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Dipl. Vw. Dr. Max Laimböck Gemeinnützige Salzburger Landeskliniken Salzburg, Österreich
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ISBN 978-3-211-84789-3 SpringerWienNewYork
Für meine Frau und meine Kinder, die meinem Leben Sinn und Freude geben.
Vorwort Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, dass durch Veränderungen der Sozialen Krankenversorgung in die Richtung eines regulierten Wettbewerbs die Qualität erhöht und die Kosten begrenzt werden können. Die Überlegungen sind wichtig, da mit den zu erwartenden Zusatzkosten wegen der zunehmenden Veralterung der Bevölkerung und des teuren medizinisch-technischen Fortschritts die Herausforderungen für die Gestaltung der Sozialen Krankenversorgung weiter zunehmen werden. Zudem gibt es einen Nachholbedarf und Österreich hinkt derzeit mit der Weiterentwicklung der Sozialen Krankenversorgung gegenüber anderen hoch industrialisierten Staaten hinterher. Ausgehend von der These, dass richtig gesetzte Anreize Qualität und Kosten der Sozialen Krankenversorgung entscheidend beeinflussen, werden in dieser Arbeit die negativen Folgen der in Österreich bestehenden Fehlanreize für Qualität und Kosten dargestellt und damit auch, welche positiven Möglichkeiten zur Veränderung bestehen. Die aufgezeigten Defizite wurden bereits von der OECD 19971 aufgezeigt und blieben seither unverändert. Als Ergebnis der Stagnation bezahlen die Österreicher das inzwischen fünftteuerste Gesundheitssystem der Welt und erhalten dafür nur durchschnittliche Ergebnisse (vgl. 2.). Weder Regionen noch Personen sollen mit den Beispielen ungünstiger Entwicklungen in Österreich angeschwärzt werden. Ich will aber exemplarisch aufzeigen, welche Nachteile für Qualität und Kosten unsere Fehlanreize zwangsläufig nach sich ziehen. Die Beispiele sollen somit die Notwendigkeit und Möglichkeit von Veränderungen verdeutlichen. Mit der Veränderung der Fehlanreize würden für die Finanzierung des medizinischen Fortschritts dringend erforderliche Mittel frei. Zudem erhöhen sich die – leider kaum diskutierte – Qualität der Krankenversorgung und die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Gesundheitswirtschaft. Dabei möchte ich nicht vermitteln, dass ein perfektes Anreiz- und Finanzierungssystem der Sozialen Krankenversorgung möglich wäre. Mir fällt es aber schwer zusehen zu müssen, dass die lang bekannten Fehlanreize nicht verändert werden. Auch besteht ein offensichtlicher Widerwille von erfolgreichen Erfahrungen durch Veränderungen in anderen Staaten zu lernen. Ich setze mich daher u. a. mit den Ergebnissen von Managed Care (MC) in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland auseinander, um daraus Verbesserungsmöglichkeiten für Österreich ableiten zu können. Österreich ist der westliche Staat mit den wohl negativsten Erfahrungen politisch geführter Unternehmen. Die Betriebe der ehemals verstaatlichten In1
OECD 1997
VI
Vorwort
dustrie kamen erst zur Blüte, als sich die Politik aus der operativen Führung zurückgezogen hatte. Trotzdem hoffen die Österreicher für die Soziale Krankenversorgung aber weiterhin auf den Erfolg eines verstaatlichten Gesundheitswesens und damit, dass die Gesundheitspolitiker durch eigenes Handeln positiv auf gesetzliche Krankenversicherungen (GKVen) und Krankenhäuser einwirken könnten. Sie meinen, staatliche Planwirtschaft brächte ein für die Menschen günstigeres Ergebnis hervor als die Soziale Krankenversorgung durch Unternehmen. Im Gegensatz zum Vertrauen der Österreicher auf die direkten Interventionen der Gesundheitspolitiker in die Soziale Krankenversorgung hat sich international die Meinung durchgesetzt, die Politik sollte sich auf politische Vorgaben bzw. Rahmenbedingungen (niederschwelliger Zugang, Versorgung für Alle, hohe Qualität) und die Kontrolle begrenzen. Innerhalb dieses staatlich vorgegebenen Rahmens sollte die operative Ausführung eigenverantwortlichen Unternehmen überlassen werden, die sich als Anbieter und Nachfrager von Gesundheitsleistungen begegnen. Die GKV unter Wettbewerb würde versuchen, den Erwartungen der Versicherten zu entsprechen um diese nicht zu verlieren bzw. neue Versicherte zu gewinnen. Der Versicherte würde durch die Wahl seiner GKV die Angebote der sozialen Krankenversorgung beeinflussen und damit mittelbar Druck auf Effizienz und Qualität der GKVen und damit auch der Dienstleister ausüben. Die Österreicher hoffen aber weiterhin, dass der Staat und seine Politiker die Qualität und Effizienz der sozialen Krankenversorgung erhöhen würde und der Patient als „Versorgter“ entmündigt bleiben könne. Zwei wenig beachtete Analysen über wesentliche Teile des Systems der Sozialen Krankenversorgung werden mit den hier vorgelegten Analysen konfrontiert: x Die Österreichische Gesellschaft für Gesundheitsökonomie hat eine Umfrage über die Krankenhausfinanzierung ausgewertet,2 die das Ergebnis der vorliegenden Arbeit bestätigt und die schon lange bekannten Schwächen der Krankenanstaltenfinanzierung offen legt (vgl. 7.8.). x Das nicht veröffentlichte Gutachten von Prof. Bert Rürup3 im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer analysiert das mangelnde Potential der Gesundheitsagenturen und kommt zu einem ähnlich ungünstigen Ergebnis wie die vorliegende Arbeit (vgl. 6.4.) Die Regierungsvorlage zur Gesundheitsreform 2008 über die Reorganisation der GKVen nimmt erstmals Erkenntnisse der Gesundheitsökonomie und Erfahrungen aus anderen Staaten auf und schlägt u. a. vor, die Unternehmensführung der Gebietskrankenkassen aus den Händen von Funktionären in professionelle Hände zu legen (vgl. 11). 2 3
Gesundheitsoeconomica 2004, S. 5 ff. Rürup Bert/Albrecht Martin/Loos Stefan: Gesundheitsagenturen. Eine Antwort auf die strukturellen Fragen des österreichischen Gesundheitssystems? Gutachten im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer, Darmstadt 27.10.2004, 76 S.
Vorwort
VII
Grundlage meiner Überlegungen und Ausführungen sind meine Erfahrungen in der der US-Pharmaindustrie, in der Führung von Großkrankenhäusern in Tirol und Salzburg und die Erfahrungen von Kollegen aus anderen Bundesländern, Deutschland und der Schweiz. Ich bin somit Krankenhaus lastig, aber auch ein aufmerksamer Beobachter der Entwicklungen im Praxisbereich (auch in unseren Nachbarstaaten). Ich habe mich bemüht, die Thesen mit viel empirischem Material zu belegen und ersuche um Nachsicht, wenn in dem einen oder anderen Einzelfall inzwischen Änderungen erfolgten, die mir nicht bekannt sind. Ich habe mich aber so weit als möglich bemüht, alle angeführten Beispiele zu belegen. Durch den Verzicht auf die Beispiele hätte aber die Plausibilität der Thesen gelitten. Die Ineffizienz politischer und staatlicher Einmischungen in die Unternehmensführung habe ich über nunmehr 17 Jahre in Krankenhäusern praktisch und im Gegensatz zu über 20-jähriger Praxis im Management wirtschaftlich selbständiger deutscher und US-Großunternehmen erfahren. Ich teile daher die These der Gesundheitsökonomie, dass regulierter Wettbewerb durch wirtschaftlich selbständige Unternehmen unter staatlicher Rahmensetzung und Kontrolle besser geeignet ist, Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung zu erhöhen als politische Interventionen und staatliche Planwirtschaft. Auf dieser Grundlage schlage ich Maßnahmen zur Verbesserung der Anreizsysteme der Sozialen Krankenversorgung und zur rationalen Gestaltung ihrer Strukturen in die Richtung eines regulierten Wettbewerbs vor.
Inhaltsverzeichnis Vorwort..................................................................................................................... V 1. Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich ............. 1 2. Ergebnisse im internationalen Vergleich ..................................................... 11 3. Fehlanreize als eine Ursache für höhere Kosten – eine Metapher ............ 17 4. Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt.................................... 21 4.1. Herausforderungen an die gesetzliche Krankenversicherungen (GKVen) ................................................................................................ 25 4.1.1. Stabile Finanzierung der sozialen Krankenversorgung ..... 31 4.1.2. Integrierte Versorgung .......................................................... 32 4.1.3. Chronisch Kranke.................................................................. 34 4.1.4. Überregionale Zentren .......................................................... 38 4.1.5. Begrenzung des stationären Bereichs................................... 42 4.1.6. Kostenbegrenzung ................................................................. 45 4.1.7. Standardisierung und Qualitätssicherung ........................... 50 4.1.8. Wettbewerb zwischen Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) ....................................... 53 4.1.8.1. Beispiel: Der Kassenwettbewerb in den Niederlanden .......................................................... 60 4.1.9. Wettbewerb zwischen Leistungserbringern........................ 67 4.1.9.1. Beispiel: Der Krankenhauswettbewerb in Deutschland ............................................................ 71 4.1.10. Managed Care (MC) .............................................................. 75 4.1.10.1. Beispiel: Managed Care in der Schweiz ............... 79 4.1.11. Elektronische Gesundheitsakte/Krankengeschichte.......... 81 4.1.12. Hohe Kosten für Medikamente............................................ 83 4.1.13. Europäische Integration ........................................................ 95 4.2. Staatliche Gesundheitssysteme............................................................ 96 4.3. Das Risiko der Privaten Krankenversicherung: die MehrKlassen-Medizin ................................................................................... 99 5. Staatliche Finanzierung macht Krankenhäuser zum Spielball der Politik ............................................................................................................ 101 5.1. Unter politischer Führung entwickeln sich keine Krankenhausunternehmen ................................................................ 102 5.1.1. Ziele und Kompetenzen politischer Entscheidungsstrukturen .................................................... 102 5.1.2. Management in wirtschaftlich selbständigen Unternehmen........................................................................ 110 5.1.3. Krankenhäuser zwischen Politik und Selbständigkeit..... 111 5.1.4. Zeitgemäße Organisation in Krankenhäusern .................. 116
X
6.
7.
Inhaltsverzeichnis
5.2. Länder können die Krankenhausfinanzierung langfristig nicht sichern.................................................................................................. 122 5.3. Effizienz ist mit der Restabgangsfinanzierung nicht zu erreichen .............................................................................................. 125 5.4. Politische Entscheidungen ermöglichen kaum Standortkorrekturen .......................................................................... 126 5.5. Politische Finanzierung der Gastpatienten führt zu Fehlanreizen........................................................................................ 129 5.6. Marktelemente werden sich ausweiten ............................................ 131 5.7. Politischer Einfluss ermöglicht Lobbyismus und damit Partialinteressen.................................................................................. 133 5.7.1. Ärztekammern schwächen die Krankenhausambulanzen.................................................... 134 5.7.2. Fachgesellschaften der Ärztekammer verhindern neue Angebotsformen .................................................................. 136 5.7.3. „Kollegiale“ Krankenhausführung .................................... 137 Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha ....................................................................................................... 139 6.1. Kostendifferenz zwischen Facharztpraxen und Ambulanzen ...... 139 6.2. Mehrkosten und Qualitätsverluste durch die sektorale Finanzierung ....................................................................................... 142 6.2.1. Leistungsverschiebung von Praxen in die Krankenhausambulanzen.................................................... 145 6.2.2. Leistungsverschiebung in die stationäre Krankenhausversorgung ..................................................... 147 6.2.3. Die Nachteile der sektoralen Finanzierung der Rehabilitation ....................................................................... 148 6.3. Nachteile wegen der Unterfinanzierung der Krankenhausambulanzen .................................................................. 150 6.3.1. Doppelte Facharztschiene................................................... 151 6.3.2. Keine Optimierung der Notfallambulanzen .................... 153 6.3.3. Vernachlässigung der Spezialambulanzen ........................ 153 6.3.4. Verschieben ambulanter Leistungen in den stationären Bereich .............................................................. 154 6.3.4.1. Stationäre Aufnahmen um Einnahmen zu erhöhen.................................................................. 154 6.3.4.2. Stationäre Aufnahmen aus administrativen Gründen ................................................................ 155 6.3.4.3. Diagnostik erfolgt oft stationär statt ambulant................................................................ 156 6.4. Gesundheitsagenturen können diese Probleme nicht lösen .......... 157 Fehlanreize der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF)............................................................................................................. 161 7.1. Leistungsabrechnung erfordert ausreichende Kontrolle ............... 163 7.2. LKF ist für Effizienzvergleich ungeeignet ...................................... 167
Inhaltsverzeichnis
XI
7.3. Abgrenzung der Krankenbehandlung von der Reha und dem Sozialbereich ....................................................................................... 171 7.4. Kostenerhöhung in der Intensivmedizin durch Fehlanreize ......... 172 7.5. Krankenhausaufenthalte haben sich bisher nicht verkürzt............ 174 7.6. Fehlerhafte Abrechnungen mangels Behandlungsepisoden .......... 175 7.7. Fehlanreize durch die Investitionssubventionierung ..................... 178 7.8. Die LKF hat ihre Ziele verfehlt......................................................... 182 7.9. Wieso sich Deutschland und die Schweiz gegen die LKF entschieden .......................................................................................... 185 8. Österreichische Daten sind für internationale Vergleiche begrenzt verwendbar.................................................................................................... 189 9. Vorteile und Fehlanreize der Finanzierung durch Private Krankenkassen.............................................................................................. 193 9.1. Klassendifferenzierung in Praxen ..................................................... 194 9.2. Privates Liquidationsrecht fördert Partialinteressen ...................... 194 9.3. Anreize zur Leistungsausweitung durch die PKV-Vergütung ..... 197 9.3.1. Anreize zur Gewinnung von Privatpatienten................... 197 9.3.2. Anreize zur Leistungsvermehrung..................................... 198 9.4. Anreize zur stationären statt der ambulanten Versorgung ............ 199 10. Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen.................... 201 10.1. Leistungsvermehrung durch Leistungsfinanzierung ...................... 201 10.2. Freie Arztwahl oder der Hausarzt als „Gatekeeper“ ..................... 203 11. Der Sanierungsplan der Sozialpartner für die GKVen............................. 207 12. Zusammenfassung der erforderlichen acht Ziele für den Weg aus der Sackgasse................................................................................................. 211 Literaturverzeichnis.............................................................................................. 215 Abkürzungen ........................................................................................................ 219 Tabellenverzeichnis .............................................................................................. 221 Anlage 1 – LKF Bepunktung............................................................................... 223 Anlage 2 ................................................................................................................. 225 Sachverzeichnis ..................................................................................................... 227
1.
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
Die Bevölkerung widmet Veränderungen der Sozialen Krankenversorgung größte Aufmerksamkeit. Die richtigen Entscheidungen um die geeignete Organisations- und Finanzierungsform der Sozialen Krankenversorgung zu finden, ist für Politiker daher von zunehmender Bedeutung. Die Gestaltung der Gesundheitssysteme wurde zu einer der größten Herausforderungen der Regierungen und zum gewichtigen Wahlkampfthema (eine der wenigen Ausnahmen davon war der österreichische Wahlkampf 2006, weil die ÖVP traditionell sozialdemokratische Ziele zu ihren eigenen gemacht hatte und daher der SPÖ kaum Angriffsflächen bot). Die demographische und epidemiologische Entwicklung in Verbindung mit den steigenden Kosten für neue medizinische Verfahren werden die politische Brisanz der Gestaltung des Gesundheitsbereichs noch erhöhen. In Westeuropa besteht ein politischer Konsens darüber, dass für die „Soziale“ Krankenversorgung staatliche Vorgaben und Kontrollmechanismen zum Schutz der wirtschaftlich Schwachen, Behinderten und chronisch Kranken unumgänglich sind. Die zentrale Frage, ob das Ziel einer Sozialen Krankenversorgung mit einem staatlichen Gesundheitssystem, einem Kassenmonopol oder mit GKVen unter Wettbewerb bei staatlicher Rahmensetzung und Kontrolle am besten erreicht werden kann, wird derzeit in Österreich anders als in den Nachbarstaaten beantwortet. Die Österreicher neigen zu staatlichen und monopolistischen Lösungen, die anderen Staaten zu reguliertem Wettbewerb. Für die weitere Entwicklung in Österreich ist die Beantwortung dieser Frage von großer Bedeutung. Das System der Sozialen Krankenversorgung in Österreich ist als Sozialversicherungssystem mit einer GKV als Organisator der gesamten Krankenversorgung angelegt und damit den GKV-Systemen in den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Belgien und Deutschland wesensverwandt4 und unterscheidet sich grundsätzlich von den staatlichen Gesundheitssystemen in Großbritannien, Skandinavien und den meisten mediterranen Staaten. In beiden Systemen besteht Unzufriedenheit über Effizienz und daher werden Wege gesucht, die Effizienz zu erhöhen und die Finanzierung zu sichern.
4
Laimböck, Berenkamp 2002
2
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
Zweifel und Schroder beobachten für die Weiterentwicklung der GKVSysteme drei Phasen: 1. Die Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht mit einem garantierten Leistungskatalog in einer Grundversicherung. 2. Budgetierung als Instrument der Rationierung, um das Wachstum der Gesundheitsausgaben zu begrenzen. 3. Marktorientierte Reformen zur Implementierung von mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen, mit mehr Wahlmöglichkeiten für Versicherte, Deregulierung der Angebotsseite sowie Modellen der integrierten Versorgung, stets mit dem Ziel einer effizienteren Bereitstellung von medizinischen Leistungen. Ziel der ersten Phase war, möglichst allen Bürgern einen umfassenden Krankenversicherungsschutz zu garantieren. Die Folge waren stark ansteigende Gesundheitsausgaben und Finanzierungsprobleme. Durch regulierende Eingriffe des Staates wurde in der zweiten Phase mit der Budgetierung des Leistungskatalogs und mit Kostenkontrollen versucht, den Kostenanstieg zu steuern. In der dritten Phase wird die Lösung dieser Probleme in marktorientierten Reformen gesehen, die auf mehr Wettbewerb setzen, um Anreize zur effizienten Nutzung von Gesundheitsleistungen zu schaffen, nicht zuletzt in der Hoffnung die Gesundheitsausgaben in den Griff zu bekommen. Zu den wichtigsten Konzepten der marktorientierten Reformen gehören die Managed-Care-Programme, die seit einigen Jahren in verschiedenen Ländern entsprechend den jeweils gegebenen Rahmenbedingungen zur Kostenreduktion und Steuerung eingesetzt werden.5 Die Einsparungen unter Managed Care betragen 20–30 % gegenüber der konventionellen Versorgung (vgl. 4.1.10.1.). In den meisten Staaten wird versucht, in dieser dritten Phase die GKVSysteme mit reguliertem Wettbewerb in die Richtung integrierter Versorgung und damit Managed Care zu verändern. In den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland wurden die GKVen dafür weitgehend entpolitisiert. Sie werden nun von eigenverantwortlichen Unternehmensleitungen geführt, konkurrieren untereinander und werden damit zur höheren Leistungsfähigkeit gezwungen. Um Versicherte an sich zu binden, haben sie neue Angebote entwickelt und versuchen die Kosten zu begrenzen. Dafür setzen sie Praxen und Krankenhäuser unter Effizienzdruck, die sich in der Folge ihrerseits zu Unternehmen entwickeln. Auf diese Weise entfaltet sich in diesen Staaten eine leistungsfähige Gesundheitswirtschaft, die auch international erfolgreich sein und mittelfristig in Österreich den Markteintritt schaffen dürfte. Abweichend davon bleiben die staatlichen Gesundheitssysteme in Großbritannien, Skandinavien, in den mediterranen Staaten und das Gesundheitssystem für Alte und Arme in den USA weiterhin weitgehend staatlich und 5
Vgl. Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 7, 8
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
3
planwirtschaftlich organisiert, implementieren aber ebenfalls Managed Care und Wettbewerbs-Elemente. Z.B. in Großbritannien „wurden zaghaft private Spitäler ins System eingebunden“6 und in Schweden haben private Krankenhäuser Aufgaben der Sozialen Krankenversorgung übernommen. Voraussetzung für ein leistungsfähiges staatliches Gesundheitswesen ist eine Grundsatzentscheidung und eine leistungsfähige Gesundheitsbürokratie. Da beide Voraussetzungen in Österreich fehlen, wird Österreich diesen Weg nicht beschreiten. Eine interessante Entwicklung nahm das Gesundheitssystem in Italien. Dort wurde 1978 das GKV-System in ein staatliches Gesundheitssystem umgewandelt (vgl. 4.1.8). Die GKVen wurden aufgelöst und staatliche Versorgungseinheiten zentral, regional und örtlich aufgebaut7. Eine ähnliche Entwicklung wird auch für Österreich von den Gesundheitsökonomen Dr. Ernest G. Pichlbauer und Ingrid Korosec vorgeschlagen.8 Sie wollen die GKVen als Finanzier abschaffen und das Gesundheitssystem aus Steuern finanzieren. Das Ministerium sollte die Leistungen der Praxen kalkulieren und nach dieser Kalkulation Praxen – ganz ohne Verhandlungen – bezahlen. Die ministerielle Planwirtschaft führte zu keiner Trennung von Angebot und Nachfrage, sondern legte die Gesundheitsversorgung in die Hände regionaler Bürokratien. Die regionalen Gesundheitsbürokratien schufen in Italien ein verpolitisiertes und ineffizientes System der Sozialen Krankenversorgung, aus dem begüterte Italiener mit privaten Krankenversicherungen flüchten. Die Soziale Krankenversorgung Österreichs könnte mittelfristig unabsichtlich in einen ähnlichen Weg der Systemtransformation schlittern. Seit den 90er Jahren koppelte sich die österreichische Gesundheitspolitik nämlich von der Entwicklung der wesensverwandten GKV-Systeme der Schweiz, Niederlande und Deutschlands ab: x Die Finanzierung der Pflege alter Menschen wird nicht durch eine Pflegeversicherung, sondern aus staatlichen Budgets finanziert. x Die GKVen blieben unter größtem politischem Einfluss ohne Wettbewerb und wurden nicht zu Unternehmen weiter entwickelt. x Die Verantwortung für die Krankenhausversorgung wurde den GKVen zur Gänze genommen und staatlichen Institutionen übertragen (Krankenanstaltenfinanzierungsfonds/Gesundheitsagenturen). x Kein Preissystem für Krankenhausleistungen zeigt die Effizienz oder Ineffizienz der Krankenhäuser an. Die GKVen wurden somit geschwächt und nicht, wie in unseren Nachbarstaaten, gestärkt. Sie verkümmerten zu Finanziers von Praxen und Apotheken ohne Einfluss auf die ambulante und stationäre Versorgung der Krankenhäu6 7
8
NZZ vom 8.3.2006, S. 3: Britischer Gesundheitsdienst in neuer Krise Soziale Sicherheit November 2006, S. 478: Reformentwicklungen im italienischen Gesundheitssystem Pichlbauer E. G./Korosec I: Gesunde Zukunft, Edition Steinbauer 2007
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Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
ser und damit ohne Verantwortung für die Gesamtversorgung. Sie abzuschaffen wäre nur der nächste Schritt auf dem schon beschrittenen Weg. Das Motiv für diese Schwächung der GKVen war 1997 kein gesundheitssondern ein parteipolitisches. Es ging um die Schwächung der „roten“ GKVen und die Stärkung der „schwarzen“ Länder, die jetzt über die Krankenhausmittel verfügen können. Die damit verbundene zunehmende Verstaatlichung des Gesundheitssystems widerspricht eigentlich den Erwartungen an eine bürgerliche Regierung und war wohl kein Teil einer langfristigen Perspektive für die Soziale Krankenversorgung in Österreich. Aus dieser Sackgasse wird die österreichische Gesundheitspolitik früher oder später einen Ausweg finden müssen. Die für 2008 geplanten ersten Schritte zu einer Gesundheitsreform geben dafür eine Orientierung. Die derzeit völlig getrennte Organisation und Finanzierung der Krankenhäuser und Praxen führt zu Koordinationsproblemen zwischen diesen beiden Sektoren. Um diese Nachteile zu beseitigen, wurden mit der Gesundheitsreform 2004 der Regierung Schüssel an die Stelle der Krankenhausfinanzierungsfonds in den Ländern und im Bund Gesundheitsplattformen eingerichtet (die Ziele der Gesundheitsplattformen sind übrigens die selben wie jene ihrer Vorgänger, der Gesundheitsfonds). Dort sind alle Interessen vertreten und diese sollen jetzt die Nachteile der sektoralen Finanzierung gemeinsam beseitigen. Wie die ersten Erfahrungen in den meisten Bundesländern zeigen, werden in den Gesundheitsplattformen weitgehend nur Interessen vertreten und keine grundlegenden Veränderungen angepeilt. Die Gesundheitsplattformen haben keine Chance, die unterschiedlichen Interessen tatsächlich zu harmonisieren oder gar die zersplitterte Organisation der Versorgung zusammenzuführen. Sie sind ein weiterer hilfloser Schritt der Verländerung ohne das Problem tatsächlich zu fassen. Auch wenn dort einzelne sinnvolle Projekte beschlossen und umgesetzt werden, kann der Mangel eines Organisators der gesamten Behandlungskette damit nicht kausal beseitigt werden. Da sich die beiden Bereiche Praxen und Krankenhäuser von einander zunehmend entfernen und kein Koordinator dies korrigieren könnte, wird der Anschluss an zeitgemäß integrierte Versorgungsformen zunehmend verloren. Wenn diese Defizite offensichtlich werden, wird die „Finanzierung aus einer Hand“ als Diskussionsthema medial in den Vordergrund kommen. Zwischen Ärztekammer und Landesregierungen ergibt sich zudem eine prekäre Interessenparallelität, nämlich die Versorgung aus den Krankenhausambulanzen in die Praxen zu verlegen: die Länder wollen die Kosten der Krankenhäuser reduzieren und die Ärztekammer die Einkommen ihrer Klientel erhöhen. Bezahlen soll dies die GKV. Dass die Versorgung in den Praxen nicht besser, aber häufig teurer als in Ambulanzen ist, bleibt dabei unberücksichtigt (vgl. 6.1.) „Einige Minister sind in den letzten Jahren angetreten, um das österreichische Gesundheitssystem zu reformieren bzw. die Kostendynamik zu brechen. Bisher sind alle am Dickicht der Kompetenzen und an der völligen Intransparenz der Finanzierung der Spitäler gescheitert. Laut einer kürzlichen OECD-
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
5
Analyse liegt Österreich bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf – öffentlich und privat – hinter den USA, Luxemburg, Norwegen und der Schweiz … auf dem fünften Platz ….Die mit Abstand stärkste Dynamik weisen – trotz von Jahr zu Jahr steigenden Defiziten der Krankenkassen – die Ausgaben für die Spitäler auf“.9 Die österreichische Gesundheitspolitik strebt zur Lösung des offensichtlichen Defizits die Gesamtgesundheitsplanung ohne jeden Wettbewerb an10 und hofft weiterhin auf die Optimierung der Sozialen Krankenversorgung durch Planwirtschaft. Mit der 15a-Vereinbarung wurde diese Planwirtschaft für die Jahre 2008 bis 2013 festgeschrieben: die Bundesgesundheitsagentur mit der Bundesgesundheitskommission übernimmt die Gesamtplanung, Landesgesundheitsfonds mit Gesundheitsplattformen werden zur regionen- und sektorenübergreifenden Planung, Steuerung und zur Sicherstellung einer gesamthaften, zur Forcierung der Maßnahmen zur Sicherstellung einer integrierten und sektorenübergreifenden Planung, Steuerung und Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens eingerichtet.11 Diese Wiederauferstehung der Vision einer erfolgreichen staatlichen Planwirtschaft ist ohne jede Aussicht auf Erfolg,12 wird aber innerhalb der ÖVP als Zukunftsszenario u. a. im Internet mit dem Titel „ÖVP: Krankenkassen nur noch Servicestellen“ propagiert: „Die ÖVP-Perspektivgruppe spricht sich offenbar für die bisher größte Änderung im heimischen Gesundheitswesen …. für ein steuerfinanziertes System aus. Wer das Gesundheitssystem einheitlich planen will, müsse auch für die Finanzierung voll verantwortlich sein, argumentiert Wolfgang Sobotka (ÖVP), nö. Finanzlandesrat.“13 In Niederösterreich wurde bereits ein staatliches Krankenhaussystem nach dem Vorbild des britischen NHS eingeführt, d.h. die Landesbehörde und die Krankenhausgesellschaft miteinander verschmolzen und damit die Trennung von Angebot und Nachfrage aufgehoben. Der nächste Schritt zu einem niederösterreichischen NHS wird somit bereits diskutiert. Die Folgen kann man als Insider beobachten: x Ohne Wettbewerb zwischen Krankenhäusern können diese weiterhin zeitgemäße Veränderungen vertagen und auch offensichtliche Ineffizienzen bleiben unverändert. x Die ausgegliederten Krankenhausgesellschaften werden zunehmend repolitisiert und damit Spielball der parteipolitischen Kalküle. Die Verstaatlichung bzw. Verländerung der Sozialen Krankenversorgung verhindert auch die Herausbildung von leistungsstarken Krankenhaus- und 9
10 11 12
13
NZZ vom 10.1.2008, S. 13: Kaum durchschaubare Finanzierung der österreichischen Spitäler Österreichischer Strukturplan Gesundheit 2006, S. 3 Vgl. BMGFJ, 15a-Vereinbarung 2008–2013: 1. Abschnitt, Artikel 1(2)4. Vgl. Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S. 13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“ ORF im Internet am 6.6.2007: http://noe.orf.at/stories/197998/: Aus für Selbstverwaltung
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Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
GKV-Unternehmen, die im kommenden europäischen Gesundheitsmarkt den internationalen Wettbewerbern die Stirn bieten könnten. Dies zeigt sich bereits im Wettbewerb um die zahlungskräftigen Patienten aus Osteuropa und den arabischen Staaten, die nicht mehr in die USA zur Behandlung reisen wollen. Die österreichischen Krankenhäuser sind, im Gegensatz zu den handlungsfähigeren Konkurrenten in anderen Staaten, kaum in der Lage, diese Patienten zu gewinnen und damit dringend notwendige zusätzliche Finanzmittel zu erwirtschaften. Dabei wird sich der Gesundheitsmarkt nach einer Studie14 in Deutschland von 2003 bis 2020 um 74 % ausweiten und damit der am stärksten wachsende Markt sein. Der Anteil am BSP wird in Deutschland dann 15,5 % betragen. Derzeit werden die österreichischen Krankenhäuser durch das Finanzierungs- und Preissystem noch vor Wettbewerb geschützt. Sie bleiben damit politisch willfährig, entwickeln sich aber auch nicht zu leistungsfähigen Unternehmen. Dafür wäre der rauhe Wind des Wettbewerbs erforderlich. Wenn kein Wechsel der gesundheitspolitischen Zielsetzung zu reguliertem Wettbewerb vollzogen wird, werden mittelfristig in Österreich internationale Krankenhauskonzerne von der öffentlichen Hand Krankenhäuser übernehmen und die verhätschelte österreichische Gesundheitswirtschaft zunehmend dominieren (vgl. 4.1.9). Die in Veränderung begriffenen Rahmenbedingungen der EU werden deren Markteintritt in Österreich ermöglichen. Unter Wettbewerb wird die derzeit staatlich geschützte österreichische Gesundheitswirtschaft gegen diese unter Wettbewerb gestärkten ausländischen Wettbewerber nicht bestehen können. Die Akteure der Sozialen Krankenversorgung handeln wie sie durch die Anreizsysteme angehalten werden, „like a puppet on a string“. In Österreich führt etwa die bessere Bezahlung der stationären als der ambulanten Behandlungen zu einer unnötigen Verlagerung ambulanter Leistungen in den stationären Bereich. U.a. ist unser Europarekord stationärer Betten pro 1.000 Einwohner auch das Ergebnis dieses gesundheitspolitischen Fehlanreizes. Wenn somit als Folge ungünstiger Anreize ungünstige Strukturen mit ungünstigen Ergebnissen entstehen und bleiben, sind nicht die Akteure, sondern die Anreizsysteme und damit die Gesundheitspolitik zu kritisieren. Die Gesundheitsreformen der bisherigen Regierungen ließen leider alle Fehlanreize mit ihren fatalen Folgen unverändert. Hinzu kommt, dass die Länder die zunehmende Finanzierungslast der Krankenhausfinanzierung bei gleich bleibenden Einnahmen nicht mehr tragen können. Die Landeszuschüsse für die Krankenhäuser steigen systembedingt jährlich um 15 % und mehr (vgl. 5.2): x Die Einnahmen der Länder (aus Ertragsanteilen etc.) erhöhen sich nur mäßig. 14
Kartte, Joachim, Dr., u. a.: Innovation und Wachstum im Gesundheitswesen, Roland Berger Strategy Consultants, Germany, 11/2005: S. 11
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
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Die Kosten steigen wegen des technischen Fortschritts, der epidemiologischen und demographischen Entwicklung und der jährlichen Gehaltsanpassungen für die Mitarbeiter deutlich stärker als die Einnahmen. Die in den Krankenhäusern schlummernden Effizienzpotentiale können unter politischer Führung ebenso wenig gehoben wie zusätzliche Einnahmenpotentiale (ausländische Patienten, andere Geschäftsfelder) erschlossen werden. Die sinnvolle Reduzierung der Krankenhausstandorte kann von Landespolitikern kaum veranlasst werden. Wenn ein Landespolitiker ernsthaft mit der Schließung von Standorten beginnen würde, hätte er wohl nur geringe Wiederwahlchancen. Die Tendenz der Landespolitiker, mit Zusatzleistungen und Neubauten von Krankenhäusern Wähler gewinnen zu wollen, lassen die Kosten noch weiter steigen.
Um der steigenden Finanzbelastung für die Krankenhäuser Herr zu werden, reduzieren viele Länder die Bürde der Betriebs- und Investitionskosten durch Kreditaufnahmen in den Krankenhausgesellschaften ohne deren Rückzahlung zu planen (vgl. 5.2). Die Landesfinanzen sind in einem von Jahr zu Jahr zunehmenden Dilemma, das nur durch immer höhere Zuschüsse vom Bund oder den GKVen jeweils für einige Jahre Zeit behoben werden kann. Eine langfristige Finanzierungsperspektive ist dies nicht. Die Soziale Krankenversorgung in Österreich befindet sich somit mehrfach in der Sackgasse: x Sie bietet keine Perspektive der langfristigen Finanzierung, da die Länder die Finanzierung der Krankenhäuser langfristig nicht sichern und aus politischen Kalkülen deren Kosten nicht reduzieren können (überfällige Standort- und Primariatsreduzierungen). x Sie kann sich nicht zwischen dem monopolistischen und einem mehrGKVen-System unter Wettbewerb bzw. einer staatlichen Planwirtschaft entscheiden und „wurstelt“ unentschieden weiter. x Der expandierende Wirtschaftsbereich Gesundheitswirtschaft wird nicht auf den europäischen Wettbewerb vorbereitet. Rahmenbedingungen, die überregional wettbewerbsfähige Krankenhäuser und Praxisunternehmen erzwingen würden, fehlen. Voraussetzung aller Reformen wäre die Bereinigung der Kompetenzlage und der Finanzierungsstruktur.15 x Für Krankenhäuer fehlt ein transparentes und funktionierendes Preissystem. Dadurch entsteht der zur Herausbildung leistungsfähiger Krankenhaushausunternehmen dringend erforderliche Wettbewerbsdruck nicht und sie bleiben medizinisch und wirtschaftlich zum Teil 15
Vgl. NZZ vom 10.1.2008, S. 13: Kaum durchschaubare Finanzierung der österreichischen Spitäler.
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unter ihren Möglichkeiten. Die deutlich höheren Versorgungskosten der Wiener Krankenhäuser im Vergleich zu denen in anderen Bundesländern und die im Vergleich zu den deutschen G-DRG-Entgelten höheren österreichischen LKF-Entgelte sind offensichtliche Hinweise auf Effizienzreserven. Sie kann die sektorale Aufteilung der Versorgung mit ihren offensichtlichen Nachteilen nicht beenden: Krankenhäuser werden von den Ländern, Praxen von den GKVen und die Rehabilitation von den Pensionsversicherungen unkoordiniert finanziert und organisiert. Eine Gesamtverantwortung für Behandlungsabläufe in Praxen und Krankenhäusern besteht nicht und die verschwenderische Versorgung mit Doppeluntersuchungen bzw. unabgestimmten Behandlungsabläufen mit geringerer Effektivität bleiben unverändert. Sie erhält den zu umfangreichen und zu teuren stationären Bereich. Die Fehlanreize zur stationären statt ambulanten Versorgung sollten ebenso dringlich verändert, wie Standorte reduziert werden. Sie bewirkt die Unvergleichbarkeit der österreichischen Daten durch die Zurechnung vieler ambulanter Leistungen zum stationären Bereich (vgl. 6.3.4.), die uneinheitliche Fallzählung in den Krankenhausambulanzen (vgl. 6.1) und die Zurechnung von Rehabilitation zur Akutversorgung in manchen Regionen (vgl. 6.2.3).
Die österreichische Öffentlichkeit befindet sich aber in einer Phase der Staatsillusion und befürwortet weiterhin, dass der Staat nicht nur die soziale Krankenversorgung organisieren und kontrollieren, sondern weitgehend auch selbst betreiben soll. Diese Staatsillusion entspricht der Liebe der Briten zu ihrem staatlichen NHS-System und bahnt sich mit der Planwirtschaft des niederösterreichischen Krankenhausbereichs und der Steuerfinanzierung der Altenpflege auch in Österreich an. Das Versagen der Gesundheitsplattformen bei der Koordination der Krankenhäuser mit den Praxen sollte als Anlass genommen werden, die grundsätzliche Diskussion zu beginnen, ob eine weitere Verstaatlichung oder regulierter Wettbewerb langfristig in Österreich für Patienten und Finanzen sinnvoller sind. Geldknappheit allein war bisher kein ausreichender Anstoß, die Tendenz zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens in Zweifel zu stellen. Die „Gesundheitsreform 2004” und die 15a-Vereinbarung im Jahr 2007 versprechen ein wirkungsloses Placebo zu werden. Meiner Meinung nach benötigt die österreichische Gesundheitspolitik die grundsätzliche Entscheidung, die Soziale Krankenversorgung mit einer zeitgemäßen GKV unter reguliertem Wettbewerb und mit Managed Care Elementen weiter zu entwickeln. Da die derzeitigen GKVen als erstarrtes Monopol die Gesamtverantwortung nicht übernehmen könnten, ist eine GKV-Reform als erster Schritt Voraussetzung für die Weiterentwicklung. Regulierter Wettbewerb zwischen Krankenhäusern, Praxen etc. sollten eingeführt
Zur Entwicklung der sozialen Krankenversorgung in Österreich
und als Voraussetzung dafür endlich ein funktionierendes Preissystem für Krankenhäuser und Praxen geschaffen werden. Wenn ein Krankenhaus für dieselbe Leistung deutlich höhere Preise verlangt als andere, sollte dies Folgen für das Krankenhaus haben. Richtig oder falsch gesetzte Anreize steuern Effizienz und Effektivität der Gesundheitssysteme und sollten daher zielgerichtet eingesetzt werden.
9
2.
Ergebnisse im internationalen Vergleich
Die OECD gibt regelmäßig Qualitäts- und Kostenvergleiche über die Gesundheitssysteme der dreißig Staaten heraus. Der aktuelle Bericht auf der Grundlage der Daten aus 2005 ist im Internet einsehbar.16 Die beiden Kernaussagen, dass sich der Gesundheitsstatus in den OECDStaaten seit 1960 dramatisch verbessert hat und die Gesundheitskosten als Anteil am Bruttosozialprodukt stark gestiegen sind, bestätigt der OECD-Bericht. Der Vergleich der Daten für das österreichische mit denen der Gesundheitssysteme der anderen OECD-Staaten gibt Hinweise für die Qualität unseres Gesundheitssystems. Tabelle 1: Vergleich der Lebenserwartung und der Gesundheitskosten Österreichs mit dem OECD-Durchschnitt von 30 OECD-Staaten OECDDurchschnitt
Rang
Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt Männer 76,7 Frauen 82,2
75,7 81,4
15 13
Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren Männer 17,0 Frauen 20,3
16,3 19,6
14 12
3.519
2.759
5
10,2
9,0
6
76
73
15
2005
Gesundheitskosten pro Kopf $ % Gesundheitskosten BSP Anteil öffentliche Ausgaben in %
Österreich
Rückschlüsse aus diesen Daten: x Österreicher bezahlen nach den USA, Luxemburg, Norwegen und der Schweiz die fünfthöchsten Gesundheitskosten innerhalb der OECD. x Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt hat sich in den OECD-Staaten in den letzten Dekaden substantiell erhöht, dank besserem Lebensstil und besserer Ausbildung, aber auch wegen der Fort-
16
OECD Indicators 2007
12
Ergebnisse im internationalen Vergleich
x
x
schritte im Zugang zu und der Qualität der Medizin. Spitzenreiter sind Japan mit einer Lebenserwartung von 82,1 Jahren, gefolgt von Island, Spanien, Schweiz, Australien und Schweden. Österreicher haben innerhalb der OECD nur die zwölft höchste Lebenserwartung nach Italien, Frankreich, Spanien und Neuseeland. In Japan hat sich die Lebenserwartung in den letzten Dekaden am meisten erhöht. Die Lebenserwartung der 65-Jährigen lässt Rückschlüsse auf die Qualität der Krankenversorgung zu, da vorzeitige Todesfälle durch Unfälle die Statistik nicht mehr beeinflussen. Die Lebenserwartung der Österreicher liegt wiederum im Mittelfeld. Das System der Sozialen Krankenversorgung Österreichs produziert somit ein ungünstiges Input-Output-Verhältnis: fünfthöchste Kosten und zwölfthöchste Lebenserwartung.
Österreich stellte bis 2003 die Kosten der Sozialen Krankenversorgung unrichtig dar. Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttosozialprodukt wurde – anders als in den anderen Staaten – ohne staatliche Zuschüsse „schön“ gerechnet. Damit wurde große Zufriedenheit ausgelöst. „Nach der bisher verwendeten Statistik wurden insgesamt 8,1 % der BIP aufgewendet, 5,6 % entfielen auf den Staat in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und 2,5 % auf die Privaten….Das IWI hat nun ermittelt, dass der für den Privatbereich ausgewiesene Betrag in etwa den Tatsachen entspricht…. Die spektakuläre Differenz errechnet sich allerdings bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben.“17 Hier waren die öffentlichen Zuschüsse unter den Tisch gefallen. Daher wies die OECD für 2003 noch 7,5 % des BSP und $ 2,302 pro Kopf und für 2005 korrekte 10,2 % des BIP und $ 3,519 pro Kopf und Jahr an Gesundheitskosten für Österreich aus.18 Ein linearer Zusammenhang zwischen der Höhe der Kosten für die Soziale Krankenversorgung und der Zunahme der Lebenserwartung besteht nicht: „Allgemein wird der Beitrag, den die gesundheitlichen Versorgungssysteme zur Verlängerung des Lebens und zur Verbesserung der Lebensqualität leisten, erheblich überschätzt …. Eine methodisch aufwendige nordamerikanische Studie (Bunker/Frazier, Mosteller, 1994) kommt zu einem für viele unerwarteten Ergebnis. Danach hat der Beitrag der medizinischen Versorgung zur Verlängerung der Lebensspanne der US-amerikanischen Bevölkerung im 20. Jahrhundert im Durchschnitt 5,0–5,5 Jahre betragen. Das entspricht maximal 20 % der in diesem Zeitraum gewonnen durchschnittlichen Lebensjahre. Überraschend war für die Autoren der Befund, dass …. zwischen zwei Drittel und drei Viertel des geschätzten Lebenszeitgewinns kurativen Leistungen zuzuschreiben sind und nur etwa ein Viertel bis ein Drittel klinisch-präventiven Maßnahmen.“19 Die Zunahme der Lebenserwartung wird somit zu 80 %
17 18 19
Der Privatpatient 2/2002: Fast 11 % des BIP für das Gesundheitswesen OECD Indicators 2007 Wilkinson, S. VIII
Ergebnisse im internationalen Vergleich
13
durch die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung bewirkt. Die moderne Medizin konnte aber in jedem Fall die Lebensqualität eines großen Teils versorgungsbedürftiger Menschen erheblich verbessern. Ein eindeutiger Zusammenhang von höherem Einkommen mit höherer Lebenserwartung besteht innerhalb der Staaten. “Frauen und Männer mit dem niedrigsten Bildungsabschluss (Pflichtschule) sind zwei- bis dreimal häufiger bei schlechter Gesundheit oder behindert als Frauen und Männer mit Matura (Abitur) oder einem Studienabschluss.“20 Innerhalb eines Staates leben somit die gut Ausgebildeten länger als die schlecht Ausgebildeten. Die Statistik zeigt auch die bekannte Tatsache, dass die Menschen in den reichen Staaten länger leben als in den armen Staaten. Aber: Kein Zusammenhang zwischen Reichtum und Lebenserwartung besteht zwischen den reichen Staaten: “Unter den modernen Industriegesellschaften sind nicht die reichsten Gesellschaften die gesündesten, sondern diejenigen mit den geringsten Einkommensunterschieden zwischen Arm und Reich. Soziale Ungerechtigkeit und relative Armut sind außerordentlich wirksam: sie steigern die Todesraten.“21 Die deutlichste Korrelation innerhalb der reichen Staaten besteht zwischen einer sozial intakten Gesellschaft und der Entwicklung der Lebenserwartung. Wilkinson weist am Vergleich zwischen Schweden und Großbritannien nach, dass die soziale Gerechtigkeit für die Entwicklung der Lebenserwartung wichtiger ist als die Höhe der Ausgaben für die Soziale Krankenversorgung. „Betrachtet man eine Reihe unterschiedlicher Beispiele für gesunde, sozial ausgewogene Gesellschaften, so scheinen sie alle ein wichtiges gemeinsames Merkmal aufzuweisen – sie alle verfügen über sozialen Zusammenhalt. Sie haben ein ausgeprägtes Gemeinschaftsleben. …Der Individualismus und die Werte des Marktes werden von einer sozialen Ethik eingedämmt….Diese Gesellschaften verfügen über mehr so genanntes „Sozialkapital“, das wie ein Schmiermittel für das Getriebe der gesamten Gesellschaft und Wirtschaft wirkt. Es gibt weniger Anzeichen antisozialer Aggressivität, die Gesellschaft erscheint fürsorglicher.“22 Somit können wir einerseits das Gesundheitssystem für eine mittelmäßige Lebenserwartung der Österreicher nicht zur Gänze verantwortlich machen, können aber auch nicht hoffen, mit Gesundheitsausgaben die Lebenserwartung deutlich zu verändern. Sozialpolitische Maßnahmen sind demnach oft effizienter. Die Systeme der Sozialen Krankenversorgung sind somit wichtig, aber nicht entscheidend für die Entwicklung der Lebenserwartung in den reichen Staaten. Aber warum ist das österreichische System so teuer? Die Ursachen für die Kostendifferenzen zwischen Österreich und den anderen reichen OECDStaaten sind aus den OECD-Analysen nicht eindeutig festzumachen:
20 21 22
Wilkinson, S. VII Wilkinson, S. VI Wilkinson, S. 5
14
Ergebnisse im internationalen Vergleich
x
x
x
x
23 24
Der Anteil der über 65-Jährigen kann die Differenzen nicht erklären. Japan, Italien, Deutschland, Griechenland, Schweden, Belgien, Portugal, Spanien und Frankreich haben einen höheren Anteil an über 65Jährigen aber niedrigere Gesundheitskosten als Österreich. (Anteil der 65-Jährigen: Italien 19,3 %, Österreich 16,3 %, OECD-Durchschnitt 14,7 %). Die ungünstige Altersverteilung in vielen Industriestaaten trägt zur Steigerung der Gesundheitskosten bei, erklärt aber nicht deren Unterschiede. Die Anzahl der Krankenhausbetten in Akutspitälern pro 1.000 Einwohner kann die Differenzen nicht erklären. Die OECD-Staaten mit den höchsten Gesundheitskosten USA (2,7 Betten), die Schweiz (3,6 Betten) und Norwegen (3,0 Betten) haben weniger Krankenhausbetten als der OECD-Durchschnitt (3,9 Betten) oder Deutschland (6,4 Betten) und Österreich (6,1 Betten). Die Anzahl der Krankenhäuser pro Million Einwohner kann einen Teil der Kostendifferenz erklären. Österreich (33 Krankenhäuser pro Million Einwohner) und die Schweiz (48) haben mit Frankreich die größte Anzahl an Krankenhäusern. Dänemark (15), die Niederlande (8) und Schweden (9) haben eine wesentlich geringere Dichte an Krankenhäusern und auch niedrigere Gesundheitskosten. Ein gewisser Zusammenhang zwischen der Anzahl der Krankenhäuser und den Gesamtkosten der Sozialen Krankenversorgung besteht somit. Schon 1997 hatte die OECD eine „übermäßige Beanspruchung der stationären Pflegeeinrichtungen“23 für Österreich festgestellt. Daran hat sich binnen zehn Jahren nichts geändert. Kostentreiber sind neue Technologien. „Die Hauptursachen für steigende Gesundheitskosten sind neue, teure Medikamente und medizinische Technologien, steigende Kosten für das Personal im Gesundheitssektor und die Einbeziehung der Heimpflege in die Summe der Gesundheitskosten.“24 Die hohen Preise neuer Angebote der Industrie verursachen die Mehrkosten. Sie hat den Gesundheitssektor als „Goldgrube“ entdeckt, bringt immer neue und teurere Methoden auf den Markt und kann dort deutlich höhere Gewinne erwirtschaften als in anderen Sparten. Die zersplitterte Krankenhaus- und Praxislandschaft in Österreich führt zur Überausstattung mit Medizintechnik und damit zu höheren Kosten. Zudem werden in Österreich neue Technologien, bevor sie eingesetzt werden, nicht neutral überprüft (im Gegensatz etwa zu Großbritannien).
OECD 1997, S. 107 Ernst & Young, S. 30
15
Ergebnisse im internationalen Vergleich
Tabelle 2: Vergleich der Ressourcenausstattung Österreichs mit dem OECD-Durchschnitt von 30 OECD-Staaten 2005 Praktizierende Ärzte pro 1.000 % Zunahme p. Ärzte1990–2003 Akutbetten pro 1.000 Krankenhausaufenthalte pro 1.000 MRIs pro Million CTs pro Million Strahlentherapie pro Million Impfung Kleinkinder (in %)
Österreich
OECDDurchschnitt
Rang
3,5
3,0
11
3,1 6,1
1,6 3,9
6 4
278 16,3 29,4
163 9,8 20,6
1 4 6
4,6
6,2
16
83
94
29
Der Vergleich der Daten Österreichs mit denen des OECD-Durchschnitts zeigt, dass Österreich vergleichsweise gut ausgestattet ist. Beim Datenvergleich fallen auf: x Die OECD verfügt über keine Vergleichsdaten aus Österreich zu wichtigen Faktoren, u. a. zu den Einkommen der Ärzte und zum Anteil tageschirurgischer Leistungen. x Krankenhausleistungen, die in anderen Staaten tageschirurgisch erbracht werden, erfolgen in Österreich noch weitgehend stationär. Nach dem OECD-Bericht werden in Schweden, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Dänemark, Norwegen und in Finnland Katarakt-Operationen zu über 80 % ohne stationäre Krankenhausaufenthalte durchgeführt. In Österreich erfolgen diese Operationen noch zum größten Teil stationär. x Österreich weist mit ca. 90 % eine relativ geringe Dichte an Impfungen von Neugeborenen aus. In Österreich treten daher mehr Maserninfektionen auf als in den gesamten USA. Die Masernepidemie im April 2008 in der Stadt Salzburg war wohl eine Folge davon. Auf Defizite hatte die OECD bereits in ihrem Bericht 1997 hingewiesen.25 Die österreichische Gesundheitspolitik hat auf die schon damals aufgezeigten Probleme nicht reagiert: x „Die finanzielle Verantwortung der Krankenkassen sollte auf die Abdeckung der Spitalskosten ausgeweitet werden … Die Kosten der Gesundheitsleistungen sollten unter einer einzigen Institution zusam-
25
OECD 1997, S. 112
16
Ergebnisse im internationalen Vergleich
x x x x x x x
mengefasst werden, wodurch die Entscheidungen bezüglich aller konkurrierenden Leistungserbringer im Gesundheitssystem verbessert würden“.26 Die Finanzierung aus einer Hand wurde nicht umgesetzt. Die GKVen sollten Wettbewerb ausgesetzt werden. Die Kooperation zwischen den Ärzten und Krankenanstalten sollte verbessert werden. Da die LKF keinen starken Anreiz schafft, die Spitäler effizient zu führen, wurde vorgeschlagen, einen regulierten Wettbewerb der Krankenhäuser einzuführen. Investitionen in Krankenhäusern sollten rationaler gestaltet werden. Der Zugang zu Spitälern sollte durch bessere Integration mit Praxen begrenzt werden. Gruppenpraxen sollten eingeführt werden, etc. In dem Bericht wurde festgestellt, dass das Reformpaket als Interimslösung anzusehen sein, die in hohem Maße auf bürokratischen Eingriffen und politischem good will besteht.
Die in den letzten Jahren beschlossenen Gesundheitsreformen haben die schon damals bekannten Defizite weder verändert noch Schritte in die Richtung einer Veränderung gesetzt. Für 10 Jahre Untätigkeit wird deutlich mehr Geld mit geringem Qualitätsanstieg bezahlt. Das österreichische Gesundheitssystem als fünft teuerstes der dreißig OECD-Staaten bietet Ergebnisse, die zumeist um den OECD-Durchschnitt oszillieren oder leicht darüber liegen. Mit den in Österreich finanzierten Gesundheitskosten sollten eigentlich auch Spitzenwerte in der Qualität erreichbar sein. Über Systemverbesserungen sollte somit nachgedacht werden.
26
OECD 1997, S. 113
3.
Fehlanreize als eine Ursache für höhere Kosten – eine Metapher
Um die irrationalen Anreizsysteme des österreichischen Systems der sozialen Krankenversorgung darstellen zu können, wird hier fiktiv eine Versicherung gegen Kfz-Reparaturen mit einer Krankenversicherung verglichen. Die Krankenversicherung sichert ihre Mitglieder gegen das Kostenrisiko für Krankenbehandlungen und die Kfz-Reparaturversicherung gegen das Kostenrisiko für Kfz-Reparaturen ab. Stellen Sie sich die Kfz-Reparaturversicherung mit den folgenden Akteuren vor: x Versicherte x Versicherung (erhält Versicherungsbeiträge von den Versicherten) x Finanzier der Reparaturbetriebe (erhält Geld aus staatlichen Budgets und eine Pauschalzahlung von der Versicherung unabhängig von Leistungen und Versicherten) x Reparaturbetriebe (erhalten Leistungen vom Finanzier bezahlt) Die folgenden Bedingungen herrschen: x Die Versicherten bezahlen einen geringen Versicherungsbeitrag und erhalten dafür vollständigen Versicherungsschutz gegen KfzReparaturen von der Kfz-Reparaturversicherung (entspricht unseren Beiträgen zur GKV). x Die Kfz-Reparaturversicherung hat keinen Einfluss auf Preise und Qualität der Werkstätten (entspricht dem Einfluss der Landesgesundheitsagenturen auf Krankenhäuser). x Der Finanzier bezahlt an die Reparaturbetriebe die Kfz-Reparaturen. Weder Versicherung noch Finanzier haben Einfluss auf Reparaturen und Preise. x Der Finanzier wird aus Steuermitteln und Mitteln der Versicherung finanziert (und nicht von den Versicherten). x Alle Leistungsausweitungen werden aus Steuermitteln an den Finanzier bezahlt. x Der Finanzier hat keine Möglichkeiten auf das Angebot der Reparaturbetriebe Einfluss zu nehmen. x Der Finanzier prüft weder Qualität noch die Notwendigkeit der Reparaturen. Im Reparaturbetrieb können die Versicherten ihr Kfz so oft sie dies für erforderlich halten reparieren lassen und Teile austauschen. x Zwischen den Reparaturbetrieben besteht kein Wettbewerb über Preise oder Qualität.
18
Fehlanreize als eine Ursache für höhere Kosten – eine Metapher
x x
Kein Preissystem zeigt, welche Reparaturbetriebe teurer oder billiger sind. Die Reparaturbetriebe erhalten o alle Kosten finanziert und o eine staatliche „Existenzgarantie“.
Welche Anreize werden damit geschaffen? x Die Versicherten o haben keinen Anreiz Reparaturen zu vermeiden und wollen unabhängig vom Kosten/Nutzen Verhältnis jede Leistung für ihr Kfz, die Zustand und Lebensdauer verlängern könnte; o wollen ihr Fahrzeug nur in die besten und teuersten Reparaturbetriebe bringen. x Die Werkstätten o haben keinen Anreiz Reparaturen zu begrenzen oder kostengünstig durchzuführen; im Zweifel wird mehr als erforderlich repariert; o werden immer teurere Reparaturmethoden entwickeln, um mehr Mittel zu erhalten; o haben keinen Anreiz zum sparsamen Umgang mit Mitteln; bei Mittelknappheit wird mehr Geld vom Finanzier verlangt. x Die Industrie wird immer neue Reparaturmöglichkeiten anbieten, die Reparaturbetriebe werden diese einsetzen und die Kosten dem Finanzier verrechnen. Die Folgen dieser Anreize: x Die Anzahl der Reparaturen steigt. x Die Anzahl der Reparaturbetriebe steigt. x Die Angebote der Industrie für die Reparaturbetriebe nehmen nahezu unbegrenzt zu. x Die Finanziers benötigen zunehmend mehr Mittel. x Da die Zahlungen unabhängig von Qualitätskontrolle erfolgen, wird die Qualität nicht optimal sein. Wer möchte unter diesen Bedingungen nicht eine Reparaturwerkstatt betreiben? Dies sind die Bedingungen der Krankenhäuser in Österreich. Wenn die Ergebnisse der Sozialen Krankenversorgung in Österreich dennoch gut sind, dann nicht wegen der Qualität des Systems, sondern wegen der Verantwortlichkeit der Ärzte und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Praxen. Es besteht eben doch ein Unterschied, ob ein Auto oder ein Mensch versorgt wird. Die geschilderten Bedingungen sind aber für die Kfz-Reparaturversicherung genau so ungünstig wie für die Krankenversicherung, schaffen Fehlanreize für Mehrkosten und keinen Anreiz für steigende Qualität und Wirtschaftlichkeit.
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
19
Die Organisation der GKVen setzt Anreize zur Leistungsvermehrung und keine zur Leistungs- und Kostenbegrenzung. Daher entwickeln andere Staaten dieses System in die Richtung regulierten Wettbewerbs weiter und erreichen durch Wettbewerb unter staatlicher Aufsicht günstigere Ergebnisse.
4.
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
Der Gesundheitsmarkt ist kein „normaler“ Markt. x Gesundheit ist ein besonderes Gut; Kranke sind u. a. in Notfällen von der Versorgung abhängig und können sich daher häufig nicht als „normale Nachfrager“ verhalten (starre Nachfrage). x 75 % der Gesundheitskosten werden für Leistungen ausgegeben, die selten mehr als einmal im Leben des Patienten konsumiert werden. 27 x Kranke benötigen ein Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt, da es ihnen an ausreichendem Wissen über Körper, Erkrankung und Möglichkeiten zur Diagnose und Therapie fehlt. Zudem unterscheidet sich die Krankenversicherung durch eine völlig andere „Risikostreuung“ von anderen Versicherungen: x Andere Versicherungen bilden Risikogruppen und verrechnen für jede Risikogruppe risikoadäquate Prämien: Kfz-Eigentümer in der Stadt und manche Lenker verursachen mehr Unfälle und bezahlen daher höhere Prämien als Kfz-Eigentümer am Land oder Lenker mit weniger Unfällen. x Die Soziale Krankenversicherung kann keine Risikogruppen bilden. Ca. 20 % der Versicherten, die Hochrisikogruppen (chronisch Kranke und Behinderte), verursachen ca. 80 % der Kosten. Diese Relation aus der US-Gesundheitsökonomie28 wurde u. a. von der OÖGKK und den deutschen GKVen bestätigt. Nach einer Schweizer Analyse verursachen 1 % der Versicherten 25 % und 10 % rund 75 % der Kosten.29 Wenn die Hochrisikogruppen zu einem Risikopool zusammengeführt würden, müssten diese die sechzehnfache Prämie anderer Versicherten bezahlen. Da sie zudem über geringere Einkommen als die Versicherten mit durchschnittlichen Gesundheitsrisiken verfügen, könnten sie diese Versicherungsbeiträge nicht bezahlen. Unter unregulierten Bedingungen wären daher chronisch Kranke, Behinderte, aber auch Geringverdiener nicht in der Lage, die Krankenversicherung zu bezahlen. Um derartige Verwerfungen zu vermeiden, herrscht in Europa Einigkeit über die Grundprinzipien einer Sozialen Krankenversorgung: x Finanzielle Stabilität durch langfristig gesicherte Finanzierung.
27 28 29
NZZ vom 17.12.2007, S. 17: Das Gesundheitswesen ist kein idealer Markt Schlette et al, S. 9 NZZ vom 17.12.2007, S. 17: Das Gesundheitswesen ist kein idealer Markt
22
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
x x x x x
Staatliche Steuerung und Kontrolle, da der Markt ohne staatliche Rahmenbedingungen unsoziale Strukturen schaffen würde. Gute Versorgungsqualität auf zeitgemäßem Niveau. Allgemeiner und niederschwelliger Zugang zum Gesundheitssystem für jeden Bürger, d.h. Versicherungspflicht oder ein staatliches Gesundheitssystem. Gerechte Verteilung der Kosten, d.h. Umverteilung zugunsten der Hochrisikogruppen und Bezieher niedriger Einkommen. Effizienz der Leistungserbringung.
Ein schwacher Staat und die Entlassung dieses Sektors in die Markmechanismen führen zu Verwerfungen, die kaum mehr korrigiert werden können. Dies zeigen die 45 Millionen Unversicherten in den USA mit deutlich niedrigerer Lebenserwartung. Im Gegensatz zum US-System muss in Europa auch ein Patient mit voraussichtlich hohen Gesundheitskosten von jeder GKV versorgt werden.30 Zwei Grundtypen der Sozialen Krankenversorgung wurden entwickelt, mit denen den o.a. Grundprinzipien mehr oder weniger entsprochen werden kann: x Gesetzliche Krankenversicherungen (GKVen), die sich aus Beiträgen der Versicherten und aus staatlichen Zuschüssen finanzieren und nach staatlichen Vorgaben die sozialen Ziele zu realisieren haben. x Staatliche Gesundheitssysteme, die weitgehend aus Steuermitteln die Soziale Krankenversorgung finanzieren. Um den Grundprinzipien der gerechten Verteilung der Kosten und des allgemeinen Zugangs zu den Leistungen entsprechen zu können, wird in beiden Systemen zumindest ein Teil der Kosten aus Steuern bezahlt. x Der durchschnittliche Finanzierungsanteil aus öffentlichen Mitteln in den OECD-Staaten beträgt 72,5 %, in der Schweiz 59,7 % und in Skandinavien über 80 %.31 x In der Schweiz bezahlen die Kantone mindestens 55 % der Spitalskosten und entlasten damit die Budgets der GKVen.32 x In den USA werden 40 %33 der Gesamtkosten aus Steuern bezahlt. 27 % für die steuerfreien Arbeitgeberbeiträge und 13 % für die Versorgung der Armen und Alten. x In Österreich wird ca. ein Drittel der Kosten aus Steuermitteln bezahlt.
30
31 32 33
DER STANDARD vom 21.7.2000, S. 6: Kündigung nach Diagnose. USA: Erster Prozess wegen genetischer Diskriminierung NZZ vom 19.7.2007, S. 34: Mehr Geld für die Gesundheit NZZ vom 15.6.2007, S. 33: Freie Spitalswahl ein Unding The Economist, Jan 13 th 2007, S. 37: The federalist prescription
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
x
23
In Deutschland und in den Niederlanden werden nur noch ca. 10 % der Kosten vom Staat bezahlt. Die Finanzierung erfolgt weitgehend durch Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber.
Die Gesundheitsleistungen werden von allen Einkommensgruppen ähnlich beansprucht. Da Reiche mehr Steuern zahlen als Arme, bewirkt die Steuerfinanzierung eine Umverteilung von reich zu arm. Diese Umverteilung sichert die soziale Krankenversorgung für Alle auf hohem Niveau. Z.B. in der Schweiz werden die Steuereinnahmen von den folgenden Gruppen finanziert: x 22 % von Unternehmen x 35 % von den reichsten 20 % der Bevölkerung x 31 % von den 60 % des Mittelstands x 5 % von den untersten 20 % der Bevölkerung34 x 7 % von anderen Quellen Uneinigkeit herrscht in Europa darüber, in welchem Ausmaß staatliche Interventionen in die Organisation und Finanzierung des Krankenversicherungs-, Krankenhaus- und des Praxisbereichs erforderlich sind. Daher schwankt das Ausmaß staatlicher Interventionen zwischen den beiden Polen „Staatssystem“ und „Wettbewerbssystem mit einer Trennung von Angebot und Nachfrage“ in den verschiedenen Staaten. Obwohl spätestens seit dem Ende der realsozialistischen Staaten eigentlich kaum noch Hoffnung auf positive Erfahrungen mit Planwirtschaft bestehen sollte, erhält sich diese Hoffnung in der Sozialen Krankenversorgung. Sie gründet darin, dass sonst der soziale Charakter der Krankenversorgung verloren gehen und das Schreckgespenst des sozialdarwinistischen US-Systems auch bei uns Einzug halten könnte. Die österreichische Bevölkerung vertraut daher weiterhin dem Staat und seinen Politikern, auf die sie in Wahlen Einfluss nehmen kann, mehr als Non-for-Profit oder For-Profit Gesundheitsunternehmen. Staatliche Interventionen wirkten aber in keinem der europäischen Staaten zufrieden stellend. Zunehmend werden daher inzwischen Wettbewerbselemente mit Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern bzw. GKVen eingeführt. „Neuerdings ist in mehreren Ländern auf dem Gesundheitssektor eine Bewegung hin zu mehr Markt und weniger staatlichen Eingriffen zu beobachten, wenn auch in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Tempo. Dies hängt vermutlich mit einem erhöhten Interesse an der Erschließung von Marktkräften im Gesundheitsbereich und dem Trend zur Privatisierung im Allgemeinen zusammen sowie mit der wachsenden Erkenntnis, dass es der 34
NZZ vom 21.8.2007, S. 9: Der Staat lebt von einer kleinen Minderheit. Und: NZZ vom 18.7.2008, S. 13: Ein attraktives Steuersystem macht Solidarität erst möglich. Unternehmen und einkommensstarke Schichten finanzieren in der Schweiz den Staat.
24
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
Staat ebenso wie der Markt nicht immer schafft, die gesetzten Gesundheitsziele zu erreichen. In verschiedenen Ländern wird die Einführung von marktnäheren Lösungsansätzen in Betracht gezogen, da man davon eine umfassende Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens erwartet. Reformen auf der Grundlage dieser „neuen Ideologie“ scheinen sich insbesondere auf die Verbesserung der Effizienz durch erweiterte Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und mehr Wettbewerb zwischen den Versicherern und Pflege- bzw. Versorgungsanbietern zu konzentrieren. In diesem Sinne könnte man behaupten, dass verschiedene westeuropäische Länder derzeit in die dritte Welle der konsekutiven Phasen der Gesundheitsreform eintreten, die 2002 von Cutler beschrieben wurde: x die erste Welle sicherte die universelle Versicherung und die Gleichheit im Zugang zu Leistungen…, x dann folgte eine zweite Welle von Steuerungs- bzw. Kontrollmechanismen, Kontingentierungen und Ausgabenbegrenzungen und x in einer nun beginnenden dritten Welle werden die Anreize für Effizienz und Wettbewerb gestärkt.“ 35 GKVen und staatliche Gesundheitssysteme sind dem Risiko „Moral Hazard“ ausgesetzt, dem Bestreben der Versicherten nach dem eigenen Vorteil zu Lasten der Versicherungs-/Versorgungsgemeinschaft durch x nicht-sparsamen Umgang mit den Angeboten oder Überkonsum (vermeidbare Arztbesuche, längere Krankenhausaufenthalte) oder x durch risikoreiche Lebensformen (Zahnpflege, Lebensform mit Übergewicht, Sucht, Tabak- und Alkoholkonsum). Wie eine repräsentative Umfrage in der Schweiz ergab, meinen die Versicherten selbst, dass bei ihnen selbst das größte Sparpotential liege: „84 Prozent (der Befragten sind) der Meinung, man müsse mehr bei sich selber sparen“,36 um die Kosten der Sozialen Krankenversorgung zu begrenzen. Anreize zu einem sparsamen Umgang mit medizinischen Angeboten ohne negative soziale Auswirkungen werden in Österreich bisher nicht gesetzt. Anreizsysteme, die auf das Ziel einer Leistungsbegrenzung und einem verantwortlichen Umgang mit den Angeboten ausgerichtet sind, haben sich in anderen Staaten bewährt und sollten für die Übernahme in die österreichische Soziale Krankenversorgung hin untersucht werden (Hausarztsystem, Managed Care). Damit kann das Ausmaß der Leistungen eher auf das Notwendige begrenzt und Überversorgung vermieden werden.
35 36
Brouwer/Rutten, S. 5 NZZ vom 12.9.2007, S. 34: Versicherte sehen größtes Sparpotential bei sich selber
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
25
4.1. Herausforderungen an die gesetzliche Krankenversicherungen (GKVen) Das GKV-System wurde als verlängerter Arm der Politik Ende des 19. Jahrhunderts zuerst in Deutschland von Reichskanzler Bismarck eingerichtet und in der Folge u. a. von Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich übernommen. GKV-Systeme entsprechen den folgenden Prinzipien: x Sie werden staatlich eingerichtet, x versichern (nahezu) alle Bürger, x durch Krankenversicherungsverträge, x erheben Krankenversicherungsbeiträge von o den Versicherten ohne Differenzierung nach Gesundheitsrisiken und o zumeist auch von den Arbeitgebern, x erhalten zusätzlich Zahlungen aus staatlichen Budgets, und x müssen die gesetzliche Vorgaben einhalten: o jeden Antragsteller unabhängig vom Gesundheitszustand aufzunehmen, o keine Versicherungsverträge wegen des Gesundheitszustandes der Versicherten zu kündigen, o aus wirtschaftlichen Gründen keine notwendige Versorgung zu verweigern, o keine Differenzierung der Versicherungsbeiträge nach den Krankheitsrisiken vorzunehmen, d.h. die 20 % der Behinderten und chronisch Kranken bezahlen keine höheren Krankenversicherungsbeiträge als die Versicherten mit geringeren Gesundheitsrisiken, o Organisation und Finanzierung des gesetzlich vorgegebenen Leistungsumfangs mit einer zeitgemäßen Medizin, x werden staatlich beaufsichtigt und x trennen somit Angebot (Krankenhäuser, Praxen) von Nachfragern (GKVen). Da Niedrigverdiener kostendeckende Beiträge nicht bezahlen könnten, bedarf es einer Umverteilung zu ihren Gunsten. Zwei Finanzierungsformen mit unterschiedlichen Umverteilungsmechanismen wurden entwickelt: x Krankenkassenbeiträge als prozentualer Anteil am Einkommen u. a. in Österreich und Deutschland. Da Niedrigverdiener niedrigere Beiträge bezahlen aber denselben Leistungsanspruch wie Gutverdiener haben, erfolgt innerhalb der GKV eine Umverteilung. x Einkommensunabhängige Krankenversicherungsprämien für jeden Versicherten verrechnen die GKVen in der Schweiz und in den Niederlanden (Kopfprämien). Die Versicherten wählen den Versiche-
26
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
rungsplan und bezahlen dafür die einkommensunabhängige Krankenversicherungsprämie. o In der Schweiz bezahlt der Kanton für Niedrigverdiener einen Zuschuss, wenn der GKV Beitrag 8–12 % des versteuerbaren Einkommens überschreitet. Die Krankenkassenbeiträge und die kantonalen Zuschüsse differieren von Kanton zu Kanton.37 o Die Niederlande entwickelten ein Mischsystem: jeder Bürger bezahlt einen jährlichen, einkommensunabhängigen Pauschalbetrag von € 1.050 und die Arbeitgeber einen Beitrag von 6,5 % des Versicherteneinkommens an den Zentralfonds, der die Mittel unter Berücksichtigung des Gesundheitsrisikos der Versicherten an die GKVen weiter reicht.38 Niedrigverdiener erhalten Zuschüsse. Da bei der Sozialen Krankenversorgung über GKVen Angebot und Nachfrage getrennt sind, entstehen drei Märkte: x Der Markt um Versicherungsverträge mit Versicherten zwischen den GKVen. x Der Markt um Leistungsverträge mit den GKVen zwischen den Anbietern von Gesundheitsleistungen (Praxen, Krankenhäusern, Apotheken, etc.). x Der Markt um Versorgungsverträge mit Patienten zwischen den Anbietern von Gesundheitsleistungen (Praxen, Krankenhäusern, Apotheken, etc.). Diese Märkte können staatlich reguliert, von einem Monopol beherrscht werden oder es kann tatsächlich Wettbewerb stattfinden. Die Gesundheitsökonomie geht davon aus, dass funktionsfähige, aber regulierte Märkte geeignet sind, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit gegenüber monopolistischen und verstaatlichten Strukturen zu erhöhen (vgl. OECD 1990). Alan Enthoven entwickelte das Konzept des regulierten Wettbewerbs im Gesundheitswesen.39 Diese Bedingungen für regulierten Wettbewerb wurden für die Niederlande wie folgt zusammengefasst: x „Die Krankenkassen müssen mit anderen Krankenversicherern konkurrieren und dürfen über kein Regionalmonopol verfügen; x die Krankenkassen müssen ihr eigenes finanzielles Risiko tragen, um einen Anreiz zur Kostenkontrolle zu haben; x der Unterschied zwischen Privatversicherern und Krankenkassen muss abgeschafft werden; x es muss ein Ausgleich zwischen Kassen für günstige Risiken in Form einer Pro-Kopf-Zahlung geschaffen werden, um keinen Anreiz zur
37 38 39
NZZ vom 30.10.2006, S. 17: Gesundheitsversorgung und Kostendämmung Brouwer/Rutten, S. 16/17 OECD 1990
Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
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Risikoselektion zu bieten und sicherzustellen, dass der Nominalbeitrag ein Signal für die Effizienz des Versicherers darstellt; die Versicherer müssen einen Nominalbeitrag (Pauschalbeitrag) als Versicherungsprämie einführen; die Verbraucher müssen die Freiheit haben, den Versicherer in periodischen Abständen zu wechseln – gleichzeitig muss die Aufnahme eines jeden Versicherten durch die Versicherer gewährleistet sein; die Verbraucher müssen beim Erwerb der Krankenversicherung ein kritisches Kaufverhalten an den Tag legen und auf Preisunterschiede zwischen den Versicherern reagieren; die Verbraucher müssen angemessen über die Leistung der verschiedenen Versicherer und den dazugehörigen Kooperationspartnern (Leistungserbringern) informiert sein; die Versicherer müssen über die Auswahl ihrer Dienstleistungsanbieter frei entscheiden können; zu diesem Zweck müssen die Versicherer umfassend über die Qualität der durch die Anbieter geleisteten Versorgung informiert sein; es muss eine ausreichende Menge von Dienstleistungsanbietern für die Versicherungen geben; es muss ein Qualifikationssystem geschaffen werden (insbesondere für Krankenhäuser), das Preisverhandlungen für einzelne Produkte oder Leistungen ermöglicht; zwischen den Versicherern und den Dienstleistungsanbietern müssen transparente Preise für diese Produkte festgesetzt und verhandelt werden, d.h. staatlich regulierte Tarif- und Preissysteme, die häufig nicht auf einer Realkostenberechnung basieren, müssen ersetzt werden.“ 40
Mir erscheint diese 2003 formulierte Aufstellung der zu verändernden Parameter auch richtungweisend für die in Österreich anstehende Gesundheitsreform. Die Systeme der Sozialen Krankenversorgung in den meisten anderen Staaten wurden inzwischen aus monopolistischen Strukturen stürmisch in die Richtung regulierten Wettbewerbs weiterentwickelt: x Die GKVen wurden in der Schweiz, Deutschland und in den Niederlanden (vgl. 4.1.8.1) weitgehend entpolitisiert, zu eigenverantwortlichen Unternehmen weiter entwickelt und dem Wettbewerb ausgesetzt. Damit entstand ein GKV-Markt. Wenn GKVen nicht mehr wirtschaftlich zu führen sind, müssen sie die Selbständigkeit aufgeben und sich mit einer anderen GKV zusammenschließen. In Österreich verblieben die Kassen bisher verpolitisierte Monopole ohne Wettbewerb. x Um ein besseres Zusammenwirken der Praxen mit den Krankenhäusern zu erreichen, Doppeluntersuchungen zu vermeiden und die Versorgungsqualität vor allem für chronisch Kranke zu erhöhen, wird in den meisten Staaten die integrierte Versorgung angestrebt. In Öster40
Brouwer/Rutten, S. 13
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reich blieben bisher die beiden Sektoren Krankenhaus und Praxen desintegriert und damit haben wir keinen Koordinator der integrierten Versorgung. In der Schweiz wurde Managed Care eingeführt, um eine koordinierte Versorgung zu erreichen. Der Hausarzt veranlasst und koordiniert Facharztbesuche, Krankenhausaufenthalte und übernimmt die Gesamtverantwortung für die Gesundheitsversorgung seines Patienten. In Österreich bestehen weder gesetzliche Voraussetzungen noch Ansätze zu Versuchen mit Managed Care, obwohl dafür geeignete Gruppenpraxen vorhanden sind. Die Behandlung schwerer und seltener Erkrankungen konzentriert sich unter Wettbewerbsbedingungen in medizinischen Zentren. Dort arbeiten die besten Experten mit der besten Ausstattung und erreichen bessere Ergebnisse als Krankenhäuser ohne Spezialisierung. In Österreich verhindert die an den Bundeslandgrenzen endende Leistungsfinanzierung die Herausbildung medizinischer Zentren.
Die Verbindung privater Unternehmen unter staatlicher Rahmensetzung ist überall ein schwieriger Balanceakt, um die beiden Extreme zu vermeiden: den verstaatlichten, ineffektiven Gesundheitsmoloch und die Gesundheitswirtschaft ohne Rücksicht auf die sozial und gesundheitlich Schwachen. Die Entwicklungen in den Niederlanden, der Schweiz und in Deutschland zeigen aber, dass der soziale Charakter der Krankenversorgung auch unter Wettbewerbsbedingungen nicht verloren gehen muss, wenn die staatliche Regelsetzung und Aufsicht aktiv erhalten bleibt. Regulierter Wettbewerb zwischen Anbietern (Krankenhäusern, Praxen) einerseits und Nachfragern (GKVen) andererseits wurde dort eingeführt oder wird in vielen Staaten angepeilt, weil die staatlich organisierte Soziale Krankenversorgung zu Ineffizienzen und Wartezeiten führte. Kassenwettbewerb und Wettbewerb zwischen Krankenhäusern führte nicht zu Sozialabbau, aber eigenverantwortliches Wirtschaften sorgte für höhere Effizienz als die Versorgung durch den Staat, ermöglichte die Herausbildung von konkurrenzfähigen Unternehmen und damit einen wettbewerbsfähigen Sektor Gesundheitswirtschaft mit vielen Arbeitsplätzen und hoher Wertschöpfung. Die Voraussetzung für diesen kontrollierten Wettbewerb sind die langfristige staatliche Rahmensetzung und Preissysteme, die Anbieter bzw. Kassen zu Effizienz und Kundenorientierung zwingen.41 Das niederländische System der Umverteilung entspricht diesen Zielen eines regulierten Wettbewerbs am besten: x Wettbewerb zwischen GKVen mit unterschiedlichen Versicherungsplänen und Krankenversicherungsprämien. Die unterschiedlichen Preise für die GKV-Versicherungspläne lassen den Versicherten die Wahl zwischen Versicherungsplänen. Damit können Anreize zur Wahl effizienter Versicherungspläne gesetzt werden. 41
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Die Arbeitgeber leisten einen einkommensabhängigen Beitrag. Bei Kopfprämie für Arbeitgeber würden die Arbeitskosten der Niedrigverdiener überproportional belastet. Die GKVen erhalten für jeden Versicherten Beiträge vom Zentralfonds unter Berücksichtigung der Mehrkosten für Hochrisikopatienten. Dadurch wurde die Versorgung der Hochrisikopatienten für die GKVen auch wirtschaftlich interessant und sie konkurrieren inzwischen um die Krankenversicherung für Hochrisikopatienten. Die Praxen und Krankenhäuser müssen Leistungsverträge mit den GKVen abschließen und verfügen nicht von vornherein über diese.
Die Änderungen betreffen alle Teilsektoren des Gesundheitssystems und wurden schrittweise, allmählich und langsam eingeführt. Noch nicht alle Ziele wurden bisher erreicht, etwa die Gleichstellung der privaten- und der gesetzlichen Krankenversicherungen, der RSA ist noch nicht perfekt und das DRGSystem für Krankenhäuser ist noch im Aufbau. Die GKVen müssen aber inzwischen ihre Verluste zu 53 % (2004) selbst tragen und die Gesundheitsreform ist als Projekt aus einem Guss mit einem klaren Ziel. Österreich geht bisher einen Sonderweg und setzt Marktmechanismen noch kaum ein: x Jeder Versicherte wird einer Pflichtversicherung zugeordnet. Die Versicherten haben keine Wahlmöglichkeit zwischen GKVen und zwischen Versicherungsangeboten mit mehr oder weniger Leistungsangeboten, Wahlfreiheiten, Selbstbehalten oder Rückvergütungen bei geringer Inanspruchnahme von Leistungen. x Der Leistungsvertragsmarkt zwischen GKVen und Krankenhäusern ist staatlich reguliert. Alle öffentlichen Krankenhäuser haben für die Versorgung von GKV-Patienten Kassenverträge mit allgemeinem Inhalt und werden von den Landesgesundheitsagenturen, Ländern und den Eigentümern nach politischen Kriterien finanziert. Um einen Versorgungsvertrag zu erhalten bzw. zu behalten muss ein Krankenhaus weder seine Qualität noch seine Wirtschaftlichkeit nachweisen. x Der Leistungsvertragsmarkt zwischen GKVen und Praxen ist monopolistisch strukturiert. Die Ärztekammer vertritt ihre Praxen bei der Vertragsgestaltung. Das GKV-Monopol schließt Leistungsverträge mit der Ärztekammer für Praxen nach Regelungen ab, bei denen Qualität keine Rolle spielt. Praxen mit Kassenverträgen werden auf dieser Grundlage bezahlt. Die GKVen können auch bei schwerwiegenden Qualitätsmängeln in Praxen die Verträge nicht kündigen oder Verträge zu abweichenden Bedingungen abschließen. x Wettbewerb besteht zwischen den öffentlichen und den privaten Krankenhäusern um Privatpatienten. Die PKVen können Leistungsverträge kündigen, wenn die Qualität nicht ausreichend ist oder die wirtschaftlichen Bedingungen ungünstig sind.
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Wettbewerb besteht auch zwischen den Praxen bzw. Krankenhäusern um Patienten. Die Versicherten haben eine völlige Wahlfreiheit. Wettbewerb besteht zwischen Wahlarztpraxen. Sie vereinbaren Preise mit Patienten und konkurrieren damit über Qualität und Preise. Die Patienten erhalten 80 % der GKV-Tarife refundiert und bezahlen die Differenz zum vereinbarten Preis selbst.
Jede Veränderung bewirkt auch Verunsicherung, eröffnet aber neue Wege zu höherer Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit. In Österreich wurden bisher Innovationen – und damit auch die Verunsicherung der Patienten – weitgehend vermieden, auch wenn deren Notwendigkeit unstrittig ist. Der Ausweitung von Marktmechanismen stehen bisher die Medien und damit auch die Öffentlichkeit kritisch gegenüber. Da alle Systeme der Sozialen Krankenversorgung auch an Defiziten leiden, werden als Lösungsvorschlag auch liberale Konzepte vertreten. In der Schweiz wurde ein liberales Reformprogramm mit sozialem Ausgleich in einem Weissbuch mit der folgenden Begründung propagiert: „Doch obwohl die Probleme wie Kostenexplosion und Entsolidarisierung weitherum anerkannt sind, kommt die Reform … nicht vom Fleck. Dazu hat das heutige System zu viele Profiteure: Die für ihre Einzelleistungen honorierten Ärzte werden gut entschädigt, die Medikamenten-Hersteller können teure Medikamente auf den Markt bringen, die öffentlich subventionierten Spitäler brauchen sich kaum um die Kostenkontrolle zu kümmern, und die Patienten können ohne Rücksicht auf Kostenfolgen medizinische Leistungen in Anspruch nehmen – die Rechnung bezahlt die Allgemeinheit in Form immer höherer Krankenkassenprämien bzw. über die steuerlich finanzierten Prämienverbilligungen und Subventionen.“42 Als Lösung wird die Liberalisierung angeboten: „Der Kontrahierungszwang würde aufgehoben und alle Anbieter müssten ihre Leistungen im Wettbewerb erbringen. Gefordert wird weiter die Abschaffung des Versicherungsobligatoriums und des Grundversicherungskatalogs. Die Versicherten sollen völlig frei zwischen verschiedenen Versicherungsprodukten wählen können. Die Versicherungen wären zwar weiterhin zur Aufnahme aller Interessenten gezwungen, sie erhielten aber das Recht, die Prämien nach Geschlecht, Alter und allgemeinem Gesundheitszustand abzustufen. Damit würde ein großer Schritt hin zu risikogerechten Prämien gemacht. Für die schlechtesten Risiken würden die Prämien schätzungsweise SF 20.000 betragen, die Jungen und Gesunden gegenüber heute entlastet. So radikal diese Forderungen klingen – ganz auf staatliche Garantien und Kontrollen möchten die Autoren nicht verzichten. So sind zur Abfederung finanzieller Härten einkommensabhängige Pauschalen vorgesehen … Mittellose ohne Versicherung dürfen weiterhin auf eine Versorgung hoffen, allerdings nur auf minimalem
42
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Niveau.“43 Derartige Vorschläge werden derzeit von den Gesundheitspolitikern nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Bei einer weiteren Zuspitzung der Kostensituation dürften einige dieser Gedanken aber durchaus erwogen werden, wenn die Soziale Krankenversorgung nicht rechtzeitig reformiert wird.
4.1.1.
Stabile Finanzierung der sozialen Krankenversorgung
Die Soziale Krankenversorgung wird im GKV-System aus folgenden Quellen finanziert: x Beiträge der Versicherten als Kopfprämie oder Anteil vom Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Arbeit (es entsteht ein zunehmender Druck, auch die Einkommen aus Vermietung, Verpachtung, Zinsen und Kapitalanlagen einzubeziehen, da diese Anteile zunehmen und die Einkommen aus unselbständiger Arbeit stagnieren). x Beiträge der Arbeitgeber als Anteil der Einkommen der Mitarbeiter x Aus staatlichen Budgets: In Österreich aus Bundessteuern, in den skandinavischen Staaten aus regionalen, zweckgebundenen Gesundheitssteuern. Da die Bürger bei zweckgebundenen Steuern den Zusammenhang zwischen Steuerlast und Gesundheitsversorgung erkennen und erfahren, sind sie eher für Veränderungen zu gewinnen. Daher konnte die Anzahl der Krankenhäuser in diesen Staaten bei zweckgebundenen Steuern deutlich reduziert werden, während in Österreich Standortschließungen bei anonymen Steuern nur schwer möglich sind. Die Zuschüsse aus staatlichen Budgets bringen die öffentlichen Interessen an der Sozialen Krankenversorgung zur Geltung: x Familienentlastung durch Finanzierung der GKV-Beiträge für Kinder und erziehende Eltern; x Entlastung der Niedrigverdiener; x Zuschüsse für Krankenhäuser in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte, die nicht kostendeckend betrieben werden können; x Zuschüsse für Versorgung in öffentlichem Interesse. Dass die Kosten für die soziale Krankenversorgung wegen der demographischen Entwicklung, dem medizinischen Fortschritt und der zunehmenden Anspruchshaltung der Versicherten auch in den nächsten Jahren stärker steigen werden als das BSP, ist allgemein bekannt. Ein Ende dieser Tendenz in allen Industriestaaten ist noch nicht abzusehen. Für diese zunehmende Kostenbelastung bedarf es einer stabilen Finanzierungsform, mit der einerseits Anreize zu sparsamen Umgang mit den Mitteln gesetzt und andererseits auf Kostenveränderungen reagiert werden kann.
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NZZ vom 3.12.2007, S. 31: Ein „Weissbuch“ für das Gesundheitswesen – Liberales Reformprogramm mit sozialem Ausgleich
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Bei Kostenerhöhungen werden einerseits Programme zur Kostenbegrenzung eingerichtet und andererseits die GKV-Beiträge erhöht. Die Zusatzkosten der Krankenhäuser werden in Österreich nicht aus GKV-Beiträgen, sondern aus dem Landesbudget finanziert. Wegen der stagnierenden Einnahmen haben die Länder keine Möglichkeit, diese Zusatzkosten dauerhaft zu finanzieren (vgl. 5.2.). Die Krankenhausfinanzierung muss daher in Österreich verändert werden. Für die dauerhafte und stabile Krankenhausfinanzierung besteht nur ein Ausweg: die Übergabe der Krankenhausfinanzierung an die GKVen Die stabile Krankenhausfinanzierung, Anreize zu sparsamem Umgang mit den Mitteln und die Leistungskoordination zwischen Praxen und Krankenhäusern sind nur möglich, wenn die Krankenhausfinanzierung auch in Österreich den GKVen übertragen wird.
4.1.2.
Integrierte Versorgung
Die desintegrierte Versorgung von Praxen, Krankenhäusern und RehaEinrichtungen führt zu Mehrkosten durch Doppeluntersuchungen und zu medizinischen Nachteilen mangels Koordination der Behandlungen und wegen der Wartezeiten auf stationäre und rehabilitative Versorgung. Eine Untersuchung an 362 kardiologischen Patienten ergab in Deutschland, dass bei desintegrierter Versorgung x 95 % der Patienten EKG-, Ergometrie- und Labortestwiederholungen über sich ergehen lassen mussten, x Doppeluntersuchungen ca. 3 % der gesamten stationären Kosten verursachen und x bei 25 % der stationären Aufnahmen keine ambulant erhobenen Befunde vorlagen.44 Wenn innerhalb eines Unternehmens oder in vertraglich geregelter Kooperation Spitäler, tageschirurgische Einheiten, Praxen, Rehabilitation, Hauskrankenpflege und Pflegeheime zusammenarbeiten und die Patientenversorgung integrieren, erhöhen sich Qualität und Wirtschaftlichkeit. Durch gesamthafte Behandlungsplanung werden Doppeluntersuchungen und das Warten auf Reha- oder Pflegeplätze verhindert. In der gemeinsamen Krankengeschichte über alle Behandlungsformen hinweg sind für alle Ärzte die medizinischen Interventionen mit Ergebnissen und Bilddaten verfügbar. Der Erfolg der gesamten Behandlungskette und nicht nur der einzelnen Behandlung steht im Vordergrund. Zwingende Voraussetzung dafür sind gemeinsame Informationssysteme. Da integrierte Versorgungskonzepte zu niedrigeren Kosten und höherer Qualität führen, werden sie sich unter Wettbewerb durchsetzen. Da Anbieter 44
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mit integrierter ambulanter und stationärer Versorgung Wettbewerbsvorteile erzielen können, wird sie zum wichtigen Ziel der Anbieter. In Deutschland wird seit dem Jahr 2000 die Leistungsintegration zwischen Praxen und Krankenhäusern verbessert.45 x Zunehmend komplexere Integrationsmodelle wurden von den GKVen mit einer Anschubfinanzierung aus einem eigenen Budget ermöglicht. Positive Ergebnisse publizieren das „Regionale RehaNetz Freiburg“ des Universitätsklinikums Freiburg zusammen mit 13 Reha-Kliniken für die fünf Indikationsgebiete Orthopädie, Kardiologie, Neurologie, Onkologie und Geriatrie, das „Ingolstädter Kooperationsmodell“ für orthopädische und neurologische Rehabilitation und die „Integrierte Rehabilitation Offenbach“ für Neuro-Orthopädie und Schlaganfälle.46 x Die Zusammenführung von Praxen und Krankenhausambulanzen zu medizinischen Versorgungszentren verbessert die Integration der beiden Sektoren Praxen und Krankenhaus. x Private Anbieter führen den ambulanten und stationären Bereich innerhalb des Unternehmens zusammen und erreichen damit eine bessere Leistungsintegration. Die Rhön Klinikum AG will sich mit dem Ausbau der ambulanten Versorgung in einen Konzern mit „divisionalem Aufbau“ und zwei Säulen umformen. Künftig sollen sich auch Ärzte als Gesellschafter mit bis zu 49 % der Anteile an regionalen, gesellschaftlich eigenständigen Medizinischen Versorgungseinrichtungen (MVZ) beteiligen können. In Zentren sollen Krankenhäuser und MVZ zusammengefasst und integriert werden (MVZ sind ambulante Behandlungszentren mit bis zu fünfzig Ärzten verschiedener Fachrichtungen). Dafür werden niedergelassene Ärzte angeworben, die ihren Kassenarztsitz gegen eine aktive Beteiligung an einer lokal oder regional ausgerichteten Versorgungseinrichtung tauschen werden. Die Ärzte sollen dann im MVZ weiter ambulant aber auch stationär im Krankenhaus tätig sein. Rhön will das im Konzern bewährte Konzept, den Patienten genau jener Versorgungsstufe zuzuführen, die er benötigt, damit auch auf die ambulante Versorgung übertragen.47 Die Leistungsintegration und gesamthafte Planung wird in den Rhön Kliniken kontinuierliche Behandlungen ohne Schnittstellenverluste und damit Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Die Rhön Kliniken bauen damit die Struktur auf, die in österreichischen Zentralkrankenhäusern besteht aber von den Ärztekammern und der Gesundheitspolitik durch Unterfinanzierung gefährdet wird.
45 46
47
Schlette, et al., S. 11 das Krankenhaus 5/2008, S. 490 ff., Dr. Ansgar Klemann: Sektorübergreifende Kooperationen an der Schnittstelle zwischen Akutbehandlung und medizinischer Rehabilitation FAZ vom 18.6.2008, S. 17: Klinikkonzern Rhön peilt die Vollversorgung an
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In den USA setzen sich unter Wettbewerbsbedingungen immer mehr integrierte Versorgungssysteme nach der folgenden Definition durch: „Hoch integrierte Gesundheitssysteme entweder durch gemeinsames Eigentum oder durch Vertragsverbindung mit drei oder mehr Komponenten des Gesundheitssystems, einbezogen mindestens ein Akutspital, eine Arztpraxis und eine andere Pflegeeinrichtung. Sie haben zumindest einen Vertrag über das Gesamtsystem mit einem Zahler (Arbeitgeber, HMO, staatliche Einheit).“48 In Österreich erfolgt die Patientenbehandlung durch Praxen und Krankenhäuser noch jeweils sektoral getrennt, unkoordiniert und damit weitgehend desintegriert. Der Mangel zeigt sich besonders bei der Tumorbehandlung. Ein abgestuftes und integriertes Konzept zwischen Praxen, peripheren und Zentrumskrankenhäusern kann die Qualität erhöhen und die Wege für Patienten reduzieren. In Österreich kommen aber weiterhin Tumorpatienten für Leistungen in Zentralkrankenhäuser, die auch in Standardkrankenhäusern ohne Nachteile erbracht werden könnten und erfolgen Therapieeinstellungen in Standardkrankenhäusern, die besser in den Zentralkrankenhäusern von den besten Experten erfolgen würden. Praxen werden in die Versorgung nicht ausreichend einbezogen. Eine funktionierende Leistungsintegration von Zentrums-, Standardkrankenhäusern und Praxen hängt derzeit vom zufälligen Engagement einzelner Ärzte ab und wird von der Organisation der Sozialen Krankenversorgung nicht gefördert. Die Leistungsintegration in Österreich ist nicht mehr zeitgemäß. Durch die von den Praxen völlig getrennten Krankenhäuser hängt die Leistungsintegration derzeit von der Initiative der Ärzte und Patienten ab und wird vom Gesundheitssystem nicht gefördert. Meiner Meinung nach werden private Anbieter die Vorteile der Leistungsintegration nutzen und damit den Markteintritt in Österreich schaffen. Sie werden diese Lücke schließen, wenn die sektorale Organisation der Krankenversorgung nicht verändert und ein Qualitätswettbewerb um Patienten ermöglicht wird.
4.1.3.
Chronisch Kranke
Die Behandlung chronisch Kranker verursacht den größten Teil der Gesundheitskosten. Alle neueren epidemiologischen Erkenntnisse zeigen, dass das Zusammentreffen mehrerer chronischer Erkrankungen bei einem Patienten nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.49 Die effektive Behandlung chronisch Kranker ist daher die derzeit größte Herausforderung der Sozialen Krankenversorgung.
48 49
Sanofi aventis Hospitals/Systems Digest, 2007 (Data source: Verispan LLC 2007) Schlette et al, S. 12
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Dass chronische Erkrankungen verstärkt bei älteren Menschen auftreten, zeigen US-Daten: x Im Jahr 2001 hatten über 75 % der Gesamtheit der MedicareVersicherten (die über 65-Jährigen) mit hohen Gesundheitsausgaben mindestens eine von sieben chronischen Erkrankungen. Über 40 % litten an koronarer Herzerkrankung und 30 % hatten gleichzeitig Diabetes, chronische Herzinsuffizienz und chronisch obstruktive Lungenerkrankung.50 x Die gleiche Gruppe der mehrfach chronisch kranken Senioren verursacht jährliche Gesundheitsausgaben in Höhe von T€ 11 pro Kopf, die chronisch Gesunden € 160 pro Kopf und Jahr. x Die Daten bestätigen die 20:80 Regel: 25 % der Medicare Population verursachte 85 % der Ausgaben im Jahr 1997, im Folgejahr war die Hälfte dieser Patienten erneut in der Gruppe derer, die höchste Gesundheitsausgaben verursachten.51 x Von den 8,2 Millionen Versicherten der US-Krankenversicherung Kaisers Permanante leiden ca. 1 Million an mindestens einer der chronischen Erkrankungen Asthma, Diabetes, koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz.52 Ca. 15 % dieser Versicherten sind über 65 Jahre alt und stellen 37 % der Diabetiker.53 Die Behandlungsqualität chronischer Erkrankungen hängt von mehreren Faktoren ab: x Frühzeitige Diagnose. Die frühzeitige Erkennung und Behandlung chronischer Krankheiten ist der beste Weg zur Verminderung oder Verhütung menschlichen Leids, kostspieliger Komplikationen und von Zweiterkrankungen. x Evidenzbasierte Therapie. x Patientenschulung um kostspieligen Komplikationen vorzubeugen. Die Eigeninitiative bzw. Unterstützung der Patienten reduziert Komplikationen und damit Kosten. Patienten ändern ihr Verhalten am ehesten dann, wenn sie umfassend aufgeklärt, mit eigenen Fähigkeiten ausgestattet werden und sie an der Planung des Therapieverlaufs beteiligt werden.54 x Leistungsintegration bzw. -koordination in Praxen, Krankenhäusern etc. reduziert Kosten und menschliches Leid. Die beste Qualität in der Behandlung chronischer Erkrankungen bietet daher ein umfassendes und koordiniertes Versorgungssystem, d.h. ein Säulenmodell mit integrierter Praxis- bzw. Krankenhausversorgung und mit ei50 51 52 53 54
Vgl. Schlette et al, S. 9 Vgl. Schlette et al, S. 9 Vgl. Schlette et al, S. 31 Vgl. Schlette et al, S. 37 Vgl. Schlette et al, S. 22
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nem guten und verständlichen Informationssystem für die Versicherten und Ärzte. Die Leistungskoordination findet aber nicht von selbst statt, sondern muss durch besondere Anreize gefördert werden. Neben der organisatorischen Koordination fördert oder behindert das Entgeltsystem die Leistungsintegration bzw. die Ausrichtung auf den gesamten Behandlungserfolg. Die Einzelleistungsvergütung der Praxen führt nicht zum Anreiz x der Leistungskoordination zwischen den Versorgungsebenen, x der persönlichen Zuwendung und Beratung der chronisch Kranken durch den Hausarzt, obwohl diese für den Erfolg der Behandlung oft wichtiger als medizinische Maßnahmen sind, und damit auch x nicht zur Verstärkung der Eigeninitiative der Patienten. x Die Einzelleistungsvergütung enthält aber den Anreiz für Doppeluntersuchungen und die unkoordinierte Verschreibung von Medikamenten Um die nötige Eigenaktivität der Kranken zu fördern ist Aufklärung und Beteiligung am Behandlungsplan günstig. Patientenmanager, die mit Patienten zusammenarbeiten und deren Kompetenz stärken, haben sich daher bewährt. x Hausärzte unter Managed Care sind die am besten geeigneten Koordinatoren. x Patientenmanager ermöglichten in den USA Fortschritte in der Chronic Care. Sie sprechen mit den Patienten, klären sie auf und halten Kontakt zu ihnen. Die Stärkung der Selbstversorgung und die aktive Beteiligung dieser Patienten durch Schulungen, Informationen über Internet, Telefonanrufe etwa durch Arzthelfer führen zu Vorteilen für die Behandlung. Beispiele für die Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker: x Die integrierte Behandlung psychiatrischer Patienten in der Schweiz: In der Region Winterthur (Schweiz) begleiteten Case-Manager psychiatrische Patienten über eine lange Zeit während ambulanter und stationärer Versorgung um die bisher beobachteten Defizite zu beseitigen: „Oft bemühen Patienten ganze Netzwerke von Helfern ... Dabei könnten durchaus Doppelspurigkeiten entdeckt werden, oder es könnte sich herausstellen, dass verschiedene Helfer einander widersprechende Ziele verfolgen“.55 Depressionen zählen inzwischen zu den häufigsten Erkrankungen und können mit integrierter Versorgung besser behandelt werden als unkoordiniert durch Hausärzte, Psychiater und Krankenhäuser. Schnittstellenverluste und Doppelgleisigkeiten konnten durch die Integration der ambulanten und stationären Versorgung reduziert und gleichzeitig höhere Qualität erreicht werden. 55
NZZ vom 18.8.2006: Psychisch Kranke bei der Hand nehmen. Case-Manager begleiten Patienten und koordinieren langfristig Hilfe
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Das Disease Management Programm von Kaiser Permanente (USKrankenversicherer) für Diabetes, Asthma, koronare Herzkrankheit und Herzinsuffizienz, Krebs, Depressionen, chronische Schmerzen, Körpergewichtskontrolle, Pflege älterer Menschen zur Selbstversorgung und Selbstbestimmung. Allein die Kosten für die Diabetikerbehandlung reduzierte sich um Mio$ 200 für Kaiser Permanente im Verhältnis zur Gesamtkostenentwicklung.56 In Deutschland wurde seit Mitte der siebziger Jahre an den Versorgungsdefiziten für chronisch Kranken teilweise heftige Kritik geübt, weil integrative Kooperations- und Verbundsysteme fehlten und die Akutmedizin über andere Professionen dominierte.57 Seit 1999 wurden daher Chronikerprogramme zentraler Bestandteil der Gesundheitsreform. Nach anfänglich schleppender Umsetzung wurden im August 2005 bereits 3.000 Programme mit 1 Million freiwilligen Teilnehmern gezählt. „Bundesweite Standards gibt es heute für Diabetes des Typs II, Brustkrebs, koronare Herzkrankheit und für Diabetes des Typs I. Standards für Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen befinden sich derzeit in Entwicklung.“58 Beim Fallmanagement der Techniker Krankenkasse informieren Reha-Berater die Patienten bei definierten Diagnosen vor, während und nach dem Krankenhausaufenthalt über Therapie- und Rehamöglichkeiten und über medizinische Angebote. Auf Wunsch werden sie auch langfristig telefonisch betreut. Ähnlich funktionieren das AOK Brustkrebsprogramm und das Disease Management Programm für Demenzkranke PRO DEM.
„Qualität und Effizienz von Gesundheitssystemen werden heute und in Zukunft in erster Linie danach zu beurteilen sein, wie die Versorgung chronisch kranker Menschen ausgestaltet ist … Die Kritik richtet sich in den meisten Industrieländern auf das institutionelle Geflecht der Akteure im Gesundheitswesen, insbesondere das Fehlen integrativer Kooperations- und Verbundsysteme, auf die mangelhafte oder fehlende Prozesssteuerung der Versorgung.“59 Die österreichische Gesundheitspolitik beginnt zaghaft mit einer ca. 5jährigen Verzögerung Chronic Care Modelle zu diskutieren. Wir haben zwar mindestens dieselben Defizite wie andere Staaten, aber bisher keine vergleichbaren Programme zu deren Lösung. Ein erstes Disease Management Programm wird für die Diabetesbehandlung unter Gesamtverantwortung der Zentralkrankenhäuser aufgebaut, weil die Koordination durch GKVen wegen der sektoralen Versorgung nicht möglich ist. 56 57 58 59
Vgl. Schlette et al., S. 46 Schlette et al., 2005 Schlette et al., S. 19 Süddeutsche Zeitung, 3.5.2006, S. 15: McKinsey: Jedes dritte Krankenhaus ist gefährdet
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Die konzentrierte Betreuung chronisch Kranker reduziert menschliches Leid und Krankheitskosten deutlich60. Die Trennung des Spitals- vom Praxisbereich verunmöglicht eine konzentrierte und integrierte Betreuung. Die Koordination und Integration der Leistungen kann durch GKVen oder das staatliche Gesundheitssystem erfolgen.
4.1.4.
Überregionale Zentren
Die Bedeutung überregionaler Versorgung sieht Prof. Karl Lauterbach so: „In Wahrheit bestehen in der Medizin … gigantische Qualitätsunterschiede. Es gibt miserable und hervorragende Ärzte, hier stehen Zwerge neben Giganten. Wenn man eine ernste, seltene oder schwerwiegende Krankheit hat, kommt alles darauf an, von einem der sehr guten Leute behandelt zu werden. Ein Spezialist kann einem vielleicht helfen, ein überforderter Arzt bringt einem bestenfalls neue Probleme, schlimmstenfalls leitet er das Finale ein….In den Vereinigten Staaten wurde schon früh durch wissenschaftliche Studien bewiesen, dass sich Spezialisierung für den Patienten lohnt. Man ermittelte beispielsweise, wie viele Todesfälle vermieden werden könnten, wenn die Patienten an ein spezialisiertes Krankenhaus überwiesen würden, in dem die Behandlung bzw. die Operation deutlich häufiger als andernorts vorgenommen wurde. Die Studie betrachtete elf medizinische Maßnahmen – darunter Bypassoperationen und Tumorentfernungen…Im Ernstfall kommt es darauf an, Zugang zu Experten zu haben….Der Rat der Universitätsprofessoren oder ähnlich gut qualifizierter Fachleute ist die wichtigste Ressource der modernen Medizin…Ein Gramm Gehirn eines Spezialisten kann mehr helfen als eine tonnenschwere Bestrahlungskanone.“61 Die überregionale Versorgung kann in der bisherigen Organisationsform durch Primariate oder medizinische Zentren erfolgen. Die Medizin spaltete sich in den letzten Jahren in immer mehr ärztliche Subspezialitäten aus. In medizinischen Zentren werden diese Subspezialitäten nicht mehr nach Primariaten getrennt sondern zu medizinischen Zentren zusammengeführt.. Z.B. in einem onkologischen Zentrum arbeiten unter einer Führung Onkologen, Chirurgen, Strahlentherapeuten, Urologen, Gynäkologen, Pflege-, technische und kaufmännische Mitarbeiter für Patienten mit unterschiedlichen Tumoren zusammen. Die Krankenhausorganisation ist an der Erkrankung der Patienten und nicht mehr am Ausbildungskatalog der Ärzte orientiert. Die jeweils erforderlichen Spezialisten behandeln als Team den Patienten interdisziplinär. Das interdisziplinäre Zentrum vereinigt somit medizinische Fächer unter einer Leitung und Organisation und verstärkt die gesamtheitliche Behandlung. Daher werden schwere und seltene Erkrankungen in interdisziplinären Zentren mit den besten Experten aller Fachgebiete, geeigneter Ausstattung und entsprechender Häufung der Behandlungen mit bes-
60 61
Schlette et al., S. 47 DER SPIEGEL 24/2007: Prof. Lauterbach: Unsere Gegner sind die Patienten.
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seren Ergebnissen behandelt als in Krankenhäusern mit einer begrenzten Fallzahl ohne Spezialisierung bzw. mit Primariatsgrenzen. Die geschlossene und koordinierte Behandlungskette von der Diagnostik bis zur Therapie inklusive Nachbetreuung und Rehabilitation wird damit möglich. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) wurde vor 2003 mit der Zentrenbildung begonnen, um die Marktposition im nationalen und internationalen Wettbewerb auf den Feldern der Krankenversorgung sowie Forschung und der Lehre zu verbessern und weiterzuentwickeln. Wichtig dafür war, dass die Rezentrierung der Universitätskliniken in Zentren und Departments anhand von krankheits- oder ressourcenorientierten Kriterien erfolgte.62 Die Zentrumsleitung und das Zentrumsdirektorium leiten und vertreten das Zentrum nach innen und außen in enger Zusammenarbeit mit dem UKE Vorstand. „Der Zuschnitt der Zentren des UKE erfolgte anhand verschiedener Kriterien. So war beispielsweise für das Herz- und Neurozentrum das Krankheitsbild prägend. Für das Transplantationszentrum bildete der Forschungsschwerpunkt das verbindende Element. Für den Bereich der Zahn-, Mund-, Kieferheilkunde sprach das gemeinsame Lehr-Curriculum. Für die großen klinischen Bereiche der Chirurgie und der Inneren Medizin sprachen die verwandten ärztlichen Methoden. Die Zentrumszuschnitte wurden aber nicht nur unter den Gesichtspunkten von Krankheitsbildern und Ressourcensynergien vorgenommen, sondern es kamen hierbei auch „weiche Kriterien“, wie historisch gewachsene Strukturen, ähnliche Prozesse, administrative Synergien oder besondere Beziehungen zwischen Klinikdirektoren zum Ausdruck. Entscheidend für den Erfolg der Zentrenstruktur ist, dass die Zuschnitte flexibel und bei Bedarf anpassbar sind.“63 Das UKE hat derzeit 14 Zentren. Beispiele für den Bedarf überregionaler Zentrumsmedizin mit nachgewiesenen Vorteilen für Patienten und Wirtschaftlichkeit in Österreich: x
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Onkologie In interdisziplinären Zentren behandelte Patienten haben deutlich bessere Gesundungsaussichten als Patienten, die in peripheren Krankenhäusern oder in Krankenhäusern ohne zentrale Behandlungsorganisation diagnostiziert und behandelt werden. Geübte Chirurgen, Onkologen und Behandlungsteams verhindern im Vergleich zu Chirurgen, Onkologen und Behandlungsteams mit geringerer Spezialisierung eher Rezitive. Wegen der besseren Ergebnisse erfolgt in den industrialisierten Staaten mit effektivem System Sozialer Krankenversorgung daher die Diagnostik onkologischer Erkrankungen eher in interdisziplinären und spezialisierten Zentren mit einer großen Fallzahl für ein großes Einzugsgebiet. Etwa in Deutschland wurden vier Krebszentren aus-
Vgl. Schmitz Christoph, Quante Susanne: Auswirkungen der Zentrenstruktur auf die strategische Entwicklung des UKE, in: das Krankenhaus 7/2006, S. 579. Schmitz Christoph, Quante Susanne: Auswirkungen der Zentrenstruktur auf die strategische Entwicklung des UKE, in: das Krankenhaus 7/2006, S. 580.
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gewählt, die höchste Qualität bieten sollen, jeweils unter einer eigenen Führung stehen und mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet werden. Österreich ist einer der wenigen Industriestaaten ohne onkologisches Zentrum mit interdisziplinärer Behandlungsstruktur. Die Bundesländergrenzen der Krankenhausfinanzierung verhindern dies.
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Herzchirurgie International gilt als Anhaltspunkt, dass erst über 1.000 BypassOperationen p.a. höchste Qualität zu günstigen Kosten und höchste Spezialisierung einer ausreichenden Anzahl an spezialisierten Mitarbeitern möglich werden. In Österreich werden Bypass Operationen in neun Krankenhäusern mit zu geringer Fallzahl durchgeführt (ungefähre Anzahl der Bypass OPs pro Jahr jeweils in der Klammer): AKH Wien (900), Wien-Lainz (900), St. Pölten (600), Klagenfurt (500), Linz (900), Wels (600), Salzburg (500), Innsbruck (900), Graz (800). Die innovativen Methoden, wie „fast track“, kurze Nachbeatmung, transöphagonales Echo, OP am schlagenden Herzen wurden nur in einigen dieser Krankenhäuser eingeführt. Die großen Herzzentren in München und Berlin sind EFQM zertifiziert und sichern hohe Qualität zu niedrigeren Kosten mit den neuesten Methoden. Medizinisch und ökonomisch sinnvoll wäre in Österreich die Konzentration auf maximal vier Standorte. Die Bundesländergrenzen der Krankenhausfinanzierung verhindern die Herausbildung solcher auch international konkurrenzfähigen Einheiten.
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Neonatologie Die Sterblichkeit der Frühgeborenen unterscheidet sich deutlich zwischen der Behandlung in Perinatalzentren und in den übrigen Krankenhäusern: in den Zentren sterben nach einem überregionalen deutschen Vergleich 15 % vor der 26. und 9 % in der 26. und 27. Schwangerschaftswoche, in den anderen Kliniken sind dies 33 % (!) bzw. 11 %64. Über die Behandlung von Frühgeborenen außerhalb von neonatologischen Zentren schreibt Prof. Karl Lauterbach: “Mit diesem verhängnisvollen System leistet sich Deutschland einen Sonderweg. In anderen Industrieländern werden Mütter, denen eine Frühgeburt droht, von Spezialisten in dafür eigens ausgestatteten Kliniken behandelt. Hierzulande verhindern Lobbyisten eine solche Konzentration.“ „Jahr für Jahr werden hunderte Babys auf dem Altar der Gier von Krankenhäusern und Chefärzten geopfert“.65 In den Zentralkrankenhäusern der österreichischen Bundesländer sind neonatologische Abteilungen eingerichtet. Wieviele Behandlungen dennoch in Standardund Schwerpunktkrankenhäusern erfolgen, ist mir nicht bekannt.
DER SPIEGEL 44/2007, S. 48: Krankenhäuser – Geboren am falschen Ort – Sterblichkeit bei Frühgeborenen in Baden-Württemberg 2003/2004 Ebda.
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Genetisch bedingte Erkrankungen Weil genetische Defekte in geringer Zahl über das Bundesgebiet verstreut auftreten, wäre die Zentralisierung der Behandlung einzelner Defekte für Österreich sinnvoll. Da Leistungen für Patienten aus anderen Bundesländern nicht bezahlt werden, wird bei der derzeitigen Finanzierung kein Zentralkrankenhaus ein innovatives Angebot auch für andere Bundesländer anbieten und der medizinische Fortschritt damit behindert.
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Transfusionsmedizin In jedem österreichischen Bundesland wird eine eigene Blutzentrale (Transfusionsmedizin) betrieben. Bayern dagegen betreibt für 13 Millionen Einwohner mit mehreren Universitätskliniken nur eine Blutzentrale in München. Daher sind die Preise für Blutprodukte in Österreich um ca. 50 % höher als in Bayern. Die überregionale Versorgung könnte ohne Qualitätsnachteile Kosten senken.
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Pädiatrische Spezialbehandlungen Die Bundesländer Vorarlberg, Tirol und Salzburg haben in einigen Bereichen für Spezialbehandlungen keine ausreichende Fallzahl, um höchste Qualität zu gewährleisten. Da diese Spezialbehandlungen aber nicht in überregionalen Zentren zusammengefasst werden, ergeben sich unterschiedliche Auswege: o
Kinderherzchirurgie Für die Kinderherzchirurgie werden Patienten nach München oder Linz überwiesen. Die Behandlung in München muss bezahlt werden, die Herzchirurgie in Linz erhält dafür keine Bezahlung! Ein Zentrum für Österreich wäre ausreichend und würde eine höhere Qualität sichern.
o
Kinderonkologie Für ausreichende Qualität der spezialisierten Chemotherapie bzw. damit verbundener Knochenmarktransplantationen sind mindestens 15 Patienten p.a. nach internationalen Standards erforderlich. In den Landeskrankenhäusern Innsbruck und Salzburg wurden bisher ca. 10 Patienten p.a. mit dieser höchst anspruchsvollen Methode behandelt. Eine Zentralisierung in einem spezialisierten onkologischen Zentrum für Kinder wäre aus Qualitäts- und Kostengründen sinnvoll. Auch in Wien wurde aber kein onkologisches Zentrum für Kinder eingerichtet. Behandlung der Leukämien erfolgen im St. Anna Kinderspital und Behandlungen solider Tumoren und chirurgische Eingriffe im AKH.
o
Pädiatrische Nephrologie International gilt als Richtwert, dass für ca. 1 Million Einwohner ein Behandlungsplatz erforderlich ist. Demnach wären für Öster-
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Das zeitgemäße System zwischen Staat und Markt
reich maximal zwei Zentren erforderlich. Tatsächlich existiert kein überregionales Zentrum und die Behandlung erfolgt dezentral. Für manche Erkrankungen sind für Österreich ein oder zwei medizinische Zentren ausreichend und diese könnten die qualitativ und wirtschaftlich ungünstigere Regionalversorgung in neun Bundesländern ablösen. Die derzeitige Profilierung jeder Region mit allen Spezialfächern ist ökonomisch und medizinisch nachteilhaft. Ohne medizinische Zentren mit internationaler Attraktivität entstehen auch weniger Arbeitsplätze für die Behandlung ausländischer Patienten in der stark wachsenden Gesundheitswirtschaft. Ein ähnliches Problem besteht in der Schweiz. Von neun Bereichen der Spitzenmedizin mit 30 definierten Leistungen sind Eingriffe ins Gefäß- und ins Kreislaufsystem, die Augenchirurgie, die Behandlung von Verbrennungen sowie die Onkologie kaum konzentriert. In diesen Bereichen werden zum Teil deutlich weniger als 70 % der Leistungen an Universitätsspitälern erbracht. Im Bereich der Onkologie erfolgte die Behandlung der 737 Tumoren in den Weichteilen des Körpers gar in 127 Spitälern – der Anteil der Universitätsspitäler betrug lediglich 32 Prozent. Herztransplantationen sind im Jahr 2005 noch an sieben Kliniken durchgeführt worden. Laut Studie kosteten die 21.000 Behandlungsfälle der Spitzenmedizin im Jahr 2005 rund 3,8 % der akuten Spitalsversorgung.66 Die Konzentration zu medizinischen Zentren wird dort durch die auf Kantone zentrierte Versorgung verhindert. Die Herausbildung überregionaler und interdisziplinärer medizinischer Zentren ist für die Qualität der Krankenversorgung von höchster Bedeutung. Da keine Leistungsfinanzierung von Patienten aus anderen Bundesländern erfolgt, bilden sich in Österreich keine derartigen Zentren und daher bleibt die Qualität der Versorgung unter den Möglichkeiten.
4.1.5.
Begrenzung des stationären Bereichs
Österreich erreicht in den OECD-Berichten bei keinem Qualitätsparameter einen Spitzenwert, aber bei der Krankenhaushäufigkeit: Tabelle 3: Häufigkeit der Krankenhausaufenthalte pro Tausend Bevölkerung (OECD-Staaten 2002)67 Österreich Finnland 66
67
Entlassungen 302 252
Index 100 83
Vgl. NZZ vom 26.10.2007, S. 41: Überall ein bisschen Spitzenmedizin. Konzentration der Leistungen nur in wenigen Bereichen vollzogen OECD Indicators 2005: S. 56
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Großbritannien Deutschland OECD-Durchschnitt Schweden Italien USA Spanien Niederlande Kanada
Entlassungen 232 202 161 160 149 117 109 94 88
Index 77 67 53 53 49 39 36 31 29
Österreicher werden somit häufiger in Krankenhäusern stationär behandelt als die Bürger der anderen OECD-Staaten. Ein Teil dieser Häufigkeit erklärt sich aus unterschiedlichen Definitionen: x Österreich und die USA weisen Tagesbehandlungen ohne Übernachtung als stationäre Krankenhausbehandlung aus, andere Staaten aber als ambulante Behandlungen. x Ambulante Chemotherapien, geriatrische und psychiatrische Tagesbehandlungen ohne Übernachtung im Spital werden damit in Österreich als stationäre Krankenhausfälle ausgewiesen, obwohl die Patienten kein Bett auf einer Krankenhausstation zugewiesen bekommen. x Tageschirurgische Behandlungen erfolgen in Österreich weitgehend im Krankenhaus, in anderen Staaten aber auch in Praxen. Dort werden diese tageschirurgischen Behandlungen als ambulante Behandlungen ausgewiesen. x Österreich und Finnland zählen bei Transfers von einem Krankenhaus in ein anderes zwei Aufnahmen, andere Staaten fassen diese beiden Aufnahmen zu einer Behandlungsepisode zusammen. Aber auch unter Berücksichtigung dieser Differenz werden Österreicher noch doppelt so häufig stationär im Krankenhaus behandelt wie Niederländer, Kanadier oder Spanier. Die wichtigste Ursache für den Spitzenwert Österreichs sind die Fehlanreize: das Finanzierungssystem veranlasst Ärzte und Krankenhäuser dazu, Patienten eher stationär statt ambulant zu behandeln. Eine Ausweitung der ambulanten Behandlungen in Spitälern führt in den meisten Bundesländern zu keiner, die Ausweitung der stationären Behandlungen aber zu einer Einnahmenerhöhung (vgl. 6.3.4). Die Einbeziehung der Nulltagesaufenthalte und der Tageschirurgie als stationäre Behandlungen bewirkt eine statistische Erhöhung der stationären Aufenthalte und damit eine statistisch niedrige Aufenthaltsdauer pro stationärer Aufnahme. Wenn diese de facto ambulanten Behandlungen aus der Ermittlung genommen werden, erhöht sich die für Österreich ermittelte Aufenthaltsdauer um ca. 20–35 %.
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Tabelle 4: Anzahl der Aufenthaltstage pro Aufenthalt im Krankenhaus (OECD-Staaten 2005)68 Österreich OECD-Durchschnitt Finnland Schweden USA HMOs
Anzahl Tage 5,9 8,7 7,0 6,5 4,0
Index 68 100 86 75 4369
Unter Managed Care konnte in den USA die Anzahl der Krankenhausaufenthalte und die Aufenthaltsdauer deutlich reduziert werden. Allein von 2004 auf 2005 fielen die Krankenhausaufenthalte um 4,3 % (ebda.). Der stationäre Bereich kann auch in Österreich deutlich reduziert werden: x Viele Behandlungen erfolgen mehrtägig, obwohl sie ohne Nachteil für die Patienten auch ohne Übernachtung im Spital als EinTagesbehandlungen möglich wären (Katarakte, Hernien, etc., vgl. 6.2.2). x Ambulant mögliche Behandlungen werden nicht mehr stationär erfolgen, wenn die Anreize anders gesetzt werden, d.h. die Überfinanzierung des stationären und Unterfinanzierung der ambulanten Behandlungen beendet wird (vgl. 6.2 und 6.3.4.3). x Wenn Patienten von fernen Orten zur mehrtägigen ambulanten Diagnostik oder Therapie ins Krankenhaus kommen, werden sie häufig stationär aufgenommen, weil die tägliche Heimreise nicht zumutbar wäre und die Patienten nicht bereit sind, privat die Hotelkosten zu übernehmen. Diese ambulanten Patienten können in Patientenhotels, die eng mit den Krankenhäusern verflochten sind, untergebracht und damit stationäre Betten reduziert werden. x Wenn die Abrechnungen der Krankenhäuser nicht mehr passiv von Landesgesundheitsagenturen bezahlt, sondern von den GKVen überprüft und verhandelt werden, dürften präoperative Aufenthalte aus organisatorischen Gründen (OP-Verschiebungen, präoperative Untersuchungen) oder verlängerte stationäre Aufenthalte, weil kein Pflegebett verfügbar ist, nicht mehr finanziert werden. Der stationäre Bereich kann in Österreich um mindestens 15 % reduziert werden, wenn die Anreize richtig gesetzt und Kontrollen eingeführt werden. Auf diese Weise werden Kosten reduziert ohne die Qualität zu beeinträchtigen.
68 69
OECD Indicators 2005: S. 59 Sanofi aventis Hospitals/Systems Digest, 2007 (Data source: Verispan LLC 2007)
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4.1.6.
45
Kostenbegrenzung
Die Umsätze aus dem Verkauf von Kosmetika, Autos, Fernreisen und PCs erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Diese Erhöhungen werden von den Medien und der Politik erfreut bejubelt und nicht beklagt. Im Gegensatz dazu werden die Umsatzsteigerungen in der Sozialen Krankenversorgung aber beklagt. Wieso versuchen wir die Kostenerhöhung für die Soziale Krankenversorgung zu begrenzen, nicht aber die für Kosmetika, Autos, Fernreisen und PCs? Ist die Soziale Krankenversorgung weniger wichtig als Kosmetika, Autos, Fernreisen, PCs? Die Ursachen für die Kostenerhöhung der Sozialen Krankenversorgung sind doch plausibel: x Die demographische Entwicklung erfordert mehr medizinische Leistungen. x Neue medizinische Methoden, Geräte und Hilfsmittel (Implantate, Medikamente, Geräte) erhöhen den therapeutischen Erfolg und die Lebensqualität bei Erkrankungen. x Die Anspruchshaltung der Menschen gegenüber dem Gesundheitssystem für ein gesundes und langes Leben nimmt zu. „Die Gesundheitsausgaben wachsen ziemlich stetig und rasch. Immer wieder versuchen Politik und Behörden zwar mit Vorgaben zur Prämiengestaltung, zu Leistungskatalog, Preisen von Medikamenten ... die Expansion zu bremsen oder zu verbergen, aber letztlich dominieren die „unterliegenden“ Wachstumsraten im Bereich von 4 % bis 5 % ... Wachsende Gesundheitsausgaben werden oft als Übel gesehen, dabei ist es gut möglich, dass diese primär eine steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen spiegeln ... Das Problem ist nur, dass man nicht genau weiß, wie weit das Wachstum mit der Nachfrage zusammenhängt und wie weit es mit unnötigen Kosten, Umverteilungen, Verschwendung oder falschen Produkten zu tun hat.“70 Wieso werden also Kostenbegrenzungen für die Soziale Krankenversorgung gefordert? Dafür bestehen mehrere Gründe: x Über die steigenden Kosten der Sozialen Krankenversorgung klagen die Gesunden und nicht die Kranken. Da die Abzüge für GKVBeiträge das verfügbare Einkommen begrenzen, wollen viele Gesunde diese so gering wie möglich halten. Wenn aber ein Gesunder oder sein enger Angehöriger erkrankt, wird häufig ohne Rücksicht auf Kosten das Maximum der Versorgung für den Kranken erwartet. x Höhere Beiträge oder Steuern für die Soziale Krankenversorgung werden nicht durch individuelle Entscheidungen der Versicherten, sondern über die Köpfe der Versicherten hinweg durch die Politik getroffen. Kassenbeiträge und Steuern sind für die Bürger daher „Zwangsabgaben“ und erfolgen nicht nach eigenen Entscheidungen. Wenn die Versicherten sich zwischen alternativen Krankenversiche-
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NZZ vom 7./8.6.2008: Krankenkassen sollten die Freiheit suchen
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rungsangeboten mit transparenten Vor- und Nachteilen entscheiden können, wird sich auch deren Einstellung ändern: manchen wird die Gesundheit viel, anderen weniger wert sein. Teurere Versicherungsangebote enthalten dann viel und billigere weniger Wahlfreiheiten und Zusatzleistungen. Wenn der Einzelne die Wahl zwischen transparenten Alternativen hat, empfindet er sich eigen- und nicht fremdbestimmt. Die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser und GKVen wird in Zweifel gezogen. Es herrscht oft der Eindruck, dass dort weniger sparsam mit Mitteln umgegangen wird als in anderen Industrien. Nach allgemeiner Einschätzung herrscht dort keine „State of the Art“Wirtschaftlichkeit und auch keine „State of the Art“-Organisation. Die Bürger wollen diese vermeidbaren Kosten nicht mit ihren Abgaben finanzieren. In anderen Industrien werden Gewinne von 4–15 % vom Umsatz erzielt, die Pharmaindustrie etc. erzielt 30 % und mehr. Die hohen Gewinne der Pharmaindustrie etc. führen zu kritischen Gedanken über den sinnvollen Einsatz der Mittel.
Auch nach meiner Meinung bestehen in der Sozialen Krankenversorgung Möglichkeiten der Kostenbegrenzung und Organisationsverbesserung, ohne die medizinische Qualität zu beeinflussen: x Der nichtmedizinische Bereich ist in den politisch dominierten Krankenhäusern zu teuer. Private Krankenhausketten sparen vor allem in diesem Bereich. Z.B. in den Salzburger Landeskliniken konnte durch die Standardisierung und Straffung der Materialien Einsparungen von 28–40 % je nach Produktgruppe erzielt werden. Durch ein besser organisiertes Instrumentenmanagement besteht dort ein Einsparungspotential von T€ 700–800, p.a. etc. x Der stationäre Bereich ist in Österreich um mindestens 15 % zu aufgebläht und kann mit entsprechenden Anreizen zurückgenommen werden (vgl. 4.1.5). Die derzeitige Finanzierungsform mit der Förderung der stationären statt der ambulanten Versorgung ist dafür verantwortlich. x Standardisierung der Diagnostik und Therapie. Die völlige ärztliche Freiheit bei der Befunderhebung führt auch zu vermeidbaren Kosten für Doppelbefunde etc. Die standardisierte Diagnostik und Therapie reduziert Kosten und erhöht die Sicherheit für die Patienten (vgl. 4.1.7 – präoperative Befunderhebung). Etwa werden mit standardisierten OP-Methoden in derselben Zeit drei Bypass-Operationen pro Tag möglich, bei nicht standardisiertem Betrieb, wie zumeist in Österreich, sind in dieser Zeit nur zwei Operationen möglich. Wegen des hohen Anteils der Personal- an den Gesamtkosten differieren daher die Gesamtkosten nach dem Standardisierungsstand.
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Begrenzung von Operationen auf das Notwendige. Manche Chirurgen raten verfrüht zu Operationen, obwohl mit der Operation der erwünschte Erfolg nicht erreichbar ist und sogar unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können. Viele der Arthroskopien, Bandscheibenoperationen, Koronarangiographien, Bypass Operationen würden nach Beurteilung durch einen zweiten Experten nicht erfolgen. Mir sind persönlich mehrere Fälle bekannt, bei denen aufgrund einer Zweitmeinung diese – vom ersten Chirurgen empfohlenen – Eingriffe dann nicht erfolgten und damit auch die OP-Risiken vermieden wurden (etwa die Versteifung des Kniegelenks nach einer Arthroskopie). Daher kann bei einer verpflichtenden Zweitmeinung vor jeder Operation ein geringerer GKV-Beitrag vorgeschrieben werden. Begrenzung der medizinischen Leistungen auf das Notwendige. Etwa in der Schweiz müssen Patientinnen die künstliche Befruchtung (IVFs) selbst bezahlen.71 Weil deren Effizienz strittig ist, wurde auch die Komplementärmedizin72 aus dem GKV-Leistungskatalog in der Schweiz gestrichen. Die Versicherten können sich aber mit einer günstigen Zusatzversicherung für komplementärmedizinische Leistungen versichern und belasten damit nicht mehr die GKV.73 Neue und oft sehr teure medizinische/medikamentöse Verfahren werden in Krankenhäusern auch eingeführt, wenn deren Nutzen noch nicht ausreichend belegt ist. Mit der objektiven Beurteilung neuer medikamentöser und technischer Verfahren können Kosten begrenzt werden. Weder in Deutschland, der Schweiz noch in den Niederlanden (und schon gar nicht in Österreich) besteht derzeit eine Beurteilung der Innovationen, sondern werden Innovationen der Industrie häufig unkritisch übernommen (z.B. die Roboterchirurgie der Endoprothetik). In den drei genannten Staaten werden aber nach dem Beispiel von NICE (Großbritanniens Gremium zur Beurteilung neuer medizinischer Verfahren) in den nächsten Jahren entsprechende Institution aufgebaut (obwohl eine EU-Institution sinnvoller wäre). Organisatorische Verbesserungen, wie die Zentralisierung der Notfallversorgung, die variable Belegung von Stationen und Ambulanzräumen, die Zusammenführung von OP-Bereichen und die Vermeidung von Parallelstrukturen (Labore) reduzieren die Kosten. Diese Maßnahmen werden dann umgesetzt, wenn wirtschaftlich eigenverantwortliche Krankenhäuser mit transparenten Preisen das Auslangen finden müssen und über politische bzw. mediale Interventionen keine Gegenmaßnahmen erfolgen können.
NZZ vom 12.4.2005, S. 5: „Keine In-vitro-Fertilisation auf Krankenschein“ NZZ vom 4.6.2005, S. 7: „Komplementärmedizin wird gestrichen. Zweifel an Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit“ NZZ vom 29.6.2005, S. 7:“ Keine großen Schmerzen bei Versicherten“
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In den staatlichen Krankenhäusern ohne Wettbewerbsdruck in Österreich bestehen kaum Standards für OP-Zeiten und Aufzeichnungen über die tatsächliche Nutzung der Ressourcen. Durch die Vorgabe von Standards kann die effektive Nutzung teurer Infrastruktur deutlich erhöht und können Investitions- und Betriebskosten reduziert werden. Etwa der Masterplan für das LKH Salzburg weist eine deutliche Reduzierung der erforderlichen OPs und Ambulanzräume aus, wenn die Betriebszeit auf 11 Stunden pro Tag erhöht wird. In vielen Krankenhäusern werden Krankenpflegeschulen und andere Ausbildungseinheiten betrieben, obwohl mit einer regionalen Zusammenfassung und Professionalisierung der Krankenpflegeschulen die erforderlichen Mittel begrenzt werden könnten. Da derzeit in Österreich der Betrieb der Schulen aus den Krankenhausmitteln gut finanziert wird, besteht kein Anreiz zur Konsolidierung der Ausbildungseinheiten. Durch die Standardisierung der Heilbehelfe und Hilfsmittel der GKVen werden signifikante Einsparungen möglich.74 Die zersplitterten Rettungstransporte sind teurer als nötig. Transportkosten betragen p.a. für 1.000 Einwohner in Bayern € 70, im Burgenland € 106 und in Vorarlberg € 289. In Österreich sind 140 Rettungsleitstellen zu finanzieren, obwohl mit zehn das Auslangen gefunden werden könnte.75
In keinem Lebensbereich besteht für Österreicher eine ähnliche Wahlfreiheit wie in der Sozialen Krankenversorgung. Z.B. kommt man mit billigeren Autos ähnlich ans Ziel wie mit teureren. Ebenso gibt es Praxen und Krankenhäuser, die deutlich teurer therapieren als andere, ohne dass der Gesundheitszustand der Patienten zu unterscheiden wäre. Obwohl die Operation eines Blinddarms im Universitätsklinikum deutlich teurer kommt als in einem Krankenhaus der Primärversorgung, hat jeder Patient das Recht zur Blinddarmoperation im Universitätskrankenhaus. Oder: zwischen der Praxisversorgung unter Managed Care (der Hausarzt berät und entscheidet, ob der Patient einen Facharzt oder einen Krankenhausaufenthalt benötigt) und der völligen Freiheit beliebig Fachärzte und Krankenhäuser aufzusuchen, besteht ein signifikanter Kosten- aber kein Qualitätsunterschied. Daher bezahlen in der Schweiz die Versicherten für die völlige Wahlfreiheit um 20 % höhere GKV Beiträge als für die Versorgung unter Managed Care. Die Versicherten schätzen die Einschränkung ihrer Wahlfreiheit nicht. Prof. Dr. Peter Zweifel von der Universität Zürich hat erhoben, dass die Versicherten den Wahlfreiheiten hohen Wert zumessen. In einer Testumgebung 74
75
Dr. Kandlhofer, Josef, Dr.: Aktuelle Finanzierungsprobleme der sozialen Krankenversicherung und mögliche Ursachen: S. 10/11 Kandlhofer, Josef, Dr.: Aktuelle Finanzierungsprobleme der sozialen Krankenversicherung und mögliche Ursachen: S. 12
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stellen sie für die Aufgabe der Wahlfreiheit hohe Kompensationsforderungen als Nachlass auf die monatlichen GKV-Beiträge. Sie bewerteten die Begrenzung auf x Arztpraxen, die wirtschaftlich therapieren mit € 65, x Arztpraxen, die Qualitätsstandards erreichen mit € 35, x neue Therapien, die schon drei Jahre im Einsatz sind mit € 40 (in den ersten Jahren verlangen die Anbieter besonders hohe Preise für neuartige Methoden), x Generika mit € 2 x und akzeptierten die Begrenzung auf Medikamente für relevante und nicht für Bagatellerkrankungen. Den Versicherten sind diese Freiheiten demnach monatlich € 142 wert. Bei einer Reduktion der Kassenbeiträge um diesen Betrag sind die Versicherten zur Begrenzung der Wahlfreiheiten bereit. Daher bezahlen Managed Care Versicherte in der Schweiz für ihre Einschränkung der Wahlfreiheiten um ca. € 70-80 p.M. niedrigere GKV-Beiträge. Hohe Kosten werden in Österreich auch durch Überinanspruchnahme verursacht.76. x 8 Millionen Österreicher haben 81,8 Mio. Praxisbesuche p.a., d.h. ca. 10 Arztbesuche pro Person (2007, je zur Hälfte Erst- und Folgebesuche, + 5,1 % zum Vorjahr). x Pro Arzt und Tag werden bis zu 40 Medikamente verschrieben. x In Österreich werden (je 1.000 Einwohner) die meisten MR Geräte und nach Belgien die zweit – meisten CT Geräte innerhalb der EU betrieben. x Auch regionale Differenzen der Inanspruchnahme sind kaum erklärbar: o In manchen Regionen erfolgen pro Versicherten und Jahr 1,2 und in anderen 3,3 radiologische Untersuchungen. o Arztbesuche bei Orthopäden, Augenärzten, Internisten erfolgen in Wien dreimal so häufig wie in Oberösterreich. Die Versicherten vermuten, dass mit Kostenreduzierungen jeweils Qualitätsverluste verbunden sind. Die Überinanspruchnahme in Österreich ist aber das Ergebnis von Fehlanreizen. Mit „Managed Care“-Angeboten war es in anderen Staaten möglich, die Über-Inanspruchnahme zu begrenzen und damit Kostenreduzierungen ohne Nachteile für Versicherte zu erreichen. Etwa die Einholung einer verpflichtenden Zweitmeinung vor einer Operation reduziert medizinische Risiken und Kosten.
76
Kandlhofer, Josef, Dr.: Aktuelle Finanzierungsprobleme der sozialen Krankenversicherung und mögliche Ursachen, S. 4 und Vortrag
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Die Versicherten sollen sich zwischen Versicherungsprodukten mit unterschiedlichem Leistungsumfang und GKV-Beiträgen entscheiden können. Niedrigere GKV-Beiträge sollten angeboten werden, wenn Patienten auf teure Wahlfreiheiten verzichten. Einsparungen sind auch durch Wettbewerbsdruck auf die Krankenhäuser und die Kosten-Nutzen-Analyse neuer medizinischer Verfahren zu erreichen.
4.1.7.
Standardisierung und Qualitätssicherung
Ähnlich wie in anderen Industrien werden auch medizinische Behandlungen nach dem jeweils besten Wissensstand zunehmend standardisiert und die Qualität dieser Standards und der Ergebnisse geprüft. Behandlungsabläufe werden analysiert und nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaften klinische Pfade als standardisierte Behandlungsabläufe im IT-System festgelegt. Die behandelnden Ärzte folgen dem klinischen Pfad in ihrer Diagnostik und Therapie. Wenn in Praxen und Krankenhäusern standardisierte klinische Pfade (clinical pathways) eingerichtet werden, müssen sich die behandelnden Ärzte daran halten, dürfen nur begründet davon abweichen und müssen dies in der Krankengeschichte begründen und dokumentieren. Klinische Pfade schränken die ärztliche Freiheit somit nicht ein, schaffen aber klare Standards für eine zeitgemäße Medizin. Die Einhaltung bzw. Abweichungen von den klinischen Pfaden werden vom medizinischen Controlling analysiert und ggf. die Pfade an veränderte Bedingungen angepasst. Der ärztliche Beruf verliert damit zwar etwas vom Zauber, gewinnt aber an Professionalität und Zuverlässigkeit. Da weder GKVen noch Wettbewerbsdruck diese professionalisierte Form der Medizin verlangen, sind in den österreichischen Krankenhäusern klinische Pfade noch eine Seltenheit. Drei Beispiele für die Vorteile der Standardisierung der Behandlungen aus unserem Umfeld: (1) Bisher wurden zur präoperativen Diagnostik in allen Krankenhäusern EKG, Blutbild, Laborbefund und bei älteren Patienten auch ein Thoraxröntgen erhoben. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass für die OP-Planung und -Durchführung die meisten dieser Untersuchungen nicht hilfreich sind. Z.B. wurde an ca. 20.000 Patienten mit Katarakt Operationen nachgewiesen, dass die intraoperativen Komplikationen und das postoperative Ergebnis mit und ohne dieser präoperativen Diagnostik identisch waren: „Conclusion: Routine medical testing bevor cataract surgery does not measurable increase the safety of the surgery.“77 Der größte Teil der präoperativen Röntgen und Laborbefunde sind somit nicht erforderlich, werden in Österreich aber weiter durchgeführt, weil keine verbindlichen Vorgaben in den Spitälern existieren. Zusätzlich führt das Thoraxröntgen zu einer vermeidbaren, gesundheitsschädlichen Exposition mit Röntgenstrahlen. In Salzburg wurde daher auf Initiative 77
Schein, Katz, et al, The New England Journal of Medicine, January 2000, S. 168: The value of routine preoperative medical testing before Cataract Surgery
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eines Oberarztes das Projekt zur Begrenzung der präoperativen Diagnostik auf das medizinisch Sinnvolle gestartet und damit die Labor- und Röntgenuntersuchungen deutlich reduziert (Laboruntersuchungen um -80 %). Ein Teil der präoperativen Diagnostik findet im Krankenhaus, der größere aber im Bereich der Praxisärzte statt. Da die präoperative Labordiagnostik bei Laborfachärzten durchaus € 50 und mehr pro Patient kostet, wurde diese Initiative von Laborfachärzten nicht nur positiv aufgenommen, und es werden auch weiterhin Befunde erhoben, die medizinisch nicht erforderlich sind. Durch verbindliche Vorgaben können diese vermeidbaren Befunde entfallen. (2) Im Landeskrankenhaus Salzburg wurde der Klinische Pfad „Operation der Leistenhernie“ im Jahr 2007 mit Unterstützung der Fachhochschule-Steyr eingeführt. In einer retrospektiven Studie wurde festgestellt, dass x über 60 % der Behandlungen nach dem Klinischen Pfad erfolgten, x die präoperativen und postoperativen stationären Aufenthalte sich um je ca. einen Tag reduzierten (dies entspricht einer Bettenreduzierung um zwei Betten p.a.), x die Komplikationen sich nochmals von 0,12 % auf 0,02 % durch die Spezialisierung und Standardisierung reduzierten, x die Zufriedenheit der Patienten auch nach der Einführung des Klinischen Pfads sehr hoch war, x die Erhöhung der Leistungsdichte aber mehr Disziplin der Mitarbeiter und eine Optimierung der Prozessabläufe erfordert. (3) Die EU-Kommission kann keine verbindlichen Leitlinien für Krankenbehandlungen herausgeben. 2005 hat sie aber erstmals empfehlende Leitlinien zur Brustkrebs-Behandlung vorgestellt und dafür die Empfehlungen der European Breast Cancer Conference übernommen.78 Demnach sollte ein Brustzentrum für 250.000 Einwohner mit spezialisiert ausgebildeten Ärzten und Pflegern eingerichtet werden, durch eine unabhängige nationale Stelle zertifiziert sein, periodisch überprüft und dann beglaubigt werden. Die Chirurgen, Radiologen, Pathologen und Onkologen müssen interdisziplinär zusammenarbeiten. Jährlich sollten mindestens 150 Neuerkrankungen operiert und jeder Chirurg sollte mindestens 50 Eingriffe selber durchführen. In Deutschland und der Schweiz bestehen obligatorische Qualitätssicherungsprogramme für Krankenhäuser. Der Internet-Vergleichsdienst Comparis zeigt für die Schweiz große Qualitätsunterschiede zwischen den Spitälern bezüglich x Infektionen, die sich Patienten im Spital zuzogen, x Fehlern der Betreuung und Behandlung, x ungeplanter Wiederaufnahmen nach der Akutversorgung, x Zufriedenheit der Patienten. 78
NZZ vom 21.10.2005, S. 43: Beitrag Brüssels im Kampf gegen Brustkrebs. Leitlinien der EU-Kommission
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„Demnach haben 11 Prozent der befragten Personen, die in einem Universitätsspital behandelt worden waren, während des Spitalsaufenthalts eine Infektion durchgemacht“79 und die ungeplanten Wiederaufnahmen wegen derselben Erkrankung streuen dort von 5 bis zu 22 %. In der Schweiz erhebt künftig das Bundesamt für Gesundheit die Qualität von Spitälern anhand von Fallzahlen und Mortalitätszahlen für 25 verschiedene Krankheitsgruppen pro Spital nach dem System der deutschen Privatklinikgruppe Helios.80 Im Jahr 2004 trat in Deutschland die Mindestmengenvereinbarung81 für Transplantationen, komplexe Eingriffe an Pankreas und Ösophagus und 2006 für Knie-Totalendoprothesen in Kraft. Nach zwei Jahren reduzierte sich die Anzahl der Krankenhäuser, in denen diese Eingriffe durchgeführt werden um bis zu 28 %. Die Mindestmengenverordnung bewirkt somit die erwünschte Konzentration sehr komplexer Operationen. Z.T. gingen Krankenhäuser Kooperationen ein, um die Mindestmengen zu erreichen. Voraussetzung dafür war, dass die GKVen in ihren Verhandlungen mit den Krankenhäusern auf die Einhaltung dieser Verordnung drängten. Sogar psychotherapeutische Angebote werden in Deutschland einer Effizienzkontrolle ausgesetzt. Um die GKV-Finanzierung zu erreichen, müssen sie ihren Erfolg in Studien nachweisen. In Österreich werden 21 (!) Varianten psychologischer Therapien von den GKVen ohne Qualitätsnachweis finanziert. Da in Österreich noch kein obligatorisches Qualitätssicherungsprogramm für Praxen und Krankenhäuser besteht, werden Qualitätsunterschiede nicht transparent. Wegen dieses eklatanten Mangels werden auf Initiative der Ärztevertretung die Ergebnisqualität von Kardangiographien und auf Initiative der Länder bzw. Krankenhausgesellschaften die Ergebnisqualität in der Geburtshilfe erhoben. Auch die Häufigkeit und die Ergebnisse der Tumorbehandlungen werden in mehreren Bundesländern von Tumorregistern erfasst: x Als neutrale Einrichtung bei der TILAK, die auch mit Kärnten und Vorarlberg zusammenarbeitet. x In Vorarlberg durch einen Verein. x In Kärnten durch das Land. x In Salzburg gibt es eine Selbstkontrolle durch das Tumorregister der Internistischen Onkologie des Landeskrankenhauses. Die Auswertung erfolgt sehr unterschiedlich und nicht immer werden die regionalen Ergebnisse internationalen gegenübergestellt. Die österreichische Gesundheitspolitik verlangt von den Krankenhäusern noch immer keine obligatorische Qualitätskontrolle und koordiniert bzw. 79
80 81
NZZ vom 22.8.2007, S. 33: Bericht über hohe Infektionsraten an Universitätsspitälern NZZ vom 16.1.2008: Spitäler im Qualitätsvergleich das Krankenhaus 5/2008, S. 474 ff.: Umsetzung der Mindestmengenverordnung im Krankenhaus
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standardisiert auch nicht die bestehenden Qualitätserhebungen. Ähnlich wie in Deutschland sollten standardisierte Qualitätsberichte in Österreich ebenso Voraussetzung für die Beanspruchung öffentlicher Mittel sein wie die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (Deutschland: KTQ). Mit der neuen 15a-Vereinbarung wird für Österreich endlich ein Institut für Qualitätssicherung eingerichtet werden. Vorgaben für die Methode der Qualitätserhebungen und deren Veröffentlichung sind erforderlich, damit Patienten die Behandlungsrisiken in Praxen und Krankenhäusern vergleichen und die bestehenden Qualitätskontrollen zusammengeführt und standardisiert werden können. Für die Einhaltung von Mindestmengen bei komplexen Therapien sind GKV-Kontrollen erforderlich.
4.1.8.
Wettbewerb zwischen Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen)
Um die Nachteile der bis dahin existierenden GKV-Monopole zu vermeiden, wurden seit den 90er Jahren die GKVen in der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland Wettbewerb ausgesetzt. Unter Wettbewerb sollten die Nachteile der GKV-Monopole, Ineffizienz, Trägheit und geringe Kundenorientierung, beseitigt werden. Die Pflichtversicherung wurde durch die Versicherungspflicht ersetzt und die Versicherten können nunmehr zwischen GKVen zu unterschiedlichen Versicherungsbeiträgen und Zusatzleistungen wählen. x Es gibt kostengünstige Leistungspakete für Versicherte, die für den Versicherungsschutz wenig bezahlen wollen. Hohe Qualität kann zu niedrigeren Prämien angeboten werden, wenn die Versicherten ihre Wahlfreiheiten reduzieren, die Leistungen auf das Notwendige beschränken und in begrenztem Umfang Selbstbehalte bezahlen. In der Schweiz wird sogar diskutiert, bei gesunder Lebensführung und aktiven Beiträgen zur Gesundheit die Selbstbehalte für Versicherte zu reduzieren. Die SVP-Politikerin und Mitarbeiterin beim Krankenkassenverband Santesuisse Ruth Humbel: “In einem liberalen Staat kann jeder sein Leben gestalten, wie er will. Auf der anderen Seite wollen dann alle solidarisch für die verursachten Kosten aufkommen? Diese Solidarität hat ihre Grenzen.“82 x Leistungspakete mehr Leistungen und Wahlfreiheit zu deutlich höheren Versicherungsprämien werden Angeboten. Die GKVen müssen sich jetzt bemühen, die Versicherten zufrieden zu stellen, um nicht sie und damit Prämien an Konkurrenten zu verlieren. Da die Versicherten nach Qualität und der Höhe der GKV-Beiträge entscheiden, welche Versicherung sie wählen, muss jede GKV versuchen effizienter und 82
NZZ vom 2.6.2008, S. 18: „Der Jo-Jo Effekt spricht gegen die Genetik“
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kundenorientierter zu sein als die Wettbewerber. Wenig erfolgreiche GKVen mussten inzwischen ihre Selbständigkeit aufgeben und sich anderen anschließen. Auf diese Weise beeinflussen die Versicherten mittelbar durch ihre Entscheidungen die Soziale Krankenversorgung. Die GKVen müssen sich als Interessensvertreter ihrer Versicherten profilieren, wenn sie die Versicherten nicht verlieren wollen. Einige Argumente sprechen aber auch gegen den Wettbewerb der GKVen: x Werbungskosten: da um Versicherte geworben werden muss, entstehen Werbungskosten. Diese wurden z.B. in Deutschland auf ca. € 3 pro Versicherten begrenzt. x Höherer Betriebsaufwand für Krankenhäuser und GKVen wegen der vielfältigen Vertragsbeziehungen mit Vertragsverhandlungen und Leistungsverrechnungen. Die größte GKV der Schweiz, die HelsanaGruppe, mit über 2 Millionen Versicherten und einem Prämienvolumen von über Mrd€ 3,3, verursacht einen Betriebsaufwand von über 10 % der Prämieneinnahmen (Österreich: ca. 4–5 %). x Risikoselektion (adverse selection): wegen der unterschiedlichen Kostenrisiken zwischen Gesunden und Versicherten mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen besteht der Anreiz, die Gesunden, Jungen oder Gut-Verdiener zu umwerben und zu gewinnen. Die dabei erfolgreiche GKV kann niedrigere Prämien anbieten als die GKV mit der ungünstigeren Versichertenstruktur. Der Risikostrukturausgleich (RSA) soll diese Ungleichheit begrenzen: GKVen mit günstiger Versichertenstruktur müssen Teile der Einnahmen an GKVen mit ungünstiger Versichertenstruktur abgeben. Der RSA wurde in der Schweiz 1993 eingeführt und berücksichtigt derzeit nur die Kriterien Alter, Geschlecht und Kanton. Damit kann er nur ca. ein Drittel der Kostenunterschiede ausgleichen. „Die verbleibende vorhersehbare Umverteilung zwischen Gesunden und Kranken wird auf 5 Milliarden Franken geschätzt. Gezielt gesunde Versicherte anzuwerben und chronisch Kranke abzustoßen, bringt den Krankenversicherern daher mehr Wettbewerbsvorteile als Kosteneffizienz und kundenfreundliche Angebote….In Holland, das einen wirksamen Risikoausgleich kennt, sind Chronischkranke von den Versicherern umworben, da ein qualitativ und wirtschaftlich gutes Management ihrer Leiden für die Versicherer wirtschaftlich attraktiv ist.“83 Die ungleiche Verteilung der Krankheitsrisiken beim RSA zu berücksichtigen ist Voraussetzung dafür, dass die GKVen sich auf die effiziente Behandlung chronisch Kranker konzentrieren.
83
Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik: Risikoausgleich: Chance für Innovationen. Stellungnahme vom 16.8.2007
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Tabelle 5: Auswirkung des RSA für zwei Schweizer Versicherungspläne (in € pro Versicherten im Jahr 2006, Umrechnung € 1 = SF 1,60) 84 Versicherungsplan Sansan Helsana
Leistungskosten 680 2.063
Prämienzahlung 1.218 1.846
RSA
Gewinn
411 370
56 32
Die Sansan Versicherten verursachen im Vergleich zu den Helsana Versicherten nur ca. ein Drittel der Leistungskosten (für Praxen, Krankenhäuser, Medikamente). Weil Sansan offenbar vermehrt Gesunde gewinnen konnte, führt dies zu den folgenden Auswirkungen: x Die Sansan Versicherten zahlen um 34 % niedrigere GKV-Beiträge als die Helsana Versicherten. x Die Sansan Versicherung bezahlt € 411 für jeden Versicherten an und die Helsana erhält € 370 für jeden Versicherten aus dem RSA. x Beide Versicherer können einen kleinen Gewinn pro Versicherten und Jahr erzielen. Der o.a. Vergleich zeigt, dass der RSA in der Schweiz sein Ziel nur z.T. erreicht. Daher fordert der Gesundheitsökonom Willy Oggier einen umfangreicheren RSA um den Fehlanreiz der Risikoselektion zu begrenzen. Beim derzeitigen RSA in Verbindung mit der geplanten Freiheit für GKVen Verträge mit Praxen abzuschließen oder auch nicht, entstünde ein beachtliches Risiko: mit Praxen, die Patienten mit höheren Gesundheitsrisiken behandeln, könnte eine GKV den Vertragsabschluß verweigern und auf diese Weise Risikoselektion betreiben (etwa Praxen in Wohnbereichen sozialer Brennpunkte): „Wird der Risikoausgleich allerdings unverändert gelassen, besteht die Gefahr, dass der Wirtschaftlichkeits- und Qualitätswettbewerb u. a. deswegen unterbleibt, weil es für den Versicherer interessanter sein kann, Risikoselektion zu betreiben. Als Versicherer ist es nämlich wahrscheinlich einfacher zu analysieren, bei welchen Ärzten die eigenen kostenintensivsten Versicherten in Behandlung sind und diesen Ärzten keinen Vertrag mehr anzubieten, als Qualitätsbewertungen von Leistungserbringern vorzunehmen. In der Annahme, dass die Loyalität zum Arzt höher ist als zum Krankenversicherer, erreicht der Versicherer die gewünschte Entlastung auf der Kostenseite …. Versicherer sollten einen Anreiz verspüren, dass Versicherte mit schlechten Risiken effektiv und effizient behandelt werden.“85 Daher wurde in den Niederlanden der RSA so gestaltet, dass die Versorgung von Hochrisikopatienten für die GKVen attraktiv ist, wenn sie Disesase Management Programme einführen.
84 85
NZZ vom 20.9.2007, S. 13: Heisse Debatte um Schweizer Billigkassen NZZ vom 3.9.2007, S. 15: Risikoausgleich contra Risikoselektion. Reformvorhaben verlangen nach besseren Wettbewerbsbedingungen
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Der RSA hat sich in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz aber weitgehend bewährt und wird kontinuierlich weiter entwickelt. Eine Risikoselektion in begrenztem Ausmaß bleibt unter Wettbewerb aber unvermeidbar. Risikoselektion erfolgt etwa, x wenn eine neue GKV in den Markt eintritt. Wegen der niedrigeren Prämien wählen vor allem veränderungsbereite Gesunde diese neue GKV. Chronisch Kranke und Behinderte verändern dagegen der Versicherer nur selten. In der Schweiz können deshalb GKVen ihr Produkt in Regionen, in denen sie neu in den Markt eintreten, billiger anbieten. Sie gewinnen dort die mobilen Gesunden, haben damit niedrigere Kosten und bieten niedrigere Tarife; x durch gezielte Werbung und finanzielle Anreize für gesunde Versicherte. Die Allianz Versicherung wirbt in Deutschland mit dem Versprechen: „Wer sich anstrengt, fit zu bleiben, sollte belohnt werden…Die neuen Aktimed-Tarife…mit Beitragsrückzahlung von bis zu 40 %“. Chronisch Kranke und Behinderte bezahlen somit um 40 % mehr als die gesunden Versicherten. Daher werden sich bei der Allianz Gesunde konzentrieren. Die Vorteile der GKVen unter Wettbewerb überwiegen aber: Sie x steuern die Patientenbehandlung in Praxen und Krankenhäusern als Gesamtprozess; x wägen ab, ob Leistungen besser stationär im Spital oder ambulant in Praxen bzw. Krankenhausambulanzen erfolgen und finanziert werden; x fördern effizientere Praxen durch Pauschalpreise ; x kooperieren mit den PKVen und verkaufen deren Versicherungsangebote als Ergänzung zur GKV bzw. entwickeln Versicherungsangebote in Deutschland auch gemeinsam; x bieten in der Schweiz private Zusatzversicherungen selbst an und damit die Sonderklasseversorgung aus einer Hand; x bieten neue Versorgungsangebote und entwickeln neue Finanzierungsformen mit den Praxen und Krankenhäusern. x PKVen bieten in den Niederlanden und Deutschland für Gutverdiener auch die Soziale Krankenversorgung an. In der Schweiz wählen die Versicherten zwischen grundsätzlich unterschiedlichen Versicherungspaketen: x Das „Preferred Provider“-System differenziert nach der Wahlfreiheit. Ca. 20 % der Praxen therapieren deutlich teurer als die verbleibenden 80 %, ohne dass Qualitätsunterschiede erkennbar wären. Wenn Versicherte sich auf die freie Wahl unter diesen 80 % der Anbieter begrenzen, reduzieren sich ihre Beitragssätze um 5 %. Für die 20 % der teuren Praxen entsteht damit der Anreiz, sich den üblichen therapeutischen Methoden anzuschließen.
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Unter Managed Care organisiert der Hausarzt die Versorgung seiner Patienten mit Zuweisungen zu Fachärzten und in Krankenhäuser und übernimmt die Kostenverantwortung für die gesamten Gesundheitskosten seiner Patienten. Da die Begrenzung und Koordination der Facharzt- und Krankenhausbehandlungen zu niedrigeren Gesamtkosten pro Versicherten führt, bezahlen die MC-Versicherten um 20 % niedrigere GKV-Beiträge. Leistungsbegrenzung bei niedrigeren GKV-Beiträgen. Künstliche Befruchtung, homöopathische Medizin, manche Maßnahmen gegen Übergewicht, Plastische Chirurgie, Zahnersatz für Erwachsene, Kuraufenthalte, Behandlung von Potenzstörungen müssen privat bezahlt werden, wenn diese Leistungen nicht im Vertrag enthalten sind. Beim Bonus/Malus System erhält der Versicherte eine Prämienrückvergütung, wenn er keine oder niedrige Kosten verursacht. Differenzierte Selbstbehalte reduzieren die Leistungs- und Verwaltungskosten und ermöglichen daher niedrigere Beitragssätze.
In der Schweiz wählen ca. 2 % der Versicherten, das sind ca. 200.000 p.a., eine neue GKV. Die meisten wählen alternative Versicherungsmodelle (Managed Care, Preferred Provider). Insgesamt sind 1,17 Millionen Menschen oder 16 % aller Versicherten in alternativen Versicherungsmodellen versichert.86 In den Medien und bei Versicherten wird der Wettbewerb der GKVen daher zumeist positiv beurteilt. „Der Wettbewerb unter den Krankenkassen hat sich zuletzt weiter verschärft. … Die Zahl der Billigkassen steigt, und immer mehr Krankenkassen bieten alternative Versicherungsmodelle wie „Health Maintenance Organiations“ (HMO), „Hausarzt“, „Light“ oder „Telmed“ an. Bei der Variante HMO muss der Versicherte im Krankheitsfall zuerst einen bestimmten, in einem HMO – Center praktizierenden Arzt aufsuchen. Beim Hausarzt-Modell verpflichtet er sich, zunächst immer denselben Arzt aufzusuchen, bei der Variante Light muss er sich an eine spezielle Ärzte-Liste halten. Bei Telmed werden die Patienten vor dem Arztbesuch von medizinischen Fachleuten telefonisch beraten“.87 Dieser regulierte Wettbewerb dürfte noch ausgeweitet werden. Die Schweizer Kommission für Konjunkturfragen schlägt die Aufhebung des Kontrahierungszwanges zwischen Versicherungen und Ärzten vor. Zudem wird empfohlen, den Krankenkassen bei der Ausgestaltung des Selbstbehaltes mehr Spielraum einzuräumen und HMOs attraktiver zu gestalten. Auch müsse der Risikoausgleich verfeinert werden.88 Ähnliche Vorschläge zur Weiterentwicklung des Schweizer Gesundheitswesens kommen von der WHO und der OECD.89 Gemäß einer Umfrage der GfS Bern erkennen die Versicherten in der Schweiz die Vorteile des Wettbewerbs zwischen GKVen und fordern mehr Wettbewerb: “69 Prozent der über 1.200 Be86 87 88 89
NZZ vom 10.1.2007, S. 34: Noch nie so wenig Kassenwechsel NZZ vom 1.10.2007, S. 24: Der Kassenwechsel lohnt sich meist Vgl. NZZ vom 27.10.2006: Genesungsrezepte für das Gesundheitswesen NZZ vom 20.10.2006: Gesundheitspolitik ist nur teilweise auf Kurs
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fragten sprachen sich 2006 für mehr Markt aus, vor einem Jahr waren dies erst 54 Prozent, und 2003 waren es gar nur 39 % ... Über drei Viertel der Befragten (76 %) sprechen sich heute für ein Bonus-Malus-System in der Krankenversicherung aus.“90 In diesem Umfeld entstand in der Schweiz aber auch eine Bewegung gegen den Kassenwettbewerb: Das „Initiativkomitee für eine soziale Einheitskrankenkasse“ erreichte 2007 ein Volksbegehren. „Dieses will die heute 87 Krankenversicherungen .... durch eine Einheitskasse ersetzen. Die Kopfprämien sollen durch einkommens- und vermögensabhängige Beiträge ersetzt werden....Die Komiteepräsidentin....bezeichnete das geltende Krankenversicherungssystem als Pseudo-Konkurrenzsystem, dessen Profiteure die Manager der großen Kassen und ihre Lobbyisten seien.“91 Das Volksbegehren wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Die im Volksbegehren geforderte nationale, monopolistische Einheitskasse ist ein denkbares Alternativmodell zum Wettbewerb der GKVen und entspricht weitgehend dem Ziel der österreichischen Gesundheitspolitik. Die Kritikpunkte am Wettbewerb der GKVen, Adverse Selection bzw. „Rosinenpicking“, die Werbungskosten und die Zusatzkosten des Wettbewerbs für vielfache Strukturen, können mit einer monopolistischen Einheitskasse vermieden werden. In der Diskussion zeigte der Gesundheitsökonom Willy Oggier aber auf, dass nicht die Kassen-, sondern die Angebotskosten unter Monopolbedingungen problematisch seien und das Monopol Ineffizienzen fördert. „Seiner Meinung nach wäre eine Einheitskasse der erste Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens...die Folgen wären eine Rationierung der Leistungen und eine Zweiklassenmedizin“.92 Während unter Wettbewerb die Versicherten zwischen Versicherungsprodukten frei wählen können, müsste bei einem Versicherungsmonopol die Leistungsbegrenzung oder Rationierung von Leistungen durch politische Entscheidung erfolgen. Keine politische Partei könnte ohne politische Nachteile eine derartige Entscheidung treffen. Österreich folgte dem Weg der Weiterentwicklung der GKVen nicht und verstaatlichte die Krankenhausfinanzierung. Die Österreichische GKV verblieb als Monopol von ca. 20 nationalen und regionalen Pflichtversicherungen ohne Wettbewerb (GKKen, BVA, Gewerbliche, Bauern, etc.), denen die Versicherten nach Berufsgruppen zugeteilt werden. Das Krankenversicherungssystem blieb daher in einer Form strukturiert, die den Erkenntnissen der Gesundheitsökonomie nicht mehr entspricht: x Keine Wahlmöglichkeiten für Patienten zwischen Leistungspaketen (Wahlfreiheiten, Selbstbehalte) mit unterschiedlichen Beitragssätzen. x Österreich hat nur zwei Drittel der Bevölkerung Bayerns, aber neun Finanzierungsformen der Praxen. 90 91 92
NZZ vom 4.10.2006, S. 33: Mehr Markt in der Krankenversicherung NZZ vom 10.1.2007, S. 34: Soziale Einheitskasse statt Pseudokonkurrenz NZZ vom 2.5.2006, S 19: Plädoyer gegen eine Scheinlösung. Gesundheitsökonomische Studie zur Einheitskasse.
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Weiterhin besteht kein einheitlicher Leistungskatalog. Sinnvoll wäre ein einheitlicher GKV-Leistungskatalog mit einheitlichen Tarifen für Österreich wie im zehnmal so großen Deutschland. Die Gebietskrankenkasse (GKK) jedes Bundeslandes und auch andere Kassen verhandeln aber weiterhin in jedem Bundesland Leistungskataloge mit den Ärztekammern des jeweiligen Landes. Ein Beispiel: Die GKK jedes Bundeslandes verhandelte mit jeder Ärztekammer 2005 einen eigenen Tarif für die diagnostische Coloskopie aus, statt einen Österreichtarif zu vereinbaren. Oder die Leistung an einem Vorarlberger Patienten in einer Praxis in Tirol, bezahlt die TGKK nach dem Tiroler Tarif. Oder eine Salzburger Laborpraxis sendet Laborproben für Spezialanalysen nach Tirol, weil dort höhere Tarife vergütet werden als in Salzburg. Die Bezahlung des Tiroler Labors erfolgt nach den höheren Tiroler Tarifen. Risikoselektion. Beamte sind in der BVA versichert und wegen der Eingangsuntersuchungen und des geringeren Stresses seltener krank und nie arbeitslos. Der BVA entstehen daher für diese günstigeren Risiken niedrigere Kosten und sie bietet ihren Versicherten (Beamte, Angestellte) mehr Leistungen als die GGKs. Diese Risikoselektion widerspricht dem sozialen Grundsatz der Umverteilung von Gesunden zu Kranken bzw. von Armen zu Bessergestellten. Vielfache Infrastruktur ohne Zusatznutzen. Jede der GKVen verfügt über andere Geschäftsprozesse, Planungen, Leistungskataloge, eine eigene Direktion, Büros, Mitarbeiter. Statt der 18 Rechenzentren würden fünf ausreichen und die Entwicklungszeit für IT-Lösungen würde beschleunigt (Dr. Josef Kandlhofer am 5.6.2008 in Salzburg). Interessenkollision. Die Wirtschaftskammer leitet in der Selbstverwaltung die GKVen und vertritt dort auch die Interessen ihrer Klientel, der Privatsanatorien, Apotheken und der AUVA Krankenhäuser.
Ohne Wettbewerb zwischen GKVen reicht eine Einheitskasse mit einer Infrastruktur für Österreich aus. Die Mehrfachstruktur der GKVen hat keine Vorteile für die Versicherten oder die Soziale Krankenversorgung und verursacht nur Mehrkosten und Schnittstellenverluste. Aber ein Monopol hat Nachteile. Die ungünstigen Ergebnisse eines Monopols erwiesen sich in der Stahlindustrie der USA ebenso wie in den österreichischen GKVen. Die monopolistische GKV strebt die Verteidigung des Monopols und die berufliche Absicherung der Funktionsträgers an und hat keinen weiteren Anreiz zur Erhöhung der Effizienz oder Effektivität. Dennoch bleibt das österreichische System aber wohl monopolistisch, bis die Patienten bzw. die Medien rebellieren oder die Finanzierung nicht mehr möglich ist. Innovationen sind von diesem Staatsmonopol nicht zu erwarten, weil jede Änderung Interessen beeinflusst und damit medial verhindert werden kann. Die Entwicklung in Italien könnte das Szenario für die künftige Entwicklung in Österreich werden:“... bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts (verfügte
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Italien) über ein beitragsfinanziertes Gesundheitssystem, das über 100 verschiedene Krankenversicherungen aufwies, die alle einen anderen Versicherungsschutz mit unterschiedlichen Leistungen anboten. Im Jahr 1978 ...wurde der Nationale Gesundheitsdienst...nach englischem Vorbild gegründet und das System der Krankenkassen abgeschafft. Dadurch sollte allen Bürgern der Zugang zu einer größtenteils unentgeltlichen Gesundheitsversorgung ... ermöglicht werden. Ursprüngliches Ziel der Reform war es, das beitragsfinanzierte System auf ein steuerfinanziertes umzustellen.“93 Es kam aber anders: „Die Mittel werden...weiter aus Sozialversicherungsbeiträgen und zusätzlichen Steuermitteln aufgebracht... Italien wird – neben Spanien – oft als Mischsystem bezeichnet.“ (ebda.). Die österreichischen GKVen geben insgesamt ca. Mrd€ 26 p.a. aus. Sie sind somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und geben Rahmenbedingungen für die Gesundheitswirtschaft vor. Die Gestaltung der GKVen hat somit für die Wirtschaftspolitik insgesamt große Bedeutung. Die Umgestaltung der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht ermöglicht Wettbewerb zwischen GKVen. Nach gängiger Erfahrung ist dies die einzige Möglichkeit, Kundenorientierung, Qualität und Effizienz zu erreichen. Der Risikostrukturausgleich zwischen den Versicherungen ist dann unbedingt erforderlich, um unterschiedliche Risiken zwischen den GKVen auszugleichen. Aus den Entwicklungen in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland kann bei dieser Veränderung gelernt werden. Der niederländische RSA wurde vorbildhaft gestaltet.
4.1.8.1. Beispiel: Der Kassenwettbewerb in den Niederlanden Ähnlich wie in Österreich (8 Millionen Einwohner) wird die Soziale Krankenversorgung der Niederlande (16 Millionen Einwohner) von Krankenversicherungen organisiert. Sie arbeiten in drei Teilgebieten: x Versicherung der medizinische Krankenversorgung in Praxen, Krankenhäusern und für Medikamente mit der Basis-Krankenversicherung. x Zusatzversicherungen für Leistungen, die über die Basis-Krankenversicherung hinausgehen. x Verpflichtende Versicherung für Langzeitpflege und Betreuung (exceptional medical expenses act – AWBZ), für die Kosten der Langzeitpflege in Pflegeheimen, Langzeit-Hospitalisierung, häusliche Betreuung. Sie wird mit einkommensabhängigen Beiträgen bis zu einer Höchstbemessungsgrenze von den Versicherten finanziert und durch regionale Versorgungsbüros verwaltet. Die Gesundheitsreformen beziehen sich auf die medizinische Krankenversorgung. Deren Kostendämpfungsmaßnahmen zielten bis in die 90er Jahre auf 93
Soziale Sicherheit November 2006, S. 479: Blick über die Grenzen
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die Beschränkung des Leistungsumfanges, des Zuganges der Patienten zu den Versorgungsangeboten und auf die Kontrolle der Preise durch staatliche Eingriffe ab. Da höhere Produktivität – wie in Österreich – zu keinen Vorteilen für eine Krankenversicherung, ein Krankenhaus oder eine Praxis führte, blieb die Effizienz – wie in Österreich – begrenzt. Die Strategie wurde von bisher staatlichen Eingriffen zu zielgerichteten Anreizen innerhalb eines regulierten Wettbewerbssystems geändert und orientierte sich an den Vorschlägen des Dekker-Komitees aus dem Jahr 1987. Krankenversicherungen und Leistungsanbieter sollen – statt durch staatliche Planung oder moralische Appelle – durch Anreize innerhalb eines regulierten Wettbewerbs zur Effizienzsteigerung veranlasst werden. Dieser regulierte Wettbewerb im Gesundheitssystem erforderte rechtliche und strukturelle Voraussetzungen.94 Der Staat muss x den Umfang der Basis-Krankenversicherung und x die Aufnahmepflicht für jeden Staatsbürger zur Basis-Krankenversicherung und x die Strukturen vorgeben. Die Krankenkassen müssen x mit anderen Krankenversicherern konkurrieren und dürfen nicht über ein Regionalmonopol verfügen, x unterschiedliche Effizienz in unterschiedlicher Höhe des Kassenbeitrags zum Ausdruck bringen, x die Freiheit haben, mit Anbietern (Krankenhäusern, Praxen) Verträge abzuschließen oder auch nicht, x ihr eigenes finanzielles Risiko tragen, damit haben sie einen Anreiz zur Kostenkontrolle und x sich dem Risikostrukturausgleich (RSA) aussetzen. Die Versicherten müssen x zwischen Leistungspaketen wählen und x zwischen Kassen wechseln können, x einen Pauschalbeitrag (und keine einkommensabhängigen Kassenbeiträge) bezahlen, damit Preisdifferenzen der GKVen deutlich werden. Die Dienstleistungsanbieter müssen x zu transparenten Preisen ihre Leistungen anbieten und x Verträge mit den Kassen vereinbaren. Wegen der großen Bedeutung der Änderungen entschloss man sich zu einer schrittweisen Einführung.
94
Brouwer/Rutten, S. 13
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„Am 1. Januar 2006 trat das neue Krankenversicherungsgesetz in Kraft, das die Umwandlung des „alten Systems“, das durch versorgungsseitige Regulierung (wie in Österreich95) gekennzeichnet war in ein neues, anreizgesteuertes System zur Folge hat. Im neuen System ist auf der Grundlage des Konzeptes des regulierten Wettbewerbs eine Basis-Krankenversicherung für alle niederländischen Staatsbürger verpflichtend vorgeschrieben. Diese Reform ist ein historisches Ereignis, denn sie markiert den Abschluss von mindestens 20 Jahren der Reformplanung und der kleinen Reformschritte hin zu den Neuerungen. Es ist ein wichtiger Schritt zur Verringerung der staatlichen Interventionen im Gesundheitssystem, zur Dezentralisierung der einzelnen Verantwortlichkeiten und damit zur Stärkung von Marktkräften und des Wettbewerbs im Gesundheitswesen.“96 Damit entstanden Märkte: x Der Krankenversicherungsmarkt, auf dem Personen bei einem Versicherer eine Krankenversicherung abschließen. Diese verpflichten sich, ihre Versicherten durch eine qualitativ hochwertige Versorgung in einem ausreichenden Maße entsprechend zu versorgen.97 Die Krankenkassen wurden zu überwiegend national operierenden und konkurrierenden Fonds umgewandelt. Ein recht gut funktionierender Risikostrukturausgleich (RSA) wurde eingerichtet und die Risikoselektion ist damit in den Niederlanden kein großes Problem. Trotzdem wird der RSA aber weiter verbessert. x Der Markt der Dienstleister, Praxen, Krankenhäuser etc. als Anbieter. Die Krankenversicherungen müssen nicht mit allen Dienstleistern Verträge abschließen. Es ist jetzt möglich, selektiv Anbieter von Gesundheitsdiensten unter Vertrag zu nehmen und Anbieter zu differenzieren.98 Die Interessenvertretung der Hausärzte billigte diese Veränderung!99 Tatsächlich stehen alle wichtigen Dienstleister unter Vertrag. x Der Markt zwischen den Anbietern um Patienten wurde noch nicht verändert. Die folgenden Strukturen wurden damit geschaffen:100 x Die Regierung beschränkt sich auf die landesweite Gesundheitspolitik, beteiligt sich an Planung, Finanzierung und Organisation, vergibt Konzessionen an Krankenversicherungen, setzt Tarifstrukturen, Qualitätsstandards und legt den Leistungsumfang der Basisversicherung fest. Der Staat behält in vielen Bereichen und Versorgungssektoren die Kontrolle.
95 96 97 98 99
100
Anmerkung des Autors Brouwer/Rutten, S. 6 Brouwer/Rutten, S. 7 Vgl. Brouwer/Rutten, S. 8 Ärztemagazin 16/2007: Mag. Michael Kraßnitzer: Gesundheitsreform: Vorbild Niederlande? Vgl. Brouwer/Rutten, S. 20
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Die Krankenversicherungen sind privatrechtlich organisiert und bieten die Basisversicherung mit Aufnahmepflicht für alle Antragsteller an. Krankengeld wird über ein eigenes, teilweise privatisiertes Versicherungssystem bezahlt. Die vier großen, nationalen Krankenversicherer versorgen 80 % der Versicherten; regional verblieben sieben kleine Versicherungen. Zwischen Versicherungen und Leistungserbringern herrscht Vertragsund Tariffreiheit. Die Versicherungen müssen somit nicht mit allen Praxen und Krankenhäusern Verträge abschließen. Die Tariffreiheit umfasst bisher nur ca. 10 % der Tarife, wobei ein staatliches Interventionsrecht weiterhin besteht. 90 % der Tarife der Krankenhäuser und Höchsttarife für Hausärzte bleiben durch den Health Care Act festgelegt. Die Krankenhäuser veröffentlichen bereits jetzt ihre Preise für verschiedene Leistungen (wie z.B. Star-Operationen) und Preisunterschiede haben in einigen Krankenhäusern zur Verbesserung der internen Effizienz und der Verfahren geführt, u. a. auf die ambulante Leistungserbringung. Die Basis-Krankenversicherung enthält alle medizinisch notwendigen Leistungen („gewöhnliche Versorgung“) und ist mit der bisherigen Krankenversicherung identisch. Einige verzichtbare Leistungen wurden aber ausgenommen und können durch eine Zuatzversicherung abgesichert werden (Negativliste). Mit der Zusatzversicherung werden Zahnversorgung für Erwachsene, Brillen, Kuren, Psychotherapie, Physiotherapie und Logopädie (in begrenztem Ausmaß auch im Rahmen der Basisversicherung finanziert), IVF, Sterilisierungen, homöopathische Medikamente, empfängnisverhütende Mittel optional versichert. Dieser Bereich ist weniger reguliert. Eine Aufnahmepflicht besteht nicht und die Prämien werden risikobezogen festgelegt. Die Beurteilung neuer Technologien erfolgt auch in den Niederlanden bisher nur mangelhaft und damit werden Innovationen der Industrie oft ungeprüft übernommen. Arzneimittel werden vergütet, wenn sie im Arzneimittelverzeichnis aufgeführt sind. Dieses System ähnelt dem deutschen Festbetragssystem, d.h. es werden Höchstbeträge für Gruppen festgelegt. Um die zunehmenden Wettbewerbsaktivitäten und das Einhalten des rechtlichen Rahmens zu überwachen, gibt es seit 1998 ein neues Kartellgesetz und ein Kartellministerium, das im Gesundheitswesen immer mehr aktiv geworden ist. Für jeden Niederländer über 18 Jahren besteht allgemeine Versicherungspflicht für das Basis-Leistungspaket. Der Versicherte kann seit 1992 jährlich die Versicherung wechseln. 1996 wechselten ca. 20 % der Niederländer die Krankenversicherung. Es besteht weltweiter Versicherungsschutz.
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Die Basis-Krankenversicherung wird finanziert: x Zu 45 % mit einer Kopfpauschale von € 1.050 p.a. von den Versicherten. Der Versicherungsbeitrag muss für alle Mitglieder eines Versicherers gleich hoch sein, unterscheidet sich aber zwischen den Krankenversicherungen. x Die Versicherten erhalten eine Beitragsrückerstattung von maximal € 255 p.a., wenn keine Leistungen in Anspruch genommen werden. Die Besuche bei Hausärzten und die Neugeborenenversorgung werden nicht einbezogen. x An Geringverdiener bezahlt der Staat Gesundheitszuschüsse. x Der Staat finanziert 5 % der Gesamtkosten der Versicherungsbeiträge (für Kinder und Minderjährige). x Die Arbeitgeber bezahlen 6,5 % des Bruttolohns bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von T€ 30 p.a. und damit 50 % der Gesamtkosten. x Pensionierte und Selbständige bezahlen 4,4 % des Einkommens bis maximal € 1.320 p.a. Die Versicherten wählen zwischen x Erstattungsmodell („freie Arztwahl“, non-contracted-care, wie bisher die PKVen) und x Sachleistungsmodell mit niedrigeren Kassenbeiträgen: Versorgung durch die von der Versicherung auf einer Liste vorgegebenen Praxen und Krankenhäusern (contracted care). Die Versicherten können bis zum normalen Marktpreis auch Dienstleister in Anspruch nehmen, die nicht auf der Liste stehen und x einer Kombination aus beiden Formen. x Mit oder ohne Selbstbehalten von € 100–500 p.a. Der höhere Selbstbehalt senkt wie in der Schweiz den Versicherungsbeitrag. x Einzel- oder Kollektivverträge für eine Gruppe von Versicherten. Kollektivverträge dürfen maximal um 10 % des Arbeitnehmerbeitrags billiger sein und können von Arbeitgebern oder Patientenorganisationen, etwa für chronisch Kranke, Diabetiker oder Epileptiker, abgeschlossen werden. x Daneben hat der niederländische Gesetzgeber Anreize für einen Wettbewerb um chronisch Kranke geschaffen. Der RSA erfasst explizit die körperliche Behinderung als Faktor.101 Mit effizienten Chronic Care Programmen wird die Versicherung der chronisch Kranken wirtschaftlich für Krankenkassen interessant und sie bemühen sich verstärkt um diese Versicherten.
101
Vgl. Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 36
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Das Hausarztsystem setzt den Anreiz zu sparsamem Umgang mit Mitteln. x Jeder Niederländer ist bei seinem Hausarzt eingeschrieben. Dieser erhält für jeden bei ihm eingeschriebenem Versicherten eine Kopfpauschale von € 76 pro Monat und versorgt ca. 3.000 Patienten. x Damit entsteht der Anreiz, dass Patienten gesund sind und nicht in die Praxis kommen. Der Hausarzt hat den Anreiz unnötige Röntgen und Bluttests zu vermeiden und empfiehlt im gegebenen Fall, Sport statt Medikamente zu verschreiben. x Er fungiert als Gatekeeper bzw. Gesundheitsmanager, als Berater und Ansprechpartner seiner Patienten bei allen Beschwerden und löst ohne Weiterverweisung in Ambulanzen oder zu Fachärzten 93 % der medizinischen Probleme. Hausärzte schließen sich zu Gruppenpraxen mit eigenen Physiotherapeuten und Hebammen zusammen. x Da beim Sachleistungsprinzip keine freie Arztwahl besteht, muss der Versicherte vor einem Facharztkontakt oder einer geplanten Krankenhausbehandlung zu seinem Hausarzt. x Niederländer erhalten wegen der Koordination durch den Hausarzt ein beispielgebendes Vorsorgeprogramm und pro Versicherten nur halb so viele Röntgenuntersuchungen wie Deutsche, geben deutlich weniger für Medikamente aus, haben eine geringere Sterblichkeit nach Herzinfarkt und eine vergleichbare Lebenserwartung.102 x Die starke Rolle des Hausarztes bewährt sich auch bei Krankenhauseinweisungen. Für 16 Millionen Einwohner werden 100 Krankenhäuser (Österreich: 264)103 und 3,1 Betten für 1.000 Einwohner (Österreich 6,1)104 betrieben. Für 1.000 Einwohner ergeben sich in den Niederlanden 104 Krankenhausentlassungen (Österreich 278).105 Die OECD-Daten106 bieten einige Hinweise für die Differenzen der Kosten und der Qualität des niederländischen zum österreichischen System Sozialer Krankenversorgungen: 9,2 % des BSP werden in den Niederlanden für die Gesundheit ausgegeben (Österreich 10,2 %), pro Kopf und Jahr sind dies € 3094 (Österreich € 3519). Die Qualitätsindikatoren der beiden Staaten sind vergleichbar: x durch frühzeitigen Tod gehen in den Niederlanden weniger Lebensjahre als in Österreich verloren (3.103 vs. 3.499 Lebensjahre für 100.000 Bürger), x wegen Durchblutungsstörungen versterben nur halb so viele Niederländer wie Österreicher, x durch Schlaganfall etwa 10 % weniger Österreicher als Niederländer,
102 103 104 105 106
OECD Indicators 2007 Die österreichische Sozialversicherung in Zahlen – 2007 OECD Indicators 2007: S. 24 OECD Indicators 2007: S. 28 OECD Indicators 2007
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Niederländerinnen versterben an Krebs häufiger, vor allem an Brustkrebs, und Niederländer versterben ungefähr gleich häufig wie Österreicher an Krebs, aber deutlich häufiger am kaum heilbaren Lungenkrebs.107
Da die Soziale Krankenversorgung die Entstehung der Erkrankungen kaum beeinflusst, sind die Differenzen der Mortalitätsdaten nicht unbedingt ein Hinweise für die höhere oder niedrigere Qualität. Die Qualität der Krankenversorgung in den Niederlanden und Österreich ist wohl vergleichbar. Das niederländische System der sozialen Krankenversorgung vereint somit niedrige Gesundheitskosten mit hervorragenden Gesundheitsdaten. Der Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen, das selektive Kontrahieren mit den Leistungserbringern, die Differenzierung der Leistungsangebote der Krankenversicherungen und die starke Rolle des Hausarztes sind MCElemente, deren Erfolg zu beobachten ist. Die Entwicklung der Krankenversicherungen in den Niederlanden entspricht mit reguliertem Wettbewerb dem Stand der gesundheitsökonomischen Forschung:108 x Der Staat zieht sich Schritt für Schritt aus der operativen Umsetzung der Sozialen Krankenversorgung zurück. x Die Krankenversicherungen sind wirtschaftlich eigenverantwortliche Wirtschaftskörper. x Der Staat genehmigt die Höhe der Beiträge für die Versicherten und zwingt damit die Krankenversicherungen zur Kostenbegrenzung. x Die Finanzierung der Sozialen Krankenversorgung erfolgt weitgehend durch Beiträge der Versicherten. Die direkten Zahlungen und Selbstbehalte der Versicherten betragen nur 8 % der Gesamtkosten (Österreich 16 %). x Die Krankenhäuser arbeiten For-Profit oder Non-for-Profit, haben private und keine öffentlichen Rechtsträger und damit auch keine Abhängigkeit von der Politik durch eine Abgangsdeckung. x Vor einem Facharztbesuch ist beim Sachleistungsmodell zwingend der Hausarzt aufzusuchen und er verweist an den Facharzt. x Fachärzte arbeiten selbständig oder als angestellte Ärzte nahezu ausschließlich an Krankenhäuern oder in Gemeinschaftspraxen. Die Mehrkosten der doppelten Facharztschiene in Facharztpraxen und Krankenhausambulanzen und damit das Problem der Desintegration der beiden Bereiche besteht nicht. Auch die Reform in den Niederlanden ist nicht die Lösung aller Probleme. Ähnlich wie in der Schweiz wird festgestellt, dass die Mobilität der Versicherten und das Preisbewusstsein gering ausgeprägt sind. Aber auch eine geringe 107 108
OECD Indicators 2007: S. 9 OECD 1997
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Mobilität hat Auswirkungen auf die Krankenversicherung und übt Druck auf sie zu höherer Qualität und Wirtschaftlichkeit aus. Daraus wird in den Niederlanden geschlossen: "Für den längerfristigen Erfolg des neuen Systems wird es wesentlich sein, dass der Staat sich auch weiterhin in Richtung Ausweitung des regulierten Wettbewerbs bewegt.“109 Die Entwicklungen und Erfahrungen in den Niederlanden sollten auf die Tauglichkeit für Österreich genau studiert werden. Sie bauen auf die Erkenntnisse der Gesundheitsökonomie auf und sind damit auch für Österreich relevant. Mir scheinen die Managed Care Elemente, die Haus- und Facharztorganisation, die Begrenzung der Krankenhausleistungen und der Kassenwettbewerb beispielhaft gelöst zu sein.
4.1.9.
Wettbewerb zwischen Leistungserbringern
Da der staatliche Sektor allein nicht für den Wohlstand einer Gesellschaft sorgen kann, ist eine Volkswirtschaft so stark wie ihre Unternehmen. Die Erkenntnis, dass die Wirtschaftspolitik auch die Herausbildung wettbewerbsfähiger Unternehmen in der Sozialen Krankenversorgung fördern sollte, hat sich in Österreich noch nicht durchgesetzt. Ursache dafür ist wohl, dass dieser Bereich bisher dem staatlich dominierten Sektor zugeschrieben wird. Wohl deswegen erhalten die Krankenhäuser in Österreich weiterhin Finanzmittel aus öffentlichen Budgets unabhängig von Effizienz und Qualität zugeteilt und sind in der Führung weitgehend frei von Wettbewerb und objektivierbarer Erfolgskontrolle: x Kein Preissystem zeigt bisher an, ob Leistungen marktgerecht, teurer oder billiger erbracht werden. Bei einheitlichen Leistungspreisen würde sich zeigen, wer zu den allgemeinen Preisen bestehen kann und wer nicht (vgl. 7.2.). Die Auswirkung von Preisdruck auf Krankenhäuser kann derzeit in Deutschland studiert werden. x Keine Nachfrager oder Finanziers prüfen und beurteilen das Leistungsangebot und die Qualität der Krankenhäuser. x Es besteht kein Anreiz für die Effizienzerhöhung im Krankenhaus. Wenn ein Krankenhaus gut wirtschaftet, werden die Verteilungsregeln der Mittel der Landesgesundheitsagenturen so geändert, dass kein Überschuss bei diesem Krankenhaus verbleibt. Ineffizientere Krankenhäuser werden damit Nutznießer des effizienteren. Ein Beispiel: Weil am LKI durch wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln Überschüsse entstanden waren, wurde der Punktewert des LKI um ca. 5 % gesenkt und die freiwerdenden Mittel allen Krankenhäusern bereitgestellt.
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Die Höhe des Landeszuschusses an Krankenhäuser weist nicht auf deren Effizienz hin. Die von den Landesgesundheitsagenturen für Krankenhäuser bereitgestellten Mittel werden im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen vom Bund jeweils erhöht. Wenn ein Land erfolgreich verhandelt, erhöht sich der Bundeszuschuss und reduziert sich im selben Ausmaß der Landeszuschuss zur Defizitabdeckung an die Krankenhäuser. Die einzig, objektivierbare Kennzahl sind die Kosten eines Krankenhauses zur „Produktion“ eines LKF-Punktes. In Wien kostet ein LKF-Punkt € 1,44, in Tirol € 0,95. Obwohl diese Kennzahl zumindest eine begrenzte Aussagekraft für Effizienzvergleiche hat, wird sie in der öffentlichen Diskussion nicht verwendet. Die Kostendarstellung in den Ergebnisrechnungen der Krankenhäuser muss nach Vorgabe des Bundesministeriums (BMGFJ) nach Kostenarten erfolgen: nach Personal-, medizinischen Sach-, nichtmedizinischen Sachkosten etc. Die Personalkosten der Verwaltung werden von der Politik und den Medien besonders kritisch beobachtet und damit der Anreiz zur Fremdvergabe von Verwaltungsleistungen ausgelöst, um die Personalkosten zu reduzieren. In den SALK wurden IT-Leistungen fremd vergeben, auch wenn insgesamt dadurch höhere Kosten entstanden, um niedrigere Personalkosten auszuweisen. Durch diese Fremdvergabe von IT-Leistungen entstanden in den SALK über mehrere Jahre Zusatzkosten von T€ 780 p.a., die nach der Rückführung in die eigene Organisation wieder eingespart werden konnten. Die Darstellung der Kosten nach führt zu Nachteilen für Ambulanzen, Stationen, OPs, Verwaltung ermöglicht sinnvolle Vergleichszahlen (z.B. Verwaltung 3 %, Ambulanzkosten 15 % der Gesamtkosten).
Da kaum objektive Kennzahlen Effizienz oder Ineffizienz eines Krankenhauses bzw. seiner Führung ausweisen, reagieren die Landesregierungen auf geringen oder hohen Finanzbedarf der Krankenhäuser indifferent. Z.B. am LKI wurde ein Überschuss von Mio€ 15 von der Politik ebenso gleichgültig hingenommen wie die Unterdeckung in ähnlicher Höhe einige Jahre später. Einsparungen im nichtmedizinischen Bereich werden kaum registriert und ein höherer Bedarf an Finanzmitteln kann leicht begründet werden: mehr Patienten, höhere Qualität, erschöpftes Personal. Weil sie in der Öffentlichkeit als unsozial gebrandmarkt zu würden, können Politiker die Bereitstellung zusätzlicher Mittel kaum versagen und begrenzen sich bei Finanzforderungen zumeist darauf, hohe Zuschüsse zu beklagen. Die wirtschaftliche Selbständigkeit und die Entpolitisierung der Krankenhäuser innerhalb staatlicher Regeln und Kontrollen entlastet Politiker von Verantwortung, nimmt ihnen aber auch Gestaltungsraum.
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Voraussetzungen für entpolitisierte und wirtschaftlich selbständig handelnde Krankenhäuer sind x ein einheitliches und funktionsfähiges Preissystem und damit Eigenfinanzierung der Krankenhäuser durch Einnahmen ohne Subventionen; x weitgehende Finanzierung der Investitionen aus den Leistungspreisen und damit Eigentum an Gebäuden; x Beibehaltung der öffentlichen Kapazitätsplanung; x kein Einfluss durch Politiker auf das operative Geschehen (Investitionen, Personalbesetzungen, Strukturentscheidungen). Wirtschaftlich selbständige Krankenhäuser können Wettbewerb ausgesetzt werden und haben die Möglichkeit bzw. den Zwang, ihre eigene Zukunft zu sichern. Sie haben sich dabei an die staatlichen Vorgaben zu halten. Etwa in der Schweiz sind Krankenhäuser unterschiedlich selbständig. Eine Untersuchung in 125 Spitälern über die Autonomie, d.h. politische Unabhängigkeit, der Krankenhäuser ergab, dass sich ein Trend zur zunehmenden Autonomie nachweisen lässt: 101 der 125 untersuchten Spitäler waren zu 100 % in Staatsbesitz. Im Kanton Schwyz werden die Betriebskosten über Fallpauschalen abgerechnet, die Spitäler entscheiden autonom über Investitionen und haben sogar die Möglichkeit zur Kreditaufnahme. Die Arbeitsverträge sind privatrechtlicher Natur und sogar die Gebäude sind im Besitz des Spitals. Das Schlusslicht bildet der Kanton Baselland. Hier übernimmt der Regierungsrat die strategische Steuerung, die Finanzierung der Betriebskosten erfolgt über Defizitdeckung und für Investitionen muss ein Objektkredit beantragt werden.110 Die Entwicklung in Deutschland wird noch dargestellt (vgl. 4.1.9.1). Der politische Einfluss schwächt die Krankenhäuser im künftigen Wettbewerb. Die Politik nimmt z.B. den Landeskrankenhäuser die Vorteile der horizontalen und vertikalen Leistungsintegration und schwächt sie damit im künftigen Wettbewerb mit privaten Trägern: x In Tirol wurde die Rehabilitation von den Landeskrankenhäusern getrennt und privaten Trägern übergeben. Langfristig werden somit private Anbieter eine geschlossene Versorgungskette ambulant – stationär – rehabilitativ anbieten können, die Landeskrankenhäuser aber nicht. x In Salzburg werden die kleinen Krankenhäuser bisher nicht mit den Landeskliniken zusammengeschlossen. Das KH Oberndorf wurde an einen international tätigen Krankenhauskonzern verpachtet und die Planungen für die Krankenhäuser Mittersill und Tamsweg sind noch nicht absehbar. Das kurzfristige Motiv der Landesregierung, die Begrenzung der Landeszuschüsse, schwächt die Landeskliniken langfristig, weil die medizinischen und wirtschaftlichen Vorteile der horizontalen und vertikalen Integration nicht erkannt werden.
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NZZ vom 16./17.2.2008:, S. 11: Heterogene Schweizer Spitalslandschaft
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Der grenzüberschreitende Wettbewerb um Patienten wird mit der EURichtlinie geregelt werden111 (Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine sichere, hochwertige und leistungsfähige grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung). Die Eckpfeiler des Richtlinienvorschlags für Gesundheitsdienstleistungen: x Gemeinsame Regeln in allen EU-Gesundheitssystemen. x Definition eines spezifischen Rahmens für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung mit Kostenerstattung. x Ersatz der Kosten für Leistungen in einem anderen EU Staat bis zur Höhe der anfallenden Kosten im eigenen Staat. x Niederlassung von Dienstleistern in anderen Mitgliedstaaten. x Die Verantwortung der Mitgliedstaaten zur Organisation ihrer Gesundheitssysteme wird respektiert, d.h. es können nur Leistungen in einem anderen Staat beansprucht werden, auf die der Bürger in seinem Heimatstaat Anspruch hat. Die für Dezember 2007 vorgesehene Veröffentlichung der EU-Richtlinie wurde zwar auf 2008 verschoben, wird aber in jedem Fall kommen. Damit werden erfolgreiche Krankenhausunternehmen auch über Staatsgrenzen hinaus Patienten gewinnen können und dafür finanziert werden. Da den Krankenhäusern in öffentlichem Eigentum derzeit zeitgemäße Rahmen- und Organisationsbedingungen verweigert werden, können sie sich nicht auf den nationalen und internationalen Wettbewerb mit ausländischen Krankenhausgruppen vorbereiten. Z.B. die deutsche Fresenius Gruppe hat sich mit der Übernahme des KH Oberndorf (Salzburg) und der Dr. Pierer Tagesklinik (Stadt Salzburg) für den künftigen Wettbewerb zwischen Krankenhäusern in Österreich ein erstes Standbein verschafft. Ähnlich wie der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern, wird bisher auch der Wettbewerb zwischen Arztpraxen verhindert. Dabei wären Einzelvereinbarungen für Spezialanbieter, etwa in der AIDS Versorgung oder bei der Behandlung chronisch Kranker, für Patienten und Kassen günstiger als die Gesamtverträge zwischen Ärztekammern und GKVen. Wenn Krankenhäuser als wirtschaftlich selbständige Unternehmen geführt werden, konzentrieren sie sich auf Qualität und Wirtschaftlichkeit und nicht mehr auf das Wohlwollen der politischen Entscheidungsträger. Diese Entpolitisierung führt auch dazu, dass die Politik nicht mehr für Veränderungen in Krankenhäuern medial verantwortlich gemacht werden kann. Damit entfällt auch die mediale Erpressbarkeit der Politiker, Veränderungen in Krankenhäusern zu verhindern. Die Mehrkosten des
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Commission of the European Communities, Brussels, 2.7.2008 COM(2008) 414 final 2008/0142 (COD) Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND THE COUNCIL on the application of patient‘s rights in cross-border healthcare
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Wettbewerbs sind auch in der Sozialen Krankenversorgung geringer als die Effizienzverluste der bestehenden Monopole und Kartelle. Die Gesundheitspolitik sollte Strukturen setzen, die Fehlentwicklungen in der Folge von Wettbewerb verhindern und die Herausbildung einer starken Gesundheitswirtschaft ermöglichen.
4.1.9.1. Beispiel: Der Krankenhauswettbewerb in Deutschland Unter Wettbewerb wurden die Krankenhäuser in Deutschland weitgehend entpolitisiert und auch effizienter. Voraussetzung dafür war die wirtschaftliche Selbständigkeit und ein funktionsfähiges Preissystem für Krankenhausleistungen, das faire Bedingungen für den Wettbewerb ermöglicht. Dafür wurde das australische DRG-System (Diagnosis-related-Groups) zum G–DRGSystem adaptiert und für die Abrechnung der Krankenhausleistungen eingeführt. Das G-DRG-System ist ein akzeptiertes und transparentes Preissystem für Krankenhausleistungen, das Rückschlüsse auf die Effizienz der Krankenhäuser erlaubt und die Herausbildung eines Marktes für Krankenhausleistungen ermöglicht. „Über 1750 Krankenhäuser rechnen mittlerweile DRGFallpauschalien ab, das sind mehr als 95 % der DRG-Krankenhäuser“.112 Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) wurde eingerichtet und adaptiert das G-DRG-System kontinuierlich an neue Anforderungen bzw. korrigiert dessen Mängel. Während der mehrjährigen Konvergenzphase bis 2009 können sich die Krankenhäuser an die neuen Entgeltstrukturen anpassen und das G-DRG-System wird angepasst. Das G-DRG-System wird für die Schweiz übernommen und auch China plant die adaptierte Übernahme der in Deutschland gewonnen Erfahrungen.113 Die meisten Krankenhäuser wurden in Deutschland inzwischen wirtschaftlich verselbständigt und müssen mit den Einnahmen von den GKVen etc. das Auslangen finden. Damit entstand Wettbewerb zwischen den Krankenhausunternehmen in öffentlichem und privatem Eigentum und die privaten Krankenhausunternehmen spielen ihre Vorteile aus: x Sie nutzen Synergien innerhalb der organisierten Behandlungskette von der ambulanten Erstbehandlung über die Akutversorgung bis zur Rehabilitation aus einer Hand ohne Schnittstellenverluste. Die vollständige Behandlungskette etwa für Endoprothetik kann geplant, effektiv umgesetzt und den Kassen als Pauschalbetrag verrechnet werden. Doppeluntersuchungen und Verzögerungen zwischen OP und Reha können vermieden und durch abgestimmte Behandlungsprogramme höhere Qualität erreicht werden als bei desintegrierter und unabgestimmter Behandlung durch mehrere Rechtsträger. 112 113
Klauber et al, S. 5 Die GesundheitsWirtschaft 2/08, S. 6 ff. „Vom Export des DRG-Systems werden alle profitieren.“
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Sie spezialisieren sich auf häufige Leistungen und erhöhen damit Qualität und Wirtschaftlichkeit. Sie führen die nichtmedizinischen Strukturen innerhalb des MultiKrankenhaus-Unternehmens zusammen und finanzieren nicht in jedem Spital die gesamte Infrastruktur (Qualitätsmanagement, IT, Einkauf, Technik, Finanz, Personal, Versorgung, Logistik). Sie werden nicht von Partialinteressen der Ärzte etc. dominiert, sondern steuern das Unternehmen ohne politische Einmischungen und mediale Erpressungen.
Kommunale Krankenhäuser müssen den Vergleich mit privaten Kliniken in Deutschland nicht scheuen, wenn sie sich zu Verbünden zusammenschließen.114 In Baden-Württemberg wird als Alternative zur Privatisierung der Krankenhäuser die Einrichtung kommunaler Klinikverbünde gefördert. Demnach haben Kliniken in kommunaler Trägerschaft vor allem dann eine Zukunft, wenn sie sich zu Klinikverbünden x durch horizontale Kooperation, das heißt die Zusammenarbeit mit anderen Akutkrankenhäusern bis hin zur Fusion, und x durch die vertikale Kooperation innerhalb der Leistungskette, das heißt die Zusammenarbeit mit Praxen, dem Reha- und dem Bereich der ambulanten und stationären Pflege zusammenschließen. Mit der horizontalen Kooperation kann durch Abstimmung der medizinischen Leistungsangebote die Fallzahl der einzelnen Klinik für spezialisierte Diagnose und Therapie erhöht oder zumindest gehalten werden und damit den Vorgaben von Mindestfallzahlen entsprochen werden. Die vertikale Kooperation zielt auf die Akquisition und Bindung der Patienten und die bessere Leistungsintegration ab.115 Dazu ein Regionalpolitiker: “Für Einzelkrankenhäuser wird es zunehmend schwieriger, sich wirtschaftlich zu behaupten. Für kleinere Krankenhäuser besteht das besondere Problem eines – im Vergleich zu größeren Häusern – höheren Vorhalteaufwands … Wenn Krankenhäuser gesellschaftsrechtlich zu einem einzigen Haus fusionieren, können viele bisher doppelt vorhandene Strukturen im Management, im Controlling oder in der Qualitätssicherung zusammengefasst werden. Es fällt einem größeren Krankenhausverbund leichter, bestimmte Strukturanforderungen zu erfüllen und Mindestanforderungen im Rahmen der Qualitätssicherung zu erbringen. Schwerpunkte und Spezialisierungen können geschaffen und dadurch Wettbewerbsvorteile erreicht werden. Schließlich ist die
114
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Vgl. Kramer, Dr. Johannes: Kommunale Krankenhäuser sind zukunftsfähig. Ein Vergleich mit privaten Kliniken. Deutscher Städtetag 2007 Vgl. Schick Stefan, Prof. Dr.: Kommunale Klinikverbünde in Baden-Württemberg – Württemberg als Alternative zur materiellen Privatisierung. in: das Krankenhaus 7/2007, S. 617 ff.
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Größe des Unternehmens Krankenhaus ein entscheidender Faktor, um der Marktmacht der Krankenkassen begegnen zu können.“116 In Deutschland zeigt der seit ca. 4 Jahre deutlich erhöhte Druck der GKVen auf die Krankenhäuser die erwartete Effizienzerhöhung: x Die jährliche Wachstumsrate der um Inflation bereinigten Gesundheitskosten betrug von 1997 bis 2003 nur 1,5 % (Österreich ca. 2,3 %).117 x Die Leistungen werden kostengünstiger erbracht: die DRG-Entgelte für stationäre Versorgung in Deutschland liegen deutlich unter dem österreichischen LKF Niveau.118 x Weniger Pflegepersonal: Die Personalbesetzung der stationären Versorgung liegt in Deutschland deutlich unter jener in der Schweiz und auch unter dem österreichischen Niveau (5–10 % unter der standardisierten Personalbedarfsermittlung PPR, während in Österreich die PPR weitgehend eingehalten wird). x Innovationen werden erzwungen: Private Krankenhausbetreiber versprechen und erreichen Einsparungen ohne Einschränkung der Versorgungsqualität durch besseres Management, Organisation und Koordination, Beschneidung von Partialinteressen bzw. Privilegien und zwingen damit die öffentlichen Anbieter zu Veränderungen. Z.B. die Rhön Kliniken versprachen mit der Übernahme der Universitätsklinika Giessen und Marburg Kosteneinsparungen von 15 % ohne Einschränkung der Versorgung, Forschung und Lehre. Krankenhäuser öffentlicher Rechtsträger bilden daher inzwischen ähnliche Zusammenschlüsse wie private Anbieter, etwa das Klinikum Nürnberg mit fünf peripheren Spitälern und die Universitätsklinik Heidelberg mit zwei peripheren Spitälern. x Der Druck der Kassen wird durch Professionalisierung des Einkaufs von den Krankenhäusern auf die Lieferanten weitergegeben: Das Preisniveau für Medizinprodukte liegt daher inzwischen in Deutschland deutlich niedriger. Eine Studie ergabgegenüber dem deutschen Preisniveau ein Mindestpotential an Preisreduzierungen für die Einkaufspreise der SALK von 28 % bei Standardisierung119. Mehrere international tätige Unternehmen weigern sich z.B. den Salzburger Landeskliniken in Deutschland übliche Einkaufspreise zuzugestehen, weil sie damit das höhere Preisniveau in Österreich gefährden würden (z.B.
116
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Landrat Weber (Göppingen) in: das Krankenhaus 7/2007, S. 621: Kommunale Krankenhausverbünde – starke Partner für eine bürgernahe Versorgung Ernst & Young, S. 19 Wilke, Dr., GmbH: Analyse der Erlöse von deutschen krankenversicherten Patienten im Grenzbereich von Bayern zu Salzburg in landesfondsfinanzierten Krankenanstalten, Juli 2008. GÖK Consulting AG: Datenanalyse Einkauf SALK. Ergebnispräsentation Salzburg 15.11.2004
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Endoprothesen, kardiologische Implantate, Nahtmaterial, Wundverschlusssysteme). Qualitätssicherungssysteme breiten sich aus. Die obligatorische Qualitätssicherung chirurgischer Eingriffe wurde in Deutschland eingeführt und die Ergebnisse zeigen die unterschiedliche Qualität der Spitäler. Zusätzlich werben die Krankenhäuser mit ihren eigenen Qualitätsdaten um Patienten. Vorbild dieser Systeme ist die Selbstanalyse der Qualität der privaten Helios Kliniken. Darin werden etwa die Todesfälle bei komplexen Operationen in den Helios Klinken denen in Australien und den nach den Kennzahlen zu erwartenden Todesfällen gegenübergesetzt. Die Helios Kliniken weisen dabei auch ungünstige Ergebnisse der eigenen Kliniken aus, etwa bei Operationen an Atmungsorganen.120 Als negative Auswirkung deckt die Monopolkommission in ihrem Hauptgutachten auf, dass Spitäler an Praxen Kick-backs für die Einweisung in Spitäler bezahlen.121
Unter Wettbewerb kommt auch Bewegung in die Arbeitsteilung innerhalb der Krankenhäuser. Die zunehmend höheren Arztkosten können durch die Umschichtung ärztlicher Aufgaben zu Pflegern begrenzt werden (Blut abnehmen, Infusionen anlegen, Verbände wechseln). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hält bei entsprechender Ausbildung und Qualifikation die Ausweitung des Berufsbildes des Krankenpflegers auf die „Anwendung von Ultraschall, Assistenz bei Operationen, oder sogar endoskopische Untersuchungen wie etwa eine Darmspiegelung“ für überlegenswert. „Eine solche Umstellung sei zudem möglich, ohne dass die Qualität der Krankenhausleistungen abnehme“.122 Der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern kommt in Deutschland derzeit in die Phase, dass nicht mehr einzelnen Krankenhäuser sondern Netzwerke, die ambulante, teilstationäre und stationäre Angebote integrieren, miteinander konkurrieren.123 Damit entsteht die neuerliche Gefahr der Bildung von Monopolen. Die Monopolkommission, ein Beratungsgremium der deutschen Regierung in wettbewerbsrechtlichen Fragen, hat in ihrem jüngsten Hauptgutachten dem Krankenhausmarkt deswegen ein Sonderkapitel gewidmet. Wesentliche Inhalte des Gutachtens: „Die Zahl der Häuser ist von 2411 im Jahre 1991 auf 2104 im Jahr 2006 geschrumpft. Allein seit 2004 wurden 100 Fusionen und Übernahmen von Spitälern beim Bundeskartellamt angemeldet und fast immer genehmigt; tatsächlich waren es erheblich mehr, da ein guter Teil der Transaktionen wegen der kleinen Umsätze gar nicht gemeldet werden musste … Die jüngste Fusionswelle 120 121
122 123
Helios Medizinischer Jahresbericht 2002: Kompetenz in Medizin, S. 133 NZZ vom 10.7.2008, S. 16: Kick-backs von deutschen Spitälern für einweisende Ärzte? Süddeutsche Zeitung vom 16.4.2008: Schwestern statt Ärzte NZZ vom 31.12.2005/1.1.2006, S. 11: Geldmangel macht Spitälern Dampf. In Deutschland nimmt die Bedeutung privater Ketten zu
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hat primär finanzielle Gründe. Die strenge Regulierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, in der 90 % der Bürger versichert sind, führte zu einem vergleichsweise moderaten Kostenwachstum. Während die Gesundheitsausgaben zwischen 1995 und 2005 von 10,1 % auf 10,7 % stiegen, nahmen sie im gleichen Zeitraum in der Schweiz von 9,7 % auf 11,6 %, in Frankreich von 9,9 % auf 11,1 % oder in den USA von 13,3 % auf 15,3 % zu. Den politisch erzeugten Kostendruck bekamen besonders die Spitäler zu spüren. Zwar legten ihre Ausgaben von 1996 bis 2005 um 10,6 Mrd.€ auf 62,1 Mrd.€ zu, doch der Anstieg war unterproportional zu den gesamten Gesundheitskosten und geringer als das Wirtschaftswachstum. Ein wichtiger Hebel war die Einführung der Fallpauschalien im Jahre 2004 … Die Auswirkungen der Reformen sind dramatisch: die durchschnittliche Verweildauer im Spital sank von 14,7 Tagen im Jahr 1990 auf 8,6 Tage im Jahr 2005 … die durchschnittliche Bettenauslastung sank im gleichen Zeitraum von 85,5 % auf 75,6 %. Schließlich mussten die Spitäler auch noch unter den Finanznöten der öffentlichen Hand leiden … Viele Kommunen verkaufen deshalb ihr Spital, sobald sich hohe Investitionen nicht mehr verschieben lassen … Die Zahl der gemeinnützigen Spitäler ging im gleichen Zeitraum von 944 auf 803 zurück, jene der öffentlichen von 972 auf 717.“124 Die Monopolkommission fordert öffentliche und allgemeinverständliche Qualitätsberichte auch für Patienten und die Umstellung der Investitionsfinanzierung auf Eigenfinanzierung der Krankenhäuser über Preise. Zudem sollten die GKVen niedrigere Tarife für Versicherte anbieten, wenn sie sich auf die Versorgung in ausgewählten Spitälern begrenzen. Der Wettbewerb hat die Krankenhäuser in Deutschland zu Effizienzerhöhungen gezwungen. Sie sind im medizinischen Bereich inzwischen besser organisiert, wirtschaften besser, kaufen billiger ein, sparen im nichtmedizinischen Bereich, schließen sich zusammen und bilden Medizinische Zentren, um mit höherer Qualität zusätzliche Patienten und Einnahmen zu gewinnen. Als nächste Phase werden sich starke Krankenhausketten bilden, die auch den Eintritt in den österreichischen Markt schaffen werden.
4.1.10. Managed Care (MC) Mit der Entwicklung zu MC kommt die ambulante Medizin wieder zu Organisationsabläufen zurück, wie wir sie aus den 50er und 60er Jahren zumindest in Kleinstädten noch erinnern: der Hausarzt kannte den Patienten, seine familiären Verhältnisse, seine private und berufliche Geschichte und wirkte oft auch als Berater, um seelisches oder körperliches Leid zu vermeiden oder zu beseitigen. Es war selbstverständlich, dass er seine Patienten zur fachärztlichen
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NZZ vom 10.7.2008, S. 9: Fusionswelle unter deutschen Spitälern. Monopolkommission bringt Vorschläge für mehr Wettbewerb.
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Behandlung und zur ambulanten oder stationären Krankenhausbehandlung weiter verwies und über das Ergebnis der Behandlungen informiert wurde. Er überblickte den gesamten Behandlungsablauf der Erkrankungen und beeinflusste ihn. Am Land und in Kleinstädten funktioniert diese gesamtheitliche Sicht auf Patienten noch zum Teil, obwohl die leistungsorientierte Finanzierung und der gesellschaftliche Trend dem entgegen wirken. In Mitteleuropa wurden inzwischen die Fachärzte stark auf- und die Hausärzte eher abgewertet. Damit einher gingen die Anonymisierung der Patientenversorgung in einem verstärkt anonymen gesellschaftlichen Umfeld und das Übergewicht der fachärztlichen Versorgung mit der teuren doppelten Facharztschiene im Krankenhaus und in den Praxen. MC führt den verantwortlichen Hausarzt wieder ein und gibt ihm auch ein ökonomisches Motiv zur gesamthaften Betrachtung der Patienten. Fachärzte ergänzen und dominieren nicht mehr die Patientenbehandlung. Managed Care wird als Prozess definiert, der Gesundheitsverbesserungen einer Gemeinschaft unter begrenzten Ressourcen maximiert und dafür eine geeignete Vielfalt und ein geeignetes Niveau an Gesundheitsleistungen bietet. Die Behandlungsfälle werden analysiert um regelmäßige Verbesserungen zu finden und die nationalen Gesundheitsziele bzw. die persönlichen Wünsche der Versicherten nach Gesundheit besser zu erreichen.125 MC ist durch gesamthafte Behandlungsplanungen in Hausarztmodellen und HMOs (Health Maintenance Organisation) charakterisiert. Als Hausarztmodell wird ein ärztliches Betreuungsmodell bezeichnet, in welchem der Hausarzt126 x die Grundversorgung sicherstellt, x als Gatekeeper den Patienten zum Facharzt bzw. in das Spital weist und x als Fallmanager das Leistungsgeschehen steuert. Der Hausarzt kann dabei mit den Fachärzten und Krankenhäusern unter einem verbindlichen Netzwerk oder lose verbunden sein. Bei straff geführten Modellen wird dem Hausarzt die Budgetverantwortung übertragen und die verbindliche Teilnahme an Qualitätszirkeln und die gemeinsame Evaluation und Entwicklung von Behandlungspfaden auferlegt. Die HMO dagegen übernimmt die Bereitstellung und Finanzierung der umfassenden medizinischen Versorgung ihrer Patienten.127 Die Finanzierung erfolgt zumeist mit Kopfpauschalen für die eingeschriebenen Patienten, mit denen die ambulante und stationäre Versorgung mit Medikamenten etc. vorab von der GKV an die HMO bezahlt wird. Die Ärzte sind dort entweder als Partner Eigentümer der HMO, in der HMO als Ärzte beschäftigt, oder als 125
126 127
Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care, S. 12. nach Angell M., Kassirer JP. Quality and the medical market place – following elephants. N Engl. J Med 1996; 335:883-5 Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care, S. 30 Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care, S. 33
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selbständige Ärzte mit einer HMO vertraglich verbunden. Das Kostenrisiko liegt dann bei der HMO. In den Staaten mit HMOs haben sich aber auch andere Vergütungsformen herausgebildet. Mit mehreren Instrumenten soll die ganzheitliche Behandlung unter MC erreicht werden. Eine Kurzbeschreibung der verschiedenen Instrumente:128 x Gatekeeping durch den Hausarzt. Er ist erste Anlaufstelle für den Versicherten und führt ihn während allen Behandlungen auch dann, wenn vorübergehend die Behandlung bei Fachärzten, Krankenhäusern oder paramedizinische Dienste liegt. Er behält damit die Übersicht über sämtliche Behandlungen. Damit sollen Mehrfachuntersuchungen, unkontrollierte Facharztbesuche und die mangelhafte Abstimmung der Behandlungsschritte entfallen. Direkte Arztbesuche sind bei Notfällen und z.B. bei Gynäkologen und Pädiatern möglich. „In Zukunft müssen Hausärzte das Patientenmanagement übernehmen und damit das Kernstück der Gesundheitsversorgung darstellen.“129 x Guidelines werden auf der Grundlage des medizinischen Wissens als Grundlage für häufige Entscheidungen bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen entwickelt. Sie sollen die Gesundheitsberufe im Alltag bei Entscheidungen unterstützen und die Vielfalt der Behandlungsformen reduzieren. x Mit Case Management werden unabhängig von der Erkrankungsart die Abläufe der Patientenbehandlung optimiert: die Planung des Spitalsaustritts, der Nachsorge oder Rehabilitation und die Koordination vielfältiger Behandlungen. x Mit Disease Management wird für eine chronische Erkrankung eine Behandlungsleitlinie über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg vorgegeben. Auf wissenschaftlicher Evidenz aufbauend werden Prävention, Diagnose, Behandlung und Nachbetreuung als kohärenter Prozess verknüpft. x Mit Telefon- und internetbasierte Dienstleistungen wird das Ziel verfolgt, die Nachfrage nach Versorgungsleistungen zu steuern. Z.B. kann telefonisch eine Zweitmeinung vor Abklärungen oder Eingriffen eingeholt werden. In den USA wurde MC entwickelt, um die Kosten der medizinischen Versorgung zu begrenzen. Dort sind 70 % der krankenversicherten Bürger unter MC versichert. In Verbindung mit Kopfpauschalen (Capitation) wurden in den USA Einsparungen gegenüber der traditionellen Versorgung von 20–40 % erreicht.130 In Großbritannien, Skandinavien und Holland wurde die ganzheitliche Sicht auf Patienten durch den Hausarzt nie aufgegeben, aber zu MC 128 129
130
Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care, S. 24 ff. Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S. 13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“ Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care, S. 12
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durch die Einführung von Disease Management Programmen und Guidelines für die Patientenbehandlung weiterentwickelt. In der Schweiz wurden Managed-Care-Organisationen von den GKVen eingerichtet. Dort strömt in die HMOs wegen der ganzheitlichen Behandlung und dem Schutz vor Überdiagnostik und -behandlung auch die kulturelle Mittelschicht. Neben dem Vorteil der ganzheitlichen Sicht auf die Patienten fallen unter MC in der Schweiz auch niedrigere Gesundheitskosten von 20 % an.131 „Im Wesentlichen handelt es sich bei MC um organisatorische Innovationen mit dem Ziel, das Verhalten von Patienten und Leistungserbringern so zu steuern, dass sich die Gesundheitsausgaben bei gleicher Behandlungsqualität reduzieren lassen. Auf Seiten der Patienten kommt es zu Einschränkungen bei der Arzt- und Spitalswahl, um den teilnehmenden Leistungserbringern ein hohes Behandlungsvolumen garantieren zu können. Die Leistungserbringer müssen ihrerseits im Interesse dieser Ziele Einschränkungen ihrer Therapiefreiheit akzeptieren. Vielfach geht damit auch eine Beteiligung am Erfolg der MC-Organisation einher, damit die Leistungserbringer einen Anreiz zur Kosteneindämmung erhalten“.132 Die einschränkenden Strukturen von MC sind somit: x Beschränkung der freien Arztwahl. o Jede Behandlung beginnt mit einem Besuch beim Hausarzt, der einen koordinierten und Sektoren übergreifenden Behandlungsablauf organisieren soll um die Leistungen auf das Notwendige zu begrenzen. Vor dem Besuch eines Facharztes, einer Krankenhausambulanz oder vor einer geplanten Krankenhausbehandlung muss der Patient den Hausarzt aufsuchen, wenn die GKV die Behandlungskosten übernehmen soll. o Behandlungen nicht bei allen Praxen und Krankenhäusern, sondern nur bei Vertragspartnern der MC-Organisation. Diese Einschränkung der Wahlfreiheit der Patienten führt zu keiner Leistungsbegrenzung. Solche Angebote mit begrenzter Wahlfreiheit für Spitäler gegen niedrigere Kassenbeiträge fordert auch die deutsche Monopolkommission.133 x Beschränkung der Behandlungsformen. Positiv- und Negativlisten für Medikamente, vorgegebene Behandlungspfade, verpflichtende Beratungen und Disease Management für chronische Erkrankungen für Praxen und Krankenhäuser sind die logische Folge unter Managed Care. Da in die Behandlungspfade das jeweils letzte medizinische Wissen eingeht und verpflichtende Beratungen zur Reduzierung von Doppeluntersuchungen und vermeidbaren Operationen führen, ist die Be131 132
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Vgl. Berchtold/Hess: Evidenz für Managed Care Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 14 NZZ vom 10.7.2008, S. 9: Fusionswelle unter deutschen Spitälern. Monopolkommission bringt Vorschläge für mehr Wettbewerb
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handlung unter MC von höherer Qualität als bei freier Wahl. Wie bei allen Behandlungspfaden kann auch hier der Arzt begründet abweichende Behandlungsformen wählen. Zusammenführen der medizinischen und ökonomischen Verantwortung beim Hausarzt. Der Hausarzt übernimmt Verantwortung für die gesamten Behandlungskosten seiner Patienten und damit auch die Verantwortung für Behandlungen bei Fachärzten, in Krankenhäusern, bei Therapeuten und auch für die Medikamentenkosten. Für ihn tritt die Pauschalvergütung an die Stelle der Einzelleistungsvergütung (Capitation) und der Hausarzt erhält Anreize zur Begrenzung der gesamten Behandlungskosten in unterschiedlicher Form. Recht auf Zweitmeinung: Wenn der Patient mit der Therapieempfehlung seines Hausarztes nicht einverstanden ist, kann er sich an ausgewählte Experten wenden, die eine Zweitmeinung und damit eine veränderte Therapieempfehlung abgeben können.
Um die Leistungen integriert erbringen zu können, fördert MC den Zusammenschluss von Krankenhäusern und Praxen. Wegen der Vorteile einer engeren Kooperation ergeben sich Netzwerke der Vertragspartner oder gar deren Vereinigung unter einem Unternehmensdach. MC ist die zeitgemäße Form Qualität zu verbessern und Kosten zu begrenzen. Daher sollten die Erfahrungen unserer Nachbartstatten mit MC analysiert und positive Teile in das österreichische System der Sozialen Krankenversorgung integriert werden. MC erzwingt die Integration der Leistungserbringer ohne staatliche Planwirtschaft.
4.1.10.1. Beispiel: Managed Care in der Schweiz Eine Schweizer Studie gibt Aufschluss darüber, wie die verschiedenen MCInstrumente in Deutschland, den Niederlanden, Schweden, USA und Großbritannien eingesetzt werden.134 Sie schätzt den Beitrag zur Performance im jeweiligen Gesundheitssystem ab und versucht für die Schweiz daraus Rückschlüsse zu ziehen. „In der Schweiz wurden durch das Krankenversicherungsgesetzt 1996 die Gesetzlichen Rahmenbedingungen für MC geschaffen …. Die Schweiz ist nach den USA und neben den Niederlanden dasjenige Land mit dem höchsten Anteil an MC“.135 Ca. 18 % der Schweizer sind in MC-Modellen versichert. „Die in der Schweiz bis anhin am häufigsten anzutreffenden Managed-CareModelle sind: 134
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Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 4 Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 4
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Das Hausarztmodell, in dem der Patient regelmäßig als Erstes den Hausarzt konsultiert. HMO-Praxen (Health-Maintenance-Organisation), die im Eigentum der Versicherer stehen und in denen die Ärzte deren Angestellte sind oder HMO-Praxen, die den Ärzten gehören. Der Patient lässt sich grundsätzlich durch die HMO behandeln. Ärztelisten (wenig verbreitet) führen die Vertragsärzte an, an die sich der Versicherte zu wenden hat. Das Telmed-Modell: dabei verpflichtet sich der Versicherte, vor dem ersten Arztbesuch eine telefonische Beratungsstelle mit medizinischem Fachpersonal zu konsultieren, welche den Patienten an einen Arzt weiterleiten.
Die Schweiz hat damit – nach den USA und neben den Niederlanden – die vielfältigsten Möglichkeiten zur Ausgestaltung von Managed-Care-Modellen. In den Niederlanden sind die MC-Instrumente aber Teil der allgemeinen Grundversorgung. Dort besteht kein Kontrahierungszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringern…. Der Risikosausgleich ist in den Niederlanden so ausgestaltet, dass Versicherer mit besonders geschnürten Paketen um ungünstige Risiken (Alte, chronisch Kranke) buhlen.“136 MC in anderen Staaten wird differenziert beurteilt: x In Deutschland haben fehlende Anreize zur Teilnahme an MCModellen auf Seiten der Patienten und Leistungserbringer sowie die starke Reglementierung der Krankenkassen durch Gesetze und Verordnungen zur Folge, dass die Umsetzung und Verbreitung nur sehr zögerlich erfolgt. In den Niederlanden hingegen müssen für MCInstrumente, wie selektives Kontrahieren oder Gatekeeping, nicht erst besondere Verträge abgeschlossen werden, sie sind vielmehr Teil der konventionellen Versorgung. Damit kommt es zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen den Akteuren und einer Verbesserung der Performance im Gesundheitswesen. x Im Falle Schwedens hilft E-Health die in der Radiologie herrschenden Knappheiten über Teleradiologie abzubauen. Zudem werden bestimmte Leistungen der Spitäler systematisch bewertet und die Ergebnisse jedermann zugänglich gemacht. x Ein ähnlich innovatives Element hat Großbritannien mit seinen Disease-Management-Programmen, das die chronisch Kranken stärker in die Behandlung mit einbezieht. Dadurch werden Wissen und Erfahrung der Betroffenen genutzt. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur Kosten eingespart, sondern auch der Gesundheitszustand der Betroffenen verbessert wird.
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NZZ vom 25.1.2008: Zu wenig genutzte Managed-Care-Angebote
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Die längste Erfahrung mit MC haben die USA, die als Vorbild und Vorreiter dienen. Arme, Alte, Angestellte werden praktisch vom Staat oder Arbeitgeber gezwungen, eine MC-Versorgung zu akzeptieren. 137
Schoder/Zweifel fordern, „dass die durch Managed Care erzielten Einsparungen umfassend an die Versicherten über Prämienreduktionen weitergegeben werden.138 Die Einsparungen gegenüber der isolierten Behandlung durch Hausärzte, Fachärzte und Krankenhäuser betragen 20–30 %.139 Bereits 1987 hatte eine Analyse einer Krankenversicherung der Schweiz ergeben, dass ca. 20 % der Ärzte deutlich höhere Kosten verursachen, ohne gesündere Patienten zu haben.140 Durch die Einschränkung auf eine Ärzteliste mit den kostengünstig therapierenden Ärzte konnten die Prämien reduziert werden.
4.1.11. Elektronische Gesundheitsakte/Krankengeschichte Das Suchen, Einsortieren, Aufbewahren, Umsortieren und Wiederfinden von Krankengeschichten und Befunden verschlingt viel Zeit der Ärzte und Pfleger in den Krankenhäusern und Praxen. Häufig werden digital vorliegende Befunde weiterhin ausgedruckt und in die Krankengeschichte manuell eingeheftet. Immer mehr Daten der Diagnose und Therapie liegen bereits digital vor (Röntgen, Labor, OP Berichte, Entlassungsbriefe). Mit der zunehmenden Digitalisierung der Krankenhäuser und Praxen wird die vollständig digitale Krankengeschichte möglich und damit werden die Informationen auf Knopfdruck verfügbar sein. Die Krankengeschichte als Ansammlung von manuell oder maschinell erstellten Berichten und Notizen und die manuellen Suchund Sortierarbeiten werden damit zur Gänze entfallen. Noch wichtiger ist aber, dass die Ärzte derzeit oft die Ergebnisse vorangegangener Krankheitsepisoden nicht kennen oder nur durch Suchen verspätet oder eben gar nicht zu diesen Informationen gelangen. Die unmittelbare Verfügbarkeit von historischen OP-Berichten, Röntgenbildern und Laborbefunden verbessern die Diagnose der Ärzte. Die Verfügbarkeit dieser Daten über Krankenhausgrenzen hinweg führt zu Qualitätsvorteilen, etwa wenn der Patient in eine Notfallambulanz kommt. Die elektronische Krankengeschichte ist daher für alle Krankenhäuser ein wichtiges Projekt zur Qualitätserhöhung und Kostenbegrenzung. Schwieriger ist dieser Prozess in Einzelpraxen umzusetzen, da viele Praxen zwar digital, aber nicht nach standardisierten Methoden dokumentieren.
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Vgl. Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 4 NZZ vom 25.1.2008: Zu wenig genutzte Managed-Care-Angebote NZZ vom 15.10.2002: Klar weniger Kosten im Hausärzte-Netzwerk. Einsparungen von 20–30 % Schmid Heinz: Finanzielle Anreize und fehlender Markt im Gesundheitswesen, Fischer 1987
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2007 wurde in Österreich die e-Card für alle GKV-Versicherten eingeführt. Bisher enthält sie nur Personen- und noch keine medizinischen Daten. Sie ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Digitalisierung der Krankengeschichten. Sie hat sich in den ersten beiden Jahren bewährt, dürfte aber auch Missbrauch fördern: gegenüber 2006 erhöhten sich 2007, dem ersten e-Card Jahr, in den Praxen die Anzahl der Folgekonsultationen um 6,9 % und der Erstkonsultationen um 3,3 %.141 Derartige Erhöhungen binnen eines Jahres waren bisher nicht vorgekommen und sind kaum auf zunehmende Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zurückzuführen. In der Schweiz wird ab Mai 2008 die „Health Professional Card“ (HPC) eingeführt. „Bei der Entlassung eines Patienten aus dem Spital sind den nachbehandelnden Ärzten künftig über die HPC Berichte, Röntgenbilder, derzeitige Medikation usw. sofort zugänglich….Auch wird beispielsweise ein behandelnder Belegarzt … mit der Karte die aktuellen Werte seines Patienten im Spital jederzeit überprüfen können. Die HPC gewährleistet ferner den sicheren elektronischen Versand von Rezepten für Medikamente an die Apotheken.“142 Da mit der HPC auch medizinische Daten transferierbar werden, wird damit die Schweiz zu einem Vorreiter in der elektronischen Übertragung medizinischer Daten. Google und Microsoft werden in den nächsten Jahren die Bereitstellung elektronischer Gesundheitsinformationen anbieten. Bürger können dann ihre Gesundheitsdaten selbst dort speichern und abrufen. Auf welche Weise die Daten der Praxen und Krankenhäuser in diese elektronische Gesundheitsakte kommen werden, ist noch unklar. „Vom Verbraucher kontrollierte Daten würden Behandlungsunterlagen von Ärzten, Krankenhäusern, Krankenversicherungen und Laboren enthalten. Laut US-Gesetz kann man persönliche Gesundheitsdaten anfordern und innerhalb 90 Tagen erhalten. Aber dieses Vorgehen ist kompliziert und zeitaufwändig. Es wäre einfacher, diese Daten übers Internet in die persönlichen digitalen Gesundheitsunterlagen zu senden. Dies jedoch würde Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen Ärzten, Krankenversicherungen und den Verwaltern der digitalen Daten erfordern.“143 Wie immer dieses Problem gelöst wird: die private Speicherung von Gesundheitsdaten in Google- und Microsoft-Systemen wird schon bald Einzug halten. Die elektronische Krankengeschichte wird kommen. Zum einen werden die Konsumenten die Möglichkeit erhalten, im Web ihre persönliche Gesundheitsakte zu führen und Praxen etc. auffordern, dort die Daten zu deponieren. Zum anderen werden die Krankenversicherungen, Kranken-
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Kandlhofer, Josef, Dr.: Aktuelle Finanzierungsprobleme der sozialen Krankenversicherung und mögliche Ursachen NZZ vom 31.8.2007, S. 33: Elektronische Ärztekarte – Direkter Einblick in die Patientendossiers International Herald Tribune vom 14.8.2007, S. 11: Searching plans for online health records
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häuser und Praxen vernetzt und Krankengeschichten digital führen. Die beiden Wege werden zum Teil getrennt bleiben. Der Datenschutz wird dabei eine zunehmende Herausforderung, da Arbeitgeber und Krankenversicherungen Interesse an Daten, etwa über chronische Erkrankungen und genetische Dispositionen, haben, und die Patienten vor diesem Zugriff geschützt werden müssen.
4.1.12. Hohe Kosten für Medikamente Die Medikamentenkosten in Krankenhäusern und GKVen nehmen stärker zu als andere Kostenarten. Entsprechend zeigen die Jahresbilanzen der Pharmakonzerne deutlich höhere Gewinne als Unternehmen anderer Branchen: x Roche erzielte 2007 eine Umsatzrendite von 35,5 % für Pharmazeutika (natürlich unter Einbeziehung aller Forschungsausgaben) und (nur) 17,6 % für Diagnostika.144 x Novartis wies für 2005 eine Umsatzrendite von 30,7 % aus dem Vertrieb der innovativen Medikamente aus und musste sich bei Generika mit 7 bzw. 12 % zufrieden geben.145 x Andere Branchen müssen mit deutlich niedrigeren Gewinnen das Auslangen finden. Die extrem hohen Gewinne der Pharmaindustrie zu begrenzen ist ein Ziel der Gesundheitspolitik. Ursache für diese hohen Gewinne sind der Patentschutz neuer und auch variierter Medikamente und der Umstand, dass in der Sozialen Krankenversorgung keine normalen Marktverhältnisse herrschen. Die Pharmakonzerne verschieben diese Gewinne durch ein „kreatives“, Steuer sparendes Transferpricing zwischen den Staaten. Medikamente werden von der Fabrik z.B. in Italien an eine Firmentochter in der Schweiz zum Herstellungspreis, von der Schweizer Firmentochter an das österreichische Tochterunternehmen aber zu einem hohen Transferpreis berechnet. Damit entstehen nur niedrige Gewinne in Österreich und die hohen Gewinne verbleiben im Niedrigsteuerstaat Schweiz. Vereinzelt kommen die staatlichen Behörden hinter diese Tricks und verlangen entsprechend hohe Strafen: „Pharmakonzerne sind in jüngster Zeit wegen Manipulation von Transferpreisen zwischen einzelnen Konzerneinheiten unter Beschuss geraten. Die britische GlaxoSmithKline musste unlängst dem IRS (Internal Revenue Service) eine Nachzahlung von 1,3 Mrd. $ leisten.“146 Der Staat garantiert der Pharmaindustrie in allen Staaten eine 15–20jährige Patentschutzfrist für den Vertrieb neuer, patentgeschützter Medikamente als Anreiz für die Erforschung neuer Wirkstoffe. Während dieser Zeit tritt der
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NZZ vom 31.1.2008, S.10: Roche der Konkurrenz weit voraus. Rekordhohe Margen – verringerte Umsatzdynamik NZZ vom 20.10.2006, S.9: Novartis weiterhin auf Erfolgskurs NZZ vom 9.11.2006, S 12: Merck & Co mit hohen Steuerschulden
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Patentinhaber als Monopolist auf und kann jeden Preis für das Medikament verlangen, den es erzielen kann. Erst nach dem Ende der Patentschutzzeit dürfen Wettbewerber den Wirkstoff als „Generikum“ vertreiben. Die Gewinne während der Monopolzeit sollen der Pharmaindustrie einen Ausgleich für die Forschungsaufwendungen bieten. In Wahrheit werden aber die meisten Innovationen nicht von den Pharmaunternehmen, sondern von öffentlich finanzierten Universitäten und in staatlich finanzierter Forschung entwickelt. Die Pharmaindustrie verschafft sich diese Entwicklungen und vermarktet sie mit Milliardengewinnen. Die USPharmaunternehmen dominieren mit den Erfindungen der US-Universitäten den internationalen Pharmamarkt. Eine Insiderin stellt die Entwicklung für die USA so dar: 147 x Von 1998 bis 2002 wurden insgesamt 415 neue Präparate zugelassen, also durchschnittlich 83 im Jahr. x Davon waren 133 (32 %) neue molekulare Wirksubstanzen, in allen anderen Fällen handelte es sich um Abwandlungen älterer Wirkstoffe. x Von diesen 133 durchliefen nur 58 die Begutachtung mit hoher Priorität. Das sind zwölf innovative Präparate im Jahr oder 14 % der Gesamtmenge. x In den Jahren 2001 und 2002 wurden jeweils nur sieben innovative Arzneimittel zugelassen. x „Der eigentliche Skandal liegt aber in der Tatsache, dass die wenigen innovativen Medikamente, die tatsächlich auf den Markt kommen, fast immer Produkte staatlich finanzierter Forschung sind.“148 Unabhängig davon, aus welchen Mitteln der Wirkstoff entwickelt worden war, nutzt die Pharmaindustrie den Preisspielraum während der Patentlaufzeit maximal: x Novartis verlangt für das Medikament Lucentis (gegen das Alterserblinden, die Makuladegeneration) € 1.500 pro Injektion. Das molekular nahezu identische Medikament Avastin wird von einem anderen Anbieter für € 25 pro Injektion als Zytostatikum verkauft. Novartis verlangt somit das 60 fache für das nahezu identische Medikament und wirkt auf Patienten ein, Lucentis zu verlangen. Novartis hat das Produkt nicht selbst entwickelt und verrechnet somit keine eigenen Entwicklungskosten im Preis. Um die Finanzierung des Medikaments durch die Kassen zu sichern, gibt Novartis unterschiedliche Anwendungshinweise: In den USA kann die Injektion in das Auge in den Praxen der Augenärzte erfolgen, in Österreich, weil die GKVen die Kosten in den Praxen nicht übernehmen nur in sterilen OPs von Krankenhäusern.
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Vgl. Angell: S. 74, 75 Angell: S. 74, 75
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Es werden sogar überzogene Preise an die staatlichen Gesundheitsprogramme verrechnet. Schering-Plough musste Mio$ 180 Strafe bezahlen und wurde von künftigen Regierungsprogrammen wegen falscher Preisangaben ausgeschlossen. Gerichtsverfahren laufen auch gegen andere Unternehmen.149 Je nach dem politisch durchsetzbaren Preis wurden bis ca. 1990 in den EU-Staaten völlig unterschiedliche Preise für identische Produkte verrechnet. Da die Herstellungskosten der Medikamente nur 3–20 % der Verkaufspreise betragen, kann das Medikament auch zu einem niedrigeren Preis noch äußerst profitabel vertrieben werden. Einige Apotheken u. a. in Deutschland haben sich deshalb auf den Import aus Billigpreisstaaten konzentriert. Um diese Importe aus anderen Staaten zu vermeiden, werden mehr und mehr für die EU einheitliche Preise von der Pharmaindustrie durchgesetzt. Das Preisniveau in den Niedrigpreisstaaten erhöht sich damit. Soweit kein einheitliches Preisniveau in der EU durchsetzbar ist, versucht die Pharmaindustrie Importe aus den Niedrigpreisstaaten zu verhindern: “Die Unternehmen stören sich daran, dass ihre patentgeschützten Produkte, die sie in Ländern wie Frankreich, Spanien oder Griechenland zu behördlich fixierten, niedrigen Preisen anbieten, von Großhändlern aufgekauft und in Länder mit hohen Preisen ausgeführt werden. Nach Angaben des Europäischen Verbands der Pharmazeutischen Industrie (EFPIA) wies dieses Arbitragegeschäft im Jahr 2004 ein Volumen von Mrd€ 4,2 auf …. Im Laufe der Jahre haben sie Quotensysteme entwickelt, die ihnen erlauben, die für die Billigpreisländer bestimmten Liefermengen zu limitieren und dem Reexport zumindest partiell das Wasser abzugraben.“150 Der EU-Generalanwalt sanktionierte dieses Verhalten 2004: „Wenn die Preise europaweit auf das niedrigstmögliche Niveau gesenkt würden, könnten die Pharmafirmen ihre Kosten nicht mehr decken und verlören damit auch das Interesse an Investitionen in Forschung und Entwicklung“.151 2008 wurde diese Industrie – freundliche Position von einem anderen EUGeneralanwalt zurückgenommen und die Kontingentierung der Lieferungen an griechische Großhändler für Parallelimporte in die Hochpreisstaaten Deutschland und Großbritannien als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung beurteilt.152 Damit sind Parallelimporte in Hochpreisstaaten für die Industrie kaum mehr zu verhindern.
NZZ vom 30.8.2006: Busse für Schering-Plough. Vorwürfe wegen Preisüberforderungen und unerlaubter Marketingpraktiken NZZ vom 28.3.2008, S. 14: Wirksamer Kampf der Pharmafirmen gegen die Parallelimporte NZZ vom 28.3.2008, S. 14: Wirksamer Kampf der Pharmafirmen gegen die Parallelimporte NZZ vom 2.4.2008, S. 11: Rückschlag für Glaxo im Parallelhandels-Streit
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Die Pharmaindustrie bedient sich bei der Ausnutzung des Patentschutzes nur schwer zu rechtfertigender Mittel durch extensiven Lobbyismus. Die ehemalige Chefredakteurin der wichtigsten medizinischen Fachzeitschrift der Welt, dem New England Journal of Medicine (für das US-Magazin Time eine der 25 einflussreichsten Menschen der USA), beschreibt diesen am Beispiel der USA so:153 x Die US-Pharmaindustrie und der Branchenverband PhRMA beschäftigten 2002 zusammen 787 Lobbyisten in Washington und damit mehr als einen pro Kongressmitglied und finanzierten diese Lobbyarbeit mit Mio$ 105. x Die Lobbyisten der Pharmakonzerne haben hervorragende Beziehungen. „Unter ihnen waren 2002 insgesamt 26 frühere Kongressabgeordnete, und weitere 342 hatten früher zum Personal des Kongresses gehört.“154 x „Die Pharmaindustrie ist so mächtig, dass ihre Interessen schwerer wiegen als unsere. Letztlich hat sie die Regierung gekauft, damit sie in ihrem Sinne handelt. Der demokratische Senator ... Durbin ... sagte: ... diese Lobby hat den Kongress fest im Griff.... Im Vorfeld des Wahlzyklus 1999/2000 steuerten Pharmaunternehmen Mio$ 20 ... und Mio$ 65“155 bei, zusammen somit Mio$ 85. x Die US Pharmaindustrie erreichte durch ihre Lobby, dass im Gegensatz zu privaten Krankenversicherungen die deutlich größeren staatlichen Gesundheitsprogramme Medicare und Medicaid keine Preisverhandlungen für den Medikamentenbezug führen durften. Von staatlicher Seite werden damit deutliche höhere Preise an die Pharmaindustrie bezahlt als von Krankenkassen, Krankenhäusern und Apothekenketten. Die beiden Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama versprechen, dies zu beenden und Preisverhandlungen zuzulassen. Ob die Pharma Lobby dies verhindern kann, wird zu beobachten sein. x In den USA konnte die Pharmaindustrie erreichen, dass auch bei Konsumenten Medikamente beworben werden dürfen. Der Überkonsum an Medikamenten war daraus die Folge156: Die US-Amerikaner stellen 5 % der Weltbevölkerung, geben aber 42 % der globalen Ausgaben für verschreibungspflichtige Medikamente aus. Pillen werden im Fernsehen vermarktet wie Bonbons. Konsumenten werden laufend mit langatmigen und oft rührseligen Fernseh-Werbespots berieselt, die glückliche Menschen zeigen, deren Leben nach der Einnahme einer Pille angenehmer geworden ist. Der durchschnittliche US-Amerikaner wird täglich mit zehn, zum Teil auch sehr aggressiven Werbespots bombardiert. Am Bildschirm und in Zeitschriften werden Blutdruck153 154 155 156
Angell, Marcia: Der Pharma Bluff. Wie innovativ die Pillenindustrie wirklich ist Angell: S. 196 Angell: S.194 Vgl. Angell: S.194
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und Cholesterinsenker, Antidepressiva, Heilmittel gegen Allergien, Diätpillen, schwere Schlaftabletten und Medikamente gegen alle möglichen suggerierten Syndrome wie Bonbons vermarktet. Kurzfilme zeigen, wie der Asthmatiker nach der Einnahme von Singulair wieder seine Trompete blasen kann oder wie die Großmutter dank dem Osteoporose-Mittel Fosamax noch fähig ist, mit ihren gleichaltrigen Freundinnen Basketball zu spielen. Jeder Spot endet stereotyp mit der Aufforderung: “ Go ask your doctor today“. Im Durchschnitt löst der Amerikaner jährlich 13 Rezepte ein oder doppelt so viel wie vor 15 Jahren. Krankheiten würden so nicht bekämpft, sondern verbreitet, meinen manche Vertreter von Konsumenten- und Gesundheitsorganisationen. Pfizer bewirbt etwa den Lipidsenker Lipitor mit Dr. Jarvik, dem Entwickler des künstlichen Herzens. „Die Werbung zeigt wie er in einem Kayak geschwind einen Bergsee überquert und andere Arten Sport im Freien betreibt. ‚Wenn Diät und Sport nicht genug sind, dann erniedrigt Lipitor beachtlich den Cholesterinstand‘, sagt Jarvik in der Reklame. Jarvik, 61 Jahre alt, betreibt zur Zeit den Sport nicht mehr. Die Werbeagentur engagierte einen Stuntman für die Ruderszene. ‚Er st so wenig Freiluftsportler wie Woody Allen‘, sagte ein langfristiger Mitarbeiter, O.H. Frazier am Texas Heart Institute." Laut TNS Nachrichtenforschung gab Pfizer zwischen Januar 06 und September 07 Mio.$ 258 für die Lipitor Reklame aus. Ein Großteil davon wurde für die Werbung mit Jarvik angelegt. Die Jarvik Reklame kam im gleichen Jahr heraus als Zocor, Lipitors Hauptkonkurrent, als Generikum auf den Markt kam. Zocor wird allgemein als ungefähr gleichwirksam wie Lipitor eingeschätzt, kostet aber nur einen Bruchteil davon.157 Die Werbung war erfolgreich und der Umsatz von Lipitor konnte gegen den billigen Konkurrenten gehalten werden. Der Einfluss der Pharmaindustrie in Europa erfolgt ähnlich wie in den USA: x In der EU kann die Pharmaindustrie nur bei Ärzten und Selbsthilfegruppen und nicht bei Konsumenten direkt werben. Dieses Werbeverbot bei Konsumenten versucht die Pharmaindustrie zu kappen: „Der Dachverband der britischen Pharmahersteller ABPI formuliert in einem Strategiepapier drastisch: Um das Werbeverbot zu bekämpfen, wolle man ‚Fußtruppen in Form von Patientenselbsthilfegruppen und Gesundheitsberufen‘ bilden.“158 x Über Selbsthilfegruppen von Patienten können Medikamente auch in Europa beworben werden. Z.B. wurde die Verschreibung von Erypo von der Selbsthilfegruppe Mammazone noch empfohlen, als bereits
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Vgl. International Herald Tribune vom 7.2.2008, S. 15 und 17: Artificial heart controversial ad DER SPIEGEL 17/2008, S. 98 ff Julia Bonstein: Kranke Geschäfte
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erwiesen war, dass Erypo das Tumorwachstum vorantreibt.159 Der wichtigste Geldgeber von Mammazone, der Pharmakonzern Roche, ist Hersteller eines der Epo Medikamente. Bei einem Viertel der Selbsthilfegruppen liegt die Finanzierung durch Sponsorengelder bei knapp 20 %. 5 % der Gruppen und Organisationen bestreiten mehr als die Hälfte ihres Budgets aus Industriemitteln. Der Werbeeffekt ist dreimal so stark, als wenn man die Ärzte beschenkt, sagte der Gesundheitsökonom Glaeske. Zahlen aus den USA zeigten, dass jeder Dollar, der für Werbung direkt beim Patienten investiert werde, den Herstellern einen zusätzlichen Umsatz von $ 4,20 beschere. Eine Studie kommt zu eindeutigen Ergebnissen: 96 % der US-Patienten, die durch Werbung für Antidepressiva angeregt wurden, zum Arzt zu gehen und eine Verschreibung erhielten, hatten gar keine behandlungsbedürftige Depression. In Österreich wurde das Registrierungsverfahren für Medikamente im Jahr 2005 beschleunigt. Schnellere Registrierungsverfahren führen früher zur Vermarktung und verlängern die patentgeschützte Zeit für Maximalgewinne ohne Konkurrenz.
Tatsächlich führt der Patentschutz für die Pharmaindustrie zu phantastischen Gewinnen während der Patentlaufzeit. Eine der größten Krankenversicherungen der USA weist den Preisunterschied der Medikamente mit Monopolpreisen zu denen unter Wettbewerb nach: die 20 % der Medikamente ohne Wettbewerb verschlingen 85 % der Medikamentenkosten, die 80 % mit Wettbewerb nur 15 %. Medikamente unter Patentschutz wären demnach 23x (!) so teuer wie Medikamente ohne Patentschutz.160 Auch wenn diese Rechnung zu pauschal scheint, sind mir Preisdifferenzen ähnlichen Ausmaßes bekannt. Etwa der Preis von Cisplatin fiel von $ 37 auf unter $ 3 nach dem Ende der Patentlaufzeit. Marcia Angell beschreibt auch, mit welchen Tricks der Patentschutz oft für viele Jahre verlängert wird: Bevor ein Medikament den Patentschutz verliert, wird eine Variation des Medikaments entwickelt, patentiert und beworben. Die Ärzte werden mit Werbemaßnahmen zur Verschreibung dieses veränderten Medikaments zum hohen Preis veranlasst um damit den Wettbewerb der Generika zu verhindern. Der Patentschutz für diese „me too“Medikamente, das sind Medikamente ohne tatsächliche Innovation, plündert die öffentlichen Kassen. Z.B. wurde in den USA bei einer Studie festgestellt, dass das patentgeschützte Medikament Vytorin bei Herzleiden nicht besser wirkt als ein günstigeres Generikum. Daraufhin büsste das Unternehmen ein Viertel seines Börsenwertes ein.161 Um die hohen Kosten derartiger Scheinin159 160
161
Vgl. DER SPIEGEL 17/2008, S. 98 ff Julia Bonstein: Kranke Geschäfte The Wall Street Journal vom 21.2.2008, S. 4: Drug prices surge ahead of US elections Vgl. NZZ vom 4.4.2008, S. 12: Striktes Sparprogramm von Schering-Plough. Zweifel an der Wirkung von Präparaten
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novationen zu vermeiden, wurden sie von den deutschen GKVen Generika gleichgestellt:162 Vor zwei Jahren wurde in Deutschland die Festsetzung von Festbeträgen auch auf gewisse patentgeschützte Medikamente ausgeweitet. Damit will der Gesetzgeber ‚Scheininnovationen‘ bekämpfen, von denen ‚keine therapeutische Verbesserung‘ ausgeht. Davon betroffen ist zum Beispiel der Pharmaproduzent Pfizer mit seinem patentgeschätzten Cholesterinsenker Sortis. Festbetrags-Gruppen, die patentfreie Originale und ihre Generika umfassen, können die Gesundheitskosten entlasten ohne dass die Behandlungsqualität darunter leiden muss. Die Pharma Aktionäre z.B. der Fa. AstraZeneca verfolgen aufmerksam die Ausweitung der Patentlaufzeit mit den damit erhofften Gewinnen: „Beim Schizophrenie-Medikament Seroquel arbeitet der Pharmakonzern intensiv daran, den ‚Lebenszyklus‘ (d.h. die Patentlaufzeit) zu verlängern. In den USA wurden im Dezember Anträge für zwei neue Krankheitsbilder eingereicht. Für den dritten großen Blockbuster Crestor hat Astra im November die USZulassung für eine zusätzliche Indikation erhalten; übers Jahr stieg der Umsatz hier noch um 33 % auf 2,8 Mrd. $. Sowohl Seroquel wie auch das cholesterinsenkende Crestor könnten 2008 durch neue Generika unter Druck geraten.“163 AstraZeneca erwirtschaftete 2006 bei einem Umsatz von Mrd. $ 26,5 mit dem Gewinn von Mrd. $ 8,2 eine Umsatzrendite von 31 %! In den USA werden bis 2012 Medikamente mit einem Gesamtumsatz von Mrd. $ 67 den Patentschutz verlieren. Der Pharmaindustrie gelang es bisher nicht, Innovationen mit Produktvorteilen zu entwickeln, um vor Ablauf der Patentzeit die Patienten auf neue, bessere und wiederum patentgeschützte Medikamente umzustellen. Daher entwickelte sie eine andere Strategie, um die hohen Gewinnmargen zu schützen:164 x Noch während der Patentlaufzeit wird ein Nachfolgemedikament ohne großen Produktvorteil, aber kostengünstiger, in der letzten Phase des Patentschutzes mit großem Druck in den Markt gebracht. x Die Preise für das noch patentgeschützte Medikamente werden deutlich angehoben. „Es ist eine Taktik der Pharma Industrie, Patienten zur nächsten Generation patentgeschützter Medikamente dadurch umzustellen, dass das vorherige Medikamente, das den Patentschutz verlieren wird, stark verteuert wird”, sagt Michael Krensavage, ein Analysant der Pharmaindustrie und weist dies an Beispielen nach.165 x Die Ärzte stellen auf das neue, wiederum patentgeschützte und billigere Medikament ihre Patienten um und 162
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Vgl. NZZ vom 16.6.2006, S. 13: Deutschland forciert den Einsatz von Generika. Zwischen Kostenkontrolle und dem Schutz von Innovationen. NZZ vom 1.2.2008, S. 11: AstraZeneca warnt vor einem schwierigen Jahr The Wall Street Journal vom 21.2.2008, S. 4: Drug prices surge ahead of US elections Vgl. The Wall Street Journal vom 21.2.2008, S. 4: Drug prices surge ahead of US elections
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die Monopolgewinne bleiben damit erhalten.
Auch unabhängig vom Ende der Patentlaufzeit werden die Gewinne durch Preiserhöhungen während der Patentlaufzeit erhöht. Die Großhandelspreise der 50 Medikamente mit den höchsten Umsätzen stiegen in den USA im Jahr 2007 durchschnittlich um 7,82 %, 6,73 % im Jahr 2006 und 6,22 % Jahr 2005. Einzelne Medikamente wurden binnen zwei Jahren noch teurer: um 44,5 % das Antidepressivum Wellbutrin XL von GlaxoSmithKline, 70,1 % das Schlafmittel Ambien von Sanofi Aventis, um 16 % das Medikament mit dem weltweit höchsten Umsatz von Mrd 13, der Cholesterinsenker Lipitor. Die Preiserhöhungen werden direkt zu Gewinnen.166 „Wie Ärzte und Pharmafirmen aus kleinen körperlichen Veränderungen behandlungsbedürftige Leiden machen“, titelt die SZ einen Artikel über die Pathologisierung von Patienten aus wirtschaftlichen Gründen: „Schüchternheit heißt Sozialphobie, der Begriff Trauer ist rar geworden – das sind mittlerweile alles Depressionen. Unruhige Beine haben als Restless-Leg-Syndrom enorm Karriere gemacht. Jedes Kind bekommt jetzt eine Diagnose – kaum ein Schüler, der nicht an ADS oder ADHD leidet. Neuerdings gibt es die Aufmerksamkeitsstörung sogar für Erwachsene ... Gelegentliche Lustlosigkeit ist als „Female Sexual Dysfunction“ (FSD) behandlungsbedürftig ... Willige Mediziner liefern passende Daten, wonach angeblich mehr als 40 % der Frauen unter FSD leiden. Pfizer, der weltgrößte Pharmakonzern, versuchte jahrelang – letztlich vergeblich – den Markt für Viagra zu erweitern und damit die „female sexual arousal disorder“ zu behandeln.“167 Trotz hoher Wahlkampfspenden rücken die Präsidentschaftskandidaten von der Pharmaindustrie ab. Obama will die Pharmaindustrie vom Missbrauch ihres Monopols durch ungerechtfertigte Preiserhöhungen abhalten und Mc Cain plant, Parallelimporte von billigeren Medikamenten zu erlauben, um den Wettbewerb zu erhöhen. Beide wollen auch, dass der Staat Medikamentenpreise mit der Pharmaindustrie für die staatlichen Programme verhandeln darf. Das Wall Street Journal und auch die Neue Züricher Zeitung kritisieren inzwischen die Pharmaindustrie: “Die Pharmabranche hat sich zugunsten der Zementierung des geltenden Zustandes stets am stärksten exponiert. Sie, die nur einen Teil ihrer Forschung in der Schweiz tätigt, hat auch stets die Mär von der Gefährdung des Forschungsstandortes verbreitet. Sie beansprucht den staatlichen Schutz … in preisregulierten Märkten und (weil sie) nicht in der Lage ist, die entsprechenden Probleme mit ihren Abnehmern selbst zu lösen.“168 Die Neue Züricher Zeitung meint, die extrem hohen Gewinne der Pharmaindustrie seien in Gefahr: „Jene Beobachter, die in den vergangenen Jahren immer wieder das Ende des Blockbusters (wörtlich: „Wohnblockkna166
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Vgl. The Wall Street Journal vom 21.2.2008, S. 4: Drug prices surge ahead of US elections Süddeutsche Zeitung vom 31.5./1.6.2008: Jahrmarkt der Krankheiten NZZ vom 22./23.12.2007, S. 9: Bürgerlicher Kampf für staatlich geschützte Importmonopole
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cker“, d.h. Luftminen mit extremer Wirkung während des 2. Weltkriegs; „Blockbuster“ werden wirtschaftlich extrem erfolgreiche Filme und Medikamente mit einem Jahresumsatz von mehr als Mrd. $ 1 genannt – ML) proklamiert hatten, sind in jüngster Zeit in ihrem Glauben wiederholt bestärkt worden. Die Industrie bekundet zunehmend Mühe, neue Produkte mit einem Umsatzpotential von über Mrd. $ 1 an den Markt zu bringen. Als Fanal wirkte der misslungene Versuch des amerikanischen Branchenführers Pfizer, ein Nachfolgeprodukt für Lipitor zu lancieren. Das Cholesterin-Mittel, dessen Patent 2010 oder 2011 ausläuft, war 2006 mit einem Umsatz von nahezu 13 Mrd. $ nicht nur das größte Produkt des Unternehmens, sondern der Pharmaindustrie schlechthin. Pfizers Plan war es gewesen, ein Präparat (namens Torcetrapin) zu entwickeln, das in den nächsten Jahren sukzessive in die großen Fußstapfen von Lipitor hätte treten sollen. Das Vorhaben musste im Dezember 2006 unvermittelt abgebrochen werden, nachdem eine klinische Phase III Studie ergeben hatte, dass die Einnahme des neuen Mittels die Häufigkeit von Herz- und Kreislaufproblemen sowie von Todesfällen spürbar erhöht …. als Reaktion auf die Hiobsbotschaft erfuhr die Marktkapitalisierung von Pfizer Anfang Dezember 2006 mit einem Schlag eine Verringerung um nicht weniger als 30 Mrd $ … Die Chancen, einen Verkaufsschlager im Bereich der pharmazeutischen Massenwaren zu lancieren, haben sich in den letzten Jahren zusehends verschlechtert. Der Markt für Arzneimittel zur Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen beispielsweise ist gesättigt und wird mehr und mehr von Herstellern billiger, generischer Produkte dominiert.“169 In Großbritannien wurden zwei vorbildhafte Instrumente zur Begrenzung der Gewinne der Pharmaindustrie eingerichtet: x Das nationale „Institute for Clinical Excellence“ (NICE) prüft die Kosten-Nutzen-Verhältnisse von Medikamenten. Es empfiehlt Ärzten die Verschreibung oder Nicht-Verschreibung eines Medikaments und dem NHS, ob die Kosten für ein Medikament den Patienten erstattet werden sollen. Die Ärzte halten sich bei ihren Verschreibungen in der Regel an die Empfehlungen bzw. berufen sich auf eine negative Beurteilung, wenn sie ein Medikament nicht verschreiben. Bindend sind die Empfehlungen zwar nicht, haben aber eine große kommerzielle Bedeutung für die Pharmafirmen. Ohne Empfehlung des NICE haben Medikamente in Großbritannien keine Chance auf dem Massenmarkt. Aus diesem Grund lassen die Pharmafirmen Kosten-NutzenÜberlegungen in die Preisgestaltung einfließen, obwohl sie das eigentlich nicht müssten. Inzwischen hat es ein paar Mal zwischen dem NICE und den Herstellern geknallt. So hat die japanische Eisai das Institut in diesem Sommer vor Gericht gezogen, weil jenes die Empfehlung für ein Alzheimer-Medikament auf das mittlere Krankheitsstadium eingeschränkt hatte, es jedoch in der Frühphase von Alzheimer 169
NZZ vom 14.9.2007, S.13: Pharma-Blockbuster sind keine Allheilmittel mehr
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nicht mehr durch den NHS finanzieren lassen wollte. Der Fall wurde allerdings zu einem Rückschlag für Eisai. Das Gericht machte zwar einige Auflagen, hielt die Entscheidung jedoch grundsätzlich für richtig. Ein anderer Streit entbrannte um das Brustkrebs-Medikament Herceptin, welches im NHS nicht in einer Frühphase verschrieben wurde. Da es die Beschwerde einer Patientin bis auf die Frontseiten der nationalen Zeitungen geschafft hatte, sprang die damalige Gesundheitsministerin ein und erklärte, dass alle Patienten Herceptin haben könnten.“170 Medikamentenpreise und Gesundheitskosten werden in Großbritannien durch Empfehlungen des NICE somit begrenzt. Die Wettbewerbsbehörde OFT (Office of Fair Trading) beurteilt den Preis eines Medikaments in Relation zum Patientennutzen. Nach Schätzungen können Mio.Pfund 500 p.a. durch diese Beurteilungen eingespart werden. Da für sehr effektive Medikamente mit hohem Zusatznutzen auch höhere Preise gezahlt würden, werden Innovationen belohnt. “Ein grundsätzliches Problem des wertbasierten Ansatzes ist, den Nutzen neuer Medikamente zu quantifizieren. Ist ein zusätzliches Lebensjahr 20.000 oder 30.000 Pfund wert, wie das NICE mit seinem Konzept der „Qualitäts-bereinigten“ Lebensjahre annimmt, oder unbezahlbar? Wie bewertet man es, wenn jemand schneller aus dem Spital entlassen wird und an den Arbeitsplatz zurückkehren kann? Annahmen über den Nutzen unterliegen weitgehend Schätzungen. Die Berücksichtigung des Nutzens für Patienten und Gesellschaft ist dennoch eine Entwicklung, die mehr und mehr kommen wird. Die Methodik und die Standards für die Modellierung sind allerdings noch nicht ausgereift und müssen weiter entwickelt werden. Überlässt man dieses Feld den Pharmafirmen, kann man davon ausgehen, dass der Nutzen neuer Medikamente sehr weit definiert wird. Das spricht nicht gerade für tiefere Medikamentenkosten.“171
Von diesen beiden Instrumenten sollte unsere Gesundheitspolitik lernen. Wenn Medikamente den Patentschutz verlieren, können auch andere Hersteller diese Medikamente als Generika anbieten. Die Preise der Generika liegen bis zu 90 % unter den vorherigen Preisen unter Patentschutz (z.B die Preise für Ciprofloxacin und Cisplatin reduzierten sich nach Ende des Patentschutzes um ca. 90 %). Der Mengenanteil an Generika im Apothekenmarkt Österreichs erhöhte sich von 7,4 % im Jahr 2000 auf 25 % und verursachte 14,5 % der Kosten im Jahr 2007172 (der vom Pharmaverbandes Pharmig ge-
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Vgl. NZZ vom 5.10.2007, S. 13: Wie viel soll ein Medikament kosten? Briten experimentieren mit Kosten- Nutzen-Berechnungen NZZ vom 5.10.2007, S. 13: Wie viel soll ein Medikament kosten? Briten experimentieren mit Kosten-Nutzen-Berechnungen Gesundheit Österreich: PPRI Austria, May 2008, S. 64 PPRI Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information: Austria, May 2008.
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nannte Marktanteil von 41 % für Generika enthält auch nicht verschreibungspflichtige Medikamente). In anderen Staaten liegt der Mengenanteil verschreibungspflichtiger Medikamente deutlich über 50 %. Als Anreiz zur Erhöhung des Generika-Anteils wurde die Patientenzuzahlung für Generika in Deutschland und in der Schweiz halbiert (in Deutschland von € 10 auf € 5). Um den Wettbewerb der Generika Anbieter zu intensivieren, hat die AOK Deutschland (mit 25 Millionen Versicherten) 89 Generika – Wirkstoffen mit folgendem Ergebnis ausgeschrieben:173 x 49 Generika-Wirkstoffe wurden an internationale, in Deutschland bisher schwach vertretene Hersteller vergeben, deren Umsatz sich verzwanzigfachte (Teva aus Israel, Actavis aus Island, Ranbaxy aus Indien). Diese Generika können nunmehr Patienten ohne die Zuzahlung von € 5 bis 10 bekommen. x Die drei großen Hersteller Hexal, Ratiopharm und Stada beteiligten sich nicht an der Ausschreibung und verloren bei AOK Versicherten damit ca. 10 % an Marktanteil. Die Verweigerung der drei großen Anbieter war der Versuch, den Preiswettbewerb durch die Ausschreibung zu verhindern und weiterhin höhere Preise zu verrechnen. Bei der neuerlichen Ausschreibung im Jahr 2008 werden sich die drei großen Anbieter wohl auch beteiligen. x Der Anteil der ausgeschriebenen Generika beträgt je nach Wirkstoff 25–40 % und die Einsparung für die AOK im Jahr 2007 Mio€ 100 (Potential: Mio€ 300). Der Pharmamarkt funktioniert sowohl bei Generika wie auch bei patentgeschützten Medikamenten nur mangelhaft, da die Verschreibung patentgeschützter Medikamente ohne wesentliche Vorteile durch die Bewerbung bei Ärzten auch bei hohen Preisdifferenzen weiterhin erreicht werden kann. Daher entschied sich auf öffentlichen Druck hin die Pharmaindustrie zu „freiwilligen Preissenkungen“174 in der Schweiz, in den USA und in Deutschland. Die Auseinanderssetzungen um die Medikamentenpreise ist in mehreren Staaten in vollem Gange. Die großen Pharmaunternehmen bereiten sich darauf vor, indem sie derzeit mittelgroße Generikahersteller kaufen und damit auch diesen Markt besser steuern können. Eine Kostenentlastung für rezeptpflichtige Medikamente kann auch durch die Veränderung der Vertriebswege erfolgen.175 x Da Apotheken bisher nur von Apothekern geführt und keine Filialen in Österreich betreiben dürfen, bilden sich bisher keine großen Apo-
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174 175
Autoren: Gesundheit Österreich GmbH/Geschäftsbereich ÖBIG: Christine Leopold, Claudia Habl NZZ vom 5.6.2007, S. 9: Deutsche Generika-Preise unter Druck. AOK kaufen mit Rabatt ein NZZ vom 21.7.2006: Die Medikamentenpreise sinken. Pharmig Info 2/2008, S. 5
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thekenunternehmen. Die Liberalisierung des Apothekenmarktes steht aber in der EU vor der Tür. Die EU-Kommission will etwa von Deutschland wissen, „weshalb ein Apotheker höchstens vier Standorte betreiben darf. Zudem ist vor dem Europäischen Gerichtshof ein Verfahren anhängig, in dem geklärt werden soll, ob in Deutschland auch Kapitalgesellschaften ins Geschäft mit Apotheken einsteigen dürfen. Europas führender Pharma Grossist, Celesio, der in Deutschland unter dem Namen Gehe auftritt, hat sich bereits auf eine mögliche Liberalisierung auf dem Heimatmarkt vorbereitet.“176 Celesio betreibt bereits in sieben europäischen Ländern 2.200 Apotheken. „In den Startlöchern für eine Liberalisierung bei Deutschlands Apotheken steht auch Europas Nr. 2, die Phoenix Pharmahandel der Familie Merckle betreibt 1.300 Apotheken. „Branchenbeobachter gehen davon aus, dass nach einer Liberalisierung mittelfristig etwa jede fünfte der 21.500 deutschen Apotheken zum Verkauf stehen könnte.“ (ebda.) Die Nr. 3 am deutschen Markt, die Anzag, bindet 1.200 Apotheken mit der Kooperation „Vivesco“ stärker an sich. Diese Apothekenketten werden von den Herstellern zu günstigeren Konditionen einkaufen und damit den GKVen auch bessere Konditionen bieten als Einzelapotheken. In Nordrhein-Westfalen (Deutschland) bieten Filialen der Drogeriemarktkette DM als Bestell- und Abholservice auch rezeptpflichtige Medikamente an. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte gegen diesen Bestell- und Abholservice keinen Einwand. Mit einer Drogeriemarktkette können niedrigere Aufschläge als mit Apotheken vereinbart und damit Medikamente billiger vertrieben werden. Die Bestellung über Internet bei Versandapotheken und Lieferung ins Haus reduziert Vertriebskosten. Die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton schätzt, dass in absehbarer Zeit mehr als die Hälfte der heute über den Großhandel vertriebenen Pharmazeutika direkt von den Herstellern an die Apotheken geliefert werden. Wenn Apothekenketten voraussichtlich ab 2009 EUweit und somit auch in Österreich möglich sein könnten, können Pharmafirmen einfacher flächendeckende Lieferverträge abschließen.177
Wegen des mangelhaften Gesundheitsmarkts sind staatliche Regelungen zur Begrenzung der Pharma – Gewinne u. a. zur Wettbewerbsintensivierung unumgänglich. Günstig wäre dafür eine EU-Institution, da KostenNutzen-Analysen aufwändig sind und die Pharmaindustrie mit einer starken Lobby und hohen Investitionen bereit ist, Begrenzungen zu verhindern oder zu bekämpfen. Der Einsatz von Generika kann gefördert und damit der Wettbewerb intensiviert werden. 176
177
NZZ vom 11.3.2008, S. 13: Die deutschen Pharma-Grossisten bereiten sich auf die Marktliberalisierung vor Vgl. Pharmig Info 2/2008, S. 5
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4.1.13. Europäische Integration Die fortschreitende Industrialisierung des Gesundheitssystems wird einen europäischen Gesundheitsmarkt mittelfristig herbeiführen. Schon jetzt können sich Patienten in Notfällen und, wenn zu lange Wartezeiten auf Behandlungen in den Heimatstaaten bestehen, in allen EU-Staaten zu Lasten der Sozialen Krankenversorgung des Heimatstaats behandeln lassen. Noch 2008 wird dieses Recht zur Behandlung in einem anderen EU-Staat voraussichtlich auf geplante Behandlungen erweitert werden (vgl. 5.6.). Der Heimatstaat muss dann die Behandlungskosten bis zu den Kosten, die bei einer Behandlung im Heimatstaat anfallen würden, in das Ausland transferieren. Diese Regelung wird sowohl für Bürger mit Alterswohnsitz im EU-Ausland, u. a. in Österreich, als auch für die Behandlungen seltener und schwerer Erkrankungen in ausländischen medizinischen Zentren sehr wichtig werden. Vermehrt werden auch österreichische Patienten die Behandlung in deutschen Zentren beanspruchen, die durch Spezialisierung bessere Ergebnisse bieten können als österreichische Krankenhäuer mit breitem Spektrum. Die EU-Integration wird aber noch weiter fortschreiten: x Der Betrieb von Krankenhäusern und Praxen wird innerhalb der EU schrittweise liberalisiert werden. Gesundheitsunternehmen werden künftig Krankenhäuser und ambulante Zentren auch in anderen Staaten betreiben können. x Die Ausbildung und damit das Recht zur Berufausübung der Gesundheitsberufe wird in der EU harmonisiert werden. x Die Monopole der GKV, Ärztekammern und Krankenhäuser widersprechen dem Wettbewerbsrecht und es ist nicht auszuschließen, dass die Sinnhaftigkeit dieser Monopole, wie bereits in den Niederlanden und in Deutschland, in der EU hinterfragt werden wird. x Die Beurteilung von medizinischen Innovationen kann EU-weit koordiniert werden und Health Technology Assessments auf der europäischen Ebene erfolgen. x Der Markt für Medikamente wird sich erweitern. Die Pharmaindustrie wird sich gegen Parallelimporte nicht mehr wehren können und einheitliche Preise für die EU festsetzen. x Die Beschränkung des Vertriebs von verschreibungspflichtigen Medikamenten über den nationalen Großhandel und die Apotheken wird fallen and andere Vertriebskanäle mit vergleichbarer Sicherheit eröffnet werden (vgl. 4.1.12). Von Österreich aus und nach Österreich herein besteht bereits ein starker Leistungsaustausch. Viele Patienten aus Westösterreich suchen medizinische Zentren in Süddeutschland auf, wenn sie in den eigenen Spitälern nicht die erwarteten Behandlungen erfahren, oder werden in süddeutsche Reha-Zentren überwiesen, weil in Österreich Reha-Ressourcen fehlen. In den Grenzregionen pendeln viele Patienten aus Deutschland oder Italien nach Österreich, wenn dort das nächste Krankenhaus näher liegt. Dafür wurden Einzelverträge
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mit den angrenzenden Regionen in Süddeutschland und Südtirol auch mit unterschiedlichen Preissystemen geschlossen: 8 % der Patienten des LKI kommen aus Italien, aus der Region südlich von Rosenheim pendeln viele Patienten ins KH Kufstein und aus der südöstlichen Region Bayerns nach Salzburg. Sowohl das LKH Salzburg als auch das KH Kufstein verrechnen noch Tagsätze statt der hohen LKF-Entgelte, um das Einpendeln dieser Patientengruppen nicht zu verhindern. Bei einem einheitlichen Preissystem würden in den Grenzregionen noch mehr Patienten in die österreichischen Krankenhäuser einpendeln. Auch für Ungarn und Tschechien sind Regelungen für das Ausund Einpendeln von Patienten erforderlich. Es besteht die Gefahr, dass Österreich aus dem Dornröschen Schlaf mit staatlicher Planwirtschaft, GKV-Monopol und Kartellen der Ärztekammer überrascht erwachen wird und sich in einem europäischen Gesundheitsmarkt wieder findet, den Gesundheitsunternehmen aus anderen Staaten beherrschen. Österreich sollte diese Herausforderung annehmen und frühzeitig geeignete Strukturen aufbauen, die ausländische Patienten dazu veranlassen, österreichische Spitäler aufzusuchen.
4.2. Staatliche Gesundheitssysteme Großbritanniens National Health Service (NHS) wurde am 5.7.1948 eingerichtet und bietet einen kostenlosen staatlichen Gesundheitsdienst von der Wiege bis zur Bahre. Er wurde zum Vorbild der staatlichen Form Sozialer Krankenversorgung in Spanien, Italien, Großbritannien, Skandinavien und für die Krankenversorgung der über 65-Jährigen und Armen in den USA. Das staatliche Gesundheitssystem x finanziert und steuert die gesamte Soziale Krankenversorgung durch x eine staatliche, politisch gesteuerte Mammut-Organisation (UK, USA) oder x regionale Gesundheitsorganisationen (Skandinavien, Spanien), x erbringt die Leistungen in eigenen, ausgegliederten oder vertraglich verbundenen Krankenhäusern und x hat für die ambulante Versorgung eigene Ambulatorien oder Leistungsverträge mit Praxen. Der NHS wird von den britischen Bürgern sehr geschätzt, steht aber auch wegen mangelnder Qualität und wegen der Wartezeiten auf Facharztbehandlungen und Operationen seit vielen Jahren in der Kritik. Die Labour Regierung versuchte diese Qualitätsdefizite durch Budgetaufstockungen zu beseitigen: Seit 2000 wuchs das NHS-Budget jährlich um 7,4 % und verdoppelte sich damit seit dem Antritt der Labour-Regierung im Jahr 1997. Zusätzliche 300.000 Mitarbeiter wurden eingestellt; damit beschäftigt der NHS derzeit ca.
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1,3 Mio. Mitarbeiter.178 Noch schneller als die Anzahl der Pflegemitarbeiter ist die Anzahl der Managementberater gewachsen. Für eigentliche Verbesserungen der Gesundheitsversorgung blieben vermutlich nur zwischen 13 und 23 % der zusätzlich bereitgestellten Finanzmittel.179 Da die Probleme auch mit mehr Geld nicht zu beheben waren, wird die Regierung um eine grundsätzliche Änderung ihres NHS nach den nächsten Wahlen nicht herumkommen. Bei der Einrichtung des gigantischen EDV-Systems für den NHS zeigen sich die Nachteile bürokratischer Strukturen: „Der Riesentanker NHS ist nur schwer steuerbar...Die Gesamtkosten des wohl größten Software-Projektes der Welt werden sich in den nächsten 10 Jahren eher auf 20 Mrd. Pfund belaufen als auf die 6,2 Mrd. Pfund, die zuvor genannt worden waren“ (ebda.). Erfolgreicher als der zentralistische NHS sind die regionalen staatlichen Gesundheitssysteme Skandinaviens. „Je weiter Sie nach Norden gehen, desto eher können Sie eine rationale Diskussion zu diesem Thema führen. Das liegt sicher auch am Protestantismus. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Länder aufgeklärter sind und ein größeres Potential für zweckrationale Diskussionen haben als jene, in denen die Gegenreformation gesiegt hat, wie in Österreich.“180 Die Gesundheitskosten stiegen in Dänemark und Schweden weniger stark als in unseren GKV-Systemen und zudem wurden dort Akutbetten abgebaut und Leistungsbegrenzungen im Praxisbereich möglich. Die 14 Länder Dänemarks (5,5 Millionen Einwohner) sind in 5 Regionen, 14 Versorgungsregionen und 98 Kreise eingeteilt. Dafür reichen 60 Krankenhäuser mit insgesamt 21.000 Betten (Österreich 2005: 264 Krankenhäuser mit 65.252 Betten181). Die Versicherten sind bei Hausärzten eingeschrieben und für jeweils 1.600 Personen reicht ein Hausarzt. Überweisungen zu Fachärzten veranlassen nur die Hausärzte. Hohe Selbstbehalte für Medikamente (50 %) und Zahnärzte (80 %) helfen die Kosten zu begrenzen. Nur 9,1 % des BSP (Österreich: 10,2 %) werden für die Soziale Krankenversorgung ausgegeben und davon werden 87 % aus Steuern finanziert. Mit Privaten Krankenversicherungen können Wartelisten umgangen werden. Besonders erfolgreich agiert das staatliche Gesundheitssystem in Schweden:182 Der höchste Anteil der über 80-Jährigen in Europa, die Indikatoren der Lebensqualität gehören weltweit zu den höchsten und der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP liegt mit 9,1 Prozent niedriger als in den meisten Industriestaaten. Den guten Werten bei den Indikatoren der Lebensqualität steht allerdings eine große Unzufriedenheit sowohl der Patienten als auch der Leistungserbringer gegenüber. Dies wird auf die weitgehend staatliche Organisati178 179 180
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NZZ vom 8.3.2006, S. 3: Britischer Gesundheitsdienst in neuer Krise NZZ vom 8.6.2006, S. 9: Der britische Gesundheitsdienst schlingert. Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S. 13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“ Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger. Die österreichische Sozialversicherung in Zahlen. 19. Ausgabe: August 2007 Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 43, 44, 46, 47
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on und Lenkung zurückgeführt. Die Regierung gibt lediglich die zentralen Leitlinien im Health Act vor. Jede der 21 Provinzen ist selbst für die Sicherstellung und Koordination der medizinischen Versorgung zuständig und legt die Höhe der einkommensabhängigen Beiträge der Bürger zur Finanzierung der Sozialen Krankenversorgung fest (im Durchschnitt etwa 11 % des Einkommens). Die restliche Finanzierung erfolgt über Zuschüsse der Zentralregierung (ca. 16 % der Gesamtausgaben) sowie Patientengebühren (ca. 3 % der Gesamtausgaben). Nur ca. 2,3 % der Bevölkerung haben darüber hinaus eine private Zusatzversicherung. Die Facharztbehandlung findet zumeist in einem der 60 Spitäler statt und nicht ambulant wie beispielsweise in Deutschland und Österreich. Der Zugang zu den Spitälern ist allerdings durch lange Wartezeiten gekennzeichnet. Im Jahr 2005 wurde deshalb eine Behandlungsgarantie eingeführt, wonach kein Patient länger als drei Monate auf eine Behandlung warten soll. Dennoch ist der Anteil privat geleiteter Spitäler ansteigend. Disease Management Programme werden nicht Diabetes, Rheuma, Demenz, Krebs und Magersucht umgesetzt. Die an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer aller Stufen verpflichten sich zu einer engen Zusammenarbeit. Zur Sicherstellung einer hohen Qualität verfügt Schweden über umfassende medizinische Datenbanken, die Auskunft über den Erfolg von medizinischen Eingriffen geben. Die bekannteste Datenbank, das sogenannte Qualitätsregister, enthält Daten über den behandelten Patienten (u. a. Alter, Geschlecht und ausgewählte Risikofaktoren), das behandelnde Spital, die Diagnose, die angewandte Behandlungsmethode und das Behandlungsergebnis für 50 Krankheiten. Diese Transparenz hat zu einem Qualitätswettbewerb zwischen den Spitälern beigetragen. In Schweden wurden Selbstbehalte für Arztbesuche in den 90er Jahren eingeführt und damit die Inanspruchnahme der Praxen um ca. 5 % reduziert. Auch diese regionalen staatlichen Gesundheitssysteme in Skandinavien können Wartezeiten auf Behandlungen und Operationen und damit die Unzufriedenheit der Versicherten nicht verhindern. Die staatlichen Einrichtungen bezahlen zwar u. a. Ärzten niedrigere Einkommen und sind damit billiger, bieten aber keinen ausreichenden Anreiz zur Effizienzerhöhung. Daher wird z.B. in Schweden und Großbritannien zunehmend auch auf private Leistungserbringer zurückgegriffen. Das größte staatliche Gesundheitssystem haben die USA:183 Die ca. 11 % der Bürger mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze werden vom staatlichen Medicaid Programm versorgt, das paritätisch vom Bund und den Bundesstaaten finanziert wird. Die 13 % der über 65-Jährigen, der körperlich Behinderten und chronisch Kranken sind im ebenfalls staatlich finanzierten Medicare Programm versichert. Medicare und Medicaid Versicherte können sich auch statt von der staatlichen Behörde von einer HMO-Krankenversicherung
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Vgl. Zweifel/Schoder: Managed Care – ein internationaler Vergleich mit Lehren für die Schweiz: S. 72
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versorgen lassen. 2006 haben 6 Millionen Medicare und 27,7 Millionen Medicaid Berechtigte davon Gebrauch gemacht.184 Staatliche Gesundheitssysteme können leistungsfähig gestaltet werden, führen aber überall zu den bekannten Nachteilen politisch gesteuerter Systeme. Ein leistungsfähiges staatliches Gesundheitssystem benötigt einen gesellschaftlichen Konsens dafür, klare gesetzliche Vorgaben und eine gut organisierte staatliche Bürokratie. Manche spekulieren, dass auch Österreich sein Gesundheitssystem staatlich ausrichten sollte. Da Österreich weder über die Grundsatzentscheidung für ein staatliches Gesundheitssystem noch über die dafür erforderlichen Strukturen verfügt, dürfte eine weitere Verstaatlichung der Sozialen Krankenversorgung kaum realistisch sein. Die vermehrt staatlichen Strukturen ergaben sich in Österreich halbherzig aus Angst vor den Folgen eines Wettbewerbssystems und nicht aus Bekenntnis zu einem staatlichen Gesundheitssystem. Österreich schlitterte in die Richtung eines staatlichen Gesundheitssystems und benötigt jetzt eine klare Entscheidung für die Zukunft der Sozialen Krankenversorgung.
4.3. Das Risiko der Privaten Krankenversicherung: die MehrKlassen-Medizin Private Krankenversicherungen (PKVen) sind Wettbewerb ausgesetzt und müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Sie sind in verschiedenen Geschäftsfeldern tätig: x In Österreich als Zuatzversicherungen zur GKV. GKV Versicherte erhalten durch die Zusatzversicherung freie Arztwahl im Krankenhaus und die aufwändigere Unterbringung in Ein- oder Zweibettzimmern. x In Deutschland und in den Niederlanden als vollständige Krankenversicherung für Besser-Verdiener, die der GKV-Schutzmechanismen nicht bedürfen. Über 10 % der Versicherten in Deutschland sind PKV versichert. x In den Niederlanden als GKV. Da die PKV die sozialen Schutzbestimmungen der GKV einhält und sich der staatlichen Aufsicht unterwirft, kann sie dort zu GKV Bedingungen Versicherungen abschließen (vgl. 4.1.8.1.) x In den USA können über 65-Jährige ihren Anspruch an die staatliche Medicare gegen einen Vertrag zu einigen PKVen (HMOs) eintauschen. Medicare übernimmt die Kassenbeiträge dafür.
184
Vgl. Sanofi aventis Managed CareSeries 2006. Government Digest
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PKVen sind innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Gestaltung ihrer Vertragsbeziehungen in Österreich frei und müssen die Prinzipien der Sozialen Krankenversorgung nicht einhalten: x Keine Aufnahmepflicht. Versicherten mit höheren Gesundheitsrisiken oder Kranken kann die Aufnahme in die PKV verwehrt werden. x Adverse Selection. Durch gezielte Werbung können Versicherte mit geringeren Gesundheitsrisiken angesprochen werden. x Vertragsfreiheit. Sie müssen nicht mit allen Leistungsanbietern (Krankenhäusern) Verträge abschließen. x Angebotsdifferenzierung. Angebote für Versicherte können an wirtschaftlichen und medizinischen Erwartungen des Marktes angepasst werden. Diese PKV-Bedingungen sind für begüterte Versicherte, die der sozialen Schutzbedingungen nicht mehr bedürfen, akzeptabel. Als Krankenversicherung für Alle würden sie zu einer differenzierten Krankenversorgung je nach der Zahlungsfähigkeit der Versicherten führen. Das Ergebnis dieser Liberalisierung wäre eine unsolidarische Gesellschaft, die den Prinzipien des Europäischen Sozialstaatsmodells nicht mehr entspräche (vgl. 4.). Trotzdem schlagen fünf Schweizer Ökonomen in einem Buch eine derartige Liberalisierung der Sozialen Krankenversorgung vor.185 Die Autoren wollen das Krankenversicherungsobligatorium aufheben, von einer Sozialversicherung zu einer freiwilligen Privatversicherung, von einheitlichen auf risikogerechte Prämien übergehen, sich von einem für alle Patienten einheitlichen Grundleistungskatalog verabschieden und den Kontrahierungszwang generell aufheben. Nicht mehr der Staat soll Leistungen in Auftrag geben oder zur Verfügung stellen, sondern die Patienten bzw. die Versicherer kaufen die Leistungen bei ausschließlich privaten Anbietern ein. Folgen wir diesen Modellen, begeben wir uns auf einen abenteuerlichen Ritt in eine unsolidarische, sicher auch volkswirtschaftlich teurere Zukunft. Es bedarf gesetzlicher Vorgaben und Institutionen, um die Risiken einer solchen Entwicklung zu verhindern.
185
Vgl. W. Widmer, K. Beck, L. Boos, L. Steinmann, R. Zehnder: Eigenverantwortung, Wettbewerb und Solidarität. Analyse und Reform der finanziellen Anreize im Gesundheitswesen. Schriftenreihe SGGP 2007
5.
Staatliche Finanzierung macht Krankenhäuser zum Spielball der Politik
Der Einfluss der Gesundheitspolitik auf die Soziale Krankenversorgung kann auf zwei Ebenen erfolgen: x Mittelbar durch gesetzliche Steuerung und Kontrolle; x Unmittelbar durch operative Einflussnahme der Gesundheitspolitik in GKVen und Krankenhäusern und/oder durch die Finanzierung der Sozialen Ktankenversorgung aus öffentlichen Budgets mit entsprechender Einflussnahme durch die Politik. Der mittelbare Einfluss durch Gesetze, Verordnungen und Kontrollen ist unabdingbar. Die direkte Einflussnahme aber führt zu politisch motivierten Entscheidungen in der Betriebsführung mit Nachteilen für Kosten und Qualität.186 Die Gesundheitspolitik in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland entschied daher, GKVen und Krankenhausgesellschaften zu entpolitisieren. Der Staat zieht sich dort zunehmend auf die Vorgabe und Kontrolle zurück und überlässt innerhalb des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens selbständigen Krankenhaus- und GKV-Unternehmen die Betriebsführung mit Risiken und Chancen. Auch in den staatlichen Gesundheitssystemen Schwedens und Großbritanniens erhalten Krankenhäuser als selbständige, eigenverantwortliche Unternehmen eine zunehmende Bedeutung. In Österreich beeinflusst die Gesundheitspolitik die GKV- und Krankenhausunternehmen weiterhin mittelbar und zunehmend auch unmittelbar durch politische Eingriffe in die Unternehmensführung. GKVen und Krankenhäuser wurden nicht entpolitisiert und deren Betriebsführung blieb unter starkem Einfluss der Politik. Der zunehmende unmittelbare politische Einfluss auf die Unternehmensführung der Krankenhausunternehmen unterscheidet die österreichische Soziale Krankenversorgung von der in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland und widerspricht einer „State of the Art“- Gesundheitspolitik. Die Politiker sollten sich auf Vorgaben durch Gesetze und auf Kontrollen begrenzen, obwohl sie damit einen für sie wichtigen Gestaltungsraum der politischen Profilierung verlieren.
186
OECD 1990
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5.1. Unter politischer Führung entwickeln sich keine Krankenhausunternehmen Gesundheitspolitiker streben eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung zu günstigen Kosten an. Sie müssen sich aber im Geflecht der politischen Interessen bewegen und auf dem Altar der Interessenspolitik diese allgemeinen Ziele immer wieder opfern, um an der Macht zu bleiben oder diese zu erringen. Im Alltag verbleibt daher häufig wenig von den hehren Zielen, weil die Interessen der eigenen Klientel oder der öffentlichen Meinung häufig wichtiger bewertet werden als die allgemein formulierten Ziele. Für Gesundheitspolitiker wird der Einfluss auf GKVen und Krankenhäuser in öffentlichem Eigentum zum politischen Gestaltungsraum, der eine Ausrichtung auf die medizinisch sinnvolle wirtschaftliche Leistungserbringung stark beeinträchtigen kann und häufig auch tatsächlich beeinträchtigt.
5.1.1.
Ziele und Kompetenzen politischer Entscheidungsstrukturen
Da erfolgreiche Politiker Wahlen gewinnen müssen, sollte die Zustimmung der Wähler zur eigenen Politik ihr prioritäres Ziel sein. Erfolgreiche Politiker streben daher mit politischem Instinkt und Verstand mehr oder weniger die folgenden Ziele an: x Sie müssen sich als Interessensvertreter der Wähler verstehen. Da viele Wähler gut ausgestattete Krankenhäuser mit zufriedenem Personal hoch schätzen, wird der Einfluss der Politiker auf die Krankenhäuser sehr aufmerksam verfolgt. Politiker können daher mit entsprechenden Maßnahmen bei Wählern gut punkten. x Sie finanzieren mit mehr Geld neue Leistungen in Krankenhäusern und bewirken damit auch, dass die Krankenhäuser immer teurer werden. x Weil Wähler keine unzufriedenen Ärzte und Krankenschwestern wollen, gestehen Politiker Ärzten und Pflegepersonal eher Einkommenserhöhungen zu. x Sie muten den Wählern keine Veränderungen in der Krankenversorgung zu, die Ängste auslösen könnten. Sie versprechen Stabilität und riskieren auf keinen Fall den Eindruck, dass die Soziale Krankenversorgung durch Veränderungen beeinträchtigt werde könnte. Da auf Interessengruppen bei Veränderungen mehr Arbeit, unangenehme Umstellungen, weniger Geld oder weniger Einfluss zukommt, versuchen sie Veränderungen medial zu verhindern. Wenn diese Betroffenen über die Medien um Sympathie werben, wird die Politik leicht erpressbar. So könnten etwa durch die Umwandlung sehr kleiner Primariate zu Departments ohne Nachteile für Patienten getrennte Ärztliche Nachtdienste und die Primariatsinfrastruktur eingespart werden. Manche Primariate bestehen nur in wenigen Zentralkrankenhäusern aus historischen Gründen und sind medizinisch nur schwer zu be-
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gründen. Eine Veränderung dieser ungünstigen Strukturen wird aber leicht als Geringschätzung einer Patientengruppe medial interpretiert und kann damit in einem verpolitisierten Umfeld nicht umgesetzt werden. Die Politiker versuchen, die „Meinungsbildner“ der Medien für sich zu gewinnen, um negative Berichte zu verhindern und die positive Darstellung zu verfestigen. Die Macht dieser Meinungsbildner geht so weit, dass sie Entscheidungen im Krankenhaus erzwingen können, wenn sie mit negativen Berichten im Wahlkampf drohen. Politiker neigen dazu, Netzwerke mit Personal- und Kaufentscheidungen abzusichern und versuchen jene des politischen Gegners zu schwächen. Primariate und Manager der Krankenhausgesellschaften werden oft nach politischen Kriterien und nicht nur nach Kompetenz ausgewählt (ein „Schwarzer“ und ein „Roter“). Mit Kaufentscheidungen in Krankenhäusern für IT, Lebensmittel, Bauten können Netzwerke gestärkt oder geschwächt werden. Mit der Freigabe von Investitionen für einzelne Kliniken kann die politische Loyalität von Primaren belohnt werden. Dies ist oft Ursache für die sehr unterschiedliche Ausstattung von Primariaten im selben Krankenhaus. Landespolitiker benötigen Gestaltungsbereiche, um sich den Wählern als kompetent darstellen zu können. Da die Gesundheitspolitik national entschieden wird, bleibt ihr nahezu nur der Einfluss auf die regionalen Krankenhäuser. Entpolitisierte Krankenhausunternehmen stehen daher im Widerspruch zum politischen Ziel der Landespolitiker, mit Entscheidungen für Spitäler zu „punkten“. Dies zeigt sich am Beispiel Niederösterreich: Dort wird ein staatliches Krankenhaussystem ohne Trennung von Angebot und Nachfrage betrieben, eigentlich kein Ziel konservativer Politiker. Da nur wenig andere Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, konzentriert sich der Landeshauptmann aber auf dieses Thema.
Die direkten oder indirekten Einflussnahmen der Gesundheitspolitiker in das Krankenhausmanagement sind primär an den o.a. politischen Zielen orientiert. Zusätzlich hängen sie von den Faktoren politische Stärke und Managementkompetenz ab. x Mit einer soliden Mehrheit oder einer großen zeitlichen Distanz zur nächsten Wahl sind Landespolitiker eher bereit, Veränderungen auch gegen medialen Widerstand durchzusetzen, als solche, deren Erfolg bei den anstehenden Wahlen auf Messers Schneide steht. x Da Politiker in Österreich auch in die operative Geschäftsführung der Krankenhausunternehmen eingreifen, würden sie dafür auch Managementkompetenzen benötigen. Politiker aber werden nach den für politischen Erfolg erforderlichen Kompetenzen ausgewählt und erfahrene Manager finden kaum den Weg in die Gesundheitspolitik. Deshalb werden Funktionäre Politiker und leiten ohne jede Management-
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erfahrung und -kompetenz das Krankenhausmanagement an. Weil Manager und Politiker wegen des unterschiedlichen Erfahrungshintergrunds sehr unterschiedlich arbeiten und verschiedene Problemlösungen suchen, ergeben sich daraus auch Kommunikationsprobleme. Es bedarf einer Führungskompetenz gegenüber den Managern. Zielvereinbarungen und Beurteilungsgespräche wie in einem zeitgemäß geführten Unternehmen erfolgen nach meinem Wissen in kaum einem Bundesland durch die verantwortlichen Politiker. Diese sind aber Voraussetzung für eine abgestimmte Zielverfolgung und ermöglichen eine nachvollziehbare Leistungsbeurteilung. Ohne diese sind Erfolg oder Misserfolg kaum zu beurteilen und die Beurteilung erfolgt nach „weichen“ und emotionalen Kriterien. Zuletzt wurden zahlreiche Verträge mit Krankenhausmanagern nicht verlängert und mir ist kein Fall bekannt, in dem dies etwa wegen der Nicht-Erreichung qualitativer oder finanzieller Ziele erfolgt wäre. Zumeist war den Managern die Zielerreichung jährlich bestätigt worden. Die Entscheidungen fallen somit eher willkürlich, wenn nicht gar emotional, und bleiben intransparent. Politiker bräuchten Kompetenz in wirtschaftlicher Führung. Zur Finanzierung der expansiven Pläne sucht jedes Unternehmen Einsparpotentiale im Betrieb und Potentiale für zusätzliche Erlöse. Die Effizienzerhöhung ist daher ein permanenter Anspruch an das Management. Den meisten Politikern fehlen diese Erfahrungen und sie können daher kaum beurteilen, wie mit knappen Mitteln in einem zeitgemäßen Unternehmen umzugehen ist. Sinnvolle Veränderungen werden daher kaum eingefordert und erfolgreiche Veränderungen mit Zusatzerlösen oder Kostenreduzierungen ohne Qualitätsnachteile nicht registriert. Da derartige Erfolge kaum zählen, aber Risiken im Veränderungsprozess enthalten, bleiben viele Effizienzpotentiale in den österreichischen Krankenhäusern weiterhin ungehoben. Nach meiner Beobachtung liegen in den österreichischen Krankenhäusern Effizienzpotentiale von mindestens 15 %. Es besteht aber kein Anreiz, dieses Potential zu heben. Diese Meinung wird durch meine Erfahrung bestätigt: mit Mitarbeitern veranlasste und kontrollierte ich als Verwaltungsdirektor der Universitätsklinik Innsbruck in jedem Jahr Projekte mit effektiven Einsparungen zwischen einer und drei Millionen € (Zusammenfassen von Laboren, Modernisierung der Transportdienste, Rationalisierung der Wirtschaftsbetriebe, Rechnungswesen, Einkauf, Dienstveränderungen, etc.). Diese Erfolge wurden von der Politik nicht registriert. Es gehört aber zu einem professionellen Führungsstil, dass erbrachte Leistung und das Erreichen von Zielen anerkannt und die Nichterbringung kritisiert wird. Vertrauensverhältnisse und klare Entscheidungsstrukturen haben für den Erfolg im Unternehmen eine entscheidende Bedeutung. Politiker halten Vertrauensverhältnisse oft nur entlang der Parteizugehörigkeit
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und daher nur begrenzt zu den Entscheidungsträgern, die nicht der eigenen Partei zuzurechnen sind. Damit entstehen fragile Arbeitsbündnisse, die leicht durch externe Einflüsse beeinträchtigt werden können, Zwist, der eine erfolgreiche Arbeit verhindert. Vertrauensverhältnisse sind neben Kompetenz aber die wichtigste Grundlage für Unternehmenserfolg. Gesundheitspolitiker müssten Kompetenz zur Strategieentwicklung haben, da die Rahmenbedingungen auch der Krankenhausunternehmen kontinuierlich Veränderungen unterworfen sind: Die Nachfrage verändert sich, d.h. die Erkrankungen und die Erwartungen der Patienten an das Krankenhaus. Denn das Angebot verändert sich, d.h. die organisatorischen und technischen Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie, wie sie vom eigenen Unternehmen oder anderen Krankenhäusern entwickelt wurden (etwa die Zentrumsmedizin) oder von externen Anbietern offeriert werden (neue Implantate, Medikamente, Organisationsveränderungen). Ein Beispiel: Mit der Veränderung der Therapie der Magenerkrankungen von chirurgischen zu medikamentösen Methoden führte zwar zu Zusatzkosten für Medikamente aber kaum zu Einsparungen in den chirurgischen Abteilungen durch Rückgang der Operationen bei Magenerkrankungen. Die Rahmenbedingungen verändern sich, d.h. das Verhalten von Konkurrenten, die Finanzierung der Leistungen, etc. Das Unternehmen ist umso erfolgreicher, je besser es sich auf diese Änderungen strategisch einstellt. Die erfolgreiche strategische Planung baut auf die Analyse der IST-Situation auf und entwickelt Maßnahmen zur Veränderungen des eigenen Unternehmens, um auf die externen Veränderungen entsprechend zu reagieren. Aufgrund der Veränderungen der strategischen Planung erfolgt ein kontinuierlicher Umschichtungsprozess innerhalb der Budgets. Die Budgets zukunftsorientierter Bereiche werden ausgeweitet, Budgets der Bereiche mit geringer Bedeutung für die künftige Entwicklung reduziert. Veränderungen der strategischen Ausrichtung führen somit zu Verlierern und Gewinnern und sind mit dem Risiko des Protests der Betroffenen in den Medien oder bei Meinungsbildnern verbunden. Dazu gehören Maßnahmen, wie die Schließung eines Krankenhauses oder einer Abteilung, Veränderungen der Primariatsstrukturen, Reduzierung der Anzahl an Betten und OPs, gemischte Belegung von Stationen, Zusammenführung von Laboren, etc. Politiker werden solche Veränderungen zumeist nur dann akzeptieren, wenn damit keine oder kalkulierbaren politischen Nachteile verbunden sind. Maßnahmen sollten daher entweder so eindeutig notwendig sein, dass sie medial nicht gegen die Politiker gerichtet werden können, oder durch Veränderungen sollten keine Partialinteressen berührt werden. Da Wähler mit Veränderungen, z.B. die Reduzierung
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des einen und die Ausweitung des anderen Bereichs, primär Kostenreduzierungen und geringere Qualität in Verbindung bringen, sind solche Veränderungen in einem verpolitisierten Umfeld oft nicht möglich. Damit verbleiben für Politiker als tragbare Veränderungen nur Leistungserweiterungen und Neubauten, mit denen politisch gepunktet werden kann. Daher ist es für mich nicht erstaunlich, dass der Krankenhausbereich in Österreich teurer ist als in anderen Sozialstaaten. Da die Politik in allen Bundesländern unmittelbaren Einfluss auf die Krankenhausführungen nimmt, muss das Krankenhausmanagement die Ziele der Gesundheitspolitiker übernehmen, wenn es nicht in Ungnade fallen will. Daher ist die Angleichung der Interessen verantwortlicher Politiker mit denen der Manager hilfreich und es ist zu empfehlen, dass Krankenhausmanager der Partei der leitenden Gesundheitspolitiker angehören um stabile Vertrauensverhältnisse zu ermöglichen. Der rationale Krankenhausmanager übernimmt dann die Ziele der leitenden Politiker und begrenzt sich auf die: x Produktion von Leistungsverbesserungen als politisch nutzbare Erfolgsmeldung; x Vermeidung von Unruhe und medialer Missstimmungen; x politische Loyalität. Daher werden zunehmend politisch loyale und medial aktive Gefolgsleute als verlängerter Arm der Gesundheitspolitik gesucht, auch wenn diesen die Voraussetzungen zur Unternehmensführung fehlen. Z.B. wurden Funktionäre und Ärzte, häufig ohne theoretische und praktische Kenntnisse in strategischer und operativer Planung, Personal- und Finanzmanagement, Projektmanagement, Planung und Controlling, in Managementpositionen gehoben, ohne ihnen die Zeit zu geben, sich im neuen Berufsfeld zu orientieren und zu bewähren. Der Wechsel eines Funktionärs oder Arztes in das Management ist ein Berufswechsel, bei dem er sich die Managern vergleichbaren Kenntnisse und Erfahrungen erst aneignen müsste. Weil sie ohne ausreichende Erfahrung in das Management gewechselt waren, scheiterten mehrere Ärzte in ihren Managementkarrieren in Österreich. Politiker haben gegenüber den Geschäftsführern der Krankenhaus GesmbHs ein Weisungsrecht. Ich hatte in Innsbruck und Salzburg mit insgesamt zehn Politikern beider großen Parteien jeweils engeren Kontakt und konnte zumeist keinen Unterschied feststellen: sie wollten alle das Beste, waren von Einflussnahmen gesteuert, handelten primär politisch, viele waren im Management völlig unerfahren und handelten häufig entsprechend. Eine positive Ausnahme bildeten zwei Landesräte in Tirol, die über Parteigrenzen hinweg sich zur Entpolitisierung der Krankenhäuser entschieden hatten, ohne damit politische Vorteile anzupeilen. Sie hatten die fatale Auswirkung des politischen Einflusses auf die Krankenhausführung richtig erkannt und verantwortlich gehandelt.
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Eine gefährliche Melange kann sich bei folgender Konstellation ergeben: x Unkündbare Primarärzte, die durch politische Vertrauensverhältnisse bzw. persönliche oder medizinische Autorität das Vertrauen der Gesundheitspolitiker erringen; x Manager mit zeitlich befristeten Verträgen und ohne Vertrauensverhältnisse zu den verantwortlichen Politikern. Dienstvertragsverlängerungen von Managern können dann von ihren eigenen Mitarbeitern, den Primarärzten beeinflusst werden. Wie wird sich z.B. ein 40 Jahre alter Manager mit drei Kindern und einem Fünfjahresvertrag verhalten, wenn unkündbare Primarärzte den direkten Weg zu Gesundheitspolitikern suchen, finden, und dort ihre Interessen platzieren können? Kann er noch Primariatsstrukturen ändern oder Partialinteressen gefährden? Sogar einfache Änderungen, etwa im Patiententransport oder in der Labororganisation, können bei diesen Verhältnissen verhindert werden. Ein Beispiel für eine politisch dominierte Unternehmensentscheidung: In der Steiermark stand zur Diskussion, statt der beiden ca. 10 km entfernten Krankenhäuser Judenburg und Knittelfeld nur noch eines der beiden Krankenhäuser zu betreiben oder ein Krankenhaus neu zu errichten. Durch die Zusammenführung zu einem Krankenhaus reduzieren sich die Betriebskosten ohne medizinische Nachteile um Mio€ 2–3 p.a. Zudem führt die auf zwei Krankenhäuser aufgeteilte Chirurgie bzw. Innere Medizin in der Notfallversorgung und bei der integrierten Behandlung von Patienten zu medizinischen Nachteilen. Die Politik entschied vorab, die beiden Krankenhäuser zu erhalten, das Management fand für diese medizinisch und wirtschaftlich ungünstige Variante (unschlüssige) Begründungen und setzte die Vorgabe als eigene Entscheidung um. Im Gegensatz dazu gelang es am Anfang der Regierungsperiode von Dr. Weingartner in Tirol bei einer ähnlichen Problemstellung (das Krankenhaus Wörgl war ähnlich weit vom Krankenhaus Kufstein entfernt), das Krankenhaus Wörgl zu schließen und die regionale Krankenhausversorgung in Kufstein zu konzentrieren. Gegen Ende der Legislaturperiode wäre dies wohl kaum mehr möglich gewesen. Die Ziele der Gesundheitspolitiker müssen auch die – jeweils politischen Parteien zugeordneten – leitenden Beamten übernehmen. Daher orientieren sich die vorbereiteten Entscheidungen der Beamten im Zweifel an den politischen Zielen der herrschenden Politik und nicht an der Zukunft der Krankenhausunternehmen. Die Loyalitätsverhältnisse der verantwortlichen Beamten zu ihren Politikern werden dann zur Belastung, wenn etwa ein „schwarzer“ leitender Beamter unter einem „roten“ Gesundheitspolitiker – oder umgekehrt – die Gesundheitsabteilung leitet. Zudem fehlt den nachgeordneten Beamten häufig auch das „Handwerkszeug“ für eine professionelle Entscheidungsvorbereitung für die Politik. Aus den Unterlagen geht hervor, dass genehmigte Regierungsanträge für Investitionen, Gesellschaftsgründungen oder Strukturveränderungen oft nicht die für eine Beurteilung erforderlichen Informationen enthielten. Daher kam es auch
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zu Fehlentscheidungen. Die Analysen wurden mit Vollkosten erstellt und wiesen daher nicht aus, welchen Einfluss die Maßnahme auf das Betriebsergebnis tatsächlich nehmen wird. Manche Begründungen in den Regierungsanträgen wären in internationalen Unternehmen als Entscheidungsvorbereitung nicht ausreichend gewesen. In diesem Umfeld ergeben sich auch leicht Konkurrenzverhältnisse zwischen den leitenden Beamten und den Krankenhausmanagern über die Gestaltung der Krankenhäuser, die u. a. auf unterschiedlichen Erfahrungen und Zielen beruhen. Das Krankenhausmanagement wird somit oft von einer Gruppe im Management unerfahrener Personen dominiert. Wenn Krankenhausmanager versuchen, ihre Erfahrungen und Kenntnisse aus anderen Branchen im Gesundheitsbereich anzuwenden, etwa die Anpassung von Strukturen auch gegen innerbetriebliche Widerstände, können sie nur so lange erfolgreich sein, so lange Politiker ihre politischen Ziele damit nicht gefährdet sehen. Sie werden eingebremst, sobald politischer Schaden durch mediale Berichterstattung oder Mitarbeiterprotest bei Veränderungen entsteht. Auf der Strecke bleibt in diesem Umfeld die Modernisierung des Krankenhauses, die Partialinteressen einschränkt und Widerstände hervorruft. Damit kommt zum Ausdruck, dass der gestaltende Manager in diesem System kaum Platz hat. Für das Unternehmen Krankenhaus wichtige Maßnahmen müssen wegen des politischen Kalküls unterbleiben. Die Verpolitisierung des Krankenhausbereichs führt aber auch zu einer insgesamt unklaren Kompetenzlage: wer ist wirklich für die Krankenhäuser verantwortlich? x Sind es die Politiker? Dann braucht man keine Geschäftsführer sondern Ausführende der 2. und 3. Ebene. x Oder ist das Management verantwortlich? Dann müsste sich die Politik der Einflüsse entsagen. Die unklare Zuständigkeit führt auch zur Unsicherheit für alle Akteure: x Wenn Manager wissen, dass sie von der Landesverwaltung und den Politikern kontrolliert und begrenzt werden, verhalten sie sich nicht als Letztverantwortliche. x Da sich Politiker und Landesverwaltung ebenfalls verantwortlich fühlen und auch für das Krankenhausgeschehen medial verantwortlich gemacht werden, wollen sie über die Motive und Hintergründe von Entscheidungen im Detail informiert werden. Damit werden Manager nur noch Vorbereiter von Entscheidungen für die Politik. Die unklare Kompetenzlage verhindert Vertrauensverhältnisse, Argwohn und Misstrauen können einziehen. Z.B. können politische „Achsen“ Partialinteressen durchsetzen. Die negativen Folgen der politischen Dominanz und der damit verbundenen Einflüsse sind nur durch eine Entpolitisierung der Spitäler zu ändern. Wir haben kein Problem mit Politikern oder Parteien, sondern ein Systemproblem mit der „Verpolitisierung“.
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Die Folgen der Verpolitisierung der Krankenhäuser: x Das Krankenhaus wird zum Spielball der politischen Parteien. Durch die Verländerung der Krankenhausfinanzierung in Österreich werden die Landespolitiker von der Öffentlichkeit für positive und negative Veränderungen verantwortlich gemacht. Die Opposition wird Maßnahmen der regierenden Partei nach Möglichkeit kritisieren. Auf der Strecke bleiben das Krankenhaus und eine desorientierte Öffentlichkeit. In diesem Umfeld können Politiker keine Entscheidungen treffen, die dem politischen Gegner die Möglichkeit geben, sie als unsozial abzustempeln. x Die Besetzung der Führungspositionen in GKVen und Krankenhäusern wird in einem politisch geprägten Umfeld eher nicht nur nach Qualifikation und Leistungsfähigkeit, sondern auch nach den politischen Kriterien der Netzwerke erfolgen. In Österreich sind die Führungspositionen in der Sozialen Krankenversorgung, etwa im Hauptverband der Sozialversicherungen und in vielen Krankenhausgesellschaften, nach Parteizugehörigkeit zugeordnet. Politisch besetzte Führungspersonen müssen den politischen Entsendern loyale Entscheidungen sichern und sind damit Teil eines Netzwerks. x Leistungsausweitung als politischer Vorteil: Gesundheitspolitiker neigen eher dazu, Leistungen im Krankenhaus als in Praxen erbringen zu lassen, weil sie daraus politischen Vorteil ziehen können. Die Krankenhauslastigkeit in Österreich entstammt auch dem politischen Einfluss auf das Krankenhausmanagement. x Leistungsausweitung als Geschenk an Wähler: Z.B. die künstliche Befruchtung (IVF) oder die Behandlung mit homöopathischen Methoden ohne Wirkungsnachweis wird zu Lasten der GKVen zugestanden, wenn daraus politisches Kapital gewonnen werden kann. x Mediale Erpressbarkeit der Politiker: Durch medialen Druck auf die öffentliche Meinung können Pressure Groups ihre Interessen durchsetzen. Auch notwendige Maßnahmen werden regelmäßig verhindert oder erst gar nicht vorgeschlagen, weil nach medialem Druck durch Beteiligte die Landespolitik die Krankenhausführung kritisieren würde. Zahlreiche Beispiele aus meinem Berufsumfeld möchte ich hier nicht diskutieren. Aber z.B. war die Investitionsfinanzierung des Krankenhauses Klagenfurt seit Jahren als politischer Zankapfel zwischen den Parteien missbraucht worden. x Änderungen der Organisation der Spitäler sind nur möglich, wenn kein Partialinteresse berührt wird. Daher werden Spitäler nur ausgebaut und nicht begrenzt oder umstrukturiert. Die österreichische Gesundheitspolitik wird wohl dieselbe Erfahrung machen wie die niederländische. Dort „wollte der Staat die Verantwortung für das Erreichen der Ziele wie Qualität, guter Zugang zu Therapien, Effizienz und Leistbarkeit im Gesundheitswesen mit den Akteuren im Gesundheitssys-
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tem, insbesondere mit den Versicherern und Anbietern von medizinischen Leistungen teilen. Bei den Versuchen dies politisch umzusetzen, musste die Regierung die Erfolglosigkeit der bis dahin eingeführten Regulierungen erkennen und die Grenzen einer zentralen staatlichen Steuerung aufgrund der Komplexität des Systems akzeptieren. Als Ausweg aus dieser Situation fasste man die Leitidee eines Gesundheitssystems auf der Grundlage des regulierten Wettbewerbs ins Auge. In einem solchen System sollen miteinander konkurrierende Krankenversicherer die erforderlichen Gesundheitsdienstleistungen von miteinander im Wettbewerb stehenden Anbietern einkaufen.“187 Für mich stellt sich nur die Frage, wie lange es dauert, dass sich diese zeitgemäße Erkenntnis auch in Österreich durchsetzen wird. Wegen der objektiv gegebenen Prioritäten der politisch Handelnden und ihren begrenzten Erfahrungen im aktiven Management ist die Entpolitisierung der Gesundheitsunternehmen erforderlich, wenn Krankenhäuser und GKVen effizient geführt und auf die künftigen Aufgaben vorbereitet werden sollen. Nur nach deren Entpolitisierung können sich leistungsfähige Unternehmen entwickeln. Diese Erkenntnis hat sich in Österreich für die verstaatlichte Industrie, aber bisher nicht für den Gesundheitsbereich durchgesetzt.
5.1.2.
Management in wirtschaftlich selbständigen Unternehmen
Manager in privaten Krankenhäusern unter Wettbewerb müssen andere Prioritäten setzen als Manager, die von Gesundheitspolitikern dominiert werden. Sie müssen x strategische Ziele verfolgen, die am langfristigen Gedeihen des Unternehmens Krankenhauses orientiert sind (und nicht auf die politischen Ziele der Gesundheitspolitik Rücksicht nehmen), x über Vertrauensverhältnisse zu den Eigentümern verfügen (und nicht einer Partei angehören), x operativ handlungsfähig sein und Entwicklungen im Unternehmensumfeld frühzeitig erkennen (und sich nicht auf die Krankenanstaltenplanung verlassen) und x ihr Unternehmen rechtzeitig auf die zu erwartenden Veränderungen einstellen und Veränderungen vornehmen, um den Anforderungen entsprechen zu können. Da Bereiche und Personen bei diesen Änderungen gewinnen und verlieren, bedarf es einer handlungsfähigen Unternehmensführung, die nicht durch politischen Einfluss ausgehebelt werden kann. Manager in Krankenhäusern unter Wettbewerb müssen das Unternehmen an die Erfordernisse des Marktes, die Erwartungen der Kunden und den tech187
Brouwer/Rutten S. 11
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nologischen Fortschritt anpassen. Die nachgeordneten Mitarbeiter müssen diese Unternehmensziele übernehmen und werden an diesen Kriterien beurteilt. Patienten gehen eher in Krankenhäuser mit hoher und transparenter medizinischer Qualität, in denen auf Organisation, Komfort, Atmosphäre, Freundlichkeit, Qualität des Essens geachtet und ihre Intimität respektiert wird. Daher wird in einem entpolitisierten Krankenhaus unter Wettbewerb eher der Patient im Mittelpunkt stehen als im Landeskrankenhaus ohne Wettbewerb und es ist auch kein Zufall, dass private Krankenhausunternehmen die medizinische Qualität mutig öffentlich ausweisen und öffentliche nicht. Für handlungsfähige Manager aller Entscheidungsebenen besteht ein ausgeprägter Arbeitsmarkt. Als Manager der Krankenhausgesellschaften können somit erfahrene und kompetente Bewerber gewonnen werden. Klare und eindeutige Kompetenzen ohne externe Bevormundung sind Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg. Ausreichendes Wissen und Erfahrung sind Voraussetzung für erfolgreiches Management in diesem Umfeld.
5.1.3.
Krankenhäuser zwischen Politik und Selbständigkeit
Bis in die 1980er Jahre wurden die Landeskrankenhäuser aus den Landesverwaltungen heraus mit Zuständigkeiten mehrerer Landesräte geführt. Die offensichtliche Ineffizienz und Unbeweglichkeit der Krankenhäuser unter dieser Organisation verlangte nach einer Änderung. Krankenhäuser sollten zu selbständigen Wirtschaftskörpern werden und besser wirtschaften als im Schoße der Landesverwaltungen. Die Landesverwaltungen sollten sich auf Vorgaben und Kontrolle begrenzen, kompetente Manager die Krankenhäuser führen und Effizienzreserven heben. Nach dem Vorbild Vorarlbergs und der Steiermark wurden in den letzten zwanzig Jahren die Landeskrankenhäuser in Tirol, Kärnten, Burgenland, Oberösterreich und Salzburg in eigene Rechtskörper ausgegliedert und weitgehend verselbständigt. Die Ausgliederungen erfolgten aber leider nicht konsequent: x Die Kompetenzen für das Krankenhauspersonal blieben bei den Ländern. x Krankenhausmitarbeiter blieben Landesbedienstete und werden nach demselben Gehaltsschema eingestuft und bezahlt wie Juristen und Sachbearbeiter der Landesverwaltung. Für einen leitenden Oberarzt oder eine Krankenschwester sind andere Vergütungsformen erforderlich als für Verwaltungsangestellte oder -beamte. x Die Landespolitiker verhandeln weiterhin die Gehaltsstrukturen für Krankenhausmitarbeiter (Ärzte, Pflegemitarbeiter) und verteilen dabei auch großzügig Einkommenserhöhungen um politisch zu punkten. Die Krankenhausmanager bleiben oft ungern gehörte Ratgeber oder Zuschauer. In vielen Bundesländern ergaben sich dadurch wenig sinn-
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volle Vergütungsformen u. a. für Nachtdienste und eine Unzahl an Zulagen. Dieses unübersichtliche Gehaltssystem ist kaum geeignet, die besten Mitarbeiter für die Krankenhäuser zu gewinnen. Die Personalverwaltung, -abrechnung und -auszahlung für die Krankenhausmitarbeiter liegt in vielen Ländern noch bei der Landesverwaltung (u. a. in Salzburg und Kärnten) und diese weigert sich auch, diesen Einfluss aufzugeben. Die Leistungsfinanzierung der Krankenhäuser wurde nur halbherzig eingeführt. Nur ein Teil der Mittel wird nach Leistungen und ein großer Teil weiterhin nach leistungsunabhängigen Regelungen oder politischen Entscheidungen verteilt. Investitionen werden weiterhin aus den Landesbudgets finanziert und bleiben damit von politischen Entscheidungen abhängig.
Gehaltszusagen, Investitionsmittel und Betriebszuschüsse der Länder zu den Krankenhausgesellschaften werden auf diese Weise der Bevölkerung als soziale Tat präsentiert und die Krankenhausunternehmen bleiben unselbständige Subventionsempfänger. Für Krankenhausmanager blieb wichtiger, mit Politikern auf gutem Fuß zu stehen, als ihre Krankenhäuser zu modernisieren und mit medizinischer und organisatorischer Qualität Patienten zu gewinnen. Die Krankenhausgesellschaften konnten den Kostenanstieg zwar tatsächlich begrenzen und verbesserten die Krankenhausversorgung, blieben aber am Gängelband der Landespolitik und konnten und können nicht das volle brachliegende Potential nutzen. 1997 hatten die Länder die Krankenhausfinanzierung und die Steuerung der Krankenhäuser zur Gänze übernommen. Die begrenzte Ausgliederung der Landeskrankenhäuser wurde und wird seitdem teilweise wieder zurückgenommen. Die Krankenhäuser werden zwar nicht mehr in die Landesverwaltungen eingegliedert, aber zunehmend repolitisiert. Da die Politik mit Krankenhauspolitik punkten kann, wird die Möglichkeit in die Krankenhausgesellschaften hineinzuregieren vermehrt genutzt und die Krankenhausmanager werden mehr und mehr zum verlängerten Arm der Politik: x Obwohl die beiden GESPAG Vorstände (OÖe Krankenhausgesellschaft) erfolgreich gewirtschaftet hatten, wurden ihre Dienstverträge nur für zwei Jahre verlängert. Zweijahresverträge schaffen willfährige Manager aber keine Unternehmensstabilität. Daher wanderte einer der beiden Geschäftsführer in ein längerfristig gesichertes Dienstverhältnis ab. x In der Steiermark sind die KAGES Vorstandsposten weiterhin politisch besetzt. Solche Besetzungen verpolitisieren Unternehmensentscheidungen und behindern die Zusammenarbeit der Geschäftsführer. x In Kärnten wurde der Vertrag des erfolgreich und sehr selbständig agierenden KABEG Geschäftsführers nicht verlängert. Diese Ablösung erfolgte mitten in der Errichtungsphase des Bauprojekts LKH Klagenfurt mit einer Investitionssumme von MIO € 350 und geplan-
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ten Einsparungen an Betriebskosten von über Mio € 30 p.a. Die für die KABEG damit entstehenden Risiken waren wohl unwichtiger als die Entfernung eines selbständig agierenden Geschäftsführers. Die Konkurrenz der zwei Geschäftsführer hatte die TILAK über Jahre paralysiert. Wiederum wurden zwei Vorstandspositionen eingerichtet und damit über das bewährte Herrschaftsmittel – teile und herrsche – der politische Einfluss gewahrt. In Niederösterreich wird das verstaatlichte Krankenhaussystem geprobt: die Trennung von Angebot (Krankenhäuser) und Nachfrage (GKVen oder Gesundheitsagenturen) wurde aufgegeben und die beiden Funktionen verschmolzen. Ein ÖVP-Bundesland geht damit den ersten Schritt in ein verstaatlichtes Gesundheitswesen mit einer völliger Integration der politischen und Managementverantwortung. In Kärnten und im LKH Klagenfurt werden nach Pressemeldungen die SP- und VP-nahen Führungspersonen durch BZÖ Repräsentanten ersetzt. Der Verwaltungsdirektor des LKH Klagenfurt, Herwig Wetzlinger, wurde ohne Begründung vom Dienst suspendiert. „Der orange Putsch war offenbar minutiös vorbereitet. Schon in der Vorwoche waren VP-nahe Aufsichtsräte in den Landesspitälern Klagenfurt und Villach überraschend ausgewechselt und mit einer BZÖ Doppelspitze … versehen worden. Die SP, die damit ihre letzte Bastion an Jörg Haiders BZÖ verlor, sah offenbar tatenlos zu … Wetzlinger gilt als das Zugpferd für das 360 Millionen Euro teure Projekt LKH-Klagenfurt neu, das immerhin die größte Hochbaustelle Österreichs ist.“188 Die Nähe zu einer politischen Partei ist offenbar wichtiger als die Verantwortung für das größte Bauvorhaben in Österreich. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungen ist seit ca. zwei Jahren bereit, Verträge für Rehabilitationseinrichtungen abzuschließen und zu finanzieren. Durch die Integration der Reha können Krankenhausgesellschaften nun von der ambulanten über die stationäre bis zur Rebilitationsbehandlung die vollständige Behandlungskette anbieten. Diese integrierte Organisationsform ohne Schnittstellen zwischen Rechtsträgern ist medizinisch und wirtschaftlich günstiger als die desintegrierte mit Wartezeiten etc. Um keine finanziellen Risiken für die Länder entstehen zu lassen, wurden alle Reha-Einrichtungen z.B. in Tirol nicht an die TILAK, sondern an private Rechtsträger vergeben. Damit verlor die TILAK die langfristige Konkurrenzfähigkeit gegen integrierte Angebote privater Anbieter. In Salzburg konnten die Reha-Einrichtungen gegen großen Widerstand in die SALK integriert werden. Damit können künftig z.B. Endoprothetik als Paket von der Diagnostik bis zur Reha integriert auch überregional als Leistungspaket kostengünstig in hoher Qualität angeboten werden. Die Politik in Tirol achtete bei ihrer Entscheidung
Der Standard vom 15.7.2008: Ohne Grund suspendiert
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nicht auf die Vorteile für Patienten und die langfristige Entwicklung des Konkurrenzumfelds zwischen privaten und Landeskrankenhausgesellschaften, sondern nur auf die kurzfristige Auswirkung auf die Landesfinanzierung und schadet damit den eigenen Krankenhäusern langfristig. In anderen Industriestaaten haben sich private Krankenhausunternehmen herausgebildet, die nach meiner Meinung die Zukunft der Sozialen Krankenversorgung in Europa stark beeinflussen werden: x Der private Krankenhaussektor hat sich in Deutschland von einem Anteil von 17,6 % (1995) auf 26,4 % (2005) erweitert.189 Mit der Umstellung auf die G-DRG Finanzierung verstärkt sich der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser und damit die Chancen für die Übernahme weiterer kommunaler Krankenhäuser durch private Anbieter. x 250.000 der jährlichen 5 Millionen operativen Eingriffe will das britische NHS jährlich bei privaten Anbietern zukaufen und damit die Wartezeiten verkürzen.190 x Das schwedische Krankenhausunternehmen Capio betreibt Spitäler in Schweden, Norwegen, Großbritannien, Frankreich, eine psychiatrische Klinik in der Schweiz und hat in Großbritannien einen Auftrag für Operationen im Wert von MioPfund 210 gewonnen.191 x Netcare, ein Krankenhausunternehmen aus Südafrika, hat im Rahmen einer internationalen Ausschreibung den Markteintritt in Großbritannien geschafft und wird dort u. a. 41.600 Katarakt-Operationen mit Nachbetreuung für 860 Pfund pro OP mit südafrikanischen OPTeams in mobilen Einheiten durchführen. 192 x Mediclinic, ein anderes Krankenhausunternehmen aus Südafrika, betreibt in Südafrika 50, in Dubai zwei private Spitäler, und hat in der Schweiz die Hirslandengruppe gekauft. x Die Fresenius Gruppe hat das KH Oberndorf und die Dr. Pierer Tagesklinik in Salzburg als Markteintritt nach Österreich übernommen. x Der schwedische Klinikkonzern Capio übernimmt ab Ende 2007 die fachärztliche Versorgung des Madrider Bezirks Valdemoro mit rund 100.000 Einwohnern.193
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Statistisches Bundesamt (2007): Gesundheit. Ausgaben 1996 bis 2005, Wiesbaden NZZ vom 29.7.2004, S. 19: Unter fremdem Messer. Der britische Staat verpflichtet private Operationsteams NZZ vom 29.7.2004, S. 19: Unter fremdem Messer. Der britische Staat verpflichtet private Operationsteams NZZ vom 29.7.2004, S. 19: Unter fremdem Messer. Der britische Staat verpflichtet private Operationsteams Vgl. Die GesundheitsWirtschaft 1/07 S. 39: HMO auf Spanisch
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Die Paeger-Gruppe und andere private Krankenhausgruppen Deutschlands warten auf die Möglichkeit des Markteintritts in Österreich.
Die Modernisierung der Krankenhäuser wird in Österreich durch die politische Dominanz weiterhin verhindert. An der Zukunft des Krankenhauses orientierte Veränderungen, etwa die Modernisierung des medizinischen Angebots bzw. der Organisation und der sparsame Umgang mit Mitteln, erfolgen nicht. Damit bleiben in den verpolitisierten Krankenhäusern nicht zeitgemäße Organisationsformen weiterhin bestehen und es weder Zwang noch Anreize zu sparsamem Ressourcenumgang. Dass der politische Einfluss Ursache der Missstände in den Landeskrankenhäusern ist, kann auch daran aufgezeigt werden, dass die österreichischen Ordensspitäler, die von einem eigenverantwortlichen Management geführt werden und deren Eigentümer primär ein Interesse an der erfolgreichen Zukunft ihrer Krankenhäuser haben, sparsamer geführt werden und besser organisiert sind. Objektivierbar ist dies an deren niedrigeren Betriebskosten und an der Handlungsfähigkeit ihres Managements ohne politische und mediale Querschüsse. Die weitere Entwicklung des Krankenhausmarktes in Österreich ist deshalb für mich absehbar: x Die österreichischen Krankenhausgesellschaften bleiben am Gängelband der Landespolitiker, werden zu keinen Veränderungen gezwungen und im Vergleich zu Krankenhausunternehmen aus anderen Staaten rückständig erscheinen. x Die Landesbudgets werden die Krankenhauskosten auf Dauer nicht finanzieren können und die Landespolitiker werden Auswege aus der Misere suchen. x Die derzeitigen Schutzmechanismen vor ausländischen Anbietern werden durch die EU-Bestimmungen aufgeweicht werden. x Ausländische Krankenhausunternehmen werden die Landespolitiker mit innovativen Organisationsformen davon überzeugen, dass sie die Landeskrankenhäuser besser als die eigenen Krankenhausgesellschaften führen können. Z.B. zeigen die Erfahrungen privatisierter Krankenhäuser in Deutschland auf, dass die Effizienzerhöhung im nichtmedizinischen Bereich und durch bessere Organisation der Krankenpflege aufgrund neutraler Stellenbemessungen, Standardisierung der Patientenversorgung und bessere strategische Planung, möglich ist. x Die Landespolitiker werden unter Finanzdruck im nächsten konjunkturellen Abschwung die Variante, Landeskrankenhäuser privaten Betreibern zu übergeben um Betriebsabgänge zu begrenzen, ernsthaft prüfen. Ich musste selbst feststellen, dass innerhalb der verpolitisierten Struktur sich letztlich immer die Interessenhierarchie der Politik durchsetzt und rationales Management, das in anderen Strukturen erfolgreich war, letztlich auf der
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Strecke bleibt. So lange die politische Gängelung nicht beendet wird, bleiben die Spitäler gering effizient. Die österreichischen Krankenhäuser befinden sich in einer Existenz gefährdenden Schere. Für eine zeitgemäße Organisation sind Veränderungen erforderlich, die der politische Einfluss verhindert. Auf die absehbare Entwicklung des Wettbewerbs zwischen Krankenhäusern sollte die österreichische Gesundheitspolitik reagieren und Rahmenbedingungen zur Herausbildung wettbewerbsfähiger österreichische Krankenhausunternehmen schaffen. Da der Gesundheitssektor der am stärksten wachsende Wirtschaftssektor der nächsten Jahre sein wird, hat dieses Projekt auch Bedeutung für die Wirtschaftspolitik.
5.1.4.
Zeitgemäße Organisation in Krankenhäusern
Leistungsfähige Krankenhausführungen entwickeln eine zeitgemäße Organisation der Krankenversorgung zumeist nur unter Marktdruck in entpolitisierten Krankenhäusern. Auch ohne Marktdruck erfolgen aber in manchen Krankenhäusern Veränderungen, weil sich Mitarbeiter engagiert für das Krankenhaus einsetzen. Ich führe hier Beispiele für umgesetzte und geplante Kostenreduzierungen aus meinem nicht-medizinischen Verantwortungsbereich an. Wir hatten diese Kostenreduzierungen ohne Druck umgesetzt, weil wir das Krankenhaus wirtschaftlich ausrichten wollten. Die meisten Projekte wurden von der Gesundheitspolitik entweder kritisch oder gleichgültig hingenommen. x Durch die Zusammenführung zweier Küchen und die Einführung eines zeitgemäßen Produktionsverfahrens wurde der Personalstand in einem Krankenhaus von 165 auf unter 120 und im anderen von 145 auf 91 reduziert. Alle Mitarbeiter konnten ohne Kündigungen durch Versetzungen oder Umschulungen im Unternehmen untergebracht werden. In einem Krankenhaus organisierten Mitarbeiter medialen Widerstand und die Qualität des Essens wurde über Monate diffamiert. Es dauerte zwei Jahre, bis dieses negative Image überwunden und die inzwischen höhere Qualität anerkannt wurde. x Um Personalzuwachs im nicht-medizinischen Bereich nicht ausweisen zu müssen, waren vor Jahren IT-Leistungen an externe Dienstleister vergeben worden. Die Rückführung dieser Fremdvergabe brachte Qualitätsverbesserungen und niedrigere Kosten von ca. T€ 800 p.a. Über viele Jahre war dieses Geld ohne Vorteile für Patienten ausgegeben worden, um optisch einen niedrigeren Personalstand auszuweisen. x Für die Software Einführung (SAP) wurden für Beratungsleistungen im Krankenhaus A Mio€ 2 ausgegeben, im Krankenhaus B setzten die eigenen Mitarbeitern die Umstellung um. Dafür fielen nur zu vernachlässigende Kosten für Überstunden und Belohnungen an. Zusätzlich
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verblieb damit das Know How auch nach der Einführung im Unternehmen erhalten. (TILAK 1992 im Vergleich zu Landeskliniken Holding Salzburg 2003). Die verantwortlichen Gesundheitspolitiker und Landesbeamten hatten für das Krankenhaus A die Mio€ 2 aus Landesmitteln aufgrund eines Antrags finanziert und nicht feststellen können, dass eine erfolgreiche SAP-Einführung auch ohne diese Mehrkosten erfolgen kann. Der Patiententransport verbleibt in vielen Krankenhäusern noch dezentral organisiert und verursacht damit Unter- und Überauslastung, mangelnde Kontrolle, Leerfahrten und deutlich höhere Kosten im Vergleich zu Patiententransportsystemen mit zentraler Einsatzleitung. Nach Beispielen der Universitätskliniken Köln und Frankfurt a.M. wurde am LKI die zentrale Steuerung und Organisation eingeführt und damit der Personalstand um 21 Mitarbeiter (T€ 600 p.a.) reduziert. Die Mitarbeiter wurden auf vergleichbare Stellen im Rahmen der Fluktuation versetzt. Mitarbeiter des Transportdienstes verloren dabei Privilegien und leisteten Widerstand. Ein Primararzt solidarisierte sich und wurde gegen die Umorganisation medial und politisch aktiv. Zusätzlich versuchten die Mitarbeiter durch hohe Krankenstände das neue System zu desavouieren und den neu organisierten Transportdienst zum Zusammenbruch zu bringen. Trotz Widerstandes und medialem Echo blieb in Tirol die Politik ruhig, mischte sich nicht ein und daher konnte die Neuerung wie geplant realisiert werden. Durch die Organisation des Instrumentenmanagements können die Kosten für den Ersatz von Instrumenten, Optiken und Motoren deutlich reduziert werden. Im Großkrankenhaus A besteht ein Einsparpotential von T€ 350 p.a., und nach einer Studie harren im Großkrankenhaus B T€ 700–800 p.a. der Realisierung. Die Kostenreduzierungen werden durch vermehrte Reparatur statt Neubeschaffung, Kostenkontrolle und Reduzierung der Artikelanzahl möglich. Maler-Werkstätten konnten durch die Vergabe an selbständige Handwerker reduziert und damit dieselben Dienstleistungen kostengünstiger erbracht werden (pensionierte Mitarbeiter wurden nicht ersetzt). Durch bessere Organisation und die Konzentration auf Werktagsstatt Wochenendreinigung können die Kosten für die Raumreinigung reduziert werden. Erforderlich ist dafür eine differenzierte Planung und Kontrolle. Die Studie für ein Großkrankenhaus ergab ein Einsparungspotential von Mio€ 1 p.a. (bei Gesamtkosten von Mio€ 10 p.a.) Durch die Zentralisierung der Labore können Kosten für parallel betriebene Geräte, Nachtdienste, durch höheren Automatisierungsgrad und bessere Auslastung der Reagenzien und Geräte deutlich reduziert werden. In einem Großkrankenhaus weist eine Studie das Einspa-
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rungspotential von über Mio€ 1 bei Gesamtkosten von Mio€ 15 aus und harrt der Realisierung. Im LKI wurde ein dezentrales Labor mit 16 Mitarbeitern im Chirurgiegebäude in das Zentrallabor mit signifikanter Personaleinsparung integriert, die Integration des nuklearmedizinischen Labors in das Zentrallabor wurde dagegen durch eine Intervention verhindert. Ein Preisvergleich zwischen den Preisen der Großlabore in Deutschland und den deutlich kleineren in Österreich zeigt grosse Unterschiede: deutsche Labore bieten dieselben Analysen viel kostengünstiger an. Durch die Veränderung der Rohrpost zum Transport von Laborproben konnte der manuelle Transportdienst sowohl in den SALK wie auch im LKI eingespart werden. In den SALK wird derzeit durch Überprüfung des tatsächlichen Bedarfs, Standardisierung und gemeinsame Nutzung von Druckern, deren Anzahl von ca. 1.600 auf 1.200 reduziert. In der Vergangenheit waren ungeprüft Anschaffungen erfolgt. Die Kosten für Toner und Investitionen reduzieren sich damit signifikant. Am LKI wird Quarantäneplasma selbst hergestellt und kein teures Poolplasma von der Industrie zugekauft. Dadurch wurden höhere Qualität und deutlich niedrigere Kosten als in anderen Großkrankenhäusern erreicht. Die Schließung von kleinen Stationen (nur 8 bzw. 12 Betten) führte zur Personalreduzierung und zu negativem medialen Echo. Die gemischte Belegung einzelner Stationen ermöglichte diese Kostenreduzierungen. Ein banales, aber medial prominentes Beispiel: Alle Mitarbeiter erhielten in einem Großkrankenhaus täglich Semmeln und eine Milchpackung als Vormittagsjause mit Gesamtkosten von über T€ 200 p.a. zugestellt. Überall im Krankenhaus fand man Säcke mit alten Semmeln, die für Pferdefutter etc. gesammelt wurden. Die Milchjause am Vormittag war wohl in der Nachkriegszeit entstanden, inzwischen aber nicht mehr zeitgemäß. Das Medienecho bei der Einstellung der Vormittagsjause war äußerst negativ. Das vorherige Management hatte diesen Unsinn vermutlich ebenfalls erkannt, aber wegen des zu erwartenden negativen medialen und politischen Echos von der Veränderung abgesehen.
Die angeführten Reduzierungen im nicht-medizinischen Bereich waren Teil eines Programms zur Mittelumschichtung in den medizinischen Bereich. Aber auch dort bestehen Einsparpotentiale durch die Anpassung der Dienstzeiten an den tatsächlichen Bedarf oder die bessere Nutzung der Räume und Geräte durch verlängerte OP-Zeiten, etc. Etwa können durch die Verlängerung der täglichen OP- und Ambulanzzeiten im Krankenhaus A ca. 10 % der Gesamtflächen von 117.000 m2 NF mit Neubaukosten von über Mio€ 50 ent-
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fallen, wenn die täglichen OP- und Ambulanzzeiten von 7 auf 11 Stunden ausgeweitet werden. Zweifellos waren all diese umgesetzten und vorbereiteten Änderungen für die Zukunft des Krankenhauses richtig und stärkten seine medizinische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit; sie führten aber eher zu kritischen Rückmeldungen aus dem politischen und zu negativen Berichten im medialen Umfeld. Die Nachteile des politisch dominierten Krankenhausmanagements können an vielen Beispielen aufgezeigt werden. Am leichtesten zu quantifizieren sind sie am Einkauf. Die deutschen Krankenhäuser waren für die Industrie bis zum Ende der 90er Jahre ein Hochpreisland Europas. Mit der Entpolitisierung der Krankenhäuser und der Entlassung in die wirtschaftliche Selbständigkeit übten die Krankenhäuser verstärkten Druck durch Standardisierungen und Einkaufskooperationen auf die Industrie aus. Als Ergebnis liegt das deutsche Preisniveau inzwischen deutlich unter dem österreichischen. Deswegen verweigern internationale Konzerne den SALK Lieferungen zu deutschen Preisen und deren Industrieverband Austromed wendet sich gegen die Kooperation der SALK mit einer deutschen Einkaufsgesellschaft. Die Analyse der SALK Einkaufspreise durch die GÖK AG194 hatte ein um ca. 22 % höheres Preisniveau gegenüber Deutschland aufgezeigt. Ursache dafür waren zu viele Artikel (manche Artikel hatten wir von drei Lieferanten synchron bezogen), herstellergebundene Artikelbezeichnungen und kein professionelles Einkaufsmanagement. Mit der Produktstandardisierung und Reduzierung der Artikelanzahl unter Einbeziehung der Nutzer, herstellerunabhängigen Bezeichnung aller Artikel und der Neuausschreibung von sechs Produktgruppen konnten die Einkaufspreise um durchschnittlich 33,3 % bzw. Mio 1,1, p.a., und damit mehr als erhofft reduziert werden. Tabelle 6: Zwischenergebnis des Projekts Produktstandardisierung und Neuausschreibung in den SALK Anzahl Artikel vor/nach Standardisierung Medizinischer Arbeitsschutz/Verbandsstoffe Infusions-, Transfusions-, Beatmungsbedarf Urologie- und Drainagebedarf 194
Jahresumsatz T€ vor
nach
390
- in % 48,7
1.079
733
- in % 32,1
570
340
40,4
1.164
802
31,1
249
171
31,3
437
310
29,1
vor
nach
760
GÖK Consulting AG: Datenanalyse Einkauf SALK, Ergebnispräsentation Salzburg 15.11.2004
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vor/nach Standardisierung Medizinische und technische Gase Dialyseverbrauchsmaterial Summe
vor
1.579
Jahresumsatz T€ nach
901
- in %
42,9
vor
nach
342
182
- in % 48,7
182
110
39,6
3.204
2.137
33,3
Vor allem die Mitarbeiter der Pflege unterstützten die Standardisierung und nur vereinzelt entstand Widerstand gegen die Standardisierungen und das neue Einkaufsmanagement. Ein Primar kauft inzwischen die von ihm exklusiv gewünschten OP-Handschuhe privat und beschwerte sich in den Medien über deren Standardisierung. Ein anderer Primararzt beklagte, dass Lieferfirmen nur noch geringe Unterstützung für Forschung bereitstellten. Marktgerechte Preise für Milchprodukte vom regionalen Anbieter konnten nur erzielt werden, nachdem für zwei Jahre die Belieferung an eine deutsche Molkerei vergeben worden war. Voraussetzung für diese Änderungen waren die personelle und organisatorische Änderung des Einkaufsmanagements und die Fokussierung auf die Standardisierung. Die Durchsetzung des niedrigeren Preisniveaus führt zu Widerständen durch die Industrie und damit auch zu negativen Rückmeldungen an die Politik. Da Einkaufspreisreduzierungen in einem System der Abgangsdeckung ohnehin nicht bemerkt werden, besteht eigentlich kein Anreiz dazu. Das Management hat bei höheren Einkaufspreisen weniger Nachteile als durch Interventionen gegen ein effizientes Einkaufsmanagement. Ein Beispiel für das noch brachliegende Potential: für Endoprothesen verrechnet die Industrie in Österreich um mindestens 15 % höhere Preise als in Deutschland. Damit gehen ca. Mio€ 10 p.a. für Österreich durch überhöhte Einkaufspreise im Vergleich zum deutschen Preisniveau an die Industrie verloren (je ca. 15.000 Hüft- und Knieprothesen p.a. in Österreich kosten ca. Mio€ 60 p.a.). Der konkrete Preisvergleich eines österreichischen Großkrankenhauses mit einer großen deutschen Einkaufsgesellschaft ergab eine Preisdifferenz von 32 %. Um 6 % konnten durch Verhandlungen die Preise reduziert werden, die Differenz von 26 % blieb nicht verhandelbar. Die Gesundheitspolitik nimmt höhere Kosten gleichgültig hin, da keine Benchmarks und kein Preissystem Effizienzdefizite ausweisen und weder Möglichkeiten noch Motive zur Änderung bestehen. Den Restabgang finanziert in jedem Fall das Land. Medialer Widerstand entsteht gegen Veränderungen, nicht aber gegen teure oder ungünstig strukturierte Krankenhäuser. So verursachen die Wiener Krankenhäuser (KAV) deutlich höhere Kosten als die Krankenhäuser
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der westlichen Bundesländer oder die Ordensspitäler. Um einen LDF Punkt zu erbringen, wenden die Krankenhäuser in Wien € 1,44 und in Tirol € 0,95 auf (Studie der IHS, Wien). Z.B. war bisher die Personalbesetzung auf manchen Krankenstationen in den Wiener Krankenhäusern höher. Oder: In einem österreichischen Großkrankenhaus wurde über viele Jahre eine extrem an Primariaten und nicht an Erkrankungen oder Synergien orientierte medizinische Organisation geschaffen. Ohne gesamthafte Planung wurden in vielen Primariaten eigene OPs, Ambulanzen, Stationen und Labore betrieben, statt diese zu medizinisch und wirtschaftlich günstigeren interdisziplinären OPund interventionellen Zentren, einem Zentrallabor, gemeinsamen Bestellund Notfallambulanzen und gemischt belegbaren Stationen zusammen zu führen. Es herrschte die „Eminence based“-, statt der „Evidence based“ – Ressourcenzuteilung. Bei der Erstellung des Masterplans zur Sanierung dieser Defizite wurde durch einen neutralen und sehr erfahrenen Anbieter festgestellt, dass durch die Veränderung der Organisation und der baulichen Voraussetzungen mindestens ca. 6 % oder Mio€ 21 der Gesamtkosten von Mio€ 350 eingespart werden können. Die Mehrkosten werden in beiden angeführten Fällen aus öffentlichen Budgets seit Jahren ohne Widerstand finanziert. Die folgenden Organisationsänderungen haben sich in anderen Staaten als günstig für eine zeitgemäße Krankenhausorganisation und Voraussetzung für höhere Qualität und Effizienz erwiesen: x Entpolitisierte Krankenhausführungen, die am medizinischen und wirtschaftlichen Erfolg der Krankenhäuser gemessen werden (und nicht am Beitrag zu den Wahlchancen der Politik). x Krankenhausmanagement (statt berufsständischer Führung durch Ärztliche, Pflege- und Wirtschaftsleitung in Österreich). x Standardisierung der Diagnose und Therapie. Ca. 60 % der Behandlungen sind planbar und können durch Standardbehandlungspfade besser organisiert werden. Doppel- und Überdiagnostik werden damit verhindert und mit weniger Aufwand dasselbe Ergebnis erreicht. Die verbleibenden 40 % der Behandlungen sind modular plan- und damit besser organisierbar. x Überregionale Medizinische Zentren. Die Konzentration der Behandlung seltener oder besonders schwerer Erkrankungen ermöglicht höhere Qualität und ist wirtschaftlich günstiger als die Versorgung in vielen Krankenhäusern. Weil keine Leistungsverrechnung über Bundesländergrenzen hinaus erfolgt, können sich in Österreich keine medizinischen Zentren herausbilden. Wenn Landespolitiker ihrer Bevölkerung mitteilen müssten, dass Patienten zur Behandlung einer onkologischen oder genetischen Erkrankung in das Nachbarbundesland reisen müssten, würde dies zudem als Schwäche der Politiker interpretiert und Primarärzte würden sich dagegen auflehnen.
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Die interdisziplinäre Patientenversorgung in medizinischen Zentren erfordert die Hintanstellung der Partialinteressen der einzelnen medizinischen Fächer bzw. der Primarii hinter die gesamthafte Patientenversorgung. Die zentralisierte Notfallversorgung ist effizienter als die derzeitige dezentrale der meisten Krankenhausambulanzen. Viele Primarärzte wollen aber die Kompetenz nicht an eine zentrale Notfallversorgung abgeben und konservieren damit die ungünstige Struktur. Die Optimierung der Stationsgrößen und die gemeinsame Bettenbelegung der Stationen durch mehrere Fächer auch in Zentralkrankenhäusern, eine am Bedarf orientierte flexible Personalpolitik und objektive Stellenbemessungen reduzieren zumeist den ärztlichen und pflegerischen Personalbedarf.
Der Krankenhausbetrieb kann somit zu deutlich unterschiedlichen Kosten ohne Qualitätsnachteile für Patienten organisiert werden. Die Modernisierung der Krankenhäuser ist aber nur in handlungsfähigen und eigenverantwortlich arbeitenden Krankenhausunternehmungen möglich. Private Krankenhausgesellschaften gestalten die Veränderung von der institutionsorientierten zur patientenorientierten Organisation aus Eigennutz, um Patienten zu gewinnen. Wegen der diskriminierenden Krankenhausfinanzierung können sie in Österreich noch nicht Fuß fassen. Die zeitgemäße Organisation der Krankenhäuser wird durch politischen Einfluss behindert und kann nur durch wirtschaftlich selbständige Krankenhäuser unter Wettbewerbsdruck erreicht werden. Es liegt im langfristigen Existenzinteresse der Krankenhäuser in öffentlichem Eigentum, sie wirtschaftlich zu verselbständigen und dem Wettbewerb auszusetzen, um sie zur Veränderung zu bewegen. Wenn sie wirtschaftlich und organisatorisch handlungsfähig sind, verändern sie unter Marktdruck die Organisation zeitgemäß und können ebenso patientenorientiert, interdisziplinär, IT-orientiert und interprofessionell arbeiten wie private Krankenhausbetreiber. Der politische Einfluss und die wirtschaftliche Unselbständigkeit behindern diese organisatorische Entwicklung.
5.2. Länder können die Krankenhausfinanzierung langfristig nicht sichern Die derzeitige Krankenhausfinanzierung wurde 1997 festgelegt:195 x Die Länder übernahmen die Organisation der Krankenhausfinanzierung. Sie finanzieren damit auch die Zusatzkosten für medizinischen 195
Vereinbarung über die Reform des Gesundheitswesens und der Finanzierung der Krankenanstalten – Art. 15a B-VG
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Fortschritt und Leistungsausweitungen wegen der demographischen und epidemiologischen Entwicklung aus Landesbudgets. Das Kostenrisiko Krankenhäuser wurde damit zur Gänze auf die Länder abgewälzt. Die Mittel des Bundes werden über den Strukturfonds nach einem vereinbarten Aufteilungsschlüssel an die neun Landesfonds überwiesen (seit 1978 im Rahmen mit zeitlich befristeten Verträgen zwischen Bund und Bundesländern geregelt). Die GKVen steuern ca. 50 % der Krankenhauskosten, abhängig von ihren Einnahmen und unabhängig von der Leistungsentwicklung, bei. Die GKVen verloren damit den Einfluss auf die Krankenhäuser.
Aus dieser Regelung ergeben sich überproportionale Belastungen für die Landesbudgets durch die Kostenentwicklung der Krankenhäuser: x Die Nachfrage nach Krankenhausleistungen nimmt in Österreich um 2–5 % p.a. zu. Ursache dafür sind die steigende Anzahl älterer Menschen, neue medizinische Angebote und die stärkere Inanspruchnahme. Die Kosten steigen daher jährlich um ca. 2 % für Kapazitätsausweitungen. x Der medizinische Fortschritt verursacht inflationsbereingte Zusatzkosten von ca. 1–3 % p.a. für bessere Methoden, Implantate, Medikamente, Medizintechnik, Reagenzien. Die Industrie entwickelt immer neue Produkte mit Vorteilen, die den Patienten nicht vorenthalten werden können. x Die Personalkosten nehmen tarifabhängig um über 2 % p.a. zu. Hinzu kommen Kosten für Besserstellungen, Vorrückungen etc. von ca. 1 % p.a. x Die Produktivität der Krankenhäuser nimmt maximal um 1–3 % p.a. zu. x Die Einnahmen aus den Landesfonds nehmen um ca. 2–3,5 % p.a. zu. Diese Faktoren führen zu einer Differenz zwischen der jährlichen Erhöhung der Einnahmen und den Ausgaben der Krankenhäuser. Die Landesanteile zur Finanzierung der Krankenhäuser müssen damit um ca. 10 bis 20 % p.a. aufgestockt werden, wie das folgende Rechenbeispiel zeigt: Tabelle 7: Dynamik der Entwicklung der Landesanteile zur Krankenhausfinanzierung
Gesamtkosten Gesamteinnahmen Landeszuschuss
Jahr 1
Jahr 2
330 280 50
343 285 58
Veränderung in % +4 +2 +16
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Da die Einnahmen der Länder aus den geringen direkten Steuereinnahmen und den Ertragsanteilen aus Bundessteuern jährlich nur in geringem Umfang steigen, nehmen die Landeszuschüsse einen von Jahr zu Jahr zunehmenden Anteil der Landesbudgets in Anspruch und stürzen die Landesfinanzierung in ein unlösbares Budgetdilemma. Periodisch gemildert wird das Problem, da im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen alle paar Jahre die Zahlungen des Bundes an die Länder erhöht werden. Da dies nicht ausreicht, haben einige Länder eine Notfinanzierung für Krankenhäuser durch Bankkredite begonnen, die das Ende der Sackgasse erkennen lässt: x In Kärnten finanziert die Krankenhausgesellschaft die Landeszuschüsse zu den Betriebskosten zum Teil aus Bankkrediten (!). Der Schuldenstand erreicht angeblich nahezu 1 Mrd €! x Auch in der Steiermark wurden Schulden in die Krankenhausgesellschaft KAGES ausgelagert: „Um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, sind seit Jahren Hilfskonstruktionen notwendig, um die Schulden so auszulagern. So hat sich um die KAGES ein Schuldenberg von 800 Mio€ aufgebaut. Für die Finanzierung bis 2011 musste man zu einem Trick greifen: Zum Teil muss die KAGES den Zuschuss finanzieren, indem sie Immobilien an eine Gesellschaft verkauft und zurückmietet. Der Käufer nimmt dafür Kredite auf, für die das Land haftet. Ein Deal der wackelt. Die Finanzierungsmethode hat überdies ein Ablaufdatum: Die EU verschärft die Budgetregeln zusehends, so dass auch die Haftung für jene Kredite, die von der KAGES oder ihren Töchtern aufgenommen werden, im Budget des Landes berücksichtigt werden müssen.“196 x In Tirol und Kärnten haben die Länder pro forma Krankenhäuser an die Krankenhausgesellschaften verkauft, Kreditaufnahmen bei den Gesellschaften veranlasst und damit die Landesbudgets entlastet. Die Rückzahlung erfolgt aus den öffentlichen Haushalten. x In Oberösterreich werden die Investitionskosten in die Krankenhausgesellschaft mit PPP-Modellen (eigener Rechtskörper unter Beteiligung Privater Geldgeber) ausgelagert. Hinzu kommt, dass auch die GKVen die Finanzierung der Praxen und Medikamente nur durch steigende Krankenkassenbeiträge finanzieren können. 2008 wurden daher die Kassenbeiträge um 0,15 % erhöht. Für die nächsten Jahre rechnen die GKVen mit einer Erhöhung der Beitragseinnahmen um 3,58 % p.a. und der Ausgaben um 4,76 % p.a.197 und bedürfen daher des Sanierungsprogramms der Bundesregierung (vgl. 11.).
196
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Medianet vom 11.7.2008: Die Last des Schuldenbergs. http://www.medianet.at/content15598-63.html Kandlhofer, Josef, Dr.: Aktuelle Finanzierungsprobleme der sozialen Krankenversicherung und mögliche Ursachen
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Die langfristige Finanzierung der Sozialen Krankenversorgung in Österreich ist ungeklärt und erfordert eine politische Willensbildung. Die Landeshaushalte sind für die Finanzierung der Krankenhäuser ungeeignet, da sie keine Anreize zur Effizienz und Leistungsbegrenzung erlauben. Nach den Erfahrungen anderer Staaten mit GKV-Systemen ist die weitgehende Finanzierung aus Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aus Einkünften aus Kapital und Vermietung an die GKVen mit einem gesicherten Zuschuss aus dem Bundesbudget zielführend. Die Niederlande perfektionierte dieses System durch Kopfprämien für Arbeitnehmer, um den Preiswettbewerb zwischen Kassen zu fördern.
5.3. Effizienz ist mit der Restabgangsfinanzierung nicht zu erreichen Die Mittel für die Krankenhäuser werden von den GKVen, Länder, Gemeinden und vom Bund aufgebracht. Seit der Einführung der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) erfolgt die Mittelverteilung weitgehend nach in LDF-Punkten ausgedrückten Leistungen. Die Bewertung der LDFPunkte erfolgt in einigen Bundesländern mit und in anderen ohne Mittel der Eigentümer: x In Tirol, Niederösterreich und im Burgenland werden alle Mittel in den Landesfonds einbezahlt und dieser bezahlt für stationäre Leistungen kostendeckende Preise an die Krankenhäuser. Im Normalfall muss somit jedes Krankenhaus mit diesen Entgelten das Auslangen finden. Der Eigentümer muss Defizite finanzieren, viele Krankenhäuser erwirtschaften aber auch Überschüsse. x In den sechs anderen Bundesländern verblieb die Restabgangsdeckung durch die Länder und Gemeinden zusätzlich zur LKF-Finanzierung: x die Mittel der GKV, des Bundes und Anteile der Zuschüsse der Länder und Gemeinden werden in die Landesgesundheitsagenturen einbezahlt und nach LDF-Punkten von diesen verteilt. x Zusätzlich werden direkt aus öffentlichen Budgets der Länder und Gemeinden Restabgänge an die Krankenhäuser bezahlt. Ohne die Restabgangsdeckung haben in diesen Bundesländern die Krankenhäuser keine Chance, ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. Sie ist nicht an Leistungen bemessen und gleicht die Kostendifferenzen zwischen den Krankenhäusern aus. Diese Restabgangsfinanzierung reduziert die wirtschaftliche Selbständigkeit der Krankenhäuser und damit den Anreiz und Druck zu einer wirtschaftlichen Leistungserbringung Zudem verhindert die Restabgangsfinanzierung aussagekräftige Informationssysteme: x Da keine Leistung kostendeckend finanziert wird, können die Leistungskosten nicht sinnvoll mit den Preisen verglichen werden. Daher
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erfolgt bei Abgangsdeckung kein Preis-Kosten-Vergleich in den Krankenhäusern. Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit eines Krankenhauses ist nicht festzustellen.
Unter Restabgangsdeckung ist somit der wirtschaftliche Erfolg der Krankenhäuser nicht objektivierbar. Das LKI verrechnete im Jahr 1991 noch deutlich höhere Tageskosten als das LKH Graz. Im Jahr 2003 zeigt der Kostenvergleich um 20 % höhere Kosten pro LDF-Punkt für das LKH Graz gegenüber dem LKI. Es besteht keine Wahrnehmung und Objektivierung derartiger Veränderungen. Daher schlummern in den Spitälern weiterhin die Wirtschaftlichkeitsreserven (vgl. 5.1.4). Ohne Marktdruck sind Effizienzerhöhungen von der Eigenmotivation der Manager abhängig und erfolgen somit nur zufällig und zumeist nicht. Sie konzentrieren sich im politisch geprägten Umfeld auf medial gut verwertbare Investitionen, die innerbetrieblich keine Widerstände bewirken: x IT-Systeme ohne Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit x Automatische Transportsysteme sind in Krankenhäusern ineffizient, aber beeindruckend x Einführung neuer Technik oder Geräte x Errichtung von Bauten Die Abgangsdeckung verhindert die wirtschaftliche Eigenverantwortung der Krankenhäuser. Sie sollte beendet und ein faires Preissystem eingeführt werden. Wenn Krankenhäuser dann Überschüsse erwirtschaften, sollten ihnen diese ebenso verbleiben wie Defizite. Die wirtschaftliche Eigenverantwortung und Entpolitisierung ist Voraussetzung für leistungsfähige Unternehmen. Diese banale Erkenntnis aus allen Wirtschaftsbereichen sollte auch im Krankenhausbereich Einzug halten.
5.4. Politische Entscheidungen ermöglichen kaum Standortkorrekturen Die Mobilität der Bevölkerung hat sich verändert. Vor 50 Jahren war ein Krankenhaus der Primärversorgung wenige Kilometer vom Wohnort entfernt unbedingt erforderlich. Mit besseren Transportwegen und Rettungssystemen sind inzwischen Distanzen von 15–30 km zum nächsten Krankenhaus durchaus zumutbar. Daher kann das engmaschige Netz an Krankenhausstandorten ausgedünnt werden ohne die Versorgungsqualität zu verschlechtern. Österreich hat im internationalen Vergleich mit 33 Krankenhäusern pro Million Einwohner noch mit der Schweiz (48) und Frankreich die größte Anzahl an Krankenhäusern und damit deutlich mehr als Dänemark (15), die Niederlande (8) und Schweden (9).
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Politiker können keine Standorte schließen, wenn sie Wahlen gewinnen wollen. Daher gaben die Gesundheitspolitiker in der Steiermark, Niederösterreich und in Salzburg, ebenso wie die frühere Gesundheitsministerin RauchKallat, Standortgarantien für alle Krankenhausstandorte. Schließung erfolgten nur in Oberösterreich und in Tirol. Aber auch die Standortwahl erfolgt zumeist parteipolitisch: x In Tirol war im ideal gelegenen, aber „roten“ Kundl, oder im ebenfalls zentral gelegenen, aber politisch wechselhaften Wörgl, kein neues Krankenhaus gebaut worden, sondern im ungünstiger gelegenen, aber „schwarzen“ Kufstein. Die etwas längeren Transportwege und höhere Kosten dafür waren für die Entscheidung offenbar unbedeutender als die Stärkung des „schwarzen“ Bürgermeisters in einer traditionell „blauen“ Stadt. x In der Steiermark hatte der „rote“ Gesundheitslandesrat keines der beiden Krankenhäuser Judenburg oder Knittelfeld in Frage stellen lassen, obwohl der Betrieb zweier Spitäler im Vergleich zum Betrieb eines Spitals Mehrkosten von mindestens Mio€ 2–3 p.a. und die Aufteilung der Fächer auf zwei Standorte in der allgemeinen und vor allem in der Notfallversorgung medizinische Nachteile verursacht. x In Linz betreibt in der Spitalsstraße das „rote“ AKH eine Unfallchirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, unmittelbar daneben die „schwarze“ AUVA eine weitere Unfallchirurgie und die „schwarzrote“ Gespag eine weitere Gynäkologie und Geburtshilfe. Unfallchirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe werden somit auf engstem Raum ebenso mehrfach vorgehalten, wie die gesamte Infrastruktur von der Küche bis zur IT, dem Management bis zum Rechnungswesen. x Die AUVA betreiben in Linz, Wien, Klagenfurt und Salzburg Unfallspitäler und finanziert diese aus den Unfallversicherungsbeiträgen der Unternehmen. Zusätzlich zu diesen Unfallspitälern halten dort auch die Landeskrankenhäuser die Notfallversorgung auch für Unfälle vor. Damit entstehen doppelte Vorhaltekosten über 7 Tage und 24 Stunden für OP-Teams, Anästhesie, Neurochirurgie. Für diese Unfallspitäler besteht keine Notwendigkeit und die Fremdvergabe der Leistung „Behandlung von Berufsunfällen“ an die Landeskrankenhäuser oder der gemeinsame Betrieb der Unfallabteilungen durch AUVA und Landeskrankenhäuser wäre nicht nur kostengünstiger, sondern auch medizinisch besser. Zusätzlich werden in den AUVA Krankenhäusern deutlich höhere Gehälter und günstigere Arbeitsbedingungen für Ärzte geboten als in den Landeskrankenhäusern. In Regionen ohne eigene AUVA Krankenhäuser, etwa in Tirol, besteht keine ungünstigere Versorgung als in den Regionen mit AUVA Unfallspitälern. Im Gegenteil: die Aufspaltung der Unfallversorgung auf zwei Abteilungen reduziert die Spezialisierung und damit auch die Qualität. Im Vergleich zur zentralen Unfallversorgung in Innsbruck verschleudert die Doppel-
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struktur in den genannten vier Städten Mittel für Investitionen und Betrieb. Die folgenden Baumaßnahmen wären somit vermeidbar gewesen: o In Linz wurde ein neues und sehr teures Traumazentrum im Unfallspital der AUVA direkt neben dem Traumazentrum des AKH Linz errichtet. Die Zusammenfassung zu einem Traumazentrum wäre möglich gewesen. o In Salzburg wurde ein Traumazentrum im Unfallspital der AUVA neuwertig saniert und eines im Landekrankenhaus Salzburg nahezu gleichzeitig errichtet. Die Zusammenfassung zu einem Traumazentrum am Areal des Landeskrankenhauses Salzburg wäre möglich gewesen. o Eine ähnliche Doppelstruktur besteht in Klagenfurt. Dort wurde ein neues Unfallspital mit 100 Betten und wird eine neue Unfallabteilung im Allgemeinen Krankenhaus parallel errichtet. In Salzburg wird nach dem regionalen Strukturplan Gesundheit gemäß Landtagsbeschluss zusätzlich zu dieser Doppelstruktur in der Unfallchirurgie auch eine Doppelstruktur in der Orthopädie und der orthopädischen Rehabilitation im KH Oberndorf neu aufgebaut: o Nahezu zeitgleich werden im LKH und im KH Oberndorf eine neue Orthopädie errichtet. o Zusätzlich zur orthopädischen Rehabilitation im LKH St. Veit wird eine orthopädische Reha im KH Oberndorf errichtet und ein Teil der Reha aus St. Veit dorthin verlagert.
Österreich hat vergleichsweise zu viele Akutbetten je 1.000 Einwohner und Pflegetage in der akutstationären Versorgung. Auf diese Weise wurden durch die politischen Entscheidungsträger nicht Kosten und Akutbetten reduziert, sondern erhöht. Die Reduzierung der Anzahl stationärer Betten ist daher eine der größten Herausforderungen für die nächsten Jahre. Auf welche Weise dieser ohne medizinische Nachteile mögliche Bettenabbau erfolgen soll, wird von der Gesundheitspolitik nicht diskutiert. Die Erfahrungen zeigen, dass mit zwei Finanzierungsformen Standortkorrekturen möglich sind: im staatlichen Gesundheitswesen der skandinavischen Staaten durch die direkte Finanzierung der Krankenhäuser mit spürbaren regionalen Steuern und durch Wettbewerb zwischen wirtschaftlich selbständigen Krankenhäusern bei Finanzierung über Preise. Standortentscheidungen nach politischen Kriterien, wie in Österreich, sind häufig wirtschaftlich und medizinisch suboptimal. Mit einem funktionsfähigen Preissystem und unter Wettbewerb zwischen entpolitisierten Krankenhäusern werden manche Krankenhäuser ihre Existenzberechtigung verlieren oder neue Aufgaben erhalten. Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen können durch die Übernahme von Fixkosten aus einer Zusatzfinanzierung gesichert werden.
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5.5. Politische Finanzierung der Gastpatienten führt zu Fehlanreizen Wenn ein Versicherter aus einem anderen Bundesland oder Staat behandelt wird, bestehen dafür unterschiedliche Regelungen: x Leistungen von Krankenhäusern werden zwischen den Bundesländern nicht einzeln verrechnet. Ob etwa mehr oder weniger Patienten aus Vorarlberg in Tiroler Krankenhäusern behandelt werden, hat keine Auswirkung auf die Geldflüsse. x Leistungen von Praxen werden zwischen den Bundesländern verrechnet. Etwa bezahlt die Wiener GKK die Behandlungskosten, wenn ein Wiener Patient während des Urlaubs in einer Praxis in Salzburg behandelt wird. x Leistungen für Patienten aus dem Ausland werden ebenfalls verrechnet. Wenn ein deutscher Patient in einem Krankenhaus in Salzburg behandelt wird, bezahlt die deutsche Krankenkasse an die Salzburger Landesgesundheitsagentur die Kosten. Das nächste oder das geeignete Krankenhaus liegt in manchen Regionen im Nachbarbundesland: z.B. für Patienten aus Oberösterreichs Süden oder aus Osttirol in Salzburg, aus Vorarlberg oder Salzburg in Tirol, aus Niederösterreich und dem Burgenland in Wien. In vielen Fällen sind daher Behandlungen in anderen Bundesländern für die so genannten Gastpatienten sinnvoll und notwendig. Die Behandlungskosten für Gastpatienten werden zwischen den Ländern nicht verrechnet. Als partieller Ausgleich werden, unabhängig von den tatsächlichen Leistungskosten und -zahlen, Pauschalzahlungen zwischen den Bundesländern politisch ausgehandelt, die auch bei mehr oder weniger Gastpatienten gleich bleiben. Zusätzliche Patienten können somit kostenlos in das Nachbarbundesland zur Behandlung gesandt werden. Damit entstehen die Fehlanreize, einerseits möglichst keine Patienten aus anderen Bundesländern zu behandeln und andererseits, Patienten zur Behandlung in Nachbarbundesländer zu verschieben. Tatsächlich werden Patienten für manche teure Behandlungen auch in ihre Heimatbundesländer zurück verwiesen, obwohl das geeignete und nächstgelegene Krankenhaus im Nachbarbundesland liegt (medikamentöse Therapien onkologischer Erkrankungen, Behandlungen der Makuladegeneration, die Implantation teurer Implantate wie Stents, Defibrillatoren) Patienten aus Randgebieten der Bundesländer müssen dann weite Wegstrecken im eigenen Bundesland auf sich nehmen und sind schwerer von Angehörigen zu besuchen. Wenn die Versorgung im Nachbarbundesland gut funktioniert, werden auch Investitionen nur langsam umgesetzt. In Oberösterreich wurde mit der Investition in die Strahlentherapie in Vöcklabruck bisher Geld gespart, weil die Patienten in Salzburg ohne Leistungsverrechnung ohnedies behandelt werden. Ursache für die Nicht-Verrechnung der Krankenhausleistungen sind wohl die hohen Pauschalzahlungen für die Behandlung von Nicht – Wiener Patien-
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ten vor allem aus Niederösterreich und dem Burgenland an Wien. Bei einer transparenten Leistungsverrechnung für Niederösterreich und das Burgenland würde der Anreiz entstehen, zumindest einen Teil dieser Leistungen im eigenen Bundesland zu erbringen. Wegen des offenbar unlösbaren „Wiener Knotens“ bleiben auch die Leistungsströme zwischen den anderen Bundesländern unverrechnet. Die Schweiz hat einen ähnlichen „Kantönligeist“ und keine freie Wahl der Krankenhäuser über Kantonsgrenzen hinaus: x Die freie Wahl des Krankenhauses besteht dort nur im eigenen Kanton.198 x Wenn ein Patient, weil die Behandlung im eigenen Kanton nicht angeboten wird (z.B. eine Organtransplantation) in einen anderen Kanton zur Behandlung zugewiesen wird, verrechnen die Krankenhäuser für diese außerkantonalen Patienten niedrigere, nicht kostendeckende Preise an die GKVen. x Wenn ein Patient aus freien Stücken die Behandlung in einem anderen Kanton wählt, muss er oder seine PKV diese Kosten übernehmen. Die GKV übernimmt diese Kosten nicht. Bei einer freien Spitalswahl befürchten die Kantone, dass Patienten in andere Kantone auspendeln und damit in den Kantonen mit weniger attraktiven Krankenhäusern doppelte Kosten entstünden: die Kosten der eigenen Krankenhäuser blieben nahezu gleich und zusätzlich entstünden die Kosten für die Behandlungen im anderen Kanton. Die reicheren Kantone mit medizinischen Zentren (Zürich, Bern, Basel und Genf) würden wohl davon profitieren und die ländlichen Regionen würden verlieren. Die begrenzte Wahlfreiheit wird erweitert werden, um Medizinische Zentren und Kooperationen über Kantonsgrenzen hinaus zu fördern.199 Ähnlich der künftigen EU-Regelung sollen grundversicherte Patienten aus den auf den kantonalen Spitallisten aufgeführten Kliniken in der ganzen Schweiz auswählen können, doch der Wohnkanton und die Krankenkasse müssen die außerkantonale Spitalbehandlung höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton des Patienten gilt. Die Differenz geht zulasten des Versicherten.200 Der Fehlanreiz, Krankenhausbehandlungen über Landesgrenzen hinaus nicht zu verrechnen, behindert die Herausbildung überregionaler medizinischer Zentren und führt zu Nachteilen für Patienten in den Grenzregionen. Krankenhausleistungen sollten über Bundesländergrenzen hinweg verrechnet werden. 198
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NZZ vom 15.6.2007, S. 33: Freie Spitalwahl ein Unding. Kantonale Gesundheitsdirektoren gegen mehr Wettbewerb NZZ vom 14.7.2006: Kooperation in der Spitalsversorgung. Schon heute werden Kantonsgrenzen überschritten. NZZ vom 5.12.2007 S. 33: Gegen freie Spitalwahl ohne Aufpreis.
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5.6. Marktelemente werden sich ausweiten Die Einstellung der Landespolitiker zu den Krankenhäusern ist zumeist eine ambivalente: sie versuchen mit Hilfe des Einflusses auf die Krankenhäuser und mit deren Ergebnissen politisch zu punkten. Wenn negative Presse und damit politische Nachteile auftreten, schielen sie aber auf Möglichkeiten, sich dieser Bürde möglichst ohne politischen Schaden zu entledigen. Zusicherungen von Landespolitikern, keine Privatisierung der Krankenhäuser zu planen, sind somit immer zu relativieren. In Deutschland änderte sich die Einstellung der Regionalpolitiker zu den Krankenhäusern in den letzten Jahren aufgrund des Budgetdrucks radikal und zahlreiche Spitäler wurden privatisiert. Private Anbieter versprechen eine gute Medizin zu bezahlbaren Preisen, d.h. Kostenreduzierung bei gleich bleibender Qualität, und diesen Versprechungen konnten viele Regionalpolitiker nicht widerstehen. Auch wenn negative Erfahrungen mit Privatisierungen die Euphorie inzwischen gebremst haben, bleibt diese Option für Eigentümer gegeben. Das staatlich dominierte System wird durch mehrere Einflüsse in Österreich gefährdet werden: x Die positiven Auswirkungen des regulierten Wettbewerbs in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz werden zunehmend deutlich und damit medialer Druck auf die österreichische Gesundheitspolitik entstehen, auch hier zeitgemäße Angebotsformen mit höherer Qualität in medizinischen Zentren unter reguliertem Wettbewerb zu ermöglichen (onkologische und andere medizinische Zentren, integrierte Versorgung, Medizinische Versorgungszentren). Die Übernahme der Schlagworte wird auf Dauer nicht ausreichen und die Forderung entstehen, auch hier innovativen Strukturen unter reguliertem Wettbewerb zu ermöglichen. x Da die öffentlichen Mittel für Sozialtransfers begrenzt und der Druck der Haushaltskonsolidierung und Steuerquotensenkung auf die öffentlichen Budgets mit dem wirtschaftlichen Abschwung zunehmen werden, suchen die Länder Auswege aus ihrem Budgetdilemma. Die Privatisierung der Krankenhäuser ist ein bequemer Ausweg um Finanzrisiken zu begrenzen. Die Privatisierung des KH Oberndorf erfolgte wohl auch deswegen, weil damit Budgetrisiken für das Land Salzburg verhindert werden konnten. Diese Einstellung bereitet das Feld für weitere Privatisierungen. x Solange die medizinische Versorgung auf Rechnung der PKVen mit höheren Arzteinkommen, wie etwa in Dänemark, nur eine Randrolle spielt, bleiben die Forderungen der ärztlichen Interessenvertreter begrenzt. Wenn aber, wie in Österreich, die PKVen höhere Arzteinkommen mit Privathonoraren finanzieren, sind Marktelementen, die Einkommenserhöhungen für Ärzte bewirken, kaum mehr zu verhin-
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dern. Die Einkommensunterschiede für Ärzte zwischen dem öffentlichen und dem privaten System bei vergleichbaren Leistungen bilden den Sprengsatz, der das öffentliche System zuerst diskreditiert und dann auflöst. Privatwirtschaftlich agierende Primare in staatlich gesteuerten Krankenhäusern sind kein stabiles Zukunftsmodell. Grenzüberschreitende Angebote. Die Gesundheitsdienstleistungen können innerhalb der EU immer mehr grenzüberschreitend in Anspruch genommen werden. Noch im Jahr 2008 ist mit der EURegelung zu rechnen, dass Behandlungen innerhalb der EU gewählt werden können und die GKVen jene Kosten, die eine Behandlung im Inland kostet, auch für Behandlungen im EU-Ausland bezahlen müssen. Im Wettbewerb erfahrene Unternehmen aus dem EU-Ausland werden gegen die österreichischen Krankenhäuser und Facharztpraxen konkurrieren und Patienten ins Ausland für Spezialbehandlungen abziehen. Mittelfristig werden sie auch den Markteintritt in Österreich schaffen und mit unseren verstaatlichten Strukturen ähnlich umspringen, wie die westeuropäische Industrie bei ihrem Einfall in die DDR Wirtschaft. Deutsche Großlabore werden sich in Österreich einkaufen, weil die Laborpreise in Österreich deutlich teurer sind als in Deutschland, und Krankenhausketten werden marode Krankenhäuser übernehmen. Dass dies bisher nicht geschah, liegt ausschließlich an der ausländische Anbieter diskriminierenden Krankenhausfinanzierung. Der EU-Markt wird dies ändern. Auflösung von Monopolen und Erzwingung von Wettbewerb. Der Gesundheitsmarkt in Europa dürfte ähnlichen Veränderungen entgegengehen wie der ehemals staatlich dominierte Markt der Telefon-, Post- und Fluggesellschaften. All diese Dienstleistungsbereiche wurden aus der öffentlichen Hand ausgegliedert und werden inzwischen von handlungsfähigen Unternehmen geführt. Die bestehenden Monopole der Krankenhäuser und GKVen widersprechen den EUPrinzipien und werden keinen Bestand haben.
Das staatliche österreichische Gesundheitssystem steht somit in einer Dynamik, die regulierten Wettbewerb früher oder später erzwingen wird. Je früher dieser Weg beschritten wird, desto konkurrenzfähiger wird der Krankenhaussektor später sein. Jene Staaten, die frühzeitig Krankenhäuser, Praxisfirmen und GKVen Wettbewerb aussetzen, erzwingen damit die Herausbildung von Unternehmensstrukturen und stärken ihre Gesundheitswirtschaft. Wenn in Österreich die Herausbildung von Unternehmen nicht ermöglicht wird, werden österreichische Unternehmen in diesem europäischen Markt keine große Rolle spielen. Die deutsche Gesundheitswirtschaft positioniert sich als Exportindustrie. Die Zeitschrift „Die Gesundheitswirtschaft“ widmete dem Thema „Exportland Deutschland. Kliniken, Wissen für die Gesundheitsbranche“ ein eigenes Heft mit Artikeln wie: „Going Europe. Deutsche Medizin als Exportschlager“ bzw. „Goldene Aussichten im Ausland“ und berichtet von
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Projekten in den arabischen Staaten und in Russland.201 Das G-DRG-System wird in anderen Staaten eingesetzt und damit deutsche Experten dort das DRG-System steuern, deutsche GKVen und deutsche Krankenhausunternehmen drängen ins Ausland, Patienten aus den arabischen und osteuropäischen Staaten fahren zur Behandlung vermehrt nach Deutschland. Eine damit konkurrenzfähige österreichische Gesundheitswirtschaft kann sich unter der schützenden Hand der Politik nicht herausbilden und damit wird dieser Wachstumsbereich in Österreich sich nur begrenzt entwickeln können. Die Dynamik ist am Beispiel der Schweiz zu erkennen: ausgehend von einem GKV-System wurde der Wettbewerb zwischen den GKVen ermöglicht, als Variante zur Praxisversorgung Managed Care eingeführt und den GKVen das Angebot von Privaten Zusatzversicherungen ermöglicht. Die GKVen wurden zu Unternehmen und die Versicherten können zwischen GKV Angeboten mit Prämienunterschieden wählen, wobei jedes Angebot die Vollversorgung garantiert. Als nächste Stufe schlägt die „Kommission für Konjunkturfragen“202 vor Marktelemente auszuweiten: x Den Kontrahierungszwang aufzuheben und Leistungs- und Preisverhandlungen zwischen GKVen und Krankenhäusern zu ermöglichen. x Den GKVen eine weitere Differenzierung der Versicherungsangebote nach Selbstbehalten zu ermöglichen. x Managed Care Angebote noch attraktiver zu gestalten. Der private Sektor wird in der österreichischen Gesundheitswirtschaft einen zunehmenden Anteil für sich gewinnen können, wenn unsere Krankenhäuser nicht dem förderlichen Wettbewerb ausgesetzt werden. Der Marktanteil privater Anbieter wird umso größer sein, je später die Krankenhäuser dem Wettbewerb ausgesetzt werden.
5.7. Politischer Einfluss ermöglicht Lobbyismus und damit Partialinteressen Anbieter versuchen in jedem System Strukturen so zu verändern, dass sie daraus Vorteile ziehen. Sie werden in einem Marktsystem durch marktkonformes Verhalten und im verpolitisierten System durch Lobbyismus in den politischen Gremien versuchen, sich Vorteile zu verschaffen. Da sich Investitionen in Lobbyismus auszahlen, sind staatlich gelenkte Systeme ein Tummelfeld für Lobbyisten. x Der Pharmaindustrie gelingt es immer wieder Gesetze durchzusetzen, die dem eigenen Interesse aber nicht der Effektivität des Gesundheitssystems nutzen (vgl. 4.1.12). 201
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DieGesundheitswirtschaft 2/08: Going Europe. Deutsche Medizin als Exportschlager NZZ vom 27.10.2006, S. 9: Genesungskonzepte für das Gesundheitswesen
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Die Ärztekammern beeinflussen die Gesundheitspolitik für die Interessen der Praxen zu Lasten der Krankenhäuser (vgl. 5.7.1).
Die Ärztekammer ist die mächtigste Lobby in Österreich und beeinflusst die Gesundheitspolitik nachhaltig. Die Krankenhäuser verfügen über keine vergleichbare Lobby, die Begehrlichkeiten der Ärztekammer und der Pharmaindustrie entgegenwirken könnte. Die Zusammenführung der Interessen öffentlicher Krankenhäuser in einen Verein ist dringend erforderlich, um im politischen Entscheidungsprozess die Position der Krankenhäuser einzubringen.
5.7.1.
Ärztekammern schwächen die Krankenhausambulanzen
Die Ärztekammern verstreuen medial das Vorurteil, die Versorgung in Praxen sei besser und/oder billiger als in Krankenhausambulanzen, um Leistungsund damit Einkommensverschiebungen für ihre Mitglieder zu erreichen. Auch wenn dieses Vorurteil ohne reale Grundlage ist und die Patienten sich aus freien Stücken häufig für Krankenhausambulanzen entscheiden, hat die Ärztekammer die Benachteiligung der Krankenhausambulanzen erreicht: x Krankenhausambulanzen erhalten für die Ambulanzleistungen nur ca. 40 % der Praxistarife (Tirol) und in manchen Regionen werden Ambulanzen pauschal und damit völlig unabhängig von den Leistungen bezahlt (u. a. in Salzburg). Mit der Pauschalzahlung entsteht der Fehlanreiz für Krankenhäuser, die Ambulanzen nur als lästige Bürde zu behandeln und Leistungen in die Praxen zu verschieben (vgl. 6.2). Dabei sind die Spezialambulanzen der Krankenhäuser mit die bedeutendste Struktur der Sozialen Krankenversorgung. x Die „schwarz–blaue“ Regierung versuchte 1999 durch Selbstbehalte für Ambulanzbesuche Patienten von Krankenhausambulanzen in die Praxen umzuleiten. Arztpraxen wurden von dieser Selbstbeteiligung freigestellt, obwohl aus den Erfahrungen in Schweden bekannt war, dass Selbstbeteiligungen für Besuche in Arztpraxen eher zur Reduzierung von Patientenbesuchen führen als für Besuche in Krankenhausambulanzen. Besuche in Krankenhausambulanzen erfolgen in den meisten Bundesländern nur auf ärztliche Zuweisung und sind daher häufig unvermeidbar. Im Vordergrund stand ein politisches Zugeständnis an die Ärztekammer: die Einkommen der Praxisärzte sollten zu Lasten der „roten“ GKVen erhöht werden. x Die Ärztekammern fördern die Unabhängigkeit und Desintegration der beiden Sektoren Krankenhaus und Praxen und damit die teure doppelte Facharztschiene. Sie versuchen zu verhindern, dass die für stationäre Versorgung vorgehaltenen Geräte und Mitarbeiter der Spitäler auch für die ambulante Versorgung genutzt werden. Beispiele:
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Vorsorgecoloskopien erfolgten bisher zum größten Teil in den Krankenhäusern, da in Einzelpraxen Expertise und die teure Infrastruktur u. a. für die Sterilisierung der Endoskope fehlen. In den Krankenhäusern versorgen Experten mit diesen Geräten stationäre und ambulante Patienten. Die Ärztekammer reklamiert die diagnostische ambulante Coloskopie jetzt für die Arztpraxen exklusiv und verhindert, dass Krankenhausambulanzen diese Leistung von der GKV bezahlt bekommen. Ergebnis: die Krankenhausambulanzen führen Vorsorgecoloskopien weiterhin durch, da die Praxen die Vollversorgung nicht übernehmen können, erhalten aber dafür keine Bezahlung. Laborleistungen. In den Zentralkrankenhäusern stehen Geräte für modernste Laborleistungen und Experten bereit, die Ergebnisse entsprechend interpretieren können. Die Ärztekammer versucht zu verhindern, dass diese Labore Leistungen für Arztpraxen zu Lasten der GKV anbieten und sichert damit das Angebotsmonopol der Laborpraxen für den niedergelassenen Bereich. Da in Vorarlberg die Ärztekammer selbst am Labor des Zentralkrankenhauses Feldkirch beteiligt ist, wurde dort ein gemeinsames Angebot für Praxen und Krankenhaus ermöglicht.
Die Ärztekammer verursacht für Krankenhäuser – ohne deren Widerstand – vermeidbare Zusatzkosten: x Für Österreich wurde durchgesetzt, dass auch nachts Fachärzte in den Zentralkrankenhäusern für alle Fächer anwesend sein müssen, obwohl für kleine Fächer (Plastische Chirurgie, Urologie, Kieferchirurgie, Dermatologie, Gefäßchirurgie, Kinderchirurgie) eine Rufbereitschaft, wie in den Niederlanden und Deutschland, ausreichend wäre. Die Umwandlung zahlreicher Anwesenheitsdienste in Rufbereitschaftsdienste wäre ohne Nachteile für Patienten möglich und würde signifikant Kosten reduzieren. x Die Europäischen Empfehlungen zum Arbeitszeitgesetz wurden für Österreich ohne Rücksicht auf die Folgen für die Krankenhäuser früher als in anderen Staaten umgesetzt. Es enthält die absurde Regelung, dass Ärzte nach 60 Stunden nicht mehr im eigenen Spital, durchaus aber in einem anderen Spital oder in einer Praxis arbeiten dürfen. Daher legen viele Ärzte ihre Dienste so, dass sie am Folgetag nach einfachen Nachtdiensten (Schlafdiensten) in Sanatorien operieren oder in der Privatordination arbeiten können. Z.B führt nach Nachtdiensten ein Arzt im Sanatorium radiologische Interventionen und ein anderer die Mütterberatung in einem Spital durch, obwohl er im eigenen Spital nicht mehr arbeiten dürfte. Der Sinn des Gesetzes, die höhere Patientensicherheit, wurde damit von der Ärztekammer „österreichisch“ ausgehebelt.
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Die Ärztekammern sind bisher weitgehend von den Interessen der Praxisärzte dominiert. Da auch viele Krankenhausärzte bisher eine Zukunft als Praxisarzt anstrebten, unterstützten sie die Praxen – Lobby. Da aber kaum zusätzliche Kassenarztstellen mehr geschaffen werden, sehen immer mehr Krankenhausärzte ihre berufliche Zukunft im Krankenhaus und beginnen Krankenhausinteressen zu vertreten. Daher wird der Interessenwiderspruch zwischen Praxis- und Krankenhausärzten innerhalb der Ärztekammer an Bedeutung gewinnen. Da die Spitalsambulanzen z.T. von den Ländern und die Praxen von den GKVen finanziert werden, ähneln sich die Interessen der Länder und der Ärztekammer: beide wollen Leistungen aus dem Spital in die Praxen verschieben. Die einen, weil sie die Einkommen der Praxen steigern und die anderen, weil sie finanziell entlastet werden wollen. Fürsorglich fördern daher Regionalpolitiker die „Entlastung“ der Spitäler, die langfristig zu Mehrkosten und Qualitätsverlusten führt. Der Kumpanei der Ärztekammern mit den Ländern sind die Spitäler derzeit hilflos ausgesetzt, da sie über keine Interessenvertretung verfügen.
5.7.2.
Fachgesellschaften der Ärztekammer verhindern neue Angebotsformen
Erkrankungen des Skeletts werden in nahezu allen industrialisierten Staaten von Orthopäden behandelt. Nur in Österreich und Deutschland wurden diese Behandlungen auf zwei medizinische Fächer aufgeteilt: x Auf Unfallchirurgen, die traumatische, d.h. unfallbedingte Verletzungen und x Orthopäden, die nicht Unfall bedingte Skeletterkrankungen, sondern degenerative etc. behandeln. Da unfallbedingte Skeletterkrankungen nicht kontinuierlich auftreten, behandeln Unfallchirurgen zumeist auch Skeletterkrankungen aus degenerativen und anderen Ursachen. Etwa werden von Unfallchirurgen und Orthopäden Endoprothesen implantiert, Arthroskopien durchgeführt und Verletzungen des Skeletts, zumindest in der Zeit, in der Sport- und Unfallverletzungen in geringerem Ausmaß auftreten, behandelt. Orthopädische Eingriffe nehmen in unfallchirurgischen Abteilungen oft einen wesentlichen Anteil an der Anzahl der Gesamteingriffe ein. Etwa am LKI werden degenerative Endoprothesen von beiden Fächern mit z.T. unterschiedlichen Systemen und Instrumenten implantiert. Wegen der vielen verwendeten Systeme entstehen Nachteile beim Einkauf und der Lagerung, das OP-Personal kann nicht standardisiert vorgehen, etc. Um die Nachteile dieser Parallelität zu vermeiden, wurde in Deutschland die Facharztausbildung und die fachärztliche Versorgung der beiden Fächer zusammengelegt. Damit blieb Österreich der letzte Staat mit einem eigenen Fach Unfallchirurgie. Die beiden Fächer behandeln ähnliche Erkrankungen und bilden ähnlich aus. In den österreichischen Krankenhäusern werden aber weiterhin doppelte
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Leitungsstrukturen (Primariat, Pflegeleitung, evtl. Röntgen, Physikalische Therapie), fachärztliche Dienste und auch getrennte Intensivstationen vorgehalten. Die Zusatzkosten dafür betragen pro Krankenhaus mit beiden Fächern mindestens T€ 500–Mio€ 1 und für Österreich vermutlich über Mio€ 50 (ausgehend von den Abteilungen in Westösterreich). Etwa am LKI war es nicht möglich, die physikalische Therapie der beiden Fächer zusammenzuführen. Die sehr umfangreichen orthopädischen Leistungen der Unfallchirurgen werden in der Statistik als unfallchirurgische Leistungen ausgewiesen. Dieser Anteil wird bei der Bedarfsermittlung für orthopädische Versorgung ignoriert und damit eine scheinbare orthopädische Unterversorgung im Vergleich zu anderen Staaten ausgewiesen. Zumindest in einem mir bekannten Fall werden daher Überkapazitäten errichtet, d.h. in einem Ballungsraum zwei Orthopädien auf engstem Raum zusätzlich zur orthopädischen Versorgung durch zwei unfallchirurgische Abteilungen neu errichtet. Die unfallchirurgische Fachgesellschaft der Ärztekammer verhindert auch weiterhin die Zusammenlegung der beiden Fächer und verursacht damit signifikante Mehrkosten für Investitionen und den Betrieb ohne wesentliche Vorteile für Patienten. Das Partialinteresse dominiert hier das Interesse der Gesamtheit.
5.7.3.
„Kollegiale“ Krankenhausführung
Nach den Krankenanstaltengesetzen der Länder werden Krankenhäuser nicht wie andere Unternehmen durch eine einheitliche, sondern durch eine Kollegiale Führung geleitet. Die ärztliche, pflegerische und wirtschaftliche Führung handelt jeweils im eigenen Bereich eigenverantwortlich und muss bereichsübergreifende Entscheidungen gemeinsam treffen. Da ärztliche und pflegerische Entscheidungen nahezu immer auch die Finanzen betreffen, sind sehr viele Entscheidungen bereichsübergreifend zu treffen. Die Ärztliche- und die Pflegeleitung werden von den jeweiligen Mitarbeitern als ihre Interessenvertreter in der Führung verstanden und auch die Führungspersonen verstehen sich häufig so. Etwa besteht zwischen der Ärztlichen- und der Pflegeführung oft Dissens über die Aufgaben, die Pfleger von Ärzten übernehmen sollten, etwa Infusionen anzuhängen, und über Aufgaben, die Turnus- und Assistenzärzte zur Entlastung der Pfleger übernehmen sollten. Dabei tritt das Gesamtinteresse des Unternehmens leicht hinter den Partialinteressen der Berufsgruppe zurück. Die Handlungsfähigkeit der Krankenhausführung leidet unter der Begrenzung auf Partialinteressen. Manchmal müssen Veränderungen im ärztlichen Bereich sogar durch Zugeständnisse des wirtschaftlich Verantwortlichen erkauft werden. Die Kollegiale Führung kommt damit oft zu weniger günstigen Entscheidungen als eine einheitlich Unternehmensführung, die das Wohl des Unternehmens und nicht einer Berufsgruppe im Auge hat.
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Die Kollegiale Führung war zur Emanzipation des Pflegepersonals aus der Bevormundung durch Ärzte notwendig. Die Pflege hat sich inzwischen emanzipiert und vertritt ihre Anliegen auch gegen ärztliche Interessen mit Erfolg. Damit besteht keine Notwendigkeit mehr für eine eigene Repräsentanz in der Führung und damit wurde die einheitliche Führung, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, möglich. Die Führung des Krankenhauses sollte daher, wie in anderen Unternehmen, durch einen Verantwortlichen erfolgen. Z.B. den Schweizer Universitätsspitälern steht der Spitalsdirektor vor und die Krankenhausbereiche sind in der Spitalsleitung, dem Entscheidungsgremium, vertreten. Wie in jedem anderen Unternehmen übernimmt der Spitalsdirektor die Gesamtverantwortung und integriert die Berufsgruppen. Auf der Ebene der Abteilungen kann eine geteilte medizinische und wirtschaftliche Führung sinnvoll sein, wenn der Mediziner die Führungsaufgabe nur nebenberuflich wahrnimmt. Die in die ärztliche und pflegerische aufgeteilte medizinische Leitung verhindert aber Teambildungen und ist daher ungünstig. Obwohl das Wissen über diese ungünstigen Strukturen weit verbreitet ist, fehlt der politische Mut zu einer Gesetzesänderung wegen des zu erwartenden Widerstands der Pressure Groups Ärzte und Pflege. Ein Sturm der Entrüstung würde in den Medien entfacht und die verantwortlichen Politiker hätten nur Nachteile zu befürchten. Daher bleibt es gegen besseres Wissen bei der bestehenden Regelung der Kollegialen Führungen, die einer Herausbildung von leistungsfähigen Krankenhausunternehmen entgegensteht. Die Kollegiale Führung sollte nicht im KAG vorgeschrieben sein und Einzelführungen von Krankenhäusern im KAG ermöglicht werden.
6.
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
In Österreich sind die beiden Sektoren der Krankenhaus- und der Praxisversorgung getrennt finanziert und damit auch organisiert. Diese sektorale Krankenversorgung verunmöglicht integrierte Versorgungsformen (vgl. 4.1.2) und die bessere Abstimmung der Versorgungsbereiche. Es mangelt an der Abstimmung durch einen gemeinsamen Organisator: x Zwischen der intra- und der extramuralen Versorgung. Welche Leistungen besser im Praxis- oder im Krankenhausambulanzbereich erfolgen sollen, bleibt dem Zufall überlassen. x Zwischen der Krankenhaus- und der Reha Versorgung. Daher müssen Patienten oft auf die Reha warten und erhalten nur einen geringeren als den möglichen Nutzen aus der Rehabilitation. Bei gesamthafter Planung würden etwa endoprothetische Operationen nur dann erfolgen, wenn die Rehabilitation unmittelbar nach der OP gesichert wäre. x Zwischen den Hausärzten und den Facharztpraxen. Hausärzte überweisen oft nicht an Internisten weil sie befürchten müssen, dass die Patienten vom Internisten den Weg nicht mehr zurück zum Hausarzt finden. x Zwischen den Pflegeeinrichtungen und den Praxen. x Zwischen den Krankenhäusern der Primär- und der Zentrumsversorgung. Die Nachteile aus dieser Desintegration sind weder medizinisch noch wirtschaftlich erhoben. Aus der täglichen Beobachtung und dem Wissen über zahlreiche Patientenschicksale bin ich mir sicher, dass die Versorgungsqualität durch die sektorale Versorgung reduziert wird.
6.1. Kostendifferenz zwischen Facharztpraxen und Ambulanzen203 In Österreich besteht weit verbreitet das Vorurteil, Krankenhausambulanzen wären teurer als Einzelpraxen. Minister Dr. Waneck hatte dieses von der Ärztekammer gestreute Vorurteil aufgegriffen und öffentlich erklärt, dass eine Behandlung in der Ambulanz öS 2.500 und in der Praxis nur öS 500 koste und damit die im Jahr 2000 eingeführten Gebühren für Ambulanzbesuche begrün203
Soziale Sicherheit 12/2001, S. 873: Analyse und Vergleich der Kosten für Krankenbehandlung in Krankenhausambulanzen und Facharztpraxen
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Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
det. Sein eigentliches Ziel war eine Umleitung von Patientenströmen und damit auch der Finanzen aus den Ambulanzen in die Praxen. Beim erwähnten „Kostenvergleich“ von Minister Dr. Waneck wurden aber völlig unterschiedliche Leistungen, somit Äpfel mit Birnen verglichen: x Die kontinuierliche Behandlung eines Patienten über ein gesamtes Jahr führt statistisch im Krankenhaus zu einem und in der Praxis zu vier Behandlungsfällen. Ein Behandlungsfall umfasst nämlich o im Krankenhaus die Behandlung für ein ganzes Jahr, o in der Praxis die Behandlungen innerhalb eines Quartals. Unabhängig davon gibt das Bundesministerium (BMGJF) inzwischen eine dritte Zählweise vor.204 x Wenn ein Patient von mehreren Fachärzten abgeklärt wird, entsteht im Krankenhaus nur ein Behandlungsfall, in den Praxen aber mehrere. Ein Behandlungsfall umfasst o in der Krankenhausambulanz alle Behandlungen der Spezialambulanzen, Laboren, Röntgen, Therapieeinheiten, und o bei Fachärzten nur die eigene Behandlung des Facharztes. Die Behandlungen/Untersuchungen beim Labor-, Röntgen- oder einem anderen Facharzt werden zu weiteren Behandlungsfällen. o Bei einer umfassenden Abklärung bei Fachärzten entstehen daher mehrere und im Krankenhaus nur ein Abrechnungsfall. Bei Bandscheibenschmerzen können im Krankenhaus eine orthopädische, neurologische, radiologische und eine Laboruntersuchung innerhalb einer Behandlung anfallen. In der Praxis wird der Patient zum jeweiligen Facharzt weiter verwiesen und im oben angeführten Fall entstehen daher vier Behandlungsfälle. x In Krankenhäusern werden Allgemeine und Spezialambulanzen angeboten. o Spezialambulanzen haben zumeist ein Angebot, das in Praxen nicht angeboten wird. Etwa die Spezialambulanz Dialyse im Krankenhaus verursacht pro Patienten ca. T€ 35 p.a. an Kosten. Ähnliches gilt für ambulante Strahlentherapien. Spezialambulanzen müssen daher aus dem Vergleich ausgenommen werden. o Allgemeine Ambulanzen der Krankenhäuser sind eher mit den Leistungen von niedergelassenen Fachärzten vergleichbar. Die auf dieser Grundlage aufbauende Analyse zeigte im Gegensatz zum Vorurteil auf, dass Leistungen in Praxen aus den folgenden Gründen nicht kostengünstiger angeboten werden können als in Krankenhausambulanzen: x Krankenhausärzte verdienen nur ca. die Hälfte von Praxisärzten (Daten der Einkommenserhöhung der Ärztekammer und der Kranken-
204
BMGFJ: Handbuch zur Dokumentation in landesgesundheitsfinanzierten Krankenanstalten
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
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hausstatistiken205). Auch kürzere Untersuchungszeiten und längere Arbeitszeiten der Praxisärzte können diesen signifikanten Kostenunterschied nicht ausgleichen. In Ambulanzen wird die Infrastruktur von mehreren Ärzten gemeinsam, in der Praxis zumeist nur von einem Arzt genutzt. Damit reduzieren sich in Ambulanzen die Kosten für Raum, Administration, Geräte, Krankengeschichten, Telefon- und Schreiborganisation pro Behandlung im Vergleich zu Praxen.
Selbst wenn Fachärzte in freier Praxis durch das Finanzierungssystem zu großen Anstrengungen und wirtschaftlicher Betriebsführung veranlasst werden, können sie die Nachteile der Einzelpraxis gegenüber der gut geführten Krankenhausambulanz kaum ausgleichen. Zudem hat die Krankenhausambulanz bei der Behandlung schwieriger Fälle mehrere Vorteile: x Bessere Integration der ambulanten und stationären Versorgung, weil Spezialisten nach der stationären Behandlung Patienten auch ambulant weiter behandeln bzw. Patienten aus der ambulanten in die stationäre Behandlung übernehmen. x Krankenhausärzte in Zentralkrankenhäusern sind mindestens 10 Tage p.a. auf Fortbildungen und daher über neueste Methoden informiert. Zusätzlich arbeiten sie mit Ärzten anderer Fachrichtungen interdisziplinär eng zusammen und dies ermöglicht eher eine gesamthafte Behandlung. x Mit Krankenhausambulanzen kann eine flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau erreicht werden, wenn die Fachärzte der Zentralkrankenhäuser in den peripheren Krankenhäusern an einigen Tagen pro Woche Spezialambulanzen betreiben. Damit wird dort wohnortnah höchste Qualität zu günstigen Kosten geboten, ohne eine teure Facharztpraxis in der Peripherie zu errichten. Die Einzelpraxis ist in den Ballungsräumen keine effiziente Angebotsform und wird zunehmend von größeren Einheiten ersetzt: x In den Niederlanden werden Facharztpraxen nahezu nur an Krankenhäusern von den GKVen finanziert. Gesundheitspolitiker argumentieren, dass in den Niederlanden mit einer Facharztstruktur in Einzelpraxen wie in Deutschland oder Österreich keine höhere Qualität, aber höhere Kosten als mit Krankenhausambulanzen verursacht würden. x In der Schweiz argumentieren Ärzte, „viele junge Ärzte sähen sich nicht mehr als Einzelkämpfer, sondern wünschten sich interdiziplinäre, kleine Gruppenpraxen, wo auch Teilzeit möglich sei – was vor al-
205
Soziale Sicherheit 12/2001, S. 873: Analyse und Vergleich der Kosten für Krankenbehandlung in Krankenhausambulanzen und Facharztpraxen
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lem den immer zahlreicheren Frauen in der Medizin gelegen komme.“206 In Deutschland werden Medizinische Versorgungszentren (MVZs) als Zusammenschluss von Krankenhausambulanzen und Praxen eingerichtet um die Einzelpraxis zu überwinden. Praxisnetzwerke werden in Deutschland und der Schweiz207 von der Gesundheitspolitik gefördert.
Ob fachärztliche Leistungen besser in wohnortnahen Praxen oder in Ambulanzen angeboten werden, sollte nach medizinischen und ökonomischen Gründen entschieden werden. Die Vorteile einer wohnortnahen Versorgung durch Praxen, etwa bei Dialyse, gynäkologischen, ophtalmologischen, endoskopischen oder psychiatrischen Behandlungen sind offensichtlich. Die Vorteile der Krankenhausambulanzen in der Spezialversorgung gegenüber Einzelpraxen aber ebenso. Nur aus Kostengründen sollten keine Behandlungen aus oder in die Ambulanzen verlagert werden. Die Integration von Praxen in Krankenhausambulanzen hat sich in Deutschland und den Niederlanden bewährt und sollte auch in Österreich ermöglicht werden. Die AVZs (Allgemeine Versorgungszentren) wären ein richtiger Schritt in diese Richtung.
6.2. Mehrkosten und Qualitätsverluste durch die sektorale Finanzierung Die Leistungsaufteilung zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung in Krankenhäusern und Praxen ist durch medizinischen und technischen Fortschritt immer in Veränderung begriffen. x Durch die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft. Durch schonende Anästhesie- und minimalinvasive Verfahren wurden kleine Operationen, die früher nur stationär möglich waren, auch in Ambulanzen und Arztpraxen sicher durchführbar. o In Ballungsräumen übernehmen Praxen damit neue und aufwändigere Aufgaben von den Krankenhäusern. o Mit tageschirurgischen Eingriffen im Krankenhaus und ambulanter Nachbetreuung in Praxen können stationäre Aufenthalte vermieden werden. x Diagnostik kann bei schweren und seltenen Erkrankungen in hoher Qualität zunehmend nur noch von interdisziplinären Teams und nicht mehr von einem einzelnen Facharzt beste Ergebnisse ermöglichen. Weil nicht alle Facharztpraxen über die aufwändige Ausstattung für 206 207
NZZ vom 4.7.2007, S. 34: Ärzte wollen staatliche Fesseln sprengen NZZ vom 7.1.2008, S. 25: Ärztestopp – schwer wieder abzuschaffen. Skepsis gegenüber einer generellen Vertragsfreiheit
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
143
die Diagnose schwieriger Fälle verfügen und gemeinsame Fallbesprechungen mit Ärzten anderer Fachrichtungen in der Praxis schwerer zu bewerkstelligen sind, überweisen Fachärzte diese Patienten oft in die Krankenhausambulanzen zur Diagnosestellung bzw. Therapieempfehlung und übernehmen sie nachher wieder zur weiteren Behandlung. Krankenhausambulanzen ergänzen somit bei aufwändiger Diagnostik Facharztpraxen. Krankenhäuser und Arztpraxen bilden in einem gut strukturierten Gesundheitssystem zusammen eine Versorgungskette und sind eng verbunden. Die Qualität und die Kosten der Versorgung hängen damit weitgehend von der Kooperation der Krankenhäuser mit den Arztpraxen ab. Die ausgeprägte Sektoralisierung des österreichischen Gesundheitssystems behindert diese durchgängige Versorgungskette und gilt als eines der zentralen Probleme. Der Weg eines Patienten durch die Versorgungskette erfolgt ohne Schnittstellenmanaqement und daher mit Doppeluntersuchungen, Koordinationsmängeln und mit Nachteilen für Patienten. Die nur mangelhafte Zusammenarbeit der Arztpraxen mit den Krankenhäusern wurde schon immer beklagt und die Gesundheitspolitiker forderten die Verbesserung der Integration in allen Regierungsprogrammen. Die Anreizsysteme wirken aber diesem Ziel entgegen und schaffen die Interessengegensätze GKVen – Ärztekammern – Länder und damit die Nachteile der sektoralen Versorgung. Vor 1997 bestand bereits für die GKVen der Fehlanreiz zur Leistungsverschiebung aus den Praxen in die Krankenhäuser, weil sie in den Krankenhäusern für Behandlungen nur die halben, bei Behandlungen in Arztpraxen aber die gesamten Kosten zu tragen hatten.208 Dieser Fehlanreiz wurde 1997 mit der Finanzierung der Krankenhäuser durch die Landesgesundheitsagenturen209 noch verstärkt. Arztpraxen und Krankenhäuser verloren die Verbindung über die GKVen, driften inzwischen noch weiter auseinander und entwickeln sich weitgehend unabhängig voneinander. Leistungsverschiebungen zwischen den beiden Sektoren erfolgen daher zumeist aus ökonomischen Partialinteressen210 und nicht um die medizinische Versorgung zu verbessern. Was liegt bei knappen Kassen auch näher, als Leistungen zu Lasten des jeweils Anderen zu verschieben, um das eigene Budget zu entlasten?211 Die GKVen sind an der Behandlung im Krankenhaus interessiert, weil dort die Kosten von den Ländern übernommen werden. „Die Krankenversicherungsträger haben ... (wenig) Interesse, die stationäre Versorgung einzuschränken, wodurch eine sehr ineffiziente Ressourcenallokation hervorgerufen wird.“212 Ein Beispiel: die präoperative Diagnostik sollte dort erfolgen, wo dies für die Behandlung am günstigsten ist. Im Krankenhaus 208 209 210 211 212
Laimböck, Sozialversicherungen sollen alleine die Spitalskosten tragen Laimböck, Die Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung und ihre Folgen Laimböck, Wo eine Pille ist, ist auch ein Weg Laimböck, Systemfehler in der ambulanten Versorgung, in: Clinicum 11/98, S. 66 OECD Indicators 2005, S. 107
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kann die Diagnostik für schwierige Eingriffe mit einem Besuch kostengünstig erfolgen (Labor, Röntgen, internistische Untersuchung ohne Anreiz zu vermehrten Leistungen unter einem Dach) und verschafft den operierenden Ärzten die erforderlichen Informationen für den chirurgischen Eingriff in der Krankengeschichte. Durch die getrennte Finanzierung der Praxen und Krankenhäuser haben die Krankenhäuser keinen Anreiz, die präoperative Diagnostik selbst durchzuführen und verschieben diese Leistungen oft in die Praxen, auch wenn dies insgesamt zu Mehrkosten führt. Diese sektorale Trennung verhindert auch die Qualität fördernde und Kosten senkende Leistungsintegration: x Gerätenutzung von Fachärzten in öffentlichen Krankenhäusern. Augen- und Hautfachärzte könnten in Krankenhäusern ihre Patienten tageschirurgisch behandeln, dort die technischen Einrichtungen und die Sicherheitsinfrastruktur mit nutzen und die Patienten in der eigenen Praxis weiterbehandeln. Die Ausbildung der Fachärzte bliebe auch in der Praxis erhalten und die Versorgung würde patientenfreundlicher. Da die Fachärzte diese Leistungen nicht abrechnen könnten, ist diese Leistungsintegration nicht möglich. x Die integrierte tageschirurgische Versorgung mit der Operation im Krankenhaus und der ambulanten Nachbetreuung in den Praxen. Um diese Leistungsintegration zu fördern, müsste die GKV ein Entgelt für diese Nachbehandlungen an die Praxen bezahlen. Da die GKV keinen Vorteil aus der tageschirurgischen gegenüber der mehrtägigen stationären Versorgung hat, finanziert sie z.B. Nachuntersuchungen nach Kataraktoperationen nicht ausreichend und behindert die Umstellung von der stationären zur tageschirurgischen Behandlung. x Die integrierte Behandlung chronischer Erkrankungen. Um das offensichtliche Potential der Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich zu realisieren, sollten die Landesgesundheitsagenturen Leistungsverschiebungen in die Praxen fördern und gleichzeitig Mittel aus den Krankenhausbudgets in die Praxen verschieben. Da die zu verschiebenden Kosten aber nicht so zu ermitteln sind, dass beide Akteure darüber ein Einverständnis erzielen, erfolgten bisher kaum derartige Leistungsverschiebungen. Da hohe Qualität nur durch abgestimmte Leistungen zwischen Krankenhäusern und Praxen zu erreichen sind, sollten die beiden Bereiche durchlässig sein, statt sich gegenseitig abzuschotten. Die getrennte Finanzierung fördert die Abschottung und damit die Desintegration der Arztpraxen und Krankenhäuser und verursacht insgesamt erhebliche Mehrkosten. Die Folgen sind eine weitgehend finanziell motivierte Aufgabenteilung zwischen Krankenhäusern und Praxen und Nachteile für Kosten und Patienten. Die Nachteile waren bereits zum Zeitpunkt der Umstellung 1997 bekannt und es besteht dennoch keine Aussicht, dass
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
145
diese behoben werden. Dazu waren bisher die LKF Kommissionen nicht in der Lage und werden wohl auch die Gesundheitsplattformen nur vereinzelt in der Lage sein. Die Organisation der Finanzierung der Krankenhäuser erfolgt über GKVen effizienter als über die Länder. „Die finanzielle Verantwortung der Krankenkassen sollte auf die Abdeckung der Spitalskosten ausgeweitet werden. ”213
6.2.1.
Leistungsverschiebung von Praxen in die Krankenhausambulanzen
Krankenhäuser werden von den Landesgesundheitsagenturen und Praxen von den GKVen finanziert. Diese getrennte Finanzierung, schafft den Fehlanreiz, Behandlungen aus Praxen in die Ambulanzen zu verschieben: x Diagnostik wird in das Krankenhaus verschoben. MR- und CTUntersuchungen als Abklärung vor orthopädischen oder anderen Eingriffen können in radiologischen Praxen oder im Krankenhaus erfolgen. Bis 1997 bezahlte die GKV diese Untersuchungen in manchen Bundesländern im Krankenhaus- und im Arztpraxisbereich vergleichbar und ermöglichte damit diese Diagnostik auch in den Praxen. Seit 1997 erwarten GKVen, dass diese Diagnostik im Krankenhaus erfolgt. x Dialysebehandlungen werden in das Krankenhaus verschoben. Die Dialyse von Patienten in gutem Allgemeinzustand kann in Privatambulanzen oder auch in Altenheimen oft wohnortnäher und in einer patientenfreundlicheren Atmosphäre erfolgen als im Krankenhaus. In Wien dagegen erfolgen Dialysebehandlungen weitgehend in Krankenhäusern. Patienten müssen für diese Behandlungen seit Jahren dreimal pro Woche, auch nachts, in das Krankenhaus. Oder: die ambulanten Dialysen in Lienz und Reutte erhielten keine Kassenverträge, weil die Versorgung im Krankenhaus für die GKVen kostenlos erfolgt. x Die Kassen verschieben Leistungen und deren Kosten in die Krankenhäuser. In Tirol verlangte die TGKK, dass die Spezialambulanzen des LKI alle denkbaren Laser vorrätig haben müsse. Weil ein Laser (vornehmlich für Plastische Chirurgie) in einem Privatsanatorium, nicht aber am LKI, angeschafft worden war, musste das LKI die Kosten für die Behandlung im Privatsanatorium für Patienten der Allgemeinen Klasse übernehmen. So lange die GKV die Leistungen auch dem LKI bezahlen musste, wäre eine derartige Entscheidung kaum denkbar gewesen. x Psychologische Behandlungen. Akutpatienten kommen in die Ambulanz eines Zentralkrankenhauses (LKI) und benötigen eine ambulante psychologische Behandlung. Da die TGKK im Bereich niedergelassener Psychologen das Budget deckelt und damit nur eine begrenzte 213
OECD Indicators 2005, S. 113
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Anzahl an Behandlungsplätzen finanziert, muss in der Ambulanz ein großer Teil der Akutpatienten ambulant weiter behandelt werden. Die Patienten müssten die Behandlung bei einem niedergelassenen Psychologen selbst bezahlen, wenn sie nicht in der Ambulanz weiter versorgt werden. Verschiebung ungünstig finanzierter Leistungen in die Krankenhausambulanzen. Mundchirurgie bezahlt die GKV den Praxen schlecht, daher überweisen die Ärzte ins Spital. Ähnliches gilt in manchen Regionen für die AIDS Behandlung. Fehlanreiz durch unterschiedliche Selbstbehalte für Patienten. Patienten kommen in Krankenhausambulanzen, weil dort Leistungen kostenlos und in Praxen mit Selbstbehalt angeboten werden. o Schwangere Frauen können mit der Nackenfaltenmessung überprüfen lassen, ob eine genetische Missbildung des Kindes droht. Niedergelassene Ärzte boten diese Untersuchung in manchen Bundesländern gegen Entgelt, Krankenhausambulanzen unentgeltlich an. o Für Ultraschalluntersuchungen mussten Frauen in manchen Bundesländern bei Gynäkologen bezahlen, in Krankenhausambulanzen nicht. o Wegen der geringen Anzahl an Kassenverträgen für Physiotherapeuten warten Patienten auf die Physiotherapie in manchen Regionen bis zu 6 Wochen. Da nach chirurgischen Eingriffen die Physiotherapie sofort beginnen sollte, können die Patienten oft nur zwischen der Behandlung in einer physiotherapeutischen Praxis ohne Kassenvertrag mit 20 % Selbstbehalt und einer Physiotherapie im Krankenhaus ohne Selbstbehalt wählen. Bei guten Beziehungen findet sich ein Behandlungsplatz im Krankenhaus.
Auch für Hausärzte entsteht durch das bestehende Finanzierungssystem der Anreiz, Patienten nicht zu Fachärzten, sondern in Krankenhausambulanzen zur Abklärung zu überweisen. Wenn ein Hausarzt den Patienten zu einem Internisten überweist läuft er Gefahr, dass der Internist den Patienten behält und die (oft) chronische Erkrankung selbständig weiter therapiert. Da der Ambulanzarzt keinen Anreiz dazu hat, kommt der Patient nach der Abklärung in der Krankenhausambulanz wieder zum Hausarzt zurück. Das Gesundheitsministerium arbeitet derzeit an einem Leistungskatalog, der gleiche Bedingungen für Ambulanzen und Praxen schaffen soll. Voraussetzung für den Erfolg dieser Bestrebung ist aber die Behebung des Fehlanreizes der sektoralen Finanzierung. Diese Leistungsverschiebungen aus Praxen in die Krankenhäuser erfolgen durch Fehlanreize. Eine für Praxen und Krankenhausambulanzen vergleichbare Finanzierung kann diese Verschiebungen deutlich reduzieren.
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
6.2.2.
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Leistungsverschiebung in die stationäre Krankenhausversorgung
Manche ambulanten Behandlungen werden wegen der Fehlanreize der sektoralen Finanzierung in den stationären Bereich verschoben, auch wenn die stationäre Versorgung keine Vorteile hat: x Infusionstherapien für alte Patienten in Pflegeheimen können vom Hausarzt in den Pflegeheimen durchgeführt werden. Die Kassen bezahlen dem Hausarzt für Behandlungen im Altenheim nur eine Pauschale und schaffen damit den Fehlanreiz zur Leistungsverschiebung in die stationäre Krankenhausversorgung. Im Landeskrankenhaus Salzburg und im LKI werden täglich solche Patient in der Notfallambulanz, statt im Altenheim, untersucht und im Anschluss daran stationär behandelt. x Dekubitus Patienten können aus Krankenhäusern in die häusliche Pflege oder in das Pflegeheim entlassen werden, wenn die Dekubitusbehandlung von der Hauskrankenpflege dort fortgesetzt wird. Da die GKV, zumindest in Tirol, die ambulante Dekubitusbehandlung und das dafür erforderliche VAC System nicht finanzierte, verblieben diese Patienten im Krankenhaus. Zu den VAC Kosten kamen damit die Kosten für die Krankenhausbehandlung hinzu. Derzeit wird ein Projekt von Ärzten und TGKK ausgearbeitet, um diese Leistung aus dem Krankenhaus in die Pflegeheime bzw. in den ambulanten Bereich zu verschieben. x Die ambulante Geburt wird nahezu verunmöglicht. Ca. 10–15 % der Frauen wünschen in anderen mitteleuropäischen Staaten die ambulante Geburt. Sie kann aber nur als integrierte Leistung der Krankenhäuser und der ambulanten Einrichtungen von einer Hand sinnvoll organisiert und finanziert werden. Die Vor- und Nachbetreuung durch Kinderarzt, Hebamme und Haushaltshilfe zuhause und die Geburt im Krankenhaus müssen bereitgestellt werden. In Deutschland finanzieren die GKVen die ambulante Geburt im Krankenhaus und im Anschluss daran die Hebamme, den nachbetreuenden Kinderarzt und eine Haushaltshilfe für eine Woche als Leistungspaket und sparen damit im Vergleich zur teureren Geburt mit anschließend stationärem Aufenthalt. Mangels Koordination durch die GKVen ist in Österreich dieses patientenfreundliche und wirtschaftliche Angebot nicht möglich. Die ambulante Geburt bleibt damit unorganisiert, der Initiative einzelner Frauen überlassen und wird nur von weniger als 3 % der Frauen angenommen. x Stationäre Versorgung im Spital statt Übernahme der Patienten in Pflegeheime. Viele Patienten bleiben länger im Spital, weil kein Pflegeplatz für den Patienten gefunden werden kann. In Schweden muss der Sozialbereich die Aufenthaltskosten im Krankenhaus übernehmen, wenn kein Pflegeplatz verfügbar ist. In Österreich werden teure Stati-
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x
onsbetten mit Pflegefällen belegt und damit der stationäre Bereich aufgebläht. Die Verabreichung teurer Medikamente erfolgt oft stationär, weil die GKV diese im Praxisbereich nicht finanziert. o Die Behandlung der Makuladegeneration (Alterserblinden) (vgl. 4.1.12). Da die GKVen diese Kosten in den Praxen nicht übernehmen, empfiehlt Novartis in Österreich die Behandlung in Krankenhäusern. In den USA wird die Injektion in das Auge von Augenärzten in sterilen Praxisräumen durchgeführt und auch vom Hersteller so empfohlen. o Die GKVen bezahlen teure Medikamente oft bei Verschreibung durch Praxen nicht und verschieben damit diese Leistungen in das Krankenhaus Die Krankenhäuser können und wollen diese Behandlung nicht verweigern und behandeln stationär, um zumindest eine Teilfinanzierung durch die Landesgesundheitsagenturen zu erreichen. Das gilt z.B. für Remicade, MS Präparate (Tysabri), monoklonaler Antikörper und Lungenpräparate für Kleinkinder.
Die sektorale Finanzierung mit seiner Unterfinanzierung der ambulanten und Überfinanzierung des stationären Sektors führt zur Verschiebung ambulant möglicher Leistungen in den stationären Bereich. Als Gesamtorganisator der Krankenbehandlung hätten die GKVen die Möglichkeit, die Verschiebung dieser Leistungen in den stationären Bereich durch entsprechende Anreize für den ambulanten Bereich zu verhindern bzw. die Abrechnung als stationäre Leistung zu verweigern.
6.2.3.
Die Nachteile der sektoralen Finanzierung der Rehabilitation
Bei zahlreichen Erkrankungen ist zu einer Heilung oder Linderung nach der Akutbehandlung oder während der chronischen Erkrankung eine Rehabilitation erforderlich. x Die Versorgung mit Hüft-, Knie-, Cochleaimplantationen ist erfolgreicher, wenn unmittelbar nach dem operativen Eingriff die Rehabilitation folgt. x Schwerkranke oder psychiatrische Patienten bedürfen nach einer Körper und/oder Psyche stark beanspruchenden Versorgung einer Rehabilitation. x Nach der stationären Behandlung nach Schlaganfällen bringt die rechtzeitige und ausreichende Neuro-Rehabilitation einen besseren Behandlungserfolg und damit eine höhere Selbständigkeit der Patienten.
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
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Geklärt ist die Zuständigkeit für die Finanzierung der Rehabilitation bei drohender Pensionierung und nach Arbeitsunfällen. x Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) bezahlt die Rehablilitation im Zusammenhang mit der drohenden Pensionierung von Versicherten und x die AUVA nach Arbeitsunfällen. Ungeklärt ist die Rehabilitationsfinanzierung nach einer Akut- oder während einer chronischen Erkrankung. Die Rehabilitation wird nach der Sozialgesetzgebung nur „nach pflichtgemäßem Ermessen gewährt“ (ASVG 154a), ist daher für die GKVen in Österreich nicht verpflichtend und kann vom Versicherten nicht erzwungen werden. Auf dem Hintergrund der ungeklärten Finanzierung entstanden in Ost- und Westösterreich unterschiedliche Finanzierungsformen. Die neurologische und orthopädische Rehabilitation wird in x Ostösterreich häufig durch die PVA bzw. die AUVA und in x Westösterreich aus Mitteln der stationären Krankenhausversorgung finanziert: in Tirol im LKH Hochzirl und in Salzburg in der Christian Doppler Klinik bzw. im LKH St. Veit. Die Versorgung in Akutkrankenhäusern in Westösterreich verursacht Nachteile: x Da Akutkrankenhäuser nach Leistungen finanziert werden, entsteht der Anreiz zu nicht unbedingt erforderlichen, aber abrechenbaren Leistungen. Die international übliche Finanzierung der Rehabilitation mit pauschalen Tagesentgelten nach Therapiestufen entspricht dem Reha-Betrieb und vermeidet überflüssige Leistungen. x Die stationäre Reha wird in Westösterreich aus Mitteln der Krankenhäuser finanziert. Für die kostengünstigere und häufig effektivere ambulante Reha sind die Krankenhäuser nicht zuständig. Da auch die GKVen diese Finanzierung nicht übernehmen, entstehen kaum ambulante Angebote. Bei vielen Patienten wäre die ambulante Rehabilitation in Ambulatorien oder in der Wohnung des Patienten aber medizinisch und wirtschaftlich günstiger als die stationäre in Akutkrankenhäusern. Sie kann über längere Zeit mit abnehmender Frequenz erfolgen und bedarf nicht des aufwändigen stationären Betriebs. Die Einsparungspotentiale aus der ambulanten statt der stationären Rehabilitation werden, wegen der unklaren Finanzierung, nicht gehoben. In Vorarlberg wurde eine beispielhafte ambulante Reha aus Landesmitteln aufgebaut und daher erfolgt dort die späte Rehabilitation nach Schlaganfällen ambulant und damit insgesamt kostengünstiger als stationär in Rehakliniken. Inzwischen beginnt die GKV ambulante Reha aufzubauen, da die Defizite offensichtlich wurden. Die Nachteile der sektoralen Finanzierung der Reha werden damit noch nicht beseitigt.
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Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
Auch die Finanzierung der Rehabilitation durch die PVA führt zu Nachteilen: x Es erfolgt keine Koordination durch die GKVen. Nach der Akutbehandlung muss an die PVA ein Antrag zur Rehabilitation gestellt werden. Unmittelbar nach der Akutversorgung erfolgt daher oft keine Rehabilitation, sondern erst nach der PVA-Prüfung verspätet und damit weniger effektiv. Therapieerfolg und Erfolg der Rehabilitation bleiben zudem unkontrolliert. Z.B. finanzieren die Landesgesundheitsagenturen unbegrenzt endoprothetische und Cochlea Implantate (im Werte von T€ 22 pro Stück), ohne die dafür erforderliche Rehabilitation zu sichern. x Keine Integration der stationären und rehabilitativen Leistungen als Behandlungskette. Die PVA ermöglicht keine Reha Einrichtungen im Verbund mit Krankenhäusern, da eine Verschiebung von Reha Leistungen, die bisher von Akutkrankenhäusern erbracht werden, in die Reha Einrichtungen befürchtet wird. Reha Einrichtungen im Verbund mit Krankenhäusern können aber eine höhere Qualität wegen der interdisziplinären Versorgung bieten und zudem dieselbe Infrastruktur wie das Krankenhaus kostengünstiger nutzen. Die PVA fördert daher oft private Träger und verhindert damit die lückenlose Reha nach der Akutbehandlung und verursacht damit für die Patienten Risiken an der Schnittstelle zwischen Akut- und Rehaversorgung und höhere Kosten. Die ungünstige Zuständigkeit für die Finanzierung der Rehabilitation führt zu Nachteilen für Patienten und Kosten. Die Versicherten sollten einen individuellen Anspruch auf Rehabilitation nach ASVG bekommen, von der GKV sollte die Reha finanziert bzw. koordiniert werden. Die GKVen können dann Akut- und rehabilitative Behandlung koordinieren und die Qualität der Behandlungskette sichern. Ohne diese integrierte Versorgung entstehen Nachteile für Patienten und ein international nicht konkurrenzfähiger Rehabereich.
6.3. Nachteile wegen der Unterfinanzierung der Krankenhausambulanzen Weil der ambulante Bereich deutlich schlechter als der stationäre Bereich finanziert wird, erwirtschaften die Krankenhäuser aus dem Betrieb von Ambulanzen in allen Bundesländern hohe negative Deckungsbeiträge: x In Tirol und Oberösterreich werden die ambulanten Leistungen nach einem (unzureichenden) Leistungskatalog abgerechnet. Die Tarife im Ausmaß von maximal 50–70 % der GKV-Tarife verschaffen den Anreiz, auch ambulant mögliche Leistungen stationär zu erbringen.
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
x
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In den anderen Bundesländern erfolgt eine weitgehend leistungsunabhängige Pauschalfinanzierung der Krankenhausambulanzen durch einen bei weitem nicht kostendeckenden Pauschalbetrag (Salzburg u. a.). Damit entsteht einerseits der Anreiz, ambulant mögliche Leistungen in den stationären Bereich zu verschieben, weil dort jede Leistung finanziert wird, aber noch zusätzlich, möglichst wenig ambulante Leistungen zu erbringen, da bei einer Leistungsreduzierung keine Einkommenseinbußen folgen. Ein sektorenübergreifender Leistungskatalog für ambulante Behandlungen wird im BMGFJ derzeit erarbeitet und ist Voraussetzung für eine faire Finanzierung der Krankenhausambulanzen.214
Praxen erhalten ohne jede rational nachvollziehbare Begründung für dieselben Leistungen deutlich höhere Entgelte als Ambulanzen. Die Unterdeckung der Ambulanzen wird unterschiedlich finanziert: x In den drei Bundesländern mit weitgehend kostendeckender LKF- Finanzierung im stationären Bereich müssen entweder Mittel aus dem stationären Bereich in den ambulanten umgeschichtet werden oder es fallen Defizite für den Rechtsträger an. x In den sechs Bundesländern mit Betriebsabgangsfinanzierung wird die Unterdeckung der Ambulanzen durch die Rechtsträger ausgeglichen. Damit entsteht der Anreiz für die Landesregierungen zur Leistungsreduzierung der Ambulanzen u. a. durch Verschieben von Leistungen in die Praxen. Weil die Gegenüberstellung von Kosten mit den Erlösen bei Pauschalfinanzierung der Ambulanzen nicht möglich ist, werden die ambulanten Leistungen in den Ländern mit Pauschalfinanzierung kaum erfasst. Die Folgen der Unterfinanzierung der Krankenhausambulanzen sind deren Vernachlässigung und die Leistungsverschiebung in den stationären Sektor. Die Finanzierung der Krankenhausambulanzen in einem mit den Praxen vergleichbaren Ausmaß unter Berücksichtigung der Landesfinanzierung der Investitionen ist dringend erforderlich.
6.3.1.
Doppelte Facharztschiene
Die Ärztekammer und auch viele Gesundheitspolitiker drängen darauf, die fachärztliche Versorgung aus den Krankenhäusern in die Praxen zu verschieben. Da die fachärztliche Versorgung im stationären Bereich der Krankenhäuser in jedem Fall erfolgt, wird damit eine teure Doppelstruktur in Krankenhäusern und Praxen geschaffen, die für Patienten keine Vorteile aber höhere Kosten verursacht. In Deutschland besteht diese Doppelstruktur in noch größerem Ausmaß und ist für einen großen Teil der hohen Gesundheitskosten dort mit verant214
BMGFJ: Dokumentation im ambulanten Bereich. Entwicklung Leistungskatalog
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Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
wortlich. Die Praxislobby verhinderte dort lange ambulante Behandlungen in Krankenhäusern überhaupt, weil damit den niedergelassenen Fachärzten Einkommen entgangen wäre. Erst seit der letzten Gesundheitsreform wurden Krankenhausambulanzen im Rahmen von Medizinischen Versorgungszentren ermöglicht. Prof. Karl Lauterbauch kommentiert dies für Deutschland so: „Nicht von ungefähr haben wir die höchste Facharztdichte im europäischen Vergleich. Während die Fachärzte in einer Klinik in der Regel kooperieren, konkurrieren die niedergelassenen Fachärzte um denselben Patienten. Die doppelte Facharztschiene ist wahrscheinlich die größte Quelle der Unwirtschaftlichkeit und Ungerechtigkeit im deutschen Gesundheitssystem. Dabei geht es nicht in erster Linie um die sogenannten Doppeluntersuchungen, wenn zwei Ärzte die gleiche Untersuchung machen. Eine viel wichtigere Rolle spielen die überflüssigen Krankenhauseinweisungen und die Untersuchungen und Behandlungen die überhaupt nicht notwendig sind oder in zu kurzen Abständen durchgeführt werden … Warum wurde die doppelte Facharztschiene dennoch nie beseitigt? Der Hauptgrund ist, dass sie den niedergelassenen Fachärzten bei der Verteidigung eines Einkommensmonopols hilft.“ 215 Viele Spezialuntersuchungen müssen in den Ambulanzen der Zentralkrankenhäuser oder Universitätskliniken erfolgen, weil dort das Wissen und die Ausstattung konzentriert sind. Die weniger spezialisierte Versorgung kann in Ballungsräumen wohnortnah durch Praxen und oder Krankenhausambulanzen erfolgen. In dünn besiedelten Gebieten ist oft die ambulante Facharztbehandlung im Krankenhaus vorteilhaft. Z.B. in Italien fahren Fachärzte aus den Zentralkrankenhäusern in periphere Krankenhäuser und betreiben dort wohnortnahe Spezialambulanzen an wenigen Tagen der Woche. Etwa behandeln Fachärzte aus dem Zentralkrankenhaus Bozen ambulante Patienten im KH Sterzing an einigen Tagen pro Woche und bringen auf diese Weise Wissen und Erfahrung des Zentralkrankenhauses in die Peripherie. Ein rational strukturiertes Gesundheitssystem sollte den Fachärzten in den Krankenhäusern in jedem Fall die Möglichkeit bieten, zu ähnlichen Bedingungen wie Praxisärzte Patienten in Krankenhausambulanzen zu versorgen. Wenn beide Bereiche von einem Finanzier geplant werden, kann auch die teure Parallelität der ambulanten Versorgung in Praxen und Spitälern begrenzt werden. Die doppelte Facharztschiene sollte reduziert und die fachärztliche Versorgung besser darauf hin abgestimmt werden, ob die Versorgung mit Qualität und Erreichbarkeit besser in der Praxis oder in der Krankenhausambulanz erfolgt. Die Verlagerung von allgemeinen ambulanten Leistungen aus dem Krankenhaus in Facharztpraxen kann in Einzelfällen sinnvoll sein, führt aber häufig zu Mehrkosten.
215
DER SPIEGEL 24/2007: Prof. Lauterbach: Unsere Gegner sind die Patienten, S. 92.
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
6.3.2.
153
Keine Optimierung der Notfallambulanzen
In den Ballungsräumen erhalten die Notfallambulanzen der Spitäler eine zunehmende Bedeutung: Die Notfallstation ist auch da, wenn der Hausarzt seine Praxis geschlossen hat, die Notfallstation findet man, die Telefonnummer des diensthabenden Arztes vielleicht nicht und zudem haben immer weniger Personen einen Hausarzt. Als Faustregel gilt auf Notfallstationen, dass ein gutes Viertel aller Spital-Notfallpatienten, besser den Hausarzt aufgesucht hätte.216 Da die Krankenhäuser in Österreich für die Notfallversorgung keine Leistungsentgelte erhalten (vgl. 6.2), werden die Notfallambulanzen zur wirtschaftlichen Belastung der Krankenhäuser. Sie werden daher eher vernachlässigt und nicht zeitgemäß weiter entwickelt. Auch aus diesem Grund werden keine interdisziplinären Notfallambulanzen in Krankenhäusern eingerichtet, obwohl diese höhere Qualität bieten als die dezentrale, auf viele Ambulanzen aufgeteilte Versorgung. Etwa durch die Expressversorgung leichter Verletzungen könnten den Patienten stundenlange Wartezeiten erspart werden. Einerseits bilden die Notfallambulanzen das Rückgrat der Akutversorgung, andererseits erfolgt durch das Finanzierungssystem der Anreiz, diese eher zu vernachlässigen oder gar abzubauen. Diesen Widerspruch ignoriert die Gesundheitspolitik. Vorhaltung und Leistungen der Notfallambulanzen sollten ausreichend finanziert werden.
6.3.3.
Vernachlässigung der Spezialambulanzen
Die Spezialambulanzen sind für die Diagnose und Behandlung schwieriger Krankheiten von entscheidender Bedeutung. In den international günstigsten Gesundheitssystemen Skandinaviens, jenen mit hoher Qualität und niedrigen Kosten, spielen die Spezialambulanzen der Zentrumskrankenhäuser und Universitätskliniken eine entscheidende Rolle in der Krankenversorgung. In Österreich werden die Leistungen der Spezialambulanzen nicht adäquat finanziert. Sie werden damit zur wirtschaftlichen Belastung der Zentrumskrankenhäuser. Daher konzentrieren sie sich nicht so sehr auf die Qualitätsund Organisationsverbesserung der Spezialversorgung im ambulanten, sondern auf jene im stationären Bereich. Allgemeine Ambulanzen werden bevorzugt, weil sie Patienten für den stationären Bereich der Allgemeinen und der Sonderklasse „akquirieren“. Organisationsverbesserungen für die Verlagerung stationärer Behandlungen in den ambulanten Bereich werden erst gar nicht in Erwägung gezogen, weil sie das wirtschaftliche Ergebnis verschlechtern würden. Wenn die wirtschaftlichen Mittel knapp werden, werden Spezialambulanzen eher eingeschränkt.
216
Vgl. NZZ vom 8.6.2006, S. 39: Express-Notfallstation für Bienenstiche
154
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
6.3.4.
Verschieben ambulanter Leistungen in den stationären Bereich
Stationäre Leistungen werden in anderen Staaten auf das Notwendige begrenzt und ambulant mögliche Leistungen nur im ambulanten Bereich finanziert. Z.B. die deutschen GKVen verweigern die Bezahlung stationärer Behandlungen, wenn die Behandlung auch ambulant möglich ist. In Österreich dagegen besteht keine Kontrolle darüber, ob Leistungen nur stationär erbracht werden können oder auch ambulant möglich sind. Da die Gesundheitsagenturen auch stationäre Aufenthalte ohne medizinische Notwendigkeit bezahlen, braucht mit stationären Aufnahmen nicht sparsam umgegangen zu werden. Zusätzlich besteht wegen der Unterfinanzierung der Ambulanzen sogar der Anreiz zur Verlagerung ambulanter Leistungen in den stationären Bereich. Zahlreiche ambulant mögliche Leistungen werden stationär erbracht, weil dadurch mehr Einnahmen erwirtschaftet werden. Z.B. erfolgen Coloskopien in manchen Spitälern auch stationär, obwohl eine ambulante Behandlung üblich ist; aufwändige mehrtägige Diagnostik ist einfacher zu planen, wenn der Patient stationär aufgenommen wurde und damit immer verfügbar ist. Das Krankenhaus muss sich nicht so straff organisieren und die Behandlungen mit geringen Wartezeiten für Patienten planen. Der Anreiz zur stationären Aufnahme wird durch die Möglichkeit der Privatliquidation in der Sonderklasse noch verstärkt (vgl. 9.4). Die stationäre Versorgung ist wegen der teuren ärztlichen und pflegerischen 24-Stunden-Betreuung wesentlich teurer als die ambulante. Der Fehlanreiz zur Vernachlässigung der Ambulanzen führt somit zu Mehrkosten. Die Verschiebung von Krankenhausleistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich wird nur erfolgen, wenn die ambulanten Leistungen fair vergütet und die Abrechnungen durch den Finanzier darauf hin kontrolliert werden, ob stationäre Aufenthalte medizinisch notwendig waren. Bei einer ausreichenden Finanzierung können in Österreich ca. 15 % der stationären Aufenthalte in den ambulanten Bereich verschoben werden.
6.3.4.1. Stationäre Aufnahmen um Einnahmen zu erhöhen In anderen Staaten werden chirurgische und konservative Behandlungen vermehrt ambulant oder teilstationär ohne Übernachtung im Spital durchgeführt, weil damit die hohen Kosten für die stationäre Versorgung auf das Notwendige begrenzt bleiben. Weil aber in Österreich die mehrtägige stationäre Versorgung im Vergleich zu ambulanten Behandlungen von der LKF besser und von den PKVen ambulante Behandlungen gar nicht bezahlt werden, erfolgen hier zahlreiche Behandlungen stationär mit Übernachtungen statt in einer Tagesklinik. Dazu gehören: x Augenlaserungen x Kataraktoperationen
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
x x x x x x
x
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Kleine chirurgische Eingriffe, wie Leistenbruch, Adenotomien, kleine gynäkologische und urologische Eingriffe Umstellung auf Insulin mit Einschulung PET Untersuchungen Blutreinigungsverfahren Plasmagewinnung Beobachtungen nach Knochenmarktransplantationen: Z.B. finanzierte die Tiroler Gebietskrankenkasse bis 1996 während der Kontrollphase nach Knochenmarktransplantation für ca. € 50 pro Tag den Hotelaufenthalt der Patienten, da die stationäre Aufnahme für sie teurer war. Mit der Einführung der LKF ab 1997 übernahm die Krankenhausfinanzierung das Land Tirol. Die Finanzierung der Hotelkosten wurde von der TGKK eingestellt und die bisher ambulant behandelten Patienten während der Kontrollphase stationär aufgenommen. Strahlentherapeutische Behandlungen sind für Patienten zwar sehr belastend, erfordern aber häufig keine stationäre Unterbringung im Spital. Da die ambulante Versorgung unter- oder nur pauschal finanziert ist, werden diese Leistungen in Österreich häufiger als erforderlich stationär erbracht (das ÖBIG plant je LINAC auch weiterhin ca. 10– 15 Betten für diese ambulanten Leistungen).
Mit der stationären Behandlung werden im Vergleich zur ambulanten Behandlung mehr Einnahmen erwirtschaftet und bleibt der Patient für Vorbereitung, Durchführung und Nachbesprechung jederzeit verfügbar. Die Arbeit für das Personal ist somit einfacher zu organisieren.
6.3.4.2. Stationäre Aufnahmen aus administrativen Gründen Die LKF-Vorschriften geben für viele (ambulant mögliche) Behandlungen vor, diese als tagesklinische zu dokumentieren, auch wenn den Patienten tatsächlich kein Krankenhausbett zugeteilt wird und die meisten von ihnen eine Krankenhausstation nicht von innen zu sehen bekommen. Die Patienten werden im Krankenhaus ambulant behandelt, erhalten eine Liege oder gar keine Bleibe und verlassen das Krankenhaus während des Tages. In Österreich werden diese tagesklinische Behandlungen dem stationären Bereich zugerechnet. In Wien sind 30 %, in Salzburg und Tirol 10 % aller stationären Krankenhausaufenthalte solche Aufenthalte ohne Übernachtung: x Mehrtägige Therapien: Der Patient wird nach einem Schlaganfall, während einer psychiatrischen Erkrankung oder wegen geriatrischer Gebrechen mit einer Ganztagesstruktur von 9 bis 15 Uhr an mehreren Tagen die Woche in der Tagesklinik ambulant behandelt. Nach den LKF-Vorgaben sind diese Aufenthalte aber als stationäre zu erfassen. Diese Behandlungen werden nicht in allen Bundesländern gleich erfasst: etwa in Tirol wird jeder einzelne dieser tagesklinischen Besuche
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Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
erfasst, in Salzburg mehrere Besuche zu einer Behandlung zusammengezogen. x Ambulante Chemotherapien müssen nach LKF-Vorgaben als stationäre tagesklinische Leistungen dokumentiert werden, obwohl der Patient kein Krankenhausbett bekommt und nur für die Zeit der Chemotherapie einige Stunden auf einer Liege im Krankenhaus behandelt wird. In anderen Staaten werden diese Behandlungen als ambulante ausgewiesen. Die Zuordnung zum stationären Bereich in Österreich führt zur Unvergleichbarkeit der österreichischen Daten mit jenen anderer Staaten: x Die Beimengung der Tagesklinikpatienten ergibt statistisch in Österreich eine vergleichsweise kurzen, geschönte Aufenthaltsdauer für stationäre Behandlungen und eine Aufblähung der Anzahl stationärer Aufnahmen. x Wie die Entwicklung der Daten zeigt, wurde die Anzahl stationärer Aufenthalte dadurch statistisch überhöht: o Im 1. LKF Jahr 1997 stieg die Anzahl stationärer Fälle um 6 %, weil die Krankenhäuser ehemals ambulante Behandlungen nun als stationäre 0-Tagesbehandlungen abrechneten. o In den SALK nahmen im Jahr 2005 die stationären Behandlungen um 5,5 % zu. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die tatsächlich stationären Behandlungen um 1 % und die ambulanten Chemotherapien um nahezu 30 % zunahmen. o Von den jährlich ca. 10.000 stationären Aufnahmen in der internistischen Onkologie im LKH Salzburg sind ca. 8.000 ambulante Chemotherapien. Die Aussagekraft der „stationären Aufnahmen“ verliert damit an Aussagekraft. Die Besonderheit der LKF-Finanzierung erhöht die Anzahl stationärer Aufnahmen statistisch. Die Zuordnung zum ambulanten oder stationären Bereich erfolgt in Österreich nach finanziellen und nicht nach Kriterien, die der Behandlungsform entsprechen. Die Definitionen sollten sich am medizinischen Geschehen orientieren: stationäre Behandlungen mit Übernachtung im Spital, teilstationäre Aufnahmen ohne Übernachtung und ambulante Leistungen sollten als eigene Behandlungsform erfasst werden. Die derzeitige Zusammenfassung stationärer, teilstationärer und tagesklinischer Behandlungen zu „stationären Aufnahmen” führt zur Unvergleichbarkeit der österreichischen Daten mit denen anderer Staaten.
6.3.4.3. Diagnostik erfolgt oft stationär statt ambulant In Österreich erfolgt aufwändige Diagnostik häufig stationär, obwohl sie ohne Nachteile ambulant durchgeführt werden könnte:
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x x
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MR-Untersuchungen für Kinder erfolgen oft mit einem zweitägigen stationären Aufenthalt. Differenzierte Diagnostik, etwa die umfassende Abklärung in der Neurologie oder Pädiatrie, Austestungen von Allergien, diagnostische Leistungen und Radiojodtherapien der Nuklearmedizin können bei guter Organisation an einem oder an mehreren aufeinander folgenden Tagen ambulant erfolgen. In Österreich erfolgen diese Behandlungen häufig stationör. Mehrtägige Diagnostik von Patienten mit langem Heimweg kann ambulant erfolgen, wenn die Patienten statt im Krankenhaus im Hotel untergebracht werden. Endokrinologische Untersuchungen mit teuren Substanzen werden unnötigerweise stationär durchgeführt (Hypophysen, Nebenschilddrüsen). Präoperative Diagnostik erfolgt oft stationär statt ambulant. In einem Großkrankenhaus erfolgt z.B. die präoperative Diagnostik vieler endoprothetischer Operationen am Freitag, der Patient geht danach Hause und kommt am Sonntag wieder ins Spital. Die Zeit von Freitag bis Sonntag wird als stationärer Aufenthalt dokumentiert und auch von der Landesgesundheitsagentur bezahlt. Durch diese, mit der Gesundheitsabteilung des Landes abgestimmte, Vorgehensweise werden die stationären Aufenthalte statistisch verlängert und damit auch zusätzliche Mittel ausgeschüttet. Coloskopien sind ambulante Leistungen (in manchen Spitälern erfolgt die Mehrzahl der Coloskopien stationär!)
Für das Krankenhaus ist die aufwändige Diagnostik im Rahmen stationärer Aufenthalte angenehmer, da die Patienten jederzeit verfügbar sind und die Behandlungsorganisation nicht so straff erfolgen muss. Der stationäre Aufenthalt verursacht aber hohe Mehrkosten.
6.4. Gesundheitsagenturen können diese Probleme nicht lösen Mit der Gesundheitsreform 2004 sollten die negativen Folgen der segmentierten sozialen Krankenversorgung, die der getrennten Organisation und Finanzierung der Krankenhäuser und Praxen, beseitigt werden. In jedem Bundesland wurde eine Landesgesundheitsagentur mit einer Gesundheitsplattform als Lenkungsinstrument eingerichtet, in der alle Akteure der segmentierten Sozialen Krankenversorgung vertreten sind. Als Ziele wurden von vornherein Modellversuche von Spitalsambulanzen mit niedergelassenen Fachärzten und eine Teilung des Gewinns aus den Leistungsverschiebungen zwischen GKVen und
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Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
Ländern angepeilt.217 Wegen der Fehlanreize und der gegensätzlichen Interessen können die Ziele nicht erreich werden: x Die Einsicht der Politiker, GKVen, der Ärztekammern und der Krankenhausgesellschaften sollen die Änderungen herbeiführen. Die Vertreter der Praxisärzte, Krankenhausgesellschaften und Orden versuchen aber in den Landesgesundheitsplattformen nur Vorteile aus Leistungsverschiebungen zu erzielen bzw. Nachteile zu vermeiden. Die Praxisärzte schielen dabei auf die Krankenhausbudgets und die Krankenhäuser möchten die fachärztliche Behandlung in den Krankenhäusern ausreichend finanziert bekommen. Dieser Interessenwiderspruch paralysiert die Gesundheitsplattform. x In den meisten Gesundheitsplattformen dürften aber Parteiinteressen dominieren. Da die Vertreter der politischen Parteien dem politischen Gegner keine Erfolge ermöglichen, blockieren sie sich gegenseitig. Zudem exponiert sich keine Partei mit Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit Sympathien kosten könnte, etwa der Schließung eines Krankenhausstandortes. Die Gesundheitsplattformen können aber politisch umsetzbare Verbesserungen ermöglichen: x Verbesserungen der Leistungsplanung: o Schließung von Kleinstabteilungen ohne ausreichender Patientenzahl oder Infrastruktur o Einrichtung wenig attraktiver Versorgungsbereiche, wie die Palliativmedizin und die Akutgeriatrie. x Finanzierung von Einzelprojekten, die zu einer günstigeren Leistungsaufteilung zwischen Krankenhäusern und dem extramuralen Bereich führen. Diese Projekte sollen die Qualität verbessern und/oder die Kosten reduzieren. Extreme Nachteile der segmentierten Finanzierung können auf diese Weise vermutlich korrigiert werden, wenn in der Gesundheitsplattform konstruktiv gearbeitet wird. Beispiele für vorgeschlagene Projekte: o Die integrierte Behandlung von an Diabetes Erkrankten durch Praxen und Krankenhäuser. o Die Integration einer radiologischen Arztpraxis in ein Krankenhaus. o Die Optimierung und Begrenzung der präoperativen Diagnostik. Die ersten Erfahrungen in mehreren Bundesländern weisen darauf hin, dass der Erfolg der Gesundheitsplattformen insgesamt gering sein wird. Sie werden wohl zu Gesprächskreisen der Finanziers und Anbieter der Sozialen Krankenversorgung, in denen einzelne Projekte veranlasst und die Leistungs217
Probst, Josef, Dr.: Österreichischer Strukturplan Gesundheit (ÖSG) 2006. Wie wird das Schnittstellenmanagement zum Nahtstellenmanagement. Vortragsunterlagen
Nachteile der sektoralen Finanzierung der Krankenhäuser, Praxen und Reha
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planung verbessert wird. Die grundsätzlichen Probleme der sektoralen Organisation der Sozialen Krankenversorgung in Österreich sind aber so nicht zu lösen. Dass diese begrenzte Erwartung auch in den Regionen besteht, zeigt sich darin, dass als Geschäftsführer der Landesfonds zumeist keine im Veränderungsmanagement erprobte Manager, sondern Verwalter bestellt wurden. Seit der gesetzlichen Einrichtung 2004 sind bisher nur wenige Aktivitäten erfolgt.218
218
ÖKZ 47. Jg. (2006), 07, S. 7: Einladung zur Poolparty
7.
Fehlanreize der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF)
Die Bezahlung der Akutkrankenhäuser nach behandelten Diagnosen, die DRG-Finanzierung (Diagnosis related Groups), hat sich international als Finanzierungsform durchgesetzt. Die österreichische Krankenhausfinanzierung, das LKF-System, ist ein DRG-System. Sie wurde mit der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Reform des Gesundheitswesens und der Finanzierung der Krankenanstalten 1996 festgelegt und löste die Taggeldfinanzierung der Krankenhäuser ab 1.1.1997 ab. Jede behandelte Erkrankung wird als Behandlungsdiagnose erfasst und nach den LKF-Regelungen dem Krankenhaus bezahlt. Die Grundlage dafür sind die einheitlichen LDF-Punkte (LDF = Leistungsorientierte Diagnosenfinanzierung). Sie werden für Österreich als LDF-Pauschale festgelegt und setzen sich aus der Leistungs- und der Tageskomponente für eine standardisierte Verweildauer im Spital zusammen. Für aufwändige medizinische Einzelleistungen erfolgt eine spezielle Finanzierung der konkreten Behandlungsform durch MELs (medizinische Einzelleistungen). Damit ergeben sich folgende Strukurelemente: x Die Leistungskomponente die Kosten der medizinischen Leistungen während des Krankenhausaufenthalts. x Aufwändige medizinische Einzelleistungen (MELs) werden für eine spezielle Behandlungsmethode kalkuliert. Etwa für eine Operation die Personalkosten für das OP-Team und die Kosten für medizinische Verbrauchsgüter, für teure konservative Behandlungen (z.B. Chemooder Strahlentherapie) die Personal-, Medikamenten- und Gerätekosten. Sie werden aufgrund der IST-Daten von Referenzspitälern periodisch neu kalkuliert. x Die Tageskomponente enthält die Kosten für Pflege, ärztlichen Dienst, Essen, Wäsche, etc. x Verweildauer: Für jede Behandlungsdiagnose wird aufgrund der Daten aller öffentlichen Krankenhäuser die in Österreich durchschnittliche Verweildauer ermittelt und als standardisierte untere, obere und mittlere Verweildauer festgelegt und vergütet. Zwischen der unteren und oberen Verweildauergrenze bleibt die Anzahl der für eine Behandlung vergüteten LDF-Punkte gleich. Bei einer kürzeren als der unteren Verweildauer erfolgen Abschläge und bei Überschreiten der oberen Verweildauergrenze degressive Zuschläge zur Standardvergütung. Wenn sich z.B. im Folgejahr die durchschnittliche Aufenthalts-
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x
Fehlanreize der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF)
dauer nach einer Geburt in den IST-Daten reduziert, wird auch die standardisierte LKF-Verweildauergrenze entsprechend reduziert. Kosten von Intensiveinrichtungen werden nach der Aufenthaltsdauer vergütet. Voraussetzung für eine Verrechnung ist, dass der Patient mindestens eine Nacht auf der Intensivstation verbleibt oder in ein anderes Krankenhaus transferiert wird.
Ungleich berücksichtigt werden die Vorhaltekosten für die teuren 24Stundendienste im Krankenhaus: x In einigen Bundesländern erfolgt ein Punktezuschlag als Ausgleich für höhere Vorhaltekosten für Zentralkrankenhäuser (etwa in Tirol, Vorarlberg, Steiermark und in Kärnten). x In anderen Bundesländern (etwa in Salzburg) werden für Zentral- und periphere Krankenhäuser dieselben Punktewerte vergütet, auch wenn unterschiedliche Vorhaltekosten für die Notfallversorgung anfallen. Der einheitliche LKF-Bepunktungsmechanismus schafft Transparenz für Krankenhäuser und GKVen. Aber zahlreiche, seit Jahren bekannte, Mängel verhindern die Aussagekraft der LKF. Weil die LKF kaum wissenschaftlich begleitet wird, werden Defizite nicht ausreichend transparent und sind nur informellen Zirkeln bekannt. Deshalb ist es mir hier nicht möglich, mich auf eine Veröffentlichung der Strukturkommission oder des Ministeriums zu beziehen. Die LKF ermittelt die Verweildauer nur statistisch und nicht analytisch. Daher ergeben sich z.T. irrationale Verweildauern: x Die Implantation eines Herzschrittmachers oder eines Defibrillators ist ambulant möglich. Die LKF gibt eine standardisierte Verweildauer von 4 bis 14 Tagen vor. Diese Verweildauer wurde aus den IST-Daten erhoben, entspricht aber nicht den medizinischen Erfordernissen. Die Verweildauergrenzen sollten daher analytisch überprüft werden. x Die Chemotherapie ist zumeist ambulant möglich: Die LKF gibt eine mittlere Verweildauer von 6 Tagen vor. Im LKH Salzburg bleiben Chemotherapie-Patienten durchschnittlich unter zwei Tagen im Krankenhaus, weil die meisten Chemotherapien in der Ambulanz erfolgen. Nur wenige Patienten im sehr schlechten Allgemeinzustand benötigen mehrtägige Aufenthalte x Verweildauergrenzen in der Geriatrie und der Psychiatrie sind bei diesen nicht heilbaren Erkrankungen wenig sinnvoll. Da die Dauer der Unterbringung kaum objektivierbar ist, streut die Verweildauer je nach der Anzahl der verfügbaren Betten. Daher wird in Deutschland die psychiatrische Behandlung auch nach der Einführung des DRG-Systems nach Taggeldern und nicht nach standardisierter Aufenthaltsdauer bezahlt. x Mehrfacheingriffe: Wenn während eines chirurgischen Eingriffs mehrere Eingriffe erfolgen, werden diese von der LKF zu 100 % additiv bezahlt, obwohl der Aufwand für zwei Leistungen während eines Eingriffs deutlich niedriger ist als bei zwei getrennten Eingriffen (die OPVorbereitung etc. muss nicht nochmals erfolgen). Daher wird im G-
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DRG-System die zweite Leistung mit einem Abschlag finanziert. Zwölf Jahre nach Einführung der LKF wird ab 2009 voraussichtlich auch in Österreich ein Abschlag für Mehrfacheingriffe eingeführt werden. Die Schweiz hat sich entschieden, von den DRG Erfahrungen in Deutschland zu lernen: „Mit der Gründung der Gesellschaft Swiss DRG AG wird ein wichtiger Schritt zu einer transparenten und gerechteren Abgeltung der Spitalsleistungen gemacht….es geht um die Frage, wie beispielsweise mit Verlegungen in ein anderes Spital umzugehen ist oder wie Behandlungsfälle zu definieren sind, welche eine besonders lange Aufenthaltsdauer im Spital erfordern… Swiss DRG will das Rad nicht neu erfinden, sondern stützt sich im Wesentlichen auf in Deutschland gemachte positive Erfahrungen und hat deshalb mit der deutschen Schwestergesellschaft, dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, einen Zusammenarbeitsvertrag abgeschlossen.“219 Das LKF-System war von vornherein nicht als Preissystem sondern als Geldverteilungsmechanismus angelegt. Wir benötigen aber ein echtes Preissystem. Die österreichische Gesundheitspolitik war bisher nicht in der Lage, die erforderlichen LKF-Veränderungen zu entwickeln oder zu veranlassen. Eine wissenschaftliche Begleitung der LKF und die Kooperation mit den Institutionen in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz ist dringend zu empfehlen. Die Übernahme des G-DRG-Systems wäre die einfachste Art, die LKF-Defizite mit einem Wurf zu sanieren.
7.1. Leistungsabrechnung erfordert ausreichende Kontrolle Voraussetzung für die LKF-Finanzierung ist die Definition der zu finanzierenden Leistungen. Die Financiers legen fest, welche Leistungen unter welchen Bedingungen mit stationären Aufenthalten und welche nur als ambulante Leistungen finanziert werden. Diese Informationen wurden in den USA und Deutschland von den Krankenversicherungen zur Reduzierung des stationären Bereichs genutzt. Damit wurde die Anzahl stationärer Fälle – und der stationäre Bereich – deutlich reduziert. x Die Versicherungen in den USA erreichten dieses Ziel durch die Überprüfung der abgerechneten stationären Fälle jedes Krankenhauses durch PROs (Peer Review Organizations). Vom Staat bezahlt, prüften sie anfangs 40 % und später noch 25 % aller Medicare Fälle, der Versorgung der über 65-Jährigen, daraufhin, ob die Leistungen angemessen und vollständig erbracht wurden und ob der stationäre Aufenthalt erforderlich war. Die Ergebnisse waren schwerwiegend: o Rückgang der stationär abgerechneten Fälle in den ersten 3 Jahren um 11,3 % und von 1983 bis 1998 nochmals um 12 %. 219
NZZ vom 1.2.2008, S. 36: Brückenschlag bei Fallpauschalen in Spitälern
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o
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Rückgang der Verweildauer stationärer Aufenthalte von 9,3 auf 7,7 Tage. o Anstieg der Nutzung poststationärer Einrichtungen (+44 %) und der Hauskrankenpflege (+27 %).220 Der Trend zur Ausgabensteigerung konnte abgebremst werden. Die deutschen Kassen prüfen seit der DRG Einführung 2004 vor der Bezahlung des stationären Aufenthalts nicht nur die Richtigkeit der Codierung, sondern auch, ob der stationäre Aufenthalt angemessen war. U.a. werden daher Kataraktoperationen, die Operation von Leistenhernien bei Kindern, Achillessehnenrupturen bei Patienten in gutem Allgemeinzustand, nur noch als ambulante Fälle finanziert. In Österreich können diese Behandlungen weiterhin als stationäre abgerechnet werden. Die Fallzahlen für stationäre Behandlungen gingen daher in Deutschland von 2002 bis 2005 um 1,8 % zurück. „In Deutschland ist der Fallrückgang in erster Linie auf die Ausweitung und Umstellung des Katalogs ambulanter Operationen und stationsersetzender Eingriffe … zurückzuführen…Die Krankenkassen konnten verstärkt darauf hinwirken, dass die nicht unbedingt stationär zu behandelnden Fälle in den ambulanten Bereich verlagert wurden.“221 Auch in der Schweiz wird für Qualitäts- und Kostenvergleiche mit der Einführung der Swiss DRGs eine Kontrollorganisation eingerichtet.222
In Österreich besteht keine ausreichende Kontrolle der zu Lasten der Sozialen Krankenversicherung erbrachten Leistungen in den Abrechnungen der Krankenhäuser. Die Leistungsverträge zwischen GKV und Krankenhäusern bzw. das ASVG regeln, welche Leistungen zu Lasten der Sozialen Krankenversorgung zu erbringen sind und welche privat zu bezahlen sind. Im Zweifelsfall legt der Chefarzt der GKV fest, ob Krankenhausleistungen zu Lasten der Landesgesundheitsagenturen zu erbringen sind. Die Landesgesundheitsagenturen können zwar die Codierung der Krankenhäuser kontrollieren und die Bezahlung einer Behandlung bei unrichtiger Codierung verweigern, aber nicht festlegen, ob die Leistung nach ASVG auch zu erbringen war. Weil die Finanzierung der Krankenhäuser inzwischen durch die Landesgesundheitsagenturen erfolgt, fehlt für die GKV der Anreiz zur strengen Kontrolle und damit besteht kein Anreiz mehr zur Kostenbegrenzung. Daher war es auch nicht erstaunlich, dass die Anzahl der stationären Abrechnungsfälle mit der Einführung der LKF nicht reduziert wurde, sondern sich kontinuierlich erhöhte. Mehrere Lücken der Kontrolle verursachten dies: x Die Krankenhäuser rechnen ehemals ambulante Fälle als besser bezahlte stationäre ab.
220 221
222
Knüppel, 2003 Braun, Rau, Roschem in Klauber et al. Die DRG Einführung aus gesundheitspolitischer Sicht. Eine Zwischenbilanz, S. 7 NZZ vom 27.10.2006, Genesungskonzepte für das Gesundheitswesen
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Patienten warten oft im Krankenhaus auf Plätze in Pflege- oder RehaEinrichtungen. Die GKV finanzierte bis 1996 solche Langlieger (Asylierungsfälle) über 28 Tagen hinaus nicht bzw. nur in begründeten Ausnahmefällen. Die GKVen haben diese Prüfungen seit 1997 eingestellt und damit verbleiben Langlieger, die auf Plätze in Reha- oder Pflegeeinheiten warten, in den Krankenhäusern auch länger und werden von den Landesgesundheitsagenturen anstandslos bezahlt. Mir ist ein Fall auf einer Intensivstation bekannt, der schon früh in ein Pflegeheim überstellt hätte werden können und nahezu ein Jahr auf der Intensivstation verblieb. Seit 1997 haben die Krankenhauskosten die Landesgesundheitsagenturen und nicht mehr die GKVen zu tragen. Damit fehlt den GKKChefärzten der Anreiz zur Leistungsbegrenzung und sie wurden großzügiger. Z.B. werden inzwischen plastisch chirurgische Eingriffe (z.B. Feuermale) und die chirurgische Beseitigung der Fehlsichtigkeit (Lasik) von manchen Chefärzten vermehrt als medizinische Indikation festgelegt, die zu Lasten der Landesgesundheitsagentur zu erbringen sind. Die chirurgische Behebung der Fehlsichtigkeit war bisher privat zu bezahlen. Die Folgen von Behandlungsfehlern werden weiterhin von den Landesgesundheitsagenturen finanziert. Während eines stationären Aufenthalts erworbener Dekubitus, Nachbehandlung nach nicht ausreichend durchgeführter Diagnostik oder Therapie, Behandlung unerwünschter Nebenwirkungen der Krankenhausbehandlung, erfolgen zu Lasten der Landesgesundheitsagenturen und nicht zu Lasten der Krankenhäuser. Die Behebung von Behandlungsmängeln sollte aber zu Lasten der Verursacher, der Krankenhäuser, gehen. Die Krankenhäuser hatten und haben bei der Codierung der Leistungen und damit für ihre Abrechnungen freie Hand. Daher erhöhen manche Krankenhäuser durch die Codierung nach Optimierungssystemen ihre Einnahmen. Wenn z.B. die Behandlung des Diabetes mehr LDF-Punkte bringt als die der kardiologischen Erkrankung, wird der Diabetes als Behandlungsdiagnose angegeben, obwohl der Grund für den Krankenhausaufenthalt die kardiologische Erkrankung war. Unter Punkteoptimierungssystemen nimmt auch zumeist die Anzahl der Geburten mit Komplikationen deutlich zu. Optimierungssysteme veranlassen Fehlcodierungen und würden bei Kontrollen durch GKVen aufgedeckt und untersagt. Die Finanzierung erhöht sich, wenn manche Zusatzleistungen erbracht werden. Der Entscheidungsspielraum behandelnder Ärzte ist in manchen Fällen größer als von Nichtmedizinern angenommen. So nahm in manchen Krankenhäusern die Anzahl der Beatmungstage zu, seit diese für die Einstufung der Intensivstationen Bedeutung erhielten. Bei GKV-Kontrollen wird diese Veränderung aufgedeckt.
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Mehrtägige präoperative stationäre Aufenthalte werden von den Landesgesundheitsagenturen auch dann finanziert, wenn dieser Aufenthalt durch organisatorische Mängel bedingt war. Z.B. weil wegen einer Fehlorganisation die Operation auch mehrfach verschoben wurde, ein ungeplanter Notfall vorgezogen wird oder kein postoperatives Intensivbett rechtzeitig bereitstand. Bei Kontrolle durch die GKVen würden diese vermeidbaren Krankenhaustage nicht finanziert und Druck auf Organisationsverbesserungen ausgeübt. Krankenhäuser können unkontrolliert Patienten in andere Krankenhäuser weiter transferieren und schaffen damit neue stationäre Abrechnungsfälle (vgl. 7.5). In einem Krankenhaus werden orthopädische Patienten oft am Freitag stationär aufgenommen, präoperativ untersucht, bleiben am Wochenende zuhause, kommen am Sonntag abends oder Montag früh wieder ins Krankenhaus und werden am Montag oder an einem Folgetag operiert. Für die LKF-Abrechnung wird aber ein durchgängiger Aufenthalt auch über das Wochenende dokumentiert und damit der Samstag und Sonntag als Aufenthaltstage im Spital bezahlt, obwohl der Patient nicht im Spital war. Ähnliche Wochenendentlassungen erfolgen während Strahlentherapien und internistischen Behandlungen. Damit entstehen aus administrativen Gründen mehr Pflegetage als eigentlich geleistet wurden. Diese Dokumentation erfolgt in Abstimmung mit der Landesbehörde. Für psychiatrische Patienten wird in den LKFVorgaben die Beurlaubung bis zu vier Kalendertagen in den LKFRegelungen vorgesehen.223 Für andere Behandlungen kann die Behandlung etwa über das Wochenende nicht unterbrochen werden und daher werden in manchen Krankenhäusern mehr Pflegetage gemeldet und abgerechnet als tatsächlich anfallen.
Die Auflistung zeigt, dass ein dringlicher Bedarf für die Kontrolle der Krankenhausabrechnungen durch die Vertragspartner, die GKVen, besteht. Die Gesundheitsagenturen verteilen gedeckelte Budgets, haben ein begrenztes Motiv zur Kontrolle der Krankenhausabrechnungen und sind für die Kontrolle der Abrechnungen weder juristisch noch fachlich ausreichend ausgestattet. Ein DRG-System bedarf der Kontrolle der Abrechnungen, um Missbräuche zu verhindern. Die mangelnde Überprüfung der Krankenhausabrechnungen führte in Österreich zur Vermehrung stationärer Abrechnungsfälle und ermöglicht weiterhin die Punkteoptimierung zur Einnahmenerhöhung durch Krankenhäuser. Die Kontrolle sollte durch die GKVen erfolgen und der Leistungskatalog auf die notwendigen Leistungen begrenzt werden.
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BMGFJ: LKF 2008 Modell 2008 Stand 30.9.2007, S. 29
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7.2. LKF ist für Effizienzvergleich ungeeignet Das Preissystem für Krankenhäuser soll die folgenden Ziele erfüllen: „Größere Wirtschaftlichkeit der Krankenhausversorgung, verbunden mit einer Erhöhung der Transparenz, einer Stärkung der Leistungsgerechtigkeit der Vergütung und einer Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Krankenhäusern“224 unter Berücksichtigung einer hohen Versorgungsqualität. Über das Preissystem erfahren die Krankenhäuser, wie effizient sie im Vergleich zu anderen arbeiten: x Wenn die Preise die eigenen Kosten nicht decken können, ist das eigene Krankenhaus ineffizienter als andere und es entsteht der Druck zu Veränderungen. x Wenn Gewinne übrig bleiben, ist dieses effizienter als andere und Leistungserweiterungen können finanziert werden. Auf diese Weise setzen sich die effizienteren Krankenhäuser bei einem fairen Preissystem langfristig durch. Da sich die Länder auf eine bundesweit einheitliche LKF-Finanzierung nicht einigen konnten, haben wir kein einheitliches Preissystem für Krankenhausleistungen. Einheitlich werden zwar die LDF-Punkte für jede medizinische Leistung ermittelt, die Umsetzung der Abrechnungspunkte in € erfolgt aber in den Bundesländern nach unterschiedlichen Regeln: x Das Ausmaß des Anteils der LKF-Mittel für die Leistungsfinanzierung ist in den Bundesländern unterschiedlich. Ein Teil der Finanzmittel wird in den meisten Bundesländern nicht nach Leistungen, sondern nach anderen Kriterien, etwa als fester Prozentsatz im Burgenland oder nach einem Personalfaktor in Vorarlberg, im Steuerungsbereich ausgeschüttet. Der Anteil der Mittel im Steuerungsbereich unterscheidet nach Bundesländern: Burgenland und Tirol teilen 30 % zu, Vorarlberg 15 %, Niederösterreich 2 %, Salzburg 53 % und Wien, Kärnten, Steiermark und Oberösterreich 0 %225 (Erhebung aus 1997; ob diese Anteile inzwischen verändert wurden habe ich nicht erhoben, da Unterschiede in jedem Fall verblieben). Daher verbleiben unterschiedliche Anteile für die Leistungsfinanzierung. x Einige Bundesländer verteilen alle Landesmittel über die LKF, andere verursachen und finanzieren weiterhin systembedingte Betriebsabgänge leistungsunabhängig (vgl. 6.3). x Die Zusatzkosten der Zentralkrankenhäuser gegenüber den Standardkrankenhäusern werden unterschiedlich finanziert. In Kärnten erhält das Zentralkrankenhaus für jeden LDF-Punkt den Faktor 1,2, in der Steiermark 1,3, in Vorarlberg 1,11, in Tirol 1,05 und in Salzburg er-
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Klauber et al, S. XV Dienesch, Sybille, Heitzenberger, Gerald, in Nycomed 1997: Krankenanstaltenfinanzierung 9 mal anders
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folgt kein Zuschlag. Die folgenden Zusatzkosten haben Zentralkrankenhäuser gegenüber Standardkrankenhäusern: o Negative Fallselektion: schwierigere und aufwändiger zu diagnostizierende und therapierende Patienten kommen in die Schwerpunkts- und Zentralkrankenhäuser, leichtere Fälle verbleiben in den peripheren Krankenhäusern. o Bereithaltung der 24 Stunden Notfallversorgung für mehrere oder alle Fächer (Dienste). o Unterdeckung der Spezialambulanzen. o medizinischen Innovationen, die in der LKF noch nicht abgebildet sind. Die LKF-Leistungsentgelte werden in den Bundesländern nach unterschiedlichen Methoden verteilt. In Salzburg sind sie wegen des komplizierten Verteilungsmechanismus kaum planbar und können retrospektiv geändert werden. Für die SALK ergab sich eine retrospektive und damit überraschende Reduzierung um Mio€ 4 im Jahr 2004 und eine Erhöhung in ähnlicher Höhe im Jahr 2007. In Tirol erfolgt eine vergleichsweise einfache Verteilung und somit ergibt sich eine bessere Planbarkeit der Erlöse. Der kostendeckende Punktewert wird in den Bundesländern unterschiedlich ermittelt: In Tirol werden alle Investitionen für Leistungserhöhungen und -ausweitungen ausgeschlossen, in Salzburg z.T. eingerechnet. Gut wirtschaftende Krankenhäuser werden durch Veränderung der Finanzierungsregeln benachteiligt. Das LKI erwirtschaftete seit 1997 Überschüsse. Um diese abzubauen, wurde der Punktewert im Jahr 2002 von 1,10 auf 1,05 reduziert und damit Mittel in die anderen Krankenhäuser umgeleitet. Bei höheren Kosten im LKI wären die Mittel dem LKI erhalten geblieben. So besteht kein Anreiz zur Effizienzerhöhung, da ohnehin alle Mittel ersetzt werden und Einsparungen anderen Krankenhäusern zugute kommen. Tatsächlich besteht der Fehlanreiz zu höheren Ausgaben um Druck auf das Finanzierungssystem auszulösen. Das LKI hatte im Jahr 1991 noch deutlich höhere Tageskosten als das LKH Graz. Im Jahr 2003 zeigt der Kostenvergleich um 20 % höhere Kosten pro LDF-Punkt für das LKH Graz gegenüber dem LKI. Es besteht keine Wahrnehmung und Objektivierung derartiger Veränderungen.
Die neun unterschiedlichen LKF-Systeme verhindern ein einheitliches Preissystem für Krankenhäuser. Wir wissen daher nichts über die wirtschaftliche Effizienz eines Krankenhauses. Die österreichische LKF ist leider kein funktionsfähiges Preissystem und kann die o.a. Ziele daher nicht erreichen: weder wird die Wirtschaftlichkeit und Transparenz erhöht, noch der Preisoder Qualitätswettbewerb der Krankenhäuser intensiviert.
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Zusätzlich bestehen Irrationalitäten, die einen Preisvergleich verhindern: x Die Ambulanzen werden nicht kostendeckend finanziert. Die Unterdeckung der Ambulanzen von 20–60 % der Kosten wird den stationären Punktewerten zugerechnet. Der stationäre Bereich muss somit Betriebsabgänge der Ambulanzen abdecken. x Da in die LKF zwar Instandhaltungskosten aber keine Abschreibungen auf Investitionen eingerechnet werden, sind unsanierte Krankenhäuser benachteiligt. Sie müssen die im Vergleich zu neuen Krankenhäusern höheren Instandhaltungskosten aus dem Betriebsaufwand bezahlen, die neuen Krankenhäuser aber keine Kosten für die Abschreibung auf ihre Investitionen in die Preise einrechnen. Damit entsteht eine scheinbare Ineffizienz unsanierter Krankenhäuser. Ein funktionsfähiges Preissystem muss daher auch Abschreibungen oder Investitionskosten enthalten. x Es bestehen keine Ausgleichsregelungen für kleine Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen. x Die Punktewerte werden für jedes Bundesland bei gedeckelten Budgets festgelegt. Jede Leistungsausweitung führt daher zu einer Verdünnung des Punktewerts. Die höheren Gesundheitskosten wegen der ungünstigeren demographischen Entwicklung eines Landes müssen somit die Krankenhäuser bzw. ihre Eigentümer tragen. Die in Österreich irrationale Ermittlung der Preise für Krankenhausleistungen führt auch dazu, dass österreichische Krankenhäuser am internationalen Markt nicht konkurrenzfähig sind. Z.B. in Salzburg können Krankenhäuser mit diesem Preissystem kaum Patienten aus Deutschland gewinnen. Daher werden weiterhin Tagesentgelte für Patienten aus den nahegelegenen bayrischen Regionen verrechnet. Dass transparente Preise Auswirkungen haben, zeigt ein Beispiel in Vorarlberg. Dort muss jede Gemeinde für jeden Aufenthaltstag in einem Spital einen Beitrag leisten. Da dieser Beitrag für das Krankenhaus Dornbirn geringer ist als für das Krankenhaus Bregenz, besteht für die zuweisenden Ärzte der Druck aus den Gemeinden, Patienten eher in Dornbirn versorgen zu lassen. Wenn Preise Zahlungsströme auslösen, wirken sie selektiv. Das österreichische LKF-System löst nur äußerst begrenzt Zahlungsströme aus und wirkt daher kaum. Im Gegensatz dazu zeigt das deutsche G-DRG-System bereits nach wenigen Jahren Auswirkungen: „Tatsächlich hat die Vergütung über G-DRGs den Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern schon in fundamentaler Weise verändert.“226 Die Ziele der höheren Transparenz und Wirtschaftlichkeit bei hoher Qualität wurden erreicht. U.a. fusionierten 270 Krankenhäuser um den Herausforderungen des neuen Entgeltsystems entsprechen zu können und die Anzahl der stationären Aufnahmen reduzierte sich durch Verschiebung in den 226
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ambulanten Bereich von 2002 bis 2005 um 1,1 %. Insgesamt hat das G-DRG System die Krankenhäuser gezwungen, Effizienzreserven zu heben. Die G-DRG Entgelte wurden auf der Grundlage der GKV-Gesundheitsreform 2000 eingeführt. Es berücksichtigt x Hauptdiagnosen, Prozeduren und Komorbiditäten, x den Schweregrad einer Erkrankung (fehlt in der LKF), x sporadisch auftretende Zusatzkosten ohne feste Zuordnung an Diagnosen, komplexe Behandlungsfälle, x über mehrere Aufenthalte oder in mehreren Krankenhäusern (inklusive Beurlaubungen und Behandlungsunterbrechungen), x Mehrfacheingriffe und x teilstationäre Leistungen. Damit sind zahlreiche der in Österreich seit 1997 beklagten Mängel in Deutschland behoben worden. „Über 1750 Krankenhäuser rechnen mittlerweile DRG-Fallpauschalien ab, das sind mehr als 95 % der DRG- Krankenhäuser“.227 Das DRG-Institut InEK entwickelt das G-DRG-System weiter. In einer mehrjährigen Konvergenzphase bis 2009 können sich die Krankenhäuser an die Entgeltstrukturen anpassen und das G-DRG-System weiterentwickelt werden. Aus Fehlern werden Konsequenzen gezogen. Im Unterschied zu Österreich ist man sich in Deutschland im Klaren, dass die Finanzierung einiger Bereiche die stetige Verbesserung erfordert: x Notfallversorgung x Intensivmedizin x seltener Krankheitsbilder x 33 Universitätsklinika und ihrer Ambulanzen x Investitionen Die regelmäßigen Verbesserungen weisen aber darauf hin, dass auch für diese Bereiche Lösungen gefunden und eingeführt werden können. Die Leistungspreise der Krankenhäuser ermöglichen nur dann einen Effizienzvergleich, wenn sie innerhalb von Österreich nach denselben Regeln ermittelt werden und die Ergebnisse die Wirklichkeit in den Krankenhäusern abbilden. Die LKF-Methode der Leistungspreisermittlung unterscheidet sich aber je nach Bundesland und enthält zahlreiche Irrationalitäten. Die Preise sind daher nicht vergleichbar und können zur Beurteilung der Effizienz der Krankenhäuser nicht herangezogen werden. Einige Änderungen sind unabdingbar: alle Mittel müssen nach Leistungen verteilt, einheitliche Regelungen für Österreich eingeführt und auch Investitionskosten (Abschreibungen) nach einer Konvergenzphase einbezogen werden. Da sich das LKF System als reformresistent erwiesen hat, sollte Österreich das deutsche G-DRG-System, ähnlich wie die Schweiz, 227
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adaptiert übernehmen und eine Institution einrichten, die entsprechende Vorbereitungen und Adaptionen schafft. Das G-DRG -System hat die in Österreich bestehenden Defizite teilweise bereits beseitigt und wird wissenschaftlich begleitet. Zudem dies die Abrechnung der vielen deutschen Patienten in Österreich erleichtern und den österreichischen Krankenhäusern in Grenzregionen den Zugang zum deutschen Markt ermöglichen würde.
7.3. Abgrenzung der Krankenbehandlung von der Reha und dem Sozialbereich Die Leistungsfinanzierung der Akutbehandlung, Rehabilitation und von Sozialleistungen differiert zwischen den Bundesländern. Manche Leistungen sind im einen Bundesland aus den Mitteln für Krankenhäuser und in anderen aus Sozial- oder PVA-Mitteln finanziert: x Die Neuro Rehabilitation wird in Ostösterreich aus Mitteln der PVA, in Tirol und Salzburg aus Mitteln der Landesgesundheitsagenturen (Hochzirl, Christian Doppler Klinik) und in Vorarlberg durch das Land finanziert (vgl. 6.2.3). x Die orthopädische Reha nach der Implantation von Hüft- und Knieimplantaten erfolgt in Tirol im LKH Hochzirl und in Salzburg im Akutspital St. Veit zu Lasten der Landesgesundheitsagenturen. In Salzburg wurde 2007 zusätzlich für das Krankenhaus Oberndorf eine orthopädische Reha beantragt, die aus PVA Mitteln finanziert werden wird. Damit wird innerhalb eines Bundeslandes die orthopädische Reha sowohl von der Landesgesundheitsagentur als auch von der PVA finanziert werden. x Die psychiatrische tagesklinische Versorgung wird sowohl von den Landesgesundheitsagenturen als auch aus Sozialmitteln finanziert (z.B. in Salzburg vs. Tirol). x Alkoholentzug wird in Tirol aus Mitteln der Landesgesundheitsagentur und in Salzburg aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert. x Die stationäre Palliativmedizin wird in Tirol von der Landesgesundheitsagentur bezahlt, in Salzburg vom Roten Kreuz und aus Zuschüssen der Landesgesundheitsagentur. x Die AUVA betreibt in einigen Bundesländern Akutkrankenhäuser und finanziert diese selbst, ohne Landesfinanzen in Anspruch zu nehmen (Oberösterreich, Kärnten, Salzburg, Wien). In den anderen Bundesländern tragen die Kosten der gesamten Notfallversorgung die öffentlichen Akutkrankenhäuser. Diese Bundesländer werden somit benachteiligt. Diese Unterschiede zwischen den Bundesländern und der Finanzierung lassen ein intransparentes System entstehen und führen zu inhomogenen Daten für die Akutkrankenhäuser.
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Rehabilitation bzw. Anschlussheilbehandlung, psychiatrische Versorgung, Notfall- und Palliativversorgung sollten nach einer nachvollziehbaren Regel in Österreich gleich finanziert werden. Die Abgrenzung der ambulanten, stationären, rehabilitativen Behandlungen und der sozialen Betreuung sollte mit den in der EU üblichen Abgrenzungen kompatibel sein. Durch die ungleiche Finanzierung in den Ländern entstehen ungleiche Bedingungen für die Landesgesundheitsagenturen und Krankenhäuser. Die österreichischen Daten sind national und international auch deswegen nur schwer vergleichbar.
7.4. Kostenerhöhung in der Intensivmedizin durch Fehlanreize Schwerkranke und multimorbide Patienten erfordern bei derselben Diagnose aufwändigere und teurere Behandlungen als Patienten im besseren Allgemeinzustand. Viele dieser Patienten benötigen Therapien auf Intensivstationen. Diese aufwändige Versorgung fair zu bezahlen, ist ein schwierig zu bewältigendes Problem für jedes Finanzierungssystem. x In den DRG-Systemen wird die Therapie auf Intensivstationen als Teil der gesamten Behandlungskosten pauschal bezahlt: die Erkrankung wird nach dem Schweregrad differenziert und die Intensivtherapie mit dem DRG Entgelt abgegolten. Weil die Dauer der Intensivtherapie die Einnahmen nicht beeinflusst entsteht der Anreiz, mit Intensivtherapie sparsam umzugehen. x Die österreichische LKF setzt, im Gegensatz dazu, Anreize zu möglichst vielen und langen Therapien auf Intensivstationen: jeder Aufenthalt auf einer Intensivstation wird unabhängig von Art und Schwere der Erkrankung nach Aufenthaltstagen zusätzlich zur Behandlung auf den Pflegestationen mit deutlich höheren Tagesentgelten bezahlt. Mit Einführung der LKF waren nach 1997 Intensivstationen in sechs Gruppen eingeteilt. Bei einer höheren Personalausstattung pro Bett erhielt das Krankenhaus mehr Abrechnungspunkte pro Tag und damit mehr Geld. Die Krankenhauseinnahmen hingen somit von der Einstufungsgruppe und von der Dauer der Intensivtherapie ab. Die Folgen waren fatal: x Auf bestehenden Intensivstationen wurde mehr Intensivpersonal eingestellt, um mehr Abrechnungspunkte zu erhalten. Eine niedrigere Personalbesetzung führte zur Rückstufung und damit zu weniger Einnahmen. x Die Belegung der Intensivstationen nahm zu, denn lange Aufenthalte auf Intensivstationen verbesserten die finanzielle Situation des Krankenhauses. In einem Fall am LKI wurde ein Kind nahezu ein Jahr auf der Intensivstation für mehrere hunderttausend € untergebracht, weil im Reha-Bereich keine ausreichenden Anstrengungen unternommen wurden, das Kind zu übernehmen.
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Einigen Krankenhäusern gelang es auch, ihre Aufwachbetten als Intensivbetten anerkannt zu bekommen und diese erhalten damit Intensiventgelte für postoperative Aufenthalte zusätzlich zum OP-Entgelt, wenn der Patient über Mitternacht in der Aufwachstation verbleibt. In einem Krankenhaus wurden für sechs Abteilungen die Aufwachzimmer als Intensivstationen anerkannt und verbleiben über 90 % der operierten Patienten über Mitternacht im Aufwachzimmer. Oft werden Patienten erst nach Mitternacht postoperativ von der „Intensivstation“ auf die Normalstationen verlegt. Intensivstationen wurden höher gestuft, ausgeweitet oder neu errichtet, um höhere Einnahmen zu erzielen. Die Anzahl der Intensivbetten und des beschäftigten Intensivpersonals erhöhte sich nach 1997 daher deutlich. Da die LKF nicht wissenschaftlich begleitet wird, besteht keine Transparenz der tatsächlichen Auswirkung dieses Fehlanreizes. o In zahlreichen kleinen Krankenhäusern wurden erstmals Intensivstationen eröffnet. o In großen Krankenhäusern wurden Intensivstationen ausgeweitet oder in besser bezahlte Preiskategorien verändert.
Inzwischen wurde dieses Problem erkannt. Daher wurden x die Tagesentgelte und x die Finanzierungsgruppen (von sechs auf vier) reduziert. Durch die Beendigung dieses Fehlanreizes konnte eine weitere Ausweitung von Intensivstationen verhindert werden; die Rückführung der unnötigen Ausweitungen war aber nicht möglich. Bedingung für die Verrechnung in einer Abrechnungsstufe ist nunmehr die, durch die Pflegedokumentation (TISS Dokumentation) objektivierte Schwere der pflegerischen Arbeit. Die Differenzierung erfolgt nach künstlicher Beatmung, Katheterisierung, etc. Dieses Verfahren ist deutlich besser als das Verfahren vorher, bringt aber den neuen Anreiz, die Behandlung in Zweifelsfällen so zu beeinflussen, dass eine höhere Einstufung möglich wird (eher längere Beatmung, Katheterisierung, etc). Die Integration der Intensivstationsfinanzierung in die DRG-Finanzierung würde diesen Fehlanreizen verhindern. Mehrkosten verursacht die LKF auch durch ihre strikten Vorgaben bei den Strukturqualitätskriterien für die Ausstattung mit Personal und Geräten: x Geräteausstattung: Für jede Intensivstation ist die Ausstattung mit aufwändigen Geräten auch dann vorgeschrieben, wenn nebeneinander gelegene Intensivstationen Geräte gemeinsam nutzen könnten (z.B. Ultraschallgeräte). x Personalausstattung eine große Intensivstation kann differenziert geführt werden, d.h. einige Betten für beatmete Patienten können mit hoher Personaldichte, einige für nicht-beatmete Patienten mit geringerer Personaldichte geführt werden. Die LKF-Vorgaben verhindern
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diese für Patienten und Personal sinnvolle Organisation mit der Vorgabe einer Mindestgröße jeder Abrechnungseinheit. Auf einer Intensivstation mit vier beatmeten und fünf nicht beatmeten Plätzen wird damit die höhere Personalbesetzung für beatmete Patienten auch für die nicht beatmeten Patienten verlangt. Extrem hohe Kosten verursacht die Intensivmedizin in den USA im letzten Lebensjahr der US-Bürger. Dort versterben ca. 25 % aller Menschen auf Intensivstationen nach lebenserhaltenden Maßnahmen (Organunterstützung, Beatmung).228 In Österreich versterben in Krankenhäusern nur 10–20 % aller Menschen und davon nur ein Teil auf Intensivstationen. Wir müssen wohl annehmen, dass der US-Trend uns auch erreicht und immer mehr Menschen auf Intensivstationen nach lebensverlängernden Interventionen versterben. Damit wird die Finanzierung der Intensivstationen eine noch zunehmende Bedeutung erhalten. Die Taggeldverrechnung der Intensivstationen schuf den Anreiz zur Kostenerhöhung und damit den teuersten Fehlanreiz der LKF bisher. Die Korrekturen der letzten Jahre beseitigten diesen Fehlanreiz, schufen aber einen neuen. Gelöst kann das Problem nur werden, wenn die Intensivmedizin als Therapie nicht getrennt finanziert, sondern Teil der Gesamtbehandlungskosten wird. Die Krankheiten müssen dann nach Schweregrad differenziert werden. Zusätzlich sollten die strikten Qualitätsstrukturkriterien, die Zusatzkosten verursachen, gelockert werden.
7.5. Krankenhausaufenthalte haben sich bisher nicht verkürzt Die gleich bleibende Finanzierung stationärer Leistungen während der Standardverweildauer, d.h. zwischen der unteren und oberen Verweildauergrenze, führt zum Anreiz, die Aufenthaltsdauer der Patienten zu reduzieren. Bei einem kürzeren Aufenthalt im Krankenhaus bleiben die Einnahmen dieselben, es sinken aber die Kosten, bzw. es können zusätzliche Patienten aufgenommen werden. Für Österreich konnte eine Reduzierung der Aufenthaltsdauer leider materiell nicht erreicht werden (vgl. 7.8). Die für Österreich statistisch ausgewiesene Verweildauerreduzierung ist auf die Durchmischung der stationären mit eigentlich ambulanten Behandlungen zurückzuführen. Bereits im 1. LKF-Jahr waren ca. 6 % der stationären Aufnahmen eigentlich ambulante Behandlungen, die als stationäre erfasst und abgerechnet wurden (vgl. 7.8). Durch die Hinzunahme dieser „stationären“ Aufenthalte (Chemotherapien, etc.) wurde die durchschnittliche Verweildauer verwässert. Die Möglichkeiten zur Reduzierung des stationären Bereichs durch die LKF wurden bisher nicht genutzt. 228
Truog Robert D., Burns Jeffrey P.: Excellence in end-of-life care: a new goal for intensivists, in: Intensive Care 28/2002, S. 1198-1199
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7.6. Fehlerhafte Abrechnungen mangels Behandlungsepisoden Mit der LKF wird für jeden stationären Aufenthalt aufgrund x der Aufenthaltsdauer zwischen Aufnahme und Entlassung, x der Behandlungsdiagnose und x unter Einbeziehung teurer Einzelleistungen x die Anzahl der LDF-Abrechnungspunkte ermittelt. Ein kontinuierlicher Aufenthalt im Krankenhaus entspricht somit einem Abrechnungsfall (innerhalb eines kontinuierlichen stationären Aufenthalts von der präoperativen Diagnostik bis zum OP, zur Ausheilung und der Rehabilitation, z.B. bei der Endoprothetik). Tatsächlich aber bilden oft mehrere stationäre Aufenthalte (Behandlungsphasen) erst zusammen eine vollständige Behandlungsepisode, die mit der LDF-Pauschale abgerechnet werden soll. Diese Behandlungsphasen sind auf einen oder oft auch auf mehrere stationäre Aufenthalte aufgeteilt: x In manchen Fällen entsteht zwischen der präoperativen, stationär durchgeführten Diagnostik und der Operation eine Behandlungspause; damit entstehen zwei stationäre Aufenthalte. x In anderen Fällen sind die Behandlungsphasen abgestuft auf unterschiedliche Krankenhäuser aufgeteilt: die Akutbehandlung im Zentralkrankenhaus, die Ausheilung im Standardkrankenhaus und die Rehabilitation in einem dritten Krankenhaus. Dann entstehen drei stationäre Aufenthalte für eine Behandlungsepisode. (vgl. Anlage 2) x Wenn während einer konservativen Behandlungsepisode der Patient über das Wochenende beurlaubt wird, entsteht ebenfalls ein zweiter stationärer Aufenthalt durch die Wiederaufnahme am Montag. In den letzten drei Fällen teilt sich die Behandlungsepisode in mehrere stationäre Aufenthalte, Behandlungsphasen, auf. Nach LKF wird jede dieser Aufenthalte wie eine komplette Behandlungsepisode abgerechnet und sie werden nicht zu einer Behandlungsepisode zusammengeführt. Dieser LKFDefekt ist seit 1997 bekannt und verursacht schwer wiegende negative Folgen. Dazu einige Beispiele mit typischen Aufenthaltsdaten: x
Bypass-Operationen erfolgen mit unterschiedlicher Leistungsaufteilung: Am LKH Salzburg werden die Patienten ohne Weitertransfer bis zur Entlassung 12 Tage behandelt. Im LKI werden viele Patienten nach 5 Tagen in die Gemeindespitäler für eine 7-tägige Nachbehandlung weiter transferiert. Die LKF ermittelt aus den unterschiedlich abgestuften aber medizinisch identen Versorgungsformen die durchschnittliche Standardverweildauer von 8–20 Tagen und finanziert bei einem Weitertransfer in ein Gemeindespital um 5 % mehr LDF-Punkte als bei der Behandlung in nur einem Spital (vgl. Anlage 2).
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Endoprothetik-Operationen Viele Patienten werden 10 Tage nach der Operation in ein Sonderkrankenhaus zur 10-tägigen postoperativen Behandlung überstellt (vom LKH Salzburg in das LKH St. Veit bzw. vom LKI in das LKH Hochzirl). Andere Patienten werden im selben Krankenhaus akut und postoperativ behandelt (20 Tage in KH Oberndorf oder im KH St. Johann i.T.). Die LKF ermittelt aus den unterschiedlich abgestuften, aber medizinisch identen, Versorgungsformen die durchschnittliche Standardverweildauer von 11–25 Tagen und finanziert bei einem Weitertransfer in ein Gemeindespital um 12 % mehr LDF Punkte als bei der Behandlung in nur einem Spital (vgl. Anlage 2).
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Aufwändige internistische Behandlungen Nach der Akutversorgung im Zentralkrankenhaus erfolgt auch bei internistischen Behandlungen oft die postakute Behandlung im wohnortnahen Standardkrankenhaus oder im Sanatorium. Bei der Diabetesbehandlung kommt es bei der identen Behandlung in den zwei abgestuften Krankenhäusern zu einer um 23 % und bei der Behandlung der Lebererkrankung zu einer um 42 % höheren Punkteausschüttung als bei der kontinuierlichen Behandlung in einem Krankenhaus. (vgl. Anlage 2). Obwohl nur eine Behandlungsepisode auf zwei Aufenthalte aufgeteilt wurde, entsteht bei einer Wiederaufnahme nach einer Behandlungsunterbrechung im selben Spital ein zweiter LKF-Abrechnungsfalle. Mit Hilfe dieser Abrechnungseigenart können sich Krankenhäuser aus der Klammer der standardisierten Verweildauer befreien: Langlieger werden nach Erreichen der oberen Verweildauergrenze von z.B. 20 Tagen in ein anderes Krankenhaus transferiert und dort nochmals 20 Tage behandelt. Damit erhöhen sich in Summe die LDF-Punkte gegenüber einem 40-tägigen, kontinuierlichen Aufenthalt in einem Spital.
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Auch wenn der Patient – aus medizinischen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen – für einen Tag oder über das Wochenende beurlaubt und danach wieder ins Krankenhaus kommt, entstehen zwei LKF-Abrechnungsfälle mit im Vergleich höherer Punkteausschüttung: x Chirurgische Patienten werden während einer stationären Aufnahme präoperativ abgeklärt, entlassen und zum OP wieder neu aufgenommen. Dabei entstehen zwei LKF-Abrechnungsfälle mit einer höheren LDFPunkteausschüttung als bei einem kontinuierlichen Spitalsaufenthalt. x Wochenendbeurlaubungen sind in der LKF nicht geregelt. o Weil keine Zusammenführung zu Behandlungsepisoden möglich und daher in der LKF Wochenendbeurlaubungen nicht geregelt sind, ergibt dieselbe 6-wöchige Strahlentherapie völlig unterschiedliche Ergebnisse an LDF-Punkten. (vgl. Anlage 2)
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Manche Patienten verbleiben während der 6-wöchigen Behandlung auch über das Wochenende im Krankenhaus. Dieser Abrechnungsfall für 42 Tage ergibt 6421 LDF-Punkte (MEL 6228, MEL Gruppe 25.03) x Andere Patienten verbringen das Wochenende zuhause. Damit entstehen sechs stationäre Abrechnungsfälle von jeweils Montag bis Freitag mit 10386 LDF-Punkten. Mit Wocheendentlassungen werden somit mehr LDF-Punkte ausgeschüttet als bei kontinuierlichen Aufenthalten, obwohl am Wochenende keine Kosten anfallen. Die Ermittlung der Verweildauer führt bei Patienten der Strahlentherapie zu einem zusätzlichen Problem: die Verweildauer wird weder für die gesamte Behandlungsepisode noch für die Dauer des stationären Aufenthalts ermittelt, sondern für die einzelne Bestrahlung pro Feld. Man möchte meinen, dass dafür die Verweildauer nur ein Tag sein könne, da die Patienten doch jeden Tag bestrahlt werden. In einem Referenzkrankenhaus erfolgte aber z.B. die erste Bestrahlung bis zu 60 Tage nach der Aufnahme des Patienten. Damit wird für diese Bestrahlung eine Verweildauer von 60 Tagen dokumentiert und so entsteht eine durchschnittliche Verweildauer für jede Bestrahlung von über zwei Tagen. Diese Verweildauer ist ohne jeden Bezug zum medizinischen Geschehen. In der LKF werden auch für Bestrahlungsplanungen Verweildauern von bis zu 13 Tagen vorgesehen, obwohl diese Leistungen eintägig oder ambulant erfolgen (vgl. Anlage 2). Dieser Durchschnitt ergibt sich, weil manche Patienten erst nach einem längeren stationären Aufenthalt diese eigentlich ambulante Leistung erhalten. Die statistisch ermittelte Verweildauer ist somit medizinisch sinnlos. Weil keine Möglichkeit zur Beurlaubung von Patienten über das Wochenende besteht, werden im folgenden konkreten Fall mehr Aufenthaltstage abgerechnet als tatsächlich anfallen: x am Freitag stationäre Aufnahme, prästationäre Untersuchungen x Beurlaubung von Freitag abends bis Sonntag x Rückkehr in das Spital am Sonntag, OP am Montag (Neurochirurgie, Orthopädie) x Entlassung nach vier Tagen am Freitag. x Abrechnung eines kontinuierlichen stationären Aufenthalts von Freitag bis Freitag. Die Aufenthaltsdauer und damit auch die ausgeschütteten LDF-Punkte werden um den Samstag und Sonntag ausgeweitet, die Stationsauslastung geschönt und die Einnahmen erhöht.
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Fehlanreize der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF)
Für Wiederaufnahmen innerhalb von sieben Tagen wird das Kürzel „W“ für „Wiederaufnahme“ in der LKF zwar dokumentiert, beeinflusst die Abrechnung aber nicht. Z.B. erfolgen in einem Großkrankenhaus jährlich über 3.000 Beurlaubungen und damit 3,6 % der Fälle einer Stichprobe, und führen damit zu höheren Einnahmen als in der LKF vorgesehen ist. Die Auswirkungen dieses LKF-Fehlers sind somit signifikant. Diese Defizite sind seit 1997 bekannt, publiziert und wurden trotzdem bisher nicht verändert. Das Bundesministerium hat einen Korrekturvorschlag ausgearbeitet, nach dem die o.a. Fälle zu einer Behandlungsepisode zusammengezogen werden sollen. Die vollständige Umsetzung wird aber kaum möglich sein, da weiterhin Akut- und Reha-Behandlungen nicht scharf getrennt und die Sanatorien in die Abrechnungen der Landesgesundheitsagenturen nicht einbezogen sind (vgl. 7.3). Zudem erfolgen Patiententransfers häufig auch über Bundesländergrenzen hinweg. Das deutsche DRG-System verhindert diese Aufblähung der Anzahl stationärer Aufnahmen von vornherein durch die Zusammenführung der Krankenhausaufenthalte zu einer Behandlungsepisode. Beurlaubungen unterbrechen die Aufenthaltsdauer und sind als solche zu dokumentieren. Ähnlich der G-DRG Systematik könnten mehrere Aufenthalte auch in Österreich zu einer Behandlungsepisode zusammengefasst werden. Dafür sind erforderlich: x Die eindeutige Definition der Behandlungsepisode. x Die Einbeziehung aller Krankenhäuser und deren Behandlungen, d.h. auch der Sanatorien und über Bundesländergrenzen hinweg. x Eindeutige Abgrenzung der Akutbehandlung von der Rehabilitation. Die Zusammenführung von Aufenthalten zu einer Behandlungsepisode und die Kontrolle durch die GKVen sind dringlich erforderlich. Die eindeutige Definition und Vorgaben für Beurlaubungen, Behandlungsunterbrechungen und Weiterbehandlungen sind dafür Voraussetzung. Die Sanatorien müssen vom selben Finanzier abgerechnet werden wie die Akutkrankenhäuser. Die Rehabilitation darf nicht mehr aus den Mitteln der Akutspitäler erfolgen und diese Leistungen dürfen nicht in die Ermittlung der Standardverweildauer eingerechnet werden.
7.7. Fehlanreize durch die Investitionssubventionierung Die Krankenhausfinanzierung in Österreich wurde als duale im Krankenanstaltengesetz festgelegt: x Investitionen in Leistungserweiterungen für neue medizinische Angebote (Stationen, OPs, Abteilungen), neue Gebäude und Generalsanierungen mit Möbeln, Geräten, Großgeräte werden aus den außerordentlichen Landeshaushalten und aus Mitteln der Landesgesundheitsagenturen finanziert. Dafür müssen weder Zinsen noch Abschreibungen, wie in „normalen“ Unternehmen, aus den Betriebskosten aufge-
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bracht werden. Die Höhe der bereitgestellten Investitionsmittel hängt daher nicht vom wirtschaftlichen Ergebnis des Krankenhauses, sondern von der Finanzkraft und der Bereitschaft der Länder ab. Der Ersatz von Geräten und Instandhaltungen werden aus den Betriebskosten der Krankenhäuser finanziert.
Dem entsprechend werden die Leistungspreise der Krankenhäuser, die sogenannten Pflege- und Sondergebühren bzw. LKF-Entgelte, ohne Kosten für Neuinvestitionen ermittelt: „Auslagen, die sich durch die Errichtung, Umgestaltung oder Erweiterung der Anstalt ergeben ... dürfen der Ermittlung der Pflegegebühren nicht zugrunde gelegt werden.“229 Damit werden Krankenhausinvestitionen in Österreich anders finanziert als Investitionen in den anderen Branchen. Dort müssen die Leistungspreise auch Abschreibungskosten für Investitionen finanzieren. Diese Subventionierung der Investitionen führt zu Fehlanreizen: x Die Errichtung wird der Anmietung von Räumen vorgezogen: Z.B. Büro-, Lager- und Werkstättenräume werden aus Mitteln für Krankenhausinvestitionen teurer erstellt als diese angemietet werden könnten. Da die Miete aus den Betriebskosten, die Investitionen aber aus Subventionen bezahlt werden, entsteht der Anreiz zu dieser wirtschaftlich nicht zielführenden Errichtung statt Anmietung. x
229
Da Investitionen nicht verdient werden müssen, kommt es leichter zu Fehlinvestitionen o Automatische Transportsysteme sind teurer als von einem Fahrer gesteuerte Triebwägen. Z.B. das automatische Transportsystem für Großtransporte am AKH Wien hat ca. Mio€ 70 gekostet. Für die Jahreskosten, die Verzinsung dieser Mittel und den Wertverlust könnten ca. 200 Mitarbeiter als Transporteure kontinuierlich eingesetzt werden. Am LKI mit um ca. 10–20 % weniger Patienten und Transporten als im AKH sind nur 32 Mitarbeiter im Holund Bringdienst eingesetzt. Die Automatisierung im AKH war somit ineffizient. o Ein Zentrallager kann zumeist kostengünstiger in einem Logistikzentrum angemietet als vom Krankenhaus errichtet und geführt zu werden. o Durch bessere Nutzung der bestehenden OPs könnte eine Begrenzung der Investitionskosten für OPs erreicht werden. Die Baukosten für einen OP z.B. betragen ca. € 2 Mio. In den öffentlichen Krankenhäusern werden die OPs zumeist nur bis 15 Uhr und damit 6,5 bis 7 Stunden pro Tag genutzt. Durch die Verlängerung der Betriebszeiten und die Optimierung der Betriebsabläufe
Salzburger Krankenanstaltengesetz 2000 (SKAG) StF:LGBL Nr 24/2000 (WV), § 63 (2)
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kann die Anzahl an OPs, und damit die Investitionskosten, deutlich reduziert werden. x Durch Verlängerung der OP-Zeit um 25 % bis 18 Uhr können 25 % der Investitionskosten eingespart werden. x Die stringente OP-Planung reduziert die Leerzeiten und erhöht damit die produktiv nutzbare OP-Zeit um bis zu 20 %. x Zwei OP-Tische in einem OP für kleine Operationen, z.B. für Handoperationen, reduzieren in Privatspitälern die ungenutzten Zeiten der Räume und des Personals. x Paralleles Einleiten erhöht die produktiv nutzbare Zeit im OP um ca. 10–20 % (während der Operation wird der nächste Patient bereits für die OP im Vorraum vorbereitet). Daher betreiben private Krankenhäuser OPs länger. Durch die Subventionierung der Investitionen besteht aber kein ausreichender Anreiz zur Reduzierung der Investitionen durch Organisationsveränderungen: Obwohl der Ausstattungsstandard in anderen Spitälern ein oder zwei Schüsselspüler pro Station vorsieht, wurde in einem Neubau im LKH Salzburg in die Nasszelle jedes Patientenzimmers ein Schüsselspüler eingebaut. Die Mehrkosten betrugen T€ 10 pro Zimmer und damit bis zu T€ 500 insgesamt. Der Betrieb des Dampfnetzes verschlingt zusätzliche T€ 110 p.a. Dieselbe Planung bestand für die Generalsanierung eines weiteren Gebäudes. Bei knappen Investitionsmitteln und Eigenfinanzierung werden derartige überflüssige Investitionen eher vermieden. Begrenzung der Sterilisationseinheiten: Die sinnvolle Zentralisierung, d.h. Zusammenlegung von Sterilisationseinheiten, begrenzt die Investitionskosten und Folgekosten im Vergleich zu dezentralen Einheiten. Zusammenfassung von Einheiten und damit Reduzierung des Bedarfs für Raum, Geräte und Personal für Radiologie, Interventionszentren, OPs und der Ambulanzen verringert die Investitionskosten. Ebenso die Konzentration der Forschungslabore: An allen österreichischen Universitätskliniken werden viele Forschungslabore mit eigenen Räumen, Personal und Geräten betrieben. Bei gemeinsamer Nutzung und bedarfsgerechten Zuteilung in einem Laborgebäude verringern sich vergleichsweise die Kosten für Raum, Geräte und Infrastruktur. (C- und GMP-Labore, Genanalysegeräte).
Ankauf von Hightech-Leistungen statt Selbstherstellung: In der Onkologie werden Stammzellen therapeutisch eingesetzt, die vorher in teuren, völlig sterilen GMP-Laboren bearbeitet werden
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müssen. Da die Aufbereitung der Stammzellen nicht zeitkritisch ist, gut geplant und nach Standards erfolgt, bietet sich eine Zusammenfassung dieser standardisierten Produktionsvorgänge in einem Labor für mehrere Zentralkrankenhäuser an. Dennoch werden in allen österreichischen Zentralkrankenhäusern eigene Reinräume mit hohen Investitionskosten errichtet. x
Dezentrale Blutzentralen: In Österreich wird in jedem Bundesland eine – zu kleine – Blutzentrale betrieben. Zwei Einheiten für Österreich wären ausreichend. Für Bayern mit 13 Millionen Einwohnern reicht eine Blutzentrale. Daher betragen die Kosten für Blutprodukte in Bayern nur 60–70 % der Preise in Österreich.
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Bevorzugung neu errichteter Krankenhäuser: Da die Instandhaltung der Gebäude aus dem Betriebsaufwand zu bezahlen sind, Investitionen in neue Gebäude etc. aber als Subventionen quasi als Geschenk dem Krankenhaus zufließen, entsteht für neue im Vergleich zu alten Krankenhäusern ein wirtschaftlicher Vorteil: neue Krankenhäuser haben nur geringen Instandhaltungsaufwand, daher niedrige Betriebskosten und sind deshalb scheinbar effizienter als alte Krankenhäuser mit hohem Instandhaltungsaufwand.
Investitionen werden zudem derzeit mit der LKF auch doppelt finanziert: x Wie oben gezeigt, werden Investitionen in Geräte für Leistungserweiterungen im Rahmen von Neubauten und Generalsanierungen aus den Landesbudgets finanziert (vgl. oben). x Der LKF-Punktewert pro Leistung enthält als Abgeltung für Investitionen aber auch die Abschreibung für Geräte.230 Damit erhalten die Krankenhäuser aus der LKF-Abrechnung auch Mittel für Geräteanschaffungen, die nicht aus ihren Betriebsmitteln finanziert wurden. Diese Doppelfinanzierung der Geräteinvestitionen führt zum Vorteil für die High Tech Medizin mit hohem Investitionsaufwand gegenüber persönlichen medizinischen Leistungen. Z.B. erwirtschaftet die Strahlentherapie in den Landeskrankenhäusern Salzburg und Innsbruck hohe positive Deckungsbeiträge, da mit der LKF auch Gerätekosten bezahlt werden, die Gerätekosten aber nicht in die Betriebskosten eingehen sondern aus Subventionen finanziert werden. Voraussetzung für aussagekräftige Preise in geräteintensiven Fächern ist die Einbeziehung der Investitionen. Wenn die Mittel für Investitionen im Unternehmen über Erlöse selbst erwirtschaftet werden müssen, ist das Management eher zu einem ökonomischen Umgang mit den Investitionsmitteln eher gezwungen als bei der Subventionierung aus öffentlichen Budgets. Zudem führt die Subventionierung 230
BMGFJ: Projekt LKF Kalkulation 2006. Ergebnisse und Dokumentation: Stand 30.5.2008
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der Investitionskosten zu einer Differenzierung der Spitäler nicht nach ihrer Wirtschaftlichkeit, sondern nach der Finanzkraft der öffentlichen Financiers und verunmöglicht ein funktionierendes Preissystem. Daher fordert die Schweizer „Kommission für Konjunkturfragen“ den Übergang zu einem monistisch finanzierten System231 durch die GKVen. In Deutschland wurde eine Expertise zur Umstellung auf die monistische Krankenhausfinanzierung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit von Prof. Bert Rürup u. a. vorgelegt: „Der Großteil der Investitionsmittel sollte leistungsbezogen in Form von DRG-Zuschlägen ausgezahlt werden.“ Um die flächendeckende Versorgung auch in strukturschwachen Regionen zu sichern, „sollte ein bestimmter Teil (z.B. 10 %) der Steuermittel für die Investitionsförderung nicht in Form von DRG-Zuschlägen ausgezahlt werden, sondern in einen Infrastrukturfonds fließen“ und von den Bundesländern für die Krankenhausversorgung in strukturschwachen Regionen eingesetzt werden.232 Die Subventionierung von Investitionen führt gegenüber der Eigenfinanzierung eher zu einem unwirtschaftlichen Umgang mit Investitionsmitteln und verhindert ein funktionierendes Preissystem. Der geeignete Ausweg aus diesem Dilemma ist die Beendigung der dualen Finanzierung und damit die Finanzierung von Investitionen über die Leistungspreise. Die öffentliche Hand muss aber weiterhin die Regionalplanung verantworten und sich dafür wirtschaftlichen Einfluss behalten. Sie kann z.B. 10–30 % der Investitionssumme als öffentliche Förderung zuschießen und nur freigeben, wenn die Investition auch im öffentlichen Interesse liegt. Damit kann die Errichtung von Überkapazitäten einerseits begrenzt und die Flächenversorgung andererseits sichergestellt werden. Der Übergang sollte, wie in der Schweiz und in Deutschland geplant, über mehrere Jahre erfolgen.
7.8. Die LKF hat ihre Ziele verfehlt233 Die „Österreichische Gesellschaft für Gesundheitsökonomie“ führte in den Jahren 1993 und 2004 Erhebungen unter Akteuren des Gesundheitswesens über die LKF durch. x 1993 wurden die „Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken bei der Einführung“234 der LKF erhoben. x 2004 wurde mit der Studie „Finanzierung des Gesundheitswesens“ erhoben, welche Auswirkungen die LKF mit sich brachte und überprüft, wie weit die erwarteten positiven Veränderungen Platz gegriffen
231 232 233 234
NZZ vom 27.10.2006, Genesungskonzepte für das Gesundheitswesen das Krankenhaus 4/2008, S. 314: Rürup Expertise Gesundheitsoeconomica 2004, S. 5 ff. Gesundheitsoeconomica 2004, S. 5
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haben und welche negative Auswirkungen sich zeigen.235 Zudem wurden Fragen zu den Erwartungen an die Gesundheitsplattformen gestellt. Die Ergebnisse der Studie 2004: a. Die LKF bedingten Veränderungen seit 1997 waren gering: x Keine Stabilisierung der Krankenhauskosten. Nicht die LKF verursachte die Kostenbegrenzung in den Spitälern, sondern deren Stabilisierung erfolgte durch die Budgetdeckelung.236 x Eine Reduzierung der Verweildauer erfolgte nicht. Die statistische Reduzierung der Aufenthaltsdauer in den Spitälern erfolgte durch die Codierung ambulanter Fälle als stationäre. Weil im 1. LKF Jahr 1997 ehemals ambulante Behandlungen als stationäre Nulltagesbehandlungen abgerechnet wurden, stieg einerseits die Anzahl stationärer Fälle um 6 % und damit sank andererseits die durchschnittliche Verweildauer statistisch.237 Die Studie weist nach, dass der bestehende Trend zur kürzeren Verweildauer in Krankenhäusern nur beibehalten und durch die LKF nicht verstärkt wurde. x Leicht bessere Kostentransparenz und deutlich bessere Leistungstransparenz.238 x Die Verschiebung der bisherigen Fehlbelegungen in Pflegeheime gelang.239 b. Die bereits 1993 benannten Probleme wurden nicht gelöst: x Die Strukturen wurden nicht verändert, da die LKF nur als Geldverteilungssystem eingesetzt wird und keinen Einfluss auf Strukturen nimmt. Sowohl die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen den Sektoren240 als auch die Schnittstellenproblematik blieben unverändert.241 x Die finanzielle Transparenz wurde nicht wesentlich besser. x Die Finanzierung der Ambulanzleistungen und Tageskliniken blieben ungelöst. x Die Steuerung, Planung und Ausrichtung auf integrierte Versorgung erfolgen weiterhin nicht. x Anreizmechanismen zu sparsamem Verhalten wurden nicht gesetzt. Die Defizite aus 1993 bestehen demnach auch noch 2004. Die Befragten setzten nun ihre Hoffnungen auf die Gesundheitsplattformen.242
235 236 237 238 239 240 241 242
Gesundheitsoeconomica 2004, S. 5 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 13, S. 16 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 20 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 24 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 25 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 27 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 36 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 53
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c. Die 1997 veränderte Krankenhausfinanzierung fügte zu den bisherigen Problemen ein neues hinzu, dessen Lösung die Befragten mit höchster Priorität fordern. Die völlig getrennte Finanzierung der Krankenhäuser und Praxen soll in eine Hand kommen243 und mehr Mitsprache und Entscheidungskompetenz sollten bei der Sozialversicherung244 liegen. d. Für die Gesundheitsplattformen wünschen sich die Befragten: x Gleiche Finanzierung gleicher Leistungen,245 somit gleiche Leistungspreise für Krankenhäuser und wohl auch zwischen Krankenhausambulanzen und Praxen. x Zentrale Mittelverwaltung. x Zurückdrängen des Landeseinflusses, keine Landes-, sondern eine Bundes-Gesundheitsagentur.246 x Sie fürchten die „Blockierung durch Unflexibilität und Zentralisierung...in Richtung Planwirtschaft“,247 dem bekannten Risiko politischer Einflüsse. Implizit wird in der Studie ein Ausweg aus dem kurzfristigen Dilemma der Krankenhausfinanzierung gewiesen: es bestehe ein breiter Konsens zur Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge,248 um die Kostenprobleme der Krankenhäuser zu lösen. Damit kann der schmerzhaftere Weg in einen Anbieterwettbewerb weiterhin vermieden werden und Österreich gewinnt einen weiteren Aufschub für die wirklich erforderlichen Veränderungen. e. Einige Kommentare zur Studie werden von nicht ausgewiesenen, impliziten Werten und Zielen der Autoren geleitet. x Die Forderung zur Schwächung der Krankenhausambulanzen und die Umleitung der Patienten in die Praxen wird vertreten, ohne aufzuzeigen, welche positiven Auswirkungen damit erzielt werden könnten.249 x Staatliche Planung als Problemlösung wird statt reguliertem Wettbewerb verlangt.250 Die Autoren weisen aber nicht nach, in welchem Staat die staatliche Planung erfolgreich gewesen wäre und welche Theorien diesen Weg stützen. Die Meinung der Befragten, dass weniger Staat und damit Wettbewerb zwischen Kassen sinnvoll wäre,251 wird nicht aufgegriffen. Die Autoren haben nicht nachvollzogen, dass „die Frage der Zukunft“,252 wie durch Anreize die Interessen der Versicherungen zu jenen der Versicherten werden könnten, durch Wett243 244 245 246 247 248 249 250 251 252
Gesundheitsoeconomica 2004, S. 9 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 10 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 38 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 42, 47 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 55, 56 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 39 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 29/30, 35 Gesundheitsoeconomica 2004, S 33, 39 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 59 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 64
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bewerb zwischen GKVen und nicht durch staatliche Planung zu lösen ist. Die international herrschende Meinung, dass Wettbewerb zwischen Leistungserbringern im regulierten Gesundheitsmarkt günstigere Ergebnisse bringt als monopolistische Anbieter unter staatlichem Kuratell, wird von den Autoren offenbar nicht geteilt. Sie geben auch keine eigene Position zum Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern einerseits und GKVen andererseits ab, obwohl der Wettbewerb zwischen GKVen von den Befragten mehrheitlich gefordert wird.253 Damit ignorieren sie die zentrale Entscheidung zwischen Wettbewerb und staatlicher Planung im österreichischen Gesundheitswesen und verzetteln sich über die Bedeutung der Pflegedokumentation in der LKF und mit der moralischen Aufforderung zur verbesserten Zusammenarbeit. Die Leistungsverrechnung zwischen Bundesländern wird weder abgefragt noch ausgeführt. Ursache dafür ist wohl die „Wien-Perspektive“ der Autoren: Wien wird aus dem Finanzausgleich für die Zentralversorgung großzügig pauschal finanziert und aus der Wiener Perspektive verursacht die Pauschalfinanzierung zwischen den Bundesländern kaum Nachteile. Für das österreichische Gesundheitssystem wirkt dieses Defizit aber verheerend, da leistungsfähige überregionale Zentren verhindert und neun autonome Gesundheitssysteme de facto gefördert werden. Der Vorschlag der Befragten zu einem einheitlichen Verrechnungssystem254 wurde von den Autoren nicht aufgegriffen. Die Privatmeinung der Autoren, dass Bettenreduzierungen keine Kosten reduzieren würden,255 wird durch keine Daten belegt und ist auch nicht belegbar. Analysen zeigen, dass bis zu 70 % der Stationskosten durch Bettenabbau vermieden werden (u. a. im Strukturplan Oberösterreich der SOLVE und in der Finanzierungsstudie zum Neubau des Krankenhauses Klagenfurt).
Die Durchführung und die Ergebnisse der Studie sind wertvolle Beiträge zur LKF-Diskussion. Günstig wäre es, wenn damit eine breite Diskussion entstünde und die begrenzten Möglichkeiten der Gesundheitsagenturen realistisch eingeschätzt würden.
7.9. Wieso sich Deutschland und die Schweiz gegen die LKF entschieden Als Ende der 90er Jahre die Gesundheitspolitiker des deutschen Bundestags auf der Suche nach einem leistungsorientierten Finanzierungssystem für 253 254 255
Gesundheitsoeconomica 2004, S 59 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 46 Gesundheitsoeconomica 2004, S. 34
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Krankenhäuser waren, lag nichts näher, als das bereits installierte österreichische LKF-System auf die Tauglichkeit für Deutschland hin zu prüfen. U.a. diskutierten sie die Möglichkeiten der österreichischen LKF bei einer Veranstaltung in Innsbruck und mussten dabei feststellen, dass das LKF-System nicht darauf abzielte, eine „leistungsorientierte“ Finanzierung für den Wettbewerb von Krankenhäusern zu ermöglichen. Es zeigten sich die bekannten Defizite: x Kein Preissystem. LKF-Preise sind nicht zum Effizienzvergleich und für Verhandlungen zwischen dem Angebot der Krankenhäuser und den Nachfragern, den GKVen, geeignet, sondern nur ein Verteilungsmechanismus für öffentliche Gelder ohne Anspruch auf Fairness. x Kein einheitliches System für Österreich. Basierend auf gemeinsamen Vorgaben wurde die LKF nicht bundeseinheitlich, sondern von jedem Bundesland völlig unterschiedlich ausgestaltet und damit ist auch die Bezahlung der Leistungen an Patienten der Nachbarbundesländer durch LKF-Preise nicht sinnvoll möglich. x Keine wissenschaftliche Begleitung. Die LKF wurde ohne wissenschaftliche Begleitung und Evaluation eingeführt. Damit ist keine kontinuierliche Weiterentwicklung zu erwarten. Daher wurde für Deutschland das australische DRG-System übernommen und als G-DRG-System für Deutschland adaptiert. Der Erfolg gibt den deutschen Gesundheitspolitikern recht. Die Anreize des G-DRG-Systems erhöhten die Effizienz der deutschen Krankenhäuser binnen weniger Jahre: x Reduzierung stationärer Leistungen. Da die GKVen ambulant mögliche Leistungen kaum noch als stationäre finanzieren, wurde ein großer Teil der Versorgung in den ambulanten und tagesklinischen Bereich umgeleitet. Die stationären Aufnahmen reduzierten sich von 2002 bis 2005 daher um 1,9 %. x
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Marktdruck führte zur Effizienzerhöhung: o Der Marktdruck zwang die Krankenhäuser zu Kostenreduzierungen durch Veränderung der Strukturen. Baulich bedingte Nachteile mussten durch Investitionen behoben werden, um die wirtschaftliche Zukunft des Krankenhauses zu sichern. U.a. die Krankenhäuser Bremen Mitte, Berlin-Buch, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Minden mussten durch Neubauten strukturelle Defizite beheben. o Da der Marktdruck an die Lieferanten weitergegeben wurde, reduzierte sich das deutsche Preisniveau für Medikalprodukte um ca. 15 % unter das österreichische. Im konkreten Fall für die Salzburger Landeskliniken wurde ein Einsparungspotential von 22 % von der GÖK AG ermittelt, das inzwischen auch bei den analysierten Artikelgruppen realisiert wurde (vgl. 5.1.4). Die Leistungspreise nach dem G-DRG-System sind niedriger als die nach LKF ermittelten in Österreich. Dies zeigt das Ergebnis einer ver-
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gleichenden Analyse aufgrund von 50 ausgewählten Diagnosen SALK intern. Eine vergleichende Analyse weist für die LKF um 32 % höhere Entgelte aus. Eine wesentliche Ursache dafür sind die hohen Kosten für Intensivtherapie.256 Ein anderer Vergleich liegt mir nicht vor, obwohl es ein leichtes wäre, diesen Vergleich durchgängig anzustellen und damit die Effizienz der Krankenhäuser der beiden Staaten zu vergleichen. Reduzierung von Krankenhäusern: In Deutschland, wie auch in Österreich, werden zu viele Krankenhäuser betrieben. Die besseren Transportmöglichkeiten und -wege ermöglichen eine geringere Dichte an Krankenhäusern als noch vor 50 Jahren. Wettbewerbsdruck erzwingt den Bettenabbau und die Reduzierung der Krankenhäuser: Ein Drittel der Krankenhäuser in Deutschland sei ungeachtet des deutlichen Bettenabbaus, der Umstrukturierungen und verbesserten Abläufe auf absehbare Zeit nicht in der Lage, wirtschaftlich zu arbeiten. In den vergangenen Jahren hätten viele Krankenhäuser bereits erhebliche Produktionsfortschritte erzielt. So kommen in den besten Kliniken rein rechnerisch auf jeden Angestellten 80 Patienten und in weniger leistungsfähigen Häusern liege dieses Verhältnis bei eins zu 21. Beste Zukunftsaussichten haben nach Einschätzung von McKinsey spezialisierte Kliniken mit bis zu drei Fachrichtungen und rund 150 Betten, Allgemeinkrankenhäuser mit einem breiten Leistungsspektrum mit 200 bis 400 Betten und Krankenhäuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung mit 500 bis 700 Betten.257 Von 2003 bis 2005 wurde die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland um 22 reduziert258 und mit dem Ende der Konvergenzhase wird sich die Anzahl der Krankenhäuser weiter verkleinern.
In der Schweiz wird seit Jahren die Einführung eines DRG Systems diskutiert. 2007 wurde mit der Revision des Krankenversicherungsgesetzes die Entscheidung getroffen, bis spätestens 2012 in allen Spitälern der Schweiz DRGs für die Leistungsabrechnung einzuführen. Dieses SwissDRG-System soll mit einem funktionierenden Preissystem zu mehr Wettbewerb führen: „Denn das Angebot der verschiedenen Kliniken könnten auf diese Weise ebenso verglichen werden wie Autos unterschiedlicher Marken, erklärte Rolf Zehner, Mitglied der Projektleitung SwissDRG“.259 „Die Schweiz wird ihr Fallpauschaliensystem auf der Grundlage des deutschen Systems aufbauen und damit von
256
257 258 259
Wilke, Dr., GmbH München: Analyse der Erlöse von deutschen krankenversicherten Patienten im Grenzbereich von Bayern zu Salzburg in landesfondsfinanzierten Krankenanstalten, Juli 2008. FAZ vom 3.5.2006, S. 15: McKinsey: Jedes dritte Krankenhaus ist gefährdet Klauber et al S. 7 NZZ, 26.4.2006, S. 33, Wenn der Blinddarm überall gleich viel kostet.
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der mittlerweile vierjährigen Erfahrung in Deutschland profitieren.“260 Mit dieser Umstellung werden in der Schweiz auch die Subventionen der Kantone künftig nach Leistungen erfolgen und damit Effizienzunterschiede transparenter261 (diese Überlegung sollten die österreichischen Gesundheitspolitiker zur Objektivierung der Landeszuschüsse übernehmen). „Ziel ist es, auch in der Schweiz den wirtschaftlichen Druck auf die Spitäler zu vergrößern“ (ebda.) „Insbesondere die kantonalen Gesundheitsdirektoren erhoffen sich, dass ineffiziente Spitäler mit der Einführung von SwissDRG identifiziert werden.“262 Nach 10 Jahren LKF sind wegen der in jedem Bundesland unterschiedlichen Ausgestaltung und der ungelösten Probleme Effizienzvergleiche zwischen Spitälern in Österreich noch immer nicht möglich. Die Schweiz hat daher nicht das österreichische LKF, sondern das deutsche G-DRG System übernommen. Das österreichische LKF-System war in Mitteleuropa ein Vorreiter. Ohne konsequente Gestaltung und Weiterentwicklung wurde es inzwischen überholt und ist nicht mehr zeitgemäß strukturiert. Einfacher als die Entwicklung eines leistungsfähigen LKF-Systems mit vielfältigen Veränderungen ist die adaptierte Übernahme des deutschen G-DRG-Systems. Damit entstehen in Deutschland, der Schweiz und in Österreich vergleichbare Preissysteme, die auch zwischenstaatliche Behandlungen leichter abrechnen lassen.
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261 262
NZZ, 5.5.2008, S. 16: Fallpauschalien in Spitälern optimal gestalten. Frühzeitige Begleitforschung als Erfolgsfaktor NZZ, 9.3.2006, S. 33, Kleiner Wurf in der Krankenversicherung NZZ, 5.5.2008, S. 16 Fallpauschalien in Spitälern optimal gestalten. Frühzeitige Begleitforschung als Erfolgsfaktor
8.
Österreichische Daten sind für internationale Vergleiche begrenzt verwendbar
Der Umgang mit den Gesundheitsdaten in Österreich ist häufig nicht an internationalen Normen, sondern an nationalen politischen Kompromissen orientiert. Daher sind österreichische Daten oft für internationale Vergleiche nicht geeignet. Da internationale Vergleiche dennoch erfolgen, verleiten die mangelhaft abgegrenzten Daten zu Fehlschlüssen (vgl. 6.3.4.). x Österreich wies über Jahrzehnte bis 2003 geschönte Daten über den Anteil der Gesundheitskosten am BSP aus: Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttosozialprodukt wurde bis 2003 in Österreich, anders als in den anderen Staaten, ohne die Landeszuschüsse zur Krankenhausfinanzierung „schön“ gerechnet und dies hatte große Zufriedenheit ausgelöst. „Nach der bisher verwendeten Statistik wurden insgesamt 8,1 % der BIP aufgewendet, 5,6 % entfielen auf den Staat in seinen verschiednen Erscheinungsformen und 2,5 % auf die Privaten….Das IWI hat nun ermittelt, dass der für den Privatbereich ausgewiesene Betrag in etwa den Tatsachen entspricht…. Die spektakuläre Differenz errechnet sich allerdings bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben.“263 Daher wies die OECD für Österreich 2003 noch Gesundheitskosten von 7,5 % des BSP und $ 2,302 pro Kopf und Jahr aus und korrigierte 2005 diese „Schönrechnung“ auf einen Anteil von 10,2 % des BIP und $ 3,519 pro Kopf und Jahr264 (vgl. 2.) x Die Anzahl stationärer Fälle wird inflationiert: In anderen Staaten werden, wenn ein Krankheitsbild behandelt wurde, mehrere stationäre Aufenthalte zu einer Behandlungsepisode zusammengefasst, in Österreich nicht (vgl. 7.5.) o Bei Weitertransfers zur Behandlung aus dem peripheren in das Zentralkrankenhaus und umgekehrt werden in Österreich dafür zwei, in anderen Staaten nur ein Behandlungsfall ausgewiesen (Bypass, Endoprothetik, Ausheilen). o Beurlaubungen und andere Wiederaufnahmen nach wenigen Tagen: Psychiatrische, internistische und chirurgische Langlieger werden entlassen und dann wieder zur stationären Pflege aufgenommen und andere Patienten werden über das Wochenende nach Hause entlassen und am Montag weiter behandelt. In Öster263 264
Der Privatpatient 2/2002: Fast 11 % des BIP für das Gesundheitswesen OECD Indicators 2007
190 Österreichische Daten sind für internationale Vergleiche begrenzt verwendbar
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reich entstehen dabei neue Abrechnungsfälle, in anderen Staaten werden diese Aufenthalte zu einem Abrechnungsfall zusammengezogen (bei einer Strahlentherapie mit Wochenendbeurlaubung entstehen in Österreich sechs, in Deutschland nur ein stationärer Abrechnungsfall) Reha im Akutbereich: Da in den westlichen Bundesländern keine Reha Einheiten errichtet wurden, erfolgen z.B. in Tirol und Salzburg Rehabilitationen in Akutspitälern. Damit werden Reha Fälle als Akutfälle gezählt und inflationieren die Anzahl stationärer Fälle. Ambulante Fälle werden als stationäre gezählt: Ambulante Chemotherapien, sogenannte 0-Tagesaufenthalte und tagesklinische Behandlungen der Geriatrie, Psychiatrie und Neurologie werden in Österreich als stationäre Abrechnungsfälle pro Besuch! gezählt, obwohl diese Patienten kein stationäres Bett zugeordnet bekommen und tatsächlich ambulant behandelt werden. Tageschirurgische Behandlungen, wie Katarakte, Hernien, Adenotomien werden dem stationären Sektor zugerechnet.
Die Anzahl der Pflegetage wird inflationiert: Wochenendbeurlaubungen werden nicht ausgewiesen und als stationäre Aufenthalte dokumentiert. Die durchschnittliche Verweildauer wird durch die Einbeziehung der 0-Tagespatienten, tagesklinischer, tageschirurgischer und vieler ambulanter Behandlungen als stationäre Aufenthalte statistisch reduziert. Da in anderen Staaten diese ambulanten Behandlungen auch als solche ausgewiesen werden, ergibt sich statistisch in Österreich eine vergleichsweise kurze durchschnittliche Aufenthaltsdauer. „Long-term care Betten“ sind in den meisten OECD-Staaten ausgewiesen – nicht aber in Österreich.265 Z.T. werden diese Betten in Österreich als Akutbetten geführt. Auch dies erhöht die Anzahl der stationären Aufenthalte und Pflegetage im Vergleich zu anderen Staaten.
Empirische Hinweise für diese statistische Aufblähung des stationären Sektors: x Im 1. LKF Jahr 1997 stieg die Anzahl stationärer Fälle um 6 %, weil die Krankenhäuser ehemals ambulante Behandlungen als stationäre 0Tagesbehandlungen abrechneten. x Die internistische Onkologie im LKH Salzburg verzeichnet jährlich ca. 12.000 als stationär ausgewiesene Abrechnungsfälle: 2.000 davon sind tatsächlich stationäre, die anderen 10.000 aber „ambulante“ Nullbis Eintagesbehandlungen mit Chemotherapien. Daher ergibt sich die völlig irreführende durchschnittliche Verweildauer von 2 Tagen als 265
OECD Indicators 2007: S. 68
Österreichische Daten sind für internationale Vergleiche begrenzt verwendbar 191
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Mittel der 2.000 stationären Patienten und der 10.000 „ambulanten“ Fälle. In den SALK nahmen im Jahr 2005 die stationären Behandlungen um 5,5 % zu. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die tatsächlich stationären Behandlungen um 1 % und die ambulanten Chemotherapien um nahezu 30 % zunahmen.
Die österreichischen Daten über Krankenhäuser sind daher international nur begrenzt vergleichbar.
9.
Vorteile und Fehlanreize der Finanzierung durch Private Krankenkassen
Die Finanzierung der Behandlung von zusatzversicherten PKV-Patienten beinhaltet auch Fehlanreize mit Nachteilen für die Soziale Krankenversorgung: x Die Anreizsysteme der PKV unterscheiden sich wesentlich von den LKF-Anreizen und widersprechen diesen. Sie sind eine der Ursachen für Ineffizienzen in den österreichischen Krankenhäusern (vgl. 9.3). x Die bessere Vergütung der ärztlichen Leistung durch die PKV führt zu einer höheren Aufmerksamkeit durch die behandelnden Ärzte in der Diagnostik und Therapie für Privatpatienten. Damit entsteht das Risiko für „nur“ GKV Versicherte, dass sie nicht die beste Behandlung erhalten. Die Österreichischen PKVen haben sich zu einem Verband zusammengeschlossen und damit ein einseitiges Verhandlungsmonopol aufgebaut, auf das die Krankenhausbetriebsgesellschaften bisher nicht reagiert haben. Der Verband der PKVen verhandelt gemeinsam, die Krankenhausgesellschaften sitzen diesem Verhandlungsmonopol aber einzeln gegenüber. Das Ergebnis sind äußerst differenzierte Vertragsbedingungen in den Bundesländern zum Vorteil der PKVen. Der Vergleich der Jahre 2003 bis 2007 zeigt allein für die Tagesentgelte große Differenzen: die kleinen Wiener Krankenhäuser verrechnen pro Tag im Jahr 2007 € 128, die kleinen Krankenhäuser in Vorarlberg und Tirol unter € 110. Die Differenzen bei den Arzthonoraren sind noch größer.266 Die Arzthonorare für Wien sind deutlich höher als die Arzthonorare in den Bundesländern. Dem PKV -Verband gelingt es regelmäßig, durch Vertragsdifferenzierungen die Krankenhausgesellschaften gegeneinander „auszuspielen“. Diese Ungleichheiten können nur durch den Aufbau einer gemeinsamen Verhandlungsposition aller österreichischern Krankenhausgesellschaften gebrochen werden. Die Zusammenführung der Interessen wurde bereits vorgeschlagen, konnte aber bisher nicht erreicht werden. Die PKV verfügt, im Unterschied zum LKF-System, über ein funktionierendes Preissystem. Die Krankenhäuser erhalten nach diesem Erlöse für die Behandlung der PKV-Patienten und müssen daher im Wettbewerb um diese Patienten bestehen. Dieser Wettbewerb stärkt die Krankenhäuser. Z.B. in 266
KABEG Management: Sonderklasse-Tarife/Bundesländer 2003 bis 2007 (Anstaltsgebühren)
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Vorteile und Fehlanreize der Finanzierung durch Private Krankenkassen
Oberösterreich stehen die Krankenhausunternehmen Gespag, das AKH Linz und die kirchlichen Spitäler im Wettbewerb um Privatpatienten und müssen daher Leistungen und Service optimieren, um keine Marktanteile zu verlieren.
9.1. Klassendifferenzierung in Praxen Mit höheren Leistungen der PKV an die Praxisärzte ergab sich in Deutschland „im Kopf“ die Zwei-Klassen-Medizin. Die Aussagen einzelner Ärzte in Internet Foren weisen darauf hin, dass viele Praxen die Versorgung nach dem Versichertenstatus – wohl vor allem in Regionen mit vielen privat versicherten Patienten – differenzieren. Ein Praxisarzt im Internet: “Wäre ich Kassenpatient, ich würde den Fuß nicht in meine Praxis setzen, so lustlos bin ich inzwischen.“267 Im Gegensatz dazu besteht in Österreich kaum eine private Krankenversicherung für die ambulante Versorgung in Praxen. Daher hat in den Praxen die Zwei-Klassen-Medizin noch nicht Einzug gehalten. Zudem können in Österreich, ähnlich wie in den Niederlanden und in den meisten anderen westlichen Industriestaaten, Patienten auch in den Krankenhäusern ambulant behandelt werden. Diese Möglichkeit besteht in Deutschland nicht in diesem Ausmaß, weil die Ärztevertretungen dies bisher weitgehend zu verhindern wussten. Eine zweite Behandlungsklasse in der ambulanten Versorgung ergibt sich in Österreich durch Wahlärzte der Gynäkologie, Urologie, Orthopädie, Psychiatrie und auch der Pädiatrie. Die Wahlarztpraxen werden von Belegärzten in Sanatorien und sehr häufig von Fachärzten der Krankenhäuser in Nebenbeschäftigung geführt. Diese Ärzte sind oft die besten Experten der Krankenhäuser, bieten höchste Qualität, nehmen sich Zeit für das Gespräch mit dem Patienten und haben daher regen Zulauf. Sie behandeln die Patienten gegen Rechnung und die Patienten bezahlen diese privat. PKV-Versicherte erhalten von ihrer Versicherung die Kosten erstattet und GKV-Versicherte von der GKV 80 % des Kassentarifs. Die Differenz zum Rechnungsbetrag verbleibt den GKV-Versicherten. Die Wahlärzte wurden an den Standorten der Universitätskrankenhäuser in Österreich zu einer eigenen Behandlungsklasse.
9.2. Privates Liquidationsrecht fördert Partialinteressen Primarärzte bestimmen das medizinische Geschehen in den Abteilungen. Sie x legen die medizinischen Schwerpunkte ihrer Abteilung nach ihrer Erfahrung und Qualifikation und damit die Art der Diagnostik und Therapie fest, x verantworten die Personalplanung für Ärzte und legen damit die Qualität der Versorgung fest,
267
DER SPIEGEL 24/2007: Prof. Lauterbach: Unsere Gegner sind die Patienten.
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organisieren den ärztlichen Betrieb bzw. die gesamte Patientenversorgung in Ambulanzen und Stationen.
Primär handeln sie im Gesundheitsinteresse der Patienten. Finanzielle Anreizsysteme bleiben aber auf die Dauer nicht ohne Wirkung, beeinflussen ihre Entscheidungen und damit die medizinischen und ökonomischen Ergebnisse ihres Verantwortungsbereichs.268 In Österreich können Primarärzte und andere liquidationsberechtigte Ärzte aufgrund der Berechtigung im Krankenanstaltengesetz in mehreren Bundesländern für ärztliche Behandlungen der Sonderklassepatienten den Patienten bzw. ihren Versicherungen Arzthonorare in Rechnung stellen. Die PKV schließt mit den Primarärzten Verträge ab und diese können damit innerhalb des Krankenhauses ohne Unternehmensrisiko ein regelmäßiges Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielen. Die Primararztgehälter vom Rechtsträger sind darauf ausgerichtet, dass ein Auskommen ohne diesen Zusatzverdienst in den meisten Abteilungen nicht möglich wäre; bei hohen Einkommen aus der privaten Liquidation wird ein niedrigeres Gehalt vom Krankenhaus dem Primar bezahlt und somit das voraussichtliche Honorareinkommen bereits berücksichtigt. Die rechtliche Grundlage dieses Honorierungsrechts war bisher ungeklärt, da nach allgemeiner Auffassung der Behandlungsvertrag in Österreich ausschließlich zwischen Krankenhaus und Patienten zustande kommt und somit kein Vertragsverhältnis zwischen honorierungsberechtigtem Primararzt und Patienten entsteht.269 Seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs 2007 hat sich diese Auffassung geändert: „Der Verfassungsgerichtshof vertritt nun die Ansicht, dass im Gegensatz zu einer bisherigen Auffassung, Vertragsbeziehungen zwischen Arzt und Patient in der Sonderklasse durch das Bundeskrankenanstaltenrecht gedeckt sind.“270 Das Honorierungsrecht ermöglicht damit dem Primararzt, parallel zu seinem Arbeitgeber, einen persönlichen Behandlungsvertrag mit dem Patienten abzuschließen. Aus Primarärzten werden mit dem Honorierungsrecht Subunternehmer mit eigenen wirtschaftlichen Zielen. Der Patient kann die höhere Aufmerksamkeit und eine größere Wahlfreiheit des behandelnden Arztes als persönliche Leistung des Primararztes erwarten. Dafür sind die Patienten bereit, zusätzlich zur GKV eine Zuatzversicherung mit der PKV abzuschließen. Da das Einkommen aus den Honorarstellungen oft das Vielfache des Einkommens vom Dienstgeber beträgt, dominiert das Interesse an der Honorarstellung oft die Unternehmensinteressen. Das Unternehmen Krankenhaus kann den Subunternehmer Primararzt daher nur begrenzt zu einem Verhalten 268
269 270
Allert, Rochus Prof. Dr.: Korrekturen dringend nötig. Von der Systemwidrigkeit der Chefarztvergütung im Krankenhaus, in: Krankenhaus Umschau 9/1999, S. 657 vgl. Steiner, Peter, DDDr.: Arzthonorar in der Sonderklasse, Wien 2004 Der Privatpatient II/2007, S. 4: Univ Prof. DDr. Heinz Mayer: Das Höchstgericht legalisiert Privathonorare – Hausanteile nicht gedeckt
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Vorteile und Fehlanreize der Finanzierung durch Private Krankenkassen
im Interesse des Unternehmens anhalten. Dies ist der Hauptnachteil des Honorierungsrechts. Das Honorierungsrecht behindert auch die interdisziplinäre Patientenbehandlung, da es zur strikten Trennung der Verantwortungsbereiche – und damit der Honorierungsrechte – Anreize setzt. Bereichsübergreifende Behandlungen werden durch diesen Anreiz nicht gefördert, sondern eher behindert. Daher wird das Honorierungsrecht zunehmend durch andere Einkommensformen ersetzt: x Am Universitätsklinikum Leipzig verkaufte eine große Anzahl von Chefärzten (Primarärzten) das Honorierungsrecht der Geschäftsführung und erhielt an dessen Stelle eine Gewinnbeteiligung am Gesamtunternehmen. Das Krankenhaus wurde mit diesem Anreiz binnen weniger Jahre zu einem der wenigen Universitätsklinika mit Betriebsgewinnen. Während die Anreize zur Leistungsvermehrung entfielen, entstand der Anreiz zum sparsamen Ressourcenumgang mit Vorteilen für Unternehmen und Chefärzte. x In Deutschland werden neue Chefarztverträge ohne Honorierungsrecht aber mit variablen Leistungsentgelten angeboten. Das variable Leistungsentgelt ist vom wirtschaftlichen und qualitativen Ergebnis der gesamten Abteilung abhängig und nicht nur von der Anzahl an Privatpatienten. x In der Mayo Klinik, Rochester, Minnesota (USA), erhalten Primarärzte innerhalb eines Fachs weitgehend gleiche Einkommen und damit keine variablen Einkommensanteile aus der Behandlung von Privatpatienten. Ein Honorierungsrecht besteht nicht. Die Primarärzte haben damit keine materiellen Interessen an einer Ausweitung ihres Verantwortungsbereichs und konzentrieren sich auf die Ergebnisverbesserung ihres Bereichs und des gesamten Krankenhauses. Da die Primarärzte nicht von Eigeninteressen beeinflusst werden, können an der Mayo-Klinik auch wirtschaftliche Entscheidungen weitgehend von Primarärzten getroffen werden; zudem wurde die interdisziplinäre Versorgung, die wesentlich zum hervorragenden Ruf der Mayo Klinik beiträgt, ausgebaut. x Die Primarärzte der Salzburger Landeskliniken diskutieren die Umstellung des Einkommens auf leistungsgerechte Gehälter mit Erfolgsanteilen anstelle des ungewissen Einkommens aus dem Honorierungsrecht. Allert271 weist darauf hin, dass beim Honorierungsrecht dringender Änderungsbedarf gegeben ist. Die Einkommen der Primarärzte sollten leistungsgerecht mit erfolgsabhängigen Einkommensbestandteilen, die den Erfolg der eigenen Abteilung und des gesamten Krankenhauses berücksichtigen, ausgestaltet werden. Damit können die Anreize zur Leistungsvermehrung, zur Kon271
Allert, Rochus Prof. Dr.: Korrekturen dringend nötig. Von der Systemwidrigkeit der Chefarztvergütung im Krankenhaus, in: Krankenhaus Umschau 9/1999, S. 657
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zentration auf privat abrechenbare Ambulanzen und Privatpatienten, beseitigt, und ihre Aufmerksamkeit auf die zu behandelnden Erkrankungen, die interdisziplinäre Behandlung und das Unternehmensinteresse, gelenkt werden. Zudem entsteht eine engere Verbindung der Primarärzte mit der Krankenhausführung. Das Honorierungsrecht der Primarärzte führt zu Fehlanreizen und behindert die interdisziplinäre Ausrichtung von Krankenhäusern. Die Rechtsträger müssen bei einer Änderung wesentlich höhere und leistungsgerechte Gehälter bezahlen um den Einnahmenausfall auszugleichen. Damit können die Interessen der Primarärzte an jene des Unternehmens angeglichen werden. Die Motivation zur Gewinnung von Privatpatienten sollte aber auch weiterhin durch Erfolgsanteile für die Primarärzte gestärkt werden.
9.3. Anreize zur Leistungsausweitung durch die PKV-Vergütung Die PKVen bezahlen den honorierungsberechtigten Primarärzten in den meisten Bundesländern die folgenden Honorare: x Mit Einzelleistungshonoraren werden aufwändige Therapien wie Operationen und Angiographien bezahlt. x Mit Pauschalhonoraren werden kontinuierliche Behandlungen, Labor-, therapeutische und radiologische Leistungen, bezahlt. Die konservative internistische oder neurologische Behandlung wird pro Woche bezahlt. Wie jede Leistungsfinanzierung setzt auch dieses Honorierungssystem den Anreiz zur Erhöhung der Anzahl der abrechenbaren Leistungen. Dieser Anreiz steht in Widerspruch zu den Interessen des Krankenhauses, die Leistungen auf das Notwendige zu begrenzen und den Therapieerfolg in das Zentrum der Bemühungen zu stellen. Die Art der Honorierung und die direkte Vertragsbeziehung der PKV zu den liquidationsberechtigten Ärzten führen zwangsläufig zu konkurrierenden Interessen der Primarärzte zu denen des Krankenhauses. Die Leistungsausweitung bei Privatpatienten ist eine Folge davon.
9.3.1.
Anreize zur Gewinnung von Privatpatienten
Ein hoher Anteil an Privatpatienten liegt im Interesse der honorarberechtigten Primaraärzte und des Krankenhauses. Beide setzen daher entsprechende Maßnahmen: x Verbesserung der Zusammenarbeit mit zuweisenden Krankenhäusern und Praxen.
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Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des Krankenhauses.
Widersprüchliche Interessen zwischen Krankenhausführung und Primar ergeben sich, x wenn er auch seltene, aber abrechenbare Leistungen in Randbereichen anbietet, die wegen der hohen Vorhaltungskosten bei geringer Leistungsanzahl zu negativen Deckungsbeiträgen führen und x wenn er sich in Universitätskliniken auf einfache Eingriffe, die in großer Zahl anfallen, und nicht auf die Spitzenversorgung konzentriert. Mit einer Vielzahl einfacher Eingriffe kann ein höheres Honorareinkommen erwirtschaftet werden als mit hoch spezialisierten Behandlungen zumeist nur für GKV-Versicherte. Damit entstand an manchen Universitätskliniken der Anreiz zur Vernachlässigung von Innovationen und zur Ausweitung der Breitenversorgung. Die Strategie eines Universitätsspitals, sich auf die Behandlung der schweren und seltenen Erkrankungen zu konzentrieren, wird durch den Fehlanreiz der PKV damit ebenso untergraben, wie die Strategie der peripheren Krankenhäuser, sich auf die Behandlung häufiger Erkrankungen zu begrenzen.
9.3.2.
Anreize zur Leistungsvermehrung
Das Honorarvolumen erhöht sich mit der Anzahl der verrechenbaren Leistungen. Daraus entstehen Widersprüche zwischen den Interessen des Krankenhauses und denen des Primararztes: x Der Anreiz zu mehr diagnostischen Leistungen an Privatversicherten. Bei Privatversicherten werden häufig mehr (abrechenbare) diagnostische Leistungen als bei Versicherten der Allgemeinen Klasse erbracht. Dies zeigt augenscheinlich der zumeist größere Umfang der Krankengeschichten Privatversicherter im Vergleich zu Patienten der Allgemeinen Klasse: Befunde zuweisender Praxen/Krankenhäuser werden eher nochmals erhoben (Röntgen, CT, MR, Labor, etc.) und im Zweifel erfolgt eher eine umfangreichere Diagnostik. x Anreiz zu eigenen Einheiten. Das Honorierungsrecht für Leistungen eines Labors, einer Ergotherapie oder eines Röntgens innerhalb des Primariats schafft den Anreiz, derartige Einheiten im eigenen Primariat einzurichten. Die PKV-Abrechnung schafft somit den Anreiz zur Mehrfachvorhaltung von Laboren, Ergotherapie und Röntgen und verhindert oft zentrale Einheiten. Die Mehrkosten trägt das Krankenhaus für höhere Raum-, Geräte-, Personal- und Reagenzienkosten. Dies ist eine der Ursache dafür, dass mehrere Labore und Röntgenbereiche in manchen Krankenhäusern weiterhin bestehen. Z.B. entstand aus diesem Grund im LKI eine Radiologie II mit einem nahezu iden-
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ten Leistungsspektrum wie die Radiologie I (Mammadiagnostik, CT, MR, Röntgenaufnahmeplätze). Die höheren Kosten verblieben dem Krankenhaus über mehr als 10 Jahre. Die Radiologie II wurde inzwischen aufgelöst. Unabgestimmte Strukturqualitätskriterien der PKV führen zu Mehrkosten. Z.B. verlangt die PKV für die Abrechnung der Physiotherapie die Beschäftigung eines Facharztes für Physikalische Medizin. Da Physiotherapeuten eigenverantwortlich Patienten behandeln dürfen, besteht diese Voraussetzung aus medizinischen Gründen – und daher für die Allgemeine Klasse – nicht. Um die Abrechenbarkeit gegenüber der PKV zu ermöglichen, werden ohne medizinische Notwendigkeit Ärzte für Physikalische Medizin in den Krankenhäusern eingestellt.
Die Anreize der PKV führen daher zu einer Leistungsvermehrung, die über das medizinisch Notwendige hinausgeht. Ob der einzelne Primar sich davon beeinflussen lässt, liegt an seinen Prioritäten.
9.4. Anreize zur stationären statt der ambulanten Versorgung Die PKV Zusatzversicherung ermöglicht nahezu ausschließlich Honorarstellungen für stationäre Leistungen. Nur ca. 3 % der Versicherten sind für ambulante Behandlungen bei der PKV versichert. Die Primare können daher für die ambulante Behandlung von PKV-Patienten keine Honorare stellen. Dies führt zum Anreiz, ambulant mögliche Leistungen in den stationären Bereich zu verschieben. Für das öffentliche Krankenhaus – und damit für das Gesundheitssystem – entstehen damit ohne medizinische Notwendigkeit vermeidbare Mehrkosten im stationären Bereich für Pflegepersonal, Stationsärzte, Verpflegung, Reinigung und Bettwäsche. x In den öffentlichen Krankenhäusern werden auch ambulant mögliche diagnostische, therapeutische und rehabilitative Leistungen daher oft stationär erbracht (Abklärung von PKV-Patienten, Checkups). x Zahlreiche chirurgische Eingriffe der OP-Gruppen II bis V können auch tageschirurgisch erbracht werden. In den öffentlichen Krankenhäusern bezahlt die PKV für die tageschirurgischen Leistungen zumeist kein Honorar und ist nicht bereit, den höheren Aufwand des Krankenhauses für die Tagesbehandlung zu vergüten. Damit entsteht der Anreiz, diese Patienten über Nacht im Krankenhaus zu belassen und daher werden tausende Coloskopien, Arthroskopien, Kataraktoperationen, gefäßchirurgische Eingriffe, Adenotomien, Hernienoperationen stationär mehrtägig, statt tageschirurgisch ohne Übernachtung erbracht. Um keine Ungleichbehandlung zu verursachen, werden diese Leistungen auch für Patienten der Allgemeinen Klasse stationär erbracht. Damit werden in breitem Umfang wegen der PKV-Anreize
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tageschirurgisch mögliche Leistungen in öffentlichen Krankenhäusern stationär – und damit wesentlich teurer – erbracht. Praxisärzte als Belegärzte können ihre Patienten in ein Sanatorium überweisen, dort behandeln und dafür Arzthonorare der PKV in Rechnung stellen. Dort werden auch Kleinsteingriffe von der PKV als stationäre Versorgung finanziert, die in öffentlichen Spitälern nicht abrechenbar wären (z.B. OP Gruppe 1). Damit schafft die PKV den Anreiz, ambulant mögliche Eingriffe stationär zu erbringen. Mir liegen zwar keine Daten vor, ich vermute aber, dass ein großer Teil der endoskopischen Leistungen in den Sanatorien tageschirurgisch/stationär abgerechnet wird. Bei veränderten Anreizen würden diese Leistungen ambulant erfolgen. Da die PKV zumeist nur Arzthonorare bezahlt, wenn die Versorgung mehrtägig erfolgt, bleiben Privatpatienten bei Chemotherapien häufig über Nacht im Krankenhaus.
Wenn die PKV – nicht nur den Sanatorien – sondern auch den öffentlichen Krankenhäusern die Abrechnung von tagesklinischen Leistungen zu akzeptablen Bedingungen ermöglicht, wird die Anzahl stationärer Fälle im Krankenhaus von GKV- und PKV- Patienten reduziert werden.
10. Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen In Österreich werden Praxen mit einem Mischsystem aus Pauschalhonoraren und Einzelleistungsvergütungen finanziert. Dafür werden in jedem Bundesland eigene, landesspezifische Vergütungsmaßstäbe u.a. von den GGKen mit der Ärztekammer vereinbart. Die Vergütungsmaßstäbe der bundesweiten Kassen unterscheiden sich von diesen regionalen Abrechnungsformen. Die Art der Finanzierung, durch Leistungs- oder Pauschalfinanzierung, setzt unterschiedliche Anreize für die Praxen. Diese Anreize haben wesentlichen Einfluss auf Versorgungsqualität und -kosten.272
10.1. Leistungsvermehrung durch Leistungsfinanzierung Bei Veränderung der Leistungsmenge verändern sich die Kosten für eine medizinischen Leistung in unterschiedlichem Ausmaß. Diese Unterschiede sind entscheidend für die Risiken der Leistungsfinanzierung: x Variable Kosten variieren gleichgerichtet mit der Menge der Patientenbehandlungen. Bei zunehmender Anzahl an Behandlungen erhöhen sich gleichermaßen die variablen Kosten für Implantate, Verbandsstoffe, Arzneimittel, Röntgenfilme. x Sprungfixe Kosten erhöhen sich erst nach Überschreitung einer Kapazitätsgrenze. Bei bis zu 50 Patienten pro Tag kann eine Ordinationsgehilfin die Administration der Praxis bewältigen, bei mehr Patienten ist eine zweite erforderlich. Oder: Bis zu 100 Laborproben pro Tag können mit dem Gerät A analysiert werden, bei mehr Laborproben ist ein zweites Gerät oder das Gerät B mit größerer Kapazität erforderlich. Oder: Für bis zu 250 Organtransplantationen p.a. ist eine Pflegestation, darüber eine weitere Pflegestation erforderlich. Die sprungfixen Kosten bleiben somit bis zur nächsten Kapazitätsgrenze fix und verändern sich sprunghaft nach Überschreiten der Kapazitätsgrenze. x Fixe Kosten ändern sich erst bei sehr großer Veränderung der Mengen und bleiben innerhalb einer großen Bandbreite gleich. Die Raumkosten einer Praxis bleiben im Normalbetrieb unverändert.
272
Laimböck, 2000, S. 79 ff.
202
Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen
Tabelle 8: Gesamt- und Einzelkosten einer Praxis – Ein Beispeil
Variable Kosten für Verbandstoffe, etc. Fixkosten für Raum, Ausstattung, Ordinationsgehilfin, Arzteinkommen Gesamtkosten
Gesamtkosten der Praxis
Einzelkosten bei 15.000 Leistungen
15.000
1
180.000
12
195.000
13
Der Arzt behandelt mit Unterstützung der Ordinationsgehilfin alle Patienten und setzt dabei Verbrauchsmaterial ein. Eine kleine Praxis hat daher keine sprungfixen, sondern nur variable und fixe Kosten. x Bei 15.000 Leistungen kann der Arzt seine Fixkosten (Raum, Ordinationsgehilfin – T€ 30) abdecken und sich seine Einkommenserwartungen von T€ 150 p.a. erfüllen: 15.000 Leistungen x € 13 pro Leistung = € 195.000 Praxiseinkommen. x Bei weniger als 15.000 Leistungen kann er sich seine Einkommenserwartungen nicht erfüllen; für jede Minderleistung verliert er € 12 an Einkommen. x Bei mehr als 15.000 Leistungen werden die Fixkosten zu Gewinnen. Bei 16.000 Leistungen erhöht sich ein Einkommen von T€ 150 auf T€ 162 durch die zusätzlichen Einnahmen von T€ 12. Die Leistungsfinanzierung schafft in den Praxen den entscheidenden Fehlanreiz zur Leistungsausweitung, da den zusätzlichen Erlösen kaum variable Kosten gegenüberstehen. Die Praxisfinanzierung mit Einzelleistungsvergütungen finanziert auch jedes Beratungsgespräch unabhängig von dessen Qualität. Entscheidend wird, dass das abrechenbare Gespräch stattfindet und nicht, welchen Erfolg es bringt. Dauer, Qualität und Zielgerichtetheit von Beratungsgesprächen sind nämlich nicht objektivierbar. Daher wird ein pro forma Gespräch gleich finanziert wie ein Arztgespräch, in dem der Arzt die Ursachen für die Erkrankung ermittelt und zu Ratschlägen für den Patienten für die weitere Lebensführung kommt. Bei der Leistungsfinanzierung kann die Qualität der Einzelleistung nicht objektiviert werden; bei einer hohen Bewertung würde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet und daher bleibt die Vergütung gering. Im Gegensatz zum Beratungsgespräch sind die Ergebnisse der Gerätemedizin in Laboren und der Radiologie objektiv messbar für die Einzelleistungsvergütung daher besser geeignet. Die Einzelleistungsvergütung fördert daher messbare Behandlungsformen der Gerätemedizin und behindert qualitätshafte Beratungsgespräche.
Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen
203
Zudem „verführt“ sie zu weiteren unerwünschten Auswirkungen: x Zur Abrechnung nicht erbrachter Leistungen. Zahlreiche Betrugsfälle landeten in Deutschland vor Gericht.273 In Augsburg, Koblenz, Ettlingen, Ingelheim, München, Berlin und Hamburg wurde oder wird gerichtlich über Abrechnungsbetrug durch Laborärzte gegenüber der GKV verhandelt. Der Laborarzt in Koblenz wurde zu über vier Jahren Haft verurteilt. x Zu nicht erforderlichen oder nicht angeforderten Leistungen. Ein Augenarzt in New York wurde dafür angeklagt, dass er aus Altersheimen geistig behinderte Patienten für nicht erforderliche Operationen gewann und sich auf diese Weise um T€ 860 zu Lasten der Kassen bereicherte.274 Oder: Ähnliche Missstände wurden in der Mailänder Privatklinik Santa Rita aufgedeckt. „Ein Chefarzt des Spitals und sein engster Mitarbeiter wurden bereits wegen schweren Mordverdachts in mindestens fünf Fällen in Untersuchungshaft genommen ... weil sie aus rein finanziellen Gründen unnötige Operationen an zum Teil bereits unheilbar Kranken durchgeführt haben sollen.“275 Diese negativen Einzelfälle weisen auf das grundsätzliche Risiko der Leistungsvermehrung hin. x Zur Umgehung der leistungsbegrenzenden Vereinbarungen. Kontrollen der Abrechnungen durch die GKVen sind daher bei jeder Leistungsabrechnung erforderlich und verursachen Kosten.276 Die Pauschalfinanzierung kommt ohne diese Kontrollen aus.
10.2. Freie Arztwahl oder der Hausarzt als „Gatekeeper“ Viele Patienten suchen mehrere Fachärzte und Krankenhausambulanzen auf und verursachen hohe Kosten durch ihren „Ärztetourismus“. Häufig handelt es sich dabei um Patienten mit Symptomen psychosomatischer Erkrankungen, die auf somatische Weise allein ohnehin nicht kuriert werden können. In diesem Zusammenhang erfolgen auch chirurgische Eingriffe oder andere Therapien, die nach der Einholung des Rates des Hausarztes, unterblieben wären. Die Selbstzuweisung von Patienten ist somit ein zu beachtendes Problem. Der Hausarzt als „Gatekeeper“ bzw. „Gesundheitsmanager“ seiner Patienten hat sich in Großbritannien, dem Staat mit der traditionell anerkannt besten Hausarztversorgung, und in Skandinavien herausgebildet (vgl. 4.1.10). Z.B. in Dänemark erfolgen ca. 95 % der Facharztzuweisungen durch Hausärzte 273 274
275
276
Mascolo, Aktion gläserner Doktor o.V.: Arzt operierte aus Gier geistig Behinderte, in: Der Standard vom 21.5.2003, S. 6 NZZ vom 13.6.2008: Skandal um eine Privatklinik in Mailand. Tödliche Operationen aus Geldgier – weitere Kliniken in Verdacht Matuschek, Birgit: Vom Kläger zum Angeklagten, in: Süddeutsch Zeitung vom 8.5.2000 S. 2
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Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen
und jeder Hausarzt betreut 1.600 Versicherte; in den Niederlanden werden „93 % aller medizinischen Probleme vom Hausarzt bereinigt, nur 3 % der Patienten werden in Krankenhäuser überwiesen, 4 % in andere Gesundheitseinrichtungen.“277 Die US-amerikanischen und die Schweizer HMOs haben dieses Hausarztsystem in Managed Care (MC) übernommen. Es bewährt sich auch dort zur Begrenzung von Leistungen auf das Notwendige. Auch Meinung der OECD und der WHO könnte die Vorschaltung eines allgemeinen oder Familienarztes vor spezialisierter Behandlung Kostenvorteile bringen.278 Der Hausarzt als „Gatekeeper“ lotst seine Patienten durch das Gesundheitssystem und behält die Verantwortung auch für weiter verwiesene Patienten. Er überweist Patienten gezielt in Krankenhäuser zur stationären oder ambulanten Versorgung oder zu Fachärzten (weil die Zuweisungen zu Augenärzten, Fachärzten der HNO, Gynäkologie und Psychiatrie kaum beeinflusst werden können, bleiben oft Selbstzuweisungen zu diesen Fachärzten möglich). Der Hausarzt berät seine Patienten und überweist nur zu Einrichtungen, deren Qualität für ihn gesichert sind und mit denen er Kontakt hält. Dem Patienten ist es aber auf eigene – oder auf Rechnung seiner PKV – weiterhin möglich, den Hausarzt zu umgehen und jeden beliebigen Facharzt oder jede Krankenhausambulanz aufzusuchen. Der Hausarzt als „Gatekeeper“ erhält eine Kopfpauschale für jeden bei ihm eingeschriebenen Patienten und zwar unabhängig davon, ob der Patient Leistungen beansprucht oder nicht. Damit entsteht für den Hausarzt der Anreiz, die Gesundheit des Patienten auf eine kostengünstige Weise zu erreichen. Wenn der Hausarzt im Rahmen von Managed Care auch für alle Kosten der Zuweisungen zu Fachärzten, Krankenhäusern und Medikamente verantwortlich wird, verstärkt sich sein Anreiz zur ökonomischen Krankenversorgung. Um die Abhängigkeit des Patienten vom Hausarzt zu begrenzen, benötigt der Patient die Möglichkeit, im Falle der Verweigerung einer Überweisung zur fachärztlichen oder Krankenhausbehandlung die Second Opinion eines unabhängigen Experten einholen zu können. Damit kann das Risiko der Unterversorgung begrenzt werden. In Österreich besteht durch das Leistungsfinanzierungssystem der Praxen der Anreiz zu mehr Arztbesuchen (vgl. 10.1). Weil damit Arztbesuche reduzieren würden, hat die Ärztekammer bisher verhindert, dass Krankenhausärzte Patienten krankschreiben oder Medikamente verordnen können. Unter Managed Care bestünde für die Ärztekammer dafür keine Veranlassung mehr und erfolgte die Verschreibung der Medikamente für die im Krankenhaus festgelegte Therapie durch Krankenhausärzte, weil die Praxen dann keine Einkommen mehr aus Patientenbesuchen erzielten.
277
278
Ärztemagazin 16/2007: Mag. Michael Kraßnitzer: Gesundheitsreform: Vorbild Niederlande? NZZ vom 18.10.2006, S. 33: Gutes, aber teures Gesundheitssystem
Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen
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In der Schweiz wurde die Möglichkeit für Managed Care mit dem Hausarzt als Gatekeeper seit Mitte der 90er Jahre gesetzlich ermöglicht und hat sich bewährt. Bis zu 20 % der Versicherten in Ballungsräumen unterwerfen sich der Hausarztprüfung vor der Kontaktaufnahme zu Fachärzten oder Krankenhäusern freiwillig. Diese Hausärzte in Gemeinschaftspraxen werden nicht nach Leistungen, sondern eben pauschal bezahlt. Die Kassen verrechnen den Versicherten für die HMO-Versorgung um 20 % niedrigere Prämien und geben damit einen Teil der Kostenreduzierung gegenüber Einzelpraxen an die Versicherten weiter (vgl. 4.1.10). Da der einzelne Hausarzt die Kostenrisiken für seine Patienten nicht allein übernehmen kann, erzwingt Managed Care den Zusammenschluss von Arztpraxen zu Gemeinschaftspraxen oder Ärztenetzwerken. Die Anzahl der Gruppenpraxen und Gesundheitszentren – bestehend aus Hausärzten, Sozialarbeitern, Physiotherapeuten und manchmal Hebammen – steigt in den Niederlanden kontinuierlich. 1979 arbeiteten noch 91 % der Allgemeinmediziner in Einzelpraxen, im Jahr 2000 waren es nur noch 43 % – Tendenz weiterhin fallend.279 Gemeinschaftspraxen mit Fachärzten unterschiedlicher Fachrichtungen sind wegen der interdisziplinären Besprechung von Erkrankungen, der regelmäßigen Fortbildung und der gemeinsamen Nutzung von Raum, Gerät und Praxispersonal, medizinisch und wirtschaftlich der Einzelpraxis überlegen. Weil daraus kein zusätzliches Einkommen, sondern nur zusätzliche Kosten für die Gemeinschaftspraxis folgen, entfällt auch der Anreiz zur vermehrten Zuweisung zwischen den Fachärzten. In der Schweiz wird diese Versicherungsform von einer kulturellen Oberschicht angenommen, die den Hausarzt als Gesundheitsberater schätzt. Patient und Hausarzt haben dasselbe Interesse, Diagnostik und Behandlungen auf das Notwendige zu begrenzen. Daher werden Ärztenetzwerke durch die Kantone in der Schweiz gefördert: “Die ambulante Versorgung zählt eigentlich nicht zu den Kernaufgaben der kantonalen Gesundheitspolitik (wie in Österreich durch die Länder verantworten auch in der Schweiz die Kantone nur die Krankenhausversorgung280), dennoch hat … die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren … dezidiert gefordert, dass Managed-Care-Modelle (Ärztenetzwerke) besser als anhin … gefördert werden. Es gelte … Anreize für Versicherte zu schaffen, sich in Ärztenetzwerken behandeln zu lassen…Die Versicherten in Managed-Care-Modellen … sollten nicht nur von niedrigeren Prämien, sondern auch von einem tieferen Selbstbehalt profitieren“.281 Diese pauschale Finanzierungsform (Capitation) setzt sich international immer mehr durch. Z.B. übernahm für 15 Jahre die spanische Tochter der deutschen DKV- Krankenversicherung „Seguros“ die Versorgung für ca. 279
280 281
Ärztemagazin 16/2007: Mag. Michael Kraßnitzer: Gesundheitsreform: Vorbild Niederlande? Anmerkung des Autors NZZ vom 17./18.11.2007, S. 16: Mit Ärztenetzwerken endlich vorwärtsmachen
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Fehlanreize durch die Praxisfinanzierung nach Leistungen
200.000 Versicherte als Private Krankenversicherung mit CapitationFinanzierung. In Deutschland ist die Einzelpraxis in einem Veränderungsprozess: x In vielen Regionen werden derzeit Ärztenetzwerke gebildet. Diese beschäftigen Geschäftsführer zur Organisation und Führung. x Seit 2006 können Ärzte andere Ärzte in ihren Praxen beschäftigen und damit besteht die Möglichkeit zur Unternehmensbildung auch in Praxen. Daher bilden sich Unternehmen, die Ärzte beschäftigen und ambulante Medizin in großem Umfang anbieten. Das größte Unternehmen dieser Art, die Polikum Gruppe in Berlin, mit 75 angestellten Ärzten im ambulanten Bereich, demonstriert die Vorteile regelmäßiger Fortbildung, Interdisziplinarität und gemeinsamer Ressourcennutzung im größeren Ärzteverband. Polikum vereinbarte mit vier GKVen Verträge für die „integrierte Versorgung“. 15 % der Polikum Patienten sind als Patienten mit „integrierter Versorgung“ eingeschrieben und haben damit auf die völlige Freiheit der Facharztwahl verzichtet. Sie werden primär immer im Polikum behandelt und von hier, bei Bedarf, an einen externen Facharzt überwiesen. x Auch Krankenhausketten breiten sich im ambulanten Bereich aus (vgl. die Rhön Kliniken 4.1.2) Diese Organisationsformen der ambulanten Versorgung werden sich in Europa ausbreiten und auch den Weg in die Soziale Krankenversorgung in Österreich finden. Die österreichische Gesundheitspolitik sollte sich mit dieser Innovation auseinandersetzen und die Unternehmensgründung von Praxisgemeinschaften und Ambulanten Zentren mit angestellten Ärzten ermöglichen. In Ballungsräumen sollten mit Kopfpauschalen (Capitation) finanzierte Gemeinschaftspraxen ermöglicht werden, um engagierten Ärzten den Ausweg aus dem Fehlanreiz der Leistungsfinanzierung zu ermöglichen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Versorgungsformen sollten geschaffen werden. Das Erfolgsmodell Managed Care ist in der Schweiz zu besichtigen. Das „Sozialmedizinische Zentrum West“ in Graz wäre ein Kandidat für diese Finanzierungs- und Organisationsform. Die Herausbildung von Praxisunternehmen sollte ermöglicht werden.
11. Der Sanierungsplan der Sozialpartner für die GKVen Der Österreichische Gewerkschaftsbund und die Wirtschaftskammer Österreich haben einen Vorschlag zur „Zukunftssicherung für die soziale Krankenversorgung“282 vorgelegt, mit dem die GKVen modernisiert und saniert werden sollen. „Bei diesem Paket handelt es sich im Kern um eine Rettungsmaßnahme der Kassen, die aber wesentliche Punkte aufweist, die in jeder Gesundheitsreform enthalten sein müssen“,283 so die Autoren. Der Inhalt des Vorschlags: x Ausgangspunkt der Überlegungen ist die „prekäre finanzielle Situation der Gebietskrankenkassen. Die Gebieteskrankenkassen hatten 2007 einen Betriebsabgang von Mio€ 429. Die Prognosen des Hauptverbandes lassen ein Ansteigen dieser Abgänge bis zum Jahr 2012 auf Mio€ 626 bzw. Mio€ 574 (GGKen) erwarten. So wiesen die GKK Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark, Kärnten und Tirol zusammen per 31.12.2007 ein negatives Reinvermögen von Mio€ 913,5 auf.284 x Zentrales Ziel ist die einnahmenorienterte Ausgabengestaltung. Im Jahr 2007 seien die Ausgaben um 6,0 % und die Einnahmen „nur“ um 4,2 % gestiegen. Für die Folgejahre wird mit einer Steigerung der Einnahmen um (optimistische) 3,5 % gerechnet. Nach einer Konsolidierungsphase soll langfristig ein Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben gefunden werden. x Der Sanierungsvorschlag enthält die folgenden monetären Maßnahmen: o Mio€ 600 p.a. sollen die GKVen bei Vertragsärzten, Instituten, Medikamenten, Transportwesen und Verwaltung einsparen. Damit soll die Steigerungsrate der Ausgaben unter jene der Einnahmen ab 2012 gedrückt werden. o Für Mio€ 150 p.a. wird der Bund künftig Leistungen finanzieren, die nicht zu den Aufgaben der GKV zählen: Ausgaben für Arbeitslose, Pensionisten und die von den GKVen bezahlte Mehrwertsteuer.
282
283
284
ÖGB/WKO, Wien 7.4.2008: Zukunftssicherung für die soziale Krankenversicherung Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S.13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“ Vgl. ÖGB/WKO 2008: S. 2
208
Der Sanierungsplan der Sozialpartner für die GKVen
o
x
x
285 286
Eine temporäre Überbrückungsfinanzierung durch den Bund an die GKVen von Mio€ 150 ab 2008 mit einer jährlichen Reduzierung um Mio€ 30. o Abschöpfung der Katastrophenfonds der GKK und anderer Reserven. Einige Maßnahmen sollen die GKVen stärken: o Beendigung des Verhandlungsmonopols der Ärztekammern und verstärkter Einfluss der GKVen auf die Praxen: x „Abschluss von Einzelverträgen im vertragslosen Zustand… x separate Honorarordnungen für einzelne Fachgruppen. x Rezertifizierung neuer Einzelverträge“.285 „Ärzte sind freie Unternehmer, die einen Leistungsvertrag mit den Versicherungen abschließen. Sie sind keine pragmatisierten Beamten. Es ist ein Unikum, dass ein Vertragspartner bei schlechter Leistung des Anderen das Vertragsverhältnis nicht auflösen kann.“286 o Deckelung der Kosten für CT/MR/Labor/Dialyse und physikalische Medizin mit einer Steigerung von 2 % p.a. o Maßnahmen zur Preisreduzierung und Förderung von Generika o Anreize für ökonomische Verschreibung o Mengenverhandlungen mit der Industrie o Senkung der Spannen für Apotheken und Großhandel o Reduzierung der Transportkosten von Rettungen (unbewertet) o Reduzierung der Anzahl stationärer Betten und vollständige Umstellung auf LKF (mir ist nicht verständlich, was damit gemeint ist) o Einfrieren der Pauschalzahlungen der GKVen Zusammenfassung der GKKen zu einer GKV unter einer Holding und Umbau des Hauptverbands mit einer konsequenten Zielsteuerung des Gesamtsystems durch die Sozialpartner. Die weiterhin eigenständig und ergebnisverantwortlich agierenden Träger sollen über eine schlanke, effiziente strategische Holding gesteuert werden. Aus dem derzeitigen Vorstand wird ein Verwaltungsrat mit zwölf Mitgliedern mit beschließender Stimme mit je sechs Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Weiters gehören dem Verwaltungsrat die beiden Geschäftsführer der GKV-Holding an. Die operative Führung wird sowohl in der Holding wie auch in den Trägern von einer ergebnisverantwortlichen auf jeweils fünf Jahre bestellten Zweiergeschäftsführung wahrgenommen.
ÖGB/WKO 2008: S. 15 Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S.13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“
Der Sanierungsplan der Sozialpartner für die GKVen
x
209
Angestrebt wird die „Finanzierung aus einer Hand“287 und damit die Zusammenführung der Praxis- und Krankenhausfinanzierung.
Mit der Übergangsfinanzierung bis 2012 und den o.a. Maßnahmen soll nachher mit den bestehenden Mitteln das Auslangen gefunden werden. Voraussetzung dafür sei, dass richtig gespart, die Organisation verändert und das Management professionalisiert wird. Zusätzlich muss der Bund jene Zahlungen, die aus Budgetkosmetik in die GKVen verschoben worden waren, künftig selbst aufbringen. Mit der künftigen Finanzierung aus einer Hand sollen die Einsparungen auch tatsächlich realisiert werden. „Das wohl größte Problem des österreichischen Gesundheitswesens stellt die nahezu unkoordinierte Parallelität und Komplexität der Finanzströme für den intra- und extramuralen Versorgungsbereich dar … Eine wirkungsvolle Lösung dieses Problems liegt nach Meinung vieler Experten in der Zusammenfassung der Finanzierung beider Bereiche in eine Hand und einer sauberen organisatorischen Trennung von Leistungserbringung und Finanzierung. Es liegt auf der Hand, die (allerdings zuvor in ihrer strategischen Ausrichtung und Struktur zu reformierende) Soziale Krankenversicherung mit dieser gesamtheitlichen Finanzierungsaufgabe zu betrauen.“288 Nach 10 Jahren „Weiterwursteln“ werden damit Lösungen für einige der wichtigen offenen Fragen des österreichischen Systems der Sozialen Krankenversorgung vorgeschlagen: x Die Sozialpartner stellen sich mit diesem Vorschlag gegen ein staatliches Gesundheitssystem und sind für die Weiterentwicklung des GKV-Systems x Eine Stabile Finanzierung der GKVen für die nächsten Jahre x Die langfristige Absicherung der Krankenhausfinanzierung durch die Übernahme weg von den Ländern in die GKVen. Die Beiträge der GKVen können damit künftig jeweils an die Kostenentwicklung angepasst und damit die Zuschüsse aus Steuermitteln begrenzt werden. x Einstieg in die Entpolitisierung. o Mit der Übernahme der Krankenhausfinanzierung durch die GKVen wird der politische Einfluss auf die Krankenhäuser abnehmen. Eine weitere Entpolitisierung wird mit der Einführung eines funktionsfähigen Preissystems und des Wettbewerbs zwischen Krankenhäusern möglich. o Der Rückzug der Politik aus der operativen Führung der GKVen und die Besetzung der Führungspositionen mit Managern führen zu einer tendenziellen Entpolitisierung der GKVen. Die weitere Entpolitisierung wird möglich, wenn auch in Österreich die GKVen im Wettbewerb um Versicherte stehen. 287 288
ÖGB/WKO 2008: S. 8-11 ÖGB/WKO 2008: S. 11/12
210
Der Sanierungsplan der Sozialpartner für die GKVen
x
Einstieg in die Beendigung des Verhandlungsmonopols der Ärztekammer für alle Praxen.
Ob die angestrebten Einsparungen tatsächlich zu realisieren sind, wird sich weisen müssen. Insgesamt führen die Änderungsvorschläge in die richtige Richtung einer zeitgemäßen GKV-Organisation. Wie aus meiner vorliegenden Arbeit hervorgeht, wurden aber entscheidende Probleme noch nicht benannt: x Das langfristige Ziel für die Soziale Krankenversorgung müsste festgelegt werden. Wird auch Österreich regulierten Wettbewerb einführen oder bleibt es bei der monopolistischen Organisation? Ist Wettbewerb zwischen GKVen bzw. Krankenhäusern, Praxen und Therapeuten das Ziel? Das Aufbrechen des Monopols der Ärztekammern ist ein Baustein in diese Richtung. Wünschenswert ist die Festlegung des Ziels regulierten Wettbewerbs in der Sozialen Krankenversorgung. x Ein funktionierendes Preissystem für die Krankenhäuser wäre einzurichten, damit Druck zu höherer Effizienz, Standort- und Bettenabbau entsteht. x Die Vorschläge führen nicht zur Herausbildung einer wettbewerbsfähigen österreichischen Gesundheitswirtschaft. Dies überrascht, da die Wirtschaftskammer den Vorschlag als Mitautor gestaltet hat. In der Wirtschaftskammer wird offenbar das Potential der Gesundheitswirtschaft für die wirtschaftliche Entwicklung national und international noch nicht richtig eingeschätzt. Die Finanzierung aus einer Hand kann erst nach Ende des bis 2013 vereinbarten Finanzausgleichs im Jahr 2013 umgesetzt werden. Diese schrittweise Umsetzung der Gesundheitsreform ist sinnvoll, da große Systembrüche auch unvorhergesehene und unerwünschte Auswirkungen zeigen können. Die Gegenposition der Ärztekammer erklärt sich aus ihrer Interessenlage. Christian Köck fasst dies sehr deutlich zusammen: „Das jetzige System ist nicht effizient und verschwendet Geld. Die Ärztekammer hat nur einen Lösungsvorschlag: mehr Geld. Diese Reform ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist das erste mal, dass die Sozialpartner sagen: ‚Wir geben den Ärzteinteressen nicht mehr bedingungslos nach‘. Das ist die wirkliche Leistung dieser Reform.“289
289
Christian Köck in: DIE ZEIT vom 5.6.2008, S.13: „Ärzte wollen immer nur mehr Geld“
12. Zusammenfassung der erforderlichen acht Ziele für den Weg aus der Sackgasse Wie die Analyse zeigt, befindet sich die österreichische Gesundheitspolitik in einer Sackgasse, aus der es nur ein zurück oder ein „weiter Wursteln so lange es geht“ gibt. Basierend auf der vorliegenden Analyse und der Tradition des österreichischen Gesundheitswesens sind nach meiner Meinung die folgenden acht Themen abzuarbeiten und dann Entscheidungen zu treffen. Die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen sollte in mehreren Schritten geplant werden, um unerwünschte Auswirkungen rechtzeitig erkennen zu können. Durch diese Gesundheitsreform mit langfristigen Perspektiven kann die Organisation der Sozialen Krankenversorgung in Österreich auf europäisches Niveau gehoben und eine leistungsfähige Gesundheitswirtschaft unter Beibehaltung des sozialen Charakters unseres Gesundheitssystems ermöglicht werden. 1. Voraussetzung für eine Gesundheitsreform mit langfristiger Perspektive ist die Einigung über ein deutliches Ziel, auf das zugesteuert werden wird. Veränderungen brauchen Zeit und das Gesundheitswesen braucht mehrere Schritte um dieses langfristige Ziel zu erreichen. Dessen Festlegung ist aber Voraussetzung für eine dauerhafte Reform und setzt starken politischen Willen zur Veränderung voraus. 2. Die Erfahrungen anderer Staaten zeigen zwei Modelle für eine erfolgreiche Gesundheitsreform. Einerseits das aus regionalen Steuern finanzierte Staatssystem ohne Kassen mit einer leistungsfähigen Staats- und Planungsbürokratie und der Bereitschaft der Bevölkerung zu Veränderungen, wie der Reduzierung von Krankenhausstandorten im Interesse der Allgemeinheit. Andererseits das GKV-System mit eigenverantwortlichen und entpolitisierten GKV-, Krankenhaus-, Praxis- und Apothekenunternehmen unter Wettbewerb und staatlicher Rahmensetzung und Kontrolle. Die regionalen Staatssysteme konnten zwar die Kosten begrenzen, die Unzufriedenheit wegen langer Wartezeiten auf Behandlungen und Operationen und der bürokratischen Abläufe aber nicht beseitigen. Ein zeitgemäßes GKV-System entspricht der Tradition des österreichischen Gesundheitssystems und den Systemen der verwandten Staaten Schweiz, Holland und Deutschland. Die Systemänderung des österreichischen Mischsystems zu einem wettbewerbsorientiertes System der Sozialen Krankenversorgung bedarf der Beschränkung des politischen Einflusses auf die Vorgabe und Kontrolle von Zielen und Eingriffsmöglichkeiten auf Strukturen als Gesetzgeber. Die Durchführung der Sozialen Krankenversorgung erfolgt dann durch
212 Zusammenfassung der erforderlichen acht Ziele für den Weg aus der Sackgasse Unternehmen der GKVen, Krankenhäuser und Praxen unter reguliertem Wettbewerb mit Wahlmöglichkeiten für Versicherte. Ich gehe in der Folge davon aus, dass Österreich der Tradition des Kassensystems treu bleibt und keine weitere Verstaatlichung des Gesundheitswesens anstrebt. 3. Um die Herausforderungen der demographischen Entwicklung und der Entwicklung des medizinischen Fortschritts bewältigen zu können, ist die langfristige Perspektive der Finanzierung der Sozialen Krankenversorgung erforderlich. Die Finanzierung aus Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber, aus gesamtstaatlichen Entlastungen u. a. für die Versicherung von Kindern und Mitversicherte und aus Eigenbeteiligungen der Versicherten ist dafür geeignet. Als günstig erwies sich das niederländische Modell mit Kopfpauschalen für die Versicherten, um den Wettbewerb zwischen Versicherungsplänen zu stärken. Die Verteilung dieser Mittel an die GKVen unter Berücksichtigung der medizinischen Risiken der chronisch Kranken und Behinderten hat sich dort bewährt. Mit dieser Umstellung können die Gesundheitsagenturen aufgelöst und deren Kompetenzen den GKVen übertragen werden. 4. Die Gesundheitswirtschaft wird der am stärksten wachsende Wirtschaftsbereich in den nächsten Jahren sein. Die Herausbildung einer leistungsfähigen und international wettbewerbsfähigen österreichischen Gesundheitswirtschaft wird gefördert werden, wenn die Monopole, Kartelle und andere Hindernisse für die Unternehmensbildung aufgelöst werden. Damit bilden sich GKV-, Krankenhaus-, Praxis- und Apothekenunternehmen, die im kommenden Wettbewerb mit ausländischen Anbietern bestehen können. 5. Die Mitgliedschaft zu GKVen sollte von der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht verändert werden. Damit werden die GKVen für alle Berufsgruppen geöffnet und es herrscht freie Versicherungswahl mit Wettbewerb zwischen den GKVen. Die GKVen sollten unter Beibehaltung des bestehenden Versorgungsniveaus die Möglichkeit erhalten, zu unterschiedlichen Beiträgen ein unterschiedliches Ausmaß an Wahlfreiheiten und Zusatzleistungen den Versicherten anzubieten. Dafür müssen die GKVen zu eigenverantwortlichen Unternehmen entwickelt und der politische Einfluss der bestellten Verbandsfunktionäre aus der Unternehmensführung in die Kontrollgremien verlegt werden. Die operative Führung muss bei Managern und darf nicht bei Funktionären liegen. Um die Risikoselektion zu vermeiden, ist die Einführung des Risikostrukturausgleichs erforderlich. Diese veränderten GKVen können im nächsten Schritt die Finanzierung der Krankenhäuser und auch der AUVAKrankenhäuser übernehmen. Durch differenzierte Angebote und Anreize können die Versicherten, Praxen und Krankenhäuser zur Kostenbegrenzung veranlasst werden. Die Finanzierung der Rehabilitation in der Folge von Akuterkrankungen wird dann auch durch diese neuen GKVen erfolgen. 6. Mit der Beendigung des Vertragsmonopols der Ärztekammern können vom Gesamtvertrag abweichende Verträge mit Praxisgemeinschaften abgeschlossen werden.
Zusammenfassung der erforderlichen acht Ziele für den Weg aus der Sackgasse 213
7. Managed Care Modelle mit niedrigeren und differenzierten Krankenversicherungsbeiträgen und die Pauschalfinanzierung von Ärztehäusern oder Ärztenetzwerken erfordern gesetzliche Voraussetzungen. Der Hausarzt wird unter Managed Care zum Eckpfeiler der Sozialen Krankenversorgung. 8. Die Einführung eines einheitlichen Preissystems für Krankenhäuser oder die adaptierte Übernahme des G-DRG-Systems sind dringend erforderlich. Zur Umsetzung und Weiterentwicklung muss ein Institut zur wissenschaftlichen Betreuung dieses Entgeltsystems eingerichtet werden. Mit der Beendigung der Abgangsfinanzierung und mit der wirtschaftlichen Eigenverantwortung der Landeskrankenhäuser unter Existenzrisiko werden die Krankenhäuser zu Unternehmen. 85 % der Investitionskosten sollten über die Leistungspreise finanziert werden und 15 % weiterhin vom Staat kommen, um dem öffentlichen Einfluss weiterhin Geltung zu verschaffen. Die Umstellung der Investitionsfinanzierung kann über mehrere Stufen und Jahre erfolgen, um den Vorteil neu errichteter Krankenhäuser auszugleichen. Wenn die Politik nicht mehr ihre Ziele in die Krankenhäuser trägt, entstehen unter Wettbewerb auch in Österreich leistungsfähige und konkurrenzfähige Krankenhausunternehmen. Vertragspartner der Krankenhäuser werden damit die GKVen und die derzeit an den Bundesländergrenzen endende Krankenhausfinanzierung wird überwunden. Für ambulante Behandlungen wird ein einheitliches Finanzierungssystem für Praxen und Krankenhausambulanzen eine günstigere Leistungsaufteilung ermöglichen. Die Veränderung der Einkommensabhängigkeit der Primarärzte von Privatpatienten hin zur Orientierung an der Qualität und den Kosten der Allgemeinen und der Sonderklasse durch leistungsorientierte Verträge wird die Interessen der Primarärzte an jene des Krankenhauses angleichen. Damit werden in den Krankenhausunternehmen eindeutige Führungsstrukturen statt der herrschenden Kollegialen Führung erforderlich. Zusätzliche Maßnahmen sollten die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser stärken, etwa die gesetzliche Regelung für Parallelimporte von Medikamenten aus dem EU-Raum, um das österreichische Preisniveau auf jenes anderer Staaten zu reduzieren. Ohne die Entwicklung einer langfristigen Perspektive werden im Rahmen der Veränderungsprozesse innerhalb der EU internationale Praxis-, Krankenhaus- und GKV-Unternehmen den Markteintritt nach Österreich schaffen und diesen wichtigen Wirtschaftsbereich dominierend gestalten. Der Aufbau einer nationalen Gesundheitswirtschaft braucht daher dringend die dafür geeigneten Rahmenbedingungen. Dass der oben ausgeführte Vorschlag so umfangreich ausfiel, liegt daran, dass die österreichische Gesundheitspolitik in den letzten zehn Jahren die Weiterentwicklung des GKV-Systems nicht in Angriff genommen hat und damit ein Reformstau entstanden ist. Über die meisten der aufgezeigten Defizite besteht ein Konsens zwischen vielen Akteuren und Beobachtern des Gesundheitswesens. Es mangelt aber bisher an der politischen Entschlossenheit, die Defizite durch eine Gesundheitsreform mit einer langfristigen Perspektive
214 Zusammenfassung der erforderlichen acht Ziele für den Weg aus der Sackgasse tatsächlich zu beseitigen. Der Vorschlag der Sozialpartner bzw. der Bundesregierung war bereits ein Schritt in diese Richtung und damit eine gute Voraussetzung für die weitere Diskussion (vgl. 11.) Die Ärztekammer sollte ihre Blockadepolitik aufgeben. Ihre derzeitige Strategie zum Schutz und Vorteil ihrer Klientel kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn Österreich weiterhin autonom, ohne Einfluss der EU seine Gesundheitspolitik gestalten könnte. Die europäische Integration, die Entwicklung der Gesundheitskosten und die offensichtlichen Systemdefizite in Österreich erzwingen aber mittelfristig die Öffnung des österreichischen Gesundheitsmarktes. Populistischer Aktionismus führt uns zu immer höheren Kosten bei mittlerer Qualität und verhindert die Entwicklung einer langfristigen Perspektive für diesen für Sozial- und Wirtschaftspolitik so entscheidenden Bereich. Der Empfehlung von Brouwer/Rutten, wie aus den Erfahrungen in den Niederlanden gelernt werden kann, schließe ich mich an: Ein guter Ausgangspunkt wäre die Einrichtung eines Komitees und dieses mit der Ausarbeitung des Entwurfs für das künftige Gesundheitssystem zu betrauen. Es sollte die erforderlichen Maßnahmen entwickeln und auch, mit welchen Schritten dieses Ziel erreicht werden kann.290 Mit einer durchdachten Gesundheitsreform kann der Sozialen Krankenversorgung, und damit den Anbietern, Investoren, Mitarbeitern und Patienten eine langfristige Perspektive gegeben und lange bestehende Defizite beseitigt werden. Ein leistungsfähiger und auch international wettbewerbsfähiger Wirtschaftsbereich Gesundheitswirtschaft kann dann auch in Österreich entstehen, der viele Arbeitsplätze ermöglicht. Die Begrenzung von Wahlfreiheiten für Patienten unter Managed Care in Verbindung mit Wettbewerbsdruck und Eigeninitiative innerhalb eines regulierten Wettbewerbs kann Kosten niedrig halten, ohne die medizinische Qualität zu beeinträchtigen. Voraussetzung für diese Reformen ist die Entpolitisierung der GKVen bzw. Krankenhäuser und regulierter Wettbewerbs bei staatlicher Rahmensetzung und Kontrolle. So bleiben die Gesundheitsausgaben unter verfeinerten Bedingungen für alle bezahlbar und die soziale Ausrichtung der Krankenversorgung in Österreich erhalten.
290
Vgl. Brouwer/Rutten, S. 32
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216
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Abkürzungen ADHD – Attention-Deficit Hyperactivity Disorder AKH – Allgemeines Krankenhaus AOK – Deutschland: Allgemeine Ortskrankenkasse mit 25 Mio. Versicherten ASVG – Österreich: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz AUVA – Österreich: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AVZ– Österreich: Allgemeines Versorgungszentrum AWBZ – Holland: Gesetz über besondere Gesundheitsrisiken, Langzeitpflege BMGFJ – Österreich: Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend BSP – Bruttosozialprodukt BVA – Österreich: Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter C-Labor – Labor zur Verarbeitung offener und geschlossener radioaktiver Materialien CT – Computertomograhie DRG – Diagnosis related Groups; Finanzierungssystem für in Gruppen zusammengefasste Behandlungsdiagnosen EFPIA – Europäischer Verband der Pharmazeutischen Industrie EFQM – European Foundation for Quality Management EKG – Elektrokardiogramm FSD – Female Sexual Dysfunction GESPAG – Krankenhausbetriebsgesellschaft des Landes Oberösterreich GFS Bern – Forschung für Politik, Kommunikation und Gesellschaft GGK – Österreich: Gebietskrankenkasse GKV – Gesetzliche Krankenversicherung G-DRG – German-DRG-System GMP – Good Manufacturing Practice, Validierung der Pharmaproduktion HMO – Health Maintenance Organisation HPC – Schweiz: Health Professional Card, Datenübermittlung von Praxen etc. IHS – Institut für Höhere Studien, Wien IInEK – Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus IRS – USA: Internal Revenue Service, verantwortlich für Steuereinhebung IVF – In vitro fertilisation (künstliche Befruchtung) IWI – Industriewissenschaftliches Institut, Wien KAG – Österreich: Krankenanstaltengesetz KTQ – Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen LDF – Österreich: Leistungsorientierte Diagnosenfinanzierung in der LKF LKF – Österreich: Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung LKI – Landeskrankenhaus Innsbruck – Universitätskliniken LINAC – Linearbeschleuniger, Gerät zur Strahlentherapie
220
Abkürzungen
MC – Managed Care MEL – Österreichisches LKF-System: Medizinische Einzelleistung MR – Magnetresonanztomographie MVZ – Deutschland: Medizinisches Versorgungszentrum NICE – UK: National Institute for Health and Clinical Excellende NZZ – Neue Züricher Zeitung ÖBIG – Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen OFT – Office of Fair Trading, Großbritannien ÖKZ – Österreichische Krankenhauszeitung ÖSG – Österreichischer Strukturplan Gesundheit PhRMA – USA: Interessensverband der Pharmaindustrie PKV – Private Krankenversicherung PPP-Modelle – Public Private Partnership PVA – Österreich: Pensionsversicherungsanstalt RSA – Risikostrukturausgleich SALK – Salzburger Landeskliniken GmbH SOLVE – Managementberatungsfirma in Österreich TGKK – Tiroler Gebietskrankenkasse TILAK – Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH TISS – Therapeutic Intervention Scoring System TNS – US-Marktforschungs – Unternehmen UKE – Universitätsklinikum Hamburg – Eppendorf VAC – Wundheilungssystem
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Vergleich der Lebenserwartung und der Gesundheitskosten Österreichs mit dem OECD-Durchschnitt von 30 OECD-Staaten (Seite 11) Tabelle 2: Vergleich der Ressourcenausstattung Österreichs mit dem OECDDurchschnitt von 30 OECD-Staaten (Seite 15) Tabelle 3: Häufigkeit der Krankenhausaufenthalte pro Tausend Bevölkerung (OECD-Staaten 2002)(Seite 42) Tabelle 4: Anzahl der Aufenthaltstage pro Aufenthalt im Krankenhaus (OECD-Staaten 2005) (Seite 44) Tabelle 5: Auswirkung des RSA für zwei Schweizer Versicherungspläne (in € pro Versicherten im Jahr 2006, Umrechnung € 1 = SF 1,60) (Seite 55) Tabelle 6: Zwischenergebnis des Projekts Produktstandardisierung und Neuausschreibung in den SALK (Seite 119) Tabelle 7: Dynamik der Entwicklung der Landesanteile zur Krankenhausfinanzierung (Seite 123) Tabelle 8: Gesamt- und Einzelkosten einer Praxis (Seite 202)
Differenz
LDF für 6 Woch.Aufn.
LDF für 6 Wo
BDO
BDMW
BDU
LDFLK
MELTEXT
LDFTK
MEL
LDFPKT
Anlage 1 – LKF Bepunktung
6228 Konform. bestrahl. inkl. indiv. Absch.(LE=j.Feld pro Sitzung)
1.731 1.688
43
6
6.421 10.386
-3.965
6203 Linearu.Kreisbeschl.beh. (LE = jedes Feld/Sitzung)
2
4
4.091 4.066
25 11 12 13
9.144 10.314
-1.170
6207 Kobalt-60-Bestrahlung (LE = jedes Feld/Sitzung) 4.091 4.066
25 11 12 13
9.144 10.314
-1.170
6208 konventionelle Röntgentherapie inkl. Oberflächentherapie/..
4.091 4.066
25 11 12 13
9.144 10.314
-1.170
6212 Ganz- und Halbkörperbestrahlung (LE = 1 Serie)
6.256 3.772 2.484 11 12 13 10.840 24.336 -13.496
6217 Brachycurie-Ther. intraluminal, intracavitär (LE = 1 Appl.) 6222 Brachycurie-Therapie interstitiell (LE = 1 Applikation) 6223 Brachycurie-Ther.Kontakt(Moulagen, Flab)(LE=1 Applikation) 6225 Endoluminale Bestrahlung peripherer Gefässe n.Dilatation
678
306
372
1
1
2
2.937
6.210
-3.273
1.270
762
508
1 1,8
3
4.500
9.522
-5.022
678
306
372
1
1
2
2.937
6.210
-3.273
4.134 2.679 1.455
5
9 13
6226 Stereotaktische Strahlentherapie, einzeitig 3.690 (LE=je Sitzung)
926 2.764
6227 Stereotaktische Strahlen1.731 1.688 therapie, fraktioniert
8.482 22.122 -13.640
1 2,2
3
6.905 24.036 -17.131
43
2
4
6
6.421 10.386
6360 Radionuklidth.m.niedrig/ hochdosiertem Jod m. vorheriger ....
3.012 1.687 1.325
2
4
6
7.702 18.072 -10.370
6361 Radionuklidth.m.niedrig/ hochdosiertem Jod o. vorheriger ....
2.366 1.914
3 5,1
8
7.120 14.196
452
-3.965
-7.076
224
Differenz
LDF für 6 Woch.Aufn.
LDF für 6 Wo
BDO
BDMW
BDU
LDFLK
LDFTK
MELTEXT
LDFPKT
MEL
Anlage 1 – LKF Bepunktung
6366 intraartikuläre Th. m.offenen Radionukl.z.Radiosynovioorth.
2.366 1.914
452
3 5,1
8
7.120 14.196
6362 Radionuklidtherapie mit Sr-89, Sm-153 EDTMP, Re-186 HEDP,..
3.052 1.233 1.819
2 3,3
5
6.830 18.312 -11.482
6367 intracav.Th.m.offenen Radionukl.b.Malignomen (LE=je Appl.)
3.052 1.233 1.819
2 3,3
5
6.830 18.312 -11.482
1 2,7
4 10.114 42.228 -32.114
6224 Perm.Implant.v.radioakt. Seeds z.Behandlg.d.Prostatakar 7.038 z.
915 6.123
-7.076
6232 intraoperative Radiotherapie am Linearbeschleu8.544 3.033 5.511 11 12 13 12.237 40.650 -28.413 niger 6201 Bestrahlungsplanung,Sim./Dosimetr.f.per 5.003 4.012 kut.Ther.
9.982 15.978
-5.996
6204 3-D-Planung - Teletherapie, inkludiert MEL 6201 5.477 3.774 1.703 11 12 13 10.158 19.650
-9.492
6202 Bestrahlungsplan.,Sim./Dosimetr.f.Bra chycur.ther.(LE=Appl. 6205 3-D-Planung Brachytherapie, inkl.MEL 6202 (LE=je Appl.)
678
1.821
306
991 11 12 13
372
506 1.315
1
1
2
2.937
6.210
-3.273
1 1,5
2
4.189 13.284
-9.095
Legende LDFPKT LDF_TK LDF_LK BDU BDMW BDO
Punkte für die gesamte LDF-Fallpauschale (innerhalb der Verweildauergrenzen) Punkte für die Tageskomponente (innerhalb der Verweildauergrenzen) Punkte für die Leistungskomponente (innerhalb der Verweildauergrenzen) Verweildauer-Untergrenze lt. Modell 2008 Verweildauer-Mittelwert lt. Modell 2008 Verweildauer-Obergrenze lt. Modell 2008
Anlage 2 Vergleich: Durchgehende Behandlung in einem Krankenhaus vs. abgestufte Behandlung in zwei Krankenanstalten
Krankheitsbild
Bypass-Op
VWD
Durchgehende Behandlung – Zentralkrankenhaus
8-13,1-20
12 Tage
LDF
Ist-BD
abgestufte Behandlung in 2 KA
12.237 LDF
17,51
5 Tage
10.605 LDF
7 Tage
2.275 LDF
LDF
12.880 LDF HüftEndoprothese
11-16,5-25
20 Tage
7.829 LDF 15,34
10 Tage
7.461 LDF
10 Tage
1.297 LDF 8.758 LDF
internistische HDG-Diabetes (E11.9)
3-6,8-0
30 Tage
4.742 LDF
8
15 Tage
2.927 LDF
15 Tage
2.927 LDF 5.854 LDF
internistische HDGLebererkrankung (K77.0)
2-4,1-6
30 Tage
4.017 LDF
5,05
15 Tage
2.844 LDF
15 Tage
2.844 LDF 5.688 LDF
Differenz
643 LDF
929 LDF
1.112 LDF
1.671 LDF
Sachverzeichnis adverse selection 56 Ambulanzen 5, 68, 71, 128, 142, 150, 151, 152, 153, 155, 157, 161, 162, 163, 164, 165, 179, 181, 192, 207, 209 Anreizsysteme 7, 17, 25, 153, 205, 207 Apotheken 4, 26, 62, 86, 89, 98, 99, 100, 222 Arzneimittel 66, 88, 96, 213 Ärztekammer 5, 30, 61, 101, 142, 143, 144, 145, 150, 151, 162, 213, 217, 224, 228, 233 Arzthonorare 205, 207, 212 Arztwahl 67, 68, 82, 104, 215 Aufenthaltstage 45, 176, 188, 237 AVZ 152 Basisversicherung 65, 66 Behandlungsepisode 44, 186, 187, 188, 189, 201 Capitation 81, 83, 218, 219 Case-Manager 37 Chronic Care 37, 38, 67 Chronikerprogramme 38 chronisch Kranke 21, 28, 56, 67, 84, 233 Dienstleister 65, 67, 123 Disease Management 38, 39, 81, 82, 103 Doppeluntersuchungen 8, 28, 33, 37, 75, 82, 153, 163 DRG 30, 74, 75, 76, 171, 172, 173, 174, 177, 180, 183, 184, 189, 193, 198, 199, 200, 227, 232, 235 Effizienz 1, 4, 9, 22, 24, 27, 29, 38, 48, 62, 63, 64, 66, 70, 71, 72, 74, 116, 128, 132, 179, 181, 198, 199, 224 E-Health 84
Einkauf 75, 77, 110, 126, 145 Einzelleistungsvergütung 37, 83, 215 Entpolitisierung 72, 74, 113, 115, 116, 126, 134, 223, 229 EU 6, 49, 51, 53, 73, 89, 92, 98, 99, 100, 122, 131, 138, 140, 182, 227, 228 Evidenzbasiert 36 Fachärzte 50, 70, 79, 85, 143, 151, 152, 153, 154, 163, 215 Fehlanreize 7, 8, 17, 18, 45, 137, 157, 169, 171, 182, 190, 205, 213 For-Profit 23, 69 Gastpatienten 136, 137 Gatekeeper 68, 80, 215, 216, 217 G-DRG 8, 74, 120, 141, 173, 180, 181, 189, 198, 200 Gemeinschaftspraxen 70, 217, 219 Generika 50, 87, 93, 97, 98, 99, 222 gesetzliche Krankenversicherung 22, 25 Gesundheitsagenturen 3, 119, 165, 169, 177, 197, 226, 233 Gesundheitskosten 11, 12, 14, 16, 21, 22, 35, 59, 69, 76, 78, 82, 93, 96, 102, 163, 179, 201, 228, 237 Gesundheitsplattformen 4, 5, 9, 155, 169, 170, 194, 195 Gesundheitspolitik 3, 4, 5, 7, 9, 16, 34, 38, 54, 56, 60, 65, 74, 87, 97, 107, 109, 110, 112, 116, 117, 122, 123, 127, 136, 139, 142, 152, 164, 173, 217, 218, 225, 228 Gesundheitsreform 4, 9, 24, 28, 30, 38, 65, 163, 169, 180, 216, 217, 221, 224, 225, 228, 231 Gesundheitswirtschaft 2, 6, 8, 29, 43, 62, 74, 140, 141, 224, 225, 226, 228
228 GKV 1, 2, 3, 5, 6, 9, 17, 22, 25, 26, 28, 29, 30, 32, 47, 48, 50, 51, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 80, 82, 86, 100, 101, 102, 104, 105, 107, 132, 133, 138, 141, 143, 155, 156, 158, 160, 161, 174, 175, 176, 180, 205, 206, 208, 210, 212, 215, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 228, 235 GKV-Beiträge 51 Guidelines 81 Hausarzt 28, 37, 50, 59, 68, 70, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 102, 149, 157, 164, 215, 216, 217, 227 Health Maintenance Organisation 80, 235 HMO 35, 59, 80, 84, 104, 121, 217, 235 Hochrisikogruppen 21, 22 Informationssysteme 33, 133 Integrierte Versorgung 33 Intensivmedizin 181, 182, 184, 185 Investitionen 16, 72, 79, 90, 99, 109, 114, 118, 125, 133, 135, 137, 142, 145, 162, 178, 179, 181, 190, 191, 192, 193, 198 IT 51, 62, 71, 75, 109, 123, 129, 133, 135 IWI 12, 201, 232, 235 KAG 147, 235 kantonale Zuschüsse 26 Kassenwettbewerb 29, 60, 63, 70 klinische Pfade 51 Kollegiale Führung 145, 146, 147 Kontrahierungszwang 31, 84, 105, 141 Kopfpauschale 67, 68, 216 Kostenbegrenzung 19, 32, 46, 47, 69, 86, 175, 194, 227 Krankengeschichte 33, 52, 85, 86, 87, 154 Krankenhausambulanzen 5, 9, 34, 58, 70, 129, 142, 143, 150, 151, 152, 153, 155, 156, 157, 161, 162, 163, 195, 196, 215, 227, 232
Sachverzeichnis
Krankenhausfinanzierungsfonds 4 Krankenhausgesellschaften 6, 7, 54, 107, 109, 115, 117, 118, 119, 120, 122, 129, 132, 169, 205 Krankenhausmanagement 109, 110, 112, 114, 115, 128 Krankenhausmarkt 78 Krankenhausstandorte 7, 134 Krankenkassen 5, 16, 27, 47, 59, 62, 64, 65, 68, 76, 84, 91, 155, 174, 205 Krankenversicherung 17, 18, 21, 27, 29, 49, 50, 51, 60, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 78, 85, 86, 104, 105, 132, 174, 199, 206, 218, 221, 223, 232, 233, 235, 236 Landespolitik 116, 119 Landeszuschuss 71, 131 Leistungsabrechnung 173, 199, 215 Leistungsausweitung 115, 179, 209, 210, 214 Leistungserbringer 16, 82, 83, 84, 103 Leistungskatalog 2, 46, 48, 61, 157, 161, 162, 177, 231 Leistungsvermehrung 19, 208, 209, 210, 211, 213, 215 Leistungsverschiebung 153, 155, 157, 158, 162 Leistungsverträge 26, 29, 30, 101, 174 Liquidationsrecht 207 LKF 8, 16, 71, 76, 101, 132, 133, 155, 162, 166, 167, 168, 171, 172, 173, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 200, 202, 205, 206, 222, 231, 235, 236, 239 Managed Care 2, 3, 9, 25, 28, 37, 45, 50, 51, 59, 67, 70, 79, 80, 81, 82, 83, 85, 103, 104, 141, 216, 217, 219, 227, 228, 231, 233, 236 Markt 6, 15, 21, 22, 24, 26, 28, 31, 58, 60, 65, 79, 85, 88, 92, 94, 95, 98, 99, 100, 140, 180, 181
Sachverzeichnis
Medien 31, 46, 59, 62, 71, 108, 109, 111, 127, 146 Medikamente 14, 31, 46, 50, 51, 57, 63, 66, 68, 82, 86, 87, 88, 89, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 102, 111, 130, 132, 158, 159, 216, 217 Medizinische Zentren 79, 128, 138 Medizinisches Versorgungszentrum 34, 139, 152, 163 Mindestmengen 54, 55 Monopole 28, 55, 74, 100, 140, 226 Moral Hazard 24 MVZ 34, 236 NHS 6, 9, 96, 101, 102, 121 NICE 49, 96, 97, 236 nichtmedizinischer Bereich 72, 79, 122 Niedrigverdiener 26, 29, 32 Non-for-Profit 23, 69 Notfallambulanzen 128, 164 OECD 5, 11, 12, 14, 15, 16, 22, 27, 29, 44, 45, 60, 68, 69, 107, 154, 155, 201, 202, 216, 232, 233, 237 Partialinteressen 75, 77, 112, 113, 114, 115, 129, 141, 146, 154, 207 Patentschutz 87, 92, 93, 94, 97 Pauschalpreise 58 Pauschalvergütung 83 Pflegeheime 33, 158, 195 Pflichtversicherung 30, 55, 63, 226 Pharmaindustrie 47, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 94, 95, 96, 98, 99, 100, 142, 236 PKV 105, 138, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 216, 236 Planwirtschaft 3, 5, 8, 9, 23, 83, 101, 196 Politischer Einfluss 141 PPR 77 Praxen 2, 3, 4, 5, 8, 9, 16, 18, 26, 28, 29, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 44, 50, 51, 54, 55, 57, 58, 59, 61, 63, 64, 65, 66, 67, 76, 78, 80, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 100, 101, 103, 115,
229 132, 136, 142, 143, 144, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 162, 163, 164, 169, 170, 195, 196, 206, 210, 211, 213, 214, 217, 218, 222, 224, 226, 227, 235 Praxisfinanzierung 213, 214 Preferred Provider 59 Preisniveau 77, 89, 126, 127, 198, 227 Preissystem 4, 6, 8, 9, 18, 70, 72, 74, 101, 127, 134, 136, 173, 177, 179, 180, 193, 197, 199, 206, 224 Private Krankenversicherung 104, 218 Punktewert 71, 178, 179, 192 Qualitätssicherung 51, 54, 76, 77 Regionalversorgung 43 Rehabilitation 8, 9, 33, 34, 40, 73, 75, 81, 136, 149, 159, 160, 161, 181, 182, 186, 189, 227 Restabgangsfinanzierung 132, 133 Risikogruppen 21 Risikoselektion 27, 56, 57, 58, 61, 65, 226 Risikostrukturausgleich 56, 63, 64, 65, 236 RSA 30, 56, 57, 58, 63, 64, 65, 67, 236, 237 sektorale Finanzierung 153, 159 Selbstbehalte 55, 59, 61, 69, 102, 103, 142, 156 Spezialambulanzen 142, 150, 151, 152, 156, 163, 164, 165, 178 Staatliche Gesundheitssysteme 22, 101, 104 Standardisierung 47, 48, 49, 51, 52, 53, 77, 122, 125, 126, 127, 128 Standort 8, 224 stationärer Bereich 7, 8, 34, 157, 159, 161, 162, 165, 167, 168, 211 Steuerfinanzierung 9, 23 Subventionen 31, 72, 190, 192, 193, 199 Tageschirurgie 45 Tagesklinik 74, 121, 166, 167
230 technischer Fortschritt 7, 153 TILAK 54, 119, 120, 123, 236 Überregionale Zentren 39, 197 Unternehmen 2, 3, 6, 23, 28, 70, 74, 75, 77, 87, 89, 93, 107, 110, 111, 114, 116, 117, 123, 134, 135, 140, 141, 145, 146, 190, 193, 208, 218, 226, 227, 228, 236 US-Krankenversicherung 36 Versicherungspflicht 2, 22, 55, 63, 66, 226 Verstaatlichung 4, 6, 9, 60, 104, 226 Vertrauensverhältnisse 111, 112, 113, 115, 117 Wahlfreiheiten 30, 47, 50, 51, 55, 61, 226, 228
Sachverzeichnis
Wahlmöglichkeit 30 Werbeverbot 92 Wettbewerb 1, 2, 3, 5, 6, 8, 9, 16, 18, 19, 24, 27, 28, 29, 30, 31, 33, 40, 55, 56, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 67, 69, 70, 72, 73, 74, 75, 78, 79, 82, 84, 93, 95, 97, 99, 104, 105, 116, 117, 129, 136, 138, 139, 140, 141, 180, 196, 197, 199, 206, 224, 225, 226, 227, 232 Wettbewerbsdruck 8, 49, 51, 52, 129, 199, 228 Zentrumsmedizin 40, 111 Zusatzversicherung 48, 66, 103, 104, 211