich referierende Formen zugleich auch als genderunspezifische Referenzformen in einer Kommunikation fungieren können und wovon ihr Verständnis als genderspezifisch bzw. genderunspezifisch intendierte Referenzformen abhängig ist. „Because what is meant depends not just on the joint beliefs about the language system and its conventional – that is, standard or established – interpretations but also on what interlocutors take to be prevalent beliefs in the speech community about everything else beside language.” (McConnell-Ginet 1998: 204)
Sie erweitert hier damit das von Grice (1957) vorgeschlagene Modell und sieht das Verständnis von Intentionen in Kommunikation als abhängig von zum einen sprachsystematischen Kategorisierungen, zum anderen konventionalisierten Gebrauchsinterpretationen aber zusätzlich dazu auch von wechselseitig angenommenen Wert- und Normvorstellungen innerhalb einer Kommunikationsgruppe, die sie auf einer anderen Ebene als Konventionen ansetzt.9 Mills (1995) nimmt Sperber und Wilsons (1995) Ansatz als Ausgangspunkt ihrer Kritik am traditionellen linguistischen Verständnis von Sprache und Bedeutung und betont ebenfalls die aktive Rolle, die alle an der Kommunikation Beteiligten10 in der wechselseitigen Herstellung von Bedeutung spielen. Sie wendet sich gegen die traditionelle Vorstellung, dass Bedeutungen in Wörtern seien und stellt dieser ein Konzept gegenüber, in dem Bedeutungen Resultate eines komplexen Aushandlungsprozesses sind. Gleichzeitig sieht sie die Möglichkeiten der Herstellung von Bedeutungen als durch das Sprachsystem begrenzt an. „Finally, it is clear that speakers produce meanings within the confines of their linguistic system; whilst each speaker has a measure of control over what s/he says, the degree of flexibility and ‘freedom’ is limited. The linguistic system fixes the parameters of the meanings available to the speaker and hearer.” (Mills 1995: 28)
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Vgl. Kapitel 5 für eine ausführlichere Diskussion. In der traditionellen Terminologie ‚Sprecher/innen’ und ‚Hörer/innen’.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Was sie genau als Sprachsystem fasst, wird nicht deutlich und klingt nur in der Unterteilung ihrer weiteren Studie an, wenn sie in einem Kapitel die Möglichkeiten, Sexismus in Sprache zu verorten und zu überwinden, auf der Ebene des Wortes analysiert. Wenngleich sie in den nachfolgenden Kapiteln diese Perspektive überschreitet, in dem sie hier die Ebenen Phrase/Satz und Diskurs behandelt, reproduziert sie sie gleichzeitig zunächst auch. Auf der Ebene des Wortes macht sie Sexismus im Gebrauch bestimmter Wörter fest11, denen sie potentielle Wirkungen zuschreibt: „1. it may alienate female interlocutors and cause them to feel that they are not being addressed; 2. it may be one of the factors which may cause women to view themselves in a negative or stereotyped way. It may thus have an effect on the expectations women and men have of what women and men can do; 3. it may confuse listeners, both male and female (for example, as to whether a true generic noun or pronoun is being used or a gender-specific one).” (Mills 1995: 95)
Die Ebene, die hier bei ihr unberücksichtigt bleibt und die bei McConnellGinet (1998) mit formuliert wurde, ist die Bezugnahme auf konventionalisierte Denk- und Vorstellungsmuster, die die Kommunizierenden den Gebrauch dieser Formen in einer bestimmten Weise interpretieren lassen. Heißt dies aber gleichzeitig, dass die sprechenden Subjekte jeweils implizit als autonom Handelnde angesehen werden, die weiterhin die Verantwortlichkeit für die Form der Benennung behalten – unabhängig davon, ob es sich in der konkreten Kommunikationssituation um Sprecher/innen oder Hörer/innen handelt? Aus einer konstruktivistischen Sicht ist die ungebrochene und autonome Stellung des Subjekts in Frage zu stellen, wie im folgenden mit Ausgangspunkt bei Derrida (1983) und von dort weiter entwickelt bei Butler (1997a, 1997b) erläutert wird. Wie bereits im ersten Kapitel ausgeführt, sieht Derrida (1983) – Searles (1969) und Austins (1962) Ideen zu Sprechakten aufgreifend – Akte der Benennung als Formen performativer Äußerungen, die jeweils ein Zitat und eine Wiederholung darstellen. Die Idee des Zitats und der Wiederholung impliziert die Vorstellung eines unter ihnen liegenden Originals, welches Derrida (1983) als einen beständigen, auch im Alltagsverständnis verhafteten Mythos dekonstruiert. Akte der Benennung basieren auf der ständigen Wiederholung eines konventionalisierten Sprachcodes, im Falle von Personenreferenzformen12 auf der ständigen Wiederholung verschiedener Formen der Kategorisierung von Menschen, die durch ihre ständige Wiederholung naturalisiert und im Alltagsverständnis der Sprechenden als
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Diese werden bei ihr sexist language items genannt. Oder in Anlehnung an Althusser (1971) ‚personaler Interpellation’.
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objektiv gültig aufgefasst werden. Wiederholungen sind jedoch keine Replikationen eines Identischen, sondern zugleich auch ihre Interpretation, Verschiebung und Modifikation. Das von Searle (1969) formulierte Gelingen von Sprechakten als Zielvorstellung wird von Butler (1993a) auf der Grundlage des Derridaschen Gedankens der Reiteration als immer nur provisorisches und vorläufiges Gelingen interpretiert, welches nicht darauf beruhe, dass eine klare Intention den jeweiligen Sprechakt erfolgreich ‚beherrsche‘, sondern weil „[...] that action echoes prior actions, and accumulates the force of authority through the repetition or citation of a prior, authoritative set of practices.“ (Butler 1993a: 226f.) Das Konventionelle von Äußerungsakten und zugleich ihre kommunikativen Gelingensbedingungen – ihr konstruktiver Gehalt – wird in der Alltagskommunikation unsichtbar und ist im Alltagsverständnis in der Regel durch die Annahme des Subjekts als Ort und Ursprung von zum Beispiel Benennungen ersetzt. Der Mythos des der Benennung zu Grunde liegenden Originals jenseits seiner Benennung wird ebenso ständig reifiziert und reproduziert wie auch der Mythos des Subjekts als Ort und Ursprung der Benennung – eine Kritik, die in dieser Form auch auf die oben erläuterten sprechakttheoretischen und pragmatischen Ansätze zu Referenz anwendbar ist. Butler (1993a: 225f) weist hingegen auf den in performativen Äußerungen enthaltenen Machtaspekt hin, den sie jenseits des Subjekts im Diskurs verortet und macht deutlich, inwiefern Benennung ein Akt der Konstitution des Subjekts ist. „Performative acts are forms of authoritative speech: most performatives, for instance, are statements that, in the uttering, also perform a certain action and exercise a binding power. […] Importantly, however, there is no power, construed as a subject, that acts, but only […] a reiterated acting that is power in its persistence and instablility. […] Indeed, it is through the invocation of convention that the speech act of the judge derives its binding power; that binding power is to be found neither in the subject of the judge nor in his will, but in the citational legacy by which a contemporary “act” emerges in the context of a chain of binding conventions. Where there is an “I” who utters or speaks and thereby produces and effect in discourse, there is first a discourse which precedes and enables that “I” and forms in language the constraining trajectory of its will. Thus there is no “I” who stands behind discourse and executes its volition or will through discourse. On the contrary, the “I” only comes into being through being called, named, interpellated, to use the Althusserian term, and this discursive constitution takes place prior to the “I” […] Indeed, I can only say “I” to the extent that I have first been addressed, and that address has mobilized my place in speech; paradoxically, the discursive condition of social recognition precedes and conditions the formation of the subject: recognition is not conferred on a subject, but forms that subject.” Butler (1993a: 225f.)
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Dieser konstituierende Akt der performativen Äußerungen, den Butler (1993a) in Bezug auf die Sprecher/innenrolle erklärt, wird hier als konstitutiv für Benennungen Dritter angesehen, die sich ebenso in dieses Modell einordnen lassen. Butler (1993a) sieht diese Anlage einer Kritik an der Idee eines absoluten Subjekts als Anfangs- und Endpunkt der Interpellation auch bei Althusser (1971) bereits angelegt. Sie überträgt nun seinen Gedanken von der Interpellation durch einen Eigennamen auf die Möglichkeit der Interpellation mit einer personalen sozialen Kategorisierung.13 Sie sieht die Möglichkeit gegeben, dass die Benennung in einer Reihe verschiedener und miteinander konkurrierender Arten gedeutet werden kann, an denen sie auf der Grundlage von Foucaults Gedanken zu Widerstand diese Frage diskutiert. „Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht. [...] Diese Widerstandspunkte sind überall im Machtnetz präsent. Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt aller Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrschienlich, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriegerische, gewaltttäige, unversöhnliche, kompormißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.“ (Foucault 1977: 114f.)
Um in Widerstand zu einer Benennung gehen zu können, muss diese zunächst als Benennung gehört und damit akzeptiert werden.14 „For the „I“ to launch its critique, it must first understand that the „I“ itself is dependent upon its complicitous desire for the law to make possible its own existence.“ (Butler 1997b: 108) Sie sieht Foucaults Idee von Widerstand als Teil des Systems bestätigt.15 Jede Äußerung ist nicht nur in der Verantwortlichkeit und Macht der einzelnen sprechenden Person, sondern muss, um sozial intelligibel zu sein, zugleich auch bestimmten Regeln und Normen entsprechen, die jenseits des Individuums liegen und nicht auf einzelne Individuen zurück verfolgt werden können. Dies ist nicht gleichzu-
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Die Differenzierung zwischen Eigennamen und anderen Formen der Benennung, die so durchgängig in der Linguistik zu finden ist, soll an dieser Stelle hinsichtlich ihres konstruktiven Charakters der damit aufgerufenen Kategorisierung an dieser Stelle zumindest kurz kritisch angesprochen werden: Sowohl traditionell so genannte Eigennamen haben Züge sozialer Kategorisierung als auch traditionell als sozial kategorisierend angesehene Personenreferenzformen Züge von Eigennamen haben. Die Grenzziehung zwischen diesen beiden Bereichen erscheint hinterfragbar. Dies wird beispielsweise auch in Kripkes (1972) Theorie des Namens deutlich, in der er vom Ausgangspunkt des Eigennamens zu einer generellen Theorie der Substantive und Adjektive wechselt. In Butler (1997b: 100) heißt dies subversive reterritorialization. Vgl. Kapitel 5 für eine ausführlichere Diskussion.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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setzen mit der Annahme der Natürlichkeit dieser Regeln, sondern als Zeichen hegemonialer Macht zu interpretieren, ein Aspekt, der in Searles (1969) Formulierung von Regeln und Konventionen nicht deutlich wurde. „[T]he conditions of intelligibility are themselves formulated in and by power, and this normative exercise of power is rarely acknowledged as an operation of power at all. Indeed, we may classify it among the most implicit forms of power, one that works precisely through its illegibility: it escapes the terms of legibility that it occasions. That power continues to act in illegible ways is one source of its relative invulnerability. The one who speaks according to the norms that govern speakability is not necessarily following a rule in a conscious way. One speaks according to a tacit set of norms that are not always explicitly coded as rules.“ (Butler 1997a: 134)
Diese Annahme wird in ähnlicher Weise auch von Bourdieu (1991) vertreten.16 Auch Bourdieu sieht Sprache als Repräsentation von Autorität, deren Manifestation und Symbolisierung im Rahmen eines linguistischen Zugangs zu untersuchen ist. Hieraus ergibt sich für eine Studie zu personaler Appellation zugleich die Notwendigkeit, neben den konkreten Realisierungen von Appellation auch die Möglichkeiten und Grenzen dessen zu analysieren, was innerhalb einer Sprachgemeinschaft als das Sprechbare gilt, das heißt wer oder was überhaupt auf welcher Grundlage appelliert werden kann, um so zu Aussagen über mögliche Konzeptualisierungen sowie auch über Ausschlüsse kommen zu können. Während der Terminus der ‚Referenz‘ die Implikation einer sprachlichen Widerspiegelung einer außersprachlichen Wirklichkeit zumindest antizipieren kann, ist in der Begrifflichkeit der Interpellation im Sinne von Butler (1993a, 1997a) das konstruktive und konstituierende sprachlicher Handlungen stärker zum Ausdruck gebracht, welches unter Aufnahme des Begriffs ‚Referenz‘ am ehesten als Referentialisierung bezeichnet werden könnte.17 Die Idee der Interpellation kennzeichnet gleichzeitig auch einen erkenntnistheoretischen Bruch mit traditionell linguistischen Forschungen zu Personen‚referenzen‘. Erst im Moment der sprachlichen Benennung wird eine Möglichkeit der Identifikation gegeben, die eine bestimme Kategorisierung zum Ausdruck bringt, die vor und ohne diesen Akt nicht existent ist.
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Vgl. Kapitel 1. Vgl. Schwarz (1996: 175): „In kognitiver Sicht ist Referenz keine von vorneherein festgelegte Relation, sondern ein mentaler Bewusstseinszustand, in dem die aktuelle Relation zwischen Sprache und Welt als das jeweilige Konstrukt kognitiver Operationen realisiert ist. Referenz wird als die jeweilige Endphase eines komplexen kognitiven Prozesses – der Referentialisierung – verstanden.“ Die Idee der Referentialisierung bezieht sich damit auf die Seite der Sprachproduktion.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
„If a subject becomes a subject by entering the normativity of language, then in some important ways, these rules precede and orchestrate the very formation of the subject. Although the subject enters the normativity of language, the subject exists only as a grammatical fiction prior to that very entrance.“ (Butler 1997a: 135)18
Appellation Um stärker noch als bei einer bloßen Übernahme des Begriffs Interpellation zum Ausdruck zu bringen, dass das Subjekt nicht als absoluter Endund Ausgangspunkt sprachlicher Handlungen fungiert, sondern immer auch eine diskursive Position ist, die als solche schon vor dem konkretisierten Subjekt ‚da‘ war, schlage ich die Verwendung des Begriffs Appellation vor. Das Subjekt wird im Akt des Benennens erst und immer wieder neu geschaffen.19 Eine verwandte, wenn auch nicht identische Verwendung dieses Terminus findet sich in der englischsprachigen Veröffentlichung von Bunzl (2000: 210), der den Begriff appellation verwendet, um ebenfalls eine Abgrenzung vom traditionellen Konzept der Referenz zum Ausdruck zu bringen. „In this situation, the choice of the rarely used term ‚appellation‘ (as opposed to the more common ‚reference‘ for example) ultimately gestures to an alternative conceptual field – a field that privileges the implications of the gendered dimensions of grammar for such areas as reference, predication and address above and beyond the analytic questions posted under more ‘traditional’ conceptual headings.” (Bunzl 2000: 210)
Wie aus dem Zitat deutlich wird, behält Bunzl (2000) die weitere Verwendung des Begriffs Referenz bei, was vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Verständnisses abgelehnt wird, wo Referenz begrifflich durch Appellation ersetzt wird. Dadurch wird die Annahme der Unmöglichkeit einer Referenz zum Ausdruck gebracht. Durch eine Verwendung des Begriffs Appellation in Abgrenzung zum Begriff Interpellation wird neben den konstitutiven Momenten der aktiven
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Lacan leitet aus dieser Bedingung der Subjektwerdung das ‚Eingeständnis’ der Herstellung eines Nicht-Sprechbaren ab, auf das in Bezug auf Sprachveränderungen noch mal zurück zu kommen sein wird. Butler (1997b: 124) fasst dies in Bezug auf die Position des Subjekts zusammen: „[...] the anticipations of grammar are always and only retroactively installed.“ Mit dieser Begriffsbestimmung von Appellation wird nicht auf die Verwendung von appellatio zur Bezeichnung der Relation zwischen Wort und bezeichnetem Ding aus der mittelalterlichen Semantik angespielt.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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kategorisierenden Zuschreibung der Fokus von einer zentralen und autoritären Bedeutung des Subjekts zu einer Miteinbeziehung und stärkeren Betonung sozialer Prozesse der Herstellung von Subjekten durch und in Diskursen verschoben. Es wird die aktive Handlung der Anrufung im Akt sprachlicher Benennung betont.20 Dieser Prozess wird als eine fortwährende, komplexe und wechselseitige Verhandlung angesehen. Auch wenn das Subjekt nicht länger als autoritäre Quelle seiner eigenen Äußerungen verstanden wird, so ist es doch gleichzeitig der Ort, an dem Machtkonstellationen in den Akten der Appellation immer wieder hergestellt werden. „One speaks a language that is never fully one’s own, but that language only persists through repeated occasions of that invocation. That language gains its temporal life only in and through the utterances that reinvoke and restructure the conditions of its own possibility.“ (Butler 1997a: 140)
Aus der hier entwickelten Perspektive entstehen damit in einem konstruktivistischen pragmatischen Modell zur Analyse personaler Appellation erst mit der verbalen Zuschreibung von Eigenschaften bzw. Charakteristika sozial erfahr- und wahrnehmbare Objekte im Akt des Sprechens selbst. „To the extent that the naming is an address, there is an addressee prior to the address; but given that the address is a name which creates what it names, there appears to be no „Peter“ without the name „Peter“. Indeed, „Peter“ does not exist without the name that supplies the linguistic guarantee of existence.“ (Butler 1997b: 111)
Sprachliche Appellation auch jenseits von den in dem obigen Zitat benutzten Eigennamen wird, so der hier vertretene Ansatz, zu dem zentralen Instrumentarium der Herstellung einer sozialen Wirklichkeit und konstituiert ‚Welt‘. In der Frage der personalen Appellation wird das Subjekt, welches das Ergebnis seiner eigenen Voraussetzung im Akt des Sprechens ist, als zentral konstituiert. „The performative is not a singular act used by an already established subject, but one of the powerful and insidious ways in which subjects are called into social being from diffuse social quarters, inaugurated into sociality by a variety of diffuse and powerful interpellations. In this sense the social performative is a crucial part not only of subject formation, but of the ongoing political contestation and reformulation of the subject as well. The performative is not only a ritual practice: it is one of the influential rituals by which subjects are formed and reformulated.“ (Butler 1997a: 160)
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Im Bezug auf traditionelle linguistische Forschung wird im folgenden auch weiterhin von ‚Referenz’ die Rede sein, da in dieser Benennung des Forschungsgegenstandes gleichzeitig auch eine bestimmte Forschungsperspektive und ein Erkenntnisinteresse zum Ausdruck kommt. Dies betrifft auch entsprechende und vom Begriff der Referenz abgeleitete Kompositabildungen, Verbalableitungen und sonstige Benennungen.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
In einem konstruktivistischen pragmatischen Modell konstituiert sich das Subjekt in der Einnahme einer kommunikativen Rolle selbst und ist so der Effekt seines eigenen Diskurses. „Because every speaker takes the responsibility for his/her speaking, making someone else a hearer of that speaking, s/he is the effect of his/her discourse. Recognizing oneself and others means to see the communicative roles through which the self and the others are constituted.” (Borutti 1984: 44121)
Das, was hier in Bezug auf die primären kommunikativen Rollen formuliert ist, wird in der vorliegenden Arbeit auch auf die Appellation Dritter jenseits der primären kommunikativen Rollen übertragen.22 Kontext Ein Aspekt, der in pragmatischer Sprachtheorie eine zentrale Rolle spielt, ist die Verortung sprachlicher Handlungen in Kontexten. Für Sperber und Wilson (1995) ist Kontext keine außersprachliche, physikalisch manifeste Größe, sondern ein psychologisches Konstrukt der Interagierenden im Kommunikationsprozess. Auch in dem der Kognitiven Linguistik als Erkenntnistheorie zu Grunde liegenden experiential realism nach Putnam (1981) ist Kontext kognitiv als eine Erfahrungsdomäne konstruiert. Dies führt in Bezug auf die Konzeptualisierung von ‚Referenz‘ bei Putnam zu der Idee eines ‚internen Realismus‘, indem ‚Referenzen‘ sich auf konzeptuelle ‚Realitäten‘ der Sprachbenutzenden beziehen. „In an internalist view also, signs do not intrinsically correspond to objects, independently of how those signs are employed and by whom. But a sign that is actually employed in a particular way by a particular community of users can correspond to particular objects within the conceptual scheme of those users. ‘Objects’ do not exist independently of conceptual schemes. We cut up the world into objects when we introduce one or another scheme of description. Since objects and the signs are alike internal to the scheme of description, it is possible to say what matches what.” (Putnam 1981: 52)
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Zitiert in Marmaridou (2000: 35). Auch Beneviste (1971) hat schon darauf hingewiesen, dass Individuen sich durch Sprachgebrauch nicht nur selbst konstituieren, sondern auch die Gesellschaft. Durch Sprache entsteht Subjektivität. Es wird hier nicht zwischen der Selbst- und Fremdappellation und Prädikationen dieser unterschieden. Für die Äußerung jag är lastbilförare (ich bin Lastwagenfahrer/in) werden somit zwei anstelle von einer personalen Appellation angesetzt. In einer traditionellen Erklärung ist jag personale Referenz, vara lastbilförare die Prädikation zur personalen Referenz. In dem hier entwickelten Modell ist lastbilförare hingegen eine Selbstappellation wie auch jag. Wäre jag durch du ersetzt, wäre es eine Fremdappellation.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
69
Kontext wird in einem konstruktivistischen pragmatischen Modell nicht als statisch und als ‚außerhalb‘ der Sprechenden verortet, sondern als ein prozesshaftes Element der Interpretation von Äußerungen. Als solches reguliert er, was als relevant zur Interpretation einer Äußerung aufgefasst und solchermaßen als Kontext herangezogen wird. Die Äußerung eines Gegenübers als relevant zu setzen ist die Grundlage des Konzepts der Inferenz zur Interpretation des kommunikativen Geschehens bei Sperber und Wilson (1995), deren Modell hier als Ausgangspunkt einer Diskussion um Kontext dient. Sprachliche Mittel der Kommunikation werden von ihnen als Code verstanden und nehmen nur eine untergeordnete Stellung gegenüber dem Grundsatz einer ostensiv-inferentiellen Kommunikation ein. Während letztere unabhängig von so genannter kodierter Kommunikation stattfinden kann, kann kodierte Kommunikation lediglich als ein Hilfsmittel in der grundlegend ostensiv-inferentiellen Kommunikation verwendet werden.23 Die Grundlage ihres Modells bildet die Auffassung, dass die Kommunizierenden unterschiedliche Ziele verfolgen: während der/die Sprecher/in die kognitive Umgebung24 der hörenden Person modifizieren will, will letztere ihre Kenntnis und ihr Wissen der Welt durch die Relevantsetzung von Informationen, die ihr in der Kommunikation gegeben werden, verbessern. Das Ziel auf Seiten der Hörenden ist damit die Verbesserung der mentalen Repräsentation der Welt durch Partizipation an der Kommunikation. „[...] in suggesting that it is the total set of what is ‚manifest‘ to an individual, the cognitive environment does not just include what is immediately perceptible to an individual, plus their stock of assumptions about the world, it also includes all of the inferences that can be derived from an individual’s perceptions and their beliefs about the world.“ (Christie 2000: 175)
Auch wenn zwei Individuen keine absolut identische kognitive Umgebung haben, so stimmt diese doch in vielen Punkten überein, was aber nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass sie dieselben Vermutungen, Annahmen und Inferenzen aus einer kommunikativen Situation ableiten müssen, sondern lediglich dass sie dazu in der Lage sind. Die Rolle und Relevanz gesellschaftlich normierter Wahrnehmungen, u.a. durch die Re-
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Die Beispiele, die Sperber und Wilson (1995) geben (zum Beispiel die Frau, die leicht bekleidet aus dem Hotel tritt und von einem Passanten durch Blicke von der Frau zum Himmel darauf hingewiesen wird, dass es bald regnen könnte), könnten teilweise ebenso gut als kodierte nonverbale Kommunikation interpretiert werden. Die Abgrenzungen sind nicht deutlich, es entsteht der Eindruck einer Gegenüberstellung zwischen ‚natürlicher’ und kodierter und damit zeichenhaft vermittelter Kommunikation. Cognitive environment im Original.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
produktion von Annahmen von Natürlichkeit bezogen auf die Genderdichotomisierung, wird bei Sperber und Wilson (1995) in der Frage der Übereinstimmung kognitiver Umgebungen bei den kommunizierenden Individuen nicht weiter ausgeführt. Dies wird in der vorliegenden Studie jedoch als relevant erachtet und als eine notwendige Ergänzung ihres Modells angesehen. Wimmer (1979) weist in Bezug auf personale Appellation darauf hin, dass es sich nicht um ‚wirkliche‘ Eigenschaften zum Beispiel einer Person handeln muss, damit eine intendierte Appellation für die an der Kommunikation Beteiligten in Übereinstimmung mit der Konstitution der appellierten Person vollzogen werden kann.25 Er betont, dass es die gemeinsame Kommunikationsgeschichte ist, die dazu führt, eine Einigung in der Appellation zwischen den an der Kommunikation Beteiligten herstellen zu können. Wimmer verdeutlicht diesen Aspekt an der Äußerung „Ich habe den Hinkenden von gestern wieder gesehen.“ (Wimmer 1979: 95) Er arbeitet heraus, dass die so appellierte Person weder gestern noch heute gehinkt haben muss, sondern das der zentrale Aspekt der interaktiven Identifizierung die gegenseitige Verständlichkeit einer solchen Benennung ist. An diesem Beispiel wird die aktive sprachliche Konstitution einer personalen Appellation deutlich, die auch als konstitutive Geschichte der Gebrauchsweise einer bestimmten Appellation verstanden und nach dem Grad ihrer Konventionalisierung bemessen werden kann. Während bei Wimmer (1979) das Faktum des Hinkens als Bezugspunkt keine eigene Relevanz besitzt, ist es aus konstruktivistischer Sichtweise und für die Frage der Konzeptualisierung von Personen in Bezug auf Gender dagegen von großer Relevanz: Welche Konzeptualisierungen konventionalisiert zur Konstitution von personaler Appellation dienen, ist hier ein zentraler analytischer Aspekt. Wiederum im Anschluss an Foucault sind die Legitimierung von Rede, Rederechtsverteilung und Tabuisierungen ebenso Teil diskursiver Machtstrategien wie die Frage, was gesagt wird, was nicht gesagt wird und wie etwas gesagt wird. Durch die Benennung des Hinkens in Wimmers (1979) Beispiel wird eine Außerordentlichkeit einer personalen Wahrnehmung hergestellt, die eine Unterscheidbarkeit einer Person von Anderen bedingt. Was als ‚unterschieden‘ in der Kommunikation konstruiert wird, sagt gleichzeitig auch etwas über das aus, was als normal verstanden und immer wieder hergestellt wird, indem es beispielsweise einer Explizierung entgeht. Das Beispiel von Wimmer (1979) zeigt, dass nur die Abweichung benannt und dadurch sichtbar wird,
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Vgl. Wimmer (1979); er benutzt hier jeweils den Terminus ‚Referenz’.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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ein Nicht-Hinken ist ein nicht näher zu benennender Normalzustand, der sich so gleichzeitig herstellt. Die von Wimmer (1979) an diesem Punkt angeführte Deskriptivität entsprechender identifizierender Sprechakte wird nicht geteilt. Gerade die Frage, welche Kategorisierung zur Appellation und welche Konzeptualisierung aufgerufen wird, ist im Gegensatz zu Wimmers (1979) Ansatz ein zentrales Untersuchungsziel der vorliegenden Studie. Die von Foucault formulierte Grundlage performativer Äußerungen in ihrer konstitutiven Geschichte wird in gewisser Weise zu der Frage fokussiert, was zur Geschichte wird. Ein entscheidender Aspekt für eine Analyse der konventionalisierten personalen Appellation in einer Sprache ist, welche gemeinsamen Erfahrungen die Kommunizierenden machen bzw. gemacht haben, die es ermöglichen, eine kommunikative Konstitution personaler Appellation als erfolgreich anzusehen. Der von Wimmer (1979) entwickelte Ansatz der Referenzfixierung kann in dieser Hinsicht als ein erster Ausgangspunkt der strukturierten Analyse dieser Fragestellung dienen.26 „Die Theorie der Referenzfixierung leistet einen Beitrag zur Konkretisierung der These, daß bestimmte Gegenstände erst im und durch den Sprachgebrauch konstituiert werden, und zwar dadurch daß sie zeigt, nach welchen sprachlichen Regeln es den Sprachteilhabern möglich ist, Gegenstände als in der Kommunikation referentiell bestimmbare selbst zu setzen. [...] Referenzfixierungsakte sind Sprechakte, durch die Sprecher selbst bestimmte Referenzregeln für den referentiellen Gebrauch bestimmter Ausdrücke explizit festlegen und damit für bestimmte Gruppen von Sprachteilhabern Bezeichnungskonventionen institutionalisieren.“ (Wimmer 1979: 110f.)
Namensgebungsakte im Sinne performativer Äußerungen bei Austin (1962) sieht Wimmer (1979) als den paradigmatischen Fall von Referenzfixierung an. Daneben führt er Benennungsfestlegungen und okkasionelle Referenzregelungen an. Wimmer (1979) weist darauf hin, dass die Übergänge zwischen diesen drei Gruppen durchaus fließend und verhandelbar sind. Im Gegensatz zu Wimmer (1979) wird jedoch nicht nur in den Fällen von einer Konstitution einer Referenz durch Appellation ausgegangen, wenn die entsprechenden Sprechakte den referentiellen Gebrauch explizit festlegen. In der vorliegenden Arbeit wird gemäß einer konstruktivistischen Vorstellung von der grundsätzlichen Konstitution in Sprechakten ausgegangen, die auch jenseits performativer Äußerungen zu finden ist.
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Wimmer (1979: 109) schließt explizit an eine Fragestellung der Rolle und Relevanz von Sprache für Wirklichkeitserkenntnis an, welche aus der hier vertretenen Sicht an diesem Punkt als konstruktivistisch angesehen werden kann. Er führt diesen Ansatz jedoch nicht weiter aus.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Dies ist eine entscheidende erkenntnistheoretisch begründete Erweiterung eines Modells, wie Wimmer (1979) es vorschlägt. Konventionalisierung Ein Aspekt, der bereits mehrfach angesprochen wurde und eine besondere Rolle spielt, ist die Frage der Konvention bzw. gemäß konstruktivistischer Konzeption prozessual ausgedrückt der Konventionalisierung von Appellationspraktiken, die bereits in Austins (1962) Modell die Grundlage für die Kraft von Sprechakten bildet.27 Die Annahme der Konvention als Element sprachlicher Handlungen findet sich schon bei Saussure, der diese in Bezug auf die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens als in Bezug auf die Sprachgemeinschaft regulierendes Moment seiner gleichzeitigen Unveränderlichkeit ansah.28 Bei Kripke (1972) wird die Frage der Konvention auf Benennungen bezogen, die er als historisch und sozial bedingt ansieht und denen er die Macht zuspricht, eine eigene Geschichte selbst dann zu entwickeln, wenn sie nicht auf einem vorgängigen Weltwissen in Bezug auf die durch sie geleistete Referenz beruhen.29 Daraus leitet er die These ab, dass Benennungen notwendig sind, zugleich aber auch temporär und fiktiv, was zeigt, dass die durch Benennungen geschaffene und wiederholte Konvention auch durch andere Konventionen ersetzt werden kann, was eine Möglichkeit für Sprachveränderungen ist. Stabilität von Konventionen wird damit zu einer relativen Angelegenheit, die immer auch eine Frage der Aushandlung ist. Die Annahme einer gewissen Stabilität gerade im Bereich von Normen ist aber die Voraussetzung für eine gesellschaftliche Akzeptanz eines bestimmten Wirklichkeitsmodells.
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Im Englischen wird in diesem Kontext von force gesprochen, was nur schwer in deutsche Begrifflichkeiten übertragbar ist. Im folgenden wird der Ausdruck ‚Kraft’ verwendet. In Reaktion auf ein restringierteres Modell von Konvention bei Quine entwickelt Lewis (1969) ein Modell für Konvention, welches für nachfolgende Diskussionen zentral wurde. Entscheidend in seiner Theorie der Konvention ist die Zirkularität von Erwartungen und Handlungen. „Once the process gets started, we have a metastable self-perpetuating system of preferences, expectations, and actions capable of persisting indefinitely. [...] conforming action produces expectation of conforming action and expectation of conforming actions produces conforming action. This is the phenomenon I call convention.“ (Lewis 1969: 41f.) Die Entwicklung eines Modells von Konvention durch Lewis liegt den meisten neueren Ansätzen zur Konvention implizit oder explizit zu Grunde. Kripke (1972) nimmt hierfür das Beispiel einer Nennung eines Eigennamens, ohne dass dieser auf eine Person mit diesem Eigennamen bezogen ist, sondern als Zeichen für eine beliebige Person steht und so zu ihrer eigenen Konvention werden kann.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
73
Austin (1962) spricht in der Frage der Konvention auch von Ritualisierung und sieht die Kraft von Sprechakten in ihrer Beziehung zu etablierten Konventionen. Das heißt, wenn Sprechakte den Bedingungen für ein Gelingen derselben genügen und ritualisiert sind, wird in seinem Modell aus Sprache Handlung. Konventionen sind bei Austin (1962) im Gegensatz zu Kripke (1972) stabile Größen in einem stabilen sozialen Kontext, ein Aspekt, der von Bourdieu (1991) in Frage gestellt wird, wenn er die Macht sprachlicher Akte dadurch gegeben sieht, dass sie diese Macht durch Autorisierungen bekommen, die außerhalb der Sprache zu verorten sind. Auf dieser Grundlage kann Bourdieu (1991) das Gelingen von Sprechakten als eine Frage der sozialen Macht derjenigen, die sprechen, analysieren und den Aspekt der sozialen Akzeptanz betonen. „Since a discourse can only exist, in the form in which it exists, so long as it is not simply grammatically correct but also, and above all, socially acceptable, i.e. heard, believed, and therefore effective within a given state of relations of production and circulation, it follows that the scientific analysis of discourse must take into account the laws of price formation which characterize the market concerned or, in other words, the laws defining the social conditions of acceptability (which include the specifically linguistic laws of grammaticality).“ (Bourdieu 1991: 76)
Bickel (2000) setzt dies in eine sprachvergleichende kognitiv-linguistische Studie zwischen Belhare und Alemannisch zur räumlichen Deixis um. Das Verhältnis zwischen Grammatik einer Sprache, Kognition und Kultur sieht er als ein wechselseitig bestimmtes und bestimmendes in Form soziokultureller Praktiken nach Bourdieu an: „[...] grammatical categories are more than instruments and resources: they are themselves formative in drawing attention to certain key issues and concerns. [...] grammatical categories of deixis are not only formative in introducing and sustaining social life and thinking, but that they also presuppose a certain tuning of social practices. Referential practice relies much on a socio-culturally loaded environment and discursive context which is constantly structured and recreated by ritual and everyday practice. […] sociocultural practices […] sustain the cognitive style and bias of awareness that is required by a particular grammar.” (Bickel 2000: 184)
Für Bickel (2000) bestimmen grammatikalisch festgeschriebene Strukturen und Wissenselemente einer sprachlichen Gemeinschaft, wie etwas kognitiv kategorisiert und verarbeitet wird.30 Bestimmte grammatikalische Muster und Strukturen werden durch bestimmte soziale Praktiken aufrecht
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Vgl. Levinson (1997) zur räumlichen Deixis in einem Vergleich von Tzeltal, einer MajaSprache, die in Mexiko gesprochen wird, zum Englischen; vgl. auch weiter unten.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
erhalten, die ihrerseits diese sozialen Praktiken selbst auch aufrechterhalten. Sprache und soziale Praktiken stehen in einem wechselseitigen Beeinflussungsverhältnis. Das häufig postulierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sprache und Denken wird hier um die Dimension sozialer Praktiken in den entsprechenden Untersuchungen kognitiv-linguistischer Konvenienz ergänzt. Damit wird die Rolle und Funktion grammatischer Strukturen auch unter dem Aspekt der in ihnen zum Ausdruck gebrachten sozialen Macht analysierbar. Butler (1997a) sieht eine Beschränkung des Bourdieuschen (1991) Ansatzes an dem Punkt, an dem er die Etablierung der Normen, die zu Konventionen führen, nicht weiter analysiert, sondern wiederum als dem Sprechakt vorgängig ansieht. Gerade an diesem Punkt wird aber von Butler (1997a) im Anschluss an Derridas (1983) Konzept der Iterabilität die Bedingung der Etablierung von Macht, aber auch die Chance zu ihrer Transformation gesehen.31 Damit eine Konvention eine Konvention ist und bleibt, muss sie ständig wiederholt und bestätigt werden.32 Indem mit dem konventionalisierten Kontext gebrochen wird, kann die Konvention gleichzeitig aber auch verändert, in Frage gestellt und modifiziert werden. Die Möglichkeit des Bruches und des Misslingens eines Sprechaktes ist für Bourdieu (1991) die konstitutive Bedingung des Sprechaktes selbst, womit die Ebene sozialer Bedingtheit in Derridas (1983) Interpretation von Austin (1962) keine Rolle mehr spielt. Diese hat sie aber gerade bei Bourdieu (1991) zentral eingenommen. Butler (1997a) versucht nun, beide Positionen in einer Theorie der sozialen Iterabilität von Sprechakten miteinander zu kombinieren. Ausgehend von Bourdieus Konzept des Habitus33 interpretiert sie einen Sprechakt als performativen Akt, wodurch die Grenzziehung zwischen dem sozialen und sprachlichen Akt gleichzeitig aufgehoben wird. In der Vorgängigkeit der sozialen Positionierung des sprechenden Subjekts, die Bourdieu (1991) annimmt, wird die Konstruktion sozialer Positionen, von denen aus gesprochen werden kann, nicht berücksichtigt. „Interpellations that „hail“ a subject into being, that is, social performatives that are ritualized and sedimented through time, are central to the very process of subject-formation as well as the embodied, participatory habitus. To be hailed or addressed by a social interpellation is to be constituted discursively and socially at once. This interpellation need not take on an explicit or official form in order to
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32 33
Auf den ersten Blick könnte man hier einen Anschluss an Kripkes Modell (1972) vermuten, jedoch werden in seinem Modell Machtaspekte nicht berücksichtigt. Vgl. Lewis (1969) Argument der Zirkularität in FN 28 in diesem Kapitel. Vgl. Kapitel 1.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
75
be socially efficacious and formative in the formation of the subject.“ (Butler 1997a: 153)
Dies bedeutet aber nicht, dass in bestimmten, stark ritualisierten oder konventionalisierten Sprechakten nicht eine Autorisierung reproduziert wird, die nur schwierig zu erschüttern ist bzw. scheint. In dem letzten Zitat deutet sich zugleich eine Fokussierung der Frage auf personale Appellation an, die im folgenden weiter vertieft werden soll. Konventionalisierung personaler Appellation Im Kontext der vorliegenden Arbeit wird unter Konvention in Bezug auf personale Appellation eine in einem historischen Prozess vollzogene Sedimentierung sozialer Normen verstanden, die nicht zeitübergreifend stabil sein muss. Konventionen sind zugleich Ausdruck und Effekte von Machtrelationen, die ihrerseits durch ebendiese Konventionen geschaffen und reproduziert werden. Sie sind jeweils Momentaufnahmen von Konventionalisierungen, die nur aus dem Blickpunkt der Analyse den statischen Status einer Konvention haben können. Entsprechend einem konstruktivistischen Modell wird entsprechend statt ‚Konvention‘ von Konventionalisierung gesprochen, da diese Benennung die Handlungsdimension und das Prozesshafte zum Ausdruck bringt. Wird im Kontext dieser Arbeit von konventionalisierten personalen Appellationsformen und/oder –praktiken gesprochen, so sind damit die innerhalb einer bestimmten Gesellschaft, in diesem Fall in der Regel innerhalb der schwedischen, zu einem bestimmten Zeitpunkt als standardisierter Sprachgebrauch tradierte Sprachnormierungen gemeint. Dies impliziert nicht ihre zeitübergreifende Gültigkeit, ihre Unveränderbarkeit oder gar ihre sprachliche Vorgängigkeit. Im Rahmen eines konstruktivistischen Ansatzes ist nicht nur nach den Gebrauchskonventionen personaler Appellation zu einem bestimmten Zeitpunkt zu fragen, sondern ebenso nach den Bedingungen dieser Konventionalisierungen und den Prozessen ihrer Aushandlung und möglichen Herausforderung.34 Wird personale Appellation untersucht, so ist
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Im dritten Kapitel wird die konventionalisierte heutige Sprachnorm personaler Appellation unter dem Aspekt Gender im Schwedischen diskutiert. Für eine Analyse der wissenschaftlichen Diskussion zu personaler Appellation unter dem Aspekt Gender und damit die Frage der wissenschaftlichen Verhandlung, Wahrnehmung und Legitimierung bestimmter Gebrauchskonventionen, vgl. Hornscheidt (2006b). In den Kapiteln 5 und 6 wird die Frage der Konvention theoretisch und praktisch auf den Aspekt der strategischen Sprachveränderung bezogen.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
dies im Kontext eines konstruktivistischen Ansatzes immer eine Untersuchung der Gebrauchskonventionen personaler Appellation. Frank (1992) untersucht, welche sprachlichen Normen sich innerhalb einer Gesellschaft und/oder sozialen Gruppe herausbilden und welchen Einfluss dies auf die Wahrnehmung von Diskriminierung hat. Sie analysiert, dass Sprachnormen durch den gesellschaftlichen Prozess ihrer Nicht-Hinterfragung, zu dem Wörterbücher und Lexika in ihrer Autorisierungsposition einen wichtigen Beitrag leisten, gerade umso machtvoller wirken können. Frank (1992) interpretiert sprachliche Normen, die hier als Konventionalisierungen bezeichnet werden, als auf einer Ebene symbolischer Gewalt verortet. Sie sieht diese in ihrer Wirkung der Systemhaftigkeit als eng verbunden mit einer Ebene ethologischer Gewalt, zur Gewohnheit fixiertes, habitualisiertes Handeln, welches zu messbaren Schädigungen führen kann.35 Konventionalisierungen personaler Appellation führen zu Normierungen und autorisieren einen bestimmten Sprachgebrauch, der u.a. durch Wörterbücher und Grammatiken innerhalb einer bestimmten Gesellschaft machtvoll tradiert wird. Im Rahmen eines diskursanalytischen Ansatzes ist für eine Analyse personaler Appellation auf mehreren Ebenen zu untersuchen, wie Konventionalisierungen von statten gehen und welche wo mit Autorität ausgestattet werden. Hier ist zunächst zu fragen, wie linguistische Forschungen das Thema personaler Appellationsformen konzeptualisieren, wie Gender innerhalb dieser Forschungen situiert und konzeptualisiert ist und auf welchen theoretischen Grundlagen Behauptungen zu Bedeutungen und Bedeutungsdifferenzen innerhalb dieses Bereichs aufgestellt werden. Neben einer Kritik am Status Quo der linguistischen Forschungen zu genderspezifizierender personaler Appellation wird zugleich aber auch ein Modell entwickelt, mit dem die Herstellung von Bedeutung in unterschiedlichen kommunikativen Settings aus einer pragmatischen Perspektive analysiert werden kann. Die Analyse der Herstellung von Bedeutung im linguistischen Fachdiskurs zu personaler Appellation und seiner Aufnahme im Alltagsdiskurs, die über bestimmte, mit Autorität ausgestattete Medien und Diskurse, wie zum Beispiel Grammatiken und Sprachlehrwerke vermittelt wird, findet durch die Analyse von Produktions- wie Perzeptionsdaten ebenso wie durch die Analyse der Rollen der verschiedenen, an einer Kommunikation Beteiligten Berücksichtigung. Eine Analyse der Konventionalisierung personaler Appellation muss das Wechselspiel ver-
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Ansonsten wäre es in Franks (1992) Modell lediglich ethologisches Handeln.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
77
schiedener Diskursebenen und Akteur/inn/e/n hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs berücksichtigen wie auch die gesellschaftlichen Machtrelationen zueinander in Beziehung setzen. Dies wird hier mit Hinblick auf die Herstellung von Gender in personaler Appellation untersucht. Personale Appellation und Gender Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird personale Appellation ausgehend von einer Kategorisierung nach Gender betrachtet. Dies impliziert nicht eine Annahme der Außerordentlichkeit bzw. Priorität von Gender gegenüber anderen Aspekten der personal appellierenden Kategorisierung von Menschen sowie die Vorgängigkeit dieser Kategorisierung vor der sprachlichen Benennung. Stattdessen geht es gerade um die Herausarbeitung der konstituierenden Bedingungen und Konzeptualisierungen personaler Appellation, wenn es um Gender geht. Die Besonderheiten und Spezifika dieser thematischen Eingrenzung auf Gender sollen im weiteren herausgearbeitet werden. Allen personalen sprachlichen Appellationen gemeinsam ist die sprachliche Benennung von einzelnen oder mehreren Menschen, die durch die Benennung auf verschiedene Arten kategorisiert werden. Wie bereits angedeutet wurde, ist der eine Endpunkt dieser Kategorisierung die noch über die singuläre pronominale Appellation hinausgehende Individualisierung durch die Appellation mit Eigennamen in westlichen Gesellschaften. Am anderen Ende dieser gedachten Linie liegen Kollektivbenennungen, die auf den Aspekt des Menschlich-Seins abheben, wie zum Beispiel folk (Volk), människa (Mensch) oder person (Person) im Schwedischen. Gemeinsam ist dieser imaginierten Linie in den germanischen Sprachen die besondere Relevanz einer Kategorisierung und Appellation nach Gender, die teilweise auch zu einer Grammatikalisierung dieser Kategorisierung geführt hat. Sprachliche personale Appellation ist in verschiedenen Sprachen und Sprachgemeinschaften konventionalisiert zu unterschiedlichen Formen der personellen Benennung durch Kategorisierung ausdifferenziert. Gender ist eine Kategorisierung, die in der Konventionalisierung personaler Appellation eine wichtige Rolle spielt und selbst genauso wenig ein sprachlich vorgängiges Konzept wie das der personalen Appellation ist. Beide entstehen erst im Moment der Äußerung, in der gleichzeitig auch die Frage der sozialen Autorität entsprechender Appellation zur Disposition steht.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Insofern Gender als ein Schlüsselkonzept im ausgehenden 20. Jahrhundert angesehen wird, soll das hier entwickelte, konstruktivistische Modell personaler Appellation als Grundlage dafür dienen, heraus zu arbeiten, was unter diesem Konzept verstanden wird und wie es sich in personaler Appellation manifestiert. Die Produktion von Gender als Kategorie personaler Appellation und als Identitätskonzept wird nicht als eine monolithische Größe verstanden, sondern als ein komplexes Konzept, welches dynamisch und nur im Zusammenspiel mit anderen Identitätskategorisierungen sprachlich manifestiert ist. So finden sich sprachlich produzierte Genderdifferenzierungen in einer Kombination mit einer Vielzahl weiterer möglicher ‚Merkmale‘, die in personaler sprachlicher Appellation ausdifferenziert werden können, wie Alter, race36, Schicht, Tätigkeit, Aussehen, Einstellung. Nicht alle Merkmale sind in allen Sprachgemeinschaften als so relevant gesetzt, dass sie konventionalisiert in personaler Appellation Ausdruck finden. Gleichzeitig können sie auch als so selbstverständlich gelten, dass ihr expliziter Ausdruck unnötig erscheint. Nur in einem Vergleich verschiedener Appellationsformen unter der Fragestellung, was mit ihnen konzeptualisiert wird, können solche Momente herausgearbeitet werden. Ansätze zu einer Konzeptualisierung personaler Appellationsformen, die eine von traditionellen linguistischen Konzept als Personenreferenzformen abweichende Grundkonzeptualisierung bieten, finden sich neben pragmatischen Ansätzen in der Linguistik beispielsweise in der Soziologie und außerhalb einer im engeren Sinne linguistischen Forschung. Cahill (1986) interpretiert Analysen zum Erstsprachenerwerb des Englischen unter der Frage der personalen Appellation und Gender, wobei er einen sozialisationstheoretischen Ansatz zum Erwerb von Gender unterlegt. Die Studie ist auch insofern erwähnenswert, als dass sie sich auf die Arbeiten von Goffman (1959), Garfinkel (1967) und Sacks (1966)37 bezieht, die einen ethnomethodologischen Ansatz zur Konstitution von Gender vertreten. Personale Appellation wird von Cahill (1986) auf diesem Hintergrund als eine Kategorisierung sozialer Identifikation angesehen, die soziale Interaktion ermöglicht. Sprachliche Kategorisierung von Menschen mit Hilfe der Zuschreibung von Labels und kollektiver Identitätsbenennungen sieht Cahill als eine
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In Ermangelung eines deutschsprachigen Terminus, der nicht selbst auch wieder diskriminierend und pauschalisierend wirkt, wird in der vorliegenden Arbeit der englischsprachige Terminus übernommen und kursiv gesetzt, um die Konstruiertheit dieser Kategorisierung besonders zu betonen. Vgl. Cahill (1986): Sacks, Harvey 1966 The search for help: no one to turn to. Unpublished Ph.D. dissertation, University of California, Berkeley.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
79
grundlegende Funktion von Sprache.38 Er kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere Gender und Alter im frühen Erstsprachenerwerb relevante Kategorisierungen sind, die in sprachlicher Appellation umgesetzt, identifizierbar und in ihrer Relevanz verfestigt wird. „In analyzing the function of names ascribed to categories of people, it is important to recognize that these names are not simply terms for collectively referring to individuals but also carry implications regarding typical patterns of behavior. […] By implication, the names we ascribe to categories of people provide us guidance in anticipating and responding to one another’s behavior. However, individuals must employ a similar method and terms of social classification or identification in order for such names to provide a basis for predictable and intelligible interaction between them. In other words, they must share a similar system or “language” of social identification.” (Cahill 1986: 296)
Ausgehend davon sieht Cahill (1986) die Analyse personaler Appellationsformen innerhalb einer Sprachgemeinschaft als eine wichtige Untersuchung sozialer Identifikationsmöglichkeiten für Individuen an. Es ist kein Zufall, dass diese Untersuchung in einem soziologischen Organ erschienen ist und nicht in einem linguistischen – ein Fokus auf den Zusammenhang von Sprache und sozialer Realität ist jenseits der Pragmatik innerhalb der Linguistik nicht zu finden, wird der Soziolinguistik zugeschrieben oder ist eher in der Soziologie verortet. Es wird in der vorliegenden Arbeit sowohl eine neue Perspektive auf den Gegenstandsbereich der sprachlichen Appellation von Menschen mit besonderer Beachtung des Aspekts Gender vorgeschlagen als auch eine neue Form der Kategorisierung der unter dem Aspekt Gender differenzierbaren Formen sprachlicher Appellation. Die Annahme der Vorgängigkeit und Unverbrüchlichkeit von Genus steht in dem in dieser Arbeit entwickelten Modell ebenso zur Debatte wie die Annahme der eindeutigen Relation von Genus zu Gender. Beides dient als Arbeitsgrundlage für die Darstellung der konventionalisierten personalen sprachlichen Appellation im Schwedischen im nachfolgenden dritten Kapitel, die nicht mehr von Substantiven und nachgeordneten Formen ausgeht und auch nicht primär nach Genus- und genuslosen Formen unterscheidet, sondern konventionalisiert genderspezifizierende Appellationspraktiken als Ausgangspunkt der Kategorisierung nimmt. Pronomina bekommen ein eigenständigeres Gewicht und Genus als formales Mittel der Kennzeichnung von Gender eine untergeordnetere Rolle. In der Frage der formallinguistischen Trennung zwischen Substantiven und Pronomina als eine Form sprachwissenschaftlicher Kategorisierung kann in diesem Zusam-
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Vgl. Halliday (1978).
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
menhang gefragt werden, inwiefern durch die verschiedenen Formen unterschiedliche Konzeptualisierungen personaler Appellation zum Ausdruck gebracht werden und welche Rolle Gender unter diesem Blickwinkel einnimmt.39 Der Ausgangspunkt traditionell feministisch-linguistischer Beschäftigung mit genderspezifizierender personaler Appellation ist die Frage der sprachinhärenten Diskriminierung durch Asymmetrien der Benennungsmöglichkeiten in Bezug auf Genderspezifizierung personaler Appellation. Die zu Grunde liegende Annahme dieses Ansatzes geht von einer feststellbaren Diskriminierung auf der Grundlage einer formalen Analyse aus. Dieser Ansatz wird ausgehend von einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse in der in ihr enthaltenen situations- und kontextlosgelösten sprachlichen Darstellungsdimension verworfen. Diesem wird stattdessen die These gegenüber gestellt, dass jegliche sprachliche Form pejorisierend und/oder diskriminierend benutzt werden kann. Butler (1993c) wendet sich gegen die strukturalistisch-linguistische Vorannahme einer klaren Bedeutungsbestimmung, wenn sie formuliert, dass es möglich sein müsse, den Terminus ‚Frauen‘ zu benutzen und ihn aber doch gleichzeitig auch zu kritisieren und dadurch seine Bedeutung zu öffnen. In ihrer Ausführung dieses Gedankens wird die Übertragung der Überlegungen von Derrida zur RePräsentation deutlich, die eine zunächst theoretische Umsetzung auf die Frage der Herstellung von Gender erfährt. „Paradoxerweise wird vielleicht auch so etwas wie die „Handlungsfähigkeit“ nur möglich, wenn man die Kategorie „Frauen“ von ihrem feststehenden Referenten befreit. Denn falls diese Kategorie eine Umdeutung erlaubt bzw. falls ihr Referent nicht feststeht, werden Möglichkeiten für neue Konfigurationen dieses Begriffs eröffnet. In einem bestimmten Sinn wurde die Bedeutung des Begriffs „Frau(en)“ zu lange für selbstverständlich gehalten. Was man als „Referenten“ dieses Terminus festsetzte, wurde damit auch fixiert, zur Norm erklärt, festgeschrieben und in einer Position der Unterordnung stillgestellt. Im Grunde hat man das Signifikat mit dem Referenten verwechselt, insofern man annahm, dass bestimmte Bedeutungen der realen Natur der Frauen selbst innewohnen. Wenn wir nun den Referenten erneut als Signifikat begreifen und die Kategorie „Frau(en)“ zu einem Schauplatz möglicher Umdeutung erklären und damit retten, erweitern sich die Möglichkeiten dessen, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und zugleich werden die Bedingungen und Möglichkeiten für einen erweiterten Sinn von Handlungsfähigkeit geschaffen.“ (Butler 1993c: 50)
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Vgl. auch Kapitel 3.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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In der von Butler (1993c) entwickelten Sichtweise auf Gender wird eine strukturalistische Sprachsicht in der Frage der Konstitution von Bedeutung zugleich hinterfragt und mit für eine Naturalisierung bestimmter, auf Gender bezogener Vorstellungen verantwortlich gemacht. Gleichzeitig steht die Frage der in bestimmten Formen lokalisierbaren sprachlichen Diskriminierungen, wie sie von der feministischen Linguistik in Bezug auf personale Appellation vertreten wurde, neu zur Diskussion. „Could language injure us if we were not, in some sense, linguistic beings, beings who require language in order to be? Is our vulnerability to language a consequence of our being constituted within its terms? If we are formed in language, then that formative power precedes and conditions any decision we might make about it, insulting us from the start, as it were, by its prior power.“ (Butler 1997a: 1f.)
Die Frage der Diskriminierung wird nicht zu einer, die bestimmten Appellationsformen zugeschrieben werden kann und gleichzeitig als eine Form der nicht-diskriminierenden Appellationspraxis als Systematik personaler Appellation herstellbar wird, sondern gehört zu den grundlegenden Bedingungen der Subjektkonstitution in einem konstruktivistischen Modell. Auf der Grundlage der Annahme, dass performative Handlungen das erst hervorbringen, was sie benennen, macht Butler (1993b) ihre Bedingtheit in Konventionen deutlich. „Damit ein Performativ funktionieren kann, muß es aus einem Satz sprachlicher Konventionen schöpfen und diese Konventionen, die traditionell funktioniert haben, rezitieren, um eine gewisse Art von Effekten hervorzurufen. Die Kraft oder Effektivität eines Performativs hängt von der Möglichkeit ab, sich auf die Geschichtlichkeit dieser Konventionen in einer gegenwärtigen Handlung zu beziehen und sie neu zu kodieren. Diese Macht des Rezitierens ist nicht Funktion der Intention des Einzelnen, sondern Effekt der historisch abgelagerten sprachlichen Konventionen.“ (Butler 1993b: 124)
Sie spricht in diesem Zusammenhang von ‚sedimentierter Wiederholbarkeit‘, mit dem sie die starke Konventionalisierung von Benennungspraktiken charakterisiert. Butler (1993b) weist darauf hin, dass das Subjekt weder völlig von Sprache bestimmt ist noch völlig frei ist, Sprache als äußeres Medium zu instrumentalisieren. Dies verändert nicht nur die Sichtweise auf Diskriminierung in personaler Appellation gegenüber einem traditionell feministisch-linguistischen Ansatz, sondern auch den Blick auf traditionell als Sprachveränderung verstandene Strategien feministischer Politik, wie insbesondere in Kapitel 4 und 5 zu sehen sein wird. Strategische Sprachveränderungen sind nicht über unterschiedliche Sprechhandlungen hinweg formulierbare Regeln der Appellation, sondern ein kontinuierli-
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
cher Prozess aus Umdeutungen und ReSignifizierungen40. Diese veränderte Sichtweise geht einher mit und ist gleichzeitig bedingt durch eine ebenfalls veränderte Sichtweise auf Gender, wie sie im ersten Kapitel ausgeführt wurde. So wird hier nicht länger von der Vorgängigkeit einer klaren und unverbrüchlichen Genderdichotomie ausgegangen, sondern zentral wird die Untersuchung, ob und wenn ja wie eine entsprechende Dichotomisierung naturalisiert wird. Sprachveränderungen sind in dieser Sichtweise nicht von Sprachgebrauch zu unterscheiden, sondern finden kontinuierlich statt. „[...] Handlungsfähigkeit [ist] der Effekt von Diskursbedingungen, die aus diesem Grunde nicht auch ihren Gebrauch kontrollieren müssen; sie ist keine transzendentale Kategorie, sondern eine kontingente und zerbrechliche Möglichkeit, die sich inmitten konstituierender Beziehungen auftut.“ (Butler 1993b: 128)
Jegliche Appellation ist in diesem Sinne eine ReSignifizierung, da sie eine nicht-identische Wiederaufnahme eines angenommenen und erst so hergestellten Orginals ist, die nie mit ihrer Wiederaufnahme identisch sein kann.41 Jegliche Appellationspraxis ist aktiver Teil der Aushandlung von Kategorisierungen und Konzeptualisierungen, die in sedimentierter Wiederholung den Mythos einer Natürlichkeit bedienen. Analytisch soll hier eine Differenzierung zwischen dem kontinuierlichen Vorgang der ReSignifikation und der feststellbaren Umdeutung, VerUneindeutigung42 oder subversiven Zitierung gemacht werden, die im folgenden mit ReSignifizierung benannt wird. Die Ähnlichkeit der Benennung, im ersten Fall als statischer Zustand, im letzteren als prozessuale Benennung, sowie die grafische Hervorhebung des Umstandes, dass jegliche ReSignifizierung zugleich auch eine Signifizierung ist, soll zugleich auch implizieren, dass eine Trennung zwischen Resignifikation im Butlerschen Sinne und dem hier vorgeschlagenen Konzept der ReSignifizierung immer auch eine theoretische Konstruktion eines Kontinnums zu analytischen Zwecken darstellt.43 Ausgehend von der Annahme, dass Sprechhandlungen Resignifikationen sind, muss auch die Idee der Sprachveränderung neu gefasst werden. Sie wird bei Nerlich und Clarke (1988: 73) als „the nature of meaning is change“ umschrieben, als ein fortdauernder Prozess, der grundlegend für sprachliche Kommunikation und damit im Sinne von Keller (1989) ein
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Siehe hierzu auch Hornscheidt (2006b), insbesondere das Kapitel zur ReSignifizierung. Insofern ist auch die linguistisch tradierte Begrifflichkeit ‚Wiederaufnahme’, die eine Identität impliziert, irreführend. Vgl. Engel (2002). Vgl. weiter unten, wo das Konzept der ReSignifizierung ausführlicher erläutert wird.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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Prozess der unsichtbaren Hand ist. Dieser Prozess ist individuell und beginnt ohne die Absicht einer größeren Sprachveränderung. Er hat kollektive Auswirkungen, kann nicht auf einen Ursprung oder Beginn zurück bezogen werden, wird als solcher aber als soziokultureller Prozess aufgefasst.44 Die Annahme von Resignifikation als grundlegender Betrachtungsweise sprachlicher Appellation impliziert eine kontinuierliche Sprachveränderung, die in einer pragmatischen Vorstellung auf der Ebene der konkreten Interaktion von Menschen verortet werden kann. Dies bedeutet gleichzeitig, dass in einem konstruktivistischen Modell nicht von einer Ursprungsbedeutung ausgegangen wird, sondern die Etymologie eines Wortes beispielsweise lediglich etwas über seine fossilierten Konzeptualisierungen45 aussagt. „We will not simply find information about how particular phenomena were referred to originally, but we will also be able to infer details concerning the particular conceptual construals of phenomena that have with time become conventionalized and coded in the language.“ (Györi 2002: 141)
Traugott (1999) betont, dass dieser Prozess nicht nur sprecher/innen-, sondern auch hörer/innenabhängig sei, da letzere die Motivationen des/der Sprecher/in zu einer Innovation beisteuern müssten. Sprachveränderung beginnt beispielsweise auf der inviduellen Ebene im idiosynkratischen Gebrauch bestimmter Appellationspraktiken, gefolgt von einer Gebrauchskonventionalisierung, die zu einer Standardisierung und schließlich einer Lexikalisierung und/oder Grammatikalisierung führen kann.46 Terminologisch wird zwischen semantischem und lexikalischem Wandel bzw. Sprachveränderung unterschieden. Von semantischem Wandel wird in diesem Zusammenhang gesprochen, wenn eine Appellationsform veränderte konventionalisierte Gebrauchsweisen übernimmt, von lexikalischem Wandel, wenn neue Wörter bzw. lexikalische Einheiten eingeführt werden. Diese Trennung wird in dem hier vertretenen Ansatz nicht nachvollzogen, sondern ihre Interdependenz betont, die sich zum Beispiel in Ad-hoc-Bildungen und Derivationen, die auf der Grenze zwischen beiden Formen des Wandels anzusetzen wären, zeigen kann. Im Rahmen eines kognitiv-linguistischen Ansatzes wird Sprachveränderung als ein Prozess der Veränderung einer Konzeptualisierung und/oder Ka-
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Ob die Sprachveränderung selbst eine soziokulturelle Veränderung ist oder ob sie diese anzeigt und evtl. beeinflusst und damit jenseits von ihr verortet wird, wird verschieden ausgelegt. Vgl. Györi (2002: 141); im englischen Original fossilized conceptualizations. Vgl. Blank (1997) für die Ausformulierung einer entsprechenden Abfolge der Sprachveränderung. Für den Ansatz der Grammatikalisierung, vgl. Kapitel 2.5.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
tegorisierung gesehen, der darauf beruht, dass Sprecher/innen die Art und Weise dieser Kategorisierung verändern, ohne dass es sich hier um einen bewussten Vorgang handelt. „The linguistic processes of semantic and lexical change are based on a reorganization of categories at the conceptual level with the help of such cognitive mechanisms as metaphor, metonymy, extension, restriction, etc. These mechanisms of human cognition are all used to create new conceptual categories or modify old ones and the way this is done is reflected in the linguistic processes in which they are manifest.“ (Györi 2002: 143)
Ob eine Sprachveränderung stattgefunden hat, wird in der einschlägigen Literatur nach unterschiedlichen Kriterien bewertet, die zudem verschieden gewichtet und hierarchisiert werden. Eine mögliche Unterscheidung ist nach dem Bedeutungsumfang, der zum Ausdruck gebrachten Einstellung durch die Appellation und der angenommenen oder festgestellten Ursache der Veränderung. Ob und wie Sprachveränderung in Bezug auf Gender in personaler Appellation im Schwedischen geschieht, ist Thema der nachfolgenden empirischen Kapitel.47 ReSignifizierung Der Begriff der ReSignifizierung soll auf eine Anwendung eingegrenzt werden, in dem von einer durch die ReSignifizierung vollzogenen Umdeutung, subversiven Zitierung, einer VerUneindeutigung oder eines ReClaiming gesprochen werden kann, in der aus analytischer Perspektive eine Modifzierung von konventionalisierten Gebrauchsweisen festgemacht werden kann und ein signifikanter Bruch mit dem herkömmlichen oder bisherigen Diskurs stattfindet. Eine Analyse dieser Form der ReSignifizierung ist nicht einfach, da sie gleichzeitig auch immer eine Interpretation bedeutet und Grenzziehungen vorgenommen werden, die aus einer anderen Sichtweise zu verwerfen oder anders zu ziehen wären. Aus diesem Grund sollen für eine ReSignifizierung als potentielle politische Handlungsdimension personaler Appellationspraktiken vorab Indizien formuliert werden, die in diesem Zusammenhang als Indikatoren dienen sollen, auf deren Grundlage eine Resignifikation als ReSignifizierung klassifiziert wird. Dies ist zum einen die explizite Thematisierung einer personalen Appellation in einer Weise, die eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Form anzeigt und zum anderen die Aneignung einer pejo-
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Vgl. Kapitel 5 und 6.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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risierenden Fremdappellation als Selbstappellation. Beide Kriterien müssen nicht hinlänglich sein, damit eine Appellationspraxis als ReSignifizierung in dem hier definierten Sinne verstanden werden kann, sollen aber als erste Orientierungspunkte dienen.48 Das erste hier formulierte Kriterium der expliziten Thematisierung der personalen Appellation ist ein Gesichtspunkt, der insbesondere mit Hinblick auf die Kritik feministischer Linguistik an personalen Appellationsformen in Bezug auf Genderspezifizierung zu finden ist und zu Sprachveränderungsstrategien führt, indem vor allem neue Formen eingeführt oder gebräuchliche Formen neu oder anders konventionalisiert benutzt werden. Wie an verschiedenen Stellen noch deutlich wird, spielt die Strategie der Rückaneignung bestimmter Appellationsformen49 im Kontext der feministischen Linguistik eher eine untergeordnete Rolle, wenn eine Genderspezifizierung als Ziel gesetzt ist.50 Der Umgang mit Appellationsformen durch soziale Gruppen, die sich mit der gruppenbezogenen Diskriminierung aktiv und bewusst auseinander setzen, soll hier als ein mögliches Indiz für ReSignifizierung angeführt werden. Die Appellationspraktiken der diskriminierten Gruppen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass ebendiese Praktiken durch die Gruppenmitglieder expliziert und diskutiert werden und sie sich mit der Wirkkraft sprachlicher Benennungen auseinandersetzen und die angenommene Wertneutralität hegemonialer Benennungspraktiken als eine Machtstrategie offen legen. Tirrell (1999) sieht darin einen wichtigen Bestandteil für eine resignifizierende Strategie: „[...] explicitly addressing particular uses of the term, making the expression itself the subject of rational discussion, goes some way toward ameliorating the harms of the term and toward weakening its potential to harm again. Making explicit the expressive commitment also makes explicit the political dimension of the term, both in its assertional commitments’ being rife with rigid – perhaps nondetachable – prescriptive stereotypic traits and in the social function of the distinctions made therein.” (Tirrell 1999: 54) 51
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Für eine empirische Überprüfung, vgl. Hornscheidt (2006b). Im Englischen auch: reclaiming. Neben Genderspezifizierung kann das durch die feministische Linguistik anvisierte Ziel auch eine Genderneutralisierung bzw. Genderunspezifizierung sein. Vgl. Kapitel 5 für eine Diskussion in Bezug auf das Schwedische. Eine weitere Differenzierung, die Tirrell (1999) nennt, ist die Unterscheidung zwischen einer appellativen Form, die die Konzeptualisierungen abwertender Charakterisierung zum ausschließlichen Kriterium hat und solchen Formen, die ihren pejorativen Gehalt auf Grund von sozialen Praktiken besitzen, die nicht in die sprachliche Oberfläche des appellierenden Begriffs eingeschrieben sind. Diese Unterscheidung wird im vorliegenden Rahmen kritisch beurteilt, da sich in ihr die Anschauung einer Kernbedeutung einschreibt. Ein
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Dies ist von Seiten der traditionellen feministischen Linguistik für eine Vielzahl von Sprachen in Bezug auf personale Appellation durchgeführt worden, wobei hier in der Regel eine statische und sprachlich vorgängige Sichtweise auf Gender unterlegt ist, die zu einer Reproduktion der Natürlichkeit der Kategorisierung geführt hat. Mit einer Differenzierung in Selbst- und Fremdappellation soll die zentrale Ebene sozialer Macht in Bezug auf personale Appellationspraktiken untersucht werden. Durch die Fragen, wer wen benennt und welche Benennungen zu konventionalisierten werden, kann die Einschreibung sozialer Macht in Benennungspraktiken untersucht werden. Die Übernahme diskriminierender Formen zur Selbstbenennung kann durch eine historische Analyse der Entstehung bestimmter Appellationspraktiken und der sich in sie einschreibenden sozialen und gesellschaftlichen Bewertungen analysiert werden. „Outgroups nicknames are preeminently a political vocabulary. Name calling is a technique by which outgroups are defined as legitimate targets of aggression and is an effort to control outgroups by neutralizing their efforts to gain resources and influence values.” (Allen 1983: 15)
Eine entsprechende Analyse lässt keine einfachen Antworten erwarten, da durch die Internalisierung herrschender gesellschaftlicher Wertvorstellungen diskriminierende Appellationspraktiken sowohl in Fremd- als auch in Selbstappellation zu erwarten sind. „Pragmatically, a derogatory term: (1) may do the relatively external job of reminding the person of the social sanction of their status as lesser, (2) may do the more „internal“ job of instilling psychological oppression, convincing the person that her socially sanctioned status is really deserved (as when it is suggested that is has biological roots, for instance); or (3) may accomplish both.“ (Tirrell 1999: 53)
Die Frage, ob bestimmte appellative Praktiken in Selbstbenennung vorkommen und in welchen Settings, kann ein wichtiges, wenn auch nicht ausreichendes Kriterium zur Bewertung von Appellationspraktiken unter dem Aspekt der ReSignifizierung sein. Gleichzeitig können ReSignifizierungen analysiert werden, die nicht unbedingt zu Sprachveränderungen werden müssen, auch wenn sie zu einer konventionalisierten und standardisierten Gebrauchsweise avancieren. Eine entsprechende Untersuchung wäre nicht synchron durchführbar, sondern nur über einen Zeitraum, der
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Erkenntnisinteresse, das aus ihr abgeleitet werden könnte, ist die Frage, inwiefern genderspezifizierende Appellation einer Pejorisierung dient, ohne dass damit eine genderspezifizierende personale Appellation vollzogen wird.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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in den meisten Fällen mehrere Generationen überdauern würde.52 Eine ReSignifizierung ist immer auch eine Resignifikation, nicht unbedingt aber eine Sprachveränderung in dem hier ausformulierten Sinne. Zusammenfassung Im Folgenden werden die Eckpunkte eines konstruktivistischen Modells personaler Appellation, wie sie hier entwickelt worden sind, zusammenfassend festgehalten. Dieses Modell zur Analyse personaler Appellation besitzt eine Reihe von Spezifizierungen des im ersten Kapitel vorgestellten und zur Grundlage genommenen pragmatischen Modells. x Es wird im Folgenden mit Bezug auf den hier vertretenen konstruktivistischen Ansatz von personaler Appellation gesprochen und die Begrifflichkeit Personenreferenz(formen) nur in den Fällen benutzt, in denen ein Bezug zu traditionellen linguistischen Modellen und Ansätzen besteht. Die Umbenennung des Erkenntnisgegenstands entspricht einer Wendung von einem auf Formen orientierten, strukturalistischen Ansatz mit Bezugnahme auf ein angenommenes Sprachsystem zu einem handlungsorientierten Ansatz von Sprache, in dem personale Appellation die aktive, im Akt der Sprachäußerung hergestellte Subjekt- und Identitätsbildung betont. x Das sprechende Subjekt wird als Ort der Herstellung personaler Appellation und als konstituiert durch die Möglichkeiten und Realisierungen dieser Appellation verstanden. Personale Appellation ist der Schnittpunkt zwischen der Handlungsfähigkeit des Subjekts und seiner Konstitution, ohne dass eine dieser Ebenen als vorgängig gegenüber der anderen angesehen wird. x Personale Appellation ist in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten. Dies bedeutet, dass sie keine feste und statische Größe ist, sondern flexibel und gleichzeitig auch Ausgangspunkt für die Möglichkeiten strategischer Veränderungen derselben mit Blick auf bestimmte Themenstellungen. Die Annahme des Kontexts ist umfangreicher als in herkömmlichen pragmatischen Ansätzen. Kontext wird als eine dynamische kognitive Größe der Verarbeitung von Erfahrung definiert und ist analytisch nicht klar trennbar von Sprache. Dies führt zum ei-
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Gerade im Bereich der Konzipierung von Gender und Sexualität scheinen jedoch Sprachveränderungen lexikalisiert und grammatikalisiert zu werden, die sehr viel schneller verlaufen, wie an verschiedenen Stellen der Studie in Bezug auf das Schwedische noch deutlich werden wird.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
nen zu einer spezifischen Sichtweise von Konventionen als zum anderen auch zu einem diskursanalytischen Ansatz, in dem neben den Praktiken personaler Appellation auch der wissenschaftliche Diskurs um diese Praktiken in Bezug auf Gender in einer Analyse mit berücksichtigt werden muss. Gender ist keine Kategorisierung und Dichotomie jenseits von Sprache, deren adäquate Widerspiegelung in sprachlichen Appellationspraktiken zu untersuchen ist, sondern eine durch Appellationspraktiken geschaffene Größe und Kategorisierung von Menschen. Gender muss in seinen Konstitutionsbedingungen und Konzeptualisierungen betrachtet werden. Im Vordergrund steht nicht die Frage einer objektivierbaren Diskriminierung, sondern die Frage der Herstellung von Gender als natürlich wahrgenommene Dichotomisierung durch personale Appellationspraktiken. Darüber hinaus wird in einer entsprechenden Analyse zu untersuchen sein, was sich als und woraus sich Gender jeweils konstituiert und welche Ausschlüsse mit dieser Konstitution jeweils verbunden sind. Konventionalisierungen sind in historischen Prozessen vollzogene Sedimentierungen sozialer Normen, die nicht zeitübergreifend stabil und unveränderbar sein müssen. Konventionalisierungen sind sowohl Ausdruck als auch Effekte von Machtrelationen, die ihrerseits durch ebendiese Konventionalisierungen geschaffen und reproduziert werden. Personale Appellationspraktiken, die innerhalb einer bestimmten Gesellschaft in bestimmten Verwendungsweisen autorisiert sind, zum Beispiel durch offizielle Sprachregelungen und semi-offizielle Verschriftlichungen bestimmter Gebrauchsweisen in Wörterbüchern, Grammatiken und Lexika, sind Konventionalisierungen personaler Appellationsformen. Konventionalisierungen sind machtgeprägt und selbst Macht generierend. Macht ist ebenso wie das Subjekt die konstitutive Bedingung für das Gelingen von Appellationspraktiken und gleichzeitig auch ihr Effekt. Macht ist kein jenseits sprachlicher Appellation vorhandenes Konzept, welches mit den konkreten Sprechhandlungen gegen gelesen oder im Kontext von Machtrelationen betrachtet werden kann. Die in der Pragmatik zu findenden, tradierten Machtkonzepte berücksichtigen Statusrelationen als jenseits des Sprachgebrauchs und der sprachlichen Beeinflussung. Sie werden um die Ebene der kontinuierlichen Dynamik, Konstituierung und Verhandlung ebendieser Macht ergänzt, die sich so auch in das Individuum und seine Handlungen eingeschrieben finden kann.
2.2 Etablierung des Konzepts Appellation
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Während in den traditionellen, psycholinguistischen und komplementär-pragmatischen Ansätzen die Frage im Mittelpunkt steht, inwiefern Sprache das Denken beeinflusst, ist von einem konstruktivistischen Grundverständnis ausgehend die Frage erkenntnisleitend, welche Konzeptualisierungen sprachlich zum Ausdruck gebracht werden. Damit wird der Fokus des Interesses verändert. Der methodisch schwierig zu fassende Punkt einer Unterscheidung zwischen Sprache und Denken wird hier auf die Frage verschoben, wie im Sprachgebrauch ‚Wirklichkeit‘ konstituiert wird. Ausgehend von diesem Modell personaler Appellation wird Kategorisierung in einer kognitiv-linguistischen Tradition als Ausgangspunkt der Analyse genommen. x
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument für genderspezifizierende personale Appellation Aber mein Gott – es erinnerte mich trotzdem an etwas so Bekanntes, so Vertrautes, daß mir die Worte fehlten, um es beim Namen zu nennen. (Die Worte brauchen Abstand, um etwas benennen zu können). Tokarczuk 2000: 9
Wie im ersten Kapitel deutlich wurde, basiert die Kognitive Linguistik auf einer Infragestellung eines traditionellen, aristotelischen Kategorienverständnisses durch die alternative Annahme einer Prototypentheorie für die Frage der Kategorisierung. Diese ihrerseits ist zu einer spezifischen Form der Kognitiven Linguistik in der Nachfolge von vor allem Lakoff (1987) weiterentwickelt worden, die im folgenden zunächst im Mittelpunkt stehen soll. In ihr geht es um die Frage, wie und wo Bedeutungen entstehen. Die Kognitive Linguistik geht davon aus, dass Kategorien nicht statisch, sprachlich vorgängig und unverbrüchlich sind, sondern kommunikativen und wahrnehmungspsychologischen Anforderungen genügen und damit aus ebendiesen Gründen in und durch soziale Kommunikation geschaffen sind.53 Sprecher/inne/n einer Sprache sind Kategorisierungen nicht be-
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Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass in einer ganzen Reihe von Ansätzen innerhalb der Kognitiven Linguistik auch von natürlichen Kategorien ausgegangen wird. Da diese Vorstellung mit einem konstruktivistischen Modell nicht kompatibel ist, bleiben sie hier weitgehend unberücksichtigt.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
wusst, sondern werden von ihnen in der Regel als sprachlich vorgängig angenommen. „Elements of meaning that we regard as semantic are themselves elements of world view, or have parallel conceptual structures to those of world view, or are closely linked to elements of world view that govern non-linguistic behaviors. While language may display some special features, language and world view are part of the same cognitive network.” (Palmer 1996: 16)
Hier wird bereits die Abgrenzung von traditionell semantischen Ansätzen zu Bedeutung deutlich. Auch Fauconnier (1997) betont im Hinblick auf die traditionell vollzogene Abgrenzung zwischen Pragmatik und Semantik, dass es keine isolierte Bedeutungsrepräsentation gibt. „The language, it will be argued, does not autonomously specify meanings that later undergo pragmatic processing. Rather, it guides meaning construction directly in context.” (Fauconnier 1997: 17) Sprachliche Mittel können die Konstruktion und Vernetzung von mental spaces in Fauconniers Terminologie leiten und sind Instruktionen, um miteinander verbundene mental spaces zu konstruieren. Dies findet auf einer kognitiven Ebene statt, nicht auf einer sprachlichen und ist dementsprechend von sprachlichen Strukturen unterscheidbar. „The constructions at level C [die kognitive Ebene; Anmerkung der Autorin] are different (and novel) for each case of language use; mental spaces and connections are built up as discourse unfolds; they are a function of the language expressions that come in, the state of the cognitive construction when the language expression arises and the context of the discourse; this includes social framing, pragmatic conditions such as relevance, and real-world events perceived by the participants.“ (Fauconnier 1997: 36)
Fauconnier (1997) wendet diese Überlegungen auch auf personale Appellation an, die neue mental spaces hervorruft oder auf existierende Elemente in der diskursiven Konstruktion hinweist. Durch die Verwendung personaler Appellationsformen könnten Eigenschaften zu den Elementen assoziiert werden. So besitzt die personale Appellation in der Phrase „some boys who were tired“ die Assoziationen „being a boy“ und „being tired“54. Sprachformen haben hier ein Bedeutungspotential und keine Bedeutung in sich selbst. Bedeutung ist eine diskursive Größe und wird nur in Kontexten produziert. „The unfolding of discourse brings into play complex cognitive constructions. They include the setting up of internally structured domains linked to each other by connectors; this is effected on the basis of linguistic, contextual, and situ-
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Fauconnier (1997: 40).
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument personaler Appellation
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ational clues. Grammatical clues, although crucial to the building process, are in themselves insufficient to determine it.” (Fauconnier 1997: 38)
Was bei Fauconniers (1997) Modell weitgehend unbeachtet bleibt und nur in Form des oben genannten Beispiels implizit angesprochen wird (boy) ist die Rolle der Genderspezifizierung und –assoziationen, die in seinem Beispiel wiederum der kognitiven Analyse vorgängig sind. Diese aber spielen in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle und werden nicht als vorgängig oder natürliche Kategorisierungen angesehen. Die Konzeptualisierung von Personen auf der Grundlage personaler Appellation ist ein kontinuierlicher Prozess der Kategorisierung und Einteilung von Menschen in Gruppen, kollektive Identitäten und über bestimmte Wahrnehmungsaspekte. Ronen (1979) positioniert Menschen auf einer Wahrnehmungslinie zwischen zwei möglichen Polen, der des Individuums und der Menschheit insgesamt. Alle Gruppenidentifikationen, die zwischen diesen beiden liegen, sieht er als verstandesmäßige Konstrukte der Identifikationsbildung an: „One’s religion, mother tongue, culture, also one’s education, class, sex, skin color, even one’s height, age, and family situation are all potentially unifying factors. Each factor can also be ignored as irrelevant in the formation of an ‘us.’ Various unifying factors, such as language, religion, and color of skin, seem ‘natural.’ I propose that none is. Language, culture, a real or assumed historical origin, and religion, form identities for an ‘us’ in our minds, and only so long as they exist in our minds as unifying factors do the entities of ‘us’ persist.“ (Ronen 1979: 9)
In der Frage, wie Kategorisierungen und in Folge Bedeutungen entstehen, wird davon ausgegangen, dass die Kategorisierungen, die Menschen vornehmen und wahrnehmen, auf der Grundlage ihrer bisherigen Erfahrungen geschehen, die so zur Matrix der mentalen Repräsentation prototypischer Vorstellungen werden. „We can regard the relevant background information for the characterization of word meanings as a network of shared, conventionalized, to some extent perhaps idealized knowledge, embedded in a pattern of cultural beliefs and practices.“ (Taylor 1995a: 83) Bedeutung ist an Wissens- und Glaubensmustern gebunden. Konventionalisierungen von Vorstellungen entstehen auf der Grundlage von Erfahrungen, die selbst sowohl sozial eingebettet sind als auch zu sozial verbindlichen Bedeutungskonventionen führen. Ausgehend von einem komplementär-pragmatischen Modell55 geht Levinson (1997) von einer Trennung von semantischen und konzeptuellen Repräsentationen aus,
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Vgl. Kapitel 1.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
deren Zusammenhang er untersucht. Levinson (1997) analysiert den Einfluss verbaler Kategorisierungen56 auf die kognitive Verarbeitung von Erfahrungen in Form von Erinnerung und späterer Verbalisierung. Auch wenn seinem Ansatz insgesamt nicht gefolgt wird, da er ein traditionelles, auf Wörter oder Phrasen bezogenes semantisches Verständnis zu Grunde legt, ist diese konkrete Untersuchung insofern von Interesse, als dass sie zeigt, dass sprachliche Muster erfahrungsprägend und –leitend sein können. Levinson (1997) vergleicht die räumlichen Benennungen der TzeltalSprecher/innen, einer Maya-Sprache in Chiapas, Mexiko, mit englischen räumlichen Benennungen. Generell unterscheidet Levinson drei verschiedene räumliche Beschreibungen: eine auf absoluten Koordinaten basierende, eine auf relativen Koordinaten basierende (in der Regel anthropozentrisch), und eine intrinsische, die auf den inhärenten Faktoren eines Objekts basiert. Tzeltal ordnet er eine Modifikation der ersten möglichen Herangehensweise an räumliche Beschreibung zu, da hier ausgehend von den landschaftlichen Begebenheiten des eigenen Territoriums räumliche Beschreibungskategorien aufgestellt werden. „The term that corresponds to (somewhat east of) north means literally ‚down‘ and relates to the steep drop of Tenejapan territory from an alpine southern range to a tropical northern river valley. [...] The dependence of the linguistic system on the overall inclination of the landscape is made patent by the fact that neighbouring people skew their systems according to the general slope inside their own territories. Nevertheless, these are not terms for places but cardinaldirection terms motivated by, but abstracted from, landscape features. If you take a Tenejapan outside her territory, say to a local town down on the flat lands, her ‘downhill’ is just where it always was, centred on a fixed bearing just east of north.” (Levinson 1997: 35)
Diese Form der räumlichen Beschreibung wird nicht nur für Landschaften ausgenutzt, sondern auch, um die Lage von zum Beispiel Objekten auf einem Tisch zu charakterisieren oder um darzustellen, welches Körperteil beispielsweise verletzt worden ist. Diese Fähigkeit, kardinale Richtungen zu erkennen und zu benennen, besitzen Sprecher/innen dieser Sprache auch, wenn sie zum Beispiel in einen ihnen unbekannten, fensterlosen Raum geführt werden und aufgefordert werden, in einem Umkreis von 1 bis 100 Meilen auf die Orte zu zeigen, an denen sie schon mal gewesen sind. Levinson (1997) ist daran interessiert, was dies für sowohl ihr Orientierungssystem als auch für ihre Fähigkeit, Erfahrungen im Gedächtnis zu speichern, bedeutet.
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In seiner Begrifflichkeit: semantische Repräsentation.
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument personaler Appellation
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Bei den Sprecher/inne/n von Tzeltal ist die Nord-Süd-Achse die Hauptachse ihrer Aufmerksamkeit. Die Ost-West-Achse hingegen wird unter derselben sprachlichen Kategorie zusammengefasst und ist von untergeordneter Bedeutung. Lenkt man in Experimenten die Aufmerksamkeit nun auf die Ost-West-Achse, so machen die Versuchspersonen sehr viel mehr Fehler, woraus Levinson (1997) schlussfolgert, dass die konzeptuelle Kodierung nonverbaler Aufgaben die Struktur der verbalen Kodierung widerspiegelt. Damit sieht er als erwiesen an, dass die verbale Kodierung57 eine kausale Rolle für konzeptuelle Repräsentation spielt. Verbale und konzeptuelle Repräsentation müssen zumindest ineinander übersetzbar sein und können nicht unterschiedliche Repräsentationsstrukturen ausnutzen, da sonst Erinnerungen und Verbalisierungen von Erinnerungen nicht möglich wären. „If CR has ‚left‘ and SR only ‚north‘, the two will not talk to one another, memories will be unretrievable or uncodable in language, and the speaker will have nothing to talk about!“ (Levinson 1997: 39)58 Diese Schlussfolgerung von Levinson (1997) wird in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt, sondern als zu statisch angesehen, da es die Unüberbrückbarkeit und Nicht-Mitteilbarkeit konzeptueller Differenzen impliziert sowie die Unfähigkeit, ein bestimmtes Denkmodell, hier in Bezug auf räumliche Vorstellungen, zu verlassen oder zu verändern. Aus einer perspektivisch-pragmatischen Perspektive ist Levinsons (1997) Modell dergestalt zu modifizieren, dass die konzeptuelle Repräsentation beim Individuum durch verschiedene Kontextfaktoren beeinflusst werden kann, deren Relation zueinander und interne Hierarchisierung in einem dynamischen Prozess ausgehandelt werden. Sprachliche Handlungen zeichnen sich in Bezug auf konzeptuelle Repräsentationen dadurch aus, dass sie im Verhältnis zur konzeptuellen Repräsentation durch ihre Materialität und Interaktivität besonders leicht erfass- und analysierbar sind. Ob sie damit auch in Bezug auf die Beeinflussung und Steuerung konzeptueller Repräsentationen eine herausragende Position einnehmen, gilt es in weiteren Studien zu untersuchen. Die semantische Repräsentation bei Levinson wird in diesem Modell in eine pragmatische transferiert, deren Bedeutungsinhalt jeweils nur kontextspezifisch konstituiert und erschlossen werden kann. Das von Levinson in Form von sprachlichen Kategorien und Grammatik verstandene Sprachsystem wird in diesem Modell als eine stark konventionalisierte und normenorientierte und -orientierende
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In seiner Begrifflichkeit: semantische Repräsentation. Auch hier, wie schon in mehreren vorangegangen Beispielen, ist die Verwendung von Sprache als Metapher für die Vorstellung von konzeptueller Repräsentation besonders interessant.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Form von Sprachgebrauch verstanden, die jedoch nicht einen dem Sprachgebrauch vorgängigen Charakter besitzt. Die Annahme einer Unterscheidung von semantischer und konzeptueller Repräsentation bei Levinson (1997) basiert auf einer Sprachsicht, in der Bedeutungen kontextlosgelöst eingeschrieben und analysierbar sind. Das hier vorgestellte Modell widerspricht Levinsons Ansatz in einem wichtigen Merkmal, der Kritik an einer Annahme kontextloser Bedeutung.59 Das führt zu einer Infragestellung von Levinsons Vorstellung einer durch die sprachlichen Kategorien vorgegebenen Konzipierung, die bei ihm den Status des Vorgängigen und Statischen hat und deren Konventionalisierung an Hand einer kontinuierlichen Iteration nicht wahrgenommen wird. Durch den hohen Grad an Konventionalisierung, gepaart mit einer für den westlichen Kulturkreis typischen und im Ganzen relativ unreflektierten Vorstellung von Sprache als neutralem und objektivem Medium, hat eine bestimmte Form des Sprachgebrauchs, in Form von Grammatiken als Regeln kodifiziert, im öffentlichen Bewusstsein den Status eines dem konkreten Sprachgebrauch vorgängigen Systems. Die Vorstellung einer durch sprachliche Strukturen vorgegebenen Konzipierung soll hier durch die hochgradige Konventionalisierung eines bestimmten Sprachgebrauchs an Hand von Lexikalisierung und Grammatikalisierung ersetzt werden. Die Frage der Relation von semantischen zu konzeptionellen Repräsentationen von Levinson (1997) wird in die Frage der kontextuellen Bedingtheit konzeptioneller Repräsentationen überführt. Sie soll entsprechend an konkreten Kommunikationssituationen untersucht werden, die ihre jeweils spezifischen Faktoren ausreichend mit berücksichtigen. In diesem Modell soll der pragmatischen als einer konzeptionellen Repräsentation besondere Beachtung beigemessen werden. Wird Levinsons (1997) Untersuchung nun auf den Erkenntnisgegenstand der vorliegenden Arbeit, personale Appellation, rückbezogen, so kann dies bedeuten, dass unterschiedliche verbale Ausdifferenzierungen personaler Appellation zu unterschiedlichen konzeptuellen Repräsentationen führen. Levinson (1997) hat diese Frage selbst auch auf personale Appellation bezogen. Sprachen haben in seinem Modell lexikalische Lücken und systematisch fehlende semantische Felder.60 Als Beispiel nennt Levinson (1997) die fehlende Ausdifferenzierung von Verwandten zweiten Grades (‚Tanten, Onkel‘) nach der ‚Herkunft‘ des Verhältnisses (müt-
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Vgl. weiter oben, vgl. Kapitel 1. Auch hier wird das seinem Ansatz zu Grunde liegende traditionell semantische Verständnis deutlich.
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument personaler Appellation
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terlicher- oder väterlicherseits) in vielen Sprachen.61 Das Denken kann aber trotzdem spezifisch sein, auch wenn der linguistische Ausdruck das nicht abbildet. Levinson (1997) spricht selbst das Gegenargument der Paraphrasierung an, geht aber davon aus, dass Paraphrasen zwar semantische, nicht aber konzeptuelle Repräsentationen darstellen können. Daraus folgert er, dass semantische Repräsentation allerhöchstens eine Untergruppe der konzeptuellen Repräsentation sein kann. Denkt man dies weiter, bedeutet es, dass bei Vorliegen einer semantischen Repräsentation sie entweder mit einer konzeptuellen identisch ist oder etwas wie eine Mindestgrenze konzeptueller Repräsentation angibt. Wird dies auf personale Appellationsformen bezogen, so bedeutet es nach Levinsons Modell, dass diese, wenn sie beispielsweise semantisch Gender unterscheiden, auf jeden Fall auch die konzeptuelle Repräsentation nach Gender unterscheiden. Da semantische Repräsentation nach Levinson (1997) weniger detailliert als kognitive sein muss, kann es aber auch sein, dass in der konzeptuellen Repräsentation nach Gender unterschieden wird, wenn dies in der semantischen Repräsentation nicht ausdifferenziert ist. Kategorisierung ist zentrale Voraussetzung wie auch zentrales Moment der Verarbeitung von Erfahrung. „Conceptual systems are organized in terms of categories, and most if not all of our thought involves those categories.“ (Lakoff 1987: xvii) Verändern sich die Kategorisierungen einer bestimmten sozialen Gruppe, so ändert sich damit auch ihr Verständnis der Welt. Sozial konventionalisierte Bedeutung ist vom Individuum internalisiert und wird nicht als extern zum Individuum und zur Sprache angesehen. Die Internalisierung sozial konventionalisierter Bedeutung ist zugleich die Grundlage für die Reproduktion eines bestimmten Wirklichkeitsverständnisses, aber auch für ihre Veränderung.62 Die Internalisierung sozial begründeter Bedeutung ist qua definitionem unbewusst und kann dadurch in konkreten Fällen Vorstellungen von Natürlichkeit und objektiver Logik festigen. Dies kann in Bezug auf Genderwahrnehmung eine entscheidende Rolle spielen. McConnell-Ginet ([1989] 1998) überträgt die Gricesche (1957) Auffassung zu Bedeutung und erklärt so die Wirkungsmacht einer konventionellen Verwendung von genderspezifizierenden personalen Appellations-
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Schwedisch besitzt diese Ausdifferenzierung, vgl. Kapitel 3. Hier stellt sich natürlich die Frage, von welcher Norm aus lexikalische Lücken und fehlende semantische Felder als solche postuliert werden können. Impliziert ist hier ein universalistisches Ausgangsverständnis, von dem die Gesamtheit aller Sprachen als Norm genommen und daraus Lücken ableitbar gemacht werden. Vgl. Johnson (1992).
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
formen. Das langanhaltende Fortbestehen einer entsprechenden diskriminierenden Wirkungsmacht ist für sie so erklärbar, dass die stereotype Assoziation, die mit der Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten in diskriminierender Wirkung verbunden ist, so sehr zum als normal aufgefassten Setting der Kommunikation wird, dass ohne den ‚Umweg‘ der Assoziation eines Stereotyps der diskriminierende Gehalt bei der Äußerung eines bestimmten Wortes oder Ausdrucks evoziert wird. Die Akzeptanz von genderspezifizierend männlich appellierenden sprachlichen Formen für genderunspezifizierend intendierte Appellation ist vor dem Hintergrund der Annahme einer grundsätzlich patriarchalen Gesellschaftsordnung plausibel zu erklären, was sowohl die aus dem Gebrauch der Formen abgeleiteten Inferenzen in einer konkreten Kommunikationssituation wie auch die Annahme der Normalität der entsprechenden Appellationsformen in genderunspezifizierenden Kontexten und mit genderunspezifizierenden Intentionen betrifft.63 Ihrer gleichzeitig vertretenen Auffassung, dass Personen ein natürliches Gender besitzen, aus dem sich eine unterschiedliche Perspektive ableitet, wird indes nicht gefolgt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die Unterschiedlichkeit dieser Perspektive nicht Genderdifferenzen zuzuschreiben ist. Auch ihrer weitergehenden, daraus abgeleiteten Hypothese, dass „[...] men are much more likely than women to be unaware that their own view is not universally shared“ (McConnell-Ginet 1998: 204) wird nicht gefolgt, da sie eine Naturalisierung von Gender impliziert. Stattdessen wird die These vertreten, dass Männlichkeiten in verschiedenen Arten zu genderunspezifizierenden Normalitäten erhoben bzw. gedeutet werden und den Mitgliedern einer Gesellschaft und damit den Interagierenden sehr viel schwieriger in ihrer Konstruiertheit dieser Normalität zu Bewusstsein kommen können als eine (hypothetische) Idee, dass eine Form von Weiblichkeit zugleich genderunspezifizierende Normalität sei, wenn es sich nicht um die Zuschreibung von stereotyp weiblichen Eigenschaften handelt.64 Diese Deutungsmächtigkeit wird als unabhängig von der eigenen Genderwahrnehmung angesehen. Diese These wird in Kapitel 4 in einer Diskussion der Argumentationen gegen sprachliche Veränderungen wieder aufgenommen und dient dort zur Erklärung der Relevanz einer Argumentation, warum zum einen genderspezifizierend männliche Appellation als genderunspezifizierend intendiert aufge-
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McConnell-Ginet (1998: 204) drückt dies wie folgt aus: „[...] where the sexes have somewhat different perspectives on a situation the man’s view is more likely to be familiar to the woman than hers is to him.” Dies ist beispielsweise bei einer genderunspezifizierenden Verwendung der Form sjuksköterska der Fall, vgl. Kapitel 3.
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument personaler Appellation
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fasst wird und zum anderen, warum Sprachveränderungsvorschläge, bei denen eine eindeutige genderspezifizierende Verwendung von bestimmten Appellationsformen vorgeschlagen wird, so vehement abgelehnt werden. Lakoff (1987) geht im Rahmen des experiential realism und in der Nachfolge des Prototypenansatzes von Rosch davon aus, dass menschliches Wissen in Form idealisierter kognitiver Modelle65 organisiert ist. ICMs sind komplexe konzeptuelle Strukturen, mit deren Hilfe Menschen Wissen organisieren und die zu Prototypen und Kategorisierungen führen, die ihrerseits wiederum mental spaces strukturieren. Sprachliche Einheiten sind kontextuell definiert und relativ zu einem bestimmten Kontext. ICMs beruhen nach Lakoff (1987) auf kollektiven Überzeugungen und Ansichten einer Sprachgemeinschaft, die sich dadurch auszeichnen, innerhalb einer Sprachgemeinschaft unreflektiert und unhinterfragt zu sein. Harras (1991) interpretiert die Relevanz von ICMs für Wortbedeutungen am Beispiel von ‚Lüge‘ und ‚lügen‘66 wie folgt: „(1) ICMs bzw. Ausschnitte aus ihnen können die Dominanz bestimmter Merkmale oder das Auftreten bestimmter prototypischer Effekte steuern. (2) Die Dominanz bestimmter Merkmale, die prototypischen Effekte, sind in der internen Struktur der ICMs begründet. (3) Die einzelnen Merkmale der Bedeutungsbeschreibung sind vor dem Hintergrund der ICMs aufeinander beziehbar und miteinander zusammenhängend erklärbar.“ (Harras 1991: 62)
ICMs sind Konglomerate komplexer kognitiver Muster, die dynamisch sind und sich im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen verändern. Lakoff (1987: 74ff.) wendet dies beispielhaft auf das Feld personaler Appellation an, wenn er zeigt, dass die Bedeutung des Wortes ‚Mutter‘ aus einer pragmatischen Sicht in einer merkmalssemantischen Analyse nicht ausreichend ist, um ihren Gebrauch adäquat wieder zu geben. In der Merkmalssemantik wäre sie dem Wort ‚Vater‘ symmetrisch gegenüber gestellt und würde sich in dem Merkmal Gender unterscheiden. Lakoff aber stellt durch seine Analyse fest, dass – in seiner Sicht – mindestens fünf verschiedene Domänen unterschieden werden müssen, in denen jeweils spezifische Vorstellungen von Mutterschaft aufgerufen werden67, und dass diese Domänen nicht mit den entsprechenden zur Charakterisierung der Bedeutung des Wortes ‚Vater‘ übereinstimmen. Nur durch eine solche Analyse ist die Asymmetrie von Bedeutungszuschreibungen erfassbar, die in der merkmalssemantischen Analyse unsichtbar bleibt.
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Idealized cognitive model (ICM); vgl. Kapitel 1. Vgl. Lakoff (1987) für das gleiche Beispiel. Vgl. Kapitel 6.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Die Frage, wie über diese Form der Konzeptualisierung von Personen gleichzeitig auch Gender hergestellt wird, bleibt bei Lakoff (1987) unangesprochen und scheint als natürliche Voraussetzung in eine Dichotomie von ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ bei ihm einzufließen. Der hier entwickelte konstruktivistische Ansatz betrifft aber nicht nur die Sicht auf Sprache, sondern ebenso auch auf Gender, wie im ersten Kapitel bereits ausgeführt wurde und soll in einer Analyse personaler Appellation mit Hinblick auf Gender entsprechend berücksichtigt werden. „Für die einzelnen Merkmale, mit denen Stereotype beschrieben werden (können), kann nach der Putnamschen Auffassung gar nicht gefordert werden, daß sie als einzelne notwendig und zusammengenommen hinreichend sein müssen: Da sie Meinungen darstellen, die in einer Sprach- oder besser: Kulturgemeinschaft bei ihren Mitgliedern vorherrschend sind, beziehen sich die Informationen, die in den Merkmalen wiedergegeben werden, in erster Linie auf Sichtweisen, die die Menschen von den Dingen haben und die in ihrer Sprache konventionalisiert sind und nicht auf Eigenschaften, die als gegeben angenommen und in Bedeutungsbeschreibungen sozusagen nur abgebildet werden.“ (Harras 1991: 28f.)
Für die konstruktivistische Analyse genderspezifizierender und genderunspezifizierender personaler Appellation resultieren daraus zunächst konkret auf das heutige Schwedisch in den nachfolgenden Kapiteln zu untersuchenden Analysefragen: x Wie wird Gender sprachlich zum Ausdruck gebracht? Diese Frage wird in Kapitel 3 für das heutige Schwedisch untersucht und wird im nachfolgenden Unterkapitel unter dem Phänomen der Grammatikalisierung theoretisch betrachtet. x Welche Konzeptualisierungen personaler Appellation in Bezug auf Gender werden lexikalisiert zum Ausdruck gebracht? Das heißt: Was wird als Gender sprachlich zum Ausdruck gebracht? Welche Lexikalisierungen werden zur Wortbildung verwendet, sind Teil größerer Cluster und welche Konzeptualisierungen finden mit ihnen statt? x Welche unterschiedlichen Modelle im Sinne Lakoffs (1987) können für zentrale Formen personaler Appellation mit Hinblick auf Gender festgestellt werden? Als was wird Gender in unterschiedlichen Lexikalisierungen konzeptualisiert? x Welche Aussagen können auf dieser Grundlage über unhinterfragte oder unreflektierte gesellschaftliche Modelle im Hinblick auf Gender gemacht werden? x Welche Konzeptualisierungen stehen bei einer Thematisierung personaler Appellationspraktiken und ihrer Veränderung zur Debatte? x Welche neuen Ausschlüsse werden durch Veränderungen personaler Appellationspraktiken produziert?
2.3 Kategorisierung als Analyseinstrument personaler Appellation
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Es interessieren nicht nur die Wahlmöglichkeiten der Sprachproduktion, sondern auch die der Interpretation einer bestimmten Äußerung. Ein auf spezifische Kommunikationssituationen konkretisierter Zusammenhang zwischen Sprache und Denken wird zu einem Erkenntnisinteresse pragmatisch-perspektivisch linguistischer Forschung erklärt. Diesem Interesse entspricht die Umsetzung im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit, der sich mit den Interpretationen bestimmter gewählter Sprachproduktionen beschäftigt. Aufbauend auf den Wahlmöglichkeiten der Produktion, hier exemplifiziert an den personalen Appellationsformen einer bestimmten Sprache in einer bestimmten Zeitphase, ist die Konstruktion von Gender mit personalen Appellationsformen zentraler Ansatzpunkt. Die Wahlmöglichkeiten der Produktion können als systematische Abstraktionen vom konkreten Sprachgebrauch verstanden werden. Das Reden über die Wahlmöglichkeiten der Sprachproduktion transportiert Grenzziehungen zwischen Möglichem und Unmöglichem, die nur schwierig zu hinterfragen sind. Eine zentrale Unterscheidung, die in der einschlägigen Literatur zu personaler Appellation in Bezug auf Gender getroffen wird, ist eine Differenzierung zwischen genderspezifischen und genderindefiniten ‚Referenzen‘. Diese sollen im folgenden betrachtet und im Hinblick auf das hier vorliegende Projekt neu definiert werden, um auf diese Weise ein differenziertes Vokabular zur Bearbeitung der oben formulierten Fragen zur Verfügung stellen zu können.
2.4 Terminologische Differenzierungen zur Kategorisierung personaler Appellation in Bezug auf Gender Die Frage der genderspezifizierenden, genderunspezifizierenden und der generischen Appellation bilden zentrale Bausteine einer auf Gender bezogenen, linguistischen Beschäftigung mit personaler Appellation. Die Annahme oder Zuschreibung von Genderspezifik hat Effekte auf die Darstellung personaler Appellation wie auch auf die Frage der Zielvorstellungen mit der Perspektive einer etwaigen, feministisch-politisch fundierten Kritik. Aus Gründen des besseren Verständnisses wird das traditionell semantische Modell als Ausgangspunkt genommen, um auf dieser Grundlage ein spezifisch konstruktivistisch-pragmatisches Modell zur Bestim-
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
mung von genderspezifizierend, -unspezifizierend und generisch geben zu können. Die Frage der Differenzierung zwischen genderspezifischer und genderunspezifischer Referenz im traditionell semantischen Sinne geht auf eine dieser zu Grunde liegenden Unterscheidung zwischen Spezifizierung und Unbestimmtheit der Referenz zurück, die nicht mit einer morphosyntaktischen Unterscheidung in Definitheit und Indefinitheit, die lediglich als relative Anzeichen für diese Differenzierung benutzt werden können, gleichzusetzen ist68, wobei in einigen semantischen Theorien Unbestimmtheit auch als ein Zeichen für Nicht-Referenz gilt. Dies ist dann der Fall, wenn Referenz konkret und bezogen auf Objekte im weitesten Sinne definiert wird, jegliche Form einer unkonkreten Referenz in diesem Sinne würde als Nicht-Referenz gelten. Givón (1989) hat versucht, dieses Problem zu lösen, indem er Referenz als ein Kontinuum definierte, welches unterschiedliche Stärken der potentiellen Konkretisierung aufweisen kann und die neben der Indikation durch sprachliche Mittel auch von der diskursiven Position und von sozialen Normen abhängig ist. Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind viele der in diesem Zusammenhang in der linguistischen und sprachphilosophischen Literatur diskutierten Fragen irrelevant, da sie eine außersprachliche Welt als Bezugspunkt nehmen, ob eine Referenz spezifisch oder nicht-spezifisch, auf existierende oder nicht-existierende Objekte stattfindet. Wie im ersten Kapitel deutlich wurde, wird diese Differenzierung hier nicht geteilt, sondern durch die Frage ersetzt, ob und wie Sprecher/innen in ihren Äußerungen die Annahme von Existenz oder Nicht-Existenz der appellierten Entitäten herstellen und/oder andeuten.69 In Bezug auf genderspezifizierende und genderunspezifizierende personale Appellation besteht im Schwedischen, aber auch im Englischen und Deutschen die Möglichkeit, dass ein- und dieselbe Form oder Phrase sowohl eine spezifische als auch unspezifische Appellation bezogen auf Gender realisiert. Das zeigt die besondere Relevanz anderer, neben morpho-syntaktischen, Faktoren für die Bestimmung der Kategorisierung und ist gleichzeitig eines der Grundprobleme, das sowohl in der Feministischen Linguistik als auch der traditionellen Linguistik zu Kontroversen geführt hat. Diese sind abhängig davon, inwieweit Gender als eine formale Eigenschaft angesehen oder mit formal-linguistischen Merkmalen gekoppelt wird. In dem von Givón
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Aus diesem Grund wird hier auch nicht von genderindefiniter, sondern genderunspezifischer Appellation gesprochen. Vgl. Wimmer (1979) und Kremer (1997) für eine Diskussion der traditionellen Ansätze und Fragen zu Problemen der Referenz und Nicht-Referenz.
2.4 Terminologische Differenzierungen
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(1989) vorgeschlagenen Modell verbleibend, würde dies für die Frage der Konkretheit der intendierten Appellation bedeuten, dass eine Unspezifik in Bezug auf Gender ein Anzeichen für nicht konkrete Appellation ist. Genau das aber ist von Forschungen der Feministischen Linguistik widerlegt worden, in der gezeigt wurde, dass auch eine unter formalen Gesichtspunkten so benannte genderunspezifische Appellation eine konkrete personale Benennung sein kann. Hellinger und Bußmann (2002) erklären genderspezifisch wie folgt: „[...] in English, personal nouns such as mother, sister, son and boy are lexically specified as carrying the semantic property [female] or [male] respectively, which may in turn relate to the extra-linguistic category of referential gender (or “sex of referent”). Such nouns may be described as “gender specific” (female-specific or male-specific), in contrast to nouns such as citizen, patient or individual, which are considered to be “gender-indefinite” or “gender-neutral”. Typically, genderspecific terms require the choice of semantically corresponding satellite forms, e.g., the English anaphoric pronouns she or he, while in the case of genderindefinite nouns, pronominal choice may be determined by reference (e.g., to a known individual), tradition (choice of false generics […]) or speaker attitude (as evident, e.g., from a positive evaluation of “gender-fair” language.)” (Hellinger und Bußmann 2002: 7)
Die Autorinnen postulieren eine kontextlose Bedeutung personaler Appellationsformen als genderspezifisch oder –indefinit bzw. –neutral, die sie bei den von ihnen angeführten Beispielen auf Grund des Kriteriums lexikalisierter Genderdifferenzierungen vornehmen. Sie beziehen sich hierbei auf das von ihnen so verstandene Referenzpotential einer Form, nicht auf ihre etwaige konkrete Appellationsmöglichkeit, die in konkreten Gebrauchskontexten durchaus auch genderspezifisch für die von ihnen so genannten genderindefiniten Formen sein könnte. Insofern ist der Begriff irreführend, da er eine Genderindefinitheit impliziert, die im konkreten Gebrauch nicht gegeben sein muss. Dieses Problem ist lösbar, indem auch hier der Ansatz der ICMs nach Lakoff (1987) für die Frage der Bestimmung von Genderspezifik benutzt wird. Auf dieser Grundlage wird die Begrifflichkeit genderspezifisch durch genderspezifizierend ersetzt. Es kann von genderspezifizierender Appellation gesprochen werden, wenn Gender konzeptuell eine charakteristische Eigenschaft in einer konventionalisierten Verwendung der jeweiligen Appellationsform ist. Genderunspezifizierende Appellation liegt entsprechend in den Fällen vor, in denen Gender konzeptuell nicht zu den charakteristischen Eigenschaften der entsprechenden Appellationsformen zu rechnen ist. Dieses Modell eröffnet eine flexiblere Möglichkeit, unterschiedliche Gebrauchsweisen nicht als Abweichungen aufzufassen, sondern auf der Grundlage ihrer
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
konzeptuellen Verankerung zu erklären. Darüber hinaus wird in diesem Modell nicht länger von formalen Kriterien als primäre oder bestimmende Größe dafür ausgegangen, ob von genderspezifizierender oder – unspezifizierender Appellation gesprochen wird. In einer formalen Analyse ist zudem auch immer die Vorstellung eines Sprachsystems enthalten, in denen unterschiedliche Formen zum Beispiel unter dem Aspekt Gender einander gegenüber gestellt werden können, um so zu der Auffassung zu gelangen, ob sie genderspezifisch sind oder nicht. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass die Kategorisierung von personalen Appellationsformen als genderspezifizierend lediglich eine Aussage über ihre konventionalisierte Verwendung und Wahrnehmung ist und nicht als Eigenschaft eines Wortes, zum Beispiel in Form seiner Kernbedeutung, aufgefasst werden kann. Stattdessen werden die unterschiedlichen sprachlichen Mittel, durch die eine Genderspezifizierung kenntlich gemacht wird, lediglich als Instrumente angesehen, eine intendierte Genderspezifizierung zum Ausdruck zu bringen. In manchen Fällen gehört die Genderspezifizierung so grundlegend zu Wissensvorrat und standardisierten Konzeptualisierungen einer Gesellschaft, dass sie lexikalisiert oder grammatikalisiert worden ist. In Bezug auf pronominale Wiederaufnahmen von substantivischen Appellationsformen sehen Hellinger und Bußmann (2002) diese im Falle der formal zum Ausdruck gebrachten genderspezifischen pronominalen Appellation als semantisch motiviert an, im Falle der genderindefiniten Appellation70 als motiviert durch die konkrete Appellation, durch Tradition oder Einstellungen der Sprecherin oder des Sprechers. Worauf sich jeweils die Annahme der formalen Genderspezifik oder -unspezifik stützt, ist nicht durchgängig logisch und nachvollziehbar. Die Frage der Genderspezifik oder -unspezifik wird in bestimmten Fällen zu einer Frage des konkreten Sprachgebrauchs, in der Regel aber zu einem Aspekt der ‚Semantik‘ der entsprechenden Formen und damit zu einer kontextlosgelösten Eigenschaft, die durch eine kontextuelle Bedeutung, wie oben dargestellt, in diesem Modell weiter ausdifferenziert würde und dieser gleichzeitig gegenüber steht. Diese Vorstellung wird aufgenommen, indem von formaler konventionalisierter Genderspezifizierung gesprochen wird, wo Hellinger und Bußmann von Genderspezifik sprechen und in der hier vertretenen Perspektive formale Aspekte meinen. Durch die veränderte Begrifflichkeit kommt in einer Benennung als formal konventionalisiert die Beschränkung auf formale Kriterien in dieser Kategorisierung sowie
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‚Referenz’ bei Hellinger und Bußmann (2002).
2.4 Terminologische Differenzierungen
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der Hinweis auf die Konventionalisierung entsprechend des oben entwickelten pragmatischen Modells zum Ausdruck. Darüber hinaus wird eine handlungsorientierte Sprachgebrauchsperspektive durch die Umbenennung von Genderspezifik in Genderspezifizierung deutlich, wodurch personale Appellation in Bezug auf Genderspezifizierung oder Genderunspezifizierung als eine Tätigkeit im Rahmen einer appellativen Sprechhandlung verstanden wird. Unterschiedliche Appellationsformen können so formal ein genderspezifizierendes Potential haben, wenn diese entsprechend lexikalisiert oder grammatikalisiert sind71, welches in verschiedenen Gebrauchsweisen unterschiedlich genutzt und relevant gesetzt werden kann. In Kapitel 3 wird dieser Ansatz als Grundlage der Darstellung schwedischer Appellationsformen umgesetzt, um ausgehend von diesem durch konkrete empirische Untersuchungen eine neue Auffassung von genderspezifizierender und -unspezifizierender Konzeptualisierung von personaler Appellation formulieren zu können. Im Gegensatz zu Hellinger und Bußmann wird nicht eine Hierarchie unterschiedlicher Appellationsformen aufgestellt, in der Personalpronomina beispielsweise Anzeichen einer Genderspezifizierung einer im Kontext vorausgehenden Nominalphrase sind. Stattdessen werden die verschiedenen Formen der personalen Appellation zunächst eigenwertig betrachtet. Dieser Ansatz ermöglicht es, neben formalen Mitteln konventionalisierter Genderspezifizierung genderspezifizierende Konventionalisierungen von Gebrauchsweisen personaler Appellationsformen mit berücksichtigen zu können. In diesem Sinne werden traditionell als genderspezifische Referenzen benannte, konventionalisiert genderspezifizierende Appellationsformen als prototypische Erwartungen und mental spaces evozierende Formen angesehen, die nicht per se genderspezifisch sind, sondern in konventionalisiertem Sprachgebrauch genderspezifizierend verwendet als solche – fast natürlich – so aufgefasst werden. Die von Hellinger und Bußmann (2002) als genderindefinit bzw. –neutral, hier als konventionalisiert genderunspezifizierend bezeichneten Formen evozieren hingegen prototypische mental spaces, die graduell eine höhere Flexibilität bzw. Variabilität besitzen. Die aus pragmatischer Perspektive grundsätzliche Frage, die sich in Definitionen von genderspezifischen bzw. genderneutralen Formen stellt, ist, auf welcher diskursiven Grundlage diese Einteilung vorgenommen wird. Da Hellinger und Bußmann ihre Definitionen jenseits konkreter Äußerungen vornehmen, ist aus pragmatischer Perspektive ihre Relevanz zu hinterfra-
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Vgl. das nachfolgende Unterkapitel.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
gen, was in der vorliegenden Arbeit durch die Begrifflichkeiten konventionalisierter genderspezifizierender und genderunspezifizierender Appellations-praktiken umgesetzt worden ist. Die Frage, was mit Bezug auf personale Appellation in der einschlägigen Forschung als generisch verstanden wird, hängt eng mit der jeweiligen Sichtweise auf konventionalisiert genderunspezifizierende Appellation zusammen. Die Wortneuschöpfung ‚genderunspezifizierend‘ deutet auf eine konventionalisierte Konzeptualisierung von einem genderunspezifizierten, statischen Normalzustand hin, während die Genderspezifizierung eine daraus abgeleitete Handlung darstellt. In der einschlägigen Literatur findet sich dafür in der Regel die Begrifflichkeit ‚generisch‘, die den Akt der entsprechenden Zuschreibung einer Genderunspezifizierung verdeckt und stattdessen einen Zustand der Neutralität impliziert. Von ‚generischer Referenz‘ wird darüber hinaus in den Fällen gesprochen, in denen Gender in Bezug auf personale Appellation unbekannt oder irrelevant ist72, wodurch gleichzeitig die Problematik dieser Benennung deutlich wird, wenn die Frage der Unbekanntheit und der Irrelevanz hier in eins gesetzt und zum Kritierium der Generizität erhoben wird. Zudem muss gefragt werden, woran die Irrelevanz der Genderspezifizierung in dieser Vorstellung von Generizität festgemacht wird. 1987 spricht Teleman in Bezug auf generische Referenz von „[...] åsyfta en mänsklig varelse i allmänhet utan avseende på kön.“ (Teleman 1987: 112)73 Auch hier ist die Frage, wie eine solche, hier implizierte Abstraktion einer einzelnen Person von Gender kognitiv realisiert werden kann oder ob die Annahme der Generizität nicht lediglich eine Möglichkeit ist, ein bestimmtes Gender-Genus-Modell beispielsweise zu plausibilisieren ohne sich mit den androzentrischen Implikationen desselben auseinander setzen zu müssen. Eine analytische Frage aus konstruktivistischer Perspektive, die an traditionelle Modelle generischer Referenz zu stellen ist, ist, ob die Feststellung in einer formalen Analyse, dass es keine zwei, dann jeweils als genderspezifizierend lesbare Formen zur personalen Appellation auf eine Person neben ansonsten gleichen Merkmalsbeschreibungen in einem traditionellsemantischen Modell gibt, ausreicht, um von generischer Referenz zu sprechen. Handelt es sich also um eine formale Analyse ex negativo? In einer traditionell semantischen Analyse ist das Vorhandensein einer formalen Opposition im Regelfall oder zumindest als hypothetische Konstruktion und in Postulierung von Leerstellen ein notwendiges Kritierium
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Vgl. Teleman (1969). Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine Behandlung zur schwedischen Fachliteratur.
2.4 Terminologische Differenzierungen
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für die Annahme der Genderspezifizierung, womit eine nicht vorhandene Opposition automatisch eine Genderunspezifizierung bedeuten würde. Aus einer pragmatischen Perspektive auf der Basis eines Prototypen-Ansatzes kann die Notwendigkeit dieses Kriteriums in Frage gestellt werden. Mit einem konstruktivistischen Hintergrund wird nicht länger gefragt, welche Bedeutung in den Formen liegt, sondern was durch personale Appellation hergestellt wird, das heißt in dem vorliegenden Fall konkret, was als Gender hergestellt wird, in welchen Kontexten und mit welchen Konzeptualisierungen. Eine bestimmte Appellationsform kann auf eine durch andere Wahrnehmungskanäle als Frau oder Mann genderidentizierte Person appellieren und damit auch zu anderen Wahrnehmungen im Widerspruch stehende, genderspezifizierende, zum Beispiel protoypische und konventionalisierte Konzeptualisierungen hervorrufen, die ihrerseits Auswirkungen auf die Komplexität der Wahrnehmung der Genderkonzeptualisierung der appellierten Person haben: Handelt es sich um eine/n (proto)typische/n Vertreter/in dieser Gruppe oder nicht, schwingt in der Appellation eventuell eine Ab- oder Aufwertung mit, wenn die protoypische Gendervorstellung nicht mit der konkreten Genderappellation übereinstimmt. Es wird deutlich, was eine konstruktivistische Sichtweise auf personale Appellation auszeichnet: Während bei der Annahme einer sprachlichen Referenzfunktion eine Annahme von Generizität in Bezug auf Gender zumindest theoretisch möglich ist, kann dies bei einem Modell personaler Appellation nur dann aufrecht erhalten werden, wenn dies in empirischen Untersuchungen zur kognitiven Verarbeitung von personaler Appellation nachgewiesen werden kann. Ansonsten muss von einer konventionalisierten Genderunspezifizierung gesprochen werden, deren empirische Validierung ebenso notwendig ist. Entsprechende Untersuchungen, die bisher vor allem zum Englischen durchgeführt wurden, weisen ausnahmslos darauf hin, dass Generizität aus einer kognitiven Perspektive nicht möglich ist.74 Die konzeptuellen Implikationen, die mit der Annahme einer Generizität personaler Appellationsformen verbunden sind, werden aus einer konstruktivistischen Perspektive verworfen und ausschließlich das Kritierum der formal ausbleibenden Genderspezifizierung geltend gemacht. Dies geht mit einerseits der Relevanz, die der Kategorie Gender als Identitätskategorie in westlichen Gesellschaften zugeschrieben wird, konform und andererseits mit einem Ansatz der Relevanz von prototypischen Vorstellungen zur Kategorisierung.
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Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine ausführliche Diskussion entsprechender Untersuchungen.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Die Begrifflichkeit der generischen Referenz wird in der Forschungsliteratur in solche weiter ausdifferenziert, die alle Personen einer bestimmten Gruppe meint und solche, die individualisierend ist, indem jede einzelne Person einer Gruppe durch eine bestimmte Form angesprochen werden können soll.75 Mit einer Fokussierung auf die potentiell intendierte Appellationsleistung ist aber nichts über die kommunikativ-dynamische Verwendung einer Appellationsform ausgesagt.76 Damit wird gleichzeitig unklar, in welcher Form in diesem Rahmen von generischer Appellation gesprochen werden kann. Darüber hinaus ist die Frage ungeklärt, ob und wenn ja, wie eine singuläre generische Appellation in der Kognition von Produzierenden und Perzipierenden genderunspezifizierend sein kann, da in einer westlichen Gesellschaft Gender als ein grundlegendes Differenzkriterium von Menschen dient und als solches in dessen Wahrnehmung in der Regel naturalisiert ist. Eine Begrenzung der Wahrnehmung wird hier zunächst nicht als eine universelle kognitive Begrenzung angesehen, sondern als eine kulturell geformte mit großem, aber nicht unbedingt universellem und auf jedem Fall nicht natürlichem Wirkungskreis. Ausgehend von den Ausführungen zur sozialen und gesellschaftlichen Rolle und Relevanz von Gender in den westlichen Kulturen zu Beginn des Kapitels wird für die vorliegende Arbeit die These entwickelt, dass eine generische Appellation im Sinne einer genderindefiniten Appellation bezogen auf die Kognition von Kommunizierenden nicht möglich ist. Die Begrifflichkeit einer ‚generischen‘ Appellation wird hier abweichend von traditioneller Verwendungsweise benutzt. Sie bedeutet die nicht konkret auf eine Person oder eine konkrete Gruppe von Personen bezogene Benennung und steht im Kontrast zur konkretisierenden Appellation. Eine generische Appellation kann auch genderspezifizierend sein, wenn die konventionalisiert genderspezifizierend weibliche appellierende Form ‚Studentin‘ beispielsweise sich nicht konkret auf eine bestimmte weibliche Person bezieht. Es muss zwischen generischer genderunspezifizierender und generischer genderspezifizierender Appellation ausdifferenziert werden. Generisch steht damit konkreter, individualisierender und kollektiver Benennung gegenüber und impliziert nicht an sich eine Genderunspezifizierung.
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Vgl. Grönberg (2002: 171). Sie stellt für das Isländische diese Unterscheidung als semantischen Unterschied zwischen den Äußerungen Allir (mask. Pl.) velkomnir und öll velkomin (neutr. Pl.), die im Deutschen beide mit ‚alle willkommen’ bzw. ‚jede/r ist willkommen’ zu übersetzen wären, fest. In diesem Zusammenhang stellt sich methodisch die Frage, wie eine intendierte genderunspezifizierende Appellation analytisch fassbar gemacht werden soll.
2.4 Terminologische Differenzierungen
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Dahl (2000a) geht davon aus, dass semantisches lexikalisches Genus auf allgemeinen Stereotypen beruhe77, die besonders von den substantivischen Denotationen abhängig seien und weniger von den konkreten Eigenschaften der referierten Entität.78 Kombiniert man dies mit der von Kramarae und Treichler (1985) für die linguistische Analyse von Personenreferenzformen entwickelten und insbesondere von Hellinger (1990) übernommenen Idee des sozialen Genders, so kann ein neuer Ansatz für genderunspezifizierende generische personale Appellation und ihre (vor allem) pronominalen Wiederaufnahmen entwickelt werden. Genderunspezifizierende personale Appellation zeichnet sich durch die Abwesenheit einer konkreten, appellierten Person aus, ist aber individualisierbar, womit die Evozierung stereotyper Erwartungen und Vorstellungen eine besondere Rolle spielt. Dies geht aus kognitiv-linguistischer Sicht mit Fauconniers Vorstellung der mental spaces konform79, die durch sprachliche Äußerungen aktiviert werden und zu ihrer konzeptuellen Einordnung und Bestimmung beitragen. Es kann somit die Hypothese formuliert werden, dass genderunspezifizierende generische personale Appellation in besonderer Weise in der Aktivierung von mental spaces durch gegenderte stereotype Erwartungen und prototypische Vorstellungen gekennzeichnet ist, die, solchermaßen aktiviert, auch pronominale Wiederaufnahmen mit beeinflussen, aber ihrerseits auch zur Reproduktion und Verfestigung stereotyper Genderwahrnehmungen beitragen. Die Beziehung ist somit eine wechselseitige und die Genderunspezifizierung personaler Appellation wird in der Konzeptualisierung in der Regel aufgelöst. In Bezug auf westliche Gesellschaften wird in diesem Zusammenhang von einer anthropozentrischen Norm gesprochen, die den Mann als menschliche Norm bzw. als den prototypischen Menschen ansieht. Dies ist für verschiedene sprachliche Aspekte in zahlreichen Studien gezeigt worden und spielt in Studien zu genderunspezifizierend intendierten personalen Appellationspraktiken eine zentrale Rolle80, in denen es als MANPrinzip (Male As Norm) benannt worden ist. Kramarae und Treichler (1985) benennen die entsprechenden Formen in Konsequenz false generics, Romaine (2001) spricht von androcentric generics. Hellinger und Bußmann (2002: 9) kommen in einer Auswertung von Artikeln zu
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Begrifflichkeit in der vorliegenden Arbeit: lexikalisierte konventionalisierte Genderspezifizierung. Begrifflichkeit in der vorliegenden Arbeit: der appellierten Entität, die so erst als Entität hergestellt wird. Vgl. Fauconnier (1985). Vgl. Braun (1995) für einen entsprechenden Überblick.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
30 verschiedenen Sprachen zu dem Thema der Genderreferenz in ihren drei Sammelbänden zu dem Ergebnis, dass „[a]ll the gender languages of the project illustrate the traditional (and often prescriptive) practice which requires the use of so-called „generic masculines“ to refer to males as well as females.“ Alle Perzeptionsstudien zeigen das Vorhandensein eines so genannten male bias in der Wahrnehmung bei dem Gebrauch konventionalisiert genderunspezifizierender Formen.81 Die Annahme der Möglichkeit einer genderunspezifizierenden, generischen Wahrnehmung mit Hilfe von personalen Appellationsformen wird vom Prinzip her und als Möglichkeit hier verworfen. Vielmehr wird die Auffassung vertreten, dass gesamtgesellschaftliche und in dem vorliegenden Fall anthropozentrische Normierungen und prototypische Vorstellungen als aktive Bestandteile von kommunikativen Bedeutungsaushandlungen zu verstehen sind.82 Das Fehlen eines individuellen Bewusstseins zu dem Bestehen anthroprozentrischer Normen entspricht ihrer gesellschaftlichen Mächtigkeit und individuellen Internalisierung. In einem Modell der Analyse von Konzeptualisierungen auf der Grundlage von personal appellierenden Sprachhandlungen ist es entsprechend sinnvoll, gesellschaftliche und soziale Ebenen mit zu berücksichtigen. Die nordischen Länder, die in der westlichen, internationalen öffentlichen Wahrnehmung als in Bezug auf Gender gleichberechtigt angesehen werden, bieten ein interessantes Forschungsfeld, da sich auf dem Hintergrund dieser Annahme hier am ehesten Veränderungen hin zu einer genderunspezifizierenden Wahrnehmung abbilden müssten. Die Rolle und Annahme eines entsprechenden politischen Stereotyps in der öffentlichen Wahrnehmung Skandinaviens wird in Bezug auf Schweden in Kapitel Kapitel 5 und Kapitel 6 diskutiert.83 In Übertragung des Ansatzes zu Referenzfixierungsakten nach Wimmer (1979) wird hier die These aufgestellt, dass eine androzentrische Sichtweise den Status eines festen Designators in der Frage personaler Appellation besitzt und somit eine Gleichsetzung von konventionalisiert genderunspezifizierender mit konventionalisiert genderspezifizierend männlicher Appellation für das Schwedische, aber auch das Deutsche und Englische vorliegt.
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Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine Zusammenfassung bisheriger und der ersten schwedischen Perzeptionsstudien. Auch aus empirischer Sicht ist dies bestätigt, vgl. Kapitel 6. Vgl. auch Hornscheidt (2000, 2003, 2005a und 2006a).
2.4 Terminologische Differenzierungen
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„Über die Ausdrücke, die ein Sprachteilhaber als feste Designatoren gebraucht, ist ihm eine Gegenstandswelt gegeben, die überhaupt die Basis seines kommunikativen Umgehens mit Gegenständen darstellt. Dieses Gegenstandwelt ist nicht unabhängig von seinem sprachlichen Handeln. Man kann sagen, sie konstituiert sich für den einzelnen Sprachteilhaber erst in der Kommunikation dadurch, daß er selbst durch Referenzfixierungsakte und durch Anerkennung von Referenzfixierungsakten anderer ganz bestimmte Gegenstände für sich und seine Partner kommunikativ verfügbar macht. Für jeden einzelnen Sprachteilhaber bildet seine eigene kommunikative Erfahrung mit festen Designatoren den relevanten Ausgangspunkt für einen sprachlichen Zugang zu jeglicher Gegenstandswelt.“ (Wimmer 1979: 121)
Wimmers Forderung nach einer Berücksichtigung von Kommunikationsgeschichten sowohl von einzelnen Sprachteilhaber/inne/n als auch von Gruppen bei der Bestimmung dessen, was zu einem festen Designator wird, wird durch eine feministische Gesellschaftsanalyse Genüge getragen. Es ist zu betonen, dass die so wahrgenommenen festen Designatoren in dem hier vertretenen Modell erst durch die kontinuierliche Reproduktion und interaktive Akzeptanz in der Wahrnehmung zu solchen werden, ohne dass von der vorgängigen Annahme ihres unverbrüchlichen Status ausgegangen wird. Wimmers Konzept des Zusammenhangs fester Designatoren mit sprachlichen Normen ist somit auf den Erkenntnisgegenstand der vorliegenden Arbeit übertragbar: „Es ist nicht verwunderlich, daß Sprecher bei der Festlegung und beim Gebrauch der für sie relevanten festen Designatoren bis zu einem gewissen Grad normativ vorgehen: Es kommt darin ihr auf lebenslange Erfahrung gegründetes Bild von einer für sie persönlich relevanten Gegenstandswelt zum Ausdruck, ein Bild, das sie kommunikativ zu vermitteln suchen, um sich anderen verständlich zu machen, das sie aber auch kommunikativ durchsetzen wollen, um anderen ihre Identität zu demonstrieren und ihre, auf ihre persönlichen Erfahrungen gegründeten Auffassungen über die Welt zu propagieren. In Referenzfixierungen gehen Erfahrungen über die Welt ein, die in Referenzfixierungsakten gewissermaßen festgeschrieben werden: Die festgelegten Referenzregeln bilden gewissermaßen einen Teil des normativen Fundaments der Sprache, auf das die Sprachteilhaber zurückgreifen, wenn sie über die Welt reden, und auf dessen Grundlage sie die referentielle Bestimmtheit von Gegenständen in Kommunikationen, an denen sie beteiligt sind, zu sichern versuchen.“ (Wimmer 1979: 140)
Auf der anderen Seite bedeutet die konventionalisierte Normalisierung männlicher Genderidentität in Bezug auf personale Appellation die Herstellung des Weiblichen als Anderes und Ausgegrenztes, was in Anlehnung an die Frage der Subjektkonstitution, wie sie im vorangegangenen Unterkapitel entwickelt worden ist, ebenfalls Auswirkungen hat.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
„In bestimmtem Sinne konstituiert sich das Subjekt durch einen Prozeß der Ausschließung und Differenzierung, möglicherweise auch der Verdrängung, der in der Folge durch den Effekt der Autonomie verschleiert und verdeckt wird. [...] Vielmehr bildet sich das Subjekt durch Differenzierungsakte, die das Subjekt von seinem konstitutiven Außen scheiden, einem Gebiet verworfener Andersheit, das gewöhnlich, wenn auch nicht immer, mit dem Weiblichen verbunden wird.“ (Butler 1993a: 44)
Konventionalisiert genderunspezifizierende Appellation ist folglich nicht gleich zu setzen mit genderneutraler Appellation. Letztere wird in dem Sinne als theoretisches Konstrukt für die Fälle angenommen, in denen sowohl die intendierte als auch die wahrgenommene Appellation ein adäquates Verhältnis von Vertreter/inne/n beider Gendergruppen in der Appellation evoziert. Dies ist per se nur für Appellation im Plural möglich und muss auch hier eine theoretische Möglichkeit bleiben, da ein entsprechender Nachweis nicht gelingen kann. Bei Appellation im Singular kann es auf der Grundlage eines kognitiv-linguistischen Verständnisses keine genderneutrale Appellation geben. Mit Hinblick auf die sprachlich evozierte Wahrnehmung von Gender wird als eine nicht genderspezifizierende Appellation diejenige bezeichnet, die konventionalisiert als genderausgeglichen angesehen werden kann. Ausgehend von einem Prototypenmodell und der Annahme von ICMs als konkreten Appellationsakten zu Grunde liegenden kognitiven Bezugsgrößen, die bei einer personalen Appellation aufgerufen werden, ist hier zu fragen, inwiefern eine genderausgeglichene Appellation überhaupt möglich ist oder ob es sich nicht höchstens um ein statistisches Mittel über verschiedene soziale Gruppen hinweg handeln kann, die insofern auch wieder ausdifferenziert dargestellt werden könnten – und damit gleichzeitig die Idee einer genderausgeglichenen Appellation verworfen werden muss. In dem Sinne kann eine genderausgeglichene Appellation nur für eine Appellation auf Gruppen von Menschen angenommen werden. In vielen Studien wird davon ausgegangen, dass eine genderausgeglichene Appellation der Realisierung einer generischen Appellation gleichkommen würde. Diese Ansicht wird hier nicht geteilt. Wenn statistisch gesehen und empirisch überprüft bei genauso vielen Menschen auf der Grundlage einer genderunspezifizierenden generischen Form eine weibliche wie eine männliche Genderwahrnehmung aufgerufen wird, bleibt die durch die Form evozierte Wahrnehmungsleistung genderspezifisch – wenn auch in einem ausgewogenen Verhältnis. Darüber hinaus ist kritisch anzumerken, dass es sich um einen in der Regel nur durch spezifische Experimente bestimmbaren Wert handelt, der in der Alltagskommunikation nur indirekt durch nachfolgende kommunika-
2.4 Terminologische Differenzierungen
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tive Konzeptualisierungen, beispielsweise in expliziten genderspezifizierenden Wiederaufnahmen, erschlossen werden kann. Ausgehend von den im vorangegangenen Unterkapitel formulierten Analysefragen, die sich aus einem konstruktivistischen Modell personaler Appellation ergeben, können diese unter dem Aspekt Gender entsprechend weiter spezifiziert werden. Auf der Ebene der Sprachproduktion spielt die Frage der Konventionalisierung von Genderspezifizierung eine zentrale Rolle. Diese kann lexikalisiert sein, wie in Kapitel 3 für das Schwedische zu sehen ist. Die Konventionalisierung der Genderspezifizierung kann aber auch grammatikalisiert sein, wie im folgenden Unterkapitel im Gegensatz zur Lexikalisierung herausgearbeitet wird.
2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene der Genderspezifizierung personaler Appellation In diesem Unterkapitel liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Phänomen der Grammatikalisierung der Genderspezifizierung personaler Appellation als Untersuchungsebene personaler Appellation in einem pragmatischen Modell. Unter Grammatikalisierung wird im Anschluss an den französischen Linguisten Meillet (1948) die Zuschreibung eines grammatikalischen Charakters zu einem autonomem Wort verstanden. Meillets Sichtweise ist in der Nachfolge auf verschiedene sprachliche Prozesse der Routinisierung ausgeweitet worden, die so u.a. auch syntaktische Konstruktionen mit umfassen können. Forschungen zu Grammatikalisierung sind, sofern sie eine synchrone Perspektive mit integrieren, erst seit den letzten 20 Jahren verstärkt zu finden. Es können drei verschiedene grundlegende Annahmen innerhalb der einschlägigen Forschung unterschieden werden: In dem ersten wird unter der Überschrift Grammatikalisierung die Entstehung grammatischer Ausdruckseinheiten aus lexikalischen bzw. die Entwicklung von einem schwächeren zu einem stärkeren grammatischen Status untersucht. Dieser Untersuchungszweig der Grammatikalisierungsforschung ist eng an traditionelle sprachhistorische Forschungen angelehnt. In dem zweiten Forschungszweig werden Grammatikalisierungsphänomene mit der Annahme untersucht, dass kognitive Aspekte und Strukturen für die sprachliche Realisierung und/oder Repräsentation von Inhalten in Form konventionalisierter grammatischer Strukturen bestimmend sind. „The main claim
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
made here is […] that grammaticalization itself is motivated by extralinguistic factors, above all by cognition.” (Heine und Hünnemeyer 1991: 27) Dieser Aspekt wurde bisher vor allem an Phänomenen und Prozessen der Metaphorisierung und Metonymisierung untersucht. In dem Zitat deutet sich jedoch auch eine dritte Variante einer Grundannahme innerhalb der Grammatikalisierungsforschung an. Diese kann als komplementärpragmatische Grundannahme bezeichnet werden und betrifft die Berücksichtigung ‚außerlinguistischer‘ Faktoren. Nicht nur verstehen sich Teile der Grammatikalisierungsforschung als einem komplementärpragmatischen Verständnis verpflichtet, Grammatikalisierungsphänomene finden andersherum auch in einem komplementär-pragmatischen Ansatz Eingang, nach Levinson (1983) konstituieren sie sogar den Untersuchungsbereich einer so verstandenen Pragmatik. Ein Ansatz, der sowohl die sprachhistorisch-formalen als auch die kognitiven Interessen miteinander vereint, ist die integrative Grammatikalisierungstheorie. Sie verbindet diachrone und synchrone Aspekte der Betrachtung und hebt damit die rigide Trennung dieser beiden Bereiche auf und betont die Notwendigkeit der Verknüpfung beider Perspektiven, was einem perspektivischpragmatischen Standpunkt entspricht. In diesem Unterkapitel wird dargestellt, inwiefern ein Ansatz zur Grammatikalisierung innerhalb eines kognitiv-pragmatischen Modells für eine Analyse von Genderspezifizierungen nutzbar gemacht werden kann. Aus einer konstruktivistischen Perspektive kann Grammatikalisierung als ein Phänomen der Verstetigung bestimmter sprachlicher Gebrauchsweisen verstanden werden, die dadurch den Status einer sprachlichen Vorgängigkeit bekommen und folglich schwer hinterfragbar sind. Wenngleich in der Grammatikalisierungsforschung kein konstruktivistisches Erkenntnisinteresse verfolgt wird, gibt es doch einen entsprechenden Anknüpfungspunkt, wenn das Ergebnis eines Grammatikalisierungsvorgangs als ein sozialer Prozess verstanden wird, der in einer Sprachgemeinschaft den Status einer dem konkreten Sprachgebrauch gegenüber Vorgängigkeit und Regelhaftigkeit besitzt und dem eine zeitübergreifende Gültigkeit zugesprochen wird. Aus konstruktivistischer Sicht ist diese im Prozess der Grammatikalisierung hergestellte Vorgängigkeit immer nur eine relative, die auf einer starken Konventionalisierung beruht und dadurch den Status einer Regelhaftigkeit bekommt, die aber nicht als eine ‚zu Grunde liegende‘ Regel zu verstehen ist, sondern immer nur als eine nachträglich aus dem Sprachgebrauch abstrahierte, die im Alltagsverständnis und unterstützt durch Grammatikschreibung den Status einer Vorgängigkeit zugesprochen bekommt. Grammatik ist in konstruktivistischer Sicht ein Konstrukt sozialer Übereinkunft, welches be-
2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene personaler Appellation
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stimmte Sprachgebrauchsweisen autorisiert. Grammatikalisierung zeichnet sich durch eine bestimmte Regelhaftigkeit aus, die sich in der logischen Ableitung beispielsweise bestimmter Wortformen niederschlägt oder sich in syntaktischen Kongruenzphänomenen ausdrückt.84 Innerhalb der Grammatikalisierungsforschung wird zwischen lexikalischen und grammatischen Zeichen differenziert. Sie werden dadurch unterschieden, dass lexikalische Zeichen als eine offene Klasse, grammatische Zeichen meist als eine geschlossene Klasse definiert werden: Letztere haben eine begrenzte und in der Regel konstante Zahl von ‚Mitgliedern‘. Finden Veränderungen innerhalb der Klasse der grammatischen Zeichen statt, haben diese Auswirkungen auf die gesamte Klasse. Es wird dabei nicht von klar abgrenzbaren und benennbaren Kategorien ausgegangen, sondern Grammatikalisierung wird als ein Prozess angesehen. Die Grammatik besteht in Abgrenzung von den Lexemen des Lexikons aus Grammemen, die in syntaktische und morphologische Grammeme weiter unterteilt werden können. Die Inhalte der Grammeme bilden die grammatischen Kategorien. Wurzel (1984) benennt Kasus, Numeri, Tempora, Modi und Komparationsstufen als grammatische Kategorien.85 Auffällig ist in den Standardaufzählungen das Fehlen von Genus als grammatische Kategorie. Dies kann unter anderem durch die fehlende klare Funktionsbestimmung von Genus gegenüber Kasus, Numerus und Tempus motiviert sein.86 Grammatische Kategorien dienen dazu, Konzepte sprachlich zu fassen. Sie sind als ein ökologisches Prinzip von Sprachen charakterisierbar.87 Während für Lexeme in der einschlägigen Forschung ein Referenzcharakter angenommen wird, der in diesem Kapitel bereits zur Debatte stand, wird Grammemen ein Relationscharakter zugeschrieben, der jedoch auch semantische Merkmale der lexikalischen Ausgangselemente besitzt und damit – analog zur traditionell linguistischen Vorstellung – auch referierend sein kann. Wie auch durch die explizite Bezugnahme auf semantische Merkmale deutlich wird, sind entsprechende Ansätze zur Grammatikalisierung einem traditionell-semantischen Ansatz verpflichtet.
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Dies sind nur zwei Benennungen, woran Grammatikalisierung konkret festgemacht werden kann. Vgl. Kurylowicz (1965: 57) für eine ähnliche Aufzählung. Vgl. Corbett (1991); vgl. auch Hornscheidt (2006b). In pragmatischer Sichtweise ist Sprache hier natürlich als Sprachgebrauch zu verstehen und in diesem Fall speziell als stark konventionalisierte Form desselben. Die Frage der Ökologie von Sprachgebrauch ist ein interessantes Phänomen der Übertragung einer Konzeptualisierung aus dem ökonomischen in den linguistischen Bereich, welches im Hinblick auf die impliziten Wertvorstellungen, die hier reproduziert werden, gesondert zu untersuchen wäre.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Neben der bereits erwähnten Ökonomie werden Expressivität, Kreativität und kognitive Prozesse als weitere wichtige und bestimmende Motivationen für Grammatikalisierungsprozesse angesehen. Expressivität, Ökonomie und Kreativität können unter eine angenommene kognitive Motivation subsumiert werden. Lehmann (1985) sieht Expressivität als einen häufigen Startpunkt von Grammatikalisierungsprozessen, da die Sprecher/innen einer Sprache die ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel in der Regel als unzureichend auffassen. Dem steht das Ökonomieprinzip der phonetischen und semantischen Reduktion des sprachlichen Zeichens gegenüber, welches demgegenüber am Ende von Grammatikalisierungsprozessen angesetzt wird. Girnth (2000) betont besonders die Relevanz von Kreativität im Prozess der Grammatikalisierung. „Kreativität steht im Dienste von Problemlösungsaktivitäten, die wiederum durch die jeweiligen kommunikativen Intentionen ausgelöst werden. Hat ein Grammatikalisierungsprozeß eingesetzt, dann ist er das Ergebnis einer kreativen Problemlösungsstrategie, die in Hinsicht auf den angestrebten kommunikativen Effekt sowohl ungewöhnlich als auch effektiv ist. [...] Ihre Effektivität zeigt sich am deutlichsten dann, wenn das in einem individuellen Innovationsakt gewählte Verfahren allmählich konventionell wird und somit seine Tauglichkeit zur Lösung kommunikativer Probleme unter Beweis gestellt hat.“ (Girnth 2000: 60f.)
Der holistische Ansatz zu Sprache und Kognition innerhalb der Kognitiven Linguistik, vor allem von Lakoff (1987) und Langacker (1987) vertreten, ist die kognitiv-linguistische Grundlage des für die vorliegende Arbeit relevanten Zweigs der Grammatikalisierungstheorien. Grammatikalisierung wird innerhalb der Grammatikalisierungsforschung als kognitiv gesteuert angesehen, die Strukturierung von Wissen und seine Versprachlichung stehen in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn auch Grammatikalisierung per se nur als diachrones Phänomen erfasst werden kann, da es sich um Sprachwandel im historischen Prozess handelt, ist das zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse dennoch synchron und auf Aktualität ausgerichtet. „[H]ow does meaning change in grammaticization take place in the minds of speakers while they are using language?“ (Bybee, Perkins und Pagliuca 1994: 282) Die hier explizierte Fokussierung auf individuelle Sprecher/innen ist in der Grammatikalisierungsforschung durchgängig zu finden und macht die Integration einer entsprechenden Variante der Grammatikalisierungstheorie in einen perspektivisch-pragmatischen Ansatz plausibel. Mit dieser, im Zitat formulierten Frage kann zugleich ein Bogen zu dem Ansatz von auf grammatische Regularitäten bezogenen, geplanten Sprachveränderungsstrategien geschlagen werden, wie er von
2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene personaler Appellation
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Teilen der feministischen Linguistik vorgeschlagen worden ist. Es handelt sich in diesem Fall jedoch – entgegen den innerhalb der Grammatikalisierungsforschung untersuchten Prozessen – um den Versuch einer gesteuerten, in der Regel zukünftigen Sprachveränderung und nicht um die Beobachtung einer bereits stattgefundenen Sprachveränderung, die ihrerseits auch unter verschiedenen Perspektiven als ‚gesteuert‘ angesehen werden kann.88 Eine Bewertung von feministischen und gesteuerten Sprachveränderungsprozessen auf der Grundlage von Grammatikalisierungstheorien als Sprachwandelerklärungen kann eine sinnvolle und ergänzende Perspektive zu herkömmlicher Forschung zu Grammatikalisierung sein und zugleich die Frage der ‚Natürlichkeit‘ von Sprachwandelprozessen neu beleuchten. Es wird innerhalb der kognitiv orientieren Grammatikalisierungsforschung von source concepts ausgegangen, kognitiven Grundkonzepten, die Ausgangspunkte für Grammatikalisierungsprozesse sind. Sie gehen auf Vorstellungen von physisch-biologischen Voraussetzungen menschlicher Kognition zurück, wie sie auch innerhalb der kognitiven Linguistik benannt worden sind und lassen sich mit den von Lakoff (1987) formulierten basic concepts vergleichen. Heine und Hünnemeyer (1991) unterscheiden zwischen basalen und abgeleiteten Quellenkonzepten, eine Unterscheidung, die vergleichbar auch bei Lakoff (1987) zu finden ist. Die basalen Konzepte entstammen Auffassungen vom Menschen und seinem Körper, die vor allem als Konzepte von Zeit und Raum abgeleitet werden. Schon bei Lakoff war nicht klar, ob Gender ein basales oder ein abgeleitetes Konzept ist, was für einen Grammatikalisierungsansatz entsprechend zu klären ist. Mit Ausgangspunkt in der im ersten Kapitel entworfenen konstruktivistischen Zugangsweise wird Gender als abgeleitete Konzipierung aufgefasst, die in der Regel im Alltagsverständnis den Anschein der Natürlichkeit und des Basalen besitzt. Die Frage ist, inwiefern Gender als eine grundlegende konzeptuelle Kategorie aufgefasst wird, inwiefern und was genau sowie wie was von dieser grammatikalisiert wird, inwiefern sie formalisiert durch Genusmarkierungen oder durch Derivationsformen grammatikalisiert worden ist und an welchen Punkten eine entsprechende Grammatikalisierung stattgefunden hat. Eine theoretisch zugespitzte Richtung innerhalb der Grammatikalisierungsforschung, die mit konstruktivistischen erkenntnistheoretischen Prämissen konform geht, ist die emergent grammar nach Hopper (1988,
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Die Grenzziehung zwischen gesteuerten und ungesteuerten Prozessen sprachlicher Veränderung ist jedoch zu hinterfragen; vgl. Kapitel 4.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
1990, 1991). In seiner Auffassung ist Grammatik kein stabiles Gebilde regelhafter Strukturen, sondern befindet sich in einem permanenten dynamischen Prozess der Veränderung, der sich in Grammatikalisierungen manifestiert. Grammatik wird als eine kontinuierliche Konstruktionsleistung von Sprachgemeinschaften aufgefasst. Grammatikalisierungen sind nicht einmalige und an einem bestimmten Punkt abgeschlossene Vorgänge, sondern in ständiger Bewegung des Werdens und der Veränderung. Die kontinuierlich im Entstehen begriffenen Strukturen sind von lexikalischen Phänomenen nicht klar abgrenzbar, wie es bei einer Trennung von Grammemen und Lexemen zunächst scheint. In Hoppers Auffassung wird der Systemcharakter von grammatischem Wissen problematisiert. Hopper weist auf den Konstruktionscharakter von Grammatik hin. Nicht das Lexikon wird als Quelle von Grammatikalisierungsprozessen angesehen, sondern der Diskurs. „The notion of Emergent Grammar is meant to suggest that structure, or regularity, comes out of discourse and is shaped by discourse as much as it shapes discourse in an on-going process. Grammar is hence not to be understood as a prerequisite for discourse, a prior possession attributable in identical form to both speaker and hearer. Its forms are not fixed templates, but are negotiable in faceto-face interaction in ways that reflect the individual speaker’s past experience of these forms, and their assessment of the present context, including especially their interlocutors, whose experiences and assessments may be quite different. Moreover, the term Emergent Grammar points to a grammar which is not abstractly formulated and abstractly represented, but always anchored in the specific concrete form of an utterance.” (Hopper 1987: 142)
Grammatik wird nicht als sprachlichen Handlungen vorgängige Größe betrachtet, sondern als Prozess der Konventionalisierung und Automatisierung kommunikativer Strategien und Verhaltensweisen. Es werden funktionale und wahrnehmungspsychologische Gründe angeführt, die ihrerseits ebenfalls wieder wahrnehmungspsychologische Auswirkungen haben können. Damit geht Hoppers Ansatz mit dem hier formulierten Analysemodell genderspezifizierender und genderunspezifizierender personaler Appellation konform. Grammatische Formen und Regeln werden im weiteren entsprechend als Konventionalisierungen eines bestimmten Sprachgebrauchs verstanden. Es ist damit von Interesse, ob Genderspezifizierung im Schwedischen grammatikalisiert ist und wenn ja, an welchen Stellen, auf welche Art und mit welchen Implikationen. In einem weiteren Schritt wird gefragt, welche Forderungen nach Grammatikalisierung Sprachveränderungsstrategien bei der Genderspezifizierung personaler Appellation implizieren.
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„Die Aufgabe, die sich die Grammatikalisierungsforschung setzt, ist es, diese mehr oder weniger „starken“ Ordnungen und die mehr oder weniger ausgeprägte Kategorialität von Formen zu untersuchen.“ (Diewald 1997: 5)
Grammatische Kategorien werden von Diewald hier als die obligatorisch realisierten grammatischen Inhalte einer Sprache definiert, inhaltliche Kriterien für grammatische Kategorien sind vor allem Relevanz und Allgemeinheit. Es ist zu fragen, inwiefern das Konzept Gender von so hoher Relevanz ist, dass es in grammatischen Kategorien, zum Beispiel Genus oder auch in Derivationen, ausgedrückt wird und in welchen Fällen seine Nennung so obligatorisch ist, dass es sprachlich regelhaft ausgedrückt werden muss. Inwiefern liegt formale Genderspezifizierung vor und kann als grammatisches Phänomen gefasst werden, in welchen Bereichen geschieht dies, in welchen ist eine Genderspezifizierung lexikalisiert und in welchen Bereichen wird keine formale Genderspezifizierung vollzogen? Da Gender eine der menschlichen Hauptwahrnehmungsdifferenzierungen ist,89 kann davon ausgegangen werden, dass es als metaphorisches Konzept in Grammatikalisierungsprozessen eine relativ große Rolle spielt. Wie Diewald (1997) anführt, wird hohe Relevanz nicht unbedingt flexivisch, sondern auch lexikalisch ausgedrückt. Dies wird hier speziell mit Hinblick auf Pronomina und ihre wissenschaftliche Diskursivierung betrachtet. Diessel (1999) stellt beispielsweise dar, wie Personalpronomina häufig aus Demonstrativa entstanden sind und in diesem Prozess auch ihre konventionalisierte Bedeutung und kommunikative Funktion verändert haben. Für die Grammatikalisierung von Demonstrativa nennt Diessel als wichtigsten Grund funktionale Änderungen. „1. Grammatical items that developed from demonstratives are not longer used to focus the hearer’s attention on entities in the outside world. 2. They are deictically non-contrastive.“ (Diessel 1999: 118) Vergleicht man die Annahme der pragmatisch orientierten Grammatikalisierungsforschung, dass Metaphorisierung insbesondere im Anfangsstadium von Grammatikalisierungsprozessen, in der Übergangsphase vom Lexem zum Grammem als zentraler Prozess der Herausbildung grammatischer Strukturen angesehen wird, mit den Auffassungen zu Genus in der grammatischen Literatur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts,90 so lassen sich hier explizite grammatische Versuche der Metaphorisierung und der metaphorisierenden Erklärung für Grammatik finden. Ein konstruktivistischer Grammatikalisierungsansatz bietet so die Möglichkeit zu einer Me-
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Vgl. Kapitel 1. Vgl. Hornscheidt (2006b).
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
tabetrachtung von Grammatikalisierung: Zum einen ist Grimms (1831) Genustheorie auf dieser Grundlage als eine bewusste Strategie des Versuchs einer Grammatikalisierung einer bestimmten Perspektive auf Genus lesbar – eine Kategorie, die ansonsten nur schwer in ihrer umfassenden sprachlichen Funktion bestimmbar zu sein scheint und auf diese Art und Weise in Kontinuität zu einer romantischen Sprachsicht verfestigt werden konnte. Zum anderen ist an diesem Punkt aber auch zu fragen, ob Grammatikalisierung eine bewusst betriebene Strategie von sprachwissenschaftlicher Seite sein kann, wie Grimm es in diesem Fall versucht hat. Dies scheint bis heute Auswirkungen auf das Alltagsverständnis von Genus im Deutschen zu besitzen. Ist zwischen einer alltagssprachlichen und einer fachwissenschaftlichen Ebene der Beschäftigung mit Sprache klar zu trennen, wobei erstere als Quelle für Grammatikalisierung, letztere als Quelle für die Theoretisierung einer angenommenen oder intendierten Grammatikalisierung angesehen werden müsste? Die potentielle Relevanz eines fachwissenschaftlichen Diskurses mit einer bestimmten Macht zur Normierung und Autorität zur Etablierung von Grammatikalisierungsphänomenen wird in der einschlägigen Forschung bisher nur wenig beachtet. Neben der sprecher/innen/orientierten Perspektive spielen in neueren Ansätzen der Grammatikalisierungstheorie auch Aspekte der hörer/innenseitigen Orientierung zunehmend eine Rolle. Gefragt wird im Rahmen der Grammatikalisierungstheorie nicht nur nach Prozessen von Grammatikalisierung als Ausdruck kognitiver Fähigkeiten, sondern ebenso nach den Schlussfolgerungen, die auf Seite der Hörer/innen in konkreten Kommunikationssituationen gezogen werden. Girnths (2000) Modell und Verständnis von hörer/innen/orientierter Perspektive wird hier jedoch als verkürzt angesehen und entsprechend verworfen. Girnth unterscheidet, im Gegensatz zur emergent grammar, zwischen langue und parole und reproduziert so die Annahme der Vorgängigkeit eines sprachlichen Systems und damit verbunden von einer Kern-, lexikalischen oder usuellen Bedeutung, die im Gegensatz zu einer aktuellen Bedeutung konzeptualisiert ist. Hier wird diese Opposition aufgegeben und lediglich zwischen stark und weniger stark konventionalisierten Bedeutungen unterschieden. Girnth (2000) vertritt in Anlehnung an die Konversationsmaximen von Grice (1975) die in der vorliegenden Arbeit aufzunehmende Annahme, dass „[...] auch die Grammatikalisierung das Ergebnis von Schlussfolgerungsprozessen ist, die vor dem Hintergrund der Konversationsmaximen stattfinden. [...] Im Gegensatz zu lexikalischen Ausdrücken dienen grammatische Elemente und die durch sie repräsentierten Kategorien nicht dazu, Referenz herzustellen. Vielmehr
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besteht ihre Funktion „darin, den Ort zu rekonstruieren, von dem aus auf die Welt verwiesen wird“ [Leiss, Elisabeth 1992: 7]. Der Ausgangspunkt der Referenz wird hergestellt, was die Lokalisierung des Subjekts in Raum und Zeit ermöglicht.“ (Girnth 2000: 79f)
Girnth sieht für den Prozess der Grammatikalisierung insbesondere die Quantitätsmaxime von Grice (1975) als relevant an. Die Quantitätsmaxime geht bei Girnth (2000) mit dem Ökonomieprinzip und der damit verbundenen Redundanzvermeidung einher und entspricht einem Prozess semantischer Extension. Ausgehend von diesen Annahmen wird hier untersucht, inwiefern es sich bei der Frage der konventionalisierten Genderspezifizierung von personalen Appellationsformen um ein grammatisches und/oder ein lexikalisches Phänomen handelt und inwiefern der Verwendung angenommener genderunspezifizierender pronominaler Appellationsformen, die zugleich auch konventionalisiert der genderspezifizierend männlichen Appellation dienen, ein männlich geprägtes und verinnerlichtes Welt- und Subjektbild zu Grunde liegt. Es ist zu fragen, ob genderspezifizierend männliche als konventionalisiert genderunspezifizierende Formen Grammatikalisierungsphänomene semantischer Extension darstellen, die in Anlehnung an das Ökonomieprinzip aufzufassen sind.91 Es wird auch die Frage von Sprachveränderungsprozessen und Grammatikalisierung am Beispiel feministischer Sprachveränderungsstrategien diskutiert. Hier wird eine Integration von Grammatikalisierung in ein pragmatisches Sprachmodell möglich. Girnth formuliert die folgenden Fragen als zu bearbeitende Inhalte für eine Grammatikalisierungstheorie, die den Zusammenhang zu einer pragmatischen Komponente deutlich machen: „a) Welches sind die ökologischen (inner- und außersprachlichen) Bedingungen, die einen Sprecher motivieren, einen Grammatikalisierungsprozeß zu initiieren und damit von der Sprachkonvention abzuweichen? b) Gibt es bestimmte Ausdrucksmittel, die die Sprecher als Ausgangselemente der Grammatikalisierung präferieren? c) Welches sind die pragmatischen Faktoren, die es ermöglichen, daß ein Hörer die vom Sprecher hervorgebrachte Abweichung von der Sprachkonvention versteht?
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In Hornscheidt (2006b) wird empirisch untersucht werden, ob dies mit den hörer/innenseitigen Deutungsstrategien tatsächlich übereinstimmt. Dadurch wird gleichzeitig die Relevanz der Berücksichtigung hörer/innen/seitiger Konzeptualisierungen für eine Grammatikalisierungstheorie untersucht.
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d) Wie vollzieht sich der Prozeß der Ausbreitung und damit der Konventionalisierung einer von der Sprachkonvention abweichenden Innovation?" (Girnth 2000: 51)
Auch wenn Grammatikalisierungstheorien nicht auf die Analyse und Bearbeitung von gesteuerten Sprachveränderungsstrategien ausgerichtet sind, ist die Anwendbarkeit der Fragen auf diese offensichtlich.92 Dies erklärt sich dadurch, dass auch gesteuerte Sprachveränderung eine Form von Sprachwandel ist, welcher die Grundlage für Grammatikalisierungsphänomene darstellt. Die hier formulierten Fragen sind dadurch auch auf gesteuerte Sprachveränderungen übertragbar und können dazu beitragen, das Vorhaben einer gesteuerten strategischen Sprachveränderung kritisch zu evaluieren. Das Verständnis von Pragmatik, wie es in Frage c bei Girnth im obigen Zitat formuliert ist, zeigt ein eher komplementäres Verständnis und bezieht sich zudem auf außersprachliche Faktoren einer Kommunikationssituation. Wie in Kapitel 4 deutlich wird, geht es um eine pragmatische Einordnung von Sprachveränderungsstrategien und damit um das Anlegen eines breiter gefassten Rahmens. In diesen werden Sprachveränderungen nur sekundär unter dem Aspekt ihrer bewussten Steuerung betrachtet, sondern vielmehr als ein kontinuierlich stattfindender Prozess angesehen, der zugleich Voraussetzung und Resultat von Kommunikation ist. Es zeigt sich, dass Genderspezifizierung personaler Appellation aus einer konstruktivistischen Sicht mit Ausgangspunkt in verschiedenen Diskursfeldern und mit Hilfe unterschiedlicher Methoden und Instrumente zu untersuchen ist. Das Phänomen der Pronominalisierung bekommt in dem hier entwickelten konstruktivistischen Modell personaler Appellation einen eigenständigen Stellenwert eingeräumt, da im Rahmen von Grammatikalisierungstheorien zu fragen ist, inwiefern Pronominalisierungen als lexikalisches oder grammatisches Phänomen gelten können – oder ob sich an ihnen die schwierige Grenzziehung zwischen Lexikalisierung und Grammatikalisie-
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Zu fragen wäre hier nach der von Girnth (2000) propagierten Grenzziehung zwischen Sprachkonvention und der Initiierung von Grammatikalisierungsprozessen als Abweichung von der Sprachkonvention, wie Girnth es in der ersten Bedingung bzw. Frage ausdrückt. Stattdessen wird hier davon ausgegangen, dass Sprachkonventionen die Voraussetzungen für Grammatikalisierung sind; in dem Sinne wäre Girnths Modell an diesem Punkt auf strategisch initiierten Sprachwandel zu übertragen.
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rung aufzeigen lässt.93 Girnth (2000: 79f.) formuliert, dass grammatische Phänomene nicht zur Appellationsherstellung dienen, sondern nur lexikalische. Wird pronominale Appellation auf Personen als ein grammatisches Phänomen angesehen,94 kann mit einem Grammatikalisierungsansatzes gefragt werden, was die Motivationen für bestimmte Formen von Pronominalisierungen sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die so genderunspezifizierende generische Appellation mit konventionalisiert genderspezifizierend männlich appellierenden Pronomina von besonderem Interesse: Kann hier von einem Metaphorisierungsprozess als Teil der Grammatikalisierung pronominaler Wiederaufnahmen von personalen Appellationsformen gesprochen werden, wenn aus einer anthroprozentrisch-männlichen Sicht konventionalisiert genderspezifizierend männlich appellierende Pronomina zur genderunspezifizierenden Appellation benutzt werden? Dies hängt auch mit der Frage zusammen, ob Menschen die Fähigkeit zu einer, auf Gender bezogen, genderunspezifischen generischen Konzeptualisierung haben oder ob der Prozess der genderunspezifizierenden generischen Appellation durch genderspezifizierende Pronomina das einzige ist, was kognitiv möglich ist. Diese Annahme bezieht sich auf die Vorstellung universalistisch-kognitiver menschlicher Möglichkeiten in Teilen der Kognitiven Linguistik.95 Bei der Herstellung einer Dichotomie zwischen Substantiven und Pronomina, die mit einer Hierarchisierung einhergeht, handelt es sich um eine formale, sprachliche Kategorisierung, die gerade bei Betrachtung von genderspezifizierender personaler Appellation in der in ihr enthaltenen Hierarchisierung an entscheidenden Stellen nicht nachvollziehbar ist. Darüber hinaus führt die Herstellung dieser Differenzierung mit ihren linguistischen Implikationen der Wertigkeit der verschiedenen Formen zu einer Verschleierung der damit verbundenen konzeptuellen Konstruktionen. Pronominale personale Appellation nimmt in vielen germanischen Sprachen eine besondere Stellung ein, da sie eine Genderspezifizierung in der dritten Person Singular lexikalisiert erhalten hat, auch wenn diese nicht durchgängig bei personal appellierenden Substantiven zu finden ist. Diese Differenzierung der konventionalisierten, lexikalisierten Genderspezifizierung unterschiedlicher Appellationsformen ist mit Hinblick auf die in entsprechenden, sprachtypologischen Kombinationen anzutreffende gen-
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Für eine ausführlichere Diskussion einschlägiger sprachwissenschaftlicher Literatur, vgl. Hornscheidt [in Vorbereitung]. Dies nimmt gerade in einer traditionellen Analyse der anaphorischen Appellation von Pronomina eine zentrale Rolle ein. Vgl. Sweetser (1990); vgl. auch Kapitel 1.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
derunspezifizierende Verwendung der genderspezifizierend männlich appellierenden Personalpronominaformen der dritten Person Singular interpretiert worden. An dieser Stelle soll darüber hinausgehend die Relation von Substantiven zu Pronomina und zu Adjektiven im Rahmen eines konstruktivistischen Modells mit Hinblick auf die Relevanz einer Genderspezifizierung theoretisch formuliert werden, was im nachfolgenden Kapitel für das Schwedische empirisch zu überprüfen ist. Es wird eine Hierarchisierung in Bezug auf die interaktive Relevanz der Genderspezifizierung der drei Formenklassen postuliert, wozu die folgende These aufgestellt wird: Es gibt mentale Modelle für personale Appellation, die in der Regel auf Tätigkeits-, Relations- und Funktionscharakterisierungen aufbauen. Viele dieser Charakterisierungen sind in den hier untersuchten Sprachen implizit oder explizit genderspezifizierend oder evozieren prototypische und stereotype Gendervorstellungen. Sie sind umso eher lexikalisiert und/oder grammatikalisiert, desto stärker sie konventionalisiert sind. Ausgehend von der These, dass Substantive der Konzeptualisierung von Personen als Subjekten am ehesten entsprechen, kann eine attributive Verwendung von genderspezifizierenden Adjektiven in Nominalphrasen so interpretiert werden, dass damit eine konträre Genderspezifizierung zu der prototypisch zu erwartenden hergestellt wird. Dies deutet auf eine Genderspezifizierung in Form einer Zuschreibung einer Eigenschaft hin, die in diesen Fällen weniger stark als konventionalisierte und/oder naturalisierte wahrgenommen wird. Die Genderkategorisierung ist in der einen oder anderen Form grundlegend, denn bei der ökonomischen Form der personalen Appellation, den Personalpronomina, ist die Konzeptualisierung als zentrale lexikalisiert, wohingegen dies beispielsweise im Schwedischen und Englischen für die Substantive nicht der Fall ist. Ein mögliches Interpretationsmodell ist, dass Personalpronomina mit einer Genderspezifizierung eine in der Sprachgemeinschaft grundsätzliche konzeptuelle Kategorisierung von Menschen jenseits von Tätigkeits-, Funktions- und Relationskonzeptualisierungen zum Ausdruck bringen. Diese ist in Substantiven in Abhängigkeit von der Stärke der prototypisch mit den Tätigkeiten, Funktionen und Relationen verbundenen Konzeptualisierungen, die durch die Appellation realisiert wird, lexikalisiert oder grammatikalisiert. Genderunspezifizierende Appellation mit Formen zur genderspezifizierend männlichen Appellation lassen sich über einen Ansatz der Prototypik
2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene personaler Appellation
123
(Mann = Mensch) erklären, wozu sich für das Schwedische auf der Ebene der Substantive zahlreiche Belege finden lassen.96 Die Dichotomie von Anaphora und Deixis wird auf der Grundlage eines kognitiv-pragmatischen Ansatzes für personale Appellationsformen und Genderspezifizierung aufgegeben. In der Vorstellung der Anaphorik ist die Annahme einer Koreferentialität und eines außersprachlichen Referenzobjekts impliziert. Beides wird hier verworfen. Das Konzept der Appellation betont dem gegenüber die Eigenständigkeit der Konstitution einer Konzeptualisierung durch unterschiedliche Formen. Es wird innerhalb eines konstruktivistischen Ansatzes nicht länger davon ausgegangen, dass die pronominale Form lediglich ‚Platzhalterfunktion‘ einnimmt, ohne eine eigene diskursive Funktion zu besitzen, eigene Konzeptualisierungen aufzurufen oder bestimmte Fokussierungen in der Konzeptualisierung herzustellen. „[...] it will be argued that deixis is conceptualized in terms of an idealized cognitive model, that of ‚pointing out‘, which structures a mental space and is responsible for the prototypical structure of this category. This structure will be shown to exhibit prototype effects in the understanding of deictic terms and deictic uses of terms.” (Marmaridou 2000: 96f.)
Deiktische Ausdrücke basieren auf der schematischen Vorstellung von Zentrum und Peripherie. Das, auf das gezeigt wird, befindet sich mit Ausnahme der Appellation erste Person Singular, die sich immer im Zentrum befindet, jeweils an der Peripherie. Deiktische Ausdrücke konstruieren die sprechende Person im jeweiligen deiktischen Zentrum. Dem Funktionieren von Deixis liegt dabei die Vorstellung von Raum zu Grunde. „In these terms the experiential domain of physical space is mapped onto the abstract domain of social reality and structures it in a way that is consistent with our understanding of this reality.“ (Marmaridou 2000: 101) Personale Deixis funktioniert demnach durch das Bildschema Zentrum-Peripherie
____________ 96
Vgl. Kapitel 3 für eine entsprechende Analyse des heutigen konventionalisierten schwedischen Sprachgebrauchs. In Interpretation isländischer Beispiele der konventionalisierten Differenzierung von neutrum und maskulinum Formen in der dritten Person Plural bei Personalpronomina lässt sich für diese feststellen, dass neutrum Formen in den Fällen zur Anwendung kommen, in dem bereits ein oder mehrere feste kognitive Gendermodelle etabliert sind, da sich die Form nur auf eine Gruppe von Personen beziehen kann, die bekannt sind. Da es sich um eine Pluralform handelt, ist bei einer entsprechenden Gruppe die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Frauen und Männer handelt, relativ groß. Um diesem kognitiven Modell von bekannten Personen auch sprachlich zu entsprechen, macht es Sinn, neutrum Formen zu benutzen, um nicht im Widerspruch zu dem bereits etablierten kognitiven Gendermodell zu stehen. Handelt es sich hingegen um eine Gruppe nicht bekannter Personen, wird ein genderprototypisches mentales Modell evoziert, welches männlich ist und entsprechend eine maskuline pronominale Appellation verlangt.
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
gekoppelt an das metaphorische Konzept, physikalischen Raum auf die Erfahrung sozialer Realität zu übertragen. Dieses von Marmaridou entwickelte, kognitiv-linguistische Verständnis von Deixis wird geteilt, gleichzeitig aber auch weiter gefasst. So wird unter personaler Deixis nicht nur die klassisch so verstandene Appellation der ersten und zweiten Person subsumiert, sondern dieses Verständnis ebenso bei pronominaler Appellation der dritten Person, die bisher unter dem Konzept Anaphora erklärt worden ist, angewendet und darüber hinaus auch insgesamt auf die Auffassung personaler Appellation übertragen. Personale Appellation wird damit grundsätzlich als personale Deixis verstanden. Diese Annahme hat auf verschiedenen Ebenen Konsequenzen: Die Auffassung grammatischer Genuskongruenz personaler Appellation in anaphorischen Wiederaufnahmen wird als eine naturalisierte Wahrnehmung einer semantischen Relation auf der Grundlage eines prototypischen idealen kognitiven Modells interpretiert. Genderkongruenz, die in traditionell linguistischen Ansätzen für das Verhältnis von personal appellierenden Substantiven zu Pronomina der dritten Person Singular als Genuskongruenz bezeichnet wird, wird dekonstruiert. Es wird stattdessen die Auffassung vertreten, dass es sich in Fällen substantivischer und pronominaler Genderspezifizierung in Form von Lexikalisierungen um pragmatische Kongruenz handelt, die sich in ihrer Konzeptualisierung gegenseitig verstärkt: Sie beruht auf der Evozierung prototypischer Gendervorstellungen, wird ständig reproduziert, durch sprachliche Normen der Genderkongruenz sanktioniert und ist dadurch zu einem hohen Grad naturalisiert und als unhinterfragbare Norm internalisiert. Auch jenseits dieser pragmatischen Kongruenz ist das nachfolgende Zitat auf die um die dritte Person erweiterte personale Deixis übertragbar. „The proposed analysis has shown that deixis is internalized in terms of a cognitive model and metaphorical mappings that motivate the construction of communicatively and socioculturally defined roles human beings take in the speech event.” (Marmaridou 2000: 116) Die starke Konventionalisierung prototypischer Vorstellungen zu Gender in personaler Appellation wird besonders in den Momenten von Brüchen mit dem prototypisch idealen, kognitiven Modell der Wirklichkeit deutlich, d.h. beispielsweise dann, wenn in dem traditionellen Verständnis gegen Regeln ‚grammatischer Kongruenz‘ oder wenn gegen Regeln deiktischer Genuskongruenz verstoßen wird. In diesen Fällen entspricht das aktuelle diskursive Setting nicht den internalisierten Normen und Erwartungen individueller und kollektiver Erfahrungen.
2.5 Grammatikalisierung als Analyseebene personaler Appellation
125
Eine kognitiv-linguistische Perspektive wird als ein tragfähiges Modell zur Integration von pronominaler Appellation in das Thema personaler Appellation und Genderspezifizierung angesehen. Die konventionalisiert genderunspezifizierende, generische Verwendung genderspezifizierend männlicher Personalpronomina der dritten Person Singular in allen skandinavischen Sprachen belegt ein androzentrisches Weltbild. Aus einer kognitiv-linguistischen, pragmatischen Perspektive kann die Annahme einer neutralen Appellation einer genderspezifizierend männlichen Form neu hinterfragt werden. Die bei jeglicher personaler Appellation jeweils aufgerufene Genderkonzeptualisierung, die bei Unbekanntheit eines appellierten Individuums prototypisch männlich verstanden wird, wird hier auf der Grundlage eines kognitiv-linguistischen Modells erklärt, wobei die Notwendigkeit der Integration einer pragmatischen Perspektive, die die situative und kulturell gebundene Bedeutungsaushandlung betont, zentral gesetzt wird.
2.6 Ein konstruktivistisches Modell zur Untersuchung von Genderspezifizierung personaler Appellation There are three terms in the relation: language, thought, and culture. Each of these are global cover terms, not notions of any precision. When one tries to make anything definite out of the idea of linguistic relativity, one inevitably has to focus on particular aspects of each of these terms in the relation. Gumperz und Levinson 1996: 2
Die vorliegende Arbeit basiert auf einem konstruktivistischen Ansatz. Dies macht sie als eine Diskursanalyse im Foucaultschen Sinne lesbar, bei der unterschiedliche Diskurse zu der Frage der Genderspezifizierung personaler Appellation analysiert und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Dies wird im folgenden ausgeführt, um das zuvor formulierte konstruktivistische Modell personaler Appellation inhaltlich zu füllen. Diskurs wird nicht als Abbild gesellschaftlicher Prozesse verstanden, sondern als eigenständige zentrale Einheit sozialer Praxis, in der das Denken und die Wahrnehmung von Individuen zum Ausdruck kommt und gleichzeitig beeinflusst und gesteuert wird. Nach Foucault (1990, 1997) ist Diskurs weder ein transparentes noch ein neutrales Element. Diskurs ist
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht deren man sich zu bemächtigen sucht. Diskurse werden in einer Gesellschaft zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert. Durch diskursive Ausschließungen werden Grenzziehungen und Verwerfungen vorgenommen und das Zusammenspiel von Macht und Begehren reguliert. Die drei großen, den Diskurs betreffenden, äußeren Ausschließungssysteme sind bei Foucault das verbotene Wort, die Ausgrenzung des Wahnsinns und der Wille zur Wahrheit als historisch veränderbares, institutionell zwingendes System, welches u.a. durch Bildung(spolitik) realisiert wird. Interne Prozeduren, mit denen die Diskurse ihre eigene Kontrolle ausüben, sind nach Foucault Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien. Dadurch werden andere Dimensionen des Diskurses, wie die des Ereignisses und des Zufalls, gebändigt. Kommentare bannen nach Foucault den Zufall des Diskurses; sie stehen in dem Paradoxon, zum ersten Mal das zu sagen, was im angenommenen ‚Primärtext‘ schon gesagt worden ist und müssen somit unablässig das wiederholen, was eigentlich niemals gesagt worden ist und nähren so den Mythos eines Ursprungs. Nach Foucault geht es in den meisten Philosophien um die Eliminierung der Realität des Diskurses. Dadurch sind die Spuren des Einbruchs des Diskurses in das Denken und in die Sprache verwischt worden und werden dies immer wieder, was in der vorliegenden Arbeit für das Phänomen der sprachlichen Genderspezifizierung auf verschiedenen diskursiven Ebenen überprüft wird. Zur Eliminierung der Realität des Diskurses nimmt Foucault verschiedene Methoden an: Die Vorstellung des begründenden Subjekts erlaubt es, die Realität des Diskurses zu übergehen. Die Idee der ursprünglichen Erfahrung macht es möglich, von und über die Welt zu sprechen, sie zu bezeichnen und zu benennen, sie zu beurteilen und schließlich in der Form der Wahrheit zu erkennen. Der Diskurs verliert seine Realität, indem er sich der Ordnung des Signifikanten, dem Prinzip universeller Vermittlung, unterwirft. Diese Aspekte spielen bei der Konstituierung einer Normierung, Konventionalisierung und Autorisierung von personaler Appellation sowie der Manifestation von Benennungsmacht durch personale Appellationsformen in Bezug auf Gender eine wichtige Rolle und sind gleichzeitig untrennbar miteinander verbunden. Die Vorstellung des begründenden Subjekts ist in dem vorliegenden Kapitel zunächst aus konstruktivistischer Perspektive hinterfragt und schließlich verworfen und durch eine Vorstellung des Subjekts sowohl als Ort der Herstellung personaler Appellation als auch durch die Möglichkeiten und Realisierungen dieser Appellation konstituiert ersetzt worden. Personale Appellation ist der Schnittpunkt
2.6 Ein konstruktivistisches Modell zur Untersuchung von Genderspezifizierung
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zwischen der Handlungsfähigkeit des Subjekts und seiner Konstitution durch ebendiese Appellation, ohne dass eine dieser Ebenen als vorgängig gegenüber der anderen besteht und analytisch angesehen werden kann. Ausgehend von einer konstruktivistischen Sprachsicht wird Sprache eine Abbildfunktion ab- und eine ReProduktionsfunktion von Wirklichkeit zugesprochen. Personale Appellationsformen als Benennungen von Personen auf der Basis unterschiedlicher Formen der Kategorisierung sind in diesem Zusammenhang ein wichtiges Untersuchungsfeld, an dem Konzeptualisierungen untersucht werden können. „Zwischen Gebrauch und Interpretation nicht zu unterscheiden, heißt jedoch nicht, auf eine kritische Wertung diskursiver Gestaltungen (und demnach mancher Interpretationen) zu verzichten; z.B. Gestaltungen, die „Normales“ von „Abweichendem“ abgrenzen, die dem Weiblichen gegenüber dem Männlichen, dem Schwarzen gegenüber dem Weißen, der Homosexualität gegenüber der Heterosexualität eine gewisse Bedeutung einräumen. Denn jeder dieser Gegensätze ist ja nicht fest und unwandelbar, sondern das Ergebnis historischer wie kultureller Konstruktionen, das Resultat von Darstellungen und diskursiven Gestaltungen, die zuweilen in scharfem Kontrast zueinander stehen. Eine der Aufgaben der Analyse ist es daher gerade, solche Dichotomien zu dekonstruieren und dabei deren diskursive und semiotische Natur zu zeigen. Mit anderen Worten wird der Text von dem Kontext, der ihn jeweils deuten kann, unablösbar; zudem sind Bestimmung und Auswahl eines Kontextes nie neutrale, harmlose, durchschaubare oder selbstlose Handlungen. Im Gegenteil sind sie interpretative Akte, die eine „politische“ Dimension enthalten. Jeder Kontext impliziert demnach eine Auswahl von Werten, Rollen und Themen, die die betroffenen Subjekte, und somit den Mechanismus des Bedeutens selbst, zusätzlich determinieren.“ (Volli 2002: 349)
Gender bildet in der vorliegenden Untersuchung den Ausgangspunkt der Betrachtung, eine Annahme sprachlicher Vorgängigkeit von Gender besteht nicht, wie im ersten Kapitel ausgeführt wurde. Stattdessen wird gefragt, wie Gender in sprachlichen Benennungen hergestellt wird. Die verschiedenen analytischen Ebenen zu einer Bearbeitung dieser Fragestellung sind in den vorangegangenen Unterkapiteln ausgeführt worden. Es wird nicht von einer monolithischen und diskursübergreifenden Genderkonstruktion in personaler Appellation ausgegangen. Vielmehr sind verschiedene Diskurse zur Frage der Rolle und Bedeutung personaler Appellationsformen mit Hinblick auf Gender von Relevanz und liefern nicht unbedingt ein einheitliches Bild. Gerade die Brüche, Parallelen, Übereinstimmungen und Reibungen zwischen unterschiedlichen Diskursen sind im Rahmen einer Diskursanalyse ebenso wie die wechselseitige Bedingtheit und Abhängigkeit der verschiedenen Auffassungen zu untersuchen. So soll die Rolle und Relevanz eines linguistischen Fachdiskurses zum Thema genderspezifizierender und genderunspezifizierender perso-
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
naler Appellation mit verschiedenen Ebenen des Alltagsdiskurses mit Hinblick auf Gender und personalen Appellationsformen gegen gelesen werden. Dadurch wird untersucht, welche Autorität verschiedene Diskurse besitzen, wie sie legitimiert sind, welche Annahmen sie präsupponieren und welche Rolle sie im Diskursfeld zu Gender und Genderordnung in der Gesellschaft einnehmen.97 Leitende Fragestellung einer Diskursanalyse personaler Appellation unter dem Aspekt Gender im heutigen Schwedisch ist, inwiefern ein bestimmter Diskurs Bedeutungen herstellt, aushandelt und (re)produziert und in welchen wechselseitigen Bezügen diese Bedeutungsaushandlungen zu denen in anderen (sprachlichen) Manifestationen stehen. Dies wird in die folgenden Forschungsfragen umgesetzt: x Inwiefern werden in manchen Diskursen Konzepte anderer Diskurse übernommen? x Wo finden sich Parallelen, wo Unterschiede und Modifikationen? x Welche Diskurse werden als Legitimationsquellen für bestimmte Auffassungen zitiert, wo werden diskursive Verbindungen hergestellt, wo finden Auslassungen statt? Diskursteile, wie beispielsweise einzelne Texte, werden im Sinne einer Beachtung von interdiskursiven und intertextuellen Bezügen miteinander gegen gelesen, Implikationen und Präsuppositionen herausgearbeitet und diese im Rahmen einer Analyse, die Diskurse und ihre einzelnen Bestandteile als zugleich sozial und historisch konstituiert und konstruiert, untersucht. Entsprechende Analysen sind nie abgeschlossen, sondern immer für eine Bezugnahme auf neue Kontexte, Kontextualisierungen und Themenstellungen offen.98
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98
Diese Frage wird in Hornscheidt (2006b) für die linguistische Verortung und thematische Ausdifferenzierung personaler Appellation gestellt. Es zeigt sich dort, dass den meisten Forschungsansätzen ein strukturalistisches Sprachverständnis zu Grunde liegt, welches sich u.a. in der Begrifflichkeit Personenreferenzformen realisiert. Dieses Diskursanalyseverständnis findet sich so auch bei Mills (1997) und Winther Jørgensen und Phillips (2000), auf die ich mich hier beziehe. Auch die Kritische Diskursanalyse (beispielsweise nach Fairclough 2003) versteht sich nicht als eine in sich geschlossene Methode, sondern bietet einen Rahmen, um je nach Erkenntnisinteresse verschiedene Diskurse und Methoden zu ihrer Analyse zusammenzubringen.
2.7 Ausblick
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2.7 Ausblick Im folgenden wird die Umsetzung des konstruktivistischen Ansatzes personaler Appellation unter dem Aspekt Gender für die nachfolgende empirische Überprüfung zum heutigen Schwedisch erläutert. Im nachfolgenden dritten Kapitel wird eine Übersicht über die Möglichkeiten personaler Appellation im Schwedischen gegeben, die nach dem Aspekt der konventionalisierten Genderspezifizierung sortiert sind. Ausgangspunkt dieser Darstellung sind einzelne Formen, die konventionalisiert personal appellierende Funktion besitzen. Leitende Fragestellungen sind: x Wie wird Gender sprachlich zum Ausdruck gebracht? Inwiefern werden Mittel der Lexikalisierung und Grammatikalisierung zur Genderspezifizierung ausgenutzt? x Inwiefern erfolgt eine symmetrische Genderspezifizierung mit symmetrischer sprachlicher Formalisierung? x Wann und wo erfolgt eine Kategorisierung nach Gender und durch welche sprachlichen Mittel? Im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen wird in dieser Studie nicht von einer eindeutigen Genderreferenz ausgegangen, sondern es werden personale Appellationsformen als eine Möglichkeit des interaktiven Aufrufens für Genderkonzeptualisierungen angesehen. Der Darstellung im dritten Kapitel liegt ein konventionalisiertes Verständnis genderspezifizierender personaler Appellation zu Grunde, welches sich vor allem auf die Tradierung personaler Appellation durch einsprachige Wörterbücher stützt. Darüber hinaus wird die in der Forschung gemeinhin angenommene Vorrangigkeit von Genus für die Frage der Genderspezifizierung relativiert, indem der Ausgangspunkt der Betrachtung konventionalisierte Genderspezifizierung ist. Weiterhin wird die Priorität substantivischer personaler Appellation in Frage gestellt, indem Pronomina eine eigene Wertigkeit in der Frage der genderspezifizierenden personalen Appellation zugesprochen werden, womit von bisherigen linguistischen Darstellungen abgewichen wird. Ein Aspekt, der in bisherigen Untersuchungen nicht berücksichtigt wurde, aber aus konstruktivistischer Perspektive und als Teil des in diesem Kapitel entwickelten konstruktivistischen Modells personaler Appellation von Relevanz ist, ist die Frage, was als Gender in konventionalisierter genderspezifizierender personaler Appellation hergestellt wird. Dadurch soll zugleich ein Beitrag zu der Frage geleistet werden, was im Schwedischen als Gender konzeptualisiert ist und welche Ausschlüsse und impliziten Normsetzungen durch eine konventionalisierte
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
Genderspezifizierung personaler Appellation realisiert werden. Personale Appellationspraktiken stellen über das Explizitmachen bestimmter Kategorisierungen einen sozialen Zugang zu einer Person her. Bezogen auf Genderappellation muss Gender als klassifizierende Kategorie in der Benennung hergestellt und wiedererkennbar gemacht sein. Zu diesem Zweck bedient sich Appellation Stereotypisierungen. Stereotypen vereinfachen eine Heterogenität und Variabilität von unterschiedlichen Konzeptualisierungen zugunsten einer Homogenität und in der Regel dichotom angelegten Gruppenbildung, in der zudem eine Seite als Normalität und Ausgangspunkt gesetzt wird. Stereotypisierung macht Gruppenbildungen in Wahrnehmungen erst möglich. Stereotypen basieren gemeinhin auch auf der Annahme, dass die Verhaltensweisen, das Aussehen und die Charakteristika, die in ihnen zum Ausdruck kommen, natürlich seien. Dadurch wirken sie umso machtvoller. Die Konstruiertheit ihrer Herstellung wird naturalisiert und nur schwer dekonstruierbar gemacht. Genderdifferenzierungen in personaler Appellation werden über Stereotypisierungen hergestellt, die vor allem von Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit getragen werden. Die durch stereotype Weiblichkeitsvorstellungen geschaffenen Bilder funktionieren vor allem präskriptiv. Die zahlreichen Wahrnehmungen von Frauen, die konventionalisierten Weiblichkeitsvorstellungen widersprechen, werden nicht als Belege der Unhaltbarkeit einer natürlichen Weiblichkeitsthese angesehen, sondern als Ausnahmen von einer Regel, die durch die postulierte Unweiblichkeit der entsprechenden Personen wiederum abwertend und ausschließend benannt wird.99 Im vierten Kapitel wird die Frage der strategischen und gesteuerten Sprachveränderung aus einer konstruktivistischen Perspektive betrachtet. Die Analyse gibt Einblick in die alltagspraktische Konzeptualisierung von Sprache, Sprachveränderung und Gendervorstellungen und kann zu linguistischen Fachdiskussionen in Bezug gesetzt werden, um zu sehen, inwiefern diese beiden Diskurse Parallelen und Unterschiede aufweisen und sich gegenseitig bedingen. Diese Analyse wird auf dem Hintergrund einer Herausarbeitung von Argumentationsstrategien für und wider strategische Sprachveränderungen durchgeführt. Hierbei wird gezeigt, welche Vorstellungen zu Sprache und Gender den jeweiligen Strategien zu Grunde liegen wie auch, welche Vorstellungen zu Sprachveränderungen in den unterschiedlichen Argumentationen impliziert sind und welche Annahmen zu Gender sich damit reproduzieren.
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Vgl. Hoagland (1986).
2.7 Ausblick
131
Im fünften Kapitel wird auf das vierte Kapitel aufbauend analysiert, inwiefern in der Öffentlichkeit angedachte, realisierte und versuchte Sprachveränderungen in Relation zu (vor)herrschenden feministischen Auffassungen und damit verbundenen Genderbildern gelesen werden können. Dazu wird ein Überblick über öffentlich vertretene Auffassungen zu Gender seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in Schweden gegeben und diese mit personalen Appellationspraktiken und Sprachveränderungen innerhalb der letzten 15 Jahre gegengelesen. Eine Analyse feministischer Ansätze und Strömungen in diesem Zeitraum nimmt dabei einen großen Stellenwert ein. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass öffentlich diskutierte feministische Ansätze einen entscheidenden Einfluss auf Sprachveränderungsprozesse und –strategien haben. Durch diese Analyse wird die potentielle wechselseitige Bedingtheit der Diskussion um feministische Vorstellungen und Sprachveränderungsstrategien untersucht. Dieses wie auch das vierte Kapitel können zudem zum dritten Kapitel ins Verhältnis gesetzt werden, um festzustellen, in welchen Bereichen und für welche sprachlichen Formen Sprachveränderungsstrategien angedacht worden sind und in welchen nicht. Die bis zum fünften Kapitel festgestellten diskursiven Verhandlungen personaler Appellation in Bezug auf Gender im Schwedischen werden im sechsten Kapitel in den Kontext einer Analyse der Produktion entsprechender Formen in unterschiedlichen Medien und Settings gesetzt. Dadurch wird die Frage der Realisierung bestimmter personaler Appellationspraktiken nach unterschiedlichen Settings und Genres ausdifferenziert. Während im dritten Kapitel der Frage nachgegangen wird, welche sprachlichen Möglichkeiten sich im heutigen Schwedisch für eine konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation finden lassen und dies im vierten und fünften Kapitel vor dem Hintergrund feministischer Kritik dahingehend erörtert wurde, ob und wie diese sich in Forderungen nach veränderten Appellationspraktiken niederschlagen, kann durch die Analyse im sechsten Kapitel gezeigt werden, in welchen Bereichen und für welche Settings und Genres sich konventionalisiert genderspezifizierende Appellation feststellen lassen sowie welche dieser Formen wiederum Teile weiterer verbalisierter Konzeptualisierungen sind, die ihrerseits Rückschlüsse auf die Konzeptualisierung auch der jeweiligen personalen Appellation ermöglichen. Es zeigt sich, dass ein konstruktivistischer Ansatz zur Analyse personaler Appellation von Gender eine Analyse auf unterschiedlichen Diskursebenen und in unterschiedlichen Diskursen verlangt, um ein differenziertes Bild des Themas geben zu können. An vielen Stellen wird zudem
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2. Ein konstruktivistisches pragmatisches Modell personaler Appellation
die Interdependenz der hier analytisch getrennten Ebenen deutlich, wodurch ein komplexeres Verständnis des Phänomens personaler Appellation und seiner Relevanz für die Konstruktion von Gender möglich wird. Auf dieser Grundlage kann eine strukturalistisch verortete Analyse von Personenreferenzformen und Gender hinsichtlich ihrer impliziten Beschränkungen kritisiert werden.
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen im Schwedischen Far from treating the sexes equally, our language is biased in at least three ways: It affords many more positive terms for male than for female, tends to designate human beings as male, and reflects gender stereotyping in usage. Henley 1989: 61 [...] the best approach is through an exotic language, for in its study we are at long last pushed willy-nilly out of our ruts. Then we find that the exotic language is a mirror held up to our own. Whorf 1956: 138 In a sense, we de-automatize our own language categories by contrasting them with those of other languages. Lucy 1992a: 37
3.1 Einleitung Der nachfolgende systematische Überblick über die personalen Appellationsformen im heutigen Schwedisch unter dem Aspekt der Genderspezifizierung ist zentraler Bestandteil einer Analyse der symbolischen Ordnung in einer Gesellschaft bezogen auf die Konzeptualisierung von Gender.1 Hier gilt es zu untersuchen, was in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als das Sprechbare gilt.2 Das vorliegende Kapitel ist ein Baustein in der Analyse epistemologischer Macht, was als sicht- und benennbar in einer Gesellschaft in Bezug auf die Herstellung
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2
Unberücksichtigt bleibt in der vorliegenden Studie hier wie auch in den weiteren Kapiteln die Analyse von Eigennamen unter diesem Aspekt. Vgl. hierzu Brylla (1998), Entzenberg (2001). Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Analyse von Eigennamen eine sinnvolle Ergänzung darstellen würde. Vgl. Bourdieu (1991), Butler (1997a); vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 2.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
von Gender gesetzt und wie stark eine Genderspezifizierung konventionalisiert wird. Die Darstellung bezieht sich auf die zu Beginn der Arbeit ausformulierte These, dass sprachliche Kategorisierungen Gliederungen und Klassifikationen sind, mit denen sich bestimmte Kategorisierungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft als natürlich und sprachlich vorgängig herstellen. Dies ist nicht mit einem potentiellen Bewusstsein der Sprachbenutzenden über diese Kategorisierungsleistungen gleich zu setzen, sie werden jedoch durch diese kontinuierlich reproduziert, verfestigt oder verschoben. Es wird die Frage gestellt, welche Ordnung auf Gender bezogen sprachlich erzeugt wird und welche sprachlichen Normvorstellungen für das heutige Schwedisch damit einhergehen. Die Analyse dieses Kapitels stützt sich dazu auf grammatische Darstellungen des Wortfeldes personaler Appellation sowie auf die Lexikalisierungen, die vor allem in einsprachigen Wörterbüchern und Lexika des Schwedischen zu finden sind.3 Die Darstellung erfolgt nach anderen Prämissen und Fragestellungen als dies in Wörterbüchern der Fall ist. Es geht hier nicht primär um eine Analyse der Bedeutungsumschreibungen einzelner Lemmataeinträge, sondern vielmehr um eine Analyse der Kategorisierung personaler Appellation im heutigen Schwedisch, wie sie durch Lexikalisierungen und Grammatikalisierungen einer Genderspezifizierung in stark normativen und autorisierenden Medien wie einsprachigen Wörterbüchern erfolgt. Dadurch wird die Relevanz der Kategorie Gender in der Konzeptualisierung personaler Appellation im Schwedischen sowie die Kombination dieser mit anderen Faktoren zur Spezifizierung personaler Appellation herausgestellt, um zu Aussagen personaler Konzeptualisierung und dem Grad ihrer Konventionalisierung zu kommen. Diese Analyse ist nicht unabhängig von Aspekten sozialer Macht, die mit darüber bestimmen, was in die Benennungspraktiken einer Gesellschaft Eingang findet, und die sich gleichzeitig auch durch die konventionalisierten Benennungspraktiken selbst wieder reproduziert. Das vorliegende Kapitel ist auf die Frage fokussiert, welche symbolische Ordnung heute in der Art, wie sprachlich auf Personen appelliert
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Die folgenden einsprachigen Wörterbücher werden in diesem Kapitel herangezogen und jeweils durch die in Klammern stehenden Abkürzungen im Text wiedergegeben: Svenska Akademiens Ordbok (SAOB), Bonniers synonym ordbok 1991 (Bonniers 1991), Finlandsvenskordbok (2000) (Finl 2000), Från rondell till gräddfil. Nya ord i svenskan från 40-tal till 80-tal (1988) (NYO (1988)), Nationalencyklopediens Ordbok ((1995)/6) (NEO ((1995)/6)), Norstedts Ord för Ord 1992 (NOFO 1992), Norstedts Plus Ordbok + Uppslagsbok (1997) (NPLUS (1997)), Norstedts Svenska Ordbok (1990) (NSO 1990), Nyordsboken (2000) (NYO 2000), Svensk baklängesordbok (1981) (Bak 1981), Svensk Ordbok (1986) (SO 1986), Walter, Göran 2002 Ord och motsatsord. Svensk antonymordbok. Vidgar och utmanar ditt ordförråd. (Walter 2002).
3.1 Einleitung
135
wird, zum Ausdruck kommt und welche Rolle und welchen Status Gender dabei einnimmt. In diesem Kapitel wird somit eine Perspektive zum Ausgangspunkt genommen, in der Sprache sowohl als strategisches Instrument symbolischer Herrschaft und symbolischer Konstruktion als auch als Ausdruck von Konzeptualisierungen, die durch eine Analyse personaler Appellation offen gelegt werden können, begriffen wird. Die Möglichkeiten personaler Appellation im heutigen Schwedisch in Bezug auf Genderspezifizierung und Genderunspezifizierung wird somit nicht als eine ‚neutrale‘ und ‚sprachsystematische‘ Darstellung verstanden, sondern als eine Analyse der momentanen konventionalisierten und standardisierten Kategorisierungen personaler Appellationen, die im heutigen Schwedisch möglich sind. Diese werden als machtpolitisch bedeutsam angesehen und bilden die Schnittstelle zwischen sozialer Macht und individueller Konzeptualisierung. „Für die Kategorien, die der Klassifizierung von Personen aufgrund askriptiver, statuskonstituierender Merkmale dienen, gilt ebenso wie für alle anderen Kategorien, daß sie dem Individuum sprachlich vermittelt werden und ihm deshalb nicht als gesellschaftliche Übereinkunft erscheinen, sondern als „natürlich“ und „unveränderlich“.“ (Frank 1992: 123)
In diesem Sinne werden die Bedeutungszuschreibungen zu appellativen Praktiken, die in diesem Kapitel angenommen und reproduziert werden, als Konventionalisierungen verstanden, die auf gesellschaftlichen Übereinkünften beruhen und mit denen prototypische Vorstellungen von Gender reproduziert werden. Diese Bedeutungsbestimmungen lehnen sich an die des späten Wittgensteins (1979) in der Interpretation nach Kripke (1982) an.4 Wie Putnam (1979) ausgeführt hat5, basieren diese Bedeutungszuschreibungen zugleich auf Stereotypen, die kontrafaktisch sein können. „Daß ein Merkmal (z.B. das Gestreiftsein) in dem mit einem Wort X verknüpften Stereotyp enthalten ist, heißt nicht, daß es eine analytische Wahrheit wäre, daß alle Xs oder auch nur die meisten Xs oder auch nur alle normalen Xs oder auch nur überhaupt irgendwelche Xs diese Merkmale aufweisen. Dreibeinige oder albinotische Tiger sind keine logisch unmöglichen Entitäten. Die Entdeckung, daß unser Stereotyp sich auf nicht normale oder nicht repräsentantive Elemente einer natürlichen Art berufen hat, ist nicht die Entdeckung eines logischen Widerspruchs. Verlören Tiger ihre Streifen, so verlören sie damit nicht ihre Tigerheit, und Schmetterlinge ohne Flügel wären immer noch Schmetterlinge.“ (Putnam 1979: 68)
Damit ergibt sich eine Konzeptualisierung von Wortbedeutung als
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Vgl. Rosch (1978), Lakoff (1987). Vgl. Kapitel 2.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
„[...] dasjenige Wissen, das den je einzelnen Sprechern einer Sprache über die jeweiligen Bezeichnungsgegenstände notwendigerweise zur Verfügung stehen muß [und welches] in Form von Stereotypen organisiert und repräsentiert ist.“ (Harras 1991: 28)
Dies führt in der Folge in mehrfacher Hinsicht zu einer Kategorisierung von genderspezifizierend und genderunspezifizierend als sich nicht ausschließenden Kategorien: Zum einen bezieht sich eine so hier vorgenommene Kategorisierung auf den konventionalisierten Gebrauch der entsprechenden Appellationsformen, zum anderen impliziert das die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen beiden Gruppen. „According to this, the noun feminist may be among the questionable cases as regards its classification with regard to sex/gender. Conceptually, female is one of the “characteristic features“ of feminist (or of a feminist in a “simplified world“). A male invidual would lack this feature, yet he would not be excluded per se. Location in categorial space would depend on the number/weight of other characteristic attributes.“ (Kremer 1997: 59)
Was Kremer hier für die personale Appellationsform feminist im Englischen darstellt, wird aus der hier vertretenen konstruktivistischen Erkenntnissicht auf jegliche personale Appellation bezogen. Dies bedeutet in Anlehnung der Entwicklung einer entsprechenden Begrifflichkeit im zweiten Kapitel, dass die Kategorisierung von personalen Appellationsformen als genderspezifizierend lediglich eine Aussage über ihre konventionalisierte Verwendung und Wahrnehmung ist. In manchen Fällen gehört die Genderspezifizierung so grundlegend zum Wissensvorrat und zu den standardisierten Konzeptualisierungen einer Gesellschaft, dass sie lexikalisiert oder grammatikalisiert worden ist. Dies deutet auf der Grundlage des hier entwickelten Analysemodells darauf hin, dass diese besonders stark konventionalisiert sind. Als Belegquellen für die solchermaßen festgestellten lexikalisierten und stark konventionalisierten Genderspezifizierungen im heutigen Schwedisch sind einsprachige Wörterbücher herangezogen worden. Für die in einem weiteren Sinne grammatikalisierten Genderspezifizierungen, also auch Derivationen, wurden Grammatiken und Wörterbücher verwendet. Bei diesen Formen handelt es sich zugleich um eine schwierige Grenzziehung zwischen Mitteln der Lexikalisierung und der Grammatikalisierung, sofern einige von ihnen in Wörterbüchern zu finden und damit im standardisierten schwedischen Sprachgebrauch lexikalisiert sind, andere jedoch nicht. In Bezug auf Lexikalisierungen und Grammatikalisierungen zeigen sich Genderasymmetrien, auf die später noch genauer eingegangen wird. Formal-semantische Kennzeichnungen von Genderspezifizierung sind Mittel derselben, nicht ihr Ausdruck. Die Wahl der
3.1 Einleitung
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Mittel wird in Abhängigkeit vom Grad ihrer Konventionalisierung interpretiert. In der nachfolgenden Darstellung werden darüber hinaus zwei Aspekte eine besondere Rolle spielen und bisherige Darstellungen zum Thema modifizieren: Zum einen soll der Blick bei der Betrachtung von Genderspezifizierung personaler Appellationsformen von der Zentralität der Betrachtung von Genus auf die Frage der gegenderten Appellation gelenkt werden. Ausgangspunkt der nachfolgenden Kategorisierung ist die Frage der Realisierung einer Genderspezifizierung. Die Darstellung ist von der Frage geleitet, wie eine Genderspezifizierung zum Ausdruck gebracht wird, d.h. welche sprachlichen Mittel dazu benutzt werden. Dazu werden zunächst Mittel der Lexikalisierung und Grammatikalisierung unterschieden. Zu den Mitteln der Lexikalisierung gehört die Klassifikation von genderspezifizierenden Appellationsformen in konventionalisiert gegenderten Oppositionspaaren, bei denen die Genderappellation implizit aus dem sprachlichen Wissen um ebendiese Oppositionspaare abgeleitet werden kann. Unter Lexikalisierung verstehe ich die Inventarisierung eines sprachlichen Ausdrucks als Lexikoneintrag.6 Als Grundlage der Überprüfung vorgenommener Lexikoneinträge dienen mir einsprachige Wörterbücher. Als lexikalisierte Formen sind Lexikoneinträge in einsprachigen Wörterbüchern mit einem eigenen Eintrag als Lemmata verzeichnet. Die jeweiligen Formen sind nicht über Suffigierungen oder andere Formen der Grammatikalisierung aus einem gemeinsamen Stamm erklärt oder erklärbar, sondern bilden eigenständige lexikalisierte Einheiten, sie werden als solche verstanden, und es wird so auf sie zugegriffen. Damit wird der starken Tradierung der Genderspezifizierung dieser Formen einerseits Ausdruck verliehen und andererseits werden die Formen weiterhin als natürlich verfestigt. In den meisten Sprachen zählen die genderspezifizierenden Verwandtschaftsbezeichnungen zu dieser Gruppe. Grammatikalisierung ist demgegenüber in dem hier verwendeten Sinne, wie in Kapitel 2.5 dargestellt, ein Phänomen der Verstetigung bestimmter sprachlicher Gebrauchsweisen, die so den Charakter einer grammatischen Regelhaftigkeit bekommen können. Zu den grammatikali-
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Bei Jobin (2004) beispielsweise wird dies als „lexemische Form“ sprachlicher Genderspezifizierung bezeichnet. Der hier verwendete Begriff von Lexikalisierung ist weiter als er in strukturalistischen Ansätzen zu finden ist, die die Nicht-Rekurrierbarkeit einer sprachlichen Einheit auf grammatische Regeln betonen. Mit dem hier vertretenen pragmatischen Ansatz wird in der gewählten Definition von Lexikalisierung hingegen die Dimension der konventionalisierten Wahrnehmung einer sprachlichen Form als eigenständig fokussiert.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
sierten Formen gehören Möglichkeiten der Wortbildung, wie beispielsweise konventionalisiert prototypisch genderspezifizierende Suffigierungen, wie sie zum Beispiel durch die Suffixe –erska und –are im heutigen Schwedisch realisiert werden. In der Regel finden sich in einsprachigen Wörterbüchern hier nicht zwei Einträge, so dass bei der jeweils eingetragenen Form diese auch als lexikalisiert bezeichnet werden könnte. Die schwierige Grenzziehung zwischen Lexikalisierung und Grammatikalisierung gemäß den hier gewählten Definitionen in dem untersuchten Bereich wird deutlich. Kompositabildungen mit lexikalisierten genderspezifizierenden Formen nehmen ebenfalls eine Zwischenstellung ein, sofern sie nicht in Wörterbüchern aufgenommen sind, und zeigen gleichzeitig die Produktivität der entsprechenden Formen für genderspezifizierende personale Appellation. Es handelt sich um eine Darstellung der konventionalisierten und standardisierten Appellationspraktiken, die keinen Ausschlusscharakter haben, sondern in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet werden können.7 Mit dieser Klassifizierung unterschiedlicher Mittel werden die in Kapitel 2 angesprochenen Aspekte der Herstellung von Kategorisierung wieder aufgenommen und auf die konkrete Untersuchung umgesetzt. Eine Kombination von mit Hilfe der entsprechenden sprachlichen Mitteln hergestellten Genderspezifizierungen kann zu konventionalisiert prototypischen Vorstellungen und stereotypen Wahrnehmungen führen und zeigt sich beispielsweise in einer Analyse der mit bestimmten personalen Appellationsformen verbundenen ICMs. Damit bleibt die hier vorgenommene Darstellung für eine Annahme offen, dass kontextuelle Kriterien jeweils dafür bestimmend sein können, wie die Appellation durch eine Form aufgefasst wird. Dazu sind Textsorten- und –genrekonventionen ebenso zu rechnen wie Appellationsklärung und –vereindeutigung durch eine Reihe sprachlicher und nichtsprachlicher Faktoren. Ausgehend von einem pragmatischen Ansatz ist es für eine Darstellung der Genderspezifizierung und -unspezifizierung personaler Appellation ein zentraler Punkt, dass soziale stereotype Erwartungen und prototypische Vorstellungen in Form von ICMs mit in Betracht gezogen werden. Ein anderer Punkt ist, dass diese Darstellung dynamisch ist und die jeweiligen sozialen Genderstereotypen als eine wichtige Frage in die Analyse miteinfließen lässt. Dies bedeutet konkret, dass in einer Darstellung der Konzeptualisierung von Gender in auf Personen appellierenden Sprechhandlungen im heutigen Schwedisch auch die Frage beantwortet
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7 Vgl. Hornscheidt (2006b).
3.1 Einleitung
139
werden kann, welche sozialen Genderstereotypen zu finden sind, und auf welchen Faktoren und Charakteristika diese basieren. Die Darstellung muss als eine dynamische verstanden werden, die nicht mehr sein kann als eine zeitlich gebundene Analyse, die darüber hinaus keine Autorität und Gültigkeit besitzt. Dies entspricht insofern einer pragmatischen Perspektive, als dass nicht die Idee eines dem Sprachgebrauch vorgängigen Sprachsystems reproduziert wird, welches in seinem Status durch entsprechende Darstellungen weiter verfestigt wird, sondern verschiedene, auch formale sprachliche Mittel als in den sozialen Kontext eingebettet verstanden und in ihrer Flexibilität und potentiellen Dynamik betrachtet werden. Die konstruktivistische Grundhaltung der vorliegenden Studie kommt dadurch zum Ausdruck, dass nicht von der Vorgängigkeit von Gender ausgegangen wird, sondern die Analyse dieses Kapitels Einblick in die Herstellung von Gender und Genderdifferenz durch konventionalisierte personale Appellation geben soll. Wichtig ist nicht wie Genderspezifizierung sprachlich realisiert wird, sondern wie sie durch sprachliche Benennungspraktiken hergestellt wird. Darüber hinaus soll auch in diesem Kapitel die besondere Stellung pronominaler Appellationspraktiken für die Frage der sprachlichen Genderspezifizierung betont werden. Pronomina, insbesondere Personalpronomina, werden nicht als nachgeordnete, kongruierende Elemente zu Substantiven aufgefasst, sondern als eigenständige Größen verstanden.8 Für die Darstellung der konventionalisierten personalen Appellation in Bezug auf Gender im heutigen Schwedisch wird eine neue Form der Systematisierung gewählt. Diese geht von dem Aspekt Gender aus, welcher zunächst in sprachliche Mittel unterteilt wird, die konventionalisiert und/oder standardisiert zu einer potentiell genderspezifizierenden und solche, die konventionalisiert und/oder standardisiert nicht zu einer potentiell genderspezifizierenden personalen Appellation führen müssen. Innerhalb dieser beiden Gruppen wird zwischen den traditionellen Wortklassen (hier konkret: Substantive, Pronomina, Adjektive) weiter differenziert. Die Unterteilung spielt insofern eine Rolle, dass im Rahmen eines kognitiv-linguistischen Ansatzes diesen verschiedene Formen der Konzeptualisierung in Bezug auf personale Appellation zugeschrieben werden. Die Realisierung einer Genderspezifizierung personaler Appellation in Substantiven, Pronomina und Adjektiven ist auch konzeptuell unterschiedlich, wobei hier eine Linie zwischen Substantiven und Pronomina
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Bisherige Darstellungen von personalen Appellationsformen, aber auch von Genussystematiken sind jeweils von Substantiven als bestimmende Elemente ausgegangen.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
auf der einen und Adjektiven auf der anderen Seite gezogen wird. Während Substantive und Pronomina als Wortformen Subjekte konzeptualisieren, wodurch die in den Formen zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen diesen in der Konzeptualisierung zentral zugeschrieben werden, ist ein Adjektiv prädikativ oder attributiv bei personaler Appellation immer nur in Abhängigkeit von einem Substantiv oder Pronomen anwendbar, so dass es den Status einer zusätzlichen Zuschreibung einer Eigenschaft oder eines Charakteristikums ausdrückt. Die Konzeptualisierung von Genderspezifizierung besitzt eine andere Qualität, wenn diese durch ein Adjektiv als wenn sie durch ein Substantiv oder Pronomen ausgedrückt wird. Adjektive auf der anderen Seite können die zugeschriebenen Charakteristika und Eigenschaften einer Genderspezifizierung auf andere Konzeptualisierungen jenseits von Personen übertragen, wenn sie im Zusammenhang mit der Benennung von Objekten oder Institutionen Anwendung finden. Sie spielen für die Frage der metaphorischen und übertragenen Genderkonzeptualisierung eine besondere Rolle.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation im heutigen Schwedisch En pejorisering av betydelsen av ord för kvinnor märks också i svenska språket, inte minst bland skällsorden.9 Svahn 1999: 165
Die Idee einer genderspezifizierenden Appellation impliziert die theoretische Wahlmöglichkeit zwischen zwei Formen, die jeweils die angenommene Genderidentität der verbal appellierten Person zeigt. Neben der Genderidentität können gleichzeitig mit dieser auch andere Charakteristika oder Faktoren zum Ausdruck gebracht werden. Gleichzeitig wird bei Annahme einer Form als konventionalisiert genderspezifizierend durch diese die Genderspezifizierung auch erst hergestellt. Handelt es sich bei diesen Charakteristika oder Faktoren um solche, die ihrerseits wiederum als genderexklusiv aufgefasst werden, so kann es sein, dass sie singulär sind (beispielsweise im Deutschen Wöchnerin, Samenspender). Ist hingegen das Charakteristikum der angenommenen Genderidentität zentral gesetzt, so kön-
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9 ‚Eine Pejorisierung der Bedeutung von Wörtern für Frauen ist auch im Schwedischen zu bemerken, nicht zuletzt auch unter den Schimpfwörtern.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
141
nen die entsprechenden Appellationsformen in der Regel in – dadurch – genderspezifizierenden Oppositionspaaren sortiert werden. Dies gilt besonders für die Gruppe der lexikalisierten genderspezifizierenden Appellationsformen, die die erste Untergruppe der konventionell genderspezifizierenden Appellationsformen in dieser Darstellung bilden. Durch die Binarität der entsprechenden Formen wird die Idee der Zweigeschlechtlichkeit als natürlicher Ordnung, die bei Kennzeichnung ein binäres Wortpaar zwingend erfordert, auf der Ebene des Lexikons und anderen entsprechenden Darstellungen zugleich appelliert und reproduziert. 3.2.1 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation durch Mittel der Lexikalisierung im heutigen Schwedisch Wird Gender lexikalisiert zum Ausdruck gebracht, d.h. ohne dass eine Form grammatisch aus einer anderen abgeleitet werden könnte, geschieht das vornehmlich durch jeweils zwei Lexeme, die sich prinzipiell nur in der Frage der intendierten bzw. durch sie vollzogenen Genderappellation voneinander unterscheiden. Im Falle der lexikalisierten Formen wird diese Differenz durch zwei unterschiedliche, nicht voneinander abgeleitete oder synchron ableitbare Formen realisiert. Diese Art der sprachlichen Appellationspraxis wird in der Fachliteratur durchgängig als ‚gender- oder geschlechtsspezifisch‘ bezeichnet, wodurch Gender als dichotome Kategorie als außersprachliche Voraussetzung der sprachlichen Benennung präsupponiert wird. Durch diese Benennungspraxis reproduziert sich auf der linguistischen Metaebene die Annahme der sprachlichen Vorgängigkeit von Gender und der damit verbundenen Auffassung, dass Sprache – in Bezug auf Gender – eine außersprachliche Wirklichkeit abbildet. Stattdessen werden diese Formen im Kontext dieser Studie als konventionalisiert genderspezifizierend bezeichnet. Die Appellation einer Person mit einer lexikalisierten Genderspezifizierung ist ein aktiver Akt der Zuschreibung und Reproduktion einer Identitätskategorisierung und -benennung, deren öffentliche Wahrnehmung als natürlich vorgegebene Identität durch die Lexikalisierung entsprechender Appellationen unterstützt ist. Sie wird in der Regel durch sprachliche Formen realisiert, deren konventionelle Bedeutung als genderspezifizierend aufgefasst und in dieser Form im Lexikon als eigenständige Worte verzeichnet werden. Gängige und sprachübergreifend häufig zu findende Beispiele frequenter Appellationsformen sind die Verwandtschaftsbezeichnungen ersten Grades. Lexikalisierte Genderappellationen
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
sind, sofern es Substantive oder Pronomina sind, keine optionalen und bezogen auf Gender variablen verbalen Kennzeichnungen, die zu einer sprachlichen Appellation additiv hinzutreten, sondern in der Regel eine Wahlmöglichkeit aus zwei, an dem Punkt der Genderspezifizierung als oppositionell kategorisierbaren Formen. Viele der entsprechenden Formen sind innerhalb der Gruppe ihrer jeweiligen Wortarten zudem hochfrequent, wie weiter unten ausgeführt wird. Es gibt auch Fälle, in denen eine lexikalisiert genderspezifizierende Appellation intendierende sprachliche Form konventionalisiert nicht dichotom organisiert ist, sondern sich im Lexikon des heutigen Schwedisch keine direkt oppositionelle Form bestimmen lässt. In diesen Fällen handelt es sich häufig um pejorisierende Appellationen, die auf der Hervorhebung bestimmter Charakteristika beruhen, die jeweils genderspezifizierend bewertet werden. Daraus ist das Fehlen direkter oppositioneller Formen erklärbar, geht man von den als pejorisierend gesetzten Charakteristika, die in den entsprechenden Formen zum Ausdruck gebracht werden, aus. Letztendlich ist dies eine Frage der Definition: Ausgehend von der Frage der pejorisierenden genderspezifizierenden Benennung einer Person lassen sich Oppositionen bilden, die mit verschiedenen Charakteristika, Vorstellungen und Stereotypen arbeiten, um eine Person abzuwerten. Da die Genderappellation in dieser ersten hier besprochenen Gruppe in dem Sinne lexikalisiert ist als sie sich in eigenen Wörterbucheinträgen, die nicht auf grammatischen Ableitungen beruhen, findet, ergibt sich, dass Genus in diesen Fällen nicht zur Genderdifferenzierung benötigt wird. Die Genderspezifizierung durch diese Formen ist genusunabhängig. Genusunabhängige genderspezifizierende sprachliche Appellation finden sich in den Wortgruppen Substantive, Pronomina und Adjektive. In dieser Systematik werden Personalpronomina der dritten Person Singular als lexikalisierte genderspezifizierende Formen angesehen und nicht als genusmarkierte Formen. Beide Möglichkeiten der Betrachtung stehen in Bezug auf Personalpronomina nebeneinander. Eine genauere begriffliche und inhaltliche Trennung von Genus und Gender und die Notwendigkeit der eigenständigen Analyse dieser Formen, in denen sie nicht lediglich als anaphorische Verweisformen gelten, motiviert diese terminologische und inhaltliche Entscheidung. Im folgenden werden die lexikalisierten, für genderspezifizierende Appellation konventionalisiert gebrauchten Formen des Schwedischen unterteilt nach ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wortarten vorgestellt und diskutiert.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
143
Substantive Die überwiegende und frequente Gruppe der Substantive sind solche, die in dem Gebrauch der personalen Appellationsform Individuen in ihrer Relation zu anderen Personen charakterisieren, so genannte relationale Bedeutungen.10 Hier handelt sich vor allem um Verwandtschaftsbezeichnungen in einem traditionellen Verständnis. Diese nehmen auch in der traditionellen, linguistischen Forschung einen wichtigen Platz ein, wenngleich sie sich häufig auch als Disziplinen überschreitendes Erkenntnisfeld erweisen.11 Allen Analysen zu Verwandtschaftsbenennungen zu eigen ist eine Berücksichtigung der Dimensionen Gender und Generation, die auch in der vorliegenden Analyse der Verwandtschaftsbezeichnungen im heutigen Schwedisch eine herausragende Position einnehmen. Die im Schwedischen differenzierten Verwandtschaftsrelationen durch entsprechende personale Appellationsformen werden hier in Anlehnung an Butler (2002) als eine Form sozialer Praxis verstanden und entsprechend analysiert. „[...] kinship is itself a kind of doing, a practice that enacts that assemblage of significations as it takes place.“ (Butler 2002: 36) Die Konzeptualisierung von interpersonellen Beziehungen als Verwandtschaftsbeziehungen zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch zeitliche Dauer ausgezeichnet sind, was die Möglichkeit inkludiert, neben so genannten ‚Bluts‘verwandtschaftsbeziehungen12 auch institutionalisierte personale Paarrelationen sowie die daraus ableitbaren weiteren Relationen als Verwandtschaftsbeziehungen zu kategorisieren. Neben dem Kriterium der als natürlich angenommenen Abstammung spielt somit auch das Kriterium der Institutionalisierung von als privat definierten Beziehungen eine Rolle, was zu den Verwandtschaftsbeziehungen gerechnet und in Form personaler Appellationsformen zum Ausdruck gebracht wird. Den Verwandtschaft markierenden Appellationsformen ist zugleich die Abhängigkeit von einer weiteren, diskursiv hergestellten Appellation zur Klärung der durch sie intendierten Benennung zu eigen, sofern es sich um spezifizierende Appellationen handelt. Diese weitere Appellation, von der aus die Verwandtschaftsbezeichnungen verstanden werden müssen, kann entweder durch
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Vgl. Harras (1991). Die Differenzierung zwischen relationaler und stereotyper Bedeutung in einem Satz wie ‚die Kinder brauchen wieder einen Vater‘, wo ‚Vater‘ als relationale Bedeutung interpretiert wird, wird in dieser Ausschließlichkeit der klaren Zuordnung hier jedoch nicht geteilt. Vgl. Abrahamsen (1991). ‚Blut‘ fungiert in dieser Benennung als Kennzeichnung einer Natürlichkeit entsprechender Beziehungen.
144
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
eine Appellation der dritten Person hergestellt sein oder durch eine der Kommunikationsrollen eingenommen werden (Sprecher/in, Angesprochene/r).13 Horizontale und vertikale Verwandtschaftsrelationen ersten Grades werden beispielsweise durch die folgenden genderspezifizierenden Formen im Schwedischen und Deutschen zum Ausdruck gebracht: syster Schwester dotter Tochter moder/mor/mamma
Mutter/Mama
bror Bruder son Sohn fader/far/pappa Vater/Papa
Durch eine Verwendung dieser Formen als personale Appellationsformen werden die appellierten Personen über ein Gruppenzugehörigkeitsverhältnis charakterisiert, welches ‚natürliche‘, biologische Verbindungen impliziert. Die Formen mamma und pappa unterscheiden sich zunächst stilistisch von den Formen mor und far. Erstere wurden lange Zeit eher als direkte Anreden an die betreffenden Personen verwendet14 oder dienten der Benennung eines Verwandtschaftsverhältnisses zu sehr jungen Kindern. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben jedoch Benennungsverschiebungen stattgefunden, die den Formen ein weiteres Verwendungsspektrum geben. Der Aspekt der Natürlichkeit und Ursprünglichkeit des Verwandtschaftsverhältnisses ist auch in ihrer metaphorischen Verwendung (insbesondere der Formen der Verwandtschaftsverhältnisse ersten Grades) in Kontexten jenseits biologischer Familienzugehörigkeit zentral. „I familien har alle posisjonenen kjønn, og enhver blir vurdert som noens mor, datter, kone. Men også i andre personlige forhold som nabo og venn, fremstår den samme kvinnen også som mora til eller kona til en annen.“15 (Haavind 2002: 5)
Das Konzept der Familienrelationen, welches durchgängig genderspezifizierend durch personale Appellationsformen zum Ausdruck gebracht werden kann, ist ein wichtiger Metapherngeber für verschiedene weitere Bereiche, die durch eine bestimmte Vorstellung von Familie konzeptualisiert werden. Das Grundkonzept dieser Familienkonstellation ist auf einer Genderopposition aufgebaut und heterosexuell normativ. In der metapho-
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In diesem Sinne könnte man sogar sagen, dass sie sich anaphorisch auf eine andere, explizit benannte oder aus den Kommunikationsrollen sich ergebende Appellation rückbeziehen. NEO (1996, Bd. 2: 348). Dt. Übersetzung: In der Familie haben alle Positionen ein Geschlecht. Jede einzelne Person wird als jemandes Mutter, Tochter, Frau einsortiert. Aber auch in anderen persönlichen Relationen wie NachbarInnen oder FreundInnen ist dieselbe Frau jemand anderes Mutter oder Frau.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
145
rischen Übertragung seiner gegenderten, heterosexuellen Ausformung in andere Bereiche wird es so zugleich in seiner Vorgängigkeit bestätigt und naturalisiert; es bildet eine wichtige Form der Konzeptualisierung unterschiedlicher Formen von personalen Relationen auch über die so definierten Verwandtschaftsverhältnisse hinaus.16 In NEO (1996) wird die Form mamma in ihrer Bedeutungserweiterung über das familiäre Verhältnis hinaus weiter charakterisiert mit: „kvinna som är upphov till ngt.“17, wohingegen pappa in seiner Bedeutungserweiterung umschrieben wird mit: „a) i sms. äv. utvidgat om person som i ngt avseende är ansvarig för en grupp personer el. för viss verksamhet [...] b) överfört upphovsman.“18 Laut der Charakterisierung in NEO (1996) besitzen mamma und pappa eine identische Bedeutungsübertragung, in der eine Ursprungsvorstellung konzeptualisiert wird. Die Form pappa besitzt darüber hinaus eine weitere Bedeutungsübertragung, in der die Verantwortlichkeit der so appellierten Person zentral konzeptualisiert wird. Die Form moder/mor wird als „kvinna som fött (och vårdar) barn“19 näher charakterisiert, fader/far als „man som avlat barn“ mit dem in einem kleineren Schriftsatz gesetzen, nachgestellten „och är uppfostrare“20. Schon in der normierenden Wörterbuchdefinition von moder/mor und fader/far sind Unterschiedlichkeiten in der Bedeutungsumschreibung offensichtlich, die über eine Genderdifferenzierung hinausgehen. Auch für die Formen moder/mor und fader/far findet sich in NEO (1996) eine Bedeutungsübertragung, in der die Konzeptualisierung über Ursprung fokussiert ist, die bei moder/mor um die Bedeutung des Beschützens erweitert ist. Darüber hinaus finden sich unter dem Eintrag moder/mor zwei weitere Bedeutungsübertragungen verzeichnet. Zum einen die Verwendung der Appellationsform in Bezug auf Tiere und zum zweiten: „b) som titel för kvinna i ansvarsfylld (vårdande) ställning “21. Demgegenüber ist die übertragene Bedeutung von fader/far in NEO (1996) nur als eine von fünf Möglichkeiten aufgeführt und die Rolle des Beschützens hier als ein gesonderter Punkt erwähnt. Eine Übertragung der Appellationsform auf religiöse institutionalisierte Kontexte findet
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Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine entsprechende Analyse. NEO (1996, Bd. 2: 348). ‚Frau, die der Ursprung von etwas ist.‘ NEO (1996, Bd. 2: 551). ‚a) In Zusammensetzungen auch ausgeweitet als Bezeichnung für Personen, die verantwortlich für eine Gruppe Personen oder eine bestimmte Tätigkeit sind; b) übertragen Urheber‘ NEO (1996, Bd. 2: 396). ‚Frau, die Kinder bekommt (und umsorgt)‘ NEO (1995, Bd. 1: 380). ‚Mann, der Kinder erzeugt und ihr Erzieher ist‘ NEO (1996, Bd. 2: 392). ‚Als Titel für Frauen in einer verantwortungsvollen (pflegenden/umsorgenden) Stellung (besonders hohes Stilniveau oder altertümlich)‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
ebenfalls statt.22 Es zeigt sich, dass die Verwendung der Appellationsformen in ihren übertragenen Bedeutungen, wie sie in NEO ((1995)/6) verzeichnet sind23, größere Unterschiede hinsichtlich konventionalisierter Verwendungen anführen als lediglich eine Genderdifferenzierung. Dies verweist auf die sozial unterschiedlichen Konnotationen, die mit der Mutter- bzw. Vaterrolle verbunden sind. Die personalen Appellationsformen, die familiäre Relationen bezeichnen, können nach den verschiedenen, durch sie ausgedrückten Relationen, weiter differenziert werden. So können vertikale (Relationen zwischen zwei Generationen) und horizontale (Relationen innerhalb einer Generation) Relationen unterschieden werden. Die horizontale Verbindungen benennenden Appellationsformen für Schwester(n) und Bruder/Brüder werden über das Feld der Benennung von Verwandtschaftsverhältnissen hinaus als Anredeformen zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit zu politischen Gruppierungen (systrar och bröder Schwestern und Brüder) verwendet, die in diesem Zusammenhang entweder den Ersatz der biologisch definierten durch eine politische Familie implizieren können24 oder eine entsprechende ‚natürliche‘ Nähe implizieren sollen. Auch wenn hier eine intendierte Rekonzeptualisierung von Bruder- und Schwesternschaft vorliegt, die für viele Bereiche konventionalisiert ist (insbesondere religiöse, kommunistische und gewerkschaftliche Kontexte, aber auch QueerKontexte, die alle auf die eine oder andere Form eine verschieden motivierte und begründete Ersetzung von biologischen Familienrelationen durch andere Relationsformen vertreten), bleibt Gender als ein in diesen Formen verankerter grundsätzlicher Aspekt der entsprechenden Konzeptualisierungen erhalten.25 Auch Reuter (2002) stellt eine entsprechende Verbreitung der Verwendung von Verwandtschaftsformen ersten Grades im Finnlandschwedischen fest, die als zweites Glied von Komposita ver-
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NEO (1995, Bd. 1: 380). Vgl. NPLUS (1997) für eine ähnliche Differenzierung. Es handelt sich hier um eine auch konventionalisierte ReSignifizierung des Konzepts Familie. Es könnte argumentiert werden, dass die Verwendung des Begriffs syster (Schwester) in queeren Kontexten die Genderappellation gerade in Frage stellt; interessant ist hier das Vorherrschen dieser Appellationsform gegenüber der Form bror (Bruder) in zum Beispiel schwulen Kontexten, was auch auf englische Lehneinflüsse zurückgeführt wird; die Verwendung entsprechender personaler Appellationsformen divergiert in einem entscheidenden Punkt von der Verwendung in anderen Kontexten. Dies könnte auch so gedeutet werden, dass die Annahme der Heterosexualität ein konstitutiver Faktor für eine Genderspezifizierung ist und diese durch eine angenommene Abweichung von dieser Norm zugleich auch auf den Kopf gestellt wird. Vgl. auch Bunzl (2000).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
147
wendet werden, um Tätigkeitsbezeichnungen genderspezifizierend zum Ausdruck zu bringen.26 Die Frage der damit gleichzeitig verstärkten Konzeptualisierung von Genderspezifizierung bleibt bei ihm jedoch unbeachtet. Diese könnte gerade vor dem Hintergrund einer potentiellen Zunahme einer nicht genderspezifizierten Konzeptualisierung durch bestimmte Tätigkeiten appellierende Formen eine besondere Relevanz bekommen: Durch die Verwendung der gegenderten Verwandtschaftsbezeichnungen als zweites Glied in Tätigkeitsbenennungen wird so eine gegenderte Benennung wieder ermöglicht und realisiert. Die Beispiele, die Reuter in seiner Sprachkolumne anführt, sind ausschließlich männlich spezifizierend (läkarsöner, soldatson, gitarristbröder ‚Ärztesöhne, Soldatensohn, Gitarrenbrüder‘). Hier könnte sich also eine bestimmte Tendenz zur expliziten Genderspezifizierung in Bereichen und Kontexten abzeichnen, in denen stereotype soziale Wahrnehmungen für eine Genderspezifizierung nicht (mehr) ausreichen, weiterhin jedoch ein kommunikatives Bedürfnis besteht, genderspezifiziert zu appellieren. Zu diesem Zweck werden die durchgängig genderspezifizierenden Verwandtschaftsformen verwendet. Hier übernehmen die genderspezifizierenden Verwandtschaftsbenennungen somit eine neue Funktion vor dem Hintergrund einer personalen Appellationspraxis, die auf dem ersten Blick und verschiedenen linguistischen Autor/inn/en zufolge zu einer zunehmenden Genderneutralisierung tendiert.27 Es kann die These aufgestellt werden, dass bei der Genderspezifizierung von personalen Appellationsformen im Schwedischen lexikalisiert gegenderte Verwandtschaftsbenennungen eine besondere Rolle einnehmen und über die bloße Benennung von Verwandtschaftsverhältnissen hinaus Anwendung finden, um Genderspezifizierungen zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig wird auf diese Weise die Unverbrüchlichkeit der Genderspezifizierung in Verwandtschaftsbeziehungen durch eine entsprechende ableitende und übertragene Strategie verstärkt und in seiner Vorgängigkeit und Unhinterfragbarkeit verfestigt. Ausgehend von dieser Analyse kann gefragt werden, ob nicht das westliche Konzept der heterosexuellen Familie ein wichtiger Faktor dafür ist, Gender als natürlich und dichotom organisiert und grundlegend anzusehen. Auf der vertikalen Ebene fällt bei einer übertragenen Verwendung der Begriffe mor und far zur personalen Appellation auf, dass hier Aspekte der Urheberschaft und des Ursprungs zum Tragen kommen. Man könnte
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http://www.kotus.fi/svenska/reuter/2002/250902.shtml vom 14.2.2003. Vgl. Himanen (1990), Holmberg (1995).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
sagen, dass Familie, Abstammung und Familienrelationen ein grundlegendes kognitives Modell zur Kategorisierung von Relationen von Personen ab einer gewissen Nähe bereitstellt. Das Konzept bestimmter Familienrollen wird auf verschiedene andere zentrale Lebensbereiche übertragen, wie beispielsweise politische und religiöse Gruppierungen, die dadurch sowohl eine unverbrüchliche, sehr enge Verbindung ihrer Mitglieder zum Ausdruck bringen als auch bestimmte Hierarchien naturalisieren helfen.28 Dies wird auch noch mal deutlich, zieht man Verwendungen in Betracht, in denen die Formen moder und fader beispielsweise als erstes Glied in Komposita Verwendung finden. Moder als erstes Glied von Komposita hat in NPLUS (1997) einen eigenen Eintrag: „moder- förled: som är överordnad“29, in NEO (1996) ergänzt um „ngt som framgår av efterleden.“30 Als eigene Einträge finden sich in NPLUS (1997) die Formen moderbolag Mutterfirma, moderkaka Mutterkuchen, moderland Mutterland, moderlig mütterlich, moderliv Mutterleib/leben, moderskap Mutterschaft und mit moders als erstem Glied die Formen modershjärta Mutterherz, modersmjölk Muttermilch, modersmål Muttersprache, modersköte MutterschoƢ. Für fader als erstes Glied findet sich weder in NPLUS (1997) noch in NEO ((1995)/6) ein eigener Eintrag. Als Formen mit eigenen Einträgen finden sich in NPLUS faderlig väterlich, fadersgestalt Vatergestalt, fadershus Vaterhaus, faderskap Vaterschaft, fadervår Vaterunser. Nicht nur sind dies doppelt so viele lexikalisierte Einträge mit moder als erstem Glied, auch sind die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Konzeptualisierungen unterschiedlich von denen mit fader. Während in den Zusammensetzungen mit fader die Rolle der Abstammung eine herausragende Rolle spielt, ist in denen mit moder neben dem Aspekt der Abstammung auch die emotionale und schützende Beziehung der Relation konzeptualisiert. Abhängigkeits- und Herkunftsverhältnisse sowie Autoritätsstrukturen werden ebenso naturalisiert wie Familie und familiäre Relationen als basales Konzept der Erfassung und des Verstehens von zwischenmenschlichen Beziehungen bestätigt wird. Bezogen auf Gender ist die Durchgängigkeit der Genderspezifizierung in diesem personalen Appellationsfeld auffallend, die damit gleichfalls und als natürlich integriert in das basale Konzept Familie mit eingeht. Lakoff (1987: 74) hat dargestellt, welche ICMs in der Konzeptualisierung von ‚Mutter‘ im U.S.amerikanischen Englisch eine Rolle spielen und begegnet dem Mythos einer Natürlichkeit der
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Ein Beispiel hierfür sind die Anredeformen mor und far in christlich-religiösen Kontexten. NPLUS (1997: 715). ‚Mutter als erstes Glied: etwas ist übergeordnet.‘ NEO (1996, Bd. 2: 293). ‚Etwas, was aus dem zweiten Glied hervorgeht.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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mit der Appellationsform zugeschriebenen Relation. Es handelt sich hier um die Faktoren Geburt gebend, genetische Verwandtschaft, Aufzucht, Ehe und Genealogie. Diese Aspekte werden in unterschiedlichen Wörterbüchern als zentral gesetzt: „Though choices made by dictionary makers are of no scientific importance, they do reflect the fact that, even among people who construct definitions for a living, there is no single, generally accepted cognitive model for such a common concept as „mother“.“ (Lakoff 1987: 76)
In einer Betrachtung von Wörterbucheinträgen mit moder und fader als erstem Glied im Schwedischen kann somit gezeigt werden, dass die mit den Verwandtschaftsrelationen verbundenen Konzeptualisierungen genderspezifizierend unterschiedlich sind, was sich auch bereits in den Definitionen der Begriffe moder/mor und fader/far in den entsprechenden Wörterbüchern abzeichnet, eine Feststellung, die auch Lakoff (1987) für das Englische in Bezug auf die Formen father und mother getroffen hat. In Kapitel 6 wird zusätzlich dazu untersucht, welche Konzeptualisierungen im heutigen Schwedisch zentral zu sein scheinen, sofern dies an dem Vorkommen von Kompositabildungen im medialen, schriftsprachlichem Diskurs ablesbar ist. Eine frequente Kompositabildung auf mor ist die Form husmor ‚Hausmutter‘ Hausfrau. Mit ihr wird die Verwandtschaftsbezeichnung mor Teil eines Kompositums, welches einen ausschließlich genderspezifizierend weiblichen Beruf bezeichnet, der im Rahmen privater Haushalte ausgeübt wird. Gleichzeitig aber kann die Form auch zur Benennung der reproduktiven Rolle, die konventionell Frauen zugeschrieben wird, benutzt werden.31 In diesem Kompositum wird ebenso wie in barnmorska ‚Kindmutter-in‘: Hebamme/jordmor ‚Erdmutter‘: Hebamme die als grundlegendes biologisches Charakteristikum Frauen zugeschriebene Mutterschaft Teil der Benennung einer beruflichen Tätigkeit von Frauen. Die biologisch zugeschriebene Rolle wird metaphorisch auf einen Bereich der bezahlten Arbeit übertragen. Dass mit husmor die bezahlte Tätigkeit nicht unbedingt mit konzeptualisiert ist, sondern das Konzept unbezahlter Reproduktions-
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„Husmoder [...] husmor [...] 1 gift kvinna betraktad som ansvarig för hemmet och hushållet [...] 2 (kvinnlig) person anställd för att ansvara för hushåll“. ‚Hausmutter [...] Hausmutter [...] 1 verheiratete Frau die als verantwortlich für Heim und Haushalt angesehen wird [...] 2 (weibliche) Person angestellt um für den Haushalt verantwortlich zu sein.‘ (NPLUS 1997: 442) Auffallend ist die eingeklammerte Attribuierung von kvinnlig ‚weiblich‘ in Bezug auf die durch die Form zum Ausdruck gebrachte bezahlte Tätigkeit, durch die hier angedeutet werden soll, dass die Form nicht unbedingt genderspezifizierend sein müsse. Da das kvinnlig jedoch in Klammern vorangestellt ist, wird der konventionalisierten Verwendungsweise des Begriffs Rechnung getragen.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
tätigkeit aufgerufen wird, zeigt sich in der Nominalphrase förvärvsarbetande husmödrar ‚erwerbsarbeitende Hausfrauen‘. Neben der Benennung einer beruflichen Tätigkeit bezeichnet husmor eine konventionell ‚gute‘ Hausfrau und ist damit polysem. Die Grenzen der Konzeptualisierung zwischen einer beruflichen und bezahlten und einer Reproduktionstätigkeit sind fließend. Ein genderspezifizierend auf Männer appellierendes Pendant zu dieser Tätigkeitsbenennung gibt es nicht. In dem Komposita husmorsskola ‚Hausfrauenschule‘ kommt die Institutionalisierung der Tätigkeit als Beruf zum Ausdruck, der hier auf die entsprechende Bildungseinrichtung bezogen ist. Hier wird husmor in der Bedeutung einer Hauswirtschafterin einer größeren Institution verwendet. Im Finnlandschwedischen wird diese Position und Tätigkeit hingegen durch den Begriff värdinna ‚Gastgeberin‘ zum Ausdruck gebracht.32 Im Schwedischen gibt es nicht nur Formen, die die Genderzugehörigkeit der appellierten Person in die (familiäre) Relationsbezeichnung integrieren, sondern darüber hinaus auch Formen, die im Rahmen einer Genealogie die Genderzugehörigkeit von Verwandtschaftsbezeichnungen zweiten Grades in Abhängigkeit von der Relation zu den Appellationen auf die Eltern (Mutter und Vater) bezeichnen. Dies geschieht durch Kompositabildung mit den Gliedern –mor und –far sowie –syster und -bror und gilt nur für vertikale ‚aufsteigende‘ Verwandtschaftsbezeichnungen. Horizontale wie Kusinen, Kusins, Nichten und Neffen werden nach diesem Muster nicht weiter differenziert. Die entsprechenden Formen sind damit doppelt genderspezifizierend. Sie appellieren sowohl auf die wahrgenommene Genderidentität der appellierten Person als auch auf die wahrgenommene Genderidentität der Person in einem Verwandtschaftsverhältnis ersten Grades in Bezug auf die appellierte Person: Mormor ‚Muttermutter‘ Oma mütterlicherseits farmor ‚Vatermutter‘ Oma väterlicherseits faster Tante väterlicherseits
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morfar ‚Muttervater‘ Opa mütterlicherseits farfar ‚Vatervater‘ Opa väterlicherseits farbror ‚Vaterbruder‘ Onkel väterlicherseits
„Värdinna: ibland husmor, bondhustru [...] Värdinna betyder a) kvinnlig värd eller b) kvinnlig yreksutövare med uppgift att stå till tjänst med upplysningar och service åt kunder eller resande (flygvärdinna m.m.).“ ‚Gastgeberin: manchmal Hausfrau, Bauern-Frau [...] ‚Gastgeberin‘ bedeutet a) weiblicher Gastgeber oder b) weibliche Berufsausüberin mit der Aufgabe zu Diensten zu stehen mit Informationen und Service für KundInnen oder Reisende (Fluggastgeberin usw.)‘ (Finl 2000: 183).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
moster Tante mütterlicherseits systerdotter ‚Schwestertochter‘ Nichte brorsdotter ‚Brudertochter‘ Nichte
151
morbror ‚Mutterbruder‘ Onkel mütterlichers. systerson ‚Schwestersohn‘ Neffe brorsson ‚Brudersohn‘ Neffe
Durch diese Appellationsformen werden somit die familiären Relationen ersten und zweiten Grades terminologisch voneinander differenziert und die familiären Relationen zweiten Grades über die des ersten Grades definiert, wodurch die des ersten Grades hier in ihrer besonderen Relevanz noch mal bestätigt werden. Die Appellation auf Gender spielt in den aufsteigenden personalen Appellationsformen der Verwandtschaftsverhältnisse zweiten Grades somit eine doppelte Rolle und wird in seiner Bedeutung für Verwandtschaftsverhältnisse besonders betont. Die auf Gender basierenden Oppositionspaare der Verwandtschaftsbezeichnungen reproduzieren die Annahme einer normalisierten Heterosexualität. Brüche und Infragestellungen dieser Annahme zeigen sich bei der Verwendung von Verwandtschaftsbeziehungen definierenden pesonalen Appellationsformen aus der Perspektive der Kinder von homosexuellen Paaren.33 Für einige der Verwandtschaftsverhältnisse zweiten Grades finden sich auch zusammenfassende Appellationsformen im Plural, die teilweise oder vollständig genderunspezifizierend appellieren: brorsbarn ‚Bruderkind(er)‘ syskonbarn ‚Geschwisterkind(er)
systerbarn bzw. gebräuchlicher: (min) systers barn ‚Schwesterkind(er)‘; (meiner Schwester Kinder)
Diese Verwandtschaftsbezeichnungen können zudem auch produktive Teile weiterer verwandtschaftlicher Appellationsformen sein wie beispielsweise in styvmormor ‚Stiefmuttermutter‘, styvfarfar ‚Stiefvatervater‘ usw., wenngleich diese nicht frequent sind. Dadurch wird das angenommene biologische ‚Bluts‘verwandtschaftsverhältnis gleichzeitig als Normalität reproduziert, da es einer ausdifferenzierten expliziten Benennung entgeht und nur die Abweichung gekennzeichnet wird. Die vertikale Benennung von Verwandtschaftsbenennungen zweiten Grades in Richtung der jüngeren Generation ist ebenso nicht genderspezifizierend: Barnbarn
‚Kindkind(er)‘: Enkel
____________ 33
Vgl. Kapitel 6.
152
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Auch hier ist eine weitere Ausdifferenzierung in die seltene Bildung styvbarnbarn ‚Stiefkindkind(er)‘ möglich, so dass in den nicht ausdifferenzierten Formen die Annahme der ‚natürlichen‘ Verwandtschaft, die auf diese Art naturalisiert wird, impliziert ist. Es gibt darüber hinaus eine Reihe weiterer Wortpaare, die verwandtschaftliche Beziehungen auf der horizontalen Ebene bezeichnen. Im Unterschied zu den zuvor Genannten sind diese jedoch nicht durch die Benennung angenommener biologischer Verwandtschaftsverhältnisse gekennzeichnet, sondern benennen Personen in institutionalisierten Formen von Paarrelationen (bzw. Personen, die nicht in Paarrelationen sind), die in der westlichen Gesellschaft gerade nicht als angenommen biologisch verbunden sein dürfen. Die Opposition dieser Wortpaare basiert ebenfalls auf der wahrgenommenen Genderdichotomie und bringt jeweils ein heteronormatives Paarverhältnis als Grundkonstellation zum Ausdruck: fästmö Verlobte fästman Verlobter ungmö/ungkarlsflicka ungkarl/ungsven/unkis (umgangssprachlich) Jungfer/Jungfrau Junggeselle maka Ehefrau make Ehemann hustru Ehefrau man Ehemann [Poss.pron.] kvinna Frau [Poss.pron.] man Mann
Zur Benennung von Ehefrauen werden im heutigen Schwedisch zwei Formen frequent verwendet34, wohingegen zur genderspezifizierend männlichen Appellation nur eine Form zur exklusiven Benennung dieser Rolle zur Verfügung steht, die zugleich auch zur genderunspezifizierenden Appellation genommen wird. In NPLUS (1997) wird die Form maka mit „kvinnlig part i äktenskap“35 umschrieben, wohingegen für make drei Bedeutungen verzeichnet sind, eine genderspezifizierend männliche, eine genderunspezifizierende und eine übertragene: „1 manlig part i äktenskap [...] 2 andra parten i äktenskap [...] 3 [...] ngt som motsvarar ngt givet.“36 Die Form make wird zudem der Form hustru gegenübergestellt, nicht der Form maka. Die doppelte Verwendungsweise der Form make als genderspezifizierend männlich und als genderunspezifizierend deutet darauf hin, dass die institutionalisierte heterosexuelle Beziehung für den männlichen Part weniger relevant (gewesen) ist und so einer eindeutigen und
____________ 34 35 36
Vgl. Kapitel 6. NPLUS (1997: 679). ‚Weiblicher Teil der Ehe‘. NPLUS (1997: 679). ‚1) Männlicher Teil in der Ehe; 2) Anderer Teil in der Ehe; 3) Etwas, was etwas Gegebenem entspricht.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
153
genderspezifizierenden Benennung entgeht, während für die Benennung der weiblichen Rolle mehrere Formen gebräuchlich sind.37 Daneben werden auch die Form man ‚Mann‘ und kvinna ‚Frau‘, insbesondere in Kombination mit einem besitz- und relationsanzeigenden Possessivpronomen, in dieser Bedeutung verwendet, wodurch die Formen kvinna und man mehrere ICMs aufrufen können.38 Interessant in diesem Zusammenhang ist zusätzlich die Verwendung des Possessivpronomens in Kombination mit der Form kvinna oder man, durch die die Institutionalisierung der Paarbeziehung in den entsprechenden Fällen angezeigt wird und die gleichzeitig Aufschluss über die Konzeptualisierung derselben gibt als ein personales Abhängigkeits- oder sogar Besitzverhältnis in einer Zweierkonstellation.39 Während bei nicht institutionalisierten Zweierbeziehungen diese Relation ebenfalls konkretisierend mit einem Possessivpronomen angezeigt wird, ist die verwendete Substantivform in diesen Fällen konventionalisiert nicht genderspezifizierend (vor allem: sambo ‚zusammenwohnende PartnerIn‘, partner ‚PartnerIn‘40). Ausgehend von diesem Vergleich ist zu fragen, inwiefern die Institutionalisierung der Paarbeziehung auch ihre Genderspezifizierung in stärkerem Maße verlangt, als wenn diese nicht institutionalisiert ist. Neben diesen Appellationsformen für eine Person in einer institutionalisierten Paarrelation, gibt es auch solche, die den Umstand hervorheben, die die so appellierte Person als nicht in einer institutionalisierten Paarrelation befindlich charakterisiert. So wird die Annahme, dass die institutionalisierte Paarbeziehung der Normalfall sei, reproduziert41, und gleichzeitig eine genderspezifizierende Konzeptualisierung der Abweichung lexikalisiert, die zudem unterschiedliche Bewertungen besitzt. Es finden sich zwei Formen zur genderspezifizierend weiblichen Appellation gegenüber nur einer zur genderspezifizierend männlichen Appellation mit jeweils unterschiedlichen Be-
____________ 37
38 39 40 41
Schon Widmark (1980: 11) betont die normgebende Rolle der Ehe in der schwedischen Gesellschaft, wenn sie ausführt: „Äktenskapet kunde upplösas. Man blev då – inte ogift igen, vilket kunde ha förefallit logiskt – utan frånskild. Äktenskapet som norm framhävdes alltså också vid skilsmässan.“ ‚Die Ehe konnte aufgelöst werden. Man wurde dann – nicht wieder unverheiratet, welches logisch wäre – sondern getrennt. Die Ehe als Norm wurde so auch bei einer Scheidung aufrecht erhalten.‘ Vgl. weiter unten eine ausführlichere Diskusison der Formen kvinna und man; vgl. Walter (2002). Dialektal wird die possessiv markierte Form zunehmend durch die bestimmte Form des Substantivs in entsprechenden Kontexten ersetzt. Vgl. die Diskussion weiter unten. Dieser bestätigt sich auch noch mal mit Hinblick auf die konventionell pejorisierende Verwendung der Formen; vgl. weiter unten.
154
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
wertungen. In allen drei Formen ist eine Konzeptualisierung von Alter mit enthalten, welches in Bezug auf die genderspezifizierend weibliche Appellation, insbesondere in der Form ungmö ‚Jungfer‘, jedoch als Euphemismus fungiert, da es sich in der Regel um die Appellation auf eine ältere, aus männlich-heterosexueller Sicht wahrgenommen stereotyp sexuell unattraktive Frau handelt.42 In NPLUS (1997) wird ungmö als „kvinna som inte ingått äktenskap särsk. om inte helt ung kvinna; ibl. med viss tonvikt på sexuell oerfarenhet etc. äv. neutralt om ung kvinna.“43 charakterisiert. Die euphemistischen und abwertenden konventionellen Konzeptualisierungen von ungmö bleiben in dem Wörterbucheintrag unsichtbar.44 Die Form mö alleinstehend ist heute eine nicht mehr gebräuchliche, veraltete Appellationsform auf Frauen bzw. im Mittelalter eine Appellationsform auf Mädchen, die bis in die 80er Jahre produktives Glied zur genderspezifizierend weiblichen personalen Appellation zahlreicher zusammengesetzter Formen gewesen ist (ungmö, fästmö, sångmö) und in diesen jeweils pejorisierend benutzt wurde. Ungkarl ist in NPLUS (1997) definiert als „man som inte ingått äktenskap el. lever i samboförh.; ofta med tanke på (föregiven) inriktning på ytliga nöjen.“45 Zu ungkarl finden sich eine Reihe von Ableitungen, die eine bestimmte Lebensform mit der heterosexuellen Bindungslosigkeit positiv assoziieren, wie beispielsweise ungkarlsliv ‚Junggesellenleben‘, ungkarlsvanor ‚Junggesellengewohnheiten‘, wohingegen es keine in Wörterbüchern verzeichnete Ableitungen auf ungmö oder ungkarlsflicka gibt, sondern die Bildung ungkarlsflicka nicht gebräuchlich ist.46 Während die mit den jeweiligen Formen verbundene Konzeptualisierung heterosexueller Beziehungs- und Bindungslosigkeit bei den genderspezifizierend männlichen Appellationsformen (ungsven findet sich eher im Finnlandschwedischen) positive Konnotationen von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung beinhaltet, ist der genderspezifizierend weibliche Ausdruck Frauen abwertend konnotiert und definiert die so benannte Frau nicht nur über eine momentane heterosexuelle Beziehungslosigkeit, sondern zudem
____________ 42 43
44 45 46
Zu beachten ist hier die Ineinssetzung von einer Paarrelation mit Sexualität. NPLUS (1997: 1219). ‚Frau, die keine Ehe eingegangen ist. Insbesondere nicht mehr ganz junge Frau. Manchmal mit besonderer Betonung auf sexuelle Unerfahrenheit usw.; auch neutral als Bezeichnung einer jungen Frau.‘ Die unterschiedlichen Schriftgrößen entsprechen der Lexikondarstellung. Dies gilt auch für alle weiteren Zitate dieses Kapitels. Vgl. NSO (1990) für eine identische Neutralisierung in der Darstellung der konventionalisierten Verwendungsweise. NPLUS (1997: 1219). ‚Mann, der keine Ehe eingegangen ist oder in einem Zusammenwohnverhältnis lebt; oft mit Hinblick auf (vorgebliche) Ausrichtung auf äuƢere Genüsse.‘ Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Besprechung der Form ungkarlsflicka ‚Jung-MannMädchen‘.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
155
über eine Dimension sexueller Unerfahrenheit, die in einem weiteren Schritt dieser selbst angelastet werden, so dass die so appellierte gleichzeitig auch als in einem heterosexuellen Muster unattraktiv konzeptualisiert wird.47 Es ist im Zuge feministischer Kritik vorgeschlagen worden, die Form ungmö zu ersetzen. Dafür ist die Form ungkarlsflicka ‚Jung-KerlsMädchen‘ vorgeschlagen worden, die aus der ursprünglich genderspezifizierend männlichen Form abgeleitet worden ist. Ungkarlsflicka steht in genderspezifizierender Opposition zu ungkarl. Aus einer genderspezifizierend männlich appellierenden Form wird eine genderspezifizierend weiblich appellierende abgeleitet. Die Form ungkarlsflicka ist in NPLUS (1997), NSO (1990) und SO (1986) verzeichnet, ohne dass sie im schriftsprachlichen medialen Diskurs zu finden ist, wie in Kapitel 6 zu sehen sein wird. Es besteht eine Diskrepanz zwischen der durch einsprachige Wörterbücher autorisierten Verwendung einer genderspezifizierten Appellationsform und dem Vorkommen in schriftsprachlichen medialen Diskursen. Während die gesamten, bis hierhin aufgeführten personalen Appellationsformen in konventioneller und traditioneller Bedeutung auf heterosexuelle Paarrelationen appelliert haben, werden seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts einige, insbesondere die auf die institutionalisierte Paarrelation der Ehe appellierenden Formen auch zunehmend zur Appellation auf homosexuelle Paarrelationen verwendet. Diese Verwendungsform ist bisher vor allem als Selbstappellation oder als Fremdappellation innerhalb der Paarrelation und/oder zumindest innerhalb des entsprechenden sozialen Umfelds zu finden. Außerhalb dieser hier als queer communities bezeichneten Gruppen48 wird auf Personen in entsprechenden Paarrelationen durch andere Ausdrücke appelliert, die nicht die institutionalisierte Form einer heterosexuellen Paarbeziehung aufrufen49, sondern diese durch die Benennung gerade von diesen abgrenzt. Die unterschiedlichen Kontexte dieser Verwendungen von Appellationsformen für Personen innerhalb privater Paarrelationen jenseits eines heterosexuellen Kontextes verweist auf die Aneignung von entsprechenden Modellen sozialer Beziehungen durch Personen und Gruppen innerhalb der queer community. Die Nichtverwendung der entsprechenden Formen für dieselben Personen außer-
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48 49
Vergleichbare Feststellungen lassen sich für die parallelen Wortpaare spinster/bachelor und Jungfrau/Junggeselle im Englischen und Deutschen treffen. Vgl. Pusch (1984c). Diese Bezeichnung geht auf das Konzept der Communities of practice nach Eckert (1989) zurück. Vgl. weiter unten.
156
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
halb der queer community ist hingegen ein Indiz für eine davon divergierende öffentliche Auffassung dieser Paarverhältnisse, auf die ähnlich oder gleich appelliert wird wie auf andere nicht institutionalisierte Paarverhältnisse (beispielsweise die Formen partner, sambo ‚Zusammen-Wohnende(r)‘50), womit gleichzeitig ihre Differenz zu der institutionalisierten heterosexuellen Paarrelation markiert wird. Wie bereits erwähnt, liegt ein weiterer und im Kontext der vorliegenden Studie äußerst wichtiger Aspekt in der Feststellung, dass die Formen, die konventionell zur Benennung von einzelnen Personen in heterosexuellen, institutionalisierten Paarrelationen verwendet werden, lexikalisiert genderspezifzierend sind, während die Formen, die auf Relationen außerhalb des heterosexuellen und institutionalisierten Konzepts appellieren, dies nicht sind. Entscheidend ist hier die Kombination beider Kriterien heterosexuell und institutionalisiert, die beide zusammen gelten müssen. Wie Butler (2002) anhand der französischen Diskussion zur Homoehe darstellt, wird mit der Ausweitung der Institutionalisierung von bestimmten Paarbeziehungen ein heteronormatives Familienmodell jedoch nicht in Frage gestellt, sondern weiter verfestigt. „The normalizing powers of the state are made especially clear, however, when we consider how continuing quandaries about kinship both condition and limit the marriage debates. [...] To be legitimated by the state is to enter into the terms of legitimation offered there and to find that one’s public and recognizable sense of personhood is fundamentally dependent of the lexicon of that legitimation. And it follows that the delimitation of legitimation will take place only through an exclusion of a certain sort, though not a patently dialectical one.“ (Butler 2002: 16)
Eine nach Kontexten und Sprecherinnen differenzierende Betrachtung dieser Appellationsformen zeigt zum einen eine gesellschaftlich basale Auffassung von Familienrelationen als ein Grundkonzept zur Wahrnehmung von Personen in persönlichen und privaten Relationen sowie eine Übertragung des Konzepts der persönlichen, als verwandtschaftlich hergestellten Relationen ersten Grades auf Gruppierungen und Kontexte, in denen ausgehend von unterschiedlichen, hinter ihnen stehenden Ideologien auf das Konzept der Familienrelationen durch den Gebrauch der entsprechenden personalen Appellationsformen rekurriert wird. Damit wird gleichzeitig ein Konzept von besonders engen oder als natürlich empfundenen Relationen für diese Gruppierungen impliziert oder potentiell die Natürlichkeit dieser Beziehungen mit ihren Implikationen von
____________ 50
Vgl. weiter unten.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
157
Nähe, Verbindung etc. in Frage gestellt und somit dekonstruiert. Zum anderen wird in diesen unterschiedlichen Verwendungsweisen das pragmatische Potential der Formen sichtbar, indem sie in unterschiedlichen Kontexten und für verschiedene Relationsformen gebraucht werden. In Prozessen der ReSignifizierung wird ein in dieser Kultur als basal erlebtes Konzept der Relationsbestimmung zwischen Menschen auf sowohl unterschiedliche Lebensbereiche als auch unterschiedliche Relationskonzepte übertragen. Auffallend ist außerdem die ungebrochene und – mit Ausnahme der Verwendungsweisen in der queer community –Auffassung von Gender als zentraler Appellationskategorie für diese Relationsbezeichnungen, die jeweils durch eine Genderopposition implizit oder explizit realisiert werden muss. Ein weiteres hoch frequentes Wortpaar zur konventionalisiert genderspezifizierenden Appellation ist das bereits in Bezug auf Paarrelationen angesprochene Wortpaar Kvinna Frau
man Mann
Sowohl kvinna als auch man kommen nicht nur als eigenständige Substantive hoch frequent vor, sie sind darüber hinaus zweites Glied zahlreicher auf Personen appellierender substantivischer Komposita wie auch erstes Glied.51 Die beiden Substantive appellieren alleinstehend in konventionellem Gebrauch ausschließlich auf das angenommene bzw. wahrgenommene Gender der appellierten Person und unterscheiden sich damit von anderen personalen Appellationsformen, in denen neben der Genderappellation Aspekte der Relation52, der Tätigkeit oder des Aussehens eine Rolle spielen. In NEO (1996) wird kvinna umschrieben als: „fullvuxen person av honkön i mots. till flicka resp. man; ofta med tonvikt på biol. el. samhällelig funktion. […] Bet.nyanser: a) ofta äv. med bibetydelse av ömhet, värme, sexualitet o.d. [...] b) spec. om kvinnlig partner i (fritt) erotiskt förhållande.“53 Hier werden in der zu Beginn gegebenen Definition zunächst die biologische Kategorisierung sowie die Altersspezifizierung als bestimmende Definitionskriterien hervorgehoben, die sich so parallel für die Form man in NEO (1996) findet, hier jedoch nur die erste von vier unterschiedlichen Bedeutungsdifferenzierungen für die Form man dar-
____________ 51 52 53
Für letzteres vgl. Kapitel 6. Vgl. weiter oben. NEO (1996, Bd. 2: 237). ‚Erwachsene Person des Sie-Geschlechts im Ggs. zu Mädchen resp. Mann; oft mit Betonung biologischer oder gesellschaftlicher Funktionen. Bedeutungsnuancen: a) oft mit einer Nebenbedeutung von Zärtlichkeit, Wärme, Sexualität oder ähnliches; b) speziell als Ausdruck für weibliche Partnerin in einer (freien) erotischen Beziehung.‘
158
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
stellt. Neben der biologisch und altersspezifizierend gegebenen Definition finden sich die folgenden: „2 manlig part i äktenskap [...] 3 medlem i grupp som är organiserad för viss verksamhet [...] 4 (ofta i sms.) person i allmänhet som ingår i sammanhanget, oavsett kön.“54 Es zeigt sich, dass neben der genderspezifizierend männlichen Verwendungsweise der Form in zwei Fällen auch eine genderunspezifizierende Verwendungsweise angeführt wird, so dass die durch die Form geleistete Genderspezifizierung nicht ein grundsätzliches Kriterium darstellt.55 Bedeutungsnuancen sind jeweils unter den vier unterschiedlichen ‚Grundbedeutungen‘ des Begriffs man aufgeführt. Unter der ersten, biologisch definierten Verwendungsweise ist angegeben: „BET.NYANS: ofta med tonvikt på handlingskraft, hederskänsla etc., med anknytning till traditionella uppfattningar.“56 Die hier zum Ausdruck gebrachten sozial-stereotypen Bewertungen, die mit der Form man verknüpft sind, entsprechen traditionellen, protoypisch männlich zugeschriebenen Eigenschaften. Vergleicht man diese Aufstellung darüber hinaus mit der weiter oben zitierten zu kvinna, so fällt zusätzlich das Fehlen der sexualisierten Komponente auf. In der weiteren Aufzählung der Bedeutungsnuancen werden für kvinna zwei verschiedene Verwendungsweisen unterschieden. Während in der ersten soziale stereotype Konzeptualisierungen von Weiblichkeit zugeschriebenen Eigenschaften reproduziert werden, wird in der zweiten eine sexualisierte Komponente als entscheidendes Kriterium hervorgehoben. In Bezug auf die Ausführungen zu den Bedeutungsnuancen des Begriffs unterscheiden sich die Einträge zu kvinna und man stark voneinander. Neben der Pluralform kvinnor findet sich vereinzelt auch die Pluralbildung kvinns, die sehr umgangssprachliche Konnotationen hat. Während diese beiden Formen, sind sie nicht Bestandteil von Komposita, grundsätzlich eine Genderspezifizierung in ihrer Appellation beinhalten (von potentiellen Verwendungen dieser Formen in festen Redewendungen abgesehen), muss dies für die Form man als Bestandteil von Komposita, in denen die oben genannten Aspekte Tätigkeit, Relation oder Aussehen zusätzlich in die personale Appellation integriert werden, in konventionellem Gebrauch
____________ 54 55 56
NEO (1996, Bd. 2: 348). ‚2 Männlicher Teil einer Ehe 3 Mitglied in einer Gruppe, die eine bestimmte Tätigkeit ausübt 4 (oft in Komposita) Person generell die in einen Zusammenhang eingeht, unabhängig vom Geschlecht.‘ Vgl. auch die Aufstellung der Synonyme in NOFO (1992) unter kvinna und man, bei denen die gleiche Differenz hinsichtlich einer mit den Formen grundsätzlich oder optional geleisteten Genderspezifizierung zum Ausdruck kommt. NEO (1996, Bd. 2: 348). ‚Bedeutungsnuance: Oft mit Betonung auf Handlungskraft, Ehrgefühl usw. Mit Anknüpfung an traditionelle Auffassungen.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
159
nicht der Fall sein. Viele der Kompositaformen, die auf man enden, werden heute im Schwedischen konventionalisiert genderunspezifizierend gebraucht.57 Beispiele für Kompositaformen auf man, die in Opposition zu entsprechenden Formen auf kvinna stehen, sind die nachfolgenden: affärskvinna Geschäftsfrau riksdagskvinna Reichstagsfrau personalkvinna Personalfrau
affärsman Geschäftsmann riksdagsman Reichstagsmann: Abgeordnete/r personalman Personalmann
Daneben finden sich auch Formen auf –man, die keine genderspezifizierenden Oppositionsformen auf –kvinna besitzen und als solche lexikalisiert genderunspezifizierend sind. Während die Kompositaformen auf kvinna in Opposition zu den entsprechenden Formen auf man stehen und immer genderspezifizierend appellieren, appellieren die Formen auf man, stehen sie nicht in direkten und expliziten Oppositionen auf die entsprechenden Formen auf kvinna, nicht unbedingt genderspezifizierend. Die Gebrauchskonventionen der genderspezifizierend weiblich und potentiell genderspezifizierend männlich appellierenden Formen divergieren , was sich auch in der Darstellung von einsprachigen Wörterbüchern niederschlägt, in der in der Regel nur die Formen auf –man verzeichnet sind und implizit als genderunspezifizierend dargestellt werden. In NPLUS (1997) sind die Formen riksdagsman und affärsman mit eigenen Einträgen aufgeführt, nicht aber die Formen affärskvinna und riksdagskvinna. In SO (1986) finden sich die Einträge riksdagsman, riksdagskvinna und riksdagsledamot. Während unter riksdagskvinna „kvinnlig riksdagsledamot“ ‚weibliche Abgeordnete‘58 verzeichnet ist, wird riksdagsman als „ledamot av riksdagen“ ‚Abgeordente(r) des Reichstags‘59 umschrieben, so dass im Wörterbuch eine Asymmetrie der Genderspezifizierung personaler Appellation lexikalisiert zum Ausdruck kommt. In Bak (1981) sind 506 unterschiedliche Bildungen mit man als zweitem Glied gegenüber 57 Bildungen mit kvinna als zweitem Glied verzeichnet. Von den Bildungen auf –kvinna, die im Wörterbuch verzeichnet sind, haben nur die Formen tjänstekvinna ‚Dienstfrau‘, fästekvinna ‚Verlobte‘, motorkvinna ‚Motorfrau‘, Prkvinna ‚PR-Frau‘, framtidskvinna ‚Zukunftsfrau‘, sageskvinna ‚Gewährsfrau‘, yrkeskvinna ‚arbeitende Frau‘, riksdagskvinna ‚Reichstagsfrau‘, föregångskvinna ‚Bahnbrecherin‘, marskvinna ‚Marsfrau‘, affärskvinna ‚Geschäftsfrau‘, idrottskvinna ‚Sportfrau‘, kontaktkvinna ‚Kontaktfrau‘, sportkvinna ‚Sportfrau‘, hallåkvinna ‚Hallofrau‘ eine
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58 59
Dasselbe gilt auch für Komposita mit man als erstem Glied, wie weiter unten zu sehen sein wird und im Gegensatz zu Formen mit kvinno als erstem Glied. SO (1986: 989). Ebd.
160
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
ebenfalls verzeichnete Entsprechung auf –man.60 Es handelt sich jedoch lange nicht in allen Fällen um auch konventionalisiert und bedeutungsmäßig symmetrische Paare, wie insbesondere in Kapitel 6 zu sehen sein wird.61 Beispiele divergierender Sprachtheorie und –praxis in der Frage der Konzeptualisierung von Genderspezifizierung oder -unspezifizierung sind zum Beispiel die Formen polisman ‚Polizeimann‘ und brandman ‚Brandmann: Feuerwehrmann‘, die weiter unten ausführlicher diskutiert werden. Neben kvinna und man können einige weitere der oben genannten Formen zusätzlich Bestandteil von Komposita zur Bildung genderspezifizierender Appellationsformen sein. Während die Komposita mit den Substantiven kvinna und man sehr frequent und auch produktiv sind, sind die anderen, hier verwendeten Formen nicht ganz so frequent, aber auch produktiv. Wie alleine schon an den aufgeführten Beispielen zu sehen ist, besitzen auch hier nicht alle genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen Oppositionsformen, die eine genderspezifizierend männliche Appellation intendieren. Hemmafru hemmaman ‚zu Hause-Frau/-Mann‘ idrottstjej/idrottskvinna idrottsman ‚Sportmädchen/-frau/-mann‘ tennistjej (sowie weitere Sportbezeichnungen) ‚Tennis-Mädchen‘ barnflicka ‚Kindermädchen‘ bondpiga ‚Bauernmädchen‘ dagisfröken ‚Kindergartenfräulein‘
Wie aus der Übersicht der Beispiele ersichtlich, gibt es formenmäßig eine relativ große Ausdifferenzierung der genderspezifizierend weiblichen Appellation, wohingegen für die konventionalisiert genderspezifizierend männliche Appellation nicht ebenso viele unterschiedliche Wortformen für entsprechende Bildungen produktiv verwendet werden. Es gibt eine Reihe von Wortpaaren in dieser Gruppe der Komposita, die in konventioneller Verwendung neben der unterschiedlichen intendierten Genderappellation weitere Konzeptualisierungen zum Ausdruck bringen. Diese können von zwei verschiedenen Arten sein: Zum einen wird die genderspezifizierend männliche Form häufig auch genderunspezifizierend verwendet, zum anderen können bei heutigem, jeweils genderspezifizierendem Gebrauch der beiden Formen unterschiedliche Konzeptualisierungen mit diesen verbunden sein.
____________ 60 61
Vgl. Bak (1981). Auch die relative Frequenz der Formen zueinander divergiert stark.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
tjänstekvinna
161
tjänsteman ‚Dienstfrau/-mann‘
Während der auf das konventionalisiert genderspezifizierend weiblich appellierende Substantiv –kvinna endende Ausdruck genderspezifizierend eine weibliche Bedienstete bezeichnet und im heutigen Sprachgebrauch in der Regel eher als veraltet gilt bzw. in seiner Verwendung eine historisierende Konzeptualisierung hervorruft, ist der auf ein genderspezifizierend männliches Substantiv –man endende Ausdruck heute auch genderunspezifizierende Bezeichnung auf Beamtinnen und Beamte. „[T]jänsteman [...] person som är anställd för att utföra uppgifter som mera har anknytning till administration än till direkt produktion.“62 Dieses Beispiel wird zudem häufig bei Argumentationen herangezogen, mit denen deutlich gemacht werden soll, dass eine Bildung von Formen auf –kvinna keinen positiven Effekt zeigen könnte, da diese Formen zugleich eine appellierende Asymmetrie besitzen würden.63 Dem widerspricht jedoch die Aufnahme des Begriffs im Nyordsboken (2000) des Schwedischen, wo er als genderspezifizierend weibliches Pendant zu tjänsteman aufgenommen und somit als ein Form des Reclaiming bezeichnet werden kann.64 yrkeskvinna
yrkesman ‚Arbeits-Frau/-Mann‘
Auch hier wird der Ausdruck, der auf ein genderspezifizierend männlich appellierendes Substantiv endet, genderunspezifizierend verwendet und hat die konventionalisierte Bedeutung ‚professionelle/r Spezialist/in‘. „[Y]rkesman [...] person som behärskar sitt yrke“.65 Das Kompositum, das auf ein genderspezifizierend weibliches Substantiv endet hat auch als Kompositum eine konventionell genderspezifizierende Bedeutung der Appellation auf eine Frau, hier allerdings nicht unbedingt und in allen Kontexten mit der Konzeptualisierung professionelle Spezialistin, sondern auch, gerade in der generischen Verwendung, mit der Konzeptualisierung berufstätig. „[Y]rkeskvinna [...] kvinna som arbetar inom ngt yrke“.66 Die
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63 64 65 66
NPLUS (1997: 1160). ‚Person, die angestellt ist, um Aufgaben auszuführen, die enger an Administrationa als an Produktion geknüpft sind.‘ Hier ist die Form tjänstekvinna nicht durch einen eigenen Eintrag vertreten, sondern lediglich die Phrase tjänstekvinnans son mit einem Verweis auf Strindberg. Vgl. SO (1986: 1277); NSO (1990: 1031); vgl. http://www.kotus.fi/svenska/reuter/ 1993/060593.shtml vom 14.2.2003. Aus der Analyse zu tjänstekvinna im öffentlichen Sprachgebrauch wird nicht deutlich, woher diese Einschätzung stammt, die zur Aufnahme der Form in das Wörterbuch geführt hat. Vgl. Kapitel 5 und Kapitel 6 für weitere Diskussionen zu dem Begriffspaar. NSO (1990: 1180); NPLUS (1997: 1313). ‚Person, die ihre Tätigkeit/ihren Beruf beherrscht.‘ NSO (1990: 1180); NPLUS (1997: 1313). ‚Frau, die in einem Beruf arbeitet.‘
162
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
implizit durch die Form yrkeskvinna aufgerufene Opposition besteht zu einer nicht in einer bezahlten Tätigkeit arbeitenden Frau und nicht in der Opposition zu einem Mann. Damit wird deutlich, dass die nicht in einer bezahlten Arbeit tätige Frau konzeptuell den Normalfall darstellt, der sich durch die Benennung der Abweichung in seiner Normalität reproduziert. Am ehesten könnte man yrkeskvinna in Opposition zu hemmafru sehen. „[H]emmafru [...] gift kvinna som (för tillfället) inte utövar yrkesarbete“.67 Dies entspricht auch den Ergebnissen der quantitativen Analyse in Kapitel 6, in der gezeigt wird, dass hemmaman sehr selten verwendet wird, während hemmafru frequent ist. Vergleicht man den Wörterbucheintrag zu hemmafru mit dem zu hemmaman fällt zudem auf, dass die Wahrnehmung des Verheiratetseins bei der entsprechenden genderspezifizierend weiblichen Benennung notwendiges Kriterium in der Wörterbuchdarstellung ist, bei dem Mann hingegen optionales: „[H]emmaman [...] (gift) man som (för tillfället) inte utövar yrkesarbete“.68 Andersherum kann dies auch darauf hinweisen, dass bezogen auf eine genderspezifizierend männliche Appellation die berufliche Tätigkeit keine Ausnahme darstellt, sondern dies der prototypische menschliche Normalfall ist, von dem die berufliche Spezialisierung lexikalisiert in Form einer personalen Appellation konventionalisiert abgegrenzt wird. Aus dieser Perspektive kann die Form yrkeskvinna auch in Opposition zu der Form dam ‚Dame‘ gesehen werden, die eine bürgerliche Frau, die nicht arbeitet (nicht arbeiten muss) bezeichnet und damit in einem schichtmäßigen Gegensatz zu yrkeskvinna steht. „[D]am [...] 1 respekterad kvinna av god samhällsställning“.69 Diese schichtmäßige Differenzierung ist in der Konzeptualisierung von männlicher Identität nicht gegeben, außerhäusliche, bezahlte Tätigkeit gehört vielmehr zu einer konzeptuellen Ebene von Männlichkeit auch jenseits von angenommener Schichtzugehörigkeit. Darüber hinaus finden sich Komposita, die auf –kvinna enden und die kein männlich appellierendes Pendant haben, da sie wiederum auf ein persönliches Verhältnis appellieren. So kann präst(e)kvinna (norweg.: prestefrue) ‚Pfarrersfrau‘ die Frau des Priesters/Pfarrers bezeichnen, das genderspezifizierend männlich appellierende Pendant wäre hier also präst
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NPLUS (1997: 420). ,Zu-Hause-Frau [...] verheiratete Frau, die (im Moment) keiner Erwerbsarbeit nachgeht.‘ NPLUS (1997: 420f). ‚Zu-Hause-Mann [...] (verheirateter) Mann, der (im Moment) keiner Erwerbsarbeit nachgeht. NPLUS (1997: 189). ‚Dame [...] respektierte Frau in guter gesellschaftlicher Stellung.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
163
‚Pfarrer‘70. Frauen werden in diesen Fällen veralteten Sprachgebrauchs bzw. im Gebrauch dieser Formen in historisierenden Kontexten über die Berufstätigkeit oder den gesellschaftlichen Status ihres Ehemannes definiert. Die Zweitrangigkeit der weiblichen Existenz und ihre direkte Abhängigkeit von der ihrer Männer ist hier eingeschrieben. Auch zeigt sich wiederum die in den personalen Appellationsformen, die persönliche Beziehungen ausdrücken, zum Ausdruck kommende Heteronormativität, die bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, wie an den hier zitierten Formen zu sehen ist, für die sprachliche Benennung und damit Wahrnehmung von Frauen zentral gesetzt war. Der Normalfall weiblicher Existenz war die instutionalisierte heterosexuelle Paarbeziehung. In dieser wurde auf die Frauen bis in die 70er Jahre über die öffentliche Position ihrer Ehemänner appelliert. Sind sie nicht verheiratet, wurden sie in der Anrede über ebendiesen Aspekt gekennzeichnet. Neben der Heteronormativität kommt zusätzlich die Institutionalisierung einer heterosexuellen Beziehung in den entsprechenden appellierenden Benennungen zum Tragen, die als Normalfall hergestellt wird, von der Abweichungen explizit benannt werden. Heute sind entsprechende Gebrauchsweisen nur noch in historisierenden Diskursen üblich. Dies deutet auf eine gesamtgesellschaftlich veränderte Wahrnehmung von Frauen hin, die durch ihre starke Partizipation am Erwerbsleben und ihre dadurch erlangte finanzielle, relative Unabhängigkeit nun nicht mehr ausschließlich über die Berufstätigkeit des Mannes, mit dem sie sich in einer institutionalisierten Beziehung befinden, konzeptualisiert werden. Sowohl Aspekte der größeren Bildung und höheren Frequenz weiblicher Erwerbstätigkeit spielen eine Rolle als auch eine veränderte Bedeutung der institutionalisierten Form heterosexueller Paarbeziehungen. Weitere Worte in der Gruppe der lexikalisierten genderspezifizierenden Substantive sind zur genderspezifizierend weiblichen Appellation: fru ‚Frau‘, dam ‚Dame‘, tjej, flicka, jänta, piga, tös alle ‚Mädchen‘, gumma ‚alte Frau‘, drottning ‚Königin‘; und zur genderspezifizierend männlichen Appellation herr (nur in direkter Anrede) ‚Herr‘, herre ‚Herr‘, man ‚Mann‘, kille, karl, pojke, gosse, dräng, grabb alle ‚Junge‘, kung ‚König‘, gubbe ‚alter Mann‘. Die verschiedenen Formen können in verschiedenen Kontexten, Genres und Stilen in unterschiedlichen Kombinationen jeweils als oppositionell zueinander wahrgenommen und verwendet werden, weswegen hier
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Sowohl in NPLUS (1997) als auch in SO (1986) sind nur die Formen präst, prästman und prästinna verzeichnet. Während präst genderunspezifizierend definiert wird, ist prästinna als „kvinna som tjänstgör som präst“ ‚Frau, die als Pfarrer Dienst tut‘ (NPLUS 1997: 872) wiedergegeben und damit präst implizit als nicht weiblich appellierend definiert.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
auf eine 1:1-Gegenüberstellung verzichtet wurde. Sie entsprechen sowohl verschiedenen Genres als auch verschiedenen Stilniveaus, wobei in allen Fällen keine klaren Grenzen gezogen werden können.71 Sie sind teilweise und in kontextueller Abhängigkeit altersdifferenzierend, wobei auch diese konventionalisiert alterspezifzierenden Verwendungen jeweils wieder übertragen auf andere Altersgruppen Anwendung finden. Nur das lexikalisierte genderspezifizierende Oppositionspaar drottning – kung hat darüber hinaus auch die Spezifizierung einer Tätigkeit, die jedoch als Statuskennzeichnung interpretiert werden kann und in letzterem Fall in dieser Hinsicht nicht aus dieser Gruppe der Appellationsformen herausfallen würde. Die zunächst und in vielen Kontexten immer noch gebräuchliche Verwendung von tjej ist in der Appellation auf eine angenommene oder wahrgenommene, altersmäßig junge bzw. nicht erwachsene Frau und entspricht in dieser Verwendung weitgehend der von flicka.72 So ist tjej in NPLUS (1997) mit „ung flicka äv. om inte helt ung kvinna [...]“73 wiedergegeben. Demgegenüber bezeichnet kvinna eine weibliche Person erwachsenen Alters, so dass zwischen beiden Appellationsformen, werden sie beide in einem Text benutzt, eine Gebrauchsdifferenzierung hinsichtlich des Alters festzustellen ist. Diese altersdifferenzierende Verwendung von tjej ist jedoch nicht durchgängig zu finden, wie auch schon in der Charakterisierung in NPLUS (1997) angedeutet wird. In NYO (1988) ist die Form tjejkvinna ‚Mädchenfrau‘ als Neubildung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgeführt mit der Definition: „vard. Om ungdomlig men inte helt ung kvinna“.74 Dies kann als eine Übergangsphase von der Verwendung der Appellationsform kvinna zu tjej für Frauen ohne Alterdifferenzierung zwischen Jugend und erwachsenem Alter angesehen werden. So wird heute die Appellationsform tjej zunehmend auch genderspezifizierend für Personen angenommenen oder wahrgenommenen weiblichen Genders in erwachsenem Alter verwendet. Adelswärd (2001)
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In dem Antonymwörterbuch von Walter (2002) finden sich unter dem Eintrag kvinna die Formen man, karl, herre, flicka, barn; unter dem Eintrag man die Formen kvinna, dam, fruntimmer ‚Frauenzimmer‘,tjej, pojke, barn, hustru, fru, maka. Es zeigt sich, dass kvinna und man nicht nur genderspezifizierend, sondern auch als altersspezifizierend konzeptualisiert werden, was sogar soweit geht, den Formen die genderunspezifizierende Form barn ‚Kind‘ gegenüber zu stellen. Zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte die Form tjej als Slangausdruck konventionalisiert noch eine vor allem negative Verwendungsweise. Im frühen 20. Jahrhundert wurde tjej u.a. zur Benennung von Straßenmädchen verwendet. NPLUS (1997: 1158). ‚Junges Mädchen; auch für eine nicht ganz junge Frau.‘ NYO (1988: 245). ‚Umgangssprachl. für jugendliche aber nicht ganz junge Frau.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
165
sieht tjej als eine „[...] helt neutral beteckning på kvinna“75 an. Diese Verwendung findet sich häufig als Kollektivbenennung in direkter Anrede, wobei hier nicht länger das jüngere Alter in der Appellation mit zum Ausdruck kommt, sondern stattdessen mit jüngerem Alter assoziierte Persönlichkeitsmerkmale wie beispielsweise Ausgelassenheit, Naivität, Cliquenbildung. Die frühere ausschließliche Verwendung der Form tjej als genderund altersspezifizierend und in Opposition zu kvinna ist in seinem heutigen Gebrauch nicht mehr durchgängig zu finden, wodurch die Frage der Alterskonzeptualisierung bei genderspezifizierend weiblicher Appellation offensichtlich eine Modifikation erfährt.76 Gerade in der heute älteren Generation führt dies bisweilen zu Irritationen.77 Anzunehmen ist hier eine zunehmende Übertragung von Jugendlichkeit als ICM bei einer genderspezifizierenden Appellation auf Frauen, welches so zu einem protoypischen Charakteristikum wird, welches in Folge zu der Benennung von Abweichungen von dieser Alterskonzeptualisierung führen müsste. Damit gibt es zwei genderspezifizierend weiblich appellierende, lexikalisierte Substantive jenseits einer weiteren Benennung von Tätigkeiten, Aussehen o.ä., kvinna und tjej, wobei diese zumindest teilweise auch hinsichtlich ihrer Kollokationen und Kontexte zu differenzieren sind.78 Lyons (1977: 334) sieht für das Englische „[...] the age-range for calling someone a girl overlaps considerably with that for calling someone a woman.“ Eine ähnliche Tendenz der Verwendung der Form girl als Appellation auf erwachsene Frauen hat Lakoff (1975) schon vor fast 30 Jahren für das Englische festgestellt und die Asymmetrie in der konventionalisierten Appellationspraxis auf Männer konstatiert. „One seldom hears a man past the age of adolescence referred to as a boy [...]. But women of all ages are ‚girls‘. [...] girl is flattering to women because of its stress on youth. But here again are pitfalls: in recalling youth, frivolity, and imma-
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Adelswärd (2001: 115). ‚Ganz neutrale Bezeichnung für Frauen.‘ Schon Leech (1981) hat darauf hin gewiesen, dass die Altersdifferenzierung zwischen dem Konzept Frau und dem Konzept Mädchen weder zeitübergreifend feststehend noch parallel mit der Altersgrenzziehung zwischen den Konzepten Mann und Jungen verläuft: „More abstract criteria may be involved, in particular social factors such as being economically independent of one’s parents, taking adult responsibilities etc. These criteria apply differently to the two sexes: boys seem to reach ‚manhood‘ earlier than girls reach ‚womanhood‘ not for biological reasons (which would argue in the opposite direction), but for social reasons. [...] traditionally, a girl has been regarded as dependent on her parents until married.“ (Leech 1981: 121). Vgl. Adelswärd (2001: 115) für eine entsprechende Anekdote. Vgl. Kapitel 6.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
turity, girl brings to mind irresponsibility [...] a woman is a person who is both too immature and too far away from real life to be entrusted with responsibilities and with decisions of any serious nature.“ (Lakoff 1975: 25f)
Adelswärd (2001) sieht die veränderte konventionalisierte Verwendungsweise im Schwedischen vor allem seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben und schreibt die veränderte Gebrauchsweise der neuen Frauenbewegung zu. Eine ähnliche Feststellung macht Lenker (1999) für das Englische, wenn auch sie die neuere Entwicklung einer ausgeweiteten Verwendung der Form girl als Reaktion auf die neue Frauenbewegung interpretiert. Auch im Schwedischen ist ähnlich wie im Englischen die entsprechende genderspezifizierende Appellation auf einen Mann demgegenüber ohne eine weitere Tätigkeits-, Alters- oder Aussehenscharakterisierung o.ä. nicht in verschiedene, kontextuell zu unterscheidende Formen weiter ausdifferenziert, und es hat keine Übertragung einer vordem altersspezifizierenden Form zur genderspezifizierend männlichen Appellation jüngeren auf älteres Alter in gleichem Ausmaß stattgefunden.79 Zusätzlich wird in der oppositionellen Benennung von man und tjej neben dem Alter eine weitere Differenz mit zum Ausdruck gebracht, die Aspekte der Reife und Autorität betrifft und den Mann zur reifen und autoritären Norm in der direkten Opposition zu einer weiblichen Person erhebt.80 Hirdman (2001) verortet den Beginn der Verwendung des Begriffs tjej anstelle von kvinna als genderspezifizierend weibliche Appellation intendierten Sprachgebrauch bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. „Med könsjämlikhetens diskurs på 1960-talet föddes en ny stereotyp. Flickan med hjälmen. Flickan på den manliga arbetsplatsen, byggnadarbeterskan, traversförerskan, den tunga industrins arbeterska. Hon var en „tjej“ och inte en kvinna.“81 (Hirdman 2001: 177)
Hirdman sieht das vermehrte Aufkommen von tjej mit einer abnehmenden Verwendung des Wortes kvinna verbunden. Dass die Form tjej eine größere Verbreitung und Anwendungsweise in den 90er Jahren gefunden hat, wird beispielsweise auch von dem populärwissenschaftlichen und in mehrfacher Hinsicht zu kritisierenden Werk von Lindström (2002) aufgegrif-
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Vgl. Hornscheidt (2006b), wo die Verwendung der Form kille in dieser Hinsicht diskutiert wird. Vgl. Kapitel 6. ‚Mit dem Diskurs um Gendergleichstellung in den 60er Jahren ist ein neues Stereotyp geboren worden: Das Mädchen mit Helm. Das Mädchen auf dem männlichen Arbeitsplatz, Bauarbeiterin, Kranführerin, die Arbeiterin in der Schwerindustrie. Sie war ein “Mädchen” und nicht eine Frau.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
167
fen, der dies als eine parallele Entwicklung mit der abnehmenden Verwendung der Formen dam und gumma ansieht. „Att vara tjej och kille var en gång ungdomligt. Det vill säga, det var rena åldersord. Men när i stort sätt alla ansluter sig till idealen börjar orden sakta tömmas på sitt ungdomliga innehåll. Då blir de som idag mest bara könsskiljande (tjejmilen är ett lopp som bara kvinnor får springa.).“82 (Lindström 2002: 258)
Dass hier auch genderspezifizierende gesellschaftliche Bewertungen einfließen, bleibt bei Lindström unreflektiert. An keiner Stelle erklärt er überzeugend die asymmetrischen Oppositionen, die sich in vielen Kompositabildungen finden (wie z.B. in tjejmilen; ein killmilen ‚Jungenmeile‘ gibt es nicht) und die weiter unten noch ausführlicher besprochen werden. Dass es für Frauen andere gesellschaftliche Normen geben könnte, die von diesen einen höheren Grad an Jugendlichkeit verlangen, damit sie einem Weiblichkeitsideal entsprechen83 und das auf diese Art und Weise eine Altershierarchie in der Konzeptualisierung von Frauen und Männern hergestellt wird, die die Männer jeweils zu den reiferen älteren machen, bleibt bei Lindström ebenso unsichtbar, wird hier als relevant postuliert.84 So sieht Lindström (2002) die Benennungspraxis von Frauen mit der Form tjej auch ausschließlich als eine Form der bewussten und frei gewählten Selbstbenennung: „Att forsätta att vara tjej som man var när man var ung är ett sätt att markera att man orienterar sig utifrån de „nya“ idealen, de som slog igenom under 1960- och 70-talen. Ordet tjej har givetvis till sitt innehåll kommit att präglas av dem som använt det och deras opposition mot det alltför damiga.“85 (Lindström 2002: 256)
Dieses Beispiel zeigt zum einen die relativ hohe öffentliche Aufmerksamkeit, die diese Sprachveränderung besitzt. Gleichzeitig wird zum anderen deutlich, wie unterschiedlich diese Sprachveränderung betrachtet und ausgelegt werden kann. Die von Lindström (2002) vorgeschlagenen Interpretationen werden hier kritisiert und verworfen.
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‚Mädchen und Junge zu sein war mal jugendhaft. D.h. es waren mal reine Alterswörter. Aber wenn im GroƢen und Ganzen alle anfangen sich diesem Ideal anzunähern, leeren sich die Wörter langsam von ihrem jugendlichen Inhalt. Da werden sie wie heute ausschlieƢlich geschlechtsdifferenzierend (Mädchenmeile ist ein Lauf, den nur Frauen laufen dürfen).‘ „For implicit in the word girl are the notions of childishness, dependency, conformity, nonaggression, obedience and non-competitiveness.“ (Mills 1991: 103). Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Diskussion auf empirischer Grundlage. Fortzusetzen Mädchen zu sein, wie als man jung war, ist eine Möglichkeit zu zeigen, dass man sich an dem „neuen Ideal“ orientiert, welches sich in den 60er und 70er Jahren durchgesetzt hat. Das Wort Mädchen hat sich offenbar denjenigen angepasst, die es und seine Opposition benutzt haben, um sich von dem zu damenhaften abzugrenzen.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Sowohl Leech (1981) als auch Lyons (1977) haben schon früh für das Englische eine Asymmetrie der entsprechenden Verwendungsweisen für girl und boy konstatiert, die auch für das heutige Schwedisch bestätigt werden können. Wie auch Lenker (1999) feststellt, gibt es auch für die Form boys gewisse, wenn auch weniger ausgebreitete Tendenzen einer Kollektivbenennung im Erwachsenenalter. In begrenztem Umfang trifft dies auch für die Form killar ‚Jungen, Typen‘ zu.86 Das Oppositionspaar dam ‚Dame‘ und herre ‚Herr‘ appelliert auf ein Frauen- und Männerideal, das einer veränderten Gesellschaftsstruktur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugerechnet werden kann, was die heutige verminderte Verwendung der entsprechenden Appellationsformen nach sich zieht. Sowohl dam als auch herre dienten noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer Benennung von höhergestellten oder respektieren Frauen und Männern.87 In NEO (1995) wird dam als „respekterad kvinna som har el. ger intryck av att ha god samhällsställning“88 charakterisiert. Darüber hinaus werden für die Verwendung der Form in personaler Appellation fünf verschiedene Bedeutungsnuancen angegeben: „a) ibl. med stark tonvikt på kultiverat uppträdande etc. [...] b) om kvinnlig partner vid tillställning [...] c) om älskarinna e.d. [...] d) i en artighetsfras riktad till publik e.d. med både kvinnor och män [...] e) (socialt helt neutralt) för att ange att ngt är avsett enbart för kvinnor [...].“89 (NEO (1995), Bd. 1: 263)
Die Erwähnung der totalen sozialen Neutralität in der fünften hier aufgeführten Bedeutungsvariante impliziert, dass die übrigen nicht sozial neutral sind. Die dritte Bedeutungsvariante wird als eine euphemistische und verschleiernde Umschreibung interpretiert, die als solche zu den Höflichkeitsformen zu rechnen ist, die nur für die direkten Anreden geltend gemacht werden. Demgegenüber wird davon ausgegangen, dass sich die Konzeptualisierung von dam zunehmend zu einer Höflichkeitsnorm und
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Vgl. Kapitel 6. Vgl. auch den unter yrkeskvinna diskutierten Eintrag in NPLUS (1997) zu dam, in dem diese Konzeptualisierung aufgenommen ist. NEO (1995, Bd. 1: 263). ‚Respektierte Frau, die hat oder den Eindruck gibt eine gute Gesellschaftsstellung zu besitzen.‘ Hier findet sich eine schwerpunktmäßige Bedeutungsverschiebung gegenüber der weiter oben zitierten Definition in NPLUS (1997), wo die gesellschaftliche Stellung nicht mit verminderter Relevanz erwähnt wird. ‚a) Manchmal mit starker Betonung eines kultivierten Auftretens etc. b) für eine weibliche Partnerin in einem Aufgebot c) für Geliebte o.ä. d) in einer Höflichkeitsphrase an das Publikum gerichtet o.ä. mit sowohl Frauen und Männern e) (sozial total neutral) um anzugeben, dass etwas nur für Frauen beabsichtigt ist.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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einem bestimmten Auftreten hin unter Wegfall der früher primären schichtspezifizierenden Konzeptualisierungen verändert. Als solche bekommt die personale Appellationsform eine neue konventionalisierte Bedeutung und fällt nicht per se mit einer immer größeren Irrelevanz schichtmäßiger Differenzierungen weg. Die Form herre kann konventionalisiert sowohl genderspezifizierend männlich appellierend gebraucht werden als auch zur Kennzeichnung einer übergeordneten gesellschaftlichen Position, wobei sie sich in dieser konventionalisierten Verwendungsweise primär auf Männer bezieht. „[H]erre [...] 1 respekterad man i (synbart) god samhällsställning [...] 2 överordnad (förnäm) person (av manligt kön) med oinskränkt bestämmanderätt [...]“90. Die erste Bedeutung weist laut NEO die folgenden Bedeutungsnuancierungen auf: „a) spec. vid artigt tilltal [...] b) ibl. dock socialt neutralt; spec. i vissa könsskiljande beteckningar och i sportsammanhang [...] c) ibl. med betoning av kavaljersfunktion [...].“91 Auffallend ist in der unterschiedlichen Charakterisierung der Formen dam und herre in NEO, dass die Höflichkeit bei der Form dam ausschließlich diesen gegenüber durch eine Verwendung der Form zum Ausdruck gebracht wird, wohingegen sie bei der Form herre auch durch diese selbst zum Ausdruck kommt, wenn in den Wörterbucheinträgen die damit verbundene männliche Kavalierhaltung betont wird. Als sozial neutral wird die Form herre hier zudem nur in den Kontexten angesehen, wenn sie in direkter Opposition zur Form dam steht. Als erster Teil von Komposita bezeichnen dam- und herre- im heutigen Sprachgebrauch Objekte, die genderspezifizierend konzeputalisiert werden (dam- och herrskor ‚Damen- und Herrenschuhe‘, dam- och herrkläder ‚Damenund Herrenkleidung‘). Dam- och herrkläder stehen zusammen in Opposition zu kvinno- und manskläder ‚Frauen- und Männerkleidern‘: Letztere werden verwendet, wenn eine Person mit einer anderen Genderidentifikation wahrgenommen wird als die Kleidung, die sie trägt (beispielsweise „män går i kvinnokläder“ ‚Männer in Frauenkleidern‘), so dass die Formen kvinno und man in dieser Kompositabildung eine angenommene Natürlichkeit von Gender ausdrücken, während dam und herre eher Status genderdifferenzierend zum Ausdruck bringen. Besonders die Form dam dient zusätz-
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NEO (1995, Bd. 1: 624) ‚Herr [...] 1) respektierter Mann in (sichtbar) guter gesellschaftlicher Stellung 2) übergeordnete (vornehme) Person (männlichen Geschlechts) mit uneingeschränktem Bestimmungsrecht.‘ NEO (1995, Bd. 1: 624). ‚a) speziell als höfliche Anrede b) manchmal doch sozial neutral, speziell in gewissen geschlechterdifferenzierenden Benennungen und im Sportzusammenhang c) manchmal mit Betonung der Kavaliersfunktion.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
lich in vielen Kombinationen der genderspezifizierend weiblichen Benennung im Bereich des Sports, ohne dass es hier in den meisten Fällen ein Pendant mit herr oder man gibt. Sie steht - in diesem Bereich in Konkurrenz zu sowohl kvinno- als auch tjej.92 Als lexikalisierte Bildungen sind in NEO (1995) die Formen dambesök ‚Damenbesuch‘, dambinda ‚Damenbinde‘, dambjudning ‚Damengesellschaft‘, damcykel ‚Damenrad‘, damfrisering ‚Damenfrisur‘, damfrisörska ‚Damenfrisörin‘, damig ‚damenhaft‘ und damkör ‚Damenchor‘ aufgeführt93, für herr/e die Bildungen herrbetjänt ‚Herrendiener‘, herrcykel ‚Herrenrad‘, herrdubbel ‚Herrendoppel‘, herrefolk ‚Herrenvolk‘, herrekipering ‚Herrenausstattung‘, herrelös ‚herrenlos‘, herresäte, herrgård beide ‚Herrensitz‘, herrsida ‚Herrenseite‘, herrsingel ‚Herreneinzel‘, herrskap ‚Herrschaft‘, herrtidning ‚Herrenzeitung‘.94 Während sich hier lexikalisiert genderspezifizierend männliche Sportbezeichnungen finden, sind keine vergleichbaren Einträge mit dam in NEO (1995) verzeichnet. Einige der Formen appellieren zudem nicht genderspezifizierend männlich, sondern Status angebend, was die doppelte Bedeutung der Form herr/e unterstreicht und eine Vermischung der Konzeptualisierungen von männlichem Gender und Status nahe legt. Während bei der Form man in den Wörterbucheinträgen eine Vermischung der männlichen Genderspezifizierung mit einer allgemeinmenschlichen Appellation herausgearbeitet wurde, wird bei der Form herre ein Übergang zwischen männlicher Genderspezifizierung und einem hohen Status in den Wörterbucheinträgen deutlich. Sowohl die Form kvinna wie die Form dam werden als genderspezifizierend weiblich aufgefasst und bekommen ausgehend davon in den Wörterbucheinträgen weitere Konnotationen zugeschrieben, die u.a. Alter und Status betreffen. Im Gegensatz zu der Darstellung in NEO (1995) sieht der finnlandschwedische Sprachpfleger Reuter in einer Sprachglosse von 198995 sozialhistorische Ursachen als bestimmend dafür an, dass dam und herre zur Kennzeichnung von Sportarten benutzt wurden und sich auch durchsetzten, als Sport nicht mehr nur von bestimmten Schichten ausgeübt wurde.96
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Vgl. Kapitel 6. NEO (1995, Bd. 1: 263). NEO (1995, Bd. 1: 624f). Vgl. Mikael Reuter 1989 „Damer eller kvinnor?“ ‚Damen oder Frauen?‘ http://www.kotus.fi/svenska/reuter/1989/011289.shtml vom 14.2.2003. Diese Argumentation wird hier nicht geteilt, da Sport per se nicht nur schichtspezifisch ausgeübt wurde, sondern besonders in Skandinavien auch sehr früh schon Arbeitersportverbände zu finden waren; es stimmt allerdings, dass verschiedene Sportarten vornehmlich in verschiedenen Schichten ausgeübt wurden. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Sportausübung höherstehender Schichten eine größere Rolle gespielt haben.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Reuter setzt darüber hinaus eine weitere semantische Erklärung für die Opposition zwischen dam und kvinna in bestimmten Kontexten an, die in vergleichbarer Form ebenfalls in NEO (1995) zu finden gewesen ist. „En speciell betydelse hos dam är ‚kvinnlig partner vid tillställning‘, alltså en motsvarighet till kavaljer. På en soaré är det en stor skillnad på om man presenterar någon som sin dam eller som sin kvinna...“97 Der Gebrauchskontext des hier von Reuter (1989) angeführten Beispiels kann als leicht altertümlich, vor allem aber auf die obere Mittelschicht oder Oberschicht verweisend interpretiert werden, was wiederum die These der gleichzeitig mit Gender durch die Form dam zum Ausdruck gebrachten Statuskonzeptualisierung unterstreicht. Gerade die Gegenüberstellung mit der Form kvinna weist auf die weiter oben erörterte Natürlichkeitsvorstellung von heterosexuellen und institutionalisierten Verwandtschaftskonzeptualisierungen hin. In dem Sinne kann auch die Verwendung der Appellationsform dam in Bezug auf sportliche Tätigkeiten als eine Konzeptualisierung derselben als nicht natürlich interpretiert werden. Da die Benennung männlicher sportlicher Betätigung nicht genderspezifizierend lexikalisiert ist, würde dies die Konzeptualisierung von sportlicher Betätigung von Männern als natürlich unterstreichen. Die bis hierhin vorgenommenen Analysen deuten darauf hin, dass die genderspezifizierend appellierende Benennung mit kvinna/kvinno- eine Natürlichkeitsvorstellung der Genderkategorisierung bewirken kann, die durch das Verhältnis zu der Appellation durch die Form dam, durch welche eher eine genderspezifizierende Statuskonzeption erfolgt, deutlich wird. Diese ist heute jedoch weitgehend veraltet und wird zunehmend durch eine normalisierende Alterskonzeption von Jugendlichkeit in Bezug auf genderspezifizierend weibliche Konzeptualisierung ersetzt, die durch die Form tjej zum Ausdruck kommt. Eine immer häufiger zu findende Verwendung von dam- als erster Teil von Komposita im Bereich des Sports durch tjej- könnte auf eine Veränderung der prototypischen Konzeptualisierung von Weiblichkeit hindeuten, die sich im Bereich des stark genderdifferenzierten Sports dadurch ausdrückt, dass sportliche Aktivität nicht länger als ein Mittel- oder Oberschichtsprivileg angesehen wird und die damit verbundenen Konzeptualisierungen zunehmend verliert, sondern als ein Ausdruck von Jugendlich-
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Vgl. Mikael Reuter (1989): „Damer eller kvinnor?“ http://www.kotus.fi/svenska/ reuter/1989/011289.shtml vom 14.2.2003. ‚Eine spezielle Bedeutung von Dame ist weiblicher Partner bei einem Aufgebot , also eine Entsprechung zu Kavalier. Bei einem Abendempfang macht es einen groƢen Unterschied, ob man jemanden als seine Dame oder seine Frau präsentiert.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
keit. Weder in NPLUS (1997) noch in NSO (1990) sind Komposita mit tjej als erstem Glied verzeichnet. In NYO (1988) finden sich die Einträge tjejkvinna ‚Mädchenfrau‘, tjejgerilla ‚Mädchengeruilla‘ und tjejmaffia ‚Mädchenmafia‘ als Neubildungen der 70er und 80er Jahre, in NYO (2000) findet sich kein Eintrag mit tjej. Die Bildungen tjejgerilla und tjejmaffia sind jeweils Bildungen, mit denen politisch aktive Frauen appelliert werden, die sich zu kollektiven Gruppen zusammengeschlossen haben. In diesen Fällen können die Formen als Fremdappellationen die jeweiligen politischen Tätigkeiten abwerten oder sich in Selbstappellation von traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen abgrenzen. Eine Genderspezifizierung mit den hier diskutierten Formen in Kompositabildungen mit einem genderspezifizierenden Substantiv als erstem Glied hat Doleschal (1992) in dieser Form auch für das Estnische aufgezeigt.98 Diese Form der genderspezifizierenden Appellation findet im Schwedischen besonders auch bei der Benennung enger persönlicher Verhältnisse statt, die auf diese Weise lexikalisiert genderspezifiziert werden: flickvän ‚Mädchenfreund: Freundin‘ tjejkompis ‚Mädchenkumpane‘
pojkvän ‚Jungenfreund: Freund‘ killkompis ‚Jungenkumpane‘
In SAG99 wird die Form pojkvän in einer Gruppe von Formen erwähnt, in denen die Relation von erstem und zweitem Glied eine identische sei: „Också andra semantiska relation kan finnas mellan för- och efterled, t.ex. en predikativ relation (efterledets referent är det som anges av förledet) eller en likhetsrelation (efterledets referent liknar det som anges av förledet).“100 (Svenska Akademiens Grammatik 1999, Bd. 2 § 27: 44f.)
Die durch die entsprechenden Formen stattfindende Genderspezifizierung wird in der Definition unsichtbar und soll in der vorliegenden Arbeit bei personalen Appellationsformen als eine spezifische Bedeutungsrelation zwischen erstem und zweitem Glied festgehalten werden. In NPLUS (1997) ist flickvän definiert als „flicka till vilken en viss
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Die von ihr ebenfalls angeführten Beispiele des Koreanischen und Englischen unterscheiden sich dadurch, dass hier genderspezifizierende Pronomina als erstes oder genderspezifizierende Substantive als zweites Glied benutzt worden sind. Darüber hinaus handelt es sich in Doleschals Beispielen in beiden Fällen um die Genderspezifizierung von Tieren. 99 Svenska Akademiens Grammatik (1999, Bd. 2 §27): Betydelserelation mellan för- och efterled: 44f. 100 ‚Es können sich auch andere semantische Relationen zwischen dem ersten und zweiten Glied finden, z. B. eine prädikative Beziehung (der Referent des zweiten Glieds ist derjenige, der im ersten Glied angegeben wird) oder eine Gleichheitsbeziehung (der Referent des zweiten Glieds gleicht dem des ersten).‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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mansperson står i kärleksförhållande“101 und pojkvän als „pojke som en (viss) flicka har ett mer varaktigt (kärleks)förhållande till“102. Es zeigt sich, dass beide Einträge mit Ausnahme der Genderspezifizierung nicht identisch sind, sondern darüber hinaus Differenzierungen hinsichtlich der durch die Appellationsformen zum Ausdruck gebrachten Relationen in den Wörterbuchdefinitionen aufweisen. Während bei flickvän ein potentiell altersmäßig asymmetrisches Verhältnis zwischen flicka und mansperson angesetzt wird, ist dies bei pojkvän durch die Relation flicka und pojke symmetrisch. Auch die Form kvinno- als erstes Glied in Komposita personaler Appellation kann dabei sowohl eine genderspezifizierend weibliche Appellation anzeigen, wie in kvinnopräst ‚Frauen-Pfarrer‘103, aber auch eine genderspezifizierend männliche, wenn Frauen als Ziel der im zweiten Glied dargestellten Tätigkeit objektiviert werden und die personale Appellation so zu einer männlichen spezifiziert wird, wie in kvinnoförtryckare ‚Frauenunterdrücker‘, kvinnohatare ‚Frauenhasser‘.104 In NPLUS (1997) findet sich für diese mögliche Gruppe personaler Appellationsformen lediglich die Form kvinnotjusare ‚Frauen-Verlocker: Weiberheld‘ als eigener Eintrag, der sehr viel positiver ist als die beiden zuvor genannten Appellationsformen, die, wie im sechsten Kapitel zu sehen sein wird, im Material schwedischer Tageszeitungen sehr viel frequenter sind. Diese Appellationsformen drücken gleichzeitig jeweils ein heterosexuelles, hegemoniales Verhältnis aus, dessen Wissen für ein Verständnis der genderspezifizierenden Appellationsleistung dieser Formen als Präsuppositionen in ihren Konzeptualisierungen hervorgerufen werden muss. Daneben gibt es noch eine dritte Gruppe von Komposita mit kvinno als erstem Glied, die nicht genderspezifizierend sind, wie beispielsweise die Form kvinnoläkare ‚Frauenarzt/ärztin‘.105 Die Bildungen auf kvinno- haben nur selten Entsprechungen zu Formen auf man(s)-, so dass auch hier davon ausgegangen werden
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101 NPLUS (1997: 285). ‚Mädchen, zu dem eine männliche Person in einem Liebesverhältnis steht.‘ 102 NPLUS (1997: 853). ‚Junge, zu dem ein (bestimmtes) Mädchen eine mehr dauerhafte (Liebes)Beziehung zu hat. 103 NPLUS (1997: 604). 104 Aus kvinna wird als erstes Glied in zusammengesetzten Wörtern kvinno. Dieses Muster findet sich auch bei kyrka ‚Kirche‘ als erstem Glied (> kyrko), känsla ‚Gefühl‘ (> känslo) und vecka ‚Woche‘ (> vecko). (SAG 1999, Bd. 2 §33 : 53) Im Gegensatz dazu bekommt die Form man in Zusammensetzungen in der Regel der Fälle ein Binde-s an das erste Glied angehängt. 105 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Diskussion dieser verschiedenen Formen, die vordergründig nach demselben Muster gestaltet sind.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
kann, dass in der Regel eine Vorstellung von Männlichkeit als allgemeinmenschlich vorliegt, die zu einer Benennung der Abweichung von dieser führt. Die Unterschiedlichkeit der genderspezifizierenden Appellationen, die mit kvinno als erstem Glied hergestellt werden, zeigt zugleich, dass die Konzeptualisierung von kvinno jeweils auf dem Hintergrund des zweiten Gliedes erfolgen muss, auf dessen Grundlage kvinno als erstes Glied jeweils unterschiedlich interpretiert wird. Bei einer Gegenüberstellung der Formen kvinnopräst und kvinnoläkare, die beide auf berufliche Tätigkeiten mit einem hohen gesellschaftlichen Ansehen, in der die den Beruf Ausübenden beratende Tätigkeiten im Kontakt mit anderen Menschen wahrnehmen, wird darüber hinaus deutlich, dass in der Konzeptualisierung der Formen noch eine andere Ebene des Weltwissens hervorgerufen sein muss, um die unterschiedliche Appellationsleistung des ersten Glieds kvinno jeweils zu verstehen. Die Form kvinnopräst ist selbst erstes Glied einer weiteren personalen Appellationsform, kvinnoprästmotståndare ‚FrauenPfarrerinnen-Widerständler‘. In NYO (1988) sind sowohl kvinnopräst wie auch kvinnoprästmotståndare mit eigenen Einträgen als Neubildungen der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts versehen. In der Definition von kvinnoprästmotståndare wird nicht die Form kvinnopräst verwendet, sondern die Phrase kvinnliga präster ‚weibliche Pfarrer‘106. Neben den personal appellierenden Komposita mit genderspezifizierenden lexikalisierten Formen als erstem Glied kommen die genderspezifizierend weiblichen Formen (kvinna, flicka und tjej) auch in einer großen Zahl von Komposita vor, die nicht direkt personal appellierend sind, wie kvinnokamp ‚Frauenkampf‘, tjejlopp ‚Mädchenlauf‘, kvinnolöner ‚Frauenlöhne‘, kvinnofrågan ‚die Frauenfrage‘, kvinnotidning ‚Frauenzeitung‘, kvinnorörelse ‚Frauenbewegung‘, kvinnohistorie ‚Frauengeschichte‘, kvinnoliv ‚Frauenleben‘, flickskolor ‚Mädchen-schulen‘ etc. Sie appellieren konventionalisiert jeweils auf genderspezifizierend weibliche Tätigkeiten, Handlungen, Objekte und Institutionen von oder für Frauen. Hier wiederum fehlen in der Regel Komposita, die mit genderspezifizierend männlichen Formen als erstes Glied gebildet sind.107 Damit wird eine sekundäre Ap-
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106 Vgl. NYO (1988: 144). „kvinnoprästmotståndare motståndare till införandet av kvinnliga präster“. 107 In NPLUS (1997) finden sich die Formen kvinnfolk, kvinnlig, kvinnobild, kvinnodag, kvinnodräkt, kvinnofrid, kvinnofråga, kvinnofälla, kvinnohus, kvinnojour, kvinnoklinik, kvinnokön, kvinnoläger, kvinnopäst, kvinnoroll, kvinnorörelse, kvinnosaken, kvinnosakskvinna, kvinnosjukdom, kvinnotjusare und kvinnotycke als eigene Einträge. Für man die Einträge manfall, manfolk, manhaftig, mankön, manlig, manschauvinism, mansgris, manskap, manslem, mansluskerska, manspillan, manssamhälle, manstark und mansålder. Es zeigt sich, dass es nur sehr wenige Entsprechungen in den Bildungen von kvinn(o) und man(s) gibt und viele der Formen auf man(s) zudem nicht
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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pellation auf Frauen in diesen Fällen zu einer Bezugnahme auf Gender, die Bezugnahme auf Männer bildet den neutralen und nicht gegendert zu benennenden ‚Normalfall‘, bezogen auf ebensolche Handlungen, Tätigkeiten, Objekte und Institutionen. Hirdman (2001) bezeichnet dies im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert in Schweden als das Schaffen eines Extra-Raums für Frauen. „Det skapades extra rum för kvinnor på så sätt att de rättigheter kvinnor fick, t.ex. inom utbildningens område, blev ett slags tillägg till den „riktiga“ gången.“108 Dieser ist auch sprachlich lexikalisiert und dadurch konzeptuell verstärkt worden und reproduziert bis heute die Annahme einer Extra-Frage oder eines Extra-Raums für genderspezifizierend weiblich wahrgenommene Belange in bestimmten gesellschaftlichen Feldern. Formen mit dam und herr als erstem Glied, die der genderspezifizierenden personalen Appellation dienen, finden sich vor allem im Bereich des Sports, ohne dass sie in den verschiedenen Wörterbüchern als eigene Einträge aufgenommen worden sind. Auch hier wird die Genderspezifizierung in der Regel für Weiblichkeit sprachlich realisiert, während die männliche Genderspezifizierung der unbenannte Normalfall ist. In NYO (1988) ist die Form damfotboll ‚DamenfuƢball‘ als eigener Eintrag aufgenommen, eine vergleichbare Bildung auf herr- findet sich in dem Wörterbuch nicht verzeichnet. Auch die Form tjej als erstes Glied kommt zur genderspezifizierenden personalen Appellation im Sportbereich zum Einsatz, darüber hinaus vor allem aber auch im Bereich der Kultur, insbesondere Musik109, sie sind jedoch nicht so stark lexikalisiert wie die Bildungen auf kvinno oder auch dam im Bereich des Sports als erstem Glied. Auch sie haben bisher keinen Eingang in Wörterbücher des Schwedischen gefunden. Es handelt sich um eine große Zahl von Ad-hoc-Bildungen und Neuschöpfungen, die eine größer werdende Relevanz der Form tjej zum Anzeigen einer genderspezifizierenden weiblichen Appellation erwarten lassen. Durch eine immer stärkere Betonung von Jugendlichkeit als Ideal nehmen die Formen tjej und in begrenzterem Umfang auch kille110 zuneh-
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genderspezifizierend gebraucht werden. Vgl. diesbezüglich Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse zum schriftsprachlichen Gebrauch schwedischer Tageszeitungen. 108 Hirdmann (2001: 115). ‚Es wurde ein Extraraum für Frauen geschaffen und auf diese Weise, die Rechte, die Frauen bekommen haben, z.B. im Bildungssektor, wurden zu einer Art Zusatz zu den richtigen.‘ 109 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Auswertung. 110 Wie beispielsweise an den unterschiedlichen Kompositabildungen mit diesen Formen als erstem und zweitem Glied zu sehen ist; vgl. Kapitel 6.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
mend die Plätze einer relativ allgemeinen genderspezifizierenden Appellation mit einer tendentiell eher positiven Konnotation ein. In NEO (1996) wird kille als „pojke [...] BET.NYANSER: a) om vuxen manlig person [...] b) spec. pojkvän“111 charakterisiert. Die Verwendung der Form kille zur Appellation auf erwachsene männliche Personen ist bereits im Lexikon aufgenommen. Tjej ist heute in kontinuierlich zunehmender Zahl erstes Glied einer großen Reihe von genderspezifizierend weiblich appellierenden Kompositabildungen, die häufig in Kontrast zu herr- oder mangebildet werden (wie in tjejmiddag ‚Mädchen-Abendessen‘ vs. herrmiddag ‚Herren-Abendessen‘; tjejfotboll ‚MädchenfuƢball‘ vs. fotboll ‚FuƢball‘: hier also mit Asymmetrie der Genderbenennung), die bisher jedoch alle nicht als eigene Einträge in Wörterbüchern zu finden sind. In manchen Fällen finden sich Komposita mit sowohl tjej- als auch dam- (wie in tjej/damfotboll), was zum einen durch stilistische Unterschiede begründet sein kann, zum anderen aber auch zeigen kann, dass es sich momentan um eine Phase der Ablösung der einen durch die andere Form handelt, die die oben formulierte These der Ablösung des Faktors Status in der Normalisierung einer bestimmten Weiblichkeitsvorstellung durch Alter im heutigen Schwedisch betont. Dies bestätigt sich noch mal, berücksichtigt man, dass die Formen mit tjej als erstem Glied noch nicht in größerem Umfang in einsprachigen Wörterbüchern aufgenommen worden sind.112 Dieser Wechsel der Benennungspraktiken vollzieht sich am deutlichsten im Bereich des Sports. Während bis Ende der 80er Jahre die Formen dam- und herr- als Teil von genderspezifizierenden Sportbezeichnungen vorherrschend waren, wird dam- zunehmend durch die Form tjej abgelöst. Gleichzeitig gibt es noch eine große Reihe von Bereichen, in denen dam- und herr- als erstes Glied in Komposita erhalten ist, wie in dam- och herrtoalett ‚Damen- und Herrentoiletten‘, dam- och herrcykel ‚Damen- und Herrenrad‘, herr- och damavdelning ‚Herren- und Damenabteilung‘, dam- och herrbastu ‚Damen- und Herrensauna‘, herr- och damunderkläder ‚Herren- und Damenunterwäsche‘, herrmiddag ‚Herrenabendessen‘, damstorlek ‚DamengröƢe‘, herrtidningar ‚Herrenzeitungen‘. Nicht alle diese Formen bilden dabei formal-semantisch symmetrische Oppositionspaare.113 So ist herrtidningar eine euphemistische Umschreibung für heterosexuelle, auf Männer ausgerichtete Pornozeitschriften, wohingegen es sich bei damtidningar in
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111 NEO (1996, Bd. 2: 131). ‚Junge (umgangssprachlich) Bedeutungsnuancen a) erwachsene männliche Person b) speziell Freund.‘ 112 Auch Komposita mit dam als erstem Glied entstammen in den verschiedenen, hier berücksichtigten Wörterbüchern, nicht dem Bereich des Sports. 113 Vgl. Kapitel 6.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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der Regel um auf Frauen ausgerichtete Modezeitschriften handelt.114 Tjej drückt andere Konzeptualisierungen aus als kvinna, was sich in Gelegenheitskomposita in beispielsweise Kontaktanzeigen, in denen die Appellationsform tjejkvinna verwendet werden kann, zeigt.115 Die ebenfalls häufiger anzutreffende Attribuierung der Form tjej mit ung ‚jung‘ deutet hingegen daraufhin, dass die Konnotation jugendlichen Alters nicht generell bei der Anwendung der Form gegeben zu sein braucht, sondern dass es hier zu einer neuen Form der lexikalisierten Altersdifferenzierung kommt, die nunmehr in einer Nominalphrase zum Ausdruck gebracht wird, womit sowohl der Verlust einer Altersspezifizierung durch tjej einhergeht als auch eine Normalisierung einer angenommenen Jugendlichkeit. Es zeigt sich, dass neben den zahlreichen traditionellen Strategien der substantivischen genderspezifizierenden Appellation eine wichtige Strategie der Genderspezifizierung die Verwendung eines lexikalisiert konventionalisiert genderspezifizierenen ersten Glieds in einem personal appellierenden Kompositum ist. Hier kommen vor allem die Formen kvinna, man, tjej und kille zur Anwendung. Diese Strategie deutet zugleich daraufhin, dass zum einen in vielen Kontexten weiterhin eine Genderspezifizierung verbalisiert wird und dass bestimmte substantivische Appellationsformen keine eindeutige oder ausreichende Genderspezifizierung zum Ausdruck bringen, so dass diese durch die hier dargestellte Art realisiert wird. Neben der so realisierten personalen Appellation werden diese Formen als erstes Glied in Komposita auch zur Genderspezifizierung von Objekten, Tätigkeiten und Institutionen verwendet, wodurch eine konzeptuelle Übertragung von Genderspezifizierung auf andere kategoriale Bereiche jenseits von Personen stattfindet. Auch die Formen babe und baby, Entlehnungen aus dem Englischen, die früher ausschließlich zur Bezeichnung von Säuglingen dienten, werden zur intimen Appellation auf junge Mädchen aus dem engsten Privatbereich benutzt. In NYO (2000) findet sich zu der Form babe der folgende Eintrag: „vard. sexig, ung kvinna el. man“116, wo die Genderspezifizierung durch die Form in Frage gestellt wird.117 In NEO (1995) ist unter dem Eintrag baby als Bedeutungsnuance verzeichnet: „om vuxen person som
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114 Implizit ist dieser genderspezifizierenden Differenzierung eine unterschiedliche Konzeptualisierung von genderspezifizierend hergestellten Interessensbereichen. 115 Vgl. auch den weiter oben zitierten Wörterbucheintrag tjejkvinna. 116 NYO (2000: 36). ‚Umgangssprachlich sexy junge Frau oder junger Mann.‘ 117 Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine ausführlichere Analyse.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
(utseendemässigt) liknar ett spädbarn“118, wodurch die Konzeptualisierung über angenommenes junges Alter auch in der übertragenen Bedeutung auf ältere Personen erhalten bleibt. Die Form babe hat über die Medien eine relativ hohe Verbreitung erfahren und ist von dort vor allem in der Jugendsprache zur personalen Appellation von jungen Frauen durch junge Männer aufgenommen worden. Die Form muss nicht unbedingt mit bewusster pejorisierender Intention verwendet werden, sondern kann auch eine gewisse Nähe und ein sexuelles Gefallen an dem weiblichen Gegenüber von männlicher Seite ausdrücken. Sie bezieht sich vor allem auf das wahrgenommene äußere Erscheinungsbild des Gegenübers. Svahn (1999) kommentiert die konventionalisierte Verwendung dieser Formen als „helt positivt i mina öron“119. Diese Auffassung reproduziert eine männliche, hegemoniale Perspektive auf Frauen, in der diese in Bezug auf die Formen babe und baby trotz der durch sie hervorgerufenen Konzeptualisierung als sehr kleine Kinder – und damit als abhängig, willenlos und unselbstständig – als positiv konzeptualisiert angesehen werden. Diese Forschungsauffassung wird hier verworfen. Die vielleicht intendierte positive Konzeptualisierung einer Frau in der Appellation mit der Form babe geschieht auf Kosten einer Wahrnehmung, die sich auf das Aussehen bezieht und ein heterosexuelles Gefallen und Begehren zum Ausdruck bringt. Die Definitionsmacht liegt bei der als Normalfall in konventionalisierter Verwendung hergestellten männlich identifizierten Person, die dieses in der Appellation an das weiblich identifizierte Gegenüber sprachlich realisiert. Gleichzeitig sind in der Verwendung der Form aber auch Bedeutungsveränderungen feststellbar, die die Eindeutigkeit der heterosexuellen Matrix in der Appellation zu brechen beginnen. In einer Sammlung neuer schwedischer Wörter in der Internetausgabe von Svenska Dagbladet findet sich darauf ein Verweis: „I jämställdhetens namn kan numera också manliga snyggingar betitla sig babes. Åtminstone i Sverige.“120 Eine entsprechende Bedeutungsverschiebung findet sich auch in NYO (2000) für die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das insgesamt vermehrte Aufkommen von Appellationsformen, die zu einem früheren Zeitpunkt konventionalisiert ausschließlich zur Benennung altersmäßig jüngerer Frauen und Männer gebraucht wurden, zur Appellation von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters wird so
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118 NEO (1995: 89). ‚Erwachsene Person, die (aussehensmäƢig) einem Säugling gleicht.‘ 119 Svahn (1999: 127). ‚Total positiv in meinen Ohren.‘ 120 http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/nyaord.asp vom 14.2.2003; ‚Im Namen der Gleichstellung können sich jetzt auch männliche Schönlinge/Schönheiten als Babes bezeichnen, zumindest in Schweden.‘ Vgl. Kapitel 6 und Hornscheidt (2006b).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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interpretiert, dass sich Altersnormen und –grenzen innerhalb der schwedischen Gesellschaft momentan verschieben: Jugendliches Alter bekommt einen immer höheren Wert zugeschrieben und verdrängt die positiven Konzeptualisierungen, die in früheren Zeiten nicht nur mit Status, wie der obige Vergleich zu der Form dam zeigte, sondern auch mit höherem Alter verbunden waren, was sich in der zunehmenden und altersübergreifenden Verwendung entsprechender personaler Appellationsformen zeigt. Mills (1997) hat in einer Analyse von Nachrichtensendungen im britischen Fernsehen festgestellt, dass die das Wetter ansagenden Männer als weathermen eingeführt werden, die Frauen als weathergirls. Mills (1997) interpretiert dies als eine verbreitete Strategie, dass Frauen, die in denselben Machtpositionen wie Männer sind, auf eine Art und Weise bezeichnet werden, in der sie gegenüber den Männern hierarchisch herabgesetzt sind. Diese Interpretation ist auch auf den schwedischen Befund übertragbar. Die abnehmende Verwendung der Appellationsform kvinna zugunsten der Form tjej könnte demzufolge auch als eine hegemoniale Reaktion auf eine Zunahme der öffentlichen Bereiche, zu denen Frauen Zutritt bekommen haben, interpretiert werden. Um die Genderordnung aufrecht zu erhalten, wird in vielen Fällen die Form tjej benutzt, die Frauen mit Jugendlichkeit verbundenen Charakteristika konzeptualisiert, die auch Aspekte von Unreife und Naivität enthalten können, wie weiter oben bereits angesprochen wurde. Einige der konventionell genderspezifizierend männlich appellierenden Formen können zudem auch als Appellationen auf Frauen verwendet werden und haben eine aufwertende Bedeutung, die sich in der Regel auf Verhaltensweisen der so appellierten Frauen bezieht. Titta! Hon kör bil som en hel karl! ‚Schau! Sie fährt Auto wie ein Mann/Typ!‘ Man kan sannerligen inte se om det är en kvinna eller karl, så skicklig som hon är. ‚Man kann wahrhaftig nicht sagen, ob es eine Frau oder ein Typ ist, so geschickt wie sie ist.‘121
In den Beispielen wird deutlich, dass die Gleichsetzung einer Handlungsweise einer konkreten Frau mit einer Männern stereotyp und implizit als selbstverständlich so zugeschriebenen Kompetenz für die so charakterisierte Frau positiv bewertend ist. Die gegenteilige Charakterisierung, ein Mann wird im Vergleich zu einer Frau dargestellt, hat jeweils abwertende Konnotationen. Hirdman (2001) sieht hier eine für die schwedische Gesellschaft (als Teil westlicher Gesellschaften) innewohnenden Frauenverachtung sprachlich manifestiert. Titta! Han går/ser ut/ pratar/dansar som en kvinna!
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121 Beispiele entnommen aus Hirdman (2001: 66).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
‚Schau! Er geht/sieht aus wie/redet wie/tanzt wie eine Frau!‘ Det är en kvinna som åker framför oss! ‚Das ist eine Frau, die vor uns fährt!‘
Svahn (1999) stellt darüber hinaus fest, dass auch die Appellation von Frauen durch die Form kvinna (wie auch die Form flicka) bereits abwertende oder herabsetzende Intentionen zum Ausdruck bringen kann. Während es sich bei den Vergleichen von Frauen mit Männern jeweils um Bezugnahmen auf Kompetenzen handelt, wird bei den Vergleichen von Männern mit Frauen jeweils auf Aussehen und Aspekte verbaler wie nonverbaler Kommunikation Bezug genommen. Dadurch werden zugleich Differenzierungen hinsichtlich dessen, worüber Frauen respektive Männer definiert werden, in der Gesellschaft reifiziert. Titta! Hon ser ut/går/pratar/dansar som en man! ‚Schau! Sie sieht aus wie/geht wie/redet wie/tanzt wie ein Mann!‘
Eine solche Äußerung kann, in Abhängigkeit vom Kontext, als eine abwertende Charakterisierung einer Frau aufgefasst werden, da hier Ebenen, an denen genderstereotype Weiblichkeit festgemacht wird, zur Disposition stehen. Dies ist bei den Vergleichen von Frauen mit männlich konnotierten Kompetenzen nicht der Fall. Genderstereotype Ebenen der Charakterisierungen von Weiblichkeit sind in diesen Fällen unangetastet. Häufig werden Männer in einem Vergleich zu Frauen bezeichnet, die in bestimmten Situationen und mit bestimmten Verhaltensweisen als schwul wahrgenommen werden. Hier ist ersichtlich, dass es sich bei der Reproduktion von genderstereotypen Normen um Gendernormen handelt, die zugleich auf einer heterosexuellen Norm basieren. Die Wahrnehmung von Gender ist eng mit einer Konzeptualisierung einer heteronormativen Sexualität verbunden, beide sind miteinander verknüpft, wie sich auch schon in den Ausführungen zur genderspezifizierenden Appellation von Personen in instituationalisierten Paarbeziehungen gezeigt hat. Die positive Konzeptualisierung von Frauen über Männlichkeit ist auf Bereiche der Technik und in gewissem Umfang des Sports sowie der Intelligenz begrenzt. In Bezug auf Aussehen ist eine Konzeptualisierung von Frauen über Männlichkeit negativ belegt und geht mit einem Absprechen von Weiblichkeit einher.122 Im abschließenden Teil dieses Unterkapitels werden verschiedene, weniger frequente Möglichkeiten der lexikalisierten genderspezifizierenden substantivischen Appellation vorgestellt. Dabei handelt es sich um alter-
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122 Ausführlicher wird auf diese Aspekte in Kapitel 6 und Hornscheidt (2006b) eingegangen.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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spezifizierende, historisierende oder biologisierende Formen. Darüber hinaus ist die Verwendung von genderspezifizierenden Eigennamen als zweiter Teil von Komposita zu nennen. Altersspezifizierende Formen Wie bereits deutlich wurde, besitzen die Formen tjej, flicka, kille und pojke in bestimmten Kontexten und in gewissem Umfang altersspezifizierende Konzeptualisierungen. Das frequente Vorkommen des Wortpaares gumma ‚alte Frau‘ gubbe ‚alter Mann‘ zeigt darüber hinaus die Relevanz einer Möglichkeit der Genderspezifizierung auch für die Benennung älterer Menschen. Beide Formen können auch mit abwertender Intention für jüngere Menschen gebraucht werden, wodurch Alter in diesen Fällen zu dem abwertend konnotierten Faktor für die so appellierten wird. Die Form gubbe ist heute jedoch gegenüber der Form gumma sehr viel frequenter im Gebrauch und scheint hier die Konzeptualisierung eines relativ höheren Alters weitgehend verloren zu haben, sondern wird heute in der Regel als eher informelle Appellationsform auf Männer ohne Altersspezifizierung verwendet. Wird die Nominalphrase lilla gumman ‚kleine alte Frau‘ konventionalisiert als Appellation verwendet, so wird durch die Attribuierung mit einer Verkleinerungsform die genderspezifizierend weiblich intendierte Appellation positiv konzeptualisiert. In NPLUS (1997) findet sich der folgende Eintrag für gumma: „gammal kvinna [...] äv. som smeksam beteckning på maka, barn e.d. [...] i sms. äv. om kvinna (i stort sett oavsett ålder) som utför visst arbete“.123 Die übertragende altersspezifizierende genderspezifizierend weibliche Appellationsform wirkt in der Verwendung verniedlichend und verkleinernd. Die positive Verwendung der Appellationsform gubbe für Kinder oder vertraute Personen geschieht hingegen in der Regel ohne die Attribuierung einer Verkleinerungsform und ruft andere Konzeptualisierungen auf. Neben der übertragenen Bedeutung als Koseform wird die Form gubbe zudem auch konventionalisiert pejorisierend verwendet, wie die verschiedenen Gebrauchskonventionen in dem Eintrag in NPLUS (1997) zeigen: „[...] gammal man ofta med tonvikt på skröplighet e.d. [...] äv. utvidgat om man som beter sig som el. på annat sätt liknar
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123 NPLUS (1997: 389). ‚Alte Frau, auch eine liebkosende Bezeichnung für Ehefrau, Kind(er) usw., in Komposita auch Frau (altersunabhängig), die eine bestimmte Arbeit ausführt.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
en gubbe [...]“124. Eine Konzeptualisierung über Alter in der konventionalisierten Verwendung genderspezifizierender Appellationsformen spielt eine Rolle, die genderspezifizierend unterschiedlich bewertet wird: Als genderspezifizierend männliche Appellation etabliert sich die Form gubbe als generelle und direkte Anrede von Männern im heutigen Schwedisch, insbesondere auch als Gruppenappellationsform im Plural in der bestimmten Form (gubbarna ‚die Typen/Kerle‘) als Markierung eines eher umgangssprachlichen Stils. Das bedeutet, dass eine Konzeptualisierung über höheres Alter in bestimmten Gebrauchsweisen in der konventionalisierten Verwendung der Form zur Appellation auf Männer jedweden Alters positiv bewertet wird. Die mit dem Konzept des höheren Alters verbundene Konzeptualisierung von Reife, Erfahrung, Überlegenheit und höherer Verantwortung wird mit der konventionalisierten genderspezifizierend männlichen Verwendung der Form ohne einen konkreten Altersbezug auf die so appellierten in der kollektiven Benennung übertragen. In einer prädikativen Umschreibung mit gubbe in einer direkten Kontrastierung mit jüngerem Alter wirkt die Form hingegen pejorisierend, wie in dem entsprechenden Beispiel in NPLUS (1997): „Han är 35 år och redan gubbe“125. Konzeptualisierungen über Alter spielen in der genderspezifizierend intendierten Appellation eine wichtige Rolle, wobei Differenzen in der Bewertung und Genderspezifizierung der Konzeptualisierung über Alter ausgemacht werden können. Während eine Konzeptualisierung über höheres Alter genderspezifizierend weiblich zu einer Verniedlichung, Verkleinerung oder Abwertung führt, ist die männliche Genderspezifizierung über höheres Alter eine Aufwertung und Ausdruck von Reife. Die Formen gubben und gumman werden in bestimmter Form auch zur direkten Anrede an den/die jeweilige/n Partner/in verwendet und konzeptualisieren in diesem Kontext eine Dimension von hoher Vertrautheit. Wie in Kapitel 6 zu sehen sein wird, ist auch die Konzeptualisierung über jüngeres Alter mit genderspezifisch unterschiedlichen Bewertungen und Assoziationen belegt. So scheint jüngeres Alter genderspezifizierend zur genderspezifisch weiblichen, positiv besetzten Norm des Weiblichen zu werden, wohingegen keine vergleichbar starke Entwicklung bei genderspezifizierend männlicher Appellation zu beobachten ist.
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124 NPLUS (1997: 386). ‚Alter Mann, oft mit Betonung von Gebrechlichkeit o.ä.; ausgeweitet auch für Männer, die sich verhalten wie oder auf eine andere Art einem alten Mann gleichen.‘ 125 NPLUS (1997: 386). ‚Er ist 35 Jahre und bereits ein alter Mann.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Historisierende Appellationsformen Als historisierende Formen gelten hier solche, die im heutigen Sprachgebrauch zumeist als veraltet angesehen werden oder in historisierenden Kontexten Verwendung finden. Zu konventionalisiert genderspezifizierend weiblicher Appellation, die als veraltet angesehen wird, dienen beispielsweise die Formen fröken ‚Fräulein‘, tant ‚Tante‘, fruntimmer ‚Frauenzimmer‘. Sie besitzen, sofern sie heute gebraucht werden, eine historisierende Komponente entweder in Bezug auf die zeitliche Einordnung der Appellation oder indem sie auf eine ältere Frau bezogen werden. Fröken dient konventionalisiert der Appellation auf eine nicht-verheiratete Frau, eine entsprechende, lexikalisierte substantivische Appellation auf einen nicht verheirateten Mann gibt es nicht. Die historisierende Komponente der Verwendungsweise dieser Form wird in NPLUS (1997) nicht erwähnt: „(titel för) ogift kvinna [...] äv. om lärarinna (oavsett civilstånd) <särsk. i barnspr.> [...] äv. som tilltalsord till kvinna i viss funktion, t.ex. servitris“126. Die Formen fröken aber auch fru ‚Frau‘ als direkte Appellationsformen auf Frauen implizieren eine heteronormative Vorstellung der Institutionalisierung der persönlichen Beziehung einer Frau zu einem Mann in Form der Ehe. Auch die Form hustru ‚Haus-Frau: Ehefrau‘, zu der es kein konventionell genderspezifizierend auf einen Mann appellierendes direktes Pendant gibt außer der in dieser Perspektive polysemen Verwendung von man, zeigt, wie wichtig die Institution der heterosexuellen Ehe für die Frau, nicht aber für den Mann (gewesen) ist, dass nur diese, aber nicht der Mann darüber definiert und so appelliert wird. Die verschiedenen Verwendungsweisen der Form fröken in direkter Anrede, die heute noch gebräuchlich sind, zeigen zudem, dass Aspekte der Konzeptualisierung durch die Form fröken auch weiterhin geleistet werden. Als Motivation für das Vorhandensein einer entsprechenden Form zur Appellation auf Frauen und ihre frequente Verwendung bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts können sozialhistorische Hintergründe geltend gemacht werden127, womit die Argumentation hier ähnlich der zu brud und änka von Hausherr-Mälzer (1991) angesetzt werden kann.128 Eine Verän-
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126 NPLUS (1997: 310). ‚(Bezeichnung für eine) unverheiratete Frau [...] auch für Lehrerinnen (unabhängig von ihrem Zivilstand) [...] auch als Anrede an eine Frau in einer bestimmten Funktion, z.B. Serviererin.‘ 127 Vgl. auch Jobin (2004: 77) für eine vergleichbare Argumentation. 128 Vgl. weiter unten; vgl. auch die Darstellung zu den Komposita, die auf –kvinna enden und mit denen Ehefrauen bezeichnet worden sind.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
derung der Gebrauchsweisen seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kann zugleich als eine gesamtgesellschaftliche Veränderung hinsichtlich der Bedeutung der Institutionalisierung der Ehe als Form heterosexuellen Zusammenlebens gelesen werden. Heute wird die Appellationsform fröken vor allem für Grundschullehrer/innen in der direkten Anrede durch Schüler/innen benutzt, wie auch in dem oben zitierten Eintrag in NPLUS (1997) unter fröken deutlich wurde129 und sich historisch dadurch erklären lässt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur unverheiratete Frauen arbeiteten durften130, aber auch als zweites Glied in der Tätigkeitsbenennung dagisfröken ‚KindergartenFräulein‘, die parallel zu der Form förskollärare ‚VorschullehrerIn‘ als Appellation besonders im mündlichen Sprachgebrauch benutzt wird. Als Teil dieser über Tätigkeiten charakterisierten Appellationspraktiken ist die Form fröken bis heute frequent. Die in der früheren Verwendung der Form hauptsächlich enthaltene Konzeptualisierung des Unverheiratetseins scheint heute weitgehend durch die spezifische Tätigkeitscharakterisierung ersetzt zu sein und hat als solche auch ihre Genderspezifizierung eingebüßt. In beiden heutigen Gebrauchsweisen handelt es sich um eine personal appellierende Benennung für erzieherische Tätigkeiten mit jungen Kindern, die stereotyp genderspezifizierend weiblich konzeptualisiert sind und zudem der Genderverteilung in beiden Berufsgruppen heute in Schweden entsprechen. Es wird die These vertreten, dass die frühere Konzeptualisierung nicht ohne Kontinuität zu der heutigen ist und darin ein Grund gesehen werden kann, warum die Form auch heute noch gebräuchlich ist. Die frühere Konzeptualisierung des sich nicht im Status einer institutionalisierten Paarbeziehung zu einem Mann zu befinden hat, so die These, in Bezug auf eine Tätigkeitscharakterisierung Eingang in die heutige Verwendung der Form gefunden: Traditionell ist Frauen die Rolle der Erziehung junger eigener Kinder als natürliche Aufgabe zugeschrieben. Traditionell wird diese Aufgabe von einer Frau im Rahmen der Institution Ehe ausgeübt. Die Form fröken zeigt nun immer noch den Status an, in Bezug auf den konkreten Beruf diesen nicht in Form einer institutionalisierten Paarbeziehung auszuüben. Da die prototypischen Muttertä-
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129 Vgl. auch ein entsprechender Eintrag in NEO (1995: 453), der sich lediglich dadurch unterscheidet, dass die erste Definition „(titel för) ogift kvinna“ durch den Klammerzusatz „(numera med begränsad användning)“ ‚heute nur noch mit begrenzter Verwendung‘ modifiziert wird. Auch hier kommt indirekt zum Ausdruck, dass eine entsprechende Verwendungsweise weiterhin zu finden ist. 130 Vgl. Jobin (2004: 77).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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tigkeiten131 von dagisfröken und fröken in der Appellation auf Grundschullehrer/inne/n von diesen ebenfalls ausgeübt werden, kann die Verwendung der Form fröken hier so interpretiert werden, dass mit ihr die Ausübung dieser Tätigkeit außerhalb der Mutterrolle und außerhalb einer institutionalisierten Paarbeziehung zum Ausdruck gebracht wird, so dass hier eine Kontinuität in der Konzeptualisierung von fröken festgestellt werden kann.132 Insofern ist die Konzeptualisierung des NichtVerheiratetseins auch in der durch fröken zum Ausdruck gebrachten Appellation auf Kindergärtner/innen und Grundschullehrer/innen in dieser weiterhin vorhanden, als dass sie die konventionalisierte Voraussetzung dafür bildet, die als natürlich zugeschriebene Aufgabe von Frauen auch außerhalb der Familie wahrzunehmen. Dies reproduziert sich auch darin, dass in Schweden beide Berufe bis heute nahezu ausschließlich von Frauen ausgeübt werden. Eine genderspezifizierende Konzeptualisierung des Berufsbildes bleibt auch in dieser Hinsicht erhalten. Dies macht es auch möglich, dass Kindergärtner/innen oder Grundschullehrer/innen, die in ihrer Tätigkeit als fröken bezeichnet werden, durchaus verheiratet sein können und jenseits ihres Arbeitsplatzes auch eine Mutterrolle einnehmen können.133 Das heute vorherrschende ICM in der Konzeptualisierung von fröken hat sich von einer primären Wahrnehmung über den Status des Nicht-Verheiratetseins zu davon sekundär in traditioneller Konzeptualisierung abhängigen Tätigkeitscharakterisierungen verändert. Zugleich stellt die Appellationsform damit einen Kontrast zur natürlichen Mutterrolle her, die ihrerseits in der heutigen Verwendung der Appellationsform fröken implizit als Norm innerhalb einer institutionalisierten Paarbeziehung hergestellt wird: Die Mutterrolle ist die primäre Rolle der Frau-Kind-Relation und eng mit einer institutionalisierten Beziehungsform verknüpft.134 Eine berufliche und dadurch implizit nicht natürlich wahrgenommene FrauKind-Relation wird heute durch eine Appellationsform zum Ausdruck gebracht, die früher zur Bezeichnung einer Frau als nicht in der Ehe institutionalisiert verwendet wurde. Die Konzeptualisierung der nicht instituti-
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131 Vgl. Lakoff (1987) für eine Aufstellung der entsprechenden ICMs; vgl. auch weiter oben. 132 Damit widerspricht diese Analyse zugleich der von Jobin (2004), die die Form lediglich als ein ‚Relikt‘ ansieht und keine Konzeptualisierungen mit ihr verbindet. 133 Wenngleich die Entdeckung durch die Kindergartenkinder, dass ‚ihre‘ fröken auch noch ‚eigene‘ Kinder haben, jeweils zu Irritationen führt. 134 Dies zeigt sich beispielsweise auch darin, dass eine Nominalphrase zur Benennung alleinerziehender Frauen (ensamstående mödrar) im Schwedischen frequent ist und ihr keine ausdifferenzierende Nominalphrase zur Benennung einer Mutter in einer institutionalisierten Paarrelation gegenüber steht.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
onalisierten, heterosexuellen Paarbeziehung ist die konzeptuelle Voraussetzung für die Übernahme der beruflichen Rolle als Kindergärtnerin und Erzieherin, was sich in der Verwendung der Form fröken in diesen Gebrauchskontexten bis heute ausdrückt. Auch die Appellationsform fruntimmer ‚Frauenzimmer‘ hat eine starke Bedeutungsveränderung in ihrem konventionalisierten Gebrauch erfahren. Während um 1560 der Begriff dazu verwendet wurde, einen Raum zu bezeichnen, in dem am Hof arbeitende Frauen sich aufhalten, wurde er danach dazu verwendet ebendiese Frauen zu bezeichnen, die aus einer standardisierten Oberschichtsperspektive dieser Zeit als minderwertig galten. 1785 ist in SAOB135 ein Beleg verzeichnet, in dem der Begriff in Bezug auf Frauen abwertend verwendet wird, was als in der Konzeptualisierung der Schichtzuordnung der so benannten Frauen motiviert angesehen werden kann. In dieser konventionalisiert pejorisierenden Verwendungsweise ist die Form bis heute gebräuchlich, ihre heutige Konzeptualisierung geschieht vor allem über die genderspezifizierende Pejorisierung136, die heute von einer primär schichtbezogenen Konzeptualisierung losgelöst ist. In NEO (1995) steht unter dem Eintrag fruntimmer: „kvinna “.137 Die pejorisierende Verwendung der Form ist hier auf einen Zusatz eingeschränkt, der zudem quantitativ modifiziert wird. Die Form tant diente ursprünglich der Benennung einer verwandten weiblichen Person, wird heute jedoch vor allem zur Bezeichnung älterer Frauen verwendet und besitzt ebenfalls pejorisierende Konzeptualisierungen. „[T]ant [...] (medelålders eller äldre) kvinnlig släkting i förh. till yngre anförvanter; vanl. om relativt avlägsen släkting (vanl. inte om moster, faster o.d.) [...] äv. utvidgat om medelålders el. äldre kvinna; ofta med antydan om förlegade åsikter, kläder o.d. [...] spec. som tilltalsord till äldre kvinna (oberoende av släktskap)“.138 (NPLUS 1997: 1128)
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135 Svenska Akademiens Ordbok, Internetausgabe unter: http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ konk/index.html vom 17.10.2003. 136 Svahn (1999: 168f). 137 NEO (1995, Bd. 1: 450). ‚Oft etwas herabsetzend oder –würdigend; speziell im Gebrauch durch Männer.‘ 138 ‚(Mittelalte oder ältere) weibliche Verwandte in Relation zu jüngeren Anverwandten; gebräulich für eine weiter entfernte Verwandte (nicht gebräulich für Tanten mütterlicheroder väterlicherseits o.ä.) [...] auch ausgeweitet für mittelalte oder ältere Frau; oft mit einer Andeutung überholter Ansichten, Kleider o.ä. [...] speziell als Anrede an ältere Frauen (unabhängig von Verwandtschaft).‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Als solche kann sie auch mit Bezug auf jüngere genderspezifizierend weiblich wahrgenommene Menschen verwendet werden und bringt auch hier eine pejorisierende Konzeptualisierung zum Ausdruck, in der fortgeschrittenes Alter als ‚altmodisch‘, ‚zurückgeblieben‘ und/oder konservativ konzipiert ist. Eine Verstärkung dieser Verwendungsweise findet sich in der frequenten umgangssprachlichen Phrase gammal tant ‚alte Frau/Tante‘. Die konventionalisierte Negativkonzeptualisierung von höherem Alter stimmt mit der weiter oben durchgeführten Analyse der Form tjej überein und deutet auf dieselben Tendenzen hinsichtlich der heutigen genderspezifizierend weiblichen Konzeptualisierung von Alter hin. Genderspezifizierende Appellation durch Eigennamen als zweiter Teil in Komposita Eine weitere Möglichkeit zur Bildung genderspezifizierender Appellationsformen besteht in der Kompositabildung unter Verwendung prototypisch genderspezifizierender Eigennamen, die als zweiter Teil von Komposita benutzt werden, wie beispielsweise piplisa ‚Pfeif-Lisa‘ und trendnisse ‚TrendNisse‘. Diese Strategie ist weder verbreitet noch für eine größere Anzahl unterschiedlicher Eigennamen zu finden. In der Regel handelt es sich hier um pejorisierend intendierte Appellationen, mit denen genderspezifizierend bestimmte gesellschaftliche Bewertungen zum Ausdruck gebracht werden. Biologisierende Formen Als weiteres genderspezifizierendes Oppositionspaar ist das aus den entsprechenden personalpronominalen Formen abgeleitete Hona
hane
mit den Pluralformen honor
hannar
Diese Formen finden sich vor allem in Bezug auf die Charakterisierung von Tieren, seltener aber auch mit Bezug auf Menschen, was für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist. Sie sind auch zweiter Bestandteil von auf Tiere appellierenden Komposita wie beispielsweise lejonhona ‚Löwen-Sie: Löwin‘. Werden sie als Appellation auf Menschen verwendet, was vergleichsweise selten ist, kommt hier gleichzeitig eine
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Konzeptualisierung von Natürlichkeit der so ausgedrückten Genderdifferenzierung zum Ausdruck, der durch die frequente Verwendung dieser Formen in Bezug auf Tiere begründet sein kann. Die für Tiere angenommene Natürlichkeit der Genderdifferenzierung wird im Gebrauch der Formen auf Menschen übertragen. Die Bezugnahme auf eines von zwei angenommenen Gendern ist so zentral gesetzt, dass es gleichzeitig auch die einzige, hiermit zum Ausdruck gebrachte Information ist. Beispiele, in der diese Formen auch in Bezug auf Menschen zur Anwendung kommen, sind entsprechend in biologischen Kontexten zu finden139 bzw. finden häufig im Rahmen einer Biologisierung von Geschlechtlichkeit Anwendung oder bringen diese zum Ausdruck. Sie dienen häufig auch einer Gleichsetzung von menschlichem und tierischem Verhalten, wobei letzteres in der Regel auf Affen bezogen ist. Es scheint eine gewisse Tendenz zu geben, die Formen vor allem in Bezug auf aus menschlicher Konzeptualisierung ‚höherstehende‘ Tiere zu verwenden. Durch eine Benennung, die in Form von Pronomina auch auf Menschen frequent Anwendung findet, wird so hier in beide Richtungen zwischen Mensch und Tier eine konzeptuelle Nähe hergestellt. Die Grenze zwischen auf der einen Seite kvinna/man und auf der anderen Seite hona/hanne verläuft in einer stärkeren Zusprechung von Menschlichkeit zu ersterer und einer stärkeren Betonung angenommener biologischer Natürlichkeit bei letzterer, wobei beide Aspekte in dem Gebrauch beider Formgruppen enthalten sind.140 Zusammenfassend kann für die bis hierhin in diesem Unterkapitel besprochenen lexikalisierten genderspezifizierenden Formen folgendes festgehalten werden: Die durch Grammatiken und Wörterbücher genährte Idee, dass es sich bei den meisten der hier diskutierten Formen um oppositionelle Formen in dem Sinne handelt, dass mit ihnen vergleichbare Konzeptualisierungen mit der Ausnahme der jeweils unterschiedlichen Genderspezifizierung verbunden wären, konnte hier widerlegt werden. Das
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139 Vgl. Lorentzi „Kan kvinnan vara universell?“ ‚Kann die Frau universal sein?‘ in Dagens Nyheter vom 4.9.2002, http://www.dn.se/Dnet/jsp/polopoly.jsp?d=1058&a=52157 vom 5.3.2003. Eine entsprechend auf Menschen ausgeweitete Anwendung der Formen ist in NEO (1995) nicht verzeichnet. Hier wird vielmehr darauf hingewiesen, dass die Verwendung der Formen in Appellation auf Tiere auch auf Pflanzen angewendet werden könne. 140 Eine weitere Variation dieser Formen findet sich in der direkten Substantivierung der Pronomina han und hon, wie sie unter der Rubrik Pronomina besprochen wird. Beide Verwendungsweisen der Pronomina als Substantive deuten darauf hin, dass die Genderspezifizierung bei Personalpronomina der dritten Person Singular als besonders zentral angesehen wird und die Vorstellung einer Natürlichkeit der Genderdifferenzierung hier besonders stark zum Ausdruck kommt.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Prinzip der Opposition als Konzept beruht dabei zunächst auf der Annahme, dass auf Grund derselben Charakteristika zwischen einer Appellation auf Frauen und einer auf Männer differenziert werden kann und impliziert eine Neutralität sowohl der Genderspezifizierung, wenn sie als zusätzliches Kritierium hinzukommt oder eine Parallelität der Merkmale, die den entsprechenden Appellationsformen zugeschrieben werden, mit Ausnahme des Faktors Gender. Beides ist hier zu verwerfen. Wie auch Lakoff (1987) für das Wortpaar mother/father und Leech (1981) für girl/boy im Englischen gezeigt haben, ist eine vom Gebrauch und den dadurch evozierten Konzeptualisierungen der Formen losgelöste Betrachtung nicht ausreichend. Die hier durchgeführte Analyse der Gebrauchskonventionen der Appellationsformen bestätigt die im zweiten Kapitel formulierte Kritik, dass eine Merkmals- oder Komponentenanalyse von Bedeutung, die auf einer Vorstellung von Referenz basiert, nicht ausreichend ist, um die Komplexität personaler Appellation analysieren zu können. Geht man von einer reinen Formanalyse aus, so kann diese eine Parallelität und damit Neutralität jenseits einer als objektiv und biologisch hergestellten Genderspezifizierung implizieren, die nur durch eine Analyse der mit den Formen verbundenen Konzeptualisierungen in Frage gestellt werden konnte. Die linguistische Darstellung lexikalisierter genderspezifizierender Appellationsformen in Oppositionspaaren, die nicht jenseits ihrer unterschiedlichen Genderspezifizierung differenziert behandelt werden, verdeckt die jeweils genderspezifizierende Konzeptualisierung, in der Gender erst durch unterschiedliche Konzeptualisierungen hergestellt wird. Eine Gegenüberstellung von Formen, die lediglich und unkommentiert nach Gender differenziert werden, impliziert eine biologische und natürliche Genderdifferenz, die dadurch einer weiteren Kommentierung der in ihr enthaltenen unterschiedlichen Konzeptualisierung entgeht. Diese wird hier nicht als zusätzliches Kriterium zur biologischen Differenzierung angesehen, sondern als die einzige Ebene, zu der die Konstruktion als biologische Differenzierung dazu gerechnet werden muss. Im folgenden werden genderspezifizierende, lexikalisierte substantivische Appellationsformen vorgestellt und diskutiert, die konventionalisiert pejorisierend verwendet werden.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Pejorisierende, lexikalisiert genderspezifizierende substantivische Appellationsformen141 Wie bereits zu sehen war, können nicht alle genderspezifizierenden Appellationsformen selbst unter ausschließlich formalen Gesichtspunkten als in oppositionellen Wortpaaren organisiert charakterisiert werden. Diese Feststellung gilt in besonderem Maße für die substantivischen Appellationsformen, die konventionalisiert als genderspezifizierend pejorisierend wahrgenommen werden, wobei die Genderspezifizierung einen wichtigen Anteil an der pejorisierenden Konzeptualisierung in konventionalisiertem Gebrauch hat. Alleine diese Feststellung deutet bereits darauf hin, dass die konventionellen gesellschaftlichen Normen pejorisierender Bewertungen genderspezifisch sind und dadurch gleichzeitig auch wiederum genderspezifizierend wirken. Die Annahme der Konventionalisierung stützt sich zumeist auf Angaben in Wörterbüchern und Enzyklopädien oder Einschätzungen der einschlägigen Forschung zum Thema.142 Es zeigt sich, dass verschiedene, der oben aufgeführten Ausdifferenzierungen genderspezifizierender lexikalisierter Appellation auch in Bezug auf pejorisierende Appellation von Relevanz ist und hier wieder auftaucht. In einigen genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen mit konventionalisiert pejorisierender Konzeptualisierung, die relativ frequent zu finden sind, spielt zugeschriebenes höheres Alter für die pejorisierende Konzeptualisierung eine Rolle: hagga, kärring, kärringjävel, slyna, subba143. Auch die familiäre Rolle und Verbindung kann als Aspekt für die Pejorisierung durch eine Anwendung der Formen wichtig sein, wie in svärmor ‚Schwiegermutter‘, kärring ‚Alte‘ und brud ‚Braut‘, wobei svärmor in der Regel gleichzeitig auch die Person in der entsprechenden sozialen Position benennt und nicht auf andere Personen übertragen verwendet wird. Svahn führt in dieser Rubrik auch die Appellationsformen flicka und kvinna mit auf. Sie kommentiert, dass sich hier zeige, dass der Schritt zwischen neutralen und negativ geladenen Benennungen nur klein sei. Dies kann im Rahmen eines konstruktivistischen Ansatzes auch so gedeutet werden, dass alle Formen das Potential zu einer pejorisierenden Verwendung besitzen und dass eine entsprechende Untersuchung nicht ent-
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141 Die hier untersuchten Formen sind nahezu durchgängig nicht in den einschlägigen Wörterbüchern und Lexika zu finden. Als Quelle dienen Svahn (1999), NYO (2000), språkbanken und verschiedene Internetquellen. 142 In diesem Zusammenhang ist Svahn (1996, 1997, 1998, 1999) zu nennen. 143 Direkte Übersetzungen sind hier schwierig. Die Pejorisierung liegt ungefähr auf der Ebene von ‚Alte‘, ‚Schlampe‘ bis ‚Hexe‘ im Deutschen.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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kontextualisiert durchgeführt werden kann. Durch eine Darstellung von Schimpfwörtern als klar abgrenzbar von anderen Appellationsformen, wie dies bei Svahn (1999) der Fall ist, kann leicht der Eindruck entstehen, dass es sich bei der von ihr vorgenommenen Aufstellung um eine objektivierbare handelt. Dass dieser konkret eine heterosexuelle Mittelschichtperspektive zu Grunde liegt, bleibt jedoch unsichtbar. Letztendlich reproduziert sich auf diese Weise eine bestimmte Vorstellung einer gegenderten Normalität und eine gesellschaftlich hegemoniale Vorstellung wird in ihrer Macht, symbolische Ordnungen zu schaffen, noch mal bestätigt. Viele der konventionalisiert genderspezifizierend appellierenden substantivischen Formen, die nicht vordergründig als Oppositionspaare dargestellt werden können, haben zudem eine relativ hohe Frequenz im Gebrauch und sind produktive zweite oder auch erste Glieder in Kompositabildungen. Quantitativ kann hier eine hohe Asymmetrie hinsichtlich der genderspezifizierenden Verteilung der Formen festgestellt werden. Svahn (1999) fasst die diesbezüglichen Ergebnisse in ihrer umfangreichen historischen Studie zusammen: „I de många invektiv som hängt med, såväl från medeltiden [...] som från bondesamhällets tid [...] har värderingar traderats och konserverats. Men också i flertalet nybildningar är de egenskaper som ingick i de medeltida okvändingsorden fortfarande starkt levande. Man torde därför kunna påstå att ordförrådet bidrar till att producera föreställningar om könen. [...] Den kulturella konstruktionen av manlighet och kvinnlighet korresponderar ju inte nödvändigtvis med, eller ens speglar, hur män och kvinnor faktiskt beter sig. Förhållandena spetsas till i skällsorden, vars uppgift oftast är att såra. Därmed återger de sannolikt en mer gammaldags kvinnosyn än den som generellt råder i samhället, och därmed påverkar de konstruktionen av kön idag.“ (Svahn 1999 : 182) 144
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144 ‚In vielen Invektiven, die vom Mittelalter oder der Bauernzeit bis heute erhalten geblieben sind, sind Bewertung tradiert und konserviert worden. Aber auch in einer Vielzahl der Neubildungen sind die Eigenschaften, die in den mittelalterlichen Schimpfwörtern aufgerufen wurden, immer noch lebendig. Man kann daher behaupten, dass der Wortschatz zu Geschlechtervorstellungen beiträgt. Die kulturelle Konstruktion dessen, was Weiblichkeit und Männlichkeit sind, muss nicht notwendigerweise damit korrespondieren, wie Frauen und Männer sich faktisch verhalten. Verhältnisse werden in Schimpfwörtern zugespitzt, die ja oftmals verletzen sollen. Damit geben sie wahrscheinlich eher eine veraltete Sicht auf Frauen wieder als diejenige, die heute in der Gesellschaft generell zu finden ist und damit beeinflussen sie auch heute die Konstruktion von Geschlecht.‘ In diesem Zitat ist die Annahme eines Abbildverhältnisses von Sprache zu Realität präsupponiert. Nur auf dieser Grundlage kann von Svahn festgestellt werden, dass das gegebene Abbild zeitverschoben sei. Eine entsprechende Analyse ist in Hornscheidt (2006b) zu finden und spielt auch in Kapitel 6 eine Rolle, insbesondere in der Besprechung des staatlichen schwedischen Sprachpflegeberichts, indem in dieser Analyse die Notwendigkeit einer
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Zu den frequentesten und allgemein bekanntesten Formen zur konventionalisierten pejorisierenden genderspezifizierend weiblichen Appellation dienen u.a.145 hora ‚Hure‘, fnask, luder, madrass ‚Matratze‘, vandringspokal ‚Wanderpokal‘, bitch, slampa ‚Schlampe‘, fitta ‚Fotze‘, bimbo, babe. Gemeinsam ist diesen Appellationsformen, dass sie sich konventionalisiert genderspezifizierend auf Frauen appellieren und dass sie dies häufig mit pejorisierenden Konnotationen tun. Svahn (1999) stellt dar, welche Relevanz eine Analyse der von ihr so genannten genderspezifizierend organisierten svärord ‚Schimpfwörter‘ haben: „Genom att söka stereotyperna i den verbala kränkningen och följa dem genom historien är det möjligt att undersöka hur värderande omdömen om kvinnor och män idag är förankrade i vår kultur och därmed i våra medvetanden, utan att vi kanske alltid är medvetna om det. När en irriterad och kanske ilsken kvinna kan kallas mensmonster är detta uttryck för underliggande förgivettaganden. [...] Därtill ingår de gärna i en tolkningsram där man utgår ifrån att kön är något naturligt och inte något man lär in. På så vis kommer skällsorden att vara med och konstruera uppfattningar om vad kvinnor och män bör vara och göra.“146 (Svahn 1999: 14)
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Sprachveränderung gesehen wird und gleichzeitig die gesellschaftliche Situation als jenseits der Sprache und nicht zu kritisieren hergestellt wird. 145 Es ist nicht möglich und nicht Ziel dieses Kapitels alle hier möglichen Formen wiederzugeben. Stattdessen soll auf ein Organisationsprinzip genderspezifizierender Appellation hingewiesen werden: Konventionalisiert pejorisierend verwendete lexikalisierte Formen sind in der Regel nicht in nach formalen Merkmalen bestimmten vordergründigen Oppositionspaaren darstellbar; es ist schon deshalb nicht möglich, da ihnen allen eine genderspezifizierende Abwertung gemeinsam ist. In diesem Sinne geben die entsprechenden pejorisierend benutzten Formen in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt Aufschluss über Genderstereotype und –normierungen. An ihnen lässt sich die diskursive Konstruktion von Gender mit aufzeigen. Eine Auflistung aller momentan gebräuchlichen Formen ist nicht nur unmöglich, da dazu das entsprechende Quellenmaterial insbesondere mündlichen Sprachgebrauchs fehlt, es wird zudem auch als kontraproduktiv angesehen, da die intendierten Appellationen, die mit diesen Formen ausgeübt werden, stark von den Situationen und Kontexten ihrer Verwendung abhängig sind und Veränderungen unterliegen. Jede Verschriftlichung wäre eine Festsetzung eines Zustandes, der zu diesem Zeitpunkt schon wieder anders aussehen kann – ein Problem, das auch Wörterbüchern und Lexika zu eigen ist. Die Situations- und Kontextabhängigkeit der Verwendung der Formen wird ausführlicher in Kapitel 6 und Hornscheidt (2006b) diskutiert. Eine relativ umfassende Liste entsprechender Formen findet sich im Glossar bei Svahn (1999). Ein Kriterium der Auswahl der hier aufgeführten Formen ist ihre nachfolgende Behandlung in späteren Kapiteln. 146 ‚Indem Stereotype in den verbalen Verletzungen analysiert werden und sie durch die Geschichte hindurch verfolgt werden, ist es möglich zu untersuchen, wie bewertende Urteile über Frauen und Männer in unserer Gesellschaft kulturell verankert sind und damit in unserem Bewusstsein, ohne dass wir uns darüber bewusst sein müssen. Wenn eine irritierte und zornige Frau Menstruationsmonster genannt wird, ist dies Ausdruck für darunter liegende Normalvorstellungen. [...] Sie [die Bewertungen] gehen gerne in einen Interpretati-
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Die Annahme der pejorisierenden Wirkung bzw. in traditioneller Auffassung des pejorativen Gehalts von personalen Appellationsformen147 basiert auf der Annahme und Akzeptanz gesellschaftlicher Wertvorstellungen, die bezogen auf Personen häufig genderspezifizierend sind. Eine Analyse pejorisierenden Sprachgebrauchs kann Aufschluss über bestimmte zeitgebundene stereotype gesellschaftliche Vorstellungen der Normalität und Positivbewertung geben. Welche Aspekte in der pejorativ intendierten Appellation auf Personen fokussiert werden, zeigt gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen auf, die durch die konventionalisierte Verwendung personaler Appellationen sowie ihre vorgeblich deskriptive Wiedergabe in ebendieser Funktion in Lexika und Wörterbüchern reproduziert werden. Dieser Aspekt wird im Kontext der vorliegenden Studie als besonders wichtig erachtet: Wird in Wörterbüchern und Lexika der Gebrauch eines Begriffs als ‚pejorativ‘ angegeben, so wird damit die Vorstellung der in Begriffen festzumachenden entsprechenden Bedeutung verfestigt und von ihrer Verwendung als Eigenschaft der Wörter losgelöst hergestellt. Darüber hinaus wird gleichzeitig die Konstruktion einer Objektivität von Wertvorstellungen und Normen weiter tradiert und die einer Einschätzung als pejorativ zu Grunde liegenden Konzepte und Vorstellungen weiter verschleiert. Auch Svahn (1999) entkontextualisiert die Frage der Pejorisierung in ihrer Studie und macht so einen bestimmten Diskurs zu einem gesellschaftlich verbindlichen und aussagekräftigen. Sie bedient sich für ihre Analyse von Schimpfwörtern im heutigen Schwedisch eines Fragebogens, den sie von Jugendlichen mit dem Ziel hat ausfüllen lassen, welche diese für Frauen und Männer kennen. Zusätzlich dazu führt sie Verwendungsweisen an, die ihr in den Medien aufgefallen sind und bezieht sprachliche Beobachtungen im öffentlichen Raum mit ein (beispielsweise das Aufschnappen von Äußerungen an einem Nebentisch im Café), die eher unsystematisch sind. Svahn (1999) unterscheidet auf Grund ihres Materials mehrere Kriterien, um eine genderspezifizierend weibliche pejorisierende Appellation mit einer substantivischen Form im heutigen schwedischen Sprachgebrauch zu vollziehen: Ein zentrales Kriterium ist Sexualität, welches hier weiter ausdifferenziert betrachtet werden soll. Dieses Kriterium scheint nach Svahn (1999) die wichtigste Quelle für die pejorisierende Appellation von Frauen darzustellen. So ist in vielen Fällen unterstellte weibliche sexu-
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onsrahmen ein, in dem man davon ausgeht, dass Geschlecht etwas natürliches sei und nicht etwas angelerntes. Auf diese Weise tragen Schimpfwörter dazu bei Auffassungen dazu, was Frauen und Männer sind oder sein sollten, zu konstruieren.‘ 147 Auch Svahn (1999) sieht den pejorativen Gehalt in den Wörtern selbst.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
elle ‚Freizügigkeit‘ ein wichtiger Faktor zur Herstellung einer pejorisierenden Appellation (hora, luder, slampa). Der konventionalisiert pejorisierende Gebrauch dieser Appellationsformen bekräftigt bzw. bestätigt ein Wertesystem, das auf der Vorstellung beruht, dass weibliche Sexualität bezogen auf wechselnde Sexualpartner nicht freizügig sein darf, um gesellschaftlich positiv bewertet zu werden. Ausgangspunkt dieser Benennungen als pejorisierend ist die mit ihnen verbundene Einnahme einer männlichen, heterosexuellen Perspektive, die in einer Vielzahl der Termini zum Ausdruck kommt. Fitta, ursprünglich und hauptsächlich umgangssprachlich zur Benennung des weiblichen als primär kategorisierten Sexualorgans verwendet, wird heute in der Regel zusammen mit hora am häufigsten im öffentlichen Diskurs als Schimpfwort auf Mädchen und Frauen in zitierender und distanzierender Form genannt.148 Die beiden Appellationsformen besitzen im öffentlichen schwedischen Diskurs seit Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eine Signalfunktion und werden metonymisch und exemplarisch in diesen Kontexten für die konventionalisierte Herabsetzung von Frauen angeführt.149 Die Benennung einer Frau durch die Appellationsform fitta wird durch die übertragene Benennung des gesellschaftlich als primär wahrgenommenen Sexualorgans hergestellt.150 Dies ist zunächst ein Tabubruch, da damit der Fokus auf die potentielle Sexualität einer genderspezifizierend weiblichen Person in der Appellation gelenkt wird, was dem schwedischen Autostereotyp der Konzeptualisierung von Personen nicht entspricht, und die so appellierte weibliche Person auf die Wahrnehmung derselben als potentiell sexuelles Objekt reduziert wird. In der medialen Rezeption und Darstellung der Sprache Jugendlicher wird häufig eine austauschbare und gleichrangige Verwendung der Appellationsformen hora und fitta angenommen. „Brudar som beter sig som horor förtjänar att kallas horor. Fitta som fitta.“151 In dem Artikel, in dem ein Jugendlicher mit diesem Ausspruch zitiert wird, wird für die Verwendung des Wortes hora die Wahrnehmung eines bestimmten Verhaltens geltend gemacht, welches sich auf die konventionalisierte Verwendung der Appellations-
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148 Das bedeutet, dass die Formen als pejorisierende Appellationsformen im öffentlichen Diskurs schwedischer Tageszeitungen zitiert werden, nicht aber selbst in diesen Medien pejorisierend verwendet werden. 149 Vgl. Hornscheidt (2006b). 150 NPLUS (1997: 281). 151 Svenska Dagbladet 16: 02081998 “Man har ju blivit van att kallas hora”. ‚Bräute, die sich wie Huren benehmen, verdienen es Huren genannt zu werden. Fotzen als Fotzen.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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form jenseits pejorisierender Intentionen bezieht, wohingegen für fitta auf keine entsprechende Tätigkeit oder Handlungsweise rekurriert werden kann. Die metonymische Bezugnahme, die Frauen als Sexualität konzeptualisiert, ist ausreichend, um eine intendierte Pejorisierung im konventionalisierten Gebrauch zum Ausdruck zu bringen. Während hora ausschließlich in der Appellation auf weibliche Personen Anwendung findet, gibt es für fitta hingegen Belege, in der die Form auch als Appellationsform auf männliche Personen benutzt wird. Svahn (1999) weist nach, dass fitta im 19. Jahrhundert bereits in verschiedenen Kombinationen auch pejorisierende Appellationsform auf Männer war, mit der ihre Männlichkeit in Frage gestellt wurde. Die Bedeutungskonnotationen von fitta bezogen sich hier jedoch in der Regel nicht auf eine Wahrnehmung von Sexualität, sondern von fehlender Stärke, Feigheit und Schwachheit. Die genderspezifizierend weibliche Herabsetzung durch die Benennung als Sexualorgan erfährt damit eine Erweiterung und Appellationsverschiebung des Anwendungsbereiches des Begriffs auf Frauen im 20. Jahrhundert, wo über sexualisierte Konzeptualisierungen die herabsetzenden Intentionen zum Ausdruck gebracht werden. Erst mit dem Aufkommen der Wahrnehmung, dass Frauen eine Sexualität haben, war es überhaupt möglich, auch diese abwertend und abweichend zu benennen. In dieser Art und Weise wird die Form heute hauptsächlich als Invektiv auf Frauen verwendet. Wird sie zur pejorisierend intendierten Appellation auf Männer benutzt, so ist die Konzeptualisierung über Sexualität auch in dieser Verwendungsweise übertragen worden. In der pejorisierenden konventionalisierten Verwendung der Form auf Frauen wird Sexualität zugleich als eine aktive männliche heterosexuelle Handlung an oder mit Frauen konzeptualisiert, die durch die pejorisierende Verwendung der Appellationsformen gleichzeitig als Objekte dieser praktizierten Sexualität konzeptualisiert werden.152 In einem Gebrauch entsprechender Appellationsformen kommen Konzeptualisierungen einer Objekthaftigkeit von Frauen aus einer heterosexuellen männlichen Perspektive zum Ausdruck, die sich in diese Verwendungen als unbenannte Normalität einschreibt. Die Konzeptualisierung der Objekthaftigkeit wird dabei vor allem über die Konzepte ‚Gefäß‘ oder ‚Unterlage‘ für eine männliche heterosexuelle Sexualität hergestellt, die auf den Akt der – aus
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152 Vgl. auch die Form kommunalhål, wobei kommunal hier ‚generisch‘ männlich ist bzw. die Genderspezifik in der vordergründigen Unspezifik zeigt; madrass, dörrmatta, share ware, vandringspokal, ligg, spermiehink, sprutluder sowie eine größere Anzahl von Komposita auf – fitta. Alle hier angeführten Beispiele sind Svahn (1999: 114ff.) entnommen. Es sind nur einige Appellationsformen aufgeführt.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
männlicher Sicht – Penetration reduziert ist. Sie findet in zahlreichen dieser Appellationsformen ihren expliziten oder bildhaften Ausdruck und wird zu einer grundlegenden Konzeptualisierung einer genderspezifizierend weiblichen Appellation über Sexualität. Viele der Formen sind keine modernen Neukonstruktionen, sondern besitzen auch in ihrer pejorisierenden genderspezifizierend weiblichen Verwendung eine längere Geschichte. So ist die genderspezifizierende Appellationsform hora in dieser Verwendung auch schon für das 19. Jahrhundert nachgewiesen worden.153 Neben diesen Formen, die eine angenommene und als zu hoch erachtete heterosexuelle Verfügbarkeit von Frauen für heterosexuelle männliche Sexualität aus zur unbenannten Norm erhobenen männlichen Sicht abwertend konzeptualisieren, finden sich auch konventionalisiert pejorisierend verwendete Formen, in denen eine heterosexuelle Unzugänglichkeit als Kriterium für pejorisierende genderspezifizierend weibliche Appellation herangezogen wird. Um ein entsprechendes weibliches Verhalten Männern gegenüber pejorativ zum Ausdruck zu bringen, werden Appellationsformen benutzt, die Frauen eine von der heterosexuellen Norm abweichende Sexualität zuschreiben, insbesondere Homosexualität (flata, lebb, lebbjävel, lesba, smygflata154). Aus einer männlichen, heterosexuellen Sicht kommt ein Erklärungsmuster für die sexuelle Nichtverfügbarkeit oder Verweigerung der Frauen zum Ausdruck, die damit für eine entsprechende Konzeptualisierung eine notwendige Bedingung zu sein scheint.
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153 Vgl. Svahn (1999); äußerst interessant in einem kritischen Sinne ist in diesem Zusammenhang die Argumentation in Lindström (2002: 173): „På den tiden [bondesamhället; Anm. d. A.] fungerade hora och horunge kanske inte som allmänna svordomar men ändå som nedsättande begrepp. Men när kvinnorna börjar få rätt till sin egen sexualitet blir det helt ointressant att använda orden på det gamla sättet. Hora får då en ny betydelse (i början av 1900-talet): det betyder enbart ‚prostituerad‘. [...] Att ordet hora idag återigen håller på att bli ett frekvent skällsord bland unga, måste nog delvis ses mot bakgrund av hur motsvarande ord används i kulturer som många invandrare och flyktingar kommer ifrån.“ Lindströms populärwissenschaftliche und wenig belegte, aber umso breiter rezipierte Ausführungen sind eine eigene Diskursanalyse hinsichtlich des in dieser Publikation vermittelten Bildes der schwedischen Kultur in Bezug auf die Rolle und Stellung und das Ansehen von Frauen sowie auf die Frage potentiellen Einflusses von Einwander/inne/n in Schweden wert. Das Bild zur Wirkungsweise von Sprache, welches hier gleichzeitig mit vermittelt wird, ist eines, in dem diese sofort auf andere gesellschaftliche Änderungen reagiert. Der Glaube an offizielle Mythen und Anschauungen, was zum Beispiel weibliche Selbstbestimmung betrifft, ist hier ungebrochen. Lindströms Hypothese rekurriert auf die Annahme der Wahrheit staatlicher Ideologien, was Gendergleichstellung betrifft. Diese werden von ihm als objektiv und wahr angenommen und so in seinen Ausführungen reproduziert. Auf dieser zu hinterfragenden Annahme (vgl. Kapitel 6) baut seine gesamte Argumentation auf. 154 Verschiedene Benennungen von Lesben.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Gleichzeitig kann Homosexualität auch als pejoratives Erklärungsmuster angewendet werden, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die so benannten Frauen aus männlich heterosexueller Sicht unattraktiv oder auch sexuell verweigernd sind.155 Eine große Anzahl weiterer genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen wird ebenfalls mit abwertender Intention gebraucht, u.a. knipfitta, kylskåp ‚Kühlschrank‘, nucka, surmödis, snörpfitta. Auch von diesen Formen sind die meisten wiederum ausschließlich auf die Wahrnehmung der Frau als Sexualorgan bezogen. Im Umkehrschluss lässt sich für eine normiert positive konventionalisierte Konzeptualisierung weiblicher Sexualität daraus schließen, dass diese auf einen Mann als Sexualpartner begrenzt zu sein hat und hier von Verfügbarkeit und Willigkeit diesem (und ausschließlich diesem) gegenüber gekennzeichnet sein sollte. Heterosexuelle Konnotationen der Objekthaftigkeit und sexuellen Verfügbarkeit von Frauen kommen auch in den Appellationsformen sexbomb, pralin, pinuppa und vamp zum Ausdruck.156 In einer weiteren Gruppe konventionalisiert pejorisierender genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen werden die so benannten Frauen als ungebührlich aktiv, zu emotional und zu wenig ‚nett‘ und gefügig in anderen als sexuellen Tätigkeitsbereichen charakterisiert. Svahn (1999) unterteilt diese Gruppe weiter in mehr private und mehr öffentliche Appellationen von Frauen. Zu den privaten dieser Gruppe rechnet sie u.a. bitch, ragata, satkärring, klimakteriekossa, mensmonster, regeringen, riksdag, drake, tiger, die sehr unterschiedliche Konzeptualisierungen aufrufen.157 Zu den öffentlichen gehören feminist, fittstim, stödstrumpa.158 Auffallend bei den bei ihr als privat kategorisierten Formen ist, dass sich einige auf genderspezifizierend weibliche dem Körper zugeschriebene und damit biologisierte Erfahrungen beziehen (Menstruation, Klimakterium), die gleichzeitig als Ursache einer negativ bewerteten Andersheit von Frauen gegenüber der impliziten männlichen Norm benutzt werden. Die als hormonell und damit biologisch konstruierte Andersheit bekommt in der pejorisierenden Verwendung der Appellationsformen ein Bedrohungspotential
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155 Die Grenzen sind hier fließend, was seinerseits wiederum aussagekräftig hinsichtlich der männlichen heterosexuellen Wahrnehmung von Frauen als Grundvorstellung ist. 156 Svahn (1999: 125f.) kategorisiert diese Appellationsformen unter der Gliederung ‚hübsches Aussehen‘, welche hier nicht übernommen wird. 157 Svahn (1999: 123). 158 U.a. an diesem Punkt zeigt sich die Relevanz der Berücksichtigung der sozialen Gruppen, die Urteile darüber formulieren, ob die Verwendung einer bestimmten Appellationsform pejorisierend ist oder nicht. Es liegt auf der Hand, dass in anderen als den von Svahn (1999) herangezogenen Kreisen zum Beispiel die letzten drei Appellationsformen durchaus auch positiv konzeptualisiert werden können.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
zugeschrieben bzw. dient als Erklärung einer wahrgenommenen Bedrohung, welches in anderer Form auch in den Appellationen mit drake, häxa und tiger zum Ausdruck kommt. Auch hier handelt es sich um konzeptuelle Abgrenzungen zum als normal hergestellten Weiblichen, deren Beherrschung durch die zugeschriebene Wildheit tierischer und mythischer Existenzen bedroht ist. Die als normal hergestellte Weiblichkeit wird gleichzeitig durch Vorstellungen von zu großer Naturnähe, die sich in einer Unberechenbarkeit und eventuellen Unbeherrschbarkeit ausdrücken, abgegrenzt. Die pejorisierende Verwendung der Formen riksdag ‚Reichstag: Parlament‘ und regering ‚Regierung‘ überträgt ein Konzept öffentlicher staatlicher Leitung auf den privaten, heterosexuellen Paarbereich, in dem dieses in Bezug auf weibliche Existenz abwertend konzeptualisiert wird. Führungsqualitäten und die Übernahme von Leitungsfunktionen in privaten Kontexten durch Frauen werden abgewertet und als unnormal hergestellt. Auch hier spielt die normierte Konzeptualisierung notwendiger weiblicher Beherrschbarkeit wiederum eine zentrale Rolle. Die personale Appellationsform bitch, eine Entlehnung aus dem Englischen, etabliert sich erst seit Mitte der 90er Jahre in einer Verwendung jenseits des Jugendslangs. In NYO (2000) ist sie als Neubildung der 90er Jahre verzeichnet und definiert als: „vard. kvinna som anses vara bitsk och elak.“159 Auch als Übernahme aus dem Englischen ist sie über den Kontext ihrer pejorisierenden genderspezifizierend weiblichen Verwendung besonders in bestimmten Musikkreisen verbreitet. Im Jugendslang ist die Form schon zuvor zur Benennung von Mitschülerinnen in pejorisierender Appellationsintention verbreitet. In einer Sammlung neuer Wörter in Form eines erklärenden einsprachigen Lexikons in der Internetausgabe von Svenska Dagbladet findet sich mit Erstellungsdatum (2000) auch das Wort bitch als Übernahme aus dem U.S.amerikanischen pejorisierenden Gebrauch „you son of a bitch“ verzeichnet.160 In Kapitel 6 wird das Vorkommen dieser Form und in Hornscheidt (2006b) seine möglichen ReSignifizierungen ausführlicher diskutiert. Zu der von Svahn festgestellten Gruppe der Appellationsformen, in denen genderspezifizierend weibliche Appellation durch eine Abwertung des Aussehens hergestellt wird, gehören die Formen rugguggla, slagbjörn, slaguggla, tjuvkärring. Einige nehmen Bezug auf die Konzeptualisierung des Körpers mit zu großen Ausmaßen und können dann als Appellation auf
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159 NYO (2000: 45). 160 http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/nyaord.asp vom 14.2.2003.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Frauen und Männer dienen:161 fetjävel, fläskhög, hamburgare, muffin, skåp ‚Schrank‘. Mit ihrer konventionalisierten Verwendung wird die genderspezifizierend weibliche Abwertung über eine Konzeptualisierung des Körpers hergestellt, der in diesen Fällen als zu ‚ausufernd‘ und ‚groß‘ konzeptualisiert wird, sowie über solche Formen, die den Körper oder spezieller noch den Busen als zu wenig ausgebildet konzeptualisieren: bräda, flundra, planka.162 Die so hergestellte, konventionalisierte und genderspezifisch weibliche Körpernorm ist in keine Richtung offen, sondern zwischen verschiedenen, zueinander im Gegensatz stehenden Formen der Abweichung gefangen. Einige pejorisierende, genderspezifizierend weiblich appellierende Formen stellen eine inhaltliche Verbindung zwischen Aussehen und angenommener fehlender Intelligenz her: blond, blond och blåögd ‚blond och blauäugig‘, blondin, wie auch die Form bimbo in konventionalisierter Verwendung eine Kombination von relativer wahrgenommener Schönheit und fehlender Intelligenz zum Ausdruck bringt. Ein Aspekt, der in den Analysen von Svahn ebenfalls gänzlich unbeachtet bleibt, ist die Bedeutungsveränderung und die Ausdifferenzierung der Gebrauchskonventionen unterschiedlicher sozialer Gruppen. So kann beispielsweise für die Form bimbo in den letzten Jahren teilweise eine Bedeutungsveränderung konstatiert werden, die nicht zuletzt auf eine öffentliche Wahrnehmung einer Gruppe so genannter Junger Feministinnen zurückgeht. In NYO (2000) ist die Form bimbo als Eintrag verzeichnet: „ung, vacker och utmanande kvinna med ytlig framtoning.“163 Neben dem Versuch einer Veränderung der Form bimbo kann auch die Appellationsform fitta genannt werden, die als genderspezifizierend weiblich intendierte Appellationsform die Bezeichneten auf ein Sexualorgan reduziert und vor den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stark pejorisierend gebraucht worden ist. Auch hier können Veränderungen in der Gebrauchsweise in den letzten Jahren festgestellt werden.164 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass lexikalisierte genderspezifizierend weibliche pejorisierend intendierte Appellation in der Regel über Charakteristika vollzogen wird, die die Sexualität von Frauen betreffen, aber auch ihr Aussehen, ihre Emotionalität, ihre Intelligenz und ihr öffentliches Auftreten. In den meis-
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161 Svahn (1999) führt sie hingegen als genderspezifizierend weibliche Invektive auf. 162 Svahn (1999) sieht die Konzeptualisierung des Busens hier als einen untergeordneten Punkt an. Diese Auffassung wird hier nicht geteilt, müsste aber sicherlich durch Perzeptions- und/oder Diskursstudien untermauert werden. 163 NYO (2000: 44). 164 Diese Aspekte werden in Kapitel 6 und Hornscheidt (2006b) ausführlicher behandelt.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
ten Fällen spielen sexuelle Konzeptualisierungen eine Rolle und sind mit anderen Kriterien verknüpft. Für eine lexikalisierte genderspezifizierend männlich intendierte substantivische Appellation außerhalb der zuvor besprochenen Oppositionspaare und mit konventionalisiert pejorisierender Intention in ihrem Gebrauch gibt es sehr viel weniger Formen als für Frauen mit vergleichbarer Intention. Auch sind die meisten Charakteristika, mit denen genderspezifizierend männlich abwertende Konzeptualisierungen konventionalisiert verbunden sind, andere als die, die bei Frauen hervorgerufen werden. Für eine genderspezifizierend männlich pejorisierende Appellation hat Svahn vor allem das Kriterium einer fehlenden Männlichkeit herangezogen.165 Diese wird zum einen über Sexualität definiert und durch das Aufrufen einer Konzeptualisierung von Homosexualität (bög, bögjävel, fikus, homo166) zum Ausdruck gebracht, wodurch zugleich Heterosexualität als Normalzustand reproduziert wird. 167 „Att kategorisera, definiera och stämpla den Andre är ett maktmedel som använts för att legitimera kolonialism, kvinnoförtryck och homfobi. Homosexuella individer har på samma sätt som kvinnor, „svarta“, arbetare och andra grupper som fått utstå förtryck och stigmatisering ställts mot en norm, ett centrum, och på så sätt förkroppsligat „dem i periferin“.“168 (Hammarén 2003: 113)
Die Form bög ‚schwul/Schwuler‘ ist im Gegensatz zu den vergleichbaren Formen zur Appellation auf weibliche Homosexualität auch in einsprachigen Wörterbüchern verzeichnet. In NPLUS (1997) steht beispielsweise unter dem Eintrag bög: „homosexuell man “169, womit die konventionalisiert pejorisierende Verwendung der Appellationsform zumindest angedeutet ist.
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165 Es sei hier noch mal darauf hingewiesen, dass die Einteilung von Formen als genderspezifizierend pejorisierend auf einer heteronormativen Mittelschichtperspektive beruht, die gleichzeitig reproduziert wird. Dies erscheint bei den hier diskutierten Formen von besonderer Relevanz. 166 Personale Appellationen vor allem männlicher Homosexualität. 167 Vgl. Lindholm (1996), die auf den Zusammenhang von Sexualität und Gender aus einer soziologischen Perspektive in Bezug auf die schwedische Gesellschaft hinweist. 168 ‚Den Anderen zu kategorisieren, definieren oder zu stempeln ist ein Machtmittel, welches angewendet wird, um Kolonialismus, Frauenunterdrückung und Homophobie zu legitimieren. Homosexuelle Individuen sind auf dieselbe Art und Weise wie Frauen, “Schwarze”, ArbeiterInnen und andere Gruppen, die Zielschreibe für Diskriminierungen waren, gegen eine Norm gestellt worden, ein Zentrum und verkörpern so die “Peripherie”.‘ 169 NPLUS (1997: 162); NEO (1995, Bd. 1: 236). ‚Homosexueller Mann; umgangssprachlich, kann anstöƢig wirken.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
201
Darüber hinaus wird die Heteronormalisierung durch Impotenz (hängkuk ‚Hängeschwanz‘, mikropenis ‚Mikropenis‘, plyschpitt ‚Plüschschwänzchen‘, velourpenis ‚Velourpenis‘)170 oder andere Formen sexueller Abweichung (munk ‚Mönch‘, pedofil ‚Pädofiler‘, runknisse ‚Wackel-Nisse‘, torsk ‚Schwämmchen‘) aus einer heterosexuellen männlichen sexuell potenten Perspektive zum Ausdruck gebracht. Im Vergleich zu der Anzahl entsprechender genderspezifizierend weiblicher konventionalisierter Appellationsformen sind diese jedoch insgesamt in der Minderzahl. Fehlende Männlichkeit zeigt sich darüber hinaus durch Bezugnahmen auf Unreife (snorvalp ‚Rotzwelpen‘) oder Unselbstständigkeit (mammas pojke ‚Mamis Junge‘, toffelhjälte ‚Pantoffelheld‘) sowie durch Weiblichkeit (fitta, fruntimmer, kärring, femi ‚feminin‘, velourpappa). „Då det i konstruktionen av kön ingår en hierarki där det som förknippas med manlighet värderas högre än det som förknippas med kvinnlighet, kan neutrala benämningar på kvinnor – t.ex. just kvinna – användas som skällsord på en man. Samma hierarkiska förhållande kan sägas gälla sexualiteten där det som hör ihop med heterosexualitet värderas högre än det som sammanknippas med homosexualitet.“171 (Svahn 1999: 185)
Neben fehlender Männlichkeit in Bezug auf vor allem eine so als normal hergestellte männliche heterosexuelle Sexualität, Machtstreben und körperliche Stärke kann in diesem Deutungsmodell auch übertriebene Männlichkeit zu abwertenden Appellationen herangezogen werden (macho, mansgris ‚Mannschwein‘, horbock ‚Hurenbock‘, kåtbock ‚geiler Bock‘, kylskåpsbärare ‚Kühlschrankträger‘, diktator ‚Diktator‘). Sehr viel weniger Formen finden sich zur genderspezifizierend männlichen pejorisierenden Appellation auf Grund fehlender Intelligenz (idiot, nörd, ärthjärna ‚Erbsenhirn‘) oder eines ungepflegten Äußeren (äckel ‚Ekel’, äckelgrabb ‚Ekeltyp‘), die zudem auch genderunspezifizierend verwendet werden können. Mupp und nörd, die lexikalisiert genderspezifizierend männlich gebraucht werden, kommen hauptsächlich im mündlichen Sprachgebrauch Jugendlicher vor. Nörd und mupp beziehen sich auf die intellektuellen Fähigkeiten der so appellierten. „En mupp är som en nörd, fast värre. Nörden är [...] en lycklig fackidiot. En mupp är inte lycklig. Muppen trakasse-
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170 Hier wird das primäre Sexualorgan jeweils metonymisch verwendet. 171 ‚Da in der Konstruktion von Geschlecht eine Hierarchie miteingeht, wo das, was mit Männlichkeit verknüpft wird, höher bewertet wird als das mit Weiblichkeit Verknüpfte, können neutrale Benennungen von Frauen wie beispielsweise das Wort ‚Frau‘ als Schimpfwörter für Männer benutzt werden. Es kann gesagt werden, dass das gleiche hierarchische Verhältnis auch für Sexualität besteht, wo das, was mit Heterosexualität zusammenhängt, höher bewertet wird als das, was mit Homosexualität verbunden wird.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
rar andra med sin inskränkthet. En ordningsmannatyp. En pocketkommissarie.“172 An anderer Stelle wird nörd charakterisiert als: „En nörd [...] är en ganska ung människa, alltid av manskön, som det verkar. Nörden har (eller hade som barn) ofta glasögon, var ofta bra i matte, och blev ofta mobbad. [...] Han lät något av sina intressen, till exempel datorer, fylla hela hans liv. Han blev, kort sagt, nörd. En datanörd vet ALLT om datorer, en popnörd vet ALLT om popmusik. Det finns exempel på nörder som det har gått väldigt bra för i livet, till exempel den amerikanske datamiljardären Bill Gates.“173 (http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/nyaord.asp vom 14.2.2003)
Nörd ist ein Lehnwort aus dem Englischen.174 Auch in NYO (2000) ist die Appellationsform nörd als Neubildung der 90er Jahre verzeichnet und charakterisiert als: „tönt; person som verkar lite bortkommen, ofta på grund av ett ende uppslukande intresse för t.ex. datorer.“175 Mupp ist eine Ableitung der schwedischen Übersetzung der U.S.amerikanisch produzierten Muppet-Show, die in Schweden Mupparna hieß. Nörd wie mupp beziehen sich auf Faktoren der Intelligenz, die dazu führen, eine männlich wahrgenommene Person so zu benennen. In den Benennungspraktiken des vor allem mündlichen Sprachgebrauchs Jugendlicher finden sich somit in den lexikalisierten Formen genderspezifizierende Differenzen bezüglich der Kriterien, die zu den Benennungen führen. Diese reproduzieren konventionelle Genderstereotype, die auf verschiedene Arten übernommen und zum Ausdruck gebracht werden. Svahn (1999) fasst hinsichtlich der genderstereotypen Vorstellungen, die durch Schimpfwörter im heutigen schwedischen heteronormativen Sprachgebrauch zum Ausdruck kommen, zusammen: „De kulturella föreställningar som uttrycks i de nedsättande orden har inte moderniserats i takt med samhälleliga förändringar.“176 Die Frage des hier gleichzeitig vertretenen
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172 http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/nyaord.asp vom 14.2.2003. ‚Ein Mupp ist wie ein Nörd, nur noch schlimmer. Ein Nörd ist ein glücklicher Fachidiot. Ein Mupp ist nicht glücklich. Ein Mupp belästigt Andere mit seiner Beschränktheit. Ein Ordnungs-Mann-Typ. Ein Taschen-Kommisar.‘ 173 Ein Nörd ist ein recht junger Mensch, immer vom männlichen Geschlecht, wie es scheint. Der Nörd hat (oder hatte als Kind) häufig eine Brille, war häufig gut in Mathe und wurde häufig gemobbt. [...] Er lieƢ einige seiner Interessen, z.B. Computer, sein ganzes Leben ausfüllen. Er wurde, kurz gesagt, ein Nörd. Ein PC-Nörd weiƢ ALLES über PCs, ein PopNörd ALLES über Pop. Es gibt Beispiele für Nörds, für die alles wunderbar gelaufen ist, z.B. der Computermilliardär Bill Gates.‘ 174 Für eine Analyse der Verwendungsweise der Form in der Jugendkultur, vgl. Hornscheidt (2006b). 175 NYO (2000: 224). ‚Kauz. Person, die ein wenig weltfremd wirkt, häufig aufgrund eines einzelnen, alles andere verschlingenden Interesses, z.B. Computer.‘ 176 Svahn (1999: 109).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
203
Autostereotyps schwedischer Gesellschaft ist auch in Bezug auf Forschungsdarstellungen festzustellen.177 Als in pejorisierender Verwendung frequent, ohne dass sie diesen klare Charakteristika zuordnen kann, nennt Svahn (1999) die Appellationsformen gris ‚Schwein‘, gubbe178, gubbjävel, gubbstrutt, skitstövel ‚Scheiss-Stiefel: Scheisskerl‘ und svin ‚Schwein‘, zu denen ergänzend noch die Form as ‚Aas‘ zu rechnen wäre.179 Diese bedienen sich teilweise einer Tiermetaphorik. Konventionalisiert genderspezifizierende Appellationspraktiken verwenden zu einem überwiegenden Anteil sexuelle Konzeptualisierungen. Was durch die pejorisierende Appellation abgewertet und explizit aus einer Normalvorstellung ab- oder ausgegrenzt wird, unterscheidet sich dabei in der genderspezifizierend weiblichen und männlichen Appellationspraxis. Beiden Gruppen von Formen gemeinsam ist ein heterosexuelles Deutungsmuster als Bezugs- und Ausgangspunkt. Darüber hinaus werden zur genderspezifizierend weiblichen Pejorisierung Konzeptualisierungen eines aus heterosexueller männlicher Sicht unattraktiven Äußeren aufgerufen, zur genderspezifizierend männlichen Pejorisierung Konzeptualisierungen einer fehlenden Intelligenz. Jenseits der unterschiedlichen Konzeptualisierungen zeigt sich auch in Bezug auf konventionalisiert pejorisierende Appellationspraktiken die besondere Rolle, die Sexualität in der Bestimmung genderspezifizierender Wahrnehmung spielt. Dies soll im folgenden für das Feld der genderspezifizierenden lexikalisierten personalen Appellationsformen im Bereich der Homosexualität weiter untersucht werden. Sexualitätsspezifizierend genderspezifizierende Appellationsformen Der genderspezifizierend männlichen Benennung in Kombination mit der Benennung von Homosexualität dient die bereits weiter oben als in heterosexueller Normvorstellung pejorisierend verwendete Appellationsform bög. Diese genderspezifizierend männlich appellierende Form kann in einer formalen Opposition zu dem genderspezifizierend weiblich appellierenden Substantiv kvinna gedacht werden, welches in diesem Fall mit ei-
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177 Vgl. Hornscheidt (2006b). 178 Vgl. weiter oben. 179 Svahn (1999: 147f).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
nem Adjektiv attribuiert wird (lesbisk kvinna ‚lesbische Frau‘180). Daraus ließe sich schließen, dass der Aspekt der Homosexualität bei der Benennung von Männern als so zentral gesetzt ist, dass er im Substantiv und nicht als zusätzliches Attribut lexikalisiert ist, wie im Falle der Benennung einer homosexuellen Frau. Die Form bög wird heute jedoch auch genderunspezifizierend zur Benennung von sowohl Frauen wie Männern verwendet.181 Die Form ist doppeldeutig oder homonym, da sie einerseits zur genderspezifizierend männlichen Appellation verwendet wird, andererseits ohne Genderspezifizierung. Es zeigt sich hier dasselbe Muster einer konventionell doppelten Verwendungsmöglichkeit wie bei einer Reihe zuvor besprochener lexikalisiert genderspezifizierend männlicher Appellationsformen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer substantivischer genderspezifizierender Appellationsformen, von denen die meisten jedoch hautpsächlich in der gesprochenen Umgangssprache zu finden sind: bög/gay/homoman
flata/lesba/lebba/lesbisk/homotjej/homokvinna
Lexikalisiert und in Wörterbüchern zu finden sind lediglich die Formen bög, gay und lesbisk182, womit die konkreten Benennungspraktiken vor allem homosexueller Frauen in diesen nicht adäquat repräsentiert sind, wie in Kapitel 6 zu sehen ist. Lindfors Viklund (1995) stellt zudem fest, dass die im Schwedischen konventionalisierten Appellationsformen auf homosexuelle Frauen und Männer von heterosexuellen Projektionen und Stereotypisierungen homosexueller Sexualität ausgehen, was mit eine Begründung dafür sein könnte, warum es nur wenige autorisiert verzeichnete, lexikaliserte genderspezifizierend weibliche Appellationsformen in diesem Bereich gibt. Bög ist in zahlreichen Zusammensetzungen Teil einer im heterosexuellen Kontext pejorisierend verwendeten Appellation auf Männer, die auf Grund einer unterstellten, von der heterosexuellen Norm abweichenden, Sexualität so benannt werden, wie in bögjävel. Die Form bög in pejorisierender Intention wird auch auf Frauen und zwischen Frauen angewendet. Svahn (1999) weist nach, dass bög in anderen Zusammensetzungen pejorisierend verwendet wird, ohne in allen Fällen die Pejorisierung über Sexualität zu konzeptualisieren: databög, golbög, levisbög, märkesbög.183 Stattdessen wird bög als ‚negativ konnotierte Neigung‘ konzeptualisiert, welche sich in den zuvor benannten Fällen auf unterschiedliches Konsumverhalten bezieht und in diesen Zusammensetzungen auch in
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Vgl. weiter unten. Vgl. Norrby (1995). Vgl. NEO (1995/6); NPLUS (1997); SO (1986). Svahn (1999: 171).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
205
Bezug auf Frauen verwendet werden kann. Bög hat damit als zweites Glied von Zusammensetzungen die Konzeptualisierung über Sexualität verloren und besitzt in diesen vor allem eine Konzeptualisierung über Abwertung. Äußerst selten findet sich eine Oppositionsbildung personaler Appellation durch eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Formen von Sexualität, wie beispielsweise in homomän och heteromän ‚Homomänner und Heteromänner‘. Stattdessen ist in entsprechenden Fällen eine Gegenüberstellung von homomän und män anzunehmen. Dies zeigt wiederum die implizite ReProduktion einer heterosexuellen Grundannahme in der konventionalisierten Verwendung von Appellationsformen wie man und kvinna. Zusammenfassend kann für die substantivischen lexikalisierten genderspezifizierenden Appellationsformen festgehalten werden, dass x diese vor allem im Bereich der Verwandtschaftsverhältnisse, der genderspezifizierenden Benennung mit Altersdifferenzierung und im Bereich der Homosexualitätsspezifizierung zu finden sind sowie als konventionalisiert pejorisierende Appellation;184 x die auf Verwandtschaftsverhältnisse appellierenden Formen eine heteronormative Vorstellung reproduzieren sowie eine Vorstellung einer normalisierten institutionalisierten Form einer Paarbeziehung als konzeptuelles Grundmodell zwischenmenschlicher, als privat hergestellter Relationen; x die auf Verwandtschaftsverhältnisse ersten Grades appellierenden Formen als Basiskonzepte der Vorstellung menschlicher Relationen auf andere Bereiche jenseits der Verwandtschaftsverhältnisse übertragen werden; x die genderspezifizierten, lexikalisierten Appellationen mit Altersdifferenzierung eine Veränderung der Konzeptualisierung von Alter und der Bewertung unterschiedlicher Altersstufen zum Ausdruck bringen; x es am ehesten bei genderspezifizierend männlich appellierenden Formen – mit Ausnahme der konventionalisiert pejorisierend gebrauchten – zu einem Gebrauch kommt, in dem von der Genderspezifizierung abgesehen wird; x der pejorisierende Gebrauch genderspezifizierend auf unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Abweichungen und Negativbewer-
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184 Es soll an diesem Punkt noch mal darauf hingewiesen werden, dass für die Kategorisierung als pejorisierend in dem Kontext dieser Arbeit die Konventionalisierung ein zentrales Kriterium darstellt und dass darüber hinaus alle Appellationsformen sowohl pejorisierend wie auch meliorisierend verwendet werden können und dass nicht die Möglichkeit einer ‚neutralen‘ Anwendung (die in der Opposition von pejorisierend und meliorisierend präsupponiert ist) impliziert werden soll.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
tungen beruht und so genderspezifizierende Differenzierungen von Bewertungen zum Ausdruck kommen und gleichzeitig genderspezifizierende Normalitätsvorstellungen hergestellt werden; x eine konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellation auf eine gleichzeitig als Mann wahrgenommene Person eine Pejorisierung zum Ausdruck bringt, während eine konventionalisiert genderspezifizierend männliche Appellation auf eine gleichzeitig als Frau wahrgenommene Person prinzipiell eher eine Positivbewertung ist. Dies zeigt, dass Genderspezifizierung in substantivischen Lexikalisierungen keine neutrale Form der Kategorisierung ist, sondern mit jeweils genderspezifizierenden, unterschiedlichen Konzeptualisierungen einhergeht, die in dem hier vertretenen Ansatz die Konstruktion von Gendervorstellungen deutlich macht und sich als solche in den Lexikalisierungen naturalisiert, da diese, wie zuvor diskutiert, sprachliche Formen starker Konventionalisierung sind. Als besonders wichtiges Kriterium der genderspezifizierenden Konzeptualisierung in dieser Form der starken Konventionalisierung konnte die Relevanz von Sexualität heraus gearbeitet werden, was sich sowohl auf eine Normvorstellung von Paarbeziehungen als auch privat verstandenen als auch in Bezug auf eine Normsetzung von Heterosexualität bezieht. Andersherum zeigt die konventionalisierte Genderspezifizierung im Bereich der Appellationsformen auf Homosexualität, wie wichtig Gender in Bezug auf die Konzeptualisierung von Sexualität wahrgenommen wird. Pronomina Pronomina wird in der hier vorgelegten Darstellung der personalen Appellationsformen ein höherer Stellenwert eingeräumt als dies in traditionellen Darstellungen der Fall ist. Werden Pronomina, speziell die der dritten Person Singular ansonsten als anaphorische Wiederaufnahmeformen behandelt, sind sie unter der hier vorgestellten Perspektive als eigenständige Einheiten zu betrachten. Die Personalpronomina der dritten Person Singular han/honom und hon/henne sind für eine Betrachtung der Genderspezifizierung personaler Appellationsformen zentral, da sie im Schwedischen der exklusiven Appellation auf Menschen dienen, die in die genderspezifizierende Appellation auf eine Frau oder einen Mann im Singular weiter unterteilt werden kann. Außer für Menschen werden sie nur für Appellationen auf als belebt aufgefasste, individualisierte Entitäten und individualisierte bzw. personifizierte Tiere genommen, die so einen quasi-
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
207
menschlichen Status bekommen. Die Spezifik der Appellation durch diese hoch frequenten pronominalen Formen besteht darin, dass sie ausschließlich als Appellationsformen für Menschen verwendet werden. Dieses Charakteristikum ist allen diesen pronominalen Formen gemeinsam. Sie sind zusätzlich weiter in Formen nach Subjekt- und Objektstellung sowie in Formen nach intendierter bzw. wahrgenommener Genderappellation ausdifferenziert. Entsprechend können im Schwedischen vier verschiedene Formen für die Personalpronomina der dritten Person Singular unterschieden werden. hon sie henne sie/ihr
han er honom ihn/ihm
Im Gebrauch dieser Formen ist die intendierte oder wahrgenommene Genderappellation zentral gesetzt, die entsprechenden Formen bilden aus formaler Sicht der konventionalisierten Genderspezifizierung Oppositionspaare. Braunmüller (2000) unterscheidet in seinem Übersichtsartikel zu Genus in den skandinavischen Sprachen für diese zwei Pronominalisierungsstrategien ein grammatisches und ein semantisches Prinzip. Das semantische Prinzip erklärt er als auf ‚natürlichem‘ Gender oder auf anderen semantischen Distinktionen wie belebt unbelebt basierend.185 Auch wenn der Annahme einer semantischen Ebene in einer konstruktivistischen Vorstellung nicht gefolgt wird, wie im zweiten Kapitel ausgeführt wurde, wird der hier von Braunmüller (2000) vorgenommenen Differenzierung bis zu einem gewissen Punkt gefolgt, gleichzeitig wird aber die durch Personalpronomina der dritten Person realisierte Genderspezifizierung nicht mehr Genus zugerechnet und damit auch eine Differenzierung zwischen Genderspezifizierung und einer Differenzierung in beispielsweise belebt und unbelebt als zentral für eine Erklärung von Personalpronomina der dritten Person Singular angesehen. Wienold (1967: 181) weist im selben Zusammenhang darauf hin, dass „[...] Klassifikationen, die nur am anaphorischen Pronomen exponiert werden, eher begrifflich-orientierte Einteilungsprinzipien zeigen“. Dies ist umso häufiger in den indogermanischen Sprachen der Fall, umso mehr die flexivischen Kongruenzschemata abgebaut sind. Wienold nennt in diesem Zusammenhang die skandinavi-
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185 Auch hier wieder der Hinweis auf die Vermischung der Terminologie von zum einen (grammatisches und natürliches ‚Gender‘), aber auch die Gleichsetzung des sogenannten natürlichen Genders mit Sexus, also eine vollkommene Ignorierung jeglicher Genderdiskussionen der letzten 30 Jahre in den Ausführungen von Braunmüller (2000).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
schen Sprachen, womit er sich auf die festlandskandinavischen Sprachen schwedisch, dänisch und norwegisch bezieht, als Beispiel: „In den skandinavischen Sprachen entwickelt sich infolge des Verlustes der Unterscheidung von Mask. und Fem. in den Kongruenzschemata des Nomens die Möglichkeit der Unterscheidung von männlicher und weiblicher Person in den Akkordanzschemata von Nomen und Pronomen.“ (Wienold 1967: 181)186
Die Darstellung von Personalpronomina als anaphorische Wiederaufnahmeformen, die als ‚Platzhalter‘ fungieren, indem sie lediglich die Funktion und Rolle von personal appellierenden Substantiven einnehmen, wurde in Kapitel 2.5 diskutiert und verworfen.187 Dieser Aspekt wird noch mal konkret für das Schwedische aufgenommen. Er ist insofern nicht zutreffend, als dass die Personalpronomina der dritten Person Singular der festlandskandinavischen Sprachen ein Appellationspotential haben, welches bei den substantivischen personalen Appellationsformen, welche sie wiederaufnehmen, nicht unbedingt zwingend oder durchgängig gegeben sein muss: In den pronominalen Formen ist die Appellation auf die wahrgenommene oder intendierte Genderidentität der appellierten Person lexikalisiert, was bei einer Appellation durch eine substantivische Form, die – so die traditionelle grammatische Darstellung – durch die pronominale Form wiederaufgenommen wird, jenseits der lexikalisierten genderspezifizierenden Formen, die weiter oben diskutiert wurden, nicht der Fall sein muss. Folglich können die Pronomina einen Aspekt der genderspezifizierenden Konzeptualisierung der appellierten Person benennen bzw. fokussieren, der vorher nicht lexikalisiert zum Ausdruck gebracht worden ist und in der Konzeptualisierung entsprechend nicht zentral war. Sie sind aus dieser Sichtweise damit mehr als bloße Wiederaufnahmeformen oder Platzhalter, denen eine eigene Konzeptualisierungsdimension abgesprochen wird. Während die substantivischen personalen Appellationsformen Personen lexikalisiert durch Tätigkeiten, Aussehen und/oder soziale Stellung charakterisieren sowie zusätzlich in der zuvor diskutierten Gruppe von Fällen auch noch durch Genderspezifizierung, wird bei und durch die personalpronominalen Appellationsformen der dritten Person Singular lediglich eine Genderspezifizierung in ihrem konventionellen Gebrauch zum Ausdruck gebracht. Während also die Personalpronomina der ersten und
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186 Da auch das Englische ein entsprechendes Akkordanzschemata aufweist, spricht sich Wienold dagegen aus, diesem die Kategorie Genus abzusprechen. Eine solche Argumentation wird hier trotz der ihr inhärenten Logik zugunsten einer anderen Darstellungsform und Kategorisierung verworfen, in der Pronomina aber ebenfalls eine herausragendere Rolle einnehmen als dies in traditionellen grammatischen Darstellungen der Fall ist. 187 Vgl. auch Hornscheidt [in Vorbereitung] für eine ausführlichere Diskussion hierzu.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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zweiten Person Singular zwischen den Interaktionsrollen differenzieren und die Personalpronomina der dritten Person im Verhältnis zu den Appellationsformen sind, die auf einzelne Personen appellieren, die im Moment der Äußerung keine der beiden aktuellen Interaktionsrollen einnehmen, wird hier ein weiteres Differenzierungskriterium für die Klärung der Appellation herangezogen, eine Einteilung in zwei Gendergruppen. Diese in den meisten germanischen Sprachen zu findende Differenzierung bei den Personalpronomina der dritten Person Singular wird in der grammatischen Darstellung des Schwedischen aufgenommen, indem begriffsmäßig für die Personalpronomina zwischen maskulinen-, femininen-, neutrumund utrum-Formen unterschieden wird. Die Entwicklung dieser Vorstellung kann aus einer historischen Perspektive rekonstruiert werden188, ist aber aus einer synchronen Perspektive nicht kongruent darstellbar189, da es in den Begrifflichkeiten und der Kategorisierung zu einer Vermischung von Genus und Gender kommt. Eine entsprechende grammatische Darstellung vermischt die Ebenen von Genus und Gender und schreibt Gender so zu sagen in Genus ein bzw. macht Genus und Gender in der Darstellung von Personalpronomina zu identischen Kategorien bzw. Kategorisierungsformen. Dahingegen soll hier betont werden, dass in den Personalpronomina der dritten Person Singular im Schwedischen (wie auch im Dänischen und Norwegischen) eine konventionalisierte Genderspezifizierung in der Appellation lexikalisiert zum Ausdruck kommt. Personalpronominale Formen der dritten Person Singular sind damit in dieser Sichtweise nicht genuskongruent in Fällen anaphorischer personalpronominaler Wiederaufnahme, sofern es sich um Appellationen auf Personen handelt. In diesen Fällen wird eine potentielle, angenommene oder wahrgenommene Genderspezifizierung durch die pronominalen Formen differenziert, hinter der eine Genuskongruenz sodann zurücksteht und nicht realisiert wird. Die personalpronominale Appellation auf Menschen bringt keine Appellationsklärungen über Charakteristika, Tätigkeiten, Aussehen o.ä. zum Ausdruck, wie es demgegenüber bei den meisten substantivischen personalen Appellationsformen der Fall ist. Das einzige Kriterium, das in dieser Appellation lexikalisiert ist, ist die Differenzierung nach Gender. Bei der pronominalen ‚Wiederaufnahme‘ durch personale Appellationsformen spielt somit eine Genderspezifizierung die ausschlaggebende Rolle, um Kohärenz und Eindeu-
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188 Bis ins 16. Jahrhundert wurde im Schwedischen nahezu durchgängig zwischen Genus femininum, maskulinum und neutrum unterschieden; später fielen maskulinum und femininum zu utrum zusammen; vgl. Davidson (1990). 189 Vgl. Kapitel 2.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
tigkeit der Appellationszuordnung herzustellen. In den festlandskandinavischen Sprachen ist die formale Appellationseigenschaft der Kategorie Genus dieser für personale Appellationsformen klar untergeordnet. Eine Genusdifferenz in den Personalpronomina der dritten Person Singular findet sich für die nicht-personal appellierenden Personalpronomina der dritten Person Singular. Diese werden nach utrum und neutrum unterschieden und stellen dadurch als anaphorisch verwendete Formen die formale Genuskohärenz zu den wiederaufgenommenen Substantiven her. Es muss zwischen einer formal und einer inhaltlich etablierten Kohärenzleistung bei den Personalpronomina der dritten Person Singular unterschieden werden, werden sie in traditioneller Darstellung anaphorisch gebraucht. Während die formale Kohärenz durch Genusmarkierungen erfolgt, wird die inhaltliche Kohärenz durch eine Genderdifferenzierung realisiert – und findet sich entsprechend nur für personale Appellationen und setzt gleichzeitig die formale Kohärenz außer Kraft. Sie ist offenbar der formalen Kohärenz insofern übergeordnet, da sie, wenn diese realisiert wird, die formale Kohärenz bei den entsprechenden Personalpronominaformen außer Kraft setzt. Ganz ähnlich wie Cornish (1999) für das Englische190 nimmt Fraurud (2000) für das Schwedische an, dass, wird ein Pronomen zur nicht personalen Appellation benutzt, ohne sich ‚klassisch anaphorisch‘ auf ein zuvor genanntes Substantiv zu beziehen, dies implizit durch die Appellationsnahme auf ein basic-level noun getan wird und nicht mit impliziter Appellation auf ein übergeordnetes Substantiv.191 Diese Regel sieht Fraurud auch für Eigennamen als wirksam an, wobei sie die Regel, dass die Unterscheidung zwischen Utrum und Neutrum eine rein grammatische Entscheidung ist, als nicht für Eigennamen anwendbar sieht, sondern hier die Notwendigkeit semantisch differenzierter Regeln annimmt. Interessant ist in Bezug auf personale Appellation der Umstand, dass das personal appellierende Substantiv, welches durch das Personalpronomen wieder aufgenommen wird, nicht unbedingt selbst formal genderspezifizierend sein muss. Die personalpronominale Form realisiert zur Klärung der Appellation potentiell eine inhaltliche Differenzierung, die bei einer Konzeptualisierung durch die substantivische Form nicht angelegt gewesen sein muss oder war. Die hier vorgenommene Analyse steht in Übereinstimmung mit dem Modell von Dahl (2000b) zu pronominaler
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190 Vgl. Kapitel 2. 191 Fraurud (2000) bringt das Beispiel der Appellationsnahme auf einen Hammer durch implizite Wiederaufnahme von hammare (Genus utrum, durch den) und nicht verktyg (Genus neutrum, durch det).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Genuszuweisung, wenngleich die Genderspezifizierung der Personalpronomina der dritten Person Singular hier nicht als Genusdifferenzierung kategorisiert wird. Dahls Modell eignet sich zusätzlich dazu, die Verwendung der genderspezifizierend männlichen pronominalen Form auch in einem genderunspezifizierenden Gebrauch darzustellen, die hier in Übereinstimmung mit den im zweiten und dem vorliegenden Kapitel durchgeführten Analysen als konform mit der protoypischen Wahrnehmung von Männlichkeit als allgemeinmenschlich angesehen wird und auf die weiter unten noch eingegangen wird. Insofern ist die von Fraurud (2000) vorgeschlagene Analyse nicht-personaler Appellation auch auf personale Appellation übertragbar, wenn die Annahme eines basic noun hier durch prototypische Vorstellungen ersetzt wird. Besonders interessant ist die Feststellung, dass durch die pronominalen Formen eine Genderspezifizierung vorgenommen werden muss, sieht man von der prototypischen Verwendung der genderspezifizierend männlich appellierenden Form als allgemeinmenschlich ab, die bei den meisten Substantiven jenseits der oben diskutierten Gruppe der lexikalisiert genderspezifizierenden Formen so nicht vorhanden ist. Setzt man dies in Bezug zu der Annahme des ökonomischen Prinzips, welches als eine mögliche Motivation für die Appellation durch pronominale Formen häufig angeführt wird192, bleibt zu fragen, warum pronominale Formen gegenüber den substantivischen Formen im heutigen Schwedisch häufig gleichzeitig eine andere Konzeptualisierung – ihre Genderspezifizierung – ausweisen können. Dies kann im Rahmen eines kognitiv-pragmatischen Modells auf der Grundlage der in Kapitel 2 ausgeführten Thesen erklärt werden. Während bei der substantivischen Appellation diese durch andere Konzeptualisierungen (im Falle der nicht vorhandenen morphologischen oder lexikalisierten Genderspezifizierung) ausreichend in einer konkreten Kommunikationssituation vereindeutigt worden sind, wobei hier häufig auch protoypische, auch genderspezifizierende Vorstellungen aufgerufen werden, wird bei der pronominalen Appellation mit der Lexikalisierung einer Genderspezifizierung auf den für eine personale Konzeptualisierung am stärksten konventionalisierten und herausstechendsten Faktor zurück gegriffen. In einer genderunspezifizierenden pronominalen Appellation kommt die Regel der prototypischen Konzeptualisierung von Personen zu tragen, die in Bezug auf Gender männlich ist.193
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192 Vgl. Claudi (1985). 193 Dieser Aspekt konnte in der älteren Forschungsliteratur eindeutig und einfach beantwortet werden, da hier von einer Eindeutigkeit von Genderzuschreibungen und einer mit dem Genus neutrum verbundenen Neutralität auf der anderen Seite ausgegangen worden ist, so
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Die mit den pronominalen Formen vorgenommene Genderdifferenzierung im Schwedischen ist heute auf den Singular beschränkt, welches mit der konzeptuellen Notwendigkeit erklärt werden kann, dass sich Menschen Personen nicht unabhängig von ihrem wahrgenommenen Gender vorstellen können, während bei der Wahrnehmung von Gruppen von Menschen Gender durch die Pluralität der Gruppenangehörigen eine weniger entscheidende Rolle spielen muss. Dies bestätigt sich mit Blick auf die pronominale Wiederaufnahme personaler Appellationsformen, die Neutrum-Genus haben. Wie Hultman (1992) für die Form barn ‚Kind‘ und ihre pronominale Wiederaufnahme in Aufsätzen von Schüler/inne/n hat feststellen können, gibt es keine einheitliche Strategie der Wiederaufnahme, sondern es finden sich sowohl durch angenommene Gendervorstellungen realisierte pronominale Wiederaufnahmen als auch solche, die Genuskongruenz realisieren.194 Vergleichbar mit den Ergebnissen von Braun et al. (1998) zum Deutschen stellt auch Hultman (1992) für das Schwedische fest, dass innerhalb der Nominalphrase die grammatische Kongruenz sehr viel wahrschein-licher ist als außerhalb und dass mit zunehmendem verbalen Abstand zwischen der Nominalphrase und dem wiederaufnehmenden Ausdruck die semantische Kongruenz - in diesem Fall bezogen auf primär Belebtheit und sekundär Gender - an Wahrscheinlichkeit zunimmt. Diese von der zentralen Stellung von Genus ausgehende Erklärung wird mit Blick auf das Schwedische relativiert, wo auch innerhalb der Nominalphrase eine genderspezifizierende Kennzeichnung wichtiger zu sein scheint als eine genuskongruente.195 Durch die Differenzierung der personalpronominalen Appellation auf Menschen mit Hilfe von zwei genderdifferenzierenden Formen ergibt sich ein Appellationskonflikt für die genderunspezifizierende pronominale
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dass beispielsweise Tegnér ([1892] 1962: 23f.) bemerken kann: „Vill eller nödgas man någon gång lämna personens genus obestämt, så kan visserligen neutrum användas: Budet påstod att det icke hade träffats någon hemma. Vittnet medgav att det intet hade sett. Men om ordet genom sin betydelse är bundet vid ett visst kön, såsom fallet är t. ex. med fruntimmer och riksråd, så viker nästan alltid neutrum för det sexuella pronominet.“ ‚Will oder möchte man einmal das Geschlecht einer Person unbestimmt lassen, so kann sicherlich Neutrum angewendet werden: Der Bote (neutr.) behauptete, dass es zu Hause niemanden angetroffen habe. Der Zeuge (neutr.) gab zu, dass es nichts gesehen habe. Aber wenn das Ort durch seine Bedeutung an ein Geschlecht gebunden ist, wie es mit Frauenzimmer (neutr.) und Reichsrat (neutr.) der Fall ist, so weicht fast immer die Neutrum-Form für ein sexuelles Pronomen.‘ 194 Vgl. Hornscheidt (2006b). 195 Vgl. weiter unten.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Appellation im Singular. Dadurch kommt es zur Anwendung der bereits erwähnten Regel der prototypischen Konzeptualisierung von Personen, wodurch bis auf wenige Ausnahmen die genderspezifizierend männlich appellierenden Formen zu genderunspezifizierender Appellation genutzt werden. Die wenigen Ausnahmen betreffen Fälle, in denen eine frühere, ausdifferenziertere Genusunterteilung bei den schwedischen Substantiven in neutrum, femininum und maskulinum zum Tragen kommt. Die ehemals femininen und maskulinen Substantive sind im Neuschwedischen in der Gruppe des Genus utrum zusammengefallen. Bestimmte Gruppen der den femininen Wörtern zu zurechnenden Substantive endeten auf –a. Für die Substantive, die heute immer noch auf –a enden und die nicht auf Personen appellieren, wird die personalpronominale Form der dritten Person utrum (den) zur Wiederaufnahme benutzt. Für die Substantive, die auf –a enden und eine konventionell genderspezifizierende Appellation haben, gilt die zuvor formulierte Regel, dass die Genuskongruenz zu Gunsten einer Genderkongruenz außer Kraft gesetzt ist. Es bleiben die Substantive auf –a übrig, die auf Personen appellieren ohne konventionell genderspezifizierend zu sein – und zudem noch hoch frequent sind. In diesem Fall wird – da eine Genderkongruenz durch die beiden gebräuchlichen personalpronominalen Formen im Singular nicht durchgeführt werden kann, es sich aber gleichzeitig um eine personale Appellationsform handelt, das ursprünglich feminine, alte Genus des Wortes für die pronominale Wiederaufnahme genommen, in diesem Falle also feminin, was zu einer pronominalen Wiederaufnahme führt, die bis auf folgende Ausnahmen ansonsten eine genderspezifizierend weibliche Appellation signalisiert. människa .... hon‘
Mensch .... sie‘
Zu vermuten ist hier, dass die hohe Frequenz des Wortes människa dazu beigetragen hat, dass die heute genderspezifizierend weiblich appellierende personalpronominale Form (früher genusmarkiert feminine Form) in der Wiederaufnahme weitgehend beibehalten worden ist. Weitere entsprechende Wiederaufnahmen von personal appellierenden Ausdrücken mit hon, die auf –a enden, finden sich für die Adjektivformen nästa ‚nächste/r‘ und främsta ‚der/die Vorderste‘ in bestimmter Form. Vergleichbares findet sich darüber hinaus noch für eine verschwindend geringe Zahl objektappellierender Substantive, die auf –a enden: klocka ..... hon
‚Uhr .... sie‘
Eine weitere Besonderheit des Gebrauchs der personalpronominalen Formen der dritten Person Singular in Subjektstellung ist ihre Verwen-
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
dung als erster Teil von Substantiven oder gar als Substantive, womit eine Genderspezifizierung hergestellt wird. Diese Verwendung zeigt, dass die entsprechenden pronominalen Formen vor allem zur Genderspezifizierung dienen. „Könet spelar en mycket stor roll i vår medvetenhet. När vi ser en obekant person vars kön inte omedelbart kan avläsas, blir vi väldigt nyfikna och gör allt som kan göras inom den goda uppfostrans ramar för att få reda på om det är en hon eller en han.“196 (Telemann 1995: 91)
In dem Zitat von Teleman (1995) wird deutlich, dass die personalpronominalen Formen der dritten Person Singular als Substantivierung zur genderspezifizierenden personalen Appellation verwendet werden und als solche eindeutig genderspezifizierend sind, eine genderunspezifizierende Verwendung der Form han scheint hier ausgeschlossen. In dieser Verwendung der Formen zeigt sich zugleich, dass diese eine verbale Möglichkeit für eine basale Konzeptualisierung von Genderspezifizierung sind. Är hunden en han eller en hon?
‚Ist der Hund ein Er oder eine Sie?‘
Dieses Beispiel zeigt, dass diese Verwendung der Pronomina als Substantive in Bezug auf eine Genderspezifizierung von Tieren zu finden ist. Dies deutet darauf hin, dass in der Verwendung der Personalpronomina der dritten Person Singular in substantiviertem Gebrauch zugleich eine Auffassung von Gender als einer natürlichen Dichotomie mit zum Tragen kommt, die auch für die Formen hona und hane weiter oben festgestellt werden konnte. Dies impliziert in der Verwendung dieser Formen die Konzeptualisierung von Gender als ausschließlich über die Annahme einer Natürlichkeit dieser Kategorisierung, die in dieser Vorstellung sowohl auf Menschen als auch auf Tiere zutrifft und damit eine Kontinuität in der Konzeptualisierung über diese beiden Gruppen hinweg besitzt. Neben den Personalpronomina der dritten Person Singular sind auch für die Possessivpronomina der dritten Person Singular in bestimmten Fällen konventionalisiert genderspezifizierende Appellationsformen gebräuchlich. Bezieht sich das Possessivpronomen nicht auf das Subjekt des entsprechenden Satzes, so werden hennes ‚ihr‘ und hans ‚sein‘ als genderspezifizierende Formen gebraucht. Auch in diesen Formen findet keine weitere Ausdifferenzierung einer Genuskongruenz statt.
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196 ‚Das Geschlecht spielt eine sehr groƢe Rolle in unserem Bewusstsein. Wenn wir eine unbekannte Person sehen, deren Geschlecht nicht direkt abgelesen werden kann, sind wir sehr neugierig und machen alles, was innerhalb des Rahmen der guten Erziehung möglich ist, um herauszufinden, ob es eine Sie oder ein Er ist.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Bezieht sich das Possessivpronomen hingegen auf das Subjekt des Satzes, so gibt es nur eine, nicht weiter genderspezifizierende Form, sin/sitt ‚sein/ihr‘, die – entgegen den oberen Formen – genuskongruent ist. Wie auch schon bei den Personalpronomina, zeigt sich auch bei diesen Formen der Possessivpronomina eine Vorrangigkeit der Gender- über die Genuskongruenz. Wenn Genderkongruenz durch den Gebrauch entsprechender Formen vollzogen wird, spielt Genuskongruenz keine Rolle. Die sprachlichen Kongruenzbeziehungen, die durch pronominale Formen in den festlandskandinavischen Sprachen hergestellt werden können, zeigen, dass Genus und Gender nicht nur nicht zusammen fallen, sondern in diesen Fällen sogar zwei klar voneinander trennbare, sich ausschließende Strategien der sprachlichen Appellationsklärung sind: Wird durch pronominale Formen eine Genderkongruenz hergestellt, gibt es für dieselben Formen keine Genuskongruenz. Während die Genuskongruenz per definitionem ein innersprachliches Kongruenzphänomen ist, ist die Genderkongruenz in einem Großteil der Fälle in den festlandskandinavischen Sprachen, in denen in vielen Fällen die substantivische Appellationsform nicht genderspezifizierend ist, ein Kongruenzphänomen, welches zwischen der sprachlich hergestellten Appellation und einer nicht-sprachlich angenommenen bzw. intendierten Appellation mit Hilfe der Genderspezifizierung zu vermitteln versucht. Die Genderkongruenz ist nur aus einer pragmatisch-kognitiven Perspektive erklärbar: Es spielen für die Vereindeutigung der intendierten Appellation sowohl Faktoren unterschiedlicher Dimensionen von Kontext eine ausschlaggebende Rolle als auch kognitive Faktoren der Wahrnehmung, die bei der Appellation auf konkrete Menschen lexikalisiert im Falle der Pronomina und damit stark konventionalisiert über eine Genderspezifizierung stattfindet. Adjektive Genderspezifizierung durch Adjektive wird in der Frage der Naturalisierung einer Konzeptualisierung von Gender als die schwächste Form gegenüber Substantiven und Pronomina angesehen, wie in Kapitel 2 ausgeführt wurde. Ausgehend von einem kognitiv-linguistischen Ansatz, dass Substantive und Pronomina Konzeptualisierungen von Subjekten zum Ausdruck bringen, in denen die diesen zugeschriebenen Charakteristika als unverbrüchlicher Teil der Subjekte angesehen werden, besitzen Adjektive kognitiv gesehen eher eine Konzeptualisierung, die im Falle personaler
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Appellation auf spezifische Eigenschaften und Merkmale in einer Person schließen lassen. Ihre prädikative und attributive Verwendung als personale Appellation ist immer auch mit der Notwendigkeit des Gebrauchs einer substantivischen (prädikativ und attributiv) oder pronominalen (nur prädikativ) personalen Appellation verbunden. Insofern geben sie in Bezug auf die personale Appellation eine zusätzliche Konzeptualisierung, die der substantivisch oder pronominal hervorgerufenen nicht stereotyp zugeschrieben ist. Die Lexikalisierung genderspezifizierender Adjektive lässt auf eine Konventionalisierung der dadurch zum Ausdruck gebrachten Konzeptualisierung von Weiblichkeit und Männlichkeit als Charakteristika schließen. Lexikalisierte genderspezifizierende adjektivische Appellationsformen sind das im Hinblick auf ihre Genderspezifizierung als Opposition darstellbare Paar kvinnlig/manlig ‚weiblich/männlich‘, die aus den zuvor besprochenen Substantiven kvinna und man abgeleitet sind. Sie werden in attributiver und prädikativer Stellung gebraucht, sind genus- und numerusvariabel und ermöglichen – ähnlich wie die entsprechenden Substantive – eine genderspezifizierende Appellation im Singular und Plural. Bei diesen Adjektiven fällt ähnlich wie bei den entsprechenden substantivischen Appellationsformen die durch sie evozierte Konzeptualisierung mit der Genderspezifizierung zusammen. Die durch den Gebrauch des Adjektivs kvinnlig und des aus diesem abgeleiteten Substantivs kvinnlighet ‚Weiblichkeit‘ hervorgerufene Konzeptualisierung ist jedoch gleichzeitig auch jenseits der Genderspezifizierung unterschiedlich, wodurch sich eine unterschiedliche Konzeptualisierung der Genderspezifizierung anhand dieser Formen gleichzeitig sehen lässt. Zusätzlich ist es notwendig, die Formen in ihrer konkreten Verwendung und ihrer Verteilung zu betrachten, wie es in Kapitel 6 geschieht. Dabei muss zum einen betrachtet werden, wie die quantitative Verteilung der Formen im Verhältnis zueinander aussieht, aber auch, ob es sich bei Attribuierungen durch diese Formen lediglich um die Herstellung einer Genderspezifizierung handelt oder ob hier weitere Bedeutungsasymmetrien hergestellt werden bzw. in die entsprechenden Benennungen mit eingehen. Bezogen auf ihr direktes sprachliches Umfeld werden sie zur Spezifizierung personal appellierender Substantive benutzt, die keine lexikalisierte Genderspezifizierung aufweisen. Darüber hinaus dienen sie auch der genderspezifizierenden Appellation auf Tätigkeiten, Objekte und Aussehen, die auf die Weise als genderdifferent konzeptualisiert werden. Die primäre Genderspezifizierung personaler Appellation durch kvinna und man erfährt eine Übertragung auf sekundäre Bereiche, die ebenfalls gegendert werden. In NEO (1996) werden zwei
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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Verwendungen für kvinnlig unterschieden: „1 som är av eller har att göra med kvinnokön [...] 2 typisk för kvinnor enl. vissa (delvis föråldrade) ideal {Ⱥfeminin}”.197 In der Definition des Lexikons wird in eine Bezugnahme auf eine natürliche Genderidentität und eine soziale Übertragung unterschieden, die hier als nicht klar voneinander trennbar angesehen werden. Auch in der Definition des Lexikoneintrags manlig findet sich eine entsprechende Zweiteilung mit einer leichten Verschiebung in der zweiten Definition: „2 som anstår en man enl. vissa (delvis föråldrade) ideal“.198 Während in der zweiten Definition von kvinnlig die Natürlichkeit der Norm auf dem Hintergrund einer prototypischen Vorstellung impliziert scheint, ist in der zweiten Definition von manlig eine stärkere Betonung der Normhaftigkeit zum Ausdruck gebracht. Ein Querverweis auf maskulin fehlt hier. Maskulin selbst ist als „som har utpräglad manliga egenskaper enl. traditionella ideal {Ⱥ viril}“199 definiert, wohingegen feminin mit „som har utpräglad kvinnliga egenskaper el som är kvinna {Ⱥkvinnlig2}“200 umschrieben wird, wodurch die Natürlichkeitsvorstellung der Eigenschaftszuschreibung reproduziert wird. In NOFO (1992) ist die Diskrepanz der unterschiedlichen konventionalisierten Verwendungsweisen zwischen kvinnlig und manlig ebenso deutlich. Unter manlig findet sich der Eintrag „1 (motsats: kvinnlig) maskulin, hanlig, han-; (jur.) agnatisk (arvsrätt) 2 (motsats mjäkig) se djärv 1, viril, okvinnlig, karlavulen, mannavulen, karlaaktig, kraftig, (bil.) manhaftig, ‚rakryggad‘, ädel“201; unter kvinnlig „moderlig, veklig, feminin“202. Weder wird in dem Eintrag zu kvinnlig mit Oppositionen gearbeitet, noch die Bedeutung weiter ausdifferenziert, sondern lediglich soziale Komponenten einer Charakterisierung von Weiblichkeit erwähnt. Die Erstnennung von moderlig deutet im heutigen Schwedisch auf die starke Verknüpfung von Weiblichkeit mit Mutterschaft hin.203
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197 NEO (1996, Bd. 2: 238). ‚1 Ist vom oder hat zu tun mit dem Frauengeschlecht 2 Typisch für Frauen gemäƢ bestimmter (teilweise veralteter) Ideale. Feminin.‘ 198 NEO (1996, Bd. 2: 351). ‚Schickt sich für einen Mann gemäƢ bestimmter (teilweise veralteter) Ideale.‘ 199 NEO (1996, Bd. 2: 358). ‚Hat ausgeprägte männliche Eigenschaften nach traditionellen Idealen. Viril.‘ 200 NEO (1995, Bd. 1: 394). ‚Hat ausgeprägte weibliche Eigenschaften oder ist Frau. Weiblich.‘ 201 NOFO (1992: 510). ‚1 (Gegenteil: weiblich) maskulin, er-lich, er-; (juristisch) agnatisch (Erbrecht) 2 (Gegensatz weichlich) s. kühn 1; viril, unweiblich, männlich, mannhaftig, kräftig, gerader Rücken, edel.‘ 202 NOFO (1992: 456). ‚mütterlich, weich(lich), feminin.‘ 203 Vgl. Kapitel 5.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Aus den Adjektiven kvinnlig und manlig sind in einem weiteren Schritt die Substantive kvinnlighet ‚Weiblichkeit‘ und manlighet ‚Männlichkeit‘ abgeleitet. Die mit dem Gebrauch dieser Substantive zum Ausdruck gebrachte Zuordnung von Charakteristika, Merkmalen und Eigenschaften schreibt diese wiederum auf ein bestimmtes Gender fest und macht diese zu bestimmenden Faktoren einer Genderspezifizierung, wodurch sie gleichzeitig den Status des Sekundären verlieren. Ein konzeptueller Zirkelschluss wird hier deutlich. Adjektive wie tjejaktig ‚mädchenhaft‘, pojkaktig ‚jungenhaft‘, flickaktig ‚mädchenhaft‘ und killaktig ‚jungenhaft‘ benennen ebenfalls ein bestimmtes Verhalten oder bestimmte Eigenschaften als genderspezifizierende mit einer zusätzlichen Altersspezifizierung auf eine Phase des vor dem Erwachsenseins. Im Gebrauch dieser Formen auf genderspezifizierend konträr konzeptualisierte Personen konzeptualisieren sie ein bestimmtes Verhalten als nicht normgerecht. Die Adjektive feminin und maskulin beziehen sich genderspezifizierend auf das Verhalten oder die äußere Erscheinung einer Person und können zur Kennzeichnung einer Abweichung von einer genderspezifizierenden Normalität benutzt werden, wenn sie in Zusammenhang mit einer substantivischen konträren genderspezifizierenden Appellationsform angewendet werden, wie in den Phrasen en maskulin kvinna ‚eine maskuline Frau‘, en feminin man ‚ein femininer Mann‘. Werden sie zur Charakterisierung von Personen der jeweils übereinstimmenden Genderspezifizierung verwendet, so verstärken sie die normative Konzeptualisierung dieser. In NOFO (1992) finden sich unter feminin die Synonyme „kvinnlig, av kvinnligt kön; kvinnligt vek 1. mjuk, öm; förkvinnligad, flickaktig; alltför vek 2. mjuk, förvekligad, fruntimmeraktig, effeminerad, överförfinad, omanlig, klemig, ömtålig; jfr. käringaktig“204. Die meisten dieser Synonyme sind eindeutig pejorisierend, die als erstes genannten Synonyme stellen feminin als eine natürliche weibliche Eigenschaft dar. Im Gegensatz findet sich unter dem Eintrag maskulin lediglich der Verweis auf die Form manlig ‚männlich‘205. Das Konzept feminin scheint im heutigen Schwedisch konventionalisiert ausdifferenzierter zu sein als das Konzept maskulin.
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204 NOFO (1992: 181); ‚weiblich, vom weiblichen Geschlecht, weiblich weich 1. weich, zart, verweiblicht, mädchenhaft, zu weich 2. weich, verweichlicht, frauenzimmermäƢig, weibisch, überverfeinert, unmännlich, verweichlicht, empfindlich, vgl. käring-haft.‘ Siehe auch NEO (1995, Bd. 1: 394), wo die negative Bedeutungsverwendung der Form feminin auf Kontexte bezogen wird, in denen eine männliche Person so charakterisiert ist. 205 NOFO (1992: 512).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
219
Eine pejorisierende Verwendung von letzterem wird in den Wörterbucheinträgen nicht deutlich. Darüber hinaus gibt es eine Gruppe weiterer konventionell genderspezifizierender adjektivischer Formen, die lexikalisiert sind. Diese appellieren neben der durch sie vorgenommenen Genderspezifizierung vor allem auf Homosexualität, die so zugleich als abweichend von einer heterosexuellen Normalvorstellung hergestellt wird: lesbisk und bög. Mit diesen Formen wird genderspezifizierend Homosexualität benannt, entsprechende adjektivische genderspezifizierende Benennungen von Heterosexualität finden sich nicht. Die in der westlichen Kultur untrennbare Verknüpfung von Sexualität mit Gender kommt in diesen Formen durch eine Genderspezifizierung zum Ausdruck. Andersherum kann geschlussfolgert werden, dass, da die in einer Gesellschaft angenommene Normalität u.a. durch nicht spezifizierende Benennungen immer wieder reproduziert wird, im konventionellen Gebrauch der Adjektive kvinnlig und manlig zugleich eine heterosexuelle Normalitätsvorstellung impliziert ist, die sich immer wieder herstellt und verfestigt. In dieser Vorstellung kommt bei den Adjektiven lesbisk und bög nicht eine Konzeptualisierung von Sexualität hinzu, sondern eine Konzeptualisierung über eine andere und damit abweichende Sexualität. Im weiteren Sinne als in konventionellem Gebrauch genderspezifizierend können die Adjektive bezeichnet werden, die konventionell genderstereotypisierend oder genderexklusiv gebraucht werden. Hierzu sind zum einen Adjektive und Partizipialkonstruktionen zu rechnen, die ausgehend von einem auf einer biologisch konstituierten Gendervorstellung basierenden Reproduktionsverständnis konventionell genderspezifizierend gebraucht werden. Dazu gehören als genderspezifizierend weibliche Appelationsformen gravid ‚schwanger‘, ammande ‚stillend‘ und premenstruell ‚prämenstruell‘, als genderspezifizierend männliche Appellationsformen potent und impotent. Die genderspezifizierend weiblichen Adjektive bringen eine Vorstellung von Reproduktion und hormoneller Abhängigkeit als Weiblichkeit konstituierende Faktoren zum Ausdruck, im/potent hingegen eine Bestimmung über Sexualität, der ihrerseits eine genderspezifizierend weiblich adjektivische Appellation durch frigid gegenüber gestellt werden könnte. Die durch Adjektive hergestellte Konzeptualisierung von Eigenschaften und Merkmalen zeigt in Bezug auf die Herstellung angenommener biologischer Genderspezifizierung Unterschiede auf. Darüber hinaus gehören in diese Gruppe Adjektive, die Tätigkeiten, Charaktereigenschaften und Aussehen benennen, welche in einem kon-
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
ventionellen Gebrauch und traditionellen Verständnis genderspezifizierend zugeordnet werden. Beispiele sind macho(mässig) als genderspezifizierend männliche Form und skvallrig ‚klatschend‘, hysterisk, grälande ‚zankend‘ als genderspezifizierend weibliche Formen. Auffallend bei dieser Gruppe der genderspezifizierenden Adjektive ist ihre konzeptuelle Nähe zu den weiter oben diskutierten pejorisierenden genderspezifizierenden Substantiven. Während macho in adjektivischer Verwendung als genderspezifizierend männlich appellierende Form in NEO (1996) verzeichnet ist206, sind hysterisk und grälande nicht als genderspezifizierende Formen gekennzeichnet.207 Macho(mässig) wäre damit am ehesten in Opposition zu kvinnlig und/oder feminin zu sehen, wodurch sich auch hier eine Bedeutungsdifferenzierung zeigt, indem eine zu ausgeprägte Männlichkeit als etwas Negatives dargestellt wird. Eine entsprechend negativ lexikalisierte konventionelle Konzeptualisierung von zu ausgeprägter Weiblichkeit findet sich hingegen nicht. Auffallend ist auch hier die größere Anzahl von Adjektiven, mit denen eine konventionell genderspezifizierend weibliche Appellation realisiert wird, welches die Annahme nahe legt, dass das konventionell verstandene männliche Verhalten /Aussehen als normal, allgemeinmenschlich und damit nicht lexikalisiert genderspezifizierend zu benennen aufgefasst wird und zusätzlich nicht durch Eigenschafts- und Charakterbenennung lexikalisiert realisiert wird. Dies entspricht der in der vorliegenden Arbeit schon mehrfach gemachten Beobachtung, dass eine gesellschaftlich angenommene Normalität einer expliziten Benennung entgeht und jeweils nur die als Abweichung aufgefasste Verhaltensweise – hier speziell in Bezug auf die Genderspezifizierung – benannt wird, wodurch die Normalität der nicht benannten Verhaltensweise zugleich wiederhergestellt und verfestigt wird. Mit dem Fokus der vorliegenden Untersuchung bedeutet dies die Reproduktion von heterosexueller Männlichkeit als unhinterfragter Norm, nicht nur was die direkte personale Appellation betrifft, sondern auch als durch den konventionalisierten Gebrauch von Adjektiven genderspezifizierend oder –typisch aufgefasste Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen, Aussehen. Im Gebrauch dieser Adjektive liegt einerseits ein hohes Veränderungspotential bezogen auf Genderstereotype und andererseits verdeutlicht ein sich ständig verändernder Gebrauch die Konstruktion von Gendervorstellungen und -bildern. Es wird hier davon ausgegangen, dass Ver-
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206 Vgl. NEO (1996, Bd. 2: 341). 207 Vgl. NEO (1995, Bd. 1: 654), NEO (1995, Bd. 1: 576).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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änderungen an den Konventionen genderspezifizierender Appellation bei den Adjektiven am realistischsten sind, da sie als Adjektive in der Auffassung weniger die Substanz des subjektiven Seins angreifen oder in Frage stellen als substantivische Appellationsformen. Nach der Analyse der konventionalisiert genderspezifizierenden Appellationsformen, die lexikalisiert sind, sollen im folgenden genderspezifizierende Appellationsformen betrachtet werden, die die konventionelle Genderspezifizierung durch Mittel der Grammatikalisierung realisieren. 3.2.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation durch Mittel der Grammatikalisierung im heutigen Schwedisch Zu den Mitteln der Grammatikalisierung in Bezug auf die konventionalisierte Genderspezifizierung personaler Appellation werden im folgenden die Strategien der Suffigierung gerechnet. Der Status der Suffigierung liegt dabei zwischen dem der Lexikalisierung der oben diskutierten Formen und dem der Grammatikalisierung in Bezug auf genderspezifizierende Genusmarkierungen. Es handelt sich um ein Kontinuum der sprachlichen Möglichkeiten der Genderspezifizierung. Durch eine Behandlung personalpronominaler Formen als Form der Lexikalisierung einer Genderspezifizierung gibt es im heutigen Schwedisch innerhalb dieses Modells keine lexikalisierte und/oder grammatikalisierte Genderspezifizierung, die durch Genus realisiert wird. Eine solche Perspektive auf das Phänomen der Genderspezifizierung wird als ein möglicher Ansatzpunkt für ein erneutes Überdenken bisheriger Genus-Gender-Modelle angesehen. Genus als formales Mittel hat in dieser Sichtweise eine veränderte Relevanz. Eine große Gruppe der konventionalisiert genderspezifizierenden Appellationsformen werden durch Suffigierungen gebildet. In traditionellen Darstellungen wird dies in der Regel als eine Ableitung der genderspezifizierend weiblich appellierenden Form aus der genderspezifizierend männlich oder der als neutral titulierten appellierenden Form dargestellt.208 Aus einer synchronen Perspektive können die meisten der Formen jedoch als jeweils genderspezifizierende Suffigierungen von einem gemeinsamen Stamm angesehen und dargestellt werden.209 Betrachtet man die Ebene
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208 Vgl. Hornscheidt (2006b). 209 Diese Form der Darstellung widerspricht den entsprechenden Darstellungen in zeitgenössischen Grammatiken (vgl. weiter oben), in denen weiterhin von einer Vorgängigkeit der konventionell genderspezifizierend männlich gebrauchten Formen ausgegangen wird, aus
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
der Wörterbücher, so kann festgestellt werden, dass eine Reihe der genderspezifizierend männlich appellierenden Formen lexikalisiert sind, während die genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen dies in der Regel nicht sind, wenn durch sie nicht spezifische Konzeptualisierungen zum Ausdruck kommen, die weiter unten besprochen werden. In der Lexikalisierung der ersteren kommt zugleich eine Charakterisierung von diesen als genderunspezifizierend hinzu, wodurch hier gleichzeitig wiederum eine Gleichsetzung von Gender mit Weiblichkeit geschieht. Diese symmetrische Darstellungsform in Bezug auf Genderspezifizierung macht auch insofern Sinn, als dass eine Ableitung der konventionell genderspezifizierend weiblich appellierenden Form aus der konventionell genderspezifizierend männlich appellierenden häufig anders aussehen müsste. Genderspezifizierende Appellations-formen durch Suffigierungen finden sich für die Wortarten Substantiv, Pronomen und Adjektiv. Substantive Die häufigsten Suffixe für konventionalisierte genderspezifizierend männliche Appellation in dieser Gruppe sind –(ar)e, (ö)r und ein Nullsuffix, seltener auch –ist, die alle in unterschiedlichem Umfang heute noch produktiv sind. In SAG (1999) wird –are als hoch produktives Suffix zur Wortbildung bezeichnet, -ör hingegen als weniger produktiv und nur in einzelnen Worten vorkommend.210 Die häufigsten Suffixe für konventionalisierte genderspezifizierend weibliche Appellation in dieser Gruppe sind –(ar)inna, -(er)ska, -tris, -ös (mit abnehmender Häufigkeit) sowie –ssa, issa und -a. Einige der genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen besitzen heute eine gewisse Produktivität, die von den Formen selbst sowie von bestimmten Registern bzw. der intendierten Appellation auf bestimmte Gruppen von Frauen abhängig ist.211 In der Fachliteratur wird, wie bereits erwähnt, nur bei den genderspezifizierend weibliche Appellation intendierenden Formen von suffigierten Formen gesprochen, was damit zusammenhängen kann, dass die gen-
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denen die konventionell genderspezifizierend weiblich gebrauchten Formen abgeleitet werden. Eine solche Form der Darstellung reproduziert Annahmen männlicher Prototypik als allgemeinmenschlich. Die hier vorgeschlagene Form der Darstellung bietet demgegenüber einen möglichen Perspektivwechsel an. 210 Als Beispiel wird die Form akupunktör ‚Akupunkteur‘ aus akupunktera ‚akupunktieren‘ genannt. Vgl. SAG (1999, Bd. 2 §21: 40f). 211 Insbesondere im Bereich des Sports, vgl. Kapitel 6.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
223
derspezifizierend männlichen Appellationsformen eine über die Genderspezifik hinausgehende konventionalisierte Verwendungsweise haben.212 Allgemein wird angenommen, dass die zur genderspezifizierend weiblichen Appellation benutzten suffigierten Formen nicht mehr produktiv sind.213 Himanen (1990) stellt für das Pressekorpus 1965 424 und für 1976 387 verschiedene konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellationen durch suffigierte Formen fest. Hier kann eine starke Abnahme unterschiedlicher nominaler Formen, die durch Suffigierungen eine konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellation herstellen, beobachtet werden. Auch in einem Vergleich des SAOL214 von 1998 sind gegenüber der Ausgabe von 1986 knapp 90 Formen weniger, die auf – (er)ska gebildet sind, verzeichnet.215 Viele von ihnen sind in der früheren Ausgabe von SAOL bereits mit dem Beisatz ‚veraltet‘ aufgeführt worden. Es gibt jedoch gegensätzliche Auffassungen dazu, ob alle diese Formen veraltet und nicht mehr produktiv sind: Jobin (1998) und Lorentzon (2002) stellen beide besonders in Bezug auf personale Appellationsformen im Bereich des Sports eine gewisse Produktivität der –inna-Formen fest. Jobins Beobachtung stützt sich auf ein Korpus von Tageszeitungen, Lorentzon äußert dies aus eigener Intuition und mit Hinblick auf Sportberichterstattung im Fernsehen. Da diese Berichterstattung zu mündlichem Sprachgebrauch in einem öffentlichen Setting gehört, kann seine Auffassung einen Ausgangspunkt für eine systematische Überprüfung geben, nicht aber selbst als Beleg herangezogen werden. Viele der konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Apellationsformen werden heute produktiv als genderunspezifizierende Formen gebraucht.216 Dies geschieht in der Regel durch Ableitungen aus Verben und Adjektiven, häufig auch aus englischen Lehnwörtern, die eine wichtige Quelle für neue personale Appellationsformen im Schwedischen darstellen. Beispiele für eine suppletive Movierung durch konventionalisiert genderspezifizierende Suffixe sind lärarvärdarbet-
lärar-inna lärar-e värd-inna värd-Ø arbet-erska
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arbet-are
‚Lehrer/in‘ ‚Gastgeber/in‘ ‚Arbeiter/in‘
212 Doleschal (1992) spricht in diesem Zusammenhang von der nicht gleichberechtigten syntaktischen Verwendung. 213 Vgl. entsprechende Kommentare in Grammatiken; vgl. Himanen (1990). 214 Svenska Akademiens Ordlista, vgl. http://g3.spraakdata.gu.se/saol/ vom 12.3.2003. 215 Vgl. Lorentzon (2002: 11). 216 Vgl. Kapitel 3.3.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
arvtagmassinstruktservitprinsdiakonmakänktysk (den) rätt-
arvtag-erska arvtag-are ‚Erbe/Erbin‘ mass-ös mass-ör ‚Massör/in‘ instrukt-ris instrukt-ör ‚Instruktör/in‘ servit-ris servit-ör ‚Servierer/in‘ prins-essa prins-Ø ‚Prinz/essin‘ diakon-issa diakon-Ø ‚Diakon/isse‘ mak-a mak-e ‚Ehefrau/mann‘ änk-a änk-eman/änkling ‚Witwe/r‘ tyska tysk-Ø ‚Deutsche/r‘ oder auch (seltener und in bestimmten Kontexten) tysk-e (den) rätta (den) rätte ‚die/der Richtige‘
Die Suffixe –ös/ör, -issa und –essa und –ris sind heute nicht mehr produktiv, die entsprechenden Appellationsformen teilweise veraltet oder werden in einem historisierenden Sprachgebrauch verwendet.217 In Bak (1981) finden sich die folgenden Formen auf –ös verzeichnet: sminkös, retuschös, sufflös, dansös, X-dansös, massös, regissös, skvallerkåsös. Auf –ör sind sehr viel mehr Formen verzeichnet, u.a. chaufför, ambassadör, arrangör, ingenjör, kontrollör, reparatör. Die hier aufgeführten Formen sind zudem auch zweite Glieder weiterer personal appellierender Komposita. Auf –issa finden sich heute neben der Form diakonissa in Bak (1981) lediglich die Formen abbedissa, kaptrissa, profetissa und poetissa218, für die Form –ris die Appellationsformen ambassadris,(X-) ackompanjatris, (X-)operatris, laboratris, demonstatris, restauratris, recitatris, imitatris, visitatris, expeditris, (X-)servitris, (X-)aktris, redaktris, (X-)inspektris, (X-)direktris, konstruktris, (X-)instruktris, (X-)skulptris. Von diesen sind in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts nur noch die Formen aktris ‚Schauspielerin‘ und servitris ‚Serviererin‘ häufiger zu finden.219 Die jeweiligen Bildungen auf –is und –ör auf identische Wortstämme haben dabei nicht in allen Fällen identische konventionalisierte Verwendungen. So ist beispielsweise die Form direktris in der Internetausgabe von SAOB 2003 mit „kvinnlig direktör; särsk. om förestånderska för teatertrupp l. för större syateljé o. d.“220 umschrieben, wohingegen direktör charakterisiert ist als: „chef, föreståndare, styresman, ledare;“221
____________ 217 218 219 220
Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse; vgl. auch Bak (1981). Vgl. Holmberg (1995: 64). Er erwähnt lediglich die Formen diakonissa, abbedissa und poetissa. Vgl. Kapitel 6. http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. ‚Weiblicher Direktor, besonders als Vorsteherin einer Theatergruppe, eines gröƢeren Nähateliers o.ä.‘ 221 ‚Chef, Vorstand, Steuermann, Leiter‘.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
225
(http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003) gefolgt von einem ganzen weiteren Absatz an Ausdifferenzierungen. Während bei der Form direktör eine Genderspezifizierung im Gebrauch nicht erwähnt wird, ist sie bei der Form direktris zentral gesetzt. Über die Genderspezifizierung hinaus findet im konventionellen Gebrauch der Form auch eine Statusspezifizierung statt. Auch das Suffix –(er)ska ist nur noch in begrenztem Umfang produktiv. Es findet sich vor allem als Teil des Substantivs –sjuksköterska ‚Krankenschwester‘ und besitzt keine eigene Produktivität.222 Das Suffix –inna besitzt eine gewisse und eingeschränkte Produktivität, die besonders in bestimmten Registern und Genres anzutreffen ist, wie weiter unten noch genauer diskutiert wird. Die Form lärarinna ‚Lehrerin‘, die in der einschlägigen Literatur und in Grammatiken sehr häufig als Beispiel für diese Derivationsart angeführt wird, dient heute vor allem zur historisierenden genderspezifizierend weiblichen Benennung223, wenngleich es auch hiervon Ausnahmen gibt, wie in Kapitel 6 zu sehen sein wird. Die Suffixe –are und -e hingegen sind weiterhin produktive Mittel der Wortbildung personaler Appellation. Das Suffix –e ist das vielleicht produktivste für die Neubildung substantivischer personaler Appellationsformen, zu denen in der Regel kein genderspezifizierend weiblich appellierendes Pendant auf –a gebildet wird. Dies zeigt, dass die Suffigierungen, die auch zur Anzeige einer genderspezifizierend männlichen Appellation verwendet werden, auch diejenigen sind, die bei Neubildungen von Formen personaler Appellation weiterhin produktive Wortbildungsmuster sind. Ausgehend von einem Prototypenansatz wäre hier zu fragen, inwiefern diese Formen genderspezifizierend männliche Konzeptualisierungen als Protoypen des Allgemeinmenschlichen herstellen. Dies kann nur durch Perzeptionsanalysen untersucht werden.224 Einige der suffigierten Appellationsformen sind historisch gesehen nicht nur dazu verwendet worden, Personen genderspezifizierend als weiblich zu benennen, sondern zusätzlich, sie als Ehefrauen von Männern mit entsprechenden Berufen darzustellen. Stimmt man einer traditionellen Analyse suffigierter personal appellierender Substantive zu und sieht die genderspezifizierend weiblichen Formen als Ableitungen von den männlichen, so stimmt diese Darstellung damit überein, dass die entsprechenden Formen
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222 Vgl. weiter unten. 223 Vgl. Holmberg (1995), Lorentzon (2002). 224 Vgl. Hornscheidt (2006b).
226
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt von Ableitungen von den entsprechenden männlichen Formen und Appellationen ausdrückten.225 Die Formen genderspezifizierend weiblicher Appellation durch Suffigierungen sind im Schwedischen zeitgleich mit Beginn der neuen Frauenbewegung seit den späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in ihrem Gebrauch stark zurück gegangen und heute häufig nicht mehr zu finden. Die Annahme eines Einflusses einer veränderten öffentlichen Stellung von Frauen auf den Sprachgebrauch wird sogar innerhalb der Wortbildungslehre formuliert: „Kvinnans relativa jämställdhet med mannen inom yrkeslivet i förening med en friare umgängeston, där den formella tituleringen blir alltmer ovanlig, är de sociala orsakerna till att hustrubeteckningarna blivit föråldrade.“226 (Söderbergh 1968: 106f.)
In diesem Zitat wird implizit angesprochen, dass ein Großteil der genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen, die dies durch Suffigierungen lexikalisiert zum Ausdruck bringen, auf Tätigkeiten appellieren. Auf diese wird weiter unten noch genauer einzugehen sein. Zunächst sollen hier aber die Formen diskutiert werden, die auch heute noch durch unterschiedliche Suffigierungen eine Genderspezifizierung zum Ausdruck bringen. Dies ist vor allem in den folgenden beiden Wortpaaren der Fall: vänälskar-
vän-inna älskar-inna
vän-Ø älskar-e
‚Freund/in‘ ‚Geliebte/r‘
Alle vier Formen sind auch heute noch in aktivem Gebrauch und in einer genderspezifizierenden Verwendung hoch frequent.227 Entsprechend sind sie auch als einzelne Einträge in einsprachigen Wörterbüchern verzeichnet. Älskare ‚Geliebter‘ ist in NPLUS (1997) umschrieben mit „1 man som har könsumgänge med viss (kvinnlig) person tillfälligt el. regelmässigt; mest om man som inte är gift el. sammanboende med personen i fråga [...] äv. med tonvikt på förmågan att utöva könsumgänget [...] äv. om motsvarande
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225 In einer historischen Analyse könnte gefragt werden, inwiefern die heute genderspezifizierend weibliche Appellation herstellenden Suffigierungen innerhalb einer bestimmten sozialen Ordnung genderspezifische soziale Abhängigkeitsverhältnisse zum Ausdruck gebracht haben, die im Laufe der Zeit als genderspezifizierend wahrgenommen und naturalisiert worden. 226 ‚Die relative Gleichstellung der Frau mit dem Mann im Arbeitsleben zusammen mit einem freieren Umgangston, in der die formelle Anrede immer ungewöhnlicher wird, sind die sozialen Ursachen dafür, dass die Ehefrauenbezeichnungen heute veraltet sind.‘ 227 Vgl. Kapitel 6.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
227
typ av roll inom film, teater etc. [...] 2 ofta i sms. person som är mycket förtjust i ngt“.228 (NPLUS 1997: 1331)
Älskare hat demnach eine genderspezifizierend männliche konventionelle Verwendung in Bezug auf sexuellen Kontakt außerhalb einer institutionalisierten heterosexuellen Beziehung mit besonderer Betonung des sexuellen körperlichen Vermögens und wird darüber hinaus übertragen auf die Liebe zu verschiedenen Objekten verwendet. Älskarinna ‚Geliebte‘ demgegenüber wird charakterisiert als „kvinna som har könsumgänge med viss (mans)person vanl. regelmässigt; nästan enbart om kvinna som inte är gift el. sammanboende med personen i fråga“229. Die Nicht-Institutionalisierung der heterosexuellen Paarbeziehung spielt auch hier die entscheidende Rolle für die mit der Form verbundenen konventionellen Konzeptualisierung. Darüber hinaus aber wird der sexuelle Kontakt als regelmäßig charakterisiert und ein potentielles sexuelles Vermögen als Charakteristikum nicht angesprochen. Die Form väninna ‚Freundin‘ wird in NPLUS (1997) genderspezifizierend weiblich als „kvinnlig vän vanl. till kvinna“230 umschrieben, während in der Definition von vän ‚Freund‘ die Ebene der Genderspezifizierung fehlt: „1 person som (viss) annan person känner väl samt hyser tillgivenhet för och tillit till men som vederbörande vanl. inte är släkt med“.231 Hier handelt es sich in der konventionellen Verwendung der Appellationsformen um eine einseitige Genderspezifizierung. Alle vier Formen bezeichnen Personen in enger privater Relation zu anderen Personen, wie weiter oben auch bei der Gruppe der Verwandtschaftsbezeichnungen, und sind ausgehend von einer Kategorisierung personaler Appellationsformen nach dem Kriterium der privaten Relationsbeziehungen dieser Gruppe zu zurechnen. Entgegen den direkten Verwandtschaftsbezeichnungen ist das Kriterium der angenommenen biologischen Abstammung oder Familienrelation bei der Bestimmung von Per-
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228 ‚Mann, der zufällig oder regelmäƢig Geschlechtsumgang mit einer bestimmten (weiblichen) Person hat; meistens Mann, der nicht verheiratet ist oder mit der infragekommenden Person nicht zusammenwohnt [...] auch mit Betonung des Vermögen, sexuellen Umgang („Geschlechtsumgang“) zu pflegen. [...] auch entsprechender Rollentyp in Filmen, Theater usw. 2 oft in Komposita Person, die stark verliebt in etwas ist.‘ 229 NPLUS (1997: 1331). ‚Frau, die Geschlechtsumgang mit einer bestimmten (männlichen) Person hat, normalerweise regelmäƢig. Nahezu ausschlieƢlich verwendet für eine Frau, die nicht verheiratet ist oder mit der betreffenden Person nicht zusammenwohnt.‘ 230 NPLUS (1997: 1301). ‚Weiblicher Freund normalerweise einer Frau.‘ 231 NPLUS (1997: 1300). ‚Person, die eine gewisse andere Person gut kennt und der gegenüber sie Hingegebenheit und Zutrauen empfindet, aber die normalerweise nicht mit einer verwandt ist.‘
228
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
sonen als vän/inna oder älskarinna/älskare in konventionalisiertem Gebrauch ein Ausschlusskriterium, wie es in der oben zitierten Definition von vän explizit gemacht wird. Gleichzeitig zeigt sich aber in der bis heute konventionalisiert üblichen genderspezifizierenden Verwendung dieser Formen zur privaten und persönlichen Relationsbestimmung eine auch über die Verwandtschaftsbeziehungen im traditionellen biologistischen Sinne hinaus hohe Notwendigkeit und ein hohes Bedürfnis, Genderspezifizierung zum Ausdruck zu bringen. Während durch älskarinna/älskare eine Liebesbeziehung konzeptualisiert wird, dient die Form väninna/vän zur Konzeptualisierung einer Freundschaftsrelation, die gerade durch das Fehlen eines sexuellen Kontaktes gekennzeichnet ist. Die Formen älskarinna und älskare stehen zudem konventionell in Opposition zu den Formen änka/änkeman Witwe/r‘ auf der einen und sambo ‚Zusammenwohnende/r‘ auf der anderen Seite. In dieser Opposition geben sie einen unterschiedlichen Grad der Institutionalisierung einer sexuellen Beziehung, als jeweils abweichend von der Norm make/maka ‚Ehemann/-frau‘ bzw. man/kvinna in der Verwendung zur Appellation auf Ehepartner/innen, zum Ausdruck. Die grammatikalisierte Genderspezifizierung, die in Bezug auf die Form vän zudem nur optional und bezogen auf Weiblichkeit ist, steht einer lexikalisierten Genderspezifizierung in den Formen flick- und pojkvän ‚Mädchen-/Jungenfreund‘ gegenüber, durch die wiederum eine Liebesbeziehung aufgerufen wird. Demgegenüber sind die Formen tjej- und killkompis ‚Mädchen-/Typkumpel‘ eine lexikalisierte genderspezifizierende Freundschaftsbenennung. Die Genderspezifizierung wird lexikalisiert durch das erste Glied zum Ausdruck gebracht und damit die Relation der Freundschaft weiter ausdifferenziert. Interessant ist, dass das Wort vän alleine nicht in Bezug auf einer Partner/innen/schaft verwendet wird, während die genderspezifizierenden Formen flick- und pojkvän ausschließlich konventionalisiert auf Personen als ein ‚Teil‘ einer Liebesbeziehung appellieren. Dies kann so interpretiert werden, dass die unterschiedlichen Formen, nämlich die genderunspezifizierende Verwendung der Form vän zur Appellation auf Freundschaften einerseits und die genderspezifizierten Verwendungen der Formen flick- und pojkvän zur Appellation auf Partner/innen andererseits ein heteronormatives Lebensmuster lexikalisiert zum Ausdruck bringen: Sie implizieren, dass bei Freund/innen/schaften, die nicht die Intensität von Liebesbeziehungen haben, die Genderspezifizierung der jeweiligen Personen in der Konzeptualisierung nur eine nachgeordnete Rolle spielt, während Partner/innen/schaften mit Personen des anderen Genders geführt werden, was lexikalisiert durch eine Genderspe-
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
229
zifizierung der Formen zum Ausdruck gebracht wird. Diese Formen in ihrem konventionalisierten Gebrauch können als Beleg dafür gelten, dass genderspezifizierende und genderunspezifizierende Formen in ihrer Verteilung und in ihrer konventionalisierten Verwendung zugleich ein heteronormatives Deutungsmuster aufrufen und reproduzieren, welches die besondere Bedeutung von Sexualität für eine Genderspezifizierung in bestimmten Lebensbereichen unterstreicht und. Sexualität neben Verwandtschaftsverhältnissen zu einem Bereich macht, in der nicht nur ein heteronormatives Grundmuster kontinuierlich reproduziert wird, sondern auch in der Lexikalisierung von Gender eine Natürlichkeit der Annahme von Gender zum Ausdruck kommt. Dies legt die enge Verbindung von Gender und Sexualität sowie die Heteronormativität in der Wahrnehmung nahe, die hier lexikalisiert zum Ausdruck kommt. Diese Deutung weist bestimmte Parallelen zu der von Riber Pedersen (1975) zum Dänischen auf: Riber Pedersen interpretiert die genderspezifizierende Suffigierung der Form elskerinde ‚Geliebte‘ gegenüber der ‚genderunspezifizierenden‘ Form lærer ‚LehrerIn‘ damit, dass bei letzterer Gender keine Rolle spiele, bei ersterer in ihrer Funktionsbenennung der jeweiligen Person aber schon.232 Hier wird also die Zuschreibung einer Genderspezifizierung in der Appellation als essentieller Bestandteil ihrer Tätigkeitscharakterisierung konzeptualisiert. Dass es sich hier, in den Fällen der Appellation auf Personen in Liebesbeziehungen und Partner/innen/schaften um die ReProduktion eines heteronormativen Deutungsmusters und die Konstruktion der Relevanz von Gender für diese Konzeptualisierungen handelt, wird nicht hinterfragt, sondern durch diese Art der Darstellung sogar weiter verfestigt. Diese Deutung geht mit den Überlegungen einher, die im vorangegangenen Abschnitt zu den genderspezifizierenden Adjektivformen bög und lesbisk im Verhältnis zu kvinnlig und manlig angestellt worden sind. Auch aufgrund der Analyse genderspezifizierender, noch heute gebräuchlicher Suffigierungen, die als solche lexikalisiert sind, kann die These bekräftigt werden, dass im heutigen schwedischen Sprachgebrauch eine Lexikalisierung und Grammatikalisierung von Heteronormativität von zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten ist. Dies zeigt sich vor allem in den Appellationsformen auf persönliche und private zwischenmenschliche Beziehungen, deren Rollencharakterisierungen in ihrer Konzeptualisierung eine komplexe Verbindung von Gender und Sexualität zu
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232 Neben dem Wortpaar elsker/inde führt Riber Pedersen noch das Paar vært/inde ‚Gastgeber/in‘ an, bei dem Gender in der durch die Appellationsform zum Ausdruck gebrachten Funktion eine Rolle spiele.
230
3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Grunde legen. Auch an der nicht expliziten, lexikalisierten oder grammatikalisierten Benennung von heterosexuellen genderspezifizierenden Appellationsformen gegenüber homosexuellen genderspezifizierenden Appellationsformen kann die Relation von Normalität und Abweichung im Hinblick auf Sexaulitätsnormen abgelesen werden. Bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war es von besonderer Bedeutung, die Institutionalisierung heterosexueller Beziehungen in Form der Ehe und die damit einhergehende direkte Abhängigkeit verheirateter Frauen von ihren Männern deutlich zu machen. Durch entsprechende personale Appellationsformen – bzw. den Status des Verheiratetsein bzw. Nicht-Verheiratetseins und des ‚Mannlos-Seins‘ (durch Tod des Ehemanns) wurde dies zum Ausdruck gebracht. Seit den 70er Jahren – mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen und der Einführung neuer heterosexueller Lebenspartnerschaftsmodelle neben der Ehe – hat sich der Schwerpunkt der Konzeptualisierung auf die implizite ReProduktion eines normativen Modells der Heterosexualität verlagert, was sich unter anderem in entsprechenden (Re)Grammatikalisierungen von genderspezifizierenden Appellationen intendierenden Formen zeigt. Die unverbrüchliche Verbindung von Sexualität und Gender in der westlichen Kultur stellt sich damit in einer Grammatikalisierung und Lexikalisierung genderspezifizierender Appellation her. Wie analysiert wurde, konnte die grammatikalisierte Beibehaltung genderspezifizierender Appellation vor allem in Bereichen persönlicher Beziehungen gezeigt werden. Es wird die These aufgestellt, dass im Schwedischen die Konzeptualisierung von Heterosexualität als konstitutiver Teil der Konstruktion von Gender die Grundlage für die Fälle bildet, in denen eine Genderspezifizierung der Appellation grammatikalisiert oder lexikalisiert ist und bis heute im Sprachgebrauch zum Ausdruck gebracht wird. Weitere Formen dieser Gruppe, bei denen zwar die konventionell genderspezifizierend weibliche Appellation durch suffigierte Formen realisiert wird, die aber keine konventionell genderspezifizierend männlichen Appellationsformen in direkter Opposition besitzen, d.h. als Ableitungen aus demselben Stamm gebildet werden, sind flygvärdinna ‚Flug-Wirtin: Stewardess‘, kassörska ‚Kassiererin‘ und sömmerska ‚Näherin‘. Sie sind alle drei heute noch frequent und stammen aus dem Bereich der Tätigkeitscharakterisierung im öffentlichen Bereich. Die Form flygvärdinna ‚Stewardess‘ appelliert konventionalisiert genderspezifizierend weiblich, die konventionell zur genderspezifizierend männlichen Appellation verwendete Form ist steward, wenngleich die
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
231
Form flygvärd auch zunehmend zu finden ist. Die Verwendung von steward zur konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Appellation macht aus dem typischen Frauenberuf keine einfache Rollenübertragung auf Männer, sondern unterstreicht die notwendige andere Konezptualisierung der Tätigkeit, wird sie von einem Mann ausgeübt. Als Oberbegriff im Plural fungiert kabinpersonal. Es finden sich vereinzelt Bemühungen einer symmetrischen Benennungspraxis, die jeweils einer sprachbewussten, feministischen Perspektive entspringen, in denen die Form flygvärdinna der Form flygvärd gegenüber gestellt ist.233 In NEO (1995) sind die Formen flygvärd und flygvärdinna mit Ausnahme der genderspezifizierenden Attribuierung mit eigenen und parallel formulierten Einträgen belegt: „(manlig/kvinnlig) besattningsmedlem på flygplan, som svarar för personlig service och uppassning“.234 Unter steward findet sich in NPLUS (1997), wo flygvärd nicht belegt ist, der Eintrag „uppassare på fartyg eller trafikflygplan“235, womit in den unterschiedlichen Definitionen der Tätigkeit auch eine genderspezifizierende Differenz zum Ausdruck kommt: Während bei steward lediglich die Aufsichtsfunktion Erwähnung findet, ist bei flygvärdinna in NPLUS (1997) auch die Dienstleistungsfunktion expliziert. Värdinna ist ein produktives zweites Glied für eine Reihe von genderspezifizierend weiblichen Tätigkeitsbezeichnungen, so auch für beispielsweise turistvärdinna. Die Form värdinna für sich genommen transportiert eine Konzeptualisierung einer weiblichen, gastgebenden Person, die anderen zu Diensten steht. Sie ist in NPLUS (1997) mit einem eigenen Eintrag versehen: „1 kvinnlig värd [...] 2 ofta i sms. kvinnlig yrkesutövare med uppgift att stå till tjänst med upplysningar och service åt kunder eller resande“.236 Auch hier ist die Dienstleistungsfunktion der Tätigkeitsbenennung wiederum expliziert. In der Bedeutung als Gastgeberin ist der Gebrauch der Form värdinna von dem privaten auf den öffentlichen Bereich ausgehend übertragen worden und hat hier zu entsprechenden Tätigkeitsbezeichnungen in Komposita mit värdinna als zweitem Glied geführt. In ihr kommen stereotyp Frauen zugeschriebene Eigenschaften
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233 Vgl. Petersson (2003). 234 NEO (1995, Bd. 1: 419); ‚(männliches/weibliches) Besatzungsmitglied im Flugzeug, welches sich verantwortlich zeichnet für Service und Aufsicht.‘ Vgl. auch NPLUS (1997: 287) für einen identischen Eintrag zu flygvärdinna. Flygvärd besitzt hier keinen eigenen Eintrag. 235 NPLUS (1997: 1069). ‚Aufsicht in einem Fahrzeug oder eine Verkehrsflugzeug.‘ 236 NPLUS (1997: 1302). ‚1 Weibliche Gastgeberin. [...] 2 oft in Zusammensetzungen weibliche Berufsausüberin, zu Diensten zu stehen mit Aufsicht und Service für KundInnen und Reisende.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
zum Ausdruck, das Kümmern um andere und das anderen zur Verfügung stehen. Die unterschiedliche genderspezifizierende Benennungspraxis in Bezug auf die hier zum Ausdruck gebrachte Tätigkeit hilft zugleich, diese Konzeptualisierung des Kümmerns und Dienens auf männliche Berufsausübende zu vermeiden. Die Form sömmerska ‚Näherin/Schneiderin‘, von sömm- (die entsprechende genderspezifizierend männlich appellierende Form wäre *sömmare) steht der konventionell zur genderspezifizierend männlich intendierten Appellation verwendeten Form skräddare ‚Schneider‘ gegenüber, zu der es eine heute als veraltet geltende genderspezifizierend weiblich appellierende Form skrädderska ‚Schneiderin‘ gibt.237 Mit den genderspezifizierend unterschiedlichen Benennungen der gleichen Tätigkeit kommt zugleich auch ein Statusunterschied zum Ausdruck. In SAOB findet sich unter sömmare folgender Eintrag: „(mans)person som sömmar l. syr; särsk.: person som yrkesmässigt arbetar med sömnad; numera företrädesvis ss. senare led i ssgr.“238 In dieser Definition kommt das Bemühen einer Genderunspezifizierung der Verwendungsweise zum Ausdruck, wenn das genderspezifizierende Lexem man in Klammern gesetzt ist. Es finden sich im Schwedischen sowohl die Formen kassörska ‚Kassiererin‘ als auch kassör, beide abgeleitet von kass(ör)-, die jedoch nicht nur unterschiedlich genderspezifizierend appellieren, sondern ebenfalls eine unterschiedliche Tätigkeit mit einem unterschiedlichen Status zum Ausdruck bringen. Die Form kassör wird konventionell für eher höherstehende Kassiertätigkeit wie ‚Schatzmeister‘ verwendet. „kassör [...] person som har hand om kassan i företag, förening e.d. vanl. förtroendevald [...] Bet.nyans: som yrkesbeteckning, bl.a. i bankvärlden“.239 Im Gegensatz dazu bezeichnet kassörska eine weibliche Person mit einer statusmäßig niedrigeren Kassiertätigkeit in einem Lebensmittelladen oder Kaufhaus: „kassörska [...] kvinna som sköter kassa i butik, på bank etc. [...] Bet.nyans: kvinnlig kassör <mindre brukl.>“.240 Die Genderspezifizierung ist im Falle von kassörska mit einer Statusspezifizierung der Tätigkeit ge-
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237 Vgl. http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. 238 http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. ‚(männliche) Person, die schneidert. 1. nähen, besonders Person, die berufsmäƢig mit Schneidern arbeitet; heute vorzugsweise zweites Glied in Komposita.‘ 239 NEO (1996, Bd. 2: 123). ‚Kassierer [...] Person, die sich um die Kasse in Unternehmen, Vereinigungen o.ä. kümmert. Normalerweise vertrauensgewählt. Bedeutungsnuance: als Berufsbezeichnung, u.a. in der Bankwelt.‘ 240 NEO (1996, Bd. 2: 123). ‚Kassiererin [...] Frau, die sich um die Kasse kümmert in einem Laden, Bank usw. Bedeutungsnuance: weiblicheR KassiererIn (weniger gebräuchlich)‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
233
koppelt, wohingegen die Form kassör ihre direkte genderspezifizierende Konzeptualisierung verloren hat und auch genderunspezifizierend verwendet werden kann, was jedoch nichts über die protoypischen Vorstellungen, die mit der Tätigkeit verbunden sind, aussagt. Auf der anderen Seite behält kassörska auch lexikalisiert ihre starke genderspezifizierend weibliche Konzeptualisierung. Alle drei hier diskutierten Formen flygvärdinna, kassörska und sömmerska werden konventionell als Appellation auf Frauen in beruflichen Tätigkeiten verwendet, die zunächst ausschließlich von Frauen ausgeübt wurden. Bei einer beginnenden Ausübung dieser Tätigkeiten auch durch Männer wurde eine ähnliche Konzeptualisierung vermieden, indem neue Formen geschaffen wurden. Bei dem Beispiel kassör/ska war die vergleichbare Tätigkeit von Männern in diesem Bereich statushöher angesiedelt und wurde entsprechend unterschiedlich konzeptualisiert. Die statushöhere Tätigkeit kann auch als vordergründig genderunspezifizierend bei dem Gebrauch der entsprechenden Form verstanden werden, während die statusniedrigere Tätigkeit weiterhin genderspezifizierend weiblich lexikalisiert und auch konzeptualisiert ist. Eine Gruppe von Formen, die auf –ska enden, ist auch heute noch produktiv, und es finden sich in dieser Gruppe noch immer Neubildungen. Dies sind die personalen Appellationsformen, die die Form sköterska ‚Pflegerin‘ als Stamm nehmen, bzw. die mit dieser Form konventionell zum Ausdruck gebrachte Tätigkeit weiter ausdifferenzieren. Beispiele sind sjuksköterska ‚Krankenschwester‘, tandsköterska ’Zahnarzthelferin‘, barnsköterska ’Kinderschwester‘. Eine Besonderheit des Gebrauchs dieser Formen ist, dass sie zu einer genderunspezifizierenden Appellation verwendet werden, d.h. dass sie konkret zur Appellation auf Frauen und Männer angewendet werden können. Ihr Gebrauch in der konventionalisiert genderunspezifizierenden Appellation weicht damit von der allgemeineren, auch über das Schwedische hinausgehenden Beobachtung ab, dass die konventionell zur genderspezifizierend männlichen Appellation verwendeten suffigierten Formen auch diejenigen sind, die zu einer genderunspezifizierenden Appellation gebraucht werden. Die lexikalisierte Appellationsform für ‚Krankenschwester‘ in Bezug auf die durch diese konventionell realisierte Genderappellation scheint nicht nur im Schwedischen, sondern in verschiedenen Sprachen241 eine Sonderstellung einzunehmen. Entweder übernimmt die vordem konventionalisiert genderspezifizierend weiblich
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241 Vgl. Hellinger und Bußmann (2002).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
appellierende Form generische oder sogar epicene Bedeutung (wie im Schwedischen), oder aber es gibt relativ junge Neubildungen mit sowohl genderspezifizierend männlicher als auch generischer/epicener Bedeutung, die die genderspezifizierend weibliche Form in ihrer generischen Bedeutung ersetzen. Häufig wird aus der neugebildeten Form auch wieder eine genderspezifizierend weibliche appellierende Form abgeleitet (beispielsweise im Deutschen Krankenpfleger – Krankenpflegerin statt: Krankenschwester). Insofern bildet die schwedische Verwendung eine Ausnahme, in der die Form sjuksköterska auch konkret als Appellation auf einen Mann angewendet werden kann und nicht durch eine konventionell genderunspezifizierende Form, die in der Regel aus der genderspezfizierend männlichen Appellation abgeleitet oder mit dieser identisch ist, ersetzt worden ist. Die generische und epicene Bedeutung von sjuksköterska ist allerdings auf den Sprachgebrauch in Schweden beschränkt, im Finnlandschwedischen ist sjukskötare die generische und genderspezifizierend männliche Form, sjuksköterska die genderspezifizierend weibliche Appellationsform. Sjukskötare bezeichnet im schwedischen Sprachraum eine ausbildungsmäßig niedriger gestellte Tätigkeit gegenüber sjuksköterska – ungefähr dem Deutschen KrankenpflegehelferIn entsprechend, wodurch die Form bereits besetzt und in Gebrauch war und nicht zur genderspezifizierend männlichen Appellation für eine identische Tätigkeitsbenennung angewendet werden konnte. Dass hier die konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Form die statusmäßig höhere Tätigkeit gegenüber der konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Appellationsform bezeichnet, ist eine besonders zu erwähnende Ausnahme. Der konventionelle Gebrauch der verschiedenen Formen ist regional unterschiedlich. Ausgehend von einem Prototypenansatz kann auch hier gefragt werden, ob die Beibehaltung der konventionalisiert genderspezifizierend weiblichen Appellationsform nicht auch über Konzeptualisierungen des entsprechenden Tätigkeitsbereichs erklärt werden kann, der Tätigkeiten, die protoypisch Frauen zugeschrieben werden, zum Ausdruck bringt. Da die Konzeptualisierung über pflegerische und dienende Eigenschaften so stark weiblich bezogen ist, könnte es sein, dass sich dadurch die genderspezifizierend weiblich appellierende Form als generische hat durchsetzen können.242
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242 Andersherum könnte zum Beispiel gefragt werden, warum heute davon ausgegangen wird, dass es sich ‚eigentlich‘ um die genderspezifizierend weiblich appellierende Form handelt, die generisch gebraucht wird. Kann bei den Sprachbenutzenden ein so hohes sprachgeschichtliches Verständnis vorausgesetzt werden oder kommt nicht jedes Mal bei der Benutzung der Form die genderspezifizierende Konzeptualisierung zur Geltung, die in diesen
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
235
Auch die Form barnmorska ‚Hebamme‘ kann im Gebrauch neben der genderspezifizierend weiblichen Appellation eine entsprechende genderunspezifizierende appellierende Bedeutung im Schwedischen haben243. Die Form an sich besitzt konventionalisiert eine doppelte Genderspezifizierung, da auch das Glied mor ‚Mutter‘ bereits eine angenommene und so hergestellte natürliche Genderspezifizierung zum Ausdruck bringt, die in der älteren Form barnamoder ‚Kind(er)mutter‘ die ausschließliche war. Durch Anhängen des Suffixes –ska unter Einfluss des Mittelniederdeutschen244 ist kenntlich gemacht, dass es sich hier jedoch nicht um ein so hergestelltes natürliches Mutter-Kind-Verhältnis handelt. Das Suffix –ska zeigt in dieser Interpretation an, dass eine genderspezifizierend weiblich konzeptualisierte, ‚natürliche‘ Rolle – Mutterschaft – auf einen Bereich jenseits dieser als natürlich hergestellten Relation als berufliche Tätigkeit übertragen wird, was durch die Suffigierung mit –ska angezeigt ist. Die Tätigkeit selber wird dabei gleichzeitig in eine Nähe zur ‚natürlichen‘ Aufgabe einer Frau gebracht, Mutterschaft, was durch die lexikalisierte Genderspezifizierung mit mor angezeigt ist. Sehr viel mehr als genderspezifizierend zeigt das Suffix –ska in dem vorliegenden Fall einen Bereich einer Tätigkeit an, der außerhalb des so in seiner Natürlichkeit bestätigten Tätigkeitsbereichs einer Frau liegt, der Familie.245 Diese Analyse geht mit der zuvor herausgearbeiteten impliziten Normsetzung von einer institutionalisierten Form heterosexueller Zweierbeziehung sowie von Familie konform, was sich in entsprechenden Nicht-Benennungen oder in Bezug auf Gender in Lexikalisierungen der Genderspezifizierung im verwandtschaftlichen Bereich zeigt. Bei einer Öffnung dieses Berufs für Männer ist der Gebrauch der Form umstritten gewesen, da Männer sich nicht so bezeichnen lassen
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Argumentationen ihren Ausdruck findet. Diese These ist genauso natürlich auf die Annahme der generischen Appellationsleistung von Formen anwendbar, die homonym sind mit einer genderspezifizierend männlichen Appellation: Ist nicht auch hier durch die starke Wahrnehmung von Männlichkeit als protoypisch menschlich die Annahme der Generizität der entsprechenden Formen überhaupt nur möglich, in der eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung nicht als eine genderspezifizierende erkannt wird? 243 Im Norwegischen ist die entsprechende Form jordmor (‚Erd-Mutter‘), die im Schwedischen auch gebräuchlich war, heute jedoch veraltet ist. 244 Hier wird eine Ableitung von der Form Bademodersche angenommen. Vgl. http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. 245 Die Übernahme des Suffixes –ska aus dem Mittelniederdeutschen –ske ist dabei unbenommen und widerspricht dieser These nicht. Hier wird stattdessen danach gefragt, warum sie sich in bestimmten Appellationsformen erhalten bzw. andere personale Appellationsformen ersetzt hat und auch heute noch gebräuchlich ist, während sie in anderen nicht mehr gebräuchlich ist.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
wollten. Ausschlaggebend für den sich hier formierenden Widerstand, der in Bezug auf die Form barnmorska sehr viel stärker gewesen ist als bei sjuksköterska kann die eben dargestellte Herstellung einer Rolle als natürlich weiblich sein, die bei sjuksköterska nicht in vergleichbarer Form lexikalisiert worden ist. Sowohl bei sjuksköterska als auch bei barnmorska handelt es sich um traditionell von Frauen ausgeübte Berufe, die auf konventionell als stereotyp weiblich zugeschriebenen Charaktereigenschaften fußen. Diese stereotype Zuordnung hinsichtlich der mit den Berufen verbundenen Tätigkeiten, ist auch trotz einer immer größeren Zahl von Männern in diesen Berufsfeldern erhalten geblieben: das gesellschaftliche Ideal von Frauen, die für Kranke pflegerisch und sorgend sowie für die Geburt von Kindern zuständig sind, hat sich weitestgehend erhalten und wird durch die bei der Verwendung der Formen hervorgerufenen Konzeptualisierungen auch weiter tradiert. Diese These lässt sich durch einen Vergleich mit einer weiteren suffigierten Form bestätigen, in der sich die konventionell genderspezifizierend weiblich appellierende Form als genderunspezifizierende Appellationsform nicht hat durchsetzen können, sondern stattdessen eine suffigierte genderspezifizierend männlich appellierende Form gebildet wurde, die heute als die konventionell genderunspezifizierend appellierende Form gilt. mejer-
mejer-ska mejer-ist
‚Meierei-Arbeiter/in‘
In SAOB wird mejerska mit „fackligt utbildad kvinna som förestår el. arbetar i ett mejeri“246 umschrieben, wohingegen mejerist umschrieben ist mit „fackligt utbildad person som förestår el. arbetar i ett mejeri; äv., ss. senare led i ssgr, om undervisare o. rådgivare i mejerihantering“247. Hier kommt zugleich ein Statusunterschied zum Ausdruck, der sich implizit auch in NEO (1996) zu mejerist wiederfindet, wenngleich hier ein Eintrag mejerska fehlt.248 Wie Sommestad (1992) dargestellt hat, war das Melken im 19. Jahrhundert eine typisch weibliche Tätigkeit. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat sich dies jedoch u.a. durch Prozesse der Technologisierung des Berufs249, der Professionalisierung des Käse- und Butterher-
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246 http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. ‚Fachlich ausgebildete Frau, die vorsteht oder arbeitet in einer Meierei.‘ 247 Ebd. ‚Fachlich ausgebildet Person, die vorsteht oder arbeitet in einer Meierei. Auch, als zweites Glied in Komposita als LehrerIn oder RatgeberIn im Meierei-Handwerk.‘ 248 Vgl. NEO (1996, Bd. 2: 369): „person som är anställd vid mejeri särsk. om arbetsledare el. föreståndare“. ‚Person, die in einer Meierei angestellt ist, bes. Arbeitsleitung oder Vorstand.‘ 249 Melkmaschinen wurden erfunden und entwickelten sich zu gängigem Bestandteil der Melkpraxis.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
237
stellens und der Einführung einer entsprechenden Ausbildung zu einem prestige- und statushöheren Beruf entwickelt, der immer stärker von Männern wahrgenommen wurde. Im Gegensatz zu den oben genannten Pflegeberufen kommen im Beruf des/der Melker/in keine stereotyp weiblich zugeschriebenen Eigenschaften zum Tragen, so dass hier auch ein Wechsel der genderunspezifizierend appellierenden Form von der genderspezifizierend weiblichen zur genderspezifizierend männlich appellierenden Form eine logische Konsequenz ist. „Kraften i denna enkla genuslogik som ligger under här gör att man skulle kunna formulera en nästan lagliknande sats för arbetsbyte: där män går över till kvinnoområden och gör kvinnosaker, måste dessa områden och saker förändras, men där en kvinna går in på manliga områden och gör karlasaker, måste hon förändras.“250 (Hirdman 2001: 67)
Dies würde darauf hin deuten, dass eine Konzeptualisierung über eine protoypische Annahme von Technologisierung bestimmter Tätigkeiten zu einer genderspezifizierend männlichen Konzeptualisierung einer Tätigkeit und der entsprechenden Appellationsform beitragen kann, die lexikalisiert oder grammatikalisiert zum Ausdruck gebracht wird.251 Weitere konventionalisiert genderspezifizierende Formen, die auch heute noch genderspezifizierend durch Mittel der Grammatikalisierung gebildet und verwendet werden, sind skådespelsångbaletdansförfattarskald-
skådespel-erska sång-erska balettdans-ös författar-inna skald-inna
skådespel-are sång-are balettdans-are/-ör författar-e skald-Ø
‚Schauspieler/in‘ ‚Sänger/in‘ ‚Balletttänzer/in‘ ‚Verfasser/in‘ ‚Skalde/Skaldin‘
Es handelt sich hier um Begriffe aus dem künstlerischen Bereich, die auch in den einschlägigen, fachwissenschaftlichen Diskussionen einen breiteren Raum einnehmen und hier nacheinander diskutiert werden. Dansös ‚Tänzerin‘ ohne den ersten Bestandteil balett- findet sich nur selten, stattdessen wird hier die Form dansare genderunspezifizierend verwendet. In SO
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250 ‚Die Kraft in dieser einfachen Genderlogik, die hier zu Grunde liegt, macht es, dass man einen nahezu gesetztesgleichen Satz für Arbeitstausch formulieren kann: wenn Männer übergehen zu Frauenbereichen und –tätigkeiten müssen diese Bereiche und Tätigkeiten verändert werden, aber wenn eine Frau in ein männliches Gebiet übergeht und Männerarbeit verrichtet, muss sie verändert werden.‘ 251 Dies soll nicht heißen, dass nicht auch Pflegeberufe eine intensive Technologisierung durchlaufen haben, sondern dass diese weiterhin über das Konzept Pflege und nicht Technologisierung wahrgenommen werden.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
(1986), NSO (1990), NEO (1995) und NPLUS (1997) finden sich jedoch jeweils eigene Einträge für dansös wie auch für dansör und dansare, wobei von der konventionellen Bedeutungszuschreibung her dansare und dansös ein genderspezifizierendes Oppositionspaar bilden, in denen Tanzen als potentielle berufliche Tätigkeit fokussiert ist, wohingegen bei dansör der Aspekt einer Freizeitbeschäftigung eher im Mittelpunkt der konventionalisierten Konzeptualisierung zu stehen scheint. Alle mit konventionalisiert genderspezifizierend männlicher Appellation verwendeten Formen werden konventionalisiert auch in genderunspezifizierender Verwendung benutzt. Sowohl bei Himanen (1990) als auch Holmberg (1995) wird bis heute als mögliche Erklärung für die aus historischer Perspektive Beibehaltung der Genderspezifizierung bei diesen Tätigkeitsbezeichnungen angenommen, dass diese Tätigkeiten/Berufe auf einer Genderspezifizierung beruhen. Aus konstruktivistischer Perspektive wird dies so interpretiert, dass die entsprechenden Tätigkeiten konventionalisiert stark genderspezifizierend konzeptualisiert sind. Alle hier genannten Appellationsformen sind aus dem künstlerischen Bereich. Die künstlerischen Bühnentätigkeiten bzw. Berufe basieren auf einer genderspezifizierenden Rolleneinnahme und. haben genderspezifizierende Rollennormen, die in ihrer Genderspezifizierung stark konventionalisiert zu sein scheinen, was in ihrer Lexikalisierung zum Ausdruck kommt. Gerade die Gegenüberstellung von baletdansös/baletdansare mit dansare/dansös ist bezogen auf Wortbildungsmuster aufschlussreich, da außerhalb des Balletts in der personenbezogenen Benennung der Tätigkeit des (modernen) Tanzes Genderrollen generell eher in der Auflösung zu sein scheinen. Interessant ist hier, dass dasselbe Substantiv, einmal freistehend und einmal als zweiter Teil eines Kompositums, also in der benannten Tätigkeit weiter ausdifferenziert, unterschiedliche Wortbildungsmuster in Bezug auf ein Explizitmachen einer Genderspezifizierung realisiert, wie vor allem im sechsten Kapitel zu sehen sein wird. Hinsichtlich der Behandlung in einsprachigen Wörterbüchern ist eine nicht mehr vorhandene Gebräuchlichkeit der Form dansös nicht ersichtlich, wie alleine schon aus der hohen Anzahl der Einträge in unterschiedlichen Wörterbüchern deutlich wird. Sowohl bei den Berufen skådespelare/skådespelerska und författarinna/författare handelt es sich um künstlerische Tätigkeiten, die heute auf den ersten Blick weniger direkt mit dem angenommenen ‚Ausgangsgender‘ der tätigen Person verbunden zu sein scheinen. Dymling (1923) schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu: „Det alstrande, det produktiva, synes emellertid i regeln tillhöra männen, det reproduktiva, det närande kvinnorna. Endast på skådespelarkonstens och
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
239
romanförfattandet område, där det gäller att leva sig in i främmande personer, hava kvinnor lagt i dagen en verkligen överlägsen begåvning.“252 (Dymling 1923: 123)
Beide Berufe bzw. Tätigkeiten sind gemäß dieser Auffassung mit Schaffensmythen verbunden, was einen Bereich darstellt, der Männern historisch in der westlichen Gesellschaft vorbehalten ist. Die Notwendigkeit einer explizit genderspezifizierend weiblichen Appellationspraxis könnte darin begründet liegen. Gleichzeitig könnte in der genderspezifizierenden, lexikalisierten Appellation auf Personen in der Tätigkeit des Schauspielens, der aktiven Schaffung einer personalen Rolle auf der Bühne, das Konzeptualisierungsbedürfnis nach einer klaren Zuordnung eines ‚Ursprungsgenders‘ zum Ausdruck kommen bzw. durch ebendieses befriedigt und reproduziert werden. Die genderspezifizierende Appellation auf die berufliche Tätigkeit des Singens kann im Zusammenhang mit der Konzeptualisierung von Stimme als Ausdruck der Persönlichkeit stehen, die in einer biologistischen Gendervorstellung mit der Natürlichkeit einer Genderspezifizierung, die über die Stimme hörbar und damit manifest wird, konform geht. Die genderspezifizierende Appellationspraxis auf die berufliche Tätigkeit des Singens wäre durch die stark konventionalisierte Konzeptualisierung der Stimme als genderspezifizierender Ausdruck erklär- und motivierbar. Wie deutlich wird, wird durch die hier vorgenommenen Interpretationen die von sowohl Himanen (1990) als auch Holmberg (1995) angeführte, weiter oben zitierte Erklärung der lexikalisierten Genderspezifizierung in diesem Bereich als eine ReProduktion einer Natürlichkeitsauffassung von Gender dekonstruiert. Wie aufgezeigt verstärkt sich durch entsprechende linguistische Erklärungsmodelle von beispielswiese Himanen (1990) und Holmberg (1995) die ReProduktion einer Natürlichkeitsauffassung von Gender. Holmberg (1995) nennt darüber hinaus den Bereich des Sports als denjenigen, in dem er auch für das Tageszeitungskorpus von Dagens Nyheter 1987 eine Reihe produktiver Bildungen mit –(er)ska festgestellt hat, ohne diese jedoch systematisch zu untersuchen. Er nennt in diesem Zusammenhang die Formen maratonlöperska ‚Marathonläuferin‘ und mångkamperska ‚Mehrkämpferin‘.253 Jobin (1998) hingegen stellt auf Grund ihrer
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252 ‚Das Hervorbringende, Produktive scheint in der Regel dem Mann zu gehören, das Reproduktive und Nährende der Frau. Nur in der Schauspielkunst und im Romanverfassen, wo es darum geht sich in fremde Personen hineinzuversetzen, zeigen Frauen heute eine wirklich überragende Begabung.‘ 253 Holmberg (1995: 65).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
eigenen empirischen Untersuchungen in Frage, dass es im Bereich der Sportberichterstattung verstärkt zur Bildung von genderspezifizierenden Appellationsformen durch Suffigierung kommt. Die Frage ist bis heute in ihrer Relevanz umstritten, wenngleich sich mehrere fachwissenschaftliche Meinungen zitieren lassen, die eher mit Holmbergs (1995) als mit Jobins (1998) Auffassung übereinstimmen.254 Wie bereits erwähnt, findet eine grammatikalisierte Genderspezifizierung in dem Bereich des Sports in den hier untersuchten Wörterbüchern keine adäquate Berücksichtigung.255 Auf der Grundlage von Datenmaterial jenseits der Wörterbücher zeigt sich, dass nicht prinzipiell von einer Aufgabe suffigierter Formen zur Genderspezifizierung bei personal appellierenden Substantiven im heutigen Schwedisch gesprochen werden kann, sondern diese Tendenz ausdifferenzierter betrachtet werden muss. Während angenommen werden kann, dass personal appellierende Tätigkeitsbezeichnungen zu einem großen Teil heute genderunspezifizierend verstanden und verwendet werden, was sich auch in einer Aufstellung von Formen in Oppositionspaaren zeigt, welches für immer weniger Formen realisiert werden kann, gibt es gesellschaftliche Bereiche und damit verbundene Tätigkeiten, für die eine konventionalisierte Genderspezifizierung auch weiterhin lexikalisiert durch unterschiedliche Suffigierungen realisiert wird. Gebräuchliche Wortbildungsmuster werden auch weiterhin zum Ausdruck einer Genderspezifizierung eingesetzt, so dass dieses Wortbildungsmuster zumindest weiter ‚lebendig‘ ist. Zu fragen bleibt hier, ob es Fälle gibt, wo dieses in den letzten Jahrzehnten produktiv zu personal appellierenden Neubildungen führt.256 Die hier diskutierten Beispiele zeigen, wie stark Sprachgebrauch zum einen auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert und wie wenig die Zu- oder Abnahme von bestimmten Wortbildungsmustern zur Genderspezifizierung von personalen Appellationsformen im Sprachgebrauch als lediglich innersprachlich motiviert erklärt werden kann. Die zuvor vorgestellten Beispiele für suffigierte genderspezifizierende Appellationsformen zeigen, dass sie durchgängig so dargestellt und analysiert werden können, dass die verschiedenen, suffigierten genderspezifizierenden Substantive jeweils einen gemeinsamen Stamm haben, der durch zwei verschiedene genderspezifizierende Suffixe ergänzt wird. Wie bereits erwähnt, wird in der bisherigen Forschungsliteratur jedoch in der Regel
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254 Vgl. Himanen (1990), Siivonen (1994). 255 Für den Aspekt des Vorkommens entsprechender Formen im medialen Diskurs, vgl. Kapitel 6. 256 Dieser Frage wird in Kapitel 6 nachgegangen.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
241
von genderspezifizierend weiblich suffigierten Formen, die von den genderspezifizierend männlich appellierenden Grundformen abgeleitet werden, ausgegangen. Diese Sichtweise wird als ideologisch interpretiert und in der vorliegenden Arbeit verworfen und durch das oben dargestellte Modell der Appellation ersetzt. Die Analyse zeigt zudem auch, das heute nur in sehr wenigen Fällen von einer konkreten genderspezifizierend männlichen Appellation ausgegangen werden kann, ohne dass diese konventionalisiert mit der genderunspezifizierenden zusammenfällt. Dies deutet im Rahmen einer Prototypenanalyse auf eine Bestätigung der These der Konzeptualisierung von Männlichkeit als Prototyp der Menschlichkeit hin. Es finden sich nur zwei Fälle, die in der Literatur so dargestellt werden, dass die genderspezifizierend männlich appellierende Form durch Derivation von der genderspezifizierend weiblichen Form abgeleitet sei: brud änka
brudgum änkling/änkeman
‚Braut/Bräutigam‘ ‚Witwe/Witwer‘
Beide sind aber ebenfalls nach dem Muster eines gemeinsamen Stammes mit zwei verschiedenen genderspezifizierenden Suffixen darstellbar. Auch dann bleibt auffällig, dass für die genderspezifizierend weibliche Form brud ein Nullsuffix anzusetzen wäre, was mit dieser einen Ausnahme nur als Markierung genderspezifizierend männlicher Appellation im Schwedischen vorkommt. Ein Nullmorphem als Suffix könnte im Rahmen der hier vorgenommenen Analyse so interpretiert werden, dass durch dieses jeweils grammatikalisiert die prototypische Vorstellung von Menschlichkeit in Bezug auf Gender zum Ausdruck kommt. Mit Ausnahme der Form brud wäre dies also, wie bereits erwähnt, die Vorstellung von Männlichkeit als protoypisch menschlich, die sich in dieser Analyse bestätigten würde. Warum also, kann hier gefragt werden, ist dies in Bezug auf brud-brudgum andersherum der Fall? In beiden oben genannten Fällen handelt es sich um Appellationsformen, die wiederum den persönlichen, heterosexuell definierten Beziehungsbereich betreffen. Wie Hausherr-Mälzer (1991) dargestellt hat, lässt sich das Phänomen der Vorgängigkeit der konventionell genderspezifizierend weiblich appellierenden Form und der potentiellen Ableitung der konventionell genderspezifizierend männlich appellierenden Form kulturhistorisch erklären, da die Frage des Verheiratetseins, Ehemannlossein (ob nun durch eine nicht stattgefundene Heirat oder durch Tod des Ehegatten) für die Frau eine existentielle Frage gewesen ist, nicht aber für den Mann.257 Die Beibehaltung der konventionell gen-
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257 Vgl. Hausherr- Mälzer (1991).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
derspezifizierend appellierenden Formen in diesem Bereich zeigt wie schon bei zahlreichen zuvor genannten Beispielen die implizit mit der konventionell genderspezifizierenden Appellation verbundene Konzeptualisierung von institutionalisierter Heteronormativität. In SAOB wird brud umschrieben mit „benämning på kvinna vid det tillfälle då hon ingår äktenskap; kvinna på sin bröllopsdag“, brudgum mit „manlig person vid det tillfälle då han ingår äktenskap; manlig person på sin bröllopsdag“.258 D.h. die beiden Begriffsexplikation sind parallel gestaltet – und lassen damit die unterschiedliche Begriffsverwendung auƢer acht. In NEO (1995) ist hingegen die erweiterte pejorisierende Verwendung der Form brud unter Bedeutungsnuancen, wenn auch nur sehr vage, erwähnt: „allmännare ung kvinna “.259 Auch Svahn (1999) weist daraufhin, dass die Form brud im Jugendslang eine weite Verbreitung hat. Svahn (1999) führt sie unter den genderspezifizierend pejorisierenden Appellationsformen in der Rubrik „allgemeine Frauenbenennungen“ auf. Die oppositionelle Form brudgum ist weder im Jugendslang verbreitet noch hat sie pejorisierende Anwendungsfelder. Die durch die Form brud zum Ausdruck gebrachte Konzeptualisierung einer Bestimmung einer Frau über ihre zukünftige heterosexuelle institutionalisierte Abhängigkeit von einem Mann macht in ihrer zur allgemeinen Benennung auf Frauen erweiterten und zusätzlich pejorisierenden Verwendung jede Frau zu einem potentiellen Objekt männlicher heterosexueller Begierde, wenn brud heute zu einer genderspezifizierend weiblichen Appellation geworden ist.260 Die Form änka ist im heutigen Schwedisch produktives zweites Glied von personal appellierenden Komposita wie dataänka ‚Computerwitwe‘ und hockeyänka ‚Hockeywitwe‘261, mit denen ebenfalls ein heterosexuelles Grundmuster von Paarrelationen aufgerufen und weiter verfestigt wird und darüber hinaus bestimmte Tätigkeiten als gendertypisch männlich in ihrer Konzeptualisierung präsupponiert werden, in diesem Fall Computerarbeit und bestimmte Sportarten, denen so gleichzeitig derselbe Status im Leben der jeweiligen Männer wie die heterosexuelle institutionalisierte Paarrelation zu einer Frau gegeben wird. In NPLUS (1997) wird änka mit
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258 http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ vom 12.3.2003. ‚Benennung einer Frau zu dem Zeitpunkt, wo sie in eine Ehe eingeht. Frau an ihrem Hochzeitstag.‘ ‚Männliche Person zu dem Zeitpunkt, wo sie in eine Ehe eingeht. Mann an seinem Hochzeitstag.‘ 259 NEO (1995, Bd. 1: 207). ‚Allgemeiner junger Frau. Ugssprachl. manchmal etwas herabsetzend.‘ 260 Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine detailliertere Analyse. 261 Vgl. NYO (2000).
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
243
„tidigare gift kvinna vars make avlidit och som inte ingått nytt äktenskap i sms. äv. om kvinna vars make är bortrest el. helt uppslukad av viss verksamhet <skämts.>: fotbollänka; gränsänka“262 umschrieben. Dazu findet sich ein paralleler Eintrag zu änkling, so dass hier eine Symmetrie der Verwendungen auch in ihrer Übertragung suggeriert wird.263 Die Konzeptualisierung von Frauen in heterosexuellen Paarrelationen in einem direkten Abhängigkeitverhältnis von Männern wird auf andere Lebensbereiche übertragen und die Frage der ‚Witwenschaft‘ auf Bereiche jenseits des Todes eines institutionalisierten männlichen Lebenspartners ausgeweitet. In der Übertragung des Konzepts änka auf andere Lebensbereiche wird ein vorhandenes und unter ökonomischen Gesichtspunkten veraltetes Konstellationsmuster zwischenmenschlicher Beziehungen aufgegriffen und das Konzept der direkten Abhängigkeit der Frau von dem Mann in einer heterosexuellen Paarrelation weiter verfestigt und auf andere Bereiche jenseits der ökonomischen Abhängigkeit übertragen. Frauen sind in dieser Konzeptualisierung weiterhin die Abhängigen und ‚Opfer‘ männlicher Lebensentscheidungen und werden über diese definiert. Die entsprechende Konzeptualisierung von Frauen in heterosexuellen Paarbeziehungen bleibt also auch zu einem Zeitpunkt erhalten, in dem die ökonomische Abhängigkeit, die in der früheren Verwendung der Form zum Ausdruck kam, keine Rolle mehr spielt. Dies zeigt, dass die Abhängigkeit auf andere Bereiche in der Konzeptualisierung verlagert worden ist, die Annahme derselben aber nicht grundlegend in Frage gestellt wird. Vergleichbare Bildungen auf änkeman oder änkling finden sich weder in Wörterbüchern noch in Tageszeitungskorpora des Schwedischen, was diese These auch bestätigt. Das Derivationssuffix –a deriviert bei der Appellation auf Menschen über ihre Zugehörigkeit zu bestimmten nationalen oder kulturellen Gruppen genderspezifizierend weibliche substantivische personale Formen von Adjektiven. Das Muster zur Bildung der genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen ist hier jeweils identisch, während die genderspezifizierend männliche Appellationsform verschieden gebildet sein kann und
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262 NPLUS (1997: 1333). ‚Früher verheiratete Frau, deren Ehemann verstorben ist und die keine neue Ehe eingegangen ist. In Komposita auch Frau, deren Ehemann weggefahren ist oder deren Ehemann ganz gefangen ist von einer bestimmten Tätigkeit; spasshaft FuƢballwitwe, Grenzwitwe.‘ 263 Im Tageszeitungskorpus von språkbanken bis 1998 findet sich für änkling als zweites Glied hingegen kein Beleg, wohingegen elf unterschiedliche Bildungen mit änka als zweitem Glied belegt sind.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
teilweise in die oben aufgeführten Schemata der Suffixe für konventionell genderspezifizierend männlich intendierte Appellation an einem substantivischen Stamm gehört: Hon är argentinska/danska/ugandiska/åländska/engelska. ‚Sie ist Argentinierin/Dänin/Ugandierin/Åländerin/Engländerin.‘ Han är argentinare/dansk/ugandier/ålänning/engelsmann. ‚Er ist Argentinier/Däne/Ugandier/Åländer/Engländer.‘
Ein weiterer Bereich, in dem eine entsprechende Genderspezifizierung durch Suffigierungen möglich ist, ist in der Appellation auf Personen auf der Grundlage ihres Wohn- oder Herkunftsortes wie beispielsweise stockholmska ‚Stockholmerin‘ und stockholmare ‚Stockholmer‘. Das bedeutet, dass diese personale Appellationspraxis nicht nur auf Konzepte von Nationalität beschränkt ist.264 Die genderspezifizierend männlich appellierende Form wird mit allen ihren verschiedenen Wortbildungsmustern innerhalb dieser Wortgruppe im Sprachgebrauch auch mit konventionell genderunspezifizierender Appellation verwendet. Es gibt darüber hinaus im Schwedischen die Möglichkeit, substantivierte Adjektive und Partizipien zu bilden, die personal appellierend und gleichzeitig durch ihre Suffigierung genderspezifizierend sind. Das Suffix –a zeigt konventionalisiert weiblich, das Suffix –e konventionalisiert männlich genderspezifizierende Appellation an. Beispiele für diese Bildungsart sind:265 den gamla den övergivna den rätta
den gamle den övergivne den rätte
‚die/der Alte‘ ‚die/der Verlassene‘ ‚die/der Richtige‘
Pronomina Eine Formdifferenzierung einer Art der Demonstrativpronomina durch Suffigierung mit –a bzw. –e ist in der Wortgruppe der Pronomina der einzige, entsprechende Beleg. Es kann differenziert werden zwischen folgendem Gebrauch der demonstrativen Form in attributiver Position:
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264 Dieses Muster könnte auch zu den weiter oben dargestellten Formen mit –ska und –are als genderspezifizierend oppositionelle Suffixe gerechnet werden. 265 Von den Suffixen her gesehen wären hier auch die Formen änka – änke, maka – make zuordbar.
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
denna kvinna
denne man
245
‚diese Frau/dieser Mann‘
Diese Differenzierung ist jedoch konventionalisiert nicht durchgängig als genderspezifizierende zu finden, denna kann in bestimmten Kontexten auch bei einer genderspezifizierend männlichen Appellation durch die entsprechende Nominalphrase verwendet werden. Die genderspezifizierende Differenzierung erfolgt in dieser Form nur, wenn das nachfolgende Substantiv eindeutig genderspezifizierend benutzt und in der Regel genderspezifizierend lexikalisiert ist und nicht, wenn die Genderspezifizierung der Appellation sich nicht lexikalisiert durch die bis hierher aufgeführten Möglichkeiten der Genderspezifizierung beim Substantiv innerhalb der selben Nominalphrase realisiert. Es handelt sich um eine Form der Genderkongruenz in ein- und derselben Nominalphrase. Bei nicht lexikalisiert und konventionalisiert genderspezifizierenden substantivischen Appellationsformen wird jeweils die auf –a endende Form benutzt. Bland dessa jurister är domaren i tingsrätten som dömde Rahman. Denna domare har bland annat i radions Studio I framfört att han [...]266
Im obigen Beispiel wird mit dem Demonstrativpronomen innerhalb der Nominalphrase die Betonung der Wichtigkeit der Appellation durch diese Phrase realisiert und keine Genderkongruenz.267 Ist das personal appellierende Substantiv der Phrase nicht lexikalisiert und konventionell genderspezifizierend, so wird die stärker betonte Form des Demonstrativpronomens verwendet, die in diesem Fall identisch mit der konventionell genderspezifizierend weiblich appellierenden Form ist. Da das Demonstrativpronomen in der Regel nicht freistehend vorkommt, realisiert es somit keine eigene Genderspezifizierung, sondern nimmt diese lediglich wieder auf. Durch das Suffix –a wird in diesen Fällen damit eine besondere Betonung der so hergestellten Appellation konzeptualisiert, wodurch eine konzeptuelle Affinität zwischen der genderspezifizierend weiblichen Appellation und einer Betonung der durch die Nominalphrase realisierten Appellation besteht. Der allgemeinmenschliche, prototypische Normalfall der konventionalisiert männlichen Appellation bedarf dieser grammatikalisierten Betonung nicht und wird durch die Form denne realisiert. Der Zusammenfall einer genderspezifizierend weiblichen Appellation und der
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266 http://www.dn.se vom 12. 3. 2003. ‚Unter diesen JuristInnen ist die/der RichterIn des Gerichtshofs, der/die Rahman verurteilte. DieseR [fem. Form] RichterIn hat u.a. im Radio in Studio 1 darauf hingewiesen, dass er... ‘ 267 Im Gegensatz dazu wird in SAG (1999, Bd. 2 §63) darauf hingewiesen, dass die Form denne bei genderspezifizierend männlicher Appellation wie in generischer Funktion verwendet würde.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
‚normalen‘ Verwendung des Demonstrativpronomens ist damit konzeptuell erklärbar. In dieser Funktion und Verwendungsweise kann es auch mit attributiv verwendeten Adjektiven wie beispielsweise in den Nominalphrasen denna gamla kvinna ‚diese alte Frau‘ und denne gamle man ‚dieser alte Mann‘268, die im nachfolgenden Abschnitt behandelt werden, kongruent sein. Dass sich schon Teleman (1965) mit entsprechenden Fällen beschäftigt hat, zeigt, seit wann eine solche Verwendung in der schwedischen Fachöffentlichkeit diskutiert wird – bzw. auf Irritationen stößt, zu der der oben vorgeschlagene Ansatz eine kognitiv-linguistische Erklärung bieten kann. Wird das Pronomen hingegen freistehend zur Appellation auf einzelne Personen oder Genderspezifizierung benutzt, wird die genderspezifizierend männliche Form verwendet, was die Regel der Gleichsetzung von Männlichkeit als prototypischer Fall von Menschlichkeit auch hier bestätigt. För att en projketledare skall kunna anställa en doktorand inom ett projekt, måste denne kunna uppvisa specialkunskaper på området.269
Adjektive In der Adjektivflexion ist ebenfalls eine konventionell genderspezifizierende Appellation zum Ausdruck bringende Suffigierung zu finden, in der zwischen genderspezifizierend weiblicher Appellation durch das Suffix –a und genderspezifizierend männlicher Appellation durch das Suffix –e unterschieden wird. Bei der Endung –e handelt es sich um die aus dem AltSchwedischen kommende Form für maskulin Singular, die heute in dieser Form nur noch für die genderspezifizierend männliche Appellation erhalten ist. Die genderspezifizierende Differenzierung findet sich nicht nur in Adjektiven in attributiver Stellung, sondern auch in substantivierten adjektivischen Verwendungen. Während im Altschwedischen die Endung –e Kennzeichen der schwachen maskulinen Adjektivflexion im Nominativ Singular gewesen ist, ist sie im modernen Schwedisch nur noch bei Nominalphrasen, die sich auf genderspezifizierend männliche Personen beziehen in Benutzung:
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268 Teleman (1965: 225). 269 Das Beispiel ist SAG (1999, Bd. 2: 309) entnommen. ‚Damit einE ProjektleiterIn eineN DoktorandIn in einem Projekt anstellen kann, muss dieseR [mask. Form] Spezialwissen in diesem Gebiet aufweisen können.‘
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
du är den ända min gamla mor
du är den ende min gamle far
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‚du bist die/der Einzige‘ ‚meine alte Mutter/mein alter Vater‘
„Grundregeln för sakprosa och formellt talspråk är att personer av manligt kön får adjektiv på e: den framgångsrike affärsmannen, den nittonårige höjdhopparen, den amerikanske presidenten Bill Clinton, Röde baron. Kvinnor har alltid a-form, även när de uppträder i sammanhang som tidigare varit förbehållna män: den förra pakistanska premiärministern Benazir Bhutto, den isländska presidenten Vigdís Finnbogadóttir, vår nya direktör Annika Eriksson.“270 (Grünbaum 1997: 119)
Grünbaum (1997) sieht Ausnahmen, wenn es sich um feste Wendungen und Tätigkeitsbenennungen handelt, die in den von ihr angeführten Fällen mit einer Statusdifferenzierung einher gehen: förste bibliotekarie ‚ersteR BibliothekarIn‘, andre styrman ‚zweiteR Steuermann/frau‘. „Det heter alltså förste amanuens Eva Eklund.“271 Genderspezifizierend grammatikalisiert oder lexikalisiert weibliche Appellationsformen272 sind auch bei Statusdifferenzierungen immer mit auf -a endenden Adjektiven zu kombinieren wie auch alle personalen Appellationsformen, die neutrum als Genus haben: den första kokerska ‚die erste Köchin‘, förra borgarrådet Hjalmar Mehr ‚der frühere Bürgermeister Halmar Mehr‘, det nyvalda skyddsombudet Lars Bengtsson ‚der neugewählte Schutzombud Lars Bengtsson‘.273 Die Benutzung ist sogar auf den Plural ausgeweitet worden, bei dem es ansonsten keine konventionell genderspezifizierenden Grammatikalisierungen gibt: „Ädle herrar och svenske män!“274 ‚Edle Herren und schwedische Männer!‘
Norde (2002) führt diese Formen als ein Beispiel für einen Regrammatikalisierungsprozess bzw. als exaptation an, in dem alte Verwendungen – in diesem Fall die durch die Formen hergestellten Genuskongruenzen – obsolet geworden sind, das linguistische Material aber weiterhin vorhanden war und neue Funktionen – in diesem Fall eine Genderkongruenz –
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270 ‚Die Grundregel für Sachprosatexte und formelle gesprochene Sprache ist es, dass Personen männlichen Geschlecht Adjektive auf –e bekommen: der erfolgreiche Geschäftsmann, der 19jährige Hochspringer, der amerikanische Präsident Bill Clinton, Roter Baron. Frauen haben immer eine a-Form, auch wenn sie in Zusammenhängen auftreten, die zuvor Männern vorbehalten waren: die frühere pakistanische Ministerpräsidentin Benazir Bhutto, die isländische Präsidentin Vigdís Finnbogadóttir, unsere neue Direktorin Anna Eriksson.‘ 271 Grünbaum (1997: 120). ‚Es heiƢt also erste [mask. Form] Assistentin Eva Eklund.‘ 272 Vgl. Grünbaum (1997). Dort werden diese als grammatische Feminin-Formen bezeichnet. 273 Grünbaum (1997: 120). 274 Norde (2002: 52). Entgegen ihrer Diskussion wird diese Verwendung im Plural jedoch nur in direkten Ansprachen gefunden.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
übernommen hat. Lass (1997: 316) definiert exaptation als „[...] a kind of conceptual renovation, as it were, of material that is already there, but either serving some other purpose, or serving no purpose at all.“ Dahl (2000b) hingegen betont, dass diese Form der adjektivischen Flexion jedoch nicht mit der Genderspezifizierung bei den Personalpronomina der dritten Person Singular verglichen werden darf. „The –a:-e distinction in weak endings has a somewhat marginal status and correspondingly gets somewhat marginal attention in grammars. Traditionally, -e is seen as a masculine ending. It is fairly clear, however, that the rules that govern the use of –e and the other exponent of masculine gender, the pronoun han ‘he‘, are not identical. The ending –e is in general more restricted in its use than han; it is for instance hardly ever used with nouns denoting animals. In our approach, it is best seen as a separate elementary gender distinction […] working in parallel with the uter:neuter distinction in the adjectival system.“ (Dahl 2000b: 587)
Vergleichbar mit den zuvor diskutierten Demonstrativpronomina ist auch hier auffällig, dass eine Genderspezifizierung durch diese Formen in attributiver Stellung von der konventionell eindeutigen genderspezifizierenden Appellationsleistung der substantivischen Formen abhängt. Die Genderspezifizierung wird durch diese Formen also nicht unabhängig vom direkten sprachlichen Kontext realisiert. Die in der vorliegenden Untersuchung vorgeschlagene Erklärung schließt sich dem Ansatz der ReGrammatikalisierung von Norde (2002) an und ergänzt diesen um die weiter oben vorgeschlagene These, dass es sich um einen Zusammenfall des Konzepts Betonung, welches sowohl auf durch bestimmte Artikelformen und Demonstrativpronomina sowie in Folge dazu attributive Verwendungen von Adjektiven in personal appellierenden Nominalphrasen zum Ausdruck gebracht wird, und des Konzepts Genderspezifizierung handelt, sofern dieses weiblich ist und so der mehrmals erwähnten These der Gleichsetzung von Gender und Weiblichkeit entspricht. Da bei der Verwendung von Demonstrativa und bestimmten Artikeln in Nominalphrasen durch diese das Konzept der Betonung aufgerufen wird, wird erklärbar, warum in diesen Fällen dieselbe Grammatikalisierungsstrategie benutzt werden kann wie bei einer lexikalisierten weiblichen Genderspezifizierung und der Fall der konventionalisiert lexikalisierten männlichen Genderspezifizierung des Substantivs die Ausnahme bildet, die zur adjektivischen Suffigierung mit –e führt.275
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275 Es wird in dem Unterschied der hier vorgeschlagenen Erklärung gegenüber der von Dahl (2000b) deutlich, dass ein unterschiedlicher Ausgangspunkt in der Argumentation – Dahl (2000b) geht von Genus aus, hier wird von Genderspezifizierung ausgegangen – auch zu unterschiedlichen Möglichkeiten der Erklärung ein- und desselben Phänomens führt, an
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
249
Wie aus den zuvor gemachten Ausführungen deutlich geworden ist, wird genderspezifizierend intendierte konventionelle Appellation im heutigen Schwedisch nicht durch Genusmarkierungen zum Ausdruck gebracht. Die Herstellung einer Genderspezifizierung und die Herstellung einer Genuskongruenz sind im heutigen Schwedisch zwei sich einander ausschließende Phänomene. Dieser Analyse liegt die Annahme zu Grunde, dass die Personalpronomina und Possessivpronomina der dritten Person Singular genderspezifizierend, aber entgegen den Personal- und Possessivpronomina der dritten Person Singular neutrum und utrum, nicht genusmarkiert sind. Werden diese konventionalisiert genderspezifizierende Appellation realisierenden Pronomina als genusmarkiert angesehen (feminin und maskulin), so würden sie in die Gruppe der genusabhängigen genderspezifizierenden Appellationsformen gehören. Dieses Modell wird aus den oben ausgeführten Gründen jedoch verworfen, so dass die Gruppe der genusabhängigen genderspezifizierenden Appellationsformen und strategien für das Schwedische in dieser Darstellungsform leer bleibt. Die bisherigen Modelle zur Darstellung von Genus werden in Bezug auf personale Appellation276 durch die vorliegende Analyse entsprechend modifiziert. Wie deutlich wird, ist am ehesten dem Modell von Dahl (2000b) zu folgen, was in der vorliegenden Analyse um einen entscheidenden Punkt verändert wird. Die Relevanz, personale Appellation zunächst getrennt zu behandeln, wie sie von Unterbeck et al. (2000) formuliert worden ist, wird durch die vorliegende Analyse bestätigt. Zusammenfassend kann für die konventionell genderspezifizierende Appellation im heutigen Schwedisch folgendes festgehalten werden:277 x Die hier vorgenommene Trennung zwischen Genderspezifizierung durch Lexikalisierung und durch Grammatikalisierung in Form von Suffigierung zeigt, dass die Lexikalisierung für eine Genderspezifizierung zu einer stärkeren Konventionalisierung der Annahme der Natürlichkeit und sprachlichen Vorgängigkeit von Gender führt. Dies zeigt sich in den Bereichen, in denen die Lexikalisierung durchgeführt worden ist und in der Beständigkeit, mit der sie dort auch weiterhin zu finden ist. Zum anderen ist dies auch der Bereich, der in Bezug auf
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deren jeweiliger Plausibilität auch die Sinnhaftigkeit des jeweiligen Modells überprüft werden kann. 276 Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine ausführliche Diskussion. 277 Es muss hier betont werden, dass dies nur eine unvollständige, auf einige Aspekte abzielende Zusammenfassung sein kann, die die differenzierteren Analysen und Interpretationen dieses Kapitels nicht ersetzen kann.
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
genderspezifizierende Wortbildungen produktiv ist sowohl in Bezug auf neue personale Appellationsformen als auch auf daraus abgeleitete Bereiche der Benennung von Objekten, Tätigkeiten, Eigenschaften und Institutionen, in denen Gender als vorgängige, natürliche Kategorie gleichzeitig reproduziert wird. Lexikalisierung von Genderspezifizierung deutet auf eine starke Konventionalisierung von Genderkonzeptualisierungen als eindeutig und natürlich hin, was sich auch mit Blick auf die Mittel der Grammatikalisierung zur Genderspezifizierung, die sich in einem Übergang zur Lexikalisierung befindet oder lexikalisiert ist, bestätigt. Es gibt gesellschaftlich definierte Bereiche, in denen das sprachliche Benennen einer Genderspezifizierung menschlicher Appellation eine zentrale Rolle spielt. Dies ist vor allem der Bereich der persönlichen und privaten Kontakte: alle als familiär und verwandtschaftlich konstruierten Beziehungen sind lexikalisiert genderspezifizierend, im Schwedischen sogar bis in die zweite Generation bzw. bis in das zweite Glied zurück sowohl mit Bezug auf die appellierte Person wie auch mit Bezug auf die Vorfahren genderspezifizierend. Alle familiären Beziehungen können bei konkreten Appellationen konventionell genderspezifizierend realisiert werden. Die personalen Appellationsformen, die primär der Bezugnahme auf Menschen in einer Familienstruktur dienen, sind so zentral für die Konzeptualisierung von Personen und Relationen, dass sie in zahlreiche Bereiche übertragen worden sind. Gender ist hier ein so zentraler Faktor, dass er lexikalisiert in diesen enthalten ist und die Verwendung der entsprechenden Formen in bestimmten Kontexten eine Strategie der Genderspezifizierung darstellt. Dies könnte so gedeutet werden, dass zum einen Familienstrukturen ein grundlegendes Konzeptualisierungsmuster zwischenmenschlicher Relationen bilden und zum anderen diese Familienstrukturen als grundlegend gegendert konzeptualisiert werden. Dies hat zur Folge, dass auf die Bereiche, die nicht mehr grundlegend gegendert konzeptualisiert sind wie beispielsweise Tätigkeitsfelder, die genderspezifizierenden Verwandtschaftsappellationsformen übertragen werden, um so eine Genderspezifizierung zum Ausdruck zu bringen. Persönliche und private Beziehungen, die über Sexualität definiert sind, aber nicht familiär institutionalisiert sind, werden ebenfalls konventionell genderspezifizierend zum Ausdruck gebracht, in diesem Fall durch Suffigierung und Kompositabildung. Während in der Realisierung der Appellation familiärer Beziehungen nur diese zum Ausdruck kommen, sind die Appellationsformen persönlicher und priva-
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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ter Beziehungen jenseits familiärer Bindungen zugleich auch Ausdruck der Intensität oder Art und Weise des Kontaktes. Konventionelle Genderspezifizierung ist auch in diesen Fällen wichtig, da sich die mit diesen Formen zum Ausdruck gebrachten potentiell sexuellen Beziehungen auch über eine Genderopposition definieren. Die Formen dienen der Aufrechterhaltung und Reproduktion einer heteronormativen Grundkonzeptualisierung einer Genderspezifizierung. Eine häufigere konventionell weibliche Genderspezifizierung in vielen Bereichen personaler Appellation ist ein Anzeichen für die Konzeptualisierung von Männlichkeit als allgemeinmenschlicher Prototyp, der so in vielen Fällen der lexikalisierten oder grammatikalisierten Genderspezifizierung entgeht, sondern als Konzeptualisierung immer schon mitaufgerufen wird, wenn nicht die Ausnahme - Weiblichkeit lexikalisiert oder grammatikalisiert zum Ausdruck gebracht wird. Ein gesellschaftlicher Bereich, in dem eine sprachliche Genderspezifizierung bis heute eine herausragende Rolle spielt, ist der Sport. Sport ist zu einem großen Teil der Ausübung und vor allem in der medialen Wahrnehmung noch immer gendersegregiert, sowohl was Training, Schulsport als auch Wettkampfsport betrifft. Die genderspezifizierende personale Appellation im Bereich des Sports entspricht somit der starken gesellschaftlichen Gendersegregation in diesem Bereich. Genderspezifizierende personale Appellationen im Sport sind bezogen auf die Neubildung von entsprechenden Formen zugleich auch ein Bereich relativ hoher Produktivität. In der immer frequenter werdenden Verwendung der Form tjej als allgemein appellierende weibliche Form kommt eine genderspezifizierend weiblich bezogene Veränderung von Altersnormen und weiblichen Normalitätsvorstellungen zum Ausdruck. Es sieht so aus, als würde eine als Normalfall hergestellte obere Mittelschichtzugehörigkeit, die mit der Form dam zum Ausdruck kam, durch den Normalfall einer angenommenen oder angestrebten Jugendlichkeit bei genderspezifizierend weiblicher Konzeptualisierung ersetzt. Genderunspezifizierender Gebrauch von genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen konnte für die Fälle festgestellt werden, in denen das Konzept der Betonung grammatikalisiert worden ist, wie bei den Demonstrativpronomina denna und denne und der attributiven Verwendung von Adjektiven in bestimmten Nominalphrasen, sowie in den Fällen, in denen prototypisch einer hegemonialen Weiblichkeitsvorstellung zugeschriebene Charakteristika und Tätigkeiten aufgerufen werden, beispielsweise im Bereich der Dienstleistung und
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Pflege, wie bei den Formen sjuksköterska, (dagis)fröken und barnmorska. Konventionalisiert pejorisierende Appellationsformen, die genderspezifizierend appellieren, rufen zu diesem Zweck genderspezifizierend unterschiedliche Konzeptualisierungen auf, durch die jeweils auch genderspezifizierend unterschiedliche Norm- und Wertvorstellungen geschaffen werden. Im Bereich der Pejorisierung durch Sexualität wird eine heteronormative Vorstellung reproduziert, die jedoch genderspezfizierend unterschiedliche Konzepte aufruft. Die hochfrequenten Personalpronominaformen der dritten Person Singular zur Appellation auf Menschen sind lexikalisiert genderspezifizierend. Sie appellieren lexikalisiert auf die Diskursrolle sowie auf Gender. Als potentiell wiederaufnehmende Formen machen sie die Genderspezifizierung zu einem zentralen Wahrnehmungsmerkmal in der Appellation auf eine Person. Konventionalisierte Genderspezifizierung in der Herstellung einer verbalen Appellation wird durch verschiedene Formen von Lexikalisierung und Grammatikalisierung realisiert, in keinem Fall jedoch durch Genusmarkierungen oder die Herstellung einer Genuskongruenz. Genderspezifizierung und Genuskongruenz müssen als zwei getrennte Phänomene für das heutige Schwedisch betrachtet werden. Es gibt Fälle, die oben dargestellt wurden, in denen eine sprachhistorisch gesehen ehemals produktive Genusmarkierung, die heute, nach Wegfall der Genera feminin und maskulin im Schwedischen, ihre ‚Aufgabe’ verloren hat, für eine Genderspezifizierung und – markierung verwendet wird. Da es sich hier aber um Formendifferenzierungen handelt, die sprachhistorisch gesehen genusmotiviert sind, aus heutiger synchroner Sicht jedoch nicht mehr zur Genusmarkierung dienen, handelt es sich nicht um einen Zusammenfall von sprachlicher Genusmarkierung und Genderspezifizierung. Stattdessen kann postuliert werden, dass diese Formen heute so zu sagen ‚regrammatikalisiert‘ zur Gendermarkierung und –spezifizierung verwendet werden, damit also eine neue ‚Aufgabe‘ übernehmen. Es ist in dem hier vertretenen Ansatz essentiell, diese nicht unter eine neue Aufgabe von Genus zu subsumieren, sondern als Übernahme formaler, vormals Genusmarkierungen zu anderen Zwecken einzuordnen. Wie sich bereits an vielen Beispielen gezeigt hat, ist keine klare Grenzziehung zwischen der konventionell genderspezifizierend männlichen Appellation und einer konventionell genderunspezifizierenden Appellation möglich. Stattdessen ist auf der Grundlage eines Prototypenan-
3.2 Konventionalisiert genderspezifizierende personale Appellation
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satzes hier die These entwickelt worden, dass eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung in den meisten Bereichen jenseits verwandtschaftlicher und konventionell über Sexualität definierter Relationen die protoypische Vorstellung für Menschlichkeit ist und so zu der Annahme der genderunspezifizierenden Appellation führen kann, verbleibt man in einem traditionellen Referenzmodell. Dies wird im nachfolgenden Kapitel weiter untersucht.
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation im heutigen Schwedisch Die Frage der konventionalisiert genderunspezifizierenden personalen Appellation impliziert in dem hier vertretenen Modell die Möglichkeit einer genderunspezifizierenden Wahrnehmung von Menschen, wie im zweiten Kapitel ausgeführt worden ist. Es handelt sich um ein theoretisches Konstrukt, welches analytisch auf die Ebene beschränkt sein soll, zu fragen, welche Formen konventionalisiert lexikalisiert und grammatikalisiert keine Genderspezifizierung zum Ausdruck bringen. Die Grenzziehung ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich, wie bereits mehrmals angesprochen worden ist. Substantive Die meisten substantivischen personalen Appellationsformen gehören in die Gruppe. Eine große Gruppe sind Berufsbezeichnungen, bei denen Menschen über ihre bezahlte Erwerbstätigkeit appelliert werden. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung von Berufsfeldern und Ausbildungen ist diese Gruppe der personalen Appellationsformen ständig wachsend. Beispiele für Berufsbezeichnungen sind lärare ‚LehrerIn‘, läkare ‚Arzt/Ärztin‘, professor ‚ProfessorIn‘, pilot ‚PilotIn‘, städhjälp ‚Putzhilfe‘, affärsbiträde ‚VerkäuferIn‘, taxichaufför ‚TaxifahrerIn‘, målare ‚MalerIn‘, bilmekaniker ‚AutomechanikerIn‘, arbetare ‚ArbeiterIn‘, psykolog ‚PsychologIn‘, logoped ‚LogopädIn‘. Die Liste wäre unendlich fortsetzbar. Viele der personalen Appellationsformen dieser Gruppe (z.B. lärare, arbetare) finden sich auch im ersten Unterkapitel dieses Teils, in dem sie als konventionalisiert genderspezifizierend männliche Appellationsformen aufgeführt sind. Die
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
folgenden Ausführungen schließen insofern an die zuvor diskutierten Punkte an und diskutieren diese noch mal vor dem Hintergrund der Genderunspezifizierung. Das gleichzeitige Vorkommen der entsprechenden Formen als genderunspezifizierende wie als genderspezifizierende deutet darauf hin, dass es sich momentan um eine Phase eines sich vollziehenden Sprachwandels handelt, in der beide Gebrauchsweisen nebeneinander stehen oder miteinander konkurrieren. Eine Konventionalisierung der genderunspezifizierenden Appellation zeichnet sich für die meisten personalen Appellationsformen ab, was vor dem weiter oben entwickelten theoretischen Hintergrund als eine gesellschaftliche Akzeptanz einer Konzeptualisierung von Männlichkeit als allgemein menschlicher Prototyp interpretiert wird. Eine Veränderung von einer konventionell genderspezifizierenden Appellation zu einer genderunspezifizierenden Appellation für viele Felder der personalen Appellation hat sich im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogen. Vor dieser Zeit waren die Genderrollen so klar und eindeutig auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche und Tätigkeiten verteilt, dass eine Genderspezifizierung in personaler Appellation automatisch als natürlich und gegeben mit aufgerufen wurde. Erst durch eine stärkere Partizipation von Frauen an verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen jenseits von Haushalt und Familie steht damit auch die Frage der Genderspezifizierung in personaler Appellation zur Debatte.278 Gleichzeitig stehen Genderrollen grundlegend zur Diskussion. Die Wandlung von konventionalisierten Genderrollenvorstellungen ist nicht als gleichbedeutend mit ihrer Auflösung anzusehen. Vielmehr drückt sich die politisch angestrebte Gleichstellung von Frauen und Männern auch in dem Bestreben einer begrifflichen Gleichstellung aus.279 Wie in Kapitel 6 noch näher ausgeführt wird, ist in Schweden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Genderideologie vertreten und sukzessive durchgesetzt worden, in der Gleichstellung die Angleichung weiblicher Lebensbedingungen an eine männlich definierte Norm bedeuteten. Aus einer solchen kulturhistorischen Perspektive erscheint die Übernahme der genderspezifizierend männlichen als genderunspezifizierende Appellationsformen logisch und folgerichtig. Eine symmetrische genderspezifizierende Benennung würde die Genderdifferenz manifestieren, die es aus Sicht der staatlich vertrete-
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278 Es zeigt sich, dass die Genderspezifizierung des familiären Bereichs und die damit verbundene Konzeptualisierung unterschiedlicher Genderrollen bis heute unverbrüchlich ist. 279 Wiederum soll hier darauf hingewiesen werden, dass aus dieser angestrebten Gleichstellung auch begrifflich bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel Verwandtschaftsbeziehungen und sexuelle Relationen, ausgelassen sind, wie die obige Analyse zeigen konnte.
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
255
nen Gleichheitsideologie für viele gesellschaftliche Bereiche aber gerade aufzugeben gilt. Auf diese Weise ist die Beibehaltung genderspezifizierender Appellation in bestimmten Lebensbereichen ebenso gut erklärbar wie auch die Übernahme der wenigen genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen zur genderunspezifizierenden Appellation. Hier handelt es sich um Appellationsformen, die stereotyp Frauen zugeschriebene Eigenschaften repräsentieren: das Kümmern und die Pflege um Kranke, Hilfsbedürftige und Neugeborene. Die beiden Formen, die heute im Schwedischen in genderunspezifizierender Appellation benutzt werden, sind entsprechend alle Bildungen mit –sköterska sowie das Substantiv barnmorska. Entsprechend sind auch die Wörterbucheinträge zu diesen Formen heute genderunspezifizierend formuliert.280 Daneben finden sich auch solche Formen, die keine direkte Genderkennzeichnung erkennen lassen, aber stereotyp geprägt genderspezifizierend interpretiert werden, wenn es sich nicht um konkrete Benennungen spezifischer Personen handelt. Ein Beispiel dafür ist die Form städhjälp ’Putzhilfe’, die zudem in doppelter Hinsicht euphemistisch wirken kann, da in ihr zugleich auch die Appellation auf eine Person unsichtbar ist: „Om man kallar de städhjälp så behöver man inte tänka på att det faktiskt är en människa som utför arbetet, en människa som arbetar utan försäkringar och socialt skydd.“281 Es finden sich in der Gruppe der genderunspezifizierenden Appellationsformen darüber hinaus auch Substantive, die die Beziehung einer Person zu einer anderen Person bezeichnen. Beispiele für Bezeichnungen über die Beziehung zu einer anderen Person sind sambo ‚ZusammenwohnendeR‘, närbo ‚NahewohnendeR‘, särbo ‚AuseinanderwohnendeR‘, förälder ‚Elternteil‘, syskon ‚Geschwister‘, kompis ‚Kumpel‘, kollega ‚Keollegin/Kollege‘,
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280 In SO (1986: 71) steht unter dem Eintrag barnmorska: „kvinna som är utbildad att biträda vid förlossningar ofta skuksköterska“. ‚Frau die ausgebildet ist bei einer Geburt zu helfen häufig Krankenschwester.‘ Unter sjuksköterska ist ein genderunspezifizierender Eintrag zu finden: „person med relativt avancerad (huvudsakligen praktiskt inriktad) medicinsk utbildning, som arbetar inom sjukvården“ ‚Person mit einer relativ avancierten (hauptsächlich praktisch orientierten) medizinischen Ausbildung, die in der Krankenpflege arbeitet.‘ (SO 1986: 1077). In NSO (1990) heißt es unter barnmorska bereits: „person som är utbildad att biträda vid förlossningar“ ‚Person die dazu ausgebildet ist bei Geburten zu helfen.‘ (NSO 1990: 59). 281 http://www.dn.se/Dnet/jsp/polopoly.jsp?d=1058&a=33924 vom 5.3.2003. ‚Wenn man sie Reinigungskraft nennt, so muss man eben nicht darüber nachdenken, dass es ein Mensch ist, der diese Arbeit verrichtet, ein Mensch, der ohne Versicherung und sozialen Schutz arbeitet.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
kund ‚Kundin/Kunde‘, elev ‚SchülerIn‘, patient ‚PatientIn‘, student ‚StudentIn‘, granne ‚NachbarIn‘, chef ‚ChefIn‘. Die Formen förälder ‚Elternteil‘ und syskon ‚Geschwister‘ benennen Personen in biologisch angenommenen Verwandtschaftsverhältnissen, so dass sich hier für diese Relation ersten Grades horizontal und vertikal jeweils eine genderunspezifizierende Form findet. Die Form förälder im Singular ist seltener als die Pluralform föräldrar, wodurch in der durch die Form zum Ausdruck kommenden Paarrelation zugleich auch wiederum die konventionalisierte Vorstellung von zwei Personen mit zwei unterschiedlichen Genderspezifizierungen aufgerufen wird. In dem Sinne ist die genderunspezifizierende Pluralverwendung der Form eine Notwendigkeit, um die in der Konzeptualisierung der Form angenommene Zweigeschlechtlichkeit zu realisieren. Die Gruppe der –bo-Substantive (‚wohn-Substantive‘) soll hier ins Verhältnis gesetzt werden zu den im ersten Unterkapitel dargestellten genderspezifizierend appellierenden Formen, die ebenfalls auf Personen in Liebesbeziehungen appellieren. Die Gruppe der –bo-Substantive differenziert Liebesbeziehungen nach dem Kriterium der Wohnform weiter aus und hat in der sprachpflegerischen Literatur einige Aufmerksamkeit bekommen:282 Die Form sambo kann heute als lexikalisiert gelten. In NPLUS (1997) wird der Eintrag sambo mit: „person med vilken man lever under äktenskapsliknande förhållanden utan att vara gift“283 umschrieben. Zu Beginn seiner Benutzung bezeichnete er eine Person, die mit der Person, mit der sie eine Beziehung führt, zusammen wohnt. Heute wird durch die Form sambo eine Konzeptualisierung einer engeren Paarbeziehung als sie durch flick- und pojkvän benannt wird, aufgerufen, gleichzeitig aber eine weniger feste Beziehung wie in der Benennung ehepartnerlicher Beziehungen, wie sie weiter oben diskutiert worden sind. Die Frage der Wohnform ist für eine Appellation durch sambo in vielen Kontexten sekundär geworden gegenüber einer Konzeptualisierung einer graduellen Differenzierung der Institutionalisierung einer Paarbeziehung. Aus ihr sind weitere Formen abgeleitet worden. So bezeichnet särbo die gegenteilige Wohnform: Personen in einer Liebesbeziehung, die nicht zusammen wohnen. „[S]ärbo [...] person som inte bor tillsammans med sin partner “.284 Während sambo in zahlreichen Wörterbüchern verzeichnet ist,
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282 Vgl. Molde (1979), Widmark (1980). 283 NPLUS (1997: 950). ‚Person, mit der man unter ehegleichen Bedingungen lebt, ohne verheiratet zu sein.‘ 284 NPLUS (1997: 1114).
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
257
finden sich andere Formen, die nach demselben Schema gebildet sind, insbesondere die Formen delsbo ‚Teilweise-ZusammenwohnendeR’, enbo ‚AlleinwohnendeR’, helgbo ‚Wochenend-ZusammenwohnendeR’, kombo ‚KombiniertwohnendeR’, und mambo erst in NYO (2000) als Neubildungen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts verzeichnet. Die aus dieser Gruppe von Formen am häufigsten verwendete Form sambo impliziert neben der Wohnform zugleich aber auch – und dies damit in Opposition zu den Formen make/maka/hustru – die Aussage, dass es sich hier nicht um eine institutionalisierte Form der Beziehung handelt, die durch die Institution Ehe öffentlich legitimiert und abgesegnet ist. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die frühe Diskussion von Widmark (1980) dieser Problematik, in der sie die Form sambo für den täglichen Sprachgebrauch in direkter Anrede eher ablehnt und stattdessen eine Verwendung der Appellationen durch min fru ‚meine Frau’ und min man ‚mein Mann’ favorisiert, da sie in einer entsprechend ausgeweiteten Form dieser Benennung die Notwendigkeit einer Institutionalisierung von Paarverhältnissen aufgelöst sieht. Wie heute zu sehen ist, finden sich weiterhin die Appellationsformen für institutionalisierte und nicht-institutionalisierte Paarverhältnisse nebeneinander, was die öffentliche Relevanz der Institutionalisierung bis heute aufzeigt. Alle übrigen X-bo-Formen sind nach der Form sambo von dieserm Bildungsmuster abgeleitete Appellationsformen. Es handelt sich heute bei Xbo um eine produktive Form für Neubildungen zur Charakterisierung von Personen in Liebesbeziehungen auf der Grundlage der Art und Weise des Wohnens. Das Wohnen wird als ein so wichtiger und charakterisierender Bestandteil der Liebesbeziehung angesehen, der so relevant gesetzt wird, dass er lexikalisiert benannt ist, wenn das Kriterium der Institutionalisierung der entsprechenden Beziehungen durch die Institution der Ehe nicht zutrifft. Dies bedeutet andersherum, dass die Normalvorstellung einer institutionalisierten Paarbeziehung eine bestimmte Wohnform impliziert. Die X-bo-Appellationsformen sind für nicht-institutionalisierte Beziehungsformen wichtig geworden, unter anderem für nicht in heterosexuellen Paarbeziehungen lebende Menschen. Die Form sambo eröffnet hier die Möglichkeit einer privaten Relationsbenennung als Institution ohne institutionalisiert zu sein. Die Relevanz der öffentlichen Institutionalisierung der Paarbeziehung wird implizit in Frage gestellt bzw. ihr andere Modelle an die Seite gestellt, die nicht nur in Relation auf die Institutionalisierung
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
gelesen werden können.285 Mit der Lexikalisierung dieser Formen geht eine veränderte Konzeptualisierung von Paarbeziehungen einher. Sie bietet zudem eine Möglichkeit einer Relationsbenennung, ohne gleichzeitig damit durch die Genderspezifizierung der sonstigen Benennungen privater Relationen auch die eigene Sexualität zum Ausdruck bringen zu müssen. Auch bei einem Gebrauch der Formen X-bo wird eine Heteronormativität von Liebesbeziehungen in der Konzeptualisierung nicht gebrochen, sondern weiterhin aufgerufen. Ein Aspekt, der in dieser durch die Lexikalisierung der Formen veränderten Konzeptualisierung von Beziehungen unhinterfragt weiter tradiert wird, ist der Aspekt der Zweierbeziehungen. Dieser liegt den institutionalisierten Paarrelationsbenennungen ebenso zu Grunde wie die X-bo-Formen und tradiert sich so als grundlegend angenommene Form privater Relationen weiter. Viele der Substantive dieser Gruppe können Teil von Komposita mit einer ausdifferenzierteren Tätigkeits- oder Relationscharakterisierung sein und sind als solche produktive Wortbildungsmuster, zum Beispiel: gymnasie-, grundskol-, universitets-, sjukvårds-, X- lärare; ‚Gymnasiums-, Grundschul-, Universitäts-, Krankenpflege-, X-LehrerIn‘ bank-, affärs-, X- kund; ‚Bank-, Geschäfts-, X-Kundin/-Kunde‘
Weitere substantivische personale Appellationsformen in dieser Gruppe, die sich nicht durch Charakterisierung der ausgeübten Erwerbsarbeit oder notwendigerweise durch die Charakterisierung einer zwischenmenschlichen Beziehung erklären lassen, sind die Formen barn ‚Kind’, vittne ‚Zeuge’, offer ‚Opfer’, majestät ‚Majestät’. Auch sich auf Menschen ganz allgemein beziehende Ausdrücke gehören zu dieser Gruppe. Die meisten von ihnen sind entsprechend hoch frequent wie die nachfolgenden: människa ‚Mensch’, person ‚Person’, individ ‚Individuum’, kompis ‚Kumpel’, kändis ‚Berühmtheit’, ledamot ‚Mitglied’, bekant ‚BekannteR’, folk ‚Volk/Bevölkerung’. Insbesondere das Substantiv person wird auch bei der Bildung von Komposita zur genderunspezifizierenden Appellation benutzt. In dieser Funktion kann die Form Komposita ersetzen, die auf –man enden. Komposita, die auf –person und auf –ledamot enden, sind entsprechend in der Regel Neubildungen seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, die zum Zweck einer möglichst hohen Genderunspezifiziertheit der Appellation eingeführt worden sind wie beispielsweise förtroendeperson ‚Vertrauensper-
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285 Das bedeutet, es wird nicht nur das Stadium vor einer institutionalisierten Paarbeziehung, ohne diese oder nach ihr benannt.
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
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son’. Dies ist jedoch keine durchgängige Strategie, es finden sich zahlreiche Beispiele für genderunspezifizierend intendierte Appellationen, die auf –man enden, wie zum Beispiel die folgenden Formen: bankman ‚Bankmann/-frau’, tjänsteman ‚Beamtin/Beamter’, riksdagsman ‚AbgeordneteR’, talman ‚BundestagspräsidentIn’.286 Insgesamt endet eine große Zahl von Komposita dieser Gruppe auf – man, denen gegenüber die Formen, die durch –person ersetzt worden sind, quantitativ eher vernachlässigenswert sind. Es findet sich kein Kompositum, das auf –kvinna endet und konventionell eine genderunspezifizierende Appellation leisten würde, was wiederum für die starke Konventionalisierung von natürlicher Weiblichkeit durch die Form kvinna und die damit einhergehende Annahme, dass Weiblichkeit prototypisch für Gender ist, spricht, wohingegen Männlichkeit prototypisch für menschlich ist. Einige weitere Substantive dieser Gruppe sind aus Verben, Adjektiven oder Substantiven abgeleitet. Beispiele sind: vinnare målare cyklist bilist ordförande student emigrant älskade arrangör
von att vinna; von att måla von att cykla; von bil von att föra ord von att studera von att emigrera von att älska von att arrangera
‚GewinnerIn, zu gewinnen‘ ‚MalerIn, zu malen‘ ‚RadfahrerIn, Rad zu fahren‘ ‚AutofahrerIn, Auto‘ ‚SprecherIn, das Wort führen‘ ‚StudentIn, zu studieren‘ ‚EmigrantIn, zu emigrieren‘ ‚GeliebteR, zu lieben‘ ‚ArrangeurIn, zu arrangieren‘
Das Derivationssuffix –are zur Ableitung einer substantivischen Appellationsform ist produktiv287, aber auch das Suffix –ist ist produktives Wortbildungssuffix personaler Appellationsformen, wie die Einträge in NYO (2000) für neu gebildete Formen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen, wo 24 verschiedene Formen, wie beispielsweise multikulturalist, fundamentalist, antirasist, verzeichnet sind. Auch personale Appellationsformen auf –is können von Adjektiven abgeleitet sein288, wie beispielsweise kändis ‚Berühmtheit’ von känd ‚bekannt’ und ungdom ‚Jugend’ von ung ‚jung’ und dienen eher zur Bezeichnung von Eigenschaften, wohingegen
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286 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse. 287 Vgl. Kapitel 6. 288 Das Suffix –is wird von SAG (1999) zu einer der produktivsten Formen der substantivischen Wortbildung im heutigen Schwedisch gerechnet. Vgl. SAG (1999, Bd. 2 §21).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
die weiter oben zitierten Beispiele Tätigkeitsbezeichnungen in einem weiteren Sinne sind. Fundis ist eine personal appellierende Kurzform zu fundamentalist, skådis zu skådespelare. Zu kändis finden sich zudem weitere Ableitungen, wie beispielsweise filmkändis, so dass es sich hier um ein produktives Wortbildungsmuster personaler Appellation handelt. Das Suffix –is dient nicht nur zur Ableitung personaler Appellationsformen, sondern auch zur verkürzenden Benennung von Objekten wie beispielsweise die Neubildung fjärris für fjärrkontroll ‚Fernbedienung’.289 Adelswärd (2001: 107) erwähnt die personal appellierende, pejorisierende Bildung kådisar als Kurzform für Mitglieder der kristdemokratiska samlingspartiet ‚Christdemokratische Sammlungspartei’. Diese Bildung ist deswegen pejorisierend, weil kådis auch eine umgangssprachliche Form für kondom ist.290 Auch die weiter oben bereits erwähnten personal appellierenden Formen auf –ör sind der Gruppe der konventionalisiert genderunspezifizierenden Appellationen zu zurechnen. Wie zu sehen ist, stehen sie in vielen Fällen gleichzeitig in Opposition zu genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen und können somit sowohl genderspezifizierend männlich wie genderunspezifizierend verwendet werden. Die genderunspezifizierende Verwendung setzt sich zunehmend durch. Eine weitere Möglichkeit der heute produktiven Ableitung von substantivischen personalen Appellationsformen aus vor allem Adjektiven ist die Suffigierung mit –o, wie in den Formen:291 hygglo pretto aggro insello
= en sjyst typ = en pretentiös typ = en aggressiv typ = en intellektuell typ
Diese sind vor allem in der gesprochenen Sprache vornehmlich Jugendlicher zu finden und scheinen vornehmlich genderspezifizierend männlich zu appellieren und pejorisierend benutzt zu werden. Das Vorkommen einiger Formen auf –o in NYO (2000) deutet darauf hin, dass sie nicht mehr ausschließlich in der mündlichen Sprache Jugendlicher zu finden sind. Hier sind die Formen pucko („dum person“), vulgo („ngt. el. ngn. som
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289 Vgl. NYO (2000). 290 Vgl. Alfvegren (1997). 291 Die Beispiele sind Bäckstedt (2000) „Svenskans nya ord“ in Svenska Dagbladet, wiederabgedruckt auf: http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/nyaord.asp vom 14.2.2003 entnommen.
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
261
är vulgärt“ ‚etwas oder jemand, die der vulgär ist‘), macho und bimbo292 verzeichnet, die entsprechend gebildet sind. Es zeigt sich hier, dass sich auch im heutigen Schwedisch verschiedene produktive Möglichkeiten der Grammatikalisierung personaler Appellation finden. Eine Wortbildung auf –o ist dabei nicht auf personale Appellationsformen beschränkt, sondern dient auch der Ableitung von Adjektiven wie lyllo aus lycklig ‚glücklich‘ und pretto aus pretentiös. Verschiedene Formen der Suffigierung sind damit heute produktive Mittel der Wortbildung im Bereich personaler Appellation.293 Kotsinas (1996) verzeichnet die Form miffo als personal appellierende Ableitung aus missfoster ‚Missgeburt‘, Adelswärd (2001) erwähnt die Formen frendo294 und hygglo als Beispiel für nicht konventionalisiert pejorisierende Bildungen. Es zeigt sich hier, dass diese Form der personalen Appellation nicht nur aus Adjektiven abgeleitet wird, sondern auch aus Substantiven, und eine Verkürzungsform zu personal appellierenden Substantiven (alkolholist > alko) und ein produktives Wortbildungsmuster personaler Appellation mit in den meisten Fällen pejorisierender Konzeptualisierung darstellt. Neben diesen Gruppen finden sich metaphorische und metonymische personale Appellationsformen, von denen hier lediglich ein paar stellvertretend genannt werden sollen, um die Liste der Möglichkeiten der genderunspezifizierenden Appellation zu vervollständigen. Soziale stereotype Vorstellungen fließen in die Assoziationen, die mit verschiedenen metaphorischen und metonymischen Appellationsformen geweckt werden, ebenso mit ein wie bei den vorangegangen diskutierten Formen. (rock)stjärna/rockstjärnor själ jävel
‚Rockstern‘ ‚Seele‘ ‚Teufel‘
Zu dieser Gruppe kann in einem weiten Sinne auch die Form skalle gerechnet werden, die produktives zweites Glied von personalen Appellationsformen ist, die konventionalisiert pejorativ intendiert sind. Hierzu zählen skinnskalle (eine Lehnübersetzung des Englischen skinhead295), grönskalle („nedsätt.: person som är mijöengagerade“ ‚herabsetzend: per-
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292 Vgl. Hornscheidt (2006b). 293 In dem Roman von Lodalen (2003), der zu weiten Teilen in einem umgangssprachlichen, Stockholmer Stil geschrieben ist, finden sich beispielsweise die Formen pucko, fyllo, miffo, alko, vitlöksfyllefetto. 294 Frendo bedeutet soviel wie vän und ist aus dem Englischen friend abgeleitet. 295 Vgl. Ljung (1988).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
son, die umweltengagiert ist‘296), kulturskalle („skämts.: kulturperson“ ‚spasshaft: Kulturperson‘297), vinnarskalle („[person med] vinnarinstinkt“‘ [Person mit} Gewinninstinkten‘298). Pronomina Neben den im letzten Unterkapitel besprochenen personalpronominalen Formen der dritten Person Singular hon und han in Subjektstellung als genderspezifizierende Appellation finden sich auch genderunspezifizierende Formen und Verwendungen im Singular, zum einen die Form han, zum anderen die Form den sowie alle pronominalen Pluralformen. Han ist die am häufigsten verwendete pronominale Form zur Appellation auf einzelne Menschen. Vergleichbar mit der Form he im Englischen ist han im Schwedischen das hauptsächlich verwendete Personalpronomen zur genderunspezifizierenden Appellation. Vergleichbar mit der Diskussion der genderunspezifizierenden Substantive wird auch hier darauf hingewiesen, dass die pronominale Form zur genderunspezifizierenden hier mit der zur konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Appellation zusammenfällt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Form han in einsprachigen Wörterbüchern. In NPLUS (1997) findet sich unter dem Eintrag han folgende Umschreibung: „personen av manligt kön som är omtalad i sammanhanget vanl. tidigare men ibl. äv. efteråt; äv. om djur av detta kön [...] äv. med utpekande betydelse [...] äv. med syftning på person (el. djur) utan hänsyn till kön“.299 Die genderunspezifizierende Verwendung des Personalpronomens han wird als eine nachgeordnete Gebrauchsweise erwähnt.300 Durch die Darstellung in den Wörterbüchern wird auf diese Weise eine Konventionalisierung einer männlichen Genderspezifizierung weiter verfestigt und reproduziert, die in einem direkten Kontrast zur umfangreichen linguistischen und sprach-
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NYO (2000: 130). NYO (2000: 177). NYO (2000: 314). NPLUS (1997: 407). ‚Person männlichen Geschlechts, über die im Zusammenhang gesprochen wird; normalerweise früher aber manchmal auch später; auch Tiere dieses Geschlechts [...] auch mit hinweisender Bedeutung [...] auch mit Referenz auf Personen (oder Tieren) ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht.‘ 300 Vergleichbare Darstellungen finden sich in allen hier herangezogenen Wörterbüchern.
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
263
pflegerischen Diskussion zur Frage der Gender(un)spezifizierung der Form han steht.301 Neben der Verwendung der Form han in genderunspezifizierender Appellation findet sich die Form hon, wie weiter oben bereits dargestellt, als pronominale Wiederaufnahmeform auf substantivische Appellationen, die auf –a enden, insbesondere bei människa ‚Mensch‘, nästa ‚der/die Nächste‘ und främsta ‚der/die Vorderste‘. Diese bilden eine Ausnahme, die insofern von besonderer Bedeutung ist, als dass människa mitsamt pronominaler Wiederaufnahme in bestimmten Genres relativ frequent ist. In Bezug auf die frequente Verwendung der Wendung människa .... hon gibt es in der schwedischen Linguistik zahlreiche Diskussionen. Während Wellander (1939) beispielsweise diese Kombination als die einzig mögliche ansah, vertritt er in der vierten Auflage seines sprachpflegerischen Werkes (1973) schon eine andere Auffassung, wenn er schreibt: „En särställning intar substantivet människa: Människan har inte roligare än hon gör sig – inte han, snarare den“ .302 Hultman (1992) sieht eine Tendenz dazu, dass die Kombination människa ... hon zunehmend von anderen Kombinationen wie människa ... han, människa ... den abgelöst wird.303 Diese Diskussionen zeigen, dass eine genderunspezifzierende Konzeptualisierung mit hon sehr viel schwieriger zu sein scheint als mit han – es gibt keine vergleichbaren sprachwissenschaftlichen Diskusisonen zu han jenseits feministischer Linguistik. Die Form den spielt in der Frage der personalen Appellation in allen heutigen Grammatiken als auch in sonstigen Lehr- und Regelwerken zum Schwedischen keine bedeutende Rolle. Neben diesen beiden pronominalen Formen der dritten Person Singular findet sich im heutigen Sprachgebrauch zunehmend die Form den zur genderunspezifizierenden Appellation auf Menschen: Die durch das Oppositionspaar den/det zum Ausdruck gebrachte Genuskongruenz wird in Teilen durch eine semantische Differenzierung zwischen den beiden Formen ergänzt, indem den eine Appellation auf einzelne Menschen intendiert, det auf Objekte. An dieser Stelle spielt Genus eine Rolle für eine Differenzierung zwischen Appellation auf Belebtes oder Unbelebtes, wie bei Dahl (2000b) gezeigt wurde. Dahl (2000a) erwähnt die Form den im Zusammenhang mit Belebtheit als ausgesprochenes Spezifikum in seiner Diskussion der Genuszuweisung:
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301 Vgl. weiter unten; vgl. Kapitel 5. 302 Wellander (1973: 118). ‚Eine besondere Stellung nimmt das Substantiv Mensch ein. Der Mensch hat es nicht lustiger als sie es sich macht. Nicht er, eher schon es.‘ 303 Hultman (1992: 114).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
„There seems to be a tendency in spoken Swedish to use the „Uter“ pronoun den to refer to singular instances of concrete, countable inanimate objects (e.g. pieces of furniture, instruments, etc.), even if the nouns used to refer to these objects are „Neuter“ and according to normative grammar, the „Neuter“ pronoun det should be used. […] One interesting feature of this gender conflict – which indeed seems to obey the Agreement Hierarchy – is that it involves semantic properties that are known to interact with animacy, most notably individuation and degree of referentiality.“ (Dahl 2000a: 111f.)
Schon Tegnér (1962 [1892]) merkte zum Ende des 19. Jahrhunderts an, dass den als Appellationsform den Platz von han und hon einnehmen könne, wenngleich er auch kritisch bemerkt, dass zeitgenössische Schriftsteller nicht unbedingt von dieser Form wissen würden. Er verfolgt den Gebrauch als Pronomen jedoch bis zu Gustav Vasas Zeit zurück. Sein erster Beleg für den statt han oder hon findet er im Neuen Testament von 1526 (Mat. 27: 48): „Strax lopp en aff them och togh en swamp och fylte honom jmedh ätikio och satte then på ena röö, och gaff honom dricka.“304 Sein erster Beleg für ein personal appellierendes den findet er 1585: „Och är then Menniskia, ehuru länge then leffwat hafwer, föga annorlunda än som itt Barn.“305 Er sieht den Gebrauch von den in dieser Zeit als ein Schichtenspezifikum an.306 Auch für das 17. Jahrhundert konstatiert Tegnér (1962) dieselbe Zweiteilung im pronominalen Gebrauch: „Hela detta århundrade igenom skole vi återfinna samma motsats som vi känna från det föregående: å ena sidan den administrativa och förnäma världen med den, å andra sidan den lärda och vittra världen med de gamla han och hon.“307 (Tegnér 1962: 143)
Für das Ende des 19. Jahrhunderts nimmt Tegnér (1962) eine kleine quantitative Zeitungsuntersuchung vor, indem er acht Tageszeitungsausgaben darauf hin durchliest, ob in ihnen han oder hon in grammatischer Appellation verwendet werden. Er findet keine grammatisch motivierte Wiederaufnahme von han und nur zwei für hon, womit er seine These des Übergangs von der Vorstellung eines maskulinen und femininen Genus zu einem – in heutiger Terminologie – utrum-Genus bestätigt sieht.
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304 Tegnér (1962: 139). 305 Tegnér (1962: 141). 306 Tegnér (1962: 141), „Den uppträder från början som ett aristokratiskt ord.“ ‚Es tritt zu Beginn als aristokatratisches Wort auf.‘ 307 ‚Durch das ganze Jahrhundert hindurch sollten wir den Gegensatz wiederfinden, den wir schon aus dem vorangegangenen kennen. Auf der einen Seite die administrative und vornehme Welt mit es (den), auf der anderen Seite die gelehrte Welt mit den alten er (han) und sie (hon).‘
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
265
Der erste Beleg in der Internetausgabe von SAOB für eine Verwendung der Form den zur Appellation auf eine Person ohne Genderkennzeichnung ist von 1581. Im SAOB finden sich kontinuierlich entsprechende Belege bis in die heutige Zeit, so dass auch auf Grund dieser Quellen konstatiert werden kann, dass die Form als Konkurrenzform zu han schon lange eine Rolle gespielt hat. Davidson (1990) zeigt, wie zwischen 1500 und 1900 den sukzessive zum ‚Sachpronomen‘ geworden ist und in Kontrast zu han und hon benutzt wurde. Olson (1913), auch mit Rückbezug auf Tegnér, stellt fest, dass die Form den vor allem zur Appellation auf Personen benutzt würde, wenn die Konzeptualisierung einer Persönlichkeit in den Hintergrund träte. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sich mit der Form auf Kinder bezogen würde, denen so eventuell eine ausgebildete Persönlichkeit abgesprochen würde. Diese Argumentation findet sich bis in die 90er Jahre in sprachpflegerischer Tradition, wenn beispielsweise Reuter in einer Sprachkolumne von (1995) in der größten schwedischsprachigen Tageszeitung Finnlands ebenfalls auf die ‚natürlich‘ anmutende Verwendung der Form den mit Bezug auf Kinder verweist: „Det enda fall där det faller sig relativt naturligt är när vi talar om barn. Framför allt gäller detta riktigt små barn, som kanske inte ännu uppfattas som individer som är han eller hon.“308 Was hier bereits bei Tegnér (1962) zum Ausdruck kommt und sich über ein Jahrhundert weiter zieht, ist eine Auffassung zu Genderidentität, in der diese erst ab einem bestimmten Alter zum Tragen kommt. Gleichzeitig wird in der entsprechenden Argumentation auch implizit darauf Bezug genommen, dass die Pronomina han und hon genderspezifizierend appellierend sind, welches an zahlreichen weiteren Belegstellen derselben Autoren bestritten wird. Eine Inkongruenz der Argumentation wird an diesen Stellen deutlich. Wellander (1973 [1939]) nimmt in seinem äußerst einflussreichen sprachpflegerischen Werk explizit von einer Benutzung von den in Bezug auf Personen Abstand und sieht eine entsprechende Benutzung des Pronomens als „ovårdat eller avsiktligt nedsättande“309. Interessant ist die Einstellungsveränderung, die sich in der vierten, überarbeiteten Auflage desselben Werkes von findet, wo Wellander (1973) vor dem Hintergrund des Aufkommens der pronominalen Doppelformen han eller hon ‚er oder sie‘, han/hon etc. die Überlegung anstellt, ob nicht den als genderunspezifizierende Appellationsform die geeignetere sei, wenngleich er für
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308 Wiederabgedruckt unter: http://www.kotus.fi/svenska/reuter/(1995)/090395.shtml vom 14.2.2003. 309 Wellander (1939: 226).
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
die gesprochene Sprache auch hier immer noch von einer pejorisierenden Verwendung ausgeht.310 Diese Idee wird sowohl von Molde (1976) aufgegriffen „[...] den skulle komma att verka mera naturlig“311, als auch von eher feministisch-sprachpflegerischer Seite, wenn Widmark (1979) die Verwendung von den anstatt han eller hon ‚er oder sie‘ als die rationalste Lösung ansieht. Hier zeigt sich zugleich ein Bogen zu Hultmans (1992) Untersuchung, in der festgestellt wurde, dass die pronominale Wiederaufnahme von barn ‚Kind [neutr.] mit den ‚es [utr.] in Aufsätzen von Schüler/inne/n zu finden ist. Hultman (1992) stellt darüber hinaus auf der Grundlage eigener sporadischer Beobachtungen fest, dass zu Beginn der 90er Jahre den als Personen appellierende Form in der gesprochenen Sprache sehr viel verbreiteter ist als in der Schriftsprache und fasst zusammen: „[...] har den grammatiska kongruensen fått konkurrens av en semantiskt betingad kongruens som har med draget ‚animatum‘ att göra.“312 Die Verwendung von den als Appellationsform auf Menschen existiert für diese Form, wird sie in Kombination mit einem Relativpronomen verwendet (den som ‚es/die/der, der/die/das‘). Hier dient die Form als Appellation auf eine Person. Ein Gebrauch von den, in dem diese Form in Opposition zu det als pronominaler Form, die auf Unbelebtes appelliert, steht, ist zudem im Einklang mit anderen pronominalen Formen, die diese Opposition durch Genus zum Ausdruck bringen, wie die nachfolgend diskutierten. Ein ähnlicher Befund liegt für das Indefinitpronomen der dritten Person Singular någon/något ‚irgendjemand/irgendetwas‘ vor. Während die neutrum-Form auf Objekte appelliert, wird die utrum-Form zur Appellation auf Menschen benutzt, wie in den nachfolgenden Beispielen: Finns det någon där? ‚Ist jemand da?‘ Finns det något där? ‚Ist etwas da?‘
In diesen Fällen werden pronominale Utrum-Formen als Appellationsformen auf Menschen mit konventionalisierter Genderunspezifiziertheit verwendet. Sie stehen in den entsprechenden Fällen in Opposition zu den neutrum-Fomen, die Appellation auf Objekte intendieren. Wiederaufgenommen werden die Indefinitformen jedoch auch wiederum in der Regel
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310 Wellander (1973: 118). 311 Molde (1976: 5). ‚Es wird wohl natürlicher wirken.‘ 312 Hultman (1992: 117). ‚Hat die grammatische Kongruenz Konkurrenz bekommen von einer semantisch bedingten, die mit dem Merkmal ‚belebt‘ zu tun hat.‘
3.3 Konventionalisiert genderunspezifizierende personale Appellation
267
mit han, so dass hier eine Uneindeutigkeit der Genderunspezifiziertheit festzustellen ist: Om någon vill arbeta här, måste han vara äldre än 18 år. ‚Wenn jemand hier arbeiten will, muss er älter als 18 Jahre sein.‘
Ein weiteres Indefinitpronomen mit einer intendierten genderunspezifizierenden Appellationsleistung ist das Pronomen man. Das Pronomen ist homonym mit dem genderspezifizierenden Substantiv man. Durch diese Nähe zum genderspezifizierenden Substantiv man sind genderspezifizierend männliche Assoziationen beim Gebrauch des Pronomens nicht auszuschließen, wie es beispielsweise in dem weit verbreiteten und einfach zu lesenden Buch von Björk (1996) zu Feminismus dargestellt wird. „Själva vårt svenska språk har i det opersonliga pronomenet „man“ byggt in en föreställning om att mannen inte är ett kön utan just någonting opersonligt, någonting allmänt. Svenskan är just här ett mer tydligt patriarkalt språk än till exempel engelskan eller franskan, där „man“ heter one respektive on. [...] Man är alla, kvinna är kön.“313 (Björk 1996: 162)
Wenngleich die Auffassung, dass eine entsprechende Form wie man Auswirkungen auf die Wahrnehmung habe, was durch entsprechende Untersuchungen zunächst gestützt werden müsste, wie sie weiter hinten in dieser Studie dokumentiert sind, ist die in vielen indoeuropäischen Sprachen zu findende Übereinstimmung von substantivischen und pronominalen Formen als konventionelle Appellationen auf zugleich Menschen wie Männer auffällig. Während es sich in einigen Sprachen um sprachliche Übereinstimmungen handelt (wie beispielsweise im Schwedischen zwischen der Substantivform man und der pronominalen Form man, im Französischen zwischen der substantivischen Form für Mensch und Mann, homme), ist in anderen Sprachen eine Verwendung von Mann im Sinne von Mensch in feststehenden Phrasen zu finden (wie z.B im Deutschen ‚alle Mann an Bord‘, mit ‚X Mann hoch‘ etc.).
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313 ‚Unsere schwedische Sprache hat mit dem unpersönlichen Pronomen man eine Vorstellung eingebaut, dass der Mann nicht ein Geschlecht sei, sondern nur etwas Unpersönliches, etwas Allgemeines. Das Schwedische ist hier eine deutlichere patriarchale Sprache als das Englische oder Französische, wo man einfach one oder on heiƢt. [...] Mann sind alle, Frauen sind Geschlecht.‘
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
Adjektive Entsprechend den konventionalisiert genderspezifizierenden Adjektiven gibt es im Schwedischen auch genderunspezifizierende Appellation anzeigende Adjektive in attributiver und prädikativer Stellung. Entgegen der obigen Gruppe ist diese hier quantitativ jedoch überschaubarer. Da ihre Äußerung in der Regel an eine substantivische oder pronominale personale Appellation anzeigende Form gebunden ist, sind die Formen nicht im gleichen Maße von Interesse wie die weiter oben analysierten Adjektive zur genderspezifizierenden Appellation. Generell drücken eine große Reihe von Adjektiven auch eine menschliche Konzeptualisierung aus, wenn sie sich auf Menschen zugeschriebene Verhaltensweisen und Charakteristika beziehen. Viele von diesen evozieren, wie weiter oben ausgeführt, stereotype Gendervorstellungen, die durch diese in konventionellem Sprachgebrauch reproduziert werden. Da die entsprechenden Adjektive in der Regel im Kontext personal appellierender Pronomina und Substantive gebraucht werden, werden sie nicht als primär die menschliche Appellation tragende Einheiten angesehen.
3.4 Zusammenfassung Für die Diskussion konventioneller genderspezifizierender Appellation ist in dem vorliegenden Kapitel ein von bisherigen Forschungen zu diesem Thema abweichender Ansatz gewählt worden. Dieser begründet sich auf einer Analyse des Phänomens der Herstellung genderspezifizierender Konzeptualisierungen mit personalen Appellationsformen, wie er für konventionellen Sprachgebrauch festzustellen ist. Als Grundlage der Feststellung der Möglichkeiten genderspezifizierender personaler Appellation wurden dabei vor allem Wörterbücher und Lexika herangezogen. Damit ist der Ausgangspunkt nicht länger eine grammatische Kategorie oder Kategorisierung, die in der Regel in Genus gesehen wurde, deren Anwendung für konventionelle sprachliche Genderspezifizierung in Folge thematisiert wird, sondern die Frage nach den unterschiedlichen sprachlichen Möglichkeiten einer Genderspezifizierung, deren sprachliche Realisierung nach dem Grad ihrer sprachlichen Konventionalisierung weiter ausdifferenziert wird. Ausgehend von dieser Darstellungsform konnte gezeigt werden, dass Genus im heutigen Schwedisch für eine Genderspezifizierung keine Rolle spielt. Der Grad der sprachlichen Konventionalisierung ist in Lexikalisierung und Grammatikalisierung ausdifferenziert worden,
3.4 Zusammenfassung
269
denen unterschiedliche Stärken von Konventionalisierung zugesprochen worden sind, an Hand derer dargestellt werden konnte, in welchen Bereichen eine Genderspezifizierung am ehesten als natürlich und unverbrüchlich sprachlich konzeptualisiert wird. Davon unterschieden wurde die Kategorisierung der Genderunspezifizierung, bei der dieses Kritierium lediglich auf die sprachliche Kenntlichmachung einer Genderspezifizierung bezogen ist, wodurch keine Aussage über genderspezifizierende Konzeptualisierungen auf Grund prototypischer Vorstellungen gemacht wird, die im Falle dieser Kategorie nicht sprachlich manifest zum Ausdruck kommen. Die Differenzierung zwischen Genderspezifizierung und Genderunspezifizierung basiert auf einer Konventionalisierung prototypischer Vorstellungen zu Gender. Ausgehend von dieser Einteilung kann festgestellt werden, in welchen Bereichen prototypische Genderspezifizierung am stärksten konventionalisiert ist. Als zweite und damit verbundene Neuerung in der Darstellung wurde der Fokus von Substantiven als ‚Oberkategorie‘ der Realisierung von Genderspezifizierung (mit Hilfe von Genus) zu einer gleich gestellteren Darstellung verschiedener Wortklassen verschoben. Pronomina und Adjektive werden hier also nicht nur in ihrer direkten syntaktischen Abhängigkeit von Substantiven als kongruenzstiftende Formen betrachtet, sondern es wird ihnen ein eigenes Gewicht für die Frage zu Teil, welche Rolle sie, ausgehend von einem pragmatisch-kognitiven Verständnis, für die Realisierung einer sprachlichen Genderspezifizierung spielen. Diese Verschiebung der Perspektive weg von traditionellen Darstellungen schließt an ein verändertes Verständnis der Kategorie Genus an, da diese, sprachhistorischen Forschungen zu Folge, eine Form pronominaler Kategorisierung darstellte. Die starke Konventionalisierung stereotyper Gendervorstellungen, die in genderspezifizierenden Adjektiven zum Ausdruck gebracht wird, konzeptualisiert diese gleichzeitig als eine additive Charakterisierung zu einer personalen Appellation und dabei häufig als Gegensatz zu der protoypischen Vorstellung, die mit der jeweiligen substantivischen Form verbunden ist, wodurch die attributive Genderspezifizierung notwendig wird. Eine prädikative Anwendung eines genderspezifizierenden Adjektivs in Zusammenhang mit einem genderspezifizierenden Pronomen ist dagegen eher unkonventionell, was die Natürlichkeit der Genderannahme bei genderspezifizierenden Verwendungen von Pronomina noch mal betont. Die Gruppe stark konventionalisierter Genderspezifizierung, die in einer durchgängigen Lexikalisierung der verschiedenen Rollen zum Ausdruck
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3. Die Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen
kommt, zeigt sich bei Relationsbestimmungen im privaten Bereich und hier besonders Verwandtschaftsrelationen. In ihnen ist die Genderspezifizierung als ein bestimmendes Moment der Relationen eingeschrieben sowie gleichzeitig auch als Differenzierungskriterium. In diesem Bereich ist die Konventionalisierung einer Genderspezifizierung so stark, dass sie am weitestgehendsten naturalisiert zu sein scheint. Dies bestätigt sich auch noch mal dadurch, dass viele der Formen der Relationsbenennung ersten Grades auch auf andere Bereiche übertragen verwendet werden und hier jeweils genderspezifizierend fungieren. Über die Verwandtschaftsverhältnisse im so hergestellten biologischen Sinne hinaus spielen lexikalisierte Genderspezifizierungen aber auch für eine Konzeptualisierung von Personen in Paarverhältnissen eine Rolle und stellen eine heteronormative Zweierkonstellation privater Beziehungen als einen gegenderten Normalfall her, der auf eine Lexikalisierung der institutionalisierten Zweierbeziehungslosigkeit in verschiedenen Varianten übertragen wird. Die Annahme, Zuschreibung oder Absprechung von Sexualität ist ein wichtiges Kriterium für die lexikalisierte und auch grammatikalisierte Genderspezifizierung in personalen Appellationsformen und findet sich lexikalisiert besonders ausgeprägt in konventionalisiert genderspezifizierenden pejorisierenden personalen Appellationsformen, wodurch die Annahme einer Sexualitätsnorm für eine stererotype Gendervorstellung manifestiert wird. Diese Sexualitätsnormierung ist genderspezifisch unterschiedlich, wie eine Gegenüberstellung der genderspezifizierenden, konventionell pejorisierenden Appellationsformen zeigt. Eine heteronormative Konzeptualisierung der Genderspezifizierung wird auch in der Verwendung der Formen kvinna und man zur Appellation auf Personen in institutionalisierten heteronormativ organisierten Paarverhältnissen deutlich sowie in einer Lexikalisierung genderspezifizierender personaler Appellationsformen, die von dieser Norm abweichen und durch die gleichzeitig eine Konzeptualisierung über Homosexualität zum Ausdruck gebracht wird. Die Lexikalisierung genderspezifizierender pronominaler personaler Appellation der dritten Person Singular der Personalpronomina macht Gender zu einer naturalisierten Konzeptualisierung von Personen, die in einer Substantivierung der Formen zur genderspezifizierenden Appellation umgesetzt wird, womit eine Ausschließlichkeit einer Genderkonzeptualisierung zum Ausdruck gebracht wird, die zudem auch auf Tiere angewendet die Annahme der biologischen Fundierung der Genderdifferenzierung unterstreicht. Bei den Personalpronomina ist eine lexikalisierte Genderspezifizierung auf den Singular beschränkt.
3.4 Zusammenfassung
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Wie bei den Substantiven kann auch bei den Adjektiven im Bereich der Lexikalisierung einer Genderspezifizierung eine Annahme einer natürlichen Gendervorstellung festgestellt werden, die zugleich heteronormativ ist. Dies zeigt sich zum einen in einem Vergleich der Formen kvinnlig/manlig zu feminin/maskulin, zum anderen in einer Gegenüberstellung dieser mit bög/lesbisk. Grammatikalisierte Genderspezifizierung personaler Appellation ist bei Substantiven durch Suffigierungen realisiert und findet sich, wie bereits erwähnt, bei Konzeptualisierungen von Personen in privaten Paarrelationen sowie bei Tätigkeitsbezeichnungen. Die zunehmende Tendenz einer nur einseitigen Genderspezifizierung bei den Tätigkeitsbenennungen, womit die entsprechenden Formen zugleich zur genderunspezifizierenden Appellation gebraucht werden, setzt sich in zahlreichen Bereichen durch und wird als mit einer prototypischen Genderkonzeptualisierung unterschiedlicher Tätigkeiten verknüpft interpretiert. Gleichzeitig kann hier ein Unterschied zu den lexikalisierten genderspezifizierenden personalen Appellationsformen insofern ausgemacht werden, als dass die Gendespezifizierung offensichtlich zu einer Konzeptualisierung zu einer Tätigkeit hinzutritt und nicht wie in der Gruppe der lexikalisierten Formen die Grundlage ihrer Konzeptualisierung bildet. Während in der Gruppe der lexikalisierten Formen damit weitgehend von einer Naturalisierung der Genderspezifizierung gesprochen werden kann, ist die Naturalisierung in der Gruppe der grammatikalisierten Formen eine der prototypischen, genderspezifizierenden Konzeptualisierung. Grammatikalisierte Genderspezifizierung bei Pronomina und Adjektiven erfolgt über eine Konzeptualisierung der Betonung einer bestimmten genderspezifizierenden Appellation. Die genderspezifizierend weibliche Appellation fällt mit einer grammatischen Kennzeichnung von Betonung zusammen und wird so zu einer Abweichung vom Normalfall. Die Grenze zwischen Genderspezifizierung durch Grammatikalisierung mit Suffigierungen und Genderunspezifizierung ist im Wandel begriffen, wie die Einträge in den beiden Gruppen zeigen. Prototypische Gendervorstellungen haben sich teilweise stark in die Konzeptualisierungen personaler Appellationsformen als Normalität eingeschrieben, so dass eine grammatikalisierte Genderspezifizierung hier auf dem Hintergrund einer schwedischen Gleichheitsvorstellung als diskriminierend empfunden wird, wie in den nachfolgenden Kapiteln zu sehen sein wird.
4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht Dieses lebensgefährliche Taumeln, das einen vor dem Spiegel am Morgen manchmal ja durchaus real erfüllt, ist einer der Gründe, warum es in einer nicht patriarchalen Poetik zuerst einmal ums Leben gehen muß. Es geht um die Bildung einer Solidargemeinschaft aller, die diesen Blick auf sich kennen. Es muß in einer nicht patriarchalen Poetik um Entkolonialisierung gehen. Darum, daß nicht einfach nur neu gedacht werden kann. Sondern, wie anders gedacht werden kann. Wie ein Anders-Denken möglich werden kann, obwohl wir keine andere Sprache als die patriarchale kennen. Und wie anders geschrieben werden kann. Obwohl wir keine andere Sprache als die patriarchale können. Wenden wir uns der Entkolonialisierung zu. Streeruwitz 1998: 22 Performativa yttranden har makt att förändra verkligheten. Om en präst i en kyrka förklarar en man och en kvinna för att vara man och hustru, blir dessa två människor ett gift par. De kommer att uppfatta sig själva som gifta, orden har förändrat – inte beskrivit. Men denna förändring bygger inte på själva orden, utan på hur andra tolkar dem. Om människor inte trodde på att äktenskap ingås genom att en präst uttalar vissa ord i en kyrka så skulle inte heller det vigda paret uppfattas som gifta – och de skulle därför inte heller vara det.1 Björk 1996: 140
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‚Performative ÄuƢerungen haben die Macht die Wirklichkeit zu verändern. Wenn einE PriesterIn in der Kirche Mann und Frau als Ehemann und –frau erklärt, werden diese beiden zu einem verheirateten Paar. Sie werden sich selbst als verheiratet erleben, die Wörter haben verändert – nicht beschrieben. Aber diese Veränderung beruht nicht auf den Wörtern, sondern darauf, wie andere sie interpretieren. Wenn Menschen nicht daran glauben würden, dass eine Ehe dadurch eingegangen würde, dass einE PfarrerIn bestimmte Wörter in einer Kirche aussprechen würde, so würde auch das verheiratete Paar nicht als verheiratet gelten – und sie würden es deshalb auch nicht sein.‘
4.1 Einleitung
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The crucial aspect of language is meaning: the point of non-sexist language is not to change the forms of words for the sake of it but to change the repertoire of meanings a language conveys. It’s about redefining rather than merely renaming the world. Cameron 1998a: 161
4.1 Einleitung Ein Ergebnis linguistisch-feministischer Analyse personaler Appellation im Zusammenhang mit der neuen Frauenbewegung in Westeuropa seit den 70er Jahren ist die Feststellung des Sexismus der Sprache gewesen. Dieser wurde in einer Asymmetrie der genderspezifizierenden Benennungspraktiken festgemacht, was verschiedene zur Verfügung stehende Formen betrifft, Ableitungen von Formen konventionalisiert genderspezifizierend weiblicher aus Formen konventionalisiert genderspezifizierend männlicher Appellation, eine Übergeneralisierung genderspezifizierend männlicher zu allgemeinmenschlicher Appellation als auch die Feststellung einer einseitigen Pejorisierung genderspezifizierend weiblicher Appellation. Im Sinne eines Sprachplanungsmodells handelt es sich bei dieser Kritik um die erste Stufe der Bestandsaufnahme. Auch diese ist nicht ohne Vorannahmen, was ihre Gender- und Sprachsicht sowie das Verhältnis von Gender und Sprache betrifft.2 In einem zweiten Schritt ergibt sich aus einer solchen Bestandsaufnahme die Forderung nach einer systematischen Veränderung von personalen Appellationsformen, die in der Regel durch die so genannte Feministische Linguistik fachwissenschaftlich argumentiert und dargestellt wurde. Dieser liegt eine Vorstellung von Sprachveränderung als eine politische Strategie zu Grunde und baut auf einer Vorstellung von Sprache als systematisch veränderbar auf. In der feministischen und in Folge auch feministisch-linguistischen Forderung nach Sprachveränderungen sind ebenso wie in der Stufe der Bestandsaufnahme Annahmen zur Konzeptualisierung von Sprache wie auch Gender implizit enthalten. Sie entgehen häufig einer expliziten Benennung und Behandlung und flieƢen als Präsuppositionen in die Darstellungen mit ein. In der fachöffentlichen und öffentlichen Diskussion werden die Sichtweisen und Argumentationen auf verschiedene Arten verhandelt. Anliegen des vorliegenden Kapitels ist es, die den verschiedenen
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Vgl. Hornscheidt (2006b).
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Diskursen zu Grunde liegenden Annahmen zu Sprache und Gender darzustellen und die wechselseitige Bedingtheit der Argumentationen heraus zu arbeiten. Welche Argumentationen werden von den verschiedenen Standpunkten aus vertreten? Auf welche wird wechselseitig reagiert? Welche Sprachsichten und Genderauffassungen liegen den verschiedenen Auffassungen zu Grunde? Wie wird das Verhältnis von Sprache zu sozialer Wirklichkeit gefasst? Diesen Fragen liegt auch ein Erkenntnisinteresse zu Grunde, das darauf gerichtet ist festzustellen, inwiefern sich die feministisch-linguistischen und traditionell linguistischen Argumentationen implizit oder explizit aufeinander beziehen und welche Vorstellungen zu Sprache und Gender dabei reproduziert werden. Zu fragen ist also auch, ob die Konzeptualisierung von Sprache in den Diskursen um strategische Sprachveränderungen zur Debatte steht oder ob die Bedeutung und Bestimmung von Sprache als vorgängig zur sprachlichen Verhandlung aufgefasst wird. Die Fragestellungen schließen an das konstruktivistische Modell sprachlicher Appellation im zweiten Kapitel an und werden im vorliegenden Kapitel auf eine Analyse von vor allem strategischen Sprachveränderungen angewendet. Dieses Kapitel fragt aufbauend auf der Analyse der epistemologischen Macht in Bezug auf Genderspezifizierung aus dem vorhergehenden Kapitel nach der wechselseitigen Bedingtheit von Faktoren epistemologischer und sozialer Macht in Bezug auf die öffentliche Verhandlung von strategischer Sprachveränderung. Diese wird unter dieser Perspektive als ein zentrales Feld für eine Beschäftigung mit Aspekten angesehen, die an der Schnittstelle des Verhältnisses von Sprache, Macht und Gender liegen und die Frage der Herstellung und Reproduktion symbolischer Ordnung sowie ihre Alltagsmächtigkeit zum Inhalt haben. Eine wichtige Grundlage kommunikativer Einschätzungen sind die in einer Gesellschaft vertretenen sprachideologischen Auffassungen, die zudem in der Regel dem Individuum nicht bewusst sind. „[...] we define an ideology as any constellation of fundamental or commonsensical, and often normative, beliefs and ideas related to some aspect(s) of (social) ‚reality‘. The commonsense nature of the beliefs and ideas is manifested in the fact that they are rarely questioned, within a specific group of people in a given society or community, in discourse related to the ‚reality‘ in question, often across various discourse genres. Their not being questioned means that the beliefs and ideas in question are often (though not always and not exclusively) carried along implicitly rather than to be formulated explicitly. Rhetorically constructed or supported ideological webs serve the purpose of framing, validating or legitimating attitudes and actions in the domain to which they are applicable.“ (Verschueren 1999: 238)
4.1 Einleitung
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Wurde unter dem Aspekt der epistemologischen Macht im dritten Kapitel danach gefragt, wie durch Sprache, hier speziell durch personale Appellationsformen, Realität konstruiert wurde, in welchen Bereichen Gender als eine grundlegende Konzeptualisierung menschlicher Kategorisierung lexikalisiert ist und welche Annahmen in diesen Konzeptualisierungen impliziert sind, wird unter dem Aspekt der sozialen Macht danach gefragt, wer Deutungsmacht besitzt, d.h. wer in einem bestimmten gesellschaftlichen Setting die Definitionsmacht hat, um bestimmte Gebrauchsweisen durchzusetzen. Diese beiden Aspekte von Macht werden in der Regel getrennt voneinander behandelt, was in diesem Kapitel zugleich auch in Frage gestellt werden soll, indem gezeigt wird, wie eng beide Aspekte miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig bedingen. Auf theoretischer Ebene ist dieses Kapitel ein Plädoyer für eine stärkere analytische Verknüpfung verschiedener Machtaspekte, insbesondere was die Konzeptualisierung verschiedener Dimensionen sprachlicher Handlungen betrifft. Während im dritten Kapitel die Konzeptualisierung von Genderspezifizierungen in konventionalisierten personalen Appellationspraktiken im heutigen Schwedisch behandelt wurde, wird hier nach den Verhandlungen dieser Appellationspraktiken im Rahmen eines spezifischen Diskurses gefragt, der ausgehend von einem feministischen Standpunkt eine kritische Einschätzung dieser Appellationspraktiken vornimmt und in einem weiteren Schritt Veränderungsvorschläge zu der Umgestaltung personaler Appellationspraktiken macht. Dies wird mit Hinblick auf Versuche systematischer Veränderungen der sprachlichen Kategorisierungen in Bezug auf Gender thematisiert. Während in dem vorliegenden Kapitel eine Analyse der verschiedenen diskursiven Ebenen in der Frage ihres Zusammenhangs und ihrer Wechselwirkung behandelt wird, wird dies in Kapitel 5 auf die konkreten Vorschläge für das Schwedische bezogen und die Frage in den Mittelpunkt gestellt, worauf sich die vorgeschlagenen Änderungen konkret beziehen, d.h. was mit den Veränderungen fokussiert wird und was unangetastet bleibt. Dazu werden die konkreten Änderungsvorschläge mit verschiedenen öffentlichen Diskursen zum Genderverhältnis und zur Konzeption von Gender gegen gelesen. In einem weiteren Schritt soll die Annahme der strategischen Sprachveränderung mit den Implikationen zu Sprachveränderungen, die sich aus dem konstruktivistischen Modell personaler Appellation ergeben gegen gelesen werden. Dadurch wird es möglich, die feministisch-linguistische Diskussion von einer weiteren Seite aus zu betrachten und im Hinblick auf die hinter ihnen stehenden Auffassungen zu Sprache und Gender und ihr Verhältnis zueinander kritisch zu hinterfragen.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Im Unterkapitel 4.2 wird dargestellt, wie Sprachveränderung traditionell in der Linguistik verhandelt und verstanden wird. Innerhalb einer strukturalistisch geprägten linguistischen Forschungstradition, die sich als deskriptiv versteht, spielen explizite strategische und geplante Sprachveränderungen nur eine untergeordnete Rolle. Sie werden als Versuch des Vorschreibens sprachlichen Verhaltens verworfen. Die Positionierung einer feministischen Sprachveränderungsvorstellung innerhalb der linguistischen Ansätze zu Sprachwandel, Sprachveränderung und Sprachplanung wird dabei als expliziter Bezugspunkt der Darstellung genommen. Im Unterkapitel 4.3 wird dieser Ansatz von einer kognitiv-pragmatischen Perspektive aus bewertet, indem hier vor allem danach gefragt wird, wie Sprachveränderungen aus dieser Perspektive in Bezug auf die Veränderung von Konzeptualisierungen aufgefasst werden und in welchem Verhältnis strategische Sprachveränderungen zu sozialen Veränderungen stehen. Dies ist im Kontext der vorliegenden Themenstellung insofern von Relevanz, als dass feministische Sprachveränderungen in der Regel mit der Zielvorstellung initiiert und diskutiert werden, dass Genderdiskriminierung dadurch positiv bearbeitet werden kann. Im Anschluss daran werden in Kapitel 4.4 die gängigen Argumente gegen eine feministisch initiierte strategische Sprachveränderung vorgestellt und auf der Grundlage der kritischen Sichtweise gegenüber der Konstruktion von Sprache und Gender in den sprachwissenschaftlichen Diskursen diskutiert. Leitend ist dabei die Frage, welche Konzepte zu Sprache, zum Verhältnis von Sprache und Gender und zum Verhältnis zwischen sprachlicher und sozialer Veränderung hier unterlegt sind. Ausgehend von dieser strukturierten Diskussion der öffentlichen Diskussion zu feministischen Sprachveränderungen wird die fachöffentliche feministisch-linguistische Diskussion zum Thema vorgestellt und evaluiert. Dabei werden Unterschiede innerhalb der feministischen Diskussion heraus gearbeitet, die zeitlich mit einem Bruch zu Beginn der 90er Jahre mit alten Prämissen und Vorstellungen einhergehen. Im abschließenden Unterkapitel dieses Kapitels werden die verschiedenen Diskussionen und Diskursstränge ausgehend von einer konstruktivistischen Sprach- und Wirklichkeitsauffassung zusammenfassend evaluiert und ihnen eine weitere Perspektivierung an die Seite gestellt, wenn hier gefragt wird, wie strategische Sprachveränderungen im Verhältnis zu einem Ansatz der ReSignifizierung stehen. Die zu Beginn der Einleitung aufgeworfenen Fragen nach der Definitionsmächtigkeit, den diskursiven Strategien sowie der Argumentationsmuster innerhalb der verschiedenen Diskurse werden abschließend zusammenfassend dargestellt.
4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes
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4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes zu strategischer Sprachveränderung auf der Grundlage traditioneller Sprachwandelmodelle Languages don’t change. People change language. Croft 1990: 257
Sprachplanung wird in der Linguistik als eine Form der Sprachveränderung angesehen, die als ein strategischer und beabsichtigter Sprachveränderungsprozess nur eine untergeordnete Rolle spielt, nur geringe Berücksichtigung findet und entsprechend als relativ unbedeutend gegenüber einem als natürlich angenommenen Sprachwandel eingeordnet wird. Ausgehend von der linguistischen Diskussion um Sprachveränderungen wird Sprachplanung in dieser Diskussion verortet, um ausgehend davon die feministisch-linguistische Diskussion darauf zu beziehen. Der Begriff Sprachveränderung bezeichnet in der Linguistik traditionell geplante und beabsichtigte sprachliche Veränderung, während unter Sprachwandel ungeplante, so genannte ‚natürliche‘ Sprachveränderungen verstanden werden. Da die in dieser Kategorisierung zum Ausdruck kommende Unterschiedlichkeit der Prozesse in der vorliegenden Arbeit nicht gefolgt wird, wird auch eine unterschiedliche Verwendung der Begriffe Sprachwandel und Sprachveränderung nicht realisiert. Wann und wie Sprachwandel auftritt, wird in der Linguistik unterschiedlich erklärt. Eine Differenzierung zwischen so genannten internen und externen Faktoren für Sprachwandelprozesse findet sich nahezu durchgehend in verschiedenen Variationen in der einschlägigen Literatur, doch wird auch diese Dichotomisierung aus einer konstruktivistischen Perspektive, in der Sprache nicht von ‚Welt‘ trennbar ist, verworfen. Jenseits einer generellen Annahme des Vorhandenseins interner und externer Faktoren, ist die genaue Grenzziehung zwischen ihnen innerhalb der einschlägigen linguistischen Forschung umstritten, wie es sich beispielsweise in dem Abschlussband zu dem Projekt „Prinzipien des Sprachwandels“3 eindrucksvoll und in selten expliziter Weise zeigt. Zum einen steht zur Diskussion, was den sprachinternen, was den -externen Faktoren zugerechnet wird und wo die Grenzziehung zwischen den beiden angesetzt wird. Zum anderen ist die Frage der internen Hierarchisierung zwischen den so heraus gearbeiteten Kriterien umstritten. Die linguistische Beant-
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Vgl. Unterbeck (1994).
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
wortung der Frage des Sprachwandels, seiner Definition und seiner Motivation ist eine methodologisch geleitete, die je nach Verständnis von Sprache und der Relation von Sprache und ‚Welt‘ unterschiedlich behandelt wird. Weitgehende Einigkeit besteht dahingehend, zwischen beabsichtigtem und nicht beabsichtigtem Wandel zu unterscheiden. Ob der beabsichtigte Wandel jedoch als sozial initiiert anzusehen ist und der nicht beabsichtigte grundsätzlich nur strukturell initiiert ist, bleibt jedoch ebenso umstritten. Bei geplanten und bewusst initiierten und durchgeführten Sprachveränderungen wird im folgenden von strategischen Sprachveränderungen gesprochen, ohne dass damit die Annahme einer ‚natürlichen‘ Sprachveränderung, die in der Regel auf interne Prozesse von Sprachveränderung bezogen ist, als dieser gegenübergestellt geteilt würde. Strategische Sprachveränderung wird im Kontext der vorliegenden Arbeit als eine bestimmte Form von Sprachveränderung verstanden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Versuche und Bestrebungen sprachlicher Veränderungen expliziert werden und nicht nur im Nachhinein an sprachlichen Realisierungen feststellbar sind. Strategischen Sprachveränderungen liegt in dieser Auffassung jeweils eine gewisse Reflektion und Anschauung zur Rolle und Wirkung von Sprache zu Grunde, die durch explizit formulierte Sprachveränderungsstrategien umgesetzt werden soll. Innerhalb der linguistischen Sprachwandelforschung wird ein beabsichtigter, reflektierter Sprachwandel als ein Sonderfall angesehen, der konträr zu einer allgemeineren Regel, dass sich Sprachwandel unbeabsichtigt und unreflektiert vollzieht, verläuft.4 Keller (1990) weist daraufhin, dass die Annahmen
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Vgl. Keller (1990: 96f. ), der in diesem Zusammenhang vom Phänomen der unsichtbaren Hand spricht. „Eine Invisible-hand-Erklärung erklärt ihr Explanandum, ein Phänomen der dritten Art, als die kausale Konsequenz individueller intentionaler Handlungen, die mindestens partiell ähnliche Intentionen verwirklichen.“ Keller wendet dies auch auf die Pejorisierung genderspezifizierend weiblicher personaler Appellationen im Deutschen an, weshalb seine Argumentation hier zitiert wird, zeigt sich doch wiederum die Objektivierung einer genderspezifizierenden Sichtweise: „In unserer Sprache unterliegen Ausdrücke, die dazu dienen, auf Frauen zu referieren, immer wieder der Pejorisierung. Dieses Schicksal hat das Wort „Weib“ ereilt, das Wort „Frauenzimmer“, und auch an dem Wort „Frau“ scheint es nicht vorbeizugehen. Wie kommt das? Vertreter linearen Denkens könnten latente Frauenfeindlichkeit der Gesellschaft hinter diesem Trend wittern, die die einzelnen Sprecher dazu führt, solch ein Wort mit der Zeit immer „ein bißchen pejorativer“ zu verwenden. Aber wie macht man das, ein Wort „ein bißchen pejorativer“ verwenden? [...] Die Pejorisierung der Ausdrücke „Weib“, „Frau“ u.a. wurde jedoch nicht durch die Maxime „blame her“, sondern eher durch die Maxime „praise her“ hervorgebracht. Es handelt sich abermals um ein Mandevillesches Paradox, bei dem jeder stets das Gute will und die Pejorisierung schafft. In einer Gesellschaft, die, wie die unsere, in höfischer Tradition steht, gibt es ein Galanteriegebot Frauen gegenüber. Männer helfen Frauen in den Mantel, bieten ihnen einen Stuhl an, geben ihnen Feuer und dergleichen. Teil dieses Galanterieverhaltens ist es,
4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes
279
eines kausalen und eines intentionalen Sprachwandels jeweils abhängig von der Perspektive der Betrachtung sind. „Denn wer eine sprachliche Veränderung aus der Perspektive des Sprachphänomens sieht, der nimmt sie als kausal verursachte wahr. [...] Wer hingegen eine sprachliche Veränderung aus der Perspektive der kommunizierenden Menschen betrachtet, der wird nur Finalität entdecken. Allerdings (im allgemeinen) nicht auf die Veränderung gerichtete Finalität, sondern auf den Erfolg des jeweiligen einzelnen kommunikativen Ziels gerichtete Finalität.“ (Keller 1990: 108f.)
In Bezug auf die Frage strategischer Sprachveränderungen stellt sich dieses Verhältnis anders, da die von Keller hier als Finalität bezeichnete Intention in dieser auch jenseits einzelner kommunikativer Ziele als zentral angesehen werden kann und es sich in seiner Anschauung um einen Sonderfall des intendierten Sprachwandels handelt. So wird hier in Bezug auf strategische Sprachveränderungen von einem sozial initiierten Wandel(Versuch) gesprochen, ohne dass dies bedeutet, dass jegliche Sprachveränderung bezogen auf personale Appellationsformen und Gender auf strategische Sprachveränderungsbestrebungen zurück geht.5 In diesem Kapitel wird die Perspektive auf die Form des beabsichtigten und explizierten Sprachwandelbestrebens beschränkt. Beispiele strategischer Sprachveränderungsvorschläge können auf einzelne Wörter bezogen sein,
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daß die Tendenz besteht, Frauen gegenüber oder beim Reden über Frauen Ausdrücke zu wählen, die eher einer höheren Stil- oder Sozialebene angehören als einer niedrigeren. Die Maxime heißt also nicht „blame her“, sondern salopp gesagt „greife im Zweifel bei deiner Wortwahl lieber eine Etage zu hoch als eine zu niedrig“. Das führt mit der Zeit dazu, daß immer tendenziell das „nächsthöhere“ Wort zum unmarkierten Normalausdruck wird, während das ehedem normale pejorisiert wird.“ (Keller 1990: 103f.) Eine der vielen hier anmerkenswerten Punkte ist die Normsetzung eines protoypischen männlichen Sprechers als menschliche Norm, der hier schon fast nicht mehr nur implizit als der allgemeinmenschliche, genderunspezifizierte Sprecher gesetzt wird. Das Fehlen einer differenzierteren Betrachtung in einem Fall wie diesem, bei dem die Argumentation nicht ohne Grund zudem auf genderspezifizierend weibliche Appellationsformen bezogen bleibt, da sich, wie bereits bei der Analyse des Schwedischen in Kapitel 5 zu sehen war, keine entsprechenden Pejorisierungen in nennenswertem Umfang finden, ist nicht zufällig, und die These als solche damit hinfällig, da sie einen spezifischen Fall zum Allgemeingültigen erklärt und die Notwendigkeit der Berücksichtigung unterschiedlicher Kommunikationssituationen, die Einschreibung von Machtrelationen in den Diskurs und die in der vorliegenden Arbeit speziell angesprochene Differenz in der Genderspezifizierung unberücksichtigt lässt. Vgl. auch Hornscheidt (2006b) für entsprechende empirische Analysen zum Schwedischen. Nicht immer wird intendierter und explizierter Sprachwandel mit berücksichtigt. Aitchison (2001) unterscheidet beispielsweise soziolinguistische, sprachinhärente, selbstregulierende Gründe für Sprachwandel sowie Kettenreaktionen, ohne dass in einer dieser Kategorisierungen beabsichtigter, strategischer Sprachwandel eine Rolle spielen würde. Ausgehend von der Annahme einer Natürlichkeitsvorstellung von Sprachveränderungen bleiben strategische Sprachveränderungen von vorneherein außerhalb des Erkenntnisinteresses.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
wenn beispielsweise bestimmte gesellschaftliche Gruppen eine andere und positivere Selbst- und Fremdbenennung einfordern.6 In anderen Formen strategischer Sprachveränderung geht es darum den angenommenen Einfluss anderer Sprachen zu begrenzen oder um Orthografiereformen, die häufig von Argumentationen einer Vereinfachung der Sprache oder einer umfassenderen und konsequenteren Regulierung schriftsprachlicher Regeln begleitet sind. Bei den beiden letzten Sprachveränderungsstrategien handelt es sich um die implizite Annahme, dass die Sprache als ein eigenes Gut zu schützen und zu pflegen sei und dass Regeln keine nachträglichen Erklärungsansätze zu Sprachgebrauch sind, sondern zu der Sprache gehören und auch so interpretiert werden können, dass sie der Sprache zu Grunde liegen und durch linguistische Erforschung freigelegt werden. Strategische Sprachveränderungsvorschläge sind immer auch Teil politischer Programme und Ideologien, die in ihnen zum Ausdruck kommen und die ihnen als Präsuppositionen hinsichtlich der Funktion und der Konstitution von Sprache zu Grunde liegen und sich so in ihrer angenommenen Natürlichkeit weiter verfestigen. Aus einer pragmatischen Perspektive wird aber auch darüber hinausgehend eine strikte Trennung zwischen einer strukturellen und einer sozialen Ebene fallengelassen und für linguistische Analysen in Frage gestellt. Wie in Kapitel 2 am Beispiel der Grammatikalisierung verdeutlicht wurde, können auch struktureller und sozialer Wandel selbst in einem eher als strukturalistisch zu bezeichnenden Sprachmodell in Bezug auf Sprache als ineinander greifend angesehen werden. Letztendlich führt diese Diskussion auf die Auseinandersetzung um die sprachliche Relativitätstheorie7 zurück, da in der Frage der Bestimmung von Sprachwandel und – veränderung das Verhältnis von Sprache und ‚Welt‘ sowie die Konzeptualisierung von Sprache zur Debatte steht. Die Vorstellung eines systeminitiierten Sprachwandels impliziert eine soziale Unabhängigkeit des so gleichzeitig hergestellten Systems. Auch die Kriterien, die einem so verstandenen Sprachwandel als natürliche Eigenschaften von Sprachen unterstellt werden, werden in ihrer Vorgängigkeit hier nicht geteilt und hinsichtlich ihrer Objektivierbarkeit hinterfragt. So ist das in der Regel angesetzte Argument der Ökonomie, das Sprachwandelprozessen als eine natürliche Entwicklung zu Grunde liege, eines, welches eine bestimmte Auffassung dazu, welche Funktion Sprache hat, prä-
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Dies ist zum Beispiel der Fall bei verschiedenen Formen von ethnischen und sexuellen Diskriminierungen; was nicht heißt, dass nicht auch hier umfangreichere Forderungen gestellt werden könnten. 7 Vgl. entsprechende Verweise in den Kapiteln 1 und 2.
4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes
281
supponiert. Fasold (1984) unterscheidet zwischen einem instrumentellen und einem soziolinguistischen Ansatz zur Sprachplanung. In einem instrumentellen Modell wird die Verbesserung der Effektivität der Sprache als Kommunikationsmittel fokussiert, in einem soziolinguistischen Sprachplanung als Methode soziales Leben und soziale Verhältnisse zu verbessern. Der instrumentelle oder auch funktionale Ansatz zur Sprachplanung geht dabei mit einer weit verbreiteten Ansicht zu Sprachveränderung, in der auch diese als begründet in einer Verbesserung der Effektivität einer Sprache charakterisiert wird, konform. Auch hier ist aus einer konstruktivistischen Perspektive zu fragen, woran Effektivität gemessen werden kann und ob dies eine situationsunabhängige Größe ist. Geeraerts (1999) sieht Effektivität, die er als eine Form der Ökonomie bezeichnet, in Bezug auf sprachliche Veränderung als ein der Expressivität untergeordnetes Phänomen an, womit Ökonomie eher ein Kennzeichen als ein von anderen Faktoren unabhängiger Entwicklungsprozess ist. Wird sein funktionaler Ansatz, dass Sprachveränderungen von einem Bestreben nach Expressivität gekennzeichnet sind, auf strategische Sprachveränderungen übertragen, so sind feministische Sprachveränderungen in diesem Rahmen motivierbar, wie weiter unten noch zu sehen sein wird. Aus dieser Perspektive schließen sich der instrumentelle und der soziolinguistische Ansatz der Sprachplanung nicht länger aus, sondern können als unterschiedliche Perspektiven auf identische Zielsetzungen interpretiert werden. Um diese Perspektive einnehmen zu können, muss die Annahme nach der Effektivität der Sprache als Kommunikationsmittel kritisch dahingehend befragt werden, was genau kommuniziert wird und was kommuniziert werden soll mit einer bestimmten Sprachform. Strategische Sprachveränderungen werden in der Linguistik in der Regel im Rahmen von Sprachplanung verstanden und erklärt. Die Diskussionen um geplante oder durchgeführte Sprachveränderungen sind ein Ort öffentlicher Auseinandersetzung, bei der Meinungen zu einer Notwendigkeit von Sprachplanung, um einen Verfall von Sprache (und in diesen Auffassungen häufig damit einhergehend Kultur) aufzuhalten, auf Meinungen stoßen, die die freie und ungeplante Entwicklung von Sprache propagieren. So nehmen beispielsweise viele West- und Nordeuropäer/innen Anstoß an einer als ständig zunehmend wahrgenommenen Anglisierung der eigenen Muttersprachen, die sie so gleichzeitig als verfremdet erleben und deren Überleben sie als bedroht ansehen. Die aus ihrer Sicht massive Übernahme englischer Wörter und Aussprachen in die eigene Sprache gehe einher mit einem Verfall der eigenen (sprachlichen) Kultur, einer Globalisierung von Werten, die einseitig aus dem anglo-
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
amerikanischen Raum bestimmt und beherrscht werden, und einer Dezentrierung von als ursprünglich angenommenen nationalen Identitäten.8 In dieser Sichtweise ist impliziert, dass nationale Identität durch (National!-)Sprache widergespiegelt und konstituiert ist, was seinerseits zu einem in mancher Hinsicht restriktiven Umgang mit Minoritäts- und Einwanderungssprachen führen muss. Ein potentieller Zusammenhang von Nationalsprache und nationaler Identität hat zu unterschiedlichen Zeiten ein unterschiedlich starkes Gewicht in der öffentlichen Auseinandersetzung und manifestiert sich in verschiedenen (Innen- und Außen-)Abgrenzungsbestrebungen gegenüber anderen Nationen und Sprachen. Momentan kann der Versuch einer Abgrenzung von dem Englischen in Schweden bei einer gleichzeitigen Anerkennung des Englischen als Weltsprache als besonders ausgeprägt angesehen werden. Letzteres impliziert die gesellschaftlich relativ breit konsensfähige Annahme der Notwendigkeit einer Beherrschung der englischen Sprache durch die Bevölkerung. Sprachpflegerische Bemühungen zielen momentan zum einen auf einen Erhalt des Schwedischen mit einer bewussten Abgrenzung vom Englischen, aber gleichzeitig in einer Propagierung der Notwendigkeit eines allgemeinen Verständnisses des Englischen. Mit dieser doppelten Strategie wird zum einen die auf diese Weise auch homogenisierte nationale Identität, die in neueren Diskussionen eng an die schwedische Sprache gekoppelt ist, als wichtig erachtet und manifestiert, zum anderen aber eine Internationalisierung antizipiert, der ebenfalls Rechnung getragen werden soll.9 Sprachliche ‚Feinde‘ früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte, insbesondere das Dänische und das Deutsche, treten demgegenüber heute in der öffentlichen Aufmerksamkeit in den Hintergrund. Vielmehr wird eine gewisse Emphase auf die Möglichkeit einer interskandinavischen Kommunikationsfähigkeit gelegt, wodurch sich jenseits der nationalen Identität eine zweite Klammer einer nordischen Identität auch in der momentanen Sprachpolitik zumindest von offizieller Seite beobachten lässt.10
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Hierzu gibt es mittlerweile eine Vielzahl von sprachwissenschaftlichen und sprachpflegerischen Publikationen für Skandinavien (zum Schwedischen, siehe vor allem Josephson 2004 und 2005), von denen die neueren im Rahmen eines durch den Nordischen Ministerrat finanzierten fünfjährigen Projekts gewonnen worden sind. Vgl. beispielsweise Sandøy und Ostman (2004). Vgl. vor allem Josesphson (2004) hierzu, wo eine differenzierte Diskussion angeregt wird. Vgl. den Sprachpflegebericht Mål i mun (2002), der im Auftrag der schwedischen Regierung erstellt worden ist und der zu einem Sprachgesetz führen soll, in der die schwedische Sprache zur gesetzlichen Nationalsprache erhoben wird. Die Relevanz, die dem Verhältnis von Sprache und Gender hier gegeben wird, wird im nächsten Kapitel Thema sein. Inwiefern die Annahme und das Ideal einer interskandinavischen Kommunikation Teil einer politi-
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Gängige Instrumente und zugleich Inhalte von Sprachplanung sind die Einführung von Schriftsystemen für einzelne Sprachen, Rechtschreibereformen und Stilhandbücher sowie die Auswahl einer bestimmten Sprache, Sprachvarietät oder eines bestimmten Dialekts innerhalb einer Nation als allgemein verbindliche, normierte Standard- und Staatssprache, ein Prozess, der momentan in Schweden im Rahmen einer öffentlichen Sprachpflegediskussion auf der Grundlage des staatlichen Sprachpflegeberichts Mål i mun (2002) intensiviert ist und auch in einer medialen Aufmerksamkeit dem Thema Sprachpflege gegenüber seinen Niederschlag findet.11 Sprachplanung muss jedoch nicht von offizieller oder institutioneller Seite begonnen werden und nicht den Wirkungsumfang wie die zuvor genannten Beispiele haben. Häufig ist Sprachplanung von Gruppen von in irgendeiner Form ‚Betroffenen‘ initiiert, die ausgehend von einem spezifischen Problem, welches sich auch in Sprache manifestiert, die Initiative zu einer Sprachveränderung ergreifen. Es werden in der Regel vier Schritte bzw. Phasen der Sprachplanung unterschieden:12 ein Stadium der Tatsachenbestimmung, eine Planungsphase, eine Phase der Implementierung und eine der Evaluation und des Feedbacks. Auf der ersten Stufe geht es um eine Analyse der unter einer bestimmten Fragestellung als problematisch angesehenen Sprache. Dabei ist dieser Phase die Klärung dessen, was innerhalb einer Gesellschaft von einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe als problematisch angesehen wird, vorangestellt. Die Analyse, die in ihrer idealen Realisierung nicht nur sprachliche Details umfassen soll, sondern auch soziale und politische Faktoren, soll in der theoretischen Vorstellung eines Sprachplanungsmodells der betroffenen Sprachgemeinschaft in geeigneter Art zur Kenntnis gegeben werden, wobei die Frage der geeigneten Kommunikationsform zu klären ist. In der zweiten Stufe,
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schen offiziellen Ideologie ist, wäre ausführlicher zu untersuchen. In den verschiedensten Medien beispielsweise zeigen sich zahlreiche gegenläufige Tendenzen zu der Annahme einer funktionierenden interskandinavischen Kommunikation, die aber von politischer Seite weiterhin ungebrochen oder sogar verstärkt propagiert wird. Dies reicht von der Veröffentlichung populärwissenschaftlicher Sprachpflegebücher (Lindström 2001 und 2002), über zahlreiche sprachpflegerische Kommentare in diversen Tageszeitungen, einer Sprachpflegesendung im staatlichen Fernsehen zur besten Abendsendezeit bis zur Propagierung von Sprachpflege auf Milchverpackungen im Sommer 2003. Sowohl Dänemark als auch Norwegen haben auf der Grundlage von Mål i mun eigene Sprachpflegeberichte angefertigt. Eine stark verkürzte Version der in Mål i mun gestellten Forderungen ist im Herbst 2005 vom schwedischen Parlament verabschiedet worden und hat u.a. zur Etablierung einer staatlichen Stelle für Sprachpflege geführt, in der u.a. Svenska språknämnden aufgehen wird. Vgl. Pauwels (1998).
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
der Planungsstufe, sollen Entscheidungen über geeignete Handlungen und Aktionen getroffen werden, wozu zunächst entschieden werden muss, ob Veränderungen gemacht werden sollen oder nicht. Wenn sich für Sprachveränderungsstrategien entschieden wurde, müssen diese ausgewählt werden. Dazu gehören Entscheidungen darüber, welche Sprachformen wie umgeformt werden sollen. Es muss darüber hinaus eine Prognose über den erwarteten Erfolg der Sprachveränderung abgegeben werden. In der dritten Stufe der Implementierung werden Methoden ausgewählt, die in dieser Stufe die Sprachreform effektiv umsetzen sollen. In der vierten und letzten Stufe geht es um eine Überprüfung der eigenen Strategien und eine Evaluation des Erreichens der zuvor formulierten Ziele. Wie in Kapitel 1 diskutiert, geht ein pragmatischer Ansatz über einen strukturalistischen hinaus, als dass die Vorgängigkeit eines Sprachsystems hier in Frage gestellt und durch die Annahme der starken Konventionalisierung eines bestimmten Sprachgebrauchs ersetzt wird, der in Folge bei den Sprachbenutzenden einen systemhaften Status zugesprochen bekommt und sich so ständig reproduziert. Bezogen auf strategische Sprachveränderungen wird in Folge dessen die Vorstellung der Möglichkeit sprachsystematischer Veränderungen in Frage gestellt, sofern mit diesen der Status des Sprachsystems unhinterfragt bleibt. In einem pragmatischen Ansatz wird sowohl die Vorstellung eines Sprachsystems wie auch die einer strategischen systematischen Veränderung als eine versuchte Veränderung einer autorisierten stark normierten Form des Sprachgebrauchs interpretiert. Sprache ist so verstanden eine institutionalisierte, symbolische Form zum Ausdruck von Erfahrungen. In einem Verständnis von Sprache als Institution werden die sozialen Bedingungen ihrer Entstehung und Aushandlung von den Interagierenden nicht mehr wahrgenommen, sondern als gegebene, zumeist neutrale Form, angenommen bzw. unreflektiert hingenommen. Dies geschieht durch den Prozess der Internalisierung sozialer Bedeutungen, die damit zunächst und vordergründig bzw. ohne einen sprachreflexiven Umgang unhinterfragbar werden. „[...] the individual is socially constructed in terms of the embodiment of social meaning. More specifically, not only the social domain of experience, but also cognition and morality are understood within culturally defined norms. […] Apparently, what guarantees the internalisation and reproduction of what is social and collective is the embodiment of social meaning.“ (Marmaridou 2000: 58f.)
Dem in der vorliegenden Arbeit im Hinblick auf Sprachveränderung vertretenen Ansatz liegt die Sichtweise zu Grunde, dass Sprache eine symbo-
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lische Ordnung darstellt.13 Sprachveränderung selbst wird in diesem Modell zum sozialen Wandel und nicht lediglich sein Ausdruck, Widerspiegelung oder Instrument: Sprachveränderung ist sozialer Wandel. Strategische Sprachveränderungen können auf dieser Grundlage als diskursive Momente der Aushandlung bestimmter Vorstellungen zu Sprache und Gender und des Kampfes um bestimmte Diskurspositionen und Autoritäten interpretiert werden. Sprachlicher Wandel ist an den Punkten möglich, an denen potentiell verschiedene Realitätsbenennungen unterschieden werden können, wodurch die soziale Rolle des Individuums zur Debatte steht. „In this context, a precondition of social change is the tentative character of social reality, values and institutions, and the possibility of language change to construct and express the embodiment of emerging social meaning.“ (Marmaridou 2000: 60) Während, wie oben dargestellt, in einer traditionellen linguistischen Sichtweise von einer Notwendigkeit der Veränderung von sprachlichen Benennungen für eine bessere Anpassung an die reale oder an eine ideale Welt ausgegangen wurde, wird hier die Relativität von Wirklichkeit betont, aus der heraus verschiedene sprachlich manifestierte Konzeptualisierungen zugleich auch miteinander in Konflikt stehende Auffassungen zur sozialen Wirklichkeit zum Ausdruck bringen. Aus einer konstruktivistischen Perspektive ist Sprachgebrauch die kontinuierliche Manipulation symbolischer Formen, was seinerseits Auswirkungen auf die Struktur der physischen und sozialen Erfahrungen haben kann bzw. hat. Durch die Aufgabe der Annahme einer Referenzmöglichkeit und eines Originals, auf das sich bezogen werden kann und die stattdessen formulierte Annahme von Appellation als Prozesse kontinuierlicher und dynamischer ReSignifikation ist Sprachwandel ein grundlegendes Moment von Sprachgebrauch. Ein sprachlicher und in dieser Vorstellung sozialer Wandel kann dabei durch eine kontinuierliche Iteration zu einer sprachlich-strukturellen Änderung werden, die durch eine starke Tradierung und Konventionalisierung zusammen mit einer Normierung im Alltagsverständnis als systemhaft und sprachgebrauchsunabhängig aufgefasst werden kann. Mit der starken Konventionalisierung wird zugleich die kognitive Struktur der Wahrnehmung und somit die Konzeptualisierung einer solchermaßen konstruierten Realität verändert. Ein sprachliche
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Vgl. Frank (1992: 12), die den von Marmaridou an dieser Stelle explizierten Punkt in Bezug auf Genderwahrnehmung in Gesprächen thematisiert hat: „Mit der Internalisierung semantischer Normen können Denk- und Wahrnehmungsmuster übernommen werden, die der Stabilisierung des gesellschaftlichen status quo dienen; insofern können bestimmte semantische Normen Subjekte struktureller Gewalt sein.“ (Frank 1992: 114)
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Normierungen in der ständigen Wiederholung reproduzierender Sprachgebrauch verfestigt Konzeptualisierungen. „[...] conceptualizations of experience are framed by language specific lexicalizations and grammatical constructions. [...] the repeated use of particular lexicalizations and grammatical constructions triggers conceptualizations of experience during interaction, thereby creating fairly stable routines of neural co-activation. In this way such conceptualizations of experience become neurally entrenched and are maintained and reproduced.“ (Marmaridou 2000: 62)
Sprachveränderung bedeutet in diesem Sinne die Veränderung der Struktur der Erfahrungen der Kommunizierenden als bedeutungsvolle Konzeptualisierungen von Realität. Entsprechend dem hier vertretenen Ansatz gibt es keine, aus einem normierten Sprachregelverständnis heraus möglichen, ungrammatischen Äußerungen, sondern nur eine Infragestellung von konventionalisierten und als unhinterfragbar angesehenen, verfestigten konzeptuellen Strukturen durch aktive und strategische Sprachveränderungen. Strategische Sprachveränderungen sind in einem konstruktivistischen Modell ein bewusster und gesteuerter Versuch die Struktur sozialer Erfahrungen zu beeinflussen und als Konsequenz daraus Konzeptualisierungen zu verändern. Es wird nicht länger von einer Anpassungsrichtung von Sprache zu Welt oder einer sich gegenseitig bedingenden Anpassung in dem Sinne, dass auch durch Sprache Welt geändert werden könnte, ausgegangen, sondern stattdessen wird die diskursive Bezugsebene als die einzig mögliche angenommen, an der sich gesellschaftliche Konzeptualisierungen ablesen lassen, die zugleich die Ebene des Weltbezugs von Sprache ersetzen. Strategische, sprachreflexive Sprachveränderung sind entsprechend eine Form sozialer Veränderung und in einer konstruktivistischen Analyse ein zentrales Element sozialen Wandels. In ihr werden bestimmte Auffassungen dazu, welche Konzeptualisierungen geändert werden sollen, deutlich. Die Durchführung systematischer Sprachveränderung in einer bestimmten sozialen Gruppe kann als eine politische Strategie verstanden werden, um Wahrnehmungen in ebendieser Gruppe bewusst zu machen und potentiell zu verändern. Auf diesem kognitiv-linguistischen Hintergrund wird erklärbar, warum strategische feministische Sprachveränderungsvorschläge häufig auf massiven öffentlichen Widerstand stoßen: Es handelt sich bei so verstandenen strategischen, sprachreflexiven Sprachveränderungen zugleich auch immer um eine Infragestellung konzeptueller sozialer Kategorisierungen, die bis dahin potentiell als natürlich und unverbrüchlich angesehen wurden und deren Infragestellung eine grund-
4.2 Entwicklung eines konstruktivistischen Ansatzes
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legende Verunsicherung hinsichtlich als ‚normal‘ und vorgängig erlebter Kategorisierungen und Identifikationen hervorrufen kann. Ein wichtiger Unterschied zu großen Teilen der feministischen Diskussion um strategische Sprachveränderungen wie zu traditionellen linguistischen Auffassung zu Sprachveränderung ist es innerhalb kognitivpragmatischer Ansätze, dass nicht von einer außersprachlichen, objektivierbaren Wirklichkeit ausgegangen wird, die durch sprachliche systematische Veränderungen selbst verändert werden kann oder deren Veränderungen zusätzlich noch in Sprache widergespiegelt werden sollen, sondern Wirklichkeit als konzeptuelles Konstrukt kognitiver Erfahrungsleistung angesehen wird, die über sprachlich realisierte Kategorisierungen durch Lexikalisierungen und Grammatikalisierungen beispielsweise untersucht werden kann. Strategische Sprachveränderungen, wie sie von feministischlinguistischer Seite in Bezug auf personale Appellation vorgeschlagen worden sind, wird aus dieser kognitiv-pragmatischen Perspektive dementsprechend auf der Ebene der sozialen Erfahrungen des Individuums verortet. Eine strategische Sprachveränderung kann dann als integriert in den konventionalisierten Sprachgebrauch einer Gesellschaft angesehen werden, wenn sie lexikalisiert und grammatikalisiert worden ist und damit nicht mehr als eine gruppenspezifische Gebrauchsweise aufgefasst wird. Im Anschluss an die Idee der emergent grammar von Hopper (1987) wird Sprachveränderung als ein kontinuierlicher Prozess aufgefasst. In strategischen Sprachveränderungen soll dieser Prozess dadurch beeinflusst werden, dass eine bestimmte Konventionalisierung und Automatisierung kommunikativer Strategien und Verhaltensweisen forciert wird. Als eine Zielvorstellung feministischer Sprachveränderungsvorschläge kann die Lexikalisierung und Grammatikalisierung von bestimmten Formen personaler Appellation gelten, die zu einer veränderten Konventionalisierung von Appellationspraktiken in Bezug auf Genderspezifizierungen und -vorstellungen führen soll. Bourdieus (1991) Ansatz zur Notwendigkeit einer auf soziale Macht fokussierten Sprachanalyse bietet konkrete Anknüpfungspunkte an eine Analyse der strategischen Veränderung personaler Appellation. „Specifically political action is possible because agents, who are part of the social world, have a (more or less adequate) knowledge of this world and because one can act on the social world by acting on their knowledge of this world. This action aims to produce and impose representations (mental, verbal, visual or theatrical) of the social world which may be capable of acting on this world by acting on agents’ representation of it. Or, more precisely, it aims to make or unmake groups – and, by the same token, the collective actions they can undertake to transform the social world in accordance with their interests – by producing, re-
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
producing or destroying the representations that make groups visible for themselves and for others.“ (Bourdieu 1991: 127)
Auch wenn Bourdieu (1991) hier den Begriff der Repräsentation benutzt, wird deutlich, dass es ihm um die Fokussierung der sprachlichen Konstitution von Identitäten geht. Strategische Sprachveränderungen werden nicht länger als ein Mittel der sprachlichen Anpassung an außersprachliche Verhältnisse verstanden, die durch die angestrebte sprachliche Veränderung einen höheren Adäquatheitsstatus hinsichtlich ihrer Repräsentativität bekommen sollen, sondern als ein machtvolles, soziales Mittel der Herstellung und Infragestellung sozialer Identitäten und Fremdkategorisierungen von Personen. Im folgenden Unterkapitel wird untersucht, inwiefern ein konstruktivistischer Ansatz zu Sprachveränderung mit feministischen strategischen Sprachveränderungsbestrebungen konform geht.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen [Language] matters so much precisely because so little matter is attached to it; meanings are not given but must be produced and reproduced, negotiated in situated contexts of communication. McConnell-Ginet 1998 [1989]: 49 What happens in linguistic practices reflects or mirrors what happens in social orders conceived as external to discourse itself. Butler 1997a: 157
4.3.1 Ansätze und Vorannahmen zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Ausgehend von einer traditionellen linguistischen Klassifizierung von Sprachveränderung ist die durch die Feministische Linguistik vorgeschlagene Sprachveränderung eine Form des geplanten, strategischen und beabsichtigen Sprachwandels und kann unter Sprachplanungsbemühungen subsumiert werden, auch wenn dies von der traditionellen Linguistik lange Zeit ignoriert worden ist.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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„In fact, „mainstream“ literature on language planning either ignored or denied the existence of feminist language planning until Cooper’s (1989) work on language planning and social change which includes the American non-sexist language campaign as one of its case-studies.“ (Pauwels 2003: 552)
In diesem Unterkapitel wird die Konzeptualisierung von strategischer Sprachveränderung feministisch-linguistischer Ansätze auf dem Hintergrund der Diskussion des vorangegangenen Unterkapitels untersucht. Dabei wird gefragt, welche Sprachsicht den verschiedenen Theorien und Ansätzen zu Grunde liegt, welche Vorstellungen von und zu Gender und was als Ziele entsprechender Sprachveränderungen formuliert werden. Dabei wird besonders die Diskussion in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts fokussiert und untersucht, inwiefern pragmatische Konzepte hier in die Diskussionen Eingang gefunden haben. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang auch nach der Konzeptualisierung von Gender, Subjektivität und Handlungsfähigkeit. Es wird zu sehen sein, dass diese Diskussion stark von der englischsprachigen, vor allem U.S.amerikanischen Forschung, geprägt ist. Insofern werden die Ausführungen dieses Unterkapitels nicht speziell auf die schwedische Situation bezogen, sondern übergreifende Tendenzen herausgearbeitet.14 Die vier von Fasold (1984) vorgeschlagenen und im vorangegangenen Unterkapitel dargestellten Stufen sind auch auf feministische Sprachveränderungsstrategien anwendbar. Bezogen auf die durch die Feministische Linguistik in vielen europäischen Ländern initiierte Sprachkritik zur Asymmetrie personaler Appellationsformen mit Bezug auf Gender herrscht innerhalb der entsprechenden Forschungsgemeinschaft nach Pauwels (1998) weitgehende Einigkeit, dass die erste Stufe der Status-QuoAufnahme erfolgreich abgeschlossen wurde, was im Kontext der vorliegenden Arbeit vor allem für in Westeuropa gesprochene Nationalsprachen bestätigt werden kann. Die erste Stufe der Analyse des sprachlichen Status Quo, welcher als veränderungswürdig interpretiert wird, ist insbesondere in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durch entsprechende linguistische Analysen untersucht worden.15 Pauwels (1998: 16) fasst das Ziel der feministischen Sprachkritik für diese Stufe zusammen: „A first major stage in the planning process is to
____________ 14 15
Für die spezifische Diskussion zum Schwedischen, vgl. vor allem das nachfolgende Kapitel. Sprachen außerhalb Westeuropas und der U.S.A. werden sukzessive immer noch untersucht. Durch die Bände von Hellinger und Bußmann (2002) sind zum Beispiel diesbezügliche Lücken in Bezug auf Osteuropa und Asien geschlossen worden. Für afrikanische Sprachen finden sich bisher nur sehr vereinzelt entsprechende Untersuchungen.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
identify, document and describe the problematic language issue. This forms the fact-finding stage.“ Diese Analyse bezieht sich auf die Annahme, dass eine feministisch motivierte Sprachkritik es sich zum Ziel setzt, eine gegenderte sprachliche Gleichbehandlung zu erreichen, die sich in der Frage der personalen Appellation besonders auf eine symmetrische und gleichberechtigte sprachliche Nennung bezieht. Eine grundlegende Fragestellung, die die gesamte einschlägige Debatte durchzieht, ist die Frage, ob für das Ziel der gegenderten Gleichstellung eine sprachliche Genderspezifizierung oder -neutralisierung zu favorisieren sei. Diese Frage wird vor allem in Abhängigkeit von den in diesen Diskussionen so genannten und angenommenen Sprachsystemen verhandelt, insbesondere bezogen auf die Frage, ob eine Sprache Genusdifferenzierungen besitzt oder nicht. Die Frage des ontologischen Status der Kategorie Gender bleibt hierbei jeweils unangetastet. Für das Schwedische können für diese Analysestufe insbesondere die Arbeiten von Himanen (1990), Siivonen (1994) sowie Hornscheidt (2003) angeführt werden. Selbst, wenn man das von Pauwels (1998 und 2003) von Fasold (1984) soziolinguistische Stufenmodell unkritisch übernimmt, kann auch jenseits der Feststellung von Forschungslücken in Bezug auf bisher nicht entsprechende analysierte Sprachen seine erste Stufe mit diesen Forschungen aber dennoch nicht als abgeschlossen angesehen werden. Aus einer konstruktivistischen Perspektive kann nicht von einer Unveränderbarkeit oder zeitlichen Loslösbarkeit eines Sprachsystems ausgegangen werden, sondern ist die zeitbedingte Wahrnehmung sprachlicher Prozesse von Bedeutung. Damit unterliegt auch die einschlägige Forschung kontinuierlich zeitlichen Veränderungen, so dass die einzelnen Studien immer nur Momentaufnahmen sein können und damit ein Abschluss dieser ersten Phase der Bestandsaufnahme immer nur zeitgebunden postuliert werden kann. Zum anderen beziehen sich die jeweiligen Studien in der Regel auf Ausschnitte der Hoch- und Standardsprache und fokussieren insbesondere schriftsprachliche Dokumente, so dass auch in dieser Hinsicht für sie noch viele Lücken postuliert werden können. Darüber hinaus bleibt die Frage offen, was Pauwels (1998) mit der Frage nach dem fact finding genau meint. Die Art der Problembenennung impliziert die Möglichkeit, eindeutige und faktische Ergebnisse zu erlangen, womit die Zielsetzungen, unter denen diese Ergebnisse formulierbar sind, außerhalb der Betrachtung positioniert werden können. Aus einer konstruktivistischen Perspektive, in der die Statik und Losgelöstheit von Gender in Frage gestellt wird, muss – selbst in diesem Ansatz verbleibend – immer wieder neu gefragt werden, was
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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genau an Sprache zu kritisieren sei bzw. was als problematisch aufzufassen ist. Bei Sprachveränderungsstrategien, die Aspekte der personalen Appellation fokussieren, geht es in verschiedenen Formen immer auch um die Frage der Selbst- und Fremdidentifikation von und durch Sprache durch die Sprache Benutzenden. Sprache wird hier als ein wichtiges Mittel der Sichtbarkeit einer bestimmten Anschauung, die sprachlich verändert und sprachlich zum Ausdruck gebracht werden soll, verstanden. Feministische Sprachveränderungen sind in der Regel in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in westeuropäischen und U.S.amerikanischen Kontexten an soziale Bewegungen gebunden und von diesen initiiert worden. Die anvisierte strategische Sprachveränderung wird zunächst von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit spezifischen Formen von Diskriminierung politisch auseinander setzen, durch eine Kritik an Sprachpraktiken vorbereitet und ist im Laufe dieses Prozesses von Linguist/inn/en aufgenommen worden, die diese Kritik systematisieren und daraus Forderungen nach Sprachveränderungen ableiten. In Bezug auf die Kritik am gesellschaftlichen Sexismus hat dies zu einer spezifischen Ausformung linguistischer Forschung geführt, die sich im deutschsprachigen Raum Feministische Linguistik nennt bzw. so genannt wird und deren Anliegen es ist sprachsystematische Aspekte der gegenderten Diskriminierung offen zu legen. Die durch die Feministische Linguistik in Bezug auf personale Appellation verfolgte Themenstellung impliziert zugleich in gewisser Beziehung eine Abkehr von Prämissen strukturalistischer Linguistik. ‚Traditionelle‘ feministische Sprachveränderungsstrategien sind der Idee der Sprachveränderung verpflichtet, indem sie systematische Änderungen sprachlicher Appellation vorschlagen und forcieren. Sie bedienen implizit die Idee des hinter dem Sprechen liegenden Sprachsystems, welches systematisch kritisiert und verändert werden kann. Feministische Sprachveränderungsvorschläge in Bezug auf Genderspezifizierung personaler Appellationsformen zeichnen sich durch einen relativ hohen Grad an Dekontextualisierung aus: die Relevanz der propagierten sprachsystematischen Veränderungen werden in der Regel als unabhängig von Äußerungskontexten als generelle Änderungsvorstellungen und –wünsche betrachtet. Der hier unterlegte Radius des Sprachgebrauchs in der Analyse der Genderdiskriminierung variiert in den einschlägigen Studien sprachübergreifend und häufig implizit zwischen den potentiell möglichen und als sexistisch klassifizierten Formen bis hin zu den als am meisten sexistisch eingeschätzten sprachlichen Formen ohne Bezug auf die Häufigkeit ihres Gebrauchs.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Ausgehend von der Annahme, dass das ‚System‘ der sprachlichen personalen Appellation in Bezug auf Genderspezifizierung symbolische Ordnungsmacht besitzt, wird diese Systematik in entsprechenden Vorschlägen zur Sprachveränderung herausgefordert, was in Fasolds (1984) und Pauwels (1998) Modell der zweiten Stufe einer Sprachplanung entspricht. Die symbolische Ordnungsmacht wird in diesem Moment als diskursiv hergestellt und veränderbar wahrgenommen. Während der erste Schritt der Analyse des Status Quo in der Regel keine Beachtung außerhalb der fachlichen Öffentlichkeit findet, ist mit dem Schritt der Diskussion von Strategien zur Sprachveränderung in der Regel auch eine größere Aufmerksamkeit der und Hinwendung zur Öffentlichkeit verbunden. An dem Punkt einer breiteren Öffentlichkeit der Debatte bezogen auf die potentielle Diskriminierung durch personale Appellation kommt es über Sprachen und Gesellschaften im westlichen Kulturkreis hinweg zu sich wiederholenden Argumentationen. Die Frage der geeigneten Kenntnisnahme einer Sprachkritik ist in dem Stufenmodell der Sprachplanung sehr allgemein gehalten und kann in der Frage der feministischen Sprachkritik nicht befriedigend beantwortet werden. Da die von der Feministischen Linguistik anvisierten Änderungen nicht eine kleinere soziale Gruppe betreffen und zudem ein umfangreiches Sprachmaterial – die personalen Appellationsformen in einem weiten Sinne, zu denen hier auch sekundäre Formen der Äußerungen über Personen gerechnet werden16, sowie Sprichwörter und feststehende Redewendungen gehören, könnte eine geeignete und zugleich ideale Form der Information der Betroffenen in diesem Fall nur eine Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung für die Problemstellung sein, was per se ausgeschlossen und unerreichbar ist.17 Auch aus dieser Perspektive kann man bis heute nicht von dem erfolgreichen Abschluss der ersten Stufe der Sprachplanung in diesem Modell sprechen.
____________ 16 17
Ausdrücke wie zum Beispiel författerskap ‚Verfasserschaft‘, damfotboll ‚DamenfuƢball‘, herrkläder ‚Herrenkleider‘. Pauwels (1998) merkt dazu an, dass die Änderungen zwar eigentlich gesamtgesellschaftlich relevant sind, viele Veränderungsstrategien, insbesondere die Veröffentlichung von so genannten style manuals im anglo-amerikanischen Raum sich aber von vorne herein auf eine kleinere, spezifische Zielgruppe beziehen. Im Rahmen der vorliegenden Studie ist die Beobachtung gemacht worden, dass mit entsprechenden Sprachveränderungsstrategien in der Regel im akademischen Milieu begonnen wird, häufig gefolgt von Verlagen und Publikationshäusern sowie Bemühungen im jeweiligen Bildungssystem. Es besteht also auch bei der Frage der Sprachveränderungsstrategien eine gewisse Fokussierung auf schriftsprachliche Diskurse.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
293
An dieser Stelle kann auch eine weitere Abweichung von Fasolds Stufenmodell mit Hinblick auf feministische Sprachveränderungsvorschläge beobachtet werden: Die Phase der durchgängigen Implementierung ist bis auf die Ausnahme einer Einführung von Sprachveränderungsvorschlägen in bestimmten Diskursfeldern im U.S.amerikanischen Kontext weitgehend ausgelassen worden, so dass die Phase der Evaluation und des Feed-Backs in Bezug auf strategische feministische Sprachveränderungen begonnen wurde, bevor eine Implementierung stattgefunden hat. Diese Abweichung von Fasolds Modell kann mit einer Berücksichtigung sozialer Machtrelationen erklärt werden. Labov (1972) stellt in seiner Diskussion von Sprachveränderungen unter der Frage ihrer Realisierung fest, dass der Umfang der Verbreitung einer sprachlichen Innovation abhängig von dem Status der sozialen Gruppe ist, die diese forciert. „If the group in which the change originated was not the highest-status group in the speech community, members of the highest-status group eventually stigmatized the changed form through their control of various institutions of the communication network.“ (Labov 1972: 179) Als beeinflussende Faktoren für Sprachwandel sieht Schräpel (1985) Prestige, Macht, Gruppennormen und Widerstand an. Prestige umschreibt sie indirekt als die ‚positive‘ Assoziation, die ein Begriff haben muss, um innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe benutzt zu werden. Sprachwandel bezieht sich bei Schräpel (1985) zunächst auf die Verwendung von Begriffen in bestimmten Gebrauchsweisen innerhalb einzelner Gruppen, die bestimmte gruppeninhärente Normsetzungen aufweist, die nicht in Einklang mit den Normen größerer sozialer Gruppen oder gesellschaftlicher hegemonialer Bewertungen stehen müssen. Innerhalb sozialer Gruppen kann ein bestimmter Konformitätsdruck dazu führen, dass sich ein bestimmter Sprachgebrauch durchsetzt. Schräpel (1985: 217) erklärt so, „[...] daß sich sprachliche Veränderungen in einer ersten Phase der Verbreitung in beschreibbaren Gruppen durchsetzen, ehe diese Veränderungen von Nicht-Mitgliedern übernommen werden.“ Sprachliche Innovationen sind, sofern es sich um mündliche Kommunikation handelt, immer in sozialen Zusammenhängen, die diese legitimieren oder stigmatisieren und so für ihre Ablehnung oder Akzeptanz sorgen, situiert. Bei entsprechenden Sprachveränderungsprozessen auf der Ebene sozialer Gruppen handelt es sich um ein Phänomen sozialer und kommunikativer Aushandlung bestimmter Normen. Größere soziale Gruppierungen werden in Schräpels (1985) Modell erst wichtig, wenn der Sprachwandelprozess für größere gesellschaftliche Zusammen-
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
hänge betrachtet werden soll, da hier der Faktor Macht mit ins Spiel kommt. „[...] es [ist] einem Individuum oder einer Gruppe möglich, den gewünschten Wandel bei anderen – auch gegen ihren Willen – durchzusetzen. Diese Macht kann u.a. ökonomischer, politischer oder auch religiöser Natur sein. [...] Wichtig ist im Zusammenhang mit dem Faktor „Macht“ die Feststellung, daß auch der jetzige status quo Produkt historischer Machtverhältnisse ist – auch was Sprache angeht.“ (Schräpel 1985: 216 [Hervorhebung im Original])
Aus dem ersten Teil des Zitats ist die Ansicht herauslesbar, dass Macht zu einem bewussten Umgang mit Sprache in Bezug auf strategischen Sprachwandel führen kann, während im zweiten Teil anklingt, dass es keinen machtlosen neutralen Zustand des Sprachgebrauchs gibt, sondern auch ein Sprachgebrauch, der nicht als normiert erlebt wird, durch Machtverhältnisse geprägt ist. Diese Ansicht kann ausgehend von dem im zweiten Kapitel entwickelten Modell personaler Appellation so weiter gedacht werden, dass gerade die fehlende Wahrnehmung eines bestimmten Sprachgebrauchs und bestimmter Sprachnormen als Normierung die Mächtigkeit bestimmter Normvorstellungen bestätigt, die so stark sind, dass sie gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Mills (1995) formuliert als Zielstellung für eine strategische Sprachveränderung die Etablierung einer genderfreien Sprache und bringt die Notwendigkeit zum Ausdruck, einzelne Wörter kontextualisiert zu betrachten. Sie betont die Rolle von von ihr so genannten gatekeepers, womit sie vor allem Lexika und Wörterbücher meint, in der Frage danach, welche Bedeutungen konventionalisiert werden. „Because [...] it is human beings (nowadays with the aid of computers) who compile dictionaries, it is evident that the words which are assembled in dictionaries are likely to reflect the prejudices and preferences of lexicographers who compose them, or the prejudices of the range of texts which constitutes the database. Lexicographers have been, in the main, white, male, middle-aged and middleclass. This bias is reflected not only in the words which are included in dictionaries, but in whether a form is marked or unmarked. The meanings which are associated with the language-use of the elite are usually the unmarked form and those which are not associated with this usage are marked as deviant.“ (Mills 1995: 124)
Mit der Benennung der Rolle und Funktion von Wörterbüchern und Lexika deutet Mills zugleich eine wichtige gesellschaftliche Instanz für die Frage danach, wo strategische Sprachveränderungen zu positionieren sind, an. Strategische Sprachveränderungen werden formuliert und entstehen auch in Abhängigkeit von gesellschaftlich ausgehandelten Strukturen von Definitionsmacht und Legitimationsansprüchen, deren Autorität so wenig
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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und selten in Frage gestellt wird, dass sich ihre Machtposition zugleich auch immer wieder festigt. Eine Argumentation, die Sprache als neutral oder ‚egal‘ charakterisiert, ist entsprechend als Ausdruck einer verinnerlichten gesellschaftlichen Norm lesbar. Ausgehend von dieser Beobachtung ist es möglich zu erklären, warum die Phase der Implementierung von feministischen Sprachveränderungsvorschlägen in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts häufig ausgelassen worden ist. Wie bereits erwähnt, gibt es hier einen Unterschied zwischen der U.S.amerikanischen im Vergleich zu der europäischen Entwicklung. So finden sich gerade an Hochschulen und bei Verlagen in den U.S.A. seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts Handbücher und Style manuals, in denen nicht-sexistischer Sprachgebrauch ein zentraler Platz eingeräumt wird. Eine entsprechende, über verschiedene Diskursarten hinweg verbreitete Implementierung feministischer Sprachveränderungsvorschläge ist im europäischen Raum mit Ausnahme des Englischen in Großbritannien nicht in vergleichbarem Umfang vorhanden. Wo sie vorhanden ist, handelt es sich entweder um lediglich allgemeinere Verlautbarungen, wie in Bezug auf das Schwedische18 oder um spezifische Richtlinien, die von einzelnen Gemeinden, Bundesländern oder Institutionen, wie beispielsweise Tageszeitungen entworfen oder in Auftrag gegeben worden sind. In keinem Fall besitzen sie einen rechtsverbindlichen, vorschreibenden Charakter, sondern sie sind jeweils als Vorschläge und Empfehlungen konzipiert.19 Dies muss auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher sprachwissenschaftlicher Kulturen innerhalb der verschiedenen Länder diskutiert werden sowie unter Miteinbeziehung von Aspekten der öffentlichen Einstellung zu Normierungen und Vorschriften und den Annahmen dazu, wie gesellschaftliche Veränderungen und Selbstbilder verwirklicht werden sollen.20 „Im Gegensatz zu Sprachwandel, der durch externe politische Vorgänge ausgelöst wird und bei dem die Betroffenen durch politische und ökonomische Macht-
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20
Vgl. weiter unten. In der Bundesrepublik Deutschland ist in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Anrede ‚Fräulein‘ in offiziellen Kontexten verboten worden, was nicht dazu geführt hat, dass diese Anredeform sich nicht noch über mehrere Jahrzehnte auf verschiedenen Formularen beispielsweise gehalten hat. Das vielleicht umfangreichste Beispiel eines Handbuchs zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs in öffentlichen Texten der Verwaltung ist vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main in Auftrag gegeben worden und liegt in Taschenbuchform vor, Müller und Fuchs (1993). Für das Norwegische, vgl. Norsk språkråd og Kompetansesenter for likestilling (1997). Eine solche Analyse in Bezug auf die schwedische Situation ist Teil des nachfolgenden Kapitels.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
verhältnisse gezwungen sind, ihren Sprachgebrauch zu ändern, geht bei nichtsexistischer Sprache der Wandel von der unterdrückten Gruppe selbst aus. Dabei wird Sprache als Teil der gesamten Bedingungen gesehen, die zu der Diskriminierung von Frauen führen. [...] Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass Sprache nicht nur Sexismus transportiert, sondern dass die Sprache selbst sexistisch ist und somit den allgegenwärtigen Sexismus zementiert. Die Motivation liegt also nicht nur in dem Wandel kommunikativer Bedürfnisse, sondern ist Ausdruck des Versuchs, sich von herrschenden Machtverhältnissen zu befreien. Nichtsexistische Sprache ist politisch motiviert.“ (Schräpel 1985: 219)
Die fehlende durchgreifende Implementierung von feministischen Sprachveränderungsvorschlägen kann als eine Frage der sozialen Positionierung interpretiert werden. In der von Schräpel (1985) entworfenen Sichtweise wird Macht als außerhalb der Sprache positioniert und liegt in den Positionen der Sprechenden begründet. Die Begrenzungen dieser Sichtweise sind in Kapitel 2 in Bezug auf personale Appellation herausgearbeitet und ihnen ein Modell gegenüber gestellt worden, in dem die Wechselseitigkeit der Konstitution von Macht betont wurde. Darüber hinaus kommt hier die Auffassung zum Ausdruck, dass Sprache selber sexistisch sei, womit die potentielle Diskriminierung in der Sprache verortet wird. Die implizierte mögliche Loslösung sprachlicher Handlungen von konkreten Situationen, mit der als Hintergrund Sprache jenseits ihres konkreten Gebrauchs als sexistisch und folglich diskriminierend aufgefasst werden kann, ist ebenfalls in Kapitel 2 kritisch hinsichtlich der in ihr enthaltenen Trennung von Sprachsystem und -handlung hinterfragt worden. Trotz dieser Kontinuitätslinien zu einer strukturalistischen Vorstellung von Sprache kann feministische Sprachkritik in diesem Modell nicht von einer sich strukturalistisch verstehenden Linguistik initiiert sein, da ihr der Anspruch der Deskriptivität als entscheidendes Moment fehlt, wenn sie gleichzeitig darüber hinaus geht und strategische Sprachveränderungsvorschläge unterbreitet. Die Idee der strategisch geplanten, systematischen Sprachveränderung basiert auf der Vorstellung eines bestehenden Sprachsystems, welches die Grundlage für den Sprachgebrauch bereit stellt und welches in diesem Ansatz systematisch geändert werden soll, um so eine veränderte, nicht diskriminierende Grundlage für den Sprachgebrauch zur Verfügung zu stellen. Der Sprachgebrauch baut auf der Voraussetzung eines Sprachsystems auf, welches Möglichkeiten auch der personalen Benennung zur Verfügung stellt. Im Rahmen dieses Systems können Veränderungen vorgeschlagen und eventuell auch durchgeführt werden, es stellt jedoch den absoluten Bezugsrahmen der möglichen Sprache und Sprachveränderung dar. Das Oszillieren zwischen der Ablehnung eines strukturalistischen Ansatzes in Bezug auf Sprache und seiner gleichzeitigen Bestäti-
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gung ist ein wichtiger Konflikt- und gleichzeitig auch Angriffspunkt gegen feministisch-linguistische Sprachveränderungsstrategien mindestens bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts und schlägt sich vielfach in polemischen Artikeln nieder. Die Unklarheit des feministisch-linguistischen Ansatzes in Bezug auf die Theoretisierung sprachlicher Veränderung ist zugleich auch mit dafür verantwortlich, dass die entsprechende Forschung auch innerhalb der linguistischen Genderforschung einen immer geringeren Raum einnimmt.21 Im Rahmen einer linguistischen Genderforschung ist stattdessen eine immer stärker werdende Fokussierung auf gesprächsanalytische Studien feststellbar, die ihrerseits auch Gender unterschiedlich konzeptualisieren.22 In diesen Studien und in der Zweiteilung des Feldes – auf der einen Seite Studien zu Personenreferenzformen, auf der anderen Seite gesprächsanalytische Studien – wird so gleichzeitig auch eine Trennung zwischen sprachsystematischen und sprachhandlungsbezogenen Studien reproduziert, in der die Analyse personaler Appellation der ersten Gruppe zugerechnet wird. Wie aus dem im zweiten Kapitel entworfenen Modell auch mit der Umbenennung des Erkenntnisgegenstandes von Personenreferenzformen zu personaler Appellation deutlich geworden ist, wird das in der vorliegenden Studie bearbeitete Thema hingegen auch als Sprachhandlungsanalyse aufgefasst. Dies impliziert seinerseits wiederum die Integrierbarkeit von den in der Forschung in der Regel getrennt voneinander behandelten Bereichen und Aspekten mit- und ineinander. Wie Mills (1995) kritisiert auch Schräpel (1985), dass in traditioneller Auffassung die Kodifizierung von Sprachveränderungen in Form von in Wörterbüchern und Lexika verzeichneten Lexikalisierungen eines der wichtigsten Kriterien für Sprachveränderung darstellt. Auch sie stellt die zu großen Teilen unhinterfragte Kodifizierung von Sprachnormen innerhalb einer Gesellschaft in Frage. Schräpel (1985) verweist auf die Notwendigkeit den Sprachgebrauch von bei ihr so genannten ‚Subkulturen‘ mit zu berücksichtigen. Darüber hinaus benennt sie die Notwendigkeit Sprachwandel nicht ausschließlich an Veränderungen des Lexikons einer Sprache festzumachen, sondern grammatische und syntaktische Veränderungen hier ebenso mit zu betrachten. Setzt man ihre Kritik in Relation zu den Implementierungen einer feministischen Sprachkritik, so fällt auf, dass diese sich gleichzeitig genau derselben Medien bedient, die sie gleichzeitig auch in ihrer Normhaftigkeit kritisiert und so zu der Reproduktion dieser
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Vgl. insbesondere Hornscheidt (2002) für eine ausführliche Diskussion dieser Frage in Bezug auf die deutschsprachige feministische Linguistik. Neuere Studien zu Gesprächsverhalten und Gender zum Schwedischen sind Nordenstam (1998) und Adelswärd (1991).
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
als Norminstanzen mit beiträgt. Aus konstruktivistischer Sicht muss auch gefragt werden, wessen Auffassungen zu Gender sich in den Sprachveränderungsvorschlägen einer feministischen Linguistik finden und durch diese zur neuen Norm erhoben werden und wer weiterhin ausgegrenzt wird, welche prototypischen Vorstellungen hergestellt werden und wo im Anschluss an Bourdieu (1991) die neuen Linien zwischen dem Sagbaren und Unsagbaren verlaufen. Die von Labov angesprochene Ebene der Agierenden und der Institutionen, die an Prozessen strategischer Sprachveränderung partizipieren, spielt in der wissenschaftlichen Diskussion bezogen auf feministische Sprachveränderungsstrategien insbesondere seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Rolle und wird an späterer Stelle behandelt.23 Schräpels (1985) oben angesprochene Differenzierung zwischen verschiedenen Ebenen sozialer Gruppierungen ist insofern kritikfähig, als dass Macht als bestimmender Faktor für die Realisierung von Sprachveränderungen auch bereits in der kleinsten angenommenen sozialen Gruppierung mit angesetzt werden muss und in einem konstruktivistischen Modell kein äußerer, zu Sprache hinzu zurechnender und klar auf eine Seite positionierbarer Faktor ist, sondern eng mit dieser verbunden auch durch sie zum Ausdruck kommt und immer wieder reproduziert wird. Sprache ist dabei immer ein soziales Phänomen, so dass in allen Zusammenhängen von der Relevanz von Macht in der Aushandlung gruppenspezifischer Normen ausgegangen werden muss, die nicht nur Machtrelationen widerspiegeln, sondern sie auch schaffen. Ein weiterer, von Schräpel (1985) genannter Faktor für Sprachwandelprozesse, Widerstand, wird von ihr nur auf den Widerstand gegen strategische Sprachveränderungen bezogen, nicht jedoch auf die Entwicklung strategischer Sprachveränderungen selbst. Eine Perspektive, in der Sprachwandel nicht nur eine Frage von Macht, sondern ebenso eine Frage von Widerstand gegen ebendiese Macht ist, zum Beispiel bezogen auf Normierungen und Benennungen, bleibt bei ihr damit implizit. Dadurch ist es in ihrem Modell auch nicht möglich die Wechselbeziehungen in den jeweiligen Argumentationen in ihrer gegenseitigen Bezogenheit herausarbeiten zu können, was weiter unten in diesem Kapitel versucht wird.24
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Vgl. Kapitel 4.4. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist hier, dass Schräpel zwischen politischem und linguistischem Widerstand unterscheidet, womit sie implizit linguistischen Widerstand entpolitisiert und die politischen Dimensionen linguistischen Widerstands unsichtbar und schwer angreifbar macht.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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Das Vorherrschen des weiter oben diskutierten Arguments der Ökonomie oder Effektivität als sprachinterne Motivation für Sprachveränderungsprozesse in Bezug auf eine Ablehnung feministischer Sprachveränderungsprozesse zeigt eine präsupponierte und dadurch machtvoll tradierte Sprachsicht, in der von einer autonomen sprachlichen Entwicklung ausgegangen wird. Gegner/innen gegen eine feministische Sprachveränderung sehen das Prinzip der sprachlichen Ökonomie gefährdet, wie auch an späterer Stelle noch mal deutlich wird. An dieser Stelle soll auf eine weitere Präsupposition dieser Argumentation eingegangen werden. Das Argument präsupponiert einen gesamtgesellschaftlichen Konsens dazu, dass mit den genderspezifizierenden, männlich appellierenden Formen25 genderunspezifizierend appelliert werden kann und dadurch nicht nur sowohl Männer als auch Frauen gemeint seien, sondern diese sich auch gleichermaßen durch die entsprechenden Formen angesprochen fühlen würden. Stimmt dies nicht,26 ist gleichzeitig auch das Argument der fehlenden Effektivität des Sprachgebrauchs entkräftet und das Gegenteil gezeigt, wird die Konzeptualisierung von Gender mit in Betracht gezogen und als relevant erachtet. Braun, Gottburgsen, Sczesny und Stahlberg (1998) haben für das Deutsche zeigen können, dass nur durch die Verwendung von Doppelformen statt der genderunspezifizierenden maskulinen Formen die von einer instrumentellen Sprachpolitikperspektive geforderte Verbesserung der Effektivität der Sprache in Bezug auf die Konzeptualisierung einer genderausgewogenen Appellation eingelöst wird, womit diese Art der Sprachveränderung auch unter einem instrumentellen Ansatz27 sinnhaft erscheint und so auch aus dieser Perspektive für sie argumentiert werden kann. Kommen wir zurück auf das Sprachplanungsmodell nach Fasold (1984) und Pauwels (1998), so befindet sich die durch die feministische Linguistik im westeuropäischen und U.S.amerikanischen Kontext durchgeführte Analyse in der Regel in der Planungsphase, die vor allem wissenschaftlich initiiert ist und neben diesem Kontext in feministischen Kreisen die größte Verbreitung gefunden hat. Abhängig vom feministischen Verständnis und von der gesamtgesellschaftlichen Einstellung zu feministischen Ideen können die Sprachveränderungsstrategien von hier aus weitere gesellschaftliche Kreise erfassen. Dabei handelt es sich in der Regel um linke politische Gruppen, Verlage und Publikationsorgane, die entspre-
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Im Falle des Englischen, Schwedischen und Deutschen zum Beispiel. Vgl. Hornscheidt (2006b) für entsprechende Perzeptionsstudien zum Schwedischen. Vgl. das vorangegangene Unterkapitel.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
chende Ideen aufnehmen oder implementieren. Die Implementierung und Evaluation feministischer Sprachveränderungsvorschläge werden unter einem diskursanalytischen Gesichtspunkt betrachtet, von dem ausgehend gefragt wird, welche Auffassungen zu Sprache und dem Verhältnis von Sprache zu Gender sich in sie und die öffentliche Diskussion um sie herstellen. Sie werden nicht als die einzig mögliche oder einzig sinnvolle Form von strategischer Sprachveränderung angesehen, sollen hier aber zunächst in ihrem Selbstverständnis analysiert werden. Feministisch motivierte Sprachveränderungsstrategien fokussieren ein angenommenes Verhältnis von Gender und Sprache, welches von der feministisch-linguistischen Forschung als inadäquat, asymmetrisch und diskriminierend analysiert wird. Dieser Kritik liegt implizit die Annahme eines zumindest möglichen Abbildverhältnisses von Sprache und Gender zu Grunde. Als möglich wird es deshalb bezeichnet, da die strategischen Sprachveränderungsvorschläge je nach Auffassung entweder zu einem adäquateren Abbildverhältnis von Sprache und Wirklichkeit beitragen oder durch eine nicht diskriminierendes Abbildverhältnis die Welt entsprechend der Sprache verändern sollen. Im ersteren Fall handelt es sich um ein noch nicht erreichtes Entsprechungsverhältnis von Sprache zu Welt, welches häufig über die langsamere Entwicklung und Veränderung von Sprache gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen erklärt wird, im zweiten Fall wird eine ideale gleichberechtigte Gesellschaft imaginiert, die sich auch sprachlich widerspiegeln soll, so dass Sprache in diesem Fall ein ideales Abbildverhältnis zu Welt besitzt. In der letzteren Annahme ist die Möglichkeit enthalten, dass eine zu einer idealen Weltvorstellung ins Verhältnis gesetzte Sprache mit dazu beitragen kann, dass sich die Welt verändert. Schräpel (1985) betont den Zusammenhang von gesellschaftlichen und sprachlichen Veränderungen, sieht sie jedoch als zwei getrennte und analytisch trennbare Prozesse an, wenn sie davon ausgeht, dass sich gesellschaftliche Veränderung in der Sprache widerspiegeln.28 Schräpel (1985) verbleibt von der grundlegenden Logik her in einem strukturalistischen Paradigma. Hellinger und Bußmann (2002) verstehen feministische Sprachveränderungen als eine Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Genderverhältnisse und einen veränderten, reformierten Sprachgebrauch als Symbol für die Dissonanz zwischen traditionellen Sprachnormen und innovativen Alternativen dazu. Ihrer Theorie zu feministischen Sprachveränderungen liegt die Ansicht zu Grunde, dass Sprache konservativer sei als gesellschaftliche Realitäten, die dadurch als von der Sprache losgelöst
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Vgl. Schräpel (1985: 213).
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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angenommen werden. Sprachliche Veränderungen zielen so bei ihnen auf ein adäquateres Abbildungsverhältnis hin. Die unterschiedlichen, hier zum Ausdruck kommenden Auffassungen haben seinerseits direkte Auswirkungen auf die Auffassungen, die bezüglich Sprachveränderungen und Sprachveränderungsstrategien vertreten werden. „Gender-related language reform is a reaction to changes in the relationships between women and men, which have caused overt conflicts on the level of language comprehension and production. Reformed usage symbolizes the dissonance between traditional prescriptions such as the use of masculine/male generics and innovative alternatives. Guidelines are based on the assumption that a change in behavior, i.e., using more instances of non-sexist language, will be attended by a change in attitude so that positive attitudes towards non-sexist alternatives will develop. [...] Conversely, positive attitudes will motivate speakers to use more non-sexist language.“ (Hellinger und Bußmann 2002: 18f.)
Die Autorinnen erklären in diesem Zitat Sprachveränderungen als eine Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Verhältnisse, womit implizit eine These der sprachlichen Widerspiegelung außersprachlicher Wirklichkeit gestützt wird, wie sie schon vorher von ihnen explizit gemacht worden ist. Sprachveränderungsstrategien werden mit reformed usage bezeichnet, eine pragmatische Sprachsicht wird an diesem Punkt also begrifflich eingenommen, und diese den traditionellen Vorschriften gegenüber gestellt. Was sie darunter verstehen, führen sie jedoch nicht weiter aus, und es ist zu vermuten, dass sie sich auf Darstellungen in Grammatiken beziehen und die so genannte Standardsprache, die letztendlich auch das ist, was die Grundlage der Kritik der einzelnen Sprachen und ihres Genus/GenderVerhältnisses der in ihren Bänden versammelten Artikel darstellt. Während die potentiellen Sprachveränderungsstrategien von ihnen als Reaktionen auf geänderte gesellschaftliche Genderverhältnisse verstanden werden, fassen sie den traditionellen Gebrauch personaler Appellationsformen als eine Präskription auf. In dieser Argumentation ist eine gewisse Widersprüchlichkeit enthalten. Sprachveränderungsstrategien, die in Form von Richtlinien veröffentlicht sind, können, sofern sie angewendet werden, zu einer Einstellungsveränderung bei den Kommunizierenden führen. Auf der einen Seite ist in dieser Vorstellung eine gesellschaftliche Veränderung notwendig, um Sprachveränderung zu initiieren, die ihrerseits wieder Auswirkungen auf das Denken der Kommunizierenden haben kann. Einmal begonnen, können strategische Sprachveränderungen in der Vorstellung von Hellinger und Bußmann (2002) gesellschaftliche Änderungen bewirken. Auch wenn hier eine Interdependenz dieser beiden angenommenen Ebenen zum Ausdruck kommt, so ist doch gleichzeitig
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
auch ihre Trennbarkeit impliziert, die aus konstruktivistischer Perspektive zu kritisieren ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine durch die feministische Linguistik beabsichtigte Kritik an dem ‚System‘ personaler Appellation als beabsichtigte oder strategische Sprachveränderung aufgefasst werden kann, die ihrerseits einem Konzept von Sprachplanung zugerechnet wird. Es wird deutlich, dass die strategische Sprachveränderungen propagierende feministische Linguistik strukturalistische Auffassungen reproduziert und übernimmt, gleichzeitig aber auch durch den Anspruch der Sprachkritik und dem Ziel der beabsichtigten Sprachveränderung darüber hinaus geht und in dieser Hinsicht in einem methodologischen Dilemma befangen ist, welches es auf der anderen Seite einfach macht, genau diese Bestrebungen einer feministischen Linguistik auch ‚von außen‘ zu kritisieren. Das von Fasold (1984) vorgeschlagene Vier-Phasen-Modell der Sprachplanung kann für den bisherigen Stand der Feministischen Linguistik nicht länderübergreifend in dieser Abfolge nachvollzogen werden, sondern es zeigt sich mit Ausnahme des englischsprachigen Raums eine weitgehende Umgehung oder Auslassung der dritten Phase der Implementierung von Veränderungen und stattdessen eine direkte Evaluation oder Diskussion der vorgeschlagenen Sprachveränderungen, was auf dem Hintergrund von gesellschaftlichen Machtrelationen erklärt werden konnte. Diese müssen Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts für einen schwedischen Kontext, in dem viele Feministinnen der ersten Generation mittlerweile in führenden öffentlichen Positionen sitzen, neu überdacht werden, so dass dies heute nicht als ein ausschlaggebender Faktor für eine ausbleibende Implementierung angesehen werden kann. Dies wird an späterer Stelle ausführlicher und in Bezug auf die schwedische Situation diskutiert.29 Die feministische linguistische Forschung zu Genderspezifizierung personaler Appellationsformen rekurriert in Bezug auf strategische Sprachveränderungen auf einen Abbildcharakter von Sprache zu einer außersprachlichen Wirklichkeit. Die Annahme einer genderdichotomen Wirklichkeit steht ebenso wenig wie der ontologische Status der Kategorie zur Debatte. Die Unterscheidung zwischen einer Strategie, in der eine sprachliche Genderspezifizierung und einer, in der eine sprachliche Genderneutralisierung favorisiert wird, wird vor dem Hintergrund sprachtypologisch bestimmter Unterschiede, in der Regel speziell bezogen auf das Verhältnis von Genus und Gender, formuliert. Beide Strategien haben
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Siehe hierzu auch Hornscheidt (2006a).
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
303
jedoch die identische Zielsetzung zu einer gleichberechtigten Benennung von Frauen und Männern beizutragen und Frauen die gleichen Chancen des Gemeintseins wie Männern zu geben. Die Annahme von Frauen und Männern als sprachlich vorgängige Realitäten wird dabei durchgängig und unhinterfragt übernommen, eine Diskriminierung in der Regel in asymmetrischen Benennungspraktiken festgemacht, die entweder auf fehlende Parallelen in der Wortbildung bezogen sind oder auf Divergenzen in der konventionalisiert der Kernbedeutung zugerechneten Verwendungsweisen der einzelnen Appellationsformen. Ausgehend von einer traditionellen Bedeutungsauffassung, wie sie den traditionellen feministisch-linguistischen Ansätzen zu strategischer Sprachveränderung zu Grunde liegt, bei der Bedeutung in Sprache, insbesondere in Wörtern verortet wird, muss eine Strategie zur Sprachveränderung entsprechend darauf abzielen, genau die Wörter zu verändern, die als diskriminierend analysiert worden sind. Wie weiter unten dargestellt wird, verändert sich die Perspektive darauf, was strategische Sprachveränderungen sind, mit einer pragmatischen Perspektive in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die zuvor vorgestellten und hier als traditionell feministisch-linguistisch bezeichneten Ansätze besitzen gleichzeitig auch eine Kontinuität bis heute, denen gegenüber pragmatische Ansätze eher als Ausnahmen bezeichnet werden können.30 Sprachveränderungsstrategien müssen aus dieser geänderten Perspektive zum einen nicht länger an einer ausschließlichen Veränderung von Sprachformen hängen und zum anderen nicht Gender einen ontologischen Status zusprechen. Entsprechende Ansätze finden sich verstärkt in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, wenngleich bestimmte Aspekte dieses Perspektivenwechsels auf Sprache und Bedeutung bisher nicht in Form einer Grundlagendiskussion wissenschaftlich-reflexiv rezipiert worden sind.31
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Die Kontinuität zeigt sich alleine schon in den zuvor zitierten Werken. Zentral ist in dieser Hinsicht Hellinger und Bußmann (2002). Gedacht wird hier vor allem an eine Loslösung von der Vorstellung Sprachformen zu verändern und stattdessen Sprachgebrauch zu verändern, indem die diskriminierenden Sprachformen in neuen Kontexten und mit neuen Bedeutungen verwendet werden; es finden sich dazu eine ganze Reihe ‚praktischer‘ Beispiele, die weiter unten und im nachfolgenden Kapitel diskutiert werden.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
4.3.2 Neuere Tendenzen in Ansätzen zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Mit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts kann für die Forschung zur strategischen Veränderung von personalen Appellationsformen mit Hinblick auf den Aspekt Gender zumindest teilweise und in Ansätzen ein Perspektivenwechsel konstatiert werden: Es finden sich neue Sichtweisen auf strategische Sprachveränderungen. Dabei können vor allem drei verschiedene Argumentationen und Modifikationen ausgemacht werden: Zum einen entstehen veränderte Fragestellungen hinsichtlich der Rolle und Funktion sprachlicher Benennungen, die vor allem vor dem Hintergrund der Rezeption einer ‚Versprachlichung‘ des öffentlichen Raumes und den damit einher gehenden neuen sprachlichen Normbildungen diesen Prozess reflektieren. Zum anderen ist in der Nachfolge einer Rezeption poststrukturalistischer Ansätze und Theorien eine veränderte Auffassung zum Verhältnis von Sprache und sozialer Veränderung, die teilweise und bis zu einem bestimmten Punkt auch von der einschlägigen linguistischen Forschung rezipiert werden, feststellbar. Zum dritten werden empirische Untersuchungen durchgeführt, die die Wirkung von Sprachveränderungen bezogen auf personale Appellationsformen reflektieren sollen. Die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse dieser neueren Studien werden im Folgenden vorgestellt und diskutiert. Eine wichtige Stufe der Reflexion der durch die feministische Linguistik propagierten Sprachveränderungsstrategien und –vorschläge liegt in einer Evaluation dieser auf der Ebene des individuellen Sprachgebrauchs sowie der individuellen Konzeptualisierung, die mit bestimmten personalen Appellationsformen verbunden ist. Untersuchungen zur Wirkung von feministisch-linguistisch initiierten Sprachveränderungen auf Einstellungen der Sprechenden finden sich vor allem für das Englische und hier insbesondere für den U.S.amerikanischen Sprachraum. Sie sollen im folgenden besprochen werden, um von da aus Hypothesen über die Wirksamkeit von entsprechenden Sprachveränderungsstrategien vor einem empirischen Hintergrund diskutieren zu können. Ehrlich und King (1992) haben untersucht, inwiefern der Erfolg nicht-sexistischer Sprachveränderungsstrategien von dem sozialen Kontext, in dem diese propagiert und durchgeführt worden sind, abhängig ist. Ihre Studie basiert auf einer pragmatischen Auffassung. Sie gehen davon aus, dass Bedeutung sich im Diskurs herstellt und ausgehandelt wird und nicht in Wörtern als solchen und losgelöst vom Kontext ihres Gebrauchs
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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zu finden ist. Dies bedeutet gleichzeitig, dass potentiell jedes Wort diskriminierend wie nicht diskriminierend in Abhängigkeit vom Kontext seines Gebrauchs benutzt werden kann.32 In einer Gesellschaft, die auf bestimmten Mechanismen von Diskriminierung basiert, ist zu erwarten, dass der öffentliche und als Norm postulierte Sprachgebrauch einer Gesellschaft in der Regel diskriminierende Intentionen wenig offensichtlich macht. Bezogen auf feministische Sprachveränderungsvorschläge stellen Ehrlich und King (1998) fest, dass ihr Erfolg größer ist, wenn sie Teil umfassenderer soziopolitischer Initiativen sind, die sich zum Beispiel gegen sexistische soziale Praktiken wenden. „By contrast, when language reform occurs within the context of a speech community that embraces sexist values and attitudes, it is less likely to succeed.“ (Ehrlich und King 1992: 165) Beide Kontexte sind jedoch nicht sich gegenseitig ausschließend, so dass strategisch geplante Sprachveränderungen immer im Kontext sich teilweise widerstreitender Interessen und Norm- und Wertvorstellungen zu verorten sind. Dass die beiden von Ehrlich und King (1992) angeführten Punkte wichtige Faktoren für einen Erfolg bzw. Misserfolg von strategischen Sprachveränderungen sind, ist eine wichtige Ergänzung der Untersuchungen aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts33 und eine Übertragung der weiter oben zitierten Auffassung von Labov (1972) zur Relevanz sozialer Macht für Prozesse der Sprachveränderung. Eine wichtige Konsequenz ihrer Überlegungen ist die Feststellung, dass strategische Sprachveränderungen eine größere Chance auf einen durchgreifenden gesellschaftlichen Erfolg haben, wenn sie von einer großen und/oder statushohen gesellschaftlichen Gruppe getragen sind und wenn sie sozial wichtige Institutionen, die sich einer Propagierung einer entsprechenden Sprachveränderungsstrategie verpflichtet haben, hinter sich stehen haben. Sprache benutzende und vermittelnde Medien spielen eine potentiell zentrale Rolle, da sie zum einen zentrale sprachliche Institutionen in einer Gesellschaft darstellen und zum anderen häufig implizit und explizit normgebend wirken, wenn sie beispielweise zitiert werden oder als Korpus für Sprachanalysen dienen, die in einem zweiten Schritt
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Dieser Aspekt wird im abschließenden Unterkapitel dieses Kapitels, wenn die Frage der Sprachveränderung aus einer konstruktivistischen Perspektive abschließend noch einmal behandelt wird, von besonderer Bedeutung, wenngleich sich hier auch eine Schwerpunktverschiebung findet. Bei Ehrlich und Kings (1992) Modell wird von außersprachlich sozial zu definierenden Kontexten ausgegangen, die in einer konstruktivistischen Vorstellung, wie sie im zweiten Kapitel in Bezug auf personale Appellation zu finden ist, nicht so klar von dieser losgelöst werden kann. 33 Vgl. das vorhergehende Unterkapitel.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
dem Verfassen von Sprachnachschlagewerken zu Grunde liegen, wodurch bestimmte sprachliche Formen wiederum einen höher autorisierten Status bekommen. „[...] new meanings are dependent upon acts of co-ordination that require cooperation between interlocutors, which indicates how feminists as a group might promote meanings that are oriented to women’s empowerment. It also indicates where the problems lie in making those meanings generally accessible across a given culture.“ Christie (2000: 130)
Ausgehend von Grices Modell zu Bedeutung34 wird die Relevanz der Position der Sprechenden als wichtiger Faktor für die Möglichkeit strategischer Sprachveränderungen konzeptualisiert. Diese Erkenntnis ist nicht ausschließlich für eine Einschätzung der Rolle und Wirkung feministischer Sprachveränderungsstrategien von Bedeutung, sondern kann darüber hinaus auf die (sprachliche) Relevanzsetzung jeglicher Perspektiven, wie zum Beispiel McConnell-Ginet (2002) für die Frage der Benennung und öffentlichen Wahrnehmung verschiedener sexueller Identitäten analysiert35, angewendet werden. Eine für das Schwedische benennbare, symbolische Form feministischer Sprachveränderung ist am ehesten die Form riksdagsledamot ‚Reichstagsmitglied‘, die eingeführt worden ist, um die Formen riksdagsman und riksdagskvinna ‚Reichstagsmann und -frau‘ durch eine genderunspezifizierende Form zu ersetzen. Die Form findet sich weiterhin im schwedischsprachigen Kontext, hat sich jedoch nicht als einzige konventionalisiert genderunspezifizierende Form durchsetzen können.36 Ein anschauliches Beispiel für die symbolische Verhandlung einer Sprachveränderungsstrategie findet sich für den deutschsprachigen Raum. Hier ist die Einführung des so genannten Binnen-Is zur Genderneutralisierung substantivischer personaler Appellationsformen berühmt geworden und wird als Symbol oder Signal für feministische Sprachveränderungsstrategien aufgefasst. Eingeführt worden ist diese auf Schriftlichkeit bezogene Sprachveränderungsstrategie 1984 von der dem linken politischen Spektrum zu zu rechnenden Züricher Wochenzeitung woz, in der es auch bis heute relativ konsequent angewendet wird. 1986 hat die linke deutsche Tageszeitung taz das Binnen-I übernommen und wird bis heute mit diesem assoziiert,
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Vgl. Kapitel 2. Vgl. auch Hornscheidt (2006b). In Kapitel 6 wird auf Grund konkreter Vorkommen der Form die These entwickelt, dass es sich um eine genderunspezifizierende Form nur in Bezug auf genderspezifizierend weibliche Appellation handelt, so dass sie damit wiederum genderspezifizierend ist unter der gesellschaftlichen und politischen Vorgabe genderunspezifizierend zu sein.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
307
obwohl schon seit mindestens zehn Jahren die Benutzung desselben in dieser zur individuellen und inkonsequenten Ausnahme geworden ist. Kurzzeitig wurde das Binnen-I auch von der Politik vertreten, als der erste rot-grüne Senat in Berlin 1989 seine Verwendung für den gesamten Dienstverkehr anordnete. Diese Idee starb so schnell wie die rot-grüne Regierung und ist von der nachfolgenden Landesregierung nicht übernommen worden. Die Notwendigkeit der politischen Propagierung einer entsprechenden Sprachveränderung wird hier ebenso wie auf der anderen Seite ihre schnelle ideologische und (partei)politische Selbst- und Fremdbelegung deutlich, so dass diese Form bis heute auch aus politischen Gründen in vielen Diskursen abgelehnt und/oder mit einer linken politischen Einstellung verknüpft wird. Mittlerweile ist das Binnen-I neben seiner sporadischen Benutzung in den unterschiedlichsten Medien zum Symbol feministisch-linguistischer Politik und Strategien im deutschsprachigen Raum geworden, wenngleich es sich im alltäglichen Sprachgebrauch bisher nicht flächendeckend hat durchsetzen können und im mündlichen Sprachgebrauch zusätzlich nur unkonventionalisiert durch einen Glottal-Stopp umzusetzen ist.37 Die Konsequenz der medialen Verwendung dieser Form resultiert jedoch zumindest in einem öffentlichen Bewusstsein dazu, dass es eine Diskussion um sprachliche Genderrepräsentation und -spezifizierung gibt, wenngleich diese in der Regel ablehnend gegenüber den vorgeschlagenen Änderungen ausfällt. Das Beispiel zeigt, dass eine in bestimmten Kreisen realisierte Veränderung in der Folge auch mit diesen assoziiert werden kann und dies auch ein Grund dafür sein mag, dass sich bestimmte Vorschläge nicht genereller im öffentlichen Sprachgebrauch durchsetzen können, wenn sie beispielsweise mit politischen Gruppen verbunden werden, mit denen die Schreibenden nicht assoziiert werden möchten. Die Einführung der Form in die Berliner Verwaltungssprache und ihre genauso schnelle Abschaffung zeigen darüber hinaus, dass es, damit bestimmte Sprachveränderungen Bestand haben, es sich um längerfristig bestehende Machtkonstellationen handeln muss, wodurch diese eine gewisse Tradierung erfahren können und nicht ausschließlich als Symbol für eine bestimmte politische Anschauung ver-
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Dadurch wird in Diskussionen häufig argumentiert, dass es sich lediglich um schriftsprachliche Veränderungsvorschläge handeln würde. Dies kann bezogen auf die deutschsprachige Diskussion für einen Großteil der Vorschläge zur Veränderung substantivischer personaler Appellation festgehalten werden, wo neben dem Binnen-I die Alternativen von Schrägstrichen und Klammern diskutiert werden. Diese Strategien sind nur schwierig im mündlichen Sprachgebrauch umzusetzen.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
standen werden, so dass ihre Abschaffung bei einer Veränderung von politischen Machtverhältnissen damit vorprogrammiert ist. Rubin, Greene und Schneider (1994) kommen in ihrer Untersuchung zum Sprachgebrauch von Manager/inne/n zwischen 1960 und 1980 zu dem Ergebnis, dass die Einstellung zu Gender-Gleichstellung nicht unbedingt mit einem nicht-sexistischen Sprachgebrauch einhergeht und ein nicht-sexistischer Sprachgebrauch nicht unbedingt mit einer aufgeklärten und positiven Einstellung zu Gender-Gleichstellung gleichzusetzen ist. Dies würde einer These entsprechen, dass eine ‚offizielle‘ politisch korrekte Einstellung zu Gender-Gleichstellung eine Veränderung des öffentlichen, auch von Privatpersonen verwendeten, Sprachgebrauchs zur Folge hat, ohne dass sich damit tatsächlich Einstellungen und Meinungen verändert haben, sondern die veränderte Sprache Reflex auf öffentliche moralische Ansprüche ist, ohne dass mit ihr eine veränderte Konzeptualisierung personaler Kategorisierung einhergeht. Die von Schräpel (1985: 219) formulierte Prognose, dass „[...] nicht auszuschließen [ist], daß eine weitere Verbreitung auch aus opportunen Gründen erfolgen wird, da bestimmte Aspekte nichtsexistischer Sprache legislativ unterstützt werden“ findet in Rubin, Greene und Schneiders (1994) Untersuchung einen empirischen Beleg. Die zuvor angeführte Notwendigkeit der Berücksichtigung von Aspekten sozialer Macht wird dadurch nicht relativiert, aber in ihrer Relevanz neu perspektiviert. Die unreflektierte Übernahme hegemonialer Wertvorstellungen kann zu einem Verhalten der politischen Korrektheit führen, welches in Bezug auf die intendierten Veränderungen der Konzeptualisierung von Gender kontraproduktiv wirken können, da mit entsprechenden Sprachveränderungen keine Veränderungen von Konzeptualisierungen einher gehen müssen, sondern eine Beibehaltung bisheriger Konzeptualisierungen auf diese Weise nur noch weniger deutlich sein kann.38 Soziale Macht ist ein zentraler Faktor für die Etablierung eines bestimmten Sprachgebrauchs als normgerecht, ohne dass eine konzeptuelle Veränderung damit einhergehen muss. Auch für dieses Ergebnis kann wieder auf das bereits zitierte Beispiel der Einführung der personalen Appellationsform riksdagsledamot ‚Reichstagsmitglied‘ zur genderunspezifizierenden Appellation zurück gegriffen werden. In ihm drückt sich ein Bestreben einer genderunspezifizierenden Benennung in einem zentralen Tätigkeitsbereich politischer Macht aus, der jedoch in der Praxis des
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Für vergleichbare Ergebnisse, vgl. auch Cronin und Jreisat (1995), die auf Grund ihrer Untersuchung die Forderung aufstellen, dass non-sexist language training genderspezifisch durchgeführt werden müsse.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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Sprachgebrauchs lediglich auf eine Vermeidung genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen bezogen worden ist, so dass es sich hier letztendlich um eine Ersetzung der genderspezifizierend weiblich appellierenden Form riksdagskvinna durch riksdagsledamot handelt, der die genderspezifizierend weibliche Konzeptualisierung trotzdem weiterhin eingeschrieben ist, hier aber unsichtbarer ist und damit den Mythos einer Genderunspezifizierung trägt.39 Cameron (1995) untersucht Rhetorik-Führer für ein weibliches Zielpublikum und kommt zu dem Ergebnis, dass es nicht eine logische und unumgängliche Schlussfolgerung sein muss, dass eine nichtdiskriminierende Sprache automatisch entstehe, sobald die Gesellschaft als solche nicht mehr sexistisch sei. Auch sie betrachtet feministisch initiierte Sprachveränderungen unter dem Aspekt ihrer politischen Korrektheit und stellt die These auf, dass ein gewisser Grad an gendergerechtem Sprachgebrauch in den öffentlichen Diskurs aus Gründen der politischen Korrektheit in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang gefunden habe, ohne dass dies Einstellungsveränderungen zur Folge hätte. Stattdessen würde so auf der Oberfläche einer nunmehr in der westeuropäischen Öffentlichkeit etablierten Norm einer Verhaltensweise zu Gleichstellung genüge getan, ohne dass damit eine inhaltliche Reflexion einhergehen würde. Entsprechende Sprachveränderungen bezeichnet Cameron in Folge als kontraproduktiv, da sie Diskriminierungen eher noch verschleiern würden als sie transparent zu machen. Ihre Analyse bestätigt die in der vorliegenden Studie gemachten Feststellungen in Bezug auf die Einführung von genderunspezifizierenden Formen oder von Formen, die den Status der Institutionalisierung einer Zweierbeziehung in Bezug auf die genderspezifizierend weibliche Appellation als irrelevant zu setzen versuchen.40 Vergleichbare Resultate finden sich im englischsprachigen Raum hinsichtlich der Einführung der genderspezifizierend weiblichen Appellationsform Ms. Dies ist das seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts am häufigsten untersuchte Phänomen feministisch motivierter strategischer Sprachveränderungen bezogen auf personale Appellationsformen. Die Einführung der Form Ms wurde die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen, um als Anredeform sowohl Mrs. als Form zur Appellation auf verheiratete Frauen wie Miss als Form zur Appellation auf unverheiratete Frauen zu ersetzen. Durch die Form Ms sollte eine symmetri-
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Vgl. Kapitel 5 und Kapitel 6. Vgl. Kapitel 3.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
sche Benennungspraxis in der Anrede von Frauen und Männern im Englischen hergestellt werden (Mr. und Ms.). Die Form ist vor allem im U.S.amerikanischen, kanadischen und australischen Kontext diskutiert und eingeführt worden. Vergleichbar mit einer Aufgabe der Anrede Fräulein im deutschen Sprachraum und fröken im schwedischen Sprachraum41 sollte so gewährleistet werden, Frauen nicht zuerst in ihrer potentiellen, institutionalisierten als privat hergestellten Relation zu einem Mann zu benennen. Die intendierte Wirkung eines Verbots der Form bleibt jedoch bis heute aus. So haben verschiedene Studien gezeigt, dass sie entweder vermieden wird, wenn es um die Realisierung einer Appellation auf angenommene Feministinnen geht oder dass sie beispielsweise auf offiziellen Formularen nicht mehr zu finden ist, gleichzeitig aber verlangt wird in Klammern den ‚Status‘ der Frau (das heißt hier, ob sie verheiratet ist oder nicht) kenntlich zu machen.42 Eine vergleichbare Strategie ist im Kontext feministischer Bildungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum in den frühen 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur für direkte Anreden, wie dies für die englische Form der Fall gewesen ist, propagiert worden, sondern auch für die adjektivische Umschreibung des privaten Standes. So wurde von feministischer Seite gefordert, im Verfassen eines Lebenslaufs die Bezeichnungen ‚ledig‘ und ‚geschieden‘ durch ‚unverheiratet‘ zu ersetzen, um die in dem Wortpaar ledig und geschieden zum Ausdruck kommende Opposition (ledig = nicht verheiratet und noch nicht verheiratet gewesen; im Gegensatz zu geschieden = nicht mehr verheiratet) aufzulösen und damit die Konzeptualisierung der dadurch hergestellten Appellation zu verändern. Auch diese Strategie hat die oben bezeichneten Kreise als Praxis nicht verlassen und sich bezogen auf einen größeren gesellschaftlichen Kontext nicht durchsetzen können, sondern wurde ebenso als Zeichen einer feministischen Gesinnung verstanden und als solche tendenziell im öffentlichen Bewusstsein eher abgewertet. In einem westlichen Kontext ist bei der Appellation auf Frauen bzw. die Anrede von Frauen in bestimmten Kontexten immer noch die Frage danach, ob sie verheiratet ist oder nicht, als zentral setzt für eine genderspezifizierend weibliche Konzeptualisierung.43 Wie im dritten Kapitel gezeigt, ist eine Konzeptualisierung in Bezug auf die Konstruktion weiblicher Identität über die Herstellung einer institutionalisierten, heterosexuellen Paarbezie-
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Vgl. Kapitel 3 für eine Diskussion von Ausnahmen von dieser Regel der Vermeidung der Form fröken, die dort kognitiv interpretiert werden. Vgl. Frank und Treichler (1989), Fasold (1988), Graddol und Swann (1989), Atkinson (1987). Vgl. auch Pauwels (2001).
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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hung als Norm noch immer in verschiedenen Formen zentral. Der Versuch der strategischen Sprachveränderung ist an diesem Punkt über verschiedene Sprachen hinweg in ähnlicher Form beobachtbar, ohne dass eine grundlegende und durchgreifende Veränderung der Konzeptualisierung von genderspezifizierend weiblicher Appellation in Bezug auf die Institutionalisierung heterosexueller Paarverhältnisse als implizite Norm festgestellt werden kann. Khrosrohahi (1989) kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass Personen mit einer feministischen Grundeinstellung relativ gesehen am ehesten und unabhängig davon, um welche Formen es sich konkret handelt, alle personal appellierenden Formen als potentiell genderspezifizierend weiblich auslegen. Dies würde in seiner extremen Auslegung bedeuten, dass die von feministisch-linguistischer Seite geforderten systematischen Sprachveränderungen im Grunde genommen unnötig sind, da unabhängig von den konkret benutzten Sprachformen Personen mit einer feministischen Grundeinstellung die durch konkrete Formen vollzogene Appellation anders als Personen ohne einen entsprechenden Hintergrund konzeptualisieren. Diese Feststellung, wenn sie generalisierbar ist, weist darauf hin, dass die im Zusammenhang mit der Äußerung personaler Appellationsformen vollzogenen Konzeptualisierungen auch jeweils in ihrem Gebrauchskontext betrachtet werden müssen. Die Studie ist als ein Beleg dafür interpretierbar, dass Sprache mentalen Konzeptualisierungen nachgeordnet sei. Diese Schlussfolgerung wird hier jedoch nicht geteilt: Die Feststellung der Konzeptualisierung von Personen, die sich aktiv und bewusst mit feministischer Theorie auseinander gesetzt haben, sagt nichts über den Einfluss sprachlicher Veränderungen und strategischer Verwendungen personaler Appellationsformen bei Personen, die keinen entsprechenden feministischen Hintergrund haben, aus. Darüber hinaus wird es als wichtig erachtet, das Ergebnis in unterschiedlichen kulturellen Kontexten mit den jeweiligen Vorstellungen und Konzepten von Gleichstellung und Feminismus zu überprüfen. Khrosrohahis Untersuchung geht von einer klaren Zielvorstellung eines nicht-sexistischen Sprachgebrauchs aus. Ihr Ergebnis kann nicht so gedeutet werden, dass strategische Sprachveränderungen unnötig sind, sondern weist vielmehr darauf hin, welche Faktoren außerdem für ein verändertes Genderbild und eine veränderte Genderwahrnehmung eine Rolle spielen können und welchen Einfluss unter-
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
schiedliche soziale Gruppenzugehörigkeiten auf sprachliche Wahrnehmungen haben können.44 Sowohl Khrosrohahi (1989) wie Ehrlich und King (1992) lassen die Frage aufkommen, ob eine strategische Sprachveränderung überhaupt sinnvoll ist oder ob nicht, wie Ehrlich und King (1992) formulieren „[...] the interpretation of terms (neutral or not) seems to be heavily influenced by the ideologies of an individual or speech community rather than by the particular pronouns used in a given context.“ (Ehrlich und King 1992: 156) Diese These impliziert die Vorgängigkeit einer sozialen Realität vor dem Sprachgebrauch und der latenten Wirkung von Ideologien, die „stärker“ als ein strategisch geplanter Sprachgebrauch sind. Gleichzeitig betonen sie aber die Rolle, die ein veränderter Sprachgebrauch hat, um bestimmte Machtverhältnisse und Diskriminierungen bewusst zu machen und die positiv identifikatorische und stärkende Wirkung, die ein veränderter Sprachgebrauch für bestimmte Gruppen haben kann. Dass beispielsweise über verschiedene Diskurse hinweg Sprechenden im deutschsprachigen Raum die Form des großen Binnen-Is bekannt ist,45 auch wenn sie hauptsächlich auf Ablehnung stößt, zeigt gleichzeitig auch, inwiefern feministische Sprachveränderungsstrategien eine große öffentliche Bekanntheit besitzen, und es zumindest häufig die Notwendigkeit gibt, sich zu ihnen zu verhalten. Wie bereits angedeutet, kann nicht von der Konzeptualisierung von Menschen, die Genderidentität aus einer feministischen Perspektive reflektiert haben, auf die Konzeptualisierungen und den Einfluss sprachlicher Appellationen auf die Konzeptualisierung anderer Menschen geschlossen werden.
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Letztendlich ist ihr Ergebnis eine Verstärkung der in Hornscheidt (2006b) vorgestellten Ergebnisse von Perzeptionsstudien, in denen durchgängig gezeigt wird, dass die eigene Genderidentifikation auch eine signifikante Auswirkung auf genderspezifizierende Konzeptualisierungen jenseits weiterer Faktoren besitzt. Ein feministisches Selbstverständnis kann in diesem Zusammenhang als ein reflektiertes und gesteigertes Bewusstsein der eigenen Genderwahrnehmung ausgelegt werden, so dass die für diese Gruppe feststellbare starke Beeinflussung von Konzeptualisierungen bei dem Gebrauch personaler Appellationsformen auch vor diesem Hintergrund erklärt werden kann. Ihre Untersuchung ist ohne Nachfolgerinnen geblieben, obwohl die von ihr untersuchte These in zahlreichen späteren Untersuchungen zur Wirkung von personaler Appellationsformen in der angedeuteten, übergeneralisierten Form des Verweises der Nachordnung von Sprache gegenüber Konzeptualisierung zitiert wird. Die Frage aber, wie gesellschaftliche Mehrheitsverhältnisse zu feministischen werden können, wird jeweils nicht diskutiert. An dieser Stelle wird hier gerade die Relevanz sprachlicher Benennungspraktiken gesehen. Inwiefern es sich hier auch um ein Community- und schichtenspezifisches Wissen handelt, wäre empirisch zu überprüfen.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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Neben der relativen sozialen Position unterschiedlicher Sprecher/innen in einer Sprachgemeinschaft spielt auch die politische Selbstidentifikation und –verortung der Sprechenden hingegen eine Rolle dafür, inwiefern strategische Sprachveränderungsstrategien bei diesen realisiert werden, d.h. inwiefern Konzeptualisierungen in Praktiken personaler Appellation umgesetzt werden. Sowohl Cronin und Jreisat (1995) als auch Rubin und Greene (1991) haben festgestellt, dass Personen mit einem feministischen Hintergrund eher bereit sind, ihren Sprachgebrauch zu ändern als Personen ohne einen feministischen Hintergrund, und diese Feststellung kann unabhängig von der relativen sozialen Position der Sprechenden getroffen werden. Ob ihr Sprachgebrauch dann zu gesellschaftlich gesehen umfangreicheren Sprachveränderungen beiträgt, ist seinerseits wiederum von der relativen sozialen Position dieser Personen abhängig. Es wird deutlich, dass die bewusste, reflektierte politische Einstellung in einem Wechselverhältnis zum Sprachgebrauch als auch zur sprachlich beeinflussten Konzeptualisierung mit Hinblick auf Personen verstanden werden muss. Eine Kritik an feministischen Sprachveränderungsstrategien aus einer feministischen, konstruktivistischen oder poststrukturalistischen Perspektive findet sich bisher nur von Cameron (1998a, 2003) und Hornscheidt (2002). Diese Studien sind Indiz einer Selbstreflexion feministisch linguistischer Forschung. In ihnen wird jeweils eine pragmatische Sprachsicht vertreten, in denen die Naturalisierungen von Bedeutungen, die durch feministische Sprachveränderungsvorschläge hergestellt werden, zur Debatte stehen. Cameron (1998a) analysiert ausgehend von zwei englischsprachigen Handbüchern46 zu nicht-sexistischem Sprachgebrauch die diesen Veröffentlichungen zu Grunde liegenden Auffassungen zu Sprache, Bedeutung und sozialer Wirklichkeit. Sie kritisiert die Handbücher, da sie ihrer Meinung nach ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werden und Lösungsvorschläge propagieren, die hinter gesellschaftlichen Wirklichkeiten zurück bleiben. Grundlegende Prämisse der Handbücher ist die Annahme, dass Begriffe Bedeutungen tragen. Daraus folgt die Konsequenz, dass bestimmte Begriffe kontextlos als sexistisch bewertet und ihnen andere Ausdrucksalternativen gegenüber gestellt werden. Diese Annahmen implizieren auch die Abwesenheit eines ausgearbeiteten Konzepts zu Machtrelationen und die Relation von Sprache zu diesen. Eine traditionel-
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Sie bezieht sich hier auf Miller, Casey und Kate Swift (1980) A handbook of non-sexist writing London (The Women’s Press) und Doyle, Margaret (1995) The A-Z of non-sexist language London (The Women’s Press).
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
le linguistische Auffassung zu Bedeutung wird in ihnen reproduziert, wodurch die Annahme der Wirkungsmächtigkeit von Sprache, die Perspektive von Sprache als Sprachgebrauch und Handlung, unsichtbar und Sprache wiederum als Spiegel einer außer ihr liegenden Wirklichkeit reinstalliert und diese Auffassung durch die Handbücher weiter verfestigt wird. Cameron stellt dar, wie die Handbücher in ihrer Argumentation sich zwar einerseits auf eine Wertvorstellung der modernen Sprachwissenschaft zurück ziehen, indem sie postulieren, nicht vorschreibend zu sein oder sein zu wollen, andererseits aber genau dies machen – und damit ihren eigenen Ansatz mit einer negativen Bewertung belegen. In Hornscheidt (2002) ist die Ambivalenz eines solchen Vorgehens innerhalb der Feministischen Linguistik ausführlicher für den deutschsprachigen Kontext diskutiert.47 Cameron (1998a) nennt darüber hinaus einen weiteren Kritikpunkt, der die Konstitution des Gegenstandes betrifft: „Far from worrying about excessive ‚political correctness‘. [sic] I find it both astonishing and disturbing that allegedly feminist handbooks are still, in 1995, so completely inattentive to the need for guidance on usage in areas where sexism interacts with other oppressions, or where differences exist among women.“ (Cameron 1998a: 158)
Die an dieser Stelle von ihr nur kurz angesprochene Frage der Komplexität von Identitätsbenennungen und -konstruktionen und im Zusammenhang damit auch von Diskriminierungen ist sowohl in Kapitel 3 anhand einer Darstellung der personalen Appellationsformen im Schwedischen bezogen auf die Unsichtbarkeit der Reproduktion einer heterosexuellen Norm thematisiert worden als dieser Aspekt auch in den nachfolgenden Teilen der vorliegenden Untersuchung weiter aufgenommen wird. Die in der feministisch-linguistischen Forschung zu personaler Appellation präsupponierte Annahme einer Isolierbarkeit von Gender als Identitätskategorie verfestigt diese Auffassung gleichzeitig auch wiederum und macht eine Analyse der Komplexität dynamischer Identitätskonzeptualisierungen auch in Bezug auf Gender unsichtbar.48 Die explizite Kritik, die von Ca-
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Vgl. auch die zusammenfassenden Bemerkungen von Cameron (1998a: 161): „The other shortcoming is the naive concept of language as a purely representational medium whose purpose is to reflect reality accurately. If that were true, then conventional sexist language would do the job well enough, since we (still) live in a sexist world. But in fact language is ideological.“ Innerhalb der feministisch-linguistischen Forschung zu Gesprächsanalysen, wird diese Kritik seit Ende der 90er Jahre in Untersuchungen umgesetzt, die einen Zusammenhang von Gender mit race und class auf der einen Seite sowie mit Sexualität auf der anderen Seite thematisieren. Auch hier zeigt sich wiederum die Zweiteilung der linguistischen Forschung
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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meron (1998a) in dieser Hinsicht geäußert wird, ist für die Erforschung personaler Appellation weiterhin eine Ausnahme. Camerons (1998a) größter Kritikpunkt an dem traditionellen feministisch-linguistischen Vorgehen der Sprachkritik und der Vorschläge für strategische Sprachveränderungen ist der Vorwurf, ein naives Sprachkonzept zu Grunde zu legen, welches im Rahmen der vorliegenden Arbeit als traditionell-linguistisch und strukturalistisch bezeichnet worden ist. Bedeutung ist in der ‚naiven‘ Auffassung ein Charakteristikum von Wörtern und Phrasen, was zur Folge hat, dass ein Austausch von Wörtern auch zu anderen Bedeutungen führt. Die Dimension sprachlicher Konstruktion von Wirklichkeit bleibt hier ebenso wie ein komplexeres Modell dazu, was Bedeutung ist, wo sie verortet werden kann und wie sie entsteht und entsprechend verändert werden kann, außen vor. Dass es sich bei der Auffassung von Cameron (1998a) und mit dem in der vorliegenden Studie vertretenen Ansatz um Ausnahmen handelt, zeigt auch die Behandlung des Themas bei Romaine (1999). Sie geht in ihrer Analyse von einer komplementären Perspektive aus, wenn sie soziale Veränderungen nicht automatisch als sprachlich manifest ansieht. Sie nimmt einen anderen Ausgangspunkt für ihre Überlegungen, indem sie nicht zuerst nach der Konsequenz sprachlicher Veränderungsstrategien auf gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Wahrnehmungsmuster fragt, sondern andersherum danach, welche sprachlichen Auswirkungen und Manifestation gesellschaftliche Veränderungen haben. „Linguistic change is not an inevitable outcome of a political commitment to equal opportunity. It has to be actively pursued. Male superiority should not be confused with male power. Male superiority is a myth that can be exposed by education and a change in consciousness, but male power has to be challenged in a more radical way in order to effect change. Although „language“ can be planned, discourse cannot be.“ (Romaine 1999: 316)
Romaine (1999) unterscheidet zwischen Sprachveränderungen auf der Ebene der langue und diskursiven Veränderungen, wovon sprachliche einen Teil bilden würden. Während sie impliziert, dass die sprachplanerisch initiierte Veränderung von Sprache, beispielsweise bezogen auf Genderspezifizierung personaler Appellationsformen, relativ klar und durchführbar ist, benennt sie diskursive Veränderungen als nicht planbar. Während die sprachsystematische Veränderung der personalen Appellationsformen in ihrer Auffassung zu einer Dekonstruktion der Vorstellung männlicher Überlegenheit beitragen könnte, ist dadurch die Macht über
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zu Gender und Sprache, die sich nicht nur in einer strikten Trennung inhaltlicher Bereiche, sondern auch methodologisch zeigt.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
den Diskurs, die sie als männlich benennt, nicht in Frage gestellt. Zum einen expliziert sie so die Grenzen der traditionellen feministischen Sprachveränderungsbemühungen, zum anderen impliziert sie die Unmöglichkeit einer geplanten diskursiven Veränderung, die gegenderte Machtverhältnisse in Frage stellen würde. Ihre Argumentation kann als eine Reproduktion der Unterteilung in Sprachsystem und -gebrauch gelesen werden, denen zugleich unterschiedliche Möglichkeiten der Sprachveränderung sowie unterschiedliche Bedeutungsebenen zugeordnet werden. Eine so klare Dichotomie, wie sie von Romaine zum Ausdruck gebracht wird, wird in der vorliegenden Arbeit auf dem Hintergrund einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie verworfen. Auch die Frage der strategischen Sprachveränderung von personalen Appellationsformen in einer systematischen Weise ist eine diskursive Ebene, in der Machtaspekte ebenso eine Rolle spielen wie auf anderen diskursiven Ebenen. Zugleich jedoch wird dieser diskursiven Ebene im Diskurs selber eine Übergeordnetheit bzw. Vorgängigkeit vor dem ‚sonstigen‘ Diskurs zugeschrieben. Diese Zuschreibung erfolgt im Zusammenhang mit Autoritätssetzungen innerhalb einer Gesellschaft für die Frage dazu, wer bzw. welche Institutionen für Sprachfragen kompetent ist. Die Autorität äußert sich in Wörterbüchern, Grammatiken und Lexika, darüber hinaus aber auch in unterschiedlichen medialen und Bildungspraktiken. Aus dieser Sicht muss die Reproduktion einer sprachsystematischen Vorgängigkeit vor dem ‚sonstigen‘ sprachlichen Diskurs in der feministischen Linguistik bezogen auf Vorschläge strategischer Sprachveränderungen dahingehend kritisiert werden, dass in ihr bestimmte gesellschaftliche Setzungen von Autorität und Normierung übernommen und nicht hinterfragt werden. Eine veränderte Einstellung zur Autorität, Norm und Vorgängigkeit einer bestimmten sprachanalytischen Perspektive auf personale Appellationsformen in Bezug auf Gender kommt durch die Entwicklung und Durchführung so genannter Perzeptionsstudien zustande, in denen die Frage der Wirkung von Appellationsformen auf die Genderwahrnehmung der an der aktuellen Kommunikation Beteiligten analysiert wird.49 In den entsprechenden Forschungen wird ausgehend von in Testsituationen hergestellten systematischen Veränderungen von vor allem personalen Appellationsformen in Bezug auf Genderspezifizierung der Zusammenhang von Sprachgebrauch und Wahrnehmung untersucht. Das enge Paradigma eines strukturalistischen Ansatzes, in dem es lediglich um die sprachliche Kompetenz einer idealen Sprecherin oder eines idealen Sprechers geht,
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Vgl. Hornscheidt (2006b).
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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wird durch dieses Untersuchungsdesign zugunsten der Analyse konkreter Sprechhandlungen und Konzeptualisierungen verlassen. Ohne dies in der Regel theoretisch zu explizieren, ist dieser Forschungszweig pragmatisch und kognitiv-linguistisch orientiert. Eine weitere Umsetzung eines pragmatischen Ansatzes auf die Frage feministischer Sprachveränderungsstrategien findet sich bei McConnellGinet (1998), die auf personale Appellationsformen bezogene Sprachveränderungen zu Gender ausgehend von Grices Modell der Bedeutungsentwicklung und –zuschreibung als Analyse der (Annahme der) wechselseitigen kommunikativen Intentionen im Diskurs betrachtet.50 Die Annahme, dass Bedeutung nichts Statisches ist und nicht an Wörtern festgemacht werden kann, sondern Teil von Interaktionen und nur dort entsteht, hat für die Einordnung von Sprachveränderungen in mehrfacher Hinsicht Konsequenzen gegenüber einer Auffassung, dass Bedeutung, bezogen auf personale Appellationsformen, in Wörtern zu verorten sei, wie sie grundlegend für einen großen Teil der feministisch-linguistischen Auffassungen zu Sprachveränderungen ist. McConnell-Ginet (1998) verortet im Gegensatz dazu Sprachveränderungen auf der Ebene des Diskurses und bemisst sie kontextuell. Sie sieht Bedeutungen nicht in Wörtern, sondern in Diskursen und als ausgehandelt zwischen den an der Interaktion Beteiligten. Der Prozess der Herstellung von Bedeutung ist ein interaktiver, der auf der gegenseitigen Unterstellung von Intention und der Herleitung derselben basiert. Als Teil eines sozialen und historischen Kontinuums diskursiver Bedeutungsaushandlungen werden in Kommunikation zugleich auch immer gesellschaftlich ausgehandelte, hegemoniale Bedeutungszuschreibungen reproduziert. „The production of meaning designates the processes through which speakers mean something by what they say (or writers by what they write) and through which hearers (or readers) interpret what is said (or written). The reproduction of meaning refers to our dependence, in producing meanings, on previous meanings or interpretations, to our dependence in particular on one another’s experience with the linguistic forms being used.“ (McConnell-Ginet 1998: 199)
McConnell-Ginets Ansatz schließt an diesem Punkt an die im zweiten Kapitel gemachten Ausführungen zur Rolle von Konventionen im Prozess der Bedeutungsaushandlung in konkreten Kommunikationssituationen an, die über die bewussten Intentionen der Sprechenden hinaus bedeutungsvoll in einer konkreten Kommunikationssituation sind. Sie diskutiert die Möglichkeit von Veränderungen in Bezug auf Konzeptualisierun-
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Vgl. die entsprechenden Anmerkungen weiter oben.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
gen, die sie an der Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen von angenommenen Intentionen im kommunikativen Prozess ansetzt sowie durch einen Sprachgebrauch, der eine veränderte Verwendung von personalen Appellationsformen integriert, vor allem aber eine divergierende und bewusste Intention sprachlich zum Ausdruck bringen soll. Sie schätzt die Chance zu einer sprachlichen Veränderung unter den von ihr gemachten Voraussetzungen als schwierig ein: „In contrast, it is much more difficult for me to mean to insult him by saying ‚you think like a man‘, because to recognize my intention he would not only have to know that my opinion of men’s thinking is low, he would also have to believe that I know he so knows or that I believe he so believes); […] And even where the intended insult works, it is construed as something of a joke or as a special usage, unless the stereotype disparaging women’s thought (or at least elevating men’s) is not familiar to both interlocutors. Thus it is easy to reproduce notions with widely established currency and difficult to produce unexpected or unfamiliar ones. I need not actually believe some commonplace, or even know that my interlocutor does, in order to attribute to him […] the intention to treat it as a view we share. Indeed, even if I explicitly deny that view, I may end up doing so by acknowledging that it is generally believed.“ (McConnell-Ginet 1998: 205f.)
Sprachveränderung ist kein singulärer und abschließbarer Akt, der bezogen und begrenzt auf den Austausch einzelner personaler Appellationsformen durch andere eine direkte Bedeutungsveränderung zur Folge haben könnte – was der Fall ist, wenn man Bedeutung als Teil von Wörtern ansieht, wie in traditionellen semantischen und auch feministischlinguistischen Vorstellungen. Ausgehend von Grices Modell geht McConnell-Ginet hingegen davon aus, dass eine veränderte Verwendung von personalen Appellationsformen als Teil des Ausdrucks von einer Norm abweichender kommunikativer Intentionen vor einem sozialen Hintergrund rezipiert werden, in dem sie in der Regel nicht in einer bedeutungsverändernden Intention verstanden, sondern im Kontext des sozial als normal erachteten Norm- und Wertesystems im kommunikativen Prozess als höchstens abweichend interpretiert werden. Dadurch reproduziert sich letztendlich auch wieder eine Normvorstellung in der abweichenden Verwendung personaler Appellationsformen. Ausgehend von diesem Ansatz kann beispielsweise die im vorhergehenden Kapitel für das Schwedische diskutierte Frage der Rolle von Heteronormativität in der Art der sprachlichen Bezugnahme auf Personen mit personalen Appellationsformen untersucht werden. Gesellschaftliche Diskurse und hegemoniale Vorstellungen dazu, was Gender ist, können so auf eine neue Weise in die Analyse integriert werden. Damit ändert sich gleichzeitig aber auch die Zielsetzung und die Ansätze einer feministi-
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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schen Linguistik, da sie nicht mehr ausgehend von Wörtern, denen sie bestimmte (Gender)Inhalte zuschreiben, eine Analyse und Kritik jenseits sozialer und gesellschaftlicher Kontexte formulieren können. Insofern ist der von McConnell-Ginet (1998) entwickelte Ansatz für die Diskussion einer konstruktivistischen Perspektive auf strategische Sprachveränderung von großer Relevanz. Gleichzeitig gilt es zu untersuchen, ob die Reproduktion von Normen so durchgängig ist, wie McConnell-Ginet (1998) es andeutet. Ausgehend von dem im zweiten Kapitel entwickelten konstruktivistischen Bedeutungskonzept wird nicht länger von einer festgelegten, statischen Bedeutung ausgegangen, so dass auch die ReProduktion von normierten Konzeptualisierungen auf dem Hintergrund einer bestimmten kommunikativen Erwartungshaltung als relativ angesehen werden muss. Es wird die These vertreten, dass sich in Verwendungen personaler Appellationen und in dem Versuch der Veränderung personaler Appellationspraktiken immer auch bestimmte Konzeptualisierungen verfestigen, während andere zur Debatte stehen. Die bei McConnell-Ginet (1998) implizierte Eindeutigkeit der Zuschreibung von Bedeutung im Falle von Konzeptualisierungen personaler Appellation wird somit in Frage gestellt. 4.3.3 Ausblick zu der feministischen Diskussion strategischer Sprachveränderungen in Bezug auf Gender Zusammenfassend sind in Bezug auf die Diskussion feministischer Sprachveränderungsstrategien in den vorangegangenen Unterkapiteln eine Reihe von Tendenzen deutlich geworden, die in diesem Unterkapitel zusammenfassend und im Hinblick auf ihre Relevanz für ein konstruktivistisches Modell strategischer Sprachveränderungen diskutiert werden: x Während die Diskussion in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem von der Annahme einer der Sprache inhärenten Diskriminierung in Bezug auf Gender, die durch systematische Sprachveränderungen als behebbar angesehen wird, geprägt war, hat in den 90er Jahren zumindest teilweise eine Fokusverschiebung stattgefunden, in der die Konventionalisierung von Bedeutung, die soziale Positionierung der Kommunizierenden und Aspekte sozialer Macht stärker berücksichtigt werden. Die Frage des Abbildungsverhältnisses von Sprache wird größtenteils nicht in Frage gestellt, so dass auch weiterhin von einer Zielvorstellung ausgegangen wird, in der es um durch Sprache zu schaffende gerechte Abbildungsverhältnisse und weniger
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
um die Konstruktion einer Konzeptualisierung durch Prozesse sprachlicher Benennung geht. Die Umsetzung feministischer Sprachveränderungsvorschläge wird in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts auf dem Hintergrund einer Machtanalyse neu bewertet und die Notwendigkeit der Einbeziehung gesellschaftlicher Machtrelationen betont. Die Frage der sozialen Position der Sprechenden wird dabei ebenso wichtig wie der Aspekt der eigenen politischen Gesinnung. Gegenüber traditionellen Ansätzen wird auf dieser Grundlage die Relevanz der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen mit einem jeweils unterschiedlichen sozialen Status zu einem wichtigen Teil der Analyse. In einer pragmatischen Perspektive verschiebt sich die Frage von den konkreten Formen, die verändert werden können oder sollen hin zu den Realisations- und Gelingensbedingungen strategischer Sprachveränderungen. In dem Sinne ist die pragmatische Perspektive auf Sprachveränderungen eine notwendige Ergänzung einer strukturalistischen Perspektive, die die Grenzen und Möglichkeiten strategischer Sprachveränderungen analysierbar macht. In diesem Zusammenhang wird auch die Macht von konventionalisierten sprachlichen Normierungen in Form von Wörterbüchern und Lexika gesehen, ohne dass dadurch eine grundlegende Veränderung strategischer Sprachveränderungsvorstellungen eingesetzt hätte, sondern auch weiterhin Handbücher und Regelwerke als eine sinnvolle Umsetzung einer feministischen Sprachkritik angesehen werden. Dadurch wird die Auffassung einer sprachlichen Normierung hier aufgenommen und reproduziert. Unverändert ist von den 70ern zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die Annahme einer Unhinterfragbarkeit der Kategorie Gender, die sprachlich vorgängig diskriminierend durch autorisierten Sprachgebrauch abgebildet wird. Es haben keine nennenswerten Bestrebungen stattgefunden, Gender als Teil einer komplexen Identitätsaushandlung zu konzeptualisieren. Damit zusammenhängend sind die Ziele einer feministischen Sprachveränderung sprach- und zeitübergreifend konstant geblieben: die nicht diskriminierende Repräsentation von Frauen. Parallel dazu findet sich auch bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die Annahme einer klaren Genderzuordbarkeit der Sprechenden, welches zugleich als unterschiedliche Motivation in der Frage der Bewusstheit politischer Dimensionen der eigenen Genderidentität wie auch als eine Grundlage, auf der strategische Sprachveränderungen unterschiedliche Konsequenzen haben, gedeutet wird.
4.3 Die feministische Diskussion um strategische Sprachveränderungen
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„A first step in achieving language reform is thus some consensus in the innovating speech community, in our case, socially conscious women, that a particular innovation is an appropriate non-sexist solution. The next step is the development of non-sexist language guidelines incorporating these solutions.“ (Ehrlich und King 1992: 154)
Ehrlich und King stellen eine Natürlichkeit der Genderidentifikation her, indem sie ‚sozial bewusste Frauen‘ als die Gruppe derjenigen benennen, von denen feministische Sprachveränderungsvorschläge ausgehen können. Die Frage der potentiellen gegenderten Diskriminierung durch Sprache ist hier auf Frauen als Gruppe bezogen und sozial bewusste Frauen sind diejenige Teilgruppe, die ihrerseits Sprachveränderungen initiieren kann. Damit wird der Blick darauf, was unter Sprachveränderungen gefasst wird, ebenso wie darauf, was als Diskriminierung anzusehen ist verengt. Die nicht adäquate sprachliche Repräsentation von Frauen wird als implizite Zielvorstellung feministischer Sprachveränderungen immer wieder neu hergestellt. So werden Frauen und hier speziell noch mal die Gruppe der Feministinnen als eine außersprachlich konstituierte Gruppe als Ausgangspunkt von Sprachveränderungen angesehen, letztendlich aber auch genderspezifische Unterschiede der Wirkungsweise von Sprachveränderungen postuliert. „Awareness alone, of course, does not make oppression go away. But forcing ourselves to bring the problem out into the open, ‚wording it‘, is one major, if not the only way for us to deal with it in a practical perspective, through the use of language. An ‚emancipatory‘ language, that is, a use of language that does not subscribe to the commonly established prejudices about, and skewed images of, women, will change men's ways of thinking of women, while it makes women conscious of the importance of language in their lives. Every time we force ourselves to use a form like ‚she or he‘, rather than the so-called generic ‚he‘ (supposedly covering both sexes), a little step is taken toward the realization of the fact that ‚man-made-language‘ is an historical accident, not a natural condition which cannot be changed. The presence of women in the world can be emphasized and protected through this seemingly insignificant small shift in the language - and therefore, it is not useless or in vain.“ (Mey 2001: 313)
Auch Mey (2001) differenziert, wenn auch bezogen auf einen anderen inhaltlichen Punkt als Ehrlich und King (1992), zwischen den weiblichen und männlichen Sprecher/inne/n einer Sprache, denen die Genderidentität als natürliche und sprachliche vorgängige Eigenschaft zugeschrieben wird. Mey (2001) geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er die Wirkung strategischer Sprachveränderungen als genderspezifisch ausdifferenziert und implizit genderspezifisch unterschiedliche Konzeptualisierungen als generelle Wahrheiten unter-
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
stellt.51 Die Fortschrittlichkeit, die in Meys Aussage zum Ausdruck kommt, liest man sie gegen mit einem strukturalistischen Ansatz zu Sprachveränderung, wie er zu Beginn des Kapitels dargestellt worden ist, wird durch die unreflektierte Zuschreibung von Gender als natürliche Kategorie zu den Sprechenden relativiert. Es bleibt über die letzten Jahrzehnte hinweg eine Schwerpunktsetzung der Forschung auf einer formalen und vor allem systematischen angestrebten Sprachveränderung beobachtbar, der entsprechend klare Zielsetzungen zugesprochen werden können. Das Ziel besteht damit in einer Vereindeutigung von personaler Appellation in Bezug auf Gender und nicht in einer Irritation oder Infragestellung, was aus einer konstruktivistischen Perspektive als mögliche Zielvorstellung formuliert werden könnte. Im Verhältnis zu gesprächsanalytischen Studien, dem traditionellen zweiten Standbein feministisch-linguistischer Forschungen seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, ist der Anteil von Forschungen, die sich mit Sprachveränderungen beschäftigen, innerhalb der letzten Jahrzehnte immer kleiner geworden und scheint heute nur noch einen untergeordneten Stellenwert einzunehmen. Die Frage der strategischen Sprachveränderungen spielt wird in der fachwissenschaftlichen Diskussion weitestgehend ausgespart, wie im nachfolgenden Kapitel in Bezug auf die schwedische Situation tiefergehend diskutiert wird.
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Diese Genderspezifizierung ist nicht identisch mit der weiter oben angesprochenen, in Perzeptionsstudien festgestellten relativen Übereinstimmung von eigener Genderwahrnehmung und der Konzeptualisierung personaler Appellation, die als eine relative charakterisiert worden ist und nicht eine biologisch oder natürlich fundierte Grenzziehung zwischen Konzeptualisierungen aufstellt.
4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung 323
4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung aus einer konstruktivistischen Sicht One cannot speak ,outside the structure`, either of language or society. Feminists can, however, struggle, from the inside, to speak against the structure, by contesting/critiquing the representation of women in language and discourse. Cameron 1998b: 9
Im Folgenden wird die konstruktivistische Sichtweise zu Sprache aus dem zweiten Kapitel auf die linguistischen Ansätze zu strategischen Sprachveränderungen sowie die feministisch-linguistische Diskussion zu Sprachveränderungen rückbezogen. Es wird zusammenfassend dargestellt, welche Perspektiven auf Sprachveränderungen sich aus einer konstruktivistischen Sicht einnehmen lassen und wie diese aus einer kognitiv-pragmatischen Sicht zu bewerten sind. Aus einer konstruktivistischen Perspektive wird in Bezug auf den Zusammenhang von Sprache und Gender untersucht, wie Identitätskategorien diskursiv produziert werden, bei denen Gender als relevant und natürlich gesetzt sind. „Ziel der Genealogie ist es herauszufinden, wie die Geschlechterdifferenz als (diskursive) Norm dazu führt, dass sie als ‚naturgegebene‘ Binarität erscheint, die letztendlich alle geschlechtlich relevanten Phänomene strukturiert und damit die vermeintlich natürliche Geschlechterdifferenz als soziale Konstruktion zu entlarven.“ (Villa 2001: 124)
Diese Perspektive ist in den vorangegangenen Teilen dieses Kapitels in eine Kritik der Diskussion um feministische Sprachveränderungen umgesetzt worden, in der die Herstellung einer Natürlichkeit der Kategorie Gender in den entsprechenden Diskursen herausgearbeitet werden konnte. Strategische, von feministischer Seite vorgeschlagene Sprachveränderungsstrategien betreffen in traditioneller linguistischer Dichotomisierung die Ebene der Kompetenz, der grundsätzlichen Möglichkeit der Referenz auf Menschen jenseits eines konkreten Sprachgebrauchs und werden in Empfehlungen und Handbüchern zu Vorschlägen dazu umgesetzt, wie ein unterlegtes Ziel der Gleichberechtigung durch eine systematische Veränderung der Konventionen personaler Appellation erreicht werden kann. Die Annahme einer Widerspiegelung einer symmetrischen Genderrelation,
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
die durch eine Genderspezifizierung oder -abstraktion in der konkreten Appellation erreicht werden kann, wird als der Ideal- und Zielzustand einer geänderten Sprache angesehen, die in dieser Vorstellung wiederum den Status eines Systems bekommt, wenn er auch in neueren pragmatischen Ansätzen in einem systematischen Gebrauch liegen kann. Wie in einem Vergleich der Artikel in den Sammelbänden von Hellinger und Bußmann (2002) zu sehen ist, können die konkreten Strategien, die zur Erreichung dieses Ziels propagiert werden, für verschiedene Sprachen und in verschiedenen Sprachgemeinschaften unterschiedlich aussehen. In ihnen zeigt sich zugleich auch eine Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Auffassung einer zu erreichenden Zielvorstellung, d.h., ob die sprachliche Gleichberechtigung eher durch Abstraktion oder Spezifizierung zu erreichen ist, und welche Wege zu ihrer Propagierung gewählt werden. Dieser Vergleich bekräftigt die Annahme, dass sprachtypologische Differenzierungen hinsichtlich der lexikalisierten und grammatikalisierten Genderspezifizierung nicht primär für die unterschiedlichen propagierten Strategien kausal als Erklärung herangezogen werden können, wenngleich dies in den konkreten Diskursen um feministische Sprachveränderung häufig in einer sprachvergleichenden Argumentation der Fall ist. Einige Studien seit den 90er Jahren, die die Etablierung und Institutionalisierung strategischer feministischer Sprachveränderungen untersucht haben,52 kommen zudem zu Ergebnissen, die zeigen, dass die politische Positionierung der Sprechenden für die konkret verwendeten Appellationsformen ebenso ausschlaggebend sind wie die hegemoniale politische Einstellung zu Fragen der Genderdiskriminierung als auch die soziale Position der bestimmte Sprachveränderungen Propagierenden. „In the mouths of sexists, language can always be sexist.“ (Cameron 1992: 90) Eine Antizipation pragmatischer Kriterien hat in der Betrachtung feministischer Sprachveränderungsstrategien zu einer Relativierung ihrer potentiellen Effekte geführt. Gleichzeitig kommt in dem letzten Zitat auch die Ambivalenz der in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommenden Reflexion zum Ausdruck, wenn das Subjekt der Nennung vorgängig ist und sich nicht als solches erst durch die sprachliche Appellation immer wieder herstellt, wie es aus konstruktivistischer Perspektive zu formulieren wäre. Die in den 90er Jahren einsetzende Relativierung von strukturalistischen Sprachvorstellungen auch in Bezug auf feministische Sprachveränderungsstrategien durch eine stärkere Einbeziehung kontextueller Fakto-
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Vgl. Ehrlich und King (1992), Rubin, Greene und Schneider (1994), Khrosrohahi (1989).
4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung 325
ren wird so gleichzeitig auch wiederum relativiert, indem die Vorgängigkeit des Subjekts nicht in Frage steht. In der traditionellen feministischen Sicht zu strategischer Sprachveränderung wird Frauen als jenseits von Sprache zu verortenden genderspezifizierten Subjekten der Opferstatus eingeschrieben; sie sind Sprache als diskriminierendes Medium ausgeliefert. „An ideological analysis would see women as victims of sexist language, unable to intervene in the process whereby they are oppressed.“ (Christie 2000: 51) Das Subjekt besitzt ausgehend von dieser Perspektive nur eine indirekte Handlungsfähigkeit, da das System der Referenz auf Personen verändert werden und durch ein anderes ersetzt werden soll, welches nicht diskriminierend funktioniert. Das Individuum ist damit nur begrenzt handlungsfähig. Handlungsfähigkeit wird in die Sprache als autonomes Gebilde eingeschrieben, das Subjekt wird zur Oberfläche, auf der sich diese Handlungen einschreiben. „When we claim to have been injured by language, what kind of claim do we make? We ascribe an agency to language, a power to injure, and position ourselves as the objects of its injurious trajectory. We claim that language acts, and acts against us, and the claim we make is a further instance of language, one which seeks to arrest the force of the prior instance.“ (Butler 1997a: 1)
In einer konstruktivistischen Vorstellung entsteht die Genderidentität einer Person oder einer Gruppe von Menschen erst im Akt der Benennung, wird in ihr geschaffen, Sprache wird ein zentraler Handlungswert zugemessen. „[...] names are not just reflections of pre-existing realities, nor arbitrary labels with no relation to reality, but a culture’s way of fixing what will count as reality in a universe pregnant with a multitude of possible realities.“ (Cameron 1998b: 9) Mit dieser Sprachsicht können die Konzepte, die im Sprachgebrauch benutzt werden, hinterfragt werden, und es werden nicht Veränderungen unter der Annahme der Stabilität dieser, in diesem Fall Gender, durch Sprachveränderungen angestrebt. So bekommt das Subjekt als gleichzeitig Konstruktion und als Ort des Sprechens auch eine neue Handlungsmächtigkeit. „If a subject becomes a subject by entering the normativity of language, then in some important ways, these rules precede and orchestrate the very formation of the subject. Although the subject enters the normativity of language, the subject exists only as a grammatical fiction prior to that very entrance.“ (Butler 1997a: 135)53
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Lacan leitet aus dieser Bedingung der Subjektwerdung das ‚Eingeständnis‘ der Herstellung eines Nicht-Sprechbaren ab.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Traditionelle feministische Sprachveränderungsstrategien implizieren die Annahme einer sprachlichen Diskriminierung und reproduzieren die Idee einer sprachsystematischen Vorgängigkeit vor dem Sprechen. Vorgeschlagene Sprachveränderungsvorschläge beziehen sich zu einem großen Teil auf schriftliche Sprache und berücksichtigen mündlichen Sprachgebrauch sehr viel weniger mit oder stellen ihn als nachgeordnet in der Betonung schriftlicher Strategien zur Sprachveränderung her.54 Der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Sprachveränderungen liegt in der Regel auf einem Sprachgebrauch im öffentlichen schriftsprachlichen Diskurs, welcher systematisch verändert werden soll und der so gleichzeitig auch wieder als Norm hergestellt wird. Die im zweiten Kapitel auf personale Appellation angewendete Idee, dass jegliche Benennung die Imitation eines nicht vorhandenen Originals ist, dient in dem vorliegenden Kapitel als Kritik an dieser Auffassung, die es so zu hinterfragen gilt. Bedeutung entsteht im historischen Prozess, ist immer auch historisch sedimentiert und geschieht in der sich ständig wiederholenden und zitierenden Praxis, wodurch das zeitlich vorgängige zur Vorstellung einer ‚ursprünglichen‘ Bedeutung sedimentiert. „But by acknowledging that conventions of representation have been historically and socially constructed, we are also suggesting they can be de- and re-constructed.“ (Cameron 1998b: 13) Der in Argumentationen wider bestimmte Begriffsverwendungen häufig angewandte Verweis auf die Etymologie von Wörtern rekurriert auf die zeitlich vorgängige Bedeutung als ihr natürlicher Ursprung, der die Ablehnung bestimmter Begriffsverwendungen legitimiert oder in anderen Zusammenhängen die ‚eigentliche Neutralität‘ einer Bezeichnung unter Beweis zu stellen vermag. Implizit wird eine Vorstellung eines historisch in der Vergangenheit liegenden, ‚wahren‘ Ursprungs evoziert, der auch bereits im zweiten Kapitel aus einer konstruktivistischen Sicht als ein Mythos kritisiert wurde. An Butlers (1997a) Diskussion der rechtlichen Verfolgung von hate speech in den U.S.A. wird deutlich, dass es aus einer konstruktivistischen Sichtweise keine vom konkreten Sprachgebrauch losgelösten Sprachveränderungsstrategien geben kann. „If the utterance is to be prosecuted, where and when would that prosecution begin, and where and when would it end? Would this not be something like the effort to prosecute a
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Mündlicher Sprachgebrauch wird in Bezug auf Anredeformen thematisiert, darüber hinaus auf die Ebene des Gesprächsverhaltens verlagert, wo er in Form von beispielweise Rhetorik-Führern für Frauen sich niederschlägt (vgl. Cameron (1995) für eine Kritik). Selbst bei einer Berücksichtigung von Anredeformen geht es dabei häufig um den Sprachgebrauch in Briefen.
4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung 327
history, that, by its very temporality, cannot be called to trial?“ (Butler 1997a: 50) Die Übergabe der Macht an den Staat oder eine andere, höher geordnete Instanz darüber, ob etwas diskriminierend sei oder nicht, ist zugleich das Einräumen einer Möglichkeit an diese Instanz, Normen und Ausschlüsse herzustellen. Bezogen auf feministische Strategien zur Sprachveränderung, die in Form von Handbüchern und Leitfäden publiziert werden, kann dies in Butlers Begrifflichkeit als ein Versuch expliziter Zensur gelesen werden, die Subjekte gemäß bestimmten Normen herstellt und neue Ausschlüsse schafft. Dass die Form der Regelwerke in unterschiedlichen Weisen gewählt wird, um feministische Sprachveränderungsvorstellungen zu propagieren, kann auf diesem Hintergrund als eine Konzession an Machtrelationen gelesen werden, in der diese gleichzeitig nicht nur akzeptiert, sondern auch verstärkt werden. „The conditions of intelligibility are themselves formulated in and by power, and this normative exercise of power is rarely acknowledged as an operation of power at all.“ (Butler 1997a: 134). Wie in Kapitel 3 dargestellt wurde und in Kapitel 5 vertiefend behandelt wird, ist die Herstellung von gegenderter Identität im heutigen Schwedisch über sprachliche Prozesse der Appellation von einer heteronormativen Grundvorstellung, die sich dadurch auch immer wieder verfestigt, bestimmt. Gleichzeitig ist im nachfolgenden Kapitel auch zu untersuchen, auf welchen Ebenen Prozesse der Machtzuschreibung in Bezug auf die Autorisierung von Sprachveränderungsregeln und -reglementierungen stattfindet. Dies ist aus einer konstruktivistischen Sichtweise eine Verbindung der Fragen welche Gendernormen und -vorstellungen den Strategien zu Grunde liegen, welche Autoritäten in einer Infragestellung von sprachlichen Konventionen hergestellt werden und welche Rolle das sprechende Subjekt zugeschrieben bekommt sowie die Frage, wie Sprache konzeptualisiert ist. Wie in dem vorliegenden Kapitel zu sehen ist, kann in der sprachübergreifenden Diskussion zu strategischen feministischen Sprachveränderungen eine Prototypisierung öffentlichen, schriftlichen Sprachgebrauchs als zentraler Ort sprachlicher Veränderungen ausgemacht werden. Ob es zu einer staatlichen Übernahme entsprechender Strategien und ihrer Propagierung kommt, ist dabei unterschiedlich und soll nachfolgend diskutiert werden. Eine Hinterfragung der konstituierenden Bedingungen feministischer Sprachveränderungsstrategien ist nicht mit einer Annahme, dass diese grundsätzlich als politische Strategie zu verwerfen seien, gleichzusetzen. Durch eine konstruktivistische Sichtweise auf sie können ihre unhinterfragten Prämissen untersucht und ihre Gelingensbedingungen und die durch sie gleichzeitig hergestellten Normalisierungen von Sprache und
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Gender kritisiert werden, um sie von dort aus zu neuen Sprachstrategien zu entwickeln. „A structure only remains a structure through being reinstated as one. Thus, the subject who speaks within the sphere of the speakable implicitly reinvokes the foreclosure on which it depends and, thus, depends on it again. This reinvocation, however, is neither mechanical nor deliberate. Indeed, the subject does not stand at an instrumental distance from this foreclosure; what is reinvoked is also that which grounds the possibility of the reinvocation, even as the form that the reinvocation takes is not reducible to its presupposed form. One speaks a language that is never fully one’s own, but that language only persists through repeated occasions of that invocation. That language gains its temporal life only in and through the utterances that reinvokes and restructure the conditions of its own possibility.“ (Butler 1997a: 140)
Was bedeutet dies nun für die Idee strategischer Sprachveränderungen mit Bezug auf Gender? Sprache wird aus einer konstruktivistischen Sicht als ein zentrales Medium zur Herstellung und Reproduktion von Genderrollen, -stereotypen, -erwartungen und -differenzen angesehen, nicht jedoch als Widerspiegelung oder Repräsentation gesellschaftlicher und sozialer Diskriminierungen. So wird zugleich das Prozesshafte, Kontinuierliche und Aktive dieses Aktes betont, Diskriminierung nicht als prädiskursiv verstanden. Die Idee einer klaren und eindeutigen sowie abschließbaren Liste von sprachlichen Veränderungen und eine klare Zielvorstellung derselben muss notwendigerweise zu neuen unreflektierten Ausschlüssen führen, die es zu reflektieren gilt. Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind Sprachveränderungen keine abschließbare Liste von Regeln, sondern es handelt sich um einen kontinuierlichen ‚Zustand‘, dessen Prozesshaftigkeit als eine Chance begriffen wird. Aus einer konstruktivistischen Perspektive kann zudem gefragt werden, ob strategische Sprachveränderungen auf die explizite Benennung von einzelnen sprachlichen Formen übergreifenden Regeln beschränkt werden können. Ausgehend von der im ersten und zweiten Kapitel entwickelten Anschauung, dass Sprache als eine soziale Praxis zu verstehen ist und keine sprachsystematische, objektivierbare Ebene davon losgelöst angenommen wird, ist jegliche Form des Sprachgebrauchs als eine strategische und kontinuierlich stattfindende Sprachveränderung zu verstehen. Ein Unterschied besteht in der Explizitheit eines Anspruchs sprachlicher Veränderung, ihrer Reflexion und in der Institutionalisierung entsprechender Strategien, wenn sie als Regeln auf eine metasprachliche Ebene gehoben werden, indem versprachlichte Empfehlungen über Sprache aufgestellt werden.
4.4 Grenzen und Möglichkeiten einer strategischen feministischen Sprachveränderung 329
Ein weiteres Verständnis von Sprachveränderungen kann in einer linguistischen Analyse Aufschluss darüber geben, an welchen Orten Veränderungen von Konzeptualisierungen zum Beispiel in Bezug auf Gender stattfinden und was in diesen zur Disposition steht. Es handelt sich bei einer konstruktivistischen Kritik nicht um die Ersetzung einer strategischen Sprachveränderung um eine andere, sondern um eine neue Perspektive auf Sprachveränderung als ein kontinuierlicher und überall stattfindender Prozess, sobald Sprache gebraucht wird. Dies ist nicht mit einer Beliebigkeit der Analyse gleichzusetzen. Strategische Sprachveränderungen werden als eine spezifische Form von Sprachveränderung betrachtet, in der über eine bewusste und reflektierte Sprachpraxis Konzeptualisierungen neu verhandelt werden. Ihre Analyse gibt Aufschlüsse darüber, was innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Gruppen als explizit verhandelbar gilt, welche Gruppen die Autorität zugeschrieben bekommen, darüber zu verhandeln und was so gleichzeitig als Norm hergestellt und was weiterhin ausgegrenzt wird. Eine solche Analyse wird im folgenden für strategische Sprachveränderungspraktiken im heutigen Schwedisch durchgeführt. Sprachveränderungen sind in einem konstruktivistischen Modell ein ständiger Prozess, der nie abgeschlossen ist und auch keine klare und eindeutig benennbare Zielvorstellung verfolgt.55 Die grundlegende Instabilität von Bedeutungen im Prozess permanenter Aushandlungen versteht Sprachveränderungen als einen sozialen Teil dieser Bedeutungsaushandlungen. In der grammatikalisierungstheoretischen Sichtweise der emergent grammar56 befindet sich Sprache in einem ständigen Prozess der Veränderung und ist auch Grammatikalisierung keine einmal stattfindende und dann abgeschlossene Phase. Ein Weggehen von der Idee der strategischen Sprachveränderung hin zu einer Vorstellung kontinuierlicher ReSignifizierung wird innerhalb dieses Modells fassbar. Für eine Analyse von strategischen Sprachveränderungen ist die Frage zentral, welche gesellschaftlichen Gruppen sich mit ihrem Sprachgebrauch in einer Weise beschäftigen, dass sie Veränderungen bewirken wollen und/oder hervorbringen. Darüber hinaus kann so auch gefragt werden, welche Ausschlüsse in Sprachveränderungen jeweils wieder geschehen, für was die Konzession des Unbenennbaren nach Lacan in Kauf genommen wird, um etwas anderes zu benennen, welche Deutungsmächtigkeiten sich in welchen Kontexten durchsetzen können und was dies bezogen auf Gender konkret für die
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In diesem Punkt unterscheidet sich ein konstruktivistischer nicht von traditionellen, sprachwissenschaftlichen Ansätzen. Ein Unterschied wird jedoch in der Art des wissenschaftlichen Umgangs mit diesem Thema in vielen Fällen gesehen. Vgl. Kapitel 2.
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4. Strategische Sprachveränderungen aus konstruktivistischer Sicht
Konzeptualisierung dieser Identitätskategorie in konkreten Sprachgebrauchssituationen bedeutet. Auf der Grundlage der Diskussion des Begriffs queer im angloamerikanischen Sprachraum diskutiert Butler (1993a) die Frage der Möglichkeit politisch initiierter Sprachveränderungen. Diese Diskussion erfolgt auf der Grundlage ihrer Bestimmung performativer Äußerungen, wie sie in Kapitel 2 zusammengefasst worden ist. Ein ReClaiming bestimmter, Identität konstituierender Ausdrücke, die bis zu diesem Zeitpunkt als Schimpfwörter benutzt worden sind, impliziert nach Butler (1993a) die Forderung sich gegen die konstitutive Geschichte dieser Benennungen zu wenden, die zugleich die Bedingung der Benennung darstellt. „As much as identity terms must be used, as much as „outness“ is to be affirmed, these same notions must become subject to a critique of the exclusionary operations of their own production: For whom is outness a historically available and affordable option? Is there an unmarked class character to the demand for universal “outness”? Who is represented by which use of the term, and who is excluded? For whom does the term present an impossible conflict between racial, ethnic, or religious affiliation and sexual politics? What kinds of policies are enabled by what kinds of usages, and which are backgrounded or erased from view? In this sense, the genealogical critique of the queer subject will be central to queer politics to the extent that it constitutes a self-critical dimension within activism, a persistent reminder to take the time to consider the exclusionary force of one of activism’s most treasured contemporary premises.“ (Butler 1993a: 227)
Sprachveränderungen werden nicht als obsolet erklärt, sondern in ein Feld neuer Möglichkeiten entlassen. Die Analyse strategischer Sprachveränderung kann gleichzeitig Aufschluss über die angesprochenen Konstitutionsbedingungen und in ihnen enthaltenen Ausschlüsse und Naturalisierungen liefern. Dies wird im folgenden Kapitel an der Diskussion schwedischer Sprachveränderungsstrategien bezogen auf Gender weiter konkretisiert.
5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen One may wish for another lexicon altogether. The history of sexual progressivism surely recurs time and again to the possibility of a new language and the promise of a new mode of being. Butler 2002: 18 „Om beetenderegler“ Normlöshet? Visst finns det normer För dej också Så var tröst du som har halkat utanför och just nu med blodflisade naglar klöser dig fast vid kanten av samhällsstupet.1 Backberger 1965: o.S.
5.1 Einleitung Dieses Kapitel liest in der schwedischen Öffentlichkeit angedachte, realisierte und versuchte Sprachveränderungen in Abhängigkeit von (vor)herrschenden feministischen Auffassungen und Genderbildern. Dazu wird zunächst die öffentliche Verhandlung von Feminismus und dem Konzept Gleichstellung im schwedischen öffentlichen Diskurs dargestellt. Vor diesem Hintergrund werden die konventionalisierten Formen genderspezifizierender personaler Appellation, wie sie im dritten Kapitel diskutiert worden sind, sowie die vorgeschlagenen und durchgeführten strategischen
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‚Über Verhaltensregeln / Normlosigkeit? / Natürlich gibt es Normen / Für dich auch / So sei getröstet / du, der/die du / außen vor gelandet bist / und gerade jetzt / mit blutig zersplitterten Nägeln / dich festkratzt an der Kante / der Gesellschaftssteilwand.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Sprachveränderungen im schwedischen Sprachraum innerhalb der letzten 15 Jahre gegen gelesen. Eine Analyse feministischer Ansätze und Strömungen in diesem Zeitraum wird als Ausgangspunkt gewählt, um zunächst zu betrachten, welche Vorstellungen von Gender und Feminismus in der schwedischen Öffentlichkeit von Bedeutung sind. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass öffentlich diskutierte feministische Ansätze einen entscheidenden Einfluss auf Sprachveränderungsprozesse und – strategien haben bzw. strategische feministische Sprachveränderungen nicht unabhängig von feministischen Ideologien und gesellschaftlichen Kontextualisierungen untersucht werden können, wie im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitet worden ist. Im öffentlichen schwedischen Diskurs ist eine bestimmte Vorstellung von Gleichstellung das zu erreichende Ideal schwedischer Politik. Dieses wird zunächst dargestellt und in Bezug zu feministischen Strömungen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gesetzt. Schweden wird nicht nur in der westlichen Welt bei internationalen Vergleichen als eines der unter Genderaspekten gleichgestelltesten Länder angesehen, auch innerhalb nationaler Diskurse spielt diese Einschätzung eine wichtige Rolle. Es wird untersucht, ob die feststellbaren strategischen Sprachveränderungen bestimmten feministischen Vorstellungen und Gleichstellungskonzepten zugeordnet werden können. Dadurch kann analysiert werden, wie sich konkrete politische Strategien und theoretische Vorannahmen gegenseitig bedingen. Die Analyse dazu, welche strategischen Sprachveränderungsvorschläge gemacht und welche realisiert werden, sowie die öffentlichen und fachwissenschaftlichen Argumentationen, die in diesem Zusammenhang geäußert werden, werden dahingehend analysiert, welche Konzeptualisierungen von Sprache, Gender und ihrem Verhältnis ihnen jeweils unterlegt ist. Über die konkrete inhaltliche Analyse hinausgehend ist dieses Kapitel ein weiterer Baustein einer diskursanalytischen Untersuchung der Genderspezifizierung personaler Appellation im heutigen Schwedisch.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 333
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts Svensk offentlig debatt är unik. Jag vågar påstå att ingenstans i världen talar man mer om män och kvinnor, manligt och kvinnligt, och om könsskillnader. Inte någon gång i svensk historia har man talat mer om kvinnor och män, kvinnligt och manligt, och om könsskillnader.2 Eduards 2002: 1
In diesem Unterkapitel wird der gesellschaftliche Kontext zu Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in der schwedischen Öffentlichkeit zu Ende des 20. Jahrhunderts aufgezeigt. Beide sind eng miteinander verbunden und werden entsprechend in ihrer gegenseitigen Bedingtheit untersucht. Diese Analyse erfolgt vor dem Hintergrund, dass feministische strategische Sprachveränderungen ausgehend von Konzeptualisierungen zu Gleichstellung und Feminismus motiviert sind und in ihren Konkretisierungen auf diese wirken. Um die gesellschaftliche Diskussion um Sprachveränderungen einordnen zu können, erscheint es im Kontext des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit notwendig, den Bezugsrahmen öffentlicher Auseinandersetzungen auch auf dieser Ebene zu klären. Die durch Gleichstellung und Feminismus aufgerufenen Vorstellungen implizieren ihrerseits bestimmte Annahmen zu Gender. Wie in dem vorangestellten Zitat dieses Untertitels deutlich wird, nimmt eine Bezugnahme auf Gender heute eine zentrale Position im öffentlichen schwedischen Diskurs ein. Welche Normen hergestellt und autorisiert werden, auf welche Konzepte sich implizit und explizit bei einer Benennung von Gleichstellung und Feminismus bezogen wird, ist Gegenstand dieses Unterkapitels. Konkret wird die Beobachtung, dass in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in Schweden eine Inkorporation von Feminismus in den politi-
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‚Die schwedische öffentliche Debatte ist einzigartig. Ich wage zu behaupten, dass nirgendwo in der Welt mehr über Männer und Frauen, über Männliches und Weibliches, über Geschlechterunterschiede gesprochen wird als hier. Nicht ein einziges Mal in der schwedischen Geschichte ist mehr über Frauen und Männer, Weibliches und Männliches und über Geschlechterunterschiede gesprochen worden.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
schen und auch staatlichen Mainstream, der zu einer partiellen Auflösung seiner öffentlichen Konzeptualisierung als widerständig gegenüber hegemonialer Macht, stattfindet, zum Ausgangspunkt genommen. ‚Feministisch‘ findet sich nicht nur als Selbstcharakterisierung von Politiker/inne/n der verschiedensten Parteien in Schweden3, wie weiter unten noch ausführlicher diskutiert wird, sondern auch als Schlagwort in Tageszeitungsartikeln in relativ hoher Frequenz und ohne eine durchgängige abwertende Konnotation.4 Es wird von der Frage ausgegangen, inwiefern eine Vereinnahmung von Feminismus und Gleichstellung durch den Staat mit seinen Organen und durch die großen schwedischen politischen Parteien, die auf nationaler Ebene aktiv sind, in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer höheren Akzeptanz von Feminismus geführt hat, deren Preis eine gleichzeitige Entpolitisierung von Feminismus ist.5 Diese These ist auch insofern für die vorliegende Untersuchung zentral, da resignifizierende, personal appellierende Handlungen vor diesem Hintergrund als eine Strategie einer Inkorporation von Unterschiedlichkeiten in eine hegemoniale Vorstellung interpretiert werden können, was an konkreten Fällen zu untersuchen ist. Feminismus als Politikform ist in Schweden im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts und besonders verstärkt seit den 90er Jahren in die herrschende Politik inkorporiert worden.6 Dies zeigt sich in der Übernahme der Appellation ‚feministisch‘ durch nahezu alle Parteien und führende Politiker vor der Wahl von 2002.7 Der Staat konstruiert sich durch seine Organe und in seinen Verlautbarungen als widerständig gegen bestimmte Ungleichheiten, die implizit als außerhalb seiner eigenen Verantwortung lokalisiert werden. Teil dieser seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts im schwedischen öffentlichen Raum zu beo-
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Ein aktuelles Beispiel in diese Richtung ist die Propagierung von Gudrun Schyman im Oktober 2003, dass sie nicht für eine Partei, sondern als Feministin im schwedischen Reichstag sitzen würde. Dies kann auch als eine Reaktion für die inflationäre Verwendung der Benennung feminist in schwedischer Politik angesehen werden. Vgl. auch Hornscheidt (2005) und (2006a) für Analysen zu aktuellen Entwicklungen bis 2005. Vgl. Kapitel 6 und Hornscheidt (2006b). Vgl. Pühl und Schultz (2001), die eine Übernahme von durch die neue Frauenbewegung vertretenen Werten in einen neoliberalen Diskurs im deutschen Kontext untersuchen. Hier lassen sich interessante Parallelen aufzeigen. Es kann auch ein personifizierter Einfluss in der Form nachgewiesen werden, dass öffentliche, hohe Ämter häufig mit Feministinnen der ersten Generation aus den 70er Jahren in den 90er Jahren besetzt sind. Vgl. Hornscheidt (2005) und (2006a und b) für ausführlichere Analysen der personalen Appellationsform feminist, in der dieser Aspekt berücksichtigt wird.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 335
bachtenden Tendenz der Inkorporation von Feminismus in den politischen Mainstream ist die zunehmende Gleichsetzung von Feminismus mit dem politischen Ziel einer Gender-Gleichstellung. Dieses seinerseits basiert auf politischen Normen und Werten, die konsens- und harmonieorientiert ein genderfreies Demokratieverständnis vertreten, in dem die Annahme von Genderdifferenzen negiert und unsichtbar gemacht wird.8 Die staatliche Vertretung einer positiven Wertvorstellung hinsichtlich Gender-Gleichstellung erfolgt durch eine staatliche Institutionalisierung von Widerstand gegen Formen von Unterdrückung. Gleichstellung ist nach Dahlerup (2001) die schwedische staatliche Antwort auf eine starke Frauenbewegung, deren über Gleichstellung hinausgehenden Zielsetzungen so in Grenzen gehalten werden können.9 Eine Formierung von Opposition jenseits dieses inkorporierten Widerstandes ist so zugleich schwieriger und kann auf der Oberfläche als eine Aktivität, in der das eigene Projekt bekämpft wird, verstanden werden, da es sich gleichzeitig gegen einen staatlich vertretenen Gleichstellungsanspruch wenden würde. Es wird die Hypothese untersucht, inwiefern die schwedische Idee der Gleichstellung auf einer heteronormativen Ideologie zum öffentlichen wie privaten Genderverständnis basiert, welches sich auf verschiedenen Ebenen zeigt und verhandelt wird. Die Analysen der Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Menschen auf der Grundlage personaler Appellationsformen im heutigen Schwedisch in Kapitel 3 haben dafür bereits zahlreiche Belege auf der sprachlichen Ebene geliefert. Die Aushandlungen dazu, was unter Feminismus und Gleichstellung verstanden wird, beinhalten gleichzeitig Verhandlungen von Genderidentitäten, -rollen und -normen in der schwedischen Öffentlichkeit. Sie sind als solche nicht von feministischen Sprachveränderungsvorschlägen und realisierten Sprachveränderungen zu trennen, sondern stellen verschiedene Aspekte der diskursiven Verhandlung von Gender in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in der schwedischen Öffentlichkeit dar. Als solche werden sie hier verstanden und zueinander in Bezug gesetzt. Ausgehend von der Feststellung, dass Feminismus als ein positives Schlagwort in den öffentlichen, hegemonialen schwedischen Diskurs in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang gefunden hat, wird das Konzept Feminismus und die in der Öffentlichkeit vertretenen Auffas-
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Vgl. Eduards (2002), Magnusson (2000). Vgl. auch Hornscheidt (2000) für eine Zusammenfassung des neueren schwedischen Gleichstellungsmodells und einer Kritik an diesem.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
sungen zu feministischen Ansätzen vorgestellt und analysiert sowie die in diesen vertretenen Sichtweisen zum Konzept Gender. Diese Analyse bildet einen soziohistorischen Kontext der Evaluation von feministischen Sprachveränderungsstrategien bezogen auf Genderspezifizierung personaler Appellationsformen im Schwedischen. Beide Analyseebenen werden im folgenden miteinander gegen gelesen und ihrer wechselseitigen Beeinflussung und Abhängigkeit dargestellt.10 Die Frage der Gendergleichstellung ist in Schweden seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bis heute hauptsächlich auf den Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsverteilung im privaten Bereich bezogen. Gleichzeitig kann gerade auf dem Arbeitsmarkt eine starke Gendersegregierung11 mit einem hohen Lohngefälle festgestellt werden. Die Entstehung dieser Situation wird in der Regel historisch erklärt.12 In einem überwiegenden Teil der einschlägigen schwedischen vor allem sozialwissenschaftlichen Genderforschung wird die These vertreten und empirisch nachgewiesen, dass für die schwedische Gesellschaft in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine weitgehende Gleichsetzung der Konzepte ‚Frau‘ und ‚Gender‘ gilt.13 Dies hat auf der anderen Seite eine genderlose Wahrnehmung von Männern zur Folge: Männer werden als menschlich dargestellt und wahrgenommen und damit implizit als genderlos. „Man skulle kunna hävda att kärnan i den manliga normen är att män inte finns som politisk kategori. Eller annorlunda vinklat av antropologen Jorun Solheim: män har gjort sig själva till en „metakategori“, en kategori som står över alla andra. Följden blir att kvinnor kan beskrivas som underordnade utan att män benämns som överordnade [...].“14 (Eduards 2002: 3)
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Den Schwerpunkt dieser Analyse bildet die sprachliche Untersuchung. Es werden in diesem Kapitel Querverbindungen zu historischen, politikwissenschaftlichen und soziologischen Untersuchungen hergestellt, die diese nicht ersetzen und die Vielfalt und den außerordentlichen Umfang dieser Forschungen nur andeuten können. Gerade letzteres wird plastisch in einem Zitat eines Kommissionsberichts zum Thema Gleichstellung an den schwedischen Reichstag aus dem Jahre 2002 zum Ausdruck gebracht: „[...] i toppen av det svenska näringslivet finns det fler personer som heter Göran än som är kvinnor.“ ‚[...] an der Spitze der schwedischen Wirtschaft gibt es mehr Personen, die Göran heißen als Frauen.‘ (Andersson 2002: 18). Vgl. Hirdman (2001). Vgl. u.a. Eduards (2002), Hirdman (2001), Holmberg (1993). Vgl. auch die Aufnahme dieser These in Björk (1996). ‚Man kann vielleicht behaupten, dass der Kern der männlichen Norm darin liegt, dass es Männer als politische Kategorie nicht gibt. Oder aus einer anderen Perspektive durch die Anthropologin Jorun solheim ausgedrückt: Männer haben sich selbst zu einer Metakatego-
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Diese These ist in Kapitel 3 in Bezug auf die Konventionalisierung von Genderspezifizierung personaler Appellation im heutigen Schwedisch entwickelt worden und kann an diesem Punkt mit der politikwissenschaftlichen Analyse gegen gelesen und bestätigt werden. Björk (1996) diskutiert diese Konzeptualisierung von Gender im öffentlichen schwedischen Diskurs am Beispiel der Debatte um die Einführung der sogenannten ThamProfessuren. Der damalige Bildungsminister, Carl Tham, schlug 1995 ein Konzept positiver Sonderbehandlung15 vor, durch das Frauen bei der Besetzung von Professuren, Forschungsassistenz- und Doktorand/inn/enstellen Vortritt eingeräumt werden sollte. „En tjänst tillsätts med en kompetent sökande av underrepresenterat kön, även om vederbörande är mindre kvalificerad än medsökande av det andra könet.“16 Dieser Vorschlag ist in der schwedischen Öffentlichkeit intensiv diskutiert worden. Björk (1996: 157) sieht vor allem zwei Ursachen für die groƢe öffentliche Aufmerksamkeit: Zum einen beruhe die schwedische politische Demokratie auf eine Prinzip, welches dem Einzelnen Rechte als Individuum zuerkennt und zum anderen sei diese politische Demokratie zugleich ein Patriarchat. Um diese patriarchale Demokratie als gerecht zu empfinden, ist es notwendig Männer nicht als Geschlecht wahrzunehmen, sondern als geschlechtsloses Wesen, welches aufgrund objektiver Qualifikationen höhere gesellschaftliche Positionen einnehme. Der Vorschlag des Ministers habe beide diese Prinzipien verletzt. Die internalisierten Vorstellungen dazu, was Gleichstellung bedeutet und wie es realisiert wird, zeigt sich hier an den Punkten, an denen mit diesem Modell gebrochen wird. Björk (1996) analysiert anhand von Ausschnitten einer insbesondere in überregionalen Tageszeitungen ausgetragenen öffentlichen Diskussion, dass der Glaube an die Realisierung von Gleichstellung in der schwedischen Öffentlichkeit durch den Vorschlag des Bildungsministers unterminiert worden ist, da er eine gegenderte Ungleichbehandlung impliziert, die durch entsprechende politische Strategien bearbeitet werden soll. Das Beispiel um die Besetzung der Tham-Professuren verdeutlicht plastisch, dass Männer als Gender-Gruppe in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er ____________
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rie gemacht, eine Kategorie, die über allen anderen steht. Die Folge ist, dass Frauen als untergeordnet beschrieben werden können, ohne dass Männer als übergeordnet benannt werden müssen.‘ Positiv särbehandling im Schwedischen. ‚Eine Stelle wird mit einer/einem kompetenten Bewerber/in des unterrepräsentierten Geschlechts besetzt, auch wenn der/die Bewerber/in weniger qualifiziert als Mitbewerber/innen des anderen Geschlechts sind.‘ Riksdagens Proposition 1994/1995 „Jämställdhet mellan kvinnor och män inom utbildningsområdet“: 164.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Jahre des 20. Jahrhunderts unsichtbar sind. Elvin-Nowak und Thomsson (2003) sprechen von der Genderlosigkeit von Männern als einem der zwei wichtigen Faktoren für die Aufrechterhaltung des Gendermachtsystems in Schweden. „Könsmaktsystemets andra princip innebär att det som anses manligt också anses mer „normalt“ och därmed också mer eftersträvansvärt. Det normala är så att säga definierat i termer som stämmer väl överens med hur män är, eller åtminstone uppfatta (av sig själva och andra). Det är som om männen skulle vara sådana som vi människor bör vara.“ (Elvin-Nowak und Thomsson 2003 49f.)17
Eduards (2002) geht davon aus, dass es zu den gesellschaftlich größten Tabus gehört, Männer als politische und damit gegenderte Kategorie zu benennen. Gleichstellung wird mit Gender und Gender wiederum mit Weiblichkeit bzw. Frau-Sein in der schwedischen Gesellschaft gleichgesetzt. Dadurch ergibt sich ein spezifisch schwedisches Gleichstellungskonzept, welches zugleich auf Differenz, särart, beruht und diese wiederum als ‚natürliche Weiblichkeit‘ festgeschrieben wird, die in den Gleichstellungsbestrebungen erhalten bleiben können soll. Die Zuschreibung natürlicher Weiblichkeit geschieht dabei zu weiten Teilen und bezogen auf Tätigkeitscharakterisierungen auch über angenommen spezifisch weibliche Tätigkeiten, wie beispielsweise die Sorge um andere Menschen und deren Pflege. Hier kann ein Bogen zu der Analyse der genderunspezifizierenden Tätigkeitsbezeichnungen sjuksköterska ‚KrankenpflegerIn‘ und barnmorska ‚Hebamme‘ aus Kapitel 3 geschlagen werden. Die schwedische, vor allem staatliche organisierte Gleichstellungspolitik des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts ist von dem Grundgedanken mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und dadurch ‚Macht‘ insgesamt zu vermehren geprägt. Frauen haben durch den Ausbau des öffentlichen Sektors einen eigenen Machtzuwachs bekommen, indem sie so die Möglichkeit zu einem eigenen Einkommen erlangt haben. Auf diese Weise wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, ohne dass die Macht der bestehenden Arbeitsplätze neu aufgeteilt werden musste. Männer haben so ihre öffentliche Macht behalten. Dies spiegelt sich auch in den relativ gesehen niedrigeren Löh-
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‚Das Geschlechtermachtsystem beinhaltet, dass das, was als männlich angesehen wird als normaler und damit als erstrebenswert angesehen wird. Das Normale stimmt daher damit überein, was männlich ist oder als solches aufgefasst wird (von Männern selbst und von anderen). Das ist so, als ob Männer solche wären, die wir alle sein wollen/sollten.‘ Das andere Prinzip der Aufrechterhaltung des Gendermachtsystems ist in ihrer Analyse das Getrennthalten von zwei Gender, welches in der Analyse dieser Arbeit vor allem als durch eine Naturalisierung der Genderkategorie erfolgend angesehen wird.
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nen des öffentlichen Sektors gegenüber den Löhnen in der Industrie wider. Eine Genderhierarchie wurde beibehalten, die bis heute in einer ungleichen Lohnverteilung ablesbar ist, die zum Beispiel auch bedeutet, dass ein hoher Anteil von Frauen an einem Erwerbszweig tendentiell eine Absenkung der Durchschnittslöhne zur Folge hat. Ist Schweden auch ein Land mit einer relativ hohen Quote weiblicher Erwerbsarbeit, so ist der Arbeitsmarkt bis heute einer, der im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern weiterhin extrem gendersegregiert ist,18 wobei Frauen bis heute vor allem im öffentlichen Sektor und in stereotyp weiblichen Tätigkeitsbereichen der Pflege und der Betreuung von Kindern arbeiten.19 Auch hier war in den Analysen personaler Appellationsformen eine Entsprechung der Konzeptualisierung bestimmter Tätigkeiten feststellbar, die dieser Arbeitsteilung entsprechen. So, wie Mann-Sein in der schwedischen Gesellschaft der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts Genderlosigkeit impliziert, ist das dem Konzept der Gleichstellung zu Grunde liegende Prinzip ebenfalls Genderlosigkeit – sowohl als Ziel als auch als Voraussetzung. Eine Bezugnahme auf Gender führt zu einer Ungleichbehandlung, eine gleichgestellte Gesellschaft ist darauf begründet, dass Gender als strukturelle Kategorie in Bezug auf Wahlmöglichkeiten der Individuen keine Rolle spielt. Haavind (2002) sieht den Effekt des nordischen Gleichheitsideals nicht nur im öffentlichen Raum dadurch gekennzeichnet, dass Gender unsichtbar wird, sondern dieses auch im privaten Kontext in zwischenmenschlichen Beziehungen in der Art ihrer Verhandlungen von Verantwortungen, Arbeitsteilungen und Zuständigkeiten umgesetzt wird. Die Verinnerlichung des Gleichheitsprinzips führt dazu, dass Individuen in der eigenen Motivation ihrer Alltagshandlungen Gender als soziale oder strukturelle Kategorie nicht mehr als mögliche Begründung für Asymmetrien und Ungleichheiten ansehen.
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Björk (1996) sieht in dem spezifischen schwedischen Gleichstellungsmodell – Machtzuwachs für alle, nicht Machtverlust einer gesellschaftlichen Gruppe, in diesem Falle von Männern, zugunsten von Machtzuwachs von Frauen – zugleich einen der Gründe, warum der Tham-Vorschlag zur Erhöhung des Frauenanteils an Universitäten, auf so große öffentliche Ablehnung gestoßen ist, da er genau dieses Prinzip der Gleichstellung in Frage gestellt hat. Vgl. Karlén und Palmström (2003: 53), in deren aktuellen Statistiken zu weiblich und männlich dominierten Berufsgruppen sowohl die Gendersegregrierung als auch das Lohngefälle deutlich wird.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
„Slike mellommenneskelige påpekninger og bekreftelser bidrar både til at betydingen av kjønn endrer seg och til at betydninger av kjønn blir reprodusert med litt andre merkelapper. Det foregår en bevegelse fra normative til personlige begrunnelser for kjønnete arrangement.“20 (Haavind 2002: 6)21
Hinzu kommt eine schon seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in der schwedischen feministischen Diskussion zu findende Kritik an einer Festlegung von Frauen auf Mutterschaft und Reproduktion,22 die in der Öffentlichkeit aber machtvoll immer wieder hergestellt wird.23 In den 90er Jahren kann in offiziellen Dokumenten und Veröffentlichungen ein stärkerer Trend als in den vorhergehenden Jahrzehnten zur Betonung von Unterschiedlichkeit und Genderdifferenz festgestellt werden, welcher positiv bewertet wird. Die positiv vermittelte Differenz wird in Bezug auf Frauen häufig biologisch erklärt. Bestimmte Kompetenzen werden zu genderspezifizierenden Fähigkeiten und sind damit weder erworben noch veränderbar. „Vi inser – och forskningen lär oss alltmer om – att kvinnor är bättre än män på vissa saker, och tvärtom [...]. Vi vill försöka ta reda på vad manligt och kvinnligt är med forskningens nuvarande kunskap som utgångspunkt.“24 Es kommt zu einer Verstärkung und Tradierung von Genderstereotypen, wenn diese als
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‚Solche zwischenmenschlichen Behauptungen und Ansichten tragen dazu bei, dass die Bedeutung des Geschlechts sich ändert und reproduziert wird unter leicht veränderten Vorzeichen. Es kann eine Bewegung von normativen zu persönlichen Begründungen für das Geschlechterverhältnis festgestellt werden.‘ Vgl. auch Magnusson (1998), die ebenfalls darstellt, wie Personen in heterosexuellen Paarverhältnissen ihre häufig genderstereotypen Arbeitsteilungen als bewusste persönliche Entscheidungen darstellen, in denen ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse Platz finden und die betonen, dass in diesen privaten Entscheidungen nicht dogmatisch gehandelt würde. Vgl. Barbro Backberger, die in einem Artikel in Dagens Nyheter zu Weihnachten 1965 mit dem Titel „Den heliga familjen“ ‚Die heilige Familie‘ die gesellschaftliche ‚Heiligkeit‘ heterosexueller Kernfamilien angegriffen hat, welches in Schweden in den 60er Jahren eine große Diskussion auslöste. Die Beispiele, die hier zu nennen wären, sind zahllos. Auch in den Analysen des 6. Kapitels wird dies wieder aufgenommen. Ein aktuelles Beispiel ist eine ganzseitige Brustkrebsvorsorge-Werbung in Svenska Dagbladet vom 5. Oktober 2003, in der es heißt: „Sannolikheten är dessvärre stor, nära var tionde kvinna får bröstcancer i Sverige. Det är var tionde mamma.“ ‚Die Wahrscheinlichkeit ist leider groß, fast jede zehnte Frau in Schweden bekommt Brustkrebs. Das ist jede zehnte Mutter.‘ Die Zuschreibung der Mutterrolle als erste Assoziation zu Frauen ist in diesem plakativen Beispiel offensichtlich. ‚Wir sehen ein – und die Forschung vermittelt uns auch immer mehr davon –, dass Frauen in manchen Dingen besser sind als Männer und andersherum. Wir möchten auf dem Hintergrund der aktuellen Forschung beachten, was männlich und was weiblich ist.‘ Arbetsmiljöfonden (1991: o.S.).
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 341
biologisch fundiert in Diskursen hergestellt werden. Björk (1996: 236) spricht in diesem Zusammenhang von ‚Gebärmutterfeminismus‘ und meint die Übernahme traditioneller Weiblichkeitsvorstellungen in ein als ‚Feminismus‘ verkauftes Modell. „Och för denna feminism är talet om en kvinnlig natur inte en strategi, utan en sanning.“25 Die biologisierende Weiblichkeitszuschreibung konstituiert sich explizit als Phänomen der 90er Jahre durch eine Abgrenzung von früheren feministischen Strömungen, die teilweise als historisch gerechtfertigt charakterisiert werden, teilweise auch als feministische Unterdrückungsmechanismen ‚wahrer‘ Weiblichkeit, die nun, in einer Zeit größerer und stabiler Gleichstellung zwischen Frau und Mann überwunden sind. Die Argumentationen reichen dabei von der Leugnung oder Unterbewertung des eigenen biologischen Geschlechts durch Frauen aus Gründen der Herstellung von Gleichheit, der Ignoranz geschlechtlicher Unterschiede und damit der Stärke von Frauen, die in Weiblichkeit liegt, bis zu einer Ignoranz der besonderen Rolle von Frauen in der Gesellschaft, die in der Fähigkeit und Ausübung von Mutterschaft besteht. Diese Bewertungen der Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre in den 90er Jahren liegt jeweils die Annahme zu Grunde, dass entweder eine Gleichstellung erreicht sei oder es an einer Positivbewertung von Frauen mangele, was durch eine erhöhte Beachtung von Weiblichkeit, über die sich Frauen in diesem Modell definieren, verändert werden kann. Das Begriffsfeld ‚Feminismus‘ wird auf ein neues Konzept und eine, im Verhältnis zu den feministischen Traditionen der 60er und 70er Jahre, differente politische Strategie übertragen. Was über die Zeit hinweg stabil geblieben ist, ist die Propagierung einer Strategie, in der Frau-Sein explizit gemacht, different gesehen und positiv gewertet wird. Die Propagierung von traditioneller und restaurierender Weiblichkeit wird als Form politischen Handelns benannt. Jenseits der inhaltlichen Füllung wird in diesen Darstellungen der Umstand zu nutze gemacht, dass feministische Theorie und Politik in der schwedischen Öffentlichkeit in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine positive Anerkennung erfahren hat. Diese positive Anerkennung wird in Veröffentlichungen, in denen eine natürliche Weiblichkeit propagiert wird, nun genutzt, um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dieser Gendervorstellung zu installieren. Potentielle feministische Kritiker/innen eines ‚Gebärmutterfeminismus‘ werden so als historischer und überholter Teil der eigenen neu konzeptuali-
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‚Und für diesen Feminismus ist das Sprechen über eine weibliche Natur keine Strategie, sondern eine Wahrheit.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
sierten ‚Frauenbewegung‘ inkorporiert. Potentieller Widerstand ist damit per definitionem dazu ‚verurteilt‘ anti-feministisch zu sein und wendet sich so gegen sich selbst. Diese These soll durch ein Beispiel weiter verdeutlicht werden. In der überregionalen Tageszeitungen Svenska Dagbladet findet sich am 5. Oktober 200326 auf der Meinungsseite ein Artikel eines Forschers der Betriebswirtschaft, in dem dieser weibliche Universitätsangehörige dafür verantwortlich macht, dass Frauen auch weiterhin in statushohen Posten an Universitäten stark unterrepräsentiert sind, da sie innovative Forschungen zu Genderdifferenzen boykottieren würden. In seinen Ausführungen eines konkreten Falles, in dem drei Professor/inne/n die Teilnahme an einer Fragebogenstudie von Studierenden verweigerten, sieht er die Zementierung alter feministischer Vorstellungen, wenn diese eine Gendergleichheit als Ausgangspunkt nehmen würden und die ‚natürlichen‘ Genderunterschiede nicht bereit seien anzuerkennen. Diese flossen in die Fragebogenuntersuchung als unhinterfragte Vorannahmen mit ein.27 Die Kritik der Professorinnen daran28 wird als veraltetes Feminismuskonzept kritisiert, welches auf eine Gleichstellung von Frauen mit Männern unter Aufgabe der spezifisch weiblichen Qualitäten interpretiert wird. Das Label ‚Feminismus‘ besitzt dabei einen so positiven Signaleffekt im öffentlichen Diskurs zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass es für eine aus konstruktivistischer Sicht ReProduktion von Genderrollen als natürlich different übernommen wird. Diese öffentliche Herstellung einer Gleichsetzung von Feminismus mit einer natürlichen Differenzsetzung von Gender kann als eine Reaktion auf eine Auflösung von festgefügten Genderrollen gelesen werden. Es wird jeweils auf ein Genderrollenbewusstsein explizit referiert wie auch auf ein gestärktes ‚weibliches‘ Selbstbewusstsein und in das Projekt der Restauration einer traditionellen Genderrollenverteilung und eines traditionellen Verständnisses von Frau-Sein inkorporiert. Letztendlich
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Vgl. http://www.svd.se/brannpunkt vom 15. 10. 2003. Ein in dem Artikel zitiertes Beispiel dafür ist das folgende: „Deras praktiska utgångspunkt var, att med intå av kvinnor i styrelserna ökar styrelsernas förmåga att hantera vissa situationer p g a kvinnornas särpräglade egenskaper.“ ‚Ihr praktischer Ausgangs-punkt war, dass mit einer Aufnahme von Frauen in der Führung das Vermögen der Führung bestimmte Situationen zu hantieren, steigen würde aufgrund der besonders ausgeprägten Eigenschaften von Frauen.‘ Collin, Sven-Olof „Könsförtryck på universitet“ Svenska Dagbladet vom 5.10.2003: 5. Im Artikel wird hier von der Warnung einer Professorin gesprochen, dass Genderrollen so betoniert werden könnten.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 343
handelt es sich um die Übernahme von positiv mit Feminismus besetzten Wertvorstellungen (weibliche Eigenständigkeit, weibliches Selbstbewusstsein), die in diesen Diskursen auf ein konservatives Frauenbild transferiert werden. Positive gesellschaftliche Assoziationen im Zusammenhang mit Feminismus werden übernommen, ohne dass entsprechende Inhalte des so referierten feministischen politischen Verständnisses mit transportiert werden. Es wird eine bestimmte Auffassung von Weiblichkeit naturalisiert, dem ‚alten‘ Feminismus wird eine Widernatürlichkeit vorgeworfen, da er in logischer Konsequenz dafür gekämpft hat, dass Frauen wie Männer aussehen, handeln, beurteilt werden. Es wird eine Kontinuität zwischen dem Feminismus der 70er und 90er Jahre hergestellt, die in der Handlungsweise von Frauen liegt (etwas zu wagen; für etwas einzustehen), wohingegen die Inhalte als sekundär klassifiziert werden. Es handelt sich hier um eine Anwendung von Begrifflichkeiten aus dem Feld ‚Feminismus‘ für Inhalte, die konträr zu den in den 70er und 80er Jahren geforderten Inhalten von Feminismus stehen, deren Gemeinsamkeit über die Handlungsweise hergestellt wird. Dadurch bekommen die für die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts referierten Inhalte zugleich eine positive Bewertung und assoziative Gehalte von politischer Betätigung.29 So werden traditionelle Frauenrollen zu politisch korrekten in einer Gesellschaft, in der ‚Feminismus‘ einen positiven Signalwert besitzt. Gleichstellungsbestrebungen sind in Schweden seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts als Folge eines vorherrschenden Staatsfeminismus immer stärker zu einem in der politischen Öffentlichkeit als wichtig angesehenen Thema avanciert. Dies manifestiert sich auf staatlicher Ebene in der Verabschiedung eines Gleichstellungsgesetzes im Jahre 1980 sowie in der Schaffung einer eigenen ministerialen Abteilung zu Gleichstellung im Wirtschaftsministerium Ende der 90er Jahre mit einer zuständigen Ministerin, die eine über alle Ministerien hinweg geltende Queerschnittsaufgabe und –kompetenz zu Gleichstellung bekommen hat.30 Damit wird dem Ziel der Gleichstellung in der schwedischen politischen Öffentlichkeit symbolisch in Form der Mitbestimmung auf allen staatlichen Ebenen und mate-
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Vgl. Pühl und Schultz (2001), in der es auch um die Übernahme von Begrifflichkeiten unter Aufgabe der damit verbundenen politischen Inhalte geht. Der Zuschnitt der schwedischen Ministerien ist im Oktober 2003 verändert, das Ministerium aufgelöst worden und die Aufgabe dem Ministerium für Familie zugeschlagen worden, so dass es sich ganz aktuell nicht mehr um ein Querschnittsministerium handelt.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
riell in Form der Ausstattung eines Ministeriums ein relativ hoher Stellenwert eingeräumt und Gleichstellung zu einem expliziten staatlichen Ziel, das alle anderen Bereiche prinzipiell betrifft, erklärt.31 Ein Resultat der weitgehenden Verstaatlichung von Feminismus ist auch die Übertragung von jeglicher Verantwortung für Gleichstellung auf den Staat durch die Öffentlichkeit. Was von staatlicher Seite unter Gleichstellung verstanden wird und welche Zielstellungen durch das Ministerium verfolgt werden, wird anhand der Eigendarstellung des Ministeriums auf seiner Homepage untersucht. Eine weitere Fragestellung, die bei dieser Analyse beantwortet wird und die im Zusammenhang mit den zuvor Genannten steht, ist die Relation, die zwischen Gleichstellung und Feminismus hergestellt wird. Die Homepage des Ministeriums wird als ein repräsentatives Organ der Selbstdarstellung des Ministeriums und der staatlichen Seite angesehen. Das Medium besitzt eine gute Erreichbarkeit, was für ein Land wie Schweden mit einer relativ hohen Vernetzung der Bevölkerung und einer relativ großen geografischen Fläche für die Informationsübermittlung, Meinungsbildung und Selbstdarstellung eine wichtige Rolle spielt. Die Homepage ist eine autorisierte, von der Institution selbst herausgegebene Form der Selbstdarstellung und kann als ein zentrales Medium für die Art der intendierten gesellschaftlichen Repräsentation angesehen werden. Die Analyse der Herstellung eines bestimmten Konzepts von Gleichstellung im Rahmen dieser Homepage wird als repräsentativ für die Verhandlung des Konzepts durch die staatlichen Machtinstanzen interpretiert. Auf der Startseite des Ministeriums32 wird jämställdhet33 ‚Gleichstellung‘ als eine Relationsdefinition zwischen Frauen und Männern als kollektive Gruppen dargestellt34. Dies ist gegenüber der Definition in der Internetausgabe von SAOB für Feminismus „rörelse för kvinnors jämställdhet med män“ ‚Bewegung für die Gleichstellung von Frauen mit Männern‘35 eine deutlich andere Perspektive, in der die Zielrichtung, die in der Femi-
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Der Vorschlag eines „pappamånad“ ‚Vater-Monats‘ durch Bengt Westerberg ist dabei ebenso wie der Vorschlag der professoralen Quotierung durch Carl Tham als ein typisch staatsfeministischer interpretierbar. Momentan (Herbst 2005) wird die totale Quotierung der Eltern-Erziehungszeit diskutiert. Vgl. http://naring.regeringen.se/fragor/jamstalldhet vom 7.3.2003. Im folgenden mit ‚Gleichstellung‘ übersetzt. „Jämställdhet mellan kvinnor och män“ auf der Homepage. Svenska Akademiens Ordbok, Internetausgabe unter: http://g3.spraakdata.gu.se/saob/ konk/index.html vom 27.2.2002.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 345
nismusdefinition gegeben ist, nicht vorhanden ist. Während in der SAOBDefinition deutlich wird, dass ein Ungleichgewicht zu ungunsten von Frauen festgestellt werden kann, ist dies aus der Darstellung des Ministeriums nicht herauslesbar. Auf der gesamten Seite des Ministeriums wird kein expliziter Bezug zu Feminismus als historische ‚Quelle‘ oder ideologische und/oder theoretische Grundlage für Gleichstellung erwähnt und eine genderspezifizierende Benennung von Verantwortlichkeiten bis auf wenige Ausnahmen vermieden. Stattdessen wird sich um eine genderneutrale Darstellung bemüht, in der Frauen und Männer als zwei gesellschaftliche Gruppen jeweils gleichrangig genannt werden. Eine Vermeidung genderspezifizierender Benennungen ist zum Beispiel die Formulierung des Ziels von Gleichstellungspolitik „frihet från könsrelaterat våld“ ‚Freiheit von geschlechtsbezogener Gewalt‘36 zu schaffen. Ein anderes Beispiel, in der eine genderneutralisierende Benennung tatsächliche soziale, ungleiche Genderverhältnisse verdeckt, ist die Benennung des Ziels „delat ansvar för hem och barn“ ‚geteilte Verantwortung für Heim und Kind(er)‘, „samma möjligheter för ekonomiskt oberoende“ ‚dieselben Möglichkeiten zu einer ökonomischen Unabhängigkeit‘37. Entsprechend dieser Formulierungen wird in der gesamten Darstellung des Gleichstellungsministeriums die Benennung von sozialen gegenderten Wirklichkeiten und von Ursachen und gegenderten Ungleichheiten vermieden. Sie sind nur indirekt aus den Zielsetzungen der Gleichstellungspolitik herauszulesen, so dass die Darstellung insgesamt verschleiernd wirkt. Die weiter oben formulierte These, dass die schwedische Gleichstellungspolitik und das schwedische Gleichstellungsideal genderlos seien, lässt sich mit Blick auf die Gestaltung der Homepage des Ministeriums bestätigen. Eine Asymmetrie von Genderverhältnissen in verschiedenen Bereichen liegt den Zielen der Gleichstellungspolitik implizit zu Grunde, ohne dass diese explizit benannt werden. Dadurch wirkt der Text nicht offensiv und anklagend. Es werden keine Wahrnehmungen sozialer Konstruktionen und Zustände benannt, um dann aus diesen Forderungen und Handlungsdirektiven abzuleiten. Implizit ist den auf der Homepage des Ministeriums formulierten Zielen das Anliegen, in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen zu einer Genderneutralität beizutragen. Mit der Einführungsseite der entsprechenden Abteilung des Wirtschaftsministeriums sind
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Vgl. http://naring.regeringen.se/fragor/jamstalldhet vom 7.3.2003. Ebd.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
sieben Themenstellungen verlinkt,38 die inhaltliche Bereiche der Arbeit des Ministeriums definieren und weiter ausdifferenzieren. In den Überschriften dieser Bereiche finden sich zwei Komposita mit kvinno ‚Frauen‘ als erstem Glied und eine genderspezifizierende Benennung von Männern in „Män och jämställdhet“ ‚Männer und Gleichstellung‘39. Letztere besitzt kein paralleles Pendant in einer Überschrift „Frauen und Gleichstellung“, die genderspezifizierenden weiblichen Benennungen sind „kvinnofrid“ ‚Frauen-Frieden‘ und „kvinnohandel“ ‚Frauenhandel‘40, wobei es sich hier nicht um personale Appellationsformen handelt. In diesen beiden werden Frauen jeweilsn als Opfer männlicher Macht konzeptualisiert, wobei kvinnofrid zudem eine euphemistische Umschreibung von männlicher, vor allem sexualisierter Gewalt gegen Frauen ist und das Ausbleiben dieser Gewalt in dem Kompositum als ein positiver Zielzustand formuliert ist.41 Statt dass in diesen Fällen in der Darstellung die Akteursperspektive benannt und damit problematisiert wird, wird ein genderspezifizierend als weiblich hergestelltes Ziel in einer unkonkreten Weise benannt. Demgegenüber wird in der einzigen genderspezifizierend männlichen Appellation in der Themenstellung „män och jämställdhet“ eine männliche Akteursperspektive in einer Beiordnung zu Gleichstellung hergestellt, so dass die Genderspezifizierung, die auf dieser Seite zu finden ist, zugleich auch eine Ausdifferenzierung zwischen Täter- und einem beschönigten und nur indirekt benannten Opferstatus herstellt. Es entsteht aufgrund dieser Benennungen von ministeriellen Tätigkeitsbereichen der Eindruck, dass Gleichstellung für Frauen praktiziert werden muss und Männer in einer beigeordneten, neutralen Position zu diesem Ziel stehen. Carbin (1999a, 1999b) sieht in der schwedischen Darstellung von jämställdhet ‚Gleichstellung‘ eine Strategie enthalten, den Staat zunächst als frei von Fehlern herzustellen und auf dieser Grundlage partiell Gleichstellungsziele verfolgen zu können. Die Startseite der Homepage des Ministeriums für Gleichstellung bekräftigt diesen Eindruck. Schweden stellt sich in staatlicher Selbstdarstellung auch im Kontrast zu anderen Ländern so als ‚gleichgestellter‘ her. „Det svenska jämställdhetsmaskineriet fungerar som ett svart hål som inkorporerar nya idéer och formulerar om
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Dies zeigt die große Nähe der schwedischen öffentlichen Gleichstellungsdebatte mit Arbeitsmarktpolitik. In vielen Diskussionen ist die Diskussion um Gleichstellung auf diesen Bereich beschränkt. Vgl. http://naring.regeringen.se/fragor/jamstalldhet vom 7.3.2003. Ebd. Vgl. auch die Analysen in Kapitel 6 hierzu.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 347
ansatserna så att de kan inordnas i den rådande strukturen istället för att ifrågasätta den.“42 (Genberg 2003: 23) Männer sind auch im schwedischen Gleichstellungskonzept die Norm, die zugleich neutral(isiert) ist. Schwedische Gleichstellungspolitik bedeutet, dass Frauen nichts gegeben werden kann, was nicht auch Männern angeboten wird. Die Idee der Genderneutralität der schwedischen Demokratie ist die Voraussetzung dieses Gedankens und wird durch ihn gleichzeitig auch immer wieder hergestellt. Der von Eduards (2002) postulierte Umstand, dass die Benennung von Männern als Gruppe in Schweden jeweils mit ihrer positiven Benennung einher gehen muss43, ist durch die Analyse der Homepage des schwedischen Gleichstellungsministeriums bestätigt worden und wird im nachfolgenden Kapitel an den medialen Benennungspraktiken weitergehend untersucht. Die Herstellung eines staatlichen Konzeptes zu Gleichstellung stimmt auch weitgehend mit der von Holmberg (1996) analysierten, für die öffentlichen schwedischen Diskurse der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zu findende bedeutungsmäßige Belegung des Begriffs überein: „De senaste tjugo åren av jämställdhetspolitik har givit upphov till en paradox. Å ena sidan understryker diskussionen om jämställdhet att det är legitimt att diskutera förhållandet mellan könen. Å andra sidan har jämställdhetsretoriken synliggjort det faktum att kategorin män har makt över kategorin kvinnor. Jämställdhetsspråket är nämligen könsneutralt. Det osynliggör därmed det faktum att medborgarna är kvinnor och män och att deras livsvillkor och agerande inte liknar varandras.“44 (Holmberg 1996: 151)
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts besitzt eine auf Gleichstellung bezogene Vorstellung von Feminismus, die mit dieser im öffentlichen Diskurs syn-
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‚Die schwedische Gleichstellungsmaschine funktioniert wie ein schwarzes Loch, welches neue Ideen inkorporiert und Ansätze so formuliert, dass sie in die herrschende Struktur eingeordnet werden können anstatt sie in Frage zu stellen.‘ „Män får pekas ut som goda – att de t. ex. behövs på dagis och som pappor. Men de får inte pekas ut som grupp i negativa termer, som könspolitiskt ansvariga.“ ‚Männer müssen herausgestellt werden als die Guten – dass sie z.B. im Kindergarten und als Väter gebraucht werden. Aber sie dürfen nicht als Gruppe in einem negativen Sinne herausgestellt werden, als geschlechterpolitisch verantwortliche.‘ (Eduards 2002: 2) ‚Die letzten zwanzig Jahre Gleichstellungspolitik haben zu einem Paradox geführt. Auf der einen Seite unterstreicht die Debatte um Gleichstellung, dass es legitim ist das Geschlechterverhältnis zu diskutieren. Auf der anderen Seite hat die Gleichstellungsrhetorik die Tatsache deutlich gemacht, dass die Kategorie Männer Macht über die Kategorie Frauen hat. Die Gleichstellungssprache ist nämlich geschlechterneutral. Dies macht damit unsichtbar, dass MitbürgerInnen Frauen und Männer sind, deren Lebensbedingungen und Handlungen sich nicht gleichen.‘
348
5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
onym verwendet wird, den Status einer schwedischen Staatsideologie. Diese Gleichstellung wird als ein Verhältnis von Frauen zu Männern definiert, deren ‚natürliche‘ Existenz als gegenderte Wesen in den entsprechenden staatlichen Diskursen nicht in Frage steht. Gleichstellung ist als Norm auf eine Vorstellung einer heterosexuellen Kernfamilie bezogen, von der aus sie über symmetrische Tätigkeiten in Bezug auf Zeitaufwand und finanziellen Nutzen sowie in Bezug auf Kinderbetreuung definiert wird. Aus Hirdmans (2002) Analysen kann in einem Vergleich von Zeitschriften aus den 70er und 90er Jahren herausgelesen werden, dass die heterosexuelle Kernfamilie in beiden Phasen das normative Ideal und die protoypische Konzeptualisierung privater Beziehungen darstellt. Der Aspekt der Heteronormativität spielt für schwedische Genderrollen und –normen sowie für die Aushandlung, was einerseits unter Feminismus und andererseits unter Gleichstellung verstanden wird, eine zentrale Rolle und fließt als unbenannte Norm in genderspezifizierende personale Appellationspraktiken und die Konventionalisierung genderunspezifizierender Appellation mit ein. In Ergänzung zu Björk (1996), wo dieser Aspekt unangesprochen bleibt, wird in der vorliegenden Arbeit die These vertreten, dass die Ausformung schwedischer Genderrollen und –normen sowie das schwedische Konzept von Gleichstellung heteronormativ ist und wirkt, welches gleichzeitig auf einer Homophobie und einer männlichen Homosozialität45 beruht. „Så länge homosexualitet studeras utan samtidig kritisk granskning av heterosexualitet bibehåller heterosexualiteten sin ställning som en självklar och privilegierad social position. Begreppet heteronormativitet bör användas i en vidare betydelse, alltså inte enbart som förväntad heterosexualitet, utan även som heterosexualitet i en förväntad form.“46 (Rosenberg 2002: 18)
Beides zeigt sich auch in einer lange Zeit und aktuell 2005 wieder zunehmend stark heteronormativ geprägten öffentlichen feministischen Diskus-
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„Homosocialitet är format som en motsättning från homosexualitet och utmärks i vårt samhälle ofta av en intensiv rädsla för och avståndstagande från homosexualitet.“ ‚Homosozialität ist als ein Gegensatz zu Homosexualität gebildet und ist in unserer Gesellschaft häufig von einer intensiven Angst vor und einer Distanzierung von Homosexualität gekennzeichnet.‘ Nina Björk in Dagens Nyheter vom 28.6.1998: „När män väljer andra män“ ‚Wenn Männer andere Männer wählen‘ ‚So lange Homosexualität untersucht wird, ohne gleichzeitig auch Heterosexualität kritisch zu betrachten, behält Heterosexualität seine selbstklare und privilegierte soziale Position bei. Der Begriff Heteronormativität sollte in einer weiteren Bedeutung angewendet werden, also nicht nur als erwartete Heterosexualität, sondern auch als Heterosexualität in einer erwarteten Form.‘
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 349
sion.47 In Kapitel 3 wird bei einer Darstellung der Möglichkeiten personaler Appellation im heutigen Schwedisch an mehreren Stellen aufgezeigt, dass in den Verschriftlichungen der konventionalisierten Möglichkeiten der personalen Appellation durch Wörterbücher auch ein heteronormatives Grundverständnis der Konzeptualisierung von Gender reproduziert und weiter verfestigt wird, was sowohl die Herstellung einer heterosexuellen Norm wie die dafür notwendige Abgrenzung von Homosexualität betrifft.48 Erst seit Ende der 90er Jahre findet der Aspekt der ReProduktion heteronormativer Vorstellungen auch im Diskurs zu Feminismus und Gleichstellung verstärkte Beachtung in der einschlägigen Forschung.49 „Heternormativitet är en bärande idé i vårt samhälle. Innebörden här är att en god demokrati/jämställdhetspolitik karaktäriseras av könskomplementaritet och samarbete mellan män och kvinnor, riktiga kvinnor, sådana som är positivt inställda till män. Feminism däremot symboliserar fientliga kvinnor, separatism och konflikt mellan könen. Föreställningen om heteronormativitet är väl sammanvävd med demokratins principer om lika behandling och könsneutralitet.“50 (Eduards 2002: 2)
Haavind (2002) zeigt, dass ein heteronormatives soziales Orientierungsmuster als patriarchale Grundform der Kontrolle von Männern über Frauen individuell internalisiert ist. Es kommt auch in privaten Gesprächen zum Ausdruck und reproduziert sich als grundlegende Prämisse auf dieser diskursiven Ebene weiter. Ein weiterer Aspekt der Veränderung von Feminismus in der schwedischen Öffentlichkeit seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ist seine verstärkte Individualisierung, mit der Feminismus weniger als eine soziale und politische Bewegung und Einstellung aufgefasst wird. Björk (2002) sieht es nicht als einen Zufall an, dass das Ideal einer freien Marktwirt-
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Für die aktuelle Debatte, siehe Hornscheidt (2006a). Für eine entsprechende theoretische Diskussion, vgl. Sedgwick (1990). Vgl. beispielsweise Rosenberg (2002), Kulick (2005), Laskar (2005) und die wissenschaftliche Zeitschrift lambda nordica. ‚Heteronormativität ist eine tragende Idee in unserer Gesellschaft. Der Inhalt hier ist, dass eine gute Demokratie/Gleichstellungspolitik von einer Geschlechterkomplementarität charakterisiert ist und einer Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern, richtigen Frauen, solche, die positiv gegenüber Männern eingestellt sind. Feminismus symbolisiert dahingegen feindliche Frauen, Separatismus und Konflikt zwischen den Geschlechtern. Die Vorstellung zu Heteronormativität ist zusammengeschweisst mit den Prinzipien der Demokratie zur Gleichbehandlung und Geschlechtsneutralität.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
schaft und eines neuen Ideals, wie eine Feministin ist/zu sein hat, frappierende Ähnlichkeiten besitzen. „Faktum är att det finns en förvånande samstämmighet mellan den idealkvinna som framträder i reklamens retorik och den feminist som träder upp på den kulturella scenen i dag. För båda är målet självkänsla, kontroll, oberoende och frigjordhet. Tjejer ska veta vad de vill, vara kaxiga, satsa på sig själva och göra karriär. På ett oroande sätt har feminismens och varuvärldens drömmar, ideal och människouppfattning kommit att närma sig varandra.“ (Nina Björk „Är feminist = lyckad kvinna?“ http://www.dn.se/Dnet/jsp/polopoly.jsp?d= 1058&a=24544 5.6.2002 vom 5.3.2003)51
Diese Art der begrifflichen Übernahme eines inhaltlichen Konzeptes, hier des Feminismus, und seine inhaltliche Resignifikation unter Beibehaltung der durch dieses Konzept zum Ausdruck gebrachten Handlungsweisen wird als eine machtvolle Strategie der Inkorporierung von Widerstand in die herrschende Kultur bzw. einer Verschiebung dieser Praktiken von den Rändern der Macht in ihr Zentrum, wodurch sie die Macht der Infragestellung gleichzeitig verlieren, interpretiert. Widerstand wird so zu einem positiven Akt gesellschaftlicher Betätigung, der sein für eine hegemoniale Auffassung eigentlich bedrohliches Potential auf diese Weise einbüßt. Die positive Bewertung einer konservativen und traditionellen Genderrollenverteilung wird durch die Übertragung feministischer Positivbewertungen auf konventionelle Weiblichkeitsentwürfe in diesem Fall als individueller Handlungsentwurf legitimiert – und sogar als aktive politische Strategie verkauft. Feminismus erfährt so gleichzeitig in breiten Teilen öffentlicher Medien eine Positivbewertung. Diese ist dabei lediglich auf den Begriff beschränkt, das inhaltliche Konzept hat eine semantische Entleerung oder Ausweitung hin zu einer Beliebigkeit seiner Verwendung erfahren, so dass ‚Feminismus‘ gerade vor großen Wahlen in Schweden zu einem positiven Schlagwort geworden ist, ohne dass noch benannt werden kann, worauf diese positive Benennung basiert. „Risken med ett mer frekvent användande av termen feminism är att den blir synonym med
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‚Tatsache ist, dass es eine erstaunenswerte Übereinstimmung gibt zwischen der Idealfrau in der Rhetorik der Werbung und der Feministin, die heute auf der kulturellen Bühne sichtbar ist. Für beide ist das Ziel Selbstbewusstsein, Kontrolle, Unabhängigkeit und Freisein. Girls sollen wissen, was sie wollen, frech sein, auf sich selbst setzen und eine Karriere machen. Auf eine beunruhigende Weise haben die Träume des Feminismus und der Warenwelt, Ideale und Menschenbilder sich aneinander angenähert.‘ Vgl. auch Engel (2002) und Hornscheidt (2006b), wo die neoliberale Vermarktungslogik abweichender Identitäten als Individualisierungen in Bezug auf Gender diskutiert wird.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 351
jämställdhet, att begreppet töms på sitt radikala innehåll.“52 (Eduards 2002: 2) Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gründete sich eine Gruppe von sich selbst so bezeichnenden Feministinnen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die großen nationalen Parteien auf ihr Eintreten für Gendergleichstellung hin zu befragen. Sie drohten an, dass, wenn die Politik eine aktive und explizite Auseinandersetzung mit dem Thema verweigere, eine eigene Frauenpartei nach dem erfolgreichen isländischen Vorbild gegründet würde. Als Resultat dieser feministischen Bemühungen haben fast alle schwedischen Parteien vor der Wahl 1994 Genderquotierungen ihrer Wahllisten eingeführt. ‚Feminismus‘ wurde in dieser Zeit auf der Ebene nationaler Politik zu einem positiven Schlagwort.53 Dies ist zum Beispiel aus den Parteiprogrammen der verschiedenen Parteien wie auch in Selbstbenennungen von Politiker/inne/n als Feminist/inn/en ablesbar. Das berühmteste einschlägige Beispiel ist die Aussage des schwedischen Staatsministers Göran Persson aus der zweiten Hälfte der 90er Jahre, in der er sich selbst als ‚feminist‘ bezeichnet. Eine Offenheit gegenüber ‚Feminismus‘ und eine Bezugnahme auf ‚Feminismus‘ in der schwedischen Öffentlichkeit wurde damit aus der politischen hegemonialen Machtposition heraus als positiver Wert legitimiert, hat sich entsprechend verbreitet und ist auch durch seine parteiübergreifende Verwendung in dieser Zeit positiv belegt, da er so ein hohes Identifikationspotential für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen bietet. Die Verwendung der Selbstappellation feminist von einer großen Anzahl von Politiker/inne/n unterschiedlicher politischer Ausrichtungen ist in der öffentlichen Debatte als eine machtstrategische Handlung interpretiert worden, die aus den Kreisen der Gender Studies vielfach als eine Aushöhlung des Begriffs und der so hergestellten Konzeptualisierung, die ihr widerständiges Potential eingebüßt hat, kritisiert worden ist. Diese Meinung findet sich auch innerhalb des öffentlichen Diskurses schwedischer überregionaler Tageszeitungen. Nils Ekdal schreibt in einem Artikel „Tio nyårslöften om värsta språket“ vom 5.1.2003 unter der Überschrift „Feminism“: „Alla kallar sig numera feminister, samtidigt som kvinnor i de flesta avseenden – inflytande, respekt, kontakter, resurser – fortfarande är systematiskt missgynnade i förhållande till manskollektivet. Begreppet feminism har därmed förvandlats till
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‚Das Risiko in einer frequenteren Anwendung des Begriffs Feminismus liegt darin, dass er zu einem Synonym für Gleichstellung wird und so seines radikalen Inhalts beraubt wird.‘ Für eine Abgrenzung der Begrifflichkeiten Schlagwort, Fahnenwort, Schlüsselwort, vgl. Brylla (2003).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
ett alibi. Det bidrar mer till mystification och offerstämpel än till verklig jämställdhet.” (http://www.dn.se/Dnet/jsp/polopoly.jsp?d=577& a=93610 vom 5.3.2003).54
In einem Kommentar in Dagens Nyheter wird zugleich auch die Möglichkeit der öffentlichen Kontrolle als positiv hervor gehoben: „Om det blir självklart att vara feminist kan de som instämmer med dubbel tunga, avkrävas konsekvens. Feminismen kan därmed fungera som Helsingforsavtalet under det kalla kriget. Detta avtal om mänskliga rättigheter skrevs under av alla länder i Europa. Även av Sovjet, som i sin officiella retorik hyllade mänskliga rättigheter, men som i praktiken kränkte dem systematiskt. Med hjälp av Helsingforsavtalet kunde omvärlden påpeka den sovjetiska dubbelmoralen.“ (Maria Carlshamre „Kvinnornas Helsingsforsavtal“ vom 22.1.2003 http://www.dn.se/ Dnet/jsp/polopoly.jsp?d=577&a=99318 vom 5.3.2003).55
Neben der mit einer Übernahme des Begriffs verbundenen gleichzeitig stattfindenden semantischen Aushöhlung56, wie es im selben Artikel heißt, wird hier darauf aufmerksam gemacht, dass die Übernahme zugleich auch die Möglichkeit bieten kann, verschiedene Handlungsweisen auf ihren feministischen Gehalt hin zu befragen. Die potentielle Wirkung einer entsprechenden Selbstappellation steht zur öffentlichen Debatte, ohne dass eine einheitliche Meinung dazu vertreten wird. In den Tageszeitungen der späten 90er Jahre des 20. Jahrhunderts lässt sich eine gewisse Tendenz ausmachen, die Begriffe feminism und feminist
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‚Alle nennen sich heute Feminist/inn/en. Gleichzeitig wie Frauen in vielfacher Hinsicht – Einfluss, Respekt, Kontakte, Ressourcen – auch weiter gegenüber dem Kollektiv Männer benachteiligt sind. Der Begriff Feminismus ist daher zu einem Alibi geworden. Es trägt mehr zu Mystifikation und einem Opferstempel bei als zu wirklicher Gleichstellung.‘ Auch hier findet sich wieder die zuvor diskutierte implizite Gleichsetzung von Feminismus mit Gleichstellung, die als selbstverständlich dargestellt wird. ‚Wenn es selbstverständlich wird Feminist/in zu sein, kann von denjenigen, die mit doppelter Zunge dies sagen, Konsequenzen gefordert werden. Feminismus kann damit zu etwas werden wie die Helsinki-Konvention im Kalten Krieg. Diese Konvention zu Menschenrechten wurde von allen europäischen Ländern unterzeichnet. Auch von der Sowjetunion, die in ihrer offiziellen Rhetorik die Menschenrechte lobte, aber sie in der Praxis systematisch brach. Mit Hilfe der Helsinkikonvention konnte die sowjetische Doppelmoral öffentlich sichtbar gemacht werden.‘ Die Parallelsetzung mit dem kalten Krieg und der Sowjetunion auf der einen Seite sowie der so hergestellten ‚zivilisierten‘ Welt, die auf diese Art und Weise Kontrolle auszuüben vermag, kann hier nicht weiter analysiert werden, ist aber natürlich hinsichtlich der hier hergestellten Parallelen und evozierten Konzeptualisierungen kritisch zu betrachten. Wie aus dem dritten Kapitel deutlich wird, wird diese Auffassung in der vorliegenden Studie nicht geteilt, wenngleich sich an ihr ein alltagsweltliches Sprachverständnis ablesen lässt, sondern stattdessen von einer resignifizierenden Sprachhandlung ausgegangen hier, in der sich auch Konzeptualisierungen verändern.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 353
positiver zu benutzen als dies in den 80er Jahren desselben Jahrhunderts noch der Fall gewesen ist. Carlshamre interpretiert dies in dem bereits zitierten Tageszeitungsartikel in Dagens Nyheter als eine Folge einer öffentlichen Einstellung von politischer Korrektheit: „Mer eller mindre öppet finns det också ett motstånd mot både den feministiska etiketten och saken – kanske just därför att det uppfattas som politiskt korrekt. Men detta motstånd syns sällan i offentligheten – det dyker däremot upp i enkönat manliga miljöer och på olika sändlistor på nätet.“ (Maria Carlshamre „Kvinnornas Helsingsforsavtal“57 vom 22.1.2003 http://www.dn.se/Dnet/jsp/ polopoly.jsp?d=577&a=99318 vom 5.3.2003)
Während feminism und feminister einer öffentlichen Negativbenennung in überregionalen Tageszeitungen wie Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet in dieser Zeit weitgehend entgehen, heißt dies nicht, dass Feminismus per se positiv bewertet würde.58 Es ist zu beobachten, dass die weitgehende Übernahme bestimmter feministischer Vorstellungen, die insbesondere unter das Konzept Gleichstellung gefasst werden können, zugleich auch zu einer begrifflichen Verschiebung von abwertenden Benennungen geführt hat. Diese wird nun, in Bezug auf Feminismus durch eine Spezifizierung desselben in Begriffen wie radikalfeminister ‚Radikalfeministinnen‘, extremfeminism ‚Extremfeminismus‘, militanta feminister ‚militante Feministinnen‘, ultrafeminism ‚Extrem-Feminismus‘ zum Ausdruck gebracht.59 Es findet zum Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eine Ausdifferenzierung des Konzepts feminism im öffentlichen Diskurs der schwedischen Tageszeitungen statt, durch den es auch weiterhin die Möglichkeit einer Abwertung von Feminismus gibt, der sich jetzt jedoch durch eine ausdifferenzierte Benennung ausdrückt, durch welche Feminismus und die personale, kollektive Appellation durch feminister ‚Feministinnen‘ einer Negativbewertung entgeht, sondern in ein hegemoniales Konzept inkorporiert werden konnte.
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‚Mehr oder weniger offen gibt es auch einen Widerstand gegen das feministische Etikett und die feministische Sache – vielleicht auch nur deswegen, weil es als politisch korrekt erachtet wird. Aber dieser Widerstand wird in der Öffentlichkeit nur selten sichtbar – er taucht hingegen in rein männlichen Umgebungen auf sowie auf unterschiedlichen EmailListen.‘ Wichtig ist hier auch eine Differenzierung in der Betrachtung zwischen individualisierender Appellation durch feminist und Kollektivbenennungen feminister. Oder auch durch Paraphrasierungen, wenn Eduards (2002) beispielsweise davon spricht, dass Feminismus seines radikalen Inhalts entledigt würde. In ein nicht staatlich inkorporiertes Konzept von Feminismus gehört offensichtlich eine räumliche Konzeptualisierung desselben an einen so hergestellten Rand.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Eduards (2002) interpretiert die willige Übernahme der Benennung feminist durch Politiker/innen als machtpolitische Strategie möglichst viele ‚mit ins Boot zu holen‘, verhaftet in einer politischen Tradition des Konsens. Die Übernahme des Terminus impliziert nicht eine Hinwendung zu und Anerkennung von gegenderten Interessenskonflikten und einer ausdifferenzierten Auseinandersetzung mit feministischen Inhalten, sondern zu einer Verwässerung des Inhalts von Feminismus in Eduards Worten. Durch die breitflächige politische Übernahme des Terminus wird dieser zunehmend mit Gleichstellung gleich gesetzt und verliert dadurch seine differenzierten politischen Ansprüche. Als Reaktion auf die breite politische Übernahme des Terminus Feminismus, die in der herrschenden Politik lediglich dazu diene, formell die Rechte und Bedürfnisse von Frauen als Gruppe anzuerkennen, fordert Eduards (2002) eine stärkere inhaltliche Positionierung und damit Polarisierung von Feminismus auch gegenüber dem Konzept der Gleichstellung. Damit würde zugleich deutlich, dass nicht alle Frauen Feministinnen sind oder Feminismus fordern. An diesem Beispiel wird deutlich, wie zentral der Kampf um Begrifflichkeiten und die Macht über die Konventionalisierung der durch sie aufgerufenen Konzeptualisierungen ist. Die Inkorporierung von ‚Feminismus‘ in die staatliche Macht hat zu neuen Ausschlüssen geführt, die nun durch Sekundärbildungen in Form von Nominalphrasen, in denen die Appellation feminist jeweils durch ein gruppenspezifizierendes Attribut ergänzt wird, geführt hat. Einer konventionalisierten Veränderung der Konzeptualisierung von Feminismus wird mit Neubildungen begegnet. Welche sekundären, für die vorliegende Studie darüber hinaus wichtigen Konsequenzen dies hat, zeigt die hetero- und auch autostereotype schwedische Annahme der Gleichstellung, die so zu einer entnannten und selbstverständlichen wird: „Det finns ett hjärntvättade moment i det självgoda jämställdhetsmantrat: en människa som hela tiden får veta att hon bor i Världens Mest Jämställda Land och ändå inte är jämställd, som kanske lever i en förtryckande relation, känner sig kränkt eller missgynnad eller sexistiskt bemött, kan lätt individualisera förtrycket och tro att det bara handlar om henne som individ.“60 (Genberg 2003: 23)
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‚Es gibt einen gehirnwaschenden Aspekt in dem Mantra der selbst-guten Gleichstellung: ein Mensch, welcher die ganze Zeit zu wissen bekommt, dass sie/er in dem gleichgestelltesten Land der Welt worhnt und doch nicht gleichgestellt ist, vielleicht in einer unterdrückerischen Beziehung lebt, sich gekränkt und benachteiligt oder sexistisch behandelt fühlt, kann die Unterdrückung leicht individualisieren und glauben, dass es nur sie als Individuum ist, um die es geht.‘
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 355
Diese Auffassung findet jedoch nicht nur einen individualisierten Niederschlag, sondern ist auch mit Hinblick auf Forschungen wichtig. So kann sie auch für viele linguistische Studien nachgewiesen werden, wenn dort davon ausgegangen wird, dass Schweden gleichgestellt sei und ein positives Verhältnis zu Feminismus habe. Diese unhinterfragte Vorannahme fließt als Erklärungsmuster für Unterschiede in der Art der Genderspezifizierung personaler Appellation in Bezug auf Schweden gegenüber anderen Ländern und Sprachen mitein und wird so gleichzeitig noch einmal verfestigt. Durch die breite politische Verwendung des Begriffs Feminismus, durch den dieser immer stärker mit Gleichstellung assoziiert worden ist und die beiden Begriffe in bestimmten öffentlichen Diskursen zu Synonymen geworden sind, wurde das Konfliktpotential und die Herausforderung, die Feminismus als Konzept gegenüber den herrschenden Normen der schwedischen Gesellschaft aus dieser Sicht symbolisch aufweist und die Eduards (2002) in obenstehendem Zitat als Projektion von ‚Feindschaft‘ gegenüber Männern und Separatismus charakterisiert, ‚neutralisiert‘. Holmberg (1996) spielt im Titel ihres Buches Det kallas manshat ‚Es nennt sich Männerhass‘ mit genau dieser öffentlichen und breiten Assoziation zu Feminismus, die bis Mitte der 90er Jahre im öffentlichen Diskurs vorherrschend gewesen ist, bevor sie durch die Inkorporation des Begriffs in die Mainstream-Politik übernommen wurde. Sowohl in der Projektion von Feindschaft gegenüber Männern durch Frauen wie auch in der Benennung als ‚Männerhass‘ wird Feminismus zu einem von kriegerischen Assoziationen begleiteten Feindbild, in dem eine politische Frage auf das Verhältnis konkreter Frauen und Männer individualisiert wird. Strukturelle Aspekte von Machtrelationen und –verteilung werden in diesen individualisierenden Benennungen unsichtbar gemacht. Ein so verstandener Feminismus gefährdet die heteronormative Ordnung, die grundlegend für die schwedische Gesellschaft ist. „I vår kultur: Kvinnor och män betraktas som lika. Om de inte betraktas som lika anses de åtminstone vara gjorda för varandra, olika och komplementära. Båda koderna talar harmoni. [...] Kvinnor blir värdiga motparter och goda medborgare först när de vill samarbeta med män. Motsvarande krav ställs inte på män gentemot kvinnor.“61 (Eduards 2002: 2)
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‚In unserer Kultur: Frauen und Männer werden als gleich betrachtet. Wenn sie nicht als gleich angesehen werden, so sind sie doch zumindest füreinander geschaffen, unterschiedlich und komplementär. Beide Codes sprechen von Harmonie. Frauen sind erst würdige
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Dass es aber auch eine relativ hohe Unsicherheit hinsichtlich Begriffsverwendungen in diesem Bereich gibt, belegt ein Kommentar aus der Rubrik vanliga frågor ‚normale Fragen‘ der Sprachberatungsgruppe Klarspråk ‚Klarsprache‘ des Justizministeriums. Auf der Internetseite wird unter der Fragestellung kön, gender eller genus? ‚Geschlecht, Gender oder Genus‘ geraten: „I politiska sammanhang kan jämställdhet vara en bra svensk motsvarighet till gender.“62 Es findet eine terminologische Vermischung eines politischen Ziels oder Ideals (jämställdhet) und einer Identitätskategorisierung (gender) statt, die in dem hier hergestellten Zusammenhang als eine konzeptuelle Vermischung beider Ebenen interpretiert wird. In einer solchen Argumentation kommt eine Unreflektiertheit eines entsprechenden öffentlichen Denkens sowie eine Gleichsetzung von Gleichstellung und Gender zum Ausdruck, wodurch Gleichstellung gleichzeitig auf monolithische Genderfragen begrenzt bleibt. Die herausragende Position von Gender für Konzeptualisierung wird ebenso wie die Isolierbarkeit der Kategorie auf diese Weise reproduziert. Der Zusammenfall dieser beiden unterschiedlichen Benennungsebenen im obigen Zitat ist umso erstaunlicher, als dass es sich um eine Publikation einer sprachpflegerischen Einrichtung der schwedischen Regierung handelt, von der gerade hinsichtlich des Umgangs mit Begrifflichkeiten eine relativ hohe Sensibilität und Genauigkeit zu erwarten wäre. Insofern ist die Tatsache, dass es gerade hier zu einer Vermischung der Bezugsebenen kommt, im Kontext der oben formulierten These umso aussagekräftiger. Im folgenden sind die vorherrschenden Tendenzen des öffentlichen schwedischen Diskurses seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts dazu, wie Gender verstanden und Feminismus konzeptualisiert wird, zusammenfassend formuliert. x Die Existenz von zwei verschiedenen Gendern wird nicht infrage gestellt. Ihre Existenz wird in der Regel biologisch fundiert konzeptualisiert. Unter biologisch fundiert wird hierbei in der Regel eine Unterscheidung der reproduktiven Rollen von Frau und Mann verstanden. x Implizit in dieser Auffassung ist ein Modell der Zweigeschlechtlichkeit, welches Frau und Mann zu zwei sich ergänzenden Teilen einer ____________ 62
Gegenüber und gute Mitbürgerinnen, wenn sie mit Männern zusammenarbeiten wollen. Vergleichbare Forderungen werden nicht an Männer gegenüber Frauen gestellt.‘ ‚Im politischen Zusammenhang kann Gleichstellung eine gute Entsprechung ür Gender sein.‘ http://www.justitie.regeringen.se/klarsprak/vanligafragor/vanligafragor2.htm vom 27.2.2002.
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 357
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erstrebenswerten und normalisierten Ganzheit konstruiert. Die Natürlichkeit ihrer Verbindung als Urzelle der Gesellschaft wird auf diese Weise reproduziert. Diesem Verständnis liegt die Annahme von Sexualität als zentrales Element bei der Bestimmung von Geschlechtlichkeit zu Grunde und mündet in die Auffassung einer natürlichen Heterosexualität, die implizit bei einer Appellation auf Gender aufgerufen wird. Diese Auffassung findet in dem in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er Jahre weit verbreiteten Verständnis eines Feminismus, in dem die weiblichen Werte, die eng mit der zugeschriebenen reproduktiven Rolle der Frau in Zusammenhang gebracht werden, als positiv dargestellt und propagiert werden, ihren Niederschlag. Die positive Seite der so verstandenen Weiblichkeit wird in den entsprechenden Ansätzen dabei weit über die Sphäre der Reproduktion hinaus gesehen und auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen oder ihre Übertragung propagiert. Auf der anderen Seite wird unter dem politischen Konzept der jämställdhet im Schweden der 90er Jahre die Gleichstellung von Frau und Mann insbesondere hinsichtlich öffentlicher Wertschätzung und Tätigkeiten propagiert. Das Konzept bezieht sich speziell auf die Bereiche der Bildung und Erwerbsarbeit sowie Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens, die in direkter Abhängigkeit von diesen stehen. Das Konzept jämställdhet hat als implizites Ziel die Irrelevanz der Kategorie Gender, die dann erreicht ist, wenn eine Gleichstellung weiblicher Lebenswirklichkeiten in den benannten Bereichen an die männliche hergestellt ist. Diese ist konkret und abhängig von der politischen Einstellung in Löhnen, Bildungschancen, Durchschnittsalter in verschiedenen Lebensphasen etc. messbar. Der im Konzept der Gleichstellung enthaltene Ansatz der Genderneutralisierung führt zusammen mit der Normsetzung männlicher Existenz zu einer Gleichsetzung von Frau-Sein mit Geschlechtlichkeit, die ihrerseits wiederum eine Gleichsetzung von Mann-Sein mit Menschlichkeit befördert und als Konsequenz hat. Diese Auffassungen werden in Autostereotypen so umgesetzt und bestätigt, dass von einer bereits vorhandenen Gendergleichstellung ausgegangen wird, so dass vorhandene Asymmetrien nicht mehr reflektiert werden müssen. In Heterostereotypen führt dies in Vergleichen zwischen Schweden und anderen Ländern zu einer Auffassung des hohen schwedischen Standards hinsichtlich Gendergleichstellung und der Annahme der hier erreichten entsprechenden Ziele, was sei-
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
nerseits zu einer Normalisierung einer schwedischen sozialen Realität beiträgt, die so im internationalen Kontext nur wenig hinterfragbar gemacht wird. Unter Betrachtung dieser zentralen Punkte eines schwedischen Konzepts zu Gleichstellung und Feminismus im öffentlichen Diskurs der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts lassen sich bei einer Annahme von komplexen und sich gegenseitig bedingenden Wechselwirkungen sprachlicher Handlungen und ideologischer gesellschaftlicher Auffassungen folgende Tendenzen für Genderspezifizierung und Genderunspezifizierung personaler Appellation im Schwedischen prognostizieren – bzw. die im dritten Kapitel vorgestellte Analyse von Genderspezifizierung personaler Appellationsformen im Schwedischen wie folgt gegenlesen: x Im Bereich der Reproduktion ist ein Beharren auf Genderdifferenz essentiell. Eine genderdifferenzierte, lexikalisierte Appellation auf Verwandtschaftsverhältnisse ist damit in einen Zusammenhang zu bringen. Durch eine genderdifferenzierte Appellation der Verwandtschaftsverhältnisse reproduziert sich die Relevanz von Gender in diesem gesellschaftlichen Bereich immer wieder aufs Neue. Die Genderdifferenz besitzt darüber hinaus insofern eine besondere gesellschaftliche Relevanz, da sie auch als Metaphernquelle, insbesondere die Verwandtschaftsverhältnisse ersten Grades, hoch frequent ist und die Konzeptualisierung zahlreicher Bereiche mit bestimmt. Zugleich wirkt diese Metaphorisierung auf das Konzept der heterosexuellen Kleinfamilie als gesellschaftliche Norm, welches so als natürlich und unhinterfragbar hergestellt wird, zurück. x Im Bereich bezahlter und unbezahlter Tätigkeiten außerhalb des Feldes der (biologischen) Familie ist das schwedische Konzept der jämställdhet so zentral, dass bei sprachlichen Appellationen auf Personen in diesen Tätigkeiten eine Genderspezifizierung nicht der gesellschaftlichen Ideologie entsprechen würde. Ausgenommen hiervon sind Bereiche, in denen entweder eine starke Gendersegregrierung in der öffentlichen Wahrnehmung besteht, wie beispielsweise Sport, oder Bereiche, in denen mit Weiblichkeit assoziierte Eigenschaften eine zentrale Rolle in der Tätigkeitsdefinition spielen und zu prototypischen genderspezifizierend weiblichen Konzeptualisierungen der entsprechenden Tätigkeiten werden. Dies ist der Bereich der pflegerischen Tätigkeiten und in der Benennung der Arbeit mit jungen Kindern feststellbar. In der Verwendung der Form sjuksköterska ‚Krankenpfleger/in‘ in genderunspezifizierendem Gebrauch wird eine
5.2 Gleichstellungs- und Feminismusauffassungen in den schwedischen Öffentlichkeit 359
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genderspezifizierend weibliche Prototypisierung gesehen, die durch ihren genderunspezifizierenden Gebrauch nicht aufgelöst wird. Sie steht in starkem quantitativem Kontrast zum genderunspezifizierenden Gebrauch genderspezifizierend männlicher Appellationsformen, für die diese Frage nicht mehr diskutiert wird, so dass ihre Konventionalisierung als genderunspezifizierend zugleich sehr viel stärker entwickelt ist. Eine Annahme einer weitgehend erreichten, schwedischen öffentlichen Gleichstellung dient bei Jobin (1998) als Begründung für die spezifisch schwedische Sprachveränderungsstrategie der Neutralisierung, wenn Gleichstellungsziele als ausschlaggebend dafür angesehen werden, dass eine Neutralisierung personaler Appellation im Bereich der Tätigkeitsbenennungen erfolgen würde. Die schwedische Norm der Gleichstellung fließt als kausale Erklärung in eine linguistische Studie zu Sprachveränderung ein. Was unter ‚Neutralisierung‘ in diesem Zusammenhang verstanden wird, bleibt dabei unreflektiert, so dass die Tradierung genderspezifizierend männlicher zu genderunspezifizierender Appellation in dieser linguistischen Studie weiter reproduziert wird. In der vorliegenden Studie wird hingegen das Prinzip der prototypischen genderspezifizierenden Konzeptualisierung personaler Appellation als durchgängiges angenommen. Das Ideal der schwedischen Gleichstellung mit einer männlichen Normsetzung als Allgemeinmenschliches führt zu einer prototypisch genderspezifizierend männlichen Konzeptualisierung in den meisten Bereichen außerhalb familiärer und partnerschaftlicher Strukturen, wie im dritten Kapitel dargestellt wurde. Die Tätigkeitsbereiche, in denen eine konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellationsform auch genderunspezifizierend verwendet wird, zeigen darüber hinausgehend die starke Prototypikalisierung weiblicher Zuschreibungen in den entsprechenden Bereichen, die eine gegenderte Natürlichkeitsvorstellung für bestimmte Lebensbereiche reproduziert. Das schwedische Konzept der jämställdhet nimmt den Mann jeweils als Norm. In personalen Appellationen dieses Bereichs, in denen eine durchgängige Genderspezifizierung auf dem Hintergrund dieser Ideologie aufgegeben worden ist, macht es entsprechend Sinn, die personalen Appellationsformen, die konventionalisiert genderspezifizierend auf Männer appellieren, auch als genderneutrale Formen zu verwenden. Dies entspricht der Auffassung, dass Frau-Sein Geschlechtlichkeit bedeutet, Mann-Sein Menschlichkeit, wie in Kapitel 3 an konkreten Konstellationen personaler Appellationsformen gezeigt worden ist.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Der ideologische Aspekt, dass Frau-Sein Geschlechtlichkeit bedeutet, Mann-Sein hingegen Menschlichkeit, zeigt sich unter anderem auch – und wird auch so (wieder) hergestellt in der sehr viel häufigeren Verwendung des Adjektivs kvinnlig ‚weiblich‘ gegenüber dem Adjektiv manlig ‚männlich‘, da eine genderspezifizierende Benennung dann unnötig ist, wenn die wahrgenommene Genderidentität als gesellschaftlich neutral gesetzt ist. Heterosexualität als grundlegende Konzeptualisierung von sowohl Gender als auch menschlicher Existenz insgesamt durchzieht die Benennung zwischenmenschlicher Relationen durch personale Appellationsformen auf durchgängige und subtile Weise. In Anlehnung an Eagleton (1993) kann dies als eine grundlegende gesellschaftliche Ideologie für Schweden in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts interpretiert werden.
Auf dem Hintergrund der öffentlichen Verhandlung von Feminismus und Gleichstellung in Schweden in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wird im folgenden Unterkapitel ein Überblick über öffentliche Auffassungen zu Sprache gegeben, von dem ausgehend strategische Sprachveränderungsvorschläge in Bezug auf Genderspezifizierung personaler Appellation im Schwedischen diskutiert werden können.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege in der schwedischen Öffentlichkeit der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts – Tendenzen und Institutionalisierungen mit Hinblick auf personale Appellation und Gender En man och hans son som var ute och åkte bil råkade ut för en allvarlig trafikolycka. Pappan omkom omedelbart och sonen fördes till sjukhus där man konstaterade att han måste opereras. Då kom kirurgen som skulle oparera pojken och utbrast i åsynen av sin patient: Det här är ju min son!63
Brunsted (2001) arbeitet heraus, dass die schwedische Sprachpflege traditionell von Idealen sprachlicher Reinheit gekennzeichnet ist und immer auch in einem direkten Zusammenhang mit Vorstellungen und Notwendigkeiten der Schaffung und Stärkung einer nationalen Identität ihre konkrete inhaltliche Ausrichtung bekommen hat. Sprachpflege in Schweden ist in den letzten drei Jahrhunderten vor allem eine Bewegung von ‚oben‘ gewesen, das heißt vor allem staatlich initiiert und institutionalisiert. Prinzipien, denen strategische und staatliche durchgeführte und/oder unterstützte Sprachpflege Rechnung tragen will, sind über die Jahrhunderte hinweg Funktionalität und Rationalität gewesen, die zu verschiedenen Zeiten jeweils verschieden ausgelegt worden sind. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts besteht eine gewisse Fokussierung auf die sprachpflegerischen Strategien der Abwehr außerskandinavischer sprachlicher Einflüsse, insbesondere des Englischen. Durch den 2002 veröffentlichten Sprachbericht der schwedischen Regierung, dem eine mehrjährige Forschungsarbeit zu Grunde liegt, soll die Grundlage geschaffen sein, Schwedisch zur Nationalsprache zu erklären, welches seinerseits nach Annahme des mit dem Bericht vorgeschlagenen Gesetzes zur Pflege der Sprache weitgehende Auswirkungen auf die Frage des Status verschiedener Sprachen in Schweden haben wird. In dem Sprachpflegebericht (SOU 2002/27 2002) wird in
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‚Ein Mann und sein Sohn waren mit dem Auto unterwegs und wurden Teil ein schweren Verkehrsunglücks. Der Vater starb an Ort und Stelle, der Sohn wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, wo festgestellt wurde, dass er sofort operiert werden müsse. Als er diensthabende Chirurg den jungen Patienten sah, brach aus ihm hervor: Das ist ja mein Sohn!‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
einem Kapitel auch die Frage von ‚Sprache und Geschlecht‘ gesondert thematisiert. Dies wird an späterer Stelle in diesem Kapitel wieder aufgenommen und analysiert. Was an der vorliegenden Stelle von Bedeutung ist, ist die herausragende Stellung, die Sprachpflege momentan von staatlicher Seite eingeräumt wird und die sich darüber hinaus und im Zusammenhang damit momentan in der schwedischen Gesellschaft im öffentlichen Diskurs finden lässt.64 So wird mit dem umfangreichen und in der Öffentlichkeit stark rezipierten Bericht die Rolle von Sprache und die Funktion von Sprachpflege zu einem herausragenden öffentlichen Interesse und zu einer dem Staat zugeschriebenen Aufgabe postuliert. Dies besitzt eine gewisse Tradition in der Einsetzung verschiedener Regierungskommissionen über die letzten 50 Jahre hinweg, die sich mit Frage des Sprachgebrauchs beschäftigt haben. Gelangen die in dem aktuellen Bericht geforderten Änderungen des Status des Schwedischen sowie der Sprachpflege zur Umsetzung, was im Moment relativ wahrscheinlich ist, wird Sprachpflege noch stärker als bisher zu einer staatlich schwedischen Angelegenheit gemacht. Sie würde dadurch eine gewisse Monopolisierung und politische Steuerung erfahren, die über finanzielle Zuwendungen weit hinausgeht, wie es im Moment der Fall ist, sondern eine inhaltliche Einflussnahme und Reglementierung zur Folge haben.65 Eine Konsequenz dessen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit von besonderer Relevanz ist, ist die zunehmende Konzeptualisierung von Sprache als etwas Einheitliches und vor allem Normiertes und Reglementiertes, welches den individuellen sprachlichen Gestaltungsspielraum bestimmt. In Bezug auf Genderspezifizierung personaler Appellationsformen wird Sprache in dem Bericht als ein Medium konzeptualisiert, welches jenseits sozialer ‚Wirklichkeit‘ traditionelle Genderrollen zum Ausdruck bringt, die in einem gewissen Gegensatz zur gleichzeitig als getrennt von Sprache hergestellten sozialen ‚Wirklichkeit‘ verstanden werden. Sprachpflege und Sprachkritik
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Zur Geschichte schwedischer Sprachpflege der letzten Jahrhunderte, siehe Teleman (2002 und 2003). Vgl. remisssvar (http://kultur.regeringen.se/propositionermm/sou/pdf/remissam_sou 2002_27.pdf vom 1. 9. 2003): Dort ist dieser Aspekt wenig zu finden, was mit darin begründet liegen mag, dass es hier gleichzeitig auch um eine finanzielle Grundsicherung der schwedischen Sprachpflege durch den Staat geht, so dass den mit der staatlichen Institutionalisierung verbundenen Nachteilen wenig Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund einer ansonsten vielleicht sich selbst auflösenden Sprachpflege geschenkt wird. Auf der anderen Seite zeigt sich aber darin auch eine weithin vertretene Vorstellung, dass der Staat für Sprachpflege zuständig ist und dass es sich um eine Aufgabe mit einem nationalen Interesse handelt.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
363
sind weitgehend und zunehmend staatlich institutionalisiert und ebenso wie Gleichstellung eine dem Staat zugeschriebene und übertragene Angelegenheit zum Ende des 20. Jahrhunderts. Es ist eine interessante Parallele der Wahrnehmung des Staates und der Zuschreibung von Verantwortlichkeiten an diesen zu sehen. Zu erwarten ist in dem Zusammenhang der im Herbst 2005 kurz bevorstehenden Verabschiedung eines schwedischen Sprachgesetzes auch eine Neuordnung der bestehenden schwedischen Sprachpflegeeinrichtungen, die im Moment vor allem staatlich finanziert sind, jedoch eine gewisse Eigenständigkeit besitzen. Die größte Sprachpflegeeinrichtung neben Svenska Akademien ‚der Schwedischen Akademie‘, Svenska språknämnden ‚dem schwedischen Sprachrat‘, wird in Zukunft nicht nur staatlich finanziert, sondern eine staatliche Institution werden, wobei die funktionale Abgrenzung oder sogar der Zusammenfall mit Svenska Akademien zumindest in Bezug auf Sprachpflege und –politik auf lange Sicht zu erwarten ist. Diese stärkere Verstaatlichung der Sprachpflege kann ihrerseits auch Einfluss auf Sprachveränderungsvorschläge und ihre Umsetzung in Bezug auf Gender haben. Der schriftliche Sprachgebrauch staatlicher Verwaltungen ist seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts von staatlicher Seite aus Thema und mündet in regelmäßige offizielle Publikationen mit Empfehlungen zum Sprachgebrauch in den öffentlichen Verwaltungen. 1975 hat eine vom Justizministerium eingesetzte Kommission einen Bericht zur Gesetzessprache verfasst,66 in dem in einem gesonderten Kapitel mit der Überschrift specialmotivering auch die Frage der Genderunspezifizierung sprachlicher Appellationsformen relativ ausführlich verhandelt wird. Es zeigt sich an diesem Punkt in der schwedischen Situation eine auffallende Abweichung von dem Umgang mit feministischer Sprachkritik in anderen Ländern.67 „Community reaction to these feminist analyses was predominantly negative: the existence of linguistc sexism was vigorously denied. Reasons for its denial varied according to the status and linguistic expertise of the commentator. Whereas non-experts rejected the claim on (folk) etymological assumptions, or because of an unquestioned acceptance of the wisdom of existing language authorities, linguistic experts refuted the claims by arguing that feminist analyses of the language system are fundamentally flawed as they rest on erroneous understandings of language and gender.” (Pauwels 2003: 554)
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Vgl. SOU 1975/102. Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Entgegen der von Pauwels festgestellten allgemeinen Tendenz kann für die schwedische Entwicklung bereits Mitte der 70er Jahre eine Übernahme feministischer Sprachveränderungsvorschläge durch den Staat festgestellt werden, die erst in den 80er Jahren wieder hin zu einer gewissen Distanzierung verändert worden sind. Es handelt sich an diesem Punkt um einen spezifisch schwedischen Umgang, der auch allgemeiner in Bezug auf eine Inkorporierung von Feminismus in Schweden in staatliche Ideologie festgestellt werden kann. Ein Ergebnis der staatlichen Sprachpflegekommission von 1975 ist die Anmahnung einer Sprachveränderung in Bezug auf die Verwendung personal appellierender Formen, insbesondere der Personalpronomina der dritten Person Singular. In der Argumentation wird die Auffassung vertreten, dass die Form han genderspezifizierend männlich appellierend sei, auch wenn sie seit langer Zeit in genderunspezifizierender Verwendung gebraucht und dadurch die Wirklichkeit verdecken würde. Über die genderspezifizierende Appellation könne dies nicht hinwegtäuschen. Als Resultat dieser Feststellung werden eine Reihe unterschiedlicher Sprachveränderungen diskutiert und letztendlich die Doppelform han eller hon für die meisten Sprachgebrauchsfälle favorisiert, sowie in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Pronominalisierung durch den oder eine Umformung in Passivkonstruktionen angesprochen. Wie noch zu sehen sein wird, ist diese sehr frühe Meinungsäußerung zu sprachlichen Veränderungen weitgehender als die meisten nachfolgenden. Diese Vorschläge sind von Svenska språknämnden zunächst positiv aufgenommen worden, wie einem Artikel des damaligen Leiters, Bertil Molde, in der hauseigenen Sprachpflegezeitschrift Språkvård ‚Sprachpflege‘ entnommen werden kann. Molde (1976) prognostiziert dem Vorschlag sogar sprachhistorische Relevanz. In seiner Besprechung der Empfehlungen der staatlichen Kommission stimmt er diesen implizit in der Einschätzung zu, dass die Form han genderspezifizierend männlich appellierend sei. Was in den 70er Jahren begonnen habe, wäre ein gesteigertes öffentliches Bewusstsein für den Umstand, dass das genderspezifizierend männlich appellierende Pronomen auch auf Frauen angewendet würde. Dass dies genderspezifizierend männlich appellierend sei, wird in seinen Ausführungen dabei nicht in Frage gestellt. Die vorgeschlagenen Änderungen sieht Molde (1976) als große sprachpflegerische Einschnitte an, die er nicht desto weniger als notwendig erachtet. „Om tystnadspliktskommitténs lagförslag skulle följas i fråga om den könsneutrala formuleringen av texten, skulle detta innebära ett kraftigt brott mot tidigare språklig tradition. Men som kommittén själv påpekar är denna fråga av stor prini-
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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cipiell vikt, och det torde vara omöjligt att i längden fortsätta att skriva författningar som „formellt sett riktats till ungefär halva befolkningen när de reellt har gällt även andra hälften“. Hur svårt det än kan vara med ett så starkt ingrepp in en uråldrig språklig praxis, så ter det sig allt nödvändigare att anpassa det offentliga språkbruket, inte minst författningsspråket, till den tid och den verklighet som råder nu.“68 (Molde 1976: 7)
In Moldes (1976) Ausführungen ist eine Auffassung impliziert, dass die Sprache sich langsamer verändere als die soziale Wirklichkeit und dass erstere letztere ‚korrekt‘ widerzuspiegeln habe. Die soziale Veränderung, das heißt in diesem konkreten Fall die Stellung von Frauen in der schwedischen Gesellschaft, sieht er als sozial verändert an, so dass Sprache dieser Entwicklung nachzukommen habe. Sprache und soziale Wirklichkeit werden in dieser Argumentation als zwei getrennte Größen behandelt und so einerseits ein strukturalistisches Grundverständnis von Sprache reproduziert. Gleichzeitig sind die von Molde geäußerten Gedanken sehr viel weitgehender als in nahezu der gesamten nachfolgenden öffentlichen und sprachpflegerischen Diskussion. Auffallend ist seine Bezugnahme auf sprachliche Praxis und nicht auf ein als vorgängig angenommenes Sprachsystem, welche als pragmatisch bezeichnet werden kann. In der nachfolgenden Nummer der Zeitschrift Språkvård ist ein Leserkommentar eines Jusititiars zu Moldes (1976) Artikel abgedruckt,69 in dem dieser Moldes Offenheit für entsprechende Sprachveränderungen widerspricht und die Möglichkeit eines genderunspezifizierten Verständnisses der entsprechenden Formen betont. In seiner Argumentation wird die Annahme der genderspezifizierend männlichen Appellation dieser Formen dabei nicht in Frage gestellt und gleichzeitig eine Parallele zwischen Pronomina und Substantiven gezogen. „[...] lärare eller direktör är inga könslösa ord, de är maskulina, liksom arbetare och åhörare, och trots detta
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‚Wenn der Gesetzesempfehlung der Kommission in der Frage geschlechterneutraler Formulierungen von Texten gefolgt werden würde, wäre dies ein starker Bruch mit bisherigen sprachlichen Traditionen. Das Komitee weist selbst darauf hin, dass es sich hier um eine prinzipielle Frage groƢen Gewichts handelt, und es sollte auf längere Sicht unmöglich sein Verfassungen zu schreiben, die sich „formell nur an die eine Hälfte der Bevölkerung richten, auch wenn sie beide betreffen“. Wie schwer ein solcher Eingriff in eine uralte sprachliche Praxis aber sein kann, so erweist es sich doch als umso notwendiger den offiziellen Sprachgebrauch, nicht zuletzt in der Verfassungssprache, an die Zeit und Wirklichkeit anzupassen, die jetzt gilt.‘ Hedfeldt (1976).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
bör de användas genomgående.“70 (Hedfeldt 1976: 32) In diesem Zitat wird eine männliche Normvorstellung explizit angesprochen und bestätigt. Auch hinsichtlich dieser Auffassung unterscheidet sich die nachfolgende öffentliche Diskussion auffällig. 1979 wurden zum ersten Mal von staatlicher Seite Normen formuliert für die Abfassung von öffentlichen Texten der Verwaltungssprache sowie für Gesetzestexte, in denen Gleichstellungsaspekte explizit thematisiert werden (Statsrådsberedningen 1979).71 In diesen Vorschlägen wird ein nationalromantisches Argument indirekt wieder aufgegriffen, indem ein historischer Gebrauch als Argumentation für die Aufstellung von Regeln für einen heutigen Gebrauch herangezogen werden: „Sedan gammalt används i författningarna orden han (honom, hans) som ersättningsord för substantiv som betecknar både män och kvinnor.“72 (Statsrådsberedningen 1979: 11). Indirekt wird Wellander (1939)73 zitiert, wie dies häufiger in der einschlägigen zeitgenössischen Diskussion der Fall ist. Die Autorität, die Wellanders (1939) sprachpflegerisches Werk in der schwedischen Öffentlichkeit besitzt, wird auf diese Weise kontinuierlich reproduziert. Durch eine entsprechende Argumentation wird die Idee eines Ursprungs hergestellt, der argumentativ herangezogen werden kann, da er etwas wie einen neutralen Urzustand widerspiegele. Das konkrete Beispiel, welches dann im weiteren genannt wird, an dem eine mögliche Abwehr eines genderunspezifizierenden Gebrauchs einer genderspezifizierend männlichen pronominalen Form verständlich werden könnte, bezieht sich auf ein stereotyp heterosexuelles Paarverhältnis, so dass hier wiederum und im Anschluss an die Analysen in Kapitel 3 gefragt werden kann, inwiefern Gender insbesondere in Bezug auf Heterosexualität zu einer notwendigen Kategorisierung wird oder inwiefern der Bezug auf eine heteronormative Vorstellung für die Konzeptualisierung von Gender essentiell ist. Die Verwendung von han eller hon wird nur für Ausnahmefälle empfohlen, da, so die Argumenta-
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‚LehrerIn und DirektorIn sind keine geschlechterlosen Wörter, sie sind maskulin, genauso wie ArbeiterIn und ZuhörerIn, und trotzdem sollten sie durchgehend angewendet werden.‘ Gleichzeitig zeigt sich hier auch wieder eine Gleichsetzung von Genus und Gender. In der entsprechenden Veröffentlichung von 1967 wird die Frage der Gleichstellung bzw. Genderaspekte überhaupt nicht aufgegriffen, vgl. Statsrådsberedning (1967); dies zeigt, dass die entsprechenden Regierungsschriften offenbar auch auf gesellschaftliche Themen und Tendenzen reagieren. ‚Schon seit Ewigkeiten werden in Verfassungstexten die Wörter er (ihn, sein) als Ersetzungswörter für Substantive, die sowohl Frauen als auch Männer bezeichnen, benutzt.‘ Vgl. auch weiter unten für die Besprechung einzelner seiner Punkte unter den konkreten Sprachveränderungsstrategien und –vorschlägen.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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tion, der Sprachfluss durch die Doppelform gestört würde. Die beste Strategie ist es diesem Bericht nach pronominale Formen zur personalen Appellation im Singular möglichst zu vermeiden. Mit dem Argument des Sprachflusses wird der Sprache eine Natürlichkeit und Eigenständigkeit zugesprochen, die durch menschliche Eingriffe gestört würde. Dadurch entsteht das Bild von einer Sprache, die durch entsprechende Veränderungen wie die pronominale Doppelform in ihrer Natürlichkeit gestört würde. Das alleine würde eine Auffassung implizieren, dass jegliche Reflexion des Sprachgebrauchs, die zu einer Veränderung von konventionalisierten Sprachgebrauchsweisen führt, zu verwerfen sei, da sie wider die Natürlichkeit der als eigenständig und vom Subjekt losgelösten Sprache angesehen würde. Eine konsequente Befolgung dieser Auffassung müsste zu einer Verwerfung entsprechender Empfehlungen führen, was nicht der Fall ist; die Argumentation wird stattdessen lediglich auf diesen konkreten Fall angewendet. Die Frage einer gendergerechten Sprache ist zudem auf die personalpronominale Form der dritten Person Singular beschränkt, wodurch der Eindruck entsteht, dass dies der einzige sprachliche Fall ist, wo diese Frage zu Unsicherheiten führen könne.74 Ein entsprechendes Unterkapitel findet sich auch in den Statsrådsberedningen von 1994, welches mit att skriva könsneutralt ‚geschlechtsneutral schreiben‘ überschrieben ist. In diesem wird eine ‚von außen‘ kommende Kritik benannt, die Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit dem Thema für die Verfassungssprache sei, wodurch indirekt auf die neue Frauenbewegung Bezug genommen und diese als jenseits der Autorität dieser Publikation angesiedelt wird. „På 70-talet växte kritiken mot detta bruk; man ansåg det vara oförenligt med strävandena efter jämställdhet mellan könen. Även på senare tid har det ställts krav på ett mera könsneutralt författningsspråk [...]. Det är givet att man så långt som möjligt måste gå kritiken till mötes.“75 (Statsrådsberedning 1994)
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Die Analyse, die in der vorliegenden Arbeit vorgenommen wird, widerspricht insofern der von Landqvist (2001) und Ohlsson (2002) vorgeschlagenen, in denen beide behaupten, dass han eller hon bedingungslos empfohlen würde. Hier werden hingegen die Beschränkungen dieser Empfehlungen herausgearbeitet. Beiden dient ihre Annahme der bedingungslosen Empfehlung genauso wie auch Norén (1993) als Grundlage dazu festzustellen, dass der konkrete Sprachgebrauch von den Empfehlungen entscheidend abweiche. Dies wird in der von ihnen formulierten Ausschließlichkeit und Absolutheit hier entsprechend in Frage gestellt. ‚In den 70er Jahren wuchs Kritik an diesem Sprachgebrauch. Man sah ihn als unvereinbar mit dem Streben nach Gleichstellung der Geschlechter an. Auch in letzter Zeit sind Forde-
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Die sprachlichen Gleichstellungsbestrebungen werden zu einem Anliegen jenseits der Regierung gemacht, welchem diese lediglich durch eine entsprechende Formulierung zu begegnen versucht. Es erfolgt auf diese Weise eine implizite Distanzierung von staatlicher Seite von einer entsprechenden Auffassung von Sprache als diskriminierend, die einer unbenannten sozialen Gruppe zugeschrieben werden. Der Staat wird implizit als eine neutrale, vermittelnde Instanz, die der geäußerten Kritik tolerant und verständnisvoll begegnet, hergestellt. Eine entsprechende Stilisierung staatlicher Funktion erfolgt nur an dieser konkreten Stelle bezogen auf personale Appellation unter dem Aspekt Gender. Ansonsten dient der Staat als normgebende Instanz in Bezug auf Sprachpflege. Die Vorschläge werden als Mittel dargestellt, verschiedenen, nicht benannten gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Kritik genüge zu tragen76, ohne dass deren Auffassung geteilt würde, was in dem ersten Abschnitt des Unterkapitels deutlich wird, welches identisch mit der Darstellung der 70er Jahre ist und in dem auf die historische Tradition der Verwendung der Form han ‚er‘ als genderneutral hingewiesen wird. Es zeigt sich an diesem Punkt und in dieser Art der Berichterstattung, dass es nicht zu einer staatlichen Übernahme einer Sprachauffassung gekommen ist, in der diese als wichtig für Gleichstellungsbestrebungen angesehen wird. Die Unnötigkeit entsprechender sprachlicher Veränderungen wird so hergestellt und das als Überschrift formulierte Ziel in seinen konkreten Auswirkungen und empfohlenen Umsetzungen vage gelassen. Eine Akzeptanz von pronominalen Doppelformen, um die es auch in den Empfehlungen von 1994 bei der Frage der sprachlichen Genderappellation ausschließlich geht, wird als eine Form von Toleranz und nicht als ein notwendiges Mittel strategischer Sprachveränderung charakterisiert. Bezieht man dies auf die zuvor diskutierte schwedische Konzipierung von Gleichstellung, so fällt die Desintegration entsprechender feministischer Kritiken in die staatlichen Gleichstellungsbemühungen, geht es um strategische Sprachveränderungen, auf. Dadurch, dass aber der Staat als Garant und Förderer von Gleichstellung auftritt, wird das Ziel einer sprachlichen Veränderung gleichzeitig aus die____________ 76
rungen nach einer geschlechtsneutraleren Sprache gestellt worden. [...] Es ist selbstverständlich, dass man der Kritik so weit wie möglich begegnen (entgegegen gehen) muss.‘ Es sind jeweils Passivformulierungen an den entsprechenden Stellen gewählt worden, so dass die Kritik gleichzeitig agenslos, diffus und wenig mächtig wird. Es kann der Eindruck entstehen, dass es sich um vereinzelte Auffassungen von Individuen zu diesem Thema handelt. Der Staat wird hingegen als tolerante Instanz hergestellt, der auch Individualauffassungen weitestgehend zu begegnen versucht. Es entsteht das Bild eines paternalistischen und ungleichen Verhältnisses.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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ser Zielsetzung ausgelagert bzw. als nicht wichtig oder förderlich für dieses Ziel hergestellt. Die formulierten Sprachrichtlinien werden lediglich als Integrationsbemühungen konzipiert, um den Ansichten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zu begegnen. Im Gegensatz zu dem im vorangegangenen Unterkapitel vorgestellten Staatsfeminismus geschieht keine entsprechende staatliche Übernahme in Bezug auf Sprachveränderungsstrategien, was als eine wichtige Differenz festzuhalten ist. Darüber hinaus ist die Frage der sprachlichen Veränderung in allen staatlichen Empfehlungen zur Sprache in der öffentlichen Verwaltung auf die Frage der Personalpronomina der dritten Person Singular beschränkt. Die Frage der gegenderten Konzeptualisierung im heutigen Schwedisch wird zu einem nur kleinen Problem auch auf Seiten der Kritiker/innen hergestellt, dem alleine schon dadurch einfach zu begegnen ist. Ein Großteil der in Kapitel 3 dargestellten unterschiedlichen und komplexen Verknüpfungen von personaler Appellation und genderspezifizierenden Benennungsmöglichkeiten und Konventionen bleibt in den Sprachrichtlinien unberücksichtigt, unbenannt und unsichtbar. In keinem Fall geht es um die mit bestimmten Appellationsformen verbundenen Konzeptualisierungen und stereotypen Vorstellungen, die dadurch aufgerufen werden, sondern lediglich um die antizipierte Forderung nach einer gleichgestellten Appellation, die an den pronominalen Formen festgemacht wird. Dies kann auf die Analyse im dritten Kapitel zurück bezogen werden, in dem herausgearbeitet wurde, dass die pronominale Formen als ausschließliche Appellation auf Gender angesehen werden, die so auch eine Vorstellung der Natürlichkeit und der sprachlichen Vorgängigkeit dieser Kategorie implizieren. Dass es zwei Gender gibt, auf die sich gleichgestellt bezogen werden muss, wird in den Schriften zur Verwaltungssprache wiederum hergestellt und nicht in seinen Konstitutionsbedingungen hinterfragt. Eine ähnlich gelagerte Auffassung wird auch in dem bereits erwähnte großen Sprachpflegebericht der schwedischen Regierung von 2002, Mål i Mun, vertreten. Es wird sich auf bereits bestehende und oben zitierte Verordnungen bezogen und eine weitere Regelung in Bezug auf Verwaltungssprache damit für unnötig erklärt. Auch hier zeigt sich, dass implizit davon ausgegangen wird, dass es in Bezug auf personale Appellationsformen und in Bezug auf Gendergleichstellung keine Veränderungen seit den 70er Jahren angenommen werden, die zu neuen Ansichten hinsichtlich der Relevanz sprachlicher Benennungen beispielweise geführt hätten. Es wird ein erkenntnistheoretischer Status Quo über 30 Jahre hinweg postuliert, und der Rückbezug auf diesen macht eine weitere und differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema zugleich unnötig. Die Anerkennung einer
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Kritik aus den 70er Jahren impliziert zugleich, dass alles Wichtige dort bereits gesagt wäre, dass es keine darüber hinaus gehenden fachwissenschaftlichen Erkenntnisse gäbe und dass das Problem der sprachlichen Benennung in Bezug auf Gender ein nebensächliches sei. Der über 800 Seiten starke Bericht, der im Auftrag der Regierung von einer Expert/inn/engruppe, die vor allem aus Linguist/inn/en besteht, erstellt worden ist, verfolgt das Ziel, eine Sensibilität für die Notwendigkeit einer geregelten Sprache zu schaffen. Sein Hauptanliegen ist die Installation des Schwedischen als gesetzlich verankerte Nationalsprache, alle weiteren Aspekte können als diesem untergeordnet angesehen werden. Gender wird in dem kurzen Abschnitt, der dem Thema gewidmet ist, zunächst implizit als natürliche Kategorisierung, die als solche Auswirkungen auf den Sprachgebrauch habe und die ein Faktor ist, an der sprachliche Variation beobachtet werden könne, eingeführt. Implizit wird ein traditioneller soziolinguistischer Ansatz vertreten. Sprachliche Differenzen werden als eine Folge von Genderdifferenzen betrachtet, die selbst wiederum als sozial bedingt dargestellt werden. Sprache wird nicht als aktiv konstruierendes Moment in einer Wahrnehmung dieser Differenzierung angesehen. Die generelle Konsequenz aus dieser Perspektivierung ist, dass etwaige, festgestellte sprachliche Diskriminierungen als ein Anachronismus behandelt werden, die den ‚realen‘ sozialen Verhältnissen widersprechen würden und der langsamen Entwicklung sprachlicher Prozesse zugeschrieben werden müssen. Um Sprache einer bestimmten gesellschaftlichen ‚Realität‘ anzupassen, werden bestimmte Änderungen als sinnvoll erachtet. Es wird wiederum das Autostereotyp einer bereits gleichgestellten schwedischen Gesellschaft entworfen. Mit einer entsprechenden Bemerkung wird das Unterkapitel zu ‚Sexismus in der Sprache‘, welches lediglich eine Seite lang ist (!) eingeleitet77: „En aspekt på ämnet språk och kön som uppmärksammats är att språket på olika vis kan reflektera och därigenom också bevara traditionella uppfattningar om könsroller.“78 (SOU 2002/27 2002: 321) Dass es ein allgemeines Bestreben gebe, nicht sprachlich zu diskriminieren, wird als gesellschaftlicher
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Der Originaltitel lautet „Sexism i språket“ ‚Sexismus in der Sprache‘. Hier wird implizit zugleich eine Trennung zwischen Sprachsystem und Sprachgebrauch reproduziert, wie sie in den einführenden Kapiteln dieser Arbeit als eine bestimmte Sichtweise auf Sprache analysiert worden ist. ‚Ein Aspekt des Themas Sprache und Geschlecht, der Aufmerksamkeit erregt hat, ist, dass Sprache auf unterschiedliche Weisen traditionelle Auffassungen zu Geschlechtsrollen reflektieren und dadurch auch bewahren kann.‘
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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Konsens vorausgesetzt, wenn verschiedene einzelne Möglichkeiten unspezifiziert genannt werden: „Exempelvis skriver många numera han eller hon då de syftar på båda könen [...]. För yrkesbeteckningar o.d. har man i vissa fall skapat neutrala benämningar som riksdagsledamot eller justerare (för justeringsman). I andra fall har man valt att låta den ursprungligen manliga beteckningen gälla för bägge könen.“79 (SOU 2002/27 2002: 321f.)
Die verschiedenen Möglichkeiten werden in einer deskriptiven Form als gleichberechtigte Alternativen und freie Wahlmöglichkeiten nebeneinander genannt. Wie auch schon in den weiter oben diskutierten Empfehlungen zur Verwaltungssprache wird die Verwendung der Form han eller hon ‚er oder sie‘ individualisiert, während die genderunspezifizierende Appellation durch genderspezifizierend männliche Formen mit Hilfe eines Indefinitpronomens und in Form einer Regel erwähnt wird. In der Darstellung findet sich die bereits für die Empfehlungen der Verwaltungssprache festgestellte, implizite Autorisierung eines Sprachgebrauchs als Norm im einen Fall und im anderen Fall die individualisierende Zuschreibung einer Appellationsform. Während die Darstellung des Gebrauchs von han eller hon ein Bewusstsein über eine angenommene Problematik für die pronominale Form han mit Hinblick auf ihre genderneutrale Appellationsleistung zu Grunde liegen muss, wird dies in der Frage der Neutralisierung von ‚ursprünglich männlichen Benennungen‘ als problemlos angesehen, wobei die Argumentation auf diese Formen ebenso gut hätte übertragen werden können. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass sich die Autor/inn/en in diesem Unterpunkt nahezu ausschließlich auf eine zwanzig Jahre alte Veröffentlichung von Einarsson/Hultman aus dem Jahre 1984 zum Sprachgebrauch von Kindern im Schulalltag stützen. Die umfangreichere fachwissenschaftliche Diskussion der 90er Jahre80 wird gänzlich unberücksichtigt gelassen. Ingesamt entsteht in dem Bericht der Eindruck, dass x Sprache unter dem Aspekt Diskriminierung nur einen stark untergeordneten Stellenwert zugemessen bekommt;
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‚Beispielsweise schreiben viele heute er oder sie, wenn sie sich auf beide Geschlechter beziehen. Für Berufsbezeichnungen u.ä. hat man in einigen Fällen neutrale Benennungen geschaffen wie Mitglied des Reichstags oder Protokollant (statt Protokollmann). In anderen Fällen hat man es gewählt die ursprünglich männliche Bezeichnung für beide Geschlechter gelten zu lassen.‘ Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine Analyse der fachwissenschaftlichen Diskussion.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Sprache unter dem Aspekt Diskriminierung auf Sexismus begrenzbar ist; Sexismus in der Sprache nur noch vereinzelt ein Problem darstellt, welches jedoch zum einen anachronistisch in Bezug auf die ‚wirklichen Genderverhältnisse‘ ist und zum anderen durch verschiedene individuelle Strategien gelöst werden kann, die unkritisch und als gleichberechtigt und lediglich äußerst selektiv genannt werden; der Behandlung des Themas auf einer Seite innerhalb des Gesamtberichts eine äußerst untergeordnete Stellung eingeräumt wird, auch im Verhältnis zu der Diskussion mündlichen Sprachgebrauchs in Kommunikationssituationen unter dem Aspekt des Stils bezogen auf Gender, welches fünf Seiten einnimmt.
Es zeigt sich insgesamt sowohl eine öffentliche Bewertung, die in einem zentralen Dokument machtvoll reproduziert und weiter verfestigt wird, als auch eine fachwissenschaftliche Einschätzung, die die Behandlung von Genderspezifizierung personaler Appellation zu einem Nicht-Thema politischer Beschäftigung erklärt. Die sprachpolitischen Forderungen, die aus dem gesamten Kapitel språk och kön abgeleitet werden, sind: „Forskning om språkets roll i skolan från ett könsperspektiv skall uppmuntras, liksom om kvinnors och mäns språkliga situation i offentligheten. Insatser skall göras för att motverka språkbruk som konserverar könsroller och osynliggör kvinnor.“81 (SOU 2002/27: 2002: 326) Diese abschließenden Forderungen eröffnen, sofern der Bericht an diesem Punkt von der Regierung verabschiedet würde, die Möglichkeit einer staatlichen Förderung entsprechender Forschungen und Initiativen, ohne ihnen eine genaue Richtung zu geben oder sie zu forcieren. Die Rolle und Relevanz sprachlicher Benennungspraktiken in Bezug auf eine Herstellung und Wahrnehmung von gesellschaftlichen Rollen bleibt unbenannt. Es wird der Eindruck verstärkt, dass die gesellschaftliche ‚Wirklichkeit‘ nicht mit sprachlichen Benennungen übereinstimmen müsse oder eine wichtige Rolle in der Konstruktion sozialer Wirklichkeit spiele. In dem Bericht wird ein traditionelles Bild des Zusammenhangs von Sprache, Denken und Kultur reproduziert. Was unter Gleichstellung zu verstehen ist und welche Konsequenzen eine sprachliche Gleichstellungspolitik mit sich bringt, die
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‚Forschungen zur Rolle der Sprache in der Schule aus einer Geschlechterperspektive sollen ermuntert werden, genauso wie zur sprachlichen Situation von Frauen und Männern in der Öffentlichkeit. Bestrebungen sollen getätigt werden, um einem Sprachgebrauch entgegenzuwirken, der Geschlechterrollen konserviert und Frauen unsichtbar macht.‘
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das Vorhandensein nur einer personal appellierenden Form als eine Genderneutralität erklärt, bleibt unhinterfragt und verfestigt auf diese Weise Gleichstellungsvorstellungen, in denen eine männliche Normsetzung die Norm bleibt. Die Reduzierung notwendiger sprachlicher Veränderungen und Sensibilisierungen auf den Bereich der Schule ist eine weitere, häufig anzutreffende Strategie, mit der eine Veränderung und Reflexion im Erwachsenenalter gleichzeitig und implizit als unnötig hergestellt und eine Problemlage und ein Problembewusstsein in eine frühere Generation verlagert wird, wodurch der Fokus von der eigenen Involviertheit Erwachsener in der öffentlichen Diskussion weg gelenkt wird.82 Insgesamt wird in den verschiedenen staatlichen Publikationen das Thema der sprachlichen Gleichbehandlung oder sprachlichen Genderneutralität als einfach zu lösen bzw. sogar als bereits gelöst postuliert und eine strategische Sprachveränderung sowie eine differenziertere Reflexion und Auseinandersetzung gleichzeitig als weitgehend unnötig erklärt. Die einschlägige linguistische Forschung wird auch losgelöst von erkenntnistheoretischen feministischen Veränderungen der Konzeptualisierung von Gender unbeachtet gelassen. Die Relevanz der Ausbildung einer pragmatischen Richtung der Linguistik in den letzten 30 Jahren wird für die Fragestellung ignoriert, die Ziele, die in Bezug auf eine Auseinandersetzung mit Sprache und Gender formuliert worden sind, als gleichbleibend und unverändert hergestellt. So wird eine Rolle von Sprache in Bezug auf die Konstruktion von Gender verfestigt, die beide Größen als weitgehend losgelöst voneinander ansieht und Sprache auf ein unbedeutendes Medium gesellschaftlicher Prozesse der Konzeptualisierung von Gender reduziert. Die Konsequenz ist eine Ignorierung der Rolle und Relevanz von Prozessen sprachlicher Benennung für die Herstellung von ‚Wirklichkeit‘ in Bezug auf Gender, die sich entsprechend in einer Missachtung dieses Themas im öffentlichen und institutionalisierten, sprachpflegerischen Diskurs niederschlägt. Dies wiederum schreibt sich in der einschlägigen Forschung fort, in der die Frage der Konstruktion von Gender durch Sprache bezogen auf personale Appellationsformen nur eine geringe oder über-
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Eine entsprechende Strategie findet sich beispielsweise auch in Bezug auf gegenderte Abwertungen durch den Gebrauch pejorisierender Appellationsformen. Hora wird hier symbolisch für eine Jugendsprache im öffentlichen Diskurs, der von einer erhöhten Gewaltbereitschaft Jugendlicher zeuge, verwendet. Soziale Probleme werden so der sozialen Gruppe Jugendlicher eingeschrieben und eine Reflexion des eigenen Verhaltens dadurch unnötig. Damit soll natürlich nicht die Notwendigkeit einer sprachkritischen und – reflexiven Arbeit in der Schule in Frage gestellt werden.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
haupt keine Beachtung findet. In der Wechselwirkung der staatlichen Übernahme von Gleichstellungsbestrebungen und der Zuschreibung derselben an den Staat, zusammen mit dem offiziellen Umgang mit dem Thema Sprachpflege sowie der linguistischen Forschung wird die Frage der Konstruktion von Gender und der Rolle von Sprache in Bezug auf personale Appellation zu einem Nicht-Thema gemacht, welches zu einer nur geringen öffentlichen Aufmerksamkeit dem Thema gegenüber führt und sich so in seiner Wirkung der Nichtbeachtung gegenseitig verstärkt. Wird Gender thematisiert, so vor dem Hintergrund der Zielsetzung einer bestimmten, nicht weiter hinterfragten Vorstellung von Gleichstellung, wie sie im vorangegangenen Unterkapitel aufgezeigt worden ist. In der ausschließlichen Bezugnahme auf Gendergleichstellung als ein unhinterfragtes Ziel wird Gender als diesem Ziel vorgeordnete, selbstverständliche Kategorie reproduziert. Im Remissbericht zu Mål i Mun83, der im Juni 2003 ins Netz gestellt wurde, findet sich zu dem Kapitel Språk och kön ‚Sprache und Geschlecht‘ lediglich eine halbe Seite mit einer zusammenfassenden Stellungnahme zu den Vorschlägen des Berichts.84 Nur vier Organisationen haben das Kapitel zu Sprache und Gender kommentiert, Socialstyrelsen, Jämställdhetsombudsmannen, Kommunförbundet und LO. Alle vier begrüßen die in Mål i Mun gemachten Vorschläge pauschal und nur Jämställdhetsombudsmannen kommentiert etwas ausführlicher, dass neben den Gesetzestexten sämtliche Verfassungstexte daraufhin untersucht werden sollten, inwiefern Männer in ihnen die Norm darstellen. Die Formulierung der männlichen Norm ist in Mål i Mun selbst so nicht zu finden. Es handelt sich in der entsprechenden Kommentierung des Berichts um eine auslegende Deutung der dort formulierten Zielvorstellungen. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist auffallend, dass nicht eine einzige der Universitäten diesen Abschnitt kommentiert hat, was auf das große wissenschaftliche Desinteresse, sofern es sich um institutionalisierte Forschung handelt, zu diesem Thema erneut hinweist. Auch die schwedischen Sprachpflegeorganisationen, die in ihren Empfehlungen das Thema behandeln, äußern sich nicht weiter dazu. Ein gesellschaftlich breiter Konsens hin-
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Dies sind die Antworten und Kommentare verschiedener öffentlicher Institutionen zu dem Bericht. Der gesamte Bericht ist fast 200 Seiten lang und einige Fragestellungen werden äußerst detailliert behandelt, was hinsichtlich der öffentlichen Verhandlung unterschiedlicher Themenbereiche im Kontext von Sprache aussagekräftig ist. Vgl. http://kultur.regeringen.se/ propositionermm/sou/pdf/remissam_sou2002_27.pdf vom 1. 9. 2003
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sichtlich der Irrelevanz dieser Themenstellung wird in der NichtKommentierung deutlich. Über die staatlich finanzierten Institutionalisierungen von Sprachpflege in Schweden hinaus spielen die Medien eine wichtige Rolle für den Status und die Inhalte von Sprachpolitik. So finden sich in den meisten größeren Tageszeitungen so genannte Sprachspalten oder -kommentare, in denen auf die Korrektheit von verschiedenen Wörtern, Phrasen und Äußerungen eingegangen wird. Als besonders wichtig sind in dem Zusammenhang die Sprachkommentare in den größten überregionalen schwedischen Morgenzeitungen Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet sowie in der größten schwedischsprachigen Tageszeitungen Finnlands, Hufvudstadbladet, zu nennen. Die sprachpolitischen Äußerungen in der finnischen Tageszeitung und in Dagens Nyheter sind an zwei Personen geknüpft, die zugleich auch zentral für öffentliche Meinungsbildung zu sprachlichen Normierungen sind, Mikael Reuter für den finnlandschwedischen Sprachgebrauch und Catharina Grünbaum für Schweden. Catharina Grünbaum war zunächst bei Svenska språknämnden angestellt, bevor sie in der Rolle der Sprachpflegerin zu Dagens Nyheter gewechselt ist. Neben den von ihr verfassten Kommentaren ist sie vor allem für eine Sprachberatung in dem Medienunternehmen zuständig und berät Journalist/inn/en in Fragen des konkreten sprachlichen Ausdrucks. Bei Svenska Dagbladet sind verschiedene Linguist/inn/en, die in der Regel nicht bei der Zeitung angestellt sind, die Autor/inn/en der die Sprache thematisierenden Artikel. Ein Schwerpunkt der Beschäftigung mit dem Thema Sprache in den Tageszeitungen in dieser Form bildet die Schriftsprache. Hier spielt besonders die Rolle und der Einfluss des Englischen in der Frage der Etablierung neuer Wörter und Phrasen eine herausragende Rolle. Auch regelmäßig wiederkehrende Themen sind grammatische Konstruktionen auf der Ebene des Satzes, Präpositionen, Pluralformen und Jugendsprache. Neben diesen Themen taucht auch das Thema Genderspezifizierung personaler Appellationsformen regelmäßig in den Kommentaren auf. Dies alleine deutet darauf hin, dass es eine gewisse gesellschaftliche Unsicherheit über einen diesbezüglichen Sprachgebrauch gibt, der regelmäßig zu entsprechenden öffentlichen Kommentierungen führt, in denen durchschnittlich eine eher konservative Einstellung vertreten wird: Sprachliche Veränderungen in Bezug auf personale Appellationsformen werden als eine gegenläufige Strategie zu einer natürlichen Sprachentwicklung charakterisiert und gleichzeitig wird gegen vorgeschlagene Neuerungen in der Regel das Argument einer historischen Gebrauchsweise ins Feld geführt.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Themen, die in Bezug auf personale Appellation immer wieder eine Rolle spielen, sind die möglichen Genderspezifizierungen und/oder Genderneutralisierungen von konkreten personalen Appellationsformen. Auch wenn in den entsprechenden Kommentaren weitestgehend jeweils die Meinung vertreten wird, dass die jeweiligen Formen genderunspezifizierend sind (häufig handelt es sich hier um Diskussionen bezüglich Komposita, die auf –man ‚-mann‘ enden85), kommt dadurch doch eine gewisse Unsicherheit im öffentlichen Sprachgebrauch zum Ausdruck – ansonsten wäre eine kontinuierlich wiederkehrende Behandlung entsprechender Themen nicht notwendig. Den Argumentationen gemeinsam ist in der Regel auch die Bezugnahme auf eine historische Kontinuität und der Verweis darauf, dass bestimmte Formen schon ‚immer‘ oder schon ‚sehr lange‘ auch als Appellationsformen auf Frauen angewendet worden sind. Den jeweiligen Kommentaren in den Tageszeitungen vorausgehend sind Fragen einzelner Leser/innen, die sich häufig darauf beziehen, dass Frauen erst in jüngerer Zeit in gewissen öffentlichen Positionen vermehrt anzutreffen sind und aus dieser Wahrnehmung die Frage ableiten, wie darauf sprachlich reagiert werden kann. Eine Veränderung der eigenen Konzeptualisierung sozialer Wirklichkeit wird in diesen Fällen nicht in Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch gesehen und an diesem Punkt thematisiert. Als Beispiel kann eine entsprechende Fragestellung aus „Reuters ruta“ dienen: „Med jämna mellanrum ser vi i TV att en kvinna yttrar sig som representant för en regering eller en organisation. Att så sker är glädjande med tanke på jämställdheten. Men vad skall en sådan kvinna kallas? På engelska är det uppenbarligen allmänt att man talar om „spokeswoman“. Skall det då i konsekvensens namn heta „taleskvinna“ på svenska?“ (http://www.kotusfi/svenska/reuter/1993/ 060593.shtml vom 14.2.2003)86
Wie in den einzelnen Sprachkommentaren der Tageszeitungen konkret argumentiert wird, wird bei der Analyse der vorgeschlagenen einzelnen Sprachveränderungsstrategien im nachfolgenden Unterkapitel vorgestellt
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Vgl. das nachfolgende Unterkapitel. ‚Immer wieder sehen wir im Fernsehen eine Frau, die sich als Repräsentantin einer Regierung oder einer Organisation äuƢert. Dass dies geschieht, ist erfreulich im Hinblick auf die Gleichstellung. Aber wie soll eine solche Frau benannt werden? Im Englischen ist es offenbar allegemein so, dass von spokeswoman gesprochen wird. Soll es deswegen, nur aus Gründen der Konsequenz, im Schwedischen ‚Sprech-Frau‘ heiƢen?‘ Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist darüber hinaus natürlich interessant, dass diese Frage eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung durch die Form talesman impliziert – ansonsten wäre die Frage hinfällig.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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und diskutiert. Sprachpflegerische Empfehlungen dieses Mediums beziehen sich insgesamt in der Regel auf die Ebene der Betrachtung einzelner Formen oder zu gegenderten Oppositionspaaren klassifizierten Formen personaler Appellation, die Fragestellung ist jeweils die mit den Formen realisierte oder nicht realisierte Gendergleichstellung, so dass auch hier Gender jeweils als sprachlich vorgängig und dichotom konzipiert wird. Auch das schwedische staatliche Radio besitzt eine eigene Abteilung für Sprachpflege, in der derzeit zwei Linguisten beschäftigt sind. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt gemäß des Mediums auf der Beratung zu Fragen der Aussprache. Auch hier wiederum spielt der Einfluss des Englischen eine zentrale Rolle sowie das Thema der Jugendsprache. Kommentierungen zu Fragen von Gender und Sprache sind eher selten, was seinerseits darauf hinweist, dass das Thema strategischer Sprachveränderungen als eines wahrgenommen wird, welches an die Schriftlichkeit entsprechender Formen geknüpft ist. Neben den Tageszeitungen nimmt in jüngster Zeit aber besonders das Fernsehen eine zunehmend wichtige Rolle in der Frage der öffentlichen Sprachpolitik und –beratung ein. Die im Jahre 2002 vom schwedischen Fernsehen ins Leben gerufene Sendung Värsta språket ‚Schlimmste Sprache‘, die von der Redaktion zur Sparte ‚Kultur‘ gerechnet und von Frederik Lindström geleitet und moderiert wird, hat sich in kurzer Zeit zu einem großen Publikumserfolg entwickelt und ist damit schnell auf die beste Abendsendezeit gerückt. In ihr kommen Individuen zu Wort, språkpoliser ‚SprachpolizistInnen‘ genannt, die sich mit einzelnen sprachlichen Fragen und Problemstellungen beschäftigt haben und/oder dafür engagieren. Ihre Anliegen können sie in dialogischer Form mit dem Moderator im Laufe der Sendung zum Ausdruck bringen, wobei Lindström als Experte fungiert, der gleichzeitig der institutionalisierten Sprachwissenschaft für viele Bereiche eine Kompetenz abspricht. Er inszeniert sich selbst als einen ‚dem Volk nahestehenden‘ Beobachter und Experten.87 Auch in dieser Sendung ist die Frage der Genderspezifizierung personaler Appellation Thema.88 Personale Appellationsformen werden als eine männliche Norm herstellend dargestellt und kritisiert. Um dies zu verdeut-
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Vgl. Lindström (2001 und 2002). Aus seinen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen werden einzelne Stellen im Laufe des vorliegenden Kapitels sowie in Kapitel 6 kritisch kommentiert. Eine inhaltliche Zusammenfassung dieser Sendung findet sich auf http://svt.se/svt/jsp/ Crosslink.jsp?d=3608&a=74405 vom 25.4.2003.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
lichen, wird zu Beginn die auch am Anfang dieses Kapitels zitierte ‚ArztGeschichte‘ erzählt. Sie wird in verschiedenen Sprachen als Beispiel benutzt, um an ihr die mit sprachlichen Benennungen verbundenen Konzeptualisierungen zu verdeutlichen.89 Sie zielt didaktisch darauf ab, die durch personale Appellationsformen evozierte Wahrnehmung der Kommunizierenden als im ‚Normalfall‘ männlich genderspezifizierend zu verdeutlichen. In ihr wird eine konkrete Person mit einer substantivischen, statushohen personalen Appellationsform in einer generischen Form benannt. Zugleich verdeutlicht die Geschichte auch, dass die Wahrnehmung von Personen nicht nur im Regelfall genderstereotypisierend männlich ausfällt, handelt es sich nicht um genderstereotpyisierend weibliche Tätigkeitsbezeichnungen, sondern dass dem Verständnis auch ein heterosexuelles Deutungsmuster unterliegt, welches im vorliegenden Fall zu den Irritationen führt, die dann als Beleg dafür herangezogen werden, dass die personalen Appellationskonventionen einer Sprache in Bezug auf Gender nicht so genderneutral sind, wie gemeinhin angenommen wird. In der Kommentierung der Geschichte wird zunächst auf ein allgemeines Wissen hingewiesen: „Vi vet ju att man kan jobba som kirurg om man är tjej.“90 Im weiteren wird ausgeführt, dass die Sprache sich sehr viel langsamer entwickelt als eine von ihr so gleichzeitig getrennt konzipierte, außersprachliche Realität, was dazu führt, dass die Norm personaler Appellation in Bezug auf Gender nicht mit der ‚außersprachlichen‘ Realität übereinstimmen würde. Sprache wird als eigenständig in ihrer Entwicklung und als nicht gesellschaftliche Realitäten widerspiegelnd sowie als wert- und normkonservativ dargestellt und letztendlich wiederum als losgelöst von gesellschaftlichen Gender‚Realitäten‘. Dies ermöglicht zum einen eine Kritik an den konservierenden Gendervorstellungen, die in Sprache zum Ausdruck kommen, auf der anderen Seite wird Sprachkritik so zugleich aber auch nur eine untergeordnete Relevanz für gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen zugesprochen. Die schwedische Gesellschaft wird indirekt und in Bezug auf Gendergleichstellung als sehr viel fortschrittlicher hergestellt, als eine Sprachanalyse dies zeigen könnte. Daraus ergibt sich die Forderung, dass Sprache sich den gesellschaftlichen Realitäten anpassen
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Interessanterweise ist sie jenseits von Unterschieden in der Genus-Gender-Relation der jeweiligen Sprachen als Beispiel veranschaulichend, was zeigt, wie gering die Relevanz von Genus für die Frage einer gendergerechten Sprache und für die durch Sprache aufgerufenen Konzeptualisierungen von Personen ist. ‚Wir wissen ja nun, dass man als ChirurgIn arbeiten kann, wenn man eine Frau/Girl ist.‘ Vgl. http://svt.se/svt/jsp/Crosslink.jsp?d=3608&a=74405 vom 25.4.2003.
5.3 Auffassungen zu Sprache, Sprachpolitik und Sprachpflege
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müsse. Aus konstruktivistischer Sicht wird aber ebendiese Realitäten erst durch den Sprachgebrauch geschaffen. Eine solche Sichtweise ist mit der Darstellung der Sendung unvereinbar, der Mythos einer erreichten gesellschaftlichen Gendergleichstellung kann auf diese Weise unangetastet bleiben, obwohl gerade die Reaktionen auf das Beispiel der Arztgeschichte das Gegenteil zeigt: dass Konzeptualisierungen auch heute noch jenseits einer konservierenden Sprache bestehen. In dem Artikel auf der Internetseite der Sendung werden noch weitere Beispiele für einen diskriminierenden Sprachgebrauch gegeben, u.a. im Bereich der Benennungen im Sport und in Bezug auf Schimpfwörter. Doch auch hier wird konstatiert, dass die gesellschaftliche Realität anders aussieht, der Artikel schließt mit der Aussage: „Det verkar alltså som om vissa ord och uttryck lever sina egna liv, ibland helt enkelt några årtionden efter.“91 Auch hier wird wie in den Empfehlungen zur Verwaltungssprache wiederum die Idee einer eigenständigen Sprachentwicklung aufgerufen, die damit von gesellschaftlichen Prozessen losgelöst konzipiert wird. Alleine diese Übersicht über öffentliche Organe zu Sprachpflege und Sprachpolitik und die Regelmäßigkeit und auch Häufigkeit, mit der Genderfragen von diesen behandelt werden, zeigt entgegen der in ihnen weitgehend zum Ausdruck gebrachten Irrelevanz des Themas, dass die Frage der ‚korrekten‘ oder ‚stimmigen‘ personalen Appellation in Bezug auf Gender in der schwedischen Öffentlichkeit von einer hohen gesellschaftlichen Relevanz ist, die zu seiner diskursiven und expliziten Verhandlung führt, auch wenn dies von ‚offizieller‘ sprachpflegerischer Seite und in den jeweiligen Veröffentlichungen als relativ irrelevant für die Herstellung von Genderrollen dargestellt wird. Dass es aber in allen Publikationen zum Thema gemacht wird, zeigt die in vielen Fällen bestehende Unsicherheiten in Bezug auf konkrete Fragestellungen personaler Appellation in Bezug auf Gender. Entgegen der Darstellung des Themas in Grammatiken92 und Wörterbüchern93 weist die Verhandlung des Themas in Sprachpflegediskursen auf eine Ambivalenz hin: Zum einen wird das Thema, häufig genährt von konkreten Fragen von Zuschauer/inne/n und Leser/inne/n aufgenommen, auf der anderen Seite wird es in seiner Relevanz in diesen Medien in der Regel heruntergespielt und eine Eindeutigkeit der sprachli-
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Vgl. http://svt.se/svt/jsp/Crosslink.jsp?d=3608&a=74405 vom 25.4.2003. Vgl. Hornscheidt (2006b). Vgl. Kapitel 3.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
chen Konventionen suggeriert, die es offensichtlich für die Sprachbenutzenden in vielen Fällen nicht hat. Findet eine von konkreten Fragestellung losgelöste Behandlung des Themas statt, so wird in der Regel auf die konservierende Funktion älterer Normen und Wertvorstellungen von Sprache verwiesen und so eine Opposition zwischen der aktuellen sozialen Situation und den im Sprachgebrauch tradierten Vorstellungen hergestellt. Es kann festgehalten werden, dass personale Appellationsformen in den entsprechenden Publikationen und Medialisierungen thematisiert werden, in diesen jedoch häufig gleichzeitig auch die Irrelevanz der Fragestellung behauptet wird. In der vorliegenden Arbeit wird dies als eine Abwehrstrategie gedeutet, die zu einer Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Thema führt. Zum anderen fällt auf, dass die Frage der Relevanz personaler Appellation insgesamt für die Frage von Genderdiskriminierung und Gleichstellung heruntergespielt wird oder sogar in einem Kontrast zu dieser gesetzt wird, wenn Sprache eine konservierende Bedeutung zugeschrieben wird, die nicht mit gesellschaftlichen Realitäten übereinstimmen würde. Gender an sich wird in keiner der sprachpflegerischen Bezugnahmen hinterfragt, sondern in seiner Natürlichkeit als Kategorie jeweils bestätigt und so weiter verfestigt. Sprache steht damit in einem Abbildungsverhältnis zu Gender und nur die Zeitgleichheit der Darstellung steht jeweils zur Debatte, wodurch das Autostereotyp der gleichgestellten schwedischen Gesellschaft weiter verfestigt werden kann. Dadurch wird gleichzeitig explizit wie implizit durch verschiedene Argumentationsstrategien die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit sprachstrategischen Veränderungen heruntergespielt oder als unnötig erklärt. Die fortdauerende öffentliche Auseinandersetzung zu einzelnen personalen Appellationsformen und den gesellschaftlichen Sprachnormen, die in einigen Kommentaren und Publikationen gerade auf Seiten der Lesenden, Hörenden und Zuschauenden zum Ausdruck kommen, deutet darauf hin, dass verschiedene Strategien zur personalen Appellation im Moment nebeneinander existieren und sich noch keine über verschiedene konkrete Appellationsformen hinweg hat durchsetzen können. Des weiteren scheint es eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich eines Sprachgebrauchs bezogen auf personale Appellationsformen zu geben, der in den normierend wirkenden Kommentaren in den öffentlichen Medien seinen Ausdruck findet. Welche konkreten Ratschläge erteilt und welche Normen (re)produziert werden, wird unter den einzelnen konkreten sprachlichen Beispielen im folgenden Unterkapitel diskutiert.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien für das Schwedische in Bezug auf Genderspezifizierung Var vi placerar förtrycket avgör vilken feministisk strategi vi väljer för att motarbeta det.94 Björk 1996: 222 Jämställdhetsspråket är nämligen könsneutralt. Det osynliggör därmed det faktum att medborgarna är kvinnor och män och att deras livsvillkor och agerande inte liknar varandras.95 Holmberg 1996: 151
Die verbreiteste Auffassung, die zum Schwedischen in der Frage der Genderspezifizierung personaler Appellation zu finden ist, ist die Forderung nach der Herstellung einer weitestmöglichen Genderneutralität. Dies geht mit dem schwedischen Ideal der jämställdhet ‚Gleichstellung‘, wie es zuvor diskutiert worden ist, konform. Eine Genderspezifizierung und – differenzierung ist nicht Kern schwedischer Gleichstellungspolitik und findet nur Anwendung, wenn über die Differenzierung eine Neutralisierung oder eine biologisch zugeschriebene Komplementarität herstellbar erscheint. Diese Prämisse ist auch auf strategische Sprachveränderungen zu Gender übertragbar und schlägt sich in den propagierten Sprachveränderungsstrategien und in der öffentlichen Diskussion derselben nieder. Wie hier herausgearbeitet wird, gehen die öffentlich von staatlicher Seite verhandelten Sprachveränderungsvorschläge und -strategien mit einer Auffassung, in der Genderneutralität als oberstes Ziel gesetzt wird, konform, ohne dass die Gendernorm der so propagierten Genderneutralität zur Debatte steht. Mit dieser Setzung wird zugleich in der Diskussion um Sprachveränderungen eine Trennung zwischen einer so hergestellten na-
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‚Wo wir die Unterdrückung platzieren, ist bestimmt dafür, welche feministische Strategie wir wählen, um ihr entgegenzuwirken.‘ ‚Die Sprache der Gleichstellung ist nämlich geschlechtsneutral. Sie macht damit die Tatsache unsichtbar, dass die MitbürgerInnen Frauen und Männer sind, deren Lebensbedinungen und Handlungen sich nicht gleichen.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
türlichen und sozialen Geschlechtlichkeit reproduziert, die auf diese Weise weiter verfestigt wird. Gefragt wird hier zum einen, welche konkreten Änderungsvorschläge diskutiert werden und zum anderen, wie diese diskutiert werden und welche Auffassungen zu Sprache und Gender zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass die expliziten Verhandlungen strategischer Sprachveränderungen in der Regel in staatlichen oder staatlich finanzierten Publikationen zu finden sind, von Sprachpflegeeinrichtungen propagiert oder in öffentlichen Medien diskutiert werden und wiederum vor allem von Personen, die sich selbst als beruflich sprachpflegend bezeichnen und ansehen, vertreten werden. Es gibt zum Schwedischen keine publizierten Richtlinien zu feministischer Sprachveränderung, die von feministischen Linguistinnen verfasst worden sind, wie dies vor allem im englischen Sprachraum der Fall ist, aber auch für den deutschen Sprachraum zu finden ist.96 Auch offizielle und umfassendere Richtlinien, wie sie beispielsweise für das Norwegische publiziert sind,97 finden sich für das Schwedische nicht. Auch in den einschlägigen feministischlinguistischen Veröffentlichungen liegt der Schwerpunkt auf einer Analyse des konventionalisierten Sprachgebrauchs, also auf der ersten Stufe eines Sprachplanungsmodells, während die Stufe der Empfehlungen nicht systematisch und explizit vollzogen wird. Die Ratschläge und Empfehlungen, die es gibt, sind entweder von staatlicher Seite propapiert, wie im vorangegangenen Unterkapitel zu sehen war, oder gehen mit diesen Empfehlungen konform, was die hier vertretene These, dass Gleichstellung zu einer Aufgabe des Staates gemacht wird, auch auf der Ebene der Sprachpolitik in Bezug auf Gender bestätigt. In keinem Fall verlassen die einschlägigen Veröffentlichungen die Ebene des Empfehlens oder der Ratschläge und unterscheiden sich auch in dieser Hinsicht von der englisch- und deutschsprachigen Tradition feministischer strategischer Sprachveränderung, in der besonders bezogen auf den schriftsprachlichen Gebrauch Regeln aufgestellt worden sind, die über Empfehlungen hinaus gehen und stattdessen als möglichst verbindliche Hinweise formuliert werden. Die schwedische Sprachpflegerin Catharina Grünbaum sieht einen großen Vorteil darin, dass es in Schweden keine vergleichbare, durch Feministinnen geführte öffentliche Debatte um strategische Sprachveränderungen gegeben habe.
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Vgl. die Ausführungen im vorangegangenen Kapitel. Vgl. Norsk språkråd og Kompetansesenter for likestilling (1997).
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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„Tyska jämställdhetslagar har lett till att platsannonser så gott som alltid benämner båda könen [...]. Inte ens grannspråket norska har klarat att låta –man som efterled bli allmängiltigt. I norsk offentlighet kan en kvinna inte vara formann (ordförande). Hon är leier (ledare). I Sverige har vi inte haft en liknande inflammerad debatt. Därmed har vi också vunnit den fördelen att många gamla maskulina beteckningar i dag alldeles självklart gäller för båda könen. Vi har också sluppit andra språks både opraktiska och ibland löjeväckande lösningar i språkliga rättvisefrågor, lösningar som ändå inte avhjälper verklighetens orättvisor.“98 (Grünbaum 1996: 114f.)
Impliziert ist in dieser Argumentation die Auffassung, dass erst durch eine feministische Diskussion die Notwendigkeit einer sprachlichen Genderdifferenzierung überhaupt als Thema geschaffen würde, die ohne diese Diskussion nicht da wäre. Dadurch kommt eine Ansicht einer solchermaßen natürlichen Sprachentwicklung zum Ausdruck, die zudem als getrennt oder trennbar von einer außersprachlichen Wirklichkeit konstruiert wird, wie im letzten Satz des Zitats deutlich wird. Dass die unterschiedlichen Sprachveränderungsstrategien mit unterschiedlichen Genderkonzeptualisierungen einher gehen, wird hier nicht gesehen und auf diese Weise eine universelle Gendervorstellung als gültig impliziert. An anderer Stelle formuliert Grünbaum (1996), dass durch die feministische Diskussion in anderen Ländern eine natürliche Sprachentwicklung abgebrochen worden wäre. Diese Auffassung steht in einer grundlegend strukturalistischen Tradition. Sprachlichen Veränderungen wird damit keine soziale Macht eingeräumt. Dahinter steht eine Auffassung, in der Sprache als ‚unschuldig‘ und ‚natürlich‘ stilisiert wird.99 Dieses Konzept geht konform mit einer These natürlicher Sprachentwicklung, so dass aus dieser Position strategische Sprachveränderungen als unnatürliche Eingriffe entsprechend abzulehnen sind.
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‚Deutsche Gleichstellungsgesetze haben dazu geführt, dass in Stellenannoncen so gut wie immer beide Geschlechter benannt werden. [...] Schon nicht einmal in der Nachbarsprache norwegisch hat es geschafft, dass das zweite Glied –mann in Komposita allgemeingültig ist. In der norwegischen Öffentlichkeit kann eine Frau nicht Vor-Mann (WortführerIn) sein. Sie ist leader (LeiterIn). In Schweden haben wir keine vergleichbare erhitzte Debatte. Dadurch haben wir den Vorteil gewonnen, dass viele alte maskuline Benennungen heute ganz selbstverständlich für beide Geschlechter gelten. Wir konnten damit auch den sowohl unpraktischen und lächerlichen Lösungen anderer Sprachen in Sprachgerechtigkeitsfragen entgehen, Lösungen, die doch die Ungerechtigkeiten der Wirklichkeit nicht verändern.‘ Siehe auch Jobin (2004: 88), wo ähnliche Erfahrungen in der schwedischen Diskussion geltend gemacht werden: „Die deutsche Entwicklung [in Bezug auf feministische Sprachveränderungsvorschläge] wurde [...] zumeist als abschreckendes Beispiel aufgefasst, von dem Schweden zum Glück verschont geblieben ist.“
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Himanen (1990) hat eine Fragebogenuntersuchung durchgeführt, um die Einstellung von schwedischen Muttersprachler/inne/n zu feministischen Sprachveränderungsstrategien festzustellen. Dazu fragt sie zunächst ab, welche personalen Appellationsformen die Befragten selbst verwenden, wenn sie auf die Berufsausübung von Menschen appellieren. Darüber hinaus fragt sie nach den Einstellungen und Bewertungen zum Gebrauch von Formen auf –man und danach, welche Appellationsform die Befragten als geeignet ansehen, um sich auf manliga sjuksköterskor zu beziehen. In Bezug auf Pronomina wollte Himanen von den Testpersonen wissen, welche Form sie als geeignet ansehen, um genderunspezifizierend zu benennen. Der Fragebogen ist 1985 von 180 Personen der Gruppen Journalist/inn/en, Lehrer/innen, Schüler/innen, feministische Forscher/innen und Personen, die an einem Schwedischkurs in der Erwachsenenbildung teilgenommen haben, ausgefüllt worden. Von den Testpersonen sind 140 Frauen und 40 Männer in Selbstbenennung. Ein wichtiger Kritikpunkt, der an diese Fragebogenuntersuchung angelegt werden kann, wird von Himanen (1990) selbst erwähnt, jedoch nicht weiter in Bezug auf ihre Ergebnisse reflektiert: „En av svagheterna i undersökningar av denna typ är att enkätsvar på frågor om det egna språkbruket är svårbedömda. Människor är inte särskilt medvetna om sitt eget språkbruk och i undersökningar där jämförelser gjorts mellan uppgivet och verkligt språkbruk har man konstaterat systematiska skillnader mellan dessa uppgifter. För det första underskattar informanterna graden av variation i sitt eget sätt att använda språket och för det andra överrapporterar många informanter inslaget av den variant de förknippar med normenligt tal i sin grupp.“100 (Himanen 1990: 96f.)
Im besten Fall kann eine solche Untersuchung Aufschlüsse darüber geben, welche Normen innerhalb bestimmter Gruppen als wirksam und geltend angesehen und akzeptiert werden. In dieser Art werden die Ergebnisse aus Himanens (1990) Untersuchung an den entsprechenden Stellen der nachfolgenden Besprechungen von Sprachveränderungsstrategien jeweils mit einfließen.
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100 ‚Ein Schwachpunkt einer solchen Untersuchung ist es, dass Antworten auf Fragebögen zum eigenen Sprachgebrauch nur schwer zu beurteilen sind. Menschen sind sich ihres eigenen Sprachgebrauchs nicht besonders bewusst, und in Untersuchungen, in denen Vergleiche zwischen angegebenem und wirklichem Sprachgebrauch gemacht worden sind, hat man systematische Unterschiede zu den Angaben festgestellt. Zum einen unterbewerten die InformantInnen die Variation ihres eigenen Sprachgebrauchs und zum anderen legen sie in ihren Berichten ein inadäquat starkes Gewicht auf diese ihrer Sprachvarianten, die sie als normgemäƢ für ihre Gruppe ansehen.‘
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
385
Nachfolgenden werden konkrete Sprachveränderungsstrategien einzelne Wortklassen betreffend vorgestellt. Damit wird im zweiten Teil dieses Unterkapitels die Struktur aus Kapitel 3 wieder aufgenommen, so dass die Ergebnisse zwischen den beiden Kapiteln leicht aufeinander beziehbar und miteinander vergleichbar sind. Unter den einzelnen Punkten werden jeweils konkrete Sprachvorschläge, wie sie vor allem in Tageszeitungen zu finden sind, kritisch diskutiert. 5.4.1 Substantive Die Vorschläge sind auf einzelne, personal appellierende Substantive, für die Veränderungen vorgeschlagen worden sind oder die tatsächlich verändert worden sind, beschränkt. Die Substantive, die unter der Fragestellung einer Sprachveränderungsstrategie thematisiert werden, sind entweder konventionalisiert eindeutig genderspezifizierend in ihrem Gebrauch und werden konventionalisiert relativ selten genderunspezifizierend verwendet, oder es sind Formen, zu denen es als Pendants veraltete, ehemalige genderspezifizierend weiblich appellierende Formen gibt. Eine dritte Gruppe sind die Formen, die einen stark pejorisierenden Charakter verbunden mit einer genderspezifizierenden Appellation zum Ausdruck bringen. Bezogen auf die Darstellung der konventionalisierten Möglichkeiten genderspezifizierender Appellation im heutigen Schwedisch spielen bei der Frage der Sprachveränderung genderspezifizierende Verwandtschaftsbenennungen keine Rolle. Aus dem Bereich der lexikalisierten genderspezifizierenden Appellationsformen werden insbesondere konventionalisiert pejorisierende Appellationsformen diskutiert sowie Komposita, die auf die konventionalisiert genderspezifizierenden Substantive –man und –kvinna enden. Im Bereich der im dritten Kapitel als grammatikalisiert genderspezifizierende Formen kategorisierten Suffigierungen stehen die genderspezifizierend weiblichen Suffigierungen zur Debatte, während die genderspezifizierend männlichen Suffigierungen insbesondere im Bereich der Tätigkeitsbezeichnungen nicht diskutiert werden. Von der Vielzahl der im dritten Kapitel vorgestellten konventionalisiert genderspezifizierenden Appellationspraktiken kommt in Bezug auf die Diskussion von Sprachveränderungen nur eine kleine Gruppe überhaupt vor. Nur in wenigen Fällen wird die mit Appellationsformen verbundene Konzeptualisierung überhaupt problematisiert. Am Ende dieses Unterkapitels wird dies auch dahingehend ausgewertet zu fragen, welche Formen und Gebrauchsweisen dementsprechend
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
als unkritisch und unproblematisch im öffentlichen Diskurs hergestellt werden und welche Normalisierungen damit einhergehen. Im folgenden werden die einzelnen Sprachveränderungsstrategien bezogen auf personale Appellationsformen, die Bestandteil öffentlicher Debatten sind, im einzelnen besprochen. Komposita auf –man Das in Bezug auf Substantive am häufigsten diskutierte Problem sind Komposita die auf –man ‚-mann‘ enden. Die verschiedenen, hierzu geäußerten Meinungen und Argumentationen werden im folgenden sortiert nach unterschiedlichen propagierten Strategien vorgestellt. Den verschiedenen Diskussionen im Umfeld der Form –man in Komposita liegen jeweils noch auszudifferenzierende, unterschiedliche Auffassungen dazu zu Grunde, dass diese Formen genderspezifizierend männlich verstanden werden könnten. Implizit wird eine Opposition zu entsprechenden Komposita mit –kvinna als zweitem Glied in vielen Argumentationen hergestellt. Die in diesem Zusammenhang vielleicht am häufigsten diskutierte Appellationsform ist riksdagsman ‚Reichstagsmann‘, für welche eine Ersetzung durch riksdagsledamot ‚Reichstagsmitglied‘ vorgeschlagen und teilweise auch realisiert worden ist. Die Ersetzung der Form riksdagsman durch riksdagsledamot gehört zu den am frequentesten genannten Beispielen für eine erfolgte Sprachveränderung personaler Appellationsformen im Schwedischen. Sie findet sich in Mål i mun als Beispiel für geglückte Sprachveränderungsintiativen, ohne dass ihre konkrete Benennung weiter reflektiert worden ist. Die Form riksdagsledamot steht in öffentlichen Verhandlungen symbolisch für schwedische strategische Sprachveränderungen, ohne dass sie als eine gelungene Sprachveränderung oder als symptomatisch angesehen werden kann. Beides trifft nicht zu. Dass es sich um eine Form handelt, die auf eine Person in einem in einem demokratischen Staatsverständnis zentralen öffentlichen Amt appelliert, wird hier nicht als ein Zufall angesehen. Es wird die Hypothese vertreten, dass eine strategische Sprachveränderung der Form riksdagsman zu riksdagsledamot in einschlägigen Veröffentlichungen auch symbolisch ein staatliches Gleichheitsbestreben ausdrückt.101 Riksdagsman ist in SAOB zuerst für 1723 verzeichnet und wurde zu dieser Zeit gemäß der öffentlichen gegenderten Aufteilung von Tätigkei-
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101 Für eine weitergehende quantitative Analyse der Form riksdagsledamot, vgl. Kapitel 6.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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ten und Funktionen ausschließlich zur genderspezifizierend männlich intendierten Appellation verwendet. Erst mit der Möglichkeit der Partizipation von Frauen an der Wahrnehmung öffentlicher, politischer Ämter und Mandate bestand überhaupt die Möglichkeit und Notwendigkeit einer nicht-fiktiven Benennung von Frauen in entsprechenden Positionen. Zunächst wurde die Form riksdagsman als Appellationsform auf Männer und die wenigen Frauen des schwedischen Reichstages benutzt. Erst durch die zunehmende Partizipation von Frauen an diesem politischen Amt entstand eine Diskussion um die Einführung der Parallelform riksdagskvinna ‚Reichtagsfrau‘. Ausgehend von diesen Termini entwickelte sich der Vorschlag um eine dritte, genderunspezifizierende Appellation intendierende Form, da riksdagsman mit seiner historischen Verwendungskonvention offenbar als stark männlich konzeptualisiert wahrgenommen wurde, riksdagsledamot.102 Diese Form ist jedoch zu keinem Zeitpunkt in den Status einer offiziellen Tätigkeitsbenennung avanciert. Während Himanen (1990) mit Bezugnahme auf ein Schreiben aus dem Informationsbüro des schwedischen Reichstages konstatiert, dass die Form riksdagsledamot in den 80er Jahren sich als genderunspezifizierende Benennung durchgesetzt habe,103 verweist Reuter 1993 aus finnlandschwedischer Perspektive darauf, dass die Form eingeführt sei, um auf Frauen zu appellieren.104 Dass das Informationsbüro des schwedischen Reichstages die Form als genderunspezifizierend appellierend bezeichnet, stimmt mit der oben formulierten These überein, dass der offizielle Anspruch staatlicher Gleichstellungsbestrebungen so zum Ausdruck gebracht werden kann. Himanen (1990) hat die staatliche Meinungsbildung in ihrer Feststellung, dass die Form sich durchgesetzt habe, unkritisch übernommen. Wie die Form riksdagsledamot heute verwendet wird, wird im nachfolgenden Kapitel an konkreten Belegen überprüft. Himanen stellt für das Korpus aus Språkbanken105 von 1976 fest, dass die Benennung riksdagsman sehr viel frequenter als die Benennungspraxis mit riksdagsledamot ist. Letztere wird in der Regel in den 70er Jahren nach ihrer Analyse nicht genderneutralisierend benutzt, sondern ersetzt riksdagskvinna und wird so
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102 In SAOB findet sich ein Beleg von 1832. 103 Vgl. Himanen (1990: 69). 104 Vgl. Mikael Reuter (1993) „Talesman“ http://www.kotus.fi/svenska/reuter/ 1993/060593.shtml vom 14.2.2003. 105 Vgl. http://www.gu.se/sprakbanken/ vom 10.2.2001.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
genauso genderspezifizierend eingesetzt.106 Eine vergleichbare Feststellung für den identischen Zeitraum ist von Stemshaug (1983) für das Norwegische gemacht worden, wo die Form stortingsrepresentant ‚StortingRepräsentant‘ nicht zur genderunspezifizierenden Appellation benutzt wurde, sondern zur Benennung von Frauen, während Männer weiter mit stortingsmann bezeichnet wurden und sich diese Benennungspraxis auch als die genderunspezifizierende durchgesetzt hat.107 Auch Grünbaum (1997) konstatiert in einem Sprachkommentar in Dagens Nyheter: „Det finns tillfällen när även riksdagskvinna är den lämpligaste benämningen, men kvinnor kan annars utan hinder vara riksdagsmän. (Riksdagsledamot är på sitt sätt lika könsbestämmande som riksdagskvinna. Män i riksdagen kallas ju alltid riksdagsmän.)“108 (Grünbaum 1997: 17)
Sie leitet daraus die Schlussfolgerung ab, dass die Form riksdagsmän genderunspezifizierend angewendet werden sollte und unterstützt in ihrer eigenen Argumentation implizit eine männliche Normsetzung als allgemeinmenschliche. Diese Beobachtungen zum schwedischen Sprachraum stimmen mit Untersuchungen zu vergleichbaren Appellationspraktiken im englischen Sprachraum in ihren Resultaten überein. So haben Dubois und Crouch (1987) festgestellt, dass die Einführung der Form chairperson im englischsprachigen Raum nicht zu einer Ersetzung der Form chairman geführt hat, sondern stattdessen die Form chairperson zur Bezeichnung von Frauen benutzt wird, wohingegen chairman weiterhin zur Bezeichnung von Männern dient. „[...] we can see that the attempt to replace a masculine generic with a neutral one has been somewhat unsuccessful in that neutral terms like chairperson, spokesperson, etc., are functioning to designate only female referents. Rather than ridding the language of a masculine generic, the introduction of neutral generic person forms has (in some situations, at least) led to a sex-based distinction between forms such as chairperson vs chairman.” (Ehrlich und King 1992: 154)
Die personale Appellationsform ledamot als Teil von Komposita ist auch Bestandteil weiterer Formen, die vornehmlich Personen in öffentlichen,
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106 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse des heutigen Gebrauchs der Form riksdagsledamot. 107 Vgl. auch Blakar (1975). 108 ‚Es gibt Situationen, in denen sogar Reichstags-Frau die geeigneteste Benennung ist, aber Frauen können ansonsten vorbehaltlos Reichstags-Männer sein. (Reichstagsmitglied ist auf seine Weise genauso geschlechtsbestimmend wie Reichstags-Frau. Männer im Reichstag/Parlament werden ja immer Reichstagsmänner genannt.‘
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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verwaltenden und/oder politischen Positionen benennen.109 So wurde die Form kommunalman ‚Gemeinde-Mann‘ weitgehend durch die Form kommunalledamot ‚Gemeinde-Mitglied‘ ersetzt. Himanen (1990) fragt in einem Fragebogen u.a. nach Alternativformen zu kommunalman und bekommt neben der Form kommunalledamot die Formen kommunalpolitiker, ledamot av kommun ‚Mitglied der Gemeinde‘ und kommunalfullmäktige ‚BevollmächtigteR der Gemeinde‘ als Antworten. Weitgehend scheint die Form ledamot ‚Mitglied‘ auf eine Ersetzung der Form riksdagsman begrenzt zu sein und darüber hinaus höchstens noch vereinzelt in anderen Bildungen aus dem Bereich der Appellation auf Personen in politischen Ämtern Anwendung zu finden. Eine Ersetzung von Formen mit –man als zweitem Glied durch andere zweite Glieder ist zwar hin und wieder für das Schwedische diskutiert worden, hat sich jedoch nicht in größerem Umfang, wie beispielsweise im Englischen, durchsetzen können. Entsprechende Formen als zweite Glieder von Komposita, die diskutiert worden sind, sind -person, -representant und -idkare ‚AusübendeR‘.110 Häufig wird argumentiert, dass die entsprechenden Formen auf – man genderunspezifizierend appellierend seien und daher eine Ersetzung durch die oben genannten Formen nur künstlich wirken würde. Es wird wiederum eine historische Argumentation herangezogen, indem die Formen auf –man als ‚schon immer‘ oder ‚schon lange‘ genderunspezifizierend appellierend angesehen werden. Reuter argumentiert in einem seiner Sprachkommentare in der größten schwedischsprachigen überregionalen Tageszeitung in Finnland 1993: „Ordet talesman har sedan länge använts i svenskan [...] som benämning på den som för en myndighets talan, oberoende av kön. Det finns alltså ingen anledning att börja tala om „taleskvinnor“ (eller ännu värre „talespersoner“) för att det råkar vara en kvinna som för en regerings, myndighets eller organisationstalan.“111 (http://www.kotus.fi/svenska/reuter/1993/060593.shtml vom 14.2.2003)
Soziale Realitäten zu verschiedenen Zeiten bleiben hier unberücksichtigt oder ausgeblendet: Dass es sich in der Regel um historische Konstellationen gehandelt hat, in der die Formen genderspezifizierend männlich ver-
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109 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Besprechung. 110 Vgl. Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse der Vorkommen der entsprechenden Formen. 111 ‚Das Wort Sprech-Mann wird schon seit langer Zeit im Schwedischen benutzt für eine Person, die die Sache einer Verwaltung führt. Es gibt also keinen Grund, warum man den Ausdruck Sprech-Frau (oder schlimmer noch Sprech-Person) benutzen sollte wenn es sich um eine Frau handelt, die die Sache einer Regierung, Verwaltung oder Organisation führt.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
wendet wurden, da Frauen der Zutritt zu öffentlichen Positionen in der Regel verwehrt war oder sie erst später als Männer Zutritt zu diesen Funktionen, Tätigkeiten und Ämtern bekommen haben, bleibt in dieser Argumentation unsichtbar, so dass ein Bild einer ‚genderneutralen‘ Vergangenheit oder zumindest einer genderneutralen Sprache vor dem Beginn feministischer Bestrebungen evoziert wird; erst durch die Frauenbewegung ist die Sprache als Machtinstrument und Ausdruck von Genderrelationen aufgefasst worden, was ihr ihre Unschuld nimmt. Dies kommt auch in der eingangs in diesem Unterkapitel zitierten Aussage von Grünbaum (1996) zum Ausdruck.112 Auch, dass es überhaupt erst durch die Zunahme von Frauen in vielen öffentlichen Positionen und Ämtern zu einer Frage geworden ist, wie diese benannt werden, wird nicht als Indiz dafür angesehen, dass eine soziale Wirklichkeit sich so verändert habe, dass personale Appellationsformen neu zur Debatte stehen könnten. Selbst wenn es ein Gendergleichgewicht zu früheren Zeiten in bestimmten öffentlichen Positionen gegeben hätte, würde diese Argumentation trotzdem nicht ausreichen, um ein offensichtlich auch vorhandenes gesellschaftliches Bedürfnis nach einer explizit genderspezifizierenden Benennung zu erklären. Die relativ frequente Verwendung der Form taleskvinna im öffentlichen Sprachgebrauch stößt von sprachpflegerischer Seite auf größere Irritationen, da hier die propagierte Theorie der Genderunspezifizierung von Tätigkeitsbenennungen mit –man als zweitem Glied untergraben zu sein scheint. Auch Grünbaum (1997) widmet vergleichbar mit Reuter in Hufvudstadbladet dieser Frage eine ganze Sprachspalte in Dagens Nyheter. In einem nur zwei Jahre früher erschienenen Sprachkommentar von Reuter spricht dieser die Relevanz sozialer Wirklichkeiten für personale Benennungspraktiken sogar selbst an, um sie gleichzeitig auch wiederum zu entkräften: „Att vi har så många yrkesbeteckningar på –man är naturligtvis främst en följd av att yrkena i fråga ursprungligen helt har dominerats av män. Men samtidigt kan vi räkna med att man i sådana sammansättningar delvis också har haft och har den allmänna betydelsen ‚människa‘ [...]. Det var först på 1960-talet som man på allvar började se det som en konflikt att kvinnor hade titlar som slutade på –män.“113
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112 Wie schon mehrmals dargstellt, ist die Argumentation über Ursprungsmythen bestimmend in den einschlägigen Diskussionen und reproduziert eine Vorstellung eines ‚reinen‘, ursprünglichen Bedeutungskerns. 113 ‚Dass wir so viele Berufsbezeichnungen auf –mann haben, ist natürlich eine Folge davon, dass die in Frage kommenden Berufe früher total von Männern dominiert gewesen sind.
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(Mikael Reuter „Tjänstemän och sjuksköterskor“, wiederabgedruckt unter http://www.kotus.fi/svenska/reuter/1991120491.shtml vom 14.2.2003)
Die angenommene, eigentliche Natürlichkeit der personalen Komposita auf –man als genderunspezifizierende Benennungen wird im letzten Teil dieses Zitats mit einer historischen Situation kontrastiert, die jedoch nicht als legitime Begründung angeführt wird, sondern stattdessen als ein Beleg dafür, dass diese Diskussion neu ist und, wie im weiteren Verlauf des Artikels deutlich wird, mit einer historischen Tradition bricht. Es wird an diesem Punkt nicht gefragt, wie es sein kann, dass in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine entsprechende Infragestellung aufkommen konnte und warum dies nicht vorher schon der Fall gewesen ist, sondern ihr relativ gesehen junges Auftreten wird als implizites Argument dafür genommen, das Bestreben zu verwerfen. Die Akteurinnen einer Problematisierung der angenommenen Genderneutralisierung von Formen auf – man werden in der Argumentation ebenso wie in den weiter oben zitierten staatlichen Anmerkungen zu Kritiken an angeblichen genderunspezifizierenden Gebrauchsweisen von personalen Appellationsformen ausgelassen. Die Kritik wird durch ihre agenslose Benennung entpolitisiert und weniger greifbar und nachvollziehbar. Die Relation der im ersten und zweiten Satz des Zitats gemachten Aussagen, dass die so bezeichneten Berufe einerseits männlich dominiert waren, andererseits jedoch ‚teilweise‘ die Genderneutralität der Benennung angenommen werden könnte, wird nicht expliziert und bleibt unhinterfragbar. Ihre Richtigkeit wird präsupponiert, ohne dass klar würde, worauf sich die beiden widersprüchlichen Einschätzungen stützen. Auf der neu eingerichteten Homepage von Svenska språknämnden finden sich in der Abteilung frågelåda ‚Frageschublade‘ auch zwei Fragen zu Sprache und Gender, von der die eine personale Appellationsformen auf –man betrifft.114 Dieser im Jahr 2003 verfasste Kommentar weist Gemeinsamkeiten mit den oben aufgeführten auf, wenn auch hier konstatiert wird, dass die Formen auf –man auf eine ältere Gesellschaftssituation verweisen würden, die einen stärker Gender segregierten Arbeitsmarkt gehabt hätte. Dieser Argumentation liegt die autostereotype Annahme einer heute erreichten Gleichstellung zu Grunde, die auf diese Weise als ‚Realität‘ unhinterfragbar wird. Auf die eingangs geäußerte Frage „Hur ska man beteckna brandmän och barnmorskor om man vill ____________
Aber gleichzeitig kann man damit rechnen, dass solche Komposita teilweise auch die allgemeinere Bedeutung Mensch hatten. [...] Erst in den 60er Jahren fing man an es als Konflikt zu sehen, dass Frauen Titel/Benennungen hatten, die auf –mann enden.‘ 114 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id?id?26282 vom 27.8.2003.
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förhålla sig könsneutral?“115 wird zunächst geantwortet: „De flesta yrkesbeteckningar uppfattas i dag som könsneutrala.“116 Diese als Hauptargument geäußerte These stimmt nicht mit einschlägigen Untersuchungen zur Konzeptualisierung von Gender auf der Grundlage personaler Appellationsformen überein117, sondern bestätigt lediglich ein schwedisches Autostereotyp. Dieses wird noch mal deutlich, wenn eine Strategie der Genderunspezifizierung als selbstverständlich postuliert wird: „Man bör självfallet undvika ett system där vi har olika ord för manliga och kvinnliga innehavare av samma yrke.“118 Das zuvor angesprochene Ideal der Genderneutralität in Bezug auf berufliche Tätigkeiten in der schwedischen Gleichheitsvorstellung wird deutlich und explizit auf den Bereich der bezahlten beruflichen Tätigkeiten beschränkt. In Vorwegnahme einer entsprechenden Kritik fällt die nachfolgende Argumentation an einem Punkt differenzierter aus, wenn bei der Einführung neuer Berufsbezeichnungen darauf hingewiesen wird, dass hier Formen auf –man möglichst vermieden werden sollten. „Nya yrkesbeteckningar bör självklart vara könsneutrala: reklamare är bättre än reklamman, webbdesigner och webredaktör bättre än t.ex. webbman.“119 Diese These impliziert die gleichzeitige Antizipation einer Möglichkeit, dass die Formen auf –man doch nicht so genderneutral sind, wie es zuvor argumentiert wurde. So findet sich eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Argumentation der Sprachpflegeeinrichtung, wenngleich auch festgehalten werden muss, dass dies die einzige (!) Stelle im schwedischen sprachpflegerischen Diskurs der letzten 30 Jahre ist, in der die Genderneutralität von Formen auf –man in Frage gestellt wird. Diese Strategie der Propagierung von Genderunspezifizierung, die auch Formen ein-schließt, die bisher in den sprachpflegerischen Diskursen unbeachtet geblieben oder hinsichtlich ihrer angenommenen Neutralität weiter bestätigt worden sind, ist eine auf diese Veröffentlichung beschränkte Neuerung. Sie bezieht sich jedoch ausschließlich auf Tätigkeitsbenennungen. Personale Appellation in anderen Bereichen wird nicht angesprochen.
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115 ‚Wie soll man Brandmänner und Hebammen benennen, wenn man sich geschlechterneutral verhalten will?‘ Ebd. 116 ‚Die meisten Berufsbezeichnungen werden heute als geschlechtsneutral aufgefasst.‘ Ebd. 117 Vgl. Hornscheidt (2006b). 118 ‚Man sollte selbstverständlich ein System vermeiden, in dem es unterschiedliche Wörter für männliche und weibliche Personen der gleichen Tätigkeit gibt.‘ Ebd. 119 ‚Neue Berufsbezeichnungen sollten selbstverständlich geschlechtsneutral sein. Reklamare ist besser als Reklamemann, Webdesigner und Webredakteur besser als z. B. Webmann.‘ Ebd.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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Die beiden zuvor diskutierten Sprachveränderungsstrategien werden im nachfolgenden Kapitel auf ihre Realisierung hin gegen gelesen. Es kann zuvor schon konstatiert werden, dass ihre frequenten Nennung in sprachpflegerischen Veröffentlichungen nicht mit real zu findenden Sprachveränderungen übereinstimmt, sondern dass an ihnen ein Ideal einer gleichgestellten Gesellschaft, welches sich auch in entsprechenden sprachlichen Veränderungen ausdrücke, dargestellt wird, ohne dass dies den Sprachgebrauchsrealitäten im medialen Diskurs entspricht. Das Ideal, welches in den sprachpflegerischen Äußerungen implizit entworfen wird, ist eines, welchem das Ziel zu Grunde liegt, dass eine Genderspezifizierung in Bezug auf Tätigkeitsbenennungen keine Rolle zu spielen habe, sondern es sich jeweils ausschließlich um eine Benennung und Bewertung der jeweiligen Tätigkeiten handeln solle. Dass diese Argumentation jedoch durchgehend lediglich auf weibliche Genderspezifizierung angewendet wird, wird nicht explizit kommentiert, so dass sich eine Vorstellung von Weiblichkeit als Gender wiederum bestätigt und Männlichkeit als Gender unsichtbar bleibt und in diesen Ausführungen in seiner Prototypisierung als allgemeinmenschliche Norm weiter verstärkt wird. Daneben und sehr viel seltener findet eine Strategie Erwähnung, die Formen mit –man als zweitem Glied durch Formen auf –kvinna zu ergänzen oder zu ersetzen. Bei einer Anwendung dieser Strategie wird gleichzeitig die Appellationsform auf –man als eine genderspezifizierend männliche verstanden und ihr ein genderspezifizierend weiblich appellierendes Pendant an die Seite gestellt. Diese Strategie ist vor allem für Komposita diskutiert worden, bei denen genderstereotyp männliche Vorstellungen als mit der Verwendung der Form auf –man verknüpft angesehen werden, wie zum Beispiel vetenskapsman ‚Wissenschaftsmann‘, PR-man ‚PR-Mann‘, yrkesman ‚Berufsmann‘. Auch diese Strategie ist in vielen öffentlichen Diskussionen negativ bewertet worden, wobei häufig das Beispiel tjänstekvinna ‚Bedienstete‘ herangezogen wird, um deutlich zu machen, dass eine Parallelisierung von Formen auf –kvinna zu Formen auf –man nicht einfach realisierbar sei. Es wird dem Oppositionspaar tjänstekvinna-tjänsteman ‚DienstFrau-Dienst-Mann: Bedienstete-Beamter‘ in diesen Argumentationen eine Repräsentativität eingeräumt, die es nicht besitzt. Vielmehr muss die statusmäßige Asymmetrie, die in dieser Form zum Ausdruck kommt, als eine Ausnahme angesehen werden, die sich in diesem Fall tatsächlich durch den auch schon historischen Gebrauch der Form tjänstekvinna erklären lässt. Darüber hinaus werden in ablehnenden Argumentationen weniger Argumente gebracht als vielmehr rhetorisch gearbeitet.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
„Lika tokigt vore det i många fall att försöka skapa parallella titlar på –kvinna. Kanske affärskvinna och vetenskapskvinna kunde gå an, men en tjänstekvinna är som känt något annat än en kvinnlig tjänsteman, och jag tror knappast någon på allvar vill föreslå att vi talar om talkvinna, lekkvinna eller ombudskvinna.“120 (http://www.kotus.fi/svenska/reuter/1991/120491.shtml vom 14.2.2003)
Grünbaum (1997) bezeichnet Formen auf –kvinna in einer ihrer Sprachspalten in Dagens Nyheter gar als fånigheter ‚Verrücktheiten‘ und konstatiert, dass das Schwedische es geschafft habe, das Schicksal des Englischen oder Norwegischen, in denen Bildungen wie chairperson oder forkvinne ‚Vorarbeiterin‘ zu finden seien, zu umgehen. „Man har som efterled i de flesta fall blivit könsneutralt, ungefär som –are.“121 (Grünbaum 1997: 17) Dass es sich um eine prototypisch männlich besetzte Genderneutralität handelt, wird deutlich, wenn Grünbaum in demselben Artikel die Möglichkeit einräumt, in bestimmten Fällen auch Formen auf –kvinna zu benutzen, an keiner Stelle jedoch die Frage behandelt, wie eine genderspezifizierend männliche Appellation herzustellen sei.122 Eine weitere diskutierte und auch durchgeführte Strategie ist der Wegfall des zweiten Glieds –man in personalen Appellationsformen. Das Lexem ombudsman findet sich schon für das 14. Jahrhundert in rechtssprachlichen Texten verzeichnet. In SAOB ist das Lexem zum ersten Mal für 1552 aufgeführt. Das Amt selbst ist seit dem 19. Jahrhundert im schwedischen Staatssystem fest etabliert und seitdem fortlaufend weiter ausdifferenziert worden zu zum Beispiel den Ämtern näringsfrihetsombudsman ‚Wirtschafts-Freiheit-Ombud‘, pressombudsman ‚Presse-Ombud‘ und 1980 mit der Institutionalisierung eines jämställdhetsombudsman ‚Gleichstellungs-Ombud‘. Das Konzept ombudsman ist zusammen mit der Benennung in zahlreichen Sprachen und Ländern entlehnt worden, so auch ins Deutsche. Bis heute sind die offiziellen Amtsbezeichnungen X-ombudsman, nur in informellem Gebrauch findet sich eine Verkürzung zu ombud. Der Titel ombud drückt zudem einen niedrigeren Status als der Titel ombudsman
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120 ‚Genauso verrückt wäre es in vielen Fällen zu versuchen parallele Titel auf -frau zu schaffen. Geschäftsfrau und Wissenschaftsfrau würden ja vielleicht noch gehen, aber eine Dienstfrau (Bedienstete) ist wie bekannt etwas anderes als ein weiblicher Dienstmann (Beamtin), und ich glaube kaum, dass irgendjemand vorschlagen will, dass wir über SprachFrau (Bundestagspräsidentin), Nichtfachfrau (Laiin) oder Ombudsfrau sprechen wollen.‘ 121 ‚Mann als zweites Glied ist in den meisten Fällen geschlechtsneutral geworden, ungefähr wie –er.‘ 122 Vgl. auch die Sprachratgebung von svenska språknämnden auf http://www.spraknamnden.se/ sprakladan vom 27.8.2003, in der ebenfalls von der Verwendung von Formen auf –kvinna abgeraten wird.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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aus.123 Bei der Einführung des Amtes der jämställdhetsombudsman ist die Bezeichnung zwar auf die Frage der potentiellen genderspezifizierend männlichen Konzeptualisierung hin öffentlich diskutiert worden, eine Änderung jedoch vor allem von herrschender wertekonservativer und sprachpflegerischer Seite mit dem Argument abgelehnt worden, dass sich die Bezeichnung mittlerweile internationalisiert habe.124 Himanen (1990: 73) beschreibt, dass es in Finnland bei der Einführung des Amtes Mitte der 80er Jahre und der Frage des schwedischen Gesetzestextes eine ähnliche Diskussion gegeben hat, in der sich ebenfalls die wertekonservative Fraktion hat durchsetzen können, so dass auch im Finnlandschwedischen von einem jämställdhetsombudsman in offiziellen Texten gesprochen wird. Eine Form, für die verschiedene der oben angeführten Änderungen bis heute diskutiert werden, ist polisman ‚Polizeimann‘. Himanen (1990) stellt für die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts im schwedischen Sprachgebrauch eine Verwendung der Appellationsform polisman sowohl mit intendierter genderspezifizierend männlicher Appellation wie auch mit genderunspezifizierender und in einigen Fällen auch mit genderspezifizierend weiblicher Appellation fest. Eine Verwendung der Form poliskvinna ‚Polizeifrau‘ ist die Ausnahme in Himanens Korpus, häufiger finden sich die Nominalphrasen kvinnlig polis ‚weibliche Polizei‘ und kvinnlig polisman ‚weiblicher Polizeimann‘. Himanen (1990) interpretiert das Vorherrschen der Form polisman in den 80er Jahren dadurch, dass die meisten bei der Polizei angestellten Personen männlich seien. Zusätzlich dazu führt sie an, dass das Glied –man als zweiter Teil von auf Personen appellierenden Komposita ‚bedeutungsleer‘ sei und sich daher als genderunspezifizierende Appellationsform anbiete. Hier wie an vielen weiteren Stellen trennt Himanen (1990) nicht zwischen den Formen, die sie in der sprachlichen Produktion findet und den potentiellen Konzeptualisierungen, die diese auslösen bzw. transportieren. Dies wird deutlich, wenn ihre Interpretationen mit denen von Åse (2000) gegen gelesen werden, die den öffentlichen Sprachgebrauch sozial kontextualisiert und vor der Annahme einer sozialen Konstruiertheit von Gender interpretiert.
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123 Vgl. die Definitionen in NPLUS (1997: 793) beispielsweise. „[o]mbud [...] person som ger uttryck för och bevakar annan persons eller grupps intressen [...] ombuds/man [...] (titel för) person som (yrkesmässigt) sköter juridiska angelägenheter åt annan part.“ ‚Ombud […] Person, die Ausdruck gibt für und die Interessen einer anderen Person oder Gruppe bewacht. [...] Ombuds/mann [...] (Titel für) eine Person, die (berufsmäƢig) juristische Angelegenheiten eines anderen Teils pflegt.‘ 124 Vgl. Korlén (1980).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Åse (2000) analysiert die Herstellung von Gender in der schwedischen Polizei. Sie sieht durch eine konventionalisierte Verwendung der Formen polisman wie auch polis nicht eine Genderunspezifizierung hergestellt, sondern lediglich eine Unsichtbarmachung einer männlichen Genderspezifizierung, welches sie als tief festgeschrieben in die Diskurse um die Rolle und das Berufsbild der Polizei in Schweden analysiert. Mit Ausnahme der unbestimmten Form im Singular sieht sie den Begriff polisman125 als stark männlich genderkonnotiert an. Ihre Textanalysen, in denen ein Angehöriger der Berufsgruppe Polizei jeweils implizit als männlich hergestellt wird, bestätigen dies. Eine Attribuierung zur Genderspezifizierung geschieht, so ihre Hypothese, lediglich bei einer intendiert konventionalisiert weiblichen Appellation und dies selbst in Fällen, wo die Genderspezifizierung bereits vereindeutigt ist.126 Die Verwendung einer genderunspezifizierenden substantivischen Form reicht nicht aus, um eine Genderneutralität der Konzeptualisierung erreichen zu können. Das komplexe Wechselspiel zwischen der Relevanz von Gender als sozialer Kategorie und seiner kontinuierlichen ReProduktion und sprachlichen Appellationspraktiken wird in einer Argumentation, die eine potentielle Genderneutralisierung an der Einführung und dem Durchsetzen von genderunspezifizierenden nominalen personalen Appellationsformen festmacht, negiert und unsichtbar gemacht. Durch eine Negierung der gegenderten Konzeptualisierung von Personen in ihren verschiedenen Rollen und Tätigkeiten durch personale Appellationspraktiken wird die Vorherrschaft einer hegemonialen Männlichkeitsvorstellung als ‚neutral‘ wirkungsvoll unterstützt und reproduziert. Eine weitere Strategie ist die Ersetzung des zweiten Gliedes –man in Komposita durch ein anderes Worbildungsmuster mit einer in diesen Fällen angenommenen oder unterstellten Genderneutralität. Himanen (1990) hat ihre Informant/inn/en in einem Fragebogen gebeten, Alternativen zu den Formen auf –man zur genderneutralen und/oder genderspezifizierend weiblich intendierten Appellation zu benennen. Neben den oben aufgeführten Varianten wurden von den Informant/inn/en die die Umwandlung einer Form auf –man in eine Form auf –are als weitere Möglichkeit benannt. Dies wurde für die Veränderung der Form idrottsman ‚Sportmann‘ in idrottare ‚SportlerIn‘ und die Veränderung von reklamman ‚Werbemann‘ in reklamare ‚WerberIn‘ angesprochen. Ein weiteres Beispiel,
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125 Vgl. Åse (2000: 40) Fußnote 54. Hier bezieht sie sich auf die Varianten polismannen, polismän/nen, insbesondere im mündlichen Sprachgebrauch. 126 Als Beispiel führt sie havande kvinnliga polismän ‚schwangere weibliche Polizeimänner/Polizisten‘ an.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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welches in diese Gruppe fällt, ist die Umwandlung von språkman ‚Sprachmann‘ in språkvetare ‚SprachwisserIn: SprachwissenschaftlerIn‘, språkforskare ‚SprachforscherIn‘ bzw. språkvetenskapare ‚SprachwissenschaftlerIn‘. Dies ist gleichzeitig eine Veränderung zu einem anderen Wortbildungsmuster, welches implizit in entsprechenden Strategien als genderunspezifizierend wahrgenommen wird. Eine personale Substantivbildung auf –are ist aber zugleich auch eine genderspezifizierend männliche Appellationspraxis, wie im dritten Kapitel dargestellt wurde, so dass ihr Grad an Genderunspezifizierung als kritisch zu beurteilen ist. Neben den Formen –vetare ‚-wisserIn: wissenschaftlerIn‘, -forskare ‚forscherIn‘ und vetenskapare ‚-wissenschaftlerIn‘ findet sich in vergleichbaren Tätigkeitsbenennungen auch die Form expert ‚ExpertIn‘ zur Ersetzung von Komposita auf –man, wenn zum Beispiel statt yrkesman ‚Berufsmann‘ die Form expert vorgeschlagen wird. Von svenska språknämnden werden in ihrer Sprachberatung im Jahre 2003 folgende Beispiele für eine mögliche und empfehlenswerte Umbildung von Formen auf –man gegeben: riksdagsledamot ‚Mitglied des Reichstags‘, justerare ‚Protokollant‘, representant ‚Repräsentant‘ und språkrör ‚Sprachrohr‘.127 Formen auf –are Die Annahme, dass personale Appellationsformen auf –are genderspezifizierend weibliche Formen auf –erska ersetzen sollten, um zu einer genderunspezifizierenden Appellationspraxis zu kommen, findet sich im Schwedischen in zahlreichen öffentlichen Diskursen und entspricht einer Ersetzung von substantivischen Appellationsformen von –inna durch –are. In der einschlägigen Forschung zum Schwedischen wird dies als eine ‚natürliche‘ Sprachveränderung interpretiert, die von einem Verlust von Endungen gekennzeichnet sei und einer allgemeineren Regel natürlicher Sprachveränderung zu größerer Vereinfachung und Ökonomie entsprechen würde.128 Auch in der sprachpflegerischen Diskussion wird die Natürlichkeit und Sinnhaftigkeit dieser Entwicklung betont. „Att –are blivit en personbeteckning för såväl kvinnor som män är det väl knappast någon som ifrågasätter. De flesta småskollärare är visserligen lärarinnor, men det behöver man inte framhålla särskilt varje gång yrket kommer på tal.“129
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127 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id?id?26282 vom 27.8.2003. 128 Vgl. Kapitel 4. 129 ‚Dass –are eine Personenbezeichnung für sowohl Frauen als auch Männer geworden ist, wird wohl kaum von jemandem in Frage gestellt. Die meisten Grundschullehrer(Innen)
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
(Grünbaum 1996: 113) Wie bei Grünbaum (1996) findet sich in der gesamten öffentlichen Debatte die Postulierung einer Selbstverständlichkeit gegenüber suffigierten genderspezifizierenden Formen, denen gegenüber die suffigierten genderspezifizierend männlichen Formen als die genderunspezifizierenden angesehen werden. Selbst in diesem Zitat benutzt Grünbaum die von ihr als antiquiert und unnötig bezeichnete Form lärarinnor ‚Lehrerinnen‘, um genderspezifizierend weiblich zu appellieren, ohne gleichzeitig darüber nachzudenken, wie eine genderspezifizierend männliche Appellation aussieht. Es entsteht der Eindruck, dass die Möglichkeit zur Realisierung einer genderspezifizierend männlichen Appellation in der schwedischen Diskussion keine Rolle spielt, Männer als Gruppe unsichtbar sind, womit die von Eduards (2002) geäußerte These der Genderlosigkeit von Männern auf der sprachlichen Ebene bestätigt wird.130 Grünbaum (1996) nimmt in ihrer obigen Argumentation auf eine soziale gegenderte Realität für den Beruf der Grundschullehrer/in, der in Schweden fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wird, Bezug, betont aber gleichzeitig, dass dies nicht sprachlich zum Ausdruck kommen müsse. Diese Argumentation findet sich an zahlreichen Stellen ihrer Ausführungen, wenn sie hervorhebt, dass es bei Tätigkeits-benennungen unnötig sei, Gender mit auszudrücken – wobei sich dies immer lediglich um die Benennung von Weiblichkeit handelt. Dass mit den Tätigkeitsbezeichnungen verknüpfte prototypische Vorstellungen gegendert sind, bleibt bei ihr auch deswegen unbeachtet, da ihre Argumentation Bedeutung in Wörtern verortet und somit eine Trennung zu einer außersprachlichen Wirklichkeit und einer mit Sprachgebrauch verbundenen Konzeptualisierung möglich wird. Der enge Bezug der Debatte um sprachliche Genderunspezifizierung zu Tätigkeitsbenennungen spiegelt die im zweiten Unterkapitel dieses Kapitels herausgearbeitete Feststellung, dass Gleichstellungsbestre-bungen stark an Arbeitsmarktpolitik in Schweden geknüpft sind. Häufig wird von einem ‚Wegfall‘ von Endungen gesprochen, wodurch gleichzeitig die Formen auf –are als Grundformen hergestellt werden, was durch die Darstellung im dritten Kapitel aus synchroner Perspektive kritisiert wird. Darüber hinaus ist dort aufgezeigt worden, dass mit einem Gebrauch der entsprechenden Formen prototypische, genderspezifizierend männliche Konzeptualisierungen verbunden sind, die in den Status des Allgemeinmenschlichen erhoben werden. Der Wegfall der ____________
sind sicherlich Lehrerinnen, aber das muss man nicht jedes Mal besonders betonen, wenn der Beruf zur Sprache kommt.‘ 130 Vgl. das zweite Unterkapitel dieses Kapitels, wo Eduards (2002) These besprochen wird.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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suffigierten genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen als Strategie sprachlicher Veränderung im Schwedischen trägt mit dazu bei, dass eine prototypisch männliche Normvorstellung als Allgemeinmenschliche weiter befördert und verfestigt wird. Dies entspricht den Analysen des schwedischen Gleichstellungskonzepts. Zudem lässt sich an einzelnen Formen eine mit ihrer Ersetzung verbundene Euphemisierung von gegenderten Machtverhältnissen ablesen. In einer Ersetzung der Form städerska ‚Putzerin‘ durch städare ‚Putzer(In)‘ oder im weiteren auch durch lokalvårdare ‚BüropflegerIn‘ kommt nicht unbedingt eine Genderneutralität zum Ausdruck, sondern vielmehr ein Euphemismus für eine stereotyp genderspezifizierend wahrgenommene Tätigkeit, die durch diese Benennungspraxis eine gesellschaftliche Höherbewertung erfahren soll, die darin liegt, dass ihre gegenderte Konzeptualisierung sprachlich unsichtbar gemacht und entnannt wird. Eine weitere Steigerung dieses Mechanismus findet sich in der Form städhjälp ‚Putzhilfe‘, mit der eine personale Appellation nicht nur genderneutralisiert, sondern auch entmenschlicht wird. Der Status derjenigen (Frauen), die diese Tätigkeit ausüben, wird unsichtbar gemacht. Die entsprechende Tätigkeiten in Anspruch nehmenden Menschen müssen sich potentiell weniger Gedanken über die sozialen Aspekte der Inanspruchnahme einer solchen Arbeitsleistung machen. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Genderneutralisierung der Appellationspraktiken nicht unbedingt einen positiven Effekt haben und/oder zu einer genderneutralisierten Konzeptualisierung der so Benannten führen muss. Das häufigste Beispiel, das in dem Zusammenhang des Wegfalls genderspezifizierend weiblicher Suffigierungen in der Regel herangezogen wird, ist die Form lärarinna ‚Lehrerin‘, die als veraltet und historisierend erklärt wird und an der exemplarisch ein vollzogener Sprachwandel zu einer genderneutralen Form aufgezeigt wird.131 Dieses Beispiel wird auch in den Medien verwendet, um die offensichtlich stattgefundene Veränderung des Schwedischen zu einer größeren Neutralität zu belegen, so Adelswärd in Svenska Dagbladet vom 10.8.2000: „Under senare år har man framgångsrikt strävat efter att använda könsneutrala yrkesbeteckningar; ordet lärarinna har bytts mot lärare [...].“132. In dieser Argumentation wird
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131 Vgl. für die wissenschaftlichen Literatur u.a. Himanen (1990), Lorentzon (2002). 132 ‚In den letzten Jahren ist erfolgreich danach getrachtet worden geschlechterneutrale Berufsbezeichnungen anzuwenden, das Wort Lehrerin wurde ausgetauscht gegen Lehrer(In).‘ Viveka Adelswärd 2000 „Simmare och professorskor“ ‚Schwimmer(In) und Professorin,
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
die ursprünglich genderspezifizierend männlich appellierende Form als genderunspezifizierende dargestellt und dies als gegeben und selbstverständlich impliziert. Die Genderunspezifizierung der Form wird darin gesehen, dass es nur eine Form und nicht zwei genderdichotom angeordnete Formen zur Appellation gibt. Dies bedeutet aber nicht, dass die Appellation damit genderunspezifizierend ist oder die so geleistete Appellation als eine genderneutrale aufgefasst wird. Der Aspekt, der hier außer acht gelassen wird, ist die Frage der sozialen Stereotypisierung bestimmter Tätigkeiten und der genderprototypischen Konzeptualisierungen, die mit diesen verbunden sind oder durch die Formen aufgerufen werden. Diese spielt an einer späteren Stelle desselben Artikels eine Rolle, wenn eine Begründung dafür gesucht wird, warum es in einigen Fällen immer noch genderspezifizierende Suffigierungen gibt: „Även om bruket av de funktionella femininerna också minskar så finns det några frekventa ord som bildats med hjälp av det nordiska –erska. Jag tänker på sjuksköterska, skådespelerska och sångerska. För de två sista gäller kanske att man ofta uppfattar yrkesrollen som könsspecifik.“133
Auch diese Argumentation findet sich durchgängig in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema wieder. Hier wird implizit eine Differenzierung zwischen sozialer Stereotypisierung und als natürlich zugeschriebenen Gendercharakteristika aufgemacht, indem sjuksköterska und lärarinna bzw. lärare nicht als genderspezifizierende Tätigkeitsrollen aufgefasst werden. Die Form sjuksköterska dient als Symbol für ein Auto- und Heterostereotyp von Schweden als gleichgestellte Gesellschaft, da es hier zu einer Übernahme genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen auch zur genderunspezifizierenden Appellation gekommen ist, was sprachvergleichend als eine Ausnahme dargestellt und der fortschrittlichen schwedischen Gesellschaft zugeschrieben wird. Grünbaum (1996: 116f.) schreibt die Entscheidung die Form sjuksköterska als genderunspezifizierende Benennung in Schweden zu verwenden dem schwedischen Krankenschwesternverband zu und personalisiert diese Sprachentwicklung als machtvolle ____________
wiederabgedruckt auf http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/sprak00/ sprak001008.asp vom 14.2.2003 133 ‚Auch, wenn sich der Gebrauch der funktionellen Femina vermindert, gibt es heute doch noch einige frequente Wörter, die mit Hilfe des nordischen –erska (-erin) gebildet werden. Ich denke an Krankenschwester, Schauspielerin und Sängerin. Für die beiden letztgenannten gilt vielleicht, dass man die Berufsrollen als geschlechtsspezifisch auffasst.‘ Ebd. Auch hier findet wieder eine Vermischung von Genus- und Genderspezifizierung statt. Auf die Argumentation der Gendernatürlichkeit der künstlerischen Berufe ist im dritten Kapitel eingegangen worden.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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Entscheidung einer einzelnen Institution, so dass auch hier eine Überlegung sozialer und prototypischer Konzeptualisierung des Berufs keine Rolle spielt.134 In der im Jahre 2003 verfassten Sprachratgebung von Svenska språknämnden135 wird hinsichtlich der Formen barnmorska ‚Hebamme‘ und sjuksköterska darauf verwiesen, dass es sich um klassische Frauenberufe handeln würde. In der Argumentation ist wiederum impliziert, dass es sich um eine sprachliche Manifestation eines älteren gesellschaftlichen Zustandes handelt. Diesen klassischen Frauenberufen werden in der Argumentation zudem nicht klassische Männerberufe gegenübergestellt, sondern an diesem Punkt wird lediglich von Formen, die auf –man enden, gesprochen. Eine prototypisch männliche Besetzung vieler Tätigkeitsbereiche wird nicht benannt, eine Genderspezifizierung wiederum ausschließlich als weibliche hergestellt. Im Gegensatz zu den sonstigen Diskussionen ist dieser sprachpflegerische Kommentar darüber hinaus der einzige, in dem die Formen dansös ‚Tänzerin‘ und skådespelerska ‚Schauspielerin‘ indirekt hinterfragt werden, wenn auch hier ein Wechsel der Benennungspraxis empfohlen wird: „Likaså bör man undvika äldre yrkesbeteckningar av detta slag om det är möjligt. Skriv alltså: Hon är dansare; Stina Ekbladh är en av Sveriges främsta skådespelare.“136 Es wird in den entsprechenden Strategien und ihrer Propagierung eine Differenzierung zwischen natürlicher und sozialer Geschlechtlichkeit reproduziert und personale Appellationsformen, werden sie als genderspezifizierend kategorisiert, zugleich als Ausdruck einer natürlichen Geschlechtlichkeit hergestellt. Die Vorstellung einer Natürlichkeit von Gender wird auf diese Weise machtvoll reproduziert und weiter tradiert. Sie wird durch die feministischen Sprachveränderungsvorstellungen nicht aufgelöst, sondern weiter verfestigt. Ausgehend von dieser Feststellung lässt sich die Motivation für eine für das Schwedische vor allem propagierte Sprachveränderungsstrategie erklären, die sich eine Genderneutralisierung als ihr Ziel in Bezug auf die meisten substantivischen personalen Appellationsformen setzt. Mit Ausnahme der Tätigkeiten, Rollen und
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134 Die genderunspezifizierende Verwendung der Form barnmorska schreibt sie in diesem Zusammenhang dem Fehlen einer Alternative zu, wozu sie verschiedene ältere Benennungen der Tätigkeit heranzieht, die sie alle verwirft. Eine Ebene eines kreativen und schöpferischen Sprachgebrauchs sieht sie in ihrer Argumentation nicht gegeben. 135 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id?id?26282 vom 27.8.2003. 136 ‚Genauso sollte man ältere Berufsbezeichnungen dieser Art vermeiden, wenn es möglich ist. Schreib also: Sie ist TänzerIn. Stina Ekbladh ist eine von Schwedens hervorragendsten SchauspielerInnen.‘ Ebd.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Funktion, die über eine angenommene und so wieder hergestellte natürliche Geschlechtlichkeit definiert werden, was vor allem für Verwandtschaftsbezeichnungen und sexualisierte Relationen gilt, wie in Kapitel 3 gezeigt worden ist, wird die Annahme einer gegenderten Konzeptualisierung negiert, was, wie weiter oben in diesem Kapitel dargestellt, auch in der öffentlichen Gleichsetzung von feminism und jämställdhet zum Ausdruck kommt. Die öffentlich diskutierten Sprachveränderungsstrategien bestätigen ein Bild einer Zweiteilung zwischen einer natürlichen und einer sozialen Geschlechtlichkeit. Während die natürliche Geschlechtlichkeit unhinterfragt und unangetastet bleibt, soll die soziale Geschlechtlichkeit zu Gunsten einer Gleichstellung überwunden werden. Ausgehend von dieser Feststellung ist im dritten Kapitel analysiert worden, wo in der heutigen schwedischen Konzeptualisierung die Grenzziehungen zwischen einer sozialen und natürlichen Geschlechtlichkeit gezogen werden. Auf diese Weise ist die Herstellung einer Natürlichkeit von Gender auf der sprachlichen Ebene analysierbar. In den Fällen, in denen eine soziale Geschlechtlichkeit angesetzt und angenommen wird, ist es in Bezug auf personale Appellationsformen die vorherrschende Strategie, diese durch so aufgefasste oder propagierte genderunspezifizierende Formen zu ersetzen, wohingegen diese Frage für Bereiche einer zugeschriebenen natürlichen Geschlechtlichkeit in den Diskursen um strategische Sprachveränderung nicht gestellt wird. Genderunspezifizierung wird dabei mit einer männlichen Norm(al)vorstellung von Menschlichkeit, der gegenüber Weiblichkeit die prototypische Vorstellung von Gender ist, gleichgesetzt. Die Übernahme der genderspezifizierend männlichen als genderunspezifizierende Appellationsformen ist die logische Konsequenz dieser Auffassung. Die feministische Strategie der Genderneutralisierung für schwedische substantivische personale Appellationsformen geht an diesem Punkt mit einer breiteren öffentlichen Debatte, in der diese Zweiteilung zwischen natürlicher und sozialer Geschlechtlichkeit wiederaufgenommen und weiter verfestigt wird, konform. Wird auf die feministische Diskussion und Politik seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, die auch für die Frage sprachstrategischer Veränderungen zentral gewesen ist, Bezug genommen, so wird diese teilweise als ideologischer Hintergrund dafür stilisiert, dass sich die Bedeutung von personalen Appellationsformen geändert habe, ohne dass die Formen an sich zur Diskussion gestanden hätten. „Jämställdhetskampen förändrade innebörden. Att den ursprungligen maskulina formen fått könsneutral
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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betydelse är en seger för likhetsfeminsmen, tror jag, inte ett utslag av manschauvinistikt osynliggörande.“137 In dieser Argumentation wird eine strategische Sprachveränderung als unnötig verworfen und Sprache als eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen hergestellt. Strategische Sprachveränderung wird implizit in einem additiven Verhältnis zu gesellschaftlichen Veränderungen gesetzt und nicht als aktiver Moment sozialer Wirklichkeiten und Veränderungen wahrgenommen.138 Feminismus wird mit einem Bestreben nach Gleichstellung gleichgesetzt.139 Zugleich wird indirekt auf ein Argument, welches eine entsprechende Sprachveränderung nicht als eine feministische Errungenschaft ansieht, Bezug genommen. Dieses wird jedoch lediglich in der Gegenüberstellung zu der Postulierung von Gleichstellung verworfen. Die Argumentation zeigt, dass in der öffentlichen Diskussion neben der Propagierung einer Gleichstellung durch eine vorgebliche Genderneutralität personaler Appellation auch anderen Argumentationen indirekt antizipiert werden. In der Beantwortung einer weiteren Frage zu der Verwendung genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen aus dem Bereich des Sports auf der Homepage von Svenska språknämnden findet sich m.W. die einzige Stelle im aktuellen sprachpflegerischen Diskurs, in der explizit darauf hingewiesen wird, dass es keine eindeutige parallele genderspezifizierend männliche Appellationsform zu hopperska ‚(Hoch)Springerin‘ gibt, sondern man hier die Form manlig hoppare ‚männlicher (Hoch)Springer‘ benutzen müsse.140 Dass es sich um einen aktuellen Eintrag handelt, kann hier der Beginn einer langsamen Veränderung der sprachpflegerischen Position vermutet werden. Sprachveränderungen, die in einer Veränderung konventionalisierter Konzeptualisierungen genderspezifizierend weiblicher Appellations-
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137 ‚Der Gleichstellungskampf veränderte den Inhalt. Dass die ursprünglich maskuline Form eine geschlechtsneutrale Bedeutung bekommen hat, ist ein Sieg des Gleichheitsfeminismus, glaube ich, nicht Ausdruck einer männlich-chauvinistischen Unsichtbarmachung.‘ Olle Josephson 1999 „Hur skriver man könsneutralt?“ Svenska Dagbladet 12.9.1999 wiederabgedruckt auf: http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/sprak99/ sprak990912.asp vom 14.2.2003 138 Vgl. hierzu auch das Zitat von Grünbaum (1996), welches zu Beginn dieses Unterkapitels wiedergegeben und interpretiert wurde. 139 Zu beachten ist hier natürlich die verwendete Metapher des Kampfes sowie die starke, durch emotionale Ausdrücke geschaffene Polarisierungen zweier möglicher Sichtweisen. 140 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=23654;objekttyp=lan vom 6. Dezember 2005
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
formen liegen, werden in der öffentlichen Debatte nicht diskutiert. So führt Thorell (1977) aus, dass die Suffixe –inna, -ska, -ess(a), -issa, -ös und –a aus einer substantivischen Basis konventionalisiert genderspezifizierend weiblich appellierende personale Formen machen, die einer von vier Kategorien zugerechnet werden können, von der eine die Benennung einer Frau in Anlehnung und Abhängigkeit von ihrem Ehepartner und dessen Titel (hertiginna ‚Herzogin‘, kejsarinna ‚Kaiserin‘, professorska ‚Professorin‘) ist. Das in dieser Kategorie aufgestellte Kriterium der Benennung einer Frau in Anlehnung und Abhängigkeit von ihrem Ehepartner kann heute weitgehend als veraltet und nicht mehr gebräuchlich gelten, so dass hier von einem Sprachwandel innerhalb der letzten 20 Jahre in Bezug auf dieses Phänomen ausgegangen werden kann. Eine weitere strategische Sprachveränderung, die nur selten Erwähnung findet, ist die Ersetzung der Form ungmö ‚Jungfer‘ durch ungkarlsflicka ‚Jungkerlmädchen‘. Viel stärker als bei riksdagsledamot ‚Reichstagsmitglied‘ scheint es sich um eine theoretisch diskutierte Ersetzung zu handeln, die außer in Wörterbüchern keinen Eingang in den allgemeinen öffentlichen Sprachgebrauch gefunden hat.141 Bei Svenska språknämnden findet sich auf der Homepage in der Fragespalte von 2003142 eine kurze Kommentierung der Frage, wie eine genderspezifizierende Appellation zu realisieren sei. Es wird eine Attribuierung substantivischer personaler Appellation durch kvinnlig ‚weiblich‘ und manlig ‚männlich‘ empfohlen, wie es ähnlich auch bei Grünbaum (1996 und 1997) als zu favorisierende Strategie genannt wird. In diesem Vorschlag ist die generelle Genderunspezifizierung substantivischer personaler Appellation impliziert und wird weiter tradiert, die in dieser Studie in Frage gestellt wird. Zusammenfassend können für diesen Teil der Analyse von strategischen Sprachveränderungen personaler substantivischer Appellationsformen in Bezug auf Gender folgende Ergebnisse festgehalten werden: x In der An- und Übernahme einer Strategie der feministisch motivierten und initiierten Sprachveränderung, in der eine Neutralisierung von personaler Appellation als Ziel formuliert wird, wird ein Konzept von Gleichstellung vertreten und immer wieder hergestellt, welches Differenzen auf epistemologischer Ebene negiert. Eine ungleiche Machtverteilung wird ausgehend von der Vorherrschaft des Modells der
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141 Vgl. Kapitel 3 und Kapitel 6 für ausführlichere Diskussionen. 142 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ vom 27.8.2003
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Gleichstellung nahezu ausschließlich auf der sozialen Ebene verortet und dort wissenschaftlich wie politisch strategisch analysiert und bearbeitet. Eine epistemologische Ebene mit einem Machtungleichgewicht hinsichtlich der symbolischen Ordnung bleibt unsichtbar und unverändert. Gleichstellung als Ziel und als Strategie wird ausschließlich auf der Ebene sozialer Macht verortet. Die Notwendigkeit der Sichtbarmachung von Genderdifferenzen durch sprachliche Appellationspraktiken muss in diesem Konzept anvisierter und erreichter Gleichstellung folglich negiert oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden: Durch genderdifferente sprachliche Appellationen würden Genderdifferenzen in Bereichen aufrecht erhalten, die eigentlich genderneutral sein oder werden sollten. Dazu zählt im Konzept schwedischer Gleichstellungspolitik insbesondere der Bereich der beruflichen Tätigkeiten. Eine Praxis, die lediglich eine substantivische Appellationsform als Strategie gegenderter Gleichstellung kennt und/oder will, leistet zugleich aber einer Unsichtbarmachung sozialer gegenderter und umso wirkungsvollerer Machtunterschiede Vorschub und begünstigt diese. Dies bleibt ebenso unsichtbar oder wird unsichtbar gemacht. Die symbolische Genderordnung bleibt im öffentlichen Raum durch die Strategie der Verwendung genderspezifizierend männlicher Formen als genderunspezifizierende nahezu unangetastet.143 Dies ist mit der entsprechenden Propagierung jedoch zunehmend unsichtbar. „Många en gång manliga former har fått släppa ifrån sig sin ensidiga syftning och blivit vad man kallar könsneutrala. Det löser många problem. Man behöver inte i varje läge tala om huruvida det är män eller kvinnor som avses, eller båda.“144 (Grünbaum 1996: 113) Die Genderunspezifizierung der vormals genderspezifizierend männlich appellierenden Formen wird als Faktum präsentiert, ohne Evidenzen dafür anzubieten. Die Annahme einer gesellschaftlichen Gendergleichstellung wird hier auf eine sprachlich konventionalisierte Praxis
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143 Nur innerhalb feministischer Forschungen finden sich hierzu zahlreiche ‚Gegen‘beispiele, in denen es, wenn auch häufig implizit, um die Verhandlung der symbolischen Genderordnung geht. 144 Viele einmal männliche Formen haben sich von einer einseitigen Referenz befreit und sind das geworden, was man geschlechtsneutral nennt. Das löst viele Probleme. Man muss nicht in jeder Situation darüber sprechen, inwiefern es sich um Männer oder Frauen handelt, die mit einer Nennung beabsichtigt sind, oder um beide.‘ Hier wie in zahlreichen der zuvor angeführten Zitate wird sichtbar, dass die Handlungsdimension in diesen Fällen jeweils der Sprache selbst zugeschrieben wird.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
transferiert, in der die Annahme der Genderunspezifizierung alleine daran festgemacht wird, dass es keine oppositionellen, genderdifferenzierenden Formen in vielen Fällen mehr gibt, sondern lediglich eine Form, die vormals genderspezifizierend männlich appellierend gewesen ist. In der Art der Darstellung wird dies zusätzlich als eine sprachinhärente, natürliche und eigendynamische Entwicklung konstruiert, wenn Sprache die Agensposition einnimmt. Durch eine Unterstellung von Genderneutralität wird diese für den Gebrauch dieser Formen erst hergestellt und auf diese Weise unhinterfragbar. Eine Genderdifferenzierung der Benennungspraktiken in anderen Bereichen als den Verwandtschafts- und sexuellen Relationen würde ebenso dem schwedischen Prinzip der Gendergleichstellung wie der Annahme einer bereits erreichten Gleichstellung im schwedischen Modell widersprechen. So verstanden kann die schwedische Gleichstellungspolitik als ein äußerst machtvolles Instrument der ReProduktion epistemologischer gegenderter Machtverhältnisse angesehen werden. Ausgehend von dieser Perspektive werden nicht nur die für das Schwedische diskutierten Strategien feministischer Sprachveränderungen verständlich, sondern gleichzeitig auch die geringe Relevanz, die einer entsprechenden Forschung sowohl im wissenschaftlichen Umfeld wie in der öffentlichen Diskussion beigemessen wird. Nicht weiter verwunderlich ist es darüber hinaus, dass es ‚natürlich‘ weder zu den substantivischen Verwandtschaftsbezeichnungen noch zu den personalen Benennungen von Personen als Teil von heterosexuellen Paarrelationen Vorschläge für und Diskussionen zu einem veränderten Sprachgebrauch gibt, sondern dass diese auf die Fälle angenommener sozialer Geschlechtlichkeit beschränkt sind. Die propagierte Genderneutralität als Ziel von Benennungen ist ausschließlich auf die Fälle bezogen, in denen Geschlechtlichkeit nicht als natürlich wahrgenommen und reproduziert wird.
5.4.2 Pronomina Ähnlich, wie im Englischen vor allem die pronominale Form he in pseudogenderunspezifizierendem Gebrauch kritisiert worden ist, liegt auch auf der pronominalen Form der dritten Person Singular han im Schwedischen ein Schwerpunkt der Sprachkritik und für Sprachveränderungsvorschläge. In einer ganzen Reihe von einschlägigen Veröffentlichungen und Kom-
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mentaren ist dies sogar die einzige Form, die ein öffentliches Interesse auf sich zieht. Es entsteht der Eindruck, dass sich ein genderunspezifizierender Sprachgebrauch und eine Diskussion um denselben lediglich an diesen Formen festmachen ließe. Es herrscht allgemein eine Tendenz vor, jegliche Sprachveränderungsstrategien dadurch negativ zu bewerten, dass sie den Sprachgebrauch umständlicher machen würden, unschön und unästhetisch wären. So spricht Josephson in Svenska Dagbladet vom 12.9.99 beispielsweise davon, dass es sich jeweils um „slingriga undvikandestrategier“145 handelt. Die hier implizierte Perspektive sieht in einer Bemühung konkreter genderspezifizierender und –konkretisierender Benennungen damit ein nur sekundäres und zu vernachlässigendes Ziel gegenüber einer abstrakten Norm sprachlicher Ästhetik. Wie auch bei den Substantiven ist das jeweils als gegeben vorausgesetzte Ziel die Herstellung einer Genderneutralität, die an sich als Möglichkeit und in ihren Konstitutionsbedingungen nicht weiter diskutiert und hinterfragt wird. Dies zeigt sich beispielsweise in der Überschrift des zuvor diskutierten Artikels von Josephson: „Hur skriver man könsneutralt?“ ‚Wie schreibt man geschlechtsneutral?‘146 Genderspezifizierung wird nur für die Fälle angesetzt, in denen es um Darstellungen heterosexueller Paarverhältnisse geht, die durch eine Genderdichotomisierung der Benennung eindeutig zum Ausdruck gebracht werden sollen. Es finden sich verschiedene vorgeschlagene Strategien zur Genderneutralisierung in der Verwendung von Personalpronomina der dritten Person Singular, auf die im öffentlichen Diskurs um strategische Sprachveränderungen direkt und indirekt Bezug genommen wird. Es können verschiedene Vorschläge zur Ersetzung von han/honom ‚er/ihn/ihm‘ unterschieden werden. Sie werden im folgenden einzeln unter Betrachtung ihrer diskursiven Verhandlung diskutiert. Vorschlag: han eller hon ‚er oder sie‘ oder hon eller han ‚sie oder er‘ respektive honom eller henne ‚ihn oder ihr‘ oder henne eller honom ‚ihr oder ihn‘. In der Fragebogenuntersuchung von Himanen (1990) haben über 60% der Informant/inn/en angegeben, dass sie bei genderneutraler Appellation im mündlichen Sprachgebrauch und 48% im Schriftsprachgebrauch die Doppelform, insbesondere han eller hon, benutzen würden. Dieses Ergeb-
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145 ‚Sich windende Ausweichstrategien‘, wiederabgedruckt auf: http://www.svd.se/statiskt/ kultur/sprak/sprak99/sprak99092.asp vom 14.2.2003. Entsprechende rhetorische Formulierungen sind in diesem Zusammenhang häufig anzutreffen. 146 Ebd.
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nis stimmt nicht mit dem tatsächlichen, festgestellten Sprachgebrauch sowohl im öffentlichen schriftsprachlichen Kontext wie auch im mündlichen Sprachgebrauch überein, wie in Kapitel 6 ausgeführt wird. Die hohen Werte lassen ein gewisses Bewusstsein für mögliche Sprachveränderungen erkennen, die als Antworten in dem Fragebogen reproduziert werden. Dies deutet zumindest auf eine Wahrnehmung einer entsprechenden Diskussion in der schwedischen Öffentlichkeit hin, wenngleich diese Ergebnisse nicht aussagekräftig sind, um den tatsächlichen Sprachgebrauch einzuschätzen. Innerhalb der traditionellen sprachpflegerischen Tradition wird han als das historisch gewachsene, genderunspezifizierende Pronomen angesehen und durch eine entsprechende Bezugnahme auch immer wieder als solches hergestellt.147 Dass es eine Veränderung im Sprachgebrauch gibt, so dass sich neben han auch die Form han eller hon findet, wird auch in den Veröffentlichungen eher konservativer Sprachpflegeinstitutionen anerkannt. So nimmt Wellander in seiner umgearbeiteten Neuauflage seines sprachpflegerischen Werkes von 1973 darauf Bezug, dass sich im heutigen Sprachgebrauch auch die Form han eller hon zur genderunspezifizierenden Appellation finde. Wellanders Veröffentlichung von Riktig svenska ‚Richtiges Schwedisch‘ von 1939 ist bis heute ein Standardwerk schwedischer Sprachnormierung, welches Sprachpflege unter vier Prämissen zusammenfasst: Skriv klart, skriv enkelt, skriv kort, skriv svenska ‚schreib klar, schreib einfach, schreib kurz, schreib schwedisch‘. Sein Buch hat 1973 eine veränderte Neuauflage erfahren, welche in einigen, für das vorliegende Thema wichtigen Punkten von der Erstauflage abweicht. Auch Wellander (1973) vertritt insgesamt die Annahme eines natürlichen, von sprachlicher Benennung unabhängigen Genders und sieht gewisse Übereinstimmungen zwischen diesem und dem grammatischen Genus, wenn er schreibt: „Då naturligt kön och grammatiskt genus råkar i strid bör vid val av pronomen så vitt möjligt det naturliga könet råda.“148 (Wellander 1973: 118)149 Diese Aussage impliziert die Möglichkeit einer Überein-
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147 Vgl. Molde (1976) als wichtige Ausnahme im Anschluss an SOU 1975/102. Vgl. weiter oben. 148 ‚Wenn natürliches Geschlecht und grammatisches Geschlecht im Streit miteinander liegen, soll bei der Wahl eines Pronomens so weit als möglich das natürliche Geschlecht bestimmend sein.‘ 149 Vgl. auch Wellander (1973: 196): „Då grammatikens genus strider mot det naturliga könet bör även i vårdat skriftspråk det naturliga könet så snart som möjligt få råda.“ ‚Wenn das grammatische Geschlecht gegen das natürliche streitet, soll auch in der gepflegten Schriftsprache so bald als möglich das natürliche Geschlecht bestimmend sein.‘
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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stimmung zwischen Genus und Gender, die so gleichzeitig hergestellt und als gegeben gesetzt wird. Während er in Bezug auf Personalpronomina der dritten Person Singular bis in die Auflage von 1955 postuliert, dass han die genderunspezifizierende Wiederaufnahme für maskuline (!) Substantive sei und damit genderneutral, verändert er seine Argumentation in der Auflage von 1973 und antizipiert, dass ‚heutzutage‘ auch han eller hon immer öfter in dieser Funktion zu finden sei. „Då dylika personbeteckningar brukas allmänt, utan avseende på individens kön eller med avseende på båda könen, används i vårt språk sedan urminnes tid han. [...] Nu för tiden, när man annars gärna undviker könsskiljande yrkesbeteckningar såsom lärare och lärarinna, skådespelare och skådespelerska, sjukskötare och sjuksköterska, heter det emellertid allt oftare: Den resande får själv bestämma på vilket 150 hotell han eller hon önskar bo.“ (Wellander 1973: 118)
Es wird die Annahme eines natürlichen Ursprungs für eine Argumentation für eine bestimmte Sprachform herangezogen, wie sie auch schon weiter oben in den staatlichen Veröffentlichungen zur Sprachpflege zu finden war. Aus konstruktivistischer Perspektive sind Aufrufungen von sprachlichen Ursprüngen als Herstellung eines Orginals in Frage zu stellen. Die Beispiele, die er im folgenden zitiert, lassen keine Gewichtung zwischen den Formen han eller hon ‚er oder sie‘, han resp. hon ‚er resp. sie‘, han/hon ‚er/sie‘, han (hon) ‚er (sie)‘ erkennen, sondern er nennt sie in einer aufzählenden Reihe in Form von Beispielen. In seiner Darstellung findet sich eine Anerkennung eines veränderten Sprachgebrauchs, der trotz allem unterschiedlich bewertet wird: Während han in genderunspezifizierender Verwendung in Form einer Regel genannt wird, finden sich für die unterschiedlichen Formen der Doppelnennung lediglich Zitierungen, aber keine eigene Regelbenennung bei Wellander (1973). Wie bereits weiter oben diskutiert, wird von Molde (1976) auf der Grundlage eines staatlichen Berichts zur Gesetzessprache eine notwendige und beginnende öffentliche Sprachveränderung postuliert, in der er die Doppelform han eller hon als eine wichtige Neuerung ansieht. Im Gegen-
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150 ‚Werden Personenreferenzformen allgemein benutzt, ohne Berücksichtigung des individuellen Geschlechts oder mit Hinblick auf beide Geschlechter, wird in unserer Sprache seit Urzeiten er benutzt. Heutzutage, wenn man möglichst versucht geschlechtsspezifische Berufsbezeichnungen zu vermeiden, wie Lehrer und Lehrerin, Schauspielerin und Schauspieler, Krankenpfleger und Krankenpflegerin heiƢt es mittlerweile immer häufiger Der/die Reisende muss selbst bestimmen, in welchem Hotel er oder sie zu wohnen wünscht. Vgl. Wellander (1939: 227) dieselbe Stelle: „Då dylika personbeteckningar brukas allmänt, utan avseende på individens kön eller med tanke på båda könen, används vanligen han [...].“ ‚Seit Urzeiten‘ ist hier mit ‚normalerweise‘ ersetzt.
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satz dazu vertritt 15 Jahre später Clausen (1991)151, ebenfalls als Sprachpflegevertreterin von Svenska språknämnden, eine kritische Einstellung gegenüber der Form han eller hon und prognostiziert, dass sie sich auf lange Sicht nicht wird durchsetzen können, sondern dass han weiterhin genderunspezifizierende pronominale Appellationsform der dritten Person Singular bleiben würde. Damit widerspricht sie der positiven Begrüßung entsprechender Sprachveränderungen durch Molde 15 Jahre früher, was zugleich die starke Veränderung innerhalb der einschlägigen Diskussion von Seiten staatlich finanzierter Sprachpflegeinstitutionen aufzeigt. Norén (1993) interpretiert die offizielle Sprachpflegediskussion bis zu diesem Zeitpunkt als eine positive Anerkennung der Form han eller hon zur genderunspezifizierenden Appellation. Diese Einschätzung wird in der vorliegenden Arbeit in dieser Allgemeinheit nicht geteilt, wie aus der vorangegangenen Diskussion deutlich geworden ist. Die Beobachtung von Norén (1993), dass diese Strategie in medialen Texten derselben Zeit nicht umgesetzt worden sei, verwundert aus der in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Interpretation der Aussagen der Sprachpfleger/innen hingegen nicht. Etwas über zehn Jahre später hat sich die offizielle Linie von Svenska språknämnden in diesem Punkt dann noch einmal bemerkenswert verändert. So heißt es in den ins Internet gestellten Sprachempfehlungen von 2003: „Fråga: Vilket könsneutralt pronomen kan jag använda i följande mening: „Om en elev vill överklaga ett betyg bör han/hon/han eller hon/den/denne först vända sig till rektor“? Svar: För ett trettiotal år sedan gick det ännu bra att skriva han i sådana sammanhang. I dag går det inte längre. Det finns olika sätt att lösa (http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch. problemet.“152 aspx?id?id?26009; vom 27.8.2003)
Es kann hier ganz aktuell zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Veränderung der offiziellen schwedischen sprachpflegerischen Auffassung zu diesem Punkt konstatiert werden, von dem zu erwarten ist, dass er sich in Zukunft wird durchsetzen können und entsprechende Veränderungen des schriftsprachlichen Gebrauchs mit sich bringen wird. Dies ist zugleich die
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151 Zitiert in Siivonen (1994). 152 ‚Frage: Welches geschlechtsneutrale Pronomen kann ich in dem nachfolgenden Satz verwenden: „Wenn einE SchülerIn einen Widerspruch zu einer Bewertung einlegen will, muss er/sie er oder sie/ es/ dieseR sich zuerst an den/die RektorIn wenden“? Antwort: Vor dreiƢig Jahren konnte man noch gut er in solchen Kontexten schreiben. Heute geht dies nicht länger. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten das Problem zu lösen.‘
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einzige sprachpflegerische Äußerung innerhalb der letzten nahezu dreißig Jahre, in der die Genderunspezifizierung von han in Frage gestellt wird. Svenska språknämnden weicht an dieser Stelle von seiner bisherigen, konsequent verfolgten Auffassung der Genderunspezifizierung der Form han ab, die im obigen Zitat als historische Phase charakterisiert wird. Beachtenswert ist die Beschränkung der Fragestellung und der Empfehlung auf die Schriftsprache. Die erste einer Reihe unterschiedlicher Empfehlungen, die von Svenska språknämnden im weiteren Verlauf der Kommentierung auf der Internetseite ausgesprochen wird, um han zu vermeiden, ist die Verwendung der Doppelform han eller hon. Die Form bekommt hier im öffentlichen und halbstaatlichen Diskurs eine neue Relevanz. Vereinzelt finden sich in der Rechtssprachendiskussion Hinweise auf eine Aufmerksamkeit für die personalen Appellationsformen, die jeweils verwendet werden. In Svenska Dagbladet vom 18. Februar 1998 ist zu lesen, dass die Regierung überlege, im Strafgesetzbuch in den Paragrafen zu Misshandlung153 die Form honom ‚ihn/ihm‘ durch honom eller henne ‚ihn/ihm oder sie/ihr‘ zu ersetzen, womit die Regierung zum Ausdruck bringen will, dass weiblicher Missbrauch bisher qua Nicht-Benennung ignoriert worden sei. Diese Argumentation impliziert die Nicht-Neutralität von maskulinen pronominalen personalen Appellationsformen im Singular und widerspricht einer These ihrer kontextabhängig genderunspezifizierenden Appellationsleistung. Eine Notwendigkeit zu einer Verdeutlichung einer Genderspezifizierung wird nur für die Fälle angenommen, in denen eine genderstereotyp weibliche Wahrnehmung vorherrschend ist oder in offiziellen Textsorten wie Gesetzen, in denen ein Bezug auf heterosexuelle Paarrelationen, die nur durch eine Explizierung der Genderdichotomie deutlich werden könne, hergestellt wird. Die für Substantive weiter oben festgestellte Regel der Trennung zwischen sozialer und natürlicher Geschlechtlichkeit wird in den einschlägigen Argumentationen wieder hergestellt: „Det finns emellertid fall där det är uppenbart olämpligt att använda han. Det gäller dels när man refererar till representanter för klart kvinnodominerade yrken o. dyl., dels när det finns risk för att man skall tro att han bara står för den manliga parten t.ex. i bestämmelser om äktenskapliga förhållanden, efterlevandepension och dylikt.“154 (Mikael Reuter 1991 „Hon, han och honom“,
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153 Misshandel im schwedischen Original. 154 ‚Es gibt indessen Fälle, wo es offensichtlich ungeeignet ist er zu benutzen. Diese gilt zum Teil, wenn man auf eineN Repräsentantin/Repräsentanten eines klar frauendominierten
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Hufvudstadbladet 15. November 1991, wiederabgedruckt auf http://www.kotus.fi/ svenska/reuter/1991/151191.shtml vom 14.2.2003)
Die in Kapitel 5 entwickelte These, dass die sprachlich im Schwedischen zum Ausdruck gebrachte Genderspezifizierung gleichzeitig eine Manifestation von Heterosexualität darstellt bzw. in der Konzeptualisierung von Gender Heteronormativität konstituierend wirkt, wird bestätigt. An dieser Stelle wird diese ‚Regel‘ sogar relativ direkt benannt. Darüber hinaus wird auf die Relevanz sozialer stereotyper Wahrnehmung Bezug genommen, was ansonsten selten der Fall ist, und diese als ein Kriterium für die Verwendung der Doppelform herangezogen. Die schriftsprachlichen Formen han/hon werden ebenso wie die Form han(hon) in nahezu allen einschlägigen offiziellen Veröffentlichungen als Möglichkeit einer alternativen Formulierung verworfen, zu diesem Zweck jedoch jeweils zunächst erwähnt. Dies alleine schon deutet darauf hin, dass sie eine gewisse Verbreitung haben müssen, da ihre ablehnende explizite Nennung ansonsten unnötig wäre.155 Diese Ablehnung findet sich bereits bei Molde (1976): „En lösning som förekommer i nutida svenska, dock såvitt ja känner till aldrig i lagspråk eller annat författningsspråk, är att man skriver han/hon. Detta egendomliga skrivsätt för „han eller hon“ kan knappast rekommenderas, utan skall man ange båda könsalternativen, är skrvningen han eller hon (eller omvänt) den lämpligaste.“156 (Molde 1976: 5)
Dass diese Form eine bis heute gebräuchliche Verbreitung hat, bestätigt sich, betrachtet man den Internetchat auf der Seite der Musik- und Jugendzeitschrift Darling, in dem die Schrägstrichform häufige Verwendung findet. Doch auch in dem Korpus von Presstext157 finden sich für die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts zahlreiche Vorkommen dieser Form belegt.158 Während die Form mit Klammersetzung in der Regel überhaupt keine Erwähnung findet, wird die Schrägstrich-Form in der Regel mit dem ____________
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Berufs o.ä. referiert, zum Teil, wenn es eine Risiko dafür gibt, dass man annehmen könnte, dass er nur für den männlichen Teilen steht, z.B. in Bestimmungen zu Eheverhältnissen, Hinterbliebenenpensionsansprüchen und ähnliches.‘ Vgl. beispielsweise Statsrådsberedningen (1994: 14). ‚Eine Lösung, die im heutigen Schwedisch vorkommt, aber so weit ich weiƢ weder in der Gesetzes- noch der Verfassungssprache, ist, dass man er/sie schreibt. Diese eigenartige Schreibweise für er oder sie kann kaum empfohlen werden. Stattdessen ist die Schreibung er oder sie (oder umgedreht) am geeignetesten, sollen beide Geschlechtsalternativen angegeben werden. Für eine ausführlichere Einführung in das Korpus, vgl. Kapitel 6. Vgl. Kapitel 6.
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Zusatz erwähnt, dass dadurch der Lesefluss gestört sei und sie deswegen vermieden werden müsse.159 Diese These findet sich unhinterfragt in allen einschlägigen Quellen reproduziert, ohne dass ihre Validität überprüft worden ist. Auf persönliche direkte Nachfrage, warum die Schrägstrichform bis heute in den Empfehlungen verworfen würde, äußerte die Leiterin der Klarspråks-Gruppe im schwedischen Justizministerium, Barbro Ehrenberg, dass diese Verwendung zu technisiert sei.160 Auch hier ist die Annahme einer Natürlichkeit der Sprache unterlegt, die durch entsprechende strategische Veränderungen gestört sei. In den Empfehlungen auf der Homepage von Svenska språknämnden von 2003 wird diese Umformulierung erst gar nicht erwähnt, was auch eine Strategie darstellt, sie abzulehnen.
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159 Vgl. beispielsweise Reuter (1991). 160 Persönliche Kommunikation im Juni 2003.
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Vorschlag: Verschiedene Neubildungen zur Ersetzung der Form han Die in diesem Kontext am häufigsten genannte Formen sind hän und hen, die in Anlehnung an das Finnische geschaffen worden sind. Sie sind in feministischen Schriften zum Thema Sprache besonders in den späten 60er und frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts als eine mögliche Sprachveränderungsstrategie erwähnt worden, haben aber über diese Schriften hinaus keine nennenswerte Verbreitung gefunden.161 In der Zeitschrift Språkvård von Svenska språknämnden wird 1993 die Form haon für den schriftsprachlichen Gebrauch vorgeschlagen: „Enligt min uppfattning behöver vi ett pronomen som ger frihet att tänka och välja: här avses hon eller han eller både hon och han. Enligt den gammalmodigt höviska principen „damerna först“ skulle man då kunna tänka sig hoan, med tonvikt på o.“162 (Fröroth 1993: 5) Auch dieser Vorschlag ist nicht weiter verfolgt oder in der öffentlichen Debatte aufgenommen worden.163 Teleman (1995) erwähnt die Form h_n, die jedoch nur schriftsprachlich Anwendung finden kann und auch nicht weiter aufgenommen worden ist. Kulick (2004) benutzt die Form hin in einem Text. Diese Strategie dient bei ihm jedoch weniger der gendergerechten pronominalen Appellation als vielmehr einer Infragestellung von Gender.164 Vergleichbar mit der Form hän/hen listet Baron (1986) für das Englische 80 verschiedene Strategien im Laufe von fast hundert Jahren auf, das Pronomen he durch eine andere neue Form zu ersetzen. Keiner dieser Fälle der Erfindung einer neuen Form ist jedoch so erfolgreich gewesen, dass er über den idiolektalen Gebrauch, den Gebrauch in kleineren Gruppen oder kurze Momente einer größeren öffentlichen Wahrnehmung hinausgegangen ist. Auch die Form hän/hen hat sich im Schwedischen als genderunspezifizierende pronominale Form in den letzten 30 Jahren nicht etablieren können. Da Sprachen ansonsten eine durchaus großes kreatives Potential für Wortneuschöpfungen besitzen, kann es sich um spezifische Gründe der Art und des Inhalts dieser Sprachveränderungsstrategie handeln, die eine solche Änderung verhin-
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161 Vgl. Molde (1976: 7), Hultman (1992: 109). In letzterem wird auch auf die wenig frequente aber vorhandene Propagierung der Form hin hingewiesen. Vgl. auch Lainio (1993) mit einem Plädoyer für die Form hän, vgl. Dunger (1993) mit einem Plädoyer für hen. 162 ‚Meiner Auffassung nach brauchen wir ein Pronomen, das die Freiheit gibt zu denken und zu wählen. Hier beabsichtigt man er oder sie oder beide er und sie. GemäƢ dem alten höfischen Prinzip „die Damen zuerst“ könnte man sich hoan vorstellen, mit Betonung des o.‘ 163 Vgl. Språkvård 3 (1993). 164 Vgl. Hornscheidt (2006b).
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dert haben.165 Ein möglicher Grund liegt in einer fehlenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie im Fehlen eines über verschiedene soziale Gruppen hinweg vertretenen Wunsches für eine entsprechende strategische Sprachveränderung. Wird die Form als vorgeschlagene Sprachveränderung zitiert, so um die Absurdität eines entsprechenden Unternehmens darzustellen, wodurch zugleich auch die Anschauung weiter verfestigt wird, dass es sich bei Sprachveränderungen um natürliche Veränderungen handeln müsse, die nicht strategisch gesteuert sein könnten. Auch in den Empfehlungen von Svenska språknämnden aus dem Jahr 2003 wird eine neu entwickelte Form abgelehnt:166 „Däremot är det är [sic] ingen god idé att försöka införa hen (eller någon annan form – hin, hän) som könsneutralt pronomen. Det ser konstigt ut, och det är svårt att tro att man skulle kunna introducera ett så vanligt ord som ett pronomen utan minsta stöd i talspråket.“167 (http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003)
Interessant ist an dieser Argumentation die Bezugnahme auf die gesprochene Sprache, die implizit als notwendige Quelle für Sprachveränderungen postuliert wird, die ihrerseits dann wiederum auf den schriftsprachlichen Gebrauch als eigentlich Norminstanz bezogen werden. Das Argument der Ästhetik, welches im Zusammenhang von Sprachveränderungsstrategien häufig anzutreffen ist, wird vage angeführt und dadurch eine bestimmte ästhetische Norm als unhinterfragbar und gegeben präsupponiert. Vorschlag: Die genderunspezifizierende Verwendung der konventionalisiert genderspezifizierend weiblich appellierenden Form hon Teleman (1979) hat dies konsequent durchgeführt. Diskutiert worden ist diese Strategie bereits 1975 in dem staatlichen Bericht zur Verfassungssprache: „En annan utväg vore att i lagtexten genomgående begagna feminina pronomenformer och utgå från att befolkningens manliga hälft skulle rätta sig efter direkti-
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165 Wie im vorangegangenen Kapitel herausgestellt wurde, wird nicht von primären sprachlichen Faktoren in Sprachwandelprozessen ausgegangen. 166 Damit unterscheidet sich die heutige Diskussion in svenska språknämnden auffällig von der in den 70er Jahren, wie in der Besprechung von Molde (1976) deutlich geworden ist. 167 ‚Demgegenüber ist es hier keine gute Idee zu versuchen hen einzuführen (oder irgendeine andere Form hin, hän) als geschlechtsneutrales Pronomen. Es sieht seltsam aus, und es ist schwer sich vorzustellen, dass ein so gebräuchliches Wort wie ein Pronomen ohne die geringste Unterstützung aus der gesprochenen Sprache eingeführt werden könnte.‘
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ven, på samma sätt som kvinnor hittills har visat hörsamhet mot de direktiv som formellt är riktade till män. Ett argument mot en sådan lösning är att direktiven, mot bakgrunden av hittillsvarande språkbruk, skulle kunna uppfattas såsom avseende endast kvinnor. Detta argument har inte varit avgörande för TK [tystnadspliktkommittén; Anm. der Autorin].“ (SOU 1975/102)168
Wie auch schon bei Molde (1976) zeigt sich, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sehr viel weitgehendere Vorschläge diskutiert worden sind als in den nachfolgenden Jahrzehnten. Es ist zu fragen, ob zu dieser Zeit ein stärkerer Einfluss der neuen Frauenbewegung in Bezug auf sprachliche Vorschläge festzustellen ist. Pusch (1984) hat für das Deutsche ähnlich postuliert, dass eine Umdrehung der genderspezifizierenden sprachlichen Verhältnisse nach einer jahrhundertelangen Verwendung der genderspezifizierend männlichen Formen als genderunspezifizierende auch eine Form von Gerechtigkeit darstellen würde. Diese Strategie hat in den 80er Jahren besonders innerhalb von Veröffentlichungen, die die Schule und Schulbildung betreffen, eine größere Verbreitung gefunden.169 Dies mag mit daran liegen, dass Lehrerin ein prototypisch weiblicher Beruf in Schweden ist, so dass eine pronominale Appellation mit hon hier naheliegend erscheint. Hultman (1992) weist darauf hin, dass die Gruppen für Schwedischprüfungen in Malmö in ihren Materialien ebenfalls konsequent die Form hon als genderunspezifizierende Form verwendet hat. Er erklärt dies durch ein relativ hohes feministisches Bewusstsein, welches dazu beigetragen habe, dass sich eine solche Strategie in manchen Bereichen habe durchsetzen können. Die Strategie ist vielfach auch auf Widerstand gestoßen, wie das in Hultman wiedergegebene Zitat verdeutlichen kann: „[I] en ämbetsskrivelse (där språkformen förväntas vara s k normalprosa) [är det] enbart ett löjeväckande, förvänt progressivt och provokativt missfoster att använda pronomenet hon med generell syftning: en lärare – hon; en elev – hon.“170 (Hultman 1992: 108)
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168 ‚Ein anderer Ausweg wäre es in Gesetzestexten durchgängig weibliche Pronomenformen zu gebrauchen und davon auszugehen, dass der männliche Teil der Bevölkerung nach den Direktiven richtet, wie auch Frauen bis heute gehorsam gegenüber den Direktiva gewesen sind, die sich formell an Männer gerichtet haben. Ein Argument gegen eine solche Lösung ist, dass die Direktiva, vor dem Hintergrund des bisherigen Sprachgebrauchs, so aufgefasst werden könnten, dass sie nur Frauen meinen. Dieses Argument ist nicht ausschlaggebend für die Kommission gewesen.‘ Zitiert in Molde (1976: 5). 169 Vgl. Garme (1996). 170 ‚In einem Verwaltungsschriftstück (in dem die Sprache sog. Normalprosa sein sollte) ist es nur eine lächerlichmachende, erwartbar progressive und provokative Missgeburt das Pro-
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Auch Josephsson171 nimmt eine Verwendung der Form hon als genderunspezifizierende in einem Artikel in Svenska Dagbladet von 1999 zum Ausgangspunkt und zur Motivation eines ganzen Artikels, der sich mit Möglichkeiten einer genderneutralen Benennung auseinandersetzt und der Form hon diese Verwendungsmöglichkeit abspricht. Dass sich ein Sprachpfleger in einem Artikel so ausführlich mit dieser Form in einer potentiell genderunspezifizierenden Verwendungsweise beschäftigt, weist jedoch darauf hin, dass sie in gewissem Umfang diese Funktion übernimmt oder es eine entsprechende öffentliche Diskussion dazu geben muss. In einem Leser/innenbrief, der in Språkvård (1993) abgedruckt ist, wendet sich die Schreiberin ebenfalls gegen eine genderunspezifizierende Verwendung von hon, da sie diese nicht als gegeben sieht: „Däremot har jag reagerat varje gång det skrivits eller talats om tittaren – hon eller läraren – hon; mina tankar har då ofelbart manipulerats mot bilden av en kvinna i TV-fåtöljen resp. katedern.“172 (Reinhammar 1993: 6) Die durch die pronominale Form aufgerufene personale Appellation wird bemerkenswerterweise ausschließlich auf die genderspezifizierend weibliche Konzeptualisierung bezogen und nicht auf eine vergleichbare genderspezifizierend männliche durch die Form han übertragen, wodurch dies ein weiteres Beispiel dafür ist, wie Weiblichkeit zu Gender gemacht wird und Männlichkeit eine Allgemeinmenschlichkeit zugesprochen bekommt. Reinhammar (1993) schlägt stattdessen eine schriftsprachliche Verwendung von dem Buchstaben h als pronominale Appellation vor – ein Vorschlag, der bereits 1979 in einem wissenschaftlichen Artikel von Hyltenstam und Wassén umgesetzt wurde173, danach aber nicht mehr aufgenommen worden ist. Diese expliziten Auseinandersetzungen mit der Form hon im öffentlichen Diskurs zeigen, inwiefern eine solche strategische Sprachveränderung zu einer umfassenderen gesellschaftlichen Reflexion beitragen kann. Der Vorschlag ____________
nomen sie auch mit generischer Referenz zu benutzen: Der/die LehrerIn – sie, der/die SchülerIn – sie.‘ Swedjemark (1991): ”Skärskådat missfoster.” ‚Genau geprüfte Missgeburt‘ Skolvärlden 4; zitiert in Hultman (1992: 108). Bemerkenswert ist die immens starke Metaphorisierung des Sprachgebrauchs als Missgeburt hier, die für eine hohe Emotionalität des Schreibenden in dieser Sache spricht. 171 Olle Josephsson „Hur skriver man könstneutralt?“ ‚Wie schreibt man geschlechtsneutral?‘ Svenska Dagbladet 12.9.1999, wiederabgedruckt auf http://www.svd.se/statiskt/ kultur/sprak/sprak99/sprak990912.asp vom 14.2.2003. 172 ‚Dahingegen habe ich jedes Mal stark reagiert, wenn geschrieben oder gesagt wurde der/die ZuschauerIn – sie, der/die LehrerIn – sie; meine Gedanken sind dann unfehlbar manipuliert worden hin zu einem Bild einer Frau im Fernsehsessel resp. am LehrerInnenpult.‘ 173 Vgl. Hyltenstam und Wassén (1979).
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kann so starke Irritationen wecken, dass er zu einem eigenen Thema wird. Gleichzeitig wird die Unkonventionalität entsprechender sprachlicher Strategien im öffentlichen Diskurs deutlich. Dass diese Form der strategischen Sprachveränderung in allen offiziellen und öffentlichen Stellungnahmen und Empfehlungen zitiert wird, zeigt, dass sie eine gewisse Öffentlichkeit, Verbreitung oder zumindest Bekanntheit besitzt. Ohlsson (2002) weist in seiner Untersuchung genderunspezifizierender pronominaler Formen in der Pressesprache nach, dass hon diese Funktion in eingeschränktem Umfang in Tageszeitungsartikeln besitzt.174 In der Empfehlung auf der Homepage von Svenska språknämnden von 2003, auf der die Form han als genderspezifizierend bezeichnet wird, kann entsprechend auch postuliert werden, dass durch eine genderunspezifzierende Verwendung der Form hon die Situation nur umgedreht würde. „Inte heller är det lyckat att vända på steken och lansera hon som könsneutralt pronomen. Det ger i princip samma problem som han.“175 Damit schließt sich die Diskussion wieder an die nahezu 30 Jahre früher in SOU (1975/102) zu findende an, in der bereits ähnlich argumentiert wurde. Es zeigt sich, dass in der frühen Phase der Auseinandersetzung in den 70er Jahren die Form hon als genderunspezifizierende zur Debatte stand, dann 20 Jahre lang dies abschlägig im öffentlichen Diskurs verhandelt wurde und heute auf der Grundlage einer schwedischen Gleichstellungsvorstellung, in der diese erreicht wurde, die Form hon aus dieser Perspektive ebenfalls als unkorrekt verworfen wird. Vorschlag: Die abwechselnde Verwendung der Formen hon und han in einem Text mit jeweils genderunspezifizierender Appellationsintention. Adelswärd (1991) erwähnt in der Einleitung ihrer linguistischen Monografie, dass sie diese Strategie kapitelweise umgesetzt habe. „Som könsneutralt pronomen har jag försökt använda ‚han‘ respektive ‚hon‘ i vartannat kapitel.“176 (Adelswärd 1991: 9) Während dies für den Beginn des Buches noch konsequent zutrifft, finden sich weiter zum Ende hin jedoch immer mehr han-Formen mit genderunspezifizierender Verwendung. Diese Tendenz ist häufig, auch in kürzeren Texten zu beobach-
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174 Die Frage ist nicht der Fokus von Ohlssons (2002) Untersuchung gewesen und kann lediglich als ein nebengeordnetes Resultat festgehalten werden, welches nicht systematisch untersucht worden ist. 175 http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003. 176 ‚Als geschlechtsneutrales Pronomen habe ich versucht abwechselnd mit jedem Kapitel er und sie zu benutzen.‘
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ten.177 Es entsteht der Eindruck, dass eine einmalige Befolgung der Strategie ausreichend erscheint, um den Ansprüchen an Gendergleichstellung genüge zu tun. Madson und Hessling (1999) haben in einer Studie zum U.S.amerikanischen Englisch festgestellt, dass diese Strategie höhere genderausgeglichene Ergebnisse bei Testpersonen als die Verwendung pronominaler Doppelformen erzielt. Eine entsprechende Untersuchung zum Schwedischen findet sich bisher nicht. Vorschlag: Die abwechselnde Verwendung der Formen hon und han in einem Text mit Bezug auf eine konkrete Person Diese Strategie geht über die Forderungen einer traditionellen feministischen Linguistik hinaus, da in ihr gleichzeitig die Vorgängigkeit einer dichotomen Geschlechtlichkeit zur Debatte steht. Es finden sich entsprechend der Überschreitung der Konventionen strategischer Sprachveränderungen mit diesem Ansatz keine theoretischen und sprachpflegerischen Diskussionen dieser Strategie. Sie wird in Hornscheidt (2006b) als Strategie einer sprachlichen Infragestellung der Vorgängigkeit von Gender diskutiert. Vorschlag: Die Pluralform de bzw. dem zur genderunspezifizierenden Verwendung im Singular Pluralformen scheinen im Englischen zumindest in gesprochener Sprache sehr viel populärer zu sein als Doppelnennungen durch he or she oder andere Doppelformen. Newman (1996) hat in einer Untersuchung von U.S.amerikanischen Talkshows und Interviews im Fernsehen festgestellt, dass in 60% der möglichen Fälle Pluralformen benutzt werden, um sich auf einen singulären genderunspezifischen Antezedenten zu beziehen. In nur 25% der Fälle werden maskuline Pronomina zur Wiederaufnahme verwendet und kommen vor allem in Kontexten vor, in denen es um stereotyp männliche Gendervorstellungen geht, also in Fällen von sozialer stereotyper Genderappellation. Zum Schwedischen gibt es keine vergleichbaren Untersuchungen, und auch eine öffentliche Diskussion der Verwendung der Pluralform als genderunspezifizierende Appellation im Singular ist eher selten zu finden. Die von sprachpflegerischer Seite zum Schwedischen häufiger propagierte Strategie der Umformulierung in den Plural bezieht sich dabei nicht nur auf eine singuläre Verwendung von Pluralpronomina, die weiterhin wie Singularformen behandelt werden
____________ 177 Vgl. Kapitel 6.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
könnten178, sondern auf eine gesamte Umformulierung einer Äußerung in den Plural.179 In der einschlägigen sprachpflegerischen Literatur ist dieser Vorschlag nicht weiter diskutiert worden und scheint für das Schwedische bisher keine größere Relevanz zu haben. Vorschlag: Die identische Wiederaufnahme des Substantivs, zu dem die zu ersetzende pronominale Form in einem anaphorischen Verhältnis steht Diese Umbildung wird in der Regel von sprachpflegerischer Seite als eine Möglichkeit propagiert. Dies ist vor allem auch dann der Fall, wenn es gilt, alternative Strategien für pronominale Doppelformen anzubieten. In allen einschlägigen sprachpflegerischen Schriften wird sie durchgehend als eine favorisierte Strategie benannt.180 Vorschlag: Die pronominale Form der dritten Person Singular utrum den Eine Diskussion der Form den zur personalen Appellation hat im Schwedischen eine lange Tradition. Hultman (1992) zitiert einen Eintrag aus SAOB aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, in dem deutlich wird, dass den dort zumindest teilweise die genderunspezifizierende Appellationsfunktion zugesprochen wird, die han gleichzeitig abgesprochen wird. Es finden sich entsprechende Kommentare auch bei Tegnér (1962) und Noreen (1904), die ebenso wie Wellander (1973) 70 Jahre später auf die verbreitete pejorisierende Bedeutung der pronominale Form zur Appellation auf Menschen in der gesprochenen Sprache hinweisen. Wellander (1973) führt zugleich aber auch Beispiele für einen möglichen Schriftsprachgebrauch dieser Form an, in denen er eine nicht-pejorisierende Verwendung von den sieht. Auch Molde (1976) weist darauf hin, dass die Form den in Kontexten gebraucht würde, die genderunspezifizierend personal appellieren würden und legt eine zukünftige vermehrte Verwendung von den in dieser Funktion an. „Men möjligheten att i större utsträckning också använda den som rent personbetecknande bör kanske prövas grundligare.“181 (Molde 1976: 7) Davidson (1990) fasst die linguistische und sprachpflegerische Diskussion zu den in den 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zusammen:
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178 In diesem Fall würde es sich um eine Grammatikalisierung handeln. 179 Vgl. beispielsweise http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003. 180 Vgl. Statsrådsberedningen (1994). 181 ‚Aber die Möglichkeit in gröƢerem Umfang auch es als personenreferierendes Pronomen einzusetzen sollte vielleicht gründlicher geprüft werden.‘
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
421
„De tre inflytelserika språkvårdarna Erik Wellander, Bertil Molde och Gun Widmark tog alltså (med olika grad av entusiasm) ställningen för den som icke könsbetecknande pronomen redan under 70-talet. Trots detta vågar man nog påstå att bruket av den som animat personligt pronomen fortfarande i början av 90-talet befinner sig i gränslandet mellan rätt och fel i språket. Det har ännu inte vunnit burskap i de grammatiska beskrivningarna av den moderna svenskan.“182 (Davidson 1990: 74f.)
Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen dieses Kapitels kann Davidsons Kommentar insofern relativiert werden, dass es den Anschein hat, dass die sprachpflegerischen Kommentare in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aus einer feministischen Perspektive sehr viel progressiver gewesen sind als in den 80er und 90er Jahren, wo viele der dort getroffenen Einschätzungen wieder zurück genommen worden sind oder relativiert worden.183 Hultman (1992) hat in einer Untersuchung der Wiederaufnahme von barn ‚Kind‘ durch pronominale Formen im Schriftsprachgebrauch von Schüler/inne/n festgestellt, dass die Form den häufig in diesem Kontext anzutreffen ist. Es lässt sich daher fragen, ob es sein kann, dass im schwedischen Sprachgebrauch in Zukunft konventionalisiert auch für pronominale personale Appellation zwischen genderspezifizierender und genderunspezifizierender Appellation unterscheiden wird, indem die Form den die Funktion der genderunspezifizierenden, belebten Appellation übernimmt, während det dann die unbelebte Appellationsform würde. Dies wäre – bei Einbeziehung einer konzeptuellen Veränderung der Gebrauchskonventionen von det und den – zugleich aber auch eine Änderung hinsichtlich pronominaler Kongruenz, da in diesem Fall Regeln grammatischer Genus-Kongruenz, die bei nicht-menschlicher Appellation und pronominaler Wiederaufnahme gelten, sich verändern würden. Die semantische würde gegenüber der formalen Kongruenz im Sinne von Corbett (1991) in diesen Fällen ein höheres Gewicht bekommen, es könnte sich um einen weitreichenderen Vorgang der Regramma-
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182 ‚Die drei einflussreichen SprachpflegerInnen Erik Wellander, Bertil Molde und Gun Widmark nahmen also (mit unterschiedlichem Grad an Enthusiasmus) Stellung für es als geschlechtsneutrales Pronomen bereits in den 70er Jahren. Trotzdem kann man wohl behaupten, dass die Verwendung von es als belebtes Personalpronomen sich zu Beginn der 90er Jahre noch immer im Grenzland zwischen richtigem und falschem Sprachgebrauch befindet. Es handet sich noch nicht in den grammatischen Beschreibungen des modernen Schwedisch eingebürgert.‘ 183 Vgl. auch die Analysen weiter oben zu der genderunspezifizierenden Appellationsleistung von han, die in den 70er Jahren auch sehr viel mehr als in den 80er und 90er Jahren zur Debatte stand.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
tikalisierung handeln. Dies ist jedoch lediglich eine hypothetische Erwägung zu möglichen weiteren Sprachentwicklungen in diesem Gebiet. Eine entsprechende Änderung in diese Richtung zeichnet sich bisher im Schriftsprachgebrauch nicht in größerem Umfang ab. Wie in Kapitel 3 diskutiert, ist die Frage der genderneutralen personalen Appellation durch den in der schwedischen Diskussion hauptsächlich mit Bezug auf eine implizite oder explizite Wiederaufnahme des Substantivs barn geführt worden. Hultmans (1992) in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Untersuchung ist auf die pronominale Wiederaufnahme des NeutrumSubstantivs barn mit menschlicher genderunspezifizierender Appellation beschränkt und muss über diesen Fall hinaus nicht unbedingt weitergehende Tendenzen aufzeigen. Die Skepsis der 80er und 90er Jahre zu den als genderunspezifizierende pronominale Appellationsform verändert sich Ende der 90er Jahre.184 Unter der Überschrift „Hur skriver man könsneutralt?“ ‚Wie schreibt man geschlechtsneutral?‘ führt Josephson 1999 in Svenska Dagbladet alle hier benannten Möglichkeiten der Sprachveränderung pronominaler Appellation an, um sie jedoch gleichzeitig alle zu verwerfen und die Benutzung der Form den zu empfehlen, wenngleich er auch für diese gewisse Einschränkungen sieht: „Enda möjligheten är därför den. [...] Idealisk lösning är det inte. Förtingligandet av människan som följer med könlösheten blir påtagligt, och syftningsproblem kan uppstå.“185 Auch auf der Homepage von Svenska språknämnden wird dieser Strategie im Jahre 2003 für die Zukunft eine mögliche, relative hohe Verbreitung eingeräumt: „Om en elev vill överklaga bör den först vända sig till rektor [sic]. Denna konstruktion börjar bli vanlig. Mestadels fungerar den utmärkt och kunde gott prövas lite oftare.“186 Eine Nachfolgeuntersuchung in ungefähr zehn Jahren wäre in Bezug auf eine entsprechende Verwendung der Form den notwendig, um zu sehen, ob sich die hier propagierten Tendenzen bestätigen lassen.
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184 Eine ähnliche Tendenz kann interessanterweise auch weiter oben für die Form han eller hon festgestellt werden. 185 ‚Die einzige Möglichkeit ist daher es. Eine ideale Lösung ist dies nicht. Die Versachlichung von Menschen als Konsequenz der Geschlechtslosigkeit wird offenbar und Referenzprobleme können entstehen.‘ http://www.svd.se/statiskt/kultur/sprak/sprak99/sprak990912.asp vom 14.2.2003. 186 ‚Wenn einE SchülerIn einen Widerspruch einlegen will, muss es sich zuerst an den/die RektorIn wenden. Diese Konstruktion wird immer gewöhnlicher. Zum gröƢten Teil funktioniert sie hervorragend und könnte ruhig häufiger ausprobiert werden.‘ http://www.spraknamnden.se/ sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003.
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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Vorschlag: Eine totale Umformulierung, in der die Verwendung des Pronomens der dritten Person Singular durch andere Satzkonstruktionen vermieden wird. Diese Strategie findet sich besonders prominent in Stellenanzeigen, in denen in der Regel eine direkte Anrede gewählt wird, so dass keine pronominalen Nennungen der zu besetzenden Position durch Formen der dritten Person notwendig werden. Leser/innen werden stattdessen direkt mit der pronominalen Form zweite Person Singular du in den Anzeigen direkt angesprochen. Eine andere Form der grundsätzlicheren Umformulierung ist die Verwendung von Passivkonstruktionen, in denen eine Appellation durch pronominale Formen der dritten Person Singular durch ein Leerlassen der Agensposition ebenfalls vermieden wird. Josephson nennt 1999 in Svenska Dagbladet die Möglichkeiten der Infinitivkonstruktionen („Att ta ställning ska inte vara att följa majoriteten“ ‚Stellung zu beziehen bedeutet nicht, dass man der Majorität folgt‘) und Passivkonstruktionen („Forskaren ska inte följa majoriteten när ställning tas.“ ‚Der/die ForscherIn soll nicht der Majorität folgen, wenn Stellung bezogen wird.‘).187 Die Diskussionen um eine Ersetzung der Pronominaform han haben in mehreren offiziellen und halboffiziellen Richtlinien zum Sprachgebrauch ihren Niederschlag gefunden. In der schwedischen linguistischen Literatur wird generell und mit Bezug auf Pronomina Genderneutralisierung als die zu präferierende Sprachveränderungsstrategie empfohlen. Himanen (1990) schreibt zum Beispiel: „Att använda han eller hon, alternativt han/hon kan ibland vara ganska tungrott för språkbrukaren. Speciellt om texten kräver ett ymnigt bruk av pronomen blir kombinationen störande, särskilt vid böjning (honom eller henne, hans eller hennes). “188 (Himanen 1990: 79) Vor Himanen (1990) ist dies unter anderem auch schon von Widmark (1979) geäußert worden und hat so auch innerhalb der feministisch-linguistischen Forschung eine unhinterfragte Tradition.189 Bemerkenswert ist hier der Wechsel der in den Argumentationen zum Ausdruck gebrachten Grund-
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187 Vgl. auch http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003, wo diese Strategie ebenfalls erwähnt wird. 188 ‚Er oder sie oder alternativ er/sie anzuwenden kann manchmal ganz schön schwerfällig für die Sprachbenutzenden sein. Insbesondee, wenn ein Text einen reichlichen Gebrauch von Pronomina hat, kann die Kombination störend wirken, insbesondere bei Flexion (ihn/ihm oder ihr/sie, sein oder ihr). 189 Vgl. Widmark (1979: 265).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
annahmen von den 70er zu den 90er Jahren. Während im ersten staatlichen Bericht, in dem die Frage von Gender und Sprache aufgenommen wurde (SOU 1975/102) sowie in der ersten öffentlichen sprachpflegerischen Stellungnahme dazu (Molde 1976) davon ausgegangen wird, dass die genderspezifizierend männlich appellierenden Formen ausschließlich genderspezifizierend männlich appellierend seien, wird in der nachfolgenden Diskussion diese Grundannahme nicht mehr geteilt und die genderspezifizierend männlich appellierenden Formen zugleich auch als genderunspezifizierend appellierende Formen angesehen. Entsprechend dieser veränderten Grundannahme verändert sich logischerweise auch die sich daran anschließende Diskussion. Die sprachpflegerische Diskussion geht in dieser Hinsicht mit einer unterschiedlichen Betonung in der feministischen Diskussion einher. Während in den 70er Jahren mit dem Beginn der neuen Frauenbewegung die Betonung des Weiblichen in Abgrenzung zum Männlichen wichtig war, wird seit den späten 70er Jahren in Schweden zunehmend ein Gleichstellungskonzept propagiert, in dem die männliche Norm als allgemeinmenschliche nicht zur Debatte steht, wie weiter oben dargestellt wurde. Erst mit Beginn des neuen Jahrtausends lassen sich vereinzelt Indizien dafür feststellen, dass es hier zu einem erneuten Wechsel der Perspektive kommt, wenn Svenska språknämnden als machtvolle Institution schwedischer Sprachpflege ganz aktuell nunmehr konstatiert, dass han heute nicht mehr als genderneutral aufgefasst werden könnte. Ein Wiederanknüpfen an die Veröffentlichungen der 70er Jahre kann festgestellt werden. Dass gerade die Frage der Personalpronomina bis heute ein öffentlich disktuiertes Thema ist, zeigt sich auch in der in der sprachpflegerischen Zeitschrift Språkvård immer wieder zu findende Verhandlung des Themas, die mit Moldes Artikel von 1976 begonnen hat und bis heute in verschiedenen Quellen ihre Fortsetzung findet. Es handelt sich um das am meisten öffentlich und sprachpflegerisch diskutierte Thema zu Genderspezifizierung personaler Appellation im Schwedischen.190 Abschließend werden die hauptsächlich vorkommenden Argumentationsstrategien in Bezug auf sprachliche strategische Veränderungen personaler pronominaler Appellation im öffentlichen wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Diskurs diskutiert. In einer der wenigen offiziellen
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190 Vgl. die zahlreichen Artikel, Kommentare und Leser/innenbriefe in Språkvård von 1976 bis heute, Vgl. insbesondere Molde (1976), Teleman (1993).
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Publikationen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, die sich mit feministischen Sprachveränderungsstrategien beschäftigt, in den Verwaltungsschriftregeln Myndigheternas skrivregler, steht in dem Kapitel zu den Pronomen: „I många texter särskilt författningstexter används tidigare alltid pronomenet han (och den maskulina ändelsen -e), när man syftade på båda könen. [...] Det är fortfarande användbart när man avser både man och kvinnor eller då substantivet är en abstraktion, t.ex. arbetsgivaren, lagstiftaren. I texter där man måste skilja på könen (t.ex. i en text om makar) eller i texter som man vill göra helt könsneutrala kan man välja något eller några av följande sätt: han eller hon (inte han/hon), upprepning av huvudordet, omskrivning med plural eller könsneutrala substantiv.“191 (http:///www.justitie.regeringen.se/klarsprak/sprakexperterna/ handbocker/skrivregler/4/4.htm, zuletzt verändert am 28. Mai 2001; vom
27.2.2002)
Hier lässt sich zugleich eine der meist gebrauchten Argumentationsstrategien wiederfinden: Eine historische Kontinuität einer sprachlichen Gebrauchsform wird implizit als ausreichendes Kriterium hergestellt, um einen bestimmten heutigen Gebrauch zu rechtfertigen. Dieser Argumentation liegt eine Auffassung von Sprache zu Grunde, in der diese als ‚rein‘ und ‚neutral‘ hergestellt wird – insbesondere, um so näher diese zu einer älteren, nicht weiter benannten Sprachstufe gesehen wird. Würde man demgegenüber eine Argumentation ansetzen, dass Sprache auf sich verändernde soziale Strukturen ‚reagiert‘, so wäre dieses Argument an diesem Punkt bereits hinfällig. Ausgehend von der historischen Argumentation wird in einem weiteren Schritt daraus abgeleitet, dass die entsprechenden Formen in abstrahierenden Kontexten oder wenn sowohl Frauen wie auch Männer gemeint sind, angewendet werden können. Eine auch sprachlich zum Ausdruck gebrachte genderspezifizierende Appellation wird für die Fälle empfohlen, in denen eine Genderopposition zum Ausdruck gebracht werden soll.192 Darüber hinausgehend wird die Alter-
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191 ‚In vielen Texten, insbesondere Verfassungstexten, wurde früher immer das Pronomen er (und die maskuline Endung –e) benutzt, wenn man sich auf beide Geschlechter bezieht. Es ist auch weiterhin anwendbar, wenn man sich auf sowohl Frauen als auch Männer bezieht oder wenn das Substantiv eine Abstraktion ist, z.B. ArbeitgeberIn, GesetzgeberIn. In Texten, in denen man die Geschlechter unterscheiden muss (z.B. in einem Text über Eheleute) oder in Texten, die man ganz geschlechtsneutral gestalten will, kann man eine der folgenden Möglichkeiten wählen: er oder sie (nicht er/sie), Wiederholung des Substantivs, Umschreibungen im Plural oder geschlechtsneutrale Substantive.‘ 192 Das Beispiel, das hier genannt wird, ist bezeichnenderweise aus dem institutionalisierten heterosexuellen Kontext genommen, womit auch hier noch mal deutlich wird, dass die he-
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
native geboten, einen Text ‚ganz‘ genderneutral zu gestalten und für diesen Fall werden verschiedene Alternativnennungen, wie zum Beispiel die pronominalen Doppelformen genannt. Damit wird implizit eine Opposition zwischen ‚genderneutral‘ und ‚ganz genderneutral‘ aufgemacht, für die keine weiteren Kriterien benannt werden und die im Kontext der vorliegenden Arbeit als eine nicht haltbare Differenzierung verworfen wird. Die mit der Differenzierung getroffene Aussage bleibt unbestimmt und nicht nachvollziehbar. Zum einen wird so die Annahme einer Genderneutralität modifiziert, zum anderen eine Binnendifferenzierung von Genderneutralität eingeführt, die nicht transparent gemacht wird. Es entsteht der Eindruck, dass auf diese Weise Ausdruckskonventionen und Argumentationen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen Rechnung getragen wird, ohne die Unvereinbarkeit der zum Ausdruck gebrachten Annahmen weiter zu reflektieren. Ein ähnlicher Befund lässt sich mit Blick in verschiedene stilistische Handbücher und auf Internet-Seiten zum Thema bestätigen. Wird pronominale Appellation überhaupt erwähnt, wird in der Regel ebenfalls zuerst auf die genderunspezifizierende Appellationsleistung der Form han beharrt, wie im nachfolgenden Beispiel: „Det har sedan gammalt varit tradition i svenskan att använda pronomenet han för att syfta på en person utan närmare angivet av kön.[...] Den som vill kan naturligtvis se könsneutralt han som ett resultat av manssamhällets teknik att göra kvinnor osynliga, men saken är inte riktigt så enkel. Det går inte att förneka att man som skribent ofta har behov av ett könsneutralt pronomen. Svenskan har tyvärr inget sådant i singular (i plural däremot kan ju de användas både om män och om kvinnor), utan man har i stället tagit till han.“193
Han wird als sprachliche Form mit neutraler Appellationsleistung klar favorisiert. Die Wahl wird auch in diesem Fall zunächst historisch begrün____________
teronormative Normalvorstellung zwischenmenschlicher Beziehungen auf einer Genderopposition beruht. 193 ‚Es ist seit alter Zeit Tradition im Schwedischen das Pronomen er zu verwenden, um sich auf eine Person ohne nähere Angabe ihres Geschlechts zu beziehen. Der/diejenige, der/die will, kann das geschlechtsneutrale Pronomen er natürlich als eine Konsequenz einer männlich-gesellschaftlichen Technik ansehen Frauen unsichtbar zu machen, aber die Sache ist nicht ganz so einfach. Es kann nicht verleugnet werden, dass man als SchreiberIn häufig die Notwendigkeit eines geschlechtsneutralen Pronomens hat. Das Schwedische hat leider nicht ein solches im Singular (im Plural kann man hingegen sie für sowohl Männer als auch Frauen anwenden), sondern man hat anstattdessen er genommen. Vgl. Statsvetenskapliga föreningen, Linköpings universitet: Konsten att skriva och tala, Kap. 4.6; http://www.svet.lu.se/Mikromanualer_och_Gula/Gula/Skriva_ochtala_s.../Gula_kap4.htm vom 27.2.2002.
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det, es finden sich jedoch noch zwei weitere, häufig anzutreffende und interessante Argumente. So wird explizit auf eine Gegenargumentation reagiert, die selbst jedoch nur indirekt angedeutet wird: Der Zusammenhang von Appellationspraktiken einer Gesellschaft mit Genderverhältnissen in ebendieser wird als häufig gebrauchtes Argument indirekt zitiert und zugleich mit dem Hinweis darauf verworfen, dass eine entsprechende Sichtweise zu einfach sei. Was daran ‚zu einfach‘ ist, wird nicht weiter ausgeführt – da sich aber niemand der Gefahr aussetzen will, ‚zu einfach‘ zu denken und zu argumentieren, wird diese Aussage umso weniger hinterfragt. Deutlich wird ein bestimmtes Bewusstsein über gesellschaftliche Argumentationsstrategien, die auf diese Weise intellektuell abgewertet werden und dadurch nicht ernsthaft beachtet werden müssen. Gleichzeitig wird eine Differenz zwischen der ‚Wahrheit‘ einer neutralen Ausdrucksweise und einer gesellschaftlichen Einschätzung mit der Frage zum Ausdruck gebracht: „Hur ska man då göra för att slippa framstå som manschauvinist?“194, in der eine vorherrschende gesellschaftliche Wahrnehmung als die einzige Motivation genannt wird, um den eigenen Sprachgebrauch zu überdenken. Besonders auffällig an dieser Argumentation ist zudem die vorgenommene implizite Herstellung einer männlichen Akteursperspektive als allgemeinmenschliche, von der die weibliche dann wiederum abweicht. In diesem kurzen Text ist die männliche Perspektive sogar explizit mit der genderspezifizierend männlichen Appellationsform manschauvinist eingeschrieben, ohne dass aus dem Text die so vollzogene Genderspezifizierung als Ziel deutlich würde – der Text impliziert einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Die Inkonsequenz der dargebotenen Argumentation wird auf mehreren Ebenen deutlich. In dem an ein allgemeines Publikum gerichteten Veröffentlichung zu Stilfragen von Melin (1998) wird die Verknüpfung von genderunspezifizierenden Alternativen zur pronominalen Form han noch expliziter als in den zuvor diskutierten Quellen mit der Frage politischer Korrektheit verknüpft, die sich auch in den obigen Äußerungen der ‚totalen‘ Genderneutralität andeutet. Die Verwendung von han eller hon wird in dieser Argumentation zu einer der negativ bewerteten politischen Korrektheit, die nicht nur unnötig, sondern ablehnenswert ist. Entsprechende Veröffentlichungen reagieren auf diese Weise auf von Molde (1976) und von staatlicher Seite vorgeschlagene Veränderungen von Sprachgebrauchskonventionen hin zu han eller hon. Es zeigt sich bis zum Ende der 90er Jahre
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194 ‚Wie kann man es da machen, dass man nicht als männlicher Chauvinist dasteht?‘ Ebd.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
ein starker öffentlicher Widerstand gegen entsprechende Sprachveränderungen, der als überkorrekt und politisch korrekt implizit negativ bewertet wird.195 Wie bereits erwähnt, zeichnet sich aktuell seit dem Jahr 2003 eine Änderung der halbstaatlichen, offiziellen Auffassung in Bezug auf den Schriftsprachengebrauch ab, wenn auf der Homepage von Svenska språknämnden konstatiert wird, dass die Form han heute nicht länger als genderunspezifizierende Appellation benutzt werden kann.196 Bei den in den verschiedenen Handbüchern und Stilempfehlungen erwähnten anderen Formulierungsmöglichkeiten spielt in der Regel seit den späten 80er Jahren die Pluralform, die in den 70er Jahren noch nicht erwähnt wurde, eine herausragende Rolle. Nur, wenn auf jeden Fall eine singuläre Appellation notwendig ist, wird in seltenen Zusammenhängen auf die Möglichkeit der Doppelform han eller hon verwiesen.197 Eine Anwendung der Schrägstrichform wird in nahezu allen Veröffentlichungen als Alternativformulierung ausgeschlossen, wenngleich sie in fast allen erwähnt ist. Dies kann entweder darauf hindeuten, dass sie eine gewisse Verbreitung besitzt, wie weiter oben für Chatkommunikationen auch nachgewiesen worden ist198 oder aber dass vom englischen Modell he/she bzw. s/he abgeleitet diese vorsorglich verworfen wird. Besonders in der sprachpflegerischen Diskussion wird immer wieder darauf verwiesen, dass Probleme an dem Punkt aufträten, an dem beispielsweise in Gesetzestexten heterosexuelle Verhältnisse geklärt werden müssten, was bei einer genderunspezifizierenden Verwendung der pronominalen Form han zu Verständnisschwierigkeiten führen könne. „För det andra så finns det verkligen författningstexter som reglerar förhållandet mellan en man och en kvinna, och i sådana fall kan ett så kallat könsneturalt han verka konstigt.“199 Auffallend und besonders interessant ist zudem
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195 Vgl. Cameron (1995) für eine Diskussion zu verschiedenen Sprachdebatten im englischen Raum unter der Frage der politischen Korrektheit. 196 Vgl. http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26009 vom 27.8.2003. Das Problem wird hier jedoch lediglich an Hand einer konkreten Fragestellung behandelt, die sich dort wieder abgedruckt findet und hat bisher noch keinen Eingang in offizielle Stilhandbücher o.ä. gefunden. 197 Vgl. die Änderung, die sich in dem Kommentar von svenska språknämnden 2003 auf ihrer Homepage abzeichnet, wo die Umformulierung mit han eller hon die erste Strategie ist, die hier genannt wird. 198 Vgl. auch Kapitel 6. 199 Dies ist Teil eines redaktionellen Kommentars auf eine Reihe von Leser/innenbriefen in Språkvård 2 (1993: 8).
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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die durchgängig identische Argumentation, die darauf schließen lässt, dass das Thema seit den 80er Jahren mit großem allgemeinem Konsens in der Öffentlichkeit verhandelt worden ist. Den jeweiligen Argumentationen liegt eine Auffassung einer bereits erreichten Gleichstellung zu Grunde, die sprachstrategische Änderungen dadurch zugleich auch unnötig machen. Das Autostereotyp der schwedischen Gleichstellung wird auf diese Weise bestätigt. Auf eine andere Art wird dies auch von der linguistischen und in diesem Falle bezeichnenderweise Forschung zum Schwedischen außerhalb Schwedens übernommen, wenn in dieser postuliert wird, dass es in der schwedischen Gesellschaft eine hohe und durchgängige Bereitschaft zur Verwendung der Doppelformen han eller hon, han/hon gäbe.200 Das Heterostereotyp der schwedischen Gendergleichstellung wird so auf die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz sprachlicher Veränderungsstrategien übertragen und positiv bewertet – und dies als Beleg für die hohe Akzeptanz von Gendergleichstellung in Schweden bewertet. Die Argumentation befindet sich in einem Kreislauf, der sich gegenseitig immer wieder bestätigt und dadurch in der Wahrnehmung der Korrektheit seiner Einschätzung bestätigt. Dass sprachliche Genderdiskriminierung nur als ein untergeordnetes (oder eben gelöstes, da die Gendergleichstellung erreicht ist) Thema ist in der linguistischen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, stellt man auch fest, wenn man die großangelegte neue schwedische Grammatik betrachtet.201 5.4.3 Adjektive Die Behandlung von Adjektiven zur Genderspezifizierung spielt in den sprachpflegerischen und wissenschaftlichen Verhandlungen nur eine untergeordnete Rolle. Von verschiedener, vor allem linguistischer Seite ist immer wieder vorgeschlagen worden, eine Genderspezifizierung durch Attribuierung mit kvinnlig ‚weiblich‘ und manlig ‚männlich‘ vorzunehmen. Bei einer durchgehenden Anwendung dieser Strategie würde zugleich die substantivische personale Benennung als im Regelfall genderunspezifizierend verstanden und diese Wahrnehmung weiter verfestigt, so dass die
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200 Vgl. Batliner (1984), Blume (1982), Nübling (2000); vgl. die kritische Analyse in Hornscheidt (2006b). 201 SAG 1999, Bd. 2 §37; vgl. Hornscheidt (2006b) für eine ausführlichere Besprechung.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
genderspezifizierende Attribuierung nur dann vorgenommen werden müsste, wenn ‚tatsächlich‘ eine Genderspezifizierung vorgenommen werden sollte. Dieses Argument präsupponiert die Annahme der Genderneutralität der entsprechenden substantivischen Formen, welche im heutigen konventionalisierten Sprachgebrauch nicht durchgängig bestätigt werden kann. Siivonen (1994) weist darauf hin, dass die genderspezifizierende Attribuierung mit kvinnlig oder manlig auch nur in den Fällen vorgenommen wird, in denen die gesellschaftlich-stereotype Vorstellung bei zum Beispiel Tätigkeitsbenennungen nicht mit der intendierten Genderspezifizierung übereinstimmt und benennt gleichzeitig auch den sich so verstärkenden genderstereotypisierenden Effekt, den eine solche Benennung gleichzeitig hat. „Det kön som (tidigare) var mer representerat i en viss yrkeskår utgör normen för yrkesutövaren. Därför talar man ofta obefogat (utan att det är relevant) om den kvinnliga läkaren och den manlige sjukskötaren (i Sverige: den manlige sjuksköterskan). Så här minskar man på läkarens prestige eftersom man betonar personens kön i stället för hennes eller hans mer relevanta egenskaper. Den här problematiken gäller inte bara kön utan också vissa socialgrupper. Att en person är kvinna, svart, somalier, rom eller utlänning behöver inte nämnas, om det inte är avgörande, det vill säga relevant för sammanhanget.“202 (Siivonen 1994: 34)
Siivonen (1994) betont in diesem Zusammenhang die bestimmte Präsuppositionen verstärkende Wirkung, die eine solche Strategie mit sich führt: „De ovannämnda irrelevanta bestämningarna framför yrkesbeteckningar eller andra substantiv kan liknas vid uttryck av typen „Kapten var nykter i dag“. Genom att påpeka att läkaren är kvinna, visar skribenten sin inställning till att kvinnors möjlighet att „uppnå“ den här ställningen är osannolik, liksom den som säger att kaptenen är nykter i dag i själva verket menar, att kaptenen mest hela tiden är full.“203 (Siivonen 1994: 34)
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202 ‚Das Geschlecht, das (früher) stärker repräsentiert gewesen ist in einer bestimmten Berufsgruppen, ist die Norm für die Berufsausübenden. Dafür spricht man oft unberechtigterweise (ohne dass es relevant wäre) über die weibliche ÄrztIn und die männliche KrankenpflegerIn. Auf diese Weise verringert man das Prestige der ÄrztIn, da man das Geschlecht der Person betont anstatt ihre oder seine relevanteren Eigenschaften. Diese Problematik gilt nicht nur für Geschlecht, sondern auch für bestimmte soziale Gruppe. Dass eine person eine Frau ist, schwarz, SomalierIn, Roma oder AusländerIn muss nicht genannt werden, wenn es nicht entscheident, d.h. relevant für den Zusammenhang ist.‘ 203 ‚Die oben genannten irrelevanten Bestimmungen vor Berufsbezeichnungen oder anderen Substantiven können ähnlich sein wie Ausdrücke des Typs ‚der Kapitän ist heute nüchtern.‘ Dadurch, dass darauf hingewiesen wird, dass der/die ÄrztIn Frau ist, zeigt die schreibende Person ihre Einstellung, dass die Möglichkeit von Frauen diesen Status zu erreichen unwahrscheinlich ist – genauso wie der/diejenige der/die sagt, dass der Kapitän
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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Gleichzeitig impliziert ihre Argumentation, die in dieser Form häufig zu finden ist, dass die Tätigkeitsbezeichnungen an sich genderun-spezifizierend wären und ihnen durch die Attribuierung einer Genderspezifizierung hinzugefügt würde, die vorher und ohne diese nicht vorhanden ist. Grünbaum (1997) sieht die Einseitigkeit dieser Genderspezifizierung durch Attribuierung, wenn sie schreibt: „Hur ofta brukar det särskilt påpekas när en revisor är manlig? När uppgiften om könstillhörighet inte är av betydelse för sakframställningen blir den mer än en faktauppgift – den blir ett argument, även om det inte var avsikten.“204 (Grünbaum 1997: 18f.) Gleichzeitig wird dieses Argument zu einem genderunspezifischen gemacht, wenn sie es im zweiten Teil dieses Zitats verallgemeinert. Dass die meisten substantivischen Tätigkeitsbenennungen mit einer stereotyp männlichen Vorstellung verbunden sind, wird unsichtbar und eine Neutralität heraufbeschworen, die im ersten Teil des Zitats noch zur Debatte stand. Diese Argumentation muss auf dem Hintergrund der weiter oben ausgeführten Anschauung interpretiert werden, dass eine Natürlichkeit der Sprachentwicklung favorisiert wird, in der implizit davon ausgegangen wird, dass ein Weglassen einer genderspezifizierenden Attribuierung auf lange Sicht zur einer Genderneutralisierung der substantivischen Appellationsform beitragen könnte. Zusätzlich zu der von Siivonen (1994) formulierten Kritik an einer entsprechenden Sprachveränderungsstrategie ist noch auf den Aspekt der mit dieser Strategie verbundenen Heteronormativität einzugehen. Wie in Kapitel 4 ausgeführt, besteht eine wichtige Strategie in dem Bewusstmachen der bestimmten Gebrauchsweisen unterliegenden, impliziten und normierten Vorstellungen, zum Beispiel bezogen auf Genderverhältnisse. In der vorliegenden Analyse der Genderspezifizierung personaler Appellationsformen des Schwedischen ist die These vertreten worden, dass eine genderspezifizierend intendierte Appellation zugleich auch immer eine heterosexuelle Normalvorstellung mit transportiert, wenn nicht explizit etwas Anderes zum Ausdruck gebracht wird. Diese Auffassung basiert auf der Analyse, dass zum einen Gender und Sexualität in der westlichen Kultur untrennbar miteinander verknüpft sind und zum anderen Heterose____________
heute nüchtern ist damit gleichzeitig ausdrückt, dass der Kapitän ansonsten die meiste Zeit besoffen ist.‘ 204 ‚Wie oft wird explizit darauf hingewiesen, dass einE WirtschaftsprüferIn männlich ist? Wenn Angaben zu Geschlechtszugehörigkeit für die Darstellung einer Sache nicht von Bedeutung sind, werden sie zu mehr als Tatsachenangaben – sie werden zu einem Argument, auch wenn dies nicht beabsichtigt war.‘
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
xualität die Norm darstellt, die dadurch gleichzeitig einer expliziten Benennung und entsprechenden verbalen Ausweisung entgeht. Die Annahme einer entsprechenden Normalitätsvorstellung könnte durch eine Benennung derselben transparent gemacht werden, was im Falle von Adjektiven bedeutet, dass die Adjektive kvinnlig und manlig nicht nur eine genderspezifizierende Appellation intendieren, sondern zugleich heteronormativ wirken. Eine zu favorisierende Sprachveränderungsstrategie ist das Sichtbarmachen der impliziten Prämissen, indem zum Beispiel zusammen mit den Adjektiven kvinnlig und manlig zugleich das Adjektiv heterosexuell verwendet wird und sie so aus ihrer unhinterfragten Normalität enthoben werden. Eine einzige entsprechende Kommentierung, die zudem noch relativ indirekt ist, findet sich auf den Seiten von Svenska språknämnden: Även om man kunde tycka att det är praktiskt att använda ett ord, hopperskor, i stället för två, kvinnliga hoppare, så återstår problemet att man inte har något motsvarande entydigt ettordsuttryck för manliga hoppare utan måste säga manliga hoppare.205 (http://www.spraknamnden.se/sprakldan/ShowSearch.aspx?id=id= 23654;objekttyp=lan vom 6. Dezember 2005)
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Veränderung von Genderstereotypen durch einen veränderten Gebrauch von Adjektiven, die genderstereotype Charakteristika aufrufen (wie beispielsweise hysterisk ‚hysterisch‘, skvallrig ‚klatschhaft‘) in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine relativ hohe Verbreitung finden. Dies entspricht einer sich verändernden Auffassung von bestimmten tradierten Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen sowie Verhaltensweisen als genderspezifizierend. Diese Veränderung impliziert jedoch nicht unbedingt eine Auflösung von stereotypen Gendervorstellungen, die auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Die Auffassung einer biologisch fundierten Zweigeschlechtlichkeit mit einer in ihr impliziten Heteronormativität ist beispielsweise auch weiterhin ungebrochen, eine Tendenz zu einer Genderunspezifizierung von Verwandtschaftsverhältnissen im konventionalisierten Sprachgebrauch ist nicht feststellbar. Grünbaum (1997) konstatiert eine Veränderung im schriftsprachlichen Gebrauch hinsichtlich der genderspezifizierenden Endungen von Adjekti-
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205 Auch wenn man denken könnte, dass es praktisch ist ein Wort anzuwenden, Springerinnen, anstatt von zwei Wörtern, weiblicher Springer, so bleibt doch das Problem, dass es keinen entsprechenden eindeutigen Einwortausdruck für männliche Springer gibt, sondern dass man männlicher Springer sagen muss.‘
5.4 Durchgeführte und angedachte strategische Sprachveränderungsstrategien
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ven in attributiver Position und stellt hier eine generelle Unsicherheit der Sprachbenutzenden fest. Wie im dritten Kapitel dargestellt wurde, wird bei genderspezifizierend männlicher Appellation eine Form auf –e, bei genderspezifizierend weiblicher eine Form auf –a in traditionellem standardsprachlichem Schriftsprachengebrauch gewählt. Problemfälle sind daher in Grünbaums (1997) Auffassung solche, in denen nicht genderspezfizierend appelliert werden soll. Sie sieht in diesen Fällen eine freie Wahlmöglichkeit der Sprachbenutzenden gegeben. Interessant ist an diesem Punkt, dass in dem Fall, wo die genderspezifizierend weibliche Kennzeichnung mit der grammatischen Regel der Betonung zusammenfällt, wie es in Kapitel 3 herausgearbeitet wurde, bei genderunspezifizierender Appellation eine freie Wahlmöglichkeit postuliert wird und nicht die genderunspezifizierende Appellation der genderspezifizierend weiblichen Form konstatiert wird, wie dies bei substantivischen Tätigkeitsbenennungen durchgängig argumentiert worden ist. Auch in der Sprachratgebung der Sprachpflegeinstanz beim schwedischen staatlichen Radio wird die Suffigierung mit –a bei attributiv gebrauchten Adjektiven vor genderspezifizierend weiblicher Appellation in einem Sprachpflegekommentar als eine zu benennende Ausnahme erwähnt, die einer gesonderten Kommentierung bedarf, die Suffigierung der Adjektive mit –e wird so implizit genauso zum unbenannten Normalfall gemacht wie die genderspezifizierend männliche Appellation, die hier nur eine kurze Erwähnung erfährt: „Den nya jordbruksministern Ann-Christin Nykvist. Med a i nya, eftersom hon är kvinna. „Nye“ med e-ändelse skulle ange maskulint kön. Av samma anledning talar vi om den nya biträdande utbildingsminstern Lena Hellengren, den nya barn- och familjeministern Berit Andnor och förra justitieminstern Gun Hellsvik.“206 (http://www.sr.se/omsr/sprakvard/ 2003 vom 14.2.2003207)
Diese Darstellung kann auch insofern verwundern, als dass die Suffigierung attributiv gebrauchter Adjektive in bestimmten Nominalphrasen jeweils mit –a geschieht und eigentlich den Normalfall darstellt, wie es im
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206 ‚Die neue Landwirtschaftsministerin Ann-Christin Nykvist. Mit a in nya, da sie eine Frau ist. Nye mit der Endung –e würde maskulines Geschlecht anzeigen. Aus demselben Grund sprechen wir über die neue stellvertretende BildungsministerIn Lena Hallgren, die neue Kinder- und FamilienministerIn Berit Andnor und die frühere JustizministerIn Gun Hellsvik.‘ 207 Alle Hervorhebungen im Original.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Gegensatz dazu in der Sprachratgebung von Svenska språknämnden208 ganz deutlich dargestellt wird. Letztendlich zeigt auch diese davon abweichende ‚Regel‘ der Radiosprachberatung wiederum die Gleichsetzung von Männlichkeit mit Menschlichkeit, wenn eine gesonderte Regelung der Suffigierung attributiv gebrauchter Adjektive bei personaler Appellation angenommen wird, von der die a-Endung dann wiederum die Ausnahme darstellt.
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208 Vgl. auch http://www.spraknamnden.se/sprakladan/ShowSearch.aspx?id=id=26288; objekttyp=lan vom 6. Dezember 2005.
5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender
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5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender im heutigen Schwedisch The investigation of the social effectiveness of non-sexist language reform is still in its infancy. Pauwels 2003: 566
Gunnarsson fasst die schwedische Situation zu Beginn der 90er Jahre wie folgt zusammen: „Konstigt nog står vi dock och stampar på samma fläck fast det nu är 90-tal. Fortfarande skriver många skribenter läraren - han och studenten - han syftande på såväl kvinnor som män.“209 (Gunnarsson 1991: 46) Sie beobachtet eine Stagnation in der Beschäftigung mit dem Thema Diskriminierung durch Sprache in der schwedischen Linguistik und sieht eine Notwendigkeit für eine breitere öffentliche Diskussion. Mit ihrer Feststellung des Fehlens einer linguistischen Diskussion zum Thema seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, kritisiert sie gleichzeitig die Ignoranz der institutionalisierten Linguistik. Ihre Einschätzung fällt mit den oben herausgearbeiteten Tendenzen einer aus feministischer Sicht progressiven Diskussion in den 70er Jahren mit einer nachfolgenden Restaurierung der Vorschläge für Sprachveränderungen zusammen. Das Fehlen entsprechender Themen und Forschungen kann auch als Folge einer allgemeineren Auffassung dazu, was Linguistik ist und leisten soll sowie als Reflex auf eine damit verbundene Sprachsicht angesehen werden. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die wenigen Forschungen, die es zu diskriminierenden Aspekten personaler Appellationsformen im Schwedischen gibt, fast ausschließlich außerhalb von Schweden durchgeführt worden sind und werden.210 Nicht zuletzt aus der in der öffentlichen und fachöffentlichen Diskussion vertretenen Einschätzung leitet sich die Notwendigkeit ab, empirisch zu untersuchen, inwiefern genderunspezifizierend intendierte personale Appellationsformen genderunspezifizierend aufgefasst werden und welche anderen sprachlichen und außersprachlichen Faktoren für die Konzeptualisierung von Personen von Bedeutung sind. Nur aus einer solchen empi-
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209 ‚Seltsam genug stehen wir nun hier und treten weiterhin auf derselben Stelle, obwohl wir die 90er Jahre haben. Weiterhin schreiben viele LehrerIn – er, StudierendeR – er mit Bezug auf sowohl Frauen als auch Männer.‘ 210 Vgl. Himanen (1990), Siivonen (1994) in Finnland; Jobin (1998 und 2004) und Nübling (2000) als Germanistinnen sowie Hornscheidt (1998, 1999 und 2003) in Deutschland.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
risch fundierten Analyse heraus lässt sich für oder wider eine Sprachveränderung argumentieren, die in den in diesem Kapitel diskutierten öffentlichen Diskursen in der Regel als unnötig verworfen wird.211 Diese Auffassung ist in der linguistischen Genderforschung jedoch nicht ungeteilt. Die Frage der personalen Appellation nimmt einen untergeordneten Stellenwert in der Gender- und Sprachforschung ein. Sie wird zudem häufig als ein forschungsmäßig abgeschlossenes, fertig behandeltes Phänomen dargestellt. Nordenstam (2003) spricht die Frage von Sexismus und Sprache in einem eigenen Kapitel in ihrer von Högskoleverket ‚staatliches Amt für Hochschulen‘ in Auftrag gegebenen Übersichtsschrift zu Sprache und Gender an. Strategische Sprachveränderungen werden bei ihr nur am Rande erwähnt: Insgesamt stellt sie eine Tendenz zur Neutralisierung substantivischer personaler Appellationsformen in den festlandskandinavischen Sprachen fest, wobei sie den Zusammenfall genderunspezifizierender mit genderspezifizierend männlicher Appellation nicht weiter beachtet. In Bezug auf die Verwendung pronominaler Formen konstatiert sie das Vorkommen der Doppelformen han/hon, hon eller han und erwähnt die Vorschläge den und h-n, ohne ihren tatsächlichen Gebrauch weiter zu kommentieren. Ihre Ausführungen schließen an diesem Punkt mit der folgenden Feststellung: „En praktisk fråga är om det egentligen spelar någon roll att försöka ändra språkbruket med denna sorts normering. De flesta språkkritiker är överens om att ingripanden i språket inte kan radera ut diskriminiering av kvinnor. Däremot kan de ge kvinnorna möjlighet att använda sina erfarenheter och se nya perspektiv. Sådana språkliga handlingar kan öka medvetenheten om att språket inte är ett neutralt medium för överföring av idéer och värderingar.“212 (Nordenstam 2003: 40)
Nordenstam (2003) drückt in diesem Zitat eine Skepsis gegenüber der Wirkung von strategischen Sprachveränderungen aus und relativiert diese Skepsis gleichzeitig wieder. Es entsteht der Eindruck einer Unbestimmtheit des Verhaltens zu strategischen Sprachveränderungen, der im Kontext dieser Arbeit als symptomatisch für die schwedische linguistische
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211 Vgl. Hornscheidt (2006b). 212 ‚Eine praktische Frage ist, ob es überhaupt eine Rolle spielt zu versuchen den Sprachgebrauch mit diesen Formen der Normierung zu verändern. Die meisten SprachkritikerInnen sind sich darüber einig, dass Diskriminierungen gegenüber Frauen nicht durch Eingriffe in die Sprache verändert werden können. Demgegenüber können sie aber Frauen die Möglichkeit geben ihre Erfahrungen anzuwenden und neue Perspektiven zu sehen. Solche sprachlichen Handlungen können das Bewusstsein dazu verstärken, dass Sprache nicht ein neutrales Medium ist, welches lediglich Ideen und Bewertungen transportiert.‘
5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender
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fachöffentliche, sprachpflegerische und öffentliche mediale Situation angesehen wird. Aus ihrer Darstellung lässt sich keine notwendige Handlungsdimension ableiten, so dass zu erwarten ist, dass ihr halbstaatlicher Bericht in dieser Hinsicht statuserhaltend wirken und nicht zu einer größeren öffentlichen Diskussion von Sprachveränderungen oder der Initiierung entsprechender Forschungen beitragen wird. Eins der meist genannten Argumente gegen Vorschläge feministischer Sprachveränderung ist die Aussage, dass ‚man‘ ja Frauen und Männer meint, wenn ‚man‘ han zum Beispiel als genderunspezifizierendes Pronomen benutzt. Für Linguist/inn/en ist es indes kein Geheimnis, dass die bewussten Vorstellungen von Sprecher/inne/n über ihre Sprache und die Bedeutungen von Formen nicht mit einer linguistisch-analytischen Sicht der interaktiven Aushandlung und gesellschaftlichen Bedingtheit von Bedeutungsentwicklungen übereinstimmen müssen. Aus einer konstruktivistischen Sicht ist es zudem die Frage, welche Konzeptualisierungen mit sprachlichen Benennungen konventionalisiert einhergehen. Die bewusste und nachträgliche Meinung dazu, was mit einer bestimmten Äußerung intendiert gewesen ist, muss nicht mit der unbewussten und auch wahrgenommenen Bedeutung einer Äußerung übereinstimmen, wie für konventionalisiert männlich appellierende personale Appellationsformen mit gesellschaftlich normierter zusätzlicher genderunspezifizierender Appellationsleistung anhand von Perzeptionssstudien nachgewiesen wird213. Aus einer feministisch-linguistischen Perspektive wird genau diese Frage der nachträglichen Explikation von Appellationsintentionen kritisch hinterfragt. „Frauen, die sich durch maskuline Formen nicht bestätigt und identifiziert fühlen können, die sich als ausgeschlossen und nicht beachtet wahrnehmen, wird demnach ein ernsthafter Schaden zugefügt; sie erfahren personale Gewalt. Begründet und legitimiert wird dies durch die geltende Sprachnorm, die ungeachtet der Prototypenstruktur der maskulinen Formen deren generischen Gebrauch gestattet. Die Sprachnorm selbst ist daher Subjekt struktureller sprachlicher Gewalt. Sie ist zudem sexistisch, da sie die Einschränkung, „sich nicht gemeint zu fühlen“, ausschließlich Frauen zumutet. Indem sie den generischen Gebrauch femininer Formen ausschließt, sichert sie, dass sich Männer immer dann, wenn sie „gemeint“ oder „mitgemeint“ sind, auch tatsächlich identifiziert fühlen können oder aber unter Verweis auf die geltende Sprachnorm „berechtigten“ Protest einlegen dürfen.“ (Frank 1992: 135)
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213 Vgl. Hornscheidt (2006b).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Romaine (1999) sieht es nicht als einen Zufall an, dass die Diskussion um feministische Sprachveränderungen im französischsprachigen Raum ganz anders verlaufen ist und verläuft als im anglo-amerikanischen Raum und macht dafür die unterschiedlichen Genussysteme dieser Sprachgruppen zumindest mit verantwortlich. „In languages with grammatical gender like French and Italian, speakers’ attention is constantly drawn to the issue of gender in a way that it is not in a language like English.“ (Romaine 1999: 85)214 Eine entsprechende Auffassung findet sich auch bei Nübling (2000), die in einem schwedisch-deutschen Vergleich ebenfalls die Genussysteme der beiden Sprachen als Ausgangspunkt der Frage danach nimmt, warum die Forderung nach gendersymmetrischen Benennungsmöglichkeiten in Deutschland und Schweden bisher so verschieden realisiert wird. Wie in dieser Monografie aufgezeigt wurde, spielt in der Frage danach, welche Strategien angedacht werden, um androzentrische genderunspezifizierende Pronomina beispielsweise zu ersetzen, das Genussystem einer Sprache nur eine untergeordnete Rolle oder im Falle des Schwedischen je nach Definition von Genus215 sogar überhaupt keine. Dies zeigt auch ein Vergleich zwischen englisch und französisch: In beiden Sprachen wurden sowohl pronominale Neuerungen angedacht als auch die innovative Benutzung und Bedeutungsbestimmung ‚traditioneller‘ Pronomina.216 Das häufig zu findende Argument der Relevanz des sprachlichen Genussystems als ausschlaggebender Faktor für oder wider strategische Sprachveränderungen wird verworfen. Die schwedische Situation wird in der Forschungs- wie auch Sprachpflegediskussion alleine schon dadurch als ‚anders‘ behandelt, da der schwedischen Gesellschaft eine größtmögliche Gendergleichstellung unterstellt wird. Diese wird entweder so interpretiert, dass strategische Sprachveränderungen unnötig seien und beispielsweise die genderspezifzierend männlich appellierenden Formen durchweg als genderunspezifizierende in der gleichgestellten schwedischen Gesellschaft benutzt und aufgefasst werden oder dass notwendige Änderungen bereits realisiert seien, wobei immer wieder das Beispiel der Appellations-
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214 Auch hier findet sich wieder ein Beispiel für eine unklare Terminologie: Eine Vermischung von Gender und Genus liegt bei der Verwendung des identischen Ausdrucks gender in diesem Zitat für zwei verschiedene Kategoriensysteme auf der Hand. 215 Das heißt insbesondere, ob die konventionalisiert personal appellierenden Personalpronomina der dritten Person Singular als genusdifferenziert betrachtet werden oder nicht. 216 Vgl. vor allem Livia (2001) für eine ausführliche Diskussion zu einem Vergleich des Englischen und Französischen unter dieser Fragestellung.
5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender
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form riksdagsledamot ‚Reichstagsmitglied‘ genannt wird, ohne darauf einzugehen, dass dies in keiner Weise repräsentativ für das Schwedische ist. Romaine (1999) ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die skandinavischen Länder als stereotype Schablone für Gender-Gleichstellung genommen werden und selbst von linguistischer und feministischlinguistischer Seite dies ohne eine ausreichende Betrachtung der sprachlichen Situation geschieht. Die Idee der Gleichstellung in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wird so unkritisch und pauschal auf Sprache und Sprachveränderungen übertragen.217 Eine angenommene weitestgehende Gleichstellung von Frauen und Männern in Norwegen und Schweden wird mit vollzogenen Sprachveränderungen – dem Wegfall suffigierter personaler Appellationen für Frauen bei Berufsbezeichnungen – gleichgesetzt und zugleich auch darauf reduziert. „We can see in this comparison of the Nordic countries that language is not simply a passive reflector of culture, it also creates it. There is a constant interaction between society and language.” (Romaine 1999: 308) Dies muss kritischer gesehen werden als es bei Romaine (1999) der Fall ist218. Die offensichtliche und weitgehende Gender-Gleichstellung in den nordischen Ländern dient in einem kulturellen Vergleich innerhalb des westlichen kulturellen Raumes als positive Folie, vor der andere nationale Gleichstellungsmodelle gemessen werden und die diesen als Vorbild dienen soll. Dies macht die Hinterfragbarkeit des nordischen Gender-Gleichstellungsmodells schwierig, da ein kulturell positives Image geschaffen wird, welches eine differenziertere Wahrnehmung behindert. Aber nur, wenn dies gemacht wird, können auch die Sprachveränderungsstrategien in den nordischen Ländern kritisch und differenziert vor dieser Folie betrachtet werden. Darüber hinaus aber kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung festgestellt werden, dass es sich nicht nur um Heterostereotype einer schwedischen oder gesamtskandinavischen Wirklichkeit bezüglich Gendergleichstellung handelt, sondern dass entsprechende Auffassungen auch als Autostereotype in der schwedischen Öffentlichkeit wie der linguistischen Forschung zu finden sind und als solche Erkenntnisinteressen und Ausrichtungen entsprechender Forschungen wie auch der politisch angenommenen Relevanz strategischer Sprachveränderungen entscheidend mit bestimmen.
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217 Vgl. Romaine (1999: 305ff). 218 Vgl. Nübling (2000) für eine vergleichbare Diskussion. Siehe Hornscheidt (2006b) für eine kritische Diskussion der fachwissenschaftlichen Debatte.
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
Ein eindrucksvolles Beispiel der stillschweigenden Annahme einer in Schweden als Normalität anerkannten und fest verankerten Gleichstellung findet sich auch in zahlreichen Beispielen des populärwissenschaftlichen, sprachpflegerischen Werks von Lindström (2002), das bereits an mehreren Stellen dieser Monografie für seine verkürzte Argumentation kritisiert worden ist. Diese populärwissenschaftliche und in der schwedischen Öffentlichkeit breit rezipierte pseudo-linguistische Publikation zu verschiedenen Aspekten des heutigen Schwedisch reproduziert eine stereotype Vorstellung einer (mit dem Mann) gleichgestellten schwedischen Frau, die über ihr eigenes Leben u.a. in Bezug auf Sexualität bestimmt. „På sätt och vis är det bara fråga om en betydelsedefinition; i den här användingen betyder hora ‚en kvinna som själv bestämmer över sin sexualitet‘. Om man inte tycker att det är något fel i det så borde ordet inte heller vara fult. I så fall kunde ju alla svenska kvinnor resa sig upp och med en mun ropa: „Vi är horor allihopa.““219 (Lindström 2002: 173f.)
Wie an anderer Stelle bereits dargestellt, bedient sich Lindström eines polarisierenden Bildes, in dem alles ‚Böse‘ von außerhalb Schwedens kommt. „Könsorgansmotivet [i svordomar; Anm. d. Autorin] förekommer däremot traditionellt inte alls hos oss. Visst kan det dyka upp i yngres svordomar, men då är det säkerligen efter utländsk förebild.“ (Lindström 2002: 167)220 AuƢerdem vernachlässigt er Ebenen sozialer Macht in der Frage nach Bewertungen und individualisiert Handlungsmöglichkeiten.
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219 ‚In bestimmter Hinsicht ist es lediglich eine Frage der Bedeutungsdefinition; in dieser Verwendung bedeutet Hure ‚eine Frau, die selbst über ihre Sexualität bestimmt.‘ Wenn man nicht findet, dass damit was falsch ist, so sollte das Wort eigentlich auch nicht ganz hässlich sein. In diesem Fall könnte doch alle schwedischen Frauen aufstehen und mit einer Stimme rufen: „Wir sind alle Huren.“‘ 220 ‚Das Motiv der Sexualorgane [in Pejorisierungen] findet sich dahingegen traditionell überhaupt nicht bei uns. Natürlich kann es in den Beschimpfungen Jüngerer vorkommen, aber da beruht es sicherlich auf einem ausländischen Vorbild.‘ Interessant ist hier darüber hinaus ein Vergleich mit Norwegen beispielsweise, welches in der Regel in Außendarstellungen als ebenso gleichgestellt angesehen wird. Wie bereits erwähnt, ist die Diskussion zu strategischer Sprachveränderung in Norwegen signifikant anders verlaufen als in Schweden und hat u.a. zu der Veröffentlichung von Richtlinien in Bezug auf gendergerechten Sprachgebrauch geführt. Bull und Swann (2002) stellen dies als eine lediglich beschreibende Veröffentlichung eines veränderten Sprachgebrauchs dar, der nicht zu Änderungen anregen solle, sondern bereits durchgeführte und konventionalisierte Änderungen schriftlich festhalten würde. Auch hier wird eine Norm des NichtVorschriftenmachens aufrecht erhalten, wobei in diesem Fall zu fragen ist, was der Zweck einer entsprechenden Publikation ist und warum die dort festgestellten Änderungen nicht einfach Eingang in grammatische Darstellungen zum Norwegischen finden. Bull und Swan (2002) vertreten in ihrem Übersichtsartikel zu Veränderungen personaler Appellationsfor-
5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender
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Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, gibt es eine Reihe von vor allem U.S.amerikanischen, kanadischen und australischen Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Sprachveränderungen, hier speziell auf der lexikalischen Ebene, nicht unbedingt das positiv erwünschte Ergebnis gebracht haben, das erhofft worden ist. Sie haben gezeigt, dass die als nichtdiskriminierende Strategien gedachten Sprachveränderungen häufig wieder in diskriminierender Weise instrumentalisiert worden sind. Dies ist in den meisten Fällen keine bewusste Strategie, sondern scheint Ausdruck dafür zu sein, dass Sprachveränderungen alleine nicht in allen Fällen zu einer Bewusstseinsveränderung oder auch nur Sensibilisierung führen, sondern unreflektiert in bestehende Denk- und Handlungsmuster transponiert werden. So haben Ehrlich und King (1994) für kanadische Tageszeitungen zeigen können, dass die Wörter chair und chairperson, die das androzentrisch generische chairman ersetzen sollten, vor allem für Frauen werden und für Männer weiterhin chairman, so dass chair und chairperson nicht neue neutrale Begriffe, sondern genderspezifizierend sich auf Frauen beziehende Begriffe geworden sind. Zu einem ähnlichen Resultat ist Pauwels (2001a) für die Verwendung der Anredeform Ms. im australischen Kontext gekommen, wenngleich sich in ihrer Untersuchung gezeigt hat, dass es notwendig ist zwischen den Sprechenden und der Selbst- und Fremdappellation durch die Form zu differenzieren. Pauwels (1997) hat in einer Untersuchung von australischen Stellenanzeigen zudem eine auffallende Zunahme ‚neutraler‘ Formulierungen, die Formen auf –man ersetzen festgestellt. Inwiefern diese zu einer ‚genderneutralen‘ Konzeptualisierung beitragen oder ob es sich um vordergründige Strategien politischer Korrektheit handelt,221 ist dabei ungewiss. Es hat sich in diesem Kapitel gezeigt, dass diese Beobachtung in vergleichbarer Weise auch für das Schwedische getroffen werden kann, betrachtet man die sprachstrategische Veränderung von riksdagsman zu ____________
men in Bezug auf Gender im Norwegischen insgesamt eine sehr optimistische und positive Meinung dazu, dass es weitreichende Veränderungen in der norwegischen Gesellschaft gibt, die eine Gendergleichstellung noch nicht vollkommen aber zu sehr großen Teilen realisiert hat und welches sich ihres Erachtens auch in entsprechenden Sprachveränderungen niederschlägt. Die von ihnen angeführten Indizien für Gendergleichstellung in Norwegen beziehen sich ausschließlich auf quantitative Werte der Partizipation von Frauen an Berufen des öffentlichen Sektors und sind nur ein Faktor, der bei einer Thematisierung von Gendergleichstellung beachtet werden muss. Ihrer Perspektive fehlt eine genügende Ausdifferenzierung sowohl auf der Ebene des kulturellen Kontextes wie auf der Ebene der sprachlichen Realisierung genderspezifizierender Appellationen. 221 Vgl. Cameron (1995).
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
riksdagsledamot, die heute nahezu ausschließlich auf Frauen angewendet wird.222 In der Diskussion der öffentlichen Diskussion um strategische Sprachveränderungen in Bezug auf Gender im Schwedischen ist darüber hinaus deutlich geworden, dass den meisten Ausführungen jenseits dessen, welchen Positionen sie sich zurechnen, gleichbleibende Argumentationen zu Grunde liegen, die jeweils auf eine Annahme der Natürlichkeit von Sprache und damit auch Sprachentwicklung rekurrieren. In dieser Sichtweise werden strategische Sprachveränderungen als störende und schädliche Eingriffe angesehen, die in einigen der sprachpflegerischen Argumentationen sogar so weit gehen, dass eine genderdiskriminierende Problematik erst durch feministische Sprachveränderungsstrategien in eine Sprache getragen würde, was für das Schwedische als glücklicherweise verhindert dargestellt wird. Die Reproduktion einer Natürlichkeitsvorstellung von Sprache kommt gleichzeitig auch durch ein ständiges Rückbeziehen auf ursprüngliche, frühere Bedeutungen zum Ausdruck, an denen ein heutiger und damit gleichzeitiger ‚unreiner‘, da veränderter Sprachgebrauch gemessen wird. Frühere Gebrauchsweisen werden als Norm und Belege dafür herangezogen, dass eine bestimmte Gebrauchsweise in Bezug auf Genderunspezifizierung korrekt sei. Hier wird gleichzeitig eine Trennung von Sprache und sozialer Wirklichkeit verfestigt, in der Sprache ein unschuldiges Medium jenseits sozialer Bewusstwerdungsprozesse eine gleichbleibende, ursprüngliche Bedeutung transportiert. Da diese Auffassungen den argumentativen Ausführungen als Präsuppositionen zu Grunde liegen, sind sie nur schwer hinterfragbar und verfestigen gleichzeitig die Vorstellung der Natürlichkeit von Sprache. In keinem Fall der sprachpflegerischen Diskussionen wird explizit auf Frauenbewegung und Feminismus als eine Quelle für angedachte strategische Sprachveränderungen verwiesen, sondern gerade in den Fällen, wo dies zum Thema werden müsste, Passivkonstruktionen gewählt, in der eine Agenslosigkeit für entsprechende Kritiken hergestellt wird. Durch die Nichtbenennung und Konkretisierung von Kritik wird diese gleichzeitig in der Darstellung entpolitisiert und häufig als normabweichende Meinungen einzelner oder kleinerer Gruppen stilisiert, denen dann von staatlicher Seite mit paternalisierender Toleranz begegnet werden kann, ohne dass eine
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222 Vgl. auch Kapitel 6 für eine ausführlichere Analyse.
5.5 Ausblick zu strategischen Sprachveränderungen in Bezug auf Gender
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Auseinandersetzung mit den Argumenten und Kritikpunkten stattfinden müsste. In Bezug auf die konkreten Formen, die in der öffentlichen Verhandlung von strategischer Sprachveränderung eine Rolle spielen, ist auffallend, dass es hinsichtlich substantivischer personaler Appellation keine übergreifende und umfangreiche Diskussion zu geben scheint, sondern hier in nahezu allen Äußerungen immer wieder auf die Genderunspezifiziertheit der zumindest gleichzeitig auch genderspezifizierend männlich appellierenden Formen verwiesen wird. Eine Form, die dafür fast symbolisch zu stehen scheint, ist die Appellationsform polisman ‚Polizeimann‘, die in zahlreichen Kommentaren Erwähnung findet. Die Form riksdagsledamot wird in mehreren Veröffentlichungen herangezogen, um deutlich zu machen, dass strategische Sprachveränderungen nicht den gewünschten Effekt erreichen würden, die Form sjuksköterska ‚Krankenschwester‘ zeige hingegen die durch die schwedische Gendergleichstellung gegebene Möglichkeit, auch genderspezifizierend weibliche Formen als genderunspezifizierende zu benutzen. Die Frage, wie aus genderspezifizierend männlichen genderunspezifizierende Formen werden können, wird in keinem Fall angesprochen oder problematisiert. Wird die Notwendigkeit einer Genderspezifizierung von Tätigkeitsbenennungen erwähnt, so wird dies auf eine weibliche Genderspezfizierung begrenzt und die Frage einer männlichen Genderspezifizierung damit ausgelassen, wodurch zugleich das Problem der Doppelfunktion der entsprechenden Formen unsichtbar bleibt. Letztendlich wird so wieder die Vorstellung, dass eine weibliche Genderspezifizierung prototypisch für Gender steht, wohingegen eine männliche Genderspezifizierung der prototypische Fall für eine allgemeinmenschliche Vorstellung ist, bekräftigt. Die einzigen Formen, die ausführlicher behandelt werden, sind die Personalpronomina der dritten Person Singular. Hier findet sich eine Erwähnung mehrerer unterschiedlicher Strategien. In den meisten Veröffentlichungen wird jedoch die Neutralität der Form han unterstrichen und lediglich eine Konzession eingeräumt, die eine Differenzierung zwischen genderneutral und absolut genderneutral einführt und in letzterem Fall die Möglichkeit einer pronominalen Doppelform einräumt. Jedoch werden auch hier eher andere Strategien favorisiert, wie beispielsweise die identische Wiederholung eines Substantivs oder Passivkonstruktionen. Die Diskussion um genderunspezifizierende Appellationsformen wird auf wenige Fälle beschränkt und nur in Bezug auf die pronominale Appellation führt diese zur Erwähnung mehrerer unterschiedlicher Strategien, deren teilweise Realisierung zumindest in den Darstellungen antizipiert wird. Die her-
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5. Eine Diskursanalyse zu feministischen Sprachveränderungen im Schwedischen
ausragende Bedeutung, die die pronominalen Formen für eine Konzeptualisierung von Gender als natürlich besitzen, wie sie in Kapitel 3 dargestellt worden ist, wird auch noch mal mit Hinblick auf strategische Sprachveränderungen und ihre öffentliche Diskussion unterstrichen. In keinem Fall steht erwartungsgemäß die Kategorie Gender selbst im Hinblick auf ihre angenommene Natürlichkeit zur Debatte wie auch die den Sprachnormen unterliegende Heteronormativität in den mit ihr verbundenen Konzeptualisierungen nicht diskutiert wird. Zu einer ähnlichen Feststellung kommt Livia (2001) in einer Analyse der englischsprachigen und französischen feministischen Sprachveränderungsdiskussionen. „If one believes that linguistic structure is causing a continuum to be perceived as two sharp polarities and that natural, biological differences have taken on a symbolic significance that attributes power to one group while disempowering the other, then it is logical to wish to alter or jettison grammatical gender markers.“ (Livia 2001: 19)
Darüber hinausgehend kann als Ausblick dieses Kapitels gefragt werden, ob nicht die Verhandlung bestimmter personaler Appellationspraktiken im heutigen Schwedisch unabhängig von ihrem öffentlichen Gelingen darauf hinweist, dass bestimmte Bereiche nicht tabuisiert sind, dadurch aber andere Bereiche noch weniger öffentlich verhandelbar gemacht werden, so dass letztendlich auch in der Diskussion um Sprachveränderungen personaler Appellationen in Bezug auf Genderspezifizierung im heutigen Schwedisch anderes in die Sphäre des unverhandelbaren verschoben wird. Diese Überlegung nimmt einen Gedanken der impliziten Zensur wieder auf, wie er von Butler (1997a) formuliert worden ist und geht damit über die Frage der expliziten Verhandlung von Sprachveränderungsvorschlägen hinaus. Ausgehend davon kann gefragt werden, was in einer bestimmten Sprache überhaupt benannt werden kann und was der Benennung entgeht – und damit auch dem expliziten Widerstand gegen ebendiese Benennungen. „In such cases, no explicit regulation is needed in which to articulate this constraint. The operation of implicit and powerful forms of censorship suggests that the power of the censor is not exhausted by explicit state policy or regulation. Such implicit forms of censorhip may be, in fact, more efficacious than explicit forms.“ (Butler 1997a: 130)
6. Produktion personaler Appellationsformen – quantitative und qualitative Korpusauswertungen schwedischer personaler Appellation unter Genderaspekten 6.1 Einleitung Das vorliegende Kapitel verfolgt hauptsächlich zwei Zielsetzungen: Zum einen wird untersucht, inwiefern die in Kapitel 3 dargestellten Möglichkeiten der Konzeptualisierung von personaler Appellation in Bezug auf Gender im heutigen Schwedisch realisiert, welche Appellationen ausdifferenziert werden, aber auch welche im Sprachgebrauch nicht vorhanden sind, das heißt, an welchen Stellen keine Genderspezifizierung stattfindet und wo eine einseitige Lexikalisierung und/oder Grammatikalisierung einer Genderspezifizierung zu finden ist. Während im dritten Kapitel die Möglichkeiten zur Genderspezifizierung personaler Appellation, herausgearbeitet worden sind, geht es hier um ihre Konkretisierung. d.h. ihren konkreten Gebrauch innerhalb unterschiedlicher Diskurse. Diese Analyse ist komplementär zu der für die Erstellung von NYO (2000) angemerkten Motivation linguistischer Analyse und hier konkret auf Genderspezifizierung personaler Appellation bezogen. „Varje tid har sitt ordförråd. Tillskotten av nya ord berättar om förändringar i samhälle, tänkesätt och livsmönster, om nya vetenskaper och ny teknik, om lyckliga eller mindre lyckliga händelser, om krig och katastrofer. Somligt går snabbt förbi utan att avsätta några varaktiga spår, medan annat dränger in i vår tanke- och begreppsvärld och därmed också i språket.“ (NYO 2000: 8)1
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‚Jede Zeit hat ihren Wortschatz. Das Hinzukommen neuer Wörter erzählt über die Veränderungen in der Gesellschaft, die Denkgewohnheiten und Lebensmuster, neue Wissenschaften und neue Technik, glückliche oder weniger glückliche Ereignisse, Krieg und Katastrophen. Einige gehen schnell vorbei, ohne dass sie groß wahrnehmbare Spuren hinterlassen würden, wohingegen andere sich in unsere Gedanken- und Begriffswelt drängen und damit auch in die Sprache.‘ Auf einer analytischen Metaebene zu NYO (2000) ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass in der einleitenden Zusammenfassung historischer und sozialer Ereignisse, denen die Macht zugesprochen wird, lexikalische Veränderungen im heutigen Schwedisch zu bewirken, Genderfragen nur ein Satz gewidmet wird: „Kvinnorna fortsatte att kämpa mot machoattitiyder och grabbigheter.“ ‚Die Frauen kämpften weiterhin gegen Macho-
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Zugleich werden im Anschluss an Kapitel 5 Tendenzen des öffentlichen, vor allem medialen und schriftsprachlichen Sprachgebrauchs der letzten 30 Jahre aufgezeigt. Es wird untersucht, ob sich in diesem Zeitraum die Konventionen der realisierten personalen Appellationen in Bezug auf Gender im Schwedischen innerhalb verschiedener öffentlicher Diskurse verändert haben, welche Bereiche davon betroffen sind und welche Konsequenzen dies für Konzeptualisierungen von Gender hat. Der Bereich personaler Appellation wird überschritten, indem zusätzlich auch betrachtet wird, in welchen Fällen personale, genderspezifizierende Appellationsformen als erstes Glied in Komposita Verwendung finden und welche Konzeptualisierungen damit verbunden sind. Es wird analysiert, bei welchen Konzeptualisierungen über personale Appellation hinaus Gender hergestellt wird, was gegendert wird und welche Konzepte mit einer entsprechenden Genderung verbunden sind. Auf diese Weise werden Tendenzen der Konzeptualisierung von Gender im Lexikon des heutigen Schwedisch umfassender herausgearbeitet als dies der Fall sein könnte, würden ausschließlich personale Appellationsformen betrachtet. Zugleich geschieht diese Erweiterung der Analyse auf dem Hintergrund der These, dass sich Genderrollen und –identitäten nicht nur über personale Appellation in einer Sprache herstellen.
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Einstellungen und Jungenhaftigkeiten.‘ (NYO 2000: 11) Zum einen werden hier Genderfragen weiterhin zu einer „Frauensache“ erklärt, zum anderen finden personale Appellationsformen hier keine Erwähnung, die aber gerade auch in diesem Bereich, wie in diesem Kapitel zu zeigen sein wird, eine zentrale Rolle spielen.
6.2 Methodische Diskussion
447
6.2 Methodische Diskussion Im folgenden wird die Notwendigkeit der Betrachtung konkreten Sprachmaterials für die Frage der Untersuchung genderspezifizierender und genderunspezifizierender personaler Appellationsformen im Schwedischen diskutiert. In diesem Zusammenhang wird die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen schriftlichem und mündlichem Sprachgebrauch erörtert sowie die Frage, ob neben der Behandlung von ‚natürlichem‘ Sprachmaterial die Berücksichtigung von experimentellen Daten für die vorliegende Forschungsfrage sinnhaft erscheint. Diese Erörterung ist im Kontext einer Diskussion um die Einbeziehung korpuslinguistischer Ansätze zu lesen. Forschungen zu schriftsprachlichen Diskursen haben bisher einen Schwerpunkt linguistischer Beschäftigung gebildet. Dies ist zum Teil durch die vorherrschende Sprachsicht in der Linguistik begründbar2, zum Teil aber auch in der einfacheren Zugänglichkeit der schriftsprachlichen gegenüber mündlichen Daten begründet, welches ein ökonomisches Kriterium der Möglichkeiten von Forschung ist. Durch das Vorhandensein von ‚authentischen‘ Daten in schriftsprachlicher Form ist die Notwendigkeit von Transkriptionen mündlichen Sprachgebrauchs mit allen verbundenen Bedingungen und Vorentscheidungen, die dabei getroffen werden müssen, umgangen. Die Vorteile sind über lange Zeit so schwerwiegend gewesen, dass die Nachteile der einseitigen Fokussierung auf Schriftsprachlichkeit nicht weiter betrachtet worden sind. Mündlicher Sprachgebrauch wurde in der Linguistik – und wir teilweise immer noch – als eine Quelle zur Herauskristallisierung der davon zu abstrahierenden Sprachnorm angesehen, ohne dass dem mündlichen Sprachgebrauch ein eigener linguistischer Status zukommt. Sprache als Schriftsprache und schriftsprachliche Norm ist in linguistischen Forschungen immer wieder reproduziert worden. In der Regel fokussieren die schriftsprachlichen Korpora öffentliche Diskurse, insbesondere schriftsprachliche Mediendiskurse. Dies gilt auch für die für das Schwedische zu Forschungszwecken zur Verfügung stehenden Korpora. Sie bieten eine nicht zu unterschätzende, wichtige Grundlage für linguistische Forschungen zur Sprachproduktion, wobei die Art der sprachlichen Äußerung sowie ihre diskursive Beschränkung in ausreichendem Maße in Analysen mit berücksichtigt werden müssen.
____________ 2
Vgl. Kapitel 1.
448
6. Produktion personaler Appellationsformen
Mit einer Kritik an der traditionellen Linguistik, dem Entstehen einer pragmatischen linguistischen Perspektive und unterstützt durch das Aufkommen neuer computertechnischer Möglichkeiten der Speicherung und Transkription sprachlicher Daten sowie der Herausbildung des linguistischen Teilgebietes Korpuslinguistik seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, findet momentan eine Schwerpunktverlagerung hin zu einer stärkeren Berücksichtigung mündlichen Sprachmaterials statt. Nur die Betrachtung schriftlichen und mündlichen Sprachmaterials zusammen kann ein umfassenderes Bild eines sprachlichen Phänomens in seiner Vielschichtigkeit liefern. Dies geht mit einem veränderten Verständnis dessen, was Grammatikalität sei, einher. Die Frage nach der intuitiven Einschätzung der Grammatikalität von kontextlosen Äußerungen, häufig auch nur Phrasen, durch vor allem Linguist/inn/en, wird durch die Auswertung von vor allem auch mündlichen Sprachdaten zunehmend ersetzt. „[...] frequency is very important in an alternative conception of grammar formation based on a model of grammar which is „usage-based“. Such models assume that grammar formation is inductive to a large extent and that frequency of linguistic usage events has a direct effect on the form of the grammar.“ (Barlow 1996: 5)
Es wird eine quantitative Analyse für die Fragestellung, welche Formen des Gebrauchs am häufigsten zu finden und in bestimmten Kontexten am stärksten konventionalisiert sind, als sinnvoll erachtet. Häufigkeit eines Gebrauchs wird als Symptom einer Konventionalisierung angesehen, handelt es sich um substantivische Appellationen. Darüber hinaus wird zwischen der Frequenz und ihrer Erklärung für substantivische und adjektivische Genderspezifizierungen differenziert. Letztere werden als additive Spezifizierungen und Konkretisierungen einer personalen Appellation verstanden, die eher auf eine Unkonventionalität der durch das attributiv benutzte Adjektiv zur Genderspezifizierung hinsichtlich der Konzeptualisierung durch das personal appellierende Substantiv hindeuten und auf diese Weise Rückschlüsse auf die konventionalisierte Genderkonzeptualisierung des Substantivs zulassen. Weitere Kriterien, die in der vorliegenden Analyse eine Rolle spielen, sind der Schlüsselwortforschung entlehnt.3 Insbesondere die Kriterien Ad-Hoc-Bildungen und Sprachreflexivität werden in ihrer Relevanz für die Frage der Konventionalisierung von Genderkonzeptualisierungen durch die konkreten Analysen untersucht. Die Häufigkeit des Gebrauchs bestimmter Formen wird als Kriterium für gängige sprachliche Verhaltensweisen angesehen, nicht aber als Be-
____________ 3
Vgl. hierzu die Diskussion der Kriterien zur Schlüsselwortanalyse bei Brylla (2003).
6.2 Methodische Diskussion
449
gründung für die ‚Richtigkeit‘ einer bestimmten systemhaften Darstellung personaler Appellationen als ein vom Sprachgebrauch unabhängiges und diesem vorgeschaltetes Modell. Es geht aus einem pragmatischen Verständnis bezogen auf das vorliegende Thema nicht um die potentiellen theoretischen Möglichkeiten von Sprachgebrauch, sondern um ihr tatsächliches Vorkommen und die konkreten Verwendungen von personalen Appellationsformen sowie um ihre dynamische und situativ begründete Bedeutungsaushandlung in konkreten Diskursen. Unter dieser Perspektive kann es bei der Einbeziehung sowohl schriftlichen wie mündlichen Sprachmaterials von besonderem Interesse sein zu sehen, welche Differenzen oder Ähnlichkeiten sich hier in Bezug auf die Forschungsfrage zeigen. Da alle bisherigen Untersuchungen zum Thema sich ausschließlich auf schriftsprachliches Material stützen, können die eigenen, hier durchgeführten und vorgestellten Analysen bisherige Untersuchungen und ihre Ergebnisse auch in dieser Hinsicht neu perspektivieren sowie zusätzlich dazu die grammatischen Darstellungen relativieren. Auf der Grundlage der quantitativen Daten, die in der vorliegenden Untersuchung gezielt ausgewertet werden, werden die einzelnen Belege in konkreten Fällen darauf hin betrachtet, ob sie genderspezifizierend oder genderunspezifizierend verwendet werden. Des weiteren wird untersucht, ob sie in direkter Opposition zu einer anderen personal appellierenden Form stehen und welche Konzeptualisierungen daraus abgeleitet werden können. Die Frage der Sprachreflexivität der Verwendungen spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Miteinbeziehung anderer Studien, wobei auch Untersuchungen aus nicht-linguistischen Disziplinen, die sich mit einzelnen personalen Appellationsformen im Rahmen anderer Themenstellungen beschäftigt haben, mit berücksichtigt werden.4 Es zeigt sich, dass quantitative und qualitative Methoden ineinanderfließen und nicht unabhängig voneinander Anwendung finden. Zusätzlich dazu steht dieses Kapitel im Kontext der vorhergehenden, die mit unterschiedlichen Formen der Datenauswertung im Hinblick auf die Frage der Genderspezifizierung personaler Appellation arbeiten und sich in ihren Ergebnissen gegenseitig ergänzen. Eine vergleichbare Kombination unterschiedlicher methodischer Ansätze und verschiedener Datenquellen, wie sie in der vorliegenden Monografie innerhalb der verschiedenen Kapitel für das Schwedische entwickelt und umgesetzt worden ist, ist für eine Untersuchung der Genderspezifi-
____________ 4
An dieser Stelle zeigt sich zugleich auch, dass die Grenzziehung zwischen verschiedenen Disziplinen, die diskursanalytisch arbeiten, nicht aufrecht erhalten werden kann.
450
6. Produktion personaler Appellationsformen
zierung personaler Appellation bisher einmalig. Wie de Mönnink (1999) für eine Untersuchung der floating postmodification der Nominalphrase im Englischen darstellt, ist eine Kombination von Korporaauswertungen und experimentellen Verfahren innerhalb eines linguistischen Ansatzes, wie es in dieser Monografie in den Kapiteln 3 und 6 umgesetzt wird, ein sinnvolles Verfahren. Zusätzlich dazu wird in dieser Studie auch ein breiterer, diskursanalytischer Ansatz gewählt, der die in diesen Kapiteln analysierten Daten mit der Analyse verschiedener Diskurser um personale Appellation herum kombiniert und so zueinander ins Verhältnis setzt. De Mönnink (1999) formuliert die Differenz innerhalb der Linguistik, die zwischen Vertreter/inne/n einer intuitiven Datenbasis und Vertreter/inne/n der Korpuslinguistik besteht und führt diese auf deren unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, was linguistisches Erkenntnisinteresse sei, zurück. Die unterschiedlichen Auffassungen führen zu einer Verwerfung der jeweils anderen Richtung und zu ihrem jeweiligen Ausschluss, was eine Kombination beider Datenquellen bisher weitgehend unmöglich gemacht hat. De Mönnink (1999) argumentiert in ihrer Darstellung ebenfalls für eine Kombination verschiedener Datenquellen, um so zu umfassenderen Ergebnissen zu gelangen. Ausgehend von dem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse, wie es in dieser Publikation entwickelt worden ist, ist ein Methoden- und Datenpluralismus notwendiger Bestandteil der Forschung, um verschiedene diskursive Verhandlungen miteinander ins Verhältnis setzen zu können. Die innovative Kombination unterschiedlicher Methoden und Datenquellen in dieser Arbeit entspricht dem unter einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse leitenden Fragestellungen dieser Arbeit. Das Ziel der in diesem Unterkapitel durchgeführten Kombination aus quantitativer und qualitativer Analyse ist es, die systematisch in dem dritten und fünften Kapitel dargestellten Möglichkeiten der personalen Appellation an konkreten Diskursen nachzuweisen und auf dieser Grundlage in ihrer Relevanz für die Realisierung von Genderspezifizierungen in personaler Appellation zu bewerten. Dies führt zu einer differenzierten Einschätzung der lexikalisierten und grammatikalisierten Möglichkeiten der personalen Appellation im Schwedischen unter dem Gesichtspunkt Gender, relativiert aber auch die potentiellen Möglichkeiten durch konkrete Sprachgebrauchsdaten hinsichtlich ihrer Realisierung. Leitende Fragestellung in der nachfolgenden Analyse wird es sein, welche Strategien für genderspezifizierende Appellationen, welche für genderunspezifizierende ausgenutzt werden. Welche konkreten Verwendungsweisen von Appella-
6.2 Methodische Diskussion
451
tionsformen finden sich? Welche aktuellen Reproduktionen von Genderbildern, aber auch welche Sprachveränderungen lassen sich daran ablesen?
6.3 Untersuchungskorpus In diesem Unterkapitel wird die in Kapitel 3 vorgestellte Übersicht der Möglichkeiten im Schwedischen zur personalen Appellation mit Schwerpunkt auf den Aspekt Gender mit Produktionsdaten schriftsprachlichen Gebrauchs gegen gelesen. Dadurch wird untersucht, welche Möglichkeiten der genderspezifizierenden und –unspezifizierenden personalen Appellation ausgenutzt werden. Die Struktur von Kapitel 3 wiederaufnehmend werden die Ergebnisse bisheriger Studien vorgestellt und um eigene Untersuchungen ergänzt. Die in der eigenen empirischen Untersuchung herangezogenen schriftsprachlichen Daten entstammen dem Mediendiskurs. Diese Datenquelle ist innerhalb einer konstruktivistischen Untersuchung zur Herstellung von Genderkonzeptualisierungen auch deshalb zentral, weil Medien in dem Prozess der Aushandlung von Konzeptualisierungen und ihrer Konventionalisierung eine zentrale gesellschaftliche Rolle zugesprochen wird. „Journalism is in fact a gigantic archive of textuality, a huge store of human sense-making, unselfconsciously generated by and documenting the social, personal, cultural and political interactions of contemporary life, while at the same time displaying its own particular properties and characteristics, its own patterns, histories, quirks and accidents.“ (Hartley 1996: 3)
In konstruktivistischer Sichtweise werden Subjekte durch die Mediendarstellungen hergestellt. Die in entsprechenden konstruktivistischen Medientheorien und medienwissenschaftlichen Untersuchungen vertretene Ausgangsthese stimmt mit dem hier vertretenen Ansatz überein und spielt insbesondere in Untersuchungen zur Konstruktion von Gender eine herausragende Rolle.5 Allén (1986) stellt fest, dass 75% allen gedruckten Materials im Schwedischen aus Zeitungen besteht. Diese sind zudem einem großen Teil der Bevölkerung über Unterschiede kollektiver Identitäten wie Alter, Bildung und Gender hinweg zugänglich und werden von diesen benutzt, so dass ihnen in Bezug auf Schriftsprachgebrauch eine besondere
____________ 5
Neuere, medienwissenschaftliche Untersuchungen zu schwedischen Wochenzeitschriften, in denen es auch die Frage der Herstellung von Gender geht, sind Hirdman (2002) und Sköld (1998).
452
6. Produktion personaler Appellationsformen
Stellung zukommt. Seit den 90er Jahren verschiebt sich der Schwerpunkt zunehmend zu Gunsten eines Sprachgebrauchs mit Hilfe neuer Medien, insbesondere des Internets. Dem wird getragen, indem für die jüngste Zeit auch Internetquellen für die Analyse hinzugezogen werden. Die eigenen Untersuchungen zum schriftlichen medialen Sprachgebrauch stützen sich auf mehrere Quellen6: x Es werden die Daten der Datenbank Språkbanken der Universität Göteborg herangezogen, die öffentlich zur Verfügung stehen und für Analysen benutzt werden können. Språkbanken besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Textkorpora. Für die Untersuchung werden die Korpora ausgewählt, die Tageszeitungsmaterial umfassen. Die Korpora sind auf einzelne Jahrgänge beschränkt, so dass an Hand des hier verwendeten Materials die Jahre 1965, 1976, 1995 1996, 1997, 1998 zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können. Wie die nachstehende Tabelle verdeutlicht, ist der Umfang der Korpora für die verschiedenen Jahre verschieden groß. x Die folgenden überregionalen und regionalen Tageszeitungen wurden in unterschiedlichem Umfang für die Erstellung der Korpora in den verschiedenen, hier analysierten Jahren verwendet: Dagens Nyheter, Svenska Dagbladet, Göteborgs Posten, Sydsvenska Dagbladet und Arbetet. Es wurden jeweils verschiedene Tage oder mehrtägige Phasen innerhalb eines Jahres ausgewählt, aus denen die einzelnen Zeitungen genommen und ausgewertet wurden. Die Prozentzahlen der Tabelle geben die relative Menge des einzelnen Korpus für ein Jahr im Verhältnis zu der Gesamtheit aller hier berücksichtigten Tageszeitungskorpora an. Diese relative Zahl wird an verschiedenen Stellen der nachfolgenden Analysen wichtig, wenn es um eine zeitvergleichende Auswertung der Häufigkeit der Anwendung einer bestimmten Form geht.
____________ 6
Diese Quellen finden auch in Hornscheidt (2006b) Verwendung.
453
6.3 Untersuchungskorpus
Tabelle 1: Verwendete Kopora aus Språkbanken mit ihrer relativen Größe
x
x
Anzahl Tokens
Prozent
Press 65
990 989
2,8
Press 76
1 156 958
3,2
Press 95
6 769 649
18,9
Press 96
5 755 168
16,2
Press 97
11 900 570
33,2
Press 98
9 239 336
25,7
insgesamt
35 812 670
100
Es werden Internetausgaben der überregionalen schwedischen Tageszeitungen Svenska Dagbladet und Dagens Nyheter aus den Jahren 2001 bis 2003 berücksichtigt, um das Korpus um aktuellere Belege zu ergänzen. An Hand dessen werden vermutete Tendenzen und Gebrauchsweisen an aktuellem Zeitungsmaterial überprüft. Es findet eine gezielte Auswertung der Datenbanken von Mediearkivet und Presstext zum jüngsten Zeitraum bei einzelnen Fragestellungen statt, um vermutete Tendenz an neueren Zeitungs- und Zeitschriftsbelegen zu überprüfen. Mediearkivet und Presstext bieten in einigen Fällen Suchmöglichkeiten für aktuelle Tageszeitungen und Zeitschriften, so dass sie die Analysen aus Språkbanken um jüngere Einträge und Verwendungsweisen in einer größeren Zahl unterschiedlicher schriftsprachlicher Medien ergänzen können. In Mediearkivet sind 44 unterschiedliche regionale und überregionale Tageszeitungen und Zeitschriften berücksichtigt7, in Presstext 18 überregionale Zeitungen und vor allem populärwissenschaftliche Zeitschriften8. Die beiden letztgenannten Quellen zeichnen sich durch eine hohe Aktualität aus, haben aber nicht dieselben Suchfunktionen wie in der Konkordanzfunktion von Språkbanken, wodurch häufiger noch als bei Daten aus Språkbanken für diese Korpora manuelle Auszählungen in größerem Umfang vorgenommen worden sind. Beide Datenbanken sind nicht öffentlich zugänglich und abgabepflichtig.
____________ 7 8
Vgl. die Aufstellung auf http://www.mediearktivet.se/vara_kallor.jsp vom 27.8.2003; einige der Zeitschriften und Zeitungen sind heute eingestellt, so dass für diese nur noch historisches Material im Archiv zur Verfügung steht. Vgl. die Aufstellung auf http://fakta.presstext-prb.se/ vom 27.8.2003.
454
x
x
x
6. Produktion personaler Appellationsformen
Für einzelne, qualitative Analysen wird die Zeitschrift Genus, ein spezifisch feministisch-wissenschaftliches Medium, mit einbezogen. Gerade in Bezug auf die Frage genderspezifizierender personaler Appellation und den zuvor diskutierten, feministisch initiierten Sprachveränderungsstrategien erscheint es wichtig, auch spezifisch feministische Diskurse mit zu berücksichtigen. Genus wird von Nationella sekretariatet för genusforskning ‚Nationales Institut für Genderforschung‘ mit Sitz in Göteborg herausgegeben. Die Zeitschrift verfolgt das Ziel, eine interessierte schwedischsprachige Öffentlichkeit über aktuelle schwedische Genderforschungen zu informieren und zu entsprechenden Debatten anzuregen. An ihr wird exemplarisch untersucht, inwiefern feministische Strategien zu Sprachveränderungen in feministischen Medien umgesetzt worden sind und was realisiert wird. Es findet eine systematische Auswertung des Romans Smulklubbens skamlösa systrar von Mian Lodalen (2003) statt. Dieser Roman ist umgangssprachlich in Form eines Tagebuches mit einem großen Anteil direkter Rede verfasst und spielt in einem feministisch-lesbischen Milieu. Diese Quelle wurde hinzugezogen, um neben der Zeitschrift Genus eine weitere feministische Quelle, die zudem in der fiktiven direkten Rede Alltagsdialoge imitiert, auswerten zu können. Dem Roman wird keine Repräsentativität des Sprachgebrauchs zugeschrieben, er soll die Bandbreite sprachlicher Variationsmöglichkeiten in Bezug auf genderspezifizierende und genderunspezifizierende personale Appellation verdeutlichen helfen. Zusätzlich dazu wird durch eine Einbeziehung dieser Quelle eine stärkere Berücksichtigung der Appellation auf weibliche Homosexualität in personaler Appellation möglich, als es sonst der Fall wäre, da in den konventionellen Medien diese nahezu unsichtbar ist, wie auch in dem vorliegenden Kapitel deutlich wird. Eine weitere Quelle sind zielgruppenspezifische Internetseiten, durch die der Gebrauch personaler Appellationsformen bei verschiedenen sozialen Gruppen fokussiert wird. Dies ist zum einen eine Berücksichtigung von Internetzeitschriften, die sich an Jugendliche wenden und zum anderen Internetseiten, die sich an Homosexuelle wenden. Durch eine Berücksichtigung zielgruppenspezifischer Medien kann festgestellt werden, inwiefern ein hegemonial geprägter, öffentlicher Diskurs mit diesen in Bezug auf die Verwendung bestimmter personaler Appellationsformen übereinstimmt oder von ihnen abweicht. Dadurch kann in bestimmten Fällen die Deutungsmacht und die Konventionalisierung bestimmter, mit dem Gebrauch personaler Appellationsformen verknüpfter Konzeptualisierungen untersucht werden. Durch die
6.3 Untersuchungskorpus
x
455
Einbeziehung von Internetseiten werden auch einzelne, im Netz archivierte Chats zu Artikeln von Internetmedien in der Analyse mit hinzu gezogen, so dass eine spezielle Form schriftsprachlichen Sprachgebrauchs, der in bestimmter Hinsicht eine gewisse Nähe zu mündlichem Sprachgebrauch besitzt, mit berücksichtigt werden kann. An einigen Stellen werden zudem die Befunde von NYO (2000) mit referiert, da auch dieses den Anspruch erhebt auf der Grundlage aktuellen und authentischen Datenmaterials zu Aussagen über heutige Sprachverwendungsweisen zu kommen.9
Durch die Berücksichtigung dieser verschiedenen schriftsprachlichen Quellen für eine Analyse der Realisierung sprachlicher personaler Appellation im schriftsprachlichen Gebrauch können die Ergebnisse teilweise für Konventionen unterschiedlicher Genres und Zielgruppen ausdifferenziert werden. Dadurch kann sich ein komplexeres und nuancierteres Bild der Genderspezifizierung personaler Appellation ergeben, als dies in bisherigen Studien möglich war. Die in den Kapiteln 4 und 5 diskutierten Sprachveränderungsstrategien und –theorien von zum einen vor allem feministischer wissenschaftlicher Seite, zum anderen öffentlicher und staatlicher Seite können differenziert nach verschiedenen Diskursen auf ihre Realisierung hin überprüft werden. Dieses Vorgehen entspricht den in den ersten Kapiteln entworfenen konstruktivistischen pragmatischen Ansatz, von dem ausgehend die Betrachtung konkreten Sprachgebrauchs zur Analyse sprachlicher Appellation ein vorrangiges Anliegen ist. Die Ausdifferenzierung zielgruppen-, situations- und kontextspezifischer Faktoren ist hierbei unerlässlich. Diesem Anspruch soll durch die vorliegende Analyse zumindest in Ansätzen Genüge getragen werden. Es ist offensichtlich, dass eine potentielle und auch potentiell sinnvolle Ausdifferenzierung der hinzuziehbaren Quellen unendlich ist. Die Schwerpunkte, die für diese Studie in Bezug auf den schriftsprachlichen Gebrauch gesetzt worden sind, sind davon bestimmt, dass ein gesellschaftlich relativ breit zugänglicher Sprachgebrauch Beachtung finden sollte, so dass dem Aspekt der Konventionalisierung insbesondere Genüge getragen wird. Die Analyse des mündlichen Sprachgebrauchs stellt eine wichtige Ergänzung zur Untersuchung des Schriftsprachengebrauchs dar. Gerade in Bezug auf personale Appellation sind wichtige Unterschiede zu erwarten. Alleine schon durch die Diskurssituation ist die mündliche Kommunikati-
____________ 9
Vgl. das Zitat aus NYO (2000) weiter vorne in diesem Kapitel.
456
6. Produktion personaler Appellationsformen
on von einer sehr viel stärkeren direkten personalen Appellation auf die Kommunikationsrollen und einer relativ gesehen schwächeren auf Dritte, die nicht direkt an der Kommunikation beteiligt sind, geprägt. Die mündliche Analyse stützt sich auf Göteborger Sprachdatenmaterial, welches nicht öffentlich zugänglich ist. Es handelt sich um das Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache, welches im folgenden mit Göteborger Korpus zitiert wird. Das Korpus umfasst zur Zeit 1263408 Wortbelege, was ungefähr 150 Stunden gesprochener Sprache entspricht. Bei der Zusammenstellung des Korpus wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass es möglichst viele unterschiedliche Genres und Kommunikationssituationen umfasst. Auf diese Art der Variation wurde zugleich auch der Schwerpunkt unter gleichzeitiger Vernachlässigung einer Differenzierung des mündlichen Sprachgebrauchs nach sozialer Schichtung beispielsweise gelegt. Immer, wenn eine personale Appellationsform im Korpus der mündlichen Sprache des Göteborger Datenkorpus vorkommt, wird hier darauf Bezug genommen. Wie zu sehen sein wird, ist dies nicht häufig der Fall, woraus sich eine generellere Einschätzung der Notwendigkeit der Beachtung größerer Datenmengen mündlichen Sprachmaterials für zukünftige Studien ableiten lässt. In Allwood (2000) ist die Frequenz einzelner Wörter aus dem mündlichen Datenkorpus in laufender Tabellenform ausgewertet und in Bezug zu einem Korpus schriftsprachlichen Materials, welches aus Språkbanken extrahiert wurde, gesetzt.10 Neben dieser rein quantitativen Auswertung, die zudem an einigen Stellen durch eigene Auszählungen modifiziert wird11, werden die konkreten Vorkommen der personalen Appellationsformen in den einzelnen Gesprächen des Korpus auch qualitativ analysiert, womit die Einbeziehung des mündlichen Sprachmaterials weit über eine quantitative Betrachtung hinausgeht und wozu die konkreten transkribierten Daten benutzt worden sind. Die Frequenztabellen in Allwood (2000) werden zunächst für eine Analyse der Unterschiede in der Frequenz bestimmter Sprachgebräuche in Bezug auf personale Appellation zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch ausgewertet. Als Vergleich wurde in den Tabellen in Allwood (2000) ein Schriftsprachenkorpus der nahezu gleichen Größe herangezogen (1263621 Wortbelege). Dieses umfasst 61 zufällig ausgewählte
____________ 10
11
Wie bei einzelnen Analysen deutlich wird, stimmen die Zahlenangaben, die sich in Allwoods (2000) Tabellen finden, nicht mit den eigenen Korpusauszählungen überein. Aus diesem Grund werden an manchen Stellen beide Zahlen angeführt. Vgl. weiter unten.
6.3 Untersuchungskorpus
457
schwedischsprachige Romane sowie Artikel auf der überregionalen Tageszeitung Dagens Nyheter von 1987 und der regionalen Tageszeitung Göteborgs Posten von 1997. Die Zusammenstellung des Schriftsprachenkorpus unterscheidet sich stark von dem weiter oben verwendeten Korpus aus Språkbanken, welches eine stärkere Berücksichtigung unterschiedlicher Zeiträume in Bezug auf Tageszeitungen aufweist. Zudem wurde in den obigen Auswertungen eine Bezugnahme auf literarische Sprache weitgehend vermieden, da diese pauschal betrachtet als weniger repräsentativ für Alltagskommunikation angesehen wird. Die am häufigsten vorkommende personale Appellationsform im Singular im mündlichen Sprachkorpus ist människan12 ‚der Mensch‘ mit 591 Belegen, gefolgt von barn ‚Kind(er)‘ mit 355 Belegen und person ‚Person‘ mit 247 Belegen sowie der unbestimmten Form människa ‚Mensch‘ mit 236 Belegen. Für den Plural ist im mündlichen Sprachkorpus die Form människor ‚Menschen‘ mit 653 Belegen am häufigsten, gefolgt von folk ‚Volk/Bevölkerung‘ mit 570 Belegen und personer ‚Personen‘ mit 223 Belegen. Die häufigsten personal appellierenden substantivischen Formen sind also solche, die konventionalisiert nicht genderspezifizierend appellieren. Dem steht im Schriftsprachenkorpus barn ‚Kind(er)‘ als die häufigste substantivische personale Appellationsform mit 752 Belegen gegenüber, wohingegen für människan ‚der Mensch‘ in dem Vergleichkorpus nur 143 Vorkommen belegt sind. Im Plural ist människor ‚Mensch‘ mit 549 Belegen am häufigsten, gefolgt von folk ‚Volk/Bevölkerung‘ mit 452 Belegen. Hier sind zwischen dem schriftsprachlichen und dem mündlichen Sprachgebrauch in Bezug auf die Häufigkeit einzelner personal appellierender Formen relativ große Übereinstimmungen hinsichtlich der frequentesten Appellationsformen feststellbar. Bei allen diesen Formen handelt es sich um genderunspezifizierende Appellationsformen. Die häufige Verwendung von människa ‚Mensch‘ in bestimmter und unbestimmter Form in beiden Korpora würde erwarten lassen, dass eine Pronominalisierung mit hon ‚sie‘ entsprechend häufig ist, so dass die Vorkommen von hon in den beiden Korpora vor diesem Hintergrund hinsichtlich ihrer genderspezifizierend weiblichen Appellationsleistung auch relativiert werden müssen. Wie die Auswertung für Pronomina hingegen belegt, sind die entsprechenden Formen hon und henne ‚sie/ihre‘ sehr viel weniger frequent als die Formen han, honom, hans ‚er, ihn/ihm, sein‘, was ein entsprechendes Un-
____________ 12
Das heißt die Verwendung von människa in bestimmter Form.
458
6. Produktion personaler Appellationsformen
gleichgewicht in der verbalen – mündlichen wie schriftlichen – Appellation auf Frauen gegenüber Männern unterstreicht. Medienuntersuchungen weisen übereinstimmend darauf hin, dass die mediale Berichterstattung nicht zu gleichen Teilen Frauen und Männer berücksichtigt. Besonders in den 70er und 80er Jahren finden sich umfangreiche Untersuchungen zur quantitativen Repräsentation von Frauen und Männern in den Medien. So stellen unterschiedliche Untersuchungen fest, dass Frauen in Bezug auf die Behandlung einzelner Personen maximal ein Drittel der medialen Berichterstattung ausmachen, Männer also mindestens zwei Drittel und Frauen zudem in stereotypen, konservativen weiblichen Rollen präsentiert werden. Siivonen (1994) hat in ihrer quantitativen Untersuchung zum Vorkommen von genderspezifizierenden Appellationen in 56 Artikeln schwedischsprachiger Tageszeitungen in Finnland im Untersuchungszeitraum August 1990 festgestellt, dass doppelt so häufig auf Männer wie auf Frauen appelliert wird.13 Die nachfolgenden Analysen zur Verteilung von personalen Appellationsformen und Genderkonzeptualisierungen, die aus personalen Appellationsformen abgeleitet sind, müssen also auf diesem Hintergrund immer auch quantitativ relativiert werden. Das heißt, wenn beispielsweise das Lexem moder ‚Mutter‘ dreimal so häufig in Tageszeitungen vorkommt wie das Lexem fader ‚Vater‘, so heißt dies nicht nur, dass Frauen sehr viel häufiger als Mütter explizit konzeptualisiert werden in diesem Medium als Männer als Väter, sondern zusätzlich auch, dass, vor dem Hintergrund einer angenommenen Gesamtverteilung von 1:2 Frauen also noch mal potenziert häufiger in dieser Familienrolle wahrgenommen werden, während Männer verstärkt in anderen Rollen und Funktionen bzw. mit anderen Charakteristika dargestellt sind. Siivonen (1994) fasst als Ergebnis ihrer diesbezüglichen quantitativen Auswertung zusammen: „Kvinnor förekommer mer som representanter för den privata sfären [...] medan män förekommer mer som representanter för den offentliga sfären [...].“14 (Siivonen 1994: 57) Neuere linguistische Untersuchungen schriftsprachlichen Materials unter dem Oberthema der personalen Appellation und Gender im Schwedischen mit jeweils verschiedenen Fragestellungen finden sich vor allem von Himanen (1990), Siivonen (1994), Börjeson (1995), Holmberg (1995),
____________ 13 14
Vgl. Siivonen (1994: 50). ‚Frauen kommen mehr als Repräsentantinnen der privaten Sphäre vor, Männer hingegen als Repräsentanten der öffentlichen Sphäre.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
459
Hultman (1992), Jobin (1998 und 2004) und Lorentzon (2002).15 Ihre spezifischen Ergebnisse werden an den entsprechenden inhaltlichen Stellen dieses Kapitels ebenso vorgestellt und diskutiert wie auch die Ergebnisse neuerer schwedischer medienwissenschaftlicher Untersuchungen von Hirdman (2001) und Sköld (1998), in denen Genderkonstruktionen nicht mit Schwerpunkt auf personale Appellationsformen untersucht worden sind, einfließen werden. Darüber hinaus werden sozialwissenschaftliche Forschungen, in denen Genderspezifizierung personaler Appellation Erwähnung finden, ebenso wie sprachpflegerische Kommentare berücksichtigt.
6.4 Konventionalisiert genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen Es können nicht alle im dritten Kapitel diskutierten Formen in dieser Analyse wieder aufgenommen werden. Aus diesem Grund wird eine Auswahl getroffen, in der zentrale personale Appellationsformen, an denen verschiedene Aspekte von Genderspezifizierung deutlich werden können und die als zentrale Lexikalisierungen von Gender in personaler Appellation interpretiert worden sind, berücksichtigt werden. 6.4.1 Genderspezifizierende lexikalisierte substantivische Appellationsformen unter Berücksichtigung von Alters- und Statusspezifizierung Die Analyse beginnt mit dem zentralen lexikalisierten Wortpaar genderspezifizierender personaler Appellation jenseits von Verwandtschaftsbeziehungen, kvinna ‚Frau‘ und man ‚Mann‘. Diese sind in der folgenden Auswertung in bestimmte und unbestimmte Formen sowie in Singular und Plural weiter unterteilt. Dadurch ist es möglich, eine quantitative Einbeziehung des Indefinitpronomens man in die Werte für die konventionalisiert genderspezifizierend männliche substantivische Appellation zu vermeiden. Um die nachfolgenden quantitativen Vorkommen der einzelnen Begriffe und Phrasen zueinander ins Verhältnis setzen zu können, werden die
____________ 15
Vgl. auch Hornscheidt (2006b) für eine einführende Darstellung und Kritik dieser Studien.
460
6. Produktion personaler Appellationsformen
absoluten Werte des Vorkommens der einzelnen Begriffe und Phrasen durch die Prozentzahl geteilt, die der jeweilige Teilkorpus in dem fiktiven Gesamtkorpus gemäß Tabelle 1 einnimmt. Die daraus resultierenden Werte sind relative Werte zu den Vorkommen in den einzelnen Teilkorpora in Relation zum Gesamtkorpus. Die relativen Werte sind der Übersichtlichkeit halber in der Tabelle fett gesetzt und liefern den eigentlichen Vergleichswert. Tabelle 216: Die Formen kvinna und man im Singular und Plural in bestimmter und unbestimmter Form in den Tageszeitungskorpora zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken Phrase kvinna/n18
die/ Frau mannen der/ Mann
en kvinna eine Frau en man ein Mann kvinnor Frauen män Männer kvinnorna die Frauen
männen die Männer
der
Belege
press 6517 press 76
Anzahl
press 95
press 96
(83) 80 28,5 165 58,9 28 10 70 25 108 38,5 146 52,1 56 20 51 18,2
(1073) 833 (775) 582
____________ 16
17 18 19
(111) 101 31,5 223 69,7 32 10 71 22,2 253 79,0 187 58,4 102 31,9 89 27,8
44,1 1756 92,9 365 19,3 440 23,3 2160 114,3 1473 77,9 528 27,9 558 29,5
36,0 922 56,9 273 16,8 ?19 1840 113,6 1121 69,2 457 28,2 395 24,4
in
press 97
press 98
(1657) 1117
(1235) 725
33,6 2011 60,6 552 16,6 761 23,0 3225 97,1 2334 70,3 759 22,9 835 25,1
28,2 1249 48,6 371 14,4 522 20,3 2504 97,4 1970 76,6 527 20,5 621 24,2
Legende für diese und die nachfolgenden Tabellen: Um die quantitativen Vorkommen der einzelnen Begriffe und Phrasen zueinander ins Verhältnis setzen zu können, werden die absoluten Werte des Vorkommens der einzelnen Begriffe und Phrasen durch die Prozentzahl geteilt, die der jeweilige Teilkorpus in dem fiktiven Gesamtkorpus gemäß Tabelle 1 einnimmt. Die daraus resultierenden Werte sind relative Werte zu den Vorkommen in den einzelnen Teilkorpora in Relation zum Gesamtkorpus. Die relativen Werte sind der Übersichtlichkeit halber in der Tabelle fett gesetzt und liefern den eigentlichen Vergleichswert. In den nachfolgenden Tabellen, die sich auf die Daten aus Språkbanken beziehen, werden lediglich die Jahreszahlen als Verweis auf die Korpora der einzelnen Jahre aufgeführt. Die absoluten Werte für die unbestimmte Form kvinna sind hier in Klammern gesetzt, da sie nicht weiter berücksichtigt werden. Um zu einer Vergleichbarkeit mit der Form mannen zu gelangen, wird nur die bestimmte Form kvinnan berücksichtigt. Dieser Wert ist innerhalb von Språkbanken nicht feststellbar.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
461
Diese Daten können in einem zeitlichen Vergleich Aufschluss über die Häufigkeit der Verwendung der entsprechenden personal appellierenden Substantive über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten in der Tagespresse geben. Vergleichbare Untersuchungen finden sich zum Englischen zu den Formen man und woman und werden als Vergleichsgrundlage angeführt. Sie bieten eine sprachübergreifende Vergleichsgrundlage für die schwedischen Daten und können zu einer Beantwortung der Frage beitragen, inwiefern es sich bei manchen Tendenzen und Strategien der personalen Appellation um sprachübergreifende Phänomene handelt. Persson (1990) hat zwei Korpora aus den 60er Jahren für britisches Englisch verglichen und festgestellt, dass das Substantiv man mehr als dreimal so häufig wie woman im LOB-Korpus und fast dreimal so häufig im Brown-Korpus vorkommt. Auf der anderen Seite ist das Substantiv girl um 40% häufiger als boy im LOB-Korpus, was darauf hinweist, dass auf Frauen in Relation gesehen häufiger als auf Männer als auf nicht erwachsene Frauen appelliert wird. Im Englischen kann das Wort man auch außerhalb feststehender Redewendungen in der konventionalisierten Bedeutung ‚Mensch‘ benutzt werden, so dass ein direkter Vergleich mit dem Schwedischen hier nicht möglich ist. Romaine (1999) hat diesen Ergebnissen ein Drei-Millionen-Wort-Korpus aus dem British National Corpus gegenübergestellt und festgestellt, dass die Form woman 30 Jahre später sehr viel häufiger verwendet wird, es aber immer noch eine Asymmetrie gegenüber man gibt – man taucht 1,4mal so häufig wie woman im Korpus auf. Auch dieses Ergebnis ist auf Grund der homonymen Verwendungsweisen als ‚Mensch‘ und ‚Mann‘ nicht an sich aussagekräftig zu analysieren. Persson (1990) hat in seiner Studie über die rein quantitative Auswertung hinausgehend die Kollokationen der Termini man, woman, boy und girl betrachtet. Die Adjektive, die im Zusammenhang mit woman und girl verwendet wurden, betrafen größtenteils das Aussehen. Insgesamt sind die meisten Adjektive in den Kollokationen von woman und girl mit negativer Aussageintention. Finden sich konventionalisiert positiv wertende Adjektive, so beziehen sie sich ebenfalls fast ausschließlich auf das weiblich hergestellte Aussehen. Die meisten Adjektive, die sich auf man beziehen, sind hingegen mit konventionalisiert positiven Assoziationen verbunden und betreffen sehr viel weniger das Aussehen, sondern beschreiben mentale Fähigkeiten und Kompetenzen. Romaine (1999) hat auch hierzu eine Nachfolgeuntersuchung durchgeführt und 30 Jahre später die gleichen Tendenzen festgestellt. Im Gegensatz zu den Untersuchungen von Persson (1990) und Romaine (1999) ist in der vorliegenden Studie zusätzlich zu der Differenzierung mehrerer verschiedener Begriffe zur Appellation
462
6. Produktion personaler Appellationsformen
auf Frauen verschiedener Altersstufen auch eine Differenzierung zwischen ebendiesen Appellationsformen im Singular und Plural sowie in unbestimmter und bestimmter Form berücksichtigt worden. Wie die nachfolgende Auswertung zeigt, ist eine entsprechende Unterteilung sinnvoll, da es sowohl zwischen Singular- und Pluralformen als auch zwischen unbestimmten und bestimmten Formen widerstreitende Tendenzen hinsichtlich der Häufigkeit ihres Gebrauchs in dem Korpus feststellen lässt. Die Daten des Korpus werden auf Sprachveränderungen im öffentlichen Sprachgebrauch hin befragt, was die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten zur konventionalisiert genderspezifizierenden Appellation von Personen betrifft. Verschiedene Aspekte fallen an der quantitativen Verteilung der in Tabelle 2 aufgeführten Formen zur personalen Appellation aus dem schwedischen Korpus auf: x Es bestehen große Unterschiede in der zeitlichen Entwicklung der Häufigkeit eines Gebrauchs zwischen unbestimmten und bestimmten Formen. Die bestimmten Formen im Singular von kvinna und man beziehen sich potentiell in der Regel auf eine zuvor konkret genannte Person, die danach durch die genderspezifizierende Appellationsform wieder aufgenommen wird. Dies lässt darauf schließen, dass die Berichterstattung über oder Erwähnung von einzelnen männlich spezifizierten konkreten Individuen durchgängig doppelt so häufig wie über einzelne konkrete Frauen ist. Die unterschiedliche quantitative Verteilung der Formen mannen und kvinnan weisen darauf hin, dass Männer durchschnittlich mehr als doppelt so häufig wie Frauen als singuläre Personen in den Tageszeitungen Beachtung finden. Es ist zu erwarten, dass die alleine schon nur auf Grund dieser beiden Formen hier aufgestellte Hypothese ein noch asymmetrischeres Bild der quantitativen Genderrepräsentation von Individuen ergeben würde, würden weitere konventionalisiert genderspezifizierend appellierende Formen in der Analyse hinzugenommen. Dieses Ergebnis bestätigt zahlreiche medienwissenschaftliche Untersuchungen, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass Männer als Einzelpersonen in den Medien quantitativ eine sehr viel stärkere Beachtung als Frauen bekommen.20 x Auch die unbestimmte singuläre Nominalphrase en man kommt im Verhältnis zu en kvinna sehr viel häufiger in den Korpora von 1965 bis 1998 vor, wenngleich die Differenz hier geringer ist als bei der bestimmten Form Singular. Auch in der generischen Appellation auf
____________ 20
Vgl. Siivonen (1994), Huhnke (1996), Hirdman (2002).
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
x
x
x
463
Vertreter/innen weiblichen oder männlichen Genders überwiegt im Untersuchungszeitraum die Berichterstattung über männliche Menschen. Im Gegensatz dazu ist die unbestimmte Kollektivappellation kvinnor häufiger als die unbestimmte Kollektivappellation män in allen Einzelkorpora bis auf den Korpus von 1965 zu finden. Die bestimmten Formen im Plural sind im Verhältnis dazu absolut sehr viel seltener21 und liegen auch in ihren absoluten Werten jeweils dichter beieinander. Ausgehend von der Annahme, dass der in einer Gesellschaft angenommene Normalfall in Bezug auf Gruppen von Menschen nicht markiert, das heißt explizit benannt wird, kann die unbestimmte Pluralform kvinnor als Bezeichnung einer ‚außerordentlichen‘ menschlichen Gruppe nahezu im Sinne einer Gattungsbezeichnung interpretiert werden. Während Frauen als Einzelpersonen nur durchschnittlich halb so häufig genderspezifizierend mit der allgemeinen Form kvinna/n benannt werden wie Männer mit man/nen, ist das Verhältnis in der unbestimmte Kollektivbenennung genau umgekehrt. Frauen werden doppelt so häufig wie Männer als soziale Gruppe benannt. Die bestimmten Formen im Plural kvinnorna und männen weisen hingegen wiederum eine relative Verteilung auf, in der die genderspezifizierend männliche Nennung häufiger als die genderspezifizierend weibliche zu finden ist, wenngleich die Schere in der Häufigkeit nicht so weit wie dies im Singular auseinandergeht. Die bestimmten Formen sind auch im Plural weniger als Gattungsbezeichnungen gebräuchlich, sondern beziehen sich hier potentiell eher auf jeweils konkrete genderspezifizierte Gruppen, so dass die zuvor festgestellte Regel, dass im schriftsprachlichen Mediendiskurs bei Bezug auf konkrete Menschen eher von Männern als von Frauen gesprochen wird, zutrifft. Auffallend ist in Bezug auf alle vier hier untersuchten Formvarianten, dass sich die relativen Zahlen einander innerhalb von 1965 bis 1998 immer stärker annähern, ohne dass schon von einer neuen Verteilung oder Tendenz gesprochen werden könnte.
Die Form kvinna kommt im mündlichen Sprachkorpus, das den Tabellen in Allwood (2000) zu Grunde liegt22, 46mal vor, die Pluralform kvinnor 41mal. Im von Allwood als Vergleich aufgeführten Schriftsprachenkorpus erscheint kvinna 243mal und die Pluralform 295mal sowie die jeweils be-
____________ 21 22
Es handelt sich um ca. 1/4 der Werte der unbestimmten Formen. Vgl. weiter oben.
464
6. Produktion personaler Appellationsformen
stimmten Formen mit 169 und 93 Belegen, die im mündlichen Sprachkorpus jeweils nicht verzeichnet sind.23 Die bestimmte Form mannen findet sich hingegen im mündlichen Sprachkorpus mit 36 Belegen, im Schriftsprachenkorpus mit 301 Belegen. Die Pluralform män kommt im mündlichen Sprachkorpus 63mal, im Schriftsprachenkorpus 204mal vor. Es bestätigt sich für den mündlichen Sprachgebrauch die weiter oben festgestellte Tendenz für den schriftlichen Sprachgebrauch, dass die appellierten Individuen häufiger als genderspezifizierend männlich als weiblich appeliert sind, wohingegen Frauen häufiger als Männer als kollektive Gruppe Erwähnung finden. Dies kann bedeuten, dass die Zuschreibung von weiblichem Gender per se schon ausreichendes Kriterium der Gruppenbenennung ist, wohingegen bei Männern andere Faktoren hinzutreten, die zur expliziten Gruppenbenennung dienen oder Gender in Bezug auf männliche kollektive Identitätsbenennung als ein nicht relevanter Faktor der Gruppenbenennung und Gruppenzugehörigkeitszuschreibung angesehen wird. Diese Analyse stimmt insofern mit den in der Auswertung des dritten und fünften Kapitels angestellten überein, in der festgestellt worden ist, dass Männlichkeit nicht als Gender wahrgenommen wird. Diese Ergebnisse werden im folgenden durch weitere quantitative Erhebungen aus Språkbanken ergänzt, in denen die Formen als Teil von Phrasen und Wendungen vorkommen. Tabelle 3: Die Wendungen kvinnor och män ‚Frauen und Männer‘ und män och kvinnor ‚Männer und Frauen‘ in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
kvinnor och män män och kvinnor
1965 2 14 1965
1976 6 22 1976
1995 56 108 1995
1996 57 88 1996
1997 106 175 1997
1998 82 123 1998
Durchschnittlich in 5 Prozent der Vorkommen von kvinnor und män zusammen genommen kommen die genderspezifizierenden Appellationsformen in Kombination miteinander vor, wodurch die in ihnen zum Ausdruck kommende Genderdichotomie explizit gemacht wird. Dabei ist die Erstnennung der genderspezifizierend männlichen Form durchweg signifikant häufiger als die der genderspezifizierend weiblichen Form in den entsprechenden Wendungen. In einem weiteren Schritt ist untersucht
____________ 23
Vgl. Tabelle 1.6 in Allwood (2000).
465
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
worden mit welchen Konzepten die Wendungen der beidseitigen genderspezifizierenden Nennung verwendet worden sind. Darüber gibt die nachfolgende Tabelle Aufschluss. Tabelle 4: Häufigkeit der Phrase kvinnor och män ‚Frauen und Männer‘ mit vorangestelltem mellan ‚zwischen‘ + Nominalphrasen sowie mit vorangestellten både ‚beide‘ in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken kvinnor och män mellan kvinnor och män både kvinnor och män
1965 2 0 0
1976 6 3 0
1995 56 18 5
1996 57 14 5
1997 106 25 19
1998 82 15 15
Eine durch die räumliche Präposition mellan metaphorisch zum Ausdruck gebrachte Trennung oder Grenzziehung zwischen den genderspezifizierend benannten Personengruppen findet sich in den Daten seit 1976 in jeweils mindestens 20 Prozent der Fälle als feststehend Wendung, wenn die Phrase kvinnor och män verwendet wird. Auch das Konzept der Gleichstellung ist in dieser Konzeptualisierung eines Genderverhältnisses signifikant häufig über den Untersuchungszeitraum hinweg zu finden.24 Im Korpus von 1997 und 1998 ist zusätzlich eine signifikante Steigerung der Verwendung der beiordnenden Umschreibung durch både festzustellen, die in diesen beiden Jahren jeweils 20 Prozent der Nennungen von kvinnor och män ausmacht. Sowohl in den Phrasen, die mit mellan eingeleitet werden wie in denen, die mit både beginnen, werden die genderspezifizierenden Gruppen durch die präpositionalen Bildungen als zwei gegensätzliche, klar voneinander trennbare hergestellt. Dass Gleichstellung ein relationales Konzept ist, wird durch die frequente Kombination mit der metaphorisch gebrauchten räumlichen Präposition deutlich.
____________ 24
18mal ist im Korpus des Untersuchungszeitraums die Phrase jämställdhet/en mellan kvinnor och män, 7mal die Bildung skillnad/en/skillnader mellan kvinnor och män bei insgesamt 75 Vorkommen von mellan kvinnor och män belegt.
466
6. Produktion personaler Appellationsformen
Tabelle 5: Häufigkeit der Phrase män och kvinnor ‚Männer und Frauen‘ mit vorangestelltem mellan ‚zwischen‘ oder både ‚beide‘ in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
män och kvinnor mellan män och kvinnor både män och kvinnor
1965 14 0 6
1976 22 5 1
1995 108 21 13
1996 88 23 10
1997 175 40 26
1998 123 20 19
Die Phrase män och kvinnor kommt im Untersuchungszeitraum insgesamt 530mal vor, kvinnor och män 309 mal, so dass sich ein quantitatives Ungleichgewicht zwischen beiden Phrasen zeigt. Auffällig ist zudem die signifikant häufigere Verwendung der Phrase jämställdhet/en mellan kvinnor och män ‚Gleichstellung zwischen Frauen und Männern‘ (18mal) gegenüber jämställdhet/en mellan män och kvinnor ‚Gleichstellung zwischen Männern und Frauen‘ (11mal), welches durch die Bezugsrichtung erklärbar wird. Wie in der Diskussion des vorangegangenen Kapitels deutlich geworden ist, ist das Konzept der Gleichstellung in Schweden auf eine Angleichung weiblicher Lebensbedingungen an eine männlich definierte Norm interpretierbar. Skillnad/en/skillnader mellan män och kvinnor ‚(der/die) Unterschied(e) zwischen Männern und Frauen‘ kommt hingegen genauso häufig vor wie jämställdhet/en mellan män och kvinnor. In der nachfolgenden Tabelle wird in Ergänzung dazu untersucht, welche weiteren Beiordnungen sich für die Kollektivbenennung kvinnor neben der mit män feststellen lassen. Tabelle 6: Die häufigsten Beiordnungen von kvinnor durch die Konjunktion och ‚und‘ zu anderen Personen in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
kvinnor och män (auch: Adj./ANZAHL + män) barn (auch: småbarn, ANZAHL barn, Adj. + barn)
1965 9 2
1976 20 6
1995 236 56
1996 170 57
1997 339 130
1998 258 85
3
5
41
19
38
36
Diese Tabelle gibt Aufschluss über die Konzeptualisierung von Frauen als kollektive Gruppenbenennung, indem sie in ihrer Verwendung im Zusammenhang mit den am häufigsten verwendeten weiteren personal ap-
467
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
pellierenden Nominalphrasen betrachtet wird. Es zeigt sich, dass die häufigste Gegenüberstellung mit der bereits besprochenen personalen Appellation durch eine genderspezifizierend männliche Form geschieht. 1997 und 1998 macht dies jeweils 30 Prozent der Fälle aus, in denen die Wendung kvinnor och in den schriftsprachlichen Medien benutzt wird. Die beigeordnete Gegenüberstellung der Form kvinnor mit der Form, die auf Kinder ohne weitere Spezifizierung appelliert, barn, findet 1997 und 1998 in zehn bis 15 Prozent der Fälle statt und ist damit ebenfalls signifikant in seinem Vorkommen. Weitere Beiordnungen der kollektiven genderspezifizierenden Gruppenbenennung von Frauen mit anderen sozialen Gruppen erfolgen durch eine explizite Appellation auf weitere Benennung jüngerer Personen und andere Kollektivbenennungen. Es handelt sich im einzelnen um kvinnor och unga/ungdomar/yngre ‚Frauen und Junge/Jugendliche/Jüngere‘ (28mal), kvinnor och flickor ‚Frauen und Mädchen‘ (13mal), kvinnor och äldre/pensionärer ‚Frauen und Ältere/RentnerInnen‘ (achtmal), kvinnor och invandrare ‚Frauen und EinwanderInnen‘ (8mal), kvinnor och handikappade ‚Frauen und Behinderte‘ (dreimal), kvinnor och minoriteter ‚Frauen und Minderheiten‘ (zweimal), kvinnor och lågavlonade ‚Frauen und Niedrigverdienende‘ (zweimal), kvinnor och högutbildade ‚Frauen und Hochausbebildete‘ (zweimal), kvinnor och tjejer ‚Frauen und Mädchen‘ (einmal). Interessant ist diese Auswertung in der Gegenüberstellung zu Phrasen, die mit män och ‚Mann und‘ beginnen. Tabelle 7: Die häufigsten Beiordnungen von män ‚Männer‘ durch die Konjunktion och ‚und‘ zu anderen Personen in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
män och kvinnor barn25
1965 25 14 0
1976 32 22 0
1995 202 108 2
1996 152 88 2
1997 302 175 2
1998 231 123 0
Die Beiordnung einer genderspezifizierenden Appellation durch män als Kollektivbenennung mit anderen Gruppen von Menschen neben Frauen ist insgesamt sowohl in der Anzahl unterschiedlicher Bildungen als auch hinsichtlich der Frequenz dieser sehr viel seltener als für die Form kvinnor im Korpus feststellbar. Es finden sich lediglich die Beiordnungen män och barn ‚Männer und Kinder‘ (sechsmal), män och unga/ungdomar/yngre ‚Männer
____________ 25
Auch: småbarn ‚Kleinkinder‘, ANZAHL barn, Adj. + barn
468
6. Produktion personaler Appellationsformen
und Junge/Jugendliche/Jüngere‘ (viermal), män och pojkar ‚Männer und Jungen‘ (dreimal) und män och äldre/pensionärer ‚Männer und Ältere/RentnerInnen‘ (einmal). Dies weist daraufhin, dass die Konzeptualisierung einer kollektiven männlichen Identität sehr viel weniger häufig über eine Abgrenzung zu anderen kollektiv benannten Gruppen erfolgt, die durch Genderspezifizierung, Alter oder Formen gesellschaftlicher Randstellung ausgezeichnet sind, als bei der genderspezifizierenden Benennung von Frauen. Die Werte der Tabellen 6 und 7 zusammen genommen deuten darauf hin, dass die Konzeptualisierung der kollektiven Gruppen Männer in den schriftsprachlichen Medien anders verläuft als bei der kollektiven Gruppe Frauen. Während durchschnittlich ein Drittel der Belege der Phase kvinnor och ‚Frauen und‘ im Zusammenhang mit män im Korpus zu finden ist, nimmt diese Kombination umgedreht durchschnittlich die Hälfte der Belege für män och ‚Männer und‘ ein. Die kategorisierende Beiordnung zu einer anderen personalen Gruppe bzw. eine Abgrenzung von einer anderen personalen Gruppe ist für die genderspezifizierende Benennung män in einer relative Perspektive häufiger durch eine Gegenüberstellung mit kvinnor als sie dies für die Kollektivbenennung kvinnor ist. Während es für die Phase män och keine weiteren quantitativ nennenswerten direkten Gegenüberstellungen mit anderen Gruppen von Menschen durch Kollektivbenennungen im Korpus gibt, finden sich für die Phrase kvinnor och eine Reihe weiterer Beiordnungen, die darauf hin deuten, dass die kollektive Gruppe kvinnor insgesamt anders als die kollektive Gruppe män konzeptualisiert wird.
469
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen 26
Tabelle 8 : flicka, tjej, pojke und kille ‚Mädchen‘ und ‚Junge‘ in bestimmter und unbestimmter Form im Singular und Plural in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
flicka tjej pojke kille flickan tjejen pojken killen flickor tjejer pojkar killar flickorna tjejerna killarna pojkarna
1965 55 19,6 0 22 7,8 4 1,2 56 20 0 33 11,8 1 0,3 68 24,3 0 19 6,8 2 0,7 57 20,3 1 0,3 1 0,2 35 12,5
1976 49 15,3 9 2,8 37 11,6 22 6,8 40 12,5 1 0,3 36 11,2 8 2,5 79 24,7 7 2,2 45 14,0 19 5,9 57 17,8 4 1,2 11 3,4 27 8,4
1995 268 14,2 159 8,4 175 9,3 130 6,8 325 17,2 34 1,8 206 10,9 57 3,0 292 15,4 231 12,2 258 13,6 186 9,8 154 8,1 146 7,7 149 7,8 168 8,8
1996 142 8,8 108 6,6 131 8,1 159 9,8 109 6,7 32 2,0 108 6,6 79 4,9 240 14,8 259 16,0 135 8,3 216 13,3 136 8,4 130 8,0 154 9,5 80 4,9
1997 541 16,3 260 7,8 293 8,7 317 9,5 414 12,4 80 2,4 340 10,2 132 4,0 494 14,9 493 14,8 325 9,8 422 12,7 248 7,4 254 7,6 316 9,5 199 6,0
1998 300 11,7 181 7,0 244 9,5 269 10,4 207 8,0 47 1,8 256 9,9 120 4,6 391 15,2 338 13,1 291 11,3 315 12,2 185 7,2 203 7,9 286 11,1 124 4,8
Das Ergebnis der quantitativen und relationen Verteilung der bestimmten Formen kvinnan und mannen ist nicht auf die genderspezifizierende Benen-
____________ 26
Legende vgl. Fußnote 16.
470
6. Produktion personaler Appellationsformen
nung durch die bestimmten Singularformen tjejen, flickan, pojken und killen übertragbar. Die Form flickan ist sogar mit Ausnahme des Korpus von 1998 in allen anderen Korpora die häufigste bestimmte Singularform im Vergleich der vier, in dieser Tabelle zusammengestellten, alterspezifizierend genderspezifizierenden Formen. Die bestimmte Form tjejen ist insgesamt selten und pojken häufiger als killen, wenngleich bei letzterer vergleichbar mit tjejen eine deutliche Zunahme in den 90er Jahren zu verzeichnen ist. Wenn auch in den relativen Werten die genderspezifizierend männlich appellierenden Formen häufiger sind, so doch nicht in einem vergleichbar ungleichgewichtigen Verhältnis wie bei den Formen kvinnan und mannen. In der singulären Bezugnahme auf eine einzelne Person mit einer genderspezifizierenden Appellationsform, die konventionalisiert ein jüngeres Alter signalisiert, lassen sich keine so großen Genderdifferenzen wie in einem Vergleich der bestimmten Singularformen kvinnan und mannen feststellen. Die bestimmten Formen tjejen und killen sind in Relation sehr viel weniger frequent als die unbestimmten Formen tjej und kille. Dies spricht dafür, dass sie in geringerem Umfang zur Wiederaufnahme von zuvor konkret benannten Personen verwendet werden und diese diskursive Funktion tendenziell eher von den Formen flickan und pojken übernommen wird. Im Gegensatz dazu gewinnt die Form kille gegenüber der Form pojke ab den Korpora der 90er Jahre immer stärker an Gewicht und wird als unbestimmte Form im Singular sogar deutlich frequenter als die Form pojke. Es handelt sich um die schrittweise Übernahme einer zunächst hauptsächlich umgangssprachlich verwendeten Form in den eher standardsprachlichen Wortschatz der Tageszeitungen. Interessant ist, dass diese Übernahme auf die unbestimmte Form beschränkt bleibt, als bestimmte Form ist pojken frequenter als killen. Während die bestimmte Form Singular pojken offensichtlich viel frequenter als Wiederaufnahmeform für einzelne männliche und potentiell jüngere Individuen ist, scheinen pojke und kille als genderunspezifizierende Gattungsbegriffe im Singular von der Frequenz her kompatibel miteinander zu sein. Stilistische oder über Gender hinausgehend spezifizierende Unterschiede sind daher für den Gebrauch der Formen zu erwarten. Während kille eher in Selbstbenennungen und in der Andeutung eines umgangssprachlichen Stils angewendet wird, ist pojke zur alterspezifizierend jüngeren Appellation eher als die hochsprachliche Form anzusehen.27 Kille wird zudem auch teilweise weniger altersspezifizierend auf jugendliche männliche Personen verwendet
____________ 27
Vgl. die entsprechenden Analysen in Kapitel 3.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
471
und besitzt ein in Bezug auf Altersspezifizierung weiteres Anwendungsspektrum als pojke. Betrachtet man die Verteilung des Gebrauchs der Form tjej im Verhältnis zur Form tjejer, so fällt auf, dass die Form im Plural sehr viel frequenter als im Singular ist. Während die unbestimmte Pluralform im Korpus aus den 60er Jahren noch gar nicht verzeichnet ist und im Korpus aus den 70er Jahren nur selten auftaucht, ist sie in den Korpora der 90er Jahre sogar frequenter als die Form flickor. Für die Relation der Form killar zur Form pojkar kann ähnliches konstatiert werden. Hier überwiegt die Form killar in den 90er Jahren gegenüber der Form pojkar sogar durchgängig. Die sprachliche Appellation mit den Formen flickor und tjejer ist gegenüber Appellationen mit den Formen pojkar und killar über alle Korpora hinweg jeweils viel frequenter, wenngleich sich die Werte mit der Zeit immer stärker annähern. Die Beobachtung der höheren Frequenz der unbestimmten Pluralformen zur genderspezifizierend weiblichen gegenüber genderspezifizierend männlichen Appellation mit diesen Formen entspricht den Ergebnissen zur Frequenz der Form kvinnor im Verhältnis zu män und deutet darauf hin, dass eine kollektive genderspezifizierende Gruppenbenennung, die lediglich auf der Genderspezifizierung und eventuell noch einer Alterspezifizierung aufbaut, für weibliche Genderspezifizierung durchgängig häufiger als für männliche zu finden ist. Sie steht in einem direkten Kontrast zur singulären genderspezifizierenden Appellation auf einzelne, in der Regel konkrete Personen. Die bestimmte Pluralform flickorna nimmt an relativer Frequenz von den 60er zu den 90er Jahren ständig ab, wohingegen die bestimmte Pluralform tjejerna im selben Zeitraum immer frequenter wird. Auch die bestimmte Pluralform pojkarna wird im selben Zeitraum immer seltener im Korpus verwendet, die bestimmte Pluralform killarna hingegen immer häufiger. Während die unbestimmten Pluralformen der konventionalisiert genderspezifizierend weiblichen Appellation in Relation zu den unbestimmten Pluralform der konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Appellation häufiger sind – wenn auch mit stark abnehmender Tendenz in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts – ist die bestimmte Pluralappellation mit der Form killarna deutlich häufiger als die bestimmte Pluralappellation mit der Form tjejerna. Dies entspricht den Ergebnissen zu den Formen im Singular wie auch den Ergebnissen zu den Formen kvinnorna und männen aus Tabelle 2. Während im Singular die bestimmte Form pojken doppelt so frequent wie die bestimmte Form killen in den 90er Jahren ist, ist im Plural die Form killarna doppelt so frequent wie die Form pojkarna. Dies deutet darauf hin, dass die schriftsprachliche Appellation
472
6. Produktion personaler Appellationsformen
auf eine konkrete Person wahrgenommenen männlichen Genders in Zeitungsartikeln eher durch die Form pojken geleistet wird, wohingegen die gruppenspezifische Appellation im Plural eher über die Form killarna hergestellt wird, geht man von identischer Appellationsnahme aus. Zieht man hinzu, dass die Kollektivbenennungen killarna und tjejerna keine vergleichbare Altersspezifizierung wie die Formen pojkarna und flickorna aufrufen, so kann davon ausgegangen werden, dass die genderspezifizierende Kollektivbenennung Jugendlicher in bestimmter Form in Relation seltener als die Erwachsener im Korpus zu finden ist. Die umgekehrte Fragestellung wird in einer Frage an Svenska språknämnden in der Zeitschrift Språkvård 2001 diskutiert. Der Fragende bemerkt eine Verwendung der Formen man und kvinna auch in Appellation auf Teenager und fragt, ob dies eine Bedeutungsverschiebung sei. Der Sprachpfleger Josephsson antwortet darauf, dass es sich um eine juristische Verwendungsweise handele und ansonsten die Formen kvinna und man zur altersneutralen Appellation dienen würden. Darüber hinaus sieht er im öffentlichen Gebrauch der Form flicka in Relation zu kvinna auch eine unterschiedliche Bewertung gegeben, die er nicht auf eine Konzeptualisierung von pojke im Verhältnis zu man überträgt: „Vårt samhälle är, lyckligtvis, sådant att vi mestadels känner en viss ömhet och solidaritet med dem som ännu inte är (helt) vuxna. Jämför „den 18-åriga flicka/kvinna som kastat sten på poliser dömdes till två års fängelse.“ Står det flicka kan man nästan tycka synd om den stackars förledda jäntungen, står det kvinna är det lättare att se en terroristdrottning i vardande framför sig.“28 (Josephsson 2001: 17f.)
In dem Beispiel wird deutlich, dass die Altersspezifizierung, die durch unterschiedliche Appellationsformen realisiert wird, zugleich auch eine unterschiedliche Bewertung der dargestellten Handlungen impliziert.29 Setzt man kvinnor aus Tabelle 2 in einen direkten Vergleich zu tjejer, so kann die These aufgestellt werden, dass sich diese Appellationsform sehr viel häufiger auf konkrete Gruppen von Frauen und weniger auf Frauen
____________ 28
29
‚Unsere Gesellschaft ist zum Glück so, dass wir größtenteils ein gewisses Mitgefühl und Solidarität mit denen, die noch nicht (ganz) erwachsen sind, empfinden. Vergleiche „das 18jährige Mädchen/die 18jährige Frau, die einen Stein auf einE PolizistIn geworfen, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.“ Wenn dort Mädchen steht, kann man fast Mitleid mit dem armen verführten Mädelchen empfinden, steht dort Frau ist es leichter eine Terroristenkönigin vor sich zu sehen.‘ Zudem wird in diesem Zitat eine Ansicht zu Jugendlichkeit aus Sicht Erwachsener deutlich, die auch in Bezug auf die staatliche Fokussierung von Sprachveränderungen bei Jugendlichen in Kapitel 5 angesprochen wurde: Jugendliche werden als schützenswert und als besonders zu behandeln konzeptualisiert.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
473
als Speziesbezeichnung bezieht. Es kann vermutet werden, dass die Form kvinnor tendenziell eher zu einer Gattungsbezeichnung wird, wohingegen die Form tjejer zur Appellationsform für konkrete Gruppen von als weiblich wahrgenommenen Personen wird, wobei die Komponente des realen Alters eine zu vernachlässigende Größe ist30, sondern sich das prototypische Bild einer weibliche Normalitätsvorstellung aber hin zu einer Konzeptualisierung jüngeren Alters verändert. Bebout (1984, 1995) hat durch einen Test mit kanadischen Mittelschichtssprecher/inne/n des Englischen herausgefunden, dass sich innerhalb des Zeitraums von 1984 bis 1995 die Alterskonzeptualisierung von girl entscheidend geändert hat: Während girl 1984 von dieser Gruppe zur Appellation auf erwachsene Frauen angewendet wurde und dabei Konzepte von Jugendlichkeit, Unreife und Naivität besaß, ist der Gebrauch der Form 1995 auf eine Appellation auf weibliche Jugendliche beschränkt. Dies interpretiert Bebout (1995) vor dem Hintergrund eines grundsätzlich anzunehmenden feministischen Bewusstseins in der Mittelschicht in den 90er Jahren. Ihre Ergebnisse zum kanadischen Englisch stehen in einem direkten Kontrast zu den Ergebnissen der Analyse zum Schwedischen, wodurch die These des feministischen Bewusstseins als alleinige Begründung mit dieser Schlussfolgierung sprachübergreifend hinterfragt werden kann. Für das Schwedische kann vielmehr angenommen werden, dass die Form tjejer eine selbstbewusste Selbstappellation der Frauen darstellt, die sich nicht von einem Frauenbild der neuen Frauenbewegung aus den 70er Jahren vereinnahmen lassen wollen, sondern sich von diesem durch die Benennung abgrenzen wollen.31 Wie Widmark (1973) schon bemerkt, drückt die Phrase vi tjejer ein größeres Gemeinsamkeitsgefühl als die Form vi kvinnor für Frauen in kollektiver Selbstappellation aus. Widmark (1973) führt dies auf die positiven Konnotationen durch einen höheren Grad von Jugendlichkeit durch die Form tjejer zurück. Allén (1982: 18) merkt an, dass die Form zum Ende der 70er Jahre hin noch keine generelle Appellationsform auf Frauen sei, durchaus aber auf dem Weg dorthin. In SAOL ist sie erst seit 1973 verzeichnet. Zu fragen ist, ob diese Veränderung des Gebrauch der Form tjej/er auch mit durch die neue Frauenbewegung verursacht ist. Gerade die
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31
Dies sagt nichts darüber aus, inwiefern die Form tjejer nicht ein Konzept von Frausein transportiert, welches auf einem jungen Alter basiert und Frauen damit gegenüber Männern als weniger reif macht. Vgl. Kapitel 3. Vgl. weiter unten die Analysen mit kvinno als erstem Glied in Komposita, die eine starke Belegung der Form durch die neue Frauenbewegung dokumentieren. Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine Analyse der Begriffe fittstim und bimbobakslaget, die als feministische Reaktionen auf die neue Frauenbewegung von einer neuen Generation gelesen werden können.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
von Widmark (1973) angesprochene Phrase vi kvinnor ist in den 70er und 80er Jahren zu einem Synonym für die neue Frauenbewegung geworden, welches sich auch in dem Komposita kvinnosakskvinna manifestiert, in dem zum Ausdruck kommt, dass das Frausein an sich der Motor für die politische feministische Aktivität ist. Auf diesem Hintergrund kann die Form tjejer als Selbstbenennung auch als in indirekter Opposition zu einem durch die neue Frauenbewegung geprägten Frauenbild stehend interpretiert werden. Eine ähnliche Erklärung findet sich auch bei Molde (1992): „Det är svårt att ange några exakta tider, men det tycks som om det stora uppsvinget för ordet tjej kom under 1960-talet. Då ungefär började ordet användas inte enbart om relativt unga flickor som tidigare utan också som ett allmänt ord för „ung kvinna“ och ibland för „kvinna“ över huvud taget. Det fanns då ofta en biton att denna kvinna hade allmänt radikala eller „progressiva“ åsikter. Denna något modebetonade och lätt politiserade använding av tjej tycks vara på retur under senare år, men vad som nog kommer att bestå är att tjej har kommit ett långt steg på vägen mot att bli normalord eller ett av flera normalord för flicka, ung kvinna.“32 (Molde 1992: 201)
Es ist möglich, dass die neue Frauenbewegung mit dazu verholfen hat, dass die Form tjej zu einer allgemein genderspezifizierend weiblichen Benennung anvanciert ist. Ob dies nun als Reaktion auf eine feministische Besetzung des Ausdrucks kvinna geschieht, um sich von traditionellen Frauenvorstellungen zu lösen oder ob beide und noch mehr Gründe für diese Entwicklung feststellbar sind, bleibt unklar. Denkbar sind auch verschiedene, gleichzeitig und nebeneinander stattfindende Tendenzen einer Gebrauchsveränderung. Für den mündlichen Sprachgebrauch auf der Grundlage der Tabellen in Allwood (2000) lässt sich vergleichend folgendes feststellen: Sowohl die Form tjej im Singular wie im Plural ist im Sprachkorpus der mündlichen Sprache mit 25 bzw. 23 Belegen verzeichnet wie auch die Form kille mit 61 bzw. 23 Belegen. Zusätzlich ist auch die bestimmte Form Singular killen mit 32 Belegen verzeichnet. Alle diese Formen finden sich in dem Schrift-
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‚Es ist schwer einen exakten Zeitpunkt zu benennen, aber es sieht so aus, dass der große Aufschwung des Wortes Mädchen in den 60er Jahren liegt. Da ungefähr begann es, dass das Wort nicht ausschließlich zur Bezeichnung relativ junger Mädchen, wie früher, sondern auch genereller zur Benennung junger Frauen oder manchmal für Frauen insgesamt benutzt wurde. Es gab da oft einen Bei„ton“, dass diese Frau allgemein radikale oder „progressive“ Ansichten hatte. Diese etwas modebetonte und leicht politisierte Anwendung scheint auf dem Rückzug zu sein in den letzten Jahren, aber was bestehen bleibt, ist, dass Mädchen einen langen Weg auf dem Weg zu einem Normalwort oder einem von mehreren Normalwörter für Mädchen oder junge Frau gekommen ist.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
475
sprachenkorpus, das bei Allwood (2000) zum Vergleich herangezogen wurde, nicht. Dort sind hingegen die Formen flicka und pojke im Singular und Plural, in bestimmter und unbestimmter Form vorkommend, wohingegen im mündlichen Sprachkorpus nur die unbestimmte Form Singular flicka mit 32 Belegen und die Pluralform pojkar mit 25 Belegen verzeichnet ist.33 Geht man alleine von dem Vergleich der Korpora bei Allwood (2000) aus, könnte dies deutet darauf hindeuten, dass tjej und kille vor allem im mündlichen Sprachgebrauch und zur direkten Anrede, insbesondere im Plural, an Gruppen gebraucht wird, während im Schriftsprachgebrauch die Formen flicka und pojke vorherrschend sind, die weniger einer direkten Anrede dienen. Gleichzeitig aber kann die Unterschiedlichkeit der Frequenz auch durch das unterschiedliche Alter und die unterschiedlichen Genres der Korpora bei Allwood (2000) mit verursacht sein, denn stellt man die dortigen quantitativen Tabellen den zuvor vorgestellten Analysen zu schriftsprachlichem Material gegenüber, so ergibt sich ein anderes Bild der relativen Häufigkeit im schriftsprachlichen Gebrauch. Es zeigt sich hier eine Bestätigung des auch von Widmark (1973) formulierten Beobachtung der häufigen Verwendung der Form tjej/er im mündlichen Sprachgebrauch, die um die Feststellung der ebenfalls entsprechend belegten Verwendung der Form kille ergänzt werden kann. In einer Auswertung des Göteborger Korpus mündlichen Sprachgebrauchs finden sich 35 Formen für tjej/en und 45 Formen für tjejerna gegenüber 95 Formen für kille/n und 49 Formen für killar/na. 44 Formen auf flicka/n stehen 22 Formen auf flickor/na sowie 27 Formen auf pojke/n und 38 Formen auf pojkar/na gegenüber. Die unterschiedlichen Formen auf kille sind im mündlichen Sprachkorpus doppelt so häufig wie auf tjej, das heißt die Häufigkeit der Formen auf kille ist im mündlichen Sprachkorpus insgesamt noch mal höher als im schriftlichen. Einzelne Auffälligkeiten der Vorkommen werden im folgenden besprochen. In mehreren der Belege zu tjej im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache wird eine Altersreflexion deutlich: „A: [...] så var de{t} en tjej hon va{r} < ba{r}a > tju{go}sex år elle{r} nå{gon}ting tyckte ja{g} [...]“34
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Vgl. Allwood (2000), Tabelle 1.6. ‚So war dies ein Mädchen sie war nur 26 Jahre oder so glaube ich.‘ A 1614011 (interview) im Göteborger Datenkorpus. Zu den Transkriptionskonventionen in diesem und den folgenden Belegen aus dem Korpus: [...] = Auslassung; <...> = Betonung; / = Pause; {...} = Ergänzungen gemäß orthografischer Normen; [ZAHL ....]ZAHL = Überschneidende Äußerung.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Hier zeigt sich deutlich, dass die Verwendung der Form tjej nicht mit einer Altersspezfizierung von Jugendlichkeit einhergeht. „Å: [...] vi gick vi gick ju där de{t} va{r} ju bara: e: {h} [48 snygga tjejer i tju{go}tvåårsåldern där hela] 48.“35
In diesem Beispiel wird deutlich, dass eine jugendliche Altersspezifizierung stattdessen expliziert werden muss, wenn sie beabsichtigt ist.36 Entsprechendes kann auch für die Verwendung von kille im mündlichen Sprachgebrauch konstatiert werden. Auch hier erfolgt eine attributive Altersspezifizierung durch ung ‚jung‘37 oder konkrete Altersangaben38. Dies lässt sich auch für die Form flicka im Korpus der gesprochenen Sprache beobachten.39 Bei flicka findet sich darüber hinaus ein Beleg, in dem die Benennung mit flicka mit dem Charakteristikum noch nicht verheiratet (gewesen) zu sein einhergeht.40 Kurz zuvor ist in der selben Gesprächsfrequenz auch der Ausdruck flicknamn gefallen, in welchem eine entsprechende Vorstellung einer Konzeptualisierung einer weiblichen Person als vor dem Status des Verheiratetseins ebenfalls lexikalisiert ist.41 Hier kommt es in der direkten Gegenüberstellung von tjej und gubbar zu einer asymmetrischen genderspezifizierenden Benennungspraxis, die darauf hinweist, dass die Form tjej zum einen keine Altersspezifizierung auf Jugendlichkeit mehr besitzen muss, zum anderen aber auf eine Unterschiedlichkeit der Herausbildung genderspezifizierender protoypischer Vorstellungen in Bezug auf Alter. Wird die Form tjej in direkter Gegenüberstellung zu kille in der gesprochenen Sprache benutzt, so ist damit in der Regel eine Konzeptualisierung von Jugendlichkeit verbunden, auf jeden Fall aber eine sexualisierte Komponente, so dass die Form auch in Konkurrenz zu pojkvän verwendet sein kann.42
____________ 35
36 37 38 39 40 41 42
‚Wir gingen wir gingen ja dort des waren ja nur e hübsche Mädchen um die 22 Jahre.‘ A 7905171 (shop) im Göteborger Datenkorpus. Vgl. auch A8215011 (interview) im Göteborger Datenkorpus. Vgl. zum Beispiel A3201011 (informal conversation) im Göteborger Datenkorpus. Vgl. A 7917011 (market) im Göteborger Datenkorpus: „en liten kille / en åttaåring.“ ‚Ein kleiner Junge/ein achtjähriger‘ Vgl. zum Beispiel A 7916011 (market) im Göteborger Datenkorpus: „dä{r} kommer e{n} liten flicka [...]“ ‚Dort kommt ein kleines Mädchen‘ oder auch A 8208011 (phone) im Göteborger Datenkorpus. A 8402021 (court) im Göteborger Datenkorpus. A 7720011 (interview) im Göteborger Datenkorpus. Vgl. weiter unten. Siehe auch A7926011 (party) im Göteborger Datenkorpus.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
477
Die sexualisierte Konzeptualisierung kommt auch in der Gegenüberstellung von man mit tjej zum Ausdruck: „C: na’ah / en bisexuell man kan ju gå me{d} en tjej me{d}.“43
Die sexualisierte Komponente in der Gegenüberstellung von tjej und kille ist nur dann nicht gegeben, wenn die Formen in Bezug auf Kinder verwendet werden. Dazu findensich im mündlichen Sprachkorpus nur zwei Belege, in denen jeweils Kindergartensituationen besprochen werden und in denen gleichzeitig eine Gegenüberstellung mit den Formen kvinna und man erfolgt.44 Auch die Form kille impliziert in der Verwendung im Singular und bezogen auf eine einzelne Person eine sexuelle Relation, wie in „[...] hennes kille ringde.“ ‚Ihr Kerl rief an.‘45
Bezogen auf jüngere Kinder wird die Form kille im Zusammenhang mit einem Possessivpronomen benutzt und jeweils von Müttern geäußert. Diese Verwendungsweise auf ein Kind ist dreimal im Korpus der gesprochenen Sprache für die Singularform kille zu finden. In einem Fall kommt eine Unsicherheit hinsichtlich der korrekten Verwendung der Form kille zum Ausdruck, in der diese gleichzeitig synonym mit man gebraucht wird und lediglich einen stilistischen Unterschied anzuzeigen scheint. „F: [...] största RÄTTEGÅNGEN som pågår nu efter e{h} <j> <simson> / å0 d{et} e0 en kille som heter eller man som heter <marr alberts> [...].“46
Im Plural dient die Form tjejer im mündlichen Sprachgebrauch des Korpus vor allem der kollektiven Fremdappellation auf Frauen jeglichen Alters, häufig auch in der direkten Anrede. „A: [...] passa på nu här tjejer vi ha{r} billig{g}a väsker här ida{g} [...].“47
Hier scheint tjejer die Anredeform damer weitgehend ersetzt zu haben. Die durch eine statushohe Anredeform zum Ausdruck gebrachte Höflichkeit ist durch eine protoypische Vorstellung von Jugendlichkeit als Höflich-
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45 46 47
‚Na ein bisexueller Mann kann ja mit einem Mädchen gehen mit.‘ A 7926031 (informal conversation) im Göteborger Datenkorpus. Vgl. V0640011 (discussion) im Göteborger Datenkorpus. Innerhalb ein- und desselben Gesprächs kommt aber auch eine Gegenüberstellung der Formen kille und tjej zur Appellation auf eine sexuelle Relation vor. Auch innerhalb ein- und desselben Gesprächs ist die Verwendung von tjej damit nicht ausschließlich auf Kinder bezogen. A 3206021 (informal conversation) im Göteborger Datenkorpus. Siehe auch V 0630022 (discussion) im Göteborger Datenkorpus. V 5515011 (discussion) im Göteborger Datenkorpus. ‚Das größte Gerichtsverfahren, das jetzt stattfindet nach eh Simpson und das ist ein Kerl der heißt oder ein Mann der heißt XX.‘ A 7916011 (market) im Göteborger Datenkorpus. ‚Paßt nun auf Girls, wir haben billige Taschen heute.‘
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6. Produktion personaler Appellationsformen
keitsform abgelöst worden. In nur zwei der 45 Belege wird die Form tjejer zur Selbstappellation benutzt, wodurch die von Widmark (1973) aufgestellte These der häufigen Verwendung der Phrase vi tjejer ‚wir Mädchen‘ zumindest relativiert werden muss. Ingesamt fällt die überwiegende Verwendung der Form tjej im Singular und im Plural im Zusammenhang mit Tätigkeitsbenennungen und Arbeitsplatzsituationen auf, was seinerseits wiederum daraufhin deutet, dass die Form nicht mehr vornehmlich zur Altersspezifizierung auf Kindern und Jugendliche benutzt wird. Gegenüber den Analysen von Romaine (1999) und Persson (1990) zum Englischen sind in der vorliegenden Analyse differenziertere Daten herangezogen wurden. Dieses Vorgehen erweist sich als sinnvoll, wie alleine schon mit Hinblick auf die Werte für bestimmte und unbestimmte Appellation, stark voneinander abweichen, deutlich geworden ist. Auf diese Weise können differenzierte Schlüsse hinsichtlich der Repräsentanz von genderspezifizierenden Appellationen, als es bei Romaine (1999) und Persson (1990) der Fall ist, gezogen werden. Vergleichbar zu den Ergebnissen zum Englischen durch Romaine (1999) kann auch für das Schwedische festgestellt werden, dass die relative Häufigkeit der Benennung von Frauen zugenommen hat, dass es aber weiterhin ein Ungleichgewicht in der genderspezifizischen Verteilung gibt. Die in der Analyse festgestellte Tendenz, dass hingegen auf Frauen im Plural in Form einer Speziesbenennung häufiger als auf Männer explizit referiert wird, wäre für englische Vergleichskorpora ebenfalls zu untersuchen. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass auf Frauen in den Tageszeitungskorpora sehr viel häufiger als Gruppe als auf sie als Individuen appelliert wird. Als Gruppe bilden sie die Ausnahme zur implizit männlichen Norm des Allgemeinmenschlichen, als Individuen sind sie eher unsichtbar. Die Auswertung der mündlichen Sprachdaten deutet zudem stark daraufhin, dass die Formen killar und tjejer vor allem als Konkurrenzformen zu kvinnor und män verwendet werden und weniger altersspezifizierend sind. Über eine personale Appellation durch die Formen kvinna und man hinausgehend, können diese auch als erstes Glied von Komposita personal appellierend sein. Auch die Formen dieser Gruppe sind zum großen Teil konventionalisiert genderspezifizierend, wie aus der nachfolgenden Übersicht deutlich wird.48
____________ 48
Weitere Kompositabildungen mit kvinno und man als erstem Glied, die nicht personal appellierend sind, werden in einem späteren Unterkapitel besprochen.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
479
Personal appellierende Komposita mit kvinno und mans als erstem Glied in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in
Språkbanken49
68 unterschiedliche Formen mit kvinno stehen 25 mit man gegenüber. Die quantitativ meisten personalen Appellationsformen, die sich im Korpus der Tageszeitungen finden und die mit der Form kvinno beginnen, bringen durch diese Bildung eine genderspezifizierend weibliche Appellation zum Ausdruck. Von den genderspezifizierend männlichen Appellationsformen haben 13 man als erstes Glied, 16 jedoch kvinno. Doleschal (1992) spricht von einer Form der Apposition der Formen kvinno bzw. mans zur genderspezifizierenden Appellation, die sie als Wortbildungsmöglichkeit ebenso im Jiddischen und Russischen nachgewiesen hat. Diese kann und wird in allen belegten Fällen auch durch die Nominalphrase kvinnlig(t) ‚weiblich‘ + Substantiv [ohne Vorsatz kvinno] vollzogen, was in der Regel auch die jeweils frequentere Bildung darstellt. Die Anzahl unterschiedlicher Bildungen mit kvinno als erstes Glied zur genderspezifizierend weiblichen Appellation zeigt jedoch, dass auch dieses Wortbildungsmuster in gewissem Umfang produktiv ist. Die frequenteste Form dieser Gruppe ist die aus kvinnopräst ‚Frauenpriester: Priesterin‘ abgeleitete Form kvinnoprästmotståndare ‚Frauenpriesterwiderständler‘ mit 80 Belegen. Die von Kram (1998) im Rahmen ihrer Analyse zweier weit verbreiteter und häufig angewendeter schwedischer Wörterbücher aus den 90er Jahren angemerkte Kritik, dass hinter kvinnopräst in diesen der Eintrag kvinnoprästmotståndare zu finden sei, was nicht repräsentativ für diese Bildung ist, kann bei einem Blick auf die relative Frequenz dieser Bildung in Bezug auf Zeitungssprache nicht nachvollzogen werden. Ein Vergleich der Häufigkeit der Formen kvinnopräst und kvinnlig präst ‚weiblicher Priester‘ in presstext für das zweite Halbjahr 1999 zeigt zudem, dass die Phrase kvinnlig präst sehr viel häufiger als kvinnopräst (6 : 1) ist. Letztere dient vor allem als Verkürzungsform in der Zusammensetzung kvinnoprästmotståndare50. Es handelt sich bei kvinnoprästmotståndare um eine doppelte Kompositumsbildung, die ihrerseits als ein eigenes Wortbildungsmuster angesehen werden kann, da eine Attribuierung von prästmotståndare mit kvinnlig der personal appellierten Person, die durch motståndare aufgerufen wird, genderspezifizieren würde, nicht aber die Form präst. Gleichzeitig handelt es sich im Korpus um den
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Die weitaus ausdifferenzierteren Daten, die hierzu gesammelt und analysiert worden, sind, können aus Platzgründen hier nicht wiedergegeben werden. Dies gilt leider für das gesamte Kapitel, welches sich in seiner Darstellung auf einzelne Punkte beschränken muss. Zwei Belege in presstext für diesen Zeitraum.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
einzigen, diesbezüglichen Fall. Zu der Gruppe von Formen aus der ersten Spalte gehören auch kvinnoarbetskraft ‚Frauenarbeitskraft‘, kvinnoförfattare ‚Frauenverfasser‘, kvinnobiskop ‚Frauenbischof‘ und kvinnooffer ‚Frauenopfer‘. Die von Grünbaum (1997: 18) postulierte sprachpflegerische Ansicht, dass genderspezifizierend weibliche Appellation durch Attribuierung mit kvinnlig gebildet werden solle und nicht durch Apposition von kvinno ist damit im Schwedischen im Schriftsprachgebrauch nicht so durchgängig realisiert, wie von ihr gefordert. Über die einzigen, in der öffentlichen Debatte diesbezüglich ständig zitierten Beispiele von kvinnopräst und kvinnoprästmotståndare hinaus zeigt sich in der Auswertung jedoch, dass es eine größere Anzahl unterschiedlicher Formen gibt, die durch dieses Muster eine genderspezifizierend weibliche Appellation zum Ausdruck bringen. Dieser Gruppe direkt gegenübergestellt sind die personalen Appellationsformen, mit denen konventionalisiert genderspezifizierend auf Männer appelliert wird. Dieser Umstand bzw. dieses Wortbildungsmuster zur Kenntlichmachung genderspezifizierend männlicher Appellation hat bisher in der Forschung keine systematische Beachtung gefunden51, wie auch die Thematisierung durch Doleschal (1992) zeigt, obwohl die Anzahl der in Språkbanken gefundenen unterschiedlichen Formen zur genderspezifizierend weiblichen und genderspezifzierend männlichen Appellation mit kvinno als erstem Glied nahezu identisch ist (15:16). Es handelt sich damit um keine unbedeutende Gruppe, in der zudem auch eine Reihe frequent verwendeter Wörter zu finden sind. Die männliche Genderspezifizierung dieser Formen ergibt sich aus der Kombination der personalen weiblichen Appellation im ersten Glied und der Verbindung mit einer Tätigkeit oder Handlung im zweiten Glied der entsprechenden Komposita, die eine Handlung in Bezug auf oder gegen Frauen ausdrückt, die offenbar konventionalisiert in den entsprechenden Fällen implizit Männern zugeschrieben wird. Dadurch handelt es sich um eine Konzeptualisierung genderspezifizierend männlicher Appellation, die sich aus einer direkten und expliziten Opposition zu weiblicher Appellation ergibt, die in dem appellierenden Substantiv lexikalisiert zum Ausdruck kommt. Die meisten dieser Formen sind zusätzlich dadurch ausgezeichnet, dass sie gesellschaftlich negative Bewertungen in öffentlichen, schriftsprachlichen Diskursen aufrufen, da in ihnen Frauen als Objekte konzeptualisiert werden und in den Appellationsformen frauenverachtende Handlungen zum Ausdruck ge-
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Bei Grünbaum (1997: 18) wird eine dieser Formen kvinnotjusare ‚Weiberheld‘ mit Hinblick darauf erwähnt, dass die Form zum Ausdruck bringe, dass sie etwas mit Frauen zu tun habe. Dass sie dadurch oder im Zusammenhang damit aber gerade genderspezifizierend männlich ist, bleibt bei ihr unbenannt.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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bracht werden. Nur wenige der Formen sind nicht in diesem Sinne mit negativen Konnotationen behaftet. Zu letzteren zählt die Bildung kvinnosaksman ‚Frauensachenmann: Feminist‘. In dieser Form ist das letzte Glied man nicht genderunspezifizierend zur personalen Appellation benutzt, sondern steht im genderspezifizierend männlich appellierenden, impliziten Kontrast zu kvinna in der Form kvinnosakskvinna ‚Frauensachenfrau: Feministin‘. Das konventionalisierte Verständnis dieser Formen als genderspezifizierend männlich beruht damit auf einem Wissen um die oppositionelle Positionierung von Frauen und Männern in bestimmten Handlungsfeldern, wobei Frauen in diesen einen Objektstatus zugeschrieben bekommen, auf die eine bestimmte Handlung ausgeübt wird. In einer heteronormativen gesellschaftlichen Vorstellung werden aus den entsprechenden Formen genderspezifizierend männliche Appellationsformen. Frauen als Gruppe werden in diesen Benennungen auf ihre Geschlechtlichkeit und einen Objektstatus festgeschrieben und gleichzeitig sexualisiert. Die dritte Gruppe der personalen Appellationsformen mit kvinno als erstem Glied sind diejenigen, die sich auf eine auf Frauen ausgerichtete oder Frauen betreffende Tätigkeit beziehen, ohne dass diese heterosexuelle Konnotationen besitzt. In vielen Fällen kann die Form kvinno hier durch kvinnosaks ‚Frauensachen‘ in einem weiteren Bedeutungssinn ersetzt werden, so dass die Form kvinno für diese Gruppe auch als eine verkürzte Benennung interpretiert werden kann. Viele der Formen dieser Gruppe appellieren jedoch bis heute konventionalisiert genderspezifizierend auf Frauen, da die auf Frauen bezogenen, nicht sexualisierten Tätigkeiten jenseits des sexuellen Bereichs zum größten Teil von Frauen selbst vollzogen werden. Eine Ausnahme ist der statushohe Beruf kvinnoläkare ‚Frauenarzt/ärztin‘. Bei den Gruppenbenennungen zur personalen Appellation mit kvinno als erstem Glied handelt es sich in fast allen Fällen um Begriffe aus dem politischen Feld. Die Form kvinno bringt in diesen Bildungen zum Ausdruck, dass es sich um Gruppen von Frauen handelt, die darüber hinaus unterschiedliche Funktionen haben und Aufgaben übernehmen. Zusammenfassend kann zu dieser Gruppe der personalen Appellationsformen festgehalten werden, dass ein Bildungsmuster mit kvinno als erstem Glied personaler Appellationsformen im Plural – bei der Benennung von Gruppen – in der Regel dazu dient eine Genderspezifik dieser zum Ausdruck zu bringen. Auch im Singular gibt es eine ganze Gruppe von Formen, die ebendiese Funktion übernehmen. Die Frage, was diese Formen jeweils mit Frauen zu tun haben, die bei Grünbaum (1997) unbe-
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6. Produktion personaler Appellationsformen
achtet gelassen ist, wird jedoch gerade als wichtig für eine Feststellung der mit Weiblichkeit verbundenen Konzeptualisierungen erachtet. So konnte gezeigt werden, dass sich auch Formen mit kvinno als erstem Glied finden, die konventionalisiert genderspezifizierend männlich appellieren. Dabei handelt es sich jeweils um personale Appellationen, in denen Frauen als Objekte konzeptualisiert werden oder ein konventionalisiertes Gewaltund Missbrauchsverhältnis von Männern gegenüber Frauen durch die Formen zum Ausdruck gebracht wird. Die männliche Konzeptualisierung verläuft bei diesen Formen über die Herstellung als Akteure von gegen Frauen gerichtete Handlungen. Die gegenderte Oppositionsbildung ist den Formen in ihrem konventionalisierten Verständnis implizit eingeschrieben. Das in den Formen hergestellte Verhältnis ist häufig sexualisiert oder basiert auf sexueller Ausbeutung. Einem Verständnis dieser Formen liegt ein heteronormatives und gleichzeitig von einem Gewaltverhältnis geprägtes Deutungsmuster zu Grunde, welches in der konkreten Verwendung der Formen im öffentlichen Diskurs, wo viele von ihnen negativ konnotiert sind, mit seinen Moralvorstellungen und ethischen Grenzen sich selbst reifiziert. Eine dritte Gruppe von Formen konzeptualisiert Frauen als Ziel bestimmter Tätigkeiten. Diese können theoretisch sowohl von Frauen wie Männern ausgeübt werden, so dass sie in diese dritte Gruppe eingeordnet worden sind, wobei in den meisten Fällen die soziale Wirklichkeit so aussieht, dass hauptsächlich Frauen diese positiv auf Frauen ausgerichteten Tätigkeiten wahrnehmen, wie beispielsweise kvinnohistoriker ‚FrauenhistorikerIn‘, kvinnominister ‚FrauenministerIn‘. Die hohe Frequenz des Konzepts kvinnopräst ‚Frauenpriester: Priesterin‘ in unterschiedlichen Bildungen zeigt, wie stark die Frage weiblicher religiöser christlich-kirchlicher Tätigkeit auch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts noch umstritten gewesen ist, dass sie in eine personal appellierende Lexikalisierung, die zudem frequent ist, Eingang findet. Die Tätigkeit präst ‚Priester‘ ist so stark im schwedischen gesellschaftlichen Bewusstsein männlich gegendert, dass sich die Frage der potentiellen Genderunspezifizierung der Form nicht zu stellen scheint. Eine etwaige symmetrische Benennung zu kvinnopräst in der Form von manspräst ‚Mannpriester‘ ist erwartungsgemäß im Korpus der schwedischen Tageszeitungen nicht zu finden. Die größte Anzahl an Formen mit mans als erstem Glied findet sich in der Gruppe der genderspezifizierend männlichen Appellation, so dass vergleichbar zu der entsprechenden Gruppe von kvinno-Formen ein Wortbildungsmuster der lexikalisierten genderspezifizierenden Apposition zur Genderspezifizierung der appellierten Person ausgemacht werden
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kann. Während bei kvinno als erstem Glied dieses Muster jedoch nicht als die einzige Gebrauchsweise der Apposition festzustellen ist, da es ebenfalls viele Formen gibt, die genderspezifizierend männlich appellieren, ist für mans als erstes Glied nur eine Form verzeichnet, die genderspezifizierend weiblich appelliert, manssluskerska ‚Mannverschlingerin: Vamp/sexuell aktive Frau‘. Sie besitzt gleichzeitig auch ein genderspezifizierend weibliche Appellation anzeigendes Suffix, so dass es sich bei dieser Form um eine doppelte Genderspezifizierung innerhalb eines heteronormativen Modells handelt.52 Die Form besitzt konventionalisiert abwertende sexuelle Konnotationen und reproduziert eine heteronormative Vorstellung. Einer lexikalisierten sexuellen Objekthaftigkeit von Frauen, über die eine genderspezifizierend männliche Appellation zum Ausdruck gebracht wird, die in 15 unterschiedlichen Formen im Korpus mit kvinno als erstem Glied belegt ist, steht nur eine vergleichbare Form zur Verfügung, in der eine sexuelle Objekthaftigkeit von Männern für eine genderspezifizierend weibliche Appellation dient. In dieser wird die genderspezifizierende Appellation zusätzlich zu der genderspezifizierend oppositionellen Apposition auch durch ein Suffix angezeigt, was seinerseits wiederum so interpretiert werden kann, dass in diesem Fall die auf einen Mann gerichtete sexuelle Tätigkeit nicht ausreichend für eine Vereindeutigung genderspezifizierend weiblicher Appellation ist. Es findet sich in dieser Hinsicht eine große Asymmetrie, die auf verschiedene, mit Sexualitätsvorstellungen verknüpfte, konventionalisierte Genderkonzeptualisierungen hinweist. Zwei der genderspezifizierend männlich appellierenden Formen sind negativ konnotiert (mansgris ‚Mannschwein‘, manschauvinist ‚Mannchauvinist‘). Mansgris ist in NYO 1988 als eine Neubildung aufgenommen. Bei Lodalen (2003: 184) findet sich die daraus abgeleitete Form machomansgrisigt ‚machomannschweinisch‘, das heißt eine Adjektivbildung auf mansgris, die zusätzlich noch durch den Zusatz macho verstärkt ist. Die Form manschauvinist ist eine spezifizierende Ausdifferenzierung der Form chauvinist, wobei auch letztere seit den 70er Jahren immer stärker in einer auf Gender
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Eigentlich wäre die Form *manssluskare ausreichend, um eine genderspezifizierend weibliche Appellation in einem heteronormativen Deutungsmodell zum Ausdruck zu bringen, stimmt die These, dass Appellationsformen auf –are nicht genderspezifizierend männlich konzeptualisiert sind. In Nachfrage an schwedische Muttersprachler/innen äußerten diese die Auffassung, dass die Form mansslukare genderspezifizierend männlich mit einer homosexuellen Konnotation wäre. Dies zeigt zugleich die Notwendigkeit, auch in einem heteronormativen Modell bei sexualisierten Appellationen die Bezugsrichtung mit zu berücksichtigen. Wie in Kapitel 3 deutlich wurde, sehen die gegenderten Sexualitätsnormen für die Konzeptualisierung von weiblichem und männlichem Gender verschieden aus.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
bezogenen Bedeutung Verwendung findet.53 In ihnen gehen Konzeptualisierungen eines traditionellen Männerbildes sowie sexuelle Komponenten ein. Vier der Formen dieser Gruppe machen aus einer genderunspezifizierenden Appellationsform durch den Vorsatz mans eine genderspezifizierende (mansindivid ‚Mannindividuum‘, mansperson ‚Mannsperson‘, mansmänniska ‚Mannmensch‘, mansseger ‚Mannsieger‘), während in vier Fällen eine sozial stereotyp männliche Konzeptualisierung auch ohne den Vorsatz man zu erwarten ist (manspräst, manssoldat, mansson ‚Mannsohn‘, manschauvinist). Manspräst kommt nur einmal im Korpus vor und ist eine Sekundärableitung von kvinnopräst, welches frequent im Korpus ist und selber als erstes Glied weiterer Formen fungiert.54 Entsprechende Sekundärbildungen sind bei frequentem Vorkommen der oppositionellen genderspezifizierenden Appellationsformen durchgängig im Korpus zu finden. Dies sind in der Regel einzelne Bildungen, die in identischen Texten mit den frequenten genderspezifizierenden kontrastierenden Formen zu finden sind. Von den personalen Gruppenbenennung stammen drei aus dem musikalischen Bereich und unterscheiden sich von den Gruppenbenennungen auf kvinno, die vor allem aus dem politischen Bereich stammen. Zwei der Formen mit mans als erstem Glied dienen zudem einer genderunspezifizierenden Benennung von Personen oder Gruppen und sind hier in der Bedeutung ‚Mensch‘ verwendet. Es zeigen sich insgesamt große Unterschiede zwischen den personalen Appellationsformen mit kvinno und man als erstem Glied. Während erstere über die verschiedenen, oben unterschiedenen Kategorien hinweg zu finden sind, dient mans als erstes Glied vornehmlich der männlichen Genderspezifizierung. Diese eindeutige Tendenz ist für kvinno nur für die Formen ausmachbar, die konventionalisiert stereotyp männliche Konzeptualisierungen erwarten lassen. Während mans also nahezu durchgehend der männlichen Genderspezifizierung der durch die Form appellierten dient, kann kvinno bei Nomina agentis auch dazu dienen, Frauen als Objekte von in der Regel männlich Handelnden als Teil der personalen Appellationsform erscheinen zu lassen. Frauen als Ziel oder Objekt der Handlung werden so zu einem Teil der Appellationsform, sind die Bedingung für die männliche Genderspezifizierung, die gerade in der in der Form expliziten Genderopposition zum Ausdruck kommt. Die durch die Appellationsformen charakterisierten Handlungen, die zudem alle einen sexuellen und abwertenden Charakter Frauen gegenüber haben, werden zu
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Vgl. Bergh (1996: 81). Vgl. weiter oben.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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spezifisch männlichen in einer heteronormativen Grundvorstellung. Sie reproduzieren so den Opferstatus der Frauen, während sie die Männer zu Handelnden machen, deren Geschlechtlichkeit gleichzeitig der expliziten Benennung entgeht in den entsprechenden Fällen. Die Formen dieser Gruppe sind zum größten Teil keine einmaligen Ad-Hoc-Bildungen, sondern lexikalisiert und können so als ein wichtiger Baustein der gesellschaftlich-normativen Konzeptualisierung von Geschlechtlichkeit interpretiert werden. Die relativ häufige männlich spezifizierende Gruppenbenennung im musikalischen Bereich findet eine Parallele nur in einer Form im oben ausgewerteten Korpus, zeigt aber gleichzeitig Parallelen zu den Vorkommen von Formen mit tjej als erstem Glied, die weiter unten analysiert werden. Personal appellierende Komposita mit dam und herr als erstem Glied Nahezu alle personalen Appellationsformen mit dam als erstem Glied, die im Tageszeitungskorpus von Språkbanken verzeichnet sind, stammen aus dem Bereich des Sports. Zur Benennung einzelner Personen sind 26 unterschiedliche Formen mit dam als erstem Glied verzeichnet, zur Benennung von Gruppen 17 verschiedene Formen. Im einzelnen handelt es sich um die folgenden Formen55: damtränare 21 ‚D.trainer‘, damspelare 10 ‚D.spieler‘, damsprinter ‚D.sprinter‘, damstafettseger ‚D.staffelsieger‘, damsingel 165 ‚D.-singel‘, damsingelspelare ‚D.singelspieler‘, damsenior 7 ‚Damensenior‘, damseniormästare ‚D.seniormeister‘, damsegarare 3 ‚Damensieger‘, damsegrarinna ‚D.siegerin‘, damproff ‚D.profi‘, dammästare ‚D.meister‘, dammästarinna ‚D.meisterin‘, damlagscoach ‚D.teamcoach‘, damjunior 40 ‚D.junior‘, damishockeyspelare ‚D.eishockeyspieler‘, damhandbollsdomare ‚D.handballschiedsrichter‘, damhandbollsspelare ‚D.handballspieler‘, damgolfspelare ‚D.golfspieler‘, damgolfare 8 ‚D.golfer‘, damgolfelit ‚D.golfelite‘, damförbundkapten ‚D.teamkapitän‘, damfotbollspelare ‚D.fußballspieler‘, damelit 4 ‚D.elite‘, damcoach ‚D.coach‘, damcyklist ‚D.radfahrer‘. Als Gruppenbezeichnungen finden sich die folgenden Formen im Korpus: damtvåa 5 ‚D.zweier‘, damvmlag 4 ‚D.wm-team‘, damvolleyjuniorer ‚D.volleyballjunioren‘, damtrea ‚D.dreier‘, damtrio 4, damstafett 20 ‚D.staffel‘, damslandslaget ‚D.länderteam‘, damlag 246 ‚D.team‘, damlandslag 130
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Hinter den einzelnen Formen steht die Häufigkeit ihres Vorkommens.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
‚D.länderteam‘, damjuniordubbel ‚D.juniordoppel‘, damhockeyspelare ‚D.hockeyspieler‘, damhockeyveteran ‚D.hockeyveteranen‘, damhandbollslag ‚D.handballteam‘, damfotbollslag ‚D.fußballteam‘, damdubbel 41 ‚D.doppel‘, dambaskettrupp ‚D.basekttruppe‘. Mit herr als erstem Glied finden sich 15 personale Appellationsformen im Singular sowie acht Gruppenbenennungen, also deutlich weniger als für dam; diese stammen ebenfalls nahezu alle aus dem Bereich des Sports. Als personale Appellationsformen mit herre als erstem Glied sind in Språkbanken die Formen herrefolk ‚Herrenvolk‘ als Kollektivbenennung sowie Ableitungen aus dieser (zum Beispiel herrefolksideologi, -mentalitet), herrejävl ‚Herrenteufel‘ und herreman ‚Herrenmann‘ mit weiteren Ableitungen aus dieser (zum Beispiel herremanshus ‚-haus‘, herremansmentalitet, herremansrätt ‚-recht‘) verzeichnet. Laut SAG (1999) konzeptualisiert das erste Glied herre eine Person in der Position als Machthaber/in, wohingegen die Form herr als erstes Glied in Opposition zu dam gebraucht würde und genderspezifizierend sei.56 Dass auch bei herre eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung mit aufgerufen wird, zusätzlich ergänzt um den Faktor der Machtposition, wie dies in allen in Språkbanken belegten Beispielen der Fall ist, bleibt in der Besprechung in SAG (1999) jedoch unbenannt und die enge Verknüpfung von Männlichkeit und Macht in den entsprechenden Formen wird in der grammatikalischen Darstellung unsichtbar gemacht. Die Feststellung, dass mehr Formen zur weiblichen Genderspezifizierung im Korpus zu finden sind, lässt nicht darauf schließen, dass Sport in Tageszeitungen ein weibliches Genre ist, da die genderspezifizierend männliche personale Appellation im Bereich des Sports in der Regel ohne explizite Genderbenennung durchgeführt wird. Die Apposition durch dam im Bereich des Sports deutet hingegen darauf hin, dass Sport ‚normal‘ als männlich wahrgenommen wird und eine weibliche Abweichung entsprechend expliziert werden muss. Dies entspricht der eingangs in diesem Kapitel formulierten These, dass jeweils die Abweichung explizit benannt wird, handelt es sich nicht um lexikalisierte substantivische, eingliedrige personale Appellationsformen. Die Belege aus Språkbanken zeigen jedoch, dass sowohl dam als auch herr in personalen Appellationsformen zur Genderspezifizierung als erstes Glied verwendet wird, auch wenn die quantitative Verteilung dieser Genderspezifizierung ungleichgewichtig erfolgt. Hier ist ein interessanter
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SAG (1999, 2 §37: 56).
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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Querverweis auf Noreen (1904) möglich, der in diesen Formen bereits zur Jahrhundertwende eine Möglichkeit der Grammatikalisierung von Genderspezifizierung im Schwedischen gesehen hat.57 Eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der weiblichen Gendermarkierung zeigt sich in einigen, miteinander konkurrierenden Formen: damsegrare dammästare
damsegrarinna dammästarinna
‚Damensieger/in‘ ‚Damenmeister/in‘
Die jeweils zweite Form ist doppelt markiert, sowohl mit einem genderspezifizierend ersten Glied als auch mit einer genderspezifizierenden Suffigierung. Entsprechende doppelte Gendermarkierungen finden sich ausschließlich bei genderspezifizierend weiblicher Appellation und sind in dieser Hinsicht mit der weiter oben besprochenen Form manssluskerska parallel gebildet.58 Sie weisen auf die hohe Wahrscheinlichkeit einer prototypisch männlichen Vorstellung der Form mästare und segrare hin. Jobin (2004: 80) sieht darüber hinaus die Form mästare als eine prototypisch männlich assoziierte Berufsbezeichnung, mit der „selbst Berufe mit relativ niedrigem Status wie Hausmeister oder Gärtner sprachlich zu ‚Meistern‘ mästare, werden.“ Personal appellierende Komposita mit flick, pojk, tjej und kill als erstem Glied Im Unterschied zu den obigen Tabellen werden hier auch noch Angaben dazu aufgenommen, welche Formen vor den 90er Jahren im Korpus zu finden waren. Dies entspricht dem gesonderten Erkenntnisinteresse zu untersuchen, inwiefern die Formen tjej und kille in vielen Bereichen gerade seit den 90er Jahren zu Neubildungen beigetragen haben. Insgesamt lässt sich feststellen, dass nur drei personal appellierende Formen ein identisches zweites Glied haben, dem alle vier untersuchten personal appellierenden Formen vorangestellt sind: -band ‚-Band‘, -grupp ‚Gruppe‘, -gäng ‚-Gang‘, ‚-klass ‚-Klasse‘. Es handelt sich jeweils um Grup-
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58
„En sådan grammatisk kategori har vårt språk ej utbildat, men äger nog vissa förutsättningar för eller åtminstone möjligheter till dess uppkomst; detta i och genom sådana motsättningsserier som: herr- resp. dambiljett, -galoscher, -handskar, -hatt, -hytt, -rum, -sadel, -salong;“ ‚Eine solche grammatische Kategorie hat unsere Sprache nicht ausgebildet, aber sie besitzt doch gewisse Voraussetzungen oder zumindest Möglichkeiten für ein solches aufkommen; dies durch solche Oppositionsserien wie: Herren- resp. Damenticket, -galoschen, -handschuhe, hüte, -hütten, -raum, -sattel, -salon.‘ (Noreen 1904: 310). Wenngleich die doppelte Genderspezifizierung jeweils anders realisiert wird.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
penbenennungen, die auf diese Weise jeweils genderspezifiziert sind. Darüber hinaus finden sich zahlreiche Formen für eine Genderspezifizierung sportlicher Handlungen, Sportarten und Sportgruppen mit Hilfe der Formen flick, tjej, pojk und kille als erste Glieder. Dies geht mit dem hohen Grad an auch heute noch bestehender Gendersegregierung besonders im Bereich des Wettkampfsports konform. Ausgehend von den vorangegangenen Kapiteln ist die Genderspezifizierung in von personalen Appellationsformen abgeleiteten Konzeptualisierungen im Bereich des Sports nicht verwunderlich.59 Die Bildung personaler Appellationsformen, die eine genderspezifizierende personale Appellation als erstes Glied haben ist in vielen Fällen erwartbar, insbesondere, wenn es um die Benennung von Verwandtschafts- und Familienverhältnissen geht (beispielsweise flickbarnbarn ‚Mädchenkindkind: Enkelin‘, pojkbebis ‚Jungenbaby‘). Was darüber hinaus insgesamt auffällt, ist die Ausdifferenzierung von Benennungen im musikalischen Bereich, insbesondere von Gruppen mit einer Genderspezifizierung (neben Xband ist dies u.a. tjejrockgrupp, X-trio, tjejkör ‚Mädchenchor‘). Insgesamt lässt sich des weiteren feststellen, dass die jeweiligen Begriffsbildungen in Bezug auf Genderspezifizierungen zum überwiegenden Teil asymmetrisch verteilt sind, was sowohl unterschiedliche Formen als auch ihre absoluten Vorkommen im Korpus betrifft. Tendentiell sind die Formen mit flick und pojk als erstem Glied früher als die Formen mit tjej und kill als erstem Glied im Korpus belegt. Es finden sich insgesamt 30 unterschiedliche personal appellierende Formen mit flick als erstem Glied im Tageszeitungskorpus.60 Die mit Abstand häufigste Bildung ist die Form flickvän. Die außerordentlich hohe Frequenz, die diese personale Appellationsform besitzt, geht mit der in Kapitel 3 ausgeführten These, dass in Bezug auf persönliche Kontakte die Genderspezifizierung eine herausragende Rolle spielt, konform. Dadurch, dass diese Relationsbenennung nicht durch die Suffigierung der Form zu väninna geschieht, wird zum einen eine Doppeldeutigkeit der intendierten Appellation vermieden: die Form flickvän ‚Mädchenfreund: Freundin‘ bezieht sich auf eine Person als ein Teil von einer auf Dauer angelegten Liebesbeziehung, während väninna Freundinnen jenseits einer Liebesbezie-
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Vgl. auch Börjeson (1995), Himanen (1990), Siivonen (1994). In der quantitativen, hier leider nicht ausfürlich wiedergegebenen Analyse sind nicht unterschiedliche Numeri und Kasus der Formen unterschieden wie in den meisten Fällen auch keine Sekundärbildungen, wenn also beispielsweise die Form flicktidning ‚Mädchenzeitung‘ als Bestandteil der Form flicktidningsredaktion ‚Mädchenzeitungsredaktion‘ fungiert. Letztere wird in den entsprechenden Fällen zu flicktidning gerechnet.
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hung bezeichnet. Die Voranstellung von flick betont in der lexikalisierten Form flickvän die Relevanz der Genderzuordnung der jeweiligen Person. Die Spezifizierung von vän zu flickvän ist dabei mehr als eine Genderspezifizierung, sie spezifiziert zugleich auch die Art und Intensität der Beziehung. Die implizierte Sexualität dieser Beziehung wird heteronormativ definiert, was durch die Explizitmachung des Genders der appellierten Person realisiert wird. Dieser Form gegenüber steht die Form tjejkompis, die ebenfalls genderspezifizierend ist, aber keine sexuelle Relation oder Liebesbeziehung ausdrückt, sondern in Abgrenzung dazu eine Freundschaftsbeziehung. Die Form ist relativ frequent, es ist auch die einzige Form mit tjej als erstem Glied, die sich im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache als personale Appellationsform findet.61 Neben der genderspezifizierend weiblichen Appellation durch diese Formen findet sich ebenso wie bei kvinno als erstem Glied auch eine durch sie realisierte genderspezifizierend männliche Appellation, die jeweils die Konzeptualisierung von Frauen oder Mädchen als Objekte männlicher Macht, Gewalt und Sexualität herstellt. Hierzu zählen die Formen flickjägare ‚Mädchenjäger‘ und flickmördare ‚Mädchenmörder‘. In der Form flickpojke ‚Mädchenjunge‘ wird einer genderspezifizierend männlich kategorisierten Person die Typizität ihrer Genderidentität durch das erste Glied flick abgesprochen, während in flickkvinna ‚Mädchenfrau‘ eine Konzeptualisierung von Jugendlichkeit in der genderspezifizierenden Benennung einer Frau betont werden soll, welche zugleich sexuelle Konzeptualisierungen hervorruft. Während eine Charakterisierung über flick als erstes Glied in Bezug auf eine genderspezifizierend männliche Appellation durch pojke eine Abwertung beinhaltet, ist sie in Bezug auf eine genderspezifizierend weibliche Appellation durch kvinna eine sexuelle Aufwertung aus einer männlichen heteronormativen Sicht, welches zugleich aussagekräftig in Bezug auf die mit ihr verbundenen Sexualitätsvorstellungen ist. Die meisten der Formen mit flick als erstem Bestandteil sind einmalige Vorkommen im Tageszeitungskorpus. In Relation zu den Formen mit tjej als erstem Glied kommen sie durchschnittlich früher vor, was dafür spricht, dass die Form tjej in vielen Kontexten die Form flicka ersetzt. Die parallelen Vorkommen von flick-X und tjej-X im Korpus sind jedoch gering. Mit pojk als erstem Glied finden sich 27 unterschiedliche Formen, so dass das quantitative Verhältnis zwischen den personal appellierenden
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Sie kommt dort einmal im Singular und zweimal im Plural vor. Daneben ist die Form tjejtrampet einmal verzeichnet.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Formen mit flick und pojk als erstem Glied von der Zahl der unterschiedlichen Bildungen her als ausgeglichen angesehen werden kann. Vergleichbar mit der Form flickvän ‚Mädchenfreund: Freundin‘ ist auch pojkvän ‚Jungenfreund: Freund‘ die mit Abstand häufigste Form, wenngleich sie im absoluten Verhältnis zu flickvän fast nur halb so häufig vorkommt. Neben den bereits oben gemachten Schlussfolgerungen bedeutet dies zusätzlich, dass eine Lexikalisierung einer männlich spezifizerten Person als Teil einer Paarrelation über diese Form sehr viel weniger häufig ist als einer weiblichen, was darauf hindeutet, dass die Konzeptualisierung von Frauen häufiger über ihren Status in einem heterosexuellen Paarverhältnis in der Darstellung der Tageszeitungen stattfindet als für Männer. Dies schließt nicht aus, dass in Bezug auf männliche Liebesbeziehungen andere Formen wie sambo ‚ZusammenwohnendeR‘ oder partner frequenter sind. Diese rufen andere Konzeptualisierungen als flickvän auf, in der eine Genderspezifizierung explizit gemacht wird, was bei sambo und partner nicht der Fall ist. Eine weitere mögliche Motivation für eine frequentere Verwendung der Form flickvän gegenüber pojkvän kann darin gesehen werden, dass eine konventionalisiert altersspezifizierend jüngere Benennung in heterosexuellen Paarverhältnissen in Bezug auf Frauen üblicher als in Bezug auf Männer ist. Nur in einem einzige Fall ist die Appellatonsform mit pojk als erstem Glied nicht genderspezifizierend männlich, sondern weiblich: die Form pojkflicka appelliert konventionalisiert auf eine weibliche Person, was durch die lexikalisierte Genderspezifizierung des zweiten Glieds zum Ausdruck gebracht wird und der vergleichbar zu der Form flickpojke von der stereotypen Gendererwartung abweichende Charakteristika und Eigenschaften in der Benennung zugeschrieben werden. Während die Form flickpojke in den Belegen im Korpus tendentiell abwertend gebraucht wird, kann die Form pojkflicka hingegen auch eine Aufwertung darstellen, wenn durch sie Durchsetzungsfähigkeit zum Ausdruck gebracht wird. Mit tjej als erstem Glied sind 34 verschiedene Appellationsformen im Korpus zu finden. Auffallend ist die häufige genderspezifizierende Benennung von Musikgruppen mit dem Vorsatz tjej, die weder eine Entsprechung zu den Gruppen appellierenden Bildungen durch flick, pojk und kill hat noch durch die Bildungen mit kvinno und mans als erstem Glied. Dies deutet daraufhin, dass die Musikbranche ein normativ männlich konzeptualisierter Bereich ist, in dem dies nicht expliziert werden muss, da es die angenommene, nicht als gegenderte Normalität wahrgenommene Situation ist. Die Abweichung davon ist eine weibliche Genderspezifizierung von Musikgruppen, die durch die Formen mit tjej als erstem Glied zum
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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Ausdruck gebracht werden. Da die Bildungen mit tjej sämtlich erst seit den 90er Jahren verzeichnet sind, handelt es sich hier zugleich auch um eine relativ neue Entwicklung hinsichtlich der genderspezifizierenden Wahrnehmung. Hier ist neben der Genderspezifizierung mit Hilfe der Form tjej zugleich auch eine Altersspezifizierung zum Ausdruck gebracht oder kann zum Ausdruck gebracht sein, die sich so auch negativ auf die Konzeptualisierung von Frauen zum Beispiel im Bereich der Musik auswirken kann, da diesen hier so ein geringerer Altersstatus zugeschrieben wird. Ebenso gut kann das erst in den 90er Jahren verstärkte Auftreten der entsprechenden Formen aber auch daraufhin deuten, dass sich hier durch die Bildungen mit tjej von einem älteren weiblichen Genderkonzept abgesetzt werden soll, welches durch Bildungen mit kvinno zum Ausdruck kommt.62 Dies bestätigt sich, vergleicht man die Gruppe der Bildungen mit tjej mit mit kvinno als erstem Glied von weiter oben, wo ersichtlich wird, dass es sich im letzteren Fall häufig um politische Konzeptualisierungen von weiblichen Gruppen handelt, die durch Bildungen mit kvinno als erstem Glied lexikalisiert realisiert werden. Diese vergleichende Analyse deutet auf ein Zutreffen der weiter oben formulierten Hypothese hin, dass tjej ein von kvinno dezidiert und bewusst abweichendes Konzept zum Ausdruck bringen soll. Dass nahezu alle frequenten Bildungen mit tjej als erstem Glied erst in den 90er Jahren im Korpus verzeichnet sind, unterstützt diese These. Gegenüber den Bildungen mit der Form tjej sind die Bildungen mit der Form kill sowohl hinsichtlich der unterschiedlichen Formen als auch in ihrer jeweiligen Frequenz deutlich geringer: so können nur acht verschiedene Appellationsformen mit kill als erstem Glied im Korpus gefunden werden, die jeweils auch nur mit geringer Frequenz vorkommen. Die Bildungen mit der Form kill als erstem Glied fallen von der absoluten Anzahl unterschiedlicher Bildungen stark gegenüber den anderen drei, zuvor diskutierten Formen ab. Bei den meisten handelt es sich wahrscheinlich um nicht lexikalisierte Spontanbildungen. Auch hier überwiegt eine Bezugnahme auf den musikalischen und den sportlichen Bereich. So sind eine Reihe von Parallelbildungen zu den kollektiven Gruppenbenennungen mit tjej belegt, die jedoch auch nur mit einzelnen Belegen verzeichnet sind, so dass vermutet werden kann, dass die meisten von diesen Formen aus den entsprechenden Formen mit tjej als erstem Glied abgeleitet sind. Im Gegensatz zu den Formen mit tjej benennen die Formen mit kill jeweils eine Gruppe nicht nur als gender-, sondern auch als altersspezifisch.
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Vgl. die entsprechenden Analysen weiter oben.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Dies ist eine logisch erscheinende Konsequenz daraus, dass die Form tjej in Abgrenzung der politischen und sozialen Konzepte zu Weiblichkeit gegenüber der Form kvinno in entsprechenden Bildungen benutzt wird. Eine vergleichbare Abgrenzungsnotwendigkeit für kill von Bildungen mit mans als erstem Glied findet sich nicht. Ebenso wie bei tjej ist auch bei kill eine der frequentesten Formen die Benennung von kompis ‚Kumpel‘, das heißt die Benennung einer anderen Person über ihre Relation zu tjej bzw. kille. Wie in Kapitel 3 ausgeführt wurde, entspricht dies einer besonderen Relevanz genderspezifizierender Konzeptualisierung im Bereich der persönlichen Beziehungen, die von einer Heteronormativität der sexuellen Paarbeziehungen und einer Homosozialität der übrigen sozialen Kontakte gekennzeichnet ist.63 Zusammenfassend kann zu einem Vergleich der Verwendungsweisen der Formen kvinna, man, flicka, tjej, pojke und kille auch als erstes Glied von personal appellierenden Komposita folgendes festgehalten werden: Während es in Bezug auf der weibliche Genderspezifizierung in den 90er Jahren zu einer Ausdifferenzierung gekommen ist, was lexikalisierte Konzepte betrifft, in denen die entsprechenden personalen Appellationsformen als erstes Glied fungieren, hat dies in Bezug auf männliche Genderspezifizierung nicht in gleichem Umfang stattgefunden. Dabei besitzt die Form tjej eine doppelte Funktion: zum einen steht sie in Opposition zu kvinna, das heißt dient neben der Gender- gleichzeitig auch der Altersspezifizierung. Auf der anderen Seite ersetzt sie die Form kvinna jedoch auch mit Hinblick auf Altersspezifizierung in vielen Kontexten, in denen die Form kvinna mit Feminismus verknüpft zu sein scheint – hier bietet die Form tjej offensichtlich ein Identifikationspotential für Frauen jenseits einer gleichzeitigen Konzeptualisierung mit und durch eine bestimmte Belegung von Feminismus als ein generationsspezifisches, eher den Müttern zugeschriebenes Modell.64 Besonders im Bereich des Sports scheint die weibliche Genderspezifizierung durch die Form tjej die Form kvinna ersetzt zu haben. In dieser Konzeptualisierung fließt Alter in Bezug auf angenommene Sportlichkeit
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Vgl. auch entsprechende Feststellungen bei Hirdman (2002), die ebenfalls Homosozialität als ein wichtiges Kriterium in der Herstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit in schwedischen Zeitschriften herausgearbeitet hat. Andreasson (2003) weist beispielsweise darauf hin, dass männliche und weibliche Homosozialität sich voneinander unterscheiden: Während männliche Homosozialität durch einen gemeinsamen Ausschluss alles nicht männlichen und potentiell weiblichen geschieht, vollzieht sich weibliche Homosozialität stärker über eine Betonung von Weiblichkeit. Vgl. z.B. Widmark (1973) für einen entsprechenden und frühen Kommentar.
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als prototypische Normalvorstellung für Weiblichkeit am stärksten mit ein, lässt sich daraus schlussfolgern. Im Bereich der kollektiven genderspezifizierenden Benennung von verschiedenen Musikgruppen findet eine explizite Genderspezifizierung nur für Frauen statt, für Männer ist dies der Ausnahmefall, was daraufhin deutet, dass dieser Bereich eine männliche Normalitätskonzeptualisierung aufruft, wenn nicht eine genderspezifizierend weibliche Abweichung davon explizit zum Ausdruck gebracht wird. Neben Sport kann der Musikbereich als stark gegendert und gendersegregiert angesehen werden, wenn man von dem Vorkommen genderspezifizierender Benennungen in diesem Bereich ausgeht. Darüber hinaus zeigt die Analyse, dass genderspezifizierende Appellationsformen als erstes Glied in Komposita als Mittel der Genderspezifizierung gebraucht werden, wobei zwei unterschiedliche Strategien zu beobachten sind: Zum einen erfolgt die Genderspezifizierung der durch das Substantiv realisierten Appellation in Übereinstimmung mit der Genderspezifizierung des erstens Gliedes und wird so durch diese realisiert, zum anderen erfolgt sie durch das erste Glied in genderspezifizierender Opposition durch diese. Diese Form ist fast ausschließlich genderspezifizierend männlich und realisiert sich über eine Konzeptualisierung von Frauen als (sexuelle) Objekte männlicher Handlungen und Macht. In ihnen kommt eine hegemoniale und heteronormative Konzeptualisierung eines Genderverhältnisses lexikalisiert zum Ausdruck. Doch auch die Genderspezifizierung der Substantive in Übereinstimmung mit der Genderspezifizierung des ersten Glieds findet sich quantitativ sehr viel häufiger zur weiblichen Genderspezifizierung, wodurch die Annahme der männlichen Norm als Allgemeinmenschliche, die keiner genderspezifizierenden Explikation bedarf, bekräftigt wird. Diese zeigt sich auch in Formen, in denen durch man als erstes Glied Konzeptualisierungen von Menschlichkeit ausgedrückt werden. Die Formen mit dam und herr als erstem Glied sind weitgehend auf den Sportbereich beschränkt und besitzen eine zeitlich längere Kontinuität in ihrem Vorkommen als die Formen mit tjej und kille. Auch hier findet sich quantitativ eine ungleiche Verteilung, in der mehr Formen zur genderspezifizierend weiblichen als zur männlichen Appellation im Korpus verzeichnet sind und zusätzlich auch die Form tjej in Konkurrenz zur Form dam steht. Es kann ein Übergang im Bereich der weiblichen Genderspezifizierung im Sport von der früher als Respektform über eine hohe Statusanzeige Höflichkeit zum Ausdruck bringende Form dam, die heute vor allem noch in direkten Anreden zu finden ist und auch dort Ausdruck einer Höflichkeitskonvention ist, zu der Form tjej festgestellt werden.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Durch die Form dam wurde früher die Konzeptualisierung von weiblicher sportlicher Tätigkeit als einem statushohen Privileg zum Ausdruck gebracht und so als Prototyp konzeptualisiert, während heute die prototypische Vorstellung weiblicher sportlicher Tätigkeit zunehmend mit Jugendlichkeit verbunden zu sein scheint, welches durch die Form tjej in den entsprechenden Bildungen lexikalisiert wird. Höflichkeit wird heute weniger über eine positive Status- als vielmehr über eine positive Altersunterstellung sprachlich realisiert, handelt es sich um genderspezifizierend weibliche Appellation. Wie im dritten Kapitel bereits formuliert, bestätigt sich auch in den Analysen dieses Kapitels, dass sich in den Lexikalisierungen ein Übergang von einer protoypischen Vorstellungen von Weiblichkeit als statushoch zu einer von Jugendlichkeit abzuzeichnet. Diese Ergebnisse werden im folgenden um die personalen Appellationsformen mit kvinna, man, dam, herre, flicka, pojke, tjej und kille als zweitem Glied ergänzt. Personal appellierende Komposita mit kvinna und man als zweitem Glied Im folgenden werden exemplarisch Komposita untersucht, die kvinna und man als zweites Glied haben. Wie in Kapitel 3 dargestellt, sind viele der in diese Gruppe fallenden Appellationsformen Tätigkeitsbenennungen. In einem ersten Schritt wird untersucht, ob die Häufigkeit des Vorkommens der jeweiligen Formen in den Korpora der Tageszeitungen darauf hinweist, ob die auf kvinna endenden Formen gebräuchlich sind. Himanen (1990: 56f.) hat zwischen den Tageszeitungskorpora aus Språkbanken von 1965 und 1976 Unterschiede in den Kompositabildungen auf kvinna festgestellt. Während im Korpus von 1965 16 unterschiedliche Bildungen auf kvinna verzeichnet sind, finden sich im Korpus von 1976 22 unterschiedliche Bildungen. Von denen kommen nur drei in beiden Korpora vor: affärs- ‚Geschäfts-‘‚ yrkes- ‚Erwerbsarbeits-‘‚ und kvinnosakskvinna ‚Frauensachenfrau: Feministin‘. Ergänzend zu Himanen (1990) kann festgestellt werden, dass diese Bildungen alle auch in den Korpora der 90er Jahre weiter vertreten sind, wobei kvinnosakskvinna hier weitgehend durch feminist ersetzt zu sein scheint und nur noch in Kontexten von Selbstbenennungen vorkommt, wo die Form von älteren Frauen gebraucht wird. In NYO 1988 finden sich drei personal appellierende Bildungen mit kvinna als zweitem Glied als Neubildungen zwischen den 40er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verzeichnet: tjejkvinna ‚Mädchenfrau‘, pr-kvinna ‚PR-Frau‘,
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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karriärkvinna ‚Karrierefrau‘. Daneben sind 14 neue Bildungen mit man als zweitem Glied aufgeführt, von denen eine (ombudsman) produktives zweites Glied weiterer personaler Appellationsformen ist: hemmaman ‚Hausmann‘, dataman ‚PC-Mann‘, grodman ‚Froschmann‘, he-man, medieman, systemman, studioman, AR-man, pr-man, ombudsman, informationsman, fältman ‚Feldmann‘, stuntman, layoutman. Die Formen pr-man und pr-kvinna können als Parallelbildungen angesehen werden, die eine konventionalisiert genderspezifizierende Verwendung dieser Appellationsformen erwarten lässt. Darüber hinaus gibt es zwischen diesen beiden Gruppen keine Entsprechungen auf der Formebene. Von den Neubildungen auf man können drei weitere neben pr-man als konventionell genderspezifizierend männlich appellierend klassifiziert werden (hemmaman, he-man, stuntman). Sie besitzen entweder genderspezifizierend weiblich appellierende Pendants oder rufen sozial-stereotyp männliche Konzeptualisierungen auf.65 Es zeigt sich bei den Neubildungen auf man zwischen den 40er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, die lexikografisch erfasst worden sind, keine eindeutige Tendenz zu einer genderunspezifizierenden Verwendung dieser Formen, wie es vielfach in der Forschungsliteratur propagiert worden ist66, sondern stattdessen ihre teilweise Neukonstruktion zum Ausdruck von Genderspezifizierungen. Welche Formen mit man als genderspezifizierend männlich konzeptualisiert werden, hängt von der sozial stereotypen Genderrollenerwartungen ab, die sich in unterschiedliche Parallelbildungen niederschlagen können. In der Form hemmaman ‚Hausmann‘ beispielsweise wird eine heterosexuelle, institutionalisierte Paarbeziehung aufgerufen, das zweite Glied man wird hier in der konventionalisierten Bedeutung make ‚Ehemann‘ verwendet. Man drückt in dieser Bildung eine genderspezifizierend männliche Appellation aus, da die mit der Tätigkeitsrolle verbundene Vorstellung prototypisch weiblich ist. Zum Vergleich dazu sind in NYO (2000), in dem Neubildungen aus den Jahren 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts aufgeführt sind, zwei Bildungen mit kvinna als zweitem Glied (taleskvinna ‚Sprecherin‘ und tjänstekvinna ‚Bedienstete‘) gegenüber sieben Bildungen auf man verzeichnet, wobei vier Komposita mit ombudsman als zweitem Glied sind, so dass von diesen abgesehen nur drei verschiedene Bildungen auf man verzeichnet sind: teflonman, machoman, äldreombudsman ‚Ombud für Ältere‘, barnombudsman ‚Kinderombud‘, handikappombudsman ‚Behindertenombud‘, diskri-
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Auch bei dataman kann die sozial männliche Stereotypisierung der Appellationsform diskutiert werden. Vgl. Kapitel 3.
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mineringsombudsman ‚Diskriminierungsombud‘, samsynsman ‚Zusammensehensmann‘. Die Form teflonman ist Teil einer Wortgruppe von metaphorischen Bildungen mit teflon als erstem Glied in der Bedeutung „som har egenskapen att inte fastna; som inte låter ngt fästa vid sig“67 (NYO 2000: 292). Weder überwiegen in der lexikologischen Darstellung die Neubildungen auf man in nennenswertem Umfang gegenüber denjenigen auf kvinna, noch sind sie durchgängig genderunspezifizierend. Sowohl in NYO (1988) wie auch in NYO (2000) finden sich genderspezifizierend männlich appellierende Neubildungen auf man verzeichnet. Insgesamt gibt es im Tageszeitungskorpus von 1965 bis 1998 123 verschiedene Bildungen mit kvinna als zweitem Glied, die verschiedenen inhaltlichen Gruppen zugeordnet werden können. Die größte Gruppe bilden unterschiedliche Tätigkeitsbezeichnungen. Folgende Formen sind frequent in dieser Gruppe über den Untersuchungszeitraum hinweg: taleskvinna ‚Sprecherin‘ (52 Belege), idrottskvinna ‚Sportlerin‘ (26 Belege), riksdagskvinna ‚Reichstagsabgeordnete‘ (24 Belege), affärskvinna ‚Geschäftsfrau‘ (18 Belege), yrkeskvinna ‚erwerbsarbeitende Frau‘ (16 Belege), bondkvinna ‚Bäuerin‘ (zehn Belege), pr-kvinna (acht Belege), talskvinna ‚Bundestagspräsidentin‘ (sieben Belege). Darüber hinaus finden sich 29 weitere Formen in dieser Gruppe mit ein oder zwei Belegen. Bei vielen der nur einzeln belegten Formen kann es sich um Ad-Hoc-Bildungen handeln. HaßZumkehr (2002) weist in einer Randbemerkung daraufhin, dass die Formen auf -frau im IDS-Korpus zur deutschen Sprache in einigen Fällen aus rechtlichen Gründen in Anlehnung an entsprechende Formen mit –mann gebildet worden sein könnten, in vielen Fällen und insbesondere in denjenigen, in denen die entsprechenden Formen nicht zahlreich vorkommen, es sich auch um ironisch-emanzipatorische Brechungen der entsprechenden Formen mit –mann handeln könne. Gerade für die nur vereinzelt belegten Formen im schwedischen Korpus kann diese Interpretation auch Gültigkeit besitzen. Einige der oben genannten frequenten Formen werden weiter unten noch einmal einzeln untersucht und ins Verhältnis gesetzt. Wenngleich auch nur eine geringe Anzahl von Formen mit kvinna als zweitem Glied eine relativ frequente Verwendung im Tageszeitungskorpus zur Tätigkeitsbenennung findet, kann die belegte, relativ große Zahl von Ad-Hoc-Bildungen darauf schließen lassen, dass dieses Muster der genderspezifizierend weiblichen Bildung personaler Appellationsformen auch weiterhin eine gewisse Produktivität besitzt. Die in der Forschungslitera-
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‚Die Eigenschaft haben, dass nichts hängen bleibt, dass man nicht sich an etwas hängt.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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tur68 und in der Sprachpflegediskussion69 vertretene Auffassung, dass eine substantivische lexikalisierte Genderspezifizierung im Schwedischen nahezu am Verschwinden sei, wird durch die korpusgestützte Untersuchung widerlegt. Eine weitere große Gruppe mit kvinna als zweitem Glied sind die Formen, die Personen genderspezifizierend weiblich in Bezug zu ihrem Wohnort benennen. Dazu gehören beispielsweise die Formen Stockholmskvinna, Göteborgskvinna, Halmstadskvinna. In dieser Gruppe finden sich 16 verschiedene Bildungen im Tageszeitungskorpus von Språkbanken zwischen 1965 und 1998, wovon nur zwei nicht ortsspezifisch appellieren (småstadskvinna ‚Kleinstadtfrau‘, ökvinna ‚Inselfrau‘) und nur eine Form nicht einen Bezug zu einem schwedischen Ort herstellt (sarajevokvinna). In einer weiteren Gruppe werden ethnische Benennungen auf diese Art vorgenommen: lappkvinna, barbarkvinna, berberkvinna, negerkvinna, mulattkvinna etc. Auffällig in dieser Gruppe mit zwölf Belegen ist die hohe Frequenz von rassistischen Formen: Während negerkvinna nur für 1965 belegt ist, kommt die Form mulattkvinna beispielsweise noch im Korpus von 1997 vor, so dass hier eine rassistische, genderspezifizierende Benennungspraxis auch für die 90er Jahre festgestellt werden kann.70 Alle diese rassistisch ethnisch benennenden Formen haben keine Parallelbildungen auf man zur genderspezifizierend männlichen Appellation im Korpus. Die genderunspezifizierenden und potentiell zugleich genderspezifizierend männlichen Appellationsformen sind die jeweils ersten Glieder dieser Bildungen. Dies deutet auf die in ethnischen rassistischen Appellationsformen enthaltende männliche Prototypisierung des Allgemeinmenschlichen hin.71 Die zweitgrößte inhaltliche Gruppe sind die Formen, die mit der Benennung kvinna eine Bewertung lexikalisiert verbinden. In dieser Gruppe sind 26 unterschiedliche Formen belegt, wovon karriärkvinna (13 Belege) und superkvinna (acht Belege) die häufigsten sind. Eine Untergruppe expliziert hier Schichtzugehörigkeit (medelklasskvinna ‚Mittelklassefrau‘, överklasskvinna ‚Oberklassefrau‘, högstatuskvinna ‚Hochstatusfrau‘) und ein Teil der Formen ist nur 1965 oder 1976 verzeichnet (bardotkvinna72).
____________ 68 69 70 71 72
Vgl. Hornscheidt (2006b). Vgl. Kapitel 5. Vgl. Arndt/Hornscheidt (2004b). Vgl. auch die Analysen zu einzelnen personalen Appellationsformen in Arndt/Hornscheidt (2004a), wo dieselbe Tendenz für den deutschen Sprachgebrauch bestätigt werden kann. In dieser Form wird die Aussehenskonzeptualisierung einer konkreten Frau, die in der Form durch den Nachnamen aufgerufen wird und die als ein bestimmter, sexualisierter
498
6. Produktion personaler Appellationsformen
Nur zwei Formen kommen in beiden Korpora als Parallelbildungen zu Komposita auf –man vor: tjänstekvinnor och –män und idrottskvinnor och – män. Viele der Formen auf kvinna stehen jedoch in einer genderspezifizierenden Opposition zu Formen, die nicht nur genderspezifizierend weiblich, sondern auch genderunspezifizierend appellieren, wie zum Beispiel indiankvinna - indian, invandrarkvinna – invandrare ‚Einwandererfrau – Einwanderer‘, flyktingkvinna – flykting ‚Flüchtlingsfrau – Flüchtling‘, bondekvinna – bonde ‚Bauernfrau – Bauer‘. Es wird wiederum deutlich, dass eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung mit einer genderunspezifizierenden zusammenfällt und eine männliche Vorstellung so den allgemeinmenschlichen Normalfall darstellt, der in den oben aufgeführten Fällen nicht mal eine explizite Lexikalisierung mit man als zweitem Glied besitzt. Diese Form der Lexikalisierung ausschließlich weiblicher Genderspezifizierung aus synchroner Sicht verstärkt die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Gender in der Konzeptualisierung. Die Anzahl der Kompositabildungen auf kvinna, die eine Tätigkeit bezeichnen, ist dabei nicht nur von 1965 zu 1976 zunehmend, wie Himanen (1990) festgestellt hat, sondern auch zu den 90er Jahren hin. Dabei stellt Himanen (1990) für den Vergleich von 1965 zu 1976 gleichzeitig fest, dass die Formen auf kvinna hauptsächlich in Kontexten verwendet werden, in denen es um Fragen der Gleichstellung und die politische und gesellschaftliche Stellung von Frauen geht. Die Art der Verwendung von Formen auf kvinna in den 70er Jahren hängen eng mit der beginnenden Debatte um Gendergleichstellung zusammen, die in den Zeitungstexten durch eine explizite Bezugnahme auf Frauen in genau diesen Kontexten realisiert wird. Dies verlagert sich in den 90er Jahren hin zu einer stärkeren lexikalisierten Benennung von Frauen in verschiedenen Tätigkeiten, wie oben dargestellt wurde, wozu auch der Bereich der Parteipolitik gehört. Hier finden sich für nahezu alle größeren Parteien entsprechende Bildungen (beispielsweise folkpartikvinna ‚Volkparteifrau‘, mkvinna ‚m-Frau: Moderat-Frau: Konservative-Partei-Frau‘), so dass auch in Bezug auf die Lexikalisierung weiblicher politischer Tätigkeit eine Verschiebung der genderspezifizierend weiblichen Konzeptualisierung zu beobachten ist: Während genderspezifizierend weibliche Appellation in den 70er Jahren im Bereich Politik über frauenpolitisches, feministisches Engagement durch kvinna als zweites Glied in entsprechenden Bildungen lexikalisiert worden ist, erfolgt heute zunehmend eine parteipolitische Differenzierung
____________
weiblicher Prototyp bis in die 70er Jahre gelten kann, auf Frauen genereller als Typbenennung übertragen.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
499
weiblichen politischen Engagements, was mit dazu beitragen kann, dass politische Tätigkeit von Frauen nicht länger auf Frauenpolitik begrenzt wahrgenommen wird. Gleichzeitig aber bleibt die genderspezifizierend weibliche Benennung politischer Tätigkeit auch im heutigen Sprachgebrauch zumindest weiterhin eine realisierte Option neben der ausschließlich politischen Tätigkeitsbenennung, so dass in vielen Kontexten ein Bedürfnis nach einer Benennung dieser Tätigkeit als weiblich erhalten geblieben ist. Von den Formen, die auf man enden, stellt Himanen (1990) fest, werden 1965 keine einzige und 1976 17 Fälle als genderspezifizierend weibliche Appellationen verwendet, was heißt, dass mit Ausnahme von 1,5% der Vorkommen die Formen auf man genderunspezifiziert oder genderspezifizierend männlich verwendet werden. Dies deutet auf einen sehr viel höheren Anteil der Berichterstattung in Tageszeitungen zu Männern gegenüber Frauen hin, zeigt aber gleichzeitig, dass die Formen in den 70er Jahren noch sehr viel stärker männlich als genderunspezifizierend konzeptualisiert sind. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Verwendung von einem Kompositum auf man stereotype Vorstellungen auf eine männliche Person zu wecken, ist recht groß. „Oftast förekommer orden med –man i sådana kontexter som kan tillåta den traditionella uppfattningen att det är enbart män som avses. Om ingenting sägs om könet är det också oftast fråga om män. När det gäller kvinnor förtydligas könet på något sätt i sammanhanget. Att bruka –man och –kvinna parallellt är ett sätt att reagera mot –man i kontexter med könsneutralt innehåll.“73 (Himanen 1990: 64)
Diese Tendenz kann für die 90er Jahre nicht weiter bestätigt werden, wie oben bereits angedeutet wurde: Die Formen mit kvinna als zweitem Glied dienen der weiblichen Genderspezifizierung und stehen Formen mit man als zweitem Glied gegenüber, die nicht nur genderspezifizierend männlich appellieren, sondern vor allem auch genderunspezifizierend, wodurch Männlichkeit als die allgemeinmenschliche und unhinterfragbare Norm im heutigen Schwedisch sehr viel stärker noch reproduziert wird als noch vor 20 Jahren. In einem weiteren Schritt hat Himanen (1990) Stellenanzeigen aus dem Jahr 1965 und 1984 miteinander verglichen und überprüft, welche
____________ 73
‚Am häufigsten kommen Wörter mit –mann in solchen Kontexten vor, die eine traditionelle Auffassung, dass es sich nur um Männer handelt, zulassen. Wenn nichts über das Geschlecht gesagt wird, geht es doch meistens um Männer. Wenn es um Frauen geht, wird dies in irgendeiner Form im Zusammenhang deutlich gemacht. –mann und –frau parallel zu gebrauchen ist eine Art darauf zu reagieren, dass –mann in Kontexten mit geschlechtsneutralem Inhalt verwendet wird.‘
500
6. Produktion personaler Appellationsformen
Formen verwendet werden.74 Eine ihrer Fragestellungen ist es gewesen, welche Komposita sich mit man, welche mit kvinna als jeweils zweitem Glied finden und wo es Parallelnennungen dieser Formen gibt. Parallele Benennung mit kvinna und man in den Stellenanzeigen von 1984 findet Himanen nur in drei Fällen: redovisningsman/kvinna ‚Rechenschaftsberichtsmann/-frau‘, kreditman/kvinna und reservdelsman/kvinna ‚Reserveteilemann/-frau‘75. Wie weiter unten bei einer Besprechung einzelner Formen deutlich wird, finden sich in den 90er Jahren weitere entsprechende Wortpaare, wie beispielsweise prkvinna/prman und affärskvinna/affärsman, die bei Himanen (1990) nicht belegt sind, so dass auch in dieser Hinsicht bis heute eine Kontinuität zu einer Genderspezifizierung durch kvinna und man als zweite Glieder in Komposita in gewissen Fällen nachgewiesen werden kann. Als Teil eines Fragebogens hat Himanen (1990) in der zweiten Hälfte der 80er Jahre insgesamt 140 Personen aus den Gebieten Journalismus, Schule (Lehrer/innen und Schüler/innen), feministische Forscherinnen und Sprachlerner/innen gebeten anzugeben, welche der Komposita auf man sie akzeptabel für eine Appellation auf Frauen finden. Den höchsten Prozentsatz Akzeptabilität hat die Form talman ‚Bundestagspräsidentin‘ mit über 70 Prozent; zwischen 60 und 70 Prozent liegen die Formen rådman ‚Stadtrat‘, överman ‚Meister‘, förman ‚Vormann‘ und talesman ‚Sprecher‘. Am wenigsten akzeptabel als Appellationsformen auf Frauen sind in ihrer Untersuchung reklamman, språkman ‚Sprachmann‘, kyrkoman ‚Kirchenmann‘, PR-man, yrkesman ‚erwerbsarbeitender Mann‘ und idrottsman ‚Sportler‘. Insgesamt stellt sie fest, dass Männer Formen auf man durchschnittlich akzeptabler finden als Frauen. Die Form talman ist weniger eine Tätigkeitsbezeichnung als vielmehr ein Titel, wenngleich die Grenzen bei dieser Form zwischen beidem fließend sind. Die direkte Anrede an eine Reichstagspräsidentin wird in der Regel durch fru talman! ‚Frau Präsidentin‘ realisiert.76 Im folgenden werden einzelne der Paare mit kvinna und man als zweitem Glied detailliert diskutiert.
____________ 74
75 76
Diese Ergänzung ist insofern sinnvoll, als in Språkbanken keine Stellenanzeigen mit aufgenommen sind, diese aber viele verschiedene Tätigkeitsbenennungen aufweisen und zudem den Anspruch auf Genderneutralität haben. Vgl. Himanen (1990: 82). Vgl. Rossenbeck (1995: 68). Er verweist auf einen Beleg in Svenska Dagbladet vom 20.10.1994, in dem eine junge neue Reichstagsabgeordnete damit zitiert wird, dass sie die Anrede fru talkvinna! gewählt habe.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
501
Tabelle 9: Vorkommen der Appellationsformen riksdagskvinna, riksdagsman und riksdagsledamot in den Tageszeitungskorpora zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
riksdagsledamot/en riksdagsledamöter/na riksdagskvinna/n riksdagskvinnor/na riksdagsman/nen riksdagsmän/nen
1965 1/0 0/0 0/0 0/0 23/4 9/6
1976 3/ 4 0/4 0/1 2/1 40/9 17/7
1987 21/11 10/3 0/1 0/0 69/26 22/5
1995 47/33 30/21 3/0 2/0 71/30 33/27
1996 64/38 32/26 3/2 0/0 68/22 28/22
1997 107/51 58/36 12/3 2/2 104/45 43/14
1998 135/48 68/30 5/3 1/0 94/27 24/21
Wie im vorhergehenden Kapitel ausgeführt, handelt es sich bei der Form riksdagsman zur Ersetzung der genderspezifizierenden Formen riksdagsman und riksdagskvinna als die in der sprachpflegerischen Diskussion am häufigsten zitierte Form dafür, dass es aktive und realisierte Sprachveränderungsbestrebungen im Schwedischen gibt. Gleichzeitig wird in verschiedenen Quellen77 aber auch die Verwendung der Form als Ersatz für die genderspezifizierend weibliche Appellation durch riksdagskvinna betont. Diese Feststellungen sind Ausgangspunkt der hier durchgeführten Analyse. Neben den in der Tabelle aufgeführten Formen finden sich als weitere genderspezifizierend männlich appellierende Formen im Korpus von Språkbanken riksdagsgubbarna (zweimal), -herrar (einmal), kamrat/er (zweimal). Potentiell genderunspezifizierende, weitere Appellationsformen sind im Singular riksdagsveteranen ‚der Reichstagsveteran‘, riksdagskollega/n ‚R.kollegIn‘ (zweimal) und riksdagsman/kvinna (einmal), als Kollektivbenennung im Plural riksdagsgruppen/s ‚R.gruppe‘ und –grupper/na/s (insg. 375), riksdagsfolk/et (dreimal), riksdagskolleger ‚R.kollegInnen‘ (sechsmal), riksdagspolitiker/na ‚R.politikerInnen‘ (23mal), riksdagstjänstemän ‚R.angestellteR‘ (einmal). Bezogen auf andere als schwedische Parlamente sind die Formen parlaments- und kongressledamot ‚Parlaments- und Kongressmitglied(er) ‘ gebräuchlich. Die Form ledamot wird darüber hinaus als zweites Glied von personal appellierenden Komposita vor allem in Bezug auf die kommunale Verwaltungsebene benutzt (zum Beispiel landstingsledamot, kommunalfullmäktigeledamot), wobei hier fullmäktigeledamot und styrelseledamot nicht nur alleinstehend eine relativ hohe Frequenz besitzen, sondern im Tageszeitungskorpus zusätzlich als zweite Glieder einer ganzen Reihe weiterer Formen fungieren. Ingesamt ist die Form ledamot als zwei-
____________ 77
Vgl. Himanen (1990), Grünbaum (1996).
502
6. Produktion personaler Appellationsformen
ter Teil personal appellierender Komposita nicht nur mit einer relativ hohen Anzahl verschiedener Formen im Korpus vertreten (69 verschiedene Bildungen sind verzeichnet), einige der Formen besitzen darüber hinaus auch eine relativ hohe Frequenz, so dass Formen mit ledamot ‚Mitglied‘ als zweitem Glied im Bereich der Verwaltung und für die Benennung öffentlicher Ämter als ein produktives Mittel der Bildung genderunspezifizierender personaler Appellationsformen angesehen werden kann.78 Daneben findet sich eine Reihe von personalen Appellationen mit riksdags als erstem Glied, die jeweils spezifische Funktionen benennen. Eine Genderspezifizierung und eine personale Benennung ist im Bereich des schwedischen Reichstages insgesamt relativ stark ausdifferenziert. Gerade für eine genderspezifizierend männliche Appellation findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formen, so dass die bloße Gegenüberstellung der Formen riksdagskvinna und riksdagsman irreführend ist, betrachtet man die Vielzahl unterschiedlicher personal appellierender Bildungen in diesem Bereich. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern die Form riksdagsledamot als eine neutrale Ersetzung für riksdagskvinna gelten kann. In dem schwedischen Internetlexikon Wikipedia wird riksdagsledamot als Oberform mit „beteckning på den som är medlem av riksdagen“79 umschrieben, riksdagskvinna und riksdagsman wird symmetrisch mit „beteckning på en kvinnlig [resp. manlig; Einfügung der Autorin] riksdagsledamot“. ‚Bezeichnung eines weiblichen [resp. männlichen] Reichstagsmitglieds‘ umschrieben80. In NSO 1990 sind nur riksdagsman und riksdagsledamot mit eigenen Einträgen verzeichnet und jeweils als „ledamot av riksdagen“ ‚Mitglied im Reichstag‘81 umschrieben. Auf den Internetseiten des schwedischen Reichstages82 wird durchgängig die Benennung (riksdags)ledamot oder die Pluralform benutzt. In der intendiert genderspezifizierenden Benennung von Frauen wird durchgängig die Nominalphrase kvinnlig ledamot ‚weibliches Mitglied‘ verwendet83, eine Entsprechung auf den Seiten des schwedischen Reichstages mit manlig ledamot findet sich hingegen nicht. Wenngleich eine Tendenz zu einer Durchsetzung der Form riksdagsledamot als genderunspezifizierender Oberbegriff im
____________ 78
79 80 81 82 83
Dies steht in einem gewissen Kontrast zu den weiter unten besprochenen Formen representant, idkare und företrädare, die nicht eine ähnliche Produktivität und Frequenz aufweisen. http://sv.wikipedia.org/wiki/Riksdagsledamot vom 10.4.2003. ‚Bezeichnung für den/diejenige, der/die Mitglied des Reichstags ist.‘ http://sv.wikipedia.org/wiki/Riksdagskvinna vom 10.4.2003. Vgl. NSO (1990: 801). http://www.riksdagen.se/folkvald/ vom 10.4.2003. Siehe vor allem http://www.riksdagen.se/faktabl/F08_kvin.asp vom 10.4.2003.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
503
offiziellen Diskurs der schwedischen Regierung und in anderen öffentlichen Quellen zu beobachten ist, gibt es gleichzeitig eine prototypisch männliche Konzeptualisierung von riksdagsledamot, wenn nur in der weiblichen Genderspezifizierung das personal appellierende Substantiv durch ein genderspezifiziernd weibliches Attribut ergänzt wird. Vor allem in der Selbstbenennung von Abgeordneten ist weiterhin eine quantifizierbare Trennung im Gebrauch der verschiedenen Formen feststellbar: Riksdagsledmot wird fast ausschließlich im Internetauftritt von weiblichen Abgeordneten zur Selbstbenennung gewählt, wie ein Stichprobenvergleich von 30 persönlichen Internetseiten schwedischer Abgeordneter, die die Form riksdagsledamot zur Selbstappellation verwenden, ergeben hat. Über die verschiedenen Parteien hinweg wurde die Selbstbenennung riksdagsledmot von 22 Frauen und acht Männern verwendet. Es ist eine Unterschiedlichkeit der Verwendungsweisen im offiziellen öffentlichen Diskurs der Regierung und in den Selbstappellationspraktiken von Abgeordneten festzustellen. Während die Regierung vordergründig die Form ledamot genderunspezifizierend benutzt, wird eine gleichzeitig implizite männliche Normsetzung dieses unspezifizierenden Gebrauchs nur durch die genderspezifizierende Verwendung in einer Attribuierung mit kvinnlig sichtbar, die keine Parallele mit manlig als Attribuierung besitzt. Während Grünbaum (1996) und Himanen (1990) die genderspezifizierend weibliche Verwendung von riksdagsledamot herausstellen, kann dies für den offiziellen staatlichen Diskurs zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht bestätigt, sondern eine männliche Protoypisierung einer allgemeinmenschlichen Vorstellung festgestellt werden, die auch mit der Form riksdagsledamot einher geht. Demgegenüber kann in der Verwendung der Form zur Selbstappellation eine häufigere Anwendung der Form bei der Benennung weiblicher Abgeordneter als männlicher festgestellt werden. An diesem Punkt unterscheidet sich somit der staatliche Diskurs von dem öffentlichen nicht-staatlichen Diskurs. Dass die Form riksdagsledamot häufig zur Selbstappellation von Frauen verwendet wird, deutet gleichzeitig darauf hin, dass die Form riksdagsman von diesen nicht als genderunspezifizierend aufgefasst wird, während für Männer diese Problematik in der Selbstappellation offensichtlich keine Rolle zu spielen scheint, was wiederum die protoypisch männliche Konzeptualisierung genderunspezifizierender Appellationspraktiken mit man als zweitem Glied unterstreicht.
504
6. Produktion personaler Appellationsformen
Tjänstekvinna und tjänsteman in den Tageszeitungskorpora zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken Die Form tjänstekvinna ‚Dienstfrau: Dienerin‘ ist bis Ende der 90er Jahre im Sprachgebrauch von Tageszeitungen nicht produktiv. Die vorhandenen Belege beziehen sich lediglich auf historisierende Kontexte. Demgegenüber findet sich in NYO (2000) ein Eintrag für tjänstekvinna mit dem Zusatz, dass diese Form in einer neuen Bedeutung als genderspezifizierend weiblich appellierende Form zur Tätigkeitsbenennung und als Pendant zu tjänsteman im heutigen Schwedisch verwendet wird. Eine entsprechende Beobachtung ist auch in einem Leser/innenbrief in Språkvård von 1993 verzeichnet, wo zwei Beispiele für eine neue Verwendung der Form tjänstekvinna als Tätigkeitsbezeichnung und ohne historisierenden Bezug angeführt werden.84 Doch auch in Presstext sind für den Zeitraum 1.1.2003 bis 10.9.2003 nur zwei Belege für eine nicht historisierende Verwendung von tjänstekvinna verzeichnet.85 In dem einen Beleg handelt es sich um eine Appellation auf die Ehefrau eines Staatsangestellten, die Appellation wird in diesem Fall sprachreflexiv verwendet. Sie ist in Anführungsstriche gesetzt, was eine kritische Distanzierung impliziert und wird explizit in Kontrast zu tjänsteman benutzt und ihr besondere ‚Qualitäten‘ zugesprochen: „Johan Hederstedts hustru Birgitta har från sommaren 2000 till mars i år gjort 16 utlandsresor i egenskap av „extra tjänsteman“, avslöjar Svenska Dagbladet. För detta har hon betalats av försvaret med en daglön baserad på 22 000 kronor i månaden. Ja, „extra tjänstekvinna“ hade säkert inte funkat.“86 (Expressen vom 19.7.2003: 2)
Die Verwendung der Form impliziert im vorliegenden Zitat eine Ironisierung und spielt auf ein institutionalisiertes, heterosexuelles Paarverhältnis an. Im anderen Fall wird die Form mit Bezug auf eine konkrete, vorher nicht genannte Person benutzt, so dass hier durch die Appellationsform das Bild einer weiblichen Person beim Lesen entstehen kann: „‚... att rehabiliteringen och läkningen i ditt fall har tagit längre tid (än max fem månader, enligt brevet) har sannolikt berott på överviktsproblem‘, skriver
____________ 84 85 86
Vgl. Norstedt (1993). Gegenüber 25 Belegen von tjänstekvinna mit einer historisierenden Verwendungsweise. ‚J.Hs. Ehefrau B. hat vom Sommer 2000 bis zum März dieses Jahres 16 Auslandsreisen als „Extra-BeamtIn“ gemacht, deckt Sv.D. auf. Für dieses ist sie von der Verteidigung/dem Militär mit einem Tageslohn bezahlt worden, der auf 22000 Kronen im Monat basiert. Ja, „Extra-Dienstfrau: Bedienstete“ hätte sicherlich nicht funktioniert.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
505
en tjänstekvinna på Folksam.“87 Es kann angenommenen werden, dass in dem vorangegangenen Zitat eine konkrete Vorstellung in Bezug auf eine Person geweckt werden soll. In beiden Belegen ist es auf verschiedene Weise wichtig, eine bestimmte Genderidentität, die in der Aufrufung der personalen Appellation enthalten ist, zu konkretisieren, was die Verwendung der Form tjänstekvinna motiviert. Es ist jedoch zu fragen, ob diese Belege für eine Neulexikalisierung des Begriffs tjänstekvinna im obigen Sinne bereits ausreichend sind. Interessant festzuhalten bleibt, dass eine Aufnahme im autorisierten Lexikon zu einem Zeitpunkt geschieht, der auf der Grundlage der hier herangezogenen Korpora nicht nachvollzogen werden kann. In der Regel ist sonst von der gegenteiligen Tendenz auszugehen. Tabelle 10: taleskvinna, talesman und talesperson in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken 1965 taleskvinna/n 0 talesman/nen 18 talesperson/en 0
1976 0 56 0
1987 2 238 0
1995 12 267 0
1996 13 183 1
1997 17 323 0
1998 17 313 0
Der einzige Beleg von talesperson im Korpus von Språkbanken entstammt einem Artikel, in dem diese Form als Beispiel für absurde sprachliche Veränderungen angeführt wird und bezieht sich nicht auf eine Person in der entsprechenden Tätigkeit. Es handelt sich um einen sprachreflexiven Beleg, in dem die Verwendung der Form ähnlich wie in einem der Belege zu tjänstekvinna weiter oben ironisierend verwendet wird. Die Form taleskvinna ist in NYO 2000 als eine Neubildung auf talesman seit Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts nach dem englischen Vorbild der Ableitung von chairwoman aus chairman verzeichnet. Da es sich um eine relativ neu gebildete Form handelt, zeigt sich, dass offenbar im schwedischen konventionalisierten Sprachgebrauch nicht durchgängig in allen Fällen Komposita mit man als zweitem Glied als genderunspezifizierend wahrgenommen werden. Wie weiter oben ausgeführt wurde, ist die Form taleskvinna die frequenteste Bildung im Tageszeitungskorpus in den 90er Jahren auf kvinna und konstant vertreten, wenngleich die Form talesman sehr viel frequenter ist.
____________ 87
‚„Dass die Rehabilitation und Heilung in deinem Fall länger gedauert hat (als max. 5 Monate, gemäß dem Brief), beruht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Übergewichtsproblem“, schreibt eine Dienst-Frau: hier: Beamtin von Folksam.‘ Expressen vom 2.3.2003: 23.
506
6. Produktion personaler Appellationsformen
Grünbaum (1997: 17) betont, dass die Form talesman genderunspezifizierend sei und die Form taleskvinna außer in Ausnahmefällen nicht gebraucht werden sollte. Das frequente Vorkommen der Form im Tageszeitungskorpus zeigt aber, dass der schriftsprachliche, mediale Sprachgebrauch von der von ihr formulierten Idealvorstellung der Genderneutralität von Formen auf –man und dem Verschwinden von Formen auf –kvinna abweicht und sich in bestimmten Fällen erhält, was als eine fehlende durchgängige Genderunspezifizierung in der Konzeptualisierung von Formen auf man interpretiert wird. Tabelle 11: brandman ‚Brandmann: Feuerwehrmann‘ und brandkvinna ‚Brandfrau: Feuerwehrfrau‘ in den Tageszeitungskorpora zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
brandman/nen brandkvinna/n
1965 0/0 0/0
1976 2/1 0/0
1987 15/4 0/0
1995 14/2 0/0
1996 16/2 0/0
1997 29/6 1/0
1998 15/5 0/0
Die Form brandkvinna ist in Språkbanken nur einmal belegt. In zwei Artikeln von 1997 und einem Artikel von 1996 findet sich die Nominalphrase kvinnlig/a brandman/män, in keinem einzigen Fall die Phrase manlig/a brandman/män, was darauf schließen lässt, dass die mit der Tätigkeitsbezeichnung brandman verbundene Konzeptualisierung männlich ist. „Caroline Åberg är brandman. Inte brandkvinna, inte kvinnlig brandman. Bara brandman - åtminstone året ut.“88 Dieser den Artikel einleitenden Satz thematisiert das Anliegen, brandman als eine Tätigkeitsbezeichnung zu sehen, die nicht gleichzeitig auch genderspezifizierend wirkt und ist ein sprachreflexiver Beleg. Aber hier wie in den anderen beiden Artikeln, in denen die Phrase kvinnlig/a brandman/män ‚weibliche/r Feuerwehrmann/männer‘ verwendet wird89, geht es um die männliche Dominanz in diesem Berufsfeld. Werden Frauen als kvinnliga brandmän benannt, so werden sie genderspezifizierend zur Ausnahme der unsichtbaren männlichen Norm gemacht. Dass es sich um eine implizite männliche Norm handelt, wird auch dadurch deutlich, dass es keinen Beleg einer entsprechenden Nominalphrase mit manlig/a im untersuchten Zeitungskorpus gibt. Zu
____________ 88
89
‚C.Å. ist Feuerwehrmann. Nicht Feuerwehrfrau, nicht weiblicher Feuerwehrmann, nur Feuerwehrmann. Zumindest das Jahr über.‘ Vgl. Svenska Dagbladet 10.9. 1997: 4 „Manligt fäste påväg intas“. Vgl. Dagens Nyheter 19.12. 1997, Teil C Seite 6 und Göteborgs Posten 14.3.1996: 6.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
507
fragen ist, inwiefern von einer Genderunspezifizierung der Appellationsform ausgegangen werden kann: die sehr viel frequentere Verwendung von brandman gegenüber brandkvinna kann auch auf die Stärke der genderstereotypisierenden Wahrnehmung des Berufs beruhen und diese gleichzeitig weiter verstärken, wie das oben zitierte Beispiel letztendlich in seiner Thematisierung auch bestätigt. In Schweden gibt es zu Beginn des Jahres 2003 zehn vollzeitarbeitende kvinnliga brandmän gegenüber 5000 männlichen Kollegen90. Der Beruf ist bis in die heutige Zeit extrem stark männlich dominiert in Schweden. Auch die Überschrift des Artikels „Brandman Gun Wall“ vom 8.3.2003 in Dagens Nyheter nimmt auf die mit der stereotypen Vorstellung verbundene Konzeptualisierung Bezug, indem ein konventionalisiert weiblicher Vorname mit einer beruflichen personalen Appellationsform verbunden wird, die unkonventionell ist und mit einer Leseerwartung bricht und sich genau dadurch als Überschrift anbietet. Ohne diese Brechung wäre es keine gemäß medialen Normen der Aufmerksamkeitserzeugung sinnvolle Überschrift, da sie keine interessierte Erwartungshaltung auf Seiten der Leser/innen herstellt. Beide Artikelüberschriften funktionieren über die Kombination eines konventionalisiert weiblichen Namens mit der Tätigkeitsbenennung brandman und sind vor dem Hintergrund eines extrem gendersegregierten Arbeitsmarktes als eine Herausforderung an konventionalisierte Konzeptualisierungen zu der Tätigkeit lesbar. In der Ablehnung der genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen brandkvinna und kvinnlig brandman kommt gleichzeitig das Bestreben zum Ausdruck, nicht über Gender in dieser Tätigkeit wahrgenommen zu werden, handelt es sich um eine Frau. Dieses Problem stellt sich für Männer in der Weise nicht. Es handelt sich bei der Appellationsform brandman in mehrfacher Hinsicht um einen ähnlich gelagerten Fall wie bei der nachfolgend diskutierten Appellation mit polis/polisman/poliskvinna.
Polisman ‚Polizeimann‘, poliskvinna ‚Polizeifrau‘ und polis
‚PolizistIn‘ in den Tageszeitungskorpora zwischen 1965 und 1998 in
Språkbanken
Während in den 60er und 70er Jahren die Form polisman frequenter als die Form en polis war, ändert sich dieses Verhältnis in den 90er Jahren zunehmend zu einer vergleichbaren Frequenz. Himanen (1990) hat für die 60er
____________ 90
Vgl. Dagens Nyheter vom 8.3.2003 „Brandman Gun Wall“.
508
6. Produktion personaler Appellationsformen
und 70er Jahre festgestellt, dass die Form polisman auch genderspezifizierend weiblich benutzt wird, indem von kvinnlig/a polisman/nen gesprochen wird, das heißt polisman mit dem Attribut kvinnlig versehen wird, auch wenn es gleichzeitig die aus ihrer Sicht neutrale Form polis gibt.91 Während in den Korpora von Språkbanken keine entsprechende Nominalphrase verzeichnet ist, ist diese jedoch darüber hinaus in Tageszeitungen mindestens seit den 80er Jahren zu finden, wie auch Himanen (1990) weiter ausführt. Hier wird die Form häufig als Wiederaufnahme von poliskvinna benutzt oder durch diese wiederaufgenommen und dient in dieser Verwendung der stilistischen Variation.92 In den 90er Jahren scheint eine gewisse Verschiebung stattzufinden. Zum einen setzt sich die Form polis in den 90er Jahren im öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen als personale Appellationsform gegenüber polisman immer weiter durch, im Plural sogar noch deutlicher als im Singular. Poliser/na ‚Polizist/inn/en‘ fungiert als Benennung der kollektiven Identität und einer entsprechenden berufsausübenden Gruppe in den meisten Fällen. Die Form poliskvinna ist im Singular wie Plural nicht frequent im Korpus der Tageszeitungen, findet sich aber in anderen Quellen noch, wie zum Beispiel in einem Schülerinnenaufsatz zu kvinnliga poliser.93 In dieser Quelle wird die Form zur Wiederaufnahme von kvinnlig polis in einigen wenigen Fällen benutzt, scheint also ein stilistisches Mittel zu sein, um die permanente Wiederholung der Nominalphrase kvinnlig polis zu vermeiden. Die Form kvinnlig polisman findet sich hingegen nicht. Reuter (2003)94 sieht die Form polisman als individualisierter als die Form polis an. Eine in der Form polisman potentiell enthaltene männliche Konzeptualisierung wird von ihm nur indirekt angesprochen, indem er im obigen Zitat die Möglichkeit der Verwendung der Form auch in Bezug auf Frauen feststellt, was die Natürlichkeit der genderspezifizierend männlichen Verwendung präsupponiert. Dass aber auch die Form polis eher genderstereotyp männlich konzeptualisiert wird, zeigt sich daran, dass es 17 Belege im Korpus für die Form kvinnlig polis, aber nur 3 für die Form manlig polis gibt. Letztere werden zudem in Kontexten gebraucht, in denen eine Abgrenzung von genderstereotyp weiblichen Konzeptualisierungen intendiert ist, sie werden also entweder im Kontext der Form kvinnlig polis benutzt oder bei Zuschreibungen
____________ 91 92 93 94
Vgl. Himanen (1990: 73f). Ebd. http://histlab.itc.edu.stockholm.se/biblioteket/elevarbeten/bernadotte/kvinnligpolis.htm vom 10.4.2003. Mikael Reuter „Polisman håller två gisslan“ http://www.kotus.fi/svenska/reuter/ 1990/141290.shtml vom 10.4.2003.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
509
genderstereotyp weiblichen Verhaltens oder entsprechender Charakteristika, um eine gegenderte Abgrenzung explizit zu machen. Dieses Ergebnis stimmt mit dem von Åse (2000) in ihrer politikwissenschaftlichen Studie überein. Sie weist in Analysen von Texten von Fachzeitschriften der Polizei sowie staatlichen Veröffentlichungen zu Rolle, Funktion und Berufsbild des/der Polizisten/Polizistin nach, dass die Verwendung der Lexeme polisman und polis so kontextualisiert wird, dass ein genderspezifizierend männliches Konzept von polisman/polis entsteht und sich weiter verfestigt. Frauen werden als die Ausnahme in den entsprechenden Texten hergestellt, wenn sie als Angehörige der Berufsgruppe der Polizei dargestellt werden oder aber als das Gegenüber des männlich konzeptualisierten Polizisten. Ergänzend zu Åses (2000) Analyse werden ihre Textbeispiele so interpretiert, dass mit ihnen gleichzeitig ein heterosexuelles Vorstellungsmuster reproduziert wird. Åse (2000) analysiert ihre Textbelege so, dass durch die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen als Gender Männer gleichzeitig zum unsichtbaren Gender und als normierte Vorstellung weiter für dieses Berufsbild verfestigt werden. Die vordergründige Herstellung einer Genderunspezifizierung in Bezug auf die Berufsbezeichnung durch die Vermeidung von genderdichotomen nominalen Benennungspraxen führt nicht zu einer Genderunspezifizierung der Konzeptualisierung der so benannten Personen, sondern zu einer Unsichtbarmachung von Männlichkeit als Gender. Åse (2000) benennt dies als avskiljande ‚voneinander trennend‘95 und differenziert diesen Prozess von dem der Segregation96, den sie als einen symmetrischen im Gegensatz zu avskiljande ansieht. Åse (2000) sieht dabei den Begriff polisman mit einem höheren genderunspezifizierenden Potential als die Formen polismannen, polismän und polismännen an. Diese Auffassung belegt sie jedoch nicht an diskursiven Beispielen. „En polis kan antingen vara polisman eller kvinnlig polisman. Könsneutraliteten i ordet polisman är en chimär. Poliser som är havande får bära mammabyxor „vid graviditet“, de benämns gravida kvinnliga poliser – inte gravida poliser. Och benämningen „manlig polisman“ är frånvarande. Språkligt är en manlig polisman icke existerande. Detsamma gäller polis. Det finns inga manliga poliser – bara poliser och kvinnliga poliser.“97 (Åse 2000: 41)
____________ 95 96 97
Dies wäre hier am ehesten mit Ab- bzw. Ausgrenzung zu übersetzen. Segregering vgl. Åse (2000). ‚EinE PolizistIn kann entweder Polizeimann oder weiblicher Polizeimann sein. Die Geschlechtsneutralität des Wortes Polizeimann ist eine Chimäre. PolizistInnen in anderen Umständen müssen Mamma-Hosen während der Schwangerschaft tragen, sie werden als schwangere weibliche PolizistInnen bezeichnet, nicht als schwangere PolizistInnen. Die
510
6. Produktion personaler Appellationsformen
Åse (2000) kommt zu dem Ergebnis, dass auf diese Weise Frauen als Gender festgeschrieben und immer wieder neu hergestellt werden, dass eine Genderunspezifizierung des Polizeiberufs damit zugleich unmöglich gemacht wird, was zu einer kontinuierlichen aktiven Herstellung einer Abweichung von Frauen von der Norm führt. Nur durch die sprachliche Sichtbarmachung können Ausschließungsmechanismen greifen.98 Ohne sich explizit mit Sprachveränderungsstrategien auseinander zu setzen, sieht die Autorin in einer Strategie der vordergründigen Neutralisierung von personaler Appellation zugleich eine Gefahr, wenn die Genderspezifizierung dieser durch eine asymmetrische Attribuierung durch kvinnlig/t übernommen und die genderspezifizierend männlich intendierte Appellation wieder zur unbenannten genderunspezifizierenden wird. Ihre Analyse stimmt insofern mit der hier durchgeführten überein, wenn nicht von einer Genderunspezifizierung ausgegangen wird, sondern von einer Unsichtbarmachung einer männlichen Genderspezifizierung, die so gleichzeitig zur genderlosen menschlichen Norm wird. Dies kann hiermit auch für die genderunspezifizierende Verwendung der Form polisman, aber auch polis bestätigt werden. In letzterer wird die implizit prototypisch enthaltene männliche Genderspezifizierung sogar noch verdeckter als in polisman. Auf der Seite http://www.trafikjuristen.se/poliskontrollbilder.html vom 10.4.2003 finden sich Fotos von verkehrspolizeilichen Aktionen mit Bildunterschriften. Während die mit konventionalisierter visueller Wahrnehmung männlichen Akteure auf den Bildern jeweils als polis benannt werden oder weiter ausdifferenziert werden in zum Beispiel MC-polis ‚Motorrad-Polizist‘, werden die in konventionalisierter visueller Wahrnehmung Akteurinnen jeweils als kvinnlig polis bezeichnet. Dies kann zu einer asymmetrischen Benennung wie MC-polis och kvinnlig polis führen, die so in einer Bildunterschrift zu finden ist. In keinem Fall gibt es eine Ausdifferenzierung in der Benennung in kvinnlig och manlig polis, die gegenderte Spezifizierung ist zugleich eine Spezifizierung von Weiblichkeit, so dass Weiblichkeit und Gender hier in eins gesetzt werden. Die postulierte Neutralität einer Benennung mit polis steht in Frage und bestätigt die oben ausgeführte These von Åse (2000). Während also Himanen (1990) davon ausgeht, dass eine Ersetzung der Form polisman durch polis zu einer höheren Genderunspezifizierung des
____________ 98
Benennung männlicher Polizeimann kommt nicht vor. Sprachlich ist ein männlicher Polizeimann nicht existent. Dasselbe gilt für PolizistIn. Es gibt keine männlichen Polizisten, nur Polizisten und weibliche Polizisten.‘ Vgl. Åse (2000: 44).
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
511
Gebrauchs und der Konzeptualisierung beitragen würde, wird dies hier nicht bestätigt, sondern widerlegt. Himanen (1990) deutet selbst an, dass auch die Form polis stark mit männlichen Konnotationen verknüpft ist: „Men det faktum att det heter kvinnlig polis och aldrig manlig polis kan tolkas så att polis tydligt är förknippat med maskulina konnotationer.“ (Himanen 1990: 75) Wie Åse (2000) in ihrer politikwissenschaftlichen Analyse zeigt, basiert das polizeiliche Berufsbild stark auf einer dichotomisierenden Gendermetaphorik, in der die Konzeptualisierung der Polizei als männlich nachhaltig hergestellt und unterstützt wird.99 Diese Feststellung ist hier durch eine Analyse der personalen Appellationsformen in verschiedenen Kontexten bestätigt worden. Dies deutet zum einen darauf hin, dass gesellschaftliche Rollenerwartungen in den gegenderten Konzeptualisierung, die durch die Verwendung von personalen Appellationsformen aufgerufen werden, so stark sind, dass die konkrete Appellationsform nicht mehr als ein auslösender Faktor für diese Konzeptualisierung ist, im vorliegenden Fall also unabhängig davon, ob die Form polisman oder polis gebraucht wird. Gleichzeitig aber wirkt diese Konzeptualisierung, die mit der Form hervorgerufen wird, auch auf den gesamten Diskurs, indem Konkretisierungen gemacht werden, die ebendiese gegenderte Konzeptualisierung weiter unterstützen und verstärken – und so auch auf die Konzeptualisierung der einzelnen Appellationsform zurück wirken. Eine genderspezifizierend männliche Konzeptualisierung wird dabei immer stärker zu einer allgemeinmenschlichen Norm, die in einem Wechsel der vordergründig genderunspezifizierenden Form polisman zu polis zusätzlich auch nicht mehr lexikalisiert sichtbar und dadurch noch stärker verschleiert ist. Diese Analyse weist darauf hin, dass die Annahme eines Konzepts der Genderunspezifizierung für viele schwedische personale Appellationsformen, in denen genderspezifizierend männliche Formen zur genderunspezifizierenden Appellation übernommen worden sind, kritisch betrachtet werden muss. Um diese These weiter zu untersuchen, werden im folgenden exemplarisch solche personalen Appellationsformen auf –man und teilweise auf –kvinna untersucht, bei denen das gesellschaftlich geprägte Berufsbild nicht unbedingt traditionell und konventionalisiert so stark einseitig und/oder polar gendergeprägt sein muss.
____________ 99
Auch die potentiellen Bedrohungen und Angriffe sind in den von Åse analysierten Texten des polizeilichen und staatlichen Diskurses männlich konzeptualisiert. Frauen übernehmen metaphorisch die Rolle der zu beschützenden und/oder zu verteidigenden bedrohten (und wehrlosen) Gesellschaft.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Yrkeskvinna/yrkesman ‘erwerbsarbeitende Frau/Fachmann‘, hemmafru/hemmaman ‘Hausfrau/-mann‘. Diese zwei Gruppen unterschiedlicher Formen werden zusammen besprochen, da yrkeskvinna und yrkesman zwar vom Wortbildungsmuster ein Oppositionspaar bilden, sie jedoch in Bezug auf ihre konventionalisierte Bedeutung Unterschiede aufweisen und yrkeskvinna auch in Opposition zu hemmafru interpretiert werden kann, da mit beiden Formen unterschiedliche Rollen genderspezifizierend weiblich zum Ausdruck gebracht werden, wobei letztere Form wiederum in einer Genderdichotomie zu der Form hemmaman gelesen werden kann. 15 Vorkommen von yrkeskvinna/n stehen 47 Belegen von yrkesman/nen in den Korpora der 90er Jahre gegenüber. Es handelt sich jedoch nicht ausschließlich um genderspezifizierende Tätigkeitsbenennungen, sondern zusätzlich auch um die Benennung unterschiedlicher Tätigkeiten.100 Von den 45 Belegen für yrkesman in unbestimmter Form im Singular in den 90er Jahren in Språkbanken appellieren 41 genderspezifizierend männlich, drei genderunspezifizierend, und nur in einer Verwendung der Form yrkesman appelliert diese genderspezifizierend weiblich. In dem konkreten Gebrauch der Form im Diskurs der Tageszeitungen zeigt sich eine stark männlich geprägte Konzeptualisierung, die durch die Appellationsform zum Ausdruck kommt. Das geringere Vorkommen der Form yrkeskvinna gegenüber der Form yrkesman im Korpus lässt nicht darauf schließen, dass die Form yrkesman zunehmend konventionalisiert genderunspezifizierend appelliert, sondern vielmehr, dass eine genderspezifizierend männliche Appellation der in den Tageszeitungen zu findende Normalfall ist. Die Form hemmafru ist im gesamten Belegzeitraum jeweils frequenter als die Form yrkeskvinna, was bedeutet, dass auch die entsprechende Konzeptualisierung einer weiblichen Tätigkeitsrolle in der medialen Darstellung präsenter ist und Frauen verhältnismäßig häufiger über eine häusliche Tätigkeit als über eine bezahlte Berufstätigkeit dargestellt werden. Die genderspezifizierend männlich benennende Entsprechung dieser Tätigkeitsrolle ist hingegen nur selten im Korpus belegt, so dass von der Frequenz der Formen und der damit verbundenen Konzeptualisierungen her im Korpus der Tageszeitungen in den 90er Jahren eine konzeptionelle Opposition zwischen hemmafru und yrkesman offensichtlich erscheint. Trotz veränderter Genderrollen und der schwedischen Gleichstellungspolitik zeigt sich weiterhin ein auf eine traditionelle Genderrrollenverteilung
____________ 100 Vgl. Kapitel 3.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
513
reduziertes Bild, betrachtet man die entsprechenden Formen und ihre Frequenz im öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen in den 90er Jahren. Zusammenfassend zeigt sich, dass sich keine klare Tendenz einer Genderunspezifizierung mit Formen auf man für das heutige Schwedisch feststellen lässt. Es sind sowohl Bildungen belegt, in denen genderspezifizierend weiblich appellierende Bildungen auf kvinna Formen auf man gegenüberstehen. Zudem konnte für berufliche Tätigkeiten, die heute in Schweden stark gendersegregiert sind, zwar eine ausschließliche Verwendung von Formen auf man festgestellt werden, die aber nicht zu einer Genderunspezifizierung der Konzeptualisierung beiträgt, sondern stereotype Vorstellungen genderspezifisch männlicher beruflicher Tätigkeiten weiter reproduziert. Auch eine Neubildung unter Weglassung von man wie im Falle der personalen Appellationsform polis trägt nicht zu einer Genderunspezifizierung der Konzeptualisierung bei, wie eine Analyse der Attribuierungen mit kvinnlig und manlig zeigen konnte. Eine genderspezifisch männliche Norm allgemeinmenschlicher Konzeptualisierung wird auf diese Weise verdeckt. Sie entspricht schwedischen hegemonialen Gendergleichstellungsvorstellungen und bekräftigt die in mehreren Kapiteln bereits festgestellte Herstellung von Weiblichkeit als Gender und Männlichkeit als genderloser Prototyp des Allgemeinmenschlichen. Zusammenfassung Es zeigt sich anhand der Analyse des Vorkommens der unterschiedlichen Formen, dass sich keine einheitliche und klare Tendenz im heutigen Schwedisch mit Bezug auf die Genderspezifizierung von Formen mit man als zweitem Glied ablesen lassen. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Form kvinna als zweites Glied von Appellationsformen auch im heutigen Schwedisch nicht nur vorhanden ist, sondern auch eine gewisse Produktivität besitzt, was sich beispielsweise in der neuen Verwendung der Form tjänstekvinna als Parallelform zu tjänsteman zeigt, darüber hinaus aber auch für zahlreiche weitere Formen wie taleskvinna und idrottskvinna beispielsweise nachgewiesen werden konnte. Betrachtet man die Einträge in Presstext lediglich für den Zeitraum 23.4. 2003 bis 18.6.2003, so bekommt man hier 3668 Belege für die Form kvinna als zweites Glied von personalen Appellationsformen. Bei einer Auswertung der ersten 100 Belege dieser Gruppe ergibt sich bereits ein breit gefächertes Bild unterschiedlicher, verwendeter Formen, von denen einige frequent sind (taleskvinna mit 29
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Belegen, idrottskvinna mit zehn Belegen, affärskvinna mit acht Belegen und kvinnosakskvinna mit sieben Belegen) sowie eine entsprechend große Anzahl unterschiedlicher Ad-Hoc-Bildungen, die daraufhin deuten, dass es sich weiterhin um ein produktives Wortbildungsmuster zur genderspezifizierend weiblichen Appellation im Schwedischen handelt. Die Form kvinnosakskvinna ist die einzige Bildung mit kvinna als zweitem Glied, die sich im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache belegen lässt und wird hier als eine eher veraltete Appellationsform analysiert, die zunehmend durch feminist ersetzt zu sein scheint. Eine starke Tendenz zur ausschließlichen Benutzung von Formen mit man als zweitem Glied in verschiedenen Tätigkeitsbereichen bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass damit eine Genderunspezifizierung verbunden ist. Stattdessen wird durch diese Formen eine protoypische Vorstellung von Männlichkeit als Normalvorstellung in vielen Bereichen bestätigt und weiter verfestigt. Die explizit benannte Ablehnung von genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen in Fällen wie brandkvinna und poliskvinna geht mit einer Argumentation, dass dadurch eine Festschreibung auf Gender erfolgen würde, einher, wobei Gender in diesem Fall wiederum mit Weiblichkeit in eins gesetzt wird, wie die Analyse des konkret genderspezifizierenden Gebrauchs durch Attribuierung mit kvinnlig und manlig zeigen konnte. Auf diese Weise trägt eine Aufgabe einer lexikalisierten Genderspezifizierung bei personalen Tätigkeitsbenennungen zu einer Unsichtbarmachung von Gendernormen und von Männlichkeit als Gender bei. In Bereichen, in denen eine Genderspezifizierung gesellschaftlich bekräftigt wird und akzeptabel erscheint, bleibt diese auch lexikalisiert und grammatikalisiert erhalten, was insbesondere im Bereich der Verwandtschaftsformen weiter unten zu sehen ist, aber auch bei den oben analysierten Formen in Bezug auf bestimmte gesellschaftliche Bereiche festgestellt werden konnte. In den Kompositabildungen in einem Vergleich von kvinna, tjej und dam als zweitem Glied zeigt sich zugleich eine nach Bereichen zu unterscheidende Verwendung dieser Formen. Für Komposita mit kvinna als zweitem Glied können die folgenden Verwendungsbereiche festgestellt werden: zum einen werden entsprechende genderspezifizierend weibliche Formen benutzt, um Natürlichkeitsvorstellung von Gender herzustellen, wie beispielsweise bei den oben aufgeführten ethnischen Benennungen. Zum anderen finden sie Anwendung, um bezahlte oder öffentlich hoch angesehene Tätigkeiten in personaler Appellation genderspezifzierend weiblich zu benennen oder um überhaupt die berufliche Tätigkeit von Frauen personal auszudrücken (yrkeskvinna). Auch wenn Formen mit kvin-
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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na als zweitem Glied benutzt werden, um Bewertungen auszudrücken, so erfolgt dies hauptsächlich mit Bezug auf den beruflichen Bereich (karriärkvinna, superkvinna). Während im Bereich der beruflichen Tätigkeiten sehr viel mehr Bildungen mit man als zweitem Glied zu finden sind, die zudem in der Regel konventionalisiert genderunspezifizierend verwendet werden, sind in den anderen oben genannten Bereichen häufiger Formen mit kvinna als zweitem Glied zu finden. Die staatliche schwedische Ideologie gleicher Chancen für Frauen und Männer mit Bezug auf den Arbeitsmarkt drückt sich auf diese Weise sprachlich aus und findet ihre gegensätzliche Entsprechung in der weiblichen und männlichen Genderspezifizierung in anderen Bereichen jenseits dem der beruflichen Tätigkeiten. Demgegenüber wird tjej als zweites Glied in Komposita nahezu ausschließlich zur genderspezifizierend weiblichen personalen Benennung im Zusammenhang mit Tätigkeiten verwendet, die nicht beruflich ausgeübt werden oder ein niedrigeres öffentliches Ansehen gemessen an einer normativen Vorstellung beruflicher bezahlter Tätigkeiten besitzen oder als Freizeitbeschäftigungen angesehen werden. Diese Tätigkeiten stammen vor allem aus den Bereichen Sport und Musik und sind in der genderspezifizierend weiblichen Benennung sehr viel häufiger als in der genderspezifizierend männlichen. Darüber hinaus werden tjej und kille als zweites Glied zur personalen Appellation im Zusammenhang mit Ortsbenennungen sowie zu bewertenden Benennungen der so appellierten Person gebraucht. Die Bewertungen, die mit tjej und mit kille verbunden sind, sind dabei erwartungsgemäß unterschiedlich, was sowohl die Bewertung betrifft als auch die Handlungen oder das Aussehen, welches für eine Bewertung herangezogen wird. Alle Bildungen sind erst in den 90er Jahren im Zeitungskorpus verzeichnet, so dass sich hier eine aktuellere Tendenz eines sich verändernden konventionalisierten Sprachgebrauchs abzeichnet, in der eine Trennung zwischen offiziellen öffentlichen Benennungen zum Beispiel in Bezug auf Berufsbezeichnungen und eher umgangssprachlichen Benennungen auch in Bezug auf Tätigkeiten, die nicht im engeren Sinne als Berufstätigkeiten aufzufassen sind101, durch die Formen kvinna und tjej differenziert werden kann. Eine Altersspezifizierung durch tjej und kille spielt in den Komposita nur selten eine offensichtliche Rolle, wie beispielsweise in den Formen tonårstjej, skolkille und juniortjej. Die Altersspezi-
____________
101 Bzw. die in dieser Form der Benennung als implizite Abwertung dieser Tätigkeiten in Bezug auf konventionalisierte Vorstellungen von ‚ordentlichen‘ und normalen Berufen aufgefasst werden können, zum Beispiel im Bereich des Sports.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
fizierung ist in den Komposita mit tjej und kille als zweitem Glied sekundär gegenüber eine Tätigkeitsspezifizierung gegenüber den Formen mit kvinna und man als zweitem Glied. Auch hier zeigt sich damit die in Kapitel 3 bereits angesprochene Veränderung der konventionalisierten Bedeutung der Form tjej. Die hohe Anzahl unterschiedlicher Ad-Hoc-Bildungen deutet gleichzeitig daraufhin, dass für die Form tjej ein Schlüsselwortstatus hinsichtlich heutiger (Jugend)Kultur diskutiert werden könnte.102 Demgegenüber werden die Formen dam und herre auch quantitativ sehr viel seltener als zweites Glied personaler Appellationsformen verwendet, wobei die genderspezifizierend appellierende Form dam zunehmend als eine euphemistische und damit verschleierende Abwertung der so bezeichneten Frauen benutzt wird. Alle genderspezifizierenden Formen, die in diesem Teil untersucht worden sind, besitzen als zweites Glied von Komposita eine gewisse Produktivität, wobei durchgängig eine frequentere Verwendung der konventionalisiert genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen tjej und dam gegenüber kille und herre festgehalten werden kann, während das Verhältnis bei kvinna und man andersherum ist. Eine vordergründige Strategie einer gegenderten Gleichstellung, welches einer prototypisch männlichen Normalitätsvorstellung von Menschlichkeit Vorschub leistet, findet so in der Verwendung der Formen kvinna und man als zweites Glied von Komposita insbesondere im Bereich der Tätigkeitsbezeichnungen einen Ausdruck, der aber sowohl durch zahlreiche Beispiele einer davon abweichenden Verwendung von kvinna und man als zweites Glied in Komposita wie auch durch die Verwendung der genderspezifizierenden Formen tjej, kille, dam und herre als zweites Glied in Komposita gebrochen ist, wie herausgearbeitet werden konnte. Bull und Swan (2002) beobachten im Norwegischen eine Abnahme derivierter genderspezifizierend weiblicher Formen und nehmen dafür sozialhistorische Ursachen an. In diesem Kontext erwähnen sie, dass eine entsprechende Tendenz für Komposita mit –kvinne nicht beobachtet werden kann. „The disappearance of the female/feminine suffixes in Norwegian represents a case of relatively rapid language change which is clearly related to changing social conditions; social and ideological pressures have indeed come to bear on linguistic structures. Nevertheless, it is a curious change, since it is only the suffixes that have come to be seen as trivialising and suspect, or even derogatory; it is not gender marking per se, since compounding with –kvinne is not suspect.“ (Bull und Swan 2002: 232)
____________
102 Vgl. Brylla (2003) für eine Herausarbeitung der Relevanz dieses Kriteriums in Bezug auf eine Bestimmung von Schlüsselwörtern.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
517
Während sie hier eine weitreichendere Strategie der Kompositabildung mit kvinne als zweitem Glied annehmen, als dies für das Schwedische festgstellt werden konnte, gibt es dennoch insofern übereinstimmende Tendenzen, als dass es auch weiterhin eine gewisse Produktivität von kvinna als zweitem Glied in Komposita gibt. Zusätzlich ist diese These auf die Form tjej als zweites Glied in Komposita erweiterbar, so dass hier zu einer vergleichbaren Feststellung gekommen wird, wie auch Bull und Swan (2002) sie gemacht haben, wenngleich die Frage der Motivation für diese Bildungen bei ihnen nicht weitergehend diskutiert werden. Auch Jobin (2004: 101ff.) stellt in einem Vergleich der verschiedenen Möglichkeiten genderspezifizierend weiblicher Appellation in einem kleinen schwedischen Tageszeitungskorpus von 1996 fest, dass Strategien lexikalisierter weiblicher Genderspezifizierung hier häufig zu finden sind.103 6.4.2 Genderspezifizierende lexikalisierte substantivische Appellationsformen zur Benennung von Verwandtschaftsrelationen Im Anschluss an die vorangegangenen Analysen werden die personalen Appellationsformen moder, fader, mamma, pappa, morsan und farsan dahingehend analysiert, in welchen Formen sie als zweites Glied vorkommen104. Bei diesen Begriffen handelt es sich jeweils um personale Appellationsformen, die durch ein vorgesetztes erstes Glied weiter ausspezifiziert werden.
Moder und fader als zweites Glied in Komposita in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken Die Formen mit moder und fader als zweitem Glied sind zu gleichen Anteilen Verwandtschaftsbezeichnungen (z.B. drottningmoder ‚Königinmutter‘, stammoder ‚Stammmutter‘, familjefader ‚Familienvater‘) und religiöse Bezeichnungen (gudsmoder/-fader ‚Gottesmutter/-vater‘, biktmoder/-fader ‚Beichmutter/-vater‘). Komposita im Bereich der Verwandtschaftsbenennungen mit moder und fader als zweitem Glied benennen Abweichungen
____________
103 Es handelt sich um eine komparative Studie zwischen dem Deutschen und Schwedischen, in der ausschließlich weibliche Genderspezifizierung als Genderspezifizierung untersucht wird. 104 Die Analyse der personalen Appellationsformen an sich musste aus Platzgründen hier leider gestrichen werden.
518
6. Produktion personaler Appellationsformen
von einer so hergestellten biologischen Norm von Verwandtschaftsrelationen, in dem sie Ausnahmen und Abweichungen dieser Norm lexikalisiert benennen (adoptivfader, styvmoder ‚Stiefmutter‘) oder das Konzept der Verwandtschaft auf eine konkrete, in diesem Fall adlige Person beziehen (kungamoder ‚Königmutter‘). Die in NYO 2000 aufgeführten Ausdifferenzierungen der Formen mormor ‚Muttermutter: Großmutter mütterlicherseits‘ und morfar ‚Muttervater: Großvater mütterlicherseits‘, bonusmormor ‚Bonusgroßmutter‘ und bonusmorfar, als Ableitungen der Formen bonusmamma und bonuspappa, sind im in dieser Untersuchung herangezogenen Korpus von Språkbanken nicht verzeichnet. Sie sind ebenso wie die entsprechenden Formen mit extra als erstem Glied Verweise auf die nicht-biologische Großelternschaft und machen letztere damit wiederum zum natürlich angenommenen Zustand. Eine Übertragung von Familienrelationen ersten Grades auf christlich-kirchliche Konzepte und Institutionalisierungen ist eine zentrale lexikalisierte Übertragung von Verwandtschaftsrelationen auf einen anderen Bereich (gudsmoder ‚Gottesmutter‘, biktfader ‚Beichvater‘, urmoder ‚Urmutter‘). Diese Übertragung kann auch als metaphorisch angesehen werden. Die Relation eines Individuums zur christlichen Religion und Kirche wird damit als eine familiengleiche konzeptualisiert und die Institution Kirche als eine familienähnliche Form hergestellt und in ihrer Relevanz für das Individuum auf diese Weise bekräftigt. Eine Entsprechung, in der der Staat diese Relation übernimmt, findet sich lediglich in einer Form, landsfader ‚Landesvater‘, die zugleich aber die frequenteste Form des Korpus mit fader als zweitem Glied mit 23 Belegen ist und damit ausschließlich männlich konzeptualisiert ist. Die Natürlichkeit der Konzeptualisierung familiärer Relationen wird des weiteren dadurch verfestigt, dass diese Vorstellung auf andere Bereiche übertragen wird, so dass die Vorgängigkeit der mit Familie verbundenen Konzeptualisierungen nicht länger zur Disposition stehen, sondern sich so tradiert. Die Herstellung einer männlichen Abstammung und Linearität über das übertragene Konzept der Vaterschaft im kirchlichen und anderen Tätigkeitsbereichen ist sehr viel frequenter als eine Übertragung eines entsprechenden Konzepts von Mutterschaft (6:11 Types; 34:62 Tokens; husmoder ‚Hausmutter‘ mit 22 Tokens die häufigste weibliche, landsfader mit 23 Tokens die häufigste männliche Form). Für dieses Konzept sind im Gegensatz dazu eine Reihe von unterschiedlichen Bildungen verzeichnet, wo sich die Mutterschaft auf einzelne Menschen (hjältemoder ‚Heldenmutter‘) oder Gruppen von Menschen (maffiamoder ‚Mafiamutter‘, människomoder ‚Menschenmutter‘) bezieht. Mutterschaft bekommt in einem sehr viel geringerem Umfang im Diskurs der
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
519
Tageszeitungen eine lexikalisierte übertragene Konzeptualisierung in andere öffentliche Bereiche und Institutionalisierungen als Vaterschaft. Die übertragenenen Bereich Staat und Kirche, in denen Vaterschaft lexikalisiert in Bezug auf personale Appellation zu finden ist im Korpus, implizieren eine bestimmte Rolle, die mit Vaterschaft verbunden ist. Diese zeichnet sich durch Führungsqualitäten bzw. eine Führungsrolle, die Position einer verantwortungsvollen, einer größeren sozialen Gemeinschaft vorstehenden Instanz und durch Autorität aus. Die in den übertragenen Verwendungen des Konzepts fader zum Ausdruck kommenden Qualitäten können so auch auf die Vaterrolle in der Konzeptualisierung zurückwirken. Während es 20 Ausdifferenzierungen der personalen Appellation moder und 21 von fader durch Kompositabildungen gibt, wo diese das zweite Glied stellen, finden sich für mamma und pappa 59 respektive 46 Ausdifferenzierungen, so dass zwischen diesen beiden Apppellationsformen als zweites Glied in Komposita ein stärkeres quantitatives Ungleichgewicht besteht.
520
6. Produktion personaler Appellationsformen 105
Tabelle 12 : mamma und pappa als zweites Glied in Komposita in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
mamma Rolle/Funktion
Bewertung
Verwandtschaft
____________
pappa
människomamma urmamma x-barnsmamma 73 tonårsmamma 8 treflicksmamma tvillingmamma 3
lekpappa nattpappa x-barnspappa 32 tonårspappa babypappa trillingpappa varannanveckapappa varannanhelgpappa toppenmamma Baspappa stormamma storpappa 10 låtsasmamma låtsaspappa 3 nöjesmamma nöjespappa moccatårtsmamma lillpappa upphovsmamma velourpappa skitmamma skitpappa praktmamma helyllemam- lagpappa ma ensammamma ensampappa fostermamma fosterpappa svärmamma svärpappa adoptivmamma 3 provrörspappa styvmamma 17 styvpappa 17 singelmamma plastmamma plastpappa 3
105 Zusätzlich zu den weiter oben erörterten Legenden steht das X in x-barnsmamma bzw. pappa für eine numerische Angabe oder für små, fler oder späd.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
Tätigkeit
mamma
pappa
bordellmamma jourmamma deltidmamma
bollpappa programpappa forskarpappa klasspappa stuveriarbetarpappa teaterpappa barnsköteskorpappa sportpappa alkoholistpappa revypappa 7
karriärmamma skåpmamma matmamma 4 alkoholistmamma barnbymamma dagmamma 187 barnflickadagmamma reservdagmamma hemmamamma 3 värdmamma
hemmapappa 10 tränarepappa jultomtepappa
Benennung für Rolle im Tierreich und nicht-menschlicher Fiktion
fågelmamma lejonmamma grismamma hönsmamma 4 musmamma måsmamma hästmamma kattmamma kängurumamma muminmamma 3 snömamma hundmamma kycklingmamma
muminpappa snöpappa åsnepappa
Ort und Klasse
Sonstiges
småstadsmamma hisingsmamma länsmamma överklassmamma svedalamamma surrogatmamma extramamma 6 barbamammma dockmamma reservmamma bidragsmamma
invandrarpappa immigrantpappa Maoripappa surrogatpappa 3 extrapappa barbapappa grabbpappa spockpappa
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Die frequenteste Ausdifferenzierung in dieser Gruppe ist die nach der Benennung einer Anzahl von Kindern, durch die die Rolle Mutter/Vater weiter ausdifferenziert wird (vor allem die Formen X-barnsmamma/-pappa, wo X jeweils durch eine unterschiedliche Ziffer ersetzt ist). Mit 73 zu 32 Belegen erfolgt diese Form der Ausspezifizierung der Rolle von Müttern doppelt so häufig wie von Vätern. Eine Ausdifferenzierung der Elternrolle findet auf diese Weise im öffentlichen medialen Diskurs vor allem im Hinblick auf die Anzahl der Kinder statt. Die personale Appellationsform mamma ist darüber hinaus insbesondere im Tierreich durch die Benennung von unterschiedlichen Tierarten in einer Mutterrolle stark ausspezifiziert (13 unterschiedliche Formen mit mamma im Verhältnis zu 3 mit pappa). Die Vorstellung von menschlicher Mutterschaft, die der konzeptuelle Normalfall ist, wird in diesen Fällen als Rolle bei verschiedenen Tierarten übertragen, eine vergleichbare Ausdifferenzierung und Übertragung der Rolle der Vaterschaft bleibt in dem Tageszeitungskorpus weitgehend aus. Damit werden zugleich auch heterosexuelle Normvorstellungen von Familie auf Tiere in der menschlichen Wahrnehmung übertragen. Wie Ganetz (2003) in ihrer Untersuchung zu Tierfilmen festgestellt hat, wird in der Art der filmischen Berichterstattung über Tiere jeweils eine Vorstellung einer menschlichen, heterosexuellen Kleinfamilie auf diese übertragen und sie entsprechend visuell und sprachlich dargestellt. Die Ausdifferenzierung der Benennungen von Mutterschaft bei verschiedenen Tierarten, die in der vorliegenden Analyse festgestellt worden ist, unterstützt diese These, differenziert sie gleichzeitig aber auch weiter aus: Während die weibliche Rolle des Familienvorstands parallel zu personaler menschlicher Appellation benannt wird, wird die männliche Rolle dieses Modells durch zum Beispiel Übertragung aristokratischer Muster hergestellt, indem Löwen und Elche als Könige (des Waldes/des Dschungels) tituliert werden. Wie im Korpus der Tageszeitungen ersichtlich wird, erfolgt keine lexikalisierte Benennung von Vaterschaft für verschiedene Tierarten in derselben Art und Weise wie dies für die Mutterrolle geschieht. Zusammen mit der Auswertung von fader als zweites Glied in der vorherigen Tabelle zeigt sich zugleich eine unterschiedliche Konzeptualisierung von Rollen der Mutter- und Vaterschaft, die sich nicht nur in den unterschiedlichen Formen für Komposita (mamma gegenüber fader) zeigt, sondern auch in der Übertragung auf unterschiedliche Bereiche: Während mamma der Übertragung der persönlichen Mutterrolle auf den Tierkontext dient, wird fader als metaphorische Übertragung in institutionalisierte Bereiche sozial höherstehender Positionen übertragen. Andersherum zurückbezogen auf die Konzeptualisierung menschlicher Mutterschaft wird
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
523
durch die frequente Übertragung dieser Rolle ins Tierreich die Annahme der Natürlichkeit dieser genderspezifizierenden Konzeptualisierung weiter verfestigt, während dies in Bezug auf die Konzeptualisierung der Vaterrolle nicht der Fall ist. In Bezug auf eine Ausdifferenzierung von Verwandtschaftsverhältnissen werden die Konzeptualisierungen von Mutter- und Vaterschaft in personaler Appellation mit mamma und pappa als zweitem Glied von Komposita im Schwedischen lexikalisiert spezifiziert, die von einer Normalvorstellung dieser Rollen abweichen: Es werden die von einer so als normal hergestellten, biologischen Elternrolle divergierenden Formen von Elternschaft genderspezifizierend benannt. In den Formen plastmamma und plastpappa ‚Plastikmutter/-vater‘ wird beispielsweise die Annahme der Natürlichkeit biologischer Elternschaft durch die Assoziation von ‚Plastik‘ als nicht natürlich und künstlich in der personalen Appellationsform für Stiefeltern zum Ausdruck gebracht, die Annahme einer Natürlichkeit biologischer Elternschaft findet ihren direkten Ausdruck in der Benennung der Abweichung. Der Versuch einer Positivbenennung dieser Rolle ist die in NYO (2000) verzeichnete Form bonuspappa, die als Ersatz für låtsaspappa ‚so-tun-als-ob-Vater‘, extrapappa, plastpappa ‚Plastikvater‘ fungieren soll, im Korpus der Tageszeitungen jedoch nicht verzeichnet ist und sich offenbar bisher nicht hat durchsetzen können. Daneben findet sich eine genderspezifizierend weiblich und eine parallel gebildete, genderspezifizierend männlich lexikalisiert appellierende Form für Elternschaft, ensammamma und ensampappa, die das Aufziehen von Kindern außerhalb eines Paarverhältnisses, das zugleich auch als Elternschaft fungiert, benennt: der Status des/r Alleinerziehenden wird spezifizierend benannt, die bestehende, heterosexuelle Paarrelation als unbenannte Norm reproduziert und weiter verfestigt. Die Verwendung des Adjektivs ensam als erstes Glied dieser genderspezifizierend personal appellierenden Formen ruft zugleich eine Pejorisierung in einer auf Paarrelationen fixierten Gesellschaft auf. Im Bereich der tätigkeitsspezifizierenden Benennungen von Mutterund Vaterschaft werden bei Frauen verschiedene Berufe ausdifferenziert, in der eine Übertragung der Mutterrolle (jourmamma ‚Diensthabende Mutter‘, deltidsmamma ‚Teilzeitmutter‘, barnbymamma ‚Kinderdorfmutter‘, matmamma ‚Essensmutter‘) stattfindet, während bei der Ausspezifizierung der Vaterrolle ein Beruf, den dieser neben seiner Tätigkeit oder Rolle als Vater wahrnimmt, erstes Glied der entsprechenden Komposita bildet und damit die Berufstätigkeit als spezifizierendes Element der Appellation auf die Rolle der Vaterschaft genommen wird (forskarpappa ‚Forschervater‘, teater-
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6. Produktion personaler Appellationsformen
pappa ‚Theatervater‘, programpappa ‚Programmvater‘). Diese Ausdifferenzierung ist für mamma im Korpus der Tageszeitungen hingegen nicht verzeichnet, so dass sich in Bezug auf die Verknüpfung der Elternrolle mit Tätigkeiten eine unterschiedliche Konzeptualisierung der Mutter- und Vaterrollen lexikalisiert finden lässt. Während die Mutterrolle als so grundlegend und natürlich hergestellt wird, dass sie auch als Beruf ausgeübt werden kann und eine Übertragung in berufliche Tätigkeiten findet, ist die Vaterrolle komplementär zu einer beruflichen Tätigkeit und kann nicht selbst der Übertragung in einen Beruf dienen. Sie ist auf diese Weise gleichzeitig weniger zentral für männliche als für weibliche Identität. Einmal wird die genderspezifizierend weibliche personale Appellationsform mit dem Vorsatz karriär ‚Karriere‘ versehen, was auch auf eine außerhäusliche Arbeit hindeutet und dazu dient, die Einnahme der Mutterrolle bzw. ihre Möglichkeit der Vereinbarkeit mit einer Berufstätigkeit weiter zu spezifizieren. Eine Parallelbenennung für die Ausfüllung der Vaterrolle fehlt an diesem Punkt, was darauf hindeutet, dass es sich in dem fiktiven Fall eines karriärpappa nicht um einen zu benennenden, von der Norm abweichenden Vater handelt, der als solches spezifizierend benannt werden müsste. Die Formen surrogatpappa, surrogatmamma‚Ersatzvater/-mutter‘, plastpappa, plastmamma und låtsasmamma und låtsaspappa ‚So-tun-als-obMutter/-Vater‘ verstärken auf verschiedene Weisen die Vorstellung genderspezifizierender Elternschaft als biologisches und natürliches Faktum sowie als Norm und machen andere Formen von Elternschaft genderspezifizierend zu abweichenden. Dies kommt in den entsprechenden Formen auch metaphorisch zum Ausdruck. Die Bildung von plast + Verwandtschaftsverhältnis ersten Grades wird in einem Fall sogar auch Großelternschaft übertragen (plastmormor) und dient in diesem Fall für die institutionalisierte Benennung einer Initiative, mit der Familien mit kleinen Kindern nicht biologische Großeltern als Kontakt vermittelt werden sollen. Durch die Formen wird die Vorstellung einer biologischen Natürlichkeit von Familienrelationen ersten Grades verstärkt. Die Benennung velourpappa verbindet eine Stoffqualität mit der genderund rollenspezifizierenden personalen Appellation. Die Stoffbezeichnung ist eine übertragene Ausdrucksform, um eine Konzeptualisierung von Weichheit zum Ausdruck zu bringen, die in der Kombination mit stereotyper Vorstellung von Männlichkeit eine konventionalisiert negative, da konträre Bewertung erhält. Diese Benennung dient zur vor allem umgangssprachlichen Appellation auf Männer, die der Kindererziehung einen größeren Raum geben, als dies in der männlichen heterosexuellen Norm-
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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erwartung angelegt ist. Ein davon abweichendes Verhalten wird entsprechend pejorisierend und euphemistisch benannt. „När exempelvis en pappa, som i dagens samhälle tar ledigt från sitt jobb för att vara hemma med sina barn, kallas för velourpappa, misstämmer den åsikt som framträder i ordet starkt med den myndigheter vill förmedla, nämligen att umgänget pappa-barn är en samhällelig angelägenhet.“106 (Svahn 1999: 12)
Zusammenfassend wird in der Auswertung der genderspezifzierenden Verwendung personaler Appellationsformen zur Appellation auf vertikale aufsteigende verwandtschaftliche Relationen ersten Grades deutlich, dass eine Natürlichkeit angenommener und so hergestellter biologischer Verwandtschaftsverhältnisse durch die lexikalisierte Benennung von Abweichungen von dieser Normen reproduziert wird. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Konzeptualisierungen genderspezifizierende Differenzen in mehrfacher Hinsicht besitzen. Sie kommen zum einen durch die Anzahl unterschiedlicher Formen, die Frequenz unterschiedlicher Formen und das Vorkommen in unterschiedlichen Bereichen bezogen auf zusammengesetzte Formen zum Ausdruck. Ein besonders plastisches Beispiel aus einem feministischen wissenschaftlichen Buch soll die unterschiedliche genderspezifizierende Konzeptualisierung im Hinblick auf Verwandtschaftsrollen noch einmal verdeutlichen. In diesem kommt zugleich auch die heteronormative Grundvorstellung von Familienrelationen zum Ausdruck: „I denna värld av orättvisa pågår det upprörande kränkningar varje dag. Nog tycks det som om män har det värst rent statistiskt: dödade i krig och terror, inspärrade i läger, fängelser, offer för mord och rån och annat övervåld. Klass, ras, nationell, etnisk eller annan grupptillhörighet kan därför tyckas vara de begrepp, de sorteringsinstrument som bäst analyserar världens orättvisor och vidrigheter. Ja, förvisso, släng dem inte. Men de räcker inte. Ty där finns systrar, döttrar, mödrar och hustrur som lever andra liv bredvid, under helt andra villkor.“107 (Hirdman 2001: 5)
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106 ‚Wenn beispielsweise ein Vater sich frei nimmt von seiner Arbeit, um zu Hause zu sein mit seinen Kindern, Velourvater genannt wird, stimmt die Ansicht, die hier zum Ausdruck kommt, nicht mit derjenigen überein, die die Behörden vermitteln wollen, nämlich, dass der Umgang Vater-Kind eine gesellschaftliche Angelegenheit sei.‘ 107 ‚In dieser Welt der Ungerechtigkeiten finden täglich Verletzungen statt. Es sieht so aus, als hätten Männer es rein statistisch am schlechtesten: Getötet in Krieg und Terror, eingesperrt in Lager und Gefängnisse, Opfer für Mord und Raub und andere gewalttätige Übergriffe. Klasse, Rasse, nationale, ethnische oder andere Gruppenzugehörigkeit können daher als die Begriffe angesehen werden, die Kategorisierungsinstrumente, die am besten dazu geeignet sind die Ungerechtigkeiten und Abscheulichkeiten der Welt zu analysieren. Ja, natürlich, schmeiss sie nicht fort. Aber sie reichen nicht. Denn es gibt Schwestern, Mütter,
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Das Zitat zeigt die Appellation von Männern über Taten und Handlungen, wohingegen Frauen implizit in Abhängigkeit von diesen in Form verwandtschaftlicher Relationen appelliert werden. Bei jedem der für Frauen verwendeten Verwandtschaftsbezeichnungen ist ein Rückbezug in Form von dieser Männer elliptisch ausgelassen, aber mitzudenken. Auch wird zugleich eine heterosexuelle Ordnung reproduziert. Im folgenden werden die Formen zur Benennung von Personen in heterosexuellen institutionalisierten Paarbeziehungen quantitativ zueinander in Beziehung gesetzt. Tabelle 13: hustru, maka und make in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
hustru maka make sambo
1965 70 25 15 5,3 21 7,5 0
1976 50 15,6 85 26,5 138 43,1 0
1995 305 16,1 74 3,9 158 8,3 103 5,4
1996 296 18,2 48 2,9 101 6,2 73 4,5
1997 572 17,2 82 2,4 279 8,4 114 3,4
1998 419 16,3 75 2,9 211 8,2 97 3,7
Die genderspezifizierende Appellation auf eine Frau als Teil einer heterosexuellen institutionalisierten Beziehung durch die Appellationsformen hustru ‚Ehefrau‘ und maka ‚Ehefrau‘ ist insgesamt mehr als doppelt so hoch wie das Vorkommen der Form make ‚Ehemann‘, die potentiell auch genderunspezifizierend gebraucht sein könnte. Alleine also schon unabhängig davon, wie häufig make mit intendierter genderunspezifizierender und wie häufig mit intendierter genderspezifizierend männlicher Appellationsleistung gebraucht in den Texten der Korpora worden ist, ist die explizite genderspezifizierende Benennung einer Frau als Teil eines institutionalisierten heterosexuellen Paares in Form einer Ehe durch die Formen hustru und maka auf jeden Fall mehr als doppelt so hoch als die entsprechende Benennung eines Mannes. Dies weist darauf hin, dass Frauen, bezogen auf eine heteronormative Grundvorstellung, häufiger lexikalisiert in ihrer paarbezogenen Abhängigkeit von einem Mann in Tageszeitungen dargestellt werden als Männer in Abhängigkeit von Frauen und der Status
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Töchter und Ehefrauen, die daneben ganz andere Leben leben, unter ganz anderen Bedingungen.‘
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6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
von Frauen in Bezug auf ihre Beziehung oder Nicht-Beziehung zu einem Mann in Form eines Paarverhältnisses für ihre Konzeptualisierung sehr viel wichtiger als die Appellation auf eine institutionalisierte Beziehung zu einer Frau für die Konzeptualisierung von Männern ist. Die von Hausherr-Mälzer (1990) getroffene, auf einen historischen Kontext bezogene Feststellung, dass die Abhängigkeit der Frau vom Mann in institutionalisierter Form heterosexueller Paarbeziehungen sehr viel wichtiger gewesen sei als andersherum, ist in Bezug auf die Frequenz der genderspezifizierenden Formen in den Tageszeitungen zur Benennung einer Position in einer institutionalisierten heterosexuellen Paarbeziehung hier auf die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts und den schwedischen Kontext übertragbar. Diese aus den Benennungspraktiken in Tageszeitungen ablesbare konventionalisierte Konzeptualisierung widerspricht schwedischen auto- und heterostereotypen Gleichheitsvorstellungen in dieser Hinsicht. Vergleicht man die Häufigkeit des Vorkommens von Formen zur Benennung institutionalisierter heterosexueller Paarbeziehungen, so fällt die hauptsächlich gebrauchte Form für nicht-institutionalisierte Paarbeziehungen, die konventionalisiert und lexikalisiert nicht genderspezifizierend ist, sambo, quantitativ in ihrem Gebrauch weit dagegen ab. Dies deutet darauf hin, dass die Institutionalisierung von Paarbeziehungen in Schweden in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer zentral ist und in Form lexikalisierter Bildungen eine höhere Aufmerksamkeit als nichtinstitutionalisierte Paarbeziehungen findet. Tabelle 14:
brud brudgum brudar
brud ‚Braut‘, brudgum ‚Bräutigam‘ und brudar ‚Bräute‘ in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in S pråkbanken 1965 5 2 1
1976 1 0 1
1995 8 3 10
1996 8 0 13
1997 25 1 17
1998 19 4 28
Aus der Tabelle wird deutlich, dass zum einen die genderspezifizierend weiblichen Appellationsformen sehr viel frequenter als die genderspezifizierend männlichen sind und zum anderen, dass die Pluralform brudar in der Regel häufiger in den Tageszeitungen des Untersuchungszeitraumes als die Singularform brud verwendet worden ist. Aus einer Betrachtung der einzelnen Einträge wird deutlich, dass besonders die Pluralform weniger zur Appellation auf eine oder mehrere Frauen, die sich im Status des Heiratens befinden, verwendet wird, sondern vor allem auf jüngere Frauen, die aus einer heterosexuell männlichen Perspektive potentielle Objekte
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6. Produktion personaler Appellationsformen
ihrer sexuellen Begierde sind. Häufig erscheint die Form brudar im Plural mit tjejer austauschbar. In der Konzeptualisierung als brudar kommt so eines zwischenmenschlichen gegenderten Besitzverhältnisses und die Annahme einer potentiellen sexuellen Verfügbarkeit durch die so appellierenden Männer zum Ausdruck. Die konventionalisierte, traditionelle Konzeptualisierung von Frauen im Status des Heiratens als zukünftiges Besitzobjekt findet sich in einer heutigen Verwendung der Form erhalten, ohne dass die potentielle und/oder zukünftige Institutionalisierung einer Paarbeziehung aufgerufen wird. Die veränderte konventionalisierte Verwendung der Form kann als Indiz für eine veränderte Relevanz der Institutionalisierung einer heterosexuellen Paarbeziehungen gelesen werden, ohne dass sich die grundsätzliche Konzeptualisierung von Frauen in Bezug auf heterosexuelle Paarverhältnisse grundlegend verändert, so dass die Form heute jenseits dieses Kontexts zur Appellation freuqent verwendet wird. Dass sie insbesondere als kollektiv benennende Pluralform angewendet wird, zeigt die Relevanz einer entsprechenden Konzeptualisierung von Frauen als Gruppe. Häufige Attribuierungen im Zusammenhang mit den im Korpus verzeichneten Vorkommen von brudar sind fräscha ‚leckere‘, tuffa ‚heftige‘, bikiniklädda ‚bikinigekleidete‘, dumma ‚dumme‘, svenska ‚schwedische‘, snygga ‚hübsche‘, Verb-Objekt-Kombinationen wie jaga ‚jagen‘, fixa ‚hinbiegen/hinkriegen‘, skaffa ‚anschaffen‘ brudar und Aufzählungen wie bilar, brudar och bikinis ‚Autos, Bräute und Bikinis‘ oder bilar, båtar och brudar ‚Autos, Boote und Bräute‘. In allen Verwendungen wird die Objekthaftigkeit der so Bezeichneten aus einer männlichkonventionalisierten Sicht sowie eine erotisch konnotierte Bewertung, der eine bestimmte, männlich-chauvinistische Sexualitätsauffassung zu Grunde liegt, zum Ausdruck gebracht. Eine intendierte Appellation durch die Pluralform brudar als weiblicher Teil der Institutionalisierung eines heterosexuellen Paarverhältnisses ist im Material der 90er Jahre nicht vorhanden. Lediglich bei der Singularform brud finden sich entsprechende Verwendungen, die im Vergleichszeitraum zahlreicher als die Form zu genderspezifizierend männlichen Appellation, brudgum, sind. Letztere ist durchgängig in dem untersuchten Zeitungskorpora nur sehr selten zu finden.108 Eine durch die jeweiligen Formen zum Ausdruck gebrachte Konzeptualisierung
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108 Dies ist teilweise auch dem Umstand geschuldet, dass in den verschiedenen Korpora der schwedischen Tageszeitungen Privatanzeigen keine Berücksichtigung gefunden haben. Die frequente und populäre Ankündigung und Danksagung nach vor allem heterosexuellen Hochzeiten bedient sich in ihren Formulierungen auch weiterhin dieser beiden Formen. Das relationale Verhältnis beider Formen würde sich daher in einer Miteinbeziehung dieser Anzeigen nicht verändern, wohl aber die jeweiligen absoluten Zahlen des Vorkommens.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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von Personen als Teil einer institutionalisierten heterosexuellen Paarbeziehung ist auch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts weiterhin feststellbar und vorhanden. Hinzugekommen ist eine Konzeptualisierung von Frauen im Status der sexuellen und objektivierten Verfügbarkeit, die weit über die institutionalisierte Form der Paarbeziehung hinausgeht und mit derselben Form ausgedrückt wird, insbesondere als Kollektivbezeichnung. Die männliche Perspektive wird zum Akteur dieser Benennungen, was sich darin zeigt, dass es keine parallele ReSignifizierung für die konventionalisierte genderspezifizierend männlich appellierende Form gibt. Inwiefern die Form brudar nach dieser Bedeutungsausweitung eine weitere ReKonzeptualisierung erfahren hat, wird in Hornscheidt (2006b) diskutiert. Verwandtschaftsbenennungen sind im heutigen Schwedisch weiterhin nahezu durchgängig gegendert. Die Formen förälder ‚Elternteil‘ und sambo ‚ZusammenwohnendeR‘ stellen keine grundlegenden Veränderungen einer genderspezifizierenden, lexikalisierten Appellation durch die Formen dar. Darüber hinaus dienen gerade Verwandtschaftsformen ersten Grades in vertikaler aufsteigender Richtung als Metaphernquellen durch Kompositabildungen, in denen diese als zweites Glied fungieren. Hier lassen sich signifikante Unterschiede in den Konzeptualisierungen der übertragenen Rollen von Vater- und Mutterschaft nachweisen, die ihrerseits Aufschluss über die Konzeptualisierungen auch dieser Rollen geben. In den Kompositabildungen kommt darüber hinaus eine Naturalisierung von Elternschaft insofern zum Ausdruck, als dass von einer angenommenen biologischen Relation abweichende Beziehungsformen durch spezifizierende Komposita benannt werden. Eine Infragestellung biologischer Verwandtschaftskonzepte kann auf Grund der in diesem Unterkapitel vorgenommenen Analyse für Lexikalisierungen mit personal appellierenden Verwandtschaftsformen nicht festgestellt werden. Genderrollen, die auf Mutter- und Vaterschaft bezogen sind, werden hingegen in ihrer Natürlichkeit eher bestätigt. 6.4.3 Genderspezifizierende lexikalisierte substantivische Appellationsformen unter Berücksichtigung von Sexualitätsspezifizierungen Im nachfolgenden werden die lexikalisierten substantivischen Appellationsformen zur genderspezifizierenden Benennung von unterschiedlichen Sexualitätsformen näher untersucht. Dass die im letzten Unterkapitel be-
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6. Produktion personaler Appellationsformen
sprochenen genderspezifizierenden Verwandtschaftsbenennungen eine heteronormative Grundvorstellung implizieren, ist bereits angesprochen worden. In diesem Kapitel werden in Ergänzung dazu die Appellationsformen, die sich explizit auf Sexualitätsspezifizierungen beziehen, diskutiert. Homosexuella kann sowohl Plural- und bestimmte Form des Adjektivs homosexuell wie auch eine substantivische personale Appellationsform im Plural sein, bög, die gebräuchlichste genderspezifizierdend männliche Form für Homosexuelle, unbestimmte Appellationsform im Singular wie auch Adjektiv. Daneben finden sich für Schwule im MainsstreamMediendiskurs, mit geringer Frequenz, noch die Formen fikus (Sg.) und gaya und fikusar ‚wörtl.: Feigen‘ (Pl.). Es gibt eine Reihe verschiedener Formen im öffentlichen schriftsprachlichen Gebrauch, die momentan homosexuelle Frauen bezeichnen; sie stammen teilweise aus verschiedenen Genres und haben verschiedene Stilebenen. Die frequentesten sind im Singular: lesbisk kvinna, flata, lebba und im Plural lesbiska, lesbianer, lesbor, flator. Weitere personale substantivische Sexualitätsbenennungen, die in der Untersuchung berücksichtigt wurden, sind asexuella, transvestitar, transsexuell/a, bisexuella, könsöverskridare ‚Geschlechtsüberschreiter/inn/en‘. Mit Ausnahme der Form homosexuella sind so gut wie keine substantivischen Appellationsformen, die eine andere sexuelle Identität als Heterosexualität benennen, in den 60er und 70er Jahren in den Tageszeitungskorpora verzeichnet. Ein deutlicher Anstieg ist erst für die 90er Jahre belegt. So finden sich beispielsweise 29 Belege für transvestiter/na gegenüber keinem einzigen in den 60er und 70er Jahren, 49:1 für bisexuella, 85:0 für lesbiska109. Auch in diesem Zeitraum werden die Formen nie in Opposition zu einer expliziten Benennung von Heterosexualität verwendet, sondern häufig in Form von Aufzählungen so hergestellter Abweichungen einer gleichzeitig unbenannten Norm. Die Verbindung homosexuella och heterosexuella kommt in press 98 nur zweimal, heterosexuella och homosexuella in press 95 einmal vor. Eine konkrete Benennung verschiedener Sexualitäten in einer gleichberechtigten Form ist im Korpus entsprechend nur äußerst selten zu finden. Während für homosexuelle Männer vor allem die Form bög/ar im öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen verwendet wird110, was auch den
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109 Auch wenn es sich hier um absolute Zahlen ungleich großer Korpora für die verschiedenen Jahre/Jahrzehnte handelt, ist trotzdem ein Trend erkennbar. 110 Die Form ist im schriftsprachlichen Diskurs laut SAOB seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu finden.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
531
Ergebnissen von Norrby (1995) entspricht111, stehen für die Appellation homosexueller Frauen eine Reihe unterschiedlicher Formen nebeneinander im Gebrauch, und es findet sich nicht eine klar favorisierte Form in diesem Diskursfeld. Auch dies entspricht dem Ergebnis der Fragebogenuntersuchung, die bei Norrby (1995) und Lindfors Viklund (1995) ausgewertet wird. So steht die selten gebrauchte Form lesbianer jeweils in dem Kontext bögar och lesbianer ‚Schwule und Lesben‘112 oder in Aufzählungen wie bögar, flator, lesbianer, fikusar och allt annat som man visst får säga ‚Schwule, Lesben, Lesben, Schwule und alles anderes, das man sagen darf‘113. In letztem Zitat zeigt sich zugleich auch symptomatisch, was für das gesamte Material der Tageszeitungen feststellbar ist: Es findet sich keine eindeutige Terminologie und Begriffsverwendung für die personale Appellation auf weibliche Homosexualität.114 So konkurrieren hier im Plural die Formen lesbianer, lesbiska, flator und lesbar. Die Form flator wird fast ausschließlich als Plural- und damit Gruppenbenennung verwendet. Sie ist im Singular und Plural homonym mit der konventionalisierten Benennung von Handinnenflächen. Flator ist nur in zwei Fällen im Korpus der Tageszeitungen verzeichnet. In dem einen Fall handelt es sich um eine Veranstaltungsankündigung, die von den Veranstalter/inne/n so selbst formuliert und von der Zeitung lediglich übernommen wurde.115 Im anderen Fall ist flator Teil einer Aufzählung, in der auch die Form lesbianer vorkommt. Dies spricht für eine Unsicherheit hinsichtlich der Bedeutung der Form und der Bedeutungsabgrenzung der Formen flator und lesbianer.116 Im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache kommt die Form bög/ar 29mal vor. Alle Belege stammen aus einem einzigen Gespräch, in dem die potentielle Homosexualität einer bestimmten männlichen Person zur Debatte steht, so dass der quantitative Wert nicht als repräsentativ gesehen werden kann. Für eine genderspezifizierend weibliche Benennung von Homosexualität findet sich kein Beleg und nur einer für die übergreifende Form homo, welcher in Selbstappellation benutzt wird. Das Ge-
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111 Vgl. weiter unten. 112 Vgl. in drei von vier Vorkommen im press 1998. 113 Göteborgs Posten vom 6.6.1996: 10 im Artikel „25 år av frigörelse. Homosexuella på marsch.“ 114 Darüber hinaus wird hier auch deutlich, dass es auch in Bezug auf Benennung von männlicher Homosexualität begriffsmäßige Unsicherheiten gibt, wenn die Formen bögar und fikusar beide hier vorkommen. 115 „Sthlm goes gay. Denna gång bara för bögar och flator.“ Svenska Dagbladet 6.6.1997: 12 im Programmkalender. 116 Göteborgs Posten 6.6.1996: 10 „25 år av frigörelse. Homosexuella på marsch“.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
spräch mit den 29 Vorkommen von bög ist im Rahmen der Begriffsbestimmung in mehrfacher Hinsicht interessant. So wird in den sprachreflexiven Äußerungen deutlich, dass die an dem Gespräch Beteiligten die Form bög nicht nur zur Appellation auf Schwule benutzen, sondern situationsspezifisch auch auf Bisexuelle. „B: jo men man säger ju bög även om man / om man / de{t} spelar ingen roll om man e0 [9 me{d} tjejer också]9 C: [9 men men däre+ däremot ]9 om ja{g} ser / en bisexuell man som hångla{r} me{d} en kille / då säger ja{g} ju [10 bög / eftersom ja{g} inte vet ]10 om att han e0 bisexuell C: [10 nä men de{t} e0 ju de{t} ja{g} menar ]10 B: nä men även om du vet de{t} så skulle du säja att han e0 bög eftersom han sitter där å0“117
Mit bög wird demnach eine Verhaltensweise einer männlichen Person in einer konkreten Situation ohne Berücksichtigung eines Vorwissens beispielsweise benannt. Dass es eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Begriffsverwendung gibt, zeigt sich daran, dass dies hier explizit verhandelt wird. Bög, so wird in dem Gespräch deutlich, wird aber auch darüber hinaus zur Appellation verwendet. „C: bög kan va{ra} me{r} än bög / B: va ... C: bög kan va{ra} me{r} än också / bög kan va{ra} / då tycker ja{g} mer / att ja{g} säger bög till en feminin kille // en kille som gå{r} runt å0 < gestikalerar [sic] > eller rör sej [14 som en kvinna all{t}så ]14 men då säger ja{g} ju hellre bög till han.“118
In diesem Gesprächsausschnitt wird deutlich, dass bög eine stereotype Vorstellung von männlicher Homosexualität konzeptualisiert, die dazu führt, dass die Form auch auf männliche Personen angewendet wird, die von einer prototypischen männlichen Norm abweichen, ohne dass diese eine homosexuelle Identität haben müssen. Die sprachreflexive Verhand-
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117 ‚B: Ja, man sagt nunmal bög auch wenn man man es spielt keine Rolle, ob man mit Mädchen/Frauen auch C: aber demgegenüber wenn ich einen Bisexuellen, der mit einem Typen rummacht da sage ich auch bög denn man weiß ja nicht; das ist das was ich meine B: Nä, sogar wenn du wissen würdest, würdest du bög sagen denn er sitzt ja da und‘ A7926031 (informal conversation) aus dem Göteborger Datenkorpus. 118 ‚C: Bög kann aber auch mehr als bög sein B: Was ... C: Bög kann auch mehr sein bög kann sein da meine ich mehr dass ich sage bög zu einem femininen Typ // ein Typ der rumgeht und gestikuliert oder sich wie eine Frau bewegt also aber da sage ich eher/lieber bög als er.‘ A7926031 (informal conversation) aus dem Göteborger Datenkorpus.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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lung des Begriffs in dem Gespräch119 legt zudem den Schlüsselwortstatus der Form in Bezug auf die Konzeptualisierung von männlicher Abweichung nahe, die durch die äußerst frequente pejorisierende Verwendung von bög ebenfalls bestätigt wird. Sexualitätsnormen nehmen einen zentralen Stellenwert der Selbst- und Fremdbestimmung in der heutigen schwedischen Kultur ein, was durch die herausragende Stellung des Lexems bög in unterschiedlichen Diskursen unterstrichen wird. Das Gespräch deutet an, dass eine sexuelle Abweichung von einer heterosexuellen Norm sogar als Prototyp geschlechterlicher Abweichung verstanden wird und dadurch auf andere wahrgenommene Abweichungen übertragbar ist. In dem gesamten Gesprächsauschnitt geht es dabei ausschließlich um die Verwendung von bög zur Fremdappellation. „B: för alla på skolan så va{r} han ju bög.“ ‚Für alle in der Schule war er nun mal bög.‘120
Die Fremdwahrnehmung wird in diesem Beleg zur zentralen Größe für die Benennungspraxis, die von der Selbstappellation divergieren kann. Die Formen, die im schriftsprachlichen Korpus genderspezifizierend weiblich appellieren, stehen zudem häufig auch in expliziter Opposition zu der Form homosexuell/a, wodurch diese in den entsprechenden Kontexten implizit zu einer genderspezifizierend männlichen Appellationsform wird. „De som organiserar sig är kvinnor, barn, gamla, unga, ursprungsbefolkningar, ekologer, homosexuella, lesbianer, arbetare, ja, alla som inte [...]“121 Dies zeigt, dass in der personalen Appellation von Personen unter dem Konzept Homosexualität zunächst Männer als Grundvorstellung menschlicher Existenz konzeptualisiert sind und die Abweichung von dieser Normalität, in dem Fall Frauen, getrennt benannt werden. In der Auswertung von Lindfors Viklund (1995) von einer Fragebogenuntersuchung, die in den 90er Jahren durchgeführt wurde und in der Testpersonen verschiedenen Alters und verschiedener sozialer Gruppen
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119 A7926031 (informal conversation) aus dem Göteborger Datenkorpus: „B: men du kan ju inte avgränsa de{t} ordet att de{t} bara kan betyda / du kan ju inte skärma av den betydelsen att en bisexuell / inte kan vara bög / men en som inte / en som e0 het{e}rosexuell kan vara bög. C: ja“ ‚B: aber du kannst ja nun das Wort nicht eingrenzen darauf, dass es nur bedeutet, du kannst die Bedeutung nicht abschirmen, dass ein Bisexueller nicht auch bög sein kann, aber einer, der nicht heterosexuell ist, kann bög sein.‘ 120 A7926031 (informal conversation) aus dem Göteborger Datenkorpus. 121 ‚Die, die sich organisieren, sind Frauen, Kinder, Alte, Junge, Ursprungsbevölkerungen, ÖkologInnen, Homosexuelle, Lesben, ArbeiterInnen, ja alle, die nicht [...]‘ Dagens Nyheter 4.9.1997, Teil B: 3 „Megapolitiken och dvärgarna“.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
nach ihren personalen Benennungen von Homosexualität befragt wurden, stellt sie eine Reihe von Benennungen fest, in der Homosexualität genderspezifizierend durch eine Konzeptualisierung des ‚anderen Geschlechts‘ hergestellt wird. Als genderspezifizierend weibliche homosexuelle personale Appellationsformen zählen in den Aufzählungen der Testpersonen frilla, Herta und q-vinnor122, als männliche Appellationsform greve ‚Graf‘. Frilla bezeichnete früher eine Frau, die in einer nicht durch Heirat institutionalisierten Beziehung mit einem Mann lebt und besaß als solche pejorisierende Konnotationen. Die Veränderung gesellschaftlicher Moralvorstellungen, in der das nicht-institutionalisierte Zusammenleben Heterosexueller nicht länger öffentlich sanktioniert und abgewertet wird, führt jedoch nicht zu einer Umbewertung der Form, sondern zu einer Verschiebung ihrer Appellationsleistung auf einen anderen Bereich, der auch mit veränderten Moralvorstellungen weiterhin gegen implizite gesellschaftliche Normen verstößt, weibliche Homosexualität. Die Form hat so ihren pejorisierenden Charakter behalten, die durch die Form realisierte Konzeptualisierung scheint in der Abweichung einer gesellschaftlichen Norm zu liegen, das intendierte ‚Ziel‘ der Appellation hat sich entsprechend zusammen mit gesellschaftlichen Entwicklungen verändert. Zur Appellation auf homosexuelle Frauen, die konventionalisiert eine genderspezifizierend männliche Appellation zum Ausdruck bringen, werden darüber hinaus die Formen kvinnor i kostym ‚Frauen in Anzug‘, she man, truckförare ‚TruckführerIn‘ verwendet. Zur homosexuell männlichen Appellation über konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellationen finden sich die Formen fjolla ‚Närrin‘, kvinna ‚Frau‘, blomma ‚Blume‘, handväska ‚Handtasche‘, kjoltyg ‚Rock(stoff)‘ und vinkare in dem Material von Lindfors Viklund (1995), wobei die meisten dieser Gruppe auch metonymisch wirken und stereotyp weibliche Konzeptualisierungen aufrufen, ohne spezifisch personal zu appellieren. Die beiden letztgenannten Gruppen zeigen, wie eng die Konzeptualisierung von Sexualität und Gender zusammenhängen, wenn eine Abweichung von der heterosexuellen Norm dadurch ‚fassbar‘ gemacht wird, dass die Genderzugehörigkeit bei Übertretung dieser Norm gleichzeitig in Frage gestellt und die oppositionelle Genderzugehörigkeit als Appellation verwendet wird.123 In nicht ganz so offensichtlicher Form findet sich diese Konzeptualisierungsstrategie für
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122 Die von Lindfors Viklund (1995) ebenfalls dieser Gruppe zugerechneten Formen hyska ‚Öse‘, lotus und harpa ‚Harfe‘ werden hier als nicht dieser Gruppe zugehörig angesehen, sondern als metaphorische Konzepte. 123 Lindfors Viklund (1995) geht auf diesen Aspekt bemerkenswerterweise nicht ein und stellt lediglich die quantitativen Unterschiede fest.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
535
Homosexualität auch in der Form fikus ‚Feige‘, die auch in Språkbanken mehrmals verzeichnet ist und bei Lindfors Viklund (1995) und Norrby (1995) als frequente Benennung männlicher Homosexueller mit der Erklärung aufgeführt wird, dass die Feigenfrucht häufig mit weiblichen Genitalien assoziiert würde. Dies deutet wiederum auf die konventionalisierte Konzeptualisierung von Homosexualität über eine konträre Genderspezifizierung hin, die zugleich mit einer Betonung von Sexualität für die Konzeptualisierung von Homosexualität gekoppelt ist. Auch auf den Bereich der personalen Benennung von Homosexualität werden heterosexuelle Normvorstellungen von sexuellen Rollenverteilungen übertragen und mit ihnen Vorstellungen weiblicher Passivität und männlicher sexueller Aktivität reproduziert und weiter verfestigt. Es zeigt sich zum einen, dass in den Antworten auf den Fragebogen nur sehr wenige Belege personaler weiblicher Appellation über sexuelle Aktivität belegt sind (slickare ‚LeckerIn‘ und släta ‚ebnen/glätten‘)124, während die männliche Appellation sexuell ausspezifiziert benannt ist (rövknullare ‚Arschficker‘, analknullare ‚Analficker‘, bajspackare ‚Kothaufen/Kotpacker‘, fipplare, pedofil, pederast, dubbelpipig ‚doppellöchrig‘ und kåtbock ‚geiler Bock‘).125 Lindfors Viklund (1995) merkt an, dass die hohe Zahl an Konzeptualisierungen personaler Appellationen auf Homosexuelle sexuelle Aktivitäten in den Mittelpunkt stelle, liege daran, dass Homosexualität vor allem über Sexualität wahrgenommen würde. Diese wird in der vorgenommenen Analyse zudem als pathologisiert und abweichend hergestellt analysiert, wodurch sich eine heterosexuelle Normvorstellung, die sich implizit auch auf Sexualität bezieht, bekräftigt. Nur durch die Herstellung einer Abweichung kann gleichzeitig eine Normvorstellung weiter verfestigt werden. Gleichzeitig stellt sich so aber auch ein neuer Einschlussmechanismus her, der Homosexualität zumindest teilweise benennbar macht und damit seinerseits zu neuen Ausschlüssen führt. „Die Komplexität spätmoderner, neoliberaler Gesellschaften zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit zweier Machtmechanismen aus: einer rigiden Normativität, die den sozialen Raum durch Klassifikationen und Ausschlüsse organisiert, und einer flexiblen Normalisierung, die nach dem Muster der Integration in bestehende gesellschaftliche Verhältnisse verläuft, und über den Mechanismus der Individualisierung neue Hierarchien und soziale Ungleichheiten schafft.“ (Engel 2002: 204)
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124 Wobei släta in dem Artikel zusätzlich mit einem Fragezeichen versehen ist, so dass es hier als unsicher gelten kann, ob dies eine entsprechende Appellationsform ist. 125 Die Formen werden lediglich erwähnt, ohne sie dementsprechend weiter zu analysieren, wie dies hier versucht wurde.
536
6. Produktion personaler Appellationsformen
Auf diesem Hintergrund wird die differenzierte Benennung von Homosexualität im öffentlichen Diskurs auch als eine Strategie des individualisierenden Einschlusses interpretiert. Die ungleiche Verteilung zwischen genderspezifizierend männlichen und weiblichen Appellationsformen wird von Lindfors Viklund (1995) nicht beachtet. Hier wird zusätzlich zu ihrer Analyse festgestellt, dass Homosexualität vor allem als Männlichkeit wahrgenommen wird, zu der weibliche Homosexualität eine nur selten benannte und beachtete Ausnahme in der Öffentlichkeit spielt und damit weniger Relevanz für die Konzeptualisierung weiblicher Existenz und Genderrollenerwartungen besitzt. Die Verwendung der personalen, substantivischen Appellationsformen, die andere sexuelle Konzeptualisierungen als Heterosexualität benennen, kommen im Korpus der Tageszeitungsartikel in der überwiegenden Zahl der Fälle in Aufzählungen vor, in denen diese in einer Reihe mit verschiedenen ausgegrenzten Identitäten oder Abweichungen von einer gleichzeitig so hergestellten, unbenannten Normalität genannt werden: „Här finns hela spektrumet av så kallat avvikande sexuellt beteende: gaya, lesbianer, transsexuella, transvestiter, fetischister, sadomasochister och läderbögar.“126 Auch, wenn einführend erwähnt wird, dass in dem Zitat ‚abweichende‘ Sexualitäten genannt werden, werden diese in der Form der Darstellung doch gleichzeitig auch wieder reproduziert; es findet sich nicht einmal eine einschränkende Bemerkung wie ‚beispielsweise‘ oder ‚unter anderem‘, die ein größeres Spektrum implizieren würde. Auf diese Weise wird eine Grenzziehung zwischen Normalität und Abweichung weiter verfestigt und erfolgt in der Benennung der Abweichung zugleich auch ein Einschluss, von dem das, was in dieser Form nicht benannt wird, noch nachhaltiger ausgeschlossen wird. Die Wahrnehmung als Abweichung ist zumindest eine Wahrnehmung, die bei einer Nichtbenennung nicht gegeben ist. „In being called an injurious name, one is derogated and demeaned. But the name holds out another possibility as well: by being called a name, one is also, paradoxically, given a certain possibility for social existence, initiated into a temporal life of language that exceeds the prior purposes that animate that call.“ (Butler 1997a: 2)
Die im dem Tageszeitungszitat stattfindende, aufzählende Benennung unterschiedlicher, als Abweichung explizierter sexueller Identitäten schafft so zugleich neue Ausschlüsse, denen die Möglichkeit zu einer sozialen Exis-
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126 ‚Hier findet sich das ganze Spektrum so genannten abweichenden sexuellen Verhaltens: Schwule, Lesben, Transsexuelle, TransvestitInnen, FetischistInnen, SadomasochistInnen und Lederschwule.‘ Dagens Nyheter 26.8.1995 Teil B: 2 o.T.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
537
tenz erst gar nicht gegeben ist. Die aufzählende Benennung impliziert zugleich klare Grenzziehungen und die Möglichkeit zu eindeutigen Kategorisierungen, die ihrerseits auch wiederum zu Hierarchisierungen und Ausschlüssen führen kann. Während zur personalen Benennung von Homosexualität in den 70er und 80er Jahren vereinzelt Formen vorhanden waren, finden sich die Formen transsexuella und transvestiter überhaupt erst seit den 90er Jahren in dem Korpus der Tageszeitungen verzeichnet. Die relativ hohe Frequenz beider Formen in den Korpora von 1997 und 1998 ist besonders dadurch zu erklären, dass die Fotoausstellung Ecce Homo der schwedischen Künstlerin Elisabeth Olsson sehr großes öffentliches Aufsehen in Schweden auf sich gezogen hat, und die Ausstellung in den Medien entsprechend häufig zum Thema geworden ist. In den entsprechenden Zeitungsartikeln werden in der Regel fotografische Darstellungen erwähnt, auf denen den dort Abgebildeten Identitäten als Transvestiten und Transsexuelle zugeschrieben werden. Eine entsprechende stereotyp kategorisierende Wahrnehmung der Abgebildeten gepaart mit der Imitation biblischer Motive ist Auslöser für die starke öffentliche Reaktion gewesen, wodurch eine entsprechend große mediale Öffentlichkeit entstanden ist, in der genau dies als umstrittener Punkt regelmäßig explizit gemacht wurde. Es zeigte sich in den öffentlichen Debatten, dass eine gesellschaftliche Akzeptanz ‚abweichender‘ Sexualitäten im Schweden der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in Bezug auf eine christliche Symbolvorstellung teilweise an ihre Grenzen gekommen war bzw. diese in der öffentlichen Diskussion zur Debatte standen. Neben der Verwendung der Form transsexuella in diesem spezifischen Kontext kommt die Form im Korpus der Tageszeitungen vor allem in Bezug auf Künstler/innen und ihr Umfeld vor. Von den neun im Korpus verzeichneten Verwendungen der Form in 1997 beziehen sich vier auf einen künstlerischen Kontext und zwei auf einen aus schwedischer Perspektive als exotisch konzeptualisierten asiatischen Kontext, wodurch die Abweichung beidseitig verstärkt wird. In nur drei Fällen geht es um die Rechte Transsexueller bzw. um die direkte Behandlung politischer Themen, von denen die sich selbst entsprechend appellierenden Menschen betroffen sind. Häufig werden die Formen transsexuella und transvestiter in denselben Texten in Form von Aufzählungen verwendet und sind auffallend häufig der Form dragshowartisterna ‚die DragshowkünstlerInnen‘ beigeordnet. Dadurch wird die Nähe zu einem künstlerischen Milieu impliziert und die Abweichung von der Normalität in einem doppelten Sinne bestätigt: Zum einen handelt es sich um Abweichungen von der unbenannten heterosexuellen Norm, zum anderen um Abweichungen von ei-
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6. Produktion personaler Appellationsformen
nem ‚normalen‘ Alltagskontext, der im Kontrast zum künsterlischen Milieu steht. Gleichzeitig ist die Konzeptualisierung über das künstlerische Milieu auch in historischer Perspektive eine durch öffentliche Toleranz ausgezeichnete Verortung in doppelter Hinsicht: die doppelte Abweichung in Bezug auf Sexualität und berufliche Tätigkeit wird als sich potentiell gegenseitig bedingend angesehen und nicht als Bedrohung erlebt, da sie so aus dem eigenen Alltagserleben ausgegrenzt ist. Die Konzeptualisierung des Künstlerischen als Kontrast zum so gleichzeitig hergestellten ‚Natürlichen‘ kann auch auf den Bereich der sexuellen Identität übertragen und Heterosexualität auf diese Weise wiederum zu einer unhinterfragbaren Norm erhoben werden. Auch, wenn in vielen der Artikeln explizit gemacht wird, dass es sich bei den so Fremdappellierten um Menschen handelt, die gesellschaftliche Normen in Frage stellen, werden diese Normen in der Darstellung gleichzeitig reproduziert, indem sie dem Verständnis der Abweichung implizit zu Grunde liegen müssen. So auch im nachfolgenden Beispiel: „[...] men också allt sådant som stöts ut ur samhällsgemenskapen: extremt feta människor, transsexuella etc – individer vilkas kroppsliga identiteter uppfattas som ett hot mot de krav på stabilitet och ordning som bär upp samhället.“127 Die Parallelnennung von extremt feta människor und transsexuella macht es einfach, beide Kategorisierungen und so hergestellten Gruppen in teilweiser Identität zu konzeptualisieren. So ist bei einer solchen Darstellung nicht auszuschließen, dass eine Konzeptualisierung von ‚nicht gesund‘ von der ersten auf die zweite Gruppe beim Lesen übertragen wird. Beide beispielhaft genannten Gruppen werden als potentielle Bedrohungen der gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen genannt, denen durch die explizite Benennung mit Toleranz begegnet wird, was ihren gleichzeitigen Ausschluss aus der Normalität aber ebenso bekräftigt.128 Was genau durch sie bedroht wird, bleibt unausgesprochen und gleichzeitig um so bedrohlicher, was einer Foucaultschen Analyse gesellschaftlicher Risiko- und Sicherheitsdispositive als gesellschaftliche Basis entspricht. Die Form könsöverskridare ‚GeschlechtsüberschreiterIn‘, die in press 98 zweimal und in Presstext für den Zeitraum 1.1.2000 bis 10.9.2003 lediglich
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127 ‚Aber auch alles solches, welches aus der sozialen Gemeinschaft ausgestoßen wird: extrem fette Menschen, Transsexuelle usw. – Individuen, deren körperliche Identitäten als Bedrohung für die Forderung nach Stabilität und Ordnung zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft angesehen werden.‘ Svenska Dagbladet 9.12.1997: 14 „Nobelpris. Blunda inte för Larry Flynt“. 128 Beiden Gruppen wird zusätzlich eine Identität über Körper zugeschrieben. Es erfolgt hier eine Gleichsetzung, die in mehrfacher Weise diskriminierend wirkt.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
539
achtmal belegt ist, thematisiert die Infragestellung von Gender in einer substantivischen personalen Appellationsform, ohne gleichzeitig einen klaren Wechsel zwischen zwei Gendern auszudrücken. In dieser aus einer Nomen-Verb-Verbindung abgeleiteten personalen Appellationsform wird im Gegensatz zu der Form transsexuell/a zudem auch nicht lexikalisiert eine enge Verbindung von Gender und Sexualität zum Ausdruck gebracht. Die Tätigkeitsbenennung överskridare ‚ÜberschreiterIn‘ impliziert eine aktive Handlung, die nicht abgeschlossen sein muss oder nur von einer Richtung in eine andere vollzogen werden kann.129 In der regelmäßig in der Zeitschrift Språkvård erscheinenden Aufstellung neuer Wörter wird 2001 die Form transperson ‚Transperson‘ mit zwei Belegen aus Dagens Nyheter von 1999 und 2000 aufgeführt und definiert als „person som känner en motsättning mellan sitt biologiska kön och sin upplevda identitet.“130 (Moberg 2001: 17) Einer der aufgeführten Belege ist sprachreflexiv und deutet auf eine bestehende Unsicherheit im Gebrauch unterschiedlicher Formen hin: „Det råder en viss förvirring kring begreppet transperson, och vi lämnar öppet för var och en att definiera sig själv, oavsett om man är transvestit, transsexuell eller har annat könsöverskridande beteende.“131 Hier deutet sich an, dass transperson als Oberbegriff für unterschiedliche Formen personaler Identität mit einer Infragestellung von Gender und synonym mit könsöverskridare angewendet werden kann. Die formenmäßige Abgrenzung zwischen einer substantivischen personalen Appellation und einer durch ein Adjektiv benannten Eigenschaft ist insbesondere im Singular in Bezug auf die Appellation durch eine sexualisierende Benennung schwierig, da viele der Formen in beiden Funktionen gebräuchlich sind. Aus diesem Grund wird die nachfolgende Analyse hier eingefügt, wenngleich sie auch der Gruppe der Adjektive zugerechnet werden könnte.
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129 Vgl. auch Lodalen (2003: 189) für einen Beleg dieser Form. 130 ‚Person, die einen Widerspruch zwischen ihrem biologischen Geschlecht und ihrer erlebten Identität empfindet.‘ 131 ‚Es herrscht eine gewisse Verwirrung um den Begriff Transperson und wir lassen es für jede einzelne Person offen sich selbst zu definieren ohne Berücksichtigung dessen, ob man TransvestitIn oder TranssexuelleR ist oder ob man ein anderes geschlechterüberschreitendes Verhalten hat.‘ Dagens Nyheter 20.3.2000, zitiert in Moberg (2001: 17).
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Tabelle 15: heterosexuell und homosexuell in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken 1965 1 0 9 homosexuell 0 kvinna homosexuell 0 man homosexuella 0 män homosexuella 0 kvinnor bög 0 homofil 0 gay 4 lesbisk 0 transsexuell 0 heterosexuell bisexuell homosexuell
1976 0 0 5 0
1987 1 3 14 1
1995 2 2 43 0
1996 7 24 29 0
1997 6 2 36 0
1998 6 3 66 0
0
0
2
2
4
4
0
1
16
2
12
9
0
0
0
0
1
3
0 0 3 1 1
2 0 4 3 0
4 0 3 11 3
9 0 10 11 1
10 0 7 14 0
20 1 13 13 2
Weitere, im Korpus von Språkbanken verzeichnete Adjektivformen mit sexuell als zweitem Glied sind mångsexuell ‚vielsexuell‘, radikalsexuell, pansexuell, anarkosexuell, hypersexuell, översexuell ‚übersexuell‘, die aber jeweils nur einmalig im Korpus vorkommen und so als Ad-Hoc-Bildungen klassifiziert werden können. Auffällig ist die weitgehend ausbleibende Benennung sexueller Identitätsformen zur Charakterisierung von Menschen oder zwischenmenschlichen Kontakten bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in den Tageszeitungskorpora. Besonders in den 90er Jahren finden sich viele Formen mit relativ hoher Frequenz, obgleich verschiedene Schwerpunktsetzungen in der Benennung ausgemacht werden können: So wird Heterosexualität nur selten attributiv benannt, wohingegen ein gewisser Schwerpunkt in der Benennung von Homosexualität durch das Adjektiv homosexuell festzustellen ist. Differenziert man diese Betrachtungsebene weiter aus und analysiert, wie häufig die Adjektivform zur genderspezifizierenden Benennung durch die attributive Position vor kvinna/kvinnor resp. man/män verwendet wird, so lässt sich eine eindeutige Tendenz zu einer entsprechenden Sexualitätsspezifizierung genderspezifizierend männlicher Appellation feststellen. Gegenüber der attributiven Spezifizierung durch homosexuell fällt nicht nur die Benennung mit heterosexuell deutlich ab, sondern auch die über weitere Appellationsformen für sexuelle Identitäten, wie beispielsweise transsexuell und bisexuell. Ausgehend
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
541
von dieser Analyse wird die These aufgestellt, dass es sich um eine Stereotypisierung der Konzeptualisierung von Sexualität sowohl was die unbenannte Norm der Heterosexualität als auch was die normierte Abweichung der Homosexualität betrifft, handelt. Dies wird noch mal dadurch bestätigt, dass es für homosexuell gleichzeitig auch die meisten alternativen Benennungen gibt, wie gay, bög oder auch genderspezifizierend weiblich appellierend die Adjektivform lesbisk. Die Form gay ist eine Übernahme aus dem Englischen. Sie findet sich in einer Reihe von Texten des Korpus als Teil englischer Zitate, wird häufig in Anführungsstrichen gesetzt und/oder in Opposition zu straight verwendet, welches ebenfalls aus dem Englischen übernommen ist.132 In einem Teil der Belege wird gay in genderspezifizierend männlicher Appellationsintention verwendet, in einem Teil der Fälle genderunspezifizierend, wie beispielsweise in „Sthlm goes gay. Roligaste gay-festen i stan!“ ‚Stockholm wird gay. Das lustigste Gay-Fest der Stadt!‘ aus press 98. Daneben wird gay in Opposition zu lesbiska verwendet oder in Opposition zu bi. In ersterem Fall ist es genderspezifizierend männlich benennend, im letzteren genderunspezifizierend. Die Parallele zu der Doppeldeutigkeit genderspezifizierend männlich appellierender Formen in anderen Bereichen ist offensichtlich.133 In keinem Fall außer in dem benannten der Gegenüberstellung mit straight wird gay in direkter Opposition zu heterosexuell verwendet. Während die Form gay häufig in Aufzählungen vorkommt und hier beigeordnet ist134 oder als Appellation auf Dritte verwendet wird,135 wird die Form lesbisk in den 13 Vorkommen in press 98 entweder attributiv vor kvinna verwendet (4mal), in direktem Zusammenhang mit einem konventionalisiert weiblichen Eigennamen (6mal) oder in Form einer Selbstappellation, die die Form eines Eigenbekenntnisses besitzt136 (zweimal). In einem Fall wird ein Roman als lesbisk bezeichnet. Die Verwendung einer Kategorisierung als lesbisk ist jeweils individualisiert, was für gay nicht in dieser Form zutrifft. In dem einzigen Beleg aus 1976 für die Form lesbisk steht diese der Form homo beigeordnet, die dadurch in dem Beleg genderspezifizierend männlich appellierend verwendet wird.
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132 Vgl. zum Beispiel in „[D]et gjorde ingen skillnad på gay eller straight, man eller kvinna“ aus press 98. 133 Vgl. die Analysen von Kapitel 3. Vgl. auch weiter oben. 134 Vgl. „Gamla, unga, gay, straight, barn och vuxna“ ‚alte, junge, schwule, straigt, Kinder, Erwachsene‘ aus press 98. 135 Im Sinne von „han är gay.“ ‚er ist schwul‘. 136 Vgl. „Jag var öppet lesbisk.“ aus press 98.
542
6. Produktion personaler Appellationsformen
Die Form lesbiska, die sowohl die bestimmte und/oder Pluralform des Adjektivs lesbisk sein kann, wird auch als Substantiv verwendet, so in: „Några kommer att tycka att det är för mycket inslag för bögar och för lite för lesbiska“137 aus press 96. Da sich die Form jeweils in schriftsprachlichen Quellen in substantivischer Verwendung findet, ist zu fragen, ob es sich um eine neues Wortbildungsmuster substantivischer personaler Appellation handelt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die expliziten Oppositionsbildungen, die bei der Benennung von Sexualitäten in den Tageszeitungsartikeln in Form personaler Appellationen geschehen, in der Regel Ausdifferenzierungen verschiedener sexueller Identitäten ‚jenseits‘ von Heterosexualität sind. Heterosexualität stellt jeweils die unbenannte, implizite Ausgangsnorm dar, für die eine explizite Benennung nicht notwendig erscheint. Die Form homosexuell/a kann sowohl genderunspezifizierend wie genderspezifizierend männlich appellieren und steht im letzteren Fall in Opposition zu lesbisk/a und ist die häufigste explizite Gegenüberstellung zu der impliziten oder expliziten heterosexuellen Norm. Als Abweichung von der Norm erfährt sie so die größte Aufmerksamkeit in dem Diskurs der Tageszeitungen, und es ist zu vermuten, dass sie als solche zu einer prototypischen Vorstellung sexueller Abweichung wird, die ihrerseits zu neuen, auch unbenannten und damit umso machtvolleren Ausschlüssen führt. In Aufzählungen verschiedener, von der heterosexuellen Norm abweichender Sexualpraktiken ist die Benennung von Homosexualität in den Tageszeitungen immer jeweils an erster Stelle genannt, die Benennung von Bisexualität, Transsexualität und Transvestismus folgt, wenn überhaupt, erst danach. Hier lässt sich eine interne Hierarchisierung verschiedener, unter Sexualität gefasster Identitäten ablesen, die ihrerseits normierend wirkt. Während Homosexualität zudem lexikalisiert genderspezifizierend benannt sein kann, werden alle anderen Formen lediglich lexikalisiert genderunspezifizierend im Korpus der Tageszeitungen benannt. Die Benennung männlicher Homosexualität erfolgt mit der Form homosexuell/a weitaus häufiger als die Benennung weiblicher Homosexualität. Mit der frequenten Verwendung der Form bög/ar im öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen ist die Selbstappellation von Schwulen in den öffentlichen Diskurs übernommen worden. Die Selbstappellation von Schwulen stimmt in diesem Fall mit der Benennung im öffentlichen Dis-
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137 ‚Einige werden wohl finden, dass das alles zu schwul und zu wenig lesbisch ist.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
543
kurs überein. Bög wird darüber hinaus immer noch in bestimmten Communities als Invektiv benutzt;138 dies ist in den Belegen der 90er Jahre in den Tageszeitungen nicht der Fall, was auf eine öffentliche Norm eines politisch korrekten Sprachgebrauchs in Bezug auf die Benennung von Homosexualität hindeutet. Die von Lesben zur Selbstappellation verwendete Form flata/flator hat hingegen bisher nicht im selben Maße Eingang in den öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen gefunden. Hier findet sich in den 90er Jahren in den Tageszeitungen hingegen eine Verwendung verschiedener Formen, die nur in Ausnahmefällen zur Selbstappellation verwendet werden und in der Regel als positive Selbstappellationen veraltet oder gänzlich ungebräuchlich sind. Auch in Bezug auf die Benennung von Homosexualität ist im heutigen schwedischen konventionalisierten Sprachgebrauch somit eine Genderasymmetrie hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung und gegenderten Normsetzung feststellbar. Sowohl Norrby (1995) als auch Lindfors Viklund (1995) nehmen auf ein- und dieselbe Fragebogenuntersuchung, die Anfang der 90er Jahre durchgeführt wurde und in der Personen nach ihrem aktiven Sprachgebrauch hinsichtlich personaler Appellationen zu Homosexualität und Gender befragt wurden, Bezug. Die am häufigsten gebrauchte Form zur Benennung männlicher Homosexualität ist über die drei untersuchten Altersgruppen hinweg139 bög. Leider wurde in der Untersuchung nicht weiter ausdifferenziert, welche Benennungen positiv oder negativ assoziiert werden von den Befragten, so dass diese Ebene hier unberücksichtigt geblieben ist. Weitere frequente Nennungen für männliche Homosexuelle sind gay, fikus und homo. Bei der Frage der am häufigsten gebrauchten genderspezifizierend weiblichen, personal appellierenden Form, gab es größere Differenzierungen für die Altersgruppen: so haben die beiden jüngeren Altersgruppen Formen aus dem Spektrum lesb- angegeben140, wohingegen
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138 Vgl. Svahn (1999). Hier ist allerdings zu fragen, inwiefern die Benennung mit bög im mündlichen Sprachgebrauch Jugendlicher beispielsweise auf Sexualitätsnormen rekurriert oder ob nicht auch hier, ähnlich wie bei der weiter oben diskutierten Form frilla die Abweichung von der Norm die Hauptkonzeptualisierung ist, die durch diese Form verfestigt wird – und in einem weiteren Schritt auch auf Sexualitätsvorstellungen zurückwirkt. 139 ‚14jährige, Menschen in den 20ern, Menschen in den 40er Jahren.‘ 140 Dazu zählen die Formen lesp, lesb, lesba, lebb, läbb, lespisk, läsp, lespa, lesbo, lesbian, lespian, lebba, läbba, leppa. Da keine der befragten Personen mehrere dieser Formen angegeben hat, geht Norrby (1995: 33 Fußnote 3) davon aus, dass es sich um unterschiedliche Schreibvarianten ein- und derselben Form handelt. Während dies für einzelne zutreffen mag, gilt dies nicht für die Gruppe als Ganzes. So sind die Formen lesbian und lespian sicherlich Schreibvarianten, als Entlehnungen aus dem Englischen jedoch nicht in einer Gruppe mit lebba beispielsweise zu rechnen. Die Darstellung von Norrby (1995) muss an diesem Punkt als verkürzt kritisiert werden.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
die ältere Testgruppe die Form lesbisk angegeben hat. Norrby (1995) sieht flata als eine klar pejorisierende Form durch alle Altersgruppen hinweg an, ohne dass sie diesen Eindruck durch ihre Fragebogenuntersuchung ausreichend untermauern könnte.141 Ihre Voraussage, dass flata als Form in der Zukunft verschwinden wird142, wird widerlegt. Besonderes Gewicht wird auf die Feststellung gelegt, dass in entsprechenden Untersuchungen zwischen Fremd- und Selbstappellation unterschieden werden muss, um zu einer fundierten Einschätzung von Gebrauchskonventionen über verschiedene Communities of practice143 hinweg kommen zu können, was gerade in der Frage der Benennung bestimmter sozialer Gruppen von großer Bedeutung ist.144 Darüber hinaus kommt Norrby zu dem Ergebnis, dass sich größere Überschneidungen bei den Testpersonen in der Frage der genderspezifizierend männlichen sowie genderunspezifizierenden Appellation auf Homosexuelle ergeben. In beiden Kategorien werden die Formen homo, homosexuell und gay genannt, zwei Informanten der jüngsten Gruppe nennen auch bög als genderunspezifizierende Form145, so dass die Konzeptualisierung zwischen der genderunspezifizierenden und der genderspezifizierend männlichen Appellation nicht klar voneinander trennbar erscheint. Dieses Ergebnis stimmt weitgehend mit der Analyse des Tageszeitungsmaterials überein. Norrby (1995) konkludiert auf Grund der quantitativen und qualitativen Auswertung ihrer Daten, dass männliche Homosexualität eine höhere öffentliche Wahrnehmung als weibliche zu besitzen scheint, was sich in einem höheren Grad an Lexikalisierung derselben niederschlägt. „The paucity of words denoting female homosexuals has to do with the lesser visibility of lesibans: like for women in general, their public presence has been – and still is – more restricted compared to men’s.“ (Norrby 1995: 38) Darüber hinaus gehört Homosexualität nach Norrby (1995) noch immer zu den tabuisierten gesellschaftlichen Themen in Schweden. Dieses Ergebnis ist in der vorliegenden Arbeit dahingehend relativiert worden, dass Homosexualität als ‚legitime‘ und öffentliche Abweichung zur Heterosexualität fungiert, wodurch weitere Ausschlüsse unsichtbar gemacht werden.
____________ 141 142 143 144
Vgl. Norrby (1995: 33f). Vgl. Norrby (1995: 35). Vgl. Eckert und McConnell-Ginet (1992). Vgl. Hornscheidt (2006b) für exemplarische Analysen, die die Relevanz dieser Trennung aufzeigen. 145 Vgl. Norrby (1995: 33 Fußnote 1).
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
545
Die in dem Satz „Bastuklubbar är för bögar vad kaféer är för orientaliska invandrare.“146 zum Ausdruck kommende Konzeptualisierung wird hier als symptomatisch für das Vorkommen der Benennung von verschiedenen sexuellen Identitäten angesehen: durch die Parallelisierung von bögar und orientaliska invandrare ‚orientalische EinwandererInnen‘ wird eine Konzeptualisierung des Exotischen auf männliche Homosexuelle übertragen. Der Vergleich basiert auf der Annahme der für beide Gruppen angenommenen Andersheit gegenüber der unbenannten schwedischen Normalität. Eine gleichrangige Beiordnung würde ein Vergleich sein, indem bögar mit heterosexuella män gegenübergestellt würden in ihren als stereotyp angenommenen Vorlieben. Darüber hinaus aber werden die orientaliska invandrare gleichzeitig als männlich konzeptualisiert und eine grundlegende Wahrnehmung männlicher Existenz als Normalität im Rahmen der hier charakterisierten Abweichung wird auf diese Weise gleichzeitig wieder hergestellt und weiter verfestigt. Im Tageszeitungskorpus von Språkbanken findet sich nur eine einzige Kompositaform mit flata als zweitem Glied (grabbflata ‚Kerl-Lesbe‘) sowie eine mit der Pluralform flator als zweitem Glied (brutalflator ‚Brutalolesben‘) gegenüber insgesamt zehn Ableitungen mit bög/ar als zweitem Glied, die sämtlich genderspezifizierend männlich appellieren (porslinsbög ‚Porzellanschwuler‘, discobög, superbög, kongsbög, riksbög ‚Reichsschwuler‘, skinheadbögar, golbögar, skriftställarbögar ‚Schriftstellerschwule‘, läderbögar ‚Lederschwule‘, Stockholmsbögar). Dies deutet darauf hin, dass die Form bög zur personalen Appellation stärker konventionalisiert ist und eine höhere Konventionalisierung besitzt. Zusätzlich dazu ist die Form grabbflata sowohl in Anführungsstrichen geschrieben und mit einem Fragezeichen versehen, was eine Unsicherheit in der entsprechenden Benennung und/oder eine Distanzierung der schreibenden Person zum Ausdruck bringt. Die Form selbst stellt die Abweichung von der normierten Heterosexualität durch die Verknüpfung der lexikalisierten genderspezifizierten weiblichen Appellation im zweiten Glied mit einer lexikalisierten genderspezifizierenden männlichen Appellation im ersten Glied her, wodurch die enge Verknüpfung einer als abweichend hergestellten Sexualität mit einer ebensolchen Genderidentität lexikalisiert umgesetzt wird. Die These, dass Männlichkeit in der schwedischen Öffentlichkeit als Normalfall des Allgemeinmenschlichen etabliert ist, kann um zwei Aspekte ergänzt werden: Männlichkeit ist gleichzeitig prototypisch heterosexuell
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146 Vgl. Dagens Nyheter 13.6.1998 Teil B, S. 2 „Svenskarna behöver gaykulturen“. ‚Saunaklubs sind für Schwule was Cafés für orientalische EinwandererInnen sind.‘
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6. Produktion personaler Appellationsformen
konzeptualisiert und steht als solche vor allem im expliziten wie impliziten Gegensatz zu Homosexualität, die zur protoypischen sexuellen Abweichung wird, die ihrerseits auch wiederum prototypisch männlich konzeptualisiert ist. Die abweichende Sexualität wird zugleich über eine Abweichung genderstereotyper Vorstellungen konzeptualisiert, was die hohe Anzahl von Appellationsformen und Komposita zeigt, die Homosexualität durch eine oppositionelle Genderidentität in Bezug auf die gleichzeitig hergestellte natürliche Genderidentität im öffentlichen Diskurs der Tageszeitungen benennt. Dass es große Unterschiede in den appellativen Praktiken gibt, differenziert man unterschiedliche Communities of Practice bzw. bezieht Selbstappellationen stärker in die Analyse mit ein, zeigt sich, wenn man die Ergebnisse der Analyse der Tageszeitungen mit einer Analyse von Quellen vergleicht, in denen homosexuelle Frauen sich selbst präsentieren. In einer Analyse der in der lesbisch-identifizierten Internet-Zeitung Corky147 zu findenden Appellationsformen wird deutlich, dass die Pluralform flator zur Appellation auf Lesben die am häufigsten verwendete Form und die gebräuchlichste Appellationsform zur kollektiven Benennung in diesem Kontext ist. Die einzige, alternativ damit verwendete Appellationsform ist die Form lesbiska als substantivische Form, die jedoch in den Artikeln und Ankündigungen auf der Internetseite sehr viel seltener verzeichnet ist. Neben der Pluralform flator ist auch die Singularform flata belegt, die in dem Korpus der schwedischen Tageszeitungen nicht vorhanden ist. Die Appellationsformen flator und lesbiska scheinen in ihrer appellativen Intention weitgehend überein zu stimmen. So werden beide Artikel in Beiordnung zu bögar und in Aufzählungen wie in flata, trannie ‚transidentische Person‘, kvinna verwendet.148 Wenn es eine relative Differenzierung in der Verwendung zwischen flator und lesbiska gibt, so können höchstens unterschiedliche Stilebenen angenommen werden, wobei flator tendentiell eher informeller und lesbiska formeller im Gebrauch wäre, sowie eine gewisse Altersdifferenzierung, in der flator eher jüngere und lesbiska tendentiell eher ältere Lesben bezeichnet. Dies ist jedoch nicht durchgängig zu beobachten und stellt lediglich Tendenzen dar. Die Form flator ist zusätzlich produktives zweites Glied von spontan gebildeten Komposita, wie beispielsweise sportflator ‚Sportlesben‘. Weitere, ausdifferenzierende Benennungen für lesbische Frauen, die im Kontext dieser Zeitschrift zu finden sind, sind
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147 http://www.corky.nu vom 2.1.2002. 148 http://www.corky.nu/artikel.php?artikelid=490 vom 12.2.2003.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
547
läderbrudar ‚Lederbräute‘, TS killar ‚Transsexuelle Typen‘, golden ladies, blatteflickor ‚Teemädchen‘. In diesen Komposita kommen unterschiedliche Lebensalter, sexuelle Identitäten und sexuelle und Kleidungspräferenzen zum Ausdruck. Verschiedene der Formen, die im Korpus der schwedischen Tageszeitungen zur Appellation auf Lesben zu finden sind, kommen in den Artikeln der lesbischen Internetseite überhaupt nicht vor und werden entsprechend als konventionalisierte Fremdbenennung klassifiziert. Die auf der Internetseite frequenteste und in Bezug auf KompositaNeubildungen produktivste Form ist flator im Plural bzw. flata im Singular. In einem Interviewartikel wird der Gebrauch der Form flata zur Selbstappellation weitergehend kommentiert, so dass es sich hier um einen sprachreflexiven Beleg handelt, der die besondere Position der Appellationsform unterstreicht: „Jag tycker att säga „JAG ÄR FLATA“, har en politisk sprängkraft i vissa rum, men i vissa rum har det inte det längre. Det handlar om att fylla orden med sin egen betydelse. När man pratar om det här är det lätt att det blir väldigt individcentrerat.“149 Indirekt wird darauf Bezug genommen, dass die Benennung mit flata im Kontext überregionaler Tageszeitungen noch nicht konventionalisiert ist, sondern in bestimmten Diskursen weiterhin eine politische Dimension besitzen kann, die dem Begriff in anderen Kontexten nicht in allen Fällen mehr zu eigen ist. Der Kommentar weist zugleich auf die momentan stattfindende Gebrauchsveränderung und kontextuelle Ausweitung des Begriffs flata hin. In der fiktiven direkten Rede in dem Roman von Lodalen (2003) ist flata die häufigste Appellationsform für lesbische Frauen und produktives zweites Glied zahlreicher weiterer genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen: flatdjävlar ‚Lesbenteufel‘, fylleflata ‚volle Lesben: besoffene Lesbe‘, kvinnohusflata ‚Frauenhauslesbe‘, bulldogflata ‚Bulldoglesbe‘, fattigflata ‚arme Lesbe‘, feministflata ‚feministische Lesbe‘, riksflata ‚Reichslesbe‘, butchflata ‚Butchlesbe‘, helylleflata ‚Vollwollelesbe‘, flatbralla ‚Lesbenbraut‘. Mit diesen Formen wird zwischen politischen Gesinnungen, Öffentlichkeitsgrad und anderen Eigenschaften ausdifferenziert. Auch in dem Roman findet sich eine sprachreflexive Einschätzung entsprechender Appellationspraktiken: „En del flator gillar inte ordet „flata“ och ännu mindre ordet „lesbisk“. Så när en person frågar om deras sexuella identitet svarar de inte „jag är
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149 ‚Ich finde zu sagen ICH BIN LESBE hat eine polistische Sprengkraft i bestimmten Räumen, aber in anderen hat es dies nicht länger. Es handelt sich darum die Wörter mit der eigenen Bedeutung zu versehen. Wenn man darüber spricht, kann es leicht sein, dass es individuumsfixiert wird.‘ http://www.corky.nu/artikel.php?artikelid=735 vom 23.5.2003.
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lesbisk“ utan istället „jag gillar kvinnor.““150 (Lodalen 2003: 132f.) Neben Bildungen auf flata finden sich in Lodalen (2003) eine Reihe weiterer personal appellierender Formen auf lesbische Frauen: flickvänner ‚Freundinnen‘, dramaqueengirlfriend, brud/ar ‚Braut/Bräute‘, dramadrake ‚Dramadrachen‘, tjej ‚Mädchen/Girl‘, lesbiska, systrar ‚Schwestern‘, lesbianen/lesbianer, megabutch, superfemme. Es zeigt sich, dass die nicht vorhandene Benennung weiblicher Homosexualität in dem öffentlichen Sprachgebrauch der Mainstream-Medien nicht mit der Ausdifferenzierung der Selbstappellationspraktiken übereinstimmt. Weitere, erst Ende der 90er Jahre im schriftsprachlichen Diskurs zu findende Formen zur Benennung von sexuellen und gegenderten Identitäten jenseits von Heterosexualität, sind die Appellationsformen dragking und dragqueen. Sie sind identisch aus dem Englischen übernommen. Während dragqueen für 1997 (ein Beleg) und 1998 (vier Belege), wenn auch sehr selten, im Korpus der Tageszeitungen nachgewiesen ist, findet sich die Form dragking im Tageszeitungskorpus von Språkbanken für diesen Untersuchungszeitraum nicht. Dies deutet darauf hin, dass letztere später im schwedischen Kontext eingeführt worden ist und entspricht der allgemeinen, in dieser Analyse festgestellten Tendenz, dass die Benennung männlicher Identitäten in ihren Abweichungen von Heteronormativität durch personale Appellationsformen eher als die weiblicher Identitäten, die von der Heteronormativität abweichen, expliziert wird. Die Vorkommen von dragqueen in den Tageszeitungen von 1997 und 1998 werden in den jeweiligen Artikeln jeweils durch die Form transvestit wieder aufgenommen oder mit dieser gleichgesetzt, mit homosexuell charakterisiert oder thematisieren jeweils einen künstlerischen Kontext, in dem dragqueen durch (dragshow)artist ‚(Dragshow)KünstlerIn‘ wiederaufgenommen wird. Die Appellation auf dragqueen wird in den schwedischen Tageszeitungen jeweils in Kontexten vorgenommen, in denen die Konzeptualisierung einer entsprechenden Identität als eine Rolle wahrgenommen wird, die im Kontext von Theateraufführungen angenommen wird. Dragqueens werden in einem bestimmten öffentlichen Raum verortet, der klar abtrennbar von anderen öffentlichen Räumen einer entsprechenden Identität und Existenz seine Bedrohung nehmen kann. Es wird so eine potentielle Distanz zur Alltagswirklichkeit der Zeitungslesenden hergestellt. Eine Parallele zu einem
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150 ‚Eine Gruppe von Lesben mag das Wort flata nicht und noch weniger das Wort lesbisch. D.h. wenn eine Person sie nach ihrer sexuellen Identität fragt, antworten sie nicht „ich bin lesbisch“, sondern „ich mag Frauen“.‘
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
549
weiter oben analysierten Umgang mit den Formen transsexuell und transvestit wird deutlich. Im Jahr 2002 finden sich in den Internetausgaben von sowohl Svenska Dagbladet151 als auch Dagens Nyheter152 jeweils Artikel, in denen die personale Appellationsform dragking vorkommt. Auf der Grundlage des Tageszeitungsmaterials kann konstatiert werden, dass sich die Form damit mindestens fünf Jahre später im schriftsprachlichen, öffentlichen schwedischen Diskurs als die Form dragqueen etabliert. Charakteristisch für die Neueinführung der Form zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es, dass sie in verschiedenen Schreibweisen auch innerhalb ein- und desselben Artikels vorkommt, was als Indiz für die Neubildung dieser Form im Schwedischen gewertet wird. So finden sich die Formen dragking/s, drag king/s und drag kungen ‚der Drag König‘. Auffallend in den beiden zuletzt zitierten Artikeln ist es, dass in beiden die Formen henne/honom ‚ihr/ihn‘ bzw. hon/han ‚sie/er‘ zur Appellation einer einzelnen spezifischen, zuvor als dragking appellierten Person zu finden sind. Es handelt sich um eine kreative Strategie mit der Infragestellung einer eindeutigen gegenderten Identität auch sprachlich umzugehen. Auch in der Definition, die in dem einen Artikel für dragking angeboten wird, wird sich zwar tentativ auf die Annahme eines zu Grunde liegenden ‚Ausgangs‘genders bezogen, dieses aber gleichzeitig dadurch in Frage gestellt, dass es lediglich in Klammern, zur Spezifizierung von person angeführt wird: „[...] är en drag king en person (kvinna) som leker med maskulina eller en blandning av manliga och kvinnliga uttryck och ikläder sig en maskulin roll.“153 Wäre eine Eindeutigkeit erwünscht gewesen, so hätte die Form person weggelassen und ausschließlich kvinna in der Definition benutzt werden können. Dies ist hier jedoch vermieden worden. Die Form für den unbestimmten Plural, dragkings, entspricht der englischen Pluralbildung. Die bestimmte Form Plural wird aus dieser abgeleitet als dragkingsen gebildet. Identisch sieht die Bildung zu dragqueen im Plural im heutigen Schwedisch aus. Eine Kurzform, mit der dragkings und dragqueens zusammen benannt werden, ist drag/sen. Eine Kurzform zu dragkingsen ist kingsen.154 Daneben ist auch ein daraus abgeleitetes Verb att draga zu
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151 Vgl. z.B. http://www.svd.se/dynamiskt/kultur/did_2451927.asp vom 7.3.2002. 152 Vgl. z.B. http://www.dn.se/DNet/jsp/polopoly.jsp?d=1058&a=49481 vom 7.3.2003. 153 ‚[...] ist ein Dragking eine Person (eine Frau), die mit maskulinen oder einer Mischung von männlichem und weiblichem Ausdruck spielt und sich mit einer maskulinen Rolle bekleidet.‘ http://www.svd.se/dynamiskt/kultur/did_2451927.asp vom 7.3.2002. 154 Vgl. http://www.minou.nu/minou_1/f_dragkingdom.htm vom 7.3.2003, wo die hier benannten Formen alle vorkommen.
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finden.155 Im Unterschied zu der Darstellung von dragqueens in den schwedischen Tageszeitungen wird auf den Internetseiten dieser Tageszeitungen in den neueren Ausgaben der Jahre 2001 und 2002 die Form dragking in Kontexten benutzt, die zumindest nicht ausschließlich auf die temporäre Übernahme einer bestimmten Rolle zum Zwecke eines Auftritts schließen lassen. In dem Zeitraum vom 1.1.2000 bis 10.9.2003 sind in Presstext 29 Vorkommen von dragqueen verzeichnet. Auch in ihnen geht es jeweils um das Einnehmen einer Rolle. So wird in mehreren Artikeln beispielsweise ausführlich geschildert, welche Kleidungs- und Schminkpraktiken vollzogen werden müssen, um temporär als dragqueen auftreten zu können.156 Neben den Formen transsexuella und bisexuella in den schwedischen Tageszeitungen finden sich auf den Internetseiten lesbischer-schwuler Organisationen und Zeitschriften auch die Kurzformen trannie/s, transar und bin. Während trannies einem englischen Wortbildungsmuster für Pluralbildung nachempfunden wurde, wird in der Pluralform bin ein schwedisches Wortbildungsmuster angewendet. Ein Unterschied in der Frage der Konzeptualisierung von Lesben und Schwulen im Schwedischen lässt sich auch durch einen Vergleich von Wortbildungsmustern feststellen. In dem nachfolgenden Abschnitt wird untersucht, inwiefern die Formen bög, gay, lesbis und flat als Teile von Komposita verwendet werden und welche unterschiedlichen Konzeptualisierungen mit den jeweiligen Gruppen von Komposita ausdifferenziert werden können. Insgesamt finden sich neun verschiedene personal appellierende Bildungen mit bög als erstem Bestandteil im Korpus der schwedischen Tageszeitungen in Språkbanken (bögdjävel ‚Schwulenteufel‘, böggrupp ‚Schwulengruppe‘, bögjävel ‚Schwulenteufel‘, bögkompis ‚Schwulenkumpel‘, bögmorsa, bögpar ‚Schwulenpaar‘, bögrulle ‚Schwulenrolle‘, bögvåp ‚Schwuleneinfaltspinsel‘, bögälskare ‚Schwulenlieberhaber‘). Bögdjävel und bögjävel sind dabei Schreibvarianten derselben pejorisierenden Form und die am häufigsten verzeichneten personal appellierenden Komposita mit bög als erstem Glied. Es finden sich zwei Kollektivbenennungen in dieser Gruppe, wovon die eine auf ein sexuelles Paarverhältnis bezogen ist (bögpar). Eine konventionalisiert pejorisierende, genderspezifizierend weibliche Appellationsform ist bögmorsa ‚Schwulenmutter‘, bei der die Pejorisierung bezogen
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155 Vgl. http://www.corky.nu/artikel.php?artikelid=526 vom 7.3.2003. 156 Vgl. Expressen 1.8.2003: 20: „Kolla, killen blir en tjej. Stor guide – så blir du en dragqueen.“ Oder Expressen 26.7.2002: 8: „Dragqueen – så gör du“.
6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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auf die Mutterrolle durch die Verknüpfung dieser mit einem potentiell homosexuellen Nachwuchs und in einer umgangssprachlichen Anredeform hergestellt wird. Eine noch größere Anzahl personal appellierender Substantive finden sich mit gay als erstem Glied (elf verschiedene Lexikalisierungen), die jeweils nur einmalig im Korpus verzeichnet sind, so dass es sich vor allem um Ad-Hoc-Bildungen handeln dürfte. Mit ihnen werden in der Regel Kollektivbenennungen vorgenommen (gaybefolkning ‚schwule Bevölkerung‘, gayikoner ‚Schwulenikonen‘, gaykretsar ‚Schwulenkreise‘, gaykör ‚Schwulenchor‘, gaymän ‚schwule Männer‘, gaypar ‚Schwulenpaar‘, gaypolis ‚Schwulenpolizei/polizist‘).157 Alle Bildungen mit gay sind genderspezifizierend männlich appellierend und zudem konventionalisiert nicht pejorisierend, was sie von den Bildungen mit bög unterscheidet. Dies kann als ein wichtiger Unterschied in der Konzeptualisierung durch bög und gay, die an den Wortbildungsformen personaler Appellation mit bög und gay als erstem Glied deutlich wird, festgehalten werden. Mit flat und lesb als erstem Glied finden sich keine personal appellierenden Bildungen, so dass ein starkes genderspezifizierendes Ungleichgewicht in der Darstellung von Homosexualität in den Tageszeitungen zu bemerken ist. Auf homo sind drei personal appellierende Bildungen verzeichnet (homosexpar ‚Homopaar‘, homosexäktenskap ‚Homoehe‘, homosexforskare ‚HomoforscherIn‘), von denen zwei auf eine Paarbeziehung appellieren und in einer Homosexualität als Forschungsobjekt benannt ist und keine direkte Aussage über die angenommene sexuelle Identität der appellierten Person gemacht wird. Auch mit hetero als erstem Glied finden sich drei Bildungen, die alle drei kollektiv appellierende Pluralformen sind (heterokillar ‚Heterotypen‘, heteropar ‚Heteropaar‘, heterotanter ‚Heterotanten‘) und von denen nur heteropar potentiell genderunspezifizierend benutzt werden kann. In der Form heterotanter wird die Appellation durch eine konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Verwandtschaftsform als zweites Glied hergestellt, die zugleich aber auch für Schwule benutzt werden kann.158 In den kollektiv benennenden Komposita heterokillar und heterotjejer ‚Heterogirls‘ wird die den personalen Appellationen killar und tjejer im konventionalisierten Diskurs zu Grunde liegende Konzeptualisierung die-
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157 Daneben sind die singulären Appellationsformen gayaktivist, gayfixare, gaydiskodansare und gayidol jeweils einmalig im Korpus der Tageszeitungen verzeichnet. 158 Die enge Verbindung der Konzeptualisierung von Sexualität und Gender lässt sich auch aus der fiktiven Gegenüberstellung dieser Form mit homotanter sehen: Diese würde mit dem konventionalisiert genderspezifizierend weiblichen zweiten Glied genderspezifizierend männlich appellieren.
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ser im Rahmen von Heteronormativität durch die Explizitmachung dieser Konventionalisierung begegnet. Auch diese Formen sind im Kontext von Publikationen mit homosexueller Zielgruppe sehr viel frequenter als in dem Korpus der Tageszeitungen. Auf der Internetseite Corky, die sich an ein lesbisches Zielpublikum wendet, kommt das Kompositum flatkultur/en ‚(die) Lesbenkultur‘ mehrfach in verschiedenen Artikeln vor und dient hier implizit einer Opposition zur heterokultur ‚Heterokultur‘. Über diese Ergebnisse hinaus soll hier noch ein weiteres Charakteristikum der Kompositabildung von bög analysiert werden. Komposita mit bög in Språkbanken, aber auch in Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet deuten darauf hin, dass sich eine Grammatikalisierung von bög abzeichnet, in der die Form als zweiter Teil in Komposita benutzt wird, um ‚eine Person mit einer bestimmten Neigung, die skeptisch bzw. negativ zu beurteilen ist‘ zum Ausdruck zu bringen. Die im heteronormativen Kontext vor allem der Jugendsprache verbreitete Verwendung der Form bög als pejorisierender Ausdruck159 beinhaltet eine Konzeptualisierung als (sexuelle) Neigung, die skeptisch und/oder negativ zu beurteilen ist innerhalb einer bestimmten Gruppennormerwartung. Die Appellationsform hat sich so im Jugendslang zur abwertenden Benennung von anderen, zumeist männlichen, Jugendlichen, die so aus der Ingroup ausgeschlossen werden (sollen) und die eigene Zugehörigkeit bzw. den Wunsch der Zugehörigkeit derjenigen, die die Form benutzen, zum Ausdruck bringt, etabliert. Ihre frequente Verwendung kann dazu führen, dass die mit dem Gebrauch der Form verbundene Konzeptualisierung von ‚negativ zu bewertende Neigung‘ sich insofern verselbstständigt hat, dass sie nun auch auf andere als sexuelle ‚Neigungen‘ übertragen wird. Der gleichzeitige Gebrauch der Form zur Benennung von Homosexualität in Selbst- und Fremdappellation – und im ersten Fall mit positiver Konzeptualisierung – zeigt das momentane Nebeneinander verschiedener Verwendungen und intendierter Bedeutungen der Form in unterschiedlichen Diskursen. Weitergehende Konsequenzen ihrer potentiellen gegenseitigen Beeinflussung bleiben abzuwarten. Ein potentielle Möglichkeit ist die Grammatikalisierung von bög zur Kennzeichnung bei Adjektiven als Ausdruck von ‚eine bestimmte, negativ bewertete Neigung‘ haben. Insgesamt lässt sich für den hier analysierten Bereich feststellen, dass in der Benennung von sexueller Identität im Zusammenhang mit personaler Appellation im Sprachgebrauch von Tageszeitungen überhaupt erst seit
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6.4 Genderspezifizierend lexikalisierte substantivische Appellationsformen
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den 90er Jahren in nennenswertem Umfang auf Sexualität als Faktor personaler Identität jenseits einer unbenannten, aber kontinuierlich reproduzierten heterosexuellen Norm eingegangen wird. Heterosexualität fungiert als die unbenannte und sich kontinuierlich verstärkende Norm, zu der zunächst vor allem Homosexualität als abweichender und ebenfalls normierter Gegenpol benannt wird. Die nicht grundsätzlich genderspezifizierend benennenden Appellationsformen zur Homosexualität weisen eine männliche Stereotypisierung auf, was sich sowohl in ihrem Gebrauch in Nominalphrasen zeigt, handelt es sich beispielsweise um Adjektive, wie auch in ihrer Verwendung als genderunspezifizierende Oberbegriffe wie in Opposition zu genderspezifizierend weiblichen Benennungen, in denen sie dann genderspezifizierend männlich appellierend wirken. Es ist ein bereits bekanntes Muster appellativer Praktiken des Schwedischen in Bezug auf Gender an dieser Stelle wieder zu finden. Sexualität spielt, wie in Kapitel 3 ausführlich thematisiert wurde, auch in Bezug auf die konventionalisiert pejorisierende genderspezifizierende Appellation eine Rolle. Das Substantiv fitta muss dabei im Kontext dieses Kapitels noch mal gesondert Erwähnung finden, da es zu einem produktiven Muster der Bildung einer adjektivischen Eigenschaftsbenennung geworden ist,160 darüber hinaus aber auch als zweiter Teil jeweils pejorisierend appellierender substantivischer Formen belegt ist. In Språkbanken finden sich im Korpus der Tageszeitungen folgende Bildungen, jeweils nur einmal verzeichnet und in der Regel als Teil zitierter Rede oder zur Distanzierung in Anführungsstrichen wiedergegeben, die alle in den jeweiligen Kontexten pejorisierend gebraucht werden: våtfitta ‚Nassfotze‘, nazistfitta ‚Nazistfotze‘, bitterfitta ‚Bitterfotze‘, författarfitta ‚SchriftstellerInfotze‘. Zahlreiche Komposita auf fitta haben nach Svahn (1999) keinen direkten Bezug mehr zum Sexualorgan,161 was auch für die in Språkbanken verzeichneten Formen zutrifft. Die Konzeptualisierung einer Pejorisierung ist der Teil, der als Wortbildungsmuster produktiv zu sein scheint und seine frühere sexualisierte Konzeptualisierung in diesen Bildungen weitgehend verloren zu haben scheint. Nicht nur in Bezug auf die Form bög, sondern auch bei fitta kann damit eine Veränderung der mit den Formen verbundenen Konzeptualisierungen, werden sie als Teil anderer Lexeme verwendet, beobachtet werden. Beide Appellationsformen dienten zunächst der pejorisierenden Benennung anderer Personen über als abweichend von der Norm hergestellte Sexualität, bevor sie ausgehend von dieser Konzep-
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160 Vgl. Svahn (1999: 119), fitta > Adj. fittig = mesig ‘furchtsam, zaghaft, Memme‘. 161 Svahn (1999) führt die Formen surfitta, pissfitta, stinkfitta an.
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tualisierung produktiver Wortbildungsteil geworden sind, in dem vor allem die Konzeptualisierung einer Pejorisierung erhalten geblieben ist. 6.4.4 Zusammenfassung Zusammenfassend können für die Analyse des Vorkommens lexikalisiert genderspezifizierender substantivischer personaler Appellationsformen im Diskurs schwedischer Tageszeitungen die folgenden wichtigsten übergreifenden Beobachtungen und Tendenzen festgehalten werden:162 x Es erfolgt eine lexikalisierte, genderspezifizierende Differenzierung nach Status, Alter und Sexualität, wobei die zu Grunde liegende Norm heterosexuell ist und nur Abweichungen von dieser lexikalisiert personal appellierend benannt werden. x Während eine Statusdifferenzierung relativ veraltet wirkt und sich nur noch in gendersegregierten Bereichen in Komposita in größerem Umfang findet, ist in genderspezifizierend weiblicher Konzeptualisierung eine Normsetzung von Jugendlichkeit zu beobachten, die über die Form tjej sprachlich realisiert wird. Hier ist eine Differenz zur genderspezifizierend männlichen Normvorstellung festzustellen, die nicht in gleichem Ausmaß zunehmend mit einer Norm von Jugendlichkeit konzeptualisiert wird. x Die Formen kvinna und tjej dienen der konventionalisierten genderspezifizierenden Appellation in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Während kvinna vor allem in Bereichen verwendet werden, in denen eine naturalisierende Weiblichkeitsvorstellung aufgerufen wird, sowie in den Bereichen, die mit statushohen, öffentlichen und bezahlten Tätigkeiten verknüpft sind, sofern diese genderspezifizierend lexikalisiert sind, wird die Form tjej für die Appellation in Bereichen verwendet, die in öffentlicher Wahrnehmung sozial stark gendersegregiert sind. In Bezug auf politische Aktivität signalisiert die Form kvinna offenbar eine ältere Generation, so dass die Form tjej zur Selbstappellation auch als eine Reaktion auf ein anderes Selbst- und Politikverständnis gelesen werden kann. x Die Form man übernimmt zunehmend konventionalisiert Bereiche personaler Appellation, die als genderunspezifizierend angesehen wer-
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162 Für detaillierte Ergebniszusammenfassungen ist auf die jeweiligen Abschnitte innerhalb des Unterkapitels zu verweisen. Die Komplexität der Ergebnisse kann nicht zusammenfassend adäquat dargestellt werden.
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den, wobei eine Tendenz zu einer männlichen Normsetzung als allgemeinmenschlicher Normalfall festgestellt werden kann, der der öffentlich und auch von linguistischer und sprachpflegerischer Seite propagierten Auffassung der Genderneutralität der entsprechenden Benennungen zuwider läuft. Auf diese Weise wird die genderspezifizierend weibliche Appellation zugleich zur Genderappellation und zur Abweichung vom Allgemeinmenschlichen. Die Form dam, die noch in den 70er Jahren zur Statusbezeichnung diente und zunehmend als Höflichkeitsform in direkter Anrede benutzt wurde, wird heute vor allem euphemistisch benutzt und beginnt so indirekt pejorisierend zu wirken. Höflichkeit wird genderspezifizierend weiblich heute weniger über eine ‚positive‘ höhere Statusunterstellung als vielmehr über die Unterstellung von Jugendlichkeit zum Ausdruck gebracht. Die prototypische Vorstellung von Weiblichkeit verändert sich an diesem Punkt. Eine klare Grenzziehung zwischen der Benennung durch die Formen kvinna und man und durch Verwandtschaftsbezeichnungen ist nicht zu leisten, es zeigen sich Übergänge in beiden Richtungen, die ebenfalls auf die Naturalisierung einer Genderkonzeptualisierung in beiden Richtungen hindeuten. Die vertikalen aufsteigenden Verwandtschaftsverhältnisse ersten Grades stellen so grundlegende Konzeptualisierungen zwischenmenschlicher Beziehungen dar, dass sie als Metapherngeber in zahlreichen Bereichen Anwendung finden, wobei auch hier genderspezifizierende Unterschiede feststellbar sind, die ihrerseits Aufschlüsse über die Konzeptualisierung von beispielsweise Mutter- und Vaterrollen möglich machen. Die hauptsächlich in personalen Appellationsformen lexikalisiert benannte, sexuelle Abweichung von der heterosexuellen Norm ist Homosexualität, die ihrerseits wiederum männlich prototypisiert ist und eine normierte Abweichung von der heterosexuellen Normalvorstellungen darstellt. Die Konventionalisierung der sexuellen Abweichung als Homosexualität führt zu potentiell weiteren Ausschlüssen. Ein häufiges lexikalisiertes Mittel zur konventionalisierten Appellation auf Homosexualität geschieht über einen Bruch mit heteronormativen stereotypen Gendererwartungen, was die enge Verknüpfung von Gender und Sexualität in ihrer gegenseitigen Konzeptualisierung zeigt. Es lassen sich Tendenzen für Wortbildungsmuster feststellen, die durch zukünftige Analysen hinsichtlich ihrer weitergehenden Konventionalisierung zu überprüfen wären. Dazu zählt die Verwendung der
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Form dam als zweites Glied von genderspezifizierend weiblich appellierenden Komposita als eine euphemistische Benennung einer abwertenden Charakterisierung sowie die Form bög als zweites Glied von Komposita zum Anzeigen einer als negativ bewertetenen Neigung und fitta als zweites Glied in Komposita zum Anzeigen einer pejorisierenden personalen Appellation. Sowohl die Konzeptualisierungen über Status bzw. über Höflichkeit der konventionalisierten Appellationspraxis als auch über Sexualität scheinen insbesondere in den Wortbildungen, in denen die Appellationsformen produktiv benutzt werden, nicht mehr vorhanden zu sein, sondern lediglich die mit dem jeweiligen Status oder der Sexualität verbundene Bewertung, die so weiterhin zum Ausdruck kommt. Es handelt sich um eine Form der Grammatikalisierung von personal appellierenden Konzeptualisierungen, in denen eine Bewertung grammatikalisiert ausgedrückt wird.
6.5 Konventionalisiert genderspezifizierend grammatikalisierte substantivische Appellationsformen durch Suffigierungen Bevor einzelne Gruppen von suffigierten genderspezifizierenden Appellationsformen analysiert werden, wird zunächst ein Überblick über Tendenzen, die den Gebrauch dieser Formen insgesamt betreffen, gegeben und die bisherigen Forschungen zu dieser Frage diskutiert. Himanen (1990) stellt für die Korpora von 1965 und 1976 fest, dass bei der Appellation auf eine konkrete, weiblich wahrgenommene Person, stehen sowohl genderspezifizierend weiblich appellierende wie Formen, die genderunspezifizierend wie genderspezifizierend männlich gebraucht werden zur Verfügung, in der Regel die genderspezifizierend weiblichen Formen verwendet werden. Sie hat dies an den Formen författarinna/författare ‚Verfasser/in‘, konstnärinna/konstnär ‚Künstler/in‘, lärarinna/lärare ‚Lehrer/in‘, studentska/student ‚Student/in‘ und vänninna/vän ‚Freund/in‘ untersucht. Darüber hinaus hat sie in dieser Teiluntersuchung ein Ungleichgewicht in der Berichterstattung über Frauen und Männer feststellen können. „De neutrala orden är också med syftning på kvinnor få i jämförelse med hur ofta de används om män. I P76 [press 76. Anm. d. Autorin] används t.ex. författare 47 gånger icke-specificerande, 171 gånger med syftning på män, 7 gånger med
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 557
uttrycklig syftning på män och kvinnor mot 12 gånger med syftning på kvinnor.“163 (Himanen 1990: 47)
Diese Tendenz bestätigt sich an mehreren Stellen ihrer Untersuchung.164 Wenn auch der Gebrauch der von ihr untersuchten genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen insgesamt stark zurückgegangen ist in den 90er Jahren,165 so lässt sich trotzdem feststellen, dass, wenn die genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen angewendet werden, dies am häufigsten im Kontext einer konkreten Benennung einer Person geschieht – oder in explizit feministischen Kontexten zu finden ist, wie in Hornscheidt (2006b) ausführlicher thematisiert wird. Holmberg (1995) hat die Untersuchungen von Hiimanen (1990) um eigene ergänzt, in denen er einen Tageszeitungskorpus von 1987 hinzugezogen hat. In Bezug auf die Feststellung Himanens, dass die Formen sjuksköterska ‚KrankenpflegerIn‘, författarinna, skådespelerska ‚Schauspielerin‘ und sångerska ‚Sängerin‘ die am häufigsten zu findenden, genderspezifizierend weiblich appellierenden, suffigierten Formen sind, kann er dies auch für das Korpus von 1987 bestätigen, so dass sich keine Veränderung innerhalb des Untersuchungszeitraums zwischen 1965 und 1987 feststellen lässt. Lorentzon (2002) legt eine Nachfolgeuntersuchung zu Teilen von Himanens Untersuchung vor, in der vor allem die Formen lärarinna ‚Lehrerin‘, hjältinna ‚Heldin‘, aktris ‚Schauspielerin‘, sjuksköterska ‚KrankenpflegerIn‘ und gudinna ‚Göttin‘ in einem Vergleich von press 65 bis press 98 diskutiert werden.166 Als allgemeine Tendenz stellt Lorentzon (2002) fest, dass die bei ihm so genannten weiblichen Suffixe zwischen 1965 und 1998 deutlich in ihrer Häufigkeit abnehmen. Die Abnahme der gesamten Frequenz ist jedoch nicht einheitlich über verschiedene Formen hinweg, sondern es können größere Unterschiede festgestellt werden, so dass für einige Formen auch ein frequenterer Gebrauch beobachtet werden kann – der jedoch von Lorentzon (2002) nicht weiter diskutiert wird. Genannt werden von ihm in diesem Zusammenhang die Formen servitris ‚Serviererin‘, hjältinna und mästarinna ‚Meisterin‘.
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163 ‚Die neutralen Wörter mit Referenz auf Frauen sind weniger in Relation dazu, wie häufig sie für Männer angewendet werden. In press 76 wird AutorIn/VerfasserIn 47 mal unspezifiziert verwendet, 171 mal mit Referenz auf einen Mann und siebenmal mit ausdrücklicher Referenz auf Männer und Frauen und 12 mal mit Referenz auf eine Frau.‘ 164 Vgl. auch weiter unten. 165 Vgl. weiter unten. 166 Die spezifischen Ergebnisse werden bei den entsprechenden Formen diskutiert.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Aufbauend auf einem nicht repräsentativen Korpus kommt Jobin (2004) in Bezug auf die hier behandelte Themenstellung der Grammatikalisierung von weiblicher Genderspezifizierung durch Suffigierung in ihrer komparativen Studie zu Deutsch und Schwedisch zu interessanten Beobachtungen, was die möglichen Gründe für unterschiedlich starke Grammatikalisierungen der weiblichen Movierung im Deutschen und Schwedischen betrifft. So sieht sie im Schwedischen nicht soviele sprachliche und gesellschaftliche Grundvorausssetztungen für eine gelingende Grammatikalisierung dieser Formen gegeben: „Zu den entscheidenden gesellschaftlichen Unterschieden gehören in Schweden der fehlende Willen, Frauen sprachlich deutlich sichtbar zu machen, das Fehlen von Vorbildern, sowie der schwache soziosemantische Status von Movierungen. Im sprachsystematischen Bereich fehlt entscheidenderweise ein Gensuparadigma für Substantive mit Klassen für männliche und weibliche Personen, in das sich die Movierungen einordnen könnten (paradigmatization) und es besteht eine Konkurrenz zwischen zwei Suffixen, von denen das mit dem etwas höheren semantischen Status außerdem mehrsilbig und betont ist.“
Wie die nachfolgenden empirischen Ausführungen zeigen werden, muss trotz aller bestehenden ‚Schwierigkeiten‘ trotzdem von einer gewissen, wenn auch eingeschränkten Grammatikalisierung genderspezifizierend weiblicher Appellation durch Suffigierung im Schwedischen gesprochen werden. Interessant ist hier darüber hinaus die Anführung von sowohl gesellschaftlichen als auch sprachsystematischen Gründen für das Vollziehen oder aber auch Ausbleiben von Grammatikalisierungen, welches in der Frage der strategischen Sprachveränderungen im vorhergehenden Kapitel ebenfalls thematisiert worden ist. 6.5.1 Konventionalisiert genderspezifizierende Appellation durch Suffigierungen auf –inna, -(er)ska und -are Himanen (1990) macht insgesamt eine Abnahme von Suffigierungen zur Anzeige genderspezifizierender Appellation in ihrem Untersuchungszeitraum von 1965 zu 1976 sowie auch in einem Vergleich von Stellenanzeigen zwischen 1965 und 1984 aus. Diese Tendenz wird sowohl durch Lorentzon (2002), Jobin (1998) wie auch durch die hier durchgeführten Analysen im Ganzen bestätigt. Die von Himanen (1990) angenommene, allgemeine Tendenz scheint jedoch weiter ausdifferenziert werden zu müssen. Die von ihr festgestellte Abnahme der genderspezifizierend weib-
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 559
lichen Benennung durch eine Appellationspraxis, in der eine Frau in Abhängigkeit von der Tätigkeit ihres Mannes dargestellt wird,167 kann als heute nahezu verschwunden bezeichnet werden.168 In anderen Bereichen ist die auch durch Suffigierungen explizit gemachte Genderdifferenzierung personaler Appellation jedoch weiterhin frequent. Dies gilt zum einen für den Bereich des Sports, zum anderen aber auch für den Sprachgebrauch bezogen auf konkret appellierte Individuen. Letzteres ist auch schon von Himanen (1990) vermerkt: „Även om bruket av suffixavledda feminina personbeteckningar minskat när det gäller absoluta frekvenser används de dock procentuellt sett i ökad utsträckning i ämnessfärer som handlar om enstaka individer.“169 (Himanen 1990: 43) Diese Beobachtung lässt sich auch für alle in der vorliegenden Studie untersuchten Korpora bestätigen: Wird auf eine spezifische einzelne Person appelliert, so ist der Gebrauch einer genderspezifizierenden nominalen Form sehr viel wahrscheinlicher, als wenn auf eine beliebige, nicht konkrete Person appelliert wird oder auf eine Gruppe von Personen. Zu fragen ist, wie schon an mehreren Stellen dieser Arbeit angesprochen worden ist, ob auf der Grundlage dieser Feststellung von einer Verminderung der Relevanz der Genderspezifizierung bei personaler Appellation gesprochen werden kann oder ob sich nicht bei einer nicht personenspezifizierenden Appellation in der Regel eine männliche Stereotypisierung entsprechender Konzeptualisierungen hat durchsetzen können. Himanen (1990) hat in ihrer Analyse eines Vergleichs von Sprachkorpora aus den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts untersucht, welche suffigierten Formen zur genderspezifizierend weiblich intendierten Appellation bei Substantiven zu finden sind. Insgesamt hat sie für das Korpus von 1965 424 und für das Korpus von 1976 387 Vorkommen von suffigierten genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen ausgemacht. In beiden Korpora gibt es zwölf bzw. zehn konkrete Substantive, die eine relativ hohe Frequenz haben, das heißt bei Himanen (1990) neunmal oder häufiger als neunmal in den Korpora vorkommen. Zu den frequentesten Wörtern in beiden Korpora zählt sie sjuksköterska, författarinna, prinsessa ‚Prinzessin‘, skådespelerska und sångerska.
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167 So zum Beispiel professorska als Ehefrau eines Professors. 168 Vgl. auch die entsprechenden Feststellungen von Thorell (1977), die in Kapitel 5 diskutiert worden sind. 169 ‚Auch wenn der Gebrauch femininer suffigierter Personenbezeichnungen sich verringert hat, was die absolute Frequenz betrifft, werden sie doch was die prozentuale Häufigkeit betrifft vermehrt in Bereichen, in denen es um Individuen geht, angewendet.‘
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Holmberg (1995) hat in seiner Auswertung eines Pressekorpus der größten überregionalen schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter aus dem Jahr 1987 untersucht, welche die frequentesten Derivationen auf – inna in diesem Korpus sind. Diese sind lärarinna, författarinna, konstnärinna ‚Künstlerin‘, målarinna ‚Malerin‘, föreståndarinna ‚Vorsteherin‘, överhovmästarinna ‚Oberkellnerin‘ sowie Komposita mit –värdinna ‚-wirtin/gastgeberin‘ als zweiten Bestandteil, wobei das Kompositum flygvärdinna ‚Stewardess‘ in dieser Untergruppe mit Abstand das am häufigsten verwendete ist. Neben diesen Berufsbezeichnungen sind die beiden derivierten Formen väninna ‚Freundin‘ und älskarinna ‚Geliebte‘ frequent. Auch wenn flygvärdinna die frequenteste Bildung auf värdinna ist, so zeigt sich bei einer eigenen Durchsicht des Pressekorpus jedoch auch, dass die übrigen 22 Bildungen auf värdinna, die im Korpus verzeichnet sind, sich mit zwei Ausnahmen auch für die 90er Jahre belegen lassen, so dass diese personale Appellationsbildung noch immer eine gewisse Produktivität in Bezug auf Ad-Hoc-Bildungen besitzt. Lorentzon (2002) hat die Ergebnisse von Himanen (1990) bezogen auf suffigierte Formen teilweise mit Belegen aus Korpora der 90er Jahre gegen gelesen, um so festzustellen, ob sich bei Himanen (1990) angedeutete Tendenzen bestätigt finden. Er macht für viele Formen auf –inna in den 90er Jahren einen Gebrauch dieser Formen vor allem in historisierenden Kontexten aus und bestätigt auf diese Weise auch eine Teilhypothese von Holmberg (1995). Lorentzon (2002) hat besonders die Formen gudinna ‚Göttin‘, aktris ‚Schauspielerin‘ und lärarinna unter dieser Fragestellung betrachtet. Seine Studie deutet an, dass die entsprechenden Formen vor allem als Stilmittel verwendet werden, um eine Appellation auf eine frühere Zeitperiode herzustellen. Eine weibliche Genderspezifizierung durch Suffigierung könnte als ein sprachliches Zeichen fungieren, um einen Bezug auf eine aus Wahrnehmung der Sprachproduzierenden (noch) nicht gleichgestellte Gesellschaft zu markieren. Da das Auto- und Heterostereotyp zu Schweden eines der gegenderten Gleichstellung ist, kann diese Deutung nur für eine frühere Zeit angenommen werden, womit die heutige gleichzeitig auch wiederum als gleichgestellt reproduziert wird. Wie durch die Analysen deutlich wird, handelt es sich um eine unzulässige Pauschalisierung, die nicht über bestimmte Formen hinweg gleichmäßig beobachtet werden kann und mit der zugleich auch ein bestimmtes Bild von Gleichstellung verfestigt wird, wenn dies mit der Übernahme der zu-
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 561
vor genderspezifizierend männlich appellierenden Form als genderunspezifizierende undifferenziert gleichgesetzt wird.170 Im Tageszeitungskorpus press 98 finden sich die folgenden Formen auf –erska/n:171 Benennungen von Bühnentätigkeiten: X-danserska ‚X-tänzerin‘, skådespelerska, X-skådespelerska, sångerska, X-sångerska. Benennungen von Pflegetätigkeiten: sköterska ‚Pflegerin‘, X-sköterska. Benennungen traditioneller Tätigkeiten: smörkärnerska ‚Buttermacherin‘, knypplerska ‚Klöpplerin‘, X-knypplerska, spinnerska ‚Spinnerin‘, väverska ‚Weberin‘, X-väverska. Benennungen weiterer beruflicher Tätigkeiten: X-arbeterska ‚Arbeiterin‘, nyhetsuppläserska ‚Nachrichtenvorleserin‘, sömmerska ‚Näherin‘, Xsömmerska, hushållerska ‚Haushälterin‘, vinodlerska ‚Weinbäuerin‘, kokerska ‚Köchin‘, X-makerska ‚X-macherin‘, X-försäljerska ‚X-verkäuferin‘, städerska ‚Putzfrau‘, X-städerska, lingonplockerska ‚Lingonpflückerin‘, grönsakshandlerska ‚Gemüseeinkäuferin‘, teknerska ‚Technikerin‘, fångvakterska ‚Gefängniswärterin‘, butiksinnehaverska ‚Kleidungsgeschäftsbesitzerin‘, X-skriverska ‚X-Schreiberin‘, förvalterska ‚Verwalterin‘. Benennungen nicht-erwerbsmäßiger Tätigkeiten: förstagångsväljerska ‚Erstwählerin‘, tiggerska ‚Bettlerin‘, sagerska ‚(Märchen)Erzählerin‘, Xsagerska, föderska ‚Gebärerin‘, X-föderska, mörderska ‚Mörderin‘, ränksmiderska ‚Rankenschmiedin‘, flyktingsrädderska ‚Flüchtlingsretterin‘, synderska ‚Sünderin‘, matbedragerska ‚Essensbetrügerin‘, X-gångerska ‚X-gehende‘, ordvrängerska ‚Wortverdreherin‘, lyssnerska ‚Zuhörerin‘, brödbärerska ‚Brotträgerin‘, anförerska ‚Anführerin‘, praterska ‚(Viel)Rednerin‘, piperska ‚Pfeiferin ‘, upphitterska ‚Erfinderin‘, berätterska ‚Erzählerin‘, åderlåterska ‚Aderlasserin‘, gråterska ‚Weinende‘, medhjälperska ‚Mithelferin‘, arvtagerska ‚Erbnehmerin‘. Benennungen von Sportausübungen: turnerska ‚Turnerin‘, simmerska ‚Schwimmerin‘, X-simmerska, konstberiderska ‚Kunstreiterin‘, X-spelerska ‚XSpielerin‘, löperska ‚Läuferin‘, X-löperska, diskuskasterska ‚Diskuswerferin‘, X-åkerska ‚X-fahrerin‘.
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170 Über die hier referierten Untersuchungen hinaus kann noch Jobin (2004: 89ff) genannt werden, die zu dieser Frage nach eigener Bekundung „unsystematische Beobachtungen“ gemacht hat, die jedoch auch darauf hin deuten, dass in bestimmten Fällen suffigierte konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Formen gebraucht werden. 171 Die in dieser Studie vorgenommene Zuordnung zu unterschiedlichen Gruppen ist an vielen Stellen uneindeutig, und es finden sich eine Reihe von Übergängen, insbesondere zwischen den Kategorien der beruflichen und traditionellen Tätigkeiten sowie der Bewertungen.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Sonstige Benennungen: motspelerska ‚Gegenspielerin‘, svägerska ‚Schwägerin‘, slöjbärerska ‚Schleierträgerin‘, zigenerska ‚Zigeunerin‘. Die meisten dieser Formen sind einmalige Bildungen, es zeigt sich aber auch, dass einige von ihnen produktive zweite Glieder weiterer Bildungen sind, insbesondere die Formen der Bühnen- und Pflegetätigkeiten sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Außer den Bühnen-, Pflegeund sportlichen Tätigkeiten handelt es sich nahezu durchgängig um Tätigkeitsbenennungen, die entweder statusniedrig und veraltet sind oder auf eine andere Art traditionell angenommene, prototypisch weibliche Eigenschaften aufrufen und zusätzlich häufig negativ bewertend sind. Auffallend in der letzten der obigen Untergruppen ist zudem, dass viele der dortigen Bildungen genderspezifizierend weiblich über eine Benennung kommunikativer Tätigkeiten appellieren. Dies kongruiert mit der Feststellung von Jobin (2004: 77f.), dass in einem Vergleich der 30 größten schwedischen Berufsgruppen im Jahre 2001 für über die Hälfte der typisch weiblichen Berufe, die durch Appellationsformen aufgerufen werden genderspezifizierend weibliche Formen verwendet werden. Es kann also hier festgehalten werden, dass es durchaus Tendenzen einer Grammatikalisierung der Suffigierung für bestimmte genderspezifizierend weiblich appellierende Formen auch weiterhin produktiv im Schwedischen gibt. In Presstext finden sich für den Zeitraum 1.1.2003 bis 18.6.2003 36 verschiedene Formen mit –erska. Am frequentesten sind die Bildungen sångerska (806 Belege), X-sköterska (474 Belege), skådespelerska (175 Belege), X-sångerska (65 Belege), sköterska (57 Belege), städerska (35 Belege), kokerska (21 Belege). Zwischen drei und 20 Belege finden sich für die Formen X-städerska, X-skådespelerska, förstföderska ‚Erstgebärende‘, motspelerska, arvtagerska, mansslukerska ‚Männerverschlingerin‘, X-försäljerska, barnaföderska ‚Kindergebärende‘, bedragerska ‚Betrügerin‘, mörderska, Xmörderska. Darüber hinaus gibt es 19 Bildungen im Korpus mit ein oder zwei Belegen, die zu Ad-Hoc-Bildungen gerechnet werden. Die Form bakerska ‚Bäckerin‘ beispielsweise, die einmalig im Korpus in dem Untersuchungszeitraum vorkommt, kann als eine Neubildung klassifiziert werden.172 Es zeigt sich, dass genderspezifizierend appellierende Formen auf –erska bis heute produktiv insbesondere im Bereich beruflich zugeschriebener Tätigkeiten bei der konkreten Appellation auf einer weiblich wahrgenommene Person gebildet werden.173
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172 Dagens Nyheter 24.5.2003: 16: „‚Jag är Karin som bakar hårt bröd i Hulån‘. Vännen Helena Forsén är civilekonom och Sveriges första diplomereade bakerska.“ 173 Interessant wäre über die Analyse hinausgehend beispielsweise eine genauere Untersuchung der Formen der Gruppe X-föderska. So bezieht sich die achtmal im Korpus ver-
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 563
Auf –erska finden sich insgesamt 24 Formen im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache, davon 20mal die Form sjuksköterska, zweimal kokerska und je einmal skådespelerska und städerska. Im Plural ist einmal die Form schlagersångerskor und einmal die Form sömmerskor ‚Näherinnen‘ verzeichnet. Eine Analyse der in Presstext für den Zeitraum 1.1.2003 bis 18.6.2003 verzeichneten Formen, die auf –arinna enden, zeigt, dass es sowohl einige äußerst frequente Formen bis heute im öffentlichen Sprachgebrauch gibt als auch Ad-Hoc-Bildungen, die darauf hindeuten, dass genderspezifizierend weiblich appellierende Formen auf –inna weiterhin eine gewisse Produktivität in bestimmten Bereichen besitzen.174 Die am häufigsten verzeichnete Form auf –arinna in den Pressetexten der ersten Hälfte des Jahres 2003 im Korpus ist älskarinna ‚Geliebte/Liebhaberin‘ (102 Belege), gefolgt von verschiedenen Formen mit lärarinna als zweitem Glied oder lärarinna alleinstehend (73 Belege), mästarinna ‚Meisterin‘ als zweitem Glied, die sämtlich aus dem Bereich des Sports stammen (61 Belege), författarinna (13 Belege), ägarinna ‚Eigentümerin‘ (9 Belege), Formen mit tjänarinna ‚Bedienstete‘ als zweitem Glied (7 Belege) und segrarinna ‚Siegerin‘ (7 Belege), die wiederum aus dem Bereich des Sports stammen. Målarinna ‚Malerin‘, beundrarinna ‚Bewundererin‘ und härskarinna ‚Herrscherin‘ kommen je fünfmal vor, föreståndarinna ‚Vorsteherin‘ und beskyddarinna ‚Beschützerin‘ sind je viermal belegt. Weniger als viermal kommen die Formen butiksinnehavarinna ‚Boutiquebesitzerin‘, ledsagarinna ‚Begleiterin‘, läsarinna ‚Leserin‘, kejsarinna ‚Kaiserin‘, välförarinna ‚Wahlführerin‘, ledarinna ‚Leiterin‘, grundarinna ‚Gründerin‘ und översättarinna ‚Übersetzerin‘ vor. Dies zeigt, wie viele unterschiedliche Formen auf –inna auch im Jahre 2003 noch im öffentlichen schriftsprachlichen Diskurs zu finden sind, von denen einige zudem frequent sind und nur wenige als einmalige Bildungen verzeichnet sind, so
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zeichnete Form barnaförderska, deren Spezifizierung durch das erste Glied barna redundant erscheint, jeweils auf ältere Frauen, denen die Geburt von Kindern nicht mehr als selbstverständlich und ‚natürlich‘ in ihrem Alter zugeschrieben wird. Die Formen jungfruföderska und gudaföderska haben religiöse Assoziationen und stellen so gleichzeitig auch ein Normalbild von Geburt her, welches einer ausdifferenzierten Benennung entgeht. Die sechsmalige Verwendung der Form förstföderska weist auf die Zuschreibung der besonderen Rolle und Bedeutung der ersten Geburt im Leben einer Frau in dieser Konzeptualisierung hin. 174 Die Analyse wurde der Einfachheit halber auf Formen beschränkt, die auf –arinna enden. Es können keine relationalen Aussagen über die Frequenz von einigen Formen auf –inna gemacht werden, wie beispielsweise vänninna, hjältinna, gudinna, die alle weiter unten diskutiert werden.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
dass von einem Status ihrer Konventionalisierung ausgegangen werden kann. Im mündlichen Göteborger Sprachkorpus ist lärarinna ebenfalls die häufigste Bildung auf –inna im Datenmaterial mit sieben Belegen in fünf verschiedenen Gesprächen,175 gefolgt von väninna mit vier Belegen. Flygvärdinna ist mit drei Belegen vertreten, die allerdings alle aus dem selben Gespräch stammen, es folgen die einmalig belegten Formen klassföreståndarinna ‚Klassenvorsteherin‘, tevevärdinna ‚Fernsehwir-tin‘, älskarinna, gudinna und programledarinna ‚Programmleiterin‘. Im Plural kommen die Form väninnor und lärarinnor je zweimal vor. Der Größe des Korpus entsprechend finden sich sehr viel weniger Belege für die einzelnen Formen, es wird aber darüber hinaus ersichtlich, dass auch im mündlichen aktuellen Sprachgebrauch Formen auf –inna zu finden sind. Für eine weitere detaillierte Betrachtung werden einzelne der häufig diskutierten und frequenten Formen im folgenden ausführlicher analysiert. Lärarinna ‚Lehrerin‘ Holmberg (1995) hat speziell für die Form lärarinna die These der historisierenden Appellation ausgeführt. Auch wenn diese Ergebnisse in ihrer Tendenz bestätigt werden können, so soll doch darauf hin gewiesen werden, dass sich daneben auch bis heute Verwendungsweisen der Form lärarinna finden, die keine historisierenden Assoziationen hervorrufen. So ist selbst in feministischen Veröffentlichungen, wie beispielsweise in einem Artikel in der Zeitschrift Genus zwar in der Regel von lärare die Rede, bei einer Genderspezifizierung wird aber neben der Nominalphrase kvinnlig lärare auch die Form lärarinnor mit einem heutigen Bezug benutzt.176 Auch in der überregionalen Tageszeitung Dagens Nyheter ist die Form immer noch jenseits historisierender Kontexte zu finden.177 In Mediearkivet finden sich auch für die Jahre 2002 und 2003 Vorkommen der Form lärarinna ohne einen historisierenden Bezug. Auch wenn die Form verhältnismäßig selten verzeichnet ist, wird sie nicht ausschließlich in historisierenden Kontexten gebraucht, wie an diesen Beispielen zu sehen ist. In einigen Fällen wird sie synonym mit kvinnlig lärare ‚weiblicher Lehrer‘ verwendet,
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175 Davon ist eine Form eine Zusammensetzung: zoologilärarinna. 176 Vgl. Johansson (2002). 177 Vgl. http://www.dn.se/Dnet/jsp/polopoly.jsp=d=147&a=21040 (25. Mail 2002) und http://www.dn.se/Dnet/road/Classic/article/=/jsp/print.jsp?&a=107708 (13. Februar 2003) vom 5.3.2003
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 565
so beispielsweise in Göteborgs Posten vom 7.11.2002, wo die personale Appellation der Überschrift „Lärarinna åtalas för misshandel“ im nachfolgenden Text durch „en kvinnlig lärare“ wiederaufgenommen wird. Die Form dient bis heute zur genderspezifizierend weiblichen Benennung und wird besonders häufig als stilistisches Mittel eingesetzt, um eine Appellation durch die Nominalphrase kvinnlig lärare zu variieren. Wie eine Perzeptionsanalyse in Hornscheidt (2006b) zeigt, kann zudem davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Konzeptualisierung des Berufs Lehrer/in um eine Genderstereotypisierung handelt, die einer entsprechenden expliziten Form gar nicht mehr bedarf: Nicht nur wird der Beruf der Lehrerin in Schweden vor allem von Frauen ausgeübt, vor allem aber ist er weiblich genderstereotypisierend wahrgenommen, was dem hohen Frauenanteil gerade am Beruf der Grundschullehrerin und Erzieherin entspricht. Es kann in Bezug auf diese Form die These aufgestellt werden, dass es sich um eine, von der Wortform ausgehend, verdeckte weibliche Genderspezifizierung handelt. Während die Form lärarinna in den meisten Kontexten des schriftsprachlichen Gebrauchs in Tageszeitungen historisierende Komponenten besitzt, jedoch nicht immer, wie oben ausgeführt wurde, hat die Form lärare bei einem heutigen Zeitbezug genderstereotypisierend weibliche Assoziationen, so dass sich die beiden Formen vor allem hinsichtlich der mit ihnen zum Ausdruck gebrachten Zeitkomponente unterscheiden, nicht aber hinsichtlich ihrer Genderstereotypisierung. Aus dieser Perspektive sind die Formen lärare und lärinna in ihrer jeweils genderstereotypisierend weiblichen Appellation Ausdruck einer schwedischen Gleichstellungsideologie und weniger ein Zeichen für eine vollzogene Gleichstellung. Von den sieben Belegen für lärarinna im Korpus der gesprochenen Sprache werden zwei in historisierenden Zusammenhängen verwendet, wenn ältere Personen über ihre früheren Schulerfahrungen erzählen. Die anderen fünf Belege kommen mit heutigem Bezug vor, wobei in einem Fall die sprachliche Korrektheit der Form lärarinna im Verhältnis zu lärare verhandelt wird, so dass es sich hier um ein sprachreflexives Beispiel handelt, in der eine sprachliche Unsicherheit mit einer normierten Benennungspraxis zum Ausdruck kommt: „A: [53 nä de{t} gör hon inte] 53 // just de{t} @ B: eller lärarinna A: lärarinna lärare heter de{t} nu för tiden
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6. Produktion personaler Appellationsformen
B: ja“178
In dem selben Gespräch findet sich an späterer Stelle eine weitere Verhandlung der genderspezifizierenden Formen, diesmal mit historisierendem Bezug, die dazu führen, dass die Form lärare, eventuell auf der Grundlage der zuvor stattgefundenen sprachreflexiven Auseinandersetzung, in einem Fall attributiert mit der genderspezifizierenden Form manlig versehen wird und später auch von kvinnlig fölkskollärare ‚weiblicher Vorschullehrer/Kindergärtnerin‘ gesprochen wird. Dies ist zugleich einer der wenigen Belege im Korpus der gesprochenen Sprache für die genderspezifizierend weibliche Adjektivform kvinnlig. „A: m. /> fast de{t} var bara första å0 andra klass som / hette småskola hette+ sen hette de{t} storskola // eller folkskola nä storskolan sa{de} vi // men // då va{r} de{t} lärarinnor i // i småskolan å0 sen var de{t} bara lärare manliga lärare / i folkskolan /men // åtminstone var de{t} så i den skolan ja{g} gick men sen de{t} började då ungefär samtidigt som ja{g} kom upp i tredje klass då börja{de} de{t} å0 komma / kvinnliga / folkskollärare.“179
Von den 100 Belegen für lärare im Korpus der gesprochenen Sprache sind 36 unbestimmte Pluralformen. Von den restlichen 64 Formen appellieren 19 genderspezifizierend männlich und 13 genderspezifizierend weiblich. Bei sieben Formen, die sich auf eine konkrete Person beziehen, ist aus dem transkribierten Kontext die potentielle Genderzuschreibung zu dieser Person nicht ersichtlich, 25 Formen appellieren generisch genderunspezifizierend. Während bei den genderspezifizierend männlichen Verwendungen der Form lärare die männliche Genderspezifizierung in der Regel durch das Pronomen han im sprachlichen Kontext angezeigt wird, finden sich bei der genderspezifizierend weiblichen Appellation mit lärare verschiedene Strategien der Gendervereindeutigung. Zum einen wird diese ebenfalls durch die Verwendung von hon angezeigt, zum anderen ist die Form lärare in diesen Fällen häufiger zweiter Teil eines Kompositums, welches stereotype Gendererwartungen aufruft, wie gymnastiklärare, förskollärare oder hushållslärare ‚HaushaltslehrerIn‘, die im weiteren Kontext durch Pronominalisierung mit hon ‚sie‘ oder eine substantivische Wiederaufnah-
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178 ‚Lehrerin Lehrer heißt das heute.‘ A3212011 (informal conversation) im Göteborger Datenkorpus der gesprochenen Sprache. 179 ‚A: obwohl das war nur die erste und zweite Klasse, die Kleinschule hieß dann hieß das Großschule sagten sie aber das waren es Lehrerinnen in der Kleinschule und dann waren es nur Lehrer männliche Lehrer in der Volksschule aber wenigstens war das so in der Schule in der ich gewesen bin aber dann begann es ungefähr gleichzeitig, dass eine dritte Klasse kam da begann es dass weibliche Volksschullehrer kamen.‘A3212011 (informal conversation) im Göteborger Datenkorpus der gesprochenen Sprache.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 567
me mit genderspezifizierender Attribuierung durch kvinnlig ‚weibliche‘ wieder aufgenommen werden. Die generische Verwendung der Form lärare im Singular wird häufig durch eine Voranstellung des Indefinitpronomens någon ‚irgendein‘ angezeigt. Insgesamt besitzt die Tätigkeit der Lehrerin/des Lehrers eine zentrale Position öffentlicher Wahrnehmung, wie sich auch im Hinblick auf die Häufigkeit dieser personalen Appellation in dem Göteborger Korpus gesprochener Sprache zeigt. Als Berufstätigkeit besitzt die Form eine gewisse Signalfunktion und dient häufig als veranschaulichendes Beispiel. Hjältinna ‚Heldin‘ Hjältinna wird nach Lorentzons (2002) Analyse in den 90er Jahren in vielen Kontexten in Zusammensetzungen verwendet, die die Historizität des Zusammenhangs anzeigen sollen. Darüber hinaus kommt hjältinna nach Lorentzon (2002) aber auch in solchen Texten vor, die seiner Meinung nach einen mehr oder minder deutlichen, feministischen Hintergrund haben. Sein breit gefasstes Verständnis von Feminismus wird in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt und seine Interpretation insofern modifiziert, dass die Appellationsform hjältinna häufig in Texten zur Anwendung kommt, in denen das Konzept des Heldentums als genderspezifizierend zu deuten impliziert wird. In einigen der von Lorentzon (2002) angeführten Belege steht das Konzept des Heldentums gerade in einer durch die Form hjältinna hergestellten Gegenüberstellung zu einer patriarchalen Gesellschaftswahrnehmung oder zu stereotyp männlichen Verhaltensweisen, womit der konventionalisiert genderspezifizierend männliche Aspekt des Heldentums expliziert wird. Lorentzons (2002) hiermit verbundene Argumentation, dass eine erhöhte Partizipation von Frauen am öffentlichen Leben auch zu einer Erhöhung genderspezifizierend weiblicher Appellationspraktiken führen müsse, ist an anderer Stelle180 bereits kritisch diskutiert werden. Hier wird eine andere als seine Deutung vorgeschlagen: Eine Anwendung genderspezifizierend weiblicher substantivischer Appellationsformen kann als Zeichen dafür gedeutet werden, die männliche Normalität einer von Himanen (1990) genderunspezifizierend genannten Appellationspraxis in Frage zu stellen. Der Gebrauch entsprechender Formen würde demnach nicht auf eine erhöhte Partizipation von Frauen im öffentlichen Leben, sondern auf ein Bewusstsein gegenderter Wahr-
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180 Vgl. Hornscheidt (2006b).
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6. Produktion personaler Appellationsformen
nehmungen bei vordergründig genderunspezifizierenden Appellationspraktiken hindeuten, die durch die Anwendung offensichtlich gegenderter Formen gebrochen werden kann – sofern diese implizit oder explizit den vordergründig genderunspezifizierenden Appellationsformen gegenüber gestellt werden, die so als genderspezifizierend männlich appellierende Formen interpretiert und gleichzeitig dekonstruiert werden. Dies ist hingegen nicht der Fall, wenn eine Attribuierung durch kvinnlig zur Genderspezifizierung gebraucht wird, ohne mit dieser gleichzeitig auch an den entsprechenden Stellen eine Genderspezifizierung mit manlig ‚männlich‘ gegenüber zu stellen. Dass eine personalisierte Wahrnehmung von ‚HeldInnentum‘ männlich konnotiert ist, zeigt auch die quantitative Verteilung des Lexems im Korpus der Tageszeitungen, der die quantitative Verteilung des ähnlichen, personal appellierenden Konzepts äventyrerska/äventyrare ‚Abenteurer/in‘ an die Seite gestellt wird. Tabelle 16: hjälte, hjältinna, äventyrare und äventyrerska in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
hjälte hjältinna äventyrare äventyrerska
1965 19 2 4 0
1976 7 0 1 0
1978 28 7 30 0
1995 88 11 8 0
1996 97 11 10 0
1997 200 26 27 1
1998 140 21 13 0
Wenn es auch deutlich weniger Belege für hjältinna gegenüber hjälte ‚Held‘ gibt, so sind diese doch auch kontinuierlich bis in die 90er Jahre belegt. Dies allein schon deutet darauf hin, dass es eine genderspezifizierende Konzeptualisierung des Konzepts Heldentum gibt. Eine Durchsicht der 97 Belege für hjälte in press 96 ergibt zudem, dass in 93 Fällen die Appellationsform genderspezifizierend männlich auf eine konkrete Person appelliert181 und nur in drei Fällen eine genderunspezifizierende Appellation durch die Verwendung der Form realisiert wird. In einem Fall bezieht sich hjälte auf einen Hund. Die Form äventyrare ‚Abenteurer‘ kommt bis auf fünf Ausnahmen in allen verzeichneten Verwendungen in männlich genderspezifizierender Funktion vor. In zwei Fällen werden mehrere Personen aufgezählt, die unter der Bezeichnung äventyrare zusammengefasst
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181 Die meisten Verwendungen der Form hjälte erfolgt im Bereich der filmischen Darstellung und des Sports.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 569
werden, dazu zählen auch jeweils Frauen. In weiteren drei Fällen wird die Form äventyrare in einer Reihe mit anderen, auf Personen appellierenden Benennungen aus dem Sport- oder Reisebereich genannt, so dass die Benennung hier als genderunspezifizierend gelten kann. In 88 von 93 Fällen wird mit der Form jedoch genderspezifizierend auf eine einzelne männliche Person appelliert, was darauf hindeutet, dass die Konzeptualisierung, die mit ihr verbunden ist, stark männlich stereotypisierend ist. In dem einzigen Vorkommen der Form äventyrerska wird eine heterosexuelle und sogar institutionalisierte Paarkonstellation in dem Text hergestellt, was es nötig macht, der genderspezifizierend männlichen Form eine genderspezifizierend weibliche Form gegenüber zu stellen, da es sich in dem konkreten Fall um eine personale Appellation in einer sexuell definierten Zweierbeziehung handelt.182 Für die in dieser Auswertung näher untersuchten Fälle können die Thesen der Historisierung, die bei Lorentzon (2002) und Holmberg (1995) vertreten werden, in dieser Form nicht bestätigt werden. Vännina/vän ‚Freundin/Freund‘, älskarinna/älskare ‚Geliebte/r‘ Himanen (1990) stellt fest, dass die Form väninna in den Korpora von 1965 und 1976 am häufigsten in Kontexten mit einer sexuellen Bedeutung vorkommt, aber auch darüber hinaus häufiger genderspezifizierend gebraucht wird als andere, von ihr analysierte Wortpaare. „Det är inte heller helt ointressant att ange kön på vänner även i icke-erotiska sammanhang. Valet av vän/väninna tycks påverkas av könet på båda parterna i vänförhållandet.“183 (Himanen 1990: 51) Eine weitergehende Erklärung dieses Phänomens bleibt bei Himanen (1990) jedoch aus. Wie in Kapitel 3 bereits ausführlicher diskutiert, wird dies parallel zu der weiterhin frequenten Verwendung der Form älskarinna gesehen und deutet sowohl auf die Notwendigkeit hin, potentiell sexuelle Beziehungen als auch freundschaftliche Beziehungen, die nicht sexuell sind, vor einer Norm der Homosozialität genderspezifizierend zu benennen. Dies entspricht einer heterosexuellen Matrix, die eine Grenzziehung zwischen sexuellen und
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182 Der Beleg stammt aus Dagens Nyheter vom 6.6.1998: „Efter ett äktenskap med en äventyrerska som rymmer med en älskare kommer Pedro [...]“. 183 ‚Es ist auch nicht ganz uninteressant Geschlecht bei FreundInnen anzugeben auch in erotischen Zusammenhängen. Die Wahl von Freund/Freundin scheint vom Geschlecht beider Teile einer Freundschaftsbeziehung beeinflusst zu sein.‘
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6. Produktion personaler Appellationsformen
freundschaftlichen Kontakten herstellt und auf diese Art zugleich auch immer wieder reproduziert und weiter verfestigt. Tabelle 17: vännina, vän, älskare und älskarinna in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
vänninna vän flickvän pojkvän älskarinna älskare
1965 7 84 0 1 9 10
1976 4 62 2 0 5 9
1978 25 201 21 11 6 33
1995 32 283 50 33 17 31
1996 40 278 48 44 30 47
1997 76 668 155 99 36 91
1998 71 441 78 85 37 40
Von den 41 Belegen für älskare in press 98 sind 26 genderspezifizierend männlich appellierend im Singular, drei im Plural, fünf sind genderunspezifizierende Pluralformen und zwei genderunspezifizierende Singularformen.184 Die 26 genderspezifizierend männlich appellierenden Singularformen stehen 37 genderspezifizierend weiblich appellierenden Formen von älskarinna im selben Untersuchungszeitraum gegenüber, so dass die genderspezifizierend weibliche Appellation häufiger als die genderspezifizierend männliche ist. Insgesamt wird die Form älskare im Singular Ende der 90er Jahre im Tageszeitungsdiskurs in der überwiegenden Zahl der Fälle konventionalisiert genderspezifizierend männlich benutzt und nur im Plural stehen die genderspezifizierende und eine genderunspezifizierende Verwendung in Konkurrenz miteinander. Im Bereich sexueller Beziehungen ist eine Genderspezifizierung grammatikalisiert über Suffigierungen in den Formen älskarinna und älskare realisiert, eine genderunspezifizierende Verwendung der Form älskare ist eher unüblich. Dies zeigt wiederum, dass es bestimmte gesellschaftliche Bereiche gibt, in denen eine Genderspezifizierung üblich ist und grammatikalisiert realisiert wird. Sie erscheint so notwendig, dass eine angenommene generelle Tendenz der Genderunspezifizierung im Schwedischen nicht durchgängig zuzutreffen scheint, sondern nach verschiedenen Bereichen ausdifferenziert werden muss. Zu den
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184 Vier Formen konnten nicht zugeordnet werden. Einer der beiden Belege der Gruppe der genderunspezifizierenden Singularformen ist als ambivalent einzuordnen: „min kvinnliga eller min manliga älskare“ (Dagens Nyheter vom 23.9.1998), in dem eine substantivische Ellipse angenommen werden kann. In dieser Verwendung wird gleichzeitig aber auch wiederum deutlich, dass eine Genderspezifizierung auch in einer generischen Verwendung notwendig erscheint, die hier durch Attribuierung von kvinnlig und manlig vollzogen wird.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 571
Bereichen, die genderspezifizierend lexikalisiert oder grammatikalisiert sind, gehört neben den Verwandtschaftsrelationen die Appellation auf konventionalisiert über Sexualität charakterisierte Liebesbeziehungen, bei denen mit der Genderspezifizierung zugleich die Relevanz von Gender für die Konzeptualisierung dieser Beziehungsform zum Ausdruck kommt. Auch hier zeigt sich wiederum die enge Verknüpfung von Gender und Sexualität in der Konzeptualisierung von Personen. Die Formen flickvän ‚Mädchenfreund: Freundin‘ und pojkvän ‚Jungenfreund: Freund‘, die in die Tabelle mit aufgenommen worden sind, wurden bereits weiter oben besprochen. An ihnen zeigt sich, dass es in Bezug auf die Genderspezifizierung sexueller Beziehungen verschiedene Möglichkeiten ihrer Realisierung gibt. Im Zusammenhang der Untersuchung der Genderspezifizierung durch Suffigierung ist besonders auch die Opposition zwischen vän und väninna und die Abgrenzung zu den Formen flickvän und pojkvän interessant. Während die Formen väninna und vän auf Personen in einer freundschaftlichen Relation appellieren, bezeichnen die Formen flickvän und pojkvän wie die Formen älskarinna und älskare ebenso Personen in einer Liebesbeziehung. Bei flickvän und pojkvän kommt dies lexikalisiert zum Ausdruck, die Homosozialität der freundschaftlichen Beziehungen durch die Appellationsformen väninna und vän hingegen grammatikalisiert durch Suffigierung. Es kann ein Unterschied im Wortbildungsmuster festgestellt werden, welches auch eine unterschiedliche Positionalität in Bezug auf Gender zum Ausdruck bringt: Während in der Charakterisierung einer Person über eine sexuelle Relation die Genderspezifizierung als ein essentieller Bestandteil derselben durch die Form der Lexikalisierung konstruiert wird, ist dies bei freundschaftlichen Kontakten ohne sexuelle Komponenten nur in relativ gesehen abgeschwächter Form der Fall, die Genderspezifizierung ist hier eine additiv erklärende oder vereindeutigende, aber nicht in gleichem Umfang eine essentielle für die personale Appellation. Eine entsprechende Beobachtung ist auch schon in Bezug auf die Verwandtschaftsformen im heutigen Schwedisch und die Lexikalisierung der Genderspezifizierung in diesen gemacht worden.
572
6. Produktion personaler Appellationsformen
Tabelle 18: väninnor/na ‚(die) Freundinnen‘ und älskarinnor/na ‚(die) Liebhaberinnen‘ in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
väninnor väninnorna älskarinnor älskarinnorna
1965 2 0 2 0
1976 0 2 0 0
1987 6 3 3 0
1995 21 3 4 0
1996 11 10 3 1
1997 39 15 12 0
1998 42 9 11 0
In zwei Fällen in press 98 wird älskarinnor ‚Liebhaberinnen‘ in direkter Opposition zu fruar ‚Ehefrauen‘ benutzt, einmal noch verstärkt durch das vorangestellte genderspezifizierend männlich appellierende Possessivpronomen hans ‚seine‘. Von den übrigen neun Formen von älskarinnor in press 98 wird in acht Fällen die Form älskarinnor gekoppelt mit einer konkreten genderspezifizierend männlich appellierenden Form im Singular, das heißt mehrere ‚Geliebte‘ werden jeweils einem Mann zugeordnet. Zudem handelt es sich durchweg um öffentliche und statushohe männliche Persönlichkeiten, die auf diese Weise appelliert werden.185 Die Form älskarinnor wird jeweils durch den attributiven Gebrauch von Adjektiven und Nominalphrasen weiter spezifiziert: zweimal intriganta ‚intrigierend‘, zweimal före detta ‚ehemalige‘, otaliga ‚unzählige‘, oräkneligt antal ‚unberechenbare Anzahl‘. Die Kollektivbenennung wirkt in den Zusätzen sowohl pejorisierend als auch entindividualisierend. Die Rolle der Geliebten ist jeweils nur über und in Abhängigkeit von einer bekannten öffentlichen männlichen Person definiert. Auch der einzige Beleg der bestimmten Form älskarinnorna ruft ein vergleichbares Bild eines Mannes auf, der über die ‚Tatsache‘, mehrere Geliebte (gehabt) zu haben, charakterisiert wird. Die Form väninnor wird hingegen im Zusammenhang mit der genderspezifizierend weiblichen Appellation auf eine einzelne Person verwendet und dabei häufig durch ein Possessivpronomen angeschlossen oder auf die Autorin des jeweiligen Artikels rückbezogen. In keinem Fall der Belege in press 98 handelt es sich um die Charakterisierung von Männern mit Freundinnen, so dass in der Darstellung ein Bild der Homosozialität aufgerufen und reproduziert wird. Die Trennung zwischen Liebesbeziehung und Freundschaftsbeziehung ist in den entsprechenden Texten stark gegendert und heteronormativ organisiert. Auch die beiden Belege für die Pluralform väninnorna im Korpus der gesprochenen Sprache zeigen, dass die Form in Bezug auf eine freund-
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185 Je zweimal Bill Clinton, Dumas, Zeus, kungen und politiker.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 573
schaftliche Gruppe von Frauen und damit in impliziter Opposition zu älskarinnor angewendet wird. Neubildungen auf -inna In NYO 1988 werden als Neubildungen auf –inna lediglich Ableitungen zu värdinna ‚-wirtin/-gastgeberin‘ angegeben: flygvärdinna ‚Flug-‚, tågvärdinna ‚Zug-‘, markvärdinna ‚Gebiets-‘, skivärdinna ‚Ski-‘, konferensvärdinna ‚Konferenz-‘, bussvärdinna ‚Bus-‘, mässvärdinna ‚Messe-‘, turitstvärdinna ‚Tourist-‘ und tv-värdinna ‚Fernseh-‘. In NYO 2000 findet sich kein Eintrag für die 90er Jahre mit –inna. Im folgenden wird eine Übersicht über die Formen auf –inna gegeben, die in press 98 zum ersten Mal verzeichnet sind, im Anschluss daran werden Formen auf anderen Medien zusätzlich zu diesen aufgeführt und diskutiert. Folgende Formen sind innerhalb von Språkbanken zum ersten Mal in press 98 verzeichnet und in den Pressekorpora der vorhergehenden Jahre nicht belegt.186 Sie sind hier zu inhaltlichen Gruppen sortiert:187 Tätigkeitsbezeichnungen Beundrarinna ‚Bewunderin‘, fostrarinna ‚Erzieherin‘, jättinna (eine mythische Gestalt), matkonstnärinna ‚Essenskünstlerin‘, modersmålslärarinna ‚Muttersprachenlehrerin‘, skollärarinna ‚Schullehrerin‘, svensklärarinna ‚Schwedischlehrerin‘, teaterlärarinna ‚Theaterlehrerin‘, byggmästarinna ‚Baumeisterin: Bauherrin‘, priorinna ‚Klostervorsteherin‘, prästinna ‚Priesterin‘, moderjordprästinna ‚Mutter-Erde-Priesterin‘, voodooprästinna ‚Voodoopriesterin‘, barvärdinna ‚Bardame‘, hyttvärdinna ‚(Miet-, Alm- etc.)hüttenwirtin‘, konferensvärdinna ‚Konferenzgeberin‘, översättarinna ‚Übersetzerin‘.
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186 Vgl. Lorentzon (2002). 187 Das angesetzte Kriterium, Formen in press 98 und nicht die Formen in press 95 bis press 97 zu berücksichtigen, besitzt eine gewisse Willkürlichkeit – wie auch der Umstand nur Singular-Formen zu berücksichtigen. Die wiedergegebenen Formen sind daher weder die einzigen Neubildungen auf –inna noch unbedingt diejenigen, die am frequentesten sind. Die vorgenommene Zusammenstellung kann aber eine Tendenz aufzeigen.
574
6. Produktion personaler Appellationsformen
Statusbezeichnungen188 antihjältinna ‚Antiheldin‘, flickbokshjältinna ‚Mädchenbuchsheldin‘, mediehjältinna ‚Medienheldin‘, tv-hjältinna ‚Fernsehheldin‘, statsrådinna ‚Staatsrätin‘, Strömsholmsryttarinna ‚Strömholmsritterin‘ Bezeichnungen aus dem Bereich des Sports guldhjältinna ‚Goldheldin‘, juniorvärldsmästarinna ‚Juniorweltmeisterin‘, OSmästarinna ‚Olympiameisterin‘, US-open-mästarinna, världscupmästarinna Bezeichnungen von Tieren björninna ‚Bärin‘, bragdlejoninna ‚Prachtlöwin‘ Es zeigt sich eine größere Anzahl unterschiedlicher Bildungen, wobei die Formen lärarinna und mästarinna sowie prästinna und värdarinna jeweils produktives zweites Glied von verschiedenen Bildungen in diesem Bereich sind. Rechnet man auch die Bezeichnungen aus dem Bereich des Sports zu den Tätigkeitsbezeichnungen, was gerechtfertigt erscheint, so zeigt sich, dass alle in press 98 zum ersten Mal verzeichneten Bildungen auf – inna Tätigkeitsbezeichnungen sind und sich keine Bildungen zur Relationsbestimmung oder zur Eigenschaftscharakterisierung finden. Auch in feministischen Medien sind Neubildungen auf –inna belegt, wie die Form machobyggjobbarinnor ‚Machobauarbeiterinnen‘189. Die Neubildung von Formen auf –inna in diesen Medien kann dadurch erklärt werden, dass in feministischen Diskursen ein stärkeres Bedürfnis nach gegenderter Benennung als im öffentlichen Diskurs schwedischer Tageszeitungen bestehen kann. In entsprechenden Verwendungsweisen wird die vorgebliche Genderunspezifizierung der Formen mit Null-Suffix und der Formen, die auf die Suffixe –are und –ös enden, als eine verdeckt genderspezifizierend männliche Appellationspraxis, die zu einer allgemeinmenschlichen erhoben wird, offen gelegt. Die Annahme, dass ein Wegfall konventionalisiert genderspezifizierend weiblicher Appellations-
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188 Der Übergang zu Tätigkeitsbenennungen ist fließend. So hätten diese Formen auch in die vorangehende Kategorie eingeordnet werden können. 189 http://www.minou.nu/minou_3/o_teater_lacrimosa.htm vom 7.3.2003.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 575
formen bei Suffigierungen zu einer Genderunspezifizierung der entsprechenden Kontexte führe, wie Himanen (1990) es beispielsweise vertritt, ist die implizite Übernahme der Annahme, dass eine fehlende sprachliche Genderausdifferenzierung automatisch oder selbstverständlich eine Genderunspezifizierung bedeute. Dies basiert auf der Annahme, dass das Fehlen einer expliziten Genderdichotomie in Texten ihre Genderunspezifizierung bedeute, welches vor dem Hintergrund der Annahme einer männlich geprägten, patriarchalen hegemonialen Sichtweise in der westlichen Kultur zu hinterfragen und nicht als gegeben hinzunehmen ist. Ausgehend von der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Kritik an den linguistisch vertretenen Annahmen zu Genderunspezifizierung, wie sie besonders im fünften Kapitel diskutiert worden sind, kann die weitgehende Durchsetzung von personalen Appellationsformen, die konventionalisiert genderspezifizierend männlich appellieren, auch zur konventionalisierten genderunspezifizierenden Appellation im öffentlichen Diskurs als die Durchsetzung einer männlich hegemonialen Praxis gedeutet werden, die die implizite Genderdiskriminierung und die weiterhin bestehende Genderdifferenzierung in der Konzeptualisierung gleichzeitig unsichtbar macht. Dies bestätigt sich durch die Belege aus feministischen Diskursen, die entgegen der generellen Tendenz eine explizite Genderdifferenzierung, u.a. durch suffigierte Neubildungen, aufweisen. Diese These geht über die Analyse suffigierter Formen zur expliziten genderspezifizierenden personalen Appellation hinaus. Der These von Himanen (1990), dass ein Wegfall genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen Zeichen von zunehmender Gendergleichstellung sei, die so auch von Holmberg (1995) vertreten wird, wenn er genderspezifizierend suffigierte Formen in historischen und exotischen Kontexten festmacht, wodurch die heutige schwedische Gleichstellung implizit hergestellt wird, steht die These von Lorentzon (2002) gegenüber, dass eine zunehmende Gendergleichstellung sich eigentlich in einer Zunahme genderausdifferenzierender Appellationsformen niederschlagen müsse, und, da dies nicht beobachtet werden könne, sprachinterne Gründe für einen Wegfall bestimmter Suffigierungen offensichtlich als wichtiger als sprachexterne Gründe, zu denen in diesem Kontext gegenderte Gleichstellungstendenzen zu rechnen seien, angesehen werden müsse.190 Auch wenn beide Herleitungen auf einer Ebene konträr zueinander argumentieren, liegt ihnen beiden jedoch eine ähnliche, in der vorliegenden Arbeit kritisierte Präsupposition in ihrer jeweiligen Auffassung zu Grunde, wenn sie von einer Norm für Genderunspezifizierung
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190 Vgl. Hornscheidt (2006b) für eine ausführlichere Diskussion dieser These.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
ausgehen, die bei beiden für die schwedische Gesellschaft als in gewisser Form erreicht angesehen wird: Während Himanen (1990) und Holmberg (1995) dies an dem Wegfall genderspezifizierend weiblicher Appellationsformen festmachen und es als eine sprachliche und gesellschaftliche Genderunspezifizierung bzw. Gleichstellung interpretieren, sieht Lorentzon (2002) in der faktischen Partizipation von Frauen an bestimmten Berufszweigen, die traditionell männlich besetzt waren, eine Gleichstellung erreicht, die sich bei ihm jedoch – aus sprachinternen, Wortbildungsgründen – nicht sprachlich niederschlägt. Die Annahme einer heutigen, nicht gleichgestellten schwedischen Gesellschaft wird so bei beiden Erklärungsansätzen, wenn auch auf verschiedenen Wegen, negiert und stattdessen implizit ein Bild einer gleichgestellten schwedischen Gesellschaft hergestellt. Die einzige Frage, die sich ihnen stellt, ist, ob sich dies sprachlich ausdrückt – und in diesem Moment als Beleg für die Gleichstellung herangezogen werden kann oder ob sich dies nicht sprachlich ausdrückt, was als Beleg für die Unabhängigkeit sprachlicher von sozialer Veränderung ausgelegt wird. Diese Analyse zeigt auf, dass auch auf einer bestimmten Ebene sich widersprechende Erklärungsansätze trotzdem von den gleichen Vorannahmen, in diesem Falle der Annahme der gleichgestellten schwedischen Gesellschaft, ausgehen können. „Zwischen“ diesen beiden Ansätzen befindet sich das weiter oben angeführte Modell der nur unzureichenden Grammatikalisierung der Suffigierung im Schwedischen von Jobin (2004), welches sie mit einer Mischung aus sprachlichen und gesellschaftlichen Gründen motiviert. Dass es jedoch entgegen ihrer Annahme auch weiterhin eine gewisse Produktivität der Suffigierung im heutigen Schwedischen gibt, zeigen die hier vorgestellten empirischen Untersuchungen. In NYO (2000) findet sich ein Eintrag mit dem Suffix -(er)ska, ståupperska ‚Aufsteherin: Standup-Komödiatin‘,191 gegenüber 90 Einträgen auf are. Es zeigt sich eine Produktivität der Wortbildung für personale Appellationsformen durch –are, durch die sowohl Adjektive, Verben als auch englische Entlehnungen zu personalen Appellationsformen im heutigen Schwedisch gebildet werden.192 Auch wenn nur eine Form lexikalisiert in NYO 2000 verzeichnet ist, lassen sich doch für die Korpora press 95 und press 98 141 unterschiedliche Formen feststellen.193 Vielen von ihnen sind
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191 Vgl. weiter unten. 192 Vgl. zum Beispiel die Formen greenpeaceare, inlineåkare ‚Inlinefahrer‘, sjukfuskare ‚Krankheitsbetrüger‘, festfixare ‚Partyorganisator‘. 193 Vgl. die Tabellen im Anhang bei Lorentzon (2002).
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 577
Gelegenheitsbildungen, die nur mit einzelnen Belegen verzeichnet sind, eine ganze Reihe ist jedoch auch in den 90er Jahren frequent, insbesondere die Formen sköterska in zahlreichen Zusammensetzungen (am frequentesten: sjuksköterska), sångerska, svägerska, städerska, skådespelerska, motspelerska ‚Gegenspielerin‘, kokerska und hushållerska ‚Haushälterin‘. Neben dem frequenten Vorkommen von sköterska194 gibt es im Zeitungskorpus der 90er Jahre noch eine Reihe weiterer, traditionell und stereotyp weiblicher Beschäftigungen, die in personalen Appellationsformen durch entsprechende Suffigierungen zum Ausdruck gebracht werden. Dabei handelt es sich jeweils um statusniedrige Beschäftigungen mit traditionell weiblichen Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsbereichen. Die Form svägerska ‚Schwägerin‘ gehört zu der Gruppe der Verwandtschaftsbezeichnungen, die ebenfalls nahezu durchgängig genderspezifiziert ist.195 Sie hebt sich von den lexikalisiert genderspezifizierenden Verwandtschaftsbenennungen dadurch ab, dass sie einen nicht angenommen biologischen Verwandtschaftsstatus charakterisiert. An diesem Beispiel zeigt sich eine an der Grenze von Lexikalisierung zu Grammatikalisierung festmachbare Differenzierung zwischen angenommener biologischer Abstammung und anderen Verwandtschaftsrelationen. Die Vorkommen der Form motspelerska ‚Gegenspielerin‘ im Tageszeitungskorpus werden jeweils mit konkretem Bezug auf eine weibliche Person genannt, deren Name direkt vor oder nach der Form motspelerska explizit gemacht wird. Die so benannte Frau bildet in allen Kontexten jeweils einen direkten Gegenpol zu einem Mann, der ebenfalls explizit namentlich benannt ist. Durch die so gleichzeitig hergestellte Genderopposition bekommt die Form eine spezifische Konzeptualisierung: Von den 17 Vorkommen der Form im Korpus sind neun in einer Nominalphrase mit einem vorangestellten Relativpronomen, was die direkte gegengeschlechtliche Relation noch mal verdeutlicht. In drei weiteren Fällen ist der eine männliche Person spezifizierende Name als Genitivkonstruktion dem Substantiv vorangestellt. Die genderspezifizierende Form motspelerska wird somit jeweils in Kontexten verwendet, in der sie auf eine konkrete weiblich dargestellte Person appelliert, die jeweils in direktem und konkretem Kontrast zu einer männlich benannten Person etabliert wird. Die genderspezifizierende Form wäre in allen Fällen eigentlich unnötig, da sie jeweils im Zusammenhang mit einer genderspezifizierenden Namensnennung erfolgt. Durch ihren Gebrauch wird jeweils die Vorstellung einer
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194 Vgl. weiter unten. 195 Vgl. Kapitel 3.
578
6. Produktion personaler Appellationsformen
Genderdichotomie verstärkt und die Tätigkeit des ‚Gegenspielens‘ bekommt in den jeweiligen Texten eine sexuelle Belegung. Wie bereits erwähnt, ist in NYO (2000) darüber hinaus die Form ståupperska verzeichnet, die in den Tageszeitungskorpora von Språkbanken nicht belegt ist. Sie wird im Wörterbuch als „kvinnlig ståuppkomiker“ ‚weiblicher Standup-Komödiant‘ erklärt.196 Es kann überlegt werden, ob die genderspezifizierend weibliche Bildung einer Form, die hier den Status eines Lexikoneintrags bekommt, als Parallelbildung zu skådespelerska und sångerska interpretiert werden kann und ob die Benennung von künstlerischen Tätigkeiten in besonderer Weise eine Genderspezifzierung nahe legt, wie es bereits für den Bereich des Sports und der Musik festgestellt worden ist. In dem in alltagssprachlichem Stil mit häufiger direkter Rede verfassten Roman von Lodalen (2003) sind keine Neubildungen auf –inna, dafür aber eine ganze Reihe unterschiedlicher Bildungen auf –erska zur genderspezifizierend weiblichen Appellation verzeichnet: mörderskor ‚Mörderin‘, (hotell)städerska ‚(Hotel)Putzfrau‘, (hår)frisörska ‚(Haar)Frisörin‘, lyssnerska ‚Zuhörerin‘, trösterska ‚Trösterin‘, uppiggerska ‚Aufmunterin‘, eldsluskerskor ‚Feuerschluckerin‘, gråterska ‚Weinende‘.197 Es zeigt sich insgesamt, dass außerhalb von Tätigkeitsbezeichnungen die grammatikalisiert genderspezifizierend weiblichen Bildungen speziell für diese alltäglichen Tätigkeiten verwendet werden, die stereotyp weibli-
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196 Vgl. NYO (2000: 281). Unter dem Eintrag ståuppkomiker auf derselben Seite findet sich die Erklärung „artist som ensam och i nära kontakt med sin publik underhåller med improviserade kvickheter och fräcka skämt.“ (NYO 2000: 281) Während bei der genderspezifizierend weiblich appellierenden Form lediglich das Charakteristikum der Genderidentität in der Erklärung herausgehoben wird und die Tätigkeit nicht näher in der Erklärung des Wörterbuchs spezifiziert ist, wird die Form ståuppkomiker in dem Eintrag zur neutralen Form erklärt, die nicht über Gender, sondern nur über die Tätigkeit charakterisiert wird. Die Frage der genderspezifizierend männlichen Appellation scheint sich, auch im Jahre 2000, nicht zu stellen, wenngleich die angeführten Textbeispiele genderspezifizierend männliche Appellation nahe legen. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie Weiblichkeit zu Gender gemacht wird und im Diskurs von Wörterbüchern zugleich zu dem bestimmenden Faktum in einer Erklärung einer entsprechenden Appellationsform, ohne dass überhaupt die Notwendigkeit einer auch inhaltlichen Tätigkeitsspezifizierung zur Erklärung der Form in Betracht gezogen wird. Dadurch verstärkt sich normierend der Eindruck, dass genderspezifizierend weibliche Tätigkeitsbenennungen ausschließlich über Gender wahrgenommen werden, was auf der anderen Seite eine Ablehnung einer solchen Appellationspraxis von den ‚Betroffenen‘ nahe legt. Es wird betont, dass Wörterbücher an einer solchen Konzeptualisierung von Weiblichkeit als Gender und Männlichkeit als Allgemeinmenschlich machtvoll mit arbeiten. 197 Die Formen sind jeweils als Singular- bzw. Pluralformen so aufgeführt, wie sie in dem Roman benutzt worden sind.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 579
che Verhaltensweisen in zwischenmenschlichen Kontakten darstellen. Die Verwendungsweisen belegen, dass es auch weiterhin ein öffentliches Bewusstsein über die Möglichkeit der Verwendung dieser Suffigierung zur weiblichen Genderspezifizierung gibt, die als solche eingesetzt in verschiedenen Diskursen eingesetzt wird. Sjuksköterska ‚KrankenpflegerIn‘ Himanen (1990) konstatiert, dass es zwischen den 60er und 70er Jahren zu einer Zunahme von Berufsbezeichnungen auf –(er)ska gekommen ist. Diese Feststellung ist vor allem auf eine veränderte Zusammensetzung des Korpus von 1976 gegenüber dem Korpus von 1965 sowie auf eine frequente Verwendung der Form sjuksköterska in verschiedenen Kombinationen und einer Ausdifferenzierung des Berufsbildes zurückführbar. Es ist zu fragen, ob es sich um eine allgemeinere Tendenz handelt oder ob diese lediglich für die Form sjuksköterska konstatiert werden kann. Lorentzon (2002) ergänzt Himanens (1990) Untersuchung und stellt anhand des Sprachmaterials aus Språkbanken für die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die These auf, dass Kompositabildungen mit –sköterska eine weitere Steigerung gegenüber den Vergleichszeiträumen der Jahrzehnte zuvor erfahren. Die vermehrte Verwendung der Form kann dadurch erklärt werden, dass sjuksköterska als Oberbegriff über das Berufsbild fungiert, während sjukskötare ein feststehender Terminus für ein Berufsbild mit einer geringeren Ausbildungslänge ist in Schweden.198 Es handelt sich um einen relativ einzigartigen Fall nicht nur bezogen auf das Schwedische, der in der Forschung gemeinhin als Beleg für die Gendergleichstellung in Schweden herangezogen wird. Dass die zuvor konventionalisiert genderspezifizierend weiblich appellierende Form zum Oberbegriff wurde und auch Männer mit der Form appelliert werden können, wird im Zusammenhang dieser Arbeit hingegen mit der mit der Form sjuksköterska verbundenen Konzeptualisierung von Weiblichkeit in Verbindung gebracht. Nicht nur ist dieser Beruf auch weiterhin hauptsächlich von Frauen ausgeübt, auch und vor allem ist er mit seinem Schwerpunkt auf Pflege und Betreuung weiblich konzeptualisiert. Während, wie in Kapitel 3 ausgeführt und kritisiert wurde, auch in der linguistischen Forschung dies häufig als Beleg für die gleichgestellte schwedische Gesellschaft angeführt wird, geht Lorentzon (2002) noch
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198 In Finnland ist dies nicht der Fall, vgl. Siivonen (1994); vgl. auch Kapitel 3.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
einen Schritt weiter, indem er aus dieser Form ableitet, dass das Suffix – (er)ska im heutigen Schwedisch seine genderspezifizierend weibliche Appellationsintention verloren habe. Diese Erklärung wird hinsichtlich ihrer Pauschalisierung kritisiert: Von der einzelnen Form aus auf eine allgemeine Tendenz zu schließen, erscheint im Kontext der anderen Formen, in denen das Suffix auch im heutigen Schwedisch noch genderspezifizierend weibliche Appellationen intendiert, schon mehr als grob verallgemeinerend und unzulässig. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass für die Form sjuksköterska eine Lexikalisierung angesetzt werden kann, in der die Form nicht mehr als ein Stamm zusammen mit einem Suffix wahrgenommen wird, sondern als eine Einheit, die vor allem zur Appellation eines bestimmten Berufsbildes dient, welches stark weiblich konzeptualisiert ist. Lorentzons (2002) Schlussfolgerung, dass der Beruf hauptsächlich von Frauen ausgeübt worden sei und es deswegen logisch sei, dass die ‚ursprünglich‘ genderspezifizierend weiblich appellierende Form zur genderunspezifizierenden Grundform werde, widerlegt er selbst mit Blick auf die Form lärarinna, die im Schwedischen auch nicht zur Grundform avanciert ist, obwohl dieser Beruf ebenfalls hauptsächlich von Frauen ausgeübt wird. Sehr viel näher scheint eine Erklärung zu liegen, dass in den jeweiligen Berufsbildern stereotype Weiblichkeitskonzeptualisierungen jeweils eine unterschiedlich starke Rolle spielen. Tabelle 19: Sjuksköterska in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
sjuksköterska sjuksköterskan davon genderspezifizierend weiblich appellierend davon genderspezifizierend männlich appellierend
1965 5 2 2
1976 8 7 7
1987 57 12 7
1995 76 29 7
1996 50 16 10
1997 126 43 25
1998 71 43 17
0
0
2
2
0
1
3
Letztere These wird besonders bei einer Auswertung der bestimmten Form sjuksköterskan im Korpus bestätigt: Im direkten Kontext der Form wurde in den überwiegenden Fällen eine genderspezifizierend weibliche Appellation hergestellt, insbesondere durch die Wendung sjuksköterskan + [weiblicher Vorname] (+ [Nachname]). Die weibliche Genderstereotypisierung dieses Berufsbildes wird in den Tageszeitungen bei dem konkreten Bezug auf eine Person reproduziert und weiter verfestigt. Auch weiterhin
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 581
ist die Benennung männlicher Personen in diesem Beruf eher die Ausnahme im öffentlichen medialen Diskurs, so dass die Konzeptualisierung des Berufs als gendertypisch weiblicher bestehen bleibt. Von den fünf Vorkommen der Form sjuksköterska im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache findet sich ein mit Hinblick auf Genderspezifizierung sprachreflexiver Beleg: „B: men de{t} (de{t}) e0 rätt lusti{g}t fö{r} de{t} beror ju lite på vi{l}ka // vi{l}ken POSITION de{t} e0 om ma+ om man pratar me{d} en <sjuksköterska> som man inte vet om de{t} e0 en han elle{r} hon // e0 [16 de{t}]16 en [100 direktör ]100 däremot så säger man nog rätt ofta HAN // så säger man allti{d} HON av @ D: mm ... A: (att) de{t} e0 [28 diskrimineradne ]28 B: <1 [klasskillnad ]28 <2 [132 mellan ]132 >2 >1 sjuksköterska å0 direktör @ <1 overlap: klasskillnad me0 ]llan >1 @ <2 overlap: me0[llan >2 D: [132 m ]132.“199
In dieser Diskussion wird die genderspezifizierende Pronominalisierung von sjuksköterska mit hon ‚sie‘ und direktör mit han ‚er‘ als ein Status- oder Klassenunterschied wahrgenommen, der sich sprachlich manifestiert. Diese Alltagsargumentation unterscheidet sich signifikant von einer linguistischen, in der, wie im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, die genderunspezifizierende Appellation durch sjuksköterska im heutigen Sprachgebrauch als eine positive Errungenschaft der Gleichstellung der schwedischen Gesellschaft interpretiert worden ist. In der alltagspraktischen, sprachreflexiven Diskussion, wie sie in dem mündlichen Sprachbeleg stattfindet, kommt hingegen eine andere Konzeptualisierung zum Ausdruck. Auch Sundqvist (1980) bemerkt in seiner teilnehmenden Beobachtung, dass die Form sjuksköterska in der direkten Anrede an Männer vermieden wird, sondern stattdessen in der Regel der Vorname der männlichen Personen in entsprechender Tätigkeit benutzt wird. Zusätzlich ist dieser mündliche Sprachbeleg auch insofern besonders interessant, als dass hier die Rolle der pronominalen Wiederaufnahme für Genderspezifizierung und die Annahme ihrer Gendereindeutigkeit zum Ausdruck ge-
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199 ‚B: aber das das ist recht lustig, denn es kommt ja ein wenig darauf an welche POSITION es ist wenn man mit eineR KrankenpflegerIn spricht wenn man nicht weiß ob es ein er oder eine sie ist einE DirektorIn da sagt man wohl recht häufig ER so sagt man immer SIE von D: mm ... A: dass das diskriminierend B: Schichtunterschied zwischen KrankenpflegerIn und DirektorIn D: m.‘ V 4600021 (discussion) aus dem Göteborger Datenkorpus.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
bracht wird, die eine genderunspezifizierenden Verwendung des Pronomens han ‚er‘ widerspricht.
Kassörska/kassör ‚Kassiererin/Kassierer‘ Himanen (1990) hat in den Korpora von 1965 und 1976 im Gebrauch der Formen kassörska und kassör nicht nur eine Genderspezifizierung, sondern auch eine Unterschiedlichkeit in der Tätigkeit, die bezeichnet wird, ausgemacht. Dies soll durch einen Vergleich mit dem Sprachmaterial der 90er Jahre gegen gelesen werden. Tabelle 20: kassörska und kassör in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
kassörska kassör
1965 0 4
1976 2 19
1987 0 26
1995 12 28
1996 5 27
1997 11 15
1998 4 13
Die Form kassörska ist im Medienkorpus in den 90er Jahren in Relation zu der Form kassör immer noch relativ frequent, und es handelt sich weiterhin um eine frequent gebrauchte Benennungsform: Insgesamt 83 Belege für kassör stehen 32 für kassörska in den Korpora der 90er Jahre gegenüber. In 24 der 32 Belege für kassörska in den 90er Jahren bezieht sich die Form kontextuell eindeutig auf eine Kassentätigkeit in der Lebensmittelbranche und damit auf einen statusniedrigen, schlecht bezahlten Beruf. In einem Beleg von 1997 wird die Form zur Kennzeichnung einer heterosexuellen Relation verwendet,200 in vier Fällen für eine Kassentätigkeit bei einem Geldinstitut oder in der Verwaltung. Im Korpus von 1995 finden sich zudem zwei Belege, in denen die Form gebraucht wird, um genderstereotype Tätigkeiten in einer genderdichotomen Gegenüberstellung zu verdeutlichen,201 die die genderstereotypisierende Konzeptualisierung der Tätigkeit herausstellt und weiter verstärkt. Von den 83 Belegen für kassör sind nur zwei potentiell eine Kassentätigkeit in der Lebensmittelbranche bezeichnend, alle anderen beziehen
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200 Vgl. Språkbanken: „[e]n sexuell relation mellan en fet slaktare och en ung kassörska.“ ‚eine sexuelle Beziehung zwischen einem fetten Schlachter und einer jungen Kassiererin.‘ 201 Vgl. Språkbanken: „[d]är ägaren själv var maskinist och frun kassörska.“ ‚Wo der Besitzer selbst Maschinist war und die Frau Kassiererin.‘ „Det är väl ingen kassörska eller buschaufför“. ‚Das ist wohl keine Kassiererin oder Busfahrer.‘
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 583
sich auf statushöhere Schatzmeister/innen-Tätigkeiten in politischen Organisationen, Verwaltungen und vor allem Sportvereinen. In elf Fällen erfolgt die Verwendung der Form kassör im Zusammenhang mit einer genderspezifizierend weiblichen Namensnennung. Diese Analyse zeigt, dass die Formen kassörska und kassör auch in den 90er Jahren unterschiedliche Tätigkeiten benennen und kein genderspezifizierendes und ansonsten symmetrisches Paar einer Tätigkeitsbenennung bilden. Während die Form kassör auch relativ frequent zur Spezifizierung weiblicher konkreter Personen im Tageszeitungsmaterial zu finden ist, gibt es keinen Beleg dafür, dass auch die Form kassörska vor allem eine Tätigkeitsbenennung ist und daher auch mit genderspezifizierend männlichen Namen kombiniert werden könnte: Alle konkretisierenden Vorkommen dieser Form sind zugleich auch genderspezifizierend weiblich. Mit der Tätigkeitsbenennung geht auf diese Weise zugleich auch eine ungebrochene Genderstereotypisierung einher, in der die statusniedrigere Tätigkeit zugleich auch genderspezifizierend weiblich konzeptualisiert und dies im Material der Tageszeitungen auch in den 90er Jahren nicht gebrochen wird. Vom Prinzip her wäre eine ähnliche Entwicklung wie bei der Form sjuksköterska denkbar, die konkreten Belege weisen jedoch eher auf eine unhinterfragte, über Jahrzehnte tradierte Genderstereotypisierung mit der statusniedrigeren Tätigkeit hin. 6.5.2 Konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellation durch Suffigierungen auf –ös Konventionalisiert genderspezifizierend weiblich appellierende Formen auf –ös haben nach Himanen (1990) in ihrem Untersuchungszeitraum am meisten abgenommen, welches sie auch an den Kompositabildungen mit den entsprechenden Formen festmacht. Es finden sich für dansös ‚Tänzerin‘ in dem Korpus von 1965 vier verschiedene Bildungen, 1976 nur eine. Vergleicht man dies mit den Komposita auf dansös in den Korpora von 1985 bis 1998 in Språkbanken, so kann festgestellt werden, dass es zu zahlreichen Neubildungen in dem Bereich gekommen ist. Das Lexem dansös kommt in den 90er Jahren in 15 verschiedenen Komposita als zweites Glied in den Korpora der schwedischen Tageszeitungen vor. Die häufigste Verbindung ist mit bestimmten Tanzformen (ballet, samba, stepp) und Auftrittsorten (opera, variete, nattklubb ‚Nachtclub‘). Die häufigste Kompositabildung liegt mit ballett vor, die zweithäufigste mit mag. Das heißt von der euphemistischen Verwendung des Substantivs dan-
584
6. Produktion personaler Appellationsformen
sös in Komposita in den 60er und 70er Jahren hat eine Veränderung hin zu einer Ausdifferenzierung der Tätigkeit in verschiedene Genres und Bereiche stattgefunden, bei denen die euphemistisch ausgedrückte Implikation käuflicher Sexualität nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Entgegen der von Himanen (1990) zwischen 1965 und 1976 beobachteten Tendenz der Abnahme der Form dansös auch in Kompositabildungen, kann diese nicht für einen Vergleich zu den 90er Jahren bestätigt werden. Stattdessen kann konstatiert werden, dass es die Form als genderspezifizierend weibliche Appellation intendierendes Substantiv weiterhin gibt und diese für verschiedene Tätigkeitsorte und –bereiche in Kompositabildungen ausdifferenziert benutzt wird. Daneben finden sich in press 97 und press 98 auch zwei einzelne Belege, in denen eine Ableitung auf –erska zur genderspezifizierend weiblichen Appellation gebildet worden ist: lindanserska und solodanserska, so dass hier verschiedene Wortbildungsformen zur genderspezifizierend weiblichen Appellation zu finden sind. 6.5.3 Konventionalisiert genderspezifizierende Appellation durch Suffigierungen auf –ris und -ör Zu dieser Gruppe gehören heute nicht mehr viele Formen. Am frequentesten zu finden ist die Form servitris ‚Serviererin‘ als genderspezifizierend weiblich appellierende Form, die der Form servitör ‚Servierer/Kellner‘ gegenübersteht. In anderen Tätigkeitsbereichen sind genderspezifizierend weibliche Formen auf –is nahezu verschwunden und vollständig durch Formen auf –ör ersetzt. In Språkbanken finden sich die folgenden Bildungen auf –tris im Korpus der Tageszeitungen: servitris, X202-servitris, aktris ‚Schauspielerin‘, Xaktris, recitatris ‚Rezitatorin‘, operatris ‚Opernschauspielerin‘, inspektris ‚Inspektorin‘, X-inspektris, direktris ‚Direktrice‘, X-direktris, X-konstruktris ‚Konstruktörin‘, skulptris ‚Skulptörin‘. Die häufigsten Formen sind serivitris und aktris, eine gewisse Produktivität zeigt sich darüber hinaus jedoch auch für die Formen direktris und inspektris, die ebenfalls in mehreren Bildungen als zweites Glied vorkommen. Auffallend ist das Schwergewicht auf Formen künstlerischer Tätigkeit. In dem Roman von Lodalen (2003) kommt neben der Form servitris auch die Bildung chefredaktrisen ‚Chefredakteurin‘ als eine Ad-Hoc-Bildung zur genderspezifizierend weiblichen Appellation vor. Im selben Roman
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202 X steht hier jeweils für wechselnde erste Glieder.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 585
findet sich aber auch die Form redaktör als Appellation auf eine Frau, so dass nicht von einer durchgängigen Strategie der entsprechenden Genderspezifizierung in Bezug auf diese Tätigkeit in dem Roman gesprochen werden kann. Gegenüber den personalen Appellationsformen auf –tris, die alle genderspezifizierend weiblich appellieren, findet sich eine unvergleichlich größere Anzahl verschiedener und auch frequenter Bildungen mit –tör im Bereich personaler Appellation. Die häufigsten Bildungen in press 98 sind in wirtschaftsnahen Tätigkeiten die Benennungen X-direktör, X-inspektör, X-leverantör ‚X-Lieferer‘, X-montör ‚X-Monteur‘, X-exportör ‚X-Exporteur‘, X-importör, X-reparatör ‚X-Reparierer‘, X-operatör ‚X-Operatör‘, in Tätigkeitsbenennungen aus dem Bereich der medialen Berichterstattung Xinformatör ‚X-Informierer‘, X-presentatör ‚X-Präsentierer‘, X-organisatör ‚XOrganisierer‘, X-administratör ‚X-Verwalter‘, X-redaktör, X-rapportör ‚XBerichterstatter‘, X-debattör ‚X-Debattierer‘, aus dem Bereich der künstlerischen Tätigkeiten X-kompositör, X-aktör, sowie in weiteren Tätigkeiten die Benennungen X-konduktör, X-instruktör ‚X-Instruierer‘.203 Direkte genderspezifizierend weibliche Oppositionsformen finden sich nur für eine geringe Anzahl dieser Formen, wobei sie in der Regel über eine geringere Anzahl erster Glieder als Voranstellung vor dem jeweilis personal appellierenden Wort verfügen. Für die Gruppe der wirtschaftsnahen Tätigkeiten sind prototypisch männliche Vorstellungen zu erwarten. Interessant ist darüber hinaus die ausdifferenzierte Benennung von Tätigkeiten aus dem Bereich der Medien, der zusätzlich auf Berichterstattung eingegrenzt ist. Auch in diesem Fall sind prototypisch männliche Vorstellungen als allgemeinmenschliche zu erwarten. Es kann gefragt werden, welche Konzeptualisierung mit einer genderspezifizierend weiblichen Benennung verbunden ist, dass sie in manchen Fällen noch erhalten scheint. Sowohl bei servitris als auch den verschiedenen bühnennahen Tätigkeiten handelt es sich nicht um neue, auch von Frauen ausgeübte Berufe, denen durch die Grammatikalisierung der weiblichen Genderspezifizierung auch weiterhin diese als bestimmendes Merkmal zu- und eingeschrieben ist. Während servitris eine prototypisch weibliche Tätigkeit in konventionalisierter Vorstellung ausdrückt, ist die Relevanz der Genderspezifizierung von Tätigkeiten auf der Bühne bereits in Kapitel 3 ausführlicher diskutiert worden. Die Formen instruktris, direktris und konstruktris hingegen appellieren auf Frauen in prototypisch
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203 Alle diese Formen haben zahlreiche Bildungen, sie kommen aber auch ohne ein vorangestelltes erstes Glied im Korpus vor.
586
6. Produktion personaler Appellationsformen
männlichen Tätigkeitsbereichen, so dass es in bestimmten Kontexten notwendig erscheint, eine Genderspezifizierung grammatikalisiert zum Ausdruck zu bringen. 6.5.4 Konventionalisiert genderspezifizierend weibliche Appellation durch Suffigierungen auf –essa Bildungen auf –essa sind größtenteils veraltet. In press 98 finden sich die folgenden genderspezifizierend weiblichen Formen aus dem Bereich der Benennung eines adligen Standes: baronessa ‚Baronin‘, X-baronessa, principessa, prinsessa, X-prinsessa, contessa ‚Comtess‘. Die Form prinsessa ‚Prinzessin‘ ist mit unterschiedlichen ersten Gliedern versehen auf verschiedene weitere Bereiche anwendbar und besitzt insofern einen metaphorischen Status der Übertragung einer Konzeptualisierung von einem höheren Stand und einem adligen Auftreten, wie beispielsweise in den Formen folkhemsprinsessorna ‚die Volksheimprinzessinnen‘, krigarprinsessan ‚die Kriegerprinzessin‘, cirkusprinsessa ‚Zirkusprinzessin‘, isprinsessa ‚Eisprinzessin‘. Die nur noch geringe Frequenz dieser Formen und ihre fehlende Produktivität weist auf ein Abnehmen der Relevanz genderspezifizierend weiblicher, adliger personaler Appellationsformen als Metaphernquelle hin. 6.5.5 Zusammenfassung Zusammenfassend zeigt sich, dass es kein einheitliches Bild hinsichtlich Genderspezifizierung durch Suffigierung im heutigen Schwedisch gibt. Das von Himanen (1990), Holmberg (1995), Jobin (1998 und 2004) und Lorentzon (2002) postulierte Aussterben der Suffigierung zur genderspezifizierend weiblichen Appellation kann nicht in dieser Generalisierung bestätigt werden. Besonders für genderspezifizierend weibliche Appellation ist Suffigierung in vielen Fällen weiterhin ein produktives Mittel, welches auch zu Neubildungen führt und in einigen Bereichen über Jahrzehnte ohne Veränderung erhalten bleibt. Dies zeigt gleichzeitig die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Gender, wenn sich eine klare Tendenz aufzeigen lässt, dass nur weibliche Genderspezifizierung als gesonderte Suffigierung wahrgenommen wird, während die genderunspezifizierende mit der genderspezifizierend männlichen Appellation in weiten Teilen zusammenfällt bzw. nicht klar ausdifferenziert werden kann. Bereiche, in denen eine weibliche Genderspezifizierung durch Suffigierung mit auch unterschiedli-
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 587
chen Suffixen heute frequent und produktiv zu finden sind, sind der künstlerische Bereich und der Bereich des Sports. Darüber hinaus findet eine genderspezifizierende Suffigierung bei der Benennung von Personen als Teil über Sexualität definierter Paarbeziehungen durchgängig und beidseitig statt, was die besondere Bedeutung einer Genderspezifizierung für eine Sexualitätswahrnehmung betont und die Ergebnisse zu lexikalisierter Genderspezifizierung unterstreicht. Es können unterschiedliche Genres unterschieden werden, und es kann festgestellt werden, dass die Verwendung genderspezifizierend weiblicher Suffigierungen in feministischen Kontexten häufiger und produktiver als beispielsweise in schwedischen Tageszeitungen eingesetzt wird. Im Gegensatz zur Lexikalisierung einer Genderspezifizierung, die in vielen Fällen mit einer Naturalisierung der Genderkonzeptualisierung einher geht, findet sich die Suffigierung vor allem in Kontexten, in denen eine Appellation über Tätigkeitscharakterisierungen hergestellt wird. Eine Gleichsetzung von Gender mit Weiblichkeit ist in diesem Bereich grammatikalisiert und sehr viel stärker zu beobachten als eine männliche Genderspezifizierung. Gender als Weiblichkeit bekommt häufig den Status eines zusätzlichen Attributs oder einer näheren Charakterisierung, die gleichzeitig eine Abweichung zu einer immer stärker prototypisch menschlich werdenden männlichen Norm wird. Die Genderdifferenz wird hier zu einer ungleichgewichtigen, die unterschiedliche Konzeptualisierungen aufruft. Nur in zwei Fällen, sjuksköterska und barnmorska ‚Hebamme‘204, in denen eine prototypisch weibliche Tätigkeitsvorstellung vorherrscht, wird die genderspezifizierend weibliche zur konventionalisiert genderunspezifizierenden Form. Bei sjuksköterska ist die genderspezifizierend männliche Form sjukskötare in Schweden bereits durch eine niedrigere Tätigkeit besetzt, so dass zusammen mit der typisch weiblichen Tätigkeitsbenennung eine Übernahme der Form sjuksköterska hier nahe liegt. Ein genderspezifizierend männliches Pendant zu barnmorska wäre zunächst eine Form mit einem Nullsuffix, welches dann aber mit einer lexikalisiert genderspezifizierend weiblichen Appellationsform zusammenfallen würde, barnmor, welches noch weniger für eine genderspezifizierend männliche Appellation Frage käme und die Natürlichkeit der Mutter-Kind-Beziehung betonen würde, die gerade durch die Suffigierung mit –ska in den Status einer beruflichen Tätigkeit gehoben ist. Es handelt sich um eine stereotyp Frauen zugeschriebene Tätigkeit, die zu einer beruflichen wird, was die
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204 Zu barnmorska, die in diesem Kapitel nicht mehr gesondert untersucht worden ist, vgl. Kapitel 3.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Suffigierung in diesem Fall anzeigt, da durch sie eine Opposition zu der ‚natürlichen‘ Mutterrolle hergestellt wird. Das Beispiel zeigt so zugleich, dass in der genderspezifiziernd weiblichen Suffigierung gleichzeitig auch eine Konzeptualisierung von einer nicht natürlichen Genderrolle miteinfließen kann, welches Suffigierungen innerhalb der schwedischen Gendervorstellungen205 dazu prädestiniert, Genderspezifizierungen in Bezug auf Tätigkeiten auszudrücken und so zugleich auch eine Abgrenzung zu einer Natürlichkeitsvorstellung von Gender in anderen Bereichen zu schaffen, wie sie durch genderspezifizierende Lexikalisierungen zum Ausdruck kommt. Die durchgängige Tendenz, genderspezifizierend männliche Suffigierung zur genderunspezifizierenden Appellation zu verwenden, entspricht gleichzeitig dem schwedischen Gleichstellungsmodell der Genderlosigkeit von Männern, die gerade auch in Bezug auf den Arbeitsmarkt von besonderer Relevanz ist.206 Auffällig ist auch eine Gegenüberstellung von konventionalisiert pejorisierend bewerteten Tätigkeiten von Frauen im Bereich der Kommunikation durch Bildungen auf –ska, in denen Kommunikation als Klatsch und Intrige sowie das subjektive und wertende Sprechen über Dritte konzeptualisiert wird, die den Formen auf –ör aus dem Bereich öffentlicher medialer Kommunikation, insbesondere der Berichterstattung, gegenüber gestellt werden können, in denen Kommunikation als objektive Informationsübermittlung konzeptualisiert wird. Die Frage der genderspezifizierend weiblichen Appellation im mündlichen Sprachgebrauch wird in einigen einschlägigen linguistischen Untersuchungen teilweise kurz angesprochen, beruht aber jeweils auf der sporadischen eigenen Alltagsbeobachtung. So weist Jobin (1998) beispielsweise darauf hin, dass im mündlichen Sprachgebrauch der Medien suffigierte, genderspezifizierend weiblich appellierende Formen durchaus frequent zu finden sind. Sie nennt die Beispiele lyssnerska ‚Zuhörerin‘ und brevskriverska ‚Briefschreiberin‘. Gerittsen (2002) erwähnt in einer Studie zu personalen Appellationsformen und Gender zum Niederländischen grundlegende Unterschiede zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch, die speziell für das Verhältnis von Genus und Gender eine große Rolle spielen. „For many speakers in the western and northern parts of the Netherlands, the masculine/feminine distinction in nouns no longer exists, contrary to Dutch as spoken in Belgium, where the distinction is fully alive. In spoken Dutch, the
____________ 205 Vgl. Kapitel 5. 206 Vgl. Kapitel 5.
6.5 Genderspezifizierend grammatikalisierte Appellationsformen durch Suffigierungen 589
„wrong“ anaphoric pronouns are often used and referential gender may override grammatical gender. In written Dutch, the „correct“ anaphoric pronouns are required.“ (Gerritsen 2002: 92)
Sie führt weiter aus, dass diese Praktiken in den jüngsten grammatischen Nachschlagewerken zum Niederländischen Beachtung gefunden haben. Im Göteborger Korpus der gesprochenen Sprache sind ausschließlich Bildungen auf sjuksköterska als genderspezifizierend weibliche, suffigierte Appellationsformen verzeichnet, so dass ausgehend von diesem Korpus keine weiteren Ergänzungen angefügt werden können. Diese Bemerkungen betonen die Notwendigkeit einer stärkeren Miteinbeziehung mündlichen Sprachmaterials in entsprechende Untersuchungen, die teilweise andere Ergebnisse hinsichtlich genderspezifizierender Suffigierung erwarten lassen.
6.6 Konventionalisierte Genderspezifizierung durch Attribuierung mit kvinnlig ‚weiblich‘ und manlig ‚männlich‘ Himanen (1990) stellt in ihrer vergleichenden Untersuchung von Stellenanzeigen zwischen 1965 und 1984 fest, dass 1965 noch ein gewisser Prozentsatz entsprechend attributierter personaler Appellationsformen zu finden ist, während dies 1984 nicht mehr der Fall ist.207 Jobin (2004) sieht eine Attribuierung mit kvinnlig als eine häufige Strategie der weiblichen Genderspezifizierung in Tageszeitungen an. Ihre Aussage beruht auf einer kleinen Untersuchung mit einem Korpus vom Januar 1996, und sie führt leider keinen Vergleich mit der Attribuierung mit manlig im selben Korpus an. Tabelle 21: kvinnlig und manlig in dem Tageszeitungskorpus zwischen 1965 und 1998 in Språkbanken
kvinnlig/t kvinnliga manlig/t manliga
1965 86 30,7 55 19,6
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207 Vgl. Himanen (1990: 83).
1976 59 18,4 46 14,4
1995 886 46,9 406 21,5
1996 797 49,2 390 24,1
1997 1540 46,4 697 21,0
1998 918 35,7 534 20,8
590
6. Produktion personaler Appellationsformen
Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, wird eine Attribuierung zur weiblichen Genderspezifizierung über die letzten 40 Jahre hinweg kontinuierlich doppelt so häufig wie eine Attribuierung zur männlichen Genderspezifizierung in Tageszeitungstexten realisiert. Die Tendenz, die Himanen (1990) zwischen 1965 und 1976 ausgemacht hat, dass es mit dem Bestreben um Gendergleichstellung weniger wichtig geworden sei, genderspezifizierende Attribuierungen vorzunehmen208, kann in einem Vergleich zu den Korpora aus den 90er Jahren nicht bestätigt werden: Im Verhältnis zu den Werten von 1976 ist die Genderspezifizierung mit kvinnlig um nahezu das dreifache angestiegen, die Genderspezifizierung mit manlig hingegen nur um die Hälfte des Wertes von 1976. Hieraus lässt sich ablesen, dass eine weibliche Genderspezifizierung durch Attribuierung im Verhältnis zur männlichen überproportional häufig im Untersuchungszeitraum geschieht. In einem Vergleich der Kontexte, in denen kvinnlig und manlig benutzt werden, stellt Himanen (1990) fest, dass eine Attribuierung mit kvinnlig 1965 und 1976 mehr als dreimal so häufig bei personalen berufsbezeichnenden Appellationen wie eine Attribuierung mit manlig erfolgt. Die Tätigkeitsbezeichnungen, die 1965 und 1976 mit manlig attribuiert werden, sind solche, die stereotyp weibliche Beschäftigungen charakterisieren, wie sjuksköterska, fotomodell, dansör, sekreterare ‚SekretärIn‘ und sångare ‚SängerIn‘. Letzte Verwendung kann insofern verwundern, da diese Form in der Regel in dem Untersuchungszeitraum von Himanen (1990) als genderspezifizierend männlich verwendet interpretiert und zur genderspezifizierend weiblichen Appellation die Form sångerska benutzt wird. Interessant ist die von Himanen (1990) gemachte Feststellung, dass 42% der Verwendungen von manlig und 50% der Verwendungen von kvinnlig im Korpus von 1976 in Kontexten geschieht, in denen es um Gendergleichstellungsfragen geht.209 Das heißt, dass eine männliche Genderspezifizierung vor allem in den Kontexten vorgenommen wird, in denen es um Genderverhältnisse geht und diese damit bewusster sind und zum Thema gemacht werden in dem jeweiligen Kontext. Hirdman (2001) sieht in der Verwendung der Adjektive kvinnlig und manlig in attributiver Stellung vor substantivischen Appellationsformen eine sich durchsetzende und positive Strategie der gegenderten Ausdifferenzierung von Tätigkeiten. „Integrering av kvinnor förstärker de manliga idolerna ute i arbetslivet genom att de/vi kommer in på deras villkor, genom att imitera, genom att anpassa sig till
____________
208 Vgl. Himanen (1990: 75). 209 Vgl. Himanen (1990: 75f).
6.6 Genderspezifizierung durch Attribuierung
591
rådande regler. Men detta är en process som pekar hän mot en förändring. Ty paradoxalt nog sker det samtidigt med denna förstärkning av en idealtypisk maskulin livsvärld, en begynnande differentiering mellan manliga läkare och kvinnliga läkare, mellan manliga poliser och kvinnliga poliser, mellan manliga professorer och kvinnliga professorer, mellan manliga brandmän och kvinnliga brandmän, osv. Med differentiering ökar artikulering. Med ökad artikulering ökad extremisering. Därmed skapas en förtunning av normen, både som en följd av praktiken att allt fler kvinnor suddar till bilden – men också av att den nya betoningen av „manlig“ tar bort den självklara symbios som tidigare fanns t.ex. mellan män och läkare.“210 (Hirdman 2001: 202)
Weder liegt Hirdmans (2001) Analyse eine quantitative Auswertung von Sprachmaterial zu Grunde, mit dem sie bestätigen könnte, dass es eine gleichwertige Ausdifferenzierung durch eine Attribuierung mit kvinnlig und manlig gibt und nicht nur eine Attribuierung mit kvinnlig, so dass die männliche Norm als Normalität unbenannt bleibt, noch reflektiert sie, dass auf diese Weise stereotype Gendervorstellungen reproduziert werden. Geht sie davon aus, dass weibliche und männliche Feuerwehrleute unterschiedlich wahrgenommen werden, so impliziert dies Genderunterschiede, die wiederum unbenannt bleiben und somit stereotype Vorstellungen reproduziert werden. Wie die in obenstehender Tabelle wieder gegebene quantitative Auswertung zeigt, kann Hirdmans (2001) These nicht bestätigt werden, sondern muss als widerlegt angesehen werden: Die Attribuierung durch kvinnlig/manlig ist nicht symmetrisch, sondern in den 90er Jahren mindestens im Verhältnis 2:1 asymmetrisch. Die Werte für kvinnlig/manlig im Korpus von 1976 liegen sehr viel dichter beieinander. Während es innerhalb der 90er Jahre eine relativ stabile Attribuierung mit manlig zu geben scheint, ist die Attribuierung mit kvinnlig im selben Zeitraum sogar signifikant im Abnehmen begriffen – trotzdem aber noch doppelt so hoch wie die mit manlig. Dies deutet darauf hin, dass die personale Appellation
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210 ‚Die Integration von Frauen verstärkt die männlichen Vorbilder draußen im Arbeitsleben dadurch, dass sie/wir zu ihren Bedingungen dort hineinkommen, indem wir imitieren, indem wir uns den herrschenden Regeln anpassen. Aber dies ist ein Prozess, der auf eine Veränderung hindeutet. Denn paradoxal genug geschieht gleichzeitig mit dieser Verstärkung einer idealtypischen maskulinen Lebenswelt eine beginnende Differenzierung zwischen männlichen ÄrztInnen und weiblichen ÄrztInnen, zwischen männlichen PolizistInnen und weiblichen PolizistInnen, zwischen männlichen ProfessorInnen und weiblichen ProfessorInnen, zwischen männlichen Feuerwehrleuten und weiblichen Feuerwehrleuten usw. Mit der Differenzierung steigt die Artikulierung. Mit gestiegender Artikulierung steigt die Extremisierung. Damit wird eine Aushöhlung der Norm geschaffen, sowohl als Folge der Praxis, dass immer mehr Frauen das Bild verwässern/verändern – aber auch dadurch, dass die neue Betonung von „männlich“ die selbstverständliche Symbiose, die es früher zwischen Mann und ÄrztIn gegeben hat, weggenommen wird.‘
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6. Produktion personaler Appellationsformen
auf Frauen weiterhin markiert ist und damit als ein Ausnahmefall gilt, während die personale Appellation auf Männer nicht gesondert markiert ist in den meisten Fällen, wodurch genderunspezifizierende und genderspezifizierend männliche Appellation potentiell formenmäßig zusammenfallen. Diese Annahme kann vor dem Hintergrund gemacht werden, dass, wie die Tabelle zu den personalen Appellationsformen mit kvinna und man gezeigt hat, die personale Appellation auf Männer quantitativ in Tageszeitungen stark überproportional ist. Es ist also nicht zu erwarten, dass dieses Verhältnis für andere Formen personaler Appellation, bei denen es keine genderspezifizierenden konventionalisierten Oppositionspaare gibt, anders aussieht. Die von Hirdman (2001) angeführten Formen sind zudem solche, die stark stereotyp männlich besetzt sind. Wie weiter oben ausgewertet wurde, ist weder für polis noch für brandmän ‚Feuerwehrmann‘ eine Attribuierung mit manlig zu erwarten, da das personal appellierende Substantiv selber schon so starke männliche Konzeptualisierungen aufruft. In Hirdmans (2001) Argumentation ist eine Vorstellung von Gendergleichstellung unterlegt und eine Genderneutralität von beruflichen Tätigkeiten präsupponiert, die sich in ihrer Vorstellung auch sprachlich realisiert. Die gesteigerte Häufigkeit genderspezifizierender Attribuierung in den 90er Jahren im Verhältnis zu den 60er und 70er Jahren weist andererseits auf eine Veränderung der verwendeten Muster zur Genderspezifizierung und eventuell auch auf eine konzeptuelle Veränderung hin, wenn die Genderspezifizierung nun in vielen Fällen in Form einer additiven Eigenschaft und nicht mehr als integrativer Bestandteil des Substantivs geäußert wird. In dem feministischen Roman von Lodalen (2003) findet sich häufiger eine weibliche als eine männliche Genderspezifizierung durch Attribuierung. Teilweise stehen die Bildungen kvinnlig + Substantiv auch in Opposition zu dem Substantiv ohne den attributiven Zusatz manlig, obwohl sie ebenfalls genderspezifizierend männlich appellieren. „[...] säger en sminkör som presenterar sig som Sune. Mackan och Hedda får efter en stund varsin kvinnlig sminkör längre in i tältet.“211 (Lodalen 2003: 186)212 Die Adjektivformen kvinnlig und manlig sind im Korpus der gesprochenen Sprache in Anlehnung an die Tabellen in Allwood (2000) nicht verzeich-
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211 ‚[...] sagt ein Schminker, der sich als Sune präsentiert. Mackan und Hedda bekommen nach einer gewissen Weile jede ihren weiblichen Schminker weiter hinten im Zelt.‘ 212 Weitere attributive genderspezifizierend weibliche Appellationen in Lodalen (2003) sind den kvinnliga avsändaren und kvinnliga gäster.
6.6 Genderspezifizierung durch Attribuierung
593
net, wohingegen die Form kvinnliga im dortigen Korpus der Schriftsprache213 77 Belege hat. Dies deutet daraufhin, dass eine Genderspezifizierung durch Attribuierung im gesprochenen Diskurs sehr viel seltener als im schriftsprachlichen Gebrauch zu finden ist. Im Schriftsprachendiskurs hingegen wird, wie auch in den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, eine attributive Genderspezifizierung in der Regel in Bezug auf die Explizitmachung von Weiblichkeit vorgenommen, während Männlichkeit dieser Benennung entgeht und so als (genderlose) Norm reproduziert wird. Dass diese Form der Genderspezifizierung im gesprochenen Diskurs nicht zu finden ist, deutet zudem darauf hin, dass es sich nicht um eine genderspezifizierende Strategie handelt, die im mündlichen Sprachgebrauch gängig ist. In der Göteborger Datenbank gesprochener Sprache kommt die Form kvinnlig achtmal und die Form manlig sechsmal vor. Kvinnlig dient der Genderspezifizierung vor den Appellationsformen hedersdoktor ‚EhrendoktorIn‘, förare ‚FührerIn‘, gymnastikdirektören ‚TurndirektorIn‘, förskollärare ‚VorschullehrerIn‘, könet ‚das Geschlecht‘, tonsättare ‚KompositorIn‘, chef ‚ChefIn‘ und vor dem Substantiv intuition. In den Fällen, in denen es sich um stereotyp männliche Rollenerwartungen bei den Tätigkeitsbenennungen handelt, ist die Attribuierung durch kvinnlig die Benennung einer Ausnahme. Dies kann für gymnastikdirektören, einer Wiederaufnahme von gymnastikläraren im Text, sowie förskollärare nicht behauptet werden, die eher stereotyp weiblich besetzt sind. In letzterem Fall wurde zuvor jedoch unter anderem auch die Form lärarinnor ‚Lehrerinnen‘ benutzt, so dass es sich hier um eine Strategie der durchgängigen Explizierung weiblicher Genderspezifizierung handeln könnte. Die Form manlig kommt vor den personalen Appellationsformen lärare, gäng ‚Gang‘, kamrat ‚Kamerad‘, und chefen sowie zweimal innerhalb einer Konversation ohne klaren Bezug vor. In allen Fällen handelt es sich um Kontexte, in denen es um Gleichstellung oder um die Verhandlung von Genderfragen in einem weiteren Sinne geht, das heißt, wo eine Abgrenzung zwischen einer potentiell genderspezifizierend weiblichen Appellation von einer männlichen von herausragender Bedeutung ist. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: „F: men de{t}här me{d} <jämlikhet> då va e0 de{t} // om man ska [105 def+/+iniera]105
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213 Vgl. weiter oben.
594
6. Produktion personaler Appellationsformen
@ <slow> P: [105 ja{g} tycker /]105 jämlikhet för mej ä{r} / mycke{t} att /framför allt lika / lön lika arbeite / män å0 kvinnor / ekonomisk jämlikhet / å0 de{t} ä{r} väl där som den stora revolutionen har / kommit egentligen att kvinnor ha{r} gått ut i [106 fö +/+ värvsarbetet å0]106 / å0 där har vi väl kommit långt i <sverige> i alla fall / åtminstone va{d} ja{g} / just att lika lön lika arbeite sen kan man diskutera på arbetsplatser hur de{t} e0 me{d} / <> ja / den manliga chefen då å0 sen / ö{h} kontra den kvinnliga chefen hur man / upplever de{t}.“214
Wie auch bei förskollärare wird auch bei chefen die attributive Genderspezifizierung an dem Punkt expliziert, an dem im direkten Kontext eine weibliche Genderspezifizierung vollzogen wurde.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und Genderneutralisierung bei Personalpronominaformen Himanen (1990) stellt in Stichprobenanalysen von je 300 Vorkommen der Form han ‚er‘ in den Korpora von 1965 und 1976 fest, dass von diesen 1965 sieben, 1976 keine Form mit feststellbar intendiert genderunspezifizierender Appellation verwendet wird. Im Korpus des mündlichen Sprachgebrauchs215 rangiert die Pronominaform han an zwölfter Stelle der vorkommenden pronominalen Formen mit 5033 Belegen. Hon ‚sie‘ folgt an 19. Stelle mit 2098 Belegen. In dem Korpus des mündlichen Sprachgebrauchs kommt die Form han damit mehr als doppelt so häufig wie die Form hon vor. Für die Objektformen honom ‚ihn/ihm‘ sind nur 445 Belege gegenüber 239 für henne ‚ihr/sie‘ verzeichnet. 234 Belegen des Possessivpronomens hans ‚sein‘ stehen 107 für hennes ‚ihr‘ gegenüber. Wie auf Grund der unterschiedlichen Kommunikationssituationen zu erwarten ist, steht im Korpus der Schriftsprache han bei den pronominalen Formen sehr viel weiter oben, auf Rang sechs mit 12967 Belegen, hon
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214 ‚F: aber dies mit Gleichheit was ist das wenn man es definieren soll P: ich denke Gleichheit ist für mich sehr voranzutreiben gleicher Lohn gleiche Arbeit Männer und Frauen ökonomische Gleichheit es ist wohl da wo die große Revolution gekommen ist eigentlich dass Frauen hinausgegangen sind in die Erwerbsarbeit und und da sind wir wohl weit gekommen in Schweden auf jeden Fall zumindest was ich weiß; genau dass gleicher Lohn gleiche Arbeit dann kann man ja wohl an den Arbeitsplätzen diskutieren, wie das mit dem männlichen Chef da auch ist dann; ö gegenüber dem weiblichen Chef wie man das erlebt.‘ V0643011 (discussion) im Göteborger Datenkorpus. 215 Als Datengrundlage vgl. Allwood (2000: 246ff.), insbesondere Tabelle 2.14.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
595
auf Rang neun mit 7973 Belegen. Das relative Verhältnis der beiden Formen zueinander sieht im Schriftsprachekorpus also anders als im mündlichen Sprachgebrauch aus, wenngleich die Form han immer noch sehr viel häufiger als die Form hon ist. Honom hat 2222 Belege gegenüber 1707 Belegen für henne, hans 2210 Belege gegenüber 1242 für henne. Im Verhältnis dieser Formen zueinander wirkt der schriftsprachliche Gebrauch zumindest tendentiell ausgeglichener in der Frage der Verteilung der genderspezifizierenden Formen als der mündliche Sprachgebrauch, wo die genderspezifizierend männlich appellierende Form für alle Fälle ungefähr doppelt so häufig wie die genderspezifizierend weiblich appellierende Verwendung findet. Zu beachten ist die in Kapitel 3 diskutierte Wahrscheinlichkeit der Verwendung der Formen han, honom und hans auch zur konventionalisierten genderunspezifizierenden Appellation. In einem weitergehenden Schritt werden aus dem Datenkorpus von Språkbanken unter Einbeziehung anderer, dort untersuchter Quellen neben den Tageszeitungen Daten ausgewertet, die Aufschlüsse über die Pronomina der dritten Person Singular für genderunspezifizierende Appellationsnahmen im Anschluss an die Diskussion feministischer Sprachveränderungsstrategien für diesen Bereich in Kapitel 5 geben können. Es wird untersucht, ob die pronominale Doppelform als Ersetzungsform verwendet wird, in welchen Satzpositionen und in welchen Kombinationen. Für einen Teil des Korpus216 wird zudem betrachtet, auf welche personal appellierenden Substantive sich die pronominalen Doppelformen beziehen.
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216 Die Zeitschrift Forskning och Framsteg.
596
6. Produktion personaler Appellationsformen
Tabelle 22: Genderunspezifizierende personale Appellation in den Korpora in Språkbanken durch pronominale Doppelformen217 Kor- FF pus
Sfs
RI
RII
P98
P97
P96
P95
P87
P76
Daten han eller hon
19
7
19
26
143
181
105
82
45
12
hon eller han
3
0
2
5
21
25
17
11
4
1
honom henne henne honom hans hennes hennes hans han/hon
eller 2
1
5
3
12
11
6
8
2
0
eller 0
0
4
1
1
0
1
2
1
0
eller 3
4
4
0
17
9
7
10
5
0
eller 0
0
0
0
1
0
2
1
0
0
2
1
6
2
41
41
47
27
18
6
hon/han
0
0
0
0
10
10
10
9
4
0
honom/henne 0
0
1
0
4
3
2
5
4
0
henne/honom 0
0
0
0
1
3
1
0
0
0
hans/hennes
2
0
0
1
1
6
4
4
1
0
hennes/hans
1
0
0
0
1
0
2
1
0
0
Wie aus der Tabelle ersichtlich, gibt es in allen Korpora eine klare Dominanz der pronominalen Doppelform in Subjektposition mit der Form han eller hon ‚er oder sie‘. Sowohl die Form hon eller han ‚sie oder er‘ als auch weitere, in derselben Position verwendbare Formen (han/hon, hon/han) kommen ebenso seltener als auch die pronominale Wiederaufnahme mit einer Doppelform in Objektstellung oder als possessive Formen vor. Für die Textgenres, für die zeitlich vergleichbare Daten zur Verfügung stehen,
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217 Verzeichnis der hier verwendeten Abkürzungen: FF = Forskning och Framsteg, Sfs = Svensk författningssamling 1978-1981, RI = Bonniersromaner I (1976/77), RII = Bonniersromaner II (1980/81), P98 = Press 98, P97 = Press 97, P96 = Press 96, P95 = Press 95, P87 = Press 87, P76 = Press 76.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
597
kann unter Berücksichtigung der Größe der Textkorpora festgestellt werden, dass Doppelformen umso häufiger verwendet werden desto jünger ein Textkorpus ist. Insgesamt steigt die relative Anzahl genderunspezifizierender pronominaler Formen, die die Form han ersetzen, im Zeitraum 1976 bis 1998, wobei besonders zwischen 1987 und 1997 eine Steigerung ausgemacht werden kann.218 Alle ausgeschriebenen Doppelformen, werden häufiger als die jeweiligen Formen mit Schrägstrich benutzt. Die Kombinationen mit Erstnennung bzw. –schreibung der konventionalisiert genderspezifizierend männlichen Form sind jeweils frequenter als die mit Erstnennung der konventionalisiert genderspezifizierend weiblichen Form. In Mediearkivet219 sind für eine Woche im Jahre 2003220 40 Einträge der Phrase han eller hon verzeichnet, die alle aus Tageszeitungen stammen. Für hon eller han finden sich im selben Untersuchungszeitraum 14 Einträge. Honom eller henne ist mit neun Einträgen vertreten, henne eller honom mit einem, hans eller hennes mit vier, hennes eller hans mit keinem. Es zeichnet sich also auch in diesem Korpus dieselbe Tendenz ab wie in den Korpora in Språkbanken, wobei die zunehmende Frequenz der Verwendung der Doppelformen festzustellen ist. Es finden sich auch einige wenige Belege für die Form han/hon. Diese Auswertung sagt nichts über das quantitative Verhältnis zwischen maskulinen genderunspezifizierend verwendeten pronominalen Formen und Doppelformen aus und berücksichtigt auch nicht die alternative Wiederaufnahme durch weitere Strategien, wie der Wiederholung des personal appellierenden Substantivs, der Ersetzung mit einem anderen hyponymischen Substantivs, die Verwendung von Passivkonstruktionen oder der direkten Anrede. Während die direkte Anrede für schriftsprachliche Korpora in der Regel nicht in signifikatem Maß zu erwarten ist, von Ausnahmen wie Stellenanzeigen abgesehen, kann über die Ersetzung durch andere Substantive oder die Verwendung von Passivkonstruktionen keine Aussage gemacht werden. Sie wird aber nicht ausgeschlossen, sondern das Vorhandensein entsprechender Strategien wird angenommen. Himanen (1990) hat eine Liste der substantivischen Appellationsformen für die Korpora von 1965 und 1976 erstellt, die durch han eller hon wieder aufgenommen worden sind: assistent, patient, mottagaren ‚RezipientIn‘, skådespelare, elev ‚SchülerIn‘, pressman ‚Pressemann‘, kund ‚Kun-
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218 Vgl. auch Ohlsson (2002), der zusätzlich Aftonbladet und Expressen zwischen 1995 und 2000 daraufhin untersucht hat und auch in diesem Zeitraum eine Steigerung ausmachen kann. 219 http://www.mediearkivet.se vom 18.6.2003. 220 Dies ist die Woche vom 12.6. bis 18.6. 2003.
598
6. Produktion personaler Appellationsformen
de/Kundin‘, svensk ‚Schwede‘, studerande ‚StudierendeR‘, vem ‚wer‘, den som X ‚der/die, der/die der X‘ in 1965; barn ‚Kind‘, cyklist ‚RadfahrerIn‘, elev ‚SchülerIn‘, förvaltningschef ‚VerwaltungschefIn‘, informationschef ‚InformationschefIn‘, kund ‚Kunde/Kundin‘, medlem ‚Mitglied‘, person, skivköpare ‚LPKäuferIn‘, unge ‚der junge Mensch‘, åskådare ‚ZuschauerIn‘, ingen ‚keineR/niemand‘, var och en ‚jedeR‘ und den som X ‚der/die, der/die der X‘ in 1976.221 Die Mehrzahl der Formen, die durch pronominale Doppelnennungen wiederaufgenommen werden, lassen keine stereotypen Genderkonzeptualisierungen im Vorfeld erwarten. Potentielle Ausnahmen bilden die Formen skådespelare222, pressman223 und die beiden Komposita, die auf – chef enden, da sie von der Statuserwartung her eher stereotyp männlich in den 60er und 70er Jahren konzeptualisiert sind. Diese Liste wird durch eine Analyse der Kontexte der verwendeten Doppelformen in der Zeitschrift Forskning och Framsteg ergänzt. Die Wiederaufnahmen durch han eller hon in dieser Zeitschrift224 können vier verschiedenen Gruppen zugeordnet werden: Personale Appellationsformen mit impliziter Bezugsnahme auf den körperlichen und gesundheitlichen Zustand der so appellierten Person (A, 6 Belege: patient (3), den Parkinsonsjuke ‚der Parkison-Kranke‘, en hörselskadad ‚einE HörbeeinträchtigteR‘, den hjärndöda givaren ‚der/die hirntote DonatorIn‘), personale Appellationsformen mit impliziter Tätigkeitsbeschreibung, die kein Beruf ist (B, 2 Belege: lyssnaren ‚ZuhörerIn‘, åskådare ‚ZuschauerIn‘), personale Appellationsformen mit impliziter Tätigkeitsbeschreibung, die Beruf oder momentane Tätigkeit ist (C, 4 Belege: differentialgeometriker, forskaren ‚der/die ForscherIn‘, försökspersonen ‚die Versuchsperson‘, student ‚der/die StudentIn‘) und personale Appellationsformen ohne nähere Charkaterisierungen (D, 7 Belege: person (3), barn, den som ‚der/die, der/die‘, „A“, människa ‚Mensch‘). Mit Ausnahme der Form differentialgeometriker handelt es sich durchgehend um von der sozialen Wahrnehmung her genderunspezifizierende personale Appellationen, bei denen alleine ausgehend von der substantivischen personalen Appellationsform keine genderspezifizierenden Vorannahmen zu erwarten sind. Sie bieten sich in dieser Hinsicht für eine Wiederaufnahme durch pronominale Doppelformen an. Auch Ohlsson (2002) hat
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221 Vgl. Himanen (1990: 78ff). 222 Ausnahme wegen der möglichen und gebräuchlichen genderspezifizierend weiblich appellierenden Form skådespelerska. 223 Ausnahme zieht man eine potentielle männliche Konzeptualisierung durch die Form –man in Betracht. 224 Es handelt sich um 19 Belege, wovon vier aus einem Artikel stammen, alle anderen sind aus verschiedenen Artikeln.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
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eine vergleichbare Analyse für Tageszeitungskorpora vorgenommen und kommt zu dem Ergebnis, dass auch hier mit Ausnahme der Form dagmamma ‚Tagesmutter‘ keine genderstereotypen Vorannahmen auf Grund der wiederaufgenommenen personal appellierenden Substantive zu erwarten sind.225 Darüber hinaus werden die Kontexte der verwendeten Doppelformen genauer betrachtet, um festzustellen, ob ihre Verwendung eine durchgängige Textstrategie ist, ob sie in Konkurrenz mit genderunspezifizierend verstandenen, konventionalisiert auch genderspezifizierend männlich verwendeten Appellationsformen oder zusammen mit anderen Appellationsstrategien, wie zum Beispiel Pluralformen, verwendet werden. Auf diese Weise wird untersucht, ob es sich um die zufällige Produktion von Doppelformen handelt oder ob diese durch Kontext und Einstellung motiviert sein können und Teil einer bewussten Strategie der Vermeidung konventionalisiert genderspezifizierend männlicher pronominaler Formen zur genderunspezifizierenden Appellation sind. Diese Analyse ist Teil einer differenzierten Betrachtung der Strategie der Verwendung von pronominalen Doppelformen zur genderunspezifizierenden personalen Appellation. Für diese Analyse wurden Texte herangezogen, die aus dem Datenkorpus aus press 98 stammen und in denen eine pronominale Doppelform vorkommt. Die Auswertung dieser Texte zeigt, dass es sich in der Regel um Einzelproduktionen von pronominalen Doppelformen in den jeweiligen Texten handelt. Die mehrfache Verwendung von pronominalen Doppelformen innerhalb eines Textes bildet eine signifikante Ausnahme. Eine anfängliche Verwendung der Doppelform han eller hon, die im weiteren Text jeweils durch han ersetzt wird, findet sich relativ frequent in press 98, so auch in einem Artikel von Dagens Nyheter vom 4. Februar 1998, B16: „En stridspilot måste veta exakt vad han gör i alla lägen och han eller hon är tränad att kontrollera sina impulser i alla lägen.“226 Diese Strategie ist in verschiedenen Medien häufig anzutreffen.227
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225 Ohlsson (2002) differenziert die folgenden vier Gruppen: Wiederaufnahme von pronominalen Formen, von Appellationsformen mit einer Grundbedeutung ‚einzelnes Individuum‘ oder ‚Mensch‘, von Appellationsformen mit ‚Klient/inn/eneigenschaften (zum Beispiel barn, elev, kund, medborgare, patient) und von Tätigkeitsbezeichnungen. Weitgehende Übereinstimmungen mit den in dieser Arbeit aufgestellten Kategorisierungen sind offensichtlich, was die Relevanz der Hypothesen gegenseitig bekräftigt. 226 ‚EinE KampfpilotIn muss in allen Situationen genau wissen, was er tut, und er oder sie ist trainiert seine/ihre Impulse in jeder Situation unter Kontrolle zu haben.‘ 227 Vgl. auch die Belege in Hornscheidt (1999).
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6. Produktion personaler Appellationsformen
Zusammenfassend zeigt sich, dass die pronominalen Doppelformen in press 98 zur genderunspezifizierenden Appellation vor allem in Kontexten vorkommen, in denen substantivische Appellationsformen verwendet werden, die keine starken, gesellschaftlich eindeutig definierten Genderkonzeptualisierungen besitzen. Die Formen finden sich jeweils in Kontexten, in denen neben der pronominalen Doppelform auch andere Strategien verwendet werden, um keine genderspezifizierenden Konzeptualisierungen hervor zu rufen oder in Kontexten, in denen sie einmalig verwendet werden und danach die genderspezifizierend männliche pronominale Form han zur genderunspezifizierenden Appellation verwendet wird. Besonders in Gesetzestexten bzw. in Texten über Gesetzestexte wird eine genderunspezifzierende Appellationspraxis, die auf die Form han in dieser Funktion verzichtet, versucht durchzuhalten. Einmalige Vorkommen einer Umformulierung durch die pronominale Doppelform bei ansonsten einer Beibehaltung der Verwendung der genderspezifizierend männlich appellierenden Form han zur genderunspezifizierenden Appellation können als ein Bewusstsein einer öffentlichen Verhandlung der Problematik von han und einer Reaktion darauf angesehen werden,228 ohne dass eine Reflexion und Identifizierung mit einer Umformulierung von statten gehen muss. Wie die Analyse gezeigt hat, sind die Kontexte, in denen eine pronominale Doppelform im medialen, schriftsprachlichen Diskurs Verwendung findet, zudem nicht von starken genderstereotypen Vorstellungen geprägt. Darüber hinaus findet eine genderunspezifizierende Appellation auch in den Texten Anwendung, in denen Gleichstellungsfragen verhandelt werden. Dies deutet ebenfalls auf ein Bewusstsein der Schreibenden zu gesellschaftlichen Diskursen zu diesem Thema hin. Norén (1993) stellt für die Datenkorpora mit Tageszeitungstexten von 1965, 1976 und 1987 einen nur sehr geringen Gebrauch der Doppelform han eller hon fest. Landqvist (2001) hat schwedische Gesetzessprache auf die Verwendung der Doppelform han eller hon hin analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass in den schwedischen Gesetzestexten bis zur ersten Hälfte des Jahres 2000 die pronominale Doppelform han eller hon vor allem in den Texten vorkommt, „[...] när lagstiftaren (och medborgarna) inte direkt förknippar referenten med endera könet.“229 (Landqvist 2001: 160) Entsprechend kommt Landqvist zu dem übergreifenden Ergebnis, dass „[...] rättens språk bidrar till att upprätthålla en könsordning där det som
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228 Vgl. die Darstellung in Kapitel 5. 229 ‚[...] wenn der/die GesetzesgeberIn (und die MitbürgerInnen) den/die ReferentIn nicht direkt mit einem von beiden Geschlechtern verbinden.‘
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
601
betraktas som maskulint är överordnat och normalt, medan det som anses feminint är underordnat och avvikande.“230 (Landqvist 2001: 160) In Presstext finden sich für den Zeitraum vom 1.1.2000 bis zum 18.6.2003 6707 Belege für die Phrase han eller hon und 1083 Belege für hon eller han verzeichnet. Daneben sind 1940 Belege für han/hon und 505 Belege für hon/han verzeichnet. Es zeigt sich, dass bei den pronominalen Doppelformen jeweils die genderspezifizierend männlich appellierende Form mindestens dreimal so häufig als erste Form genannt wird wie die genderspezifizierend weiblich appellierende Form. Gleichzeitig wird die frequente Verwendung der Schrägstrichformen han/hon und hon/han, die in den einschlägigen offziellen Sprachempfehlungen jeweils abgelehnt werden, wie in Kapitel 5 gezeigt wurde, auch in diesem Material deutlich. Wenngleich die Verwendung der pronominalen Doppelformen nicht so häufig im medialen schriftsprachlichen Diskurs wie die Form han in dieser Funktion zu finden ist, wird doch eine Konventionalisierung dieser Gebrauchsstrategie deutlich. In einer Stichprobenuntersuchung einer Woche von 2003 (13.6. bis 19.6.2003) in Presstext dazu, auf welche substantivischen Appellationsformen sich die prononimale Doppelform han eller hon bezieht, fällt auf, dass es sich in den meisten Fällen um Appellationsformen handelt, die keine konventionalisiert genderstereotypen Assoziationen erwarten lassen (gymnasiechefen ‚der/die GymnasiumschefIn‘, barn ‚Kind‘, den asylsökande ‚der/die Asylsuchende‘, en EU-president ‚einE EU-PräsidentIn‘, den person som ‚die Person, die‘, kritikern ‚der/die KritikerIn‘, redaktören ‚der/die RedakteurIn‘). In Mediearkivet finden sich für den Zeitraum eines Monats (18.5.2003 bis 18.6.2003) mehr als 100 Einträge für han eller hon231, 43 Belege für hon eller han, 23 Belege für honom eller henne, 3 Belege für henne eller honom, 22 Belege für hans eller hennes und 1 Beleg für hennes eller hans. Es zeigt sich, dass die pronominale Doppelnennung nicht nur in Subjektposition der personalpronominalen Form im schriftsprachlichen medialen Diskurs zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorkommt und auch das Reflexivpronomen als Doppelform verzeichnet ist. Gleichzeitig ist eine sehr viel stärkere Tendenz zur Erstnennung der genderspezifizierend männlich appellieren-
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230 ‚Die Sprache des Rechts trägt dazu bei eine Geschlechterordnung aufrecht zu erhalten wo das, was als maskulin betrachtet wird, übergeordnet und normal ist und das, was als feminin angesehen wird, untergeordnet und abweichend ist.‘ 231 Hier zeigt sich zugleich eine erhebliche Beschränkung der Arbeit mit Material aus Mediearkivet: Hundert Vorkommen ist die maximale Zahl der aufgeführten Formen für eine bestimmte Suchanfrage.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
den Form als bei der personalpronominalen Form in Subjektstellung erkennbar. Die Doppelform han eller hon wird in Mediearkivet in der Woche vom 12.6. bis 18.6. 2003 zur Wiederaufnahme der folgenden Substantive und Phrasen gebraucht: patienten ‚der/die PatientIn‘ (zweimal), person (zweimal), bilägaren ‚der/die AutobesitzerIn‘, bilisten ‚der/die AutofahrerIn‘, flykting ‚Flüchtling ‘, eleven ‚der/die SchülerIn‘, de närvarande ‚der/die Anwesende‘, besökaren ‚der/die BesucherIn‘, journalist ‚der/die JournalistIn‘, 70-åringen ‚der/die 70jährige‘, läkaren ‚der/die ÄrztIn‘, administratören ‚der/die VerwalterIn‘, spelmissbrukare ‚der/die Spielsüchtige‘, varje anställd ‚jedeR AngestellteR‘, användare ‚BenutzerIn‘, spelare ‚SpielerIn‘, gästen ‚der Gast‘, någon som ‚jemand, der/die‘, den som kandiderar ‚der/die, der/die kandidiert‘, den som blivit erbjuden anställning ‚der/diejeniger, dem der eine Anstellung angeboten wurde‘, den som inte kan betala ‚der/die, der die nicht bezahlen kann‘, politiker ‚PolitikerIn‘, den som bor i innerstaden ‚der/die, der/die in der Innenstadt wohnt‘, den som söker svenskt medborgarskap ‚der/die, der/die sich um die schwedische Identität bewirbt‘. Auch in diesem Korpus ist deutlich, dass es sich in der Regel um personal appellierende Formen handelt, die keine stark konventionalisierten genderstereotypen Konzeptualisierungen erwarten lassen, um solche, in denen die Genderidentität der konkret appellierten Person nicht klar ist232 oder wenn es sich um generisch appellierende Texte handelt, die eine hohe Allgemeingültigkeit haben sollen, wie beispielsweise die Auslegung von Gesetzestexten. Auch in diesen Fällen werden die Formen nicht in Kontexten verwendet, in denen eine Doppelbenennung genderstereotypen Vorstellungen grundsätzlich widersprechen würde.Weitere Wiederaufnahmen nach der Verwendung von han eller hon in denselben Texten und mit identischer Appellationsintention sind Wiederholungen des Substantivs, Gebrauch weiterer substantivischer Appellationsformen, direkte Anrede, Passivkonstruktionen und Wechsel in den Plural. Die mehrfache Verwendung einer pronominalen Doppelform ist in diesem Stichprobenkorpus nicht zu finden. Die These, dass die Doppelformen sich umso häufiger finden lassen, umso jünger das untersuchte Korpus ist, lässt sich auch für eine weitere Datenquelle bestätigen. So wird die Form han eller hon in den Ausgaben der vom Nationella sekretariatet för genusforskning herausgegeben Zeitschrift Genus zwischen 2000 und 2002 regelmäßig verwendet, und es finden sich keine Vorkommen der Form han und honom in vordergründig genderunspezifi-
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232 Zum Beispiel bei Tageszeitungsartikeln über Einbrüche, wo der/die Täter/in unbekannt ist und genderunspezifizierend benannt wird.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
603
zierender Appellationsintention. Da es sich um ein genderbewusstes, feministisch geprägtes Publikationsmedium handelt, kann die Verwendung der pronominalen Doppelform in diesem Kontext auch als eine sprachreflektierte Strategie interpretiert werden. Sie unterscheidet sich in diesem Medium zusätzlich dadurch, dass sie durchgängig verwendet wird oder auf andere Formulierungen zurück gegriffen wird und in keinem Fall die Form han zur genderunspezifizierenden Formulierung zu finden ist. Dies deutet auf die Relevanz einer bewussten Auseinandersetzung mit feministischer Theorie bzw. mit einer entsprechenden Identifikation für eine konsequente Anwendung dieser Strategie hin. In der Internet-Ausgabe der sich vor allem an ein jugendliches Zielpublikum richtenden Zeitschrift Darling gibt es die Möglichkeit im Anschluss an einen Artikel einen Kommentar abzugeben, der in einem archivierten File aufrufbar ist. So finden sich dort im Anschluss an eine Reihe von Artikeln ausführlichere, aufeinander bezogene Kommentierungen, die in manchen Fällen auf Grund ihrer zeitlichen Nähe, der direkten Reaktion und des umgangssprachlichen, an mündliche Sprache angelehnten Stils Charakteristika von Chat besitzen. In den Kommentaren zu einem Artikel der Ausgabe 54/02 mit dem Titel „Den finaste kärleken är den som är nördig“ findet sich keine einzige Verwendung der Form han mit vordergründig genderunspezifizierender Appellationsintention, sondern stattdessen verschiedene Praktiken der Wiederaufnahme der personalen Appellationsform nörd, die Thema des Artikels ist. Am häufigsten ist der Gebrauch von Pluralformen (nördar ‚Nerds‘, nördarna ‚die Nerds‘, de ‚sie: Pers.pron. 3. Ps. Pl.‘, dom ‚sie: Pers.pron. 3. Ps. Pl.‘) mit 15 Belegen, 7mal wird das personal appellierende Substantiv nörd wiederholt und dreimal durch die Formen person/en oder människa/n ‚(der) Mensch‘ wieder aufgenommen sowie dreimal als Subjekt ausgelassen.233 In sechs Fällen erfolgt eine Wiederaufnahme durch pronominale Doppelformen: han/hon (4mal), hon/han (einmal), honom/henne (einmal), in einem Fall durch den. In keinem Fall findet sich eine Ersetzung durch han eller hon, hon eller han. Entgegen den von offizieller Seite formulierten Regeln,234 dass die Formen mit Schrägstrich zu vermeiden wären, sind sie diejenigen, die nach den Pluralformen des Substantivs als Wiederaufnahme in diesem Text am häufigsten zu finden sind. Dies zeigt, dass nicht nur in feministischen Kontexten eine Strategie der Doppelnennung von pronominalen Formen verfolgt wird,
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233 Zum Beispiel in „Nerder är mäktigt bra [...]. Gå till KTH […].“ ‚Nerds sind richtig super. Gehen zur KTH.‘ (http://www.darling.se/nr54/nerd vom 7.3.2003). 234 Vgl. Kapitel 5.
604
6. Produktion personaler Appellationsformen
sondern sich diese auch in der Jugendsprache mit relativer Frequenz angewendet findet. In dem analysierten Internetfile ist die Durchgängigkeit dieser Verwendung zudem sehr hoch, während sich kein Beleg für eine vorgeblich genderunspezifizierende Verwendung der Form han nachweisen lässt. Zu fragen ist auf Grund dieses Materials, ob Sprachveränderungen die Formen han und han/hon betreffend nicht sehr viel weiter fortgeschritten ist als dies ausgehend von der öffentlichen sprachpflegerischen Debatte zu vermuten wäre. Zugleich zeigt dieses Datenmaterial die Notwendigkeit der Einbeziehung des Sprachgebrauchs unterschiedlicher Communities. Im Göteborger Datenkorpus der gesprochenen Sprache finden sich sechs Vorkommen der pronominalen Doppelform han eller hon und zwei Vorkommen der Form hon eller han, was an sich zeigt, dass es sich nicht ausschließlich um eine schriftsprachlich realisierte Strategie zur genderunspezifizierenden Appellation handelt. Es sind Wiederaufnahmen zu den Formen person, opponenten ‚der/die OpponentIn‘, en ‚ein(er)‘, man. Nur in einem Interview kommt einmal die Form han eller hon und einmal die Form hon eller han vor, ansonsten sind die jeweiligen Formen nur einmalig in den verschiedenen Gesprächen vertreten, so dass es sich nicht um eine innerhalb eines Gesprächs kontinuierlich verfolgte Strategie handelt, so dass in dieser Hinsicht eine Ähnlichkeit zu der schriftsprachlichen Strategie festgehalten werden kann. Die Doppelformen henne eller honom und honom eller henne sind nicht verzeichnet. Sie sind auch im schriftsprachlichen Material seltener, was auf andere Formen der genderunspezifizierenden Formulierung für Objektformen hinweist oder Zeichen einer oberflächlichen Strategie ist, in der die Doppelform han eller hon eine gewisse Signalfunktion besitzt. Es zeigt sich zusammenfassend, dass sich eine Strategie der Verwendung pronominaler Doppelformen im öffentlichen Diskurs der schriftsprachlichen Medien zunehmend für eine genderunspezifizierende Appellation etabliert. Die potentielle konventionalisierte genderspezifizierend männliche Appellation der Form han ist Schreibenden offenbar besonders in den Kontexten bewusst, in denen keine substantivischen Appellationsformen verwendet werden, die prototypisch gegenderte Konzeptualisierungen aufrufen.235 Die pronominale Doppelform wird nur als eine unter mehreren möglichen Formen der genderunspezifizierenden Appellations-
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235 Diese Analyse deutet indirekt noch mal auf die genderstereotype Konzeptualisierung vieler anderer substantivischer Appellationsformen hin, wie sie weiter oben und in Kapitel 3 ausführlich diskutiert worden ist.
6.7 Strategien der Genderspezifizierung und -neutralisierung
605
praxis angesehen, die in konkreten Texten miteinander kombiniert vorkommen. Neben der Doppelform han eller hon in Subjektstellung ist besonders im Internetchat Jugendlicher auch die Form han/hon zu finden, womit in diesem Punkt eine deutliche Abweichung von offiziellen Empfehlungen zum Sprachgebrauch festzustellen ist. Es kann festgehalten werden, dass sich eine Aufgabe von han als genderunspezifizierender Form für eine Kombination von Genres, Communities und Themenstellungen feststellen lässt. Für das Englische ist in einer Reihe von Studien eine zunehmende Verwendung anderer als der pronominalen Form he zur genderunspezifizierenden Appellation festgestellt worden. Auch hier konnten genrespezifische Unterschiede aufgezeigt werden. Es handelt sich in diesem Fall um parallele Entwicklungen, wenngleich im Schwedischen die Tendenz nicht so stark ist, wie sie sich in einigen Untersuchungen zum Englischen zeigt.236 Gleichzeitig wird durch diese Analyse deutlich, dass eine entsprechende Aufgabe von han in anderen Kontexten bisher potentiell nicht stattgefunden hat.237
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236 Vgl. Meyers (1990), Newman (1992), Pauwels (2001b). 237 Neben den Untersuchungen dieses Unterkapitels in Bezug auf pronominale Formen zur personalen Appellation gibt es auch Studien mit anderen Schwerpunktsetzungen, die wegen ihrer Relevanz genannt werden sollen. Scheuer (1995) hat die Kollokationen der Possessivpronomen hans und hennes für das Dänische in Sprachkorpora, die auch für die Produktion von Wörterbüchern Verwendung finden, betrachtet. Seine Untersuchung zeigt signifikante Unterschiede zwischen den Kollokationen von hans und hennes, die Lygner (1997) in einer Nachfolgeuntersuchung für das Schwedische ebenfalls bestätigen konnte. Scheuer (1995) ist zu dem Ergebnis gekommen, dass hendes gewöhnlich vor Körperteilen genannt wird, wohingegen hans vor verschiedenen Tätigkeiten genannt wird. Hier wird davon ausgegangen, dass eine Tradierung bestimmter Verwendungsweisen genderspezifizierender Appellationsformen, wie in den vorliegenden Fällen, zu genderspezifizierenden Konzeptualisierungen beitragen, die durch die kontinuierliche Konfrontation mit entsprechenden Sprachverwendungsweisen einen Grad relativ hoher Unbewusstheit bei den Sprachteilnehmenden einer Gesellschaft besitzen. Die Untersuchungen von Scheuer (1995) und Lygner (1997) zeigen zugleich mögliche weitere, sinnvolle Ergänzungen der Untersuchungen in der Sprachkorpusauswertung auf.
606
6. Produktion personaler Appellationsformen
6.8 Ausgewählte genderunspezifizierende substantivische personale Appellationsformen Genderunspezifizierende substantivische personale Appellation ist teilweise schon in den vorangegangenen Unterkapiteln mit berücksichtigt worden, wenn jeweils direkte Vergleiche zwischen verschiedenen Formen angestellt worden sind. In diesem Unterkapitel werden zusätzlich dazu ausgewählte Formen betrachtet, die im Zusammenhang feministischer und sprachpflegerischer Diskussionen als genderunspezifizierende Appellationsformen vorgeschlagen worden sind. Es handelt sich jeweils um Formen, mit denen man als zweites Glied in Komposita ersetzt wird.238 -person Die Form person als zweites Glied in Komposita kommt in Presstext für den Zeitraum 1.1.2003 bis 18.6.2003 in 44 unterschiedlichen Bildungen vor, die jedoch eine höchst unterschiedliche Frequenz besitzen. So ist die Form huvudperson ‚Hauptperson‘ 204mal und die Form privatperson 151mal belegt. Die Form kontaktperson ist demgegenüber nur 37mal belegt, nyckelperson ‚Schlüsselperson‘ hat 18 und stödperson ‚unterstützende Person‘ 14 Belege. Mansperson ‚Manns-Person‘ kommt achtmal vor, myndighetsperson ‚Behördenperson‘ fünfmal. Drei Belege gibt es für resursperson ‚Ressourceperson‘, talesperson ‚SprecherIn‘ und civilperson. Alle weiteren Formen kommen nur ein- oder zweimal im Korpus des ersten Halbjahres von 2003 vor. Davon können sieben Formen als Konkurrenzbildungen zu entsprechenden Formen auf man klassifiziert werden: talesperson, sagesperson ‚Märchenerzählperson‘, idrottsperson ‚Sportperson‘, yrkesperson ‚erwerbsarbeitende Person‘, förtroendeperson ‚Vertrauensperson‘, reklamperson ‚Werbeperson‘ und hemmaperson ‚Hausperson‘. Es findet sich eine gewisse, wenn auch äußerst schwache Tendenz, Formen mit man als zweitem Glied durch Formen mit person zu ersetzen. Zwei Belege der Form yrkesperson für diesen Zeitraum stehen beispielsweise 36 von yrkesman und 23 von yrkeskvinna gegenüber. Drei Belege von talesperson entsprechen im selben Zeitraum 102 Belegen für taleskvinna und 950 für talesman. Dies zeigt, dass es sich bei der Ersetzung mit person um eine nur höchst selten anzutref-
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238 Vgl. Kapitel 5 für eine entsprechende Darstellung.
6.8 Genderunspezifizierende substantivische Appellationsformen
607
fende Strategie im schriftsprachlichen medialen Diskurs zu Beginn des 21. Jahrhunderts handelt.
-representant ‚-repräsentantIn‘ In Presstext sind für den Zeitraum 1.1.2003 bis 18.6.2003 34 unterschiedliche Bildungen mit representant als zweitem Glied verzeichnet, die alle nur eine geringe Frequenz besitzen. Außer regeringsrepresentant ‚Regierungsr.‘ mit vier Belegen und fack- ‚Gewerkschaftsr.‘ sowie styrelserepresentant ‚Leitungsr.‘ mit je drei Belegen kommen die übrigen Formen jeweils nur einoder zweimal im Korpus für diesen Zeitraum vor. Sie entstammen entweder dem Bereich politischer Vertretung (minoritets- ‚Minderheiten-‘, konvents-, jury-, imperialist-, militär-, regional-, lagrepresentant ‚Gesetzesr.‘), dem wirtschaftlichen Sektor (ägar- ‚BesitzerInnen-‘, löntagar- ‚ArbeitnehmerInnen-‘, näringslivs- ‚Wirtschafts-‘, Airbus-, fack- ‚Gewerkschafts-‘, arbetstagar‚ArbeitnehmerInnen-‘, personal-, handels-, fackföreningsrepresentant ‚Gewerkschaftsvereinigungsr.‘), dem Medienbereich (redaktions-, media-, skivbolagrepresentant ‚LP-Firmen-R.‘), dem schulischen Bereich (friskole- ‚FreieSchule-‘, elev- ‚SchülerInnen-‘, elevorganisations- ‚SchülerInnenorganisations-‘, lärar- ‚LehrerInnen-‘, föräldrarrepresentant ‚Elternr.‘) oder einem in dieser Hinsicht unspezifizierten Bereich (huvud- ‚Haupt-‘, parts- ‚Teils-‘, hyresgäst‚MieterInnen-‘, sponsor-, aidsrepresentant). Eine generelle Tendenz der strategischen Verwendung von personalen Appellationsformen auf –representant kann entsprechend nicht für das schriftsprachliche Korpus belegt werden. Vielmehr nimmt die Form –representant spezifische Tätigkeitsbezeichnungen, vor allem aus dem politischen und wirtschaftlichen Bereich wahr.
-idkare ‚-ausübendeR, -betreibendeR‘ Im Tageszeitungskorpus von Språkbanken finden sich neun verschiedene personale Appellationsformen mit idkare als zweitem Glied zwischen 1965 und 1998. Häufiger noch als affärsidkare ‚Geschäftsperson‘ mit 21 Belegen ist hier näringsidkare ‚Person des Wirtschaftslebens‘ mit 66 Belegen verzeichnet. Daneben kommen die Formen rörelseidkare ‚Bewegungs-‘‚ (drei Belege), industriidkare (zwei Belege), kulturidkare, nöjesidkare ‚Vergnügungs-‘, näringslividkare ‚Wirtschaftsleben-‘, sportidkare und vattensportidkare ‚WassersportausübendeR‘ (je ein Beleg) vor. Die Form idkare als zweites Glied von Komposita zur genderunspezifizierenden Appellation hat sich in den
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6. Produktion personaler Appellationsformen
90er Jahren nicht außerhalb der Verwendung zweier Komposita etablieren können, sondern kommt darüber hinaus lediglich als Ad-Hoc-Bildung vor. In Presstext sind für den Zeitraum vom 1.1.2000 bis 10.9.2003 22 verschiedene Bildungen auf idkare belegt, wobei näringsidkare mit weitem Abstand mit 279 Belegen die häufigste Form ist. Affärsidkare besitzt für diesen aktuellen Zeitraum über knapp drei Jahre 80 Belege. Darüber hinaus finden sich die Formen vetenskapsidkare ‚Wissenschaftsbetreibender‘ (sieben Belege), industriidkare (sechs Belege), rörelseidkare (vier Belege), kaféidkare (vier Belege), konstidkare ‚Kunst-‘ (zwei Belege) sowie mit je einem Beleg die Formen handels-, tryckeri- ‚Druckerei-‘, gruv- ‚Gruben-‘, kultur-, humör- ‚Humor-‘, nöjes-, skogs- ‚Wald-‘, fabriks-, sommarnöjes- ‚Sommervergnügen-‘, butiks- ‚Boutiques-‘, Witterhets-, restaurang-, mat- ‚Essens-‘ und våldsidkare ‚GewaltausübendeR‘. Es zeigt sich dieselbe Tendenz hinsichtlich der Anzahl unterschiedlicher Formen wie ihrer Frequenz für den Beginn des 21. Jahrhunderts wie für das Ende des 20. Jahrhunderts in dem Korpus von Språkbanken. Es sind keine nennenswerten Veränderungen in Bezug auf Neubildungen in dieser Zeit zu verzeichnen, so dass es sich zum größten Teil um lexikalisierte Bildungen zu handeln scheint, und die Form idkare als zweites Glied nur in sehr eingeschränktem Maße als eine genderunspezifizierende personale Appellationsform produktiv zu sein scheint.
-företrädare ‚VertreterIn‘ Die Form företrädare als zweites Glied in Komposita findet im Bereich von personalen Institutions- und Organisationsbenennungen Anwendung, insbesondere im Bereich der Politik und wird hier häufig mit entsprechenden, Institutionen angebenden Abkürzungen kombiniert (zum Beispiel Fnföreträdare, Natoföreträdare). Darüber hinaus finden sich die folgenden Bildungen mit mehreren Belegen im Korpus von Språkbanken für den Zeitraum zwischen 1965 und 1998: mediaföreträdare ‚Medien-‘ (6), branschföreträdare ‚Branchen-‘ (8), industriföreträdare (4), partiföreträdare ‚Partei-‘ (20), fackföreträdare ‚Gewerkschafts-‘ (3), ställföreträdare ‚StellvertreterIn‘ (89), kommunföreträdare ‚Gemeinde-‘ (4), arbetsgivarföreträdare ‚ArbeitsgeberInnen-‘ (3), ämnesföreträdare ‚Sachgebiets-‘ (4), regeringsföreträdare ‚Regierungs-‘ (42), organisationsföreträdare (3), myndighetsföreträdare ‚Behörden-‘ (6), näringslivsföreträdare ‚Wirtschaftsleben-‘ (11), konsumentföreträdare ‚KonsumentInnen-‘‚ (4), miljöföreträdare ‚Umweltschutz-‘‚ (3). Neben dem Politikbereich spielt
6.8 Genderunspezifizierende substantivische Appellationsformen
609
die Form vor allem zur personalen Tätigkeitsbenennung im Wirtschaftsbereich eine Rolle. Für den Zeitraum von 1.1.2003 bis 18.6. 2003 finden sich in Presstext 34 unterschiedliche Bildungen mit företrädare als zweitem Glied. Mit 29 Belegen ist regeringsföreträdare die häufigste verzeichnete Form, gefolgt von ställföreträdare mit 24 Belegen. Partiföreträdare (zehn Belege), näringslivsföreträdare (acht Belege) und branschföreträdare (acht Belege) sind ebenfalls relativ frequent, organisationsföreträdare ist mit zwei Belegen vertreten, die übrigen Formen jeweils nur mit einzelnen Belegen: kommun-, nej- ‚Nein-‘, Hamas-, befolknings- ‚Bevölkerungs-‘, minoritets-, klubb-, barnrätts- ‚Kinderrechte-‘, majoritets-, byrå- ‚Büro-‘, parts- ‚Teil-‘, skol- ‚Schul-‘, personal-, bolags- ‚Unternehmens-‘, folkparti- ‚Volkspartei-‘, bank-, vänster- ‚Links-‘, medie-, stormakts‚Großmachts-‘, ämnes- ‚Sachgebiets-‘, center-, topp- ‚Spitzen-‘, metall-, oppositions-, regim-, regions- und arbetsgivarföreträdare ‚ArbeitgeberInnenvertreterIn‘. Im Gegensatz zu den Belegen aus Språkbanken ist die relative Frequenz zwischen den Formen regerings- und ställföreträdare in Presstext in 2003 für den Zeitraum der hier stichprobenartig ausgewählten Woche verändert, es zeigt sich insgesamt aber eine bereits in den Daten von Språkbanken zu beobachtende Tendenz, dass die Form företrädare vor allem im Bereich der Politik Anwendung findet. Sie besitzt ein eingeschränktes Anwendungsfeld und eine eingeschränkte Produktivität, die von den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beginn des 21. Jahrhunderts relativ konstant zu sein scheint. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich sowohl idkare als auch företrädare als zweites Glied in Komposita wie auch die Formen person und representant finden. Sie sind jeweils nur in einzelnen Kombinationen frequent belegt und werden darüber hinaus nicht in größerem Umfang für Neubildungen verwendet, so dass momentan nicht davon auszugehen ist, dass sie sich als zweite Glieder zur genderunspezifizierenden Appellation genereller etablieren werden. Die Form person besitzt im Vergleich der verschiedenen Formen dabei noch das weiteste Anwendungsspektrum, ohne dass sich mit ihr eine generellere Tendenz der Ersetzung von Formen auf man andeutet.
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6. Produktion personaler Appellationsformen
6.9 Zusammenfassung der Ergebnisse der Korpusauswertungen Eine umfassende Auswertung und Zusammenfassung zu einzelnen Fragestellungen findet sich jeweils am Ende der einzelnen analysierten Formen. In diesem Unterkapitel können abschließend nur generelle, das gesamte Korpus und seine Auswertung betreffende Tendenzen festgehalten werden, die der Differenziertheit der Ergebnisse dieses Kapitels im einzelnen nicht gerecht werden können. Diese Zusammenfassung ersetzt die Einzelanalysen und ihre Ergbebnisformulierung in keiner Weise. Es können durch die hier vorgestellten Analysen zur Realisierung von Genderspezifizierungen Ausdifferenzierungen der Resultate des dritten Kapitels festgehalten werden. Die dort bereits deutlich werdende, tendentielle Asymmetrie in Bezug auf die Grammatikalisierung von Genderspezifizierungen kann nun dahingehend ergänzt werden, dass eine weibliche Genderspezifizierung durch Grammatikalisierung vor allem im schriftsprachlichen, medialen Diskurs sehr viel häufiger als eine männliche ist. Die im dritten Kapitel festgestellte, tendentiell durch die Grammatikalisierung als additiv zum Ausdruck kommende Genderspezifizierung in vielen Bereichen personaler Appellation besitzt im heutigen Schwedisch besonders in Bezug auf weibliche Genderspezifizierung Gewicht, wodurch eine männliche Genderspezifizierung gleichzeitig unsichtbar und zum menschlichen Normalfall wird. Entsprechungen dieser Tendenz lassen sich auch für lexikalisierte Genderspezifizierung feststellen, wenngleich hier in einigen Bereichen die Annahme einer natürlichen Genderdichotomie zu einer weiterhin beidseitigen Genderspezifizierung führt. Lediglich bei genderstereotyp weiblich belegten Tätigkeiten und Handlungen findet sich relativ durchgängig eine grammatikalisierte oder lexikalisierte männliche Genderspezifizierung. Insgesamt kann festgestellt werden, dass es auch im heutigen Schwedisch weiterhin lexikalisierte und grammatikalisierte Strategien der Genderspezifizierung personaler Appellation gibt. Es handelt sich dabei teilweise um schon länger zu vorhandene Wortbildungsstrategien, teilweise aber auch um neuere und/oder bisher in der Forschung nicht beachtete Muster, bei denen sich neue Formen der Grammatikalisierung einer Genderspezifizierung abzeichnen. In bestimmten Bereichen ist eine personal appellierende Genderspezifizierung weiterhin durchgängig und ungebrochen und steht auch nicht, wie im vorangegangenen Kapitel indirekt deutlich wurde, zur Debatte.
6.9 Zusammenfassung der Ergebnisse der Korpusauswertungen
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Dies ist der Bereich der Verwandtschaftsrelationen und der privaten, sexuellen Beziehungen, in denen eine Genderspezifizierung durchgängig als lexikalisierte und hilfsweise als grammatikalisierte zu finden ist. Die Genderspezifizierungen dieses Bereichs sind zudem weitgehend symmetrisch, als dass sie für weibliche und männliche Genderspezifizierung realisiert werden. In den übrigen Bereichen, in denen eine regelhafte Genderspezifizierung festgestellt werden kann, handelt es sich hingegen um eine in der Regel einseitige weibliche Genderspezifizierung, wodurch männliches Gender in diesen Bereichen zu einem unbenannten, allgemeinmenschlichen Normalfall wird. Dies ist besonders im Bereich des Sports und der Musik der Fall, in denen eine starke Lexikalisierung einer weiblichen Genderspezifizierung feststellbar ist, die zu immer wieder neuen Formenbildungen führt. So ist die Form dam zum einen durch die Form tjej in vielen Bereichen ersetzt worden, zum anderen behält die Form dam die Konzeptualisierung von Höflichkeit bei, die nun auf andere Bereiche übertragen wird und die früher starke Konzeptualisierung eines höheren Status weitgehend verloren hat. Die Form kvinno als erstes Glied in Komposita scheint ein produktives Mittel der Genderspezifizierung nicht nur personaler Appellation zu werden, sondern auch übertragener Bereiche. Dabei muss hier die durch das jeweilige zweite Glied zum Ausdruck gebrachte Tätigkeit betrachtet werden, um festzustellen, ob die Form kvinno genderspezifizierend weiblich oder männlich mit den jeweiligen Formen appelliert. Tätigkeitsbenennungen im Feld der Gewalt und Machtausübung scheinen stark männlich konzeptualisiert zu sein, so dass in den entsprechenden Formen mit kvinno das Ziel der Gewalt zum Ausdruck kommt, sie also genderspezifizierend männlich appellieren. Die Form tjej wird zunehmend eine Ersatzform für sowohl dam als auch kvinna in vielen Bereichen personaler Appellation sowie sekundärer Bereiche. Dies wird hier zum einen als eine veränderte Prototypisierung von Weiblichkeit interpretiert und zum anderen als eine Reaktion auf eine stark von der neuen Frauenbewegung besetzten Konzeptualisierung der personalen Appellationsform kvinna, auf die ebenfalls durch eine produktive Verwendung der Form tjej reagiert wird. Der Bereich der personalen Appellation auf berufliche Tätigkeiten ist derjenige, der im Schwedischen am stärksten von einer öffentlichen Debatte um eine Genderunspezifizierung geprägt ist, was auf den Einfluss einer Gleichstellungsideologie zurück verfolgt werden kann, welche Gleichstellung vor allem an öffentlichen Bereichen festmacht und den Privatbereich entsprechend unberührt davon lässt. Die in Bezug auf
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6. Produktion personaler Appellationsformen
sprachliche Veränderungen lange Zeit propagierte Strategie ist die Übernahme der genderspezifizierend männlichen Formen als allgemeinmenschliche, die sich so auch in vielen Bereichen hat durchsetzen können. Ihre potentielle männliche Genderspezifizierung wird in keinem Fall hinterfragt239, eine implizite männliche und eine prototypisch männliche Konzeptualisierung konnte für viele Beispiele jedoch herausgearbeitet werden. Verschiedene einzelne Auswertungen haben die Beibehaltung stereotyper gegenderter Vorstellungen in dem Bereich der Tätigkeitsbenennungen zeigen können, auch wenn eine lexikalisierte substantivische Ausdifferenzierung heute weitgehend vermieden wird. Durch eine Analyse der genderspezifizierenden Attribuierung von Tätigkeitsbenennungen durch kvinnlig und manlig zeigt sich an der relativen Verteilung die mit den Tätigkeiten verbundenen Genderkonzep-tualisierungen im öffentlichen Diskurs. Eine Strategie, die eine entsprechende Attribuierung als bestes Mittel der Genderspezifizierung propagiert, wie dies beispielsweise aktuell von Svenska språknämnden vertreten wird240, ignoriert weiterhin, dass es sich nicht um genderneutrale Konzeptualisierungen handelt, wenn ‚lediglich‘ eine substantivische Appellationsform verwendet wird. Auch in diesem Vorschlag kommt wiederum das ideologische Bestreben zum Ausdruck, dass Tätigkeiten nicht gegendert seien. Die Analyse schriftlichen und mündlichen Sprachgebrauchs kann diese Annahme nachhaltig in Frage stellen. Auch die einzelnen, im vorangegangenen Kapitel diskutierten Ansätze zur strategischen Sprachveränderung haben sich bisher, das zeigt die Analyse, nicht durchsetzen können, sondern werden im nur vereinzelt und vor allem in Kontexten verwendet, in denen es explizit um Gleichstellungsfragen geht. Einzelne Formen, die für eine genderunspezifizierende Appellation vorgeschlagen worden sind, signalisieren in ihrem heutigen Gebrauch sogar eher eine Bezugnahme auf diese Diskussion als eine Genderunspezifizierung und verdecken eine genderspezifizierend männliche Wahrnehmung bestimmter Tätigkeitsbereiche noch stärker. Eine Ausnahme bildet der feministische Diskurs, für den in Bezug auf pronominale Appellation beispielsweise eine konsequente Vermeidung einer genderunspezifizierenden Verwendung der Form han gezeigt worden ist sowie ein produktiver Umgang mit Wortbildungsmustern zur Genderspezifizierung, die darauf hindeuten, dass mit einem feministischen Hintergrund die Genderunspe-
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239 Vgl. die Darstellung in Kapitel 5. 240 Vgl. das vorangehende Kapitel.
6.9 Zusammenfassung der Ergebnisse der Korpusauswertungen
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zifizierung genderspezifizierend männlicher Formen in Frage gestellt werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Konzeptualisierung von Gender eng mit Sexualität verbunden ist. Gegenderten Konzeptualisierungen unterliegt eine heteronormative Vorstellung. Ein Vergleich der Ergebnisse der schriftsprachlichen und der mündlichen Sprachkorpora als Ganzes ist nicht möglich, da es sich um unterschiedliche Genres handelt und die Korpora verschiedene Größen haben. Quantitative Tendenzen der Verteilung der genderspezifizierenden Appellation haben jedoch jeweils eine weitgehende Übereinstimmung im mündlichen und schriftsprachlichen Korpus gefunden.
7. Ausblick Sich selbst auf den Grund gehen und der Sprache auf den Grund gehen läuft auf dasselbe hinaus. Ab einer gewissen Tiefe sind Geist und Sprache derart miteinander verflochten, dass es unmöglich ist, die Fäden des Geistes zu entwirren, ohne die Irrgänge der Sprache zu erkunden. Früher oder später treibt die Sprache einen in die Enge und man steht an der Wand und sieht keinen anderen Ausgang als den die Worte einem bieten, keinen anderen Boden als das Pflaster, das sie einem unter die Füße schieben. Viele glauben, die Sprache sei ein Verständigungsmittel, ein Instrument, mit dessen Hilfe wir sagen können, was wir glauben, zu sagen zu haben. Das ist falsch. Die Geige ist ein Instrument, der Stift zur Not auch. Die Musik und die Sprache sind Ozeane. Man kommuniziert nicht mithilfe eines Ozeans. Weber 2002: 17 Ich glaube immer weniger an ein einfaches Ankommen, ein einfaches Senden. An uns eindeutig erkennbare Bewegungen von Information. Das ist schon allein durch die Dominanz des bildlichen in unserer Kultur und der damit verbundenen Emotionalisierung von Information heute nicht mehr möglich. Es liegen Wahrnehmungsmuster unter den Informationen, denen unsere eigentliche Aufmerksamkeit gelten muß. Sie transportieren ungesehen die Grammatik des Patriarchats. Über eine internalisierte innere Zensurbehörde wird Information verarbeitet und hergestellt. Über eine Zensurbehörde, die wir alle eingebaut bekamen. Streeruwitz 1998: 23
7. Ausblick
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Die Erkenntnisse und Diskussionen der vorangegangenen Kapitel fließen werden hier überblicksartig und ausgewählt zusammengefasst. Die konkreten Ergebnisse der Analysen der einzelnen Kapitel sind jeweils am Ende dieser ausführlich dargestellt. Das Ziel dieser abeschließenden Darstellung ist es dahingegen weitere, mögliche und sinnvolle inhaltliche Ausweitungen einer entsprechenden Untersuchung aufzuzeigen. In der vorliegenden Monografie ist aufbauend auf einem konstruktivistischen Grundverständnis und unter Einbeziehung bisheriger linguistischer Traditionen zur Analyse von Personenreferenzen ein neues Modell zur Analyse personaler Appellation entwickelt worden, welches an dem Thema der Genderspezifizierung im heutigen Schwedisch exemplarisch ausgeführt worden ist. Bisherige Studien, die sich mit Genderspezifizierung bei Personenreferenzformen beschäftigt haben, sind weitgehend auf eine Darstellung des Verhältnisses von Genus zu Gender beschränkt geblieben und haben zudem die wissenschaftliche und gesellschaftliche Verhandlung von personaler Genderspezifizierung nicht umfassend mit berücksichtigt. Eine praktische Konsequenz der kritischen Analyse ist der Vorschlag einer klaren terminologischen Trennung der Begrifflichkeiten zwischen Genus und Gender für die wissenschaftliche Forschung, so dass eine unklare begriffliche Abgrenzung und teilweise begriffliche Überlappung zwischen beiden Kategorisierungen nicht weiter tradiert wird. Als Begriffe in der vorliegenden Arbeit werden für das Deutsche Genus und Gender vorgeschlagen. Durch den Begriff Gender kommt die konstruktivistische Sichtweise auf die Kategorie zum Ausdruck, die sich darüber hinaus auch in den aus Gender abgeleiteten Verb- und Adjektivformen, die in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, niederschlägt. Darüber hinaus wird ausgehend von einer konstruktivistischen Perspektive die Grundlage des bisherigen linguistischen Vorgehens, welches von einer vor dem Sprachgebrauch liegenden Sprachstruktur in Form eines Sprachsystems ausgeht, in Frage gestellt. Dies hat Auswirkungen auf die Vorannahmen dazu, was unter Bedeutung und unter Grammatik verstanden und welcher Status einer Grammatik eingeräumt wird. In Anlehnung an kognitiv-linguistische und perspektivischpragmatische Ansätze zu Sprache und unter dem Blickpunkt einer konstruktivistischen Perspektive wird Bedeutung als eine aktive Konstruktionsleistung von Individuen in Kommunikationen angesehen. Bedeutung ist in dieser Sichtweise abhängig von menschlicher Konzeptualisierung, dynamisch und situativ. Diese Perspektive schlägt sich auch in einer Veränderung von hier verwendeten Begrifflichkeiten gegenüber früheren Studien nieder: So wird beispielsweise nicht länger von Personenreferenz,
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7. Ausblick
sondern von personaler Appellation, nicht von genderspezifisch, sondern von genderspezifizierend, nicht von pejorativ, sondern von pejorisierend gesprochen. In diesen sowie in weiteren Begrifflichkeiten kommt eine Handlungsperspektive durch Sprache zum Ausdruck. In der unkonventionellen Schreibweise von Formen wie ReProduktion und ReSignifizierung drückt sich die konstruktivistische Annahme eines fehlenden Ursprungs sowie die Auffassung von Bedeutungsketten nach Derrida (1983) aus. Übertragen auf eine Analyse personaler Appellation bedeutet dies, nicht zwischen dem System einer Sprache und seinem Gebrauch zu unterscheiden, sondern grundsätzlich von einer Perspektive des Gebrauchs auszugehen. Bestimmte Formen des Sprachgebrauchs werden in dieser Vorstellung als so stark normiert und konventionalisiert angesehen, dass sie in der Auffassung von Sprecher/inne/n und Sprachgemeinschaften den Status eines Systems bekommen, der beispielsweise durch grammatische Regelwerke und Wörterbücher weiter unterstützt sein und tradiert werden kann. Auch in sprachwissenschaftlichen Studien wird diese Vorstellung weiter verfestigt. Ausgehend von einem Ansatz, in dem die Stärke der Konventionalisierung eines bestimmten Sprachgebrauchs Berücksichtigung findet, können Aussagen über die Konventionalisierung auch vorherrschender Konzeptualisierungen getroffen werden. Durch den linguistic turn in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat Sprache in Prozessen der Aushandlung von Kultur und Identitäten eine neue Beachtung gefunden, ihre konstruktive Seite ist betont worden. Dies ist in die Entwicklung von Diskursanalysen als Theorien und Methoden1 gemündet, die jeweils die Rolle von Sprache im Prozess der Bedeutungsbildung und -aushandlung betonen. Doch auch in diesen findet sich vielfach die häufig implizite Annahme einer sprachlichen Vorgängigkeit gegenüber einer jenseits dazu bestehenden Wirklichkeit. Die Vorstellung einer klaren und eindeutigen zumindest Kernbedeutung in Sprache ist in unserem Denken stark verankert. In dem hier entwickelten Modell wird demgegenüber vorgeschlagen, Sprache grundsätzlich als Sprachgebrauch zu konzeptualisieren und jegliche Annahme einer prädiskursiven, sprachlichen Vorgängigkeit einer kritischen Analyse zu unterziehen, die danach fragt, was durch diesen Akt naturalisiert und einer Analyse des Gebrauchs, in dem es jeweils auch um Macht- und Autoritätsaspekte beispielsweise der Deutungsmächtigkeit geht, entzogen wird. Dies ist hier für die linguistische Analyse der Kon-
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Vgl. hierzu das Übersichtswerk von Winther Jørgensen und Phillips (2000), in dem genau diese Frage – Ist Diskursanalyse Theorie oder Methode? – verhandelt wird.
7. Ausblick
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struktion von Gender in personaler Appellation und in den entsprechenden sprachwissenschaftlichen Diskursen analysiert worden. „By interpreting linguistic manifestations of gender as the discursive result of „doing gender“ in specific socio-cultural contexts, the analysis of gender across languages can contribute to such a theory.“ (Hellinger und Bußmann 2002: 3). Eine entsprechende Auffassung ist in einem weiten Sinne auch auf grammatische und sprachwissenschaftliche Darstellungen übertragen worden, die als eine wichtige und normierende Form des sozio-kulturellen Kontextes aufgefasst werden.2 Die von Hellinger (1990) eingeführte und von Hellinger und Bußmann (2001/2002/2003) fortgeführte Trennung zwischen lexikalischem Gender und sozialem Gender, wie sie in Kapitel 2 vorgestellt worden sind, wird auch auf der Grundlage einer Kritik an der Dichotomisierung von sex und gender nach Butler (1990) in der vorliegenden Monografie als Normen reproduzierend fallen gelassen. Das, was bei ihnen unter lexikalischem Gender firmiert, kann als eine stark verfestigte Form einer Gendervorstellung analysiert werden, die letztendlich auch sozial abhängig ist. Sie unterliegt einem höheren Grad an Naturalisierung, was mit Hilfe von Grammatikalisierungsprozessen erklärt werden kann, aber nicht bedeutet, dass es sich um die sprachliche Widerspiegelung einer natürlichen Dichotomie handelt. Hier wurde ausgehend von einem konstruktivistischen Ansatz nicht nur in Frage gestellt, ob zwischen formalen und semantischen Kriterien für Genuszuweisung unterschieden werden kann, sondern auch, ob überhaupt von semantischen Kriterien geredet werden kann oder ob diese nicht durch pragmatische zu ersetzen sind, die in Bezug auf ihre Konventionalisierung und Standardisierung weiter zu differenzieren sind. Alle bisherigen Modelle zu Genus verbleiben in einem strukturalistischen Paradigma, was in diesen Ansätzen auch jeweils wieder reproduziert wird.3 Darüber hinaus zeichnen sie sich alle durch eine Fokussierung von Substantiven als Ausgangspunkt der Betrachtung aus, zu denen sie Personalpronomina als nachgeordnete, wiederaufnehmende Formen ansehen. Genau an dieser Stelle aber besitzen die schwedischen Genusmodelle die größte Schwierigkeit, wenn sie versuchen, Genus an dem Punkt zu erklären, an dem zwei substantivischen Genera vier pronominale gegenüberstehen, so dass die zuvor verfolgte Erklärung nach
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Für eine detaillierte Analyse der einschlägigen fachwissenschaftlichen und auf Sprache fokussierten Diskurse zum heutigen Schwedisch, siehe auch Hornscheidt (2006b). Hier wird in den wissenschaftlichen Diskursen eine Vorgängigkeit von Gender vor Sprache herausgearbeitet sowie eine Sichtweise auf Sprache als Abbildungsmedium einer außersprachlich konstituierten Wirklichkeit. Für eine genaue Analyse hierzu, vgl. Hornscheidt (2006b).
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7. Ausblick
Kongruenzmodellen die Notwendigkeit impliziert, semantische Faktoren neben formalen geltend zu machen. Im dritten Kapitel wird eine Analyse der normierten Möglichkeiten personaler Appellation unter dem Aspekt Gender vorgestellt, in der der Schwerpunkt der Betrachtung von einer formalen zu einer konzeptuellen Analyse hin verschoben ist. Die Konzeptualisierungen von Gender in personalen Appellationsformen im heutigen Schwedisch werden hier als die momentan zur Verfügung stehenden Möglichkeiten konventionalisierter Genderspezifizierung analysiert. In dieser Analyse ist deutlich geworden, dass es verschiedene sprachliche Mittel der sprachlichen Genderspezifizierung personaler Appellation gibt, die hinsichtlich der durch sie aufgerufenen Konzeptualisierungen differenziert werden können. Die Struktur des Kapitels zeigt unterschiedliche Mittel auf, indem zum einen zwischen Mitteln der Lexikalisierung und Grammatikalisierung, wie sie in Kapitel 2 im Hinblick auf diese Arbeit definiert worden sind, und zum anderen zwischen verschiedenen Wortgruppen – Substantive, Pronomina und Adjektive – unterschieden wird, für die auch jeweils verschiedene Formen der Konzeptualisierung von Gender herausgearbeitet werden. Personalpronomina der dritten Person Singular wird in dieser Darstellung eine eigenständigere Position gegeben, als dies bisher in der Forschung der Fall ist. Sie werden als personal appellierende Formen dargestellt, denen im heutigen Schwedisch in Bezug auf Genderkonzeptualisierungen eine zentrale Position zukommt. Die Relevanz dieser veränderten Konzeptualisierung und eigenständigeren Behandlung von Pronomina erweist sich an vielen Stellen der Studie als sinnvoll. Ausgehend von einer Frage der Konzeptualisierung von Gender im Schwedischen können unterschiedliche Wortklassen in ihrer Funktion hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Konzeptualisierungen spezifischer analysiert werden als dies ausgehend von einer formalen Fragestellung bisher der Fall sein konnte. Ein wichtiges inhaltliches Ergebnis der Analyse der Konzeptualisierung von Gender in personaler Appellation im dritten Kapitel ist die Feststellung der Naturalisierung von Gender im Bereich der personalen Appellation der Verwandtschaftsverhältnisse, das diesen zu Grunde liegende heteronormative Deutungsmuster sowie der enge Zusammenhang von Gender- mit Alters- und Sexualitätsspezifizierung in personalen Appellationsformen im heutigen Schwedisch. Ein konstruktivistisches Konzept personaler Appellation hat auch Auswirkungen auf die Vorstellung von Sprachwandel und strategischen Sprachveränderungsstrategien, wie sie besonders im Hinblick auf potentielle Genderdiskriminierungen für personale Appellationsformen inner-
7. Ausblick
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halb und außerhalb der Sprachwissenschaften in Bezug auf verschiedene Sprachen diskutiert worden sind. Auf der Grundlage eines konstruktivistischen Verständnisses sind zum einen die gängigen Argumente wider eine feministische Sprachveränderung diskutiert (viertes Kapitel) als auch die vorgeschlagenen Sprachveränderungen personaler Appellation im Schwedischen in ihren diskursiven Verhandlungen analysiert (5. Kapitel) und bei beiden die ihnen zu Grunde liegenden Auffassungen zu Sprache und Gender herausgearbeitet worden. Analysen konkreter Veränderungsvorschläge auf Wortebene ergänzen zudem die Übersicht des dritten Kapitels in der Frage der sprachstrategischen Verhandlung bestimmter Appellationsformen. Zum anderen wird das Konzept der strategischen Sprachveränderung in Bezug auf personale Appellation in das prozessuale Modell der ReSignifizierung überführt. Im sechsten Kapitel sind die Möglichkeiten der Konzeptualisierung personaler Appellation aus dem dritten Kapitel und die Diskussionen zu konkreten strategischen Sprachveränderungen aus dem fünften Kapitel um die Realisierungen personaler Appellation in unterschiedlichen Korpora ergänzt. Durch diese Analyse können vor allem für den schriftsprachlichen medialen Sprachgebrauch von Tageszeitungen Tendenzen hinsichtlich der Konzeptualisierung von Gender in personalen Appellationsformen herausgearbeitet werden. Als Erweiterung dieser Analyse gegenüber herkömmlichen Darstellungen sind sprachliche Realisierungen berücksichtigt worden, in denen genderspezifizierende personale Appellationsformen das erste Glied eines Kompositums bilden. Mit dieser Analyse ist deutlich, in welchen Bereichen eine gegenderte Konzeptualisierung lexikalisiert zum Ausdruck kommt und welche Differenzen sich für die Herstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit in diesem Bereich aufzeigen lassen. Für die schwedische Gesellschaft kann durch die vorliegende Analyse gezeigt werden, dass von einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen wird, die sich als Voraussetzung in Darstellungen zu personalen Appellationsformen ebenso wie in feministische Kritiken an diesen und von dieser Seite vorgeschlagenen Sprachveränderungsvorstellungen einschreibt. Die Reproduktion und Verfestigung der Vorstellung von einerseits Zweigeschlechtlichkeit, ihrer impliziten Heteronormativität und anderseits ihrer Natürlichkeit wird als Bestandteil des linguistischen Diskurses zu und im Schwedischen angesehen. Es zeigt sich eine Übereinstimmung dieser Behandlung nicht nur mit der in den anderen germanischen Sprachen, sondern auch mit der von Linguist/inn/en der westlichen Hemisphäre durchgeführten Analyse anderer Sprachen, vorzugsweise solcher
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7. Ausblick
ehemals durch die EuropäerInnen kolonisierter Regionen der Welt, in der sich westliche Gendervorstellungen übertragen reproduzieren.4 Die der vorliegenden Monografie zu Grunde liegende konstruktivistische Erkenntnistheorie bedingt ein diskursanalytisches Vorgehen, wie es in den verschiedenen Kapiteln umgesetzt worden ist. Die Annahme unterschiedlicher Diskursebenen macht es möglich, auch wissenschaftliche Behandlungen bestimmter Fragestellungen als Diskurse zu verstehen, die in dem vorliegenden Zusammenhang analysiert worden sind. Auf diese Weise kann die komplexe Wechselwirkung und gegenseitige Bedingtheit unterschiedlicher Diskurse herausgearbeitet werden. Die Kombination der Analyse unterschiedlicher Diskursebenen zeigt, wie sich der mediale Diskurs auf den wissenschaftlichen Diskurs rückbezieht und ihn als Rechtfertigung oder Beweis der eigenen Thesen anwendet und in dieser gegenseitigen Rückbezüglichkeit die Komplexität sprachlicher Benennungspraktiken in wichtigen Punkten auf eine bestimmte Vorstellung fokussiert wird und sich auf diese Weise Vorannahmen bestätigen und Ausschlüsse reproduziert werden. Die vorliegende Monografie zeigt insgesamt auch, dass die in der bisherigen linguistischen Forschung getrennt gehaltenen Bereiche zu personaler Appellation und zu Gesprächsverhalten nicht die einzigen beiden notwendigen Forschungsbereiche zu ‚Gender und Sprache‘ sind und zudem nicht so klar in zwei Teilbereiche aufgegliedert werden können, wie das in der traditionellen linguistischen Forschung – und nicht nur in Bezug auf Gender und Sprache – der Fall ist. Ein perspektivisch-pragmatischer Ansatz auf dem Hintergrund eines konstruktivistischen Erkenntnisinteresses, wie er hier entwickelt worden ist, zeigt vielmehr, wie die inhaltlichthematisch gezogenen Grenzen zugleich auch erkenntnistheoretische Entscheidungen mit sich bringen, die in Frage gestellt werden müssen, um tradierte Vorannahmen herauszufordern und zu einer methodologischen Weiterentwicklung entsprechender linguistischer Forschungen beitragen zu können. Um der Komplexität sprachlicher Prozesse in Bezug auf Konzeptualisierungen gerecht zu werden, ist es notwendig, diese Trennung unterschiedlicher Bereiche aufzugeben. Stattdessen kann wissenschaftshistorisch reflektiert werden, wie diese Trennung zustande gekommen ist und warum sie bis heute in dieser Form weitgehend aufrechterhalten wird.
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Für eine vergleichbare Kritik an westlichen ‚Beschreibungen‘ afrikanischer Sprachen unter dem Gesichtspunkt der Behandlung des Aspekts Ethnie, siehe Irvine (1995).
7. Ausblick
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Mit Ausnahme der Tätigkeiten, Rollen und Funktion, die über eine angenommene und so wieder hergestellte natürliche Geschlechtlichkeit definiert werden, was vor allem für Verwandtschaftsbezeichnungen und sexualisierte Relationen gilt, wird für das heutige Schwedisch die Annahme einer gegenderten Konzeptualisierung im fachwissenschaftlichen und weitgehend auch im öffentlichen Diskurs negiert, was auch in der öffentlichen Gleichsetzung von feminism und jämställdhet zum Ausdruck kommt. Die öffentlich diskutierten Sprachveränderungsstrategien bestätigen ein Bild einer Zweiteilung zwischen einer natürlichen und einer sozialen Geschlechtlichkeit. Während die natürliche Geschlechtlichkeit unhinterfragt und unangetastet bleibt, soll die soziale Geschlechtlichkeit zu Gunsten einer Gleichstellung ‚überwunden‘ werden. Im dritten, fünften und sechsten Kapitel ist analysiert worden, wo in der heutigen schwedischen Konzeptualisierung die Grenzziehungen zwischen einer sozialen und natürlichen Geschlechtlichkeit innerhalb unterschiedlicher Diskurse und mit unterschiedlichen Graden der Konventionalisierung gezogen werden. Auf diese Weise ist die Herstellung einer Natürlichkeit von Gender auf der sprachlichen Ebene analysierbar. Dieses Ergebnis ist auf inhaltlicher wie methodischer Ebene von Relevanz: Auf inhaltlicher Ebene ist gezeigt worden, wo die Grenzen zwischen natürlicher und sozialer Genderzuschreibung in aktuellen schwedischen Diskursen verlaufen. Während Verwandtschaftsbeziehungen und sexualisierte Relationen sowie Zuschreibungen sexueller Identität in Form von substantivischer personaler Appellation konventionalisiert lexikalisiert sind und eine Vorstellung von natürlicher Geschlechtlichkeit unterstützen, sind insbesondere Tätigkeitsbezeichnungen, die in den meisten Fällen grammatikalisiert genderspezifizierend sind, das vielleicht herausragendste Beispiel für die Herstellung sozialer Geschlechtlichkeit. Auf dem Hintergrund eines schwedischen Gleichstellungsansatzes, der gerade in Bezug auf berufliche Tätigkeit und bezahlte Arbeit eine Genderneutralität propagiert, führt dies zum Ideal der Genderunspezifizierung der entsprechenden personalen Appellationsformen. Dieses Ideal wird in der Regel durch eine Übernahme von vordem genderspezifizierend männlich appellierenden Formen als genderunspezifizierende realisiert, wie in den Analysen des Kapitels 6 deutlich wird. Die darin enthaltene Problematik einer Konzeptualisierung allgemeinmenschlicher Vorstellungen als potentiell männlich wird nur an wenigen Stellen thematisiert. Diese Problematisierung findet sich vor allem in sozialwissenschaftlicher Literatur in Form von
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7. Ausblick
Randerwähnungen5, nicht aber in staatlichen, halbstaatlichen sprachpflegerischen oder sprachwissenschaftlichen Diskursen. Durch die Analyse dieser Studie, in der verschiedene Diskurse miteinander ins Verhältnis gesetzt worden sind, kann die Durchgängigkeit dieser Anschauungen zu Gender über verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Diskurse hinweg sowie der enge Zusammenhang mit jeweils implizit vertretenen Sprachauffassungen aufgezeigt werden. In Bezug auf die methodische Gestaltung der Arbeit ist ausgehend von einem konstruktivistischen Erkenntnisinteresse ein innovativer methodischer Ansatz gewählt worden, in dem verschiedene Analyseebenen und –verfahren miteinander kombiniert worden sind. Dieser manifestiert sich in der Berücksichtigung vieler verschiedener Datenquellen zu personaler Appellation unter dem Aspekt Gender im heutigen Schwedisch, die in der Analyse miteinander ins Verhältnis gesetzt worden sind. Den umfassenden Rahmen bildet eine Diskursanalyse, innerhalb derer verschiedene Datenkorpora und Datenquellen analysiert worden sind. Bisherige linguistische Studien zum Thema werden hier nicht nur als ‚Referenz‘literatur im traditionellen Sinne verstanden, sondern auch als Primärdaten benutzt und im Rahmen einer Diskursanalyse zum wissenschaftlichen Diskurs auf ihre eigenen Präsuppositionen hinsichtlich der Darstellung des Themas hin befragt6. Dasselbe gilt für die sprachpflegerische Diskussion um strategische Sprachveränderungen. Die verschiedenen Diskurse können durch diesen Ansatz zueinander ins Verhältnis gesetzt und miteinander gegen gelesen werden. Es ist aufgezeigt worden, dass im Hinblick auf Gender- und Sprachvorstellungen sowie in Bezug auf Gleichstellungskonzepte innerhalb der unterschiedlichen schwedischen Diskurse große Gemeinsamkeiten festgestellt werden können, die den Diskursen zum einen als Präsuppositionen unterliegen und sich zum anderen durch die kontinuierliche Wiederholung auch weiter tradieren. Gerade bei den sprachpflegerischen Diskursen ist es besonders interessant in den 70er Jahren vollkommen andere Argumentationen zu finden als in den 80er und 90er Jahren. Letztere lassen sehr viel stärker in einer Natürlichkeitsauffassung von Gender und einer Vorstellung von Sprache als Handlungen vorgängiges System verhaftet lesen als die sprachpflegerischen Ideen der 70er Jahre. Mit den aktuellsten Äußerungen durch Svenska språknämnden scheint sich hier für das neue Jahrtausend zaghaft eine erneute Revision der Auffassung abzuzeichnen. Darüber hinaus aber fällt die
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So zum Beispiel bei Åse (2000) in Bezug auf die Form polis/man; vgl. Kapitel 5 und 6. Für ein vertiefte diesbezügliche Analyse, siehe Hornscheidt (2006b).
7. Ausblick
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weitgehend Übereinstimmung der wissenschaftlichen, sprachpflegerischen und medialen Diskussion zum Thema personale Appellation und Genderkonzeptualisierung auf der Grundlage des spezifisch schwedischen anthroprozentrischen und heteronormativen Gleichstellungsverständnis auf. Ausgehend von der vorliegenden Untersuchung und dem in dieser entwickelten Modell personaler Appellation sind zahlreiche Ergänzungen durch sich anschließende Untersuchungen denkbar, die im folgenden exemplarisch skizziert werden. x Personale Appellation unter dem Aspekt Gender ist als Ausgangspunkt der Fragestellung betrachtet worden. Die enge Verknüpfung in der Konventionalisierung von Genderspezifizierung mit Alters- und Sexualitätsspezifizierung konnte in dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Eine sinnvolle Ergänzung dieser Untersuchung wäre es, Alter oder Sexualität als Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen und von dieser Perspektive aus die komplexen Verknüpfungen der verschiedener Identitätskategorisierungen Rechnung zu tragen. Die in der Studie angedeutet Intersektionalitätsperspektive7 könnte auf diese Wiese umfassender umgesetzt werden und die Interdependenz verschiedener Kategorisierungen, die nicht losgelöst voneinander und nicht additiv zueinander betrachtet werden können, könnte dadurch noch deutlicher herausgearbeitet werden. Darüber hinaus wäre es von großem Interesse, die Untersuchung auf weitere Bereiche wie insbesondere Ethnie/race8 auszuweiten. x Der enge Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Auto- und Heterostereotypen hinsichtlich schwedischer Gender- und Sexualitätskonzepte ist in der Studie deutlich geworden. Eine vergleichende Analyse mit zum einen anderen skandinavischen Ländern, aber auch anderen Sprachen und Ländern wird als eine weitere sinnvolle Ergänzung angesehen. Die Wechselwirkungen verschiedener gesellschaftlicher Diskurse und der sprachlichen Konzeptualisierung von Genderspezifizierung könnten auf diese Weise sprach- und kulturvergleichend analysiert werden. x Eine sprachhistorische Analyse, die ebenfalls die verschiedenen, hier berücksichtigten Diskursebenen einbezieht, wäre eine weitere, begrü-
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Ich schließe mich hier vor allem an Lykke (2003 und 2005), de los Reyes und Mulinari (2005) an. Vgl. auch Hornscheidt (2005b) für eine solche Analyse.
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ßenswerte Ergänzung zu der vorliegenden Untersuchung. An vielen Stellen hat sich bereits angedeutet, dass eine sprachhistorische Ausweitung für die Frage einer sich verändernden Konzeptualisierung von Gender von Interesse sein kann. Wie in Kapitel 2 in Bezug auf sprachwissenschaftliche Genusdiskussionen angesprochen worden ist, scheint es momentan sinnvoll, eine Betrachtung von Genus für personale Appellation gesondert vorzunehmen. In dem hier vorgeschlagenen Modell ist dies in eine Darstellung von Genderspezifizierungen im heutigen Schwedisch gemündet, in der Genus keine Rolle spielt.9 Eine solchermaßen veränderte Darstellung kann auch der fortwährenden ideologischen Vermischung zwischen Genus und Gender in der wissenschaftlichen wie öffentlichen Wahrnehmung entgegenwirken. Jenseits des heutigen Schwedisch erscheint es weiterhin als Desiderat, Forschungen zu personalen Appellation unter dem Aspekt Gender mit darüber hinausgehenden Genusforschungen zusammen bringen zu können.10 Ein wichtiges und in sich endloses Desiderat ist die Einbeziehung weiterer Diskurse, wie an verschiedenen Stellen jeweils als direktes Resultat der einzelnen Analysen formuliert worden ist. Besonders wünschenswert ist eine stärkere Berücksichtigung mündlichen Sprachgebrauchs, als dies hier, auf Grund der nur begrenzt vorhandenen Sprachdaten, möglich gewesen ist. Besonders die Berücksichtigung unterschiedlicher Communities, die sich an den Rändern der ‚Macht‘ bewegen, kann für eine weitere Behandlung gewinnbringend sein. Eine genauere Analyse unterschiedlicher jugendlicher Communities wird als ebenso sinnvoll wie eine stärkere Berücksichtigung unterschiedlicher Communities, die sich auf verschiedene Weisen über sexuelle Identität definieren, angesehen. Auch eine Berücksichtigung dialektaler Besonderheiten ist bei einer stärkeren Miteinbeziehung mündlichen Sprachgebrauchs möglich. Auf dieser Grundlage können Differenzen zwischen Standardsprache und Dialekten herausgearbeitet werden, die beispielsweise in einer stärkeren dialektalen Ausnutzung von Genus zur Genderspezifizierung bestehen. Darüber hinaus ist auch eine Analyse der Differenzen zwischen dem schwedischen Sprachgebrauch in Schweden und in Finnland wünschenswert, für die jeweils Spezifika
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Bei pronominalen Formen der dritten Person Singular handelt es sich dabei um eine definitorische Entscheidung. Vgl. Unterbeck und Rissanen (2000), Dahl (2000b).
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und/oder Gemeinsamkeiten der diskursiven Verhandlung darzustellen wären. Es wurde die Herstellung personaler Appellation durch einzelne Wörter fokussiert. Ausgeschlossen aus den Analysen sind Eigennamen. Sie wären eine weitere wichtige Ergänzung der Analyse von Genderspezifizierung in personaler Appellation. Als weitere Ergänzung wären über einzelne Wortformen hinausgehende Phrasen. Diese Ebene als Ergänzung genommen, könnten die kognitiven Unterschiede zwischen verschiedenen Formen der personalen Appellation bezogen auf die Art der Verbalisierung noch weiter ausdifferenziert werden, als dies hier in einem Vergleich der Verwendung von Substantiven, Pronomina und Adjektiven bereits geschehen ist. Die Einbeziehung in der Analyse von über direkte personale Appellation hinausgehende Verbalisierungen, in denen personale Appellation, beispielsweise als erste Glieder in Komposita, eine Rolle spielen, ist eine weitere sinnvolle Ergänzung, die sich für einige ausgewählte Appellationsformen in Hornscheidt (2006b) für Genderkonzeptualisierungen im heutigen Schwedisch findet. Entsprechende weitere Ausweitungen des Untersuchungsgegenstandes sind denkbar und werden durch die Analysen in ihrer potentiellen Relevanz bestätigt. Eine weitere sinnvolle Ergänzung sind Perzeptionsanalysen zur Konzeptualisierung von Personen auf der Grundlage sprachlichen Inputs. Sie können zu einer differenzierteren Erforschung unterschiedlicher Faktoren für die Konzeptualisierung von Gender bei Individuen beitragen. Eine erste entsprechende Ergänzung zum Schwedischen findet sich in Hornscheidt (2006b). Darüber hinaus ist es wichtig zu betonen, dass es sich in den hier untersuchten Fällen nur um einige von zahlreichen Möglichkeiten sprachlicher Herstellung von Gender handelt. Personale Appellationsformen sind ein relativ direktes und sehr frequentes Mittel der Konstruktion von Genderidentitäten und -rollen. Darüber hinaus können zahlreiche weitere sprachliche Mittel untersucht werden.11
Es ist deutlich geworden, dass eine Sprachanalyse aus einer konstruktivistischen Perspektive gleichzeitig zu einer Überschreitung disziplinärer Grenzen, was die Formulierung von Erkenntnisgegenständen und eine
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Erson (1992) analysiert beispielsweise den Sprachgebrauch von Jugendlichen bei Computerspielen und stellt dort genderspezifizierende Verwendungen von zentralen Begriffen fest, die ihrerseits Genderrollen in diesen Spielen mit prägen.
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methodische Umsetzung betrifft, führt. Auf diese Weise ist das exemplarisch analysierte Thema der Genderspezifizierung personaler Appellation zugleich auch eine neue Anbindung linguistischer Forschungen an vor allem kulturwissenschaftlich bestimmte Themenbildungen konstruktivistischer Konvenienz. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer genauen Sprachanalyse mit einem diskursanalytischen Ansatz konnte aufgezeigt und für die konkrete Themenstellung umgesetzt werden. Eine Öffnung der Linguistik hin zu einer konstruktivistischen Sprachsicht führt, wie diese Monografie zeigt, nicht zu einer Auflösung der Disziplin, sondern zu einer Herausarbeitung ihrer spezifischen Stärken, die in der genauen, auf sprachliche Prozesse fokussierten Analyse liegen und in einem transdisziplinären Kontext ihre uneingeschränkte Berechtigung besitzen.
7. Ausblick
It could be that this record set before you now is a fiction. On what can I depend, if not my past, if not objectivity, if not the clean white coats of science? Should I acknowledge the fiction that I am? Winterson 1994: 31
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