Marianne Kneuer Demokratisierung durch die EU
Marianne Kneuer
Demokratisierung durch die EU Süd- und Ostmitteleuropa...
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Marianne Kneuer Demokratisierung durch die EU
Marianne Kneuer
Demokratisierung durch die EU Süd- und Ostmitteleuropa im Vergleich
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15077-2
Meinem Mann Stefan Heddesheimer
Inhalt
Abbildungen...........................................................................................................................9 Abkürzungen .......................................................................................................................10 Vorwort ...............................................................................................................................11 I
Einleitung ...................................................................................................................13
II
Entwicklung eines Konzeptes zur Analyse externer Faktoren ..............................31
1 Prämissen, Hypothesen und Leitfragen ..................................................................31 1.1 „Zeit-Dimension“ und „Raum-Dimension“ oder: Die Mehrdimensionalität von Demokratisierungsprozessen ................................................................................31 1.2 Hypothesen ..................................................................................................................36 1.3 Leitfragen ....................................................................................................................38 2 Interaktion von interner und externer Dimension: Forschungslinien ..................39 2.1 Innere und äußere Aspekte – ein Blick auf die Forschung der Internationalen Beziehungen .......................................................................................40 2.2 Nationales System und internationales Umfeld ...........................................................43 2.3 Der Nexus von inneren und äußeren Aspekten: Akteure, Handlungen und Wirkungen ............................................................................................................46 Penetrierte Systeme .....................................................................................................46 Der linkage-Ansatz ......................................................................................................48 Transnationale Politik .................................................................................................50 Der Staat zwischen äußeren und inneren Kräften .......................................................55 2.4 Erkenntnisse der Internationalen Politikforschung zur Interaktion von externer und interner Dimension bei Demokratisierungsprozessen .....................56 2.5 Berücksichtigung externer Faktoren in der Transitions- und Konsolidierungsforschung ...........................................................................................63 3 Entwicklung des Analysekonzepts ...........................................................................70 3.1 Bildung der Variablen .................................................................................................70 3.2 Operationalisierung: Bildung der Analysematrices .....................................................74 Differenzierung des externen Kontextes und Einordnung in das Modell ....................74 Differenzierung der externen Akteure und Einordnung in das Modell .......................74 Differenzierung der Adressatenfelder und Einordnung in das Modell.........................78 Operationalisierung: Variablen und Matrices ..............................................................80 Einordnung des Analysekonzepts in die Transformationsforschung ...........................84
8
Inhalt
III Empirischer Teil. Anwendung des Analysekonzeptes an zwei Fallbeispielen: Spanien und Slowakei.........................................................87 1 1.1 1.2 1.3
Die EU als externer Akteur .......................................................................................87 Die EG in den 1970er Jahren – die EU in den 1990er Jahren .....................................87 Demokratisierung als policy der EG/EU .....................................................................92 Die Erweiterungspolitik als Element des Außenhandelns .........................................104 Konditionalität als Element der Erweiterungspolitik .................................................108 Das Beitrittsverfahren ...............................................................................................117 1.4 Merkmale der Süd- und Osterweiterung im Vergleich ..............................................126 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2
3.3 3.4 3.5
Die EU und ihre Politik gegenüber Spanien: Motive und Ziele, Methoden und Instrumente, Einflüsse und Ergebnisse .......................................140 Die vorautoritäre Phase: demokratische Erfahrungen in der Zweiten Republik .......141 Die vordemokratische Phase: die autoritäre Franco-Diktatur ....................................147 Die Franco-Diktatur bis 1957: von der Isolierung zur partiellen Einbindung ...........147 Die Franco-Diktatur ab 1957: Öffnung nach außen ..................................................157 Das Regimeende: die Agonie der Franco-Diktatur ...................................................174 Die Transition: neue Beziehungen zwischen Spanien und EG...................................186 Die Konsolidierung ab 1979: hürdenreicher Weg nach Europa ................................218 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei: Motive und Ziele, Methoden und Instrumente, Einflüsse und Ergebnisse .......................................245 Die vorautoritäre Phase: demokratische Erfahrungen in der Ersten Republik ..........246 Die vordemokratische Phase: unter totalitärer Herrschaft (1938-89) ........................254 Von nationalsozialistischer zu kommunistischer Diktatur: 1938-60 .........................255 Die Kommunistische Diktatur 1960-89: die Reformbestrebungen und ihre Niederschlagung.........................................................................................................261 Regimekollaps 1989: spät, aber schnell ....................................................................276 Doppelte Transition: im gemeinsamen Staat und in der Unabhängigkeit .................283 Transition in der Tschechoslowakei (1989-92): Rückkehr nach Europa ...................288 Transition in der Selbständigkeit: außenpolitische Ambiguität .................................301 Verzögerte Konsolidierung und Druck der EU .........................................................311
IV Conclusio ..................................................................................................................363 1 2 3 4
Nützlichkeit und Validität des Analysekonzeptes .................................................363 Die Relevanz äußerer Aspekte bei Demokratisierungen ......................................365 Die EU als Demokratisierer in Süd- und Ostmitteleuropa ..................................371 Das Integrationsparadigma der EU - Bedingungen und Grenzen einer erfolgreichen Demokratieförderung ......................................................................378
Bibliographie .....................................................................................................................389
Abbildungen
Abbildung 1:
Kontinuum-Modell nach Merkel ................................................................34
Abbildung 2:
Analysemodell mit externer Dimension auf der Grundlage des Merkel-Kontinuums ...................................................................................36
Abbildung 3:
Eigenes Schema, auf der Grundlage von Rosenaus linkage-framework ....50
Abbildung 4:
„Sandwich“-Position des Staates ...............................................................56
Abbildung 5:
Analysemodell, differenziert in externen Kontext und externe Akteure ....58
Abbildung 6:
Variablensystematik auf der Grundlage von Linz/Stepan, ergänzt um die neu gebildeten Variablen .....................................................................73
Abbildung 7:
Input-Reaktions-Koppelung .......................................................................76
Abbildung 8:
Grad der Befolgung ...................................................................................76
Abbildung 9:
Interaktionskriterien ...................................................................................77
Abbildung 10: Das nationale System und seine Adressatenfelder externer Einflüsse .......78 Abbildung 11: Kontinuum-Modell mit den nationalen Teilsystemen ................................79 Abbildung 12: Analysemodell mit eingefügten nationalen Teilsystemen ..........................79 Abbildung 13: Analysekonzept mit Variablen und Matrices .............................................81 Abbildung 14: Transnationale Interaktion .........................................................................82 Abbildung 15: Modell zur Analyse externer Faktoren bei Demokratisierungen ...............86 Abbildung 16: Analysemodell für die spanische Demokratisierung ................................140 Abbildung 17: Analysemodell für die slowakische Demokratisierung ............................245 Abbildung 18: Professed political principles ...................................................................316 Abbildung 19: Identitäten in Ostmitteleuropa ..................................................................329 Abbildung 20: Vertrauen in EU und NATO ....................................................................330 Abbildung 21: Gesetzgebende Aktivität in der Slowakei 1998-2002 ..............................359
Abkürzungen
MK H.d.MK
Kürzel der Verfasserin Hervorhebung durch Verfasserin
AP CCEB CEEB CEE CIS CPýS BIOst EEA EP EPZ ER FES GASP HZDS IVO KAS KDH MFA OTAN PCE PCP PHARE PSOE RGW SAA SDL SI SMK SNS UCD ZRS CE Coreper MAE
Volksallianz Candidate Countries Eurobarometer Central European Eurobarometer spanische Abkürzung für EWG Centro de Investigaciones Sociológicas Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien Einheitliche Europäische Akte Europäisches Parlament Europäische Politische Zusammenarbeit Europäischer Rat Friedrich-Ebert-Stiftung Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Bewegung für eine Demokratische Slowakei Institut pre verejné otázky Konrad-Adenauer-Stiftung Christlich-demokratische Bewegung Bewegung der bewaffneten Streitkräfte spanische Abkürzung für NATO Kommunistische Partei Spaniens Kommunistische Partei Portugals Pologne/Hongrie Assistance a la Restructuration Economique Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen Partei der Demokratischen Linken Sozialistische Internationale Ungarische Koalitionspartei Slowakische Nationalpartei Union des Demokratischen Zentrums Slowakische Arbeitervereinigung spanische Abkürzung für die spanische Verfassung Ständige Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten Spanisches Außenministerium
Vorwort
Externe Faktoren bei Demokratisierungen waren im Zusammenhang mit der so genannten Dritten Demokratisierungswelle lange kein Thema, und noch weniger wurde der EG bzw. der EU eine mögliche Rolle dabei zugeschrieben. In dem „Leit-Opus“ der Transitionsforschung Transitions of Authoritarian Rule bewerteten zwei der drei Herausgeber die südeuropäischen Transitionen, die die Dritte Welle initiierten, als interne Prozesse und zementierten damit den mainstream des gerade entstehenden Forschungszweiges. Es ist lediglich ein Zufall, dass sich das Erscheinen dieses Werkes zum zwanzigsten Mal jährt. Und ebenso ist es ein Zufall, dass Spanien seinen Beitritt zur EG vor 20 Jahren vollzog. Mit diesen „Jubiläen“ hat das Erscheinen dieses Buches - zumindest direkt - nichts zu tun. Vielmehr verbindet sich mit dem Interesse für die Frage nach den externen Faktoren von Demokratisierungsprozessen persönlich miterlebte Zeitgeschichte, die ebenfalls – zufällig – auf 1986 zurückdatiert: Mein Studienaufenthalt 1985/86 in Madrid ermöglichte mir zum einen die Beobachtung der jungen Demokratie Spaniens. Zum anderen war diese Zeit geprägt durch die Vorbereitung des Landes auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und durch die sehr heftige Debatte über den Verbleib in der NATO. Die Bedeutung dieser Organisationen und die mit ihnen verbundenen Fragen internationaler Verortung waren spürbar und schlugen sich in den politischen Debatten sowie in der öffentlichen Diskussion nieder. Zurück in Deutschland wollte ich diesen externen Phänomenen nachspüren, fand aber für die von mir als so evident erfahrenen Phänomenen keine Antworten in der wissenschaftlichen Literatur. Mit dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa verstärkte sich die Evidenz externer Faktoren und auch des Einflusses der EG/EU. Und das Desiderat sowohl einer Konzeptualisierung als auch einer systematischen empirischen Untersuchung blieb bestehen. Die politischen Prozesse nach 1989 bildeten auch die Felder meiner praktisch-politischen Berufstätigkeit – zunächst als Redakteurin der politischen Monatszeitschrift „Die Politische Meinung“, dann als Mitarbeiterin im Planungsstab von Bundespräsident Herzog –. Daneben und durch die gleichzeitige Lehrtätigkeit an meiner Heimatuniversität Bonn blieb allerdings nur Raum zur Recherche. Erst mit dem Stipendium der DFG konnte aus den jahrelangen gedanklichen Vorarbeiten und Ideen jene Forschungsarbeit werden, die im Dezember 2004 als Habilitation anerkannt wurde und nun – wiederum durch die großzügige Finanzierung der DFG – gedruckt vorliegt. Auch bei wissenschaftlichen Studien spielen externe Faktoren eine Rolle. Der wichtigste war in diesem Falle die finanzielle Unterstützung der DFG, weswegen ihr mein erster Dank gebührt. Auch der Max-Bickhoff-Stiftung in Eichstätt ist zu danken für ein Überbrückungsstipendium. Dass ich die Hürde, mich nach den Jahren praktisch-politischer Arbeit, in die Einsamkeit der Forscherin zu begeben, überhaupt überwand, daran hat die ständige und hartnäckige Ermunterung meines Lehrers Prof. Dr. Wolfgang Bergsdorf den größten Anteil. Ihm gilt mein ganz besonderer Dank. In Bonn angefangen wurde die Arbeit nach dem Umzug nach Bayern an der Katholischen Universität Eichstätt weitergeführt und be-
Vorwort
12
endet. Dabei war die freundliche Aufnahme und das Interesse an meinem Projekt durch die Professoren Karl Graf Ballestrem und Klaus Schubert mehr als hilfreich. Ihnen sowie Herrn Prof. Dr. Leonid Luks danke ich sehr für die engagierte Begleitung meiner Habilitationsschrift. Eine wertvolle Unterstützung wurde mir durch Prof. Dr. Wolfgang Merkel – der auch externer Gutachter war – zuteil, dem mein besonderer Dank gilt. Der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der KU Eichstätt danke ich für die Annahme meiner Schrift. Unabdinglich für die empirischen Untersuchungen waren die Forschungsaufenthalte in Spanien und der Slowakei. Für die „logistische“ Unterstützung danke ich sehr dem Centro de Estudios Avanzados de Ciencias Sociales (CEACS) der Fundación Juan March in Madrid, und hier besonders ihrem Leiter, José Maravall, für die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes, den Bibliothekszugang sowie die Unterstützung seines Mitarbeiterteams. Zudem richtet sich mein Dank an das Centro de Investigaciones Sociales in Madrid für die demoskopischen Daten sowie an das Archiv des Spanischen Außenministeriums, das mir trotz Umbauarbeiten Zugang gewährte. In Bratislava war mir das Auslandsbüro der KonradAdenauer-Stiftung eine große Hilfe, fand ich dort Arbeitsplatz und Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen Agata Peškova, Gabi Tibenska und Eva ýikelova. Zu danken habe ich auch dem Institut pre verejné otázky (IVO), und besonders seinem Leiter Gregorij Mesežnikov sowie der Leiterin der Abteilung für Demoskopie, Olga Gyárfášová, für die vielen Gespräche sowie die zur Verfügung gestellten Daten und Dokumente. Ein bereichernder Teil meiner Arbeit waren die Interviews, die mehr waren als das schlichte Abarbeiten eines standardisierten Fragebogens, sondern meist in anregende, bereichernde Gespräche weit über das „Soll“ hinaus führten. Allen Interviewpartner sei an dieser Stelle besonders gedankt. Wichtig waren zudem die vielen Gespräche mit Kollegen: Dr. Martin Bútora und Dr. Zora Bútorová, Dr. Walter Haubrich, Prof. Dr. José Maravall, Dr. Charles Powell, Prof. Dr. José Ramón Montero, Dr. Ivo Samson, Prof. Dr. Juraj Stern, Prof. Dr. Geoffrey Pridham. Meinen Kollegen in Eichstätt Dr. Birgit Enzmann, Prof. Dr. Stefan Rinke (jetzt FU Berlin) und PD Klaus Stüwe danke ich für die kollegiale Atmosphäre. Birgit Enzmann hat sich zudem der Mühe gestellt, meine Habilitationsschrift gegen zu lesen. Sehr wichtig war die moralische Unterstützung durch meine Familie: durch meinen Vater Franz W. Kneuer, der die Umsetzung dieser Arbeit leider nicht mehr erleben konnte, aber viel Anteil hatte an dem Weg, der mich zu dem Thema geführt hat, durch meine Mutter Renate Kneuer und meine Schwester Dr. jur. Petra Kneuer. Nicht zu vergessen meine Söhne Vincent und Victor, die mir mit ihrer allabendlichen Frage „Hast Du heute viel geschafft?“ die manchmal notwendige Relativierung des Arbeitsernstes erleichterten. Gewidmet ist dieses Buch meinem Mann, Stefan Heddesheimer, der mit all meinen Gedanken und Ideen sowie den Höhen und Tiefen bei deren Verfertigung seit meinem ersten Studientag konfrontiert war und diese immer mit größter Gelassenheit mitgetragen hat. Dass dieses Werk überhaupt zustande kommen konnte, wäre nicht möglich gewesen ohne, dass er mich immer und mit großer Selbstverständlichkeit unterstützt hat – eine Hilfe, die man nicht messen kann, auch wenn er mir hier als Naturwissenschaftler widersprechen wird.
I
Einleitung
Die demokratische Staatsordnung ist auch heute, im erklärten Zeitalter weltweiter „Demokratisierung“, alles andere als die natürliche, selbstverständliche Form politischer Organisation. Karl Dietrich Bracher1 Eine politische Wissenschaft (...) kann sich nicht mit der Beschränkung auf einen der Aspekte bescheiden (…), wie sich der Historiker im Zweifelsfall vorwiegend für die äußere Politik der Staaten, der Soziologe für die inneren Prozesse der Gesellschaft, der Jurist für die rechtlichen Normen der Politik zu interessieren pflegt. So wird diese Wissenschaft sich, auch um ihres eigenen Profils willen, stärker als bisher in konkreten Untersuchungen um vertiefte Einsicht in das Verhältnis und den Übergang zwischen der inneren und äußeren Politik bemühen müssen. Karl Dietrich Bracher2
Die Europäische Union hat sich im Zuge der Osterweiterung als zentraler externer Akteur bei den Transformationen jener zehn post-sozialistischen Staaten erwiesen, die seit 2004 bzw. ab 2007 zu ihren Mitgliedern gehören. Betrachtet man Verlauf und Ergebnis dieser Transformationen, so sind diese als „Erfolgsstories“ zu bezeichnen, Das soll weder heißen, dass sie einfach oder hürdenlos waren, noch dass die Politik der EU durchgehend konsistent und in jedem Detail gelungen war. Die EU hat nicht nur den Umbau der Wirtschaftssysteme unterstützt, sondern ebenso den Aufbau und Entwicklung der demokratischen Systeme begleitet. Die Bilanz dieser Demokratisierungsprozesse ist positiv: Alle neuen EUMitglieder sowie Rumänien und Bulgarien können als „vollständig oder nahezu konsolidierte rechtsstaatliche Demokratien“3 eingestuft werden. Diese Ergebnisse heben sich ab von den anderen Fällen der Dritten Demokratisierungswelle4, gerade auch von den postsowjetischen Staaten Osteuropas. Dies legt einen Zusammenhang zwischen dem Engagement der EU in jenen Transformationsstaaten und ihren Aussichten für die Demokratisierung sowie ihrem Ergebnis nahe. 1
Bracher, Karl Dietrich, „Über die Schwierigkeit der Demokratie“, in: ders., Geschichte und Gewalt. Zur Politik im 20. Jahrhundert, Berlin 1981, S. 289-295, hier: S. 289 2 Bracher, Karl Dietrich, „Internationalisierung und Demokratie – Die Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik“, in: Weidenfeld, Werner, (Hrsg.), Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts, Berlin 1996, S. 329-347, hier: S. 344 3 Gemäß Bertelsmann Transformation Index (BTI) sind Slowenien, Tschechien, Estland, Ungarn, Litauen, Slowakei und Polen vollständig sowie Bulgarien, Lettland und Rumänien nahezu konsolidiert. Vgl., Bertelsmann Transformation Index 2006. Auf dem Weg zur marktwirtschaftlichen Demokratie, Gütersloh 2005, S. 109ff 4 Der Begriff “Dritte Welle” wird gemeinhin nach der zeitlichen Einteilung Huntingtons benutzt, der die erste Welle von 1828-1929, die zweite zwischen 1943 bis 1962 und die dritte ab 1974 ansetzt. Dagegen lässt Klaus von Beyme die Zählung mit den Systemwechseln und dem Entstehen neuer Staaten nach dem Ersten Weltkrieg anfangen. M.E. spricht zwar mehr für von Beymes Einteilung, da aber in der Literatur die Huntington’sche Definition dominiert, wird hier ebenfalls darauf rekurriert, um Verwirrung zu vermeiden. Vgl. Beyme, Klaus von, „Theorie der Politik im Zeitalter der Transformation“, in: Beyme, Klaus von/Offe, Claus, (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, Opladen 1996, S. 9-30, hier: S. S. 11 sowie Samuel P. Huntington, The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century, Norman/London 1991, S. 16
14
I Einleitung
Dieser Zusammenhang ist jedoch kein neues Phänomen, vielmehr hatte die Europäische Gemeinschaft bereits eine wichtige Rolle bei den Demokratisierungen der südeuropäischen Staaten, Portugal, Griechenland und Spanien gespielt.5 Soll ein Gesamtbild über das demokratiefördernde Potenzial der EU, seine Entwicklung und Mechanismen entstehen, muss auch jener erster Fall der Süderweiterung und der vorangehenden Demokratisierungen in den Blick genommen werden. Diese Lücke wird von der vorliegenden Studie gefüllt, da sie eine systematische, beide Demokratisierungsschübe und Erweiterungen einbeziehende Untersuchung unternimmt. Sie analysiert diachronisch und vergleichend Demokratisierungen in Süd- und Ostmitteleuropa unter dem Aspekt externer Einflussfaktoren und sie beleuchtet ebenfalls diachronisch und vergleichend die europäische Demokratieförderung und Erweiterungspolitik. Demokratisierung durch die EU – diesem Titel ist die Kernthese bereits inhärent: Die EU bzw. EG6 war nicht nur ein zentraler externer Akteur bei den Demokratisierungsprozessen in Süd- und Ostmitteleuropa, sie hatte dabei in der Tat einen wesentlichen, Demokratie fördernden und stützenden Einfluss. Dieser These folgend stehen im Zentrum dieses Buches die Prozesse von Integration und Demokratisierung, die Interaktion zwischen der EU und dem sich demokratisierenden Land. Damit bewegt sie sich freilich in einem Zwischenbereich der Disziplinen. Zum einen geht es um den Einfluss externer Faktoren auf Demokratisierungsprozesse; diese Fragestellung gehört in das Gebiet der Demokratisierungsforschung. Zum zweiten richtet sich der engere Blick auf den Akteur EU und sein Demokratisierungspotenzial in Transformationsländern. Mit Demokratisierung als außenpolitisches Element beschäftigt sich die Internationale Politikforschung, während die Steuerung nationaler Prozesse durch die EU der Europaforschung zuzurechnen ist. Mit Demokratisierungsforschung wird hier jener Forschungszweig bezeichnet, der als Transitions- und Konsolidierungsforschung, Transformations- oder Systemwechselforschung bekannt ist. Angeregt durch die Dritte Welle, die in Südeuropa begann und dann auf die anderen Kontinente herüberschwappte, bildete sich die Transitionsforschung (transitology) neu heraus und schnell profilierte sich schnell als politikwissenschaftlicher Zweig. Sie beschäftigte sich in empirischen Fallanalysen mit den Übergängen (transitions) von der Diktatur zur Demokratie. Im Zuge der Ende der 1980er einsetzenden Demokratisierungen rückte bald die Konsolidierung von Demokratien in den Blick, die sich als prekärer und langwieriger herausstellte, zeigten die post-sozialistischen Beispiele, aber auch Fälle anderer Regionen, „that sustaining democracy is often a task as difficult as establishing“7. Die Analysen der Konsolidierungsbedingungen und –probleme ließen den Subzweig der Konsolidierungsforschung entstehen. Weitere Begriffe sind Transformations-, und Systemwechselforschung. Hier werden die Begriffe Demokratisierung und Demokratisierungsforschung eingeführt und benutzt. Demokratisierung wird hier als der Prozess der Herausbildung eines 5 Vgl., Kneuer, Marianne, „Die Demokratieförderung der EG bei der Transformation Südeuropas: Lehren für Osteuropa?“, in: Welttrends, Nr. 30, Frühjahr 2001, S. 111-133 sowie Kneuer, Marianne, „Die Erweiterung Europas als politisches Ziel“, in: Die Politische Meinung, April 2004, S. 25-33 6 Im folgenden Text kommen die drei Vertragsformen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Europäischen Gemeinschaften (EG) und Europäische Union (EU) vor und werden jeweils auch so genannt. Bei Aussagen, die alle drei Formen betreffen, wird der Einfachheit halber nur von EU gesprochen, um Konstruktionen wie „EG/EU“ zu vermeiden. 7 Schedler, Andreas, „What is Democratic Consolidation?”, in: Journal of Democracy, 2/1998, S. 91-108, hier: S. 91
I Einleitung
15
demokratischen Systems verstanden, der drei Phasen umfasst8: das Ende des vorhergehenden autoritären oder totalitären Systems, die Transition zur Demokratie, bei der die Etablierung der demokratischen Institutionen geschieht, sowie die demokratische Konsolidierung, in der sich zum einen die demokratischen Strukturen und Prozesse verfestigen, zum anderen aber auch die demokratischen Normen und Einstellungen sowie demokratisches Verhalten internalisiert werden. Maravall und Santamaría haben den Unterschied zwischen Transition und Konsolidierung auf die kurze Formel von einem hier legal-formalen und dort politisch-materiellen Prozess gebracht.9 Der Begriff Transformation wird insbesondere im Hinblick auf die komplexen und gleichzeitigen Umwandlungsprozesse der post-sozialistischen Länder angewendet, da sie sich sowohl auf die politische Umwandlung zu einem demokratischen als auch die wirtschaftliche Umwandlung zu einen marktwirtschaftlichen System, auf die notwendigen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft und nicht selten auch auf Staatsbildungsprozesse (siehe Tschechien und Slowakei oder die Staaten des West-Balkans) beziehen. Systemwechsel wiederum ist definiert als „das Intervall zwischen einem alten und einem neuen politischen System“10, womit letztlich beide Möglichkeiten des Systemwechsels gemeint sein können – von der Demokratie zur Diktatur oder umgekehrt. Ähnliches gilt für Regimewandel (regime change), ein in der angelsächsischen Forschung oft benutzter Ausdruck. Der Begriff Demokratisierung wird bevorzugt, da er vor allem auf die politische Seite der Umwandlung abstellt und gleichzeitig die Richtung spezifiziert, dabei aber auch die Prozesshaftigkeit und damit Ergebnisoffenheit konnotiert. Externe Faktoren blieben in der politikwissenschaftlichen Forschung seit dem Beginn der Dritten Welle als Thema weitgehend unberücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die spezielle Form der Demokratieförderung durch die EG. Erst in letzter Zeit zeigen sich Anfänge einer neuen Betrachtung und Bewertung dieser Aspekte. Ein Grund für diese Vernachlässigung liegt in der expliziten Negation der internationalen Dimension als relevanter Aspekt für demokratische Transitionen. Seit Philippe C. Schmitter und Guillermo O’Donnell in dem Referenzwerk der Transitionsforschung Transitions from Authoritarian Rule (1986) konstatierten, dass innere Faktoren die dominierende Rolle bei Transitionen spielen und die Suche nach internationalen Faktoren als „fruitless“ bezeichneten11, folgten die meisten Untersuchungen dieser Einschätzung und berücksichtigen externe Faktoren als Einflussgröße nicht. Ausnahmen stellten der Mitherausgeber von Transitions from Authoritarian Rule, Laurence Whitehead, dar, der in jenem Werk eine andere Position bezog als O’Donnell und Schmitter, und insofern gegen den mainstream schwamm, ebenso sowie Geoffrey Pridham, der sich seit 1991 in mehreren Veröffentlichungen diesem Thema angenommen hat.12 8
Zum Phasenmodell siehe auch Kap. II. 1. Maravall, José María/Santamaría, Julián, “Political Change in Spain and the Prospects for Democracy”, in: O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C./Whitehead, Laurence (Hrsg.), Transitions from Authoritarian Rule, Bd. 2: Southern Europe, Baltimore/London 1986, S. 71-109. 10 Merkel, Wolfgang, Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999, S. 119 11 Vgl., O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C., Tentative Conclusions about Uncertain Democracies, Bd. 5, (Transitions from Authoritarian Rule), Baltimore/London 1986, S. 18 und 19 12 Alfred Tovias war wohl einer der ersten, die sich mit dem internationalen Kontext von Transitionen und dies in Bezug auf die südeuropäischen Fälle beschäftigte. Siehe seinen Aufsatz „The International Context of Democratic Transition“, in: West European Politics, 7/1984, S. 158-71 sowie gleichnamig in: Pridham, Geoffrey, (Hrgs.), The New Mediterranean Democracies: Regime Transition in Spain, Greece and Portugal, London 1984, S. 158-172. 9
16
I Einleitung
Zwar hat die veränderte internationale Situation seit dem Ende des Kalten Krieges „die Diskussion um die Rolle der westlichen Staaten für die politischen Reformprozesse neu belebt“13. Hartmann weist jedoch darauf hin, dass dabei völkerrechtliche Fragen und Fragen nach veränderten Instrumenten der Entwicklungshilfe und Außenhandelspolitik dominieren. „Die Politikwissenschaft hat sich diesem Thema hingegen nur zögerlich zugewandt. Dies gilt für die IB-Theorie, für die Demokratisierungsforschung…“14. Andererseits „wurde in der Regimewechselforschung die Analyse des Zusammenhangs von Redemokratisierung und Außenpolitik stark vernachlässigt. Die wenigen vorliegenden Arbeiten zu diesem Thema sind häufig rein deskriptiv und in der Regel monographisch ausgerichtet.“15 Die traditionelle Sicht der Transitionsforschung wurde zum einen durch den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen und zum anderen durch die darauf folgende Unterstützung bei der Transformation dieser Länder durch verschiedene externe Akteure – seien es die EU, einzelne Regierungen, internationale Organisationen oder auch NGOs etc. - und der schwerlich abzuweisenden Evidenz der Rolle internationaler Faktoren dabei widerlegt. Seither werden in den meisten Studien der Demokratisierungsforschung implizit oder explizit keine Zweifel mehr erhoben gegen die Relevanz der internationalen Dimension. Diese wird jedoch „more often assumed than incorporated adequately in theoretical work“.16 Die Aussagen über das Einflusspotenzial ebenso wie über die Einflussmechanismen externer Faktoren blieben in der Mehrzahl der Untersuchungen zu den Demokratisierungen seit 1989 ekkletisch. Zweifelsohne sind insbesondere dem Auffinden von reinen, kausalen Verbindungen Grenzen gesetzt. Der Hinweis, den tatsächlichen Einfluss festzustellen, sei weder theoretisch noch empirisch einfach, kann aber nicht befriedigen. Diese Schwierigkeit ist nämlich nicht zuletzt bedingt durch das Fehlen eines theoretischen Konzeptes und des adäquaten analytischen Werkzeugs. Es mangelt an Konzeptualisierungen und Modellbildungen, vor allem aber bedarf es der Integration der internationalen Dimension in die Theoriebildung. Pridham weist auf eine Erklärung für das lange Nichtbeachten der internationalen Dimension hin: Demnach spielten auch die zeitlichen Kontexte eine Rolle bei der Bewertung der Bedeutung und des Einflusses internationaler Faktoren. So habe sich der Kontext von Laurence Whitehead fiel mit seinem Beitrag in Transitions from Authoritarian Rule aus dem Tenor des Werkes heraus („International Aspects of Democratization“, in: O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C./Whitehead, Laurence (Hrsg.), Transitions from Authoritarian Rule, Bd. 4: Comparative Aspects, S. 3-47). Geoffrey Pridham stieß als Herausgeber des Sammelbandes „Encouraging Democracy. The International Context of Regime Transition in Southern Europe“ (Leicester/London 1991) eine erste breitere Betrachtung des internationalen Kontext in Südeuropa an und setzte sich erstmals auch mit den theoretischen Aspekten des Themas auseinander (siehe seinen Beitrag „International Influences and Democratic Transition: Problems of Theory and Practice in Linkage Politics“, S. 1-29). Siehe zur Berücksichtigung externer Faktoren in der Transitions- und Konsolidierungsforschung ausführlich Kapitel II. 2.5 13 Hartmann, Christof, Externe Faktoren im Demokratisierungsprozeß. Eine vergleichende Untersuchung afrikanischer Länder, Opladen 1999 S. 13 14 Ebd. 15 Nohlen, Dieter/Fernández, Mario, „Demokratisierung und Außenpolitik“, in: Nohlen, Dieter/Fernández, Mario/Klaveren van, Alberto, (Hrsg.), Demokratie und Außenpolitik in Lateinamerika, Opladen 1991, S. 37-59, hier: S. 37 16 Pridham, Geoffrey, „International Influences and Democratic Transition: Problems of Theory and Practice in Linkage Politics“, in: Pridham, Geoffrey, (Hrsg.), Encouraging Democracy: The International Context of Regime Transition in Southern Europe, London 1991, S. 1-29, hier: S. 5. Siehe in diesem Sinne auch ders., “International Actors and Democracy: Promotion in Central Eastern Europe: The Integration Model and its Limits”, in: Democratization, 5/2004, S. 91-112
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dem beginnenden Kalten Krieg, als etwa West-Deutschland und Italien sich demokratisierten, über die 1970er Jahre, zur Zeit der südeuropäischen Transitionen, bis zu dem Fall des Eisernen Vorhangs und nicht zuletzt der Erfahrung der Kriege im ehemaligen Jugoslawien verändert und dazu geführt, eine engere Verbindung zwischen Systemwechsel und Sicherheitsbedürfnissen anzunehmen.17 Es lassen sich allerdings weitere Gründe finden: So ist erkennbar, dass in der Literatur lange Zeit unter externen Faktoren oder unter internationaler Dimension der Demokratisierungen gemeinhin das gefasst wurde, was von Beyme als Systemwechsel „debellatio“18 bezeichnet. Ausgehend von den „Schulbuchtypen“ des Systemwechsels, den „guided democracies“ nach dem Zweiten Weltkrieg (Deutschland, Österreich, Italien, Japan) wurden äußere Einwirkung auf den Demokratisierungsprozess auf den Beginn einer Demokratisierung durch bzw. nach militärischer Niederlage beschränkt. Da dies unbestritten in Portugal, Griechenland und Spanien nicht der Fall war, wurden andere mögliche Implikationen und Verbindungen zwischen der internen Entwicklung und externen Akteuren – wie etwa EG oder deutsche Stiftungen und Parteien etc. – nicht in die nähere Betrachtung gezogen. Die Unterstützung und Förderung demokratischer Kräfte oder Entwicklungen mit nichtmilitärischen Mitteln – sei es vor der Auflösung eines nicht-demokratischen Regimes oder danach – blieb dadurch ebenso ausgeblendet wie indirekte Effekte (Diffusion, Vorbilder, Imitation etc.). Demokratieförderung wurde entweder als Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit gesehen und somit auf die Dritte Welt bezogen19 oder eben im Zusammenhang mit militärischer Mission. Diese Reduktion der internationalen Faktoren auf Systemwechsel debellatio und die Vernachlässigung ziviler äußerer Aspekte bei Demokratisierungen hängt nicht zuletzt auch mit dem Verständnis des bedeutendsten Akteurs von Demokratieförderung zusammen. Der weltweit erste Akteur, der die Verbreitung von Demokratie als seine Mission betrachtete und zugleich Demokratisierungen überwiegend debellatio durchführte oder durchzuführen versuchte, waren die USA. Durch den Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 traten die USA nicht nur als globaler Akteur auf die Weltbühne, sondern verknüpften dies zudem mit dem Manifest Destiny-Gedanken, der sie seit jeher als auserwählt fühlen lässt, zivilisatorischen Fortschritt, demokratische Normen und Institutionen, Freiheit auch über ihre Grenzen hinaus zu tragen. Dieses idealistische und missionarische Element der amerikanischen Außenpolitik manifestierte sich immer wieder durch militärisches Eingreifen, so dass militärische Intervention mit anschließendem Imperativ zur Demokratisierung ein Muster der amerikanischen Außenpolitik wurde. Dafür bot jene zweite Demokratisierungswelle genug Beispiele. Und die jüngsten Versuche der USA in Afghanistan und Irak, islamische Regime zu demokratisieren, folgen ebenfalls diesem, nennen wir es: „amerikanischen Paradigma der Demokratieförderung“. Die Tatsache, dass die USA mit diesem Paradigma die Demokratieförderung lange Zeit beherrschte, mag auch dazu geführt haben, dass andere Strategien und Methoden in der wissenschaftlichen Debatte kaum untersucht wurden. Von der Seite der Demokratieforschung kritisiert Manfred G. Schmidt daher die Fokussierung auf Demokratisierung qua militärischen Sieg, da es daneben ein „weiteres mächtiges Binde17 Pridham, Geoffrey, Designing Democracy, EU Enlargement and Regime Change in Post-Communist Europe, Houndmills 2005, S. 4 18 Von Beyme, Klaus, Systemwechsel und Osteuropa, Frankfurt am Main 1994, S. 91 19 Siehe dazu die sehr ausführliche Darstellung von Erdmann, Gero, Demokratie und Demokratieförderung in der Dritten Welt. Ein Literaturbericht und eine Erhebung der Konzepte und Instrumente, Bonn 1996
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glied“ zwischen der nationalstaatlichen Demokratie und dem internationalen Umfeld gebe und verwies auf die direkte und indirekte stützende Wirkung der EG bei Systemwechseln.20 Dazu kommt, dass „promotion of democracy“ im Sinne des Wilson’schen „to make the world safe for democracy“ als außenpolitisches und ideologisches Leitmotiv der USA oft zyklisch wie die Anlässe - von der amerikanischen Politikwissenschaft zwar immer wieder in den Blick genommen wurde. Die Beschäftigung damit ist freilich ein genuines Thema der Internationalen Politikforschung. Der disziplinäre Graben zwischen Vergleichender Regierungslehre und Internationale Beziehungen kann als weiterer Grund dafür gelten, dass die Theoriebildung der Demokratisierungsforschung theoretische wie empirische Erkenntnisse der IB-Forschung nicht inkorporierte und umgekehrt die IB-Forschung die Wirkung von externen Akteuren und Faktoren auf nationale Systeme nicht ausreichend thematisierte.21 Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sowohl die internationale Dimension bei Demokratisierungen allgemein als auch der differenzierte Blick auf die verschiedenen Ansätze von Demokratieförderung sowie die EU als externer Akteur und Demokratieförderer im speziellen lange unterforscht waren. Erst in den letzten Jahren hat die Literatur zu diesen Aspekten zugenommen. Dies liegt an dem bereits erwähnten veränderten Zeitkontexten, und hier lassen sich vor allem zwei Marksteine erkennen: das Ende des Kalten Krieges und der 11. September als dramatische Manifestation des internationalen Terrorismus; in beiden Fällen spielt wiederum die außenpolitische Ausrichtung der USA die zentrale Rolle. „Promotion of Democracy“ bekommt Konjunktur Mitte der 1990er Jahre, als einige amerikanische Politikwissenschaftler (wie Tony Smith, Thomas Carothers, Larry Diamond) sich des Themas annehmen und erstaunt fragen, wieso angesichts der reichlichen Literatur über den Charakter der Demokratie einerseits und die amerikanischen Außenpolitik andererseits so wenig über die amerikanische Demokratieförderung geschrieben wurde.22 Der politische Hintergrund dieser aufkommenden Konjunktur war „the missionary gap“, das die amerikanische Außenpolitik verspürte nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes: Einerseits waren die USA als einzige Weltmacht verblieben, andererseits fehlte der Feind: „die manichäische Falle des Sendungsbewusstseins war leer“.23 Mit der Enlargement-Doktrin wollte Präsident Clinton der Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges neuen Inhalt, eine neue Mission geben, wobei er damit weniger idealistischen als vielmehr recht pragmatischen Vorstellungen folgte. Demokratieförderung bekam einen zentralen Platz in der Neuformulierung der amerikanischen Außenpolitik und zwar verstanden als Instrument zur Steigerung der eigenen Sicherheit und des eigenes Wohlstands. Clinton holte den traditionellen Missionsgedanken auf eine pragmatische Bodenhöhe, der sich als stärker Interessen geleitet und weniger moralisch induziert ausnahm.24 Zugleich erhöhte sich nach dem Ende des Kalten Krieges die Akzeptanz internationaler Einmischung in die 20
Schmidt, Manfred G., Demokratietheorien: eine Einführung, Opladen 1995, S. 317f Vgl., dazu Pridham, 1991, S. 2ff 22 In dem Sammelband American Democracy Promotion. Impulses, Strategies, and Impacts (Oxford 2000) sind die Protagonisten der neuen Debatte zur amerikanischen Demokratieförderung versammelt. Zum Hintergrund siehe die Einführung der Herausgeber Michael Cox, G. John Ikenberry und Takashi Inoguchi (S. 1-21). 23 Junker, Detlef, Power and Mission. Was Amerika antreibt, Freiburg im Breisgau 2003, S. 129 24 “We believe that our goals of enhancing security, bolstering our economic prosperity and promoting democracy are mutually supportive. Secure nations are more likely to support free trade and to maintain democratic structures. (…) And democratic states are less likely to threaten our interests…” Clinton, William J., A National Security Strategy of Enlargement and Engagement, abgedruckt in : White House, (Hrsg.), A National Security Strategy of Enlargement and Engagement, Washington D.C. 1994, S. iff 21
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internen Angelegenheiten. Auf Grund der veränderten Einschätzung von Interventionen, so Schmitter, sei ihre Rechtfertigung einfacher. In den 1990er Jahren begann man, solche Interventionen nicht nur als möglich, sondern als „fast obligatorisch“ anzusehen.25 Tatsächlich gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so viele state-building-Einsätze. Eine weitere, gesteigerte Konjunktur für das Thema Demokratieförderung löste der von George W. Bush proklamierte war on terrorism aus, mit dem er auf die dramatische Manifestation des internationalen Terrorismus am 11. September 2001 reagierte. Der Krieg gegen Afghanistan und Irak rückt dabei zum einen militärische bzw. Zwangsmaßnahmen wieder in den Vordergrund. Zum anderen richtet sich die wissenschaftliche Betrachtung von Demokratieförderung verstärkt islamischen Ländern, deren Demokratisierungschancen und der Rolle externer Akteure zu.26 Und drittens ergibt sich ein neuer Aspekt in der Verbindung von state-buildung und Demokratieförderung oder anders ausgedrückt: in postconflict democracy building. Dieses Thema hat auf der Agenda der Politik und in der Debatte eine hohe Priorität eingenommen. Auf Grund der unangefochtenen Legitimität, die Demokratie heute als Regierungsform erfährt, wird externe Unterstützung bei statebuilding mit democracy-building identifiziert.27 Eine analytische Trennung hat sich auch deswegen als schwierig herausgestellt, da oft neu unabhängig gewordenen Staaten zugleich post-conflict-Situationen aufweisen.28 Selbst wenn weitere militärische Operationen zum Systemwechsel nicht mehr stattfinden sollten, gäbe es genug Grund zu glauben, dass die Welt weiterhin mit failed oder failing states konfrontiert werden wird.29 Nach diesem kurzen Blick auf den Forschungsstand wird deutlich, wie sehr die Beschäftigung mit der zuvor als amerikanisches Paradigma bezeichneten Strategie der Demokratieförderung dominiert worden ist. Erst die Transformationen post-sozialistischen Staaten, die von dem intensiven Engagement auf allen Ebenen – Regierungs- und Nichtregierungsebene, bilateral, multilateral etc. – begleitet wurden, führten zu einer Differenzierung der Ansätze und Ausweiterung der Förderinstrumente. Dabei ist die EU in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zunehmend ins Blickfeld gerückt. Die Europaforschung hatte sich zunächst vor allem den technischen Aspekte der Assoziierung (Europaabkommen), des Heranführungs- bzw. Beitrittsprozesses gewidmet30 sowie den sich nach 1989 entwickeln25 Schmitter, Philippe C./Brouwer, Imco, Conceptualizing, Researching and Evaluating Democracy Promotion and Protection, EU Working Paper SPS No. 99/9, San Domenico 1999, S. 5f. Siehe zu dem Verständnis von Interventionen auch Burnell, Peter, „Democracy Assistance: The State of the Discourse“, in: ders., (Hrsg.), Democracy Assistance, International Co-operation for Democratization, London 2000, S. 3-34, hier: S. 14ff 26 Siehe hierzu sehr umfassend Faath, Sigrid, (Hrsg.), Demokratisierung durch externen Druck? Perspektiven politischen Wandels in Nordafrika/Nahost, Deutsches Orient-Institut Hamburg, Mitteilungen Band 73/2005. Siehe auch die Veröffentlichungen von Thomas Carothers und Marina Ottaway, beide Carnegie Endowment für International Peace, sie sich intensiv mit dem Thema beschäftigen; so u.a. der von ihnen herausgegebene Sammelband Uncharted Journey, Washington D.C. 2005. Siehe weiterhin die Debatten im Journal of Democracy, so etwa das Themenheft „Democratization in the Arab World?“ (4/2002) oder „Debating Muslim Exceptionalism“ (4/2004) und „Getting to Arab Democracy“ (1/2006). 27 Vgl., Plattner, Marc C., “Building Democracy after Conflict. Introduction”, in: Journal of Democracy, 1/2005, S. 5-8, hier: S. 7f. Siehe dazu auch Fukuyama, Francis, State Building. Governance and World Order in the Twenty-first Century, London 2005, S. 125 28 Vgl., a.a.O., Burnell, S. 12 29 Vgl., a.a.O., Plattner 30 Beispielhaft etwa Lippert, Barbara/Schneider, Heinrich, (Hg.), Monitoring Association and Beyond. The European Union and the Visegrad States, Bonn 1995. Siehe zur Forschungslage auch dies., „EU-Osterweiterung als doppelte Reifeprüfung“, in: dies., (Hrsg.), Osterweiterung der Europäischen Union – die doppelte Reifeprüfung, Bonn 2000, S. 17-31, hier: S. 17 sowie dies., „Die Erweiterungspolitik der Europäischen Union – Stabilitätsexport mit Risiken“, in: ebd., S. 105-167, hier: S. 105
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den Beziehungen zwischen der EU und den Beitrittsländern31. Die politische Bedeutung der Unterstützung durch die EU während des Transformationsprozesses und ihre Wirkungen wurden derweil weniger stark fokussiert. Mit den Demokratie fördernden Implikationen oder Möglichkeiten des EG-Außenhandelns hat sich die Europaforschung, insbesondere im Zusammenhang mit den Erweiterungen, kaum beschäftigt. In Bezug auf die Süderweiterung ist dies ohnehin weitgehend unaufgearbeitet. In jüngster Zeit sind empirische Arbeiten zur europäischen Demokratieförderung in Nordafrika und Ostasien entstanden.32 Im Zuge der Beschäftigung mit dem Phänomen der Europäisierung hat die Europaforschung die Einflusswege der EU auf die nationalen Systeme der Mitgliedstaaten und die dort ablaufenden Anpassungsprozesse in Bezug auf Strukturen, Prozesse, Politikinhalte, Einstellungen und Normen beleuchtet.33 Diese Untersuchungen haben bislang belegt, dass die EU durch einen hohen Grad an Interaktionsmustern mit den nationalen und anderen Ebenen gekennzeichnet ist und dabei einen Anpassungsdruck ausübt, der von den Mitgliedstaaten unterschiedlich beantwortet wird. Dabei befassen sich diese Studien mit institutionellen und policy-spezifischen Auswirkungen in den „alten“ Mitgliedstaaten der EU. Die Wirkungen der EU auf Nicht-Mitglieder, auf die institutionelle Ebene, die inneren Prozesse und die policy-Ebene ist bislang wenig untersucht.34 Trotz der wachsenden Beschäftigung mit Aspekten wie Konditionalität, Konvergenz, Europäisierung, lesson learning und policy transfer wird allenthalben festgestellt, dass weiterhin ein Mangel an theoretischen Ansätzen besteht, die die Interaktion zwischen internationaler Demokratieförderung und internen Faktoren erklären können.35 Ebenso fehlt es noch an entsprechenden empirischen Untersuchungen, denn “…despite the growing body of literature on the effects of ‘Europeanisation’ in member states, the effects on CEE applicants of integrating with the EU have been little examined.”36 31
Beispielhaft etwa Mayhew, Alan, Recreating Europa. The European Unions’s Policy towards Central and Eastern Europe, Cambridge 1998 Youngs, Richard, The European Union and the Promotion of Democracy. Europe`s Mediterranean and Asian Policies, Oxford 2001; Gillespie, Richard/Youngs, Richard, The European Union and Democracy Promotion: The Case of North Africa, London, Portland 2002 33 Die Literatur dazu ist in den letzten Jahren stark angewachsen; ein Beispiel für eine theoretische Betrachtung ist Börzel, Tanja A./Risse, Thomas, “When Europe Hits Home: Europeanization and Domestic Change, EUI Working Paper No. 2000/56, San Domenico 1999. Politikinhalte und Strukturen werden betrachtet in: Green Cowles, Maria/Caporaso, James/Risse, Thomas, Transforming Europe. Europeanization and Domestic Change”, Cornell 2001. Das Buch von Sturm, Roland/Pehle, Heinrich, Das neue deutsche Regierungssystem. Die Europäisierung von Institutionen, Entscheidungsprozessen und Politikfeldern in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 2001 beinhaltet eine profunde Darstellung der Europäisierungseffekte auf ein altes EU-Mitglied. Im Sinne einer Länderstudie auch Closa, Carlos, (Hrsg.), La europeización del sistema político español, Madrid 2001. Vervielfacht hat sich die Literatur zur Europäisierung in den Beitrittskandidaten und neuen Mitgliedern, vor allem in Bezug auf Institutionen (z.B. Knill, Christoph, The Europeanisation of National Administration: Patterns of Institutional Change and Persistence, Cambridge 2001) und einzelne Politikfelder (siehe etwa die Beiträge in Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, (Hrsg.), The Europeanization of Central and Eastern Europe), Ithaka/London 2005). 34 So Schimmelfennig: “…even though it is generally agreed that the adoption of EU rules is a central condition of membership and the most relevant subject matter of the accession negotiations, the process of adoption in the candidate countries is seriously understudies in this literature.” Schimmelfennig, Frank, “Introduction”, in: Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, (Hrsg.), The Europeanization of Central and Eastern Europe), Ithaka/London 2005, S. 1-29, hier: S. 4 und ebenso Grabbe: „the relative importance of different external and domestic influences on transition has not been the subject of sufficiently detailed empirical investigation yet“. Grabbe, Heather, A Partnership for Accession? The Implications of EU Conditionality for the Central and East European Applicants, EUI Working Papers, RSC No. 99/12, San Domenico, 1999, S. 36 35 Vgl., a.a.O., Dimitrova/Pridham, S. 92 36 A.a.O., Grabbe, S. 2 32
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Das Zusammenspiel zwischen Integration in die EG/EU und Demokratisierung liegt tatsächlich in einem Zwischenbereich der Disziplinen. In der Europaforschung gibt es im Zusammenhang mit dem Umbruch in Osteuropa Ansätze, dieses Zusammenspiel zu analysieren.37 Immer noch vereinzelt sind auch Arbeiten aus der Demokratisierungsforschung, die von einer Interaktion zwischen EU-Integration und den Demokratisierungsprozessen ausgehen.38 Derweil wird die tiefer gehende Untersuchung dieser Interaktion von beiden Seiten durchaus als Desiderat betrachtet: So moniert Lippert, dass es in der umfassenden Literatur zur Dritten Welle, die seit 1989 noch zugenommen hat, wenig systematische Analysen gibt über die konkrete Rolle der EU als „mover and stabiliser of democratisation“. Und dies trotz der weit verbreiteten allgemeinen sowohl politischen als auch wissenschaftlichen Feststellung, dass die EU eine positive Wirkung oder zumindest einen bedeutenden Einfluss als externer Akteur hatte.39 Diese Lücke lässt sich allerdings auch darauf zurückführen, dass Erweiterungspolitik der EU als eigenes Politikfeld ein „neglected subject“40 ist und erst in den letzten Jahren fokussiert wird41. Dies gilt erst recht für die Funktion der Erweiterungspolitik als Instrument der Stabilisierung und Demokratisierung, deren Erforschung erst am Anfang steht. Diese Studie fokussiert dieses Bindeglied zwischen Integration und Demokratisierung, das noch im Dunkeln liegt. In dem Zwischenbereich von Erweiterungs- und Demokratisierungspolitik ist die Forschungsperspektive verortet mit dem Ziel, die Interaktion zwischen EG/EU und dem sich demokratisierenden Land nachzuzeichnen, ihren Einfluss zu analysieren und zu erklären. Dass diese Interaktionen existieren, ist evident, derweil fehlen die entsprechenden empirischen Nachweise der Einflussströme ebenso wie mögliche Aussagen zu Ergebnissen und Wirkungen. Dieses Untersuchungsziel umfasst zwei Schritte. Erstens: Die Frage nach dem Einfluss externer Akteure auf Demokratisierungsprozesse erfordert die Inkorporierung externer Faktoren in die Theorie- und Modellbildung der Demokratisierungsforschung. Zweitens, die Frage nach dem konkreten Demokratisierungspotenzial der EU erfordert die Analyse ihres besonderen Steuerungspotenzials während des Erweiterungsprozesses und der Erklärung dieses Integrationsparadigmas, das sich durch den simultanen Prozess von Erweiterung und Demokratisierung ergibt. Hier fragt sich, mit welchen Ergebnissen die EG/EU einwirkt auf a) undemokratische Regierungen, b) Demokratien in 37
Siehe etwa Lippert, Barbara, From Pre-Accession to EU-Membership – Implementing Transformation and Integration Lippert, Barbara/ Becker, Peter, (Hrsg.), Towards EU-Membership. Transformation and Integration in Poland and Czech republic, Bonn 1998, S. 17-58 und Wessels, Wolfgang, “How to mix Transformation and Integration: Strategies, Options and Scenarios”, in: Lippert, Barbara/Schneider, Heinrich, (Hg.), Monitoring Association and Beyond. The European Union and the Visegrad States, Bonn 1995, S. 383-405 38 Geoffrey Pridham verfolgt dieses Thema in mehreren Arbeiten bzw. von ihm angeregten Editionen, zuletzt Designing Democracy. EU Enlargement and Regime Change in Post-Communist Europe, Houndmills 2005. Die Arbeit von Christiane Frantz über die polnische Konsolidierung ist ein Beispiel für die Thematisierung der EU als Transformationsrahmen (Frantz, Christiane, EU-Integration als Transformationsrahmen. Demokratische Konsolidierung in Polen durch die Europäische Union, Opladen 2000) 39 Vgl., a.a.O., Lippert, 1998, S. 30 40 So Helen Wallace, „EU Enlargement, A Neglected Subject“, in: Crowles Green, Maria/Smith, Michael, (Hrsg.), The State of the European Union. Risks, Reforms, Resistance, and Revival, Vol. V., Oxford 2000, S. 150-163 41 So etwa Cameron, Fraser, (Hrsg.), The future of Europe: integration and enlargement, Milton Park 2004 und Avery, Graham/Cameron, Fraser, The Enlargement of the European Union, Sheffield 1998; Schimmelfennig, Frank/Sedelmeier, Ulrich, European Union Enlargement. Theoretical and Comparative Approaches (Special Issue). Journal of European Public Policy 9/2002; Lippert, Barbara, „Die Erweiterungspolitik der Europäischen Union – Stabilitätsexport mit Risiken“, in: dies., (Hrsg.), Osterweiterung der Europäischen Union – die doppelte Reifeprüfung, Bonn 2000
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der Transition und Konsolidierung und c) auf defekte Entwicklungen bei Demokratisierungen, die zu unkonsolidierten Demokratien führen.42 Der erste Schritt dieser Studie, die Frage nach den externen Faktoren bei Demokratisierungsprozessen spiegelt einen Perspektivwechsel in der Demokratisierungsforschung wider. Zur vollständigen Erklärung demokratischer Transformationsprozesse müssen sowohl die interne Dimension als auch die externe Dimension herangezogen werden. Klammert man die externen Einflussfaktoren aus, bleibt nicht nur eine zentrale Dimension innerhalb des Demokratisierungsprozesses unberücksichtigt, vor allem können die faktisch vorhandene Interaktion zwischen nationalen und internationalen Strukturen, Akteuren und Entscheidungsabläufen, die grenzüberschreitenden Transfers und ihr Erklärungspotential für die Demokratien nicht erhellt werden. Die Ausgangsthesen lauten: 1. Demokratisierungen haben interne und externe Aspekte. 2. Bei Demokratisierungen kommt ein komplexes und dynamisches Wirkungsgeflecht von externen Strukturen, Handlungen und Prozessen und inneren Strukturen, Handlungen und Prozessen zum Tragen. Desiderat ist ein Modell, das endogene und exogene Faktoren gleichermaßen berücksichtigt43, und so pari passu die Betrachtung der Interaktion zwischen beiden Dimensionen, der internen und der externen möglich macht. Da unilaterale und rein endogene Ansätze, wie sie zumeist benutzt worden sind, dem nicht gerecht werden können, bedarf es eines Ansatzes, der die Multilateralität und die Mehrschichtigkeit berücksichtigt. Die Konzeptualisierung, Modellbildung und Generierung von Erklärungsansätzen steht hier noch am Anfang. Ohne einen solchen Ansatz drohen empirische Analysen, so gründlich sie sind, in ihren Ergebnissen über Stellenwert, Mechanismen und Ergebnis externer Einflussfaktoren, begrenzt zu bleiben. Das bedeutet, dass zunächst ein analytisches Instrumentarium geschaffen werden muss, bevor der Einfluss der EG/EU bei den süd- und ostmitteleuropäischen Demokratisierungen untersucht und erklärt werden kann. Ein grundlegendes Element dieser Studie ist daher das generierte Analysekonzept (Teil II), das die Grundlage für die empirische Untersuchung der beiden Fallbeispiele (Teil III) liefert. Dabei geht es nicht darum, die bisherigen Erkenntnisse und Modelle der Transitionsforschung „umzuwerfen“ oder zu revidieren. Da es bereits plausible Modelle gibt, ist dieses Konzept so angelegt, dass die Variablen und das Schema zur Erfassung der externen Faktoren in bestehende generelle Modelle der Demokratisierungsforschung ergänzt wurden. Das hat zur Folge, dass mit dem Analysekonzept ein Leitfaden zur Erfassung, Einordnung und Bewertung externer Faktoren geliefert wird, der sich potenziell auf alle Demokratisierungsprozesse anwenden lässt. Es handelt sich somit nicht ausschließlich um ein Instrumentarium, das lediglich zur Untersuchung des europäischen Raumes dient, wenngleich diese Studie diese mittlere Reichweite aufweist, denn hier geschieht die konkrete Anwendung anhand des externen Akteurs EG/EU, dessen Einfluss in zwei Fallbeispielen systematisch durchgeprüft wird. Mit dem entwickelten Analysekonzept wird auch künftigen Studien
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Vgl., Kneuer, Marianne, „Der Einfluss externer Faktoren: Die politische Strategie der EU bei demokratischen Transformationen am Beispiel der Slowakei als defekte Demokratie“, in: Bendel, Petra/Croissant, Aurel/Rüb, Friedbert (Hrsg.), Zwischen Diktatur und Demokratie. Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen“, Opladen 2002, S. 237-261, hier: S. 243 (2002a) 43 Siehe dazu Sandschneider, Eberhard, Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektiven politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, Opladen 1995, S. 135: “Eine rein systemimmanente Betrachtung führt somit zwangsläufig zu Einseitigkeiten und Verzerrungen, weil die Dynamik exogener Anreize häufig übersehen wird.”
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innerhalb der Demokratisierungsforschung ein analytisches Instrumentarium an die Hand gegeben werden. Es erfüllt folgende Aufgaben: 1. Differenzierung der internationalen Dimension, 2. Systematisierung der externen Akteursebene in Strategien, Motive und Ziele, in Methoden und in Instrumente, Mittel, Maßnahmen, 3. Erfassen und Einordnen der Ergebnisse und des Einflusses an Hand der Reaktion der nationalen Akteure. Dieses Raster ist grundsätzlich auf alle Transformationsfälle anwendbar. Der Vorteil ist, dass Ländervergleiche intra- und interregional angestellt werden können. Das konzeptionelle Handwerkszeug ist durch das Analyseschema und die Variablen bereitgestellt. Damit ist ein weiter führender Weg für die Modellbildung in Bezug auf die Einordnung und Interpretation exogener Einflüsse bei Demokratisierungsprozessen eröffnet. Hier schließt sich der Kreis: Die Frage nach Faktoren für den Erfolg demokratischer Transformationen beinhaltet m.E. folgerichtig die Frage nach dem Beitrag, den externe Akteure faktisch dazu leisten oder potentiell leisten können. Dies führt zu dem zweiten Schritt dieser Studie, der Frage nach dem konkreten Demokratisierungs- und Steuerungspotenzial der EU im Zuge des Erweiterungsprozesses. Hierbei steht die Interaktion zwischen dem externen Akteur EG/EU und den Ländern Südund Osteuropas während ihrer Demokratisierungen im Vordergrund, und es geht es darum, Erkenntnisse zu gewinnen über Strategien und Methoden, über die Art und die Qualität des Einflusses der EU auf die nationalen Akteure und Strukturen der Länder, über deren Reaktionen und schließlich über die Ergebnisse der Einflussnahme. Aus der Europaforschung wissen wir, dass die EU den nationalen Raum ihrer Mitgliedstaaten in erheblichem Maße durchdringt. Dies bezieht sich nicht nur auf den Bereich der policies, wo die Regelsetzung der EU in fast alle Politikfelder eingreift, sondern auch auf den Bereich der polity und den Bereich der politics. Welchen Einfluss aber hat die EU auf die Ausgestaltung der Institutionen und policies, auf die politischen Prozesse, Einstellungen und Prinzipen bei NichtMitgliedern bzw. Beitrittskandidaten? Bei dem Heranführungsprozess von Transformationsländern an die EU liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den demokratischen Bedingungen: der Übernahme und Verankerung demokratischer Prinzipien, auf die Etablierung und Verfestigung demokratischer Institutionen, das Einüben und Verinnerlichen von demokratischen Verfahren. Dazu kommt der Einfluss der EU auf Politikfelder, die bei der Gewährleistung, Umsetzung und Sicherung dieser demokratischen Prinzipien und Verfahren involviert sind wie Verwaltung und Justiz. Daher lässt sich die These formulieren, dass es sich bei Bewerberländern um eine ganz spezielle Form von Europäisierung handelt, die sich von der Interaktion zwischen EU und Mitgliedsstaaten zumindest in Teilbereichen unterscheidet. Mit dem Blick auf jene Länder, die sich im Umfeld der EG/EU demokratisierten bzw. Beitrittskandidaten sind, fragt sich: Welchen Anpassungsdruck übt die EG/EU auf junge Demokratien, die sich um Mitgliedschaft bewerben, aus? Wie wirkt die EG/EU ein auf den Demokratisierungsprozess eines Landes? Welches Steuerungspotenzial erwächst der EG/EU aus jener Interaktion von Integration und Demokratisierung auf die sich etablierenden demokratischen Institutionen und Verfahren, auf policies und auf Entscheidungen, auf Einstellungen und nationale Debatten? Welche Strategie, welche Methoden und Mittel hat die EU dabei? Wie unterscheidet sie
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sich darin von anderen Akteuren? Die empirische Untersuchung bewegt sich auf der Ebene mittlerer Reichweite. Das reduziert weder die Relevanz der Frage nach externen Demokratisierungsstrategien, -akteuren und –ergebnissen im Allgemeinen, noch verhindert es den Vergleich mit anderen Akteuren, Strategien und Ergebnissen. Mit der Untersuchung von Einflussmechanismen und -ergebnissen der EG/EU in Südund Ostmitteleuropa verbindet sich darüber hinaus die Frage, inwieweit sich daraus Handlung leitende Erkenntnisse über die Bedingungen erfolgreicher Demokratieförderung ableiten lassen. Hier liegt ein praxeologischer Aspekt, zu dem diese Studie einen profunderen Einblick gibt, erstens, in das europäische Außenhandeln - in Bezug auf die EG/EU als Demokratieförderer –, zweitens, in einen Kernbereich der EU-Politik – die Erweiterungspolitik – und, drittens, in das Zusammenwirken von Erweiterung und Demokratisierung. Erweiterungspolitik kann als Strategie zur Demokratisierung und Stabilisierung bewertet werden. Oder umgekehrt betrachtet: Dieses Zusammenwirken von Erweiterung und Demokratisierung generiert ein spezifisches Paradigma der Demokratieförderung, nämlich Demokratisierung durch Integration oder auch Integrationsparadigma.44 Die Untersuchung externer Faktoren bzw. der Förderung und Sicherung von Demokratie erhält ihre Relevanz in der ungebrochen aktuellen und zumal zunehmend bedeutsamen Feststellung Brachers, die eingangs zitiert wurde, nämlich dass Demokratie „auch im erklärten Zeitalter weltweiter ‚Demokratisierung’ alles anderes andere als die selbstverständliche Form politischer Organisation“45 ist. Denn sie weist darauf hin, dass unabhängig von optimistischen oder pessimistischen Prognosen über die Zukunft der Demokratie oder der Demokratisierungsbemühungen die prinzipielle Frage, „welches denn überhaupt die Bedingungen und Lebenschancen der freiheitlichen Demokratie in unserer Zeit seien“46 unvermindert aktuell bleibt. Tatsächlich ist nach der erfolgreichen Demokratisierung Südeuropas, nach der Euphorie über den Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftsbereiches und trotz des „dramatischen Fortschritts“47 bei der Ausbreitung von Freiheit und demokratischen Regierungsformen die Bilanz dieser „dritten Welle“ ambivalent. Es wurde evident, dass Demokratisierungsprozesse sehr verschiedene Ergebnisse zeitigen können. Seien es stecken gebliebene Konsolidierungen wie in Osteuropa (Russland unter Vladimir Putin, Weißrussland oder Ukraine vor der Orangen Revolution), das Scheitern von Transitionen wie in Kambodscha, seien es Phänomene wie etwa die Re-Autokratisierung in Peru unter Alberto Fujimori und in Venezuela unter Hugo Chávez, Rückfälle in Pakistan unter Pervez Musharraf oder die fehlende Verfestigung vieler lateinamerikanischer und südostasiatischer Demokratien.48 Ein Ergebnis der dritten Demokratisierungswelle, nämlich ihrer späteren
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Den Begriff Integrationsparadigma benutzten auch Dimitrova/Pridham. Vgl., a.a.O., 2004, S. 93 A.a.O., Bracher, 1981, S. 289 46 Ebd. 47 So der Präsident von Freedom House anlässlich der „Freedom in the World“-Zählung von 2003, deren lautet: Zwischen 1972 und 2003 haben sich die Zahlen der freien und unfreien Staaten fast verkehrt; die Zahl der freien Staaten stieg von 26 auf 46 Prozent an, während die der nichtfreien von 46 auf 25 Prozent fiel. Vgl., Karatnycky, Adrian, „The 30th Anniversary Freedom House Survey. Liberty’s Advances in a troubled World”, in: Journal of Democracy, 1/2003, S. 100-113, hier: S. 100 48 Einen sehr guten Überblick über die Entwicklungen defekter Demokratien in den einzelnen Regionen bieten die beiden Bände Defekte Demokratie (Bd. 1: Theorie, 2003, Bd. 2: Regionalanalysen, 2006) hrsg. von Merkel, Wolfgang/Puhle, Hans-Jürgen/Croissant, Aurel/Eicher, Claudia/Thiery, Peter. 45
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Phase, ist somit ein präzedenzloses Anwachsen von Regimes, die weder klar demokratisch noch konventionell autoritär sind.49 Daher formulierte Philippe C. Schmitter Mitte der 1990er Jahre, „As we approach the end of the twentieth century, democracy’s general prospects have never been more favourable; yet it has rarely been more difficult to discern what type or degree of democracy we should expect in the future.”50 Nach dem Verebben der Demokratisierungswelle offenbarte sich, dass das Aufspringen auf die Welle nicht bedeutet, dass alle Surfer am selben Strand ankommen, möglicherweise hatten sie noch nicht einmal denselben Strand als Ziel im Auge. Auf jeden Fall zeigte sich, dass der Wellenritt zur Demokratie Kämme und Täler beschert. Nachdem sich die Demokratisierungsforschung intensiv den Entstehungsbedingungen der Demokratie gewidmet hat, rückt auf Grund jener Grauzone nicht-konsolidierter Demokratien in den letzten Jahren zunehmend die Frage nach den Erfolgsbedingungen von Demokratisierungen ins Blickfeld. Damit werden zum einen Erklärungsansätze für das Gelingen oder Scheitern von Demokratisierungen fokussiert. Zum anderen, und hierin liegt ein weiterer Ansatzpunkt dieser Untersuchung, gewinnt die Frage an Relevanz, welche Möglichkeiten zur Absicherung von Demokratisierungen oder welche incentives zur Fortentwicklung nicht-konsolidierter Demokratien existieren. In diesem Zusammenhang steigt der Stellenwert von Demokratieförderung allgemein und konkret in Bezug auf die EG/EU, außerdem aber auch der Bedarf ihrer weiteren Erforschung. Und dies nicht nur auf Grund der Initiativen der USA in Afghanistan und im Irak, sondern weil Demokratieförderung im europäischen Raum und darüber hinaus ein zentrales Element im Rahmen des mehrdimensionalen Außenhandelns der EU geworden ist. Dies zeigt die Stabilisierungs- und Assoziierungspolitik der EU im West-Balkan und die Eröffnung einer Beitrittsperspektive für diese Länder. Auch die Nachbarschaftspolitik der EU, die sich an die Mittelmeeranrainer, Osteuropa und den Südkaukasus richtet, baut auf Anreizen zur Demokratisierung auf, indem sie Reformfortschritte mit Teilintegration und Teilhabe an den Gemeinschaftsprogrammen belohnt. Dabei wird die Unterstützung der Reformprozesse in diesen Ländern als Strategie zur Stabilisierung gesehen. All das gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Bedeutung Demokratie fördernder Aktivitäten externer Akteure und ganz besonders der EU zunehmende Bedeutung haben wird. Das hat mehrere Gründe: Erstens, sind viele der in der Nachbarschaftspolitik anvisierten Länder entweder keine Demokratien oder defekte Demokratien.51 Zweitens, übt das europäische Modell eine starke Anziehungskraft in seiner Nachbarschaft aus, d.h. das Interesse einer Kooperation oder Annäherung ist groß. Und drittens, ist für die EU die Sicherung von Demokratisierungen aufs Engste mit der Herausforderung der Stabilisierung ihrer Nachbarschaftsregionen und ihrem vitalen Interesse an der Wahrung von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand innerhalb der EU verknüpft. Sollte Demokratieförderung tatsächlich zunehmen, stellt sich die Frage nach den Strategien, Methoden, Mitteln und Ergebnissen einer solchen Politik, nach Handlung leitenden Ansätzen ebenso wie nach deren Evaluierung. Geben die jüngeren Erfahrungen eher Anlass zu Skepsis, oder liegt möglicherweise in einem Ansatz 49 Dafür wurden in der Politikwissenschaft verschiedene Begrifflichkeiten und Ansätze eingeführt: O’Donnell spricht von „delegative democracy“, Terry Lynn Karl von „hybrid regimes“, Diamond von „electoral democracies“ und „pseudodemocracies“, Zakaria von „illiberal democracies“, Merkel von „defekter Demokratie“. 50 Philippe C. Schmitter, „Democracy’s Future. More liberal, preliberal or postliberal?“, in: Journal of Democracy, 1/1995, S. 15-22, hier: S. 15 51 Bis auf Rumänien, Bulgarien und Kroatien sind diese Staaten als defekte Demokratien oder gar als Autokratien einzuordnen (Bertelsmann Transformation Index 2005, S. 63).
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äußerer Unterstützung ein Stabilisierungspotenzial? Und wo sind die Grenzen exogener Faktoren und Akteure? Dieses Interaktionsfeld zwischen sich demokratisierenden Ländern auf der einen Seite und externen Akteuren, speziell der EU, auf der anderen Seite, in dem sich diese Untersuchung bewegt, ist daher nicht nur im Zusammenhang mit der Süderweiterung interessant und durch die Osterweiterung aktuell. Diese Interaktion wird vielmehr auch künftig ein relevanter Aspekt sowohl der Demokratisierungsforschung als auch der europäischen Integrationspolitik sein. Der europäische Raum bietet ein „Forschungslaboratorium“, das sich der Wissenschaftler interessanter nicht wünschen könnte: zum einen, die erfolgreichen südeuropäischen Demokratisierungen; zum zweiten die Demokratisierungen Ostmitteleuropas; drittens Südosteuropa, wo zwei Länder (Rumänien und Bulgarien) 2007 Mitglied werden und Kroatien bereits verhandelt, anderen jedoch noch zweifellos schwierige Konsolidierungen bevorstehen; viertens schließlich die Türkei, die insofern einen „Sonderfall“ darstellt, da sie keine frisch etablierte Demokratie ist, gleichwohl aber einen Anpassungsprozess an die demokratischen Stands der EU vollziehen muss. Diese „Datenlage“ bietet den großen Vorteil, dass Europa mehrere Demokratisierungsschübe aufzuweisen hat und die EG/EU in alle involviert war bzw. ist. Damit drängt sich ein Vergleich der Politik der EG/EU gegenüber Süd- und Ostmitteleuropa auf, der auf Grund der unterschiedlichen Zeithorizonte und der verschiedenen Regionen zugleich voller Reize und Herausforderungen steckt. Der wirklich interessante Punkt aber ist, Aussagen treffen zu können, wie Strategie, Methode und Instrumentarium der EG/EU sich in jeweils unterschiedlichen Bedingungskontexten darstellen, wie sie sich möglicherweise verändern bei jeweils verschiedenen Demokratisierungsabläufen, wie effektiv sie jeweils sind, wie weit die Einflussmöglichkeiten jeweils gehen und wo die Grenzen liegen. Die Fokussierung gerade auch ungünstiger und komplizierter Bedingungskontexte gewinnt zusätzliche Relevanz angesichts der genaueren Betrachtung Südosteuropas, der sich die Demokratisierungsforschung künftig verstärkt zuzuwenden hat. Dieser Untersuchungsansatz gab das Untersuchungsdesign und die Fallbeispielauswahl vor. Die Überlegung war, einen wenig problematischen und einen problematischen Transitions- und Konsolidierungsverlauf auszuwählen und die Strategien, Methoden und Instrumente der EG/EU in Bezug auf diese unterschiedlichen Demokratisierungsverläufe zu vergleichen. Das Hinzuziehen eines problematischen Demokratisierungspfades empfiehlt sich durch das seit Mitte der 1990er Jahre deutlich gewordene Phänomen defekter Demokratien. Bezogen auf die Untersuchungsperspektive externer Einflüsse wirft dieses Phänomen schwieriger oder unvollendeter Demokratisierungen die Frage auf, was dies für externe Unterstützungsprozesse bedeutet, inwieweit externe Akteure Einflussmöglichkeiten haben und wie sie sie nutzen bzw. nutzen können. Auch vor diesem Hintergrund liegt es für diese Untersuchung nahe, sich für ein Untersuchungsdesign zu entscheiden, das zwei möglichst unterschiedliche Fälle betrachtet, also neben eine gelungene eine schwierige Demokratisierung zu stellen und zu analysieren, wie die EG/EU jeweils agiert. Benutzt wird daher ein „most different cases design“52. Von diesem Vergleich sind Aussagen zu erwarten, die man bei einem Vergleich ähnlich gelagerter Fälle nicht bekäme. Denn die Aussage- und Erkenntniskraft von Ergebnissen auf der Grundlage eines „most similar cases design“ ist begrenzt. So Przeworski/Teune: 52 Zu den beiden Methoden des most similar und des most different systems design siehe Przeworski, Adam/Teune, Henry, The Logic of Comparative Social Inquiry, Malabar 1982, insbes. S. 31-46
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„But even if we assume that some differences can be identified as determinants, the efficiency of this strategy [“most similar systems design” – MK] in providing knowledge that can be generalized is relatively limited.“53
Auch innerhalb der Demokratisierungsforschung wurde auf das Desiderat interregionaler Studien mit Hilfe des „most disimilar systems design“ hingewiesen: „Während intraregionale Transformationsstudien zu Südeuropa, Lateinamerika, Osteuropa, Ostasien bisher in großer Zahl erarbeitet wurden, muss in Zukunft interregionalen Vergleichen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Gerade solche „most disimilar system designs“ versprechen Erkenntnisse über die Kontextabhängigkeit bestimmter Demokratisierungspfade, die durch Regionalstudien nicht gewonnen werden können.“54
Die Würze dieser Untersuchung liegt darin, das Einflusspotential des externen Akteurs EG/EU bei zwei verschieden gelagerten Demokratisierungspfaden zu untersuchen. Das Kriterium der Fallauswahl ist daher, einerseits einen Systemwechsel auszuwählen mit einem relativ niedrigem Grad an Problemen, einer geradlinigen Transition und einer gelungenen Konsolidierung zu einer Demokratie mit funktionierenden demokratischen Institutionen und Verfahren und einer demokratischen politischen Kultur. Und andererseits galt es einen entsprechenden Kontrapunkt zu finden mit einer eher schwierigen Transition und einer verzögerten Konsolidierung sowie schwierigen Hintergrundkontexten (Staats- und Nationswerdungsprozess). Innerhalb Südeuropas war die Auswahl Spaniens nahe liegend, denn es handelte sich um eine modellhafte Transition, an die sich eine erfolgreiche Konsolidierung anschloss, so dass Spanien relativ bald als stabile Demokratie bewertet wurde. Außerdem galt die modellhafte spanische Transition für die Oppositionsbewegungen, die politische Elite als Referenzpunkt für die Transitionen in Ostmitteleuropa, auf den sie sich explizit bezogen haben. Die Analyse des spanischen Falls endet mit dem Beitritt zur EG 1986. Als Beispiel einer schwierigen Transition und Konsolidierung bot sich die Slowakei an. Die Entwicklung der Slowakei fiel aus dem Rahmen der konsolidierungsspezifischen Synchronität Ostmitteleuropas heraus. Nachdem sich bereits ihre Transition durch die Trennung der Tschechoslowakei verlängert hatte, behinderte der autoritäre und stark auf seine Person zugeschnittene Regierungsstil von Ministerpräsident Vladimir Meþiar eine Verfestigung der demokratischen Institutionen und Verfahren. Die Slowakei unter Meþiar (zwischen 1994 und 1998) fiel, was den Fortgang des Demokratisierungsprozesses anging, erkennbar zurück, weshalb sie als defekte Demokratie mit offenem Ausgang eingestuft wurde.55 Die Slowakei ist damit der einzige Fall einer defekten Demokratie in Ostmitteleuropa und bildet so aufgrund ihrer gegenläufigen, nämlich von demokratischen Rückfällen 53
Ebd., S. 34 Merkel, Wolfgang, „Transformation politischer Systeme“, in: Münkler, Herfried, (Hrsg.), Politikwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek 2003, S. 207-245, hier: S. 241 55 Vgl., ebd., S. 182; weiter ausgeführt in: Merkel, Wolfgang, „Defekte Demokratien“, in: Merkel, Wolfgang, Busch/Andreas, (Hrsg.), Demokratie in Ost und West, S, 361-382. Defekte Demokratien werden hier nach Merkel/Croissant definiert als Herrschaftssysteme, wo freie, geheime, gleiche und allgemeine Wahlen den Herrschaftszugang regeln, gleichzeitig aber die Funktion von Institutionen zur Sicherung grundlegender politischer und bürgerlicher Partizipations- und Freiheitsrechte, die horizontale Gewaltenkontrolle und –verschränkung und/oder die effektive Herrschaftsgewalt demokratisch legitimierter Autoritären eingeschränkt ist (Merkel, Wolfgang/Croissant, Aurel, Formale Institutionen und informale Regeln in defekten Demokratien, in: PVS, 1/2000: 330, hier: S. 4 54
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sowie Paralyse der Konsolidierung geprägten Entwicklung eine Ausnahmeerscheinung.56 Die Untersuchung des slowakischen Falls endet mit dem Beitritt zur EU 2004. Trotz dieser unterschiedlichen Demokratisierungsverläufe sind zentrale Variablen gleich, nämlich der externe Akteur: die EG/EU, der regionale Kontext sowie die grundsätzliche Stoßrichtung der außenpolitischen Justierung beider Länder, nämlich die Integration in die EG/EU. Und trotz der unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgangssituation der beiden Länder und den daraus folgenden unterschiedlichen Herausforderungen ergeben sich bei genaurem Blick einige nicht unwichtige Gemeinsamkeiten. So weisen, erstens, beide Länder demokratische Erfahrungen auf (Zweite Republik in Spanien 1931-1939, Erste Tschechoslowakische Republik 1918-1938), die beide zu einem gewissen Teil an den europäischen Mächten scheiterten. Zweitens, schleppten beide Länder ein über lange Zeit ungelöstes Nationalitätenproblem mit sich, das sich während der Demokratisierung als schwieriger Faktor herausstellte (die baskische und katalonische Forderung nach Autonomie; Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken im tschechoslowakischen Staat seit 1918 sowie die ungarische und Roma-Minderheit in der Slowakischen Republik). Diese Probleme wurden aber, drittens, in beiden Fällen friedlich und unblutig geregelt (Dezentralisierung; Teilung der Tschechoslowakei). Unterschiede ergeben sich vor allem bei der Ablösung der alten Regime: Während Spanien einen ausgehandelten Systemwechsel durchlief, wurde er in der Slowakei von unten erzwungen. Gemeinsam ist beiden aber wiederum die Tatsache, dass die erste Regierung der Transition aus Führungspersonal des vorhergehenden nicht-demokratischen Regimes bestand (Ministerpräsidenten Carlos Aris Navarro und Adolfo Suárez; Ministerpräsident Marian ýalfa für den tschechoslowakischen Föderalstaat, Vladimir Meþiar für den slowakischen Teil bzw. später für die selbständige Slowakei). Somit sind, geht man von Linz/Stepans Variablenbildung aus57, nicht alle Makro- und Mikrovariablen unterschiedlich. Die abhängige Variable, vollendete demokratische Transition und konsolidierte Demokratie, stimmt ebenfalls überein. Da sich die Studie in jenem beschriebenen Zwischenbereich von Demokratisierungsforschung und Europaforschung bewegt, muss sie interdisziplinär arbeiten. Will man der Rolle und der Bedeutung der externen Dimension bei Transformationsprozessen auf die Spur kommen, ist es ferner unumgänglich, Erkenntnisse aus dem Bereich der Theorie der Internationalen Beziehungen fruchtbar zu machen. Die strenge Trennung zwischen „Comparative Politics“ und „International Relations“ hat lange Zeit eine Entwicklung gemeinsamer Forschungsansätze und Theorien schwierig gemacht58. Dennoch erkennt Pridham für die Transformationsforschung Anzeichen für Brückenbildungen59, von denen er glaubt, dass sie keine Übergangserscheinungen sind, sondern möglicherweise ein permanentes 56
Vgl., dazu Kneuer, Marianne, “Der Aufbau der Demokratie in der Slowakei”, in: Bergsdorf, Wolfgang/Hoffmeister, Hans/Thumfart, Alexander/Wagner, Wolf (Hrsg.), Die Osterweiterung der Europäischen Union, Weimar 2005, S. 155-179 (2005a) sowie dies., “Transformation und Populismus. die Slowakei“, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 1/2005 (2005b), 87-114 57 Linz, Juan J./Stepan, Alfred, Problems of Democratic Transition and Consolidation.Southern Europe, South America and Post-Communist Europe, Baltimore, London 1996, S. XIVf. Siehe dazu detaillierter und im Zusammenhang mit der eigenen Variablenbildung Kap. II. 3. 58 Siehe dazu zum Beispiel die Kritik von Karl Kaiser, Transnationale Politik“, in: PVS, Sonderheft 1, 1969, S. 80109, S. 82f, weiteres dazu auch bei Kaiser, Karl, „Zwischen neuer Interdependenz und altem Nationalstaat – Vorschläge zur Re-Demokratisierung“, in: Weidenfeld, Werner, (Hrsg.), Demokratie am Wendepunkt. Die demokratische Frage als Projekt des 21. Jahrhunderts, Berlin 1996, S. 311-332 59 Zum Beispiel Hermann, C./Kegley, C./Rosenau, J., (Hrsg.), New Directions in the Study of Foreign Policy, Boston 1987
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Bemühen bleiben60. Die Studie bewegt sich – bewusst – „politikwissenschaftlich interdisziplinär“. Für die Transformationsforschung stellt sich ganz allgemein die Frage, ob die Verknüpfung der bisherigen Ergebnisse der Transformationsforschung mit den Erkenntnissen der Theorie der Internationalen Beziehungen nicht einen Impuls für die Theoriebildung bringen könnte. Zum anderen sollen der theoretische Ansatz und seine empirische Anwendung auch die beiden Paradigmen - Struktur- und Akteurstheoretie - der Transformationsforschung synthetisieren. In der Transformationstheorie hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass die unterschiedlichen Demokratisierungspfade seit dem Ende der kommunistischen Regime nur noch unzureichend mit strukturalistischen oder akteursorientierten Erklärungen erfasst werden können, sondern funktionalistische, handlungstheoretische, strukturalistische und kulturalistische Elementen miteinander verknüpfen werden sollten61. Dieser Erkenntnis folgt das Konzept dieser Studie. Die Untersuchung stützt sich auf verschiedene Quellen. Auf Grund der reduzierten Menge an empirischen Arbeiten zur Rolle der EG sowohl bei der spanischen als auch bei der slowakischen Demokratisierung war es unabdingbar und sehr hilfreich, direkte Informationen bei beteiligten Zeitzeugen abzufragen. Dazu wurde für jedes Land ein standardisierter Fragebogen entwickelt, auf dessen Grundlage Interviews durchgeführt wurden.62 Daneben wurden Primärquellen (Parlamentsdebatten, Reden, Dokumente der EG/EU) benutzt. Wichtig war für die Darstellung der Einstellung in der Bevölkerung das Hinzuziehen von demoskopischem Material. Die Daten der Central European Eurobarometer (CEEB) von 1990 bis 1997 wurden mir von der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Struktureinrichtungen e.V. (GESIS) überlassen. Die spanischen Umfragedaten kommen von dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut CIS, Madrid. Die slowakischen Umfragen wurden vom Institut pre verejné otázky, Bratislava, durchgeführt. Zudem wurden die Eurobarometer und Candidate Countries Eurobarometer (CCEB) benutzt. Auf Zeitungsartikel wurde nur begrenzt zurückgegriffen. Im Falle Spaniens hatte dies den Grund, dass die benutzten Quellen von Walter Haubrich, dem jahrzehntelangen Korrespondenten der FAZ, die Qualität von Zeitzeugenberichten haben.63 Die Frage nach den Zukunftsmöglichkeiten der Demokratie, so Bracher, sei derart vielschichtig und verschiedenartig, dass jede einfache und definitive Erklärung ausscheide.64 Eine maßgebliche Schicht bei Demokratisierungsprozessen – die Rolle externer Ak60
Vgl., Pridham, Geoffrey, „International Influences and Democratic Transition: Problems of Theory and Practice in Linkage Politics“, in: Pridham, Geoffrey, (Hrsg.), Encouraging Democracy: The International Context of Regime Transition in Southern Europe, London 1991, S. 2 (entspricht der Fassung ders., „Democratic Transition and the International Environment: A Research Agenda“, Occasional Paper No. 1 des Centre of Mediterranean Studies der Universität Bristol, vom Februar 1991, abgedruckt in: Pridham, Geoffrey, (Hrsg.), Transitions to Democracy. Comparative Perspectives from Southern Europe, Latin America and Eastern Europe, Aldershot et.al. 1995 61 Siehe dazu auch die Darstellung Wolfgang Merkels zur Theorieentwicklung in der Transformationsforschung „Theorien der Transformation: Die demokratische Konsolidierung postautoritärer Gesellschaften“, in: Beyme von, Klaus, Offe, Claus, (Hrsg.), Politische Theorie in der Ära der Transformation, PVS-Sonderheft, S. 30-59 sowie Merkels Plädoyer für einen synthetischen Ansatz „Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung“, in Merkel, Wolfgang, (Hrsg.), Systemwechsel 1. Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen 1994, S. 303-333 62 Siehe weitere Informationen zu den Interviews in der Bibliographie 63 Für alle Quellen und Texte gilt: Sie werden im Original zitiert, wenn es sich um englische oder französische Texte handelt. Die unterschiedliche Schreibweise bestimmter Wörter – etwa im britischen oder amerikanischen Englisch (democratization/democratisation) – wurden belassen. Textstellen in anderen Sprachen wurden von der Autorin selbst übertragen. 64 A.a.O., Bracher, 1981, S. 290
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teure – ist noch nicht bloßgelegt. Der komplexen Aufgabe, die Interaktion von externer und interner Dimension im Zuge von Demokratisierungsprozessen zu erfassen, kann sich daher nicht anders als in Schritten genähert werden. Diese Studie unternimmt den Schritt einer theoretischen Modellbildung, indem sie mit dem Analysekonzept ein Handwerkszeug zur Erfassung und Analyse der internationalen Dimension (Teil II) liefert. Dies stellt die Grundlage dar für die empirische Untersuchung der Politik der EG/EU gegenüber Spanien und der Slowakei dar (Teil III). Dabei liegt der Studie insofern ein normatives Verständnis zu Grunde, als die Errichtung und Konsolidierung von Demokratien betrachtet wird als „per se a desirable goal“ (O’Donnell/Schmitter). Im Lichte zahlreicher Demokratisierungsversuche, die nicht zu erfolgreichen Konsolidierungen geführt haben, verbindet sich dieses normative Verständnis mit der praktischen Frage nach dem Potenzial externer Unterstützung. Den Erfolg oder Misserfolg von Strategien, Methoden und Instrumenten zu prüfen und Gründe für die positive, negative oder ausbleibende Wirkung zu finden, stellt eine Herausforderung für die Demokratisierungsforschung dar. Die vielschichtige Frage nach den Zukunftsmöglichkeiten von Demokratien birgt als eine Facette die Frage nach den Zukunftsmöglichkeiten externer Demokratieförderung.
II
1
Entwicklung eines Konzeptes zur Analyse externer Faktoren
Prämissen, Hypothesen und Leitfragen
1.1 „Zeit-Dimension“ und „Raum-Dimension“ oder: Die Mehrdimensionalität von Demokratisierungsprozessen Mit dem Ende eines nicht-demokratischen Regimes beginnt ein Prozess, den vor allem zwei Charakteristika bestimmen: außergewöhnliche Unsicherheit und außergewöhnliche Dynamik. Auch wenn nach der Beendigung eines autoritären oder totalitären Regimes das erklärte Ziel darin besteht, eine Demokratie einzurichten, ist das Ergebnis doch offen und der Weg zu dem angestrebten Ziel mitnichten klar festgelegt. Letztlich ist es der Weg zu einem „uncertain ‚something else‘“1. Unabhängig von der Entwicklung der Demokratisierungsbestrebungen und ihrem Ergebnis hält dieser Weg, der mit dem Ende des nichtdemokratischen Regimes eingeläutet wird, eine ungeheure Dynamik bereit, nicht nur in Bezug auf schnell abfolgende oder sich überschlagende Aktivitäten und Ereignisse. Ein ganzes System – und dazu eines, das unter den vorherigen Herrschaftsbedingungen zur Statik und Unbeweglichkeit verdammt war – gerät auf allen Ebenen in Bewegung: sei es das politische Führungspersonal, die politischen Institutionen, die Wirtschaftsstruktur oder die wirtschaftlichen Eliten, die Gesellschaftsstruktur und ihre Eliten und nicht zuletzt die Bürger. Grundlage für die Betrachtung von Demokratisierungsprozessen ist das Phasenmodell, mit dem der Gesamtprozess in drei Phasen untergliedert wird: Das Ende des autokratischen Regimes, die Transition und die Konsolidierung. Transitionen sind somit einerseits begrenzt durch die Auflösung des autokratischen Systems und andererseits durch die Installation „of some form of democracy“.2 In Bezug auf die erste Phase interessieren vor allem die Ursachen für das Ende des nicht-demokratischen Regimes und die Verlaufsform seiner Ablösung.3 Der entscheidende Schritt zur Demokratie findet dann statt, wenn die Regeln, Strukturen und Verfahren der alten, autokratischen Herrschaft durch neue demokratische ersetzt werden. In dieser Übergangssituation – Transition – werden die neuen demokratischen Institutionen etabliert, und hierbei richtet die Forschung ihr Interesse auf die Frage, wie sich die Akteure und aus welchen Motiven für welche Institutionenordnung entscheiden und sie einsetzen. Während sich diese beiden ersten Phasen relativ gut abgrenzen lassen, ist bei der dritten Phase, der Konsolidierung, vor allem Umfang und Ende schwer zu fassen. Die Konsolidierungsforschung hat hier bereits wichtige Differenzierungen vorgenommen4, dennoch erweist sich die Festlegung von Kriterien und Inhalten („Quality of 1
A.a.O., O‘Donnell/Schmitter, Bd. 5, S. 3 Ebd., S. 6 3 Vgl., dazu a.a.O., Merkel, 1999, S. 123ff 4 Siehe etwa Schedlers Konzepte von Avoiding Democratic Breakdown, Avoiding Democratic Erosion, Completing, Deepening, Organizing Democracy (a.a.O., Schedler) oder Pridhams Unterscheidung in negative und positive 2
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Democracy“), Bedingungs- und Erfolgsfaktoren in dieser Phase weiterhin als schwierigste Aufgabe.5 Insgesamt sprechen O’Donnell und Schmitter von Unordnung während des Systemwechsels. In der Tat muss das in Bewegung oder Unordnung geratene System neu geordnet werden. Das Land, das sich zu demokratischen Ufern aufmacht, befindet sich aber mitnichten in einer tabula rasa-Situation, es ist eingebunden in eine, wenn man so will, ZeitRaum-Dimension. Mit Zeitdimension ist gemeint, dass ein Land nicht abgekoppelt ist von seiner historischen Entwicklung. „Neu-Ordnung“ heißt deshalb zum einen das Sich-Stellen zu seiner direkten, undemokratischen Vergangenheit und zum anderen das Einbeziehen der weiter davor liegenden, möglicherweise demokratischen Vergangenheit (Weimarer Republik in Deutschland, Zweite Republik in Spanien, Erste Tschechoslowakische Republik). Dieser Perspektive ist zunehmend Rechnung getragen worden in den Studien der Transitionsforschung. So weisen O’Donnell/Schmitter auf die präautoritäre Erbschaft hin6. Geoffrey Pridham unterstreicht die Bedeutung der historischen Perspektive für den Regimewechsel, die er für vernachlässigt hält. Das vorhergehende Regime ordnet er ein als „important determinant, helping to shape the transition pathway“7. Dabei geht es um „Erbschaften“ für die Demokratie, die bei lange andauernden Diktaturen die nationale politische Kultur prägen können. Dies ist auf das der Demokratie vorhergehende autokratische Regime zu beziehen, aber nach Morlino durchaus auch auf präautoritäre Erbschaften, wie die Kontinuität bestimmter Institutionen (z.B. Parteien, Gewerkschaften) eines früheren demokratischen Systems. So können vorhergehende demokratische Erfahrungen die neuen demokratischen Arrangements tief beeinflussen, auch in der Form historischer Erinnerung der Menschen.8 In zwei jüngeren Arbeiten, von Linz/Stepan und von Merkel, wird diese Zeitkomponente ebenfalls einbezogen: bei ersteren als Variable und bei letzterem als Teil eines Kontinuums. Diese beiden Ansätze repräsentieren zwei Herangehensweisen: einerseits das Kontinuum-Schema und andererseits die von Linz/Stepan vertretene Typologie. In der Typologie von Linz/Stepan wird der Charakter des vorhergehenden Regimes als eine der beiden unabhängigen Makro-Variablen definiert9 und seine Implikationen für die Transitionspfade und die Konsolidierungsaufgaben untersucht10. Linz/Stepan rechnen der Natur des vorhergegangenen, nichtdemokratischen Regimes eine wichtige Erklärungskraft für Erfolg oder Scheitern der demokratischen Transition und Konsolidierung zu. „…it should be clear that the characteristics of the previous democratic regime have profound implications for the
Konsolidierung (Pridham, Geoffrey, „The International Context of Democratic Consolidation: Southern Europe in Comparative Perspective“, in: Gunther, Richard/Diamandouros, P. Nikiforos/Puhle, Hans-Jürgen, (Hrsg.), The Politics of Democratic Consolidation. Southern Europe in Comparative Perspective, Baltimore, London 1995, S. 166-204) sowie die drei Dimensionen von Konsolidierung von Linz und Stepan (a.a.O., Linz, Juan J./Stepan, Alfred, S. 5ff) bzw. die darauf aufbauenden vier Dimensionen von Merkel (a.a.O., 1999, 143ff). 5 Auf die Phaseneinteilungen wird in den empirischen Untersuchungen ausführlich eingegangen. 6 Vgl., ebd., S. 21ff 7 A.a.O., Pridham, 1994, S. 17 8 Vgl., Morlino, Leonardo, “Democratic Establishments: a Dimensional Analysis”, in: Baloyra, Enrique A., (Hrsg.), Comparing new democracies: transition and consolidation in Mediterranean Europe and the southern cone, Boulder/London 1987, S. 53-79, hier: S. 66 9 Die zweite Makrovariable ist Staatlichkeit. Siehe dazu die Ausführungen weiter unten. 10 Vgl., a.a.O., Linz, Stepan, S. XIV und 55ff
1 Prämissen, Hypothesen, Leitfragen
33
transition paths available and the tasks different countries face when they begin their struggles to develop consolidated democracies.” 11 Die Natur des vorhergehenden Regimes ist deswegen relevant, da bestimmte Faktoren für Start und Beginn der Transition sowie Faktoren für Vollendung der Transition und Konsolidierung anders ausgeprägt sind, je nach dem, ob es sich um ein autoritäres, ein totalitäres, ein posttotalitäres oder ein sultanistisches Regimes handelte.12 So argumentieren Linz und Stepan, dass ein autoritäres Regime in seinem letzten Stadium eine „robuste Zivilgesellschaft“ aufweisen könne, eine Rechtskultur, die Konstitutionalismus und Rechtsstaatlichkeit unterstützen könne, eine brauchbare Bürokratie, die innerhalb professioneller Normen funktioniere und eine leidlich gut institutionalisierte Wirtschaftsgesellschaft. Für solch eine polity sei dann der erste und einzig notwendige Punkt für die anfängliche Demokratisierung eine politische Gesellschaft, das heißt die Schaffung von Autonomie, Autorität, Macht und Legitimität der politischen Institutionen.13 Auch in Merkels Kontinuum-Schema wird dem vorhergehenden Regime ein eigener Platz eingeräumt. Linz/Stepan folgend betrachtet er insbesondere die Dauer und die besonderen Merkmale des autoritären oder totalitären Regimes als Faktoren -, die „Einfluß auf die Institutionalisierungs-, insbesondere aber auf die Konsolidierungsphase der Demokratie haben“.14 Merkel/Puhle bezeichnen die Charakteristika der autokratischen Regime als wichtiges Faktorenbündel. Konkret nennen sie Dauer, Organisation, institutionelle Verankerung, Träger und Legitimationsmechanismen, Zusammensetzung der Eliten und Grad der Massenmobilisierung einerseits und Repression und Kontrolle andererseits.15 Dazu ergänzt Merkel ebenfalls die „vorautokratischen Demokratieerfahrungen“16. Beide Aspekte zählen nicht zum Systemwechsel selbst, „aber sie haben unter Umständen einen wichtigen Einfluss auf die Chancen, Probleme und den Zeitablauf des gesamten Demokratisierungsprozesses“17. Dies findet in dem Kontinuum-Schema seinen Niederschlag (siehe Abb. 1). „So kann es von Bedeutung sein, ob die neuen Demokratien auf demokratische Erfahrungen im eigenen Land zurückgreifen können oder nicht. Falls ein Land schon einmal demokratisch regiert wurde, kann die neue Demokratie auf die alten demokratischen Eliten, auf institutionelle Erfahrungen oder gar alte zivilgesellschaftliche Kulturen zurückgreifen.“18
11 Ebd., S. 55; siehe auch Linz, Juan J./Stepan, Alfred/Gunther, Richard, “Democratic Transition and Consolidation in Southern Europe, with Reflections on Latin America and Eastern Europe”, in: Gunther, Richard/Diamandouros, P. Nikiforos/Puhle, Hans-Jürgen, (Hrsg.), The Politics of Democratic Consolidation. Southern Europe in Comparative Perspective, Baltimore/London 1995, S. 77-124, hier: S. 77 12 Linz als derjenige, der die klassische Typologie demokratischer, autoritärer und totalitärer Regime generiert hat (siehe „Totalitarian and Authoritarian Regimes“ in: Greenstein, Fred I./Polsby, Nelson W., (Hrsg.), Handbook of Political Science, Reading 1975, Bd. 3, S. 175-411) erweitert diese Typologie um die analytische Unterscheidung zwischen totalitärem und post-totalitärem Regime, wobei Linz/Stepan letzteres nicht als Subtyp von Autoritarismus auffassen, sondern als eigenen Idealtyp. Vgl., a.a.O. Linz/Stepan, S. 40f, hier bes. 41 und Fußnote 9. Die „defining characteristics“ sind demnach Pluralismus, Ideologie, Führung und Mobilisierung. Die Charakterisierung posttotalitärer Regimes wird relevant bei der Untersuchung der Slowakei. 13 Vgl., a.a.O., Linz/Stepan, S. 55 14 A.a.O., Merkel, 1999, S. 121 15 A.a.O., Merkel/Puhle, S. 77 16 A.a.O., Merkel, 1999, S. 120 17 Ebd., S. 121 18 Ebd.
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Abbildung 1:
Kontinuum-Modell nach Merkel (1999, S. 122)
Autokratische Struktur
Vorautokratische Demokratieerfahrungen
Art und Dauer des autokratischen Regimes
Ende des autokratischen Systems
Verlauf der Transition Krise Instabilität des AS Machtteilung Machtaufgabe Kollaps
Institutionalisierung der Demokratie
Herausbildung demokratischer SystemStrukturierung: -VerfassungsOrgane -Territoriale Repräsentation (Parteien) -Funktionale Repräsentation (Verbände)
Konsolidierung der Demokratie
-Verfassung -Intermediäre Strukturen -Integration „informeller“ politischer Akteure -Konsolidierung einer Staatsbürgerkultur
Konsolidierte Demokratie
Transition
Analog zu der Zeitdimension lässt sich auch eine Raumdimension annehmen. Damit ist gemeint, dass ein im Übergang zur Demokratie befindliches Land nicht zusammenhanglos und isoliert dasteht und sich entwickelt: „A state in transit to democracy is not alone“19. Es steht in einem außerstaatlichen Kontext, angefangen bei der direkten Nachbarschaft, über die regionale und/oder subregionale bis hin zur internationalen Ebene. Diese externen Strukturen wurden bislang als Faktor für die Demokratisierung, im Sinne ihres potentiellen Einflusses auf die Chancen, Probleme und den Ablauf des Demokratisierungsprozesses nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Eine Form von Raumkomponente enthält der Ansatz von Linz/Stepan, nämlich durch die Makrovariable Staatlichkeit. Völlig zu Recht bezeichnen sie die Staatlichkeit als „untheorized variable“ und erörtern ausführlich ihre Bedeutung für die demokratische Konsolidierung im Hinblick darauf, wo Staatlichkeitsprobleme auftreten und wann Staatlichkeit als stützende Bedingung für die Konsolidierung gelten kann. Idealerweise würde eine Kongruenz zwischen polity und demos die Schaffung eines demokratischen Nationalstaates erleichtern. Diese Kongruenz eliminiere alle Staatlichkeitsprobleme und könne deshalb als „supportive for democratic consolidation“ betrachtet werden20. Die Bedeutung von Staatlichkeit bzw. Staatlichkeitsproblemen hat sich in zunehmend dramatischer Weise gezeigt. Standen Linz/Stepan bei der Formulierung dieser Variable die Beispiele der post-sozialistischen Staaten (Tschechoslowakei, Sowjetunion) und somit der Zerfall von Staatengebilden in Einzelstaaten vor Augen, so hat das Phänomen der „failed states“ in den zehn Jahren seither der Erkenntnis, dass eine Kausalität zwi-
19 Segal, Gerald, „International Relations and Democratic Transition“, in: a.a.O., Pridham, 1991, S. 31-45, hier: S. 31 20 Vgl., a.a.O., Linz/Stepan, S. 16 und 25
1 Prämissen, Hypothesen, Leitfragen
35
schen der Schwierigkeit bzw. dem Scheitern von Demokratie einerseits und dem Staatlichkeitsaspekt andererseits besteht, eine zusätzliche Dimension gegeben. Den logischen Schritt, den in seiner grundlegenden Bedingung von Territorialität, polity und demos dargestellten Staat in einen weiteren „räumlichen“ Kontext zu stellen, als Teil einer Region oder Subregion, in seiner internationalen Interdependenz, gehen Linz/Stepan nicht. Dies steht repräsentativ für die meisten empirischen Untersuchungen der Transitionsforschung oder ihre theoretischen Ansätze. Der Staat wird als geschlossenes und mehr oder weniger isoliertes System betrachtet. Und selbst wenn internationale Einflüsse in einer sehr allgemeinen und diffusen Art angenommen werden – bei Linz/Stepan etwa als Außenpolitik, Zeitgeist und Diffusion – dann unterbleibt nicht nur eine hinreichende systematische Strukturierung und Einordnung, sondern auch die Interpretation der Funktionsweise. Die Crux liegt darin, dass diese „Billard-Ball“-Betrachtung keinen Ansatzpunkt bietet, die Dimension außerhalb des nationalstaatlichen Systems einzubeziehen. Die Interaktion zwischen dem nationalen System und dem internationalen Umfeld und die daraus folgenden möglichen Wirkungen auf den Demokratisierungsprozess können erst gar nicht in das Blickfeld genommen werden und verschließen sich von vorne herein einem Erklärungsansatz. Ein Perspektivenwechsel ist daher gefordert. Der Ausgangspunkt ist der Staat, in dem Sinne, wie auch Linz/Stepan in der Staatlichkeit eine Vorbedingung für die Entwicklung eines demokratischen Systems sehen („modern democracy governance is inevitably linked to stateness“21). Der Staat als politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches System befindet sich aber in einem Kontext, und dieses Faktum bleibt zumeist unberücksichtigt. Auf der Grundlage des Merkel’schen Schemas lässt sich diese externe Dimension folgendermaßen ergänzen (siehe Abb. 2). Nach diesem Schema gibt es also, grob gesagt, ein politisches System, das in eine zeitliche Dimension (vorautoritäre, autoritäre, Ende des autoritären Systems, Transition, Konsolidierung) und in eine externe Dimension gestellt ist, die weiter aufzuschlüsseln ist, was an einer späteren Stelle geschehen wird. Dieses Schema gibt die Grundannahme wieder, von der die weiteren Überlegungen geleitet werden: Es gibt eine externe Dimension bei Demokratisierungsprozessen, die mit dem nationalen System interagiert. Das hier noch sehr rudimentäre Schema wird sukzessive konkretisiert werden.
21
Ebd., S. 28
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Abbildung 2:
Analysemodell mit externer Dimension auf der Grundlage des MerkelKontinuums
Externe Dimension
Vorautokratische Demokratieerfahrungen
Nicht demokratisches System
Ende des nichdemokratischen Systems
Transition: Institutionalsierung der Demokratie
Konsolidierung der Demokratie
Konsolidierte Demokratie
1.2 Hypothesen Prämisse: Der Transformationsprozess ist als eine Sondersituation anzusehen. Bei der Demokratisierung handelt es sich um eine Sondersituation für das internationale Umfeld ebenso wie für das nationale System. Die prinzipielle Offenheit des Systemwechsels und die spezifischen Bedingungen dieses Intervalls zwischen abgelöstem alten Regime und konsolidiertem neuen Regime erlauben es, von einer „Sondersituation“ für das jeweilige Land zu sprechen. Diese Sondersituation besteht darin, dass das bisherige politische, wirtschaftliche und möglicherweise auch gesellschaftliche System sich in einem umfassenden Reformprozess befinden, dessen Verlauf und dessen Ergebnis offen sind. Weiterhin sind sie von einer besonderen Dynamik und einer eigenen Gesetzmäßigkeit geprägt. Die Sondersituation beinhaltet die variierende Intensität externer Einflüsse (auch innerhalb einer Phase), eher wenig fest gefügte Handlungsmuster und möglicherweise wechselnde Positionen und Handlungen der Akteure – interner und externer -. Die Karten können immer wieder neu gemischt werden; Diskontinuitäten und Wechselhaftigkeiten, Phasen von Stillstand oder Paralyse und von wiederum enormer Dynamik, noch nicht in festen Bahnen verlaufende und eingeübte Meinungsbildungs- und Entscheidungsabläufe etwa machen dabei den Charakter dieser Sondersituation aus, sagen jedoch noch nichts über Erfolg oder Nichterfolg des Vorgehens aus. Auch für das internationale Umfeld sind der Zusammenbruch eines Regimes und der Neubeginn eine Sondersituation. Die externen Akteure – ob Staaten, regionale oder internationale Organisationen und Institutionen – müssen sich auf die veränderte Situation einstellen und Strategien oder Konzepte entwickeln. Dabei liegen Fragen nach den Interessenlagen, Kosten-Nutzenkalküls etc. zu Grunde.
1 Prämissen, Hypothesen, Leitfragen
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Aus der Prämisse leiten sich folgende Hypothesen ab: 1. Hypothese: Das Transformationsland besitzt eine erhöhte Permeabilität. Die beschriebene Sondersituation macht ein Transformationsland in besonderem Maße empfänglich für Außeneinflüsse. Die Offenheit und Ungewissheit über den Verlauf der Transformation lenken die Aufmerksamkeit auf allen Ebenen (bisherige Partner, Nachbarn, internationale Organisationen etc.) auf das betroffene Land. Spekulationen, taktische Überlegungen, Strategieentwicklung, verstärkte diplomatische – offizielle und inoffizielle – Betätigung, gelingende oder misslingende Abstimmung internationaler Akteure, veränderte Interessenlagen – das sind alles Aspekte, die das Handeln externer Akteure betreffen. 2. Hypothese: Eine Aufgabe der neuen politischen Elite in einem Transformationsland ist die Einbettung in die externe Dimension. Für die neue politische Elite des Transformationslandes stellen sich zentrale Aufgaben, die mit der Einbettung in das externe Umfeld verbunden sind. Diese außenpolitische Neuorientierung bezieht sich auf die bilaterale, die regionale sowie auf die internationale Ebene. Wird die Außenpolitik des vorhergehenden Regimes weitergeführt? Oder – weitaus wahrscheinlicher – wird mit bestehenden außenpolitischen Koordinaten gebrochen und eine neue Ausrichtung vorgenommen? Dabei kann es um die Neuordnung der nachbarschaftlichen Beziehungen gehen, die Bereinigung von außenpolitischen Altlasten wie Versöhnung mit Nachbarn, um die Aufnahme oder Neuausrichtung der Beziehungen zu regionalen Organisationen wie OECD, Europarat, EU bzw. zu internationalen Organisationen wie IWF, Weltbank, NATO. Des Weiteren ist es wesentlich für jedes Transformationsland, schnelle finanzielle Hilfe und Kredite und wirtschaftliche Unterstützung zu bekommen, die Handelsbeziehungen zu verbessern (Öffnung der Märkte) und ausländische Investoren ins Land zu holen. Aus diesen, aber auch aus politischen Gründen besteht daher die Notwendigkeit internationaler Anerkennung, die Glaubwürdigkeit des Demokratisierungswillens unter Beweis zu stellen und Unterstützung für die vollzogene außenpolitische Neuorientierung zu finden. Schließlich kann es auch Fälle geben, bei denen auch andere als finanzielle Hilfe notwendig ist, wie etwa die Installierung von Friedenstruppen oder Vermittlung durch die internationale Staatengemeinschaft etc. 3. Hypothese: Die erhöhte Permeabilität des Transformationslandes erhöht auch das Steuerungspotential externer Akteure. Die als offen und erhöht permeabel charakterisierte Sondersituation des Transformationslandes führt zu der Vermutung, dass das Beeinflussungspotential externer Akteure oder Faktoren ebenfalls erhöht ist. Es fragt sich, ob nicht ohnehin das Verhältnis und der Grad der Einflüsse ad intra und ad extra asymmetrisch sind, in dem Sinne, dass in Transformationsländern externe Einflüsse stärker auf interne Entscheidungsprozesse, Akteure und Strukturen einwirken als output des Landes nach außen. Daher gewinnt die Frage nach dem Beeinflussungspotential, ja nach dem Steuerungspotential externer Akteure und Faktoren bei Demokratisierungsprozessen an Relevanz. 4. Hypothese: Demokratieförderung stellt einen speziellen Fall externer Steuerung dar. Das Steuerungspotential externer Akteure kann einen positiven Effekt auf den Demokratisierungsprozess haben, oder anders gesagt: Die Steuerungsmöglichkeiten können zur Un-
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
terstützung der Demokratisierung eingesetzt werden. Die Wirkung kann dabei - grundsätzlich gesprochen - eufunktional, dysfunktional oder non-funktional sein22. Non-funktional würde bedeuten, die von außen kommenden Anreize bleiben gänzlich ohne Wirkung, weder negativ noch positiv. Dysfunktionale Wirkungen wären destabilisierend, eufunktionale Wirkungen stabilisierend für die Demokratisierung. 5. Hypothese: Regionaler Kontext und regionale Akteure sind relevantere Einflussgrößen auf den Demokratisierungsprozess als bilaterale oder globale. Das Gewicht möglicher externer Einflussfaktoren differiert. Der regionale Kontext und regionale Akteure haben eine andere Bedeutung als der bilaterale oder internationale Kontext und bilaterale oder internationale Akteure. Hier spielen gleichzeitig ablaufende und zunehmende Verflechtung- und Verdichtungsprozesse – sowohl „Globalisierung“ als auch Regionalisierung – insofern eine Rolle, als der Druck auf nationale Staaten für Kooperation zunimmt und Vernetzung quasi obligatorisch wird, sei es in wirtschaftlicher oder verteidigungspolitischer etc. Hinsicht. Das Anstreben der Mitgliedschaft in einer regionalen Organisation kann eine wichtige Option für das Transformationsland sein. Gleichermaßen kann es wichtige Gründe für eine Regionalorganisation geben, einem Transformationsland die Mitgliedschaft anzubieten. 6. Hypothese: Integration kann eine Strategie der Demokratieförderung sein im Sinne von Demokratisierung qua Integration. Treffen Demokratie fördernde Motive von Seiten des externen Akteurs und die Möglichkeit eines Angebots regionaler Kooperation oder Integration einerseits und der Wunsch von Demokratisierung und der Aufnahme in die EG/EU zusammen, so stellt dies eine günstige, vielleicht die günstigste externe Bedingung und einen wichtigen Faktor für einen erfolgreichen Demokratisierungsprozess dar. 1.3 Leitfragen Zur empirischen Prüfung der Hypothesen bedarf es eines entsprechenden Handwerkszeugs: eines theoretischen Konzeptes, das es erlaubt, anhand von Variablen der Interaktion von externen und internen Faktoren bei Demokratisierungsprozessen auf die Spur zu kommen. Die empirische Untersuchung verlangt ein Schema oder Raster, mit dem die Mechanismen dieser Interaktion erklärt werden können. Die Entwicklung des Konzeptes und des Untersuchungsrasters wird von folgenden Fragen geleitet: 1. Wie lässt sich die externe Dimension strukturieren und differenzieren? Welche Akteure, welche Hintergrundvariablen, welche Strukturen umfasst sie? (ĺ Struktur der externen Dimension) 2. Welches sind die Motive und Strategien, die Mittel und Methoden externer Akteure? (ĺ Motive und Ziele, Strategien und Mittel externer Akteure)
22 Siehe dazu die in diesem Zusammenhang interessanten Überlegungen von Sandschneider zu einem zyklischen Transformationsmodell, a.a.O., S. 135ff
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3. Worauf kann sich der externe Einfluss richten (auf interne Strukturen, auf die institutionellen Abläufe, auf die Entscheidungsfindung, auf welche Akteure)? (ĺ Adressaten der externen Dimension) 4. Wie werden externe Einflüsse im Transformationsland aufgenommen? Wie werden Anreize, Maßnahmen, Handlungen von den internen Akteuren, Institutionen, Organisationen etc. umgesetzt? (ĺ Rezeption des externen Einflusses im nationalen System) 5. Können externe Einflüsse, können externe Akteure zur Stabilisierung und Stützung des Transformations- und Konsolidierungsprozesses und damit zur Förderung der Demokratisierung im Transformationsland beitragen? Und in welchem Ausmaß? (ĺ Ergebnis externer Einflüsse) 6. Lässt sich aus dem Zusammenspiel von exogenem Input und endogenem Output eine Handlungsempfehlung für die verschiedenen Akteure ableiten? Wo liegen Risiken und Chancen externer Einflussnahme? Wo liegen ihre Grenzen? (ĺ Anwendbarkeit) 7. Welche Lehren lassen sich aus dem Gelingen oder Misslingen von Transitionen und Konsolidierungen formulieren hinsichtlich externer Einflüsse, der Auswahl von Strategien und Instrumenten durch externe Akteure? (ĺ Anwendbarkeit) Die ersten beiden Leitfragen sind deskriptiv-explizierender Natur, die dritte und vierte Leitfrage sind qualifizierend-bewertend, und die letzten beiden Fragen zielen auf die politisch-praktische Anwendung. Die Fragen sind erkennbar bereits so gestellt, dass bereits ab der ersten Frage eine Konkretisierung auf einen Akteur (wie etwa die EG/EU, die USA, der IWF oder eine politische Stiftung etc.) möglich ist. Damit ist die angestrebte konzeptionelle Breite ebenso gegeben wie die entsprechende Konkretion anhand der Fragen. Zudem kann der Fragenkatalog auf jede Transformationsphase einzeln angewandt werden, das heißt, er kann auch zur Analyse lediglich einer Phase benutzt werden bzw. jede Phase kann getrennt betrachtet werden. 2
Interaktion von interner und externer Dimension: Forschungslinien
Der vorgenommene Perspektivenwechsel erfordert die Einbeziehung der äußeren Aspekte von Demokratisierungen. Hier ist eine Lücke in den bisherigen Ansätze und empirischen Studien auszumachen. Die Transformationsforschung muss sich dazu der Lehre der Internationalen Beziehungen öffnen. Im Folgenden wird nun der Theoriebereich der Internationalen Beziehungen und auch der Transitions- und Konsolidierungsforschung – daraufhin betrachtet, ob sich Elemente und Erkenntnisse herausfiltern lassen, die nutzbar gemacht werden können für eine theoretische Grundlage der Untersuchung und damit für ein Konzept zur Erfassung der externen Dimension sowie der Interaktion zwischen diesen äußeren und inneren Aspekte von Demokratisierungsprozessen.
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2.1 Innere und äußere Aspekte – ein Blick auf die Forschung der Internationalen Beziehungen2. Forschungslinien Diese Untersuchung fokussiert den Nexus zwischen Innenpolitik und Außenpolitik, jenes „zentrale Mysterium“ (David Vital) zwischen inneren und äußeren Aspekten. Gegenstand des Interesses sind die Einwirkungen, die von außerhalb aus dem internationalen Umfeld auf den Nationalstaat treffen, auf seine Teilsysteme (Politik, Wirtschaft etc.) und deren Akteure einwirken und entsprechendes Handeln der politischen Elite hervorrufen, das kann auf außen- und innenpolitischer Ebene sein. Die Bedingungen für das außenpolitische Handeln wurden bzw. werden durch vornehmlich drei Phänomene neu bestimmt: Zum einen durch die so genannte „Globalisierung“, sprich die zunehmende Verflechtung und Interdependenz von Politik, Wirtschaft, Kultur etc., zum zweiten durch die Regionalisierung, wodurch neue wirtschaftliche und politische Einheiten entstanden sind (EU, NAFTA, Mercosur) oder noch im Entstehen begriffen sind (Asean) und schließlich durch die Herausbildung der komplexen, multipolaren Mehrebenenstruktur, die nach dem Ende der bipolaren Blocksituation des Kalten Krieges die weltpolitische Situation prägt. Aber nicht nur die politische Praxis wird durch die Komplexität der heutigen Strukturen herausgefordert. Der politikwissenschaftlichen Theorie geht es ebenso; sie braucht „neue Theorieansätze und Betrachtungsweisen“, „denn die internationalen Beziehungen bilden ein vielschichtiges Interaktionsmuster“23. Im Zuge dieser Neubeschreibung kristallisierten sich insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Antagonismus zwei Erkenntnisse heraus: 1. 2.
Die traditionelle analytische Trennung von Außen- und Innenpolitik ist obsolet. Die staatszentrierte Sicht der realistischen Schule hat an Gültigkeit verloren. Komplexe Analyseansätze sind verlangt, die der Tatsache Rechnung tragen, „daß sich die auswärtigen Beziehungen nicht mehr auf die Analyse des Staatshandelns beschränken.“24
Die Frage, ob eine Perspektive, die innere von äußeren Politikprozessen trennt, jemals auch vor dem Ende der bipolaren Situation – plausibel und erklärungskräftig war, kann hier nicht beantwortet werden, freilich aber mit einigem Zweifel belegt werden. Interessant ist aber, dass die beiden genannten Erkenntnisse mitnichten neu sind. Bereits in den 1960er Jahren gab es substantielle Kritik an dem „überlieferte(n) Idealtypus“25 sowohl des Staatals-Akteur-Ansatzes als auch an der strikten Trennung von Innen- und Außenpolitik bzw. der Disziplinen Comparative Politics und International Relations. Theoretiker der Internationalen Beziehungen entwickelten Modelle, die einerseits von einer verschwimmenden Grenze von Außen- und Innenpolitik ausgingen und die Interaktion zwischen beiden Sphären zu erklären versuchten. Andererseits setzte man in Ablehnung der Theorie des Staates als wichtigster außenpolitischer Aktionseinheit andere Konzepte entgegen, die die Vielzahl der Akteure und die Komplexität der Interaktionsstrukturen betonen.
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Lemke, Christiane, Internationale Beziehungen. Grundkonzepte, Theorien und Problemfelder, München/Wien 2000, S. 3 24 Ebd., S. 104 25 Meyers, Reinhard, Weltpolitik in Grundbegriffen, Bd. I: Ein lehr- und ideengeschichtlicher Grundriß, Düsseldorf 1979, S. 266
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So klingt das folgende Zitat sehr aktuell, tatsächlich aber datiert es von 1966. „Foreign and domestic policy in developed Western systems constitutes today a seamless web. The former sharp division which expressed itself in such principles as the primacy of foreign over domestic policy is no longer tenable and has not been for some time. These principles, never fully operative, were not merely descriptive but contained expedient normative propositions; now they have become utopian.“26
Carl J. Friedrich steht hier stellvertretend für eine deutliche Unzufriedenheit unter einer Reihe von Theoretikern der Internationalen Politik über die Erkenntnisenge, die aus der traditionellen Perspektive resultiert. Für James N. Rosenau ist die strenge Trennung zwischen nationaler und internationaler Politik ein konzeptionelles Problem, das die Entwicklung allgemeiner Theorien über Außenverhalten verhindere.27 Die Multidimensionalität des internationalen Systems, so Karl Kaiser im selben Sinne, bedürfe komplexer Theorierahmen und Methoden. Das „um die Trennung von nationaler und internationaler Politik konstruierte theoretische und methodische Gehäuse (ist) nicht mehr adäquat“. Das Interesse müsse sich – im Gegensatz zur älteren Staatstheorie - auf die „Interaktionsprozesse richten, die die nationalstaatlichen Grenzen überschreiten“ 28. Die Unterscheidung in nationaler und internationaler Politik rühre am Problem der Abkapselung zweier theoretischer Bereiche und vernachlässige relevante gesellschaftliche Veränderungen. Diese Veränderungen bestanden darin, dass die formalen Beziehungen zwischen Regierungen ergänzt wurden durch eine zunehmende Zahl an, erstens, informellen Beziehungen und, zweitens, an nationalen und internationalen Akteuren des Nichtregierungsbereiches. Das traditionelle Verständnis von Souveränität - insofern also auch das autonome Bestimmen der Außenbeziehungen – wurde in Frage gestellt. Dazu kam die Erkenntnis, dass technologische Fortschritte den hoheitlichen Territorialstaat „permeabel“ machten. Die eingängige Metapher des „Billardball-Modells“ von Arnold Wolfers verdeutlichte, dass der „state-as-the-sole-actor“ nicht mehr der Realität entsprach. Danach wäre der Staat „a closed, impermeable and sovereign unit, completely separated from all other states“.29 Tatsächlich aber, so Wolfers - bereits Mitte der 1950er -, seien Staaten keine monolithischen Blöcke (nur die totalitären) und somit würden Gruppen, Parteien, Fraktionen und alle Arten von anderen politisch organisierten Gruppen in solchen Staaten sich bei Angelegenheiten betätigen, die nationale Grenzen überschreiten. Souveränität sei nicht „undivided and total“. Statt wie Billardbälle, die sich abstoßen und anziehen, stellt sich die empirische Wirklichkeit eher als Handlungsgeflecht dar, mit einer Vielzahl von Akteuren unterschiedlichster Art und grenzüberschreitenden Verbindungen und Interaktionen zwischen ihnen. Diese neue Perspektive geben Begriffe wieder wie Interdependenz (vs. Trennung), grenzüberschreitende Interaktion (vs. zwischenstaatliche Politik), Durchdringung und Verbindungslinien (vs. Abkapselung), Netz- oder Gitterstruktur (vs. Billardball). 26
Friedrich, Carl J., „International Politics and Foreign Policy in Developed (Western) Systems“, in: Farrell, Barry, R., (Hrsg.)., Approaches to Comparative and International Politics, Evanston 1966, S. 97-120, hier: S. 97 27 Vgl., Rosenau James N., „Pre-theories and Theories of Foreign Policy“, in: a.a.O., Farrell, S. 27-93, hier: S. 53 und 59 28 Kaiser, Karl, „Transnationale Politik. Zur Theorie einer multinationalen Politik“, in: PVS, Sonderheft 1969, S. 80-109, hier: S. 87f 29 Wolfers, Arnold, „The Actors in International Politics“, in: Fox, William T. R., (Hrsg.), Theoretical Aspects of International Relations, Notre Dame 1959, S. 83-106. Zur Beschreibung des Billardball-Modells, S. 100
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Die Kritik am staatszentrierten Modell hat zentrale Aspekte für das Verständnis der Internationalen Beziehungen neu justiert. Hier sind vor allem zwei Punkte relevant: das Einbeziehen weiterer Akteure neben dem Nationalstaat sowie deren Differenzierung in verschiedene Ebenen (international, supranational/transnational, national und subnational) wie bei Wolfers30; und die Inderdependenz, durch die die autonomen Handlungsspielräume der Nationalstaaten eingeschränkt und die die Abhängigkeiten und Verflechtungen innerhalb des Staatensystems und zwischen den Akteuren erhöht werden. Welcher Ansatz nun kann unserer Untersuchung am ehesten weiterhelfen? David Vital argumentiert, dass das Konzentrieren auf die Regierungsprozesse die gegenseitige Abhängigkeit von Innen- und Außenpolitik zu erklären vermag31. In der Tat haben Fragen danach, wie Regierungen externe Einflüsse verarbeiten und darauf reagieren, wie die Entscheidungsprozesse beeinflusst werden können, wie Regierungen interne Entscheidungen an externe Gegebenheiten oder Anforderungen anpassen, zentrale Bedeutung. Wolfers konstatiert – womit er sich übrigens als sehr aktuell erweist -, dass es gefährlich wäre, die Aufmerksamkeit vom Nationalstaat und dem Vielstaatensystem abzuwenden, denn sie besetzen weiterhin den größten Teil der internationalen Bühne. Jede Theorie, die jene anderen Phänomene wie überlappende Autoritäten, gespaltene Loyalitäten, geteilte Souveränitäten nicht einbeziehe, ist nach Wolfers jedoch inadäquat32. In diesem Sinne wird für den hier zu entwickelnden Erklärungsansatz der Nationalstaat als Untersuchungseinheit nicht aufzugeben, andere Akteure werden aber gleichermaßen einbezogen. Konkret wird zunächst unterschieden in Regierungs- und Nichtregierungsebene. Des Weiteren wird dann eine Mehrebenenstruktur – national, regional, international - angenommen. Aus der Kritik am „überlieferten Idealtypus“ getrennter Außen- und Innenpolitik entstanden in den 1960er und 1970er Jahren entstanden zahlreiche Arbeiten und neue Vorschläge und Modelle.33 Stichworte waren Interdependenz und Verflechtung, Transnationalisierung, Durchlöcherung des Nationalstaats. Eine herausragende Rolle innerhalb dieser Neuorientierung der Disziplin Internationale Beziehungen hatten James N. Rosenau, Joseph S. Nye und Robert O. Keohane, Karl Kaiser und Wolfram Hanrieder. In den 1980ern setzte aber eine Gegenbewegung ein, der Trend ging zurück zum staatszentriertem Modell, der Nationalstaat wurde neu bewertet. Erst nach 1989/90 knüpfte man wieder an die „alten“ Einsichten an, und die Phänomene von Verflechtung und Interdependenz wurden erneut festgestellt und systematisch beleuchtet34. Die Grundlage für die Neuauflage der wissenschaftlichen Debatte dieser Phänomene bildeten die Konzepte der 1960 und 1970er Jahre. Roloff geht noch weiter: Er konstatiert, dass die aktuelle Debatte – insbesondere in Bezug auf die Folgen der Globalisierung - in großen Teilen an die Transnationalisierungsdebatte der späten 1960er und frühen 1970er Jahre anknüpft. „Teilweise wiederholt sie deren Verlauf, ohne freilich über den damals erreichten Erkenntnisstand wirklich hinauszukommen. Die heute als neu identifizierten Prozesse oder die qualitativen Veränderungen durch die Globalisierung und ihre Folgen wurden zum Teil bereits damals als Transnationalisierungs-
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Vgl., ebd., S. 101 Vital, David, „Back to Macchiavelli“, in: Knorr, Klaus/Rosenau, James N., (Hrsg.), Contending Approaches to International Politics, Princeton 1969, S. 144-157, hier: S. 155f, siehe dazu auch die Diskussion bei a.a.O., Meyers, S. 216ff 32 Vgl., a.a.O., Wolfers, S. 106 33 Siehe dazu a.a.O., Meyers und a.a.O., Kaiser 1996 34 Vgl., ebd., Kaiser, S. 314; zu sehen auch in a.a.O., Lemke 31
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prozesse diskutiert.“35 Daher werden im Folgenden die grundlegenden Ansätze, Modelle und Konzepte aufgegriffen, von denen für unser Thema weiterführende Impulse zu erwarten sind. Modellbildung und Konzeptualisierung des externen Umfelds sind bei Karl W. Deutsch und James N. Rosenau zu finden (Kap. 2). Mit der Spezifizierung des externen Umfelds und der Aufschlüsselung von Einflussströmen auf das nationale System ist der erste Schritt getan, äußere und innere Strukturen und Prozesszusammenhänge in Beziehung zu setzen. Wie aber wird der Nexus zwischen diesen beiden Sphären hergestellt? Analyseeinheiten wie linkage-politics, penetrierte Systeme (Rosenau), Konzepte wie transnationale Politik (Kaiser, Keohane/Nye, Risse) und Domestizierung internationaler Politik (Hanrieder) bieten Erklärungen dafür. 2.2 Nationales System und internationales Umfeld Die hier dargestellten Ansätze, bei denen es im Kern um die Neubewertung des Verhältnisses zwischen Außen- und Innenpolitik und der Betonung independenter Strukturen als Merkmal der internationalen Politik geht, unterscheiden das nationale System und das „Umfeld“ (environment). Es lohnt sich daher, diese Begriffe „nationales System“ und „externes Umfeld“ und die damit verbundenen Konzepte näher zu betrachten. Grundlage ist ein relativ frühes Modell von Karl W. Deutsch36 sowie Überlegungen von James N. Rosenau zur Konzeptualisierung von Umfeld37. Karl W. Deutsch entwickelte ein „Model of Outside Influence on a Political System“. Ganz im Sinne seiner kybernetischen Modelle politischer Kommunikation unterscheidet er neben dem nationalen politischen System (S) und dem externen Umfeld („environment“) (E) zum einen Input-Kommunikationskanäle von E nach S und zum anderen diverse Ströme von Botschaften und anderen Transaktionen, die über diese Kanäle laufen. Die Systeme sind miteinander verbunden, wobei reziproke Kommunikationsströme angenommen werden. Lediglich die direkte Verbindung zwischen dem externen Umfeld und dem nationalen System ist nicht vorhanden, da dafür eine „linkage group“ zwischengeschaltet ist. Dieses Modell hilft, die unterschiedlichen In- und Output-Ströme nachzuvollziehen. Nach Deutsch kann das Modell für zwei Zwecke benutzt werden. Erstens, um sensible Punkte des nationalen Systems auszumachen, und zweitens, um semiquantitative Aussagen zu machen über Balancen, über Einflussströme, die stärker oder weniger stark sind, Botschaften, die mehr oder weniger akzeptiert oder zurückgewiesen werden. So besteht eine zentrale Frage Deutschs darin, wie die Reaktion eines Landes von außen beeinflusst werden kann. Deutsch nennt kursorisch verschiedene Möglichkeiten, die man folgendermaßen zusammenfassen kann: a) Erhöhen des Drucks des Umfelds auf die nationale politische Gemeinschaft; b) ein indirektes Vorgehen, indem ein weltweites Klima geschaffen wird für die beabsichtigte Sache und ein image kreiert wird; c) Erhöhen des Kommunikationsflusses auf die „linkage groups“ und damit auf das nationale System; d) Einklinken in die nationale Diskussion 35 Roloff, Ralf, Europa, Amerika und Asien zwischen Globalisierung und Regionalisierung. Das interregionale Konzert und die ökonomische Dimension internationaler Politik, Paderborn et. al., 2001, S. 24 36 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Deutsch, Karl W., „External and Internal Political Relationships“, in: a.a.O., Farrell, S. 5-27 37 Rosenau James N., „The External Environment as a Variable in Foreign Policy Analysis“, in: a.a.O., ders., Scientific Study, S. 317-339. Eine frühere Version wurde veröffentlicht in: Rosenau, James N., Davis, Vincent, East, Maurice A., (Hrsg.), The Analysis of International Politics, New York 1972
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einer politischen Gemeinschaft, dort wo erkennbar wird, dass sie die beabsichtigten Resultate hervorbringen könnten. Für die Operationalisierung der Wirkung externer Ereignisse sind drei Aussagen Deutschs interessant: Erstens: Die Wirkung externer Ereignisse auf die internen Angelegenheiten eines Landes nehmen ab, je stabiler und autonomer das interne Entscheidungssystem ist, wobei Deutsch ein autonomes System definiert als eines, dessen Reaktionen nicht voraussehbar sind bzw. eines, dem Reaktionen nicht oktroyiert werden können.38 Zweitens: Die Wirkung äußerer Ereignisse wird abnehmen, je lockerer die Koppelung zwischen dem äußeren Umfeld und dem internen Entscheidungssystem ist. Also: Je stärker ein Land eingebunden ist in ein Geflecht von bilateralen, regionalen und internationalen Beziehungen, desto stärker ist die Wirkung externer Ereignisse. Drittens: „A national S system that is likely to collapse or to got to pieces will make the country remarkably sensitive to foreign impacts.“39 Diese Aussage ist interessant im Zusammenhang mit den Zerfallsprozessen im Balkan, in der Sowjetunion und nicht zuletzt in der Tschechoslowakei. Deutschs Modell externer Einflüsse auf politische Systeme ist es zu verdanken, dass das internationale Umfeld als Einflussgröße auf das nationale System insgesamt erfasst worden und die Wirkung externer Einflüsse thematisiert worden ist. Bei der Spezifizierung des externen Umfelds helfen dahingehend Überlegungen von James N. Rosenau weiter.40 Ausgangspunkt ist für ihn die Kritik, „that little work has been done on the concept of environment, that for the most part it is treated as merely the source of stimuli rather than as an organized set of processes...“41 Eine Konzeption des Umfeldes sei bislang nicht entwickelt worden. Im schlimmsten Falle werde das Umfeld betrachtet als eine unspezifische Vielfalt von Objekten, Akteuren und Situationen, die die nationale Gesellschaft zu bewältigen versuche, indem sie ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit und ihre Ressourcen der Gegenwart benutze. Im besten Falle werde das Umfeld aufgefasst anhand von spezifischen Objekten, Akteuren und Situationen, von denen jede/r verschiedene Merkmale hat, die wiederum als Stimuli zur Handlung der nationalen Gesellschaft dienen. Rar seien dagegen Konzeptualisierungen des externen Umfelds, bei denen Interaktionsmuster nachgezeichnet werden, die in dem sich entfaltenden Prozess zu unabhängigen Variablen werden in Hinsicht auf das Verhalten der nationalen Gesellschaft und ihrer politischen Akteure. Das heißt, es reicht nach Rosenau nicht aus, verschiedene Phänomene des Umfelds zu kategorisieren und sie dann getrennt zu analysieren als Quellen von Außenpolitik. Rosenau kommt es darauf an, die Interdependenzen zwischen den Phänomenen zu spezifizieren, so dass das Umfeld Kohärenz erlangt, und dann, infolgedessen auch zur Quelle von Außenpolitik wird. Daher muss die Kategorisierung und Analyse spezifischer Situationen ergänzt werden durch Konzepte, die er Typen von Umfeldkontexten nennt. In dem Moment, in dem verschiedene Typen von Umfeldkontexten identifiziert sind, können Aussagen getroffen werden über die Beziehungen zwischen dem Umfeld und den Entscheidungsträgern im nationalen System. Beides - der generelle Kontext des Umfelds sowie die spezifischen Situationen des Umfelds - prägen als unabhängige Variablen, so betont Rosenau, das außenpolitische Verhalten, mit durchaus wechselndem Gewicht. 38
Vgl., a.a.O., Deutsch, S. 7f Ebd., S. 18 40 Siehe zu den folgenden Ausführungen a.a.O., Rosenau James N., „The External Environment as a Variable in Foreign Policy Analysis“ in: ders., The Scientific Study of Foreign Policy. Revised and Enlarged Edition, London, New York 1980, S. 317-339 41 Ebd., S. 322 39
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Rosenaus Ziel war es, neben die vertikale Analyse außenpolitischen Verhaltens – den „historical factors“, also der Wirkung historischer Erfahrungen und historische tradierter kultureller Normen – gleichrangig die horizontale Analyse zu etablieren, nämlich die „environmental factors“, bestehend aus Umfeldkontexten und Umfeldsituationen. Für Rosenau bietet das Konzept des Wandels ein Plus an konzeptioneller Ausrüstung für die horizontale Analyse.Wandel – als zentrales Konzept - definiert er als „alterations in the occupants and requirements of the governmental and non governmental leadership statuses and roles in the environed society and its environment.“42 Der Grad des Wandels ist im nationalen System niedrig, wenn im Voranschreiten der Zeit die Führungspersönlichkeiten ausgetauscht werden, ohne dass sich aber das außenpolitische Verhalten wesentlich ändert. Ist aber das Voranschreiten auf der Zeitachse verbunden mit dem Auftauchen neuer sozialer, wirtschaftlicher, politischer und technologischer Bedingungen, ändern sich sowohl die Inhaber der Führungspositionen als auch das Verhalten innerhalb und außerhalb der Regierung, innerhalb und außerhalb des nationalen Systems. Rosenau dichotomisiert den Grad des Wandels in hoch und niedrig, und zwar sowohl in Bezug auf internen Wandel als auch für externen Wandel. Für diese vier Kontexttypen nimmt Rosenau vier verschiedene Arten außenpolitischen Verhaltens an: habitual, spirited, deliberative und convulsive. Nach Rosenau liegt Routineverhalten (habitual) vor, wenn intern und extern der Grad des Wandels niedrig ist. Die Routineabläufe im Entscheidungsprozess reichen dann aus, um mit dem Verlauf der inneren und äußeren Angelegenheiten fertig zu werden. Tatkräftig (spirited) wird das außenpolitische Verhalten dann, wenn intern starke Wandlungsprozesse durchlaufen werden, das externe Umfeld aber einen geringen Grad an Wandel aufweist. Das bedeutet, dass die politische Führung schnell und energisch agieren muss, um das konstante Umfeld so zu ändern, dass es wieder kompatibler mit den inneren Strukturen wird. Für die Führung heißt das weniger, mit einer neuen Situation fertig zu werden, als vielmehr eine neue Situation außerhalb zu fördern. Überlegtes (deliberative) Verhalten legt eine Führung dann an den Tag, wenn der Wandel extern hoch und intern niedrig ist. Da in diesem Fall intern keine Forderungen an die Führung herangetragen werden, kann sie mit Bedacht ihre Handlungen abstimmen auf den extern ablaufenden Wandel, Optionen können geprüft werden, wobei langfristige Überlegungen Eingang finden können. Weil aber die Verantwortung dabei groß ist, reichen die normalen Entscheidungsverfahren nicht aus, formelle Ratifizierung muss ihnen folgen. Der Kontexttyp „convulsive“ schließlich dominiert in einer Situation von internem und externem Wandel. Die Führung muss dabei gleichzeitig auf gesellschaftliche Forderungen und externe Druckausübung reagieren, wobei beides widersprüchlich sein kann. Das Verhalten wird notwendigerweise unvorhersehbar, hastig, behelfsmäßig, und große Anstrengungen sind nötig, um die Interdependenz zwischen externem Umfeld und den sich verschiebenden Strukturen im Inneren in Balance zu halten. Ähnlich wie bei Deutsch geht es bei Rosenaus Überlegungen darum, das externe Umfeld und das Verhalten des nationalen Systems in Beziehung zu setzen. Das heißt, Rosenau geht über den funktionalen Aspekt, auch über ein Reaktionsschema hinaus und sucht nach den möglichen Wirkungszusammenhängen von externem Umfeld und dem Verhalten des nationalen Systems. Grundlage dazu ist nicht nur die Annahme, dass es sich um interaktive Prozesse handelt, sondern auch die Feststellung „societal external behaviour is a result of 42
Ebd., S. 334
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yesterday’s experiences and today’s circumstances“.43 Das von Rosenau konstatierte Desiderat einer Spezifizierung des externen Umfelds und das In-Beziehung-Setzen des Umfelds zum nationalen System, um dann Aussagen zur Wechselwirkung zwischen externem Kontext und externen Situationen hier und dem außenpolitischen Verhalten eines Landes dort zu machen – trifft in den Kern dieser Untersuchung. Denn wenn bei der Interaktion generell aller Staaten mit ihrem Umfeld eine horizontale, also Umfeldfaktoren, und vertikale, also historische Faktoren angenommen werden müssen, dann gilt das für Transitions- und Transformationsländer gleichermaßen. Die Aussage Rosenaus stützt die These, dass im Übergang zur Demokratie befindliche Länder sich neu ordnen und verorten und zwar sowohl hinsichtlich ihrer jüngsten Vergangenheit und ihrer historischen Erfahrungen und hinsichtlich ihres bilateralen, regionalen und globalen Umfelds (s. II. 1). Sowohl das Modell von Deutsch als auch die Konzeptualisierung des externen Umfelds durch Rosenau zeigen zweierlei: Zum einen werden innerhalb der Theorie der Internationalen Politik Fälle angenommen werden, bei denen nationale Systeme besonders empfänglich sind für Einflüsse und Wirkungen des externen Umfelds. Zum anderen ist es aus Sicht der Internationalen Politik und ihrer Theorie unabdingbar, das externe Umfeld in Beziehung zu setzen zum nationalen System und dass das Umfeld mitsamt seinen Einflüssen eine zentrale Größe für das Verhalten eines Staates ist. 2.3 Der Nexus von inneren und äußeren Aspekten: Akteure, Handlungen und Wirkungen 2.3.1 Penetrierte Systeme James N. Rosenau war ebenfalls Protagonist in der Kritik an der Trennung der außenpolitischen und innenpolitischen Bereiche. Auch wenn das Phänomen der sich auflösenden Trennung von Außen- und Innenpolitik weithin anerkannt würde, so hielten die meisten Analytiker doch an der Trennung fest, statt ihre konzeptionellen Rahmen zu ändern44. Ganz speziell kritisiert Rosenau, dass zwar äußere Einflüsse auf nationale Systeme anerkannt werden, sie aber immer noch als nationale Systeme betrachtet würden, ohne die Möglichkeit einer „Transformation into something other than a national system“45 in Betracht zu ziehen. Er konstruiert also neben nationalem und internationalem System ein drittes. Mit diesem dritten System soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es Prozesse gibt, die weitergehen als das Absorbieren von äußeren Ereignissen durch „accomodative capabilities“ (Gabriel Almond); nämlich äußere Ereignisse, die die internen Prozesse eines Systems penetrieren. Rosenau identifiziert also einen neuen Typ von politischem System, das penetrierte System, als eines, in dem Nichtmitglieder einer nationalen Gesellschaft direkt und maßgeblich durch Handlungen gemeinsam mit Mitgliedern der Gesellschaft entweder an der Wertallokation oder an der Mobilisierung zur Unterstützung ihrer Ziele teilnehmen. Insofern unterscheide es sich von internationalen Systemen, weil dort Nichtmitglieder indirekt und nicht maßgeblich sowie autonom statt durch gemeinsame Aktion mit Mitgliedern am politischen Prozess teilnehmen.
43 44 45
Ebd., S. 338 Siehe zu dem Folgenden a.a.O., Rosenau, Pre-theories and Theories of Foreign Policy S. 56ff. Ebd., S. 58
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Dieses Konzept des penetrierten Systems unterstellt, dass auf Grund der Intensivierung interdependenter Verhältnisse die Annahme einer undurchdringlichen Hülle um das nationale Staatsgebilde nicht mehr zutrifft. Also macht Rosenau aus der impermeablen Mauer um das nationale System eine löchrige, die durchaus von außen durchdrungen werden kann. Rosenau nennt drei Merkmale für penetrierte Systeme: Erstens, sind penetrierte Systeme nicht statisch wie nationale oder internationale; sie entstehen, entwickeln sich oder verschwinden. Zweitens, liegt bei einem penetrierten System ein Mangel an Fähigkeiten vor (wirtschaftlich, militärisch, sozial, strategisch), der durch Partizipation von Nichtmitgliedern der Gesellschaft, in unserer Begrifflichkeit: externen Akteuren, kompensiert wird. Drittens muss der Mangel von den Mitgliedern des penetrierten Systems ausreichend anerkannt und akzeptiert sein, damit die Legitimität der direkten Partizipation von außen gegeben ist. Als Beispiel nennt Rosenau die Rolle der USA in Nachkriegs-Westdeutschland bzw. in Japan, was einleuchtet, denn hierbei handelt es sich in der Tat um Teilnahme, ja Steuerung entscheidender politischer Weichenstellungen und Einflussnahme auf Einzelentscheidungen von der föderalen Struktur bis zur Bestimmung von Herausgebern von Zeitungen. Die Bundesrepublik könnte demnach von 1945 bis 1955 als penetriertes System gelten; das Kriterium „nicht statisch“ passt ebenfalls und auch die Akzeptanz durch die Bevölkerung sowie der Mangel, nämlich insbesondere wirtschaftlich und – ein gewisser Mangel an - nennen wir es: - demokratischen Prinzipien und Gestaltungsfähigkeit.46 Dieser Sondertypus eines penetrierten Systems entspräche somit einer Phase, die mit dem von den internen Akteuren akzeptierten Mangel und Aktivitäten von außen zur Behebung dieses Mangels durch eine Teilnahme externer Akteure beginnt, sich fortsetzt und auch Entwicklungsstufen durchmachen kann bis zur Behebung des Mangels, der dann diese spezielle Form von Teilnahme externer Akteure beendet. Diese Phase kann zwar kürzer oder länger dauern, sie muss jedoch an ein Ziel (Beheben des Mangels) und an das Erreichen dieses Zieles unbedingt gekoppelt sein. Der so konzipierte Sondertypus - penetriertes System - macht es möglich, bestimmte Phasen innerhalb der Entwicklung von nationalen Systemen genau einzugrenzen und die innerhalb dieser Phase ablaufenden externen Aktivitäten zu unterscheiden von denen des „Normalzustandes“. Das Konzept Rosenaus benennt zwei zentrale Kriterien für die Einwirkung externer Akteure: Erstens, einen Mangelzustand innerhalb des nationalen Systems als Motivation bzw. Bedingung für die Akzeptanz des Einwirkens externer Akteure. Und zweitens, der Mangelzustand als Motivation externer Akteure, von außen auf das nationale System ein- und an den internen politischen Prozessen mitzuwirken. Es zeigt sich, dass sich die Fälle von Demokratieförderung (NachkriegsDeutschland, Japan) von außen durchaus decken mit jenem beschriebenen Sondertypus des penetrierten Systems. Es unterstellt, dass ein Staat eine Phase durchmacht, in der interne Schwäche, Probleme oder andere Sondersituationen eine intensivere Teilnahme externer Akteure akzeptabel oder sogar wünschenswert erscheinen lassen. Als solch eine Sondersituation kann man analog zu Rosenaus Beispiel aus der zweiten auch bei der dritten Demokratisierungswelle sehen, ja bei Systemwechselprozessen allgemein. Wenn Systeme zusammenbrechen, wird einerseits ein Mangel erkennbar (an politischer Orientierung, an einer funktionstüchtigen Wirtschaft, an Handelsbeziehungen, an Sicherheit etc.), quasi eine Vakuumsituation, die externe Akteure motivieren kann, mit zu 46 Die Abgrenzung zwischen penetrierten und nicht penetrierten Systemen ist nicht immer so klar und eindeutig. Darauf weist Rosenau selbst hin. Nimmt man etwa die Ostblockstaaten im Einflussbereich der Sowjetunion, fehlt das wichtige Merkmal der Akzeptanz oder man muss diese auf die politische Führung beschränken.
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gestalten bei den internen Prozessen. Andererseits stellt dies eine Situation dar, die interne Akteure dazu bringen kann, die Teilnahme externer Akteure zu akzeptieren oder sogar zu erbitten. Hiermit ist die erste Hypothese untermauert, bei der eine Sondersituation bedingt durch größere Permeabilität des Transformationslandes angenommen wird. 2.3.2 Der linkage-Ansatz Mit dem linkage findet Rosenau eine Einheit zur Identifizierung von Punkten, an denen das nationale und das internationale System sich überlappen und einen Modus, Natur und Reichweite der Phänomene zu analysieren, die in diese Schnittmenge hineinfallen47. Die Analyseeinheit linkage definiert er als „recurrent sequence of behaviour that originates in one system and is reacted to it in another“.48 Innerhalb dieser Sequenz unterscheidet er das Anfangs- und Endstadium. Solche Verhaltenssequenzen können im Staat ihren Ursprung haben und dann im internationalen System ankommen (policy output oder Anfangsstadium); das Endstadium wären dann solche Verhaltenssequenzen im internationalen System, die von policy outputs angestoßen werden (environmental inputs). Analog dazu sind environmental outputs Verhaltenssequenzen, die im externen Umfeld eines Staates beginnen und entweder ankommen oder auch beendet werden innerhalb des Staates. Polity inputs sind Verhaltenssequenzen innerhalb eines Staates, die vom environmental outputs angestoßen werden. Je nach dem, ob mit dem Verhalten eine Absicht verbunden war oder nicht, wäre zudem zu unterteilen in direkte und indirekte Inputs oder Outputs. Inputs und Outputs können in drei Prozesse miteinander verbunden: Erstens, in einen penetrativen Prozess49, nämlich wenn Mitglieder eines Staates A am politischen Prozess des Staates B mit den Mitgliedern von B zusammen an der Wertallokation teilnehmen. Beispiele sind: eine Besatzungsmacht wie die USA in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Hilfsaktionen, das Personal internationaler Organisationen, Vertreter privater Unternehmen, Mitglieder transnationaler Parteien. Im Gegensatz dazu steht, zweitens, der reaktive Prozess, bei dem der Akteur, der das Output initiiert hat, nicht an den allokativen Aktivitäten desjenigen beteiligt ist, der das Input erfährt; nichtsdestoweniger bleibt die Reaktion eine Antwort auf das Verhalten des Ersten. Als Spezialform des reaktiven Typus nennt Rosenau, drittens, den „emulativen“ Prozess. Damit ist gemeint, dass das Input nicht nur eine Antwort auf das Output ist, sondern auch dieselbe Form annimmt. Dies bezieht sich auf Diffusions- oder Demonstrationseffekte, bei denen politische Aktivitäten eines Landes wahrgenommen und nachgeeifert werden. Schließlich beschreibt Rosenau, drittens, die Möglichkeit, dass sich Inputs und Outputs kontinuierlich gegenseitig verstärken und somit als reziprokes Verhältnis betrachtet werden können als „fused linkage“. Bei solchen Sequenzen fördert ein Output ein Input, das wiederum ein Output hervorruft und so fort. Für diese linkages entwirft Rosenau einen Rahmen, bei dem er folgende Kategorien für den Staat berücksichtigt: Akteure und Institutionen – und zwar aus den Bereichen Regierung, Staat, Gesellschaft -, Einstellungen und Prozesse. Das Umfeld unterteilt er in sechs 47 Siehe zum Folgenden Rosenau, James N., „Toward the Study of National-International Linkages“, in: Rosenau, James N. (Hrsg.), Linkage-Politics. Essays on Convergence of National and International Systems, New York/London 1969, S. 44-67 (Es handelt sich um einen Vortrag von 1966, der später in o.g. Band veröffentlicht worden ist). 48 Ebd., S. 45 49 Siehe dazu auch die Ausführungen zu penetrierten Systemen in Kap. II. 2.3.1
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Unter-„Umfelder“: Nachbarschaft, Region, Kalter Krieg, Rassenbeziehungen, Ressourcen (damit meint er Aktivitäten wie Handel, Wirtschafts- oder Entwicklungsprogramme, Proliferation bzw. alle Versuche, sich Möglichkeiten zur Ausführung von Außenpolitik zu verschaffen) und organisatorisches Umfeld vor allem internationaler Organisationen. Ein Vorteil dieses frameworks ist es, bislang eher undifferenziert belassene Bereiche aufzuschlüsseln und somit der Analyse zugänglich machen können. Das betrifft insbesondere das bis dahin diffuse, externe Umfeld. Genauso aber auch die polity, die nicht mehr als bloßes Regierungshandeln auf Grund nationalen Interesses erscheint, sondern in verschiedene Aspekte herunter gebrochen wird (Akteure, Institutionen, Einstellungen, Prozesse), womit sowohl das von außen kommende Input wie auch das von innen kommende Output zugeordnet und lokalisiert werden kann. Diese stärkere Aufschlüsselung ist dazu angetan, auch bislang eher vernachlässigte, unbekannte oder latente Verbindungen auszumachen. Rosenau will mit seinem Rahmenkonzept die „analytische Kluft zwischen Vergleichender Regierungslehre und Internationaler Politik schließen und dazu anregen, über ihre Verbindungen nachzudenken50. Bislang sei das externe Umfeld eher als Konstante denn als Variable betrachtet worden und solche Verbindungen zwischen Umfeld und internen Vorgängen im Staat seien nie einer systematischen und vergleichenden Analyse unterworfen worden.51 Rosenaus Ansatz, das nationale System und das externe Umfeld aufzuschlüsseln, stellt eine hilfreiche Grundlage dar zur angestrebten Differenzierung der externen Dimension. Zudem lässt sich nur durch eine Aufschlüsselung der nationalen Strukturen und Akteure die Adressierung externer Einflüsse nachzeichnen. Sehr wichtig ist weiterhin die Unterscheidung in direkte, also intentionierte, Handlungen, die meist den Regierungen zugeschrieben werden können als Entscheidungen oder Implementationen, und in indirekte Einflüsse ohne konkrete Absicht, meist Effekte, die durch Ereignisse oder Entwicklungen außerhalb entstehen können. Damit ist überhaupt ein erster Schritt getan, das output näher zu charakterisieren und zu bewerten. Hatten wir bislang lediglich eine polity und ein internationales Umfeld, das handelt, so sind nun beide Systeme – das nationale wie das internationale stärker differenziert. Wir folgen diesem Ansatz, externe Dimension und nationales System zu strukturieren. So wird zum einen die Differenzierung des nationalen Systems in Akteure, Einstellungen, Institutionen und Prozesse übernommen. Zum zweiten wird auch die externe Dimension differenziert, und zwar in das struktuelle Umfeld – als quasi „feste“ Hintergrundvariable - und Akteure. Hintergrundvariablen sind (1) die nachbarschaftliche Konstellation und (2) die regionalen Verhältnisse sowie - und dies muss allgemeiner gefasst werden als der Begriff „Kalter Krieg“ – (3) die internationale Szenerie oder das internationale Klima, damit ist die weltpolitische Situation gemeint, die das Handeln einzelstaatlicher und überstaatlicher Akteure in einer zeitlichen Phase mitbestimmt (der Kalte Krieg wäre dann so eine Phase). Das Spektrum der Akteure wird stärker differenziert in die Ebenen bilateral, regional, international. Dies macht eine Verortung des Outputs im Mehrebenensystem möglich und eine Gewichtung der Regierungsaktivitäten gegenüber anderer Akteure.
50 51
Vgl., a.a.O., Rosenau, 1969, S. 53 Vgl., ebd., S. 54
50 Abbildung 3:
II Konzept zur Analyse externer Faktoren Eigenes Schema, auf der Grundlage von Rosenaus linkage-framework Umfeld Hintergrund Ereignisse
bilateral
Akteure regional international
Polity Akteure Einstellungen Institutionen Prozesse Outputs-Inputs
Das linkage-Konzept als „across-systems“-Analyseansatz bringt deswegen weiter, weil im Gegensatz zu den innersystemischen Theorien der Blickwinkel größer ist und damit auch die Reichweite der untersuchten Phänomene, wie etwa die vorher liegenden Zusammenhängen und auch die Systeme, in die das Außenverhalten hinein projiziert wird. Der größte Vorteil, den diese Art von Schema mit sich bringt, dass die „kausale Potenz der Schlüsselvariablen“ im Vergleich von zwei oder mehr polities identifiziert werden kann. Indem externe und interne Variablen in einem Rahmenkonzept zusammengebracht worden sind, das auf jede polity angewendet werden kann, so hofft Rosenau, sei ein Weg gefunden worden, eine Grundlage gelegt zu haben für den Vergleich der relativen Erklärungskraft der Variablen, die dem internationalen Verhalten zweier beliebiger polities unterliegen52. Rosenaus linkage ist ein geeigneter Begriff, um Verknüpfungen zwischen innerer und äußerer Dimension darzustellen, indem er Absender und Adressat solcher Verknüpfungen lokalisiert und gleichzeitig den ablaufenden Output-Input-Prozess. In diesen Analyserahmen können die intentionalen (Ziel, Motiv) und instrumentellen (Mittel, Methode) Variablen eingestellt werden. Mit den Aspekten (1) Ziel und Motive, (2) Mittel und Methoden der externen Akteure lassen sich die Outputs des externen Umfelds spezifizieren. Außerdem ergibt aus der Art, wie Mittel und Methoden mit Zielen und Motiven in Verbindung stehen, eine wichtige Aussage über das Verhalten externer Akteure. Das Input wiederum misst sich an der Rezeption und Verarbeitung von außen kommender Handlungen, an möglichen Feedbacks in Form von Strukturveränderungen, Entscheidungen etc. 2.3.3 Transnationale Politik Aus einer ähnlich grundsätzlichen Kritik an Begriff und Theoriebildung der Internationalen Politik, wie sie Rosenau zu Überlegungen neuer theoretischer (penetrierte Systeme) und empirischer (linkage-Modell) Konzepte geführt hat, tauchte in den 1960er Jahren der Begriff der Transnationalen Politik auf. Bereits Wolfers benutzte den Begriff „transnational“ im Unterschied zu inter-, supra- und subnational, und macht konkret transnationale Akteure wie den Vatikan, die Sozialistische Internationale, die internationale kommunistische Bewegung als nichtstaatliche Akteure aus53. Die neue Begrifflichkeit beabsichtigte ebenso wie 52 53
Vgl., a.a.O., Rosenau, 1969, S. 56 Vgl., a.a.O., Wolfers, S. 102f
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die verschiedenen Vorschläge für neue theoretische Rahmen, das festgestellte Defizit zu beheben. Das Konzept transnationaler Politik soll hier am Beispiel des Ansatzes von Karl Kaiser und Robert Keohane und Joseph Nye vorgestellt werden. Da die Beschäftigung mit transnationalen Beziehungen seit den 1990er Jahren eine Renaissance erfährt, wird zudem der neuere Beitrag zur Theoriedebatte von Thomas Risse einbezogen. Im Sinne Rosenaus geht es auch Kaiser um die Verbindung des nationalen und internationalen Systems. Er bemängelt, dass die Durchdringungsprozesse zwischen nationalem und internationalem System im Dunkeln blieben und das Phänomen der Interdependenz zwar „begrifflich abgelagert, jedoch keinesfalls wissenschaftlich geklärt“54 werde. Zudem fehle die Erklärung von Rückkoppelungsprozessen. Kaiser stellt insbesondere ab auf solche politische Prozesse, bei denen nichtstaatliche, also gesellschaftliche Akteure, die Entscheidungskontexte von Regierungen beeinflussen mit durchaus weit reichenden Konsequenzen für die nationalen Gesellschaften, wobei der Anstoß von außerhalb des Systems kommt. Kaiser fokussiert also nationale Grenzen überschreitende Interaktionsprozesse, die er durch den theoretischen Rahmen der „multinationalen Politik“ erklären will. Den Idealtyp der Multinationalen Politik definiert er als „jene Formen der Politik (...), bei denen gesellschaftliche und innenpolitische Prozesse eines oder mehrerer nationalstaatlicher Systeme mit den nach außen gerichteten Aktivitäten von nationalstaatlichen Akteuren oder internationalen Organisationen Interaktionssysteme bilden.“55 Für unsere Untersuchung ist Kaisers Blickwinkel der „nach außen gerichteten Aktivitäten nationalstaatlicher Akteure oder internationaler Organisationen“ interessant, der sich mit Rosenaus Ziel trifft, „die Phänomene im Verbindungsbereich nationaler und internationaler Politik zu analysieren“.56 Unter den Oberbegriff Multinationaler Politik, mit dem die nicht mehr adäquate Trennung zwischen Innen- und Außenpolitik ersetzt wird, subsumiert Kaiser drei Formen: Rosenaus penetrierte Systeme, Integrationssysteme wie die EG und schließlich Transnationale Politik. Transnationale Politik heißt, dass Anstöße von Interaktionen der transnationalen Gesellschaft57 politische Prozesse auslösen zwischen Regierungen und/oder zwischen Regierung und transnationaler Gesellschaft. Voraussetzung für transnationale Politikprozesse ist somit, dass die transnationale Gesellschaft miteinander in Verbindung steht, kommuniziert und interagiert und Anstöße in das nationalstaatliche System hinein gibt. Dies kann Veränderungen in der nationalen Gesellschaft zur Folge haben, genauso aber auch den Entscheidungskontext der Regierung beeinflussen, wenn es sich um Fragen handelt mit einer entsprechenden politischen oder sozialen Relevanz, und schließlich die Regierung möglicherweise sogar zum Handeln zwingen. Kaisers Konzept unterscheidet sich von den herkömmlichen Reaktionsmodellen der internationalen Politik insofern, als dass er bei transnationaler Politik gesellschaftliche Prozesse außerhalb des eigenen staatlichen Systems berücksichtigt, die gleichzeitig die eigene Gesellschaft durchdringen und so die nationalstaatliche Regierung zum Reagieren bringen.58 54
A.a.O., Kaiser, S. 84 Ebd., S. 90 56 Ebd., S. 89 57 Eine transnationale Gesellschaft liegt dann vor, „wenn zwischen Gesellschaften verschiedener nationalstaatlicher Systeme in bestimmten Sachbereichen soziale Interaktionen stattfindet“ (S. 94) Treffen Eliten Entscheidungen, dann sind es Eliten außerhalb von Regierungsinstitutionen. 58 Kaiser unterscheidet mehrere Typen transnationaler Politik: Fälle von annähernd gleichgewichtigen Verhältnissen, aber ebenso häufig Fälle, bei denen „zwischen den teilnehmenden gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren Differenzen in politischer und ökonomischer Macht bestehen“. (S. 104) Die extreme Form des Ungleichgewichts 55
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Insgesamt ist der Gewinn des Kaiserschen Konzeptes, dass es Interdependenz nicht allein auf die Regierungsebene reduziert, sondern erweitert auf nichtstaatliche Akteure und die Interaktion zwischen Gesellschaft und Regierung. Auf dieser Grundlage werden die in Abb. 4 dargestellten externen Akteure auf bilateraler, regionaler und internationaler Ebene nochmals unterteilt in staatliche und nicht-staatliche. Keohane/Nye59, die ebenfalls das staatszentristische Model ablehnten, untersuchten insbesondere die Wirkung von Interdependenz und transnationalen Beziehungen auf das Regierungshandeln. Dabei fanden die Autoren zwei relevante Aspekte: die Kosten-NutzenRelation als Hindergrund bei Regierungsentscheidungen und die Sensibilität von Gesellschaften. So gehöre beim staatszentristischen Denken das Gewinnen direkter Konfrontationen zum Handeln von Regierungen. Da aber die Kosten solcher Konfrontationen und solchen Gewinnens stiegen, bestünden mehr Anreize zum Verhandeln. Relevanter als die Frage danach, wer gewinnt, werden deshalb neue Verhandlungsmuster, Koalitionen und Allianzen zwischen transnationalen Akteuren sowie zwischen ihnen und Segmenten von Regierungen und internationalen Organisationen. In Bezug auf die Sensibilität von Gesellschaften findet man bei Keohane/Nye drei Gründe: Zum einen der Ideenfluss durch moderne Massenkommunikationsmittel, mit „Ansteckungseffekten“, des weiteren nennen sie die Zunahme wirtschaftlicher und sozialer transnationaler Organisationen gegenüber politischen Organisationen, die die politische Sensibilität von Gesellschaften ebenfalls gesteigert hätten. Und zudem hätten transnationale Interaktionen größere Wirkung, je stärker die nationalen Regierungen versuchten, die eigene Wirtschaft zu kontrollieren. Weniger also die Quantität von transnationalen Beziehungen als ihr politischer Rang und die daraus resultierende Sensibilität der Gesellschaften füreinander machen ihre Bedeutung aus. Keohane/Nye geht es – im Unterschied zu Kaiser - um die empirische Dimension transnationaler Politik, insbesondere um die konkreten Wirkungen transnationaler Interaktionen oder Organisationen auf das zwischenstaatliche Handeln.60 Sie machen fünf Hauptwirkungen aus: Einstellungswandel, internationaler Pluralismus, steigende Zwänge für Staaten durch Abhängigkeit oder Interdependenz, steigende Fähigkeit bestimmter Regierungen, andere zu beeinflussen, und das Auftauchen autonomer Akteure mit einer privaten Außenpolitik, die sich bewusst in Opposition zur staatlichen Politik setzen kann oder gar gegen sie verstoßen kann. Keohane/Nye weisen auf ein interessantes Kriterium für das Wirkungs- oder Einflusspotenzial hin: die Asymmetrie in den Strukturen der Weltpolitik.61 Der Mythos der Staatssouveränität und die Betonung von Sicherheitsaspekten habe die Welt weniger unausgeglichen angenommen, als sie tatsächlich sei. Transnationale Aktivität sei sehr ungleich verteilt, und die Empfindlichkeit auf ihre Wirkungen unterscheide sich ist die „außengesteuerte Durchdringung“; auf zwischengesellschaftlicher Basis bedeutet das, die Regierung des mächtigeren Akteurs nutzt das Gefälle zwischen den gesellschaftlichen Akteuren zur Durchsetzung ihrer Ziele in einem anderen Staat. Schließlich der Typ Transnationale Politik mit Dominanz-Effekt als Machtgefälle zwischen gesellschaftlichen Akteuren zum Beispiel zweier Staaten; er zielt ab auf die Vormachtstellung eines Staates, etwa durch Größe, Verhandlungsmacht, sozio-ökonomische Ausstrahlungskraft, technologischen Stand usw. (es können auch multinationale Konzerne mit ausländischem Übergewicht sein). A.a.O. 59 Keohane, Robert O./Nye, Joseph S., Jr., “Transnational Relations and World Politics. An introduction”, S. ixff und Keohane, Robert, O./Nye, Joseph S., Jr., “Transnational Relations and World Politics. A Conclusion”, S. 371399, beides in: Keohane, Robert, O./Nye, Joseph S., Jr., (Hrsg.)., Transnational Relations and World Politics, Cambridge et.al. 1971/1981. Im Folgenden als „Transnational Relations. Introduction“ und „Transnational Relations. Conclusion“ zitiert. 60 Vgl., zu dem Folgenden ebd., S. XVIff 61 Vgl., ebd., S. 386ff
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enorm. Faktoren für diese ungleiche Verteilung sind Modernisierung, abnehmende Kosten für Transport und Kommunikation sowie die pluralistische Ideologie. „If transnationalism has become the ideology of some of the rich, nationalism remains the ideology of many of the poor“62 – mit dieser Formel kondensieren die Autoren ein weiteres Problem dieser Asymmetrie. In vielen der „neuen“ Staaten werden transnationale Prozesse als Überreste kolonialer Herrschaft gesehen, und die Politik sei darum bemüht, solche transnationalen Verbindungen zu vermeiden oder unterbinden. In vielen unterentwickelten Staaten würden politische Eliten zu nationalistischen Ideologien zurückkehren, um die Bevölkerung zusammenzuhalten oder abzulenken, die eine zu schnelle soziale Mobilisierung durchläuft, als dass die Institutionen mit ihr fertig würden. Der Hinweis auf die Asymmetrie, die durch interdependente Beziehungen entsteht und vor allem in jungen Demokratien spürbar wird, ist wichtig für die Erklärung der Wirkung externer Einflüsse. Das Gefühl asymmetrischer Beziehungen beeinflusst das Regierungshandeln zweifelsohne. Die Frage, die sich hinsichtlich Transformationsländern zu untersuchen ist, lautet: In welche Richtung wird das Regierungshandeln beeinflusst? Versuch eines Ausgleichs der Asymmetrie durch Einbindung in größere Strukturen wie regionale Organisationen oder Alleingang. Dass die Betonung nationaler Identität bis hin zu nationalistische Ideologien bei den Strategien von Regierungen eine Rolle spielen können, hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges noch deutlicher gezeigt. Nachdem dem Phänomen der Transnationalisierung seit den 1960er Jahren breite Aufmerksamkeit gewidmet worden war, setzte in den 1980er Jahren eine Gegenbewegung ein, mit dem Ziel, den Nationalstaat neu zu bewerten63; das staatszentristische Modell beherrschte wieder das Terrain. Von Mitte der neunziger Jahre datiert ein interessanter Ansatz, die Debatte der siebziger Jahre wieder zu beleben. Thomas Risse unternimmt einen Wiederbelebungsversuch, bei dem er „domestic structure“-Ansatz mit dem „international institution“-Ansatz kombiniert und sich so verspricht, die Mängel der früheren Debatte zu überwinden. Es sei voreilig gewesen, das Thema der transnationalen Beziehungen für tot zu erklären. Dabei wurden die „klassischen“ Ansätze von transnationaler Politik bei Kaiser und Keohane/Nye teilweise überarbeitete und auch an die neuen weltpolitischen Verhältnisse nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes angepasst. Sein Sammelband unternehme eine „frische Betrachtung“ der Wirkung von nichtstaatlichen Akteuren in der Weltpolitik64. Risses konzeptionelle Auffrischung ist eine erhebliche Konkretisierung und Systematisierung vor allem der Überlegungen von Keohane/Nye. Risse gelingt es, durch die schärfere Eingrenzung des Phänomens transnationaler Aktivitäten das Konzept empirisch besser anwendbar zu machen, insbesondere im Hinblick auf die für die beiden amerikanischen Autoren zentrale Frage nach der Wirkung transnationaler Beziehungen. Die Eingrenzung geschieht dreifach, denn Risse konzentriert sich auf die „the policy impact on transnational relations maintained by clearly identifiable actors or groups of actors and linking at least two societies or sub-units of national governments (...) Moreover, the transnational coalitions and actors considered are purposeful in the sense that they attempt to achieve specific political goals in the ‚target‘ state of their activities“ [H.d.MK].65 Risse ersetzt damit die sehr 62
Ebd., S. 388 Siehe dazu a.a.O., Kaiser, Karl, 1996, S. 314 64 Risse-Kappen, Thomas, „Bringing transnational relations back in: introduction“, in: Risse-Kappen, Thomas, (Hrsg.), Bringing transnational relations back in. Non-state actors, domestic structures and international institutions, Cambridge 1995, S. 3-37 65 Ebd., S. 8 63
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breite Definition quasi aller Beziehungen zwischen nationalen Gesellschaften und/oder Regierungen (wie bei Kaiser) durch eine, bei der es um konkrete Akteure geht, durch deren Handlungen zwei Gesellschaften oder eben auch Untereinheiten von Regierungen verbunden werden, die konkrete politische Ziele haben. Durch den Ausschluss zufälliger oder nicht intentionaler Handlungen, die für Kaiser und Keohane/Nye durchaus Geltung haben, bekommt der Begriff transnationale Beziehungen eine andere Qualität. Transnationale Handlungen sind demnach immer zielgerichtet und zwar, wie Risse vorschlägt, entweder mit instrumentellen Absichten, das heißt ökonomischer Gewinn, oder mit ideellen Zielen wie die Förderung von Prinzipien oder Wissen. Transnationale Interaktion wäre dann nicht mehr wie bei Keohane/Nye die simple face-to-face-Kommunikation, die auch während eines Urlaubs, einer Geschäftsreise etc. entstehen und zu einem Einstellungswandel des Individuums führen kann. Es müsste sich auf jeden Fall um einen Versuch der willentlichen Beeinflussung der Politik des „Ziellandes“ handeln. Risses These lautet: Die Unterschiede in den inneren Strukturen und in der internationalen Position des Staates, d.h. seiner Eingebundenheit in internationale Strukturen, lassen die politische Wirkung transnationaler Akteure variieren. Die Autonomie des Staates befindet sich somit in einer Sandwich-Position zwischen den inneren Strukturen, die sich von unten auf sie auswirken, und den internationalen Institutionen, die von oben die staatlichen Möglichkeiten beeinflussen66. Transnationale Akteure haben zwei Hürden zu überwinden: erstens, überhaupt Zugang zu gewinnen in das politische System des Zielstaates und, zweitens, Gewinnerkoalitionen hervorzubringen oder zu generieren. Sehr stark staatlich kontrollierte innere Strukturen mit zentralisierten politischen Institutionen, starker Exekutive, schwachem sozialen Organisationsniveau und wenigen intermediären Organisationen oder einer konsensorientierten politischen Kultur machen transnationalen Akteuren den Zugang sehr schwer. Korporatistische innere Strukturen mit starken intermediären Organisationen und einer konsensorientierten politischen Kultur dagegen machen den Zugang leicht. Aber leichter Zugang garantiere noch keine politische Wirkung, so Risse. Um wirklich einen politischen Wandel herbeizuführen, muss man eine Gewinnerkoalition formen, und ob transnationale Akteure dies schaffen, hängt auch von ihrer Fähigkeit ab, sich den inneren Strukturen des Ziellandes anzupassen. So mag zwar der Zugang zu staatskontrollierten oder –dominierten Strukturen am schwersten sein, dafür, so nimmt der Autor an, könne die Wirkung um so profunder sein, hat man erst einmal diese Hürde genommen. Andererseits kann die Wirkung transnationaler Aktivitäten weniger nachhaltig sein bei solchen Strukturen, die einen leichten Zugang gewähren, wie etwa die korporatistischen. Diese Überlegungen weisen auf den Aspekt der Wirkungsbedingungen externer Einflüsse hin, der für die operationale Seite unseres Analyseschemas wichtig ist. Auch die Motivlagen der nationalen Akteure ebenso wie die Beschaffenheit der inneren Strukturen spielen eine Rolle. Der Erfolg transnationaler Handlungen hängt demnach auch maßgeblich von den inneren Strukturen des Ziellandes ab.
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Es handelt sich bei beiden „Schichten“ um Regierungsstrukturen, einmal national, einmal international.
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2.3.4 Der Staat zwischen äußeren und inneren Kräften Kümmern sich Rosenau und die transnationalen Theoretiker um den Nexus zwischen Außen und Innen, ist Wolfram Hanrieders Ausgangsperspektive67 - in stärkerem Maße als bei den bisher betrachteten Autoren - der Nationalstaat und die gleichermaßen starken Kräfte, die auf den Nationalstaat einwirken: Damit meint er einmal die Veränderungen des internationalen Systems, und zum anderen die zunehmenden Versorgungsbedürfnisse der Bürger, die die Politik zur vordersten Arena für die Umverteilung vieler öffentlicher Befriedigungen macht.68 Um seine Verantwortung für die soziale und ökonomische Wohlfahrt zu erfüllen, ist der Nationalstaat gezwungen, mit anderen Staaten zu interagieren und die Logik von Kooperation und Interdependenz zu akzeptieren. „Internal state power is sustained by external cooperation“69, so fasst Hanrieder die Situation zusammen. Die innere, vertikale Interaktion zwischen Gesellschaft und Staat hänge daher – quasi kausal - zusammen mit den horizontalen Interaktionen zwischen den Einheiten der Weltpolitik. Diese horizontalen Interaktionen unterscheidet er in „government-to-government level“ und zwar bilateral wie auch multilateral, also traditioneller internationaler Politik; „society-to-society dealings“, Hanrieder nennt dies auch laterale oder transnationale Interaktionen; und schließlich integrative Interaktionen, bei denen supranationale Prozesse involviert sind, wie etwa bei der EG. Regierungen haben somit zwei in einander greifende Verteilungsprozesse zu managen: die von Macht und Einfluss (extern) und die von Wohlfahrt (intern). Das bedeutet die Durchlöcherung der traditionellen Grenzen, die den Nationalstaat und das ihn umgebende internationale System trennen. Hanrieder spricht von „a new convergence of international and domestic political processes“, ja sogar von „fusion of domestic and foreign policy (...) even in the absence of supranational processes“.70 Was Domestizierung der internationalen Politik bedeutet, zeigt Hanrieder an verschiedenen Beispielen, wobei hier besonders die Anwendung auf Dritte Welt-Länder interessant ist. Hier spielt nämlich die Suche nach Selbstdefinition eine Rolle, in der Form der Betonung kohäsiver Merkmale des Systems statt fragiler Elemente. Demnach kann sich die Legitimität eines Staates eher durch seine Außen- als durch seine Innenpolitik geltend machen. „The reality of a new nation, its uniqueness and integrity, are more convincingly expressed in its external relations than in divisive domestic political processes. Foreign policy is put in service of nation-building.“ [H.d.V.]71 Hanrieders Schlussfolgerung lautet – und dies ist ein wichtiger Ausgangspunkt für uns -, dass die gemeinsame Wirkung von internationalen Effekten und inneren Strukturen die Regierungspolitik konditioniert72. Zwei weitere relevante Hinweise lassen sich aus Hanrieders Darstellung herauslesen: Erstens muss man die Frage nach den Gewichtungen äußerer und innerer Einflüsse auf die Regierungspolitik im jeweiligen Kontext des Staates sehen. Zweitens haben die nationalen Regierungen verschiedene Optionen, die äußeren und inne67 Hanrieder, Wolfram F., „Dissolving International Politics: Reflections on the Nation State“, in: The American Political Science Review, Nr. 4, Dezember 1978, S. 1276-1288 68 Wir finden hier eine sehr frühe Formulierung der Erkenntnis, dass die Befriedigung der wachsenden Forderungen der Bürger zunehmend eine Hauptquelle der Legitimation des Staates und dem Verbleib einer Regierung im Amt geworden ist. Vgl., ebd., S. 1278 69 Ebd., S. 1276 70 Ebd., S. 1280 71 Ebd., S. 1282 72 Vgl., hierzu S. 1285
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ren Prozesse, die auf sie als Nahtstelle einwirken, zu managen. Hanrieder stellt sie auf eine Skala von Divergenz – Parallelität – Koordination und Integration. Koordination, so lautet seine Empfehlung, biete sich als der vernünftige und zugleich notwendige Weg an, quasi als Mindestoption, Integration als „höchste Stufe. Aus der Betrachtung der Forschungslinien lassen sich Schlussfolgerungen ziehen über das Verhältnis von innerer und äußerer Dimension, den Nexus zwischen internationalem Umfeld und nationalem System, über die Wirkung bzw. Wirkungsmöglichkeiten externer Einflüsse, über die Handlungsoptionen von Regierungen. Diese werden als Grundlage für die konzeptionellen Überlegungen der Interaktion von externen Einflüssen und dem Demokratisierungsprozess in Transformationsländern dienen. 2.4 Erkenntnisse der Internationalen Politikforschung zur Interaktion von externer und interner Dimension bei Demokratisierungsprozessen Der Staat ist längst nicht mehr als abgeschlossene, vollkommen autonom und souverän entscheidende, sondern als eingebundene und vernetzte Einheit zu betrachten, in der grenzüberschreitende Interaktionen zur politischen Praxis und Realität gehören. Auf den Staat wirken zwei Kräfte: zum einen die Bedürfnisse der Bürger (von innen), die Hanrieder insbesondere an Versorgungsbedürfnissen und den daraus folgenden Verteilungsaufgaben festmacht, und zum anderen die externen Prozesse eines immer interdependenteren und immer hochgradiger vernetzten internationalen Systems. Die untersuchten Ansätze weisen auf die „Sandwich-Position“ des Staates hin: Abbildung 4:
„Sandwich“-Position des Staates
Internationales Umfeld und seine Prozesse
Staat
Wirtschaft
Gesellschaft
Diese Sandwich-Position führt auch dazu, dass sich die Grenzen zwischen Innenpolitik und Außenpolitik weiter verflüssigen. Hanrieder spricht von einer Konvergenz internationaler und innerer politischer Prozesse und von einer Fusion von Innen- und Außenpolitik, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um supranationale Integrationsprozesse wie bei der EG
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handelt. Der Staat kann nicht als vom externen Umfeld abgekoppelt und isoliert betrachtet werden, nicht zuletzt weil sich innenpolitische Prozesse und Entscheidungen schwerlich trennen lassen von außenpolitischen Orientierungen und Entscheidungen und vice versa; zudem interagiert beides wiederum mit dem internationalen Kontext und spezifischen Situationen im internationalen Umfeld. Die Entgrenzung von Innen- und Außenpolitik bedeutet aber keinesfalls, „dass auch die zunehmende Internationalisierung (...) zur ‚Abdankung‘ der Politik im Allgemeinen führt, zur Rücknahme des Auftrages an die Politik nach innen wie nach außen gestaltend tätig zu werden.“73 Die Feststellung, dass der Staat nicht vom externen Umfeld abgekoppelt und isoliert betrachtet werden kann, muss auf Transformationsländer gleichermaßen angewendet werden. Deutsch stellt eine Korrelation zwischen der Stabilität und der Sensibilität eines System her: Instabile Systeme sind sensibler für fremde Einflüsse. Das lässt sich insofern auf den Demokratisierungsprozess übertragen, als hierbei die Dinge in Fluss geraten sind (in Unordnung in den Worten Schmitters) und die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Parameter im Neuordnungsprozess begriffen sind. Des Weiteren befinden sich auch Transformationsländer in einer Sandwich-Position, die unter den eben beschriebenen Umständen einer ungefestigten Situation in verstärkter Weise wirkt. Innenpolitisch sind da jene Kräfte aus Gesellschaft, Wirtschaft, intellektueller Elite etc., die nach einer autokratischen Herrschaft – zumal wenn sie jahrzehntelang gedauert hatte – die Chance sehen, ihre Vorstellungen von der Zukunft des Landes umzusetzen und diese an die politische Elite (Regierung, Opposition) weitergeben. Auf der anderen Seite ergeben sich durch einen Systemwechsel auch bei den externen Akteuren Erwartungen, Vorstellungen, neue Handlungsoptionen – auf bilateraler, regionaler und internationaler Ebene. Auch externe Akteure – manche mehr, manche weniger – verbinden Interessen, sehen Chancen im Zusammenhang mit dem Systemwechsel, signalisieren dies dem Transformationsland oder richten ihre Aktivitäten daraufhin aus. Ausgangspunkt der Überlegungen war, dass ein Transformationsland eingebunden ist in eine zeitlich-historische (horizontale) Dimension, die vorautoritäre und autoritäre Phase, das Ende des autoritären Systems, die Transition und die Konsolidierung umfasst, was in dem Kontinuum-Schema Merkels wiedergegeben ist. Dieses Kontinuum-Schema wurde durch die externe Dimension ergänzt (siehe Abb. 2). Die zunächst noch sehr grob belassene externe Dimension lässt sich nun sukzessive ergänzen und differenzieren. Für die theoretische Einordnung ebenso wie für die empirische Untersuchung grenzüberschreitender Interaktion ist eine Feststellung Rosenaus entscheidend: Das internationale Umfeld ist nicht als eine Konstante zu betrachten, sondern als Variable, und zwar als unabhängige Variable. Dabei unterscheidet er den allgemeinen Kontext und spezifische Situationen, beide als unabhängige Variable.74 Dem folgend unterscheide ich in externen Kontext und externe Akteure, die in spezifischen Situationen agieren.
73 Schubert, Klaus, „Auf dem Weg zu neuen Formen der Staatlichkeit und zu einer neuen Qualität von Außenpolitik?“, in: Schubert, Klaus/Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela, Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik, Opladen 2000, S. 9-29, S. 16 74 Vgl., a.a.O., Rosenau, 1980
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Abbildung 5:
Analysemodell, differenziert in externen Kontext und externe Akteure
Externer Kontext
Vorautokratische Demokratieerfahrungen
Nicht demokratisches System
Ende des nichdemokratischen Systems
Transition: Institutionalisierung der Demokratie
Konsolidierung der Demokratie
Konsolidierte Demokratie
Externe Akteure
Die Betrachtung der Forschungslinien hat in Bezug auf die Akteure ergeben, dass neben die staatlichen auch Akteure aus dem nichtstaatlichen Bereich, neben die Regierungen etwa Nichtregierungsorganisationen treten. Das gilt national wie international. Das heißt, die die Akteursebene ist zu differenzieren in internationale, supranationale, transnationale, nationale und sub-nationale Regierungs- und Nichtregierungsakteure. Wichtige Charakteristika der NGOs sind, erstens, dass sie issue-orientiert sind, und dass sie sich, zweitens, ebenso an die Regierungsebene wie an die gesellschaftliche Ebene richten. Dazu kann eine zusätzliche Akteursebene kommen, die der transgovernementalen Interaktion in Form von Subeinheiten von Regierungen oder internationalen Organisationen (wie Bürokratie, Geheimdienste oder Justiz oder die Agrarministerrunde der EG), die relativ unabhängig von bzw. innerhalb der Regierung agieren). Das heißt, in unserem Schema müssen die internen und externen Akteure in Regierungs- und Nichtregierungsebene differenziert werden. Bei allen untersuchten Ansätzen wird ein Nexus zwischen internationalem und nationalem System unterstellt. Dabei wird davon ausgegangen, dass internationale Akteure (Individuen oder Organisationen) in den politischen Beziehungen mit anderen Akteuren über Staatsgrenzen hinweg interagieren. Transnationale Politik weist auf gesellschaftliche Akteure hin, die nicht nur vertikal, also innerhalb des nationalen Systems, Einfluss nehmen, sondern auch horizontal, also transnational, die Entscheidungskontexte von Regierungen beeinflussen können mit weit reichenden Konsequenzen für die nationalen Gesellschaften, indem sie durch von außen kommende Anstöße politische Prozesse zwischen Gesellschaft und Regierung auslösen. Rosenaus linkage-Modell lokalisiert sowohl den Absender des Anstoßes als auch den Adressaten genauer und qualifiziert jene Verhaltenssequenzen (linkages). Sowohl der Ansatz der transnationalen Politik als auch der linkage-Ansatz helfen,
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den interaktiven Prozess zwischen nationalem und internationalem System näher zu beschreiben. Die Konsequenz des Phänomens transnationaler Politik und penetrierter Systeme etc. ist, dass sich die Sensibilität nationaler Gesellschaften für Anstöße von außen erhöht (Keohane/Nye). Der festgestellte Nexus zwischen internationalem Umfeld und nationalem System muss gleichermaßen angewendet werden auf Transformationsländer. Bei ihnen muss ebenso davon ausgegangen werden, dass externe Akteure von außen auf die nationalen Systeme und ihre Akteure Einfluss nehmen, dass letztere darauf reagieren und daraus Interaktionen entstehen. Diese Interaktion zwischen internationalem Umfeld und nationalem System, vorgestellt als Sequenz von Anstoß und Perzeption bzw. Reaktion des Ziellandes (linkage), muss bei der Untersuchung von Demokratisierungsprozessen einbezogen werden. Die Interaktion besteht somit aus linkages, also Verhaltenssequenzen, bei denen der Absender (externer Akteur) und Adressat (nationales System) auszumachen sind. Damit ist zunächst der Mechanismus beschrieben; die Qualität der Beziehung zwischen externen und nationalen Akteuren wird derweil durch die Phänomene der Penetration, außengesteuerten Durchdringung oder Asymmetrie näher bestimmt. Für Transformationsländer treffen jene Vorgänge besonders zu. Penetrative Interaktionen finden nach Rosenau dann statt, wenn ein Mangel im nationalen System vorliegt. Gerade Rosenaus Begriff vom Mangel trifft die Situierung der Transformationsländer. Solange sie noch im Demokratisierungsprozess stecken, kann potenziell politische Stabilität fehlen, der Wunsch nach Integration noch unerfüllt sein, der Bedarf an Unterstützung für den Reformprozess vorhanden sein etc. Die internationale Stellung von Transformationsländern ist eher schwach, sie sind angewiesen auf Hilfe und Unterstützung verschiedenster Form (finanziell, wirtschaftlich, eventuell militärisch etc.). Sie sind noch mit den Altlasten des vorhergehenden Regimes belastet, müssen ihre Verlässlichkeit und die Glaubwürdigkeit ihres Demokratiewillens aber erst beweisen; sie können ihre Interessen nur moderat artikulieren und nur mit begrenzter Umsetzung ihrer Vorstellungen rechnen. Das neue politische Personal hat noch nicht so viel Erfahrung auf dem internationalen Parkett etc. Das Verhältnis zwischen dem Transformationsland und seiner Außenwelt ist also mit dem Begriff der Asymmetrie durchaus zutreffend beschrieben. Dies bezieht nicht auf eine Vormachtstellung des externen Akteurs, sondern vielmehr auf die die Nachfragesituation im nationalen System bzw. das Angebot externer Akteure. So muss nicht zuletzt berücksichtigt werden, dass Transformationsländer potenziell bei der Installierung ihres politischen oder wirtschaftlichen Systems, bei der Ausgestaltung ihrer institutionelle Strukturen, ihrer policies oder Verfahren nach Modellen oder Vorbildern in anderen Systemen Ausschau halten, sie abklopfen, reflektieren. Dieses Nutzen oder Lernen von fremden Modellen – in der Forschung als policy transfer75 bezeichnet - beschränkt sich in der Regel auf einzelne Elemente, etwa Arbeitsmarktpolitik, Steuermodelle u.Ä. In Transformationsländern jedoch ist der Bedarf, die Akzeptanz als auch die aktive Abfrage in Bezug auf Transfer größer, und zwar auf allen Ebenen: polity, politics und policy. Insgesamt gesehen passt das Bild des
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Dieser Transfer kann unterschiedliche Formen haben: 1. das reine Kopieren, 2. das Übernehmen einer Idee ohne die Details (Emulation), 3. das Mischen verschiedener policies und Programme oder 4. die Inspiration, bei der ein Politikwechsel zwar angeregt wird, das Ergebnis aber wenig mit dem Original zu tun hat. Vgl., Dolowitz, David P., „Policy transfer: a new framework of policy analysis”, in: ders. et. al., Policy Transfer and British Social Policy. Learning from the USA?, Buckingham/Philadelphia 2000, S. 9-37, hier: S. 25
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Mangels im Inneren, der penetrative Interaktion begünstigt, auf die Situation des Transformationslandes. Die Hypothese von der erhöhten Permeabilität findet sich damit bestätigt. Die Art oder Qualität des Anstoßes von außen wurden bei den betrachteten Autoren differenziert. Die Anstöße können direkt oder indirekt, erfolgen, auf formalen oder informellem Wege, intendiert oder nicht-intendiert. Es kann eine willentliche, intendierte oder eine nicht willentliche Beeinflussung geben. Diese Konkretisierungen müssen auch bei der Interaktion im Demokratisierungsprozess beachtet werden. Anstöße aus dem externen Umfeld, wie Wirtschaftskrisen oder drastische Veränderungen der internationalen Szenerie sind als unintendierte Einflüsse zu bewerten und zu unterscheiden von intendierten Handlungen eines externen Akteurs. Bei letzteren wiederum ist genau zu untersuchen, inwieweit Entscheidungen oder Maßnahmen eines externen Akteurs im nationalen System direkt wirken, also etwa durch eine Reaktion eines nationalen Akteurs, oder eher indirekte Wirkungen nach sich ziehen. Zentrale Bedeutung kommt der Frage nach der Wirkung von außen kommender Anstöße damit der Wirkungsmöglichkeiten externer Akteure zu. Dazu lieferten die betrachteten Ansätze wertvolle Hinweise auf die Bedingungen, unter denen externe Einflüsse zum Tragen kommen können: ein (allgemein als solcher anerkannter) Mangel im nationalen System, die Akzeptanz der Bevölkerung, der Kooperationswille der Regierung, das Gewinnen eines Zugangs, woraus aber noch nicht folgen muss, dass die notwendige Bedingung erfüllt ist, nämlich das Formen von Gewinnerkoalitionen. Daraus lässt sich für externe Einflüsse im Demokratisierungsprozess das zentrale Fazit ziehen: Die Wirkung insbesondere der Handlungen externer Akteure hängt in erheblichem Maße von den inneren Faktoren des nationalen Systems ab, und zwar ebenso von den strukturellen Bedingungen wie einem objektiven Mangel (z. B. im demokratischer Zustand, in der Wirtschaft, schwache Zivilgesellschaft etc.), ebenso aber von den nationalen Akteuren und ihrer Perzeption dieses Mangels oder des externen Akteurs und seinen Motiven, Angeboten, Maßnahmen etc. Falls die Akzeptanz im nationalen System vorhanden ist und der externe Einfluss eines als legitim betrachtet wird, sind die Einflussmöglichkeiten externer Akteure relativ groß, etwa im politischen und wirtschaftlichen Reformprozess. Daran schließt sich zudem die Vermutung an, dass bei überwiegend positiver Perzeption externer Maßnahmen und überwiegender Akzeptanz der nationalen Akteure die Unterstützungsmaßnahmen effektivere Ergebnisse hervorbringen. Ein zweiter wichtiger Befund bezieht sich auf die verschiedenen Korrelationen zwischen nationalem und internationalem System: Externe Einflüsse vermögen weniger zu wirken, wenn das System stabil und autonom ist, wenn die Koppelung zwischen externem Umfeld und internen Entscheidungsprozessen locker ist. Externe Einflüsse wirken dagegen stärker, je mehr ein Staat eingebunden ist bzw., wenn er sich in eine solche Einbindung in regionale, internationale Strukturen hineinbegibt. Diese Befunde bestätigen die Hypothese von dem erhöhten Beeinflussungs- und Steuerungspotential externer Akteure in Demokratisierungsprozessen. Die Erkenntnis, dass die Wirkung externer Einflüsse von der inneren Situation und der Perzeption der nationalen Akteure abhängt, lässt mich die Hypothesen 2 (erhöhtes Steuerungspotential externer Akteure) und 3 (Steuerungspotential kann eingesetzt werden zur Demokratieförderung)76 so modifizieren: Das Steuerungspotential externer Akteure bzw. die Möglichkeit externer Akteure, ihr Steuerungspotential zur Demokratieförderung einzusetzen, hängen in erhebli76
S. Kap. II. 2
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chem Maße von den inneren Bedingungen ab, insbesondere von der Akzeptanz der Bevölkerung bzw. von dem Kooperationswillen der Regierung. Auf dem Hintergrund eines interdependenten Beziehungsgeflechts mit asymmetrischen bzw. Dominanz-Verhältnissen auf der einen Seite und dem zunehmenden Druck durch innere gesellschaftliche Bedürfnisse auf der anderen ist eine Kernfrage die nach den Handlungsoptionen der Regierung. Die nationale Regierung stellt weiterhin den Dreh- und Angelpunkt dar, an dem sich innere und äußere Politik treffen, auch wenn sie etliche andere Akteure neben sie treten. Es geht um das Management dieser auf sie einwirkenden inneren und äußeren Prozesse durch die nationalen Regierungen. Dies stellt potenziell eine besondere Herausforderung dar für neue Regierungen, die die inneren und äußeren Koordinaten eines Transformationslandes festlegen müssen. Dies trifft sich mit Rosenaus Feststellung in Bezug auf das außenpolitische Verhalten nationaler Regierungen abhängig vom inneren bzw. äußeren Wandel. Liegt viel Wandel im nationalen System, aber wenig im internationalen System vor, so zielt das außenpolitische Handeln der Regierung darauf, die äußeren Strukturen an den inneren Wandlungsprozess anzupassen. Die Handlungsoptionen der Transformationsländer werden durch den hohen Grad an Wandel im Inneren gegenüber einem eher niedrigen Grad an Wandel im Äußeren geprägt. Nach Rosenau wird das außenpolitische Verhalten somit „spirited“, also tatkräftig, kein Routineverhalten, sondern rege Planungs- und Entscheidungs- und Umsetzungstätigkeit. Äußeres Umfeld und innerer Wandel müssen in Einklang gebracht werden: die bilateralen Beziehungen, die Rolle des Landes im regionalen Kontext, im internationalen Konzert. Die außenpolitische Einbettung eines im Inneren stark gewandelten Systems wie etwa bei einer Transition zur Demokratie ist eine zentrale Aufgabe. Die Außenpolitik muss konzipiert werden gemäß der neuen internen Situation und die außenpolitischen Handlungen darauf ausgerichtet werden. Es ist also davon auszugehen, dass das außenpolitische Handeln eines Transformationslandes einer immensen Dynamik unterliegt. Das bedeutet, Regierungen von Demokratisierungsländern zeichnen sich durch erhöhte eigene Aktivität aus, sei es zur Neuordnung der äußeren Beziehungen, sei es, um die außenpolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, Unterstützung oder Stabilisierung von außen zu finden. Handlungsoptionen sind nach Hanrieder Divergenz, Parallelität, Koordination und Integration. Er betrachtet Koordination als Mindestoption, Integration als Maximaloption. Auch die Möglichkeiten der Transformationsländer werden durch die zunehmend interdependenten Verhältnisse geprägt, die Koordination als außenpolitische Mindestoption und Integration als außenpolitische Maximaloption erfordern. Wenn wir von Verflechtungsprozessen sprechen, haben wir es mit zwei zentralen Phänomenen zu tun: der Globalisierung und der Regionalisierung: „Globalisierung und Regionalisierung sind externe Herausforderungen, auf die die Nationalstaaten mit Regionalismus und Interregionalismus unter Einbeziehung transnationaler Elemente antworten“.77 Auf Transformationsländer übertragen heißt das: Die Angewiesenheit auf wirtschaftliche Unterstützung (Investitionen, Kredite, Handelsliberalisierung etc.) wird ein Transitionsland dazu zwingen, an den „ökonomisch regionalen Verdichtungsprozessen“ teilzuhaben oder eben die Integration in eine auch politisch motivierte Regionalorganisation wie die EG/EU. Darüber hinaus ergibt sich aus den empirischen Ergebnissen der Transitionsforschung, dass insbesondere der regionale Kon77 Roloff, Ralf, Europa, Amerika und Asien zwischen Globalisierung und Regionalisierung. Das interregionale Konzert und die ökonomische Dimension internationaler Politik, Paderborn, München, Wien, Zürich 2001, Seite 16
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text (günstig oder nicht, stützend oder nicht) eine Rolle für den Demokratisierungsprozess spielt. Gehen wir davon aus, dass das Entscheidungsfeld von Staaten auf eine Weise beeinflusst wird, „die sie einem spezifischen Druck aussetzt und regionale Zusammenschlüssen stimuliert“78, und gehen wir weiter davon aus, dass sowohl Globalisierung als auch Regionalisierung einen starken Anpassungsdruck ausüben, finden wir Hypothese 4 gestützt: Der regionale Kontext und Kooperation bzw. Integration in wirtschaftliche Regionalorganisationen und/oder politische Regionalorganisationen sind für Transformationsländer quasi paradigmatische Handlungsoptionen. Ist für ein Transitionsland die Möglichkeit einer Integration in einer wirtschaftliche oder politische Regionalstruktur greifbar, wird sie diese daher anstreben. Ein zentraler Aspekt für das Regierungshandeln von Transformationsländern ist der Befund der zunehmenden Bedeutung von Außenpolitik als Legitimitätsquelle; so etwa auch beim nation-building-Prozess oder in Situationen nationaler Identitätsfindung bzw. Identitätsstiftung. Das deutet darauf hin, dass außenpolitische Orientierung und Performanz in mehrfacher Hinsicht nach innen wirken kann: bei der Herausbildung nationaler Identität, als Legitimitätsquelle für das neue System etwa. Transitionsländern sind in ihrer Suche nach Selbstdefinition bemüht, die kohäsiven Kräfte ihres Systems zu betonen. Hanrieder geht sogar so weit zu sagen, dass in so einer Situation die Legitimität des Staates eher durch seine Außen- denn durch seine Innenpolitik herzustellen ist: „The reality of a new nation, its uniqueness and integrity, are more convincingly expressed in its external relations than in divisive domestic political processes.”79. Außenpolitik kann in der Situation eines Neuanfangs der Identitätsstiftung bzw. auch der Nationsbildung eines Transitionslandes dienen. Da das Finden und die Festlegung einer neuen Identität ein zentraler Aspekt ist in einem Land, das sich politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich neu vor eine weitgehende Neuordnung gestellt sieht, bekommt Außenpolitik als Element der Identitätsfindung und der Legitimität eine besondere Rolle. Die Rolle der Außenpolitik bei Demokratisierungsprozessen ist bislang nur wenig beleuchtet worden. Der Zusammenhang zwischen Regimewechsel und Außenpolitik stellt „eine bisher nur unzureichend behandelte Facette der Redemokratisierungsprozesse“80 dar, so Dieter Nohlen. Er hat den Zusammenhang von Demokratisierung und Außenpolitik aufgeschlüsselt in vier politische Sachgebiete: die Beziehung der Demokratisierung zur Orientierung einzelstaatlicher Außenpolitik, zu regionalen Kooperations- und Integrationsprozessen, zur Auslandsverschuldung (ein speziell lateinamerikanisches Problem) und zu den institutionellen Strukturen des außenpolitischen decision-making. Es gilt somit, eine weitere neue Hypothese 5 zu formulieren: Die Außenpolitik eines Transitionslandes ist ein wichtiges Element zur Herstellung von Legitimität und ein wichtiges Element zur Identitätsstiftung des neuen politischen Systems.
78
Schirm, Stefan A., Transnationale Globalisierung und regionale Kooperation, in: ZIB 1/1997, S. 69-106, hier: S. 84 79 A.a.O., Hanrieder, S. 1282 80 Nohlen, Dieter/Fernández, Mario, „Demokratisierung und Außenpolitik“, in: Nohlen, Dieter/Fernández, Mario/van Klaveren, Alberto, (Hrsg.), Demokratie und Außenpolitik in Lateinamerika, Opladen 1991, S. 37-59, hier: S. 57 Siehe auch folgendes Zitat: „Hingegen wurde in der Regimewechselforschung die Analyse des Zusammenhangs von Redemokratisierung und Außenpolitik stark vernachlässigt. Die wenigen vorliegenden Arbeiten zu diesem Thema sind häufig rein deskriptiv und in der Regel monographisch ausgerichtet.“ S. 37
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2.5 Berücksichtigung externer Faktoren in der Transitions- und Konsolidierungsforschung Der Blick auf die Theorie der Internationalen Beziehungen bereichert die Demokratisierungsforschung, erstens, um grundlegende Einsichten, und hilft, zweitens, weiter bei der Suche nach analytischem Handwerkszeug zur Untersuchung der äußeren Aspekte von Demokratisierungsprozessen. Die Frage ist, wie können diese in den vorigen Kapiteln dargestellten grundlegenden Erkenntnisse konkret in die Demokratisierungsforschung „eingebaut“ werden? Welche Ansätze bietet bislang die Demokratisierungsforschung zur Berücksichtigung der internationalen Dimension? Die Transformationsforschung tut sich schwer mit der internationalen Dimension bei Demokratisierungen. Die generelle Vernachlässigung, insbesondere bis zum Umbruch in Osteuropa, wurde bereits dargestellt.81 Seither wird zwar das internationale Umfeld und seine Akteure als Faktor erkannt, aber – wie Pridham es ausdrückt – öfter angenommen, als theoretisch adäquat umgesetzt.82 Die zentrale Überlegung in Bezug auf die internationale Dimension, die vergessene Dimension in der Transitionsforschung, so Geoffrey Pridham, ist die Interaktion zwischen externem Umfeld und internem Regimewechsel. Theoretisch wie empirisch sei sie weitgehend ignoriert worden. Meist werden Teilphänomene benannt oder beschrieben, so wie der snowballing- und der Demonstrationseffekt bei Samuel Huntington83. Andere Autoren fassen internationale Faktoren als eines von mehreren Faktorenbündeln. So etwa Diamond/Linz/Lipset, die in ihrer Aufstellung fördernder und behindernder Faktoren für eine demokratische Entwicklung hinter neun anderen Punkten - Legitimität und Performanz, politische Führung, Politische Kultur, soziale Struktur und sozioökonomische Entwicklung, Zivilgesellschaft, Staat und Gesellschaft, politische Institutionen, ethnische und regionale Konflikte, Militär - internationale Faktoren gleichberechtigt aufnehmen. Phänomene wie Intervention, kulturelle Verbreitung, Demonstrationseffekte, kulturelle Diffusion demokratischer Normen werden als ein „wichtiges Stimulans für den demokratischen Fortschritt“ bewertet. Zudem wird konstatiert, dass allerorten die Bedeutung internationaler und regionaler Kontexte für Demokratisierung und demokratische Konsolidierung wachsende Bedeutung in den letzten beiden Dekaden (i.e. seit 1975) gewonnen habe. Wie Diamond/Linz/Lipset fragen Merkel/Puhle nach den „Bedingungen und Hindernissen erfolgreicher Transformationen“84 und nehmen in ihrem „Faktorenbündel“85 den Punkt Auslandseinfluss auf. Merkel differenziert an anderer Stelle86 bei den Ursachenkomplexen für das Ende autokratischer Systeme systeminterne und systemexterne Ursachen: Kriegsnieder-
81
Siehe Teil I Pridham, Geoffrey, „International Influences and Democratic Transition: Problems of Theory and Practice in Linkage Politics“, in: ders., Encouraging Democracy: The International Context of Regime Transition in Southern Europe, Leicester, London 1991, S. 1-29, hier S. 1 (entspricht der Fassung ders., „Democratic Transition and the International Environment: A Research Agenda“, Occasional Paper No. 1 des Centre of Mediterranean Studies der Universität Bristol, vom Februar 1991, abgedruckt in: Pridham, Geoffrey, (Hrsg.), Transitions to Democracy. Comparative Perspectives from Southern Europe, Latin America and Eastern Europe, Aldershot et.al. 1995) 83 Vgl., a.a.O., Huntington, 1991, S. 31ff und Huntington, Samuel P., „Will More Countries Become Democratic?“, in: Political Science Quaterly, 99/1984, S. 193-218, S. 206 84 A.a.O., Merkel/Puhle, S. 11 85 Charakteristika der autokratischen Regime, Stärke der demokratischen Traditionen, Wirtschaftskonjunktur, spezifischer Modernisierungsweg, Stärke der civil society, umfassende kulturelle Transformationen. Vgl., ebd., S. 7792 86 Vgl., a.a.O., Merkel, 1999, S. 123ff 82
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lage, Wegfall externer Unterstützung (siehe Sowjetunion und Breschnew-Doktrin) sowie Dominoeffekte. Ansätze zur Konzeptualisierungen gibt es derweil wenige. Laurence Whitehead und Geoffrey Pridham sind hier vor allen Dingen zu nennen. Whitehead ist es durch seinen gegen den main stream von TAR geschriebenen Aufsatz zu verdanken, dass die internationalen Faktoren – auch und gerade im Zusammenhang mit Demokratieförderung – überhaupt beachtet worden sind. Seine zentrale Frage lautet „How important are the international factors influencing attempts at redemocratization?“ 87. Diese Frage nach den internationalen Faktoren bei (Re)Demokratisierungsprozessen verbindet er mit dem Phänomen der Demokratieförderung, womit er plausibel macht, dass die externe Dimension – und nicht erst seit 1975ff – breiter gefasst werden muss als O’Donnell/Schmitter das tun, breiter nämlich als nur durch und nach militärischer Eroberung. Whitehead bezieht in seiner komparativen Darstellung Ausgangssituation, Motive, Methode und Instrumente der amerikanischen und europäischen – sprich EG-Politik der Demokratieförderung ein.88 Whiteheads Verknüpfung von internationalen Faktoren bei Demokratisierungen und Demokratieförderungspolitik lässt ihn zu der Erkenntnis gelangen, dass Demokratieförderung immer nur ein Ziel innerhalb des außenpolitischen Spektrums ist und sie daher auch mit anderen Zielen konkurriert bzw. auch zuwiderlaufen kann. So seien die Ziele der amerikanischen Sicherheitspolitik – unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch seien – oft in Konflikt geraten mit liberal-demokratischen Zielen in bestimmten außenpolitischen Bereichen oder haben sich sogar über sie hinwegsetzen, sie umstoßen.89 In Bezug auf die Wirkung stellt Whitehead fest, dass selbst externe Einflüsse, die nicht die erwünschte Redemokratisierung bringen, profunde Wirkungen auf die interne Politik des Landes hinterlassen können. Unaufdringliche, aber unnachgiebig/nicht biegsame Anreize und Strafen seien effektiver als flüchtiges, dramatisches Vorgehen. Aber selbst die effektivste Methode bringe nur langfristig Resultate und nur dann, wenn die internen Prozesse günstig seien.90 Letztlich aber kommt es darauf an, wie das allgemeine Ziel Demokratieförderung im Einzelfall dann in die Praxis umgesetzt wird. Hierbei, so Whitehead, haben dominante Länder in einem regionalen Kontext mehr Reichweite, die „terms of debate“ zu setzen; siehe EWG in Südeuropa. Daher, so Whitehead, „the geopolitical dimension must rank high in any account of the international aspects of democratization“.91 Dies trifft sich mit der Hypothese Schmitters, „that the really effective international context that can influence the course of democratization has increasingly become regional, and not binational or global.“92 Dem regionalen Kontext und insbesondere dem regionalen Akteur EG – auch rückwirkend für Südeuropa – wird inzwischen eine größere Bedeutung eingeräumt als globalen Akteuren oder Kontexten.
87 Whitehead, Laurence, „International Aspects of Democratization“, in: O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C./Whitehead, Laurence (Hrsg.), Transitions from Authoritarian Rule, Bd. 4: Comparative Aspects, Baltimore/London 1986, S. 3-47, hier: S. 3 88 Siehe dazu auch Kneuer, Marianne, „Die Demokratieförderung der EG bei der Transformation Südeuropas: Lehren für Osteuropa?“, in: Welttrends, Nr. 30, Frühjahr 2001, S. 111-133 89 Vgl., a.a.O., Whitehead, 1986, S. 43 90 Vgl., ebd., S. 19ff 91 Ebd., S. 39 92 A.a.O., Schmitter, 1996, S. 40
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“The construction of democratic communities of states, and the transmission of liberal democratic practices and institutions from state to state within a region are two powerful international processes currently shaping the course, distribution, and content of democratization experiences both in Europe and the Americas.”93
Und noch konkreter, allerdings auch mit Einschränkungen: „Regional integration processes grouping democratic states into mutually supportive communities can generate powerful international processes of democracy promotion in adjoining territories, but the effects are likely to be phased, selective, and geographically uneven.“94
Hier wird noch einmal deutlich, dass Whiteheads Ansatz darin besteht, Demokratieförderung, als von außen kommende Aktivitäten, mit einzubeziehen in die Frage nach Verlauf und Erfolg von Demokratisierungen. In späteren Arbeiten erweitert Whitehead deshalb die monokausale Erklärungsform der „democratization-through-defeat“, das O’Donnell und Schmitter sowie auch Stepan als externen Einfluss gelten lassen, um „democratizationthrough-decolonisation“, „democratization-through-incorporation“ und „democratizationthrough-convergence“.95 Demokratisierung durch Dekolonisierung erklärt sich von selbst; mit Inkorporation meint Whitehead, dass ein Land, das in ein anderes inkorporiert wird, zwangsläufig dessen demokratische Standards annimmt (siehe etwa Puerto Rico, Hawaii). Es handelt sich also um einen „one-way-process“, ohne viel Spielraum für das zu inkorporierende Land. Bei dem dritten Modell der Demokratisierung durch Konvergenz denkt Whitehead an „democratization via enlargement of a pre-existing democratic community of sovereign states“. Dieser internationale Demokratisierungspfad ist weniger bindend als Inkorporation, aber dennoch „forceful“, so der Autor. Die Unterschiede lägen darin, dass die Demokratisierung via Konvergenz dem Antragsteller die Möglichkeit zur Verhandlung und zum Setzen einer eigenen Zeitschiene gebe, dass der Grad an Intervention in die politischen Angelegenheiten des neues Mitglieds geringer sei, da sie Souveränität der Staaten geschützt werden müsse. Dies wiederum führe dazu, dass die demokratische Staatengemeinschaft einen höheren Standard an demokratischer Performanz fordere vor dem Beitritt, als für die inkorporierende Demokratie nötig sei, da ihr in diesem Fall später mehr Freiheit zur Abhilfe gegeben sei. „Democracy-by-imposition“ bezeichnet eine unilaterale Form von Demokratieförderung radikaler Ungleichheit zwischen Macht und Rechten des handelnden Landes und des Ziellandes. Demokratisierung durch Konvergenz bezeichnet Whitehead als wichtigen Demokratisierungspfad, und zwar einen demokratischen und Souveränität bejahenden Pfad im Gegensatz zur Inkorporation.96 Demokratie durch Konvergenz bildet insofern eine Alternative zur Inkorporation, da es sich um eine Demokratieförderung durch gegenseitige Akkomodation handelt. In diesem Fall erkennt der Geber zwar auch die Imperfektion und die Verletzlichkeit der Demokratie, erkennt aber auch, dass sie von außen 93
Whitehead, Laurence, „Democratic Regions, Ostracism, and Pariahs, in: a.a.O., Whitehead, The International Dimensions, S. 395- 412, hier: S. 395 94 Ebd., S. 406 95 Vgl., a.a.O., Whitehead, 1991, S. 48; siehe dazu a. Whiteheads Beiträge „“The Imposition of Democracy: The Caribbean“, in: ders., a.a.O. 1996, S. 59-93 und „Democracy by Convergence and Southern Europe: a Comparative Politics Perspective“, in: a.a.O., Pridham, 1991, S. 45-62 sowie der Abdruck dieses Aufsatzes in a.a.O., Whitehead, 1996 unter dem Titel „Democracy by Convergence: Southern Europe“, S. 261-285 96 Vgl., a.a.O., “Democracy by Convergence” 1991 und 1996
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gestärkt werden könnte.97 Demokratie durch Konvergenz ist eine Form, auf die Integration in die EG/EU zutrifft. Eine weitere Differenzierung nimmt Whitehead in Bezug auf verschiedene Dimensionen der internationalen Faktoren vor: Konsens, Kontrolle, Ansteckung. Whitehead hat damit zur Differenzierung externer Einflussprozesse beigetragen, dennoch bleibt bei seinen Konzepten offen, von welchen Akteuren Einflüsse auf welche Adressaten treffen und auf Grund welcher Motive und mit Hilfe welcher Instrumente Einfluss ausgeübt wird. Auch wie der Mechanismus von Einfluss, Rezeption, Umsetzung aussieht, bleibt offen. Sicher ist das Modell der Ansteckung, dem auch Schmitter den größten Stellenwert zuschreibt98, sehr eingängig. Solche Ansteckungseffekte kann man in der Karibik, in der Andenregion und in Ostmitteleuropa erkennen. Damit ist aber nicht erklärt, was Ansteckung genau heißt: Welche Mechanismen verbergen sich dahinter? Welche Anstöße stecken ein Land an? Wie? Welche Akteure und welche Strukturen spielen wann, wie und warum eine Rolle? Die Einflussstränge von externen und internen Faktoren werden nicht freigelegt, die Verknüpfungen, Knotenpunkte etc. nicht ausgemacht. Daher bleiben Konvergenz, Ansteckung und ähnliche Konzepte auf halbem Wege stehen, denn sie geben uns keine genaue Auskunft über die Verbindungen zwischen der internen und externen Dimension. Just an diesem Punkt, an dem es um Ablauf und Mechanismen der Interaktion geht, und an dem uns Whitehead nur begrenzt weiterhelfen kann, bietet Geoffrey Pridham eine erweiterte Analyseperspektive. Pridham setzt an bei der Frage nach der Interaktion externer und interner Faktoren und sieht deswegen die Notwendigkeit, die Literatur der internationalen Beziehungen mit einzubeziehen. Hier geht Pridham anders vor als Whitehead, indem er den Brückenschlag zu für die Transitionsforschung nützlichen Erkenntnissen der Internationalen Beziehungen unternimmt. Insbesondere nimmt er Rosenaus linkage politics99 auf. Trotz einiger Schwierigkeiten, den breiten Ansatz von linkage politics auf den spezifischen Transitionsprozess anzuwenden, biete er dennoch „new angels on relevant linkages.“100 Die Suche nach solchen Verhaltenssequenzen geht einen Schritt weiter und „entwirrt“ jenes bei Whitehead, Schmitter und anderen gefundene Knäuel von Ansteckungsphänomenen und Ähnlichem. Pridham bezeichnet die linkages als „outer-directed“ und „inner-directed“Verknüpfungen. Zudem konstatiert Pridham, dass neben die Konzentration auf die Akteursebene wieder stärker strukturelle Faktoren berücksichtigt werden sollten. Daher bezieht Pridham auch die historische Perspektive sowie andere Hintergrundbedingungen wie geopolitische Situation, historische und kulturelle Faktoren ein. Ein theoretisches Erklärungsmodell, das sich unter anderem der Frage des exogenen Anreizes und seiner Verarbeitung widmet, hat Eberhard Sandschneider entworfen. Anreiz definiert Sandschneider als „jedes Ereignis (…), das eine – wie auch immer geartete Einwirkung auf Strukturgefüge und funktionale Abläufe in einem System zeigt“101. Er klassifiziert Anreize nach ihrem Ursprung – endogen oder exogen -, nach ihrer Intention – intendiert oder nicht-intendiert sowie nach ihrer Wirkung – eufunktional, dysfunktional oder non-funktional. Zudem muss das „Anreizziel“ festgestellt werden, das heißt, der Adressat 97
A.a.O., Whitehead, 1996, „Imposition“, S. 60, 88f „The most obvious hypothesis is that the waves of democratization are produces by a process of diffusion. In Whitehead’s terms, contagion is the most plausible explanation in the international context…“ A.a.O., Schmitter, 1996, S. 37 99 Siehe II. 2.3.1 100 A.a.O., Pridham, 1991, S. 15 101 A.a.O., Sandschneider, S. 125 98
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differenziert werden, je nach dem, ob es sich um das ganze System oder bestimmte Sektoren handelt. Die schwierigste Komponente ist freilich die Frage nach der Wirkung. Ursprung, Träger und Zielrichtung von Anreizen seien durchaus quantifizierbar und auch qualifizierbar, so Sandschneider. Die spezifische Wirkung auf ein System ließe sich aber nur schwer feststellen und in den seltensten Fällen prognostizieren.102 Die Wirkung eines Anreizes ist abhängig vom Zeitfaktor, vom Zustand des Systems (Mikro- und Makro-), vom Ursprung des Anreizes, von der Qualität des Anreizes, von der Häufung von Anreizen auf der Zeitachse, von der Wahrnehmung durch das System und seine Adressaten. Sandschneider hebt die Häufung von Anreizen hervor, als „stabilitätsgefährdende Störungen des Gesamtsystems“; ferner komme der „Anreizperzeption“ erhebliche Bedeutung zu, das heißt, wie wird der Anreiz von dem betroffenen Adressaten aufgenommen. Dabei sei zu unterscheiden zwischen latenten Anreizen (solche, die vom Adressaten nicht wahrgenommen werden, aber wirksam sind für das System) und manifesten Anreizen, die „unmittelbaren Handlungs- und Reaktionsbezug haben können“.103 Sandschneiders Ansatz liefert die zentrale Annahme, dass auf ein System sowohl endogene als auch exogene Anreize wirken können. Auch der Versuch, die Wirkung für das System durch die Bewertung in eu-, dys- und non-funktional, zu erfassen, bringt bei diesem sicher schwierigsten Punkt insofern weiter, als dass die Wirkungsmöglichkeiten eingegrenzt werden. Zugleich ist der Hinweis auf die Wahrnehmung des Anreizes wichtig. Von der Wahrnehmung und der Einschätzung durch den Adressaten hängt auch seine Reaktion ab. Allerdings ist auch klar, dass der Träger des Anreizes auch eine Rolle bei der Perzeption spielt. Also, die Frage: Wer wirkt hier auf das System ein? Natürlich ist ein Anreiz nicht derselbe, ob er von der Regierung der USA oder der Sowjetunion kommt – das galt für Spanien ebenso wie für die Slowakei, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Eine Forderung in gleichem Wortlaut wurde sicherlich nicht gleich aufgenommen, je nach dem ob sie von der NATO oder vom Warschauer Pakt, von der EG oder von COMECON ausgesprochen wurde. Daher ist der exogene Anreiz unbedingt zu spezifizieren. Sind die externen Faktoren der Transitionsprozesse nicht befriedigend beleuchtet, so muss man bei den Konsolidierungsprozessen von einem praktisch weißen Fleck sprechen. Linz/Stepan räumen dem internationalen Einfluss in ihrem gründlichen Werk zur Konsolidierung einen Stellenwert ein als eine von fünf unabhängigen Variablen. Insgesamt widmen sie dem internationalen Einfluss dann vier Seiten104. Ausgehend von den Aussagen aus TAR über die „sekundäre Rolle“ der internationalen Dimension, gelangen Linz/Stepan dann zu der Schlussfolgerung: „However, if one considers the entire world and all the major actual (or potential) cases of democratization in modern times, the analysis of international influences can be pushed much further and a series of nuanced hypotheses can be advanced.“105 Drei solcher Hypothesen stellen die Autoren vor: Außenpolitik, Zeitgeist und Diffusionseffekte. Unter außenpolitischen Einflüssen auf Innenpolitik fassen die Autoren Gewaltanwendung, „gate opening to democratic efforts“ (etwa bei Kolonialimperien), Unterwerfung (USA und die Philippinen) und Anreize eines „regionalen Hegemon“ wie die EG. Mit Zeitgeist – von den Autoren als deutscher Begriff verwendet – ist das gemeint, was andere Autoren „trend“, „normatives Klima“ etc. nennen. Und Diffusionseffekt schließlich – auch 102
Vgl., ebd., S. 126f Ebd., S. 127 104 A.a.O., Linz/Stepan, S. XV sowie S. 72-76. Siehe dazu auch II. a) 1. 105 Ebd., S. 73 103
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II Konzept zur Analyse externer Faktoren
kein neuer Begriff – deckt sich mit Huntingtons „snowballing“, mit Whiteheads „contagion“ etc. Auch in den, ohnehin noch nicht zahlreichen Arbeiten zur Konsolidierung von Demokratien werden internationale Faktoren eher angenommen denn genauer untersucht. So stellt Larry Diamond in einem breit angelegten Sammelband zur Konsolidierung der Dritte-Welle-Demokratien106 fest „One of the distinguishing features of the third wave of democratization has been the salience of international influences“107. Weiter verfolgt wird dieses zunächst als wichtig herausgestellte Thema dann aber nicht, sondern nur geschlossen: „These external influences have probably contributed greatly to their scope and dynamism of the third wave“108. Insgesamt sind internationale Faktoren für die Konsolidierung noch weniger beleuchtet worden als in Bezug auf die Transitionsprozesse. Geoffrey Pridham ist einer der wenigen, der sich bislang in systematischer Weise mit internationalen Faktoren bei Konsolidierungsprozessen eingehender beschäftigt hat.109 Nach Pridham werden die Gründe dafür, den internationalen Kontext auch in Studien zu Konsolidierung mit einzubeziehen, immer zwingender. Neben der zunehmenden Interdependenz und der bereits seit langem festgestellten Rolle der USA bei Demokratisierungen nennt Pridham die wichtige Rolle, die die EG bei der Konsolidierung Südeuropas gespielt habe und die zentrale Rolle Moskaus bei der Demokratisierung Osteuropas. Ausgangspunkt von Pridhams Betrachtungen ist wiederum nicht nur die Bedeutung der externen Akteure, sondern die Frage, wie die verschiedenen internationalen Akteure, Organisationen und Einflüsse interagieren. Da die Konsolidierungsphase, erstens, noch nicht so gut erforscht und im Vergleich zur Transition noch ein recht „nebulöses Phänomen“ sei, und zweitens qualitativ zu unterscheiden von der Transition, „in turning to the international dimension, therefore, one must start theoretical construction virtually anew.“110 Das externe Umfeld hält für die interne Konsolidierung eine Reihe von confining conditions bereit, so Pridham, entweder auf Grund multilateraler linkages (Mitgliedschaft in internationalen oder regionalen Organisationen) oder bilateraler linkages mit anderen Staaten (Nachbarn, eine Supermacht). Interne politische Entwicklungen können weiterhin beeinflusst werden durch regionale oder internationale Wirtschaftspolitik oder grenzüberschreitende systemische Trends. Ebenso kann – je nach nationaler politischer Kultur - die effektive Regierungsperformanz in der Außen- und Sicherheitspolitik zur Konsolidierung beitragen.111 Aus der Betrachtung der theoretischen Ansätze der Transformationsforschung lassen sich folgende Punkte festhalten:
106
Hintergrundfaktoren sollten in eine Betrachtung einbezogen werden (historische, geopolitische etc), und dies ist sowohl auf den internationalen als auch auf den nationalen Kontext beziehen.
In dem Sammelband Consolidating the Third Wave Democracies (hrsg. Von Diamond, Larry, Plattner Marc F., Chu, Yun-han, Tien, Hung-mao, Baltimore 1997) taucht das Thema internationale Faktoren noch nicht einmal als gesonderter Beitrag in dem eher theoretisch orientierten Band I („Themes and Perspectives“) auf. In der Einleitung wird zwar auf die Bedeutung externen Einflusses, das Thema aber im Weiteren nicht vertieft. 107 Diamond, Larry, „Introduction: In Search of Consolidation“, in: ebd., S. xiii-xlvii, hier: S. xxxiv) 108 Ebd., S. xxxvi 109 Siehe a.a.O., Pridham, 1995, S. 166-204 110 Ebd., S. 167 111 Vgl., ebd., S. 170
2 Forschungslinien
69
Im Zusammenhang mit exogenen Einflüssen muss die Aufnahme und Verarbeitung dieser Einflüsse auf den/die Adressaten betrachtet werden. Die Wirkung des Einflusses kann grundsätzlich eufunktional, dysfunktional, nonfunktional sein. Ansätze, die die Verbreitung von Demokratie allein auf Militärmacht erklären, sind zu eng gefasst. „Nicht immer muß der Demokratisierungprozeß auf den Bajonetten einer demokratisch verfaßten Siegermacht erfolgen.“112
Bei einer Frage gibt es in der Transformationsforschung keinen klaren Konsens: Wann haben externe Faktoren mehr Einfluss: während des breakdown, der Transition oder der Konsolidierung? So meint Schmitter: „Regardless of the form (control, contagion, consent, or conditionality [hier bezieht sich Schmitter auf Whiteheads Kategorien – MK] that it takes external intervention will have a greater and more lasting effect upon the consolidation of democracy than upon the transition to it.“113 Und er expliziert dies weiter: „One could go further and suggest that the relation is parabolic: low during the initial transition, building up to its maximum effect during the consolidation, and, subsequently, declining once national political institutions are functioning normally and, hence, capable of asserting both their internal and external sovereignty.“114
Schmitter begründet diese These mit der Geschwindigkeit der Ereignisse: Zwar sei in der ersten Phase die Wahrscheinlichkeit einer Einflussnahme auf das Ergebnis größer als später, „but the sheer pace of change – coupled in some cases with its unexpectedness – leaves outsiders without the critical information they would need to intervene effectively and without regular channels of influence through which operate. The rapid pace of internal change tends to out-run the decision-making capacity of most external actors.“115
Zwar sieht auch Pridham insbesondere hinsichtlich der EG während der Konsolidierungsphase der südeuropäischen Fälle ein anwachsendes Einflusspotenzial116. Dennoch schätzt er die Wirkungen während der Transition anders ein als Schmitter. Die frühe Phase der Transition, die eher „disruptive“ sei, berge Potenzial für externe Einflüsse, hier einzuwirken, je nach dem, wie früh die Transition Sorgen aufwirft (wirtschaftlich, politisch, sicherheitspolitisch). Kommt die Transition in ihre konstituierende Phase, in der die Wahl der Regierungsform klar ist, die nationale Akteure mit der Ausübung ihrer Regierungsaufgaben beschäftigt sind, dann könne es sein, dass der Bedarf an externer Unterstützung weniger wird.117 Auch Christoph Hartmann widerspricht Schmitters These. In seiner empirischen Untersuchung ausgewählter afrikanischer Länder kommt er zu einem gegenteiligen Ergebnis. Der Einfluss der externen Akteure nimmt mit fortschreitender Dauer des Prozesses ab, und sie sind im 112
Schmidt, Manfred G., Demokratietheorien: eine Einführung, Opladen 1995, S. 318 A.a.O., Schmitter, 1996, S. 40 114 Ebd., dort: Fußnote 20, S. 51 115 Ebd., S. 40 116 Vgl., a.a.O., Pridham, 1995, S. 172 117 Pridham, Geoffrey, “Rethinking regime-change theory and the international dimension of democratisation: ten years after in East-Central Europe”, in: Pridham, Geoffrey/Agh, Attila, (Hrsg.), Prospects for democratic consolidation in East-Central Europe, Manchester/New York 2001, S. 54-96, hier: S. 63 113
70
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Verlauf der Transitionsprozesse nicht mehr die major players, die sie in der Öffnungsphase waren. Den externen Akteuren fehlten im Transitionsprozess weder die „regular channels“ noch die „critical information“, sondern eher der politische Wille zu einer verstärkten Einmischung.118 Wie sieht es mit dem externen Einfluss auf das Regimeende aus? Unter bestimmten Bedingungen – schwache oder erodierende Legitimität, Spaltung unter den regierenden Eliten, bedeutende demokratische Mobilisierung der politischen und zivilen Gesellschaft – können internationale Diplomatie und wirtschaftlicher Druck zur Demokratisierung oder politischen Liberalisierung führen.119 Diese Einflüsse aus dem Ausland, so Merkel/Puhle, bestimmen den Niedergang nichtdemokratischer Regime mit. Diese Feststellung geht weiter als bei anderen Autoren, die internationale Faktoren beim Niedergang des autoritären Regimes oder bei der Einleitung der Transition eine geringe oder gar keine Rolle zuschreiben, wie Schmitter oder Diamond/Linz/Lipset.120 Es gibt bislang ohnehin nur sehr wenige Untersuchungen, die sowohl Regimeende, Transitions- als auch Konsolidierungsphase untersuchen. Christof Hartmann hat dies in seiner vergleichenden Arbeit getan, und seine Ergebnisse machen deutlich, dass diese Phasen differenzierte Betrachtung die Aussage- und Erklärungskraft enorm erhöht und zudem leichter Ansatzpunkte für Handlungsempfehlungen anbietet. Das heißt, die Frage danach, wann externe Einflüsse am intensivsten wirken, muss durch die empirische Untersuchung beantwortet werden. Um dem auf die Spur zu kommen, wird in dieser empirischen Untersuchung wie auch in dem Analyseschema in die einzelnen Phasen differenziert. Damit soll auch zur Beantwortung der abschließend längst nicht geklärten Frage beigetragen werden, in welcher Phase externe Faktoren am stärksten oder am wenigsten wirken. 3
Entwicklung des Analysekonzepts
3.1 Bildung der Variablen Der Perspektivwechsel, der die externe Dimension und ihrer Interaktion mit dem Transformationsland in den Blick nimmt, beruht auf der grundlegenden Feststellung, die meines Erachtens bei Untersuchungen von Demokratisierungsprozesses Eingang finden sollte: Ein Demokratisierungsprozess hat innere und äußere Aspekte. Die Betrachtung der Forschungslinien der Internationalen Beziehungen hat zusätzliche Befunde und Untersuchungsaspekte geliefert: 1.
118 119 120
Bei Demokratisierungen vollziehen sich ein innerer Wandlungsprozess hin zu einer neuen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und eventuell auch staatlichen Ordnung und zugleich ein Prozess der äußeren Neuordnung in Bezug auf die Beziehungen zur Außenwelt oder die Neupositionierung im internationalen Umfeld. Beide Prozesse hängen eng zusammen. Es ist davon auszugehen, dass bei der Reflexion und der Diskussion in der politischen Elite und Bevölkerung, dass bei den Entscheidungen und Handlungen der politischen Elite in hohem Maße die Fragen nach der inneren und Vgl. a.a.O., Hartmann, , S. 294f A.a.O., Diamond/Linz/Lipset, S. 50 und S. 52 Vgl., a.a.O., Merkel/Puhle, S. 73 und S. 81f
3 Entwicklung des Analysekonzepts
2.
3.
71
äußeren Neuorientierung des Landes eine Rolle spielen oder sogar miteinander verknüpft sind. Demokratisierungsprozesse, und zwar sowohl Transition als auch Konsolidierung, geschehen nicht in einem Vakuum, sondern innerhalb eines internationalen Kontextes mit einem externen Umfeld, dessen Strukturen den Demokratisierungsprozess und die Handlungsoptionen der nationalen Akteure beeinflussen können. Innerhalb des externen Umfeldes gibt es zugleich Akteure unterschiedlichster Art, die auf Grund von bestimmten Motiven und Interessen versuchen können, Einfluss zu nehmen auf den Demokratisierungsprozess mit bestimmten Instrumenten und Zielen.
Auf Grund dieser Ausgangssituationen und dem angenommenen Nexus zwischen externer und interner Dimension entfaltet sich eine Interaktion. Die Frage, wie externe Einflüsse wirken, hängt zum einen in erheblichem Maße von den inneren Bedingungen des Transformationslandes ab, zum anderen von der Methode und den Instrumenten, aber auch von dem Status des externen Akteurs. Demnach gibt es drei Ansatzpunkte für die Interaktionen: 1. die nationalen Akteure (Regierung, Opposition, Interessengruppen, Wirtschaft, Bevölkerung) die Vorstellungen über die internationale Neuorientierung ihres Landes und die daraus folgenden Handlungen umsetzen. 2. Externe Strukturen, die auf das Transformationsland einwirken. Und 3. externe Akteure, die aus bestimmten Motiven, mit bestimmten Zielen und Interessen durch bestimmte Mittel versuchen, auf die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des Transformationslandes einzuwirken. Diese drei Interaktionsmuster werden in drei unabhängigen Variablen gefasst. Die abhängigen Variablen liegen auf der Hand: eine vollendete Transition und eine konsolidierte Demokratie.121 Diese abhängigen Variablen, die beide Indikatoren für gelingende Demokratisierungsprozesse sind, werden nun im Sinne von Przeworski/Teune122 als Funktionen von zwei unterschiedlichen Reihen unabhängiger Variablen gedacht: einmal Determinanten ohne Bezug zu systemischen Faktoren, das was Linz/Stepan Makrovariable nennen, zum anderen erklärende Variablen als systemische Faktoren, was bei Linz/Stepan den Mikrovariablen entspricht. Die erste unabhängige Variable nenne ich „internationalen Verortung“.123 Unter diese Variable werden die außenpolitischen Vorstellungen, Akteurskonstellationen und Handlungsoptionen im nationalen System gefasst. Sie ist als unabhängige Makro-Variable in dem Sinne zu betrachten, wie Linz/Stepan Staatlichkeit und den Charakter des vorherigen Regimes als zwei so grundlegende Variablen sehen und ihnen damit eine herausgehobene Stellung einräumen. Die Frage der internationalen Verortung ist meines Erachtens ebenso grundlegend wie der Aspekt der Staatlichkeit. Es geht dabei um das Grundverständnis von Staat und Gesellschaft, um die Selbstdefinition der neuen Demokratie in ihrer internationalen Einbettung. Die internationale Verortung ist verknüpft mit der nationalen Re- oder Neudefinition (Whitehead: „…democratization is inextrically linked to the question of a nation’s international orientation“) und gehört zu den grundlegenden Entscheidungen eines Transformationslandes. Die internationale Verortung ist verbunden mit der Affirmation einer neuen außenpolitischen, demokratischen Identität. Internationale Verortung meint die 121
So auch Linz/Stepan, siehe unten die Abb. Es muss allerdings auf die Problematik bei der Definition von „konsolidierter Demokratie“ hingewiesen werden (s.a. Teil I.). 122 Vgl., a.a.O., Przeworski/Teune S. 77 123 Zur Variablenbildung siehe auch a.a.O., Kneuer, 2002a
72
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
grundlegenden Überlegungen und Entscheidungen der Akteure innerhalb des nationalen Systems, die eine (Neu)verortung in den internationalen Strukturen als Ziel und/oder als Ergebnis hat. Dies gilt im Hinblick auf die Neuorientierung nationaler Außeninteressen, die Neuordnung der internationalen Beziehungen auf bilateraler, regionaler und globaler Ebene, auf die Kontinuität bzw. Bruch mit der Außenpolitik des vorhergehenden Regimes. Hier spielen sowohl horizontale, also historische, Faktoren eine Rolle, als auch indirekte und unintendierte Einflüsse internationaler Kontexte und Ereignisse (vertikale Faktoren) sowie Strategieüberlegungen der nationalen Akteure (Regierungs- und Nichtregierungsakteure), die wiederum transnationale Interaktionen nach sich ziehen. Die beiden unabhängigen Mikrovariablen beziehen sich auf die externe Dimension. Sie sind einmal akteurszentriert und einmal kontextuell. Die akteurszentrierte Variable nenne ich „transnationale Interaktion“. Transnationale Interaktion sind direkte und intendierte oder auch indirekte und unintendierte Einflüsse externer Akteure (Regierungs- und Nichtregierungsakteure) auf die nationalen Teilsysteme, ihre Akteure, Institutionen sowie politische Prozesse und Einstellungen, die eine Reaktion der nationalen Akteure und/oder eine Interaktion zwischen nationalen und externen Akteuren nach sich zieht. Unter transnationaler Interaktion werden die konkreten Mechanismen der Interaktion zwischen externen und nationalen Akteuren gefasst. Die zweite unabhängige Mikrovariable „externer Kontext“ dient dazu, den strukturellen Kontext zu beleuchten, auf dem der Demokratisierungsprozess abläuft und die Frage zu beantworten, inwieweit Rahmenbedingungen, Ereignisse etc. die Handlungen oder Vorstellungen in Elite oder Bevölkerung beeinflussen. Dies betrifft internationale Hintergrundbedingungen (historischer, geopolitischer etc. Natur), aber auch regionale bzw. nationale Hintergrundkontexte, die im Zusammenhang mit der Außenorientierung stehen können (traditionelle Feindschaft zum Nachbarn o.ä.). Darunter fallen weiterhin Ereignisse innerhalb des externen Umfelds, die auf das Transformationsland wirken können wie Weltwirtschaftskrisen, Kriege etc. Alle drei Variablen lassen sich logisch in die Systematik von Linz/Stepan einfügen.124 Internationale Verortung stellt eine unabhängige Makrovariable dar, so wie Staatlichkeit und Charakter des vorherigen Regimes. Transnationale Interaktion versteht sich als akteurszentrierte unabhängige Variable. Externer Kontext ersetzt die internationalen Einflüsse in der Systematik von Linz/Stepan als unabhängige Mikrovariable.125
124 125
Siehe dazu a.a.O., Kneuer, 2002a, S. 255 Abbildung nach J. Linz und Alfred Stepan, 1996, S. XIVf
3 Entwicklung des Analysekonzepts Abbildung 6:
73
Variablensystematik auf der Grundlage von Linz/Stepan, ergänzt um die neu gebildeten Variablen (in kursiver Schrift)
Makro-Variablen (unabhängig) Staatlichkeit Charakter d. vorherigen Regimes Internationale Verortung
Mikro-Variablen (unabhängig) Akteurszentrierte Variablen Führungspersonal des vorhergehenden nichtdemokratischen Regimes Wer initiiert und kontrolliert die Transition? Transnationale Interaktion Kontextvariablen Politisch-wirtschaftliche Legitimität und Zwänge Umfeld des Verfassungsgebungsprozesses Externer Kontext
Abhängige Variablen Vollendete demokratische Transition Konsolidierte Demokratie
Die beiden grundsätzlichen Fragen lauten: Was bedeutet der Zusammenbruch des alten Regimes und der demokratische Neubeginn für das Verhältnis dieses nationalen Systems zu seinem internationalen Umfeld und für seine Stellung in diesem Umfeld? Welche Rolle spielen externe Kontexteinflüsse und externe Akteure bei der inneren demokratischen Neuordnung und der äußeren Neuverortung? Heruntergebrochen auf die drei eingeführten Variablen ergeben sich folgenden Fragenkomplexe: 1.
2.
Welche Überlegungen und Konstellationen der nationalen Akteure spielen bei dem Prozess der internationalen Verortung eine Rolle? Welche Optionen und Interessen hat das Transformationsland hinsichtlich seiner internationalen Stellung? Welchen Einfluss haben nationale und internationale Hintergrundbedingungen zum einen bei der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung des Führungspersonals, zum anderen für die Vorstellungen und Einstellung der Bürger? Welche Rolle spielen die Entscheidungen im internationalen Verortungsprozess für die politische Legitimität? Und schließlich: Welche Auswirkungen haben Fragen der internationalen Verortung für den Transition- und für den Konsolidierungsprozess? Wie sehen die auf das Transformationsland bezogenen Politiken der externen Akteure aus? Von welchen Interessenlagen und Strategieüberlegungen, Kosten-Nutzen-Kalküls, Zwängen etc. werden sie geleitet? Mit welchen Mitteln und mit welchem Ergebnis nehmen sie Einfluss auf Akteure, Prozesse, Verhalten oder Strukturen im Transforma-
74
3.
II Konzept zur Analyse externer Faktoren tionsland? Und auch hier die Frage: Welche Auswirkungen hat die transnationale Interaktion auf den Transition- und für den Konsolidierungsprozess. Welche Rolle spielen Kontextbedingungen? Wie wirken sie auf Strategieüberlegungen, Handlungsoptionen oder Entscheidungen der nationalen Akteure und auch der externen Akteure? Können sie auch eine Auswirkung auf den Transitions- und für den Konsolidierungsprozess haben?
3.2 Operationalisierung: Bildung der Analysematrices Zur Operationalisierung der drei Variablen sind nun zunächst die drei Bereiche – externer Kontext, externe Akteure, Adressaten im Transformationslands - zu differenzieren und dann in das Analyseschema einzuordnen. 3.2.1 Differenzierung des externen Kontextes und Einordnung in das Modell Der externe Kontext beinhaltet zunächst ganz allgemein die internationale Szenerie und weltpolitische Situation (Krieg, Kalter Krieg, Entspannung etc.) sowie die Machtstrukturen im internationalen System (bipolare Blocksituation, multipolare Machtstruktur, unilaterale Hegemonie etc.). Alsdann treten neben der globalen weitere Ebenen in Vorschein: regionale Kontexte, die geprägt sein können durch relativ ausgeglichene Machtstrukturen quasi symmetrische Verhältnisse oder durch einen regionalen Hegemon, der bestimmend ist für die anderen Länder. Sie können geprägt sein durch kriegerische, regionale Auseinandersetzungen, durch sehr starke wirtschaftliche Konkurrenzsituationen. Ein weiterer Aspekt auf regionaler Ebene ist der Grad an Integration oder Kooperationsstrukturen. Des Weiteren können auch auf bilateraler Ebene Konfliktsituationen, bestimmte Machtkonstellationen, territoriale Unstimmigkeiten oder Ähnliches eine Rolle spielen. Schließlich umfasst der externe Kontext sowohl unveränderbare Komponenten (geographische Lage) als auch unvorhersehbare Elemente wie internationale Ereignisse bzw. Ereignisse mit internationalen Auswirkungen, wie die Ölkrise in den 1970er Jahren oder Kriege wie in Jugoslawien und Kosovo. Zusammengefasst sind in Bezug auf den externen Kontext zu analysieren: internationale Szenerie, globale, regionale und bilaterale Machtkonstellationen, geographische Kriterien, Ereignisse im internationalen Umfeld. 3.2.2 Differenzierung der externen Akteure und Einordnung in das Modell Für die Unterfächerung der externen Akteure rufen wir uns die Leitfragen in Erinnerung: Wer (externe Akteure) wirkt auf wen (Adressaten) aus welchen Motiven heraus, mit welchen Mitteln, auf welche Art, mit welchem Ergebnis. Die (1) externen Akteuren126 lassen sich unterteilen in Regierungs- und Nicht-Regierungsakteure, die auf verschiedenen Ebenen agieren (bilateral, regional, international/global). Die (2) Adressaten entsprechen den festgestellten nationalen Teilsystemen (die politischen Institutionen; die intermediären Institu126
Auf der Grundlage der Befunden aus II. 2.3
3 Entwicklung des Analysekonzepts
75
tionen; Bürokratie und andere staatliche Subeinheiten; Justiz und Rechtsstaat, Wirtschaft, Gesellschaft/Bevölkerung) plus der politischen Elite. Als ein Desiderat des Rosenau’schen linkage-Modells wurde festgestellt, dass die Verbindung zwischen Absender und Adressat eines Inputs nicht weiter spezifiziert worden war. Daher beziehe ich ein (3) die Motive und Ziele der Akteure (idealistische Motive wie bei Woodrow Wilson; geostrategische, sicherheitspolitische, handelspolitische etc. Motive; oder Demokratisierung der eigenen Sicherheit halber, nach dem Motto „democracies don’t fight each other“), die zumindest einen grobe Einschätzung erlauben sollen. Die Schwierigkeit ist, dass Motive nicht in jedem Fall eindeutig nachgewiesen werden können und dass die Wahrscheinlichkeit einer Mischung von Motiven fast immer unterstellt werden kann. Die außenpolitischen Ziele aber lassen sich meist an den jeweiligen Konzepten der Administrationen erkennen, so dass neben Motiven auch Ziele der externen Akteure einbezogen werden sollten (wie etwa die Doktrinen der amerikanischen Präsidenten). Von den Motiven und den Zielsetzungen hängen die Mittel und die Art des Einflusses ab. Des Weiteren werden betrachtet (4) die Art des Einflusses (kurzfristig/langfristig; offiziell/informell; rational/affektiv; historisch/aktuell; direkt/indirekt, mit Zwang/ohne Zwang, konditioniert/unbedingt) und (5) Mittel als die konkreten Instrumente, mit denen der Einfluss geltend gemacht wird. Sie können vielfältige Formen haben je nach dem, ob sie politisch, militärisch, wirtschaftlich etc. sind (moralische Unterstützung, Beratung, finanzielle Hilfen, Kredite, Installierung von Friedenstruppen etc.). Die schwierigste Frage ist die nach der möglichen (6) Wirkung. Es taucht sofort das Problem der Kausalität und auch der Messbarkeit des Einflusses und seiner Wirkung auf. Zudem hat man es nicht immer mit manifesten Reaktionen zu tun, wir müssen auch von latenten Wirkungen ausgehen, die nicht immer messbar sind. Daher ist es wichtig, sich der Frage nach der Wirkung auf verschiedenen Wegen zu nähern. 1. Input-Reaktions-Koppelung: Diese Form der Wirkungsprüfung bezieht sich auf manifeste Reaktionen konkreter externer Anreize. Auf diese Weise erhalten wir Hinweise auf den Ablauf der Interaktionsprozesse zwischen externen und internen Akteuren. Dies trifft dann zu, wenn der Input (Maßnahme, Instrument etc.) genau benannt und das Ergebniss des Inputs, die konkrete Reaktion eines Akteurs oder einer Institution/Organisation auf einen externen Anreiz, festgestellt werden kann. Dies wird mit der Koppelung (linkage) von Input und Reaktion möglich, bei dem wir das Rosenau’sche Konzept zu Grunde legen.
76 Abbildung 7:
II Konzept zur Analyse externer Faktoren Input-Reaktions-Koppelung
Absender Input aus dem externen Umfeld Beschreibung der Maßnahme
Adressat Ergebnis nationales System Beschreibung der Reaktion
Beispiel: Im Oktober 1999 bauten Bürger in der tschechischen Stadt Usti nad Labem unter Polizeischutz eine Mauer gegen Roma. (Reuters-Meldung, 15.10.1999) Beschreibung der Maßnahme des Absenders Der zuständige EU-Kommissar forderte die tschechische Regierung auf, dagegen sofort etwas zu unternehmen, da dies eine Verletzung der Menschenrechte darstelle. Beschreibung der Reaktion des Adressaten Die tschechische Regierung griff ein und ließ die Mauer beseitigen.
2. Grad der Befolgung: Auf dieser Grundlage ist es, zweitens, auch möglich, Aussagen über die Qualität der Interaktion (kooperativ oder konfrontativ, symmetrisch – asymmetrisch) zu treffen. Dazu kann man den Grad der Befolgung heranziehen. Damit lassen sich die grundsätzlichen Formen der Reaktion (argumentativ und praktisch) differenzieren und demnach Kategorien der Befolgung aufstellen.127 Abbildung 8:
Grad der Befolgung, aus: Schimmelpfennig/Engert/Knobel, S. 32
Grad der Befolgung Form Argumentativ Praktisch
Niedrig Ablehnung Nichtbefolgung
Mittel Ausflucht Scheinbefolgung
Hoch Zustimmung Befolgung
Mit dieser Kategorisierung lässt sich die Qualität der Reaktionen auf der Regierungsebene analysieren und damit die Frage ihrer Kooperationsbereitschaft beantworten. Gleichzeitig ist auch die Perzeption des Einflusses (negativer Perzeption folgt eher Abwehr oder Protest; positiver Perzeption folgt eher Befürwortung und Kooperation) einzubeziehen. Da die Erkenntnisse von Rosenau und Risse auf die Akzeptanz der adressierten Akteure hinweisen, ist auch die Perzeption der nationalen Akteur auf die externen Einflüsse und ihr Ergebnis einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für die öffentliche Meinung, denn auch die Wirkung auf die Bevölkerung kann eine wichtige Rolle spielen. Die Reaktion der Regierung auf externe Einflüsse oder ihre Entscheidungen in diesem Zusammenhang können den Vorstel127
Schimmelpfennig/Engert/Knobel stellten diese Kategorien im Zusammenhang mit der Reaktionen auf die demokratische Konditionalität bei den osteuropäischen Beitrittskandidaten auf. Schimmelpfennig, Frank/Engert, Stefan/Knobel, Heiko, „Europäisierung in Osteuropa: Reaktionen auf die demokratische Konditionalität, in: Österreichische Zeitung für Politikwissenschaft, 3/2003, S. 321-337
3 Entwicklung des Analysekonzepts
77
lungen der Bürger entgegenlaufen. Somit gibt es vier Szenarios: Die Resonanz von Elite und Bevölkerung auf externe Einflüsse stehen im Gleichklang, wobei die Akzeptanz des externen Einflusses entweder bei beiden hoch oder bei beiden niedrig ist, also eine Konsonanz in Bezug auf Befolgung oder Nichtbefolgung besteht. Die dritte und vierte Möglichkeit sind, dass eine Dissonanz besteht zwischen Elite und Bevölkerung, entweder weil die Bevölkerung für oder gegen einen Einfluss ist, während die Elite genau anders agiert. 3. Interaktionskriterien: Für die Erklärung der Interaktionsmuster, die Reaktionen der nationalen Akteure, die Wirkung, das Ergebnis externer Einflüsse, sind folgende Kriterien relevant: Abbildung 9: 1. 2. 3. 4.
Interaktionskriterien der Status des externen Akteurs. Dazu gehören: die empfundene Bedeutung für den nationalen Akteur, das unterstellte Motiv etc. Wie wichtig ist er für mich? Was will er von mir? das Druckmittel des externen Akteurs die Motivlage oder Ziele des nationalen Akteurs: Was will ich von ihm? die Kosten-Nutzen-Kalkulation des nationalen Akteurs, bei der er den konkreten Mangel, das konkrete Bedürfnis, Problem etc. und die vom nationalen Akteur unterstellte Lösungskompetenz und Nützlichkeit – zum Beispiel einer Maßnahme oder einer Empfehlung - des externen Akteurs in Relation setzt.
Bei der Untersuchung der Wirkung muss der einzelne Phasenverlauf im Auge behalten werden, das heißt bestimmte „Knackpunkte“ während einer Phase (kritische Situationen, Richtungsentscheidungen, Putsch u.ä.), wo der externe Einfluss auf den Verlauf der Phasenentwicklung eingewirkt hat. Oder auch: Kann etwa auf die Richtung der Transition (Abgleiten in autoritäre Zustände, Erstarken der Veto-Mächte, Putsch oder Putschgefahr) eingewirkt werden? 4. Wirkung auf den Demokratisierungsprozess generell: Schließlich ist es – durch die Betrachtung der einzelnen Phasenverläufe – möglich, die allgemeine Einschätzung zu treffen, ob externe Einflüsse eine eufunktionale, dysfunktionale oder non-funktionale Wirkung auf den gesamten Demokratisierungsprozess insgesamt gehabt hat.128 Dieses funktionalistische Vorgehen hat den Vorteil, dass die Zuordnung der Attribute relativ eindeutig ist: die eufunktionale Wirkung wäre demnach eine Demokratie stützende oder –sichernde, die dysfunktionale eine störende, verzögernde oder ähnliche Wirkung und bei einer nonfunktionalen Wirkung würde der exogene Anreiz ohne Wirkung im Inneren bleiben. Also: Können der externe Kontext und können externe Akteure auf Demokratisierungsprozesse grundsätzlich lenkend einwirken? Können sie sie stützen und fördern? Und können sie – gewollt oder ungewollt - stören und unterbrechen? Oder haben externe Einflüsse möglicherweise keine entscheidende Auswirkung auf die Demokratisierung (etwa in einer bestimmten Phase)? Mit dem funktionalistischen Vorschlag Sandschneiders (dys-, eu-, non128
Vgl. a.a.O. Sandschneider, S. 135ff
78
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
funktionale Wirkung) kann – zugegebenermaßen grob – die Einschätzung vorgenommen werden, ob sich externe Einflüsse positiv, negativ oder neutral für den Demokratisierungsprozess eines Landes auswirken. Hierbei spielt wiederum die Perzeption der nationalen Akteure eine Rolle in Form einer Art „Kontrollfunktion“. 3.2.3 Differenzierung der Adressatenfelder und Einordnung in das Modell Nach der Aufschlüsselung von externem Kontext und externen Akteuren müssen nun die potentiellen Adressatenfelder129 ausgemacht werden. Worauf können externe Einflüsse potentiell treffen und dort eine Wirkung oder Reaktion hervorrufen? Ganz grob lässt sich unterscheiden in: Akteure, Institutionen, Prozesse und Einstellungen130. Unter Akteuren sind die Elite, also politische Entscheidungsträger (Legislative, Exekutive), wirtschaftliche Elite, Militärs, zivile Bürokraten, gesellschaftliche Elite zu fassen. Unter Institutionen werden neben Exekutive und Legislative auch die Bürokratie und ebenfalls Justiz, im weiteren Sinne als rule of law subsumiert. Des Weiteren zählen zu Institutionen auch soziale oder intermediäre Institutionen (Parteien, Verbände, Medien, Interessengruppen). Unter dem Prozessbereich werden Politikformulierung, Sozialisierung und Rekrutierung des Personals, Interessenartikulation, policy-making und policy-administration gefasst. Die Einstellungen beinhalten die Politische Kultur und die öffentliche Meinung, also die gesellschaftliche Komponente, worunter auch die civil society fällt.
Abbildung 10: Das nationale System und seine Adressatenfelder externer Einflüsse Nationales System Akteure, Eliten Institutionen Prozesse Einstellungen (öffentliche Meinung)
Diese nationalen Adressatenfelder lassen sich in das Modell (siehe Abb. 11) übertragen. Auf diese Weise wird deutlich, dass Einflüsse von außen auf das nationale System und seine Teilbereiche treffen können. Auf dieser Grundlage lassen sich für jede Phase die externen Einflüsse auf die einzelnen Teilsysteme analysieren (siehe Abb. 12). Das Modell trägt damit neben der traditionellen Analyse der Akteursebene der in der jüngeren Transitions- und Konsolidierungsforschung erkannten Bedeutung der institutionellen Aspekte sowie der Bedeutung der „Masse“ Rechnung. Zudem erlaubt die Berücksichtigung insbesondere der institutionellen Prozess- und Einstellungsebene die Prüfung in Bezug auf den Zustand der Konsolidierung nach Linz/Stepan (constitutional, behavioural, attitutional).
129
Ich setze mich mit dieser Differenzierung in Adressatenfelder nicht ab gegen solche Ansätze wie Linz/Stepan, die „interacting arenas“ ausmachen oder Merkel/Puhle, die von „Regimen“ sprechen Hier folge ich Rosenau und seinem „Proposed Linkage Framework“, siehe Kap. II. 3.2
130
3 Entwicklung des Analysekonzepts
79
Abbildung 11: Kontinuum-Modell mit den nationalen Teilsystemen Vorautoritäre Demokratie
Autokratisches Regime
Regimeende
Akteure
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Transition
Konsolidierte Demokratie
Konsolidierung
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Akteure
Abbildung 12: Analysemodell mit eingefügten nationalen Teilsystemen
Externer Kontext
Vorautoritäre Demokratie
Autokratisches Regime
Regimeende
Transition
Konsolidierung
Konsolidierte Demokratie
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Externe Akteure
Das Modell spiegelt die zentrale theoretische Annahme der Transitions- und Konsolidierungsforschung wider, dass die verschiedenen Phasen während des Demokratisierungsprozesses analytisch und konzeptionell getrennt werden müssen, da sie verschiedene Logiken aufweisen. Daher wird das Analyseraster auf jede Phase angewandt. Konkret: Es gilt zu fragen nach dem spezifischen externen Kontext während Krise und Ende des autokratischen Regimes, während der Transitionsphase und während der Konsolidierung. Es gilt dann weiter zu fragen nach den Akteuren und ihren Handlungen während der verschiedenen
80
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Phasen. Hierbei ist klar, dass sich das Verhalten, die Maßnahmen, die Strategieüberlegungen der externen Akteure verändern können je nach Phase und auch innerhalb der Phasen, je nach dem welche internen Entwicklungen die junge Demokratie durchmacht. 3.2.4 Operationalisierung: Variablen und Matrices Die drei Variablen – internationale Verortung, externer Kontext und transnationale Interaktion können in jeder Phase des Demokratisierungsprozesses unterschiedlich wirken und sind daher also für jede Phase zu untersuchen. Insgesamt gilt hierbei: Erstens: Die Untersuchungsmatrices sind offene Raster, die jederzeit ergänzt werden können. Zweitens, Überschneidungen (vor allem bei den Akteuren) sind möglich und logisch. Drittens: Diese modellhafte Definition verträgt keine monokausalen Zuweisungen, sondern soll verstanden werden als eine analytische Auffächerung der Variablen, die – angewandt auf den konkreten Einzelfall – Herkunft, Art, Weg und Wirkung externer Einflüsse zu erklären helfen sollen. Dabei können Variablen mal mehr, mal weniger, sich überschneidend oder kombiniert oder auch gar nicht in Erscheinung treten. Und schließlich: Nicht berücksichtigt werden können die auf den externen Anreiz folgenden internen Prozesse, an deren Ende ein Output steht. Wir müssen zwangsläufig nach dem „black- box“-Verfahren vorgehen und auf das externe Input ins nationale System und das Ergebnis im nationalen System beschränken. Alles andere würde keine verwertbaren Ergebnisse zeitigen.
3 Entwicklung des Analysekonzepts
81
Abbildung 13: Analysekonzept mit Variablen und Matrices A. Internationale Verortung
B. Externer Kontext
Definition: Überlegungen, Akteurskonstellationen und Handlungsoptionen sowie nationale Kontextbedingungen, die bei den grundlegenden Entscheidungen über die künftige Einbettung des Landes in das internationale Umfeld eine Rolle spielen.
Definition: Unintendierte Einflüsse internationaler Kontexte und Ereignisse, die auf nationale wie internationale Akteure (Regierungs- und Nichtregierungsakteuren) einwirken und deren Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen beeinflussen können.
Untersuchungsmatrix*: 1. nationaler Kontext (historischer Hintergrund wie Erblasten der Vergangenheit, historische Konflikte; politische Entwicklung wie häufige Putsche o.ä.; geographische Lage und ihre Implikationen; nachbarschaftliche Konstellationen wie Erbfeindschaften, Konflikte) 2. Motive, Optionen und Ausrichtung der politischen Elite bei der Grundsatzentscheidung über die internationale Einbettung ihres Landes 3. Haltung der Bevölkerung (öffentliche Meinung) zur internationalen Einbettung ihres Landes.
Untersuchungsmatrix 1. internationale Szenerie 2. globale, regionale und bilaterale Machtkonstellationen 3. geographische Kriterien 4. Ereignisse im internationalen Umfeld
C. Externe Akteure in der transnationalen Interaktion Definition: Intendierter Einfluss externer Akteure (Regierungsund Nichtregierungsakteure) auf die nationalen Teilsysteme (Akteure, Institutionen, Prozesse, Einstellungen), die eine Reaktion der nationalen Akteure und/oder eine Interaktion zwischen nationalen und externen Akteuren nach sich ziehen. Untersuchungsmatrix 1. Externe Akteure 2. Adressaten des Einflusses 3. Motive des externen Akteurs 4. Art des Einflusses 5. Mittel des Einflusses 6. Ergebnis des Einflusses (konkrete Reaktion auf Mittel und Maßnahmen) 7. Perzeption des Einflusses und seines Ergebnisses
Anwendung der Matrix auf: 1. Das vorautoritäre System 2. Das nichtdemokratische System 3. Das Regimeende 4. Die Transition 5. Die Konsolidierung Bewertungs- und Gewichtungskriterien 1. Input-Reaktions-Schema; spezifiziert nach Phasen 2. Qualität der Interaktion: Kategorien der Befolgung 3. Erklärung der Interaktion: Interaktionsmuster 4. Wirkung generell: Fortschritt/eufunktional (ĺ) Stillstand/nonfunktional (Œ) Rückschritt/dysfunktional (ĸ) Schwankend, uneindeutig (ļ)
82
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Abbildung 14: Transnationale Interaktion C. TRANSATIONALE INTERAKTION 1. Externe Akteure Regierungsebene
bilateral
regional
international
Regierungschef Ministeriale Ebene Parlament Staatsoberhaupt Verfassungsgerichtsbarkeit Justiz Verwaltung EG/EU Europarat* KSZE EBWE WEU UNO* NATO OSZE IWF Weltbank GATT Pariser Club
NichtRegierungsebene bilateral
regional international
2. Adressatenfelder
3. Motive
Parteien* Politische Stiftungen NGOs Arbeitgeber/Industrie Gewerkschaften Kirchen/Glaubensgemeinschaften Medien Intellektuelle Parteien* NGOs Parteien* NGOs Multinationale Konzerne Kirche,/Glaubensgemeinschaften Medien Einzelpersonen (Intellektuelle) Akteure, Eliten Institutionen Prozesse Einstellung der Masse geostrategisch-sicherheitspolitische wirtschaftliche (Handelsvorteile) ideelle (Demokratiestützung) moralische: z.B. Verpflichtung Machtpolitische (Einflusssphäre) ideologische (Weltrevolution)
3 Entwicklung des Analysekonzepts
83
4. Art des Einflusses
kurzfristig/langfristig offiziell/informell rational/affektiv historisch/aktuell direkt/indirekt mit Zwang/ohne Zwang konditioniert/unbedingt intendiert/nicht-intendiert
5. Mittel
deklamatorisch moralische Unterstützung Beratung politischer Dialog finanzielle Hilfen (Direkthilfen) Kredite Bevorzugte Behandlung – Meistbegünstigten Abkommen Kooperationsabkommen Handelsliberalisierung Programme Vorbildfunktionen (Verfassungen, Wahlsysteme etc.) Anreize, Konditionalität Militärisch (Invasion, Besetzung, Drohgebärden, Krieg etc.) Friedenstruppen auf Maßnahme auf Phasenverlauf auf Gesamtprozess
1. Reaktion von nationalem Systems/Teilsystems/Organisation/Akteur 3. Einwirkung auf Schlüsselsituation oder Richtungsentscheidungen innerhalb der Phase 4. Wirkung auf den Demokratisierungsprozess insgesamt: Fortschritt: eufunktional ĺ Stillstand/Störung: dysfunktional Œ Rückschritt: dysfunktional ĸ Schwankend ļ Nonfunktional 0 Hierbei handelt sich nicht um eine vollständige Liste, sondern um eine Aufzählung möglicher Akteure und Organisationen 6. Ergebnis
84
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
3.2.5 Einordnung des Analysekonzeptes in die Transformationsforschung Das Schema folgt dem Stand der Transformationsforschung, der eine einseitige Orientierung an Akteursansätzen für überwunden hält und für die Einbeziehung von strukturellen Faktoren, also für die Synthese von Mikro- und Makroebene plädiert.131 Der dieser Untersuchung zugrunde liegende Ansatz vereint die prozessanalytische und akteursorientierte Untersuchung mit der Analyse struktureller Faktoren, also sozioökonomischer, politischinstitutioneller und politisch-organisatorischer Faktoren. Das nationale System wird, grob gesprochen, in die Elite, die Masse und die Strukturen (politische, administrative wirtschaftliche) differenziert. Diese Unterteilung trägt, erstens, der Bedeutung des elite settlement, des Verhaltens der Elite, ihren Handlungsspielräumen und -optionen Rechnung. Zweitens berücksichtigt sie die die Einsicht – vor allem seit dem Umbruch in Osteuropa -, dass Einstellung, Haltung und Handlungen der Masse stärker einbezogen werden müssen.132 Denn sie spielen insbesondere bei dem Ende des alten Regimes und der Konsolidierung eine Rolle - Stichwort: diffuse support als wichtiger Faktor der politischen Legitimität.133. Und nicht zuletzt können auch cleavages in der Bevölkerung, hohes Konfliktpotential durch religiöse, ethnische oder nationale Fragen die Demokratisierung gefährden.134 Drittens wird der Forderung Rechung getragen, neben den politischen Akteuren „die eigenständige Bedeutung institutioneller Faktoren für die politische Entwicklung (zu) betonen“135, worunter die Charakteristika des Regierungssystems, das Wahlsystem, das Parteiensystem gehören. Einbezogen wird des weiteren das rule of law sowie die Durchführungsinstitutionen, Verwaltung und Justiz, da durch die lateinamerikanischen und osteuropäischen Demokratisierungen deutlich geworden ist, dass die Umsetzung und Durchsetzung der politischen Entscheidungen ein „Knackpunkt“ für das Funktionieren des Staatsapparates ist, was sich wiederum auf die Vertrauensbildung der Bürger in das neue demokratische System auswirkt, auf die horizontal accountability und das Gefühl von Rechtssicherheit. Das Schema berücksichtigt durch die ersten beiden Säulen – das vorautokratische Regime und das autokratische Regime - zudem historische und kulturelle Faktoren und Hintergrundbedingungen. Die Wirtschaft ist neben Politik und Gesellschaft der dritte große Bereich. Die Bedeutung der Wirtschaft muss nicht weiter betont werden; genannt werden sollten nur die Stichworte: sozioökonomischer Entwicklungsstand, Wirtschaftsstruktur, wirtschaftliche Stabilität und soziale Entwicklung als Erfolgsbedingungen der Demokrati-
131
A.a.O., Nohlen/Thibaud, S. 206f; a.a.O., Whitehead, 1991, S. 46; a.a.O., Pridham, 1991, siehe dazu auch: Beyme von, Klaus, „Theorie im Zeitalter der Transformation“, in: Beyme von, Klaus/Offe, Claus, (Hrsg.), Politische Theorien in der Ära der Transformation, (PVS-Sonderheft 26/1995), S. 9-30, hier: S. 11 sowie a.a.O., Merkel, 1994, Beyme von, Klaus, 1994 132 Vgl., a.a.O., Linz/Stepan, 1996, S. 152 133 Vgl., a.a.O., Merkel/Puhle, S. 177; siehe dazu ausführlich Morlino, Leonardo/Montero, José Ramón, „Legitimacy and Democracy in Southern Europe, in: a.a.O., Gunther et.al., S. 231-261 sowie theoretisch wie empirisch die Beiträge in Diamond, Larry et. al., (Hrsg.), Political Culture and Developing Countries, Boulder 1994 134 Vgl., a.a.O., Dankwart, Rustow, S. 363 135 A.a.O., Nohlen/Thibaut, S. 209, siehe dazu auch Rüb, Friedbert, „Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen“, in: a.a.O., Merkel, 1994, S. 111-137 und folgende Aussagen: Die politischen Institutionen stellen „vielleicht das wichtigste Moment im Prozeß der Demokratisierung“ dar (S. 111) und die Bedeutung der politischen Institutionen sei zwar anerkannt, „aber der theoretischen Bedeutung steht eine eigentümlich Leere empirisch und theoretisch gehaltvoller Studien gegenüber.“
3 Entwicklung des Analysekonzepts
85
sierung.136 Die Wirtschaft ist unter Akteure und Elite sowie auf der Institutionenebene (Interessenverbände) erfasst. Diesen inneren Faktoren des Demokratisierungsprozesses werden nun äußere Faktoren zur Seite gestellt. Theoretische Ansätze der Transformationsforschung wurden ergänzt (das Kontinuum-Schema von Merkel und die Typologie von Linz/Stepan) um Variablen, die diese äußeren Faktoren erklären sollen. Die entwickelten drei Variablen und die dazugehörigen Untersuchungsmatrices können auf jede Phase des Demokratisierungsprozesses angewendet werden, indem der externe Kontext dargestellt wird und von dort kommende Einflüsse auf das nationale System nachgezeichnet werden und die Aktivitäten der externen Akteure in Bezug auf die Teilsysteme des nationalen Systems betrachtet werden. Bei der grundlegenden Frage der internationalen Verortung spielen die beiden anderen Variablen mit hinein. Zwar hat der Verortungsprozess für das Transformationsland jenen grundlegenden, die Definition des Landes betreffenden Charakter; er hängt zugleich ab von den Kontextbedingungen und den konkreten Situationen transnationaler Interaktion. In welchem Maße dies der Fall ist, muss die empirische Untersuchung ergeben. Das Modell macht es möglich, nach der Darstellung des Kontextes im Akteursbereich selektiv vorzugehen und einen externen Akteur herauszugreifen, um dann Motive, Art, Mittel und Wirkung des Einflusses auf die nationalen Teilsysteme durchzuprüfen. Ebenso kann auch ein nationales Teilsystem herausgegriffen werden (etwa politische Institutionen), um dann die Strategien mehrerer ausgewählter externer Akteure zu betrachten. Es handelt sich somit um ein relativ flexibles Raster, das breit oder auch punktuell angewendet werden kann. Es lässt Raum für Vergleiche etwa zwischen verschiedenen externen Akteuren; so könnte man die Strategien zweier oder mehrerer Länderregierungen (z.B. Deutschland und Frankreich oder Russland und die USA und ihre Politik während der Demokratisierung des Landes X) untersuchen, von Organisationen (Europarat und EG, Weltbank und EBWE) oder von NGOs etc. Vergleiche sind auch möglich zwischen verschiedenen Transitionsländern oder auch zwischen verschiedenen Phasen von Demokratisierungsprozessen in verschiedenen Ländern (z.B. die Involvierung der USA während des breakdown in den Ländern X, Y, Z). Die umfassendste Aufgabe stellt die Untersuchung eines kompletten Demokratisierungsprozesses dar. Zur Exemplifizierung der Interaktionssituationen bietet es sich an, konkrete Beispiele auszuwählen, etwa aus jedem der dargestellten Teilbereiche (Akteure, Institutionen, Prozesse, Einstellungen – siehe Abb. 11) Das Modell, die Variablen und Matrices stellen einen Ansatz zur Inkorporation internationaler Faktoren und der Erkenntnisse der Internationalen Politikforschung in die Theorie der Transformationsforschung dar. Das Modell dient als Grundlage für Untersuchungen der äußeren Aspekte von Demokratisierungen.
136
Vgl., a.a.O., Merkel/Puhle, S. 180 sowie a.a.O., Merkel, 1999, S. 386, wirtschaftliche Performanz als Faktor der politischen Legitimität
86
II Konzept zur Analyse externer Faktoren
Abbildung 15: Modell zur Analyse externer Faktoren bei Demokratisierungen
Externer Kontext
Regimeende
Transition
Konsolidierung
Konsolidierte Demokratie
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Vorautoritäre Demokratie
Autokratisches Regime
Akteure
Externe Akteure
Die EU als externer Akteur
III
1
Empirischer Teil. Anwendung des Analysekonzeptes an zwei Fallbeispielen: Spanien und Slowakei
Die EU als externer Akteur
1.1 Die EG in den 1970er Jahren – die EU in den 1990er Jahren Vor einem Vergleich der Motive, Strategien, Methoden und Instrumente der EU während der Demokratisierungsprozesse in Süd- und Ostmitteleuropa muss vorausgeschickt werden, dass sich (1) das internationale Umfeld verändert hat. Zudem hat sich die Europäische Gemeinschaft seit den 1970er Jahren weiterentwickelt. Die Konzepte und Strategien, Handlungen und Entscheidungen der EU müssen daher in dem jeweiligen internationalen, also auch zeitlichen und systemischen, Kontext gesehen werden. Ebenso aber muss die spezielle Dynamik der EU berücksichtigt werden, in stärkerem Maße, als dass bei einem Staat als Akteur der Fall ist. Als Einheit sui generis, die mehr als Werden denn als Sein angelegt ist, lässt sich die Dynamik und Entwicklung der EU in folgenden Bereichen ablesen: (2) Fortschritte im Integrationsprozess, (3) Erweiterung, (4) die policy-Ebene, (5) das institutionelle Gefüge. Die Dynamik der EU in diesen Bereichen sowie ihre Reaktionen auf das internationale Umfeld führen dazu, dass die Transformationsländer in Süd- und Osteuropa es zwar mit dem identischen Akteur zu tun haben, der aber seinerseits jeweils in unterschiedlichen Entwicklungsstadien steckte und dadurch eine andere Integrationsform und institutionelle Merkmale aufwies. So hatten es Griechenland, Portugal und Spanien Mitte der 1970er Jahre mit einer gerade erweiterten Neuner-EWG zu tun, die nicht nur von der internationalen Währungs- und Wirtschaftskrise betroffen war, sondern auch in einer integrationspolitischen Stagnation steckte. Als zwanzig Jahre später die ersten postsozialistischen Staaten die EG-Mitgliedschaft beantragten, hatte die Gemeinschaft einen qualitativen Sprung vollzogen: Die gerade aus der Taufe gehobene Europäische Union bedeutete die umfassendste strukturelle, institutionelle und auch inhaltliche Reform seit ihrem Bestehen. Zudem stand die Aufnahme der EFTA-Länder bevor, als die EU sich gleichzeitig auf die größte Erweiterungsrunde ihrer Geschichte vorbereitete. Das internationale Umfeld der 1970er Jahre stand im Zeichen des Kalten Krieges, wenn auch in einer Entspannungsphase (KSZE-Prozess). Besonders herausgefordert wurde die EG durch die Währungskrise und die Weltinflation einerseits, auf die sie Antworten suchen musste, sowie durch die Ölkrise, die die einzelnen Volkswirtschaften belastete. Außenpolitisch bedeutsam waren die krisenhafte Entwicklung im Nahen Osten und der sich verschärfende Nord-Süd-Konflikt nach dem Ende der Kolonialisierung. Der Integrationsprozess der Gemeinschaft blieb im Schatten der Blockadehaltung de Gaulles, auch wenn nach der durch ihn ausgelösten Krise der Integrationswille auf dem Gipfel von Den Haag 1969 neuen Schwung bekommen hatte. Aber zum einen ließen sich nicht alle anvisierten Projekte umsetzen. So scheiterte Pierre Werners ambitionierter Plan einer Wirtschafts- und
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III Empirischer Teil: EU
Währungsunion ebenso wie das abgespeckte Projekt der Währungsschlange; und der Versuch, die Währungspolitik in den Griff zu bekommen, bekam erst 1979 mit dem Europäischen Währungssystem neuen Boden unter die Füße. Zum zweiten verliefen alle Ansätze, die Gestaltung der Gemeinschaft weiter voranzutreiben im Sande. Dies traf insbesondere auf die Idee einer Politischen Union, den Tindemans-Bericht von 1975, zu. Die tatsächlich verwirklichten Projekte wie die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) stellten derweil kaum einen integrationspolitischen Fortschritt dar. Sie entsprang einem intergouvernementalen Ansatz. Auf mehr als verstärkte außenpolitischen Abstimmung, Konsultation und Koordination konnten sich die Regierungschefs nicht verständigen. Der supranationale Impetus war erlahmt. Dennoch darf die Bedeutung der EPZ als Keimzelle einer europäischen Außenpolitik trotz aller Schwierigkeiten, tatsächlich, mit einer Stimme zu sprechen und trotz aller Grenzen, an die die EPZ wiederholt stieß, nicht klein veranschlagt werden. Die EWG begann, sich als internationaler Akteur auf der Weltbühne langsam, aber sicher sichtbar zu machen. Eine der positiveren Bilanzen der 1970er Jahre betrifft die Erweiterungspolitik. Nachdem in Den Haag 1969 die Entscheidung für die Aufnahme der drei Länder gefallen war, gingen die Beitrittsverhandlungen recht zügig vonstatten. Damit war zumindest eine der von de Gaulle verursachten Blockaden beseitigt und der wichtige Partner Großbritannien zusammen mit Dänemark und Irland Mitglied. Mit dieser Erweiterung erlangte die EG zusätzliches Gewicht. Was die die Gemeinschaftspolitiken der 1970er angeht, ist die Bilanz ambivalent. Die Bilanz der EG im außenpolitischen Bereich fällt insgesamt positiv aus: Die Gemeinschaft schuf ein Vertragswerk (Jaunde bzw. Lomé), mit dem sie auf eine entscheidende Veränderung im internationalen System - die Entkolonialisierung und die sich daraus ergebende Verschiebung des Machtgleichgewichts - reagierte.1 Sie errichtete die EPZ, die erfolgreich agierte – insbesondere bei den KSZE-Verhandlungen, wo die EG eine Führungsrolle innehatte. Auch war es ein Fortschritt, dass die Abstimmung der Neun gut funktionierte, was sich an der zunehmenden Konvergenz im Abstimmungsverhalten bei der UN ablesen ließ.2 Trotz des anfänglichen Schwungs blieben die anvisierten Projekte hinsichtlich der Gemeinschaftspolitik „die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ (EWG-Vertrag, Artikel 2) jedoch stecken. Auch in einem anderen zentralen Politikbereich der Gemeinschaft, der Agrarpolitik, war die Bilanz wenig erfreulich und eine Regelung des Agrarmarktes stand weiterhin aus. Im institutionellen Bereich fanden in den 1970er Jahren zwei Weiterentwicklungen statt. Die eine bestand in der allmählichen Stärkung des Europäischen Parlaments auf Grund des Zuschlags von Haushaltskompetenzen, und - wichtiger noch - in der Entscheidung zur Direktwahl, die erstmals 1979 stattfand. Mit der Etablierung des „Europäischen Rates“ wurde, zweitens, außerdem eine ganz neue Institution geschaffen außerhalb des Verfahrensmechanismus der Gemeinschaften und ihres Ministerrates. Dieser „Europäische Rat“, der sich in Form von regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs darstellte, sollte Blockierungen im Willensbildungsprozess auflösen und mit der Formulierung von Zielen und 1 Vgl. Regelsberger, Elfriede, „Die EPZ in den achtziger Jahren: Ein qualitativer Sprung?“, in: Pijpers, Alfred/Regelsberger, Elfriede/Wessels, Wolfgang, (Hrsg.), Die Europäische Politische Zusammenarbeit in den achtziger Jahren. Eine gemeinsame Außenpolitik für Westeuropa? Bonn 1989, S. 21-71, hier: S. S. 25 2 Siehe dazu von Groll, Götz, „Das Debüt auf der internationalen Bühne: Die Neun auf der KSZE“, in: Rummel, Reinhardt/Wessels, Wolfgang, (Hrsg.), Die Europäische Politische Zusammenarbeit. Leistungsvermögen und Struktur der EPZ, Bonn 1978, S. 121-139
1 Die EU als externer Akteur
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Richtlinien den Fortgang der Integration fördern. Letztendlich verstärkte diese Einrichtung den intergouvernementalen Ansatz, dessen Geist in den 1970er Jahren vorherrschte. Insgesamt lässt sich an dieser skizzenhaften Bestandsaufnahme der EG der 1970er Jahre ablesen, dass sich das internationale Umfeld durch krisenhafte Erscheinungen geprägt war, die internen Aufgabenstellungen der EG nur teilweise gelöst werden konnten und sich im policy-making eine Tendenz zum Intergouvernementalismus einstellte. Die Schatten der Krise der 1960er waren noch sichtbar und hatten eine nachhaltige Wirkung. Sicher war das Gewicht der EG nach außen gestärkt worden; durch den Beitritt der nordeuropäischen Länder, durch die EPZ – wie immer man sie bewerten mag – sowie durch die Außenwirtschaftspolitik.3 Als die drei südeuropäischen Staaten ihre Diktaturen abschüttelten und ihren Beitrittswillen bekundeten, herrschte im Inneren der EG jedoch jene Krisenstimmung, gegen die in den Folgejahren versucht wurde, ein Remedium zu finden, was zur ersten Revision der Römischen Verträge in der Einheitlichen Europäischen Akte führte. Die radikale Veränderung des internationalen Umfelds markiert den Hauptunterschied der beiden zu untersuchenden Zeitperioden. Nachdem die Entspannungsphase der 1970er Jahre brüsk abgelöst worden war durch den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, setzte Mitte der 1980er Jahre eine erneute Entspannung ein, die der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow initiiert hatte. Die von ihm formulierten Prinzipien zur Steigerung der wirtschaftlichen Effektivität durch mehr Pluralismus einerseits und die Aufhebung der Interventionsdrohung (Breschnew-Doktrin) andererseits führten in letzter Konsequenz zwischen 1989 und 1991 zur Implosion des kommunistischen Herrschaftsbereiches und ermöglichten somit jene Welle von Demokratisierungen ehemals realsozialistischer Staaten in Europa. Das internationale Umfeld der 1990er war zuvorderst durch das Ende des Ost-West-Antagonismus bestimmt, aber auch durch die Fragmentierungsphänomene, die Renaissance nationalistischer Bestrebungen, die partiell – wie in Jugoslawien - in kriegerische Auseinandersetzungen mündeten. Die EG war herausgefordert, nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Rolle zu finden, die ihrer gewachsenen politischen Verantwortung in den eigenen, aber auch in den Augen der Partner Rechnung tragen musste. Der Krieg in Jugoslawien 1991 schien der EG als Gelegenheit zum Start in eine neue außenpolitische Verantwortung, etwa als regionale Führungsmacht. Dies misslang jedoch, und das Scheitern der EG in Jugoslawien ließ inner- und außerhalb Europas Zweifel an der Handlungsfähigkeit und Effektivität aufkommen. Die Integrationspolitik in den 1990er Jahren zehrte von der Dynamik, die die Einheitliche Europäische Akte (EEA) 1986 freigesetzt hatte. Die EEA hatte „trotz mancher Schwächen einen Prozeß in die Wege geleitet, dessen Wirkungen in ganz Europa (innerhalb- und außerhalb) spür- und sichtbar wurden. (…) In der Tat ist die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes eine in ihren Wirkungen noch nicht übersehbare epochale Entwicklung“4. Dabei war die Festschreibung auf die Verwirklichung des Binnenmarktes bis Ende 1992 ein treibender Faktor. Das Ziel der Römischen Verträge, das nach über 25 3
Hier ist nicht der Ort, die verschiedenen Bewertungen der EPZ zu diskutieren. Zwei Positionen, die die Spannweite möglicher Interpretation andeuten, sind die eher positive Beurteilung von Elfriede Regelsberger, die die „Fortschritte in ihrer Erscheinung als gewichtiger Akteur in der internationalen Politik“ unterstreicht (a.a.O., Regelsberger, 1989, S. 62), und Reinhard Rummel, der eher die Desiderate hervorhebt sowie die reaktive Natur, die fehlende operative Orientierung und den Hang zur Status-quo-Politik kritisiert (Rummel, Reinhard, „Zwischen Diplomatenclub und Gemeinsamen Entscheidungszentrum: Zur Zukunft der EPZ“, in: a.a.O., Rummel/Wessels, S. 297-337, hier: S. 320). 4 Gasteyger, Curt, Europa von der Spaltung zur Einigung, Bonn 1997, S. 365
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III Empirischer Teil: EU
Jahren immer noch unerreicht war, rückte in greifbare Nähe. Mit Jacques Delors als Kommissionspräsident sowie Helmut Kohl und François Mitterrand an der Spitze der deutschfranzösischen Achse ergab sich zudem eine Personenkonstellation, die den Fortgang wie die Ergebnisse des Integrationsprozesses in der Zeit zwischen 1985 und 1995 günstig beeinflusste.5 Die in den 1970er Jahren gescheiterten Pläne zur Wirtschafts- und Währungsunion sowie zur Politischen Union wurden wieder aufgenommen - und diesmal mit mehr Erfolg. Im Dezember 1989 beschloss der Europäische Rat in Straßburg, eine Regierungskonferenz einzusetzen, die eine Wirtschafts- und Währungsunion vorbereiten sollte. Im April 1990 wurde eine weitere Regierungskonferenz eingesetzt, die einen Vertragstext für eine Politische Union ausarbeiten sollte. Der im Februar 1992 gezeichnete Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) war der tiefgreifendste und bislang weitestreichende Reformschritt seit Bestehen der Gemeinschaft. Der integrationspolitische Schub erlahmte im Laufe der 1990er Jahre allerdings zusehends. Schon der Amsterdamer Gipfel hinterließ den Eindruck, „daß der Willen zu weiterer Einigung schwächer wird und sich das Schrittmaß verlangsamt“6. Amsterdam spiegelte „überdeutlich das von rein nationalen Interessen getriebene Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten ebenso wider wie die schwindende Überzeugung von der Notwendigkeit weiterer Fortschritte im Einigungsprozeß“7. Nizza stellte diesbezüglich einen weiteren Rückschlag dar. Trotz des Drucks für die überfälligen institutionellen Reformen durch die bevorstehende Osterweiterung markierte Nizza einen neuen Höhepunkt der Renaissance nationaler Interessensicherung, mangelnder Visionen und dem „Erlahmen des supranationalen Impetus“8, ein Zustand, indem sich die EU auch nach Nizza weiterhin befindet. Das vorläufige Scheitern des Verfassungsprojektes durch die negativen Referenden In Frankreich und den Niederlanden im Sommer 2005 hat diesen Zustand weiter verstärkt. Die Gemeinschaftspolitiken erlebten derweil enorme Fortschritte. Der Binnenmarkt trat in Kraft, und die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen wurde festgeschrieben. Die Delors-Kommission brachte zudem auch drei andere, für die Gemeinschaft, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Erweiterung prekäre Politikfelder voran: die Finanzgrundlagen wurden neu geregelt, indem die Eigenmittel erhöht wurden, die Gemeinsame Agrarpolitik wurde 1992 – wenn auch begrenzt - reformiert und das Problem der Förderung strukturschwacher Regionen durch die Verdoppelung der Strukturfonds gelöst. Des Weiteren wurde die Vergemeinschaftung von Politikfeldern der dritten Säule „Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz“, die im Maastrichter Vertrag noch als koordinierte Politiken fungierten – vorangetrieben. Die EPZ, die in der EEA bereits eine Rechtsgrundlage bekommen hatte, wurde im Vertrag von Maastricht als GASP zur zweiten Säule der Union. Parallel zu den integrationspolitischen Schritten betrieb die EG auch eine aktive Erweiterungspolitik. Ende der 1980er Jahre hatte es eine Antragswelle gegeben, bei der etliche EFTA-Länder ihr Interesse an einer Mitgliedschaft bekundeten. Zudem ging es den post-sozialistischen Reformländern ebenfalls um eine Beitrittsperspektive. Die EG ent5 „Mitterrands neues europapolitisches Engagement traf sich mit dem Bestreben des neuen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl und seines Außenministers Hans-Dietrich Genscher, die europäische Einigung voranzubringen.“ Vgl., Herz, Dietmar, Die Europäische Union, München 2002, S. 55f 6 A.a.O., Gasteyger, S. 546 7 Ebd. 8 Weidenfeld, Werner, „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die europäische Integration nach Nizza“, in: Weidenfeld, Werner, (Hrsg.), Nizza in der Analyse. Strategien für Europa, Gütersloh 2001, S. 19-51, hier: S. 27
1 Die EU als externer Akteur
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sprach diesem Wunsch zunächst mit einer besonderen Form von Assoziierungsverträgen, den „Europa-Abkommen“. 1995 vollzog sie ihre vierte Erweiterung um Österreich, Schweden und Finnland. Auch die institutionelle Entwicklung in den 1990er Jahren erlebte durch den Maastrichter Vertrag eine Dynamik, die allerdings wieder erlahmte. Die institutionelle Weiterentwicklung betraf vor allem das EP, dessen Kompetenzen erweitert wurden. Durch das Verfahren der Mitentscheidung wurde das EP ein dem Rat fast gleichberechtigtes, legislatives Organ. Andererseits blieben die „left-overs“ - Neuregelung der Stimmgewichtung im Rat, die der Anzahl der Kommissare sowie die Ausdehnung der Mehrheitsentscheide im Rat –, die weder im Amsterdamer noch im Nizza-Vertrag vollends und befriedigend gelöst werden konnten. Die institutionellen Regelungen des Nizza-Vertrages waren zwar ausreichend, um die EU „erweiterungsfähig“ zu machen, nichtsdestotrotz blieben sie halbherzig und richteten ihre Hoffnung auf eine zukunftsfähige Lösung im Verfassungsvertrag. Aber auch hier zeigte sich zum einen im Verfassungskonvent, zum anderen bei der gescheiterten Verabschiedung im Dezember 2003 die Schwierigkeit der Einigung auf Grund divergierender nationaler Interessen. Vor allem aber zeigten die negativen Referenden 2005, dass sich die Bürger zwar mehrheitlich nicht gegen ein Politische Union sind, sich aber zu wenig informiert und „mitgenommen“ fühlen auf dem Weg dorthin. In den zehn Jahren nach dem Ende der südeuropäischen Diktaturen bis zum Beitritt Spaniens und Portugals hatte die EG deutlich mehr Gewicht gewonnen. Als größter Handelsblock in der Welt und als anerkannter Dialog- und Kooperationspartner in nahezu allen Weltregionen wurde ihr erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Zu dem Zeitpunkt der Veränderungen in den kommunistischen Satellitenstaaten war die EG auf Grund des wirtschaftlichen Erfolges sowie des politischen Erfolges (Süderweiterung) ein unübersehbarer Akteur auf der Weltbühne geworden war. Das erfolgreiche Modell von demokratischer Stabilität und marktwirtschaftlichem Erfolg einerseits und regionaler Integration andererseits hatte große Strahlkraft und Attraktivität entwickelt – auch und gerade für die Länder des Ostblocks. Doch als diese Länder die Annäherung an die EU suchten, war die EU zum einen mit ihrer Rollensuche, zum anderen mit ihrer Vertiefung und nicht zuletzt auch mit der Wiedervereinigung Deutschlands beschäftigt. Zwar war die Euphorie ob der Zeitenwende groß, gleichzeitig fehlten aber Strategien und Konzepte für dieses Ereignis. Die kurze tour d`horizon zeigt, dass nicht nur das gewandelte internationale Umfeld einen Unterschied zwischen den 1970er und den 1990er Jahren ausmacht, sondern dass auch die EU sich stark weiterentwickelt hatte: die Gemeinschaftspolitik hatte sich ausgeweitet, die Kompetenzen der Organe sich verändert, die Verfahren und Handlungsformen waren ausdifferenziert worden. Trotz dieser Dynamik aber weist die EU eine grundlegende Konstanz und Konsistenz in Bezug auf die Motive, Ziele, Grundsätze und Methoden ihres Außenhandelns, und damit auch ihrer Erweiterungspolitik auf. Damit stellt die EU eine konstante Einflussvariable dar. In der Darstellung des EU-Außenhandelns (2.) wird dies an Hand der Grundlagen des Außenhandelns belegt. In 3. wird das spezielle Profil der EU als „Integrator“ herausgearbeitet.
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III Empirischer Teil: EU
1.2 Demokratisierung als policy der EG/EU Das Profil der EU wird gerne auf seine wirtschaftliche Macht und seine militärische Schwäche reduziert, was sich in dem Bild vom wirtschaftlichen Riesen und politischen Zwerg widerspiegelt. Tatsächlich konzentrierte sich die Zusammenarbeit der Gemeinschaft in den 1950er und 1960er Jahren auf bestimmte wirtschaftliche Sektoren (wie Montan- oder Agrarbereich) sowie Zoll- und Handelspolitik. Allerdings darf man nicht übersehen, dass der Gründungsidee – und zwar sowohl von EGKS als auch von EWG – politische Ziele zugrunde lagen: die Kontrolle und Einbindung Deutschlands, die Versöhnung verfeindeter Nationen, das künftige Verhindern von autoritären Regimes. Noch fundamentaler aber ging es um die „Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen“, so die Präambel des EGKSVertrages, bzw. darum, „Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen“, so die Präambel des EWG-Vertrages. Ebenso wenig darf vergessen werden, dass die EWG letztlich eine Ersatzlösung auf wirtschaftlichem Gebiet war, nachdem die eigentlichen politischen Projekte der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und der Europäische Politischen Gemeinschaft (EPG) gescheitert waren. Bereits die EGKS war „als erster Schritt zu einem langfristig auf die Politische Union angelegten Ziel“ konzipiert worden.9 Die politischen Ziele konnten zwar in der Anfangsphase keine konkrete Form finden, verschwanden aber nie. Schließlich stellte die Schaffung der EG selbst einen außenpolitischen Akt dar, „und dies keineswegs nur deshalb, weil bei vielen ihrer Befürworter außenpolitische Motive im Spiel waren und zuweilen sogar eine entscheidende Rolle gespielt haben mögen.“10 Dass die Existenz einer solchen Wirtschaftsgemeinschaft auch bei begrenzten außenpolitischen Befugnissen dennoch als ein „Politikum ersten Ranges“ angesehen werden muss, basiert auf der Einsicht, dass eine eindeutige Trennung zwischen wirtschaftlichen und politischen Tätigkeiten nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist, das heißt, dass „jede Tätigkeit eines solchen Gebildes sowohl nach innen als auch nach außen wirkt“.11 Für das programmatische Gründungsmotiv – Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen – gab es lange Zeit weder Titel noch Konzept im Sinne einer europäischen Außenpolitik. Der Akzent der Außenbeziehungen lag auf den wirtschaftlichen Aspekten, dem Außenhandel. Mit der 1970 ins Leben gerufenen Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) wurde erstmals in Form einer außenpolitischen Koordination und Abstimmung ein Mechanismus im Bereich Außenpolitik geschaffen. Dies war das Ergebnis des Bewusstseins der gestiegenen politischen Verantwortung, wie es der Luxemburger Bericht der Außenminister vom Oktober 1970 deutlich machte: „Europa muss sich auf die Ausübung der Verantwortlichkeiten vorbereiten, die es wegen seines verstärkten Zusammenhalts und seiner immer bedeutenderen Rolle in der Welt zu übernehmen nicht nur verpflichtet, sondern auch genötigt ist.“12
9
Glöckler-Fuchs, Juliane, Institutionalisierung der europäischen Außenpolitik, München/Wien 1997, S. 77 Möller, Hans, „Teil C: Untersuchungswege, Methodenfragen, Ergebnisse“, in: Groeben van der, Hans/Möller, Hans, Die Europäische Union als Prozess, Bd. 1, Baden-Baden 1980, S. 143-209, hier: S. 192f 11 Ebd. 12 Erster Bericht der Außenminister an die Staats- und Regierungschefs vom 27.10.1970 (Luxemburger Bericht), in: Auswärtiges Amt, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP). Dokumentation, 11. Auflage (Stand 1998), S. 38-42, hier: Punkt 9 10
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Sogar von einer „politische(n) Sendung“ war die Rede.13 Es war dabei gleichzeitig klar formuliert, dass diese (außen)politische Dimension der Gemeinschaft in einer stufenweisen Entwicklung vor sich gehen sollte und die Methoden und Instrumente auch noch nicht festgelegt waren, sondern sich „nach und nach“ entwickelt würden.14 Die EPZ stellte also auch keinen Masterplan für eine europäische Außenpolitik dar, sondern der Beginn eines Weges der kleinen Schritte. Die außenpolitischen Methoden und Instrumente bildeten sich tatsächlich in einem graduellen Entstehungsprozess heraus. Vieles wurde durchgeführt und erst später festgelegt – also eine „schriftliche Fixierung bereits geübter Verfahrensweisen“15. Das gilt auch für den speziellen außenpolitischen Handlungsbereich des Eintretens für Demokratie und Menschenrechte. Die Mitgliedsstaaten suchten nach der Etablierung der EPZ eine Wertebasis für ihre Außenpolitik, woraus unter anderem das Dokument über die Europäische Identität von 1973 entsprungen war. Dieses artikuliert die Entschlossenheit der EG, die Prinzipien der repräsentativen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und der Achtung der Menschenrechte zu verteidigen.16 In den darauf folgenden Jahren verabschiedete die EG etliche Berichte und Deklarationen, in denen diese die Außenpolitik leitenden Prinzipien bekräftigt wurden. Aber erst 1986 legt die EG erstmals ihre Aufgabe, für die Grundsätze der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte einzutreten, vertraglich in der Einheitlichen Europäischen Akte (Absatz 5 der Präambel) nieder.17 Sie wolle mit einer Stimme sprechen und geschlossen und solidarisch handeln, um Europas gemeinsame Interessen und seine Unabhängigkeit wirkungsvoller zu verteidigen, und zwar „ganz besonders für die Grundsätze der Demokratie und die Wahrung des Rechts und der Menschenrechte“. Auch diesbezüglich wurden also – erst viel später – bereits etablierte Prinzipien kodifiziert, die im konkreten Handeln der EG bereits vorher sichtbar waren und auch außerhalb mit der EG identifiziert wurden. Neben der bereits dargelegten Ebene der Deklarationen adressierte die EG in den 1960er bereits durch die ablehnende Haltung zur Franco-Diktatur und das Nichtentsprechen seines Antrages auf Assoziierung 196218 sowie das Einfrieren der Assoziierungsverträge mit Griechenland nach dem Putsch 1967 bereits erste Negativmaßnahmen an nicht-demokratische Länder. In den 1970er Jahren kann man die Rolle der EG beim KSZE-Prozess ebenso anführen wie auch die Beziehungen zu den RGW-Staaten und ihre Forderungen zur Erfüllung der Bestimmungen des dritten Korbes der KSZE.19 Die EG hatte durch die in den 1960er und 1970er Jahren praktizierte Politik ein gewisses Image als Vertreterin des demokratischen Prinzips erlangt. Das erstmalige Eintreten für Demokratie in einem EG-Vertrag untermauerte, dass die Werte, die die europäische Identität verkörpern, auch Leitbild und Programm bei außenpolitischen Aktivitäten waren bzw. sein sollten. Die Demokratisierung Südeuropas mag
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Ebd., Punkt 10 (zweiter Absatz) Vgl., ebd., Punkt 8 15 A.a.O., Rummel, 1978, S. 317 16 So artikulierten die Neun in dem „Dokument über die europäische Identität“ vom 14.12.1973 den Wunsch, „die Geltung der rechtlichen, politischen und geistigen Werte zu sichern (…), die Grundsätze der repräsentativen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der sozialen Gerechtigkeit, die das Ziel des wirtschaftlichen Fortschritts ist, sowie der Achtung der Menschenrechte als die Grundelemente der europäischen Identität zu wahren.“ (Punkt I.1). A.a.O., Auswärtiges Amt, GASP-Dokumentation, S. 51-55 17 Dem folgte dann am 21. Juni desselben Jahres 1986 die Erklärung der EG-Außenminister zu den Menschenrechten. 18 Siehe dazu III. 1.3. und III. 2.2. 19 Siehe dazu III. 3.2. 14
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ein zusätzliches Motiv gewesen sein, diese Prinzipien in der EEA zu formulieren.20 Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte wurde seither auch explizit Element der EG-Außenpolitik – Kriterium und Ziel - zugleich. Dies wurde nicht nur an der im Juni 1986 verabschiedeten Deklaration über Menschenrechte deutlich, sondern auch auf operativer Ebene durch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die im Rahmen der EPZ eingesetzt wurde, um eine Menschenrechtspolitik für die EPZ zu erarbeiten, die sicherstellen sollte, dass Menschenrechte auf allen Ebenen der politischen Zusammenarbeit berücksichtigt werden.21 Daraus erwuchs das Instrumentarium des diplomatischen Protestes, das in öffentliche Stellungsnahmen, öffentliche Démarchen und vertrauliche Démarchen abgestuft wurde. Öffentliche Stellungsnahmen oder Démarchen wurden benutzt, um das öffentliche Bewusstsein im Land zu schärfen oder wenn man glaubte, damit Druck durch die Öffentlichkeit auf eine Regierung ausüben zu können. Vertraulich wurde gehandelt, wenn anzunehmen war, dass die Regierung gewaltsam reagieren würde und damit Menschen in Gefahr gebracht würden. Die Démarchen wurden ein viel genutztes Instrument22. Die EPZ blieb jedoch nicht auf der deklaratorischen Ebene stehen. Zunehmend fanden die politischen Prinzipien auch ihren Niederschlag in der konkreten Politik der EG, insbesondere auch bei den interregionalen Beziehungen. „Im Laufe der Zeit“, so Kommissionspräsident Jacques Santer, „hat sich aus den Stellungsnahmen der Staats- und Regierungschefs und der Institutionen der Gemeinschaft ein Konzept herauskristallisiert, das auf eine Reihe von rechtlichen, politischen und ethischen Wertvorstellungen gegründet ist“, die Richtung weisend wurden.23 Ein zentraler Schritt für das Außenhandeln der EG war die Verknüpfung handels- bzw. entwicklungspolitischer Aspekte mit politischen Prinzipien. Dies wurde erstmals 1989 praktiziert, als die Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte in das Abkommen von Lomé IV aufgenommen wurden (Artikel 5). Mit dieser Klausel wollte die EG ihr Eintreten für Menschenrechte in den Beziehungen zu Drittländern sichtbar zum Ausdruck bringen. Auch in andere Kooperationsabkommen wurden schrittweise diese Prinzipien als Grundlagen der Beziehungen artikuliert. Allerdings bildeten weder Artikel 5 noch die „Grundlagen-Klausel“ ein „eindeutige Rechtsgrundlage, um ein Abkommen im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen oder einer ernsthaften Beeinträchtigung demokratischer Prozesse auszusetzen oder zu kündigen.“24 Längst betrachtete die EG das Fördern und Sichern von Menschenrechten und Demokratie als „ihre policy“, als „wesentlichen Teil der internationalen Beziehungen“ und einen „Eckstein der europäischen Kooperation“ sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft.25 Der demokratische Umbruch seit 1989 machte jedoch zusätzlich deutlich, dass der EG ein „gemeinsamer Ansatz der Förderung von Menschenrechten und Demokratie“ fehlte, wie der Rat 1991 feststellte. Der Impuls, einen kohärenten Ansatz zu konzipieren und umzusetzen, war 20 So King, Toby, „Human Rights in European Foreign Policy: Success or Failure for Post-Modern Diplomacy”, in: EJIL, 2/1999, S. 313-337, hier: S. 315 21 Vgl., a.a.O., King, S. 317ff 22 Folgende Zahlen vermitteln einen Überblick: 50 Démarchen in 1988, 70 in 1989, 100 in 1990. Vgl., a.a.O., King, S. 317 23 Europäische Kommission, Mitteilung, Über die Berücksichtigung der Wahrung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte in den Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern, Bulletin der Europäischen Union, Beilage 3/95, S. 1-14, hier: Vorwort von Jacques Santer, S. 3 24 Ebd., S. 11 25 So der Europäische Rat in seiner Deklaration über Menschenrechte, Schlussfolgerung des ER vom 28./29.6.1991. www.europa.eu.int/comm/external_relations/human_rights/doc/hr_decl_91.htm
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einerseits die logische Folge aus den vorherigen Überlegungen, Praktiken und bereits bestehenden Aktivitäten. Andererseits wurde er katalysiert durch die Veränderung der internationalen Situation, insbesondere durch die Demokratisierung der post-kommunistischen Länder und die Frage nach dem Engagement der EG. Die Entschließung des Rates vom November 1991 stellte tatsächlich ein Basisdokument der europäischen Demokratieförderung dar. Kohäsion und Konsistenz der Aktivitäten sollten verbessert werden durch die Formulierung von „konkreten Leitlinien, Verfahren und Handlungslinien“.26 Die einzelnen, bereits existierenden Schwerpunkte, Verfahren und Instrumente wurden in ein Gesamtkonzept zusammengeführt. Wichtig war die Konkretisierung der demokratischen Requisiten, die später 1993 als Kopenhagener Kriterien festgeschrieben wurden. Während die ersten Jahrzehnte von „Wahrung von Freiheit“, dann von „Wahrung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten“ gesprochen wurde, wurden diese Prinzipien 1991 genauer aufgeschlüsselt und somit für die Festlegung konkreter Förderziele geöffnet. Diese umfassten Pluralismus, Institutionen, die in einem verfassungsmäßigen Rahmen funktionieren, verantwortliche Regierungen, regelmäßige faire Wahlen, Anerkennung der Bedeutung des Individuums in der Gesellschaft. Dem Schutz von Minderheiten wurde ein zentraler Platz eingeräumt. Des Weiteren wurde das Konzept der „good governance“ aufgenommen und spezifiziert27 und das Einwirken auf eine Reduktion von Militärausgaben angestrebt. Auch jenen eher vagen Begriff der „Wahrung“ von Demokratie formulierte der Rat um in „aktive Unterstützung“. Diese aktive Unterstützung wurde auf konkrete Ziele ausgerichtet, wobei interessant ist, dass zwei der sechs Ziele eindeutig Länder in der Transitionsphase oder sogar noch vorher adressieren: nämlich „Länder, die versuchen Demokratie einzurichten und ihre Menschenrechtssituation zu verbessern“28 sowie das Abhalten von Wahlen, das Etablieren neuer demokratischer Institutionen und die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit. Die anderen vier Ziele – Stärken der Justiz und Justizverwaltung, Fördern der Rolle von NGOs und anderer für den gesellschaftlichen Pluralismus wichtige Institutionen, die Übernahme eines dezentralen Kooperationsansatzes, Garantie von Chancengleichheit für alle – zielen auf die Konsolidierung. In Bezug auf die Verfahren und Instrumente werden ebenfalls zum einen die bisherigen Praktiken zusammengeführt, andererseits konkretisiert. So differenzierte das Ratsdokument sowohl den positiven, konstruktiven Ansatz (Dialog, aktive Unterstützung, zusätzliche Hilfe bei Anfrage) als auch mögliche Zwangsmaßnahmen, wie die bekannte Praxis von Démarchen, Modifizierungen in den Kooperationsprogrammen, Verzögerung bei Unterschriften oder Entscheidungen und schließlich auch die Suspension der Zusammenarbeit. Eine wichtige Differenzierung in der Strategie hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen stellte die Anpassung der Maßnahmen auf die jeweiligen möglichen Folgen für die Bevölkerung sowie eine Anpassung auch an die Kooperationspartner an. Grundlage dafür bilden die Menschenrechtsklauseln, die zusammen mit dem entsprechenden Dialog zu Demokratie und Menschenrechten seit 1991 Bestandteil der europäischen Kooperationsverträge sind. Bereits 1992 wurden in den Abkommen mit Brasilien und dem Andenpakt sowie 26 Rat, Resolution of the council and the member states meeting in the council on human rights, democracy and development, 28.11.1991, www.europa.eu.int/comm/external_relations/human_rights/doc/cr28_11_91_en.htm 27 “…sensible economic and social policies, democratic decision-making, adequate governmental transparency and financial accountability, creation of a market-friendly environment for development, measures to combat corruption, as well as respect for the rule of law, human rights, and freedom of the press and expression”, a.a.O., Rat, Resolution vom 28.11.1991, Punkt 5 28 Vgl., a.a.O., Rat, 28.11.1991, Punkt 4
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mit den baltischen Ländern und Albanien die Grundsätze von Demokratie und die Achtung der Menschenrechte zum „wesentlichen Bestandteil“ des Abkommens erklärt und ihnen damit eine Rechtsgrundlage verliehen. Diese Neuerung macht den Rückgriff auf restriktive Maßnahmen möglich. Sollten „schwerwiegende und fortdauernde Menschenrechtsverletzungen“ oder eine „ernsthafte Beeinträchtigung demokratischer Prozesse“ festgestellt werden, kann dies als erhebliche Vertragsverletzung betrachtet werden und das Abkommen teilweise oder ganz ausgesetzt werden. Auch im Zuge der Europa-Abkommen wurden diese Klauseln angewandt. Die Maßnahmen der EU variierten dabei: Es gab die so genannte „Baltikum-Klausel“, nach der bei Vertragsverletzung das Abkommen sofort teilweise oder ganz ausgesetzt werden kann. Eine andere Variante war die weniger strenge, so genannte „Bulgarien-Klausel“, bei der Maßnahmen bei Nichterfüllung von Verpflichtungen vorgesehen sind.29 Das Ratsdokument von 1991 und insbesondere seine Inkorporation in den MaastrichtVertrag sind zweifelsohne wichtige Meilenstein für die „Institutionalisierung“ der europäischen Demokratieförderung. Demokratieförderung wurde nicht mehr nur auf Beitrittskandidaten fokussiert, sondern darüber hinaus als allgemeines Politikfeld verankert. Im Maastricht-Vertrag wurden nicht nur erstmals Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als Grundprinzip der EU und damit auch als grundlegendes Element für die Zugehörigkeit der EU festgeschrieben. Darüber hinaus formuliert der Vertrag die „Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ als ein Ziel der GASP30. Andererseits greift es zu kurz zu sagen, die Demokratieförderung der EG habe 1991 begonnen.31 Insbesondere die Konditionalität, also das Formulieren politischer Bedingungen für die Assoziierung bzw. Aufnahme in die EG, hat ihren Entstehungsgrund, ihren Anfang und ihre ersten Anwendungen in den 1960er Jahren. Dies hängt eng zusammen mit den Bestrebungen FrancoSpaniens, weshalb dem Thema Konditionalität nicht nur ein eigenes Kapitel gewidmet ist32, sondern auch in der empirischen Untersuchung zu Spanien die Umsetzung und Wirkung dieser frühen Methode der Konditionalität ausführlich dargestellt wird. Außerdem hatte die EG-Außenpolitik bereits seit Mitte der 1970er Jahre einen „parallelen Ansatz“33 verfolgt, bei dem zwei Handlungsebenen mit einander verknüpft wurden: politisch-diplomatische Stützungsaktionen der demokratischen Kräfte auf der einen Seite und Hilfsangebote zur Beseitigung der sozialen und ökonomischen Ungleichgewichte auf der anderen Seite. Das heißt, die europäische Politik der Demokratieförderung ist nicht erst mit dem Beginn der 1990er Jahre anzusetzen; wohl aber lassen sich Unterschiede zwischen ihrer frühen Form und ihrer heutigen feststellen, und zwar erstens, in Bezug auf die Definition von Demokratie, zweitens, bei der konzeptionelle Ausarbeitung der Demokratieförderung sowie drittens, in Bezug auf deren Instrumente.
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Diese Klausel fand z. B. Eingang in die Abkommen mit Rumänien, Bulgarien, Tschechien und der Slowakei. Art. J-1 Vertrag von Maastricht, Art. 11 Vertrag von Amsterdam und Nizza 31 So suggerieren es die Ausführungen von Richard Youngs, The European Union and the Promotion of Democracy. Europe`s Mediterranean and Asian Policies, Oxford 2001, siehe erstes Kapitel 32 Siehe III. 1.3.1 33 Lippert, Barbara, Etappen der EG-Osteuropapolitik – Distanz, Kooperation, Assoziierung“, in: integration, 3/3/1990, S. 111-125. Siehe dazu auch Lingau, Wiltrud, Europäische Außenpolitik und Osteuropa, Frankfurt am Main et.al. 1991, S. 37ff. Insbesondere die europäische Ostpolitik wird mit dem parallelen Ansatz umschrieben. Ausführlicher dazu Kap. III. 3.2.2. 30
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Der Hinweis auf die Demokratiedefinition ist deswegen bedeutsam, da die Ziele und Maßnahmen Demokratie fördernder Akteure davon abhängen. Das Verständnis der EG von Demokratie folgte, erstens, in den 1960 und 1970er Jahren formalen Kriterien und entsprach damit eher einer minimalistischen Definition (Wahlen, Pluralismus, Grundrechte)34. Seither hat sich diese aber signifikant ausgeweitet hin zu einer substantiellen Definition.35 Damit unterscheidet sie sich im Übrigen deutlich von den USA. Dies kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, zumal es umfassende Vergleiche zwischen der Demokratieförderung der EU und USA bislang noch nicht gibt. Die inneramerikanische Debatte der letzten zehn Jahre36 hat allerdings einige zentrale Kritikpunkte der amerikanischen Demokratieförderung herausgearbeitet: Erstens, die Tendenz, das eigene Demokratiemodell zu „exportieren“, zweitens das enge Demokratiekonzept der USA, das auf formale Aspekte wie Wahlen und „institution modeling“ ausgerichtet ist, und drittens, die Tatsache, dass die USA annehmen, „democratization consists of a natural, orderly sequence of stages, from political opening, through transitional elections to democratic consolidation“37. Bereits Whitehead hatte festgestellt, dass die amerikanische und europäische Haltungen in Bezug auf Demokratieförderung sich auch wegen der unterschiedlichen Definitionen unterschieden: Die Europäer legten mehr Wert auf soziale und wirtschaftliche Partizipation, währen die Amerikaner einen fast ausschließlichen Schwerpunkt auf elektorale Aspekte legten.38 Der traditionell formalen Definition von Demokratie der USA steht eine breitere, substanzielle Demokratiedefinition der EU gegenüber. Das lässt sich zum einen an Aspekte wie Minderheitenschutz, aber auch Rechtsstaatlichkeit festmachen, die über minimalistische Definitionen wie die Robert Dahls hinausgehen39. Zum anderen verkörpern auch Förderziele wie die Stärkung der Justiz und der Verwaltung, Dezentralisierung bzw. Förderung regionaler und lokaler Selbstverwaltung, Förderung der Zivilgesellschaft, NGOs und unabhängiger Medien, aber auch das Einbeziehen von „good governance“ und die Spezifizierung wie demokratische Verfahren, Transparenz der Regierungstätigkeit, Bekämpfung der Korruption eine substanzielle und nicht eine rein formale Dimension von Demokratie. Zudem berücksichtigt die EU auch den in der politikwissenschaftlichen Forschung benutzt Unterscheidung in Transition zur Demokratie und Konsolidierung.40 Es hat sich in der EU ganz klar die Erkenntnis niedergeschlagen, dass die Konsolidierung junger Demokratien eben jene qualitativen Aspekte mit einschließt, die hinausgehen über das Abhalten von Wahlen und das Funktionieren der grundlegenden politischen Institutionen.
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Siehe dazu auch III. 1.3.1 Vgl., auch a.a.O., Pridham, 2002, S. 206 36 Siehe dazu etwa Zakaria, Fareed, „The Rise of Illiberal Democracy“, in: Foreign Affairs, Nov./Dec. 1997, S. 2244; Cox, Michael/Ikenberry, G. John/Inoguchi, Takashi, American Democracy Promotion. Impulses, Strategies, and Impacts, New York 2000, dort bes. Smith, Steve, S. 63-85, hier S. 70 sowie Carothers, Thomas, Aiding Democracy Abroad. The Learning Curve, Washington D.C. 1999; Carothers, Thomas, Critical mission: Essays on Democracy Promotion, Washington 2004. In diesem Sinne auch Lauth, Hans-Joachim, “Demokratieförderung als ein Element der Außenpolitik der USA: Konzeption, Stellenwert und Auswirkungen”, in: Hanisch, Rolf, (Hrsg.), Demokratieexport in die Länder des Südens?, Hamburg 1996, S. 157-185, S. 162 37 A.a.O., Carothers, 1999, S. 333 38 Vgl., a.a.O., 1986, S. 17 39 So auch Lippert, Barbara, “From Pre-Accession to EU-Membership – Implementing Transformation and Integration“, in: Lippert, Barbara/Becker, Peter, (Hrsg.), Towards EU-Membership. Transformation and Integration in Poland and Czech Republic, Bonn 1998, 15-58, hier: S. 34 40 Siehe a.a.O., Mitteilung der Kommission, 22.11.1995, S. 6 35
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Seit 1991 hat, zweitens, in der Tat eine rege Konzeptentwicklung im Politikfeld Demokratisierung stattgefunden.41 Daher ist es richtig zu sagen, dass sich seit dem Ratsdokument 1991 die Dynamik und auch die Tiefe in der Auseinandersetzung mit „Demokratie“ und „Demokratieförderung“ gesteigert haben. Dies ist in einem engen Zusammenhang zu sehen mit der zunehmenden Verantwortung, die die EG/EU nach anfänglichem Zögern gegenüber den post-sozialistischen Staaten übernommen hat. Interessant ist, dass – genau wie Anfang der 1960er – Frage, wie man auf Beitrittswunsch bzw. -wünsche reagieren soll, mit der Anwendung der Konditionalität beantwortet wurde. Als sich die EU entschloss, den ostmitteleuropäischen Ländern grundsätzlich eine Beitrittsperspektive zu geben, band sie diese an die auf dem Gipfel von Kopenhagen formulierten Kriterien. Diese Kriterien waren letztlich nichts Neues, sondern fassten vielmehr das in drei Punkte, was vorher überwiegend implizit praktiziert wurde (demokratische Kriterien, Anpassung an den Acquis, Sicherstellen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit). Die demokratischen Kriterien wiederum beruhten auf dem Ratsdokument von 1991, wurden aber in den folgenden Jahren sukzessive erweitert durch weitere Aspekte wie etwa gutnachbarschaftliche Beziehungen und regionale Zusammenarbeit (Stabilitätspakt für Europa, 1994), Durchführung der Europa-Abkommen (Gipfel von Korfu, 1994), Stärkung von Verwaltung und Justiz (Gipfel von Madrid, 1995), nukleare Sicherheit (Gipfel von Köln, 1999), tatsächliche Durchführung und Durchsetzung des Besitzstands (Gipfel von Helsinki, 1999) mit denen die EU jeweils auf neu aufgetauchte bzw. festgestellte Probleme reagierte. Durch die Kopenhagener Kriterien bekam die Methode der Konditionalität eine neue Dimension: Sie wurde das zentrale Element in der Demokratieförderung der EU während der Osterweiterung, und auf Grund des Erfolges baut die EU inzwischen nicht nur bei ihrer Politik gegenüber dem West-Balkan, sondern auch bei anderen Strategien wie der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf Konditionalität.42 Die zunehmende Verankerung von Demokratieförderung in der EU-Politik spiegelte sich auch in der regelmäßigen Bereitstellung von Geldern unter einer Haushaltslinie wider, der Einbindung demokratischer Standards in die Vertragswerke mit Drittstaaten wider und zwar sowohl in der ersten Säule (Entwicklungszusammenarbeit) wie in der dritten Säule (z.B. Partnerschaftsprogramme). Inzwischen figurieren „Menschenrechte und Demokratisierung“ als eigene policy der Kommission. Schließlich wurden, drittens, die Förderziele, Zielgruppen und Instrumente einerseits erheblich verbreitert, andererseits ausdifferenziert. Diese Entwicklung geschah inkremental und verarbeitete zunehmend die Erfahrungen aus den Demokratisierungsprozessen der der post-sozialistischen Staaten. Die EU war bei der nachhaltigen Sicherung der postsozialistischen Demokratien mit anderen Herausforderungen konfrontiert als in Südeuropa. So war bald die Schwäche der Zivilgesellschaft erkennbar, der mit der neu geschaffenen
41 Siehe vor allem die Mitteilungen der Kommission, „On the Inclusion of Respect for Democratic Principles and Human Rights in Agreements between the Community and Third Countries“, 23.5.1995, und „The External Dimension of the EU’s Human Rights Policy: From Maastricht to Rome“, (95)567, 22.11.1995, die Verordnungen des Rates vom 29.4.1999 Nr. 975 und Nr. 976/1999 über die Anforderungen für die Umsetzung von Gemeinschafts- bzw. Entwicklungsoperationen im Rahmen des Zieles zur Entwicklung und Konsolidierung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 8.5.1999, L120/1-7 und L120/814 sowie Mitteilung der Kommission an Rat und Parlament „The European Union’s Role in Promoting Human Rights and Democratisation in Third Countries“, 8.5.2001, COM(2001)252 final. 42 Siehe dazu ausführlich das folgenden Kapitel.
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Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)43 entgegengewirkt werden sollte. Auch die Schwierigkeiten bei der Einrichtung unabhängiger und effizienter Justiz- und Verwaltungssysteme gehörten zu den Defiziten, der die EU mit einem neuen Instrument begegnete, nämlich dem Twinning, dem Austausch und der Schulung von Beamten. Schwieriger zu lösen war das ebenfalls neue Problem ethnischer Spannungen und Minderheitenprobleme, die in der Tschechoslowakei zu einer „sanften“ Separation des Landes, in Jugoslawien aber zu kriegerischen Auseinandersetzungen führten. Demokratisierung wurde daher bald mit Stabilisierung und Konfliktverhütung verknüpft, die Unterstützung und Begleitung von demokratischen Transitionen wird seither als präventive Maßnahme verstanden. Es ging um eine, so die Kommission, „multi-dimensional overallstrategy“, die Menschenrechte, Sicherheit, Entwicklung und Umweltschutz umfasse, mit dem Ziel ein Klima zu schaffen von „trust and ‚democratic security’“.44 Dabei spielen auch gutnachbarschaftliche Beziehungen und regionale Kooperation eine wichtige Rolle, wie der Stabilitätspakt 1994 festlegte. Schließlich etablierte die EU ein wichtiges Instrument zur Begleitung und Überwachung der Einhaltung der Kopenhagener Kriterien: das Monitoring. Auf der Grundlage des Berichtes zum Status quo der einzelnen Beitrittskandidaten, den die Kommission in der Agenda 2000 von 1997 niederlegte, fasste sie in den folgenden Jahren bis 2003 jährlich einen Bericht ab, der die Fortschritte der Reformbemühungen jedes Landes beurteilte, die weiterhin vorhandenen Defizite nannte sowie teilweise auch Empfehlungen zur Abhilfe formulierte. Diese Beispiele für die Erweiterung und Verfeinerung von Konzept und Instrumentarium der Demokratieförderung in den 1990er Jahren lassen sich fortführen, nicht nur in Bezug auf die nächsten Beitrittskandidaten, sondern auch für die Inkorporierung bewährter Elemente der Erweiterungspolitik in andere außenpolitische Handlungsfelder. So hat die EU in der präzedenzlosen Herausforderung, die wiederum gänzlich unterschiedliche Situation des West-Balkans bereithält - der Wiederaufbau einer durch Bürgerkrieg, Krieg, ethnisch-religiöse Spannungen und Konfliktlinien gezeichnete Region, in der Demokratisierung, state-building und Befriedung ineinander greifen – bewährte, aber auch Instrumente angewandt. Die neuen „Nahtstellen“ zwischen der erweiterten EU und ihren Nachbarn, aber auch die inzwischen als Problem zugespitzte Fundamentalisierung in den bereits existierenden Nachbarregionen haben ein weiteres neues Politikfeld der EU generiert: die Europäische Nachbarschaftspolitik. Die Förderung von „good governance“, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, von politischer und wirtschaftlicher Reform und Modernisierung sind hierbei als dialogorientierte Maßnahme der Konfliktverhütung und Stabilisierung zu betrachten. Freilich findet dieses im Kreise der Beitrittsländer wirkungsvolle Anreizsystem der EU dort seine Grenzen, wo weder die Bereitschaft zum Dialog besteht noch bestimmte Förderziele mitgetragen werden. Zwar sieht die EU auch Maßnahmen bei der Verletzung von Menschenrechten oder bei der Unterbrechung von Demokratisierungsprozessen vor. Diese negativen Reaktionsmaßnahmen stellen sich in ihrer konsequenten Anwendung als schwierig dar, insbesondere bei den Partnerschaften, in denen der Hebel kleiner ist, weil zum Beispiel die Beitrittsperspektive nicht vorhanden ist. Abgesehen davon, dass die Umsetzung negativer Maßnahmen zunächst nicht klar festgelegt war, muss zudem Einstim43 Die EIDHR wurde 1994 vom angestoßen vom EP. EIDHR sollte die anderen Gemeinschaftsprogramme wie PHARE, TACIS, MEDA, CARDS, ALA etc. ergänzen und hatte vor schwerpunktmäßig die Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen und NGOs im Blick. 44 Vgl., ebd., S. 13
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migkeit im Rat herrschen. Zudem kann der Fall eintreten, dass, wie bei der Verhandlung des Lomé V-Vertrages, sich die Vertragspartner gegen die „good governance“-Klauseln sperren.45 Die Programme der EU haben seit den 1990er Jahren ein Muster herausgebildet, das dem „Drei-Körbe-Modell“ der KSZE sehr ähnlich ist: Die EU unterscheidet dabei für ihre Unterstützungsaktivitäten verschiedene Bereiche: 1. politische und Sicherheitsaspekte, 2. wirtschaftliche und finanzielle Aspekte und 3. soziale, kulturelle und menschliche Aspekte.46 Die politischen Aspekte nehmen dabei immer den ersten Platz ein und werden je nach Partnerland und dortiger Lage spezifiziert. So wurde bei der Europa-Mittelmeerpartnerschaft zusätzlich aufgenommen, die Achtung des Pluralismus in der Gesellschaft und die Toleranz zwischen den Gruppen der Gesellschaft zu fördern oder bei den Leitlinien für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika formuliert, dass die Unterstützung der EU auf die Konsolidierung der Institutionen und des Rechtsstaats ausgerichtet sind47 oder bei der Strategie für Russland auf die Förderung eines „soliden unabhängigen Gerichtswesens“ und den Ausbau der Medienfreiheit abgestellt.48 Die Priorität der politischen Aspekte war so für die Partner der EU immer erkennbar. Im Zuge des Beitrittsprozesses der osteuropäischen Länder wurden sie ausdrücklich in den Kopenhagener Kriterien festgeschrieben. Auch hier stehen die politischen Kriterien an erster Stelle und der Europäische Rat von Luxemburg (12./13.12.1997) stellte klar: „Die Einhaltung der politischen Kriterien stellt eine unabdingbare Voraussetzung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen dar.“49 Dagegen wurden die wirtschaftlichen Kriterien „aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus beurteilt“50, was deutlich macht, dass ihre Bedeutung der wirtschaftlichen den politischen Kriterien untergeordnet ist. Dies alles unterstreicht, dass die EG eine klar definierte und ausgeprägte politische Dimension hat, die bislang ausdrücklich ohne den Einsatz militärischer Gewalt auskommt. Das Fehlen des militärischen Potenzials wiederum führte gerade dazu, dass die EG andere Wege entwickelte, um ihre Ziele zu erreichen. Schubert ordnet das Engagement der EG vier Zielbereichen zu: „Auf der Skala der Außenbeziehungen der EU ganz oben rangiert (…) die Einflußnahme auf das Geschehen in deren (EU) regionalen Vorgärten – unter besonderer Berücksichtigung nationaler Traditionen und Ambitionen in Mittelosteuropa und rund um das Mittelmeer“.51 Zweitens kommt dann auf der Skala der Außenbeziehungen die Vertretung europäischer Interessen und Werte gegenüber Partnern und Konkurrenten, vor allem den USA. Zunehmend an Bedeutung gewonnen habe, drittens, die Vertretung europä45
Sehe zu den Schwierigkeiten der Zwangsmaßnahmen der EU a.a.O., Youngs, S. 34ff So zum Beispiel bei der Mittelmeerpolitik. Die „Europa-Mittelmeer-Partnerschaft“ umfasst diese drei Bereiche. Vgl., dazu Erklärung und Arbeitsprogramm der Europa-Mittelmeer-Konferenz in Barcelona, vom 27./28.11.1995, „Politische Partnerschaft und Sicherheitspartnerschaft“, 5. Spiegelstrich (in: a.a.O., Auswärtiges Amt, GASPDokumentation, S. 355-374) 47 Vgl., Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 15./16.12.1995 in Madrid, Anlage 12: Leitlinien für die Zusammenarbeit der EG mit Lateinamerika, Punkt a) (in: a.a.O., Auswärtiges Amt, GASP-Dokumentation, S. 181ff) 48 Vgl., ebd., S. 161, Anlage 8, Strategie der Union für die künftigen Beziehungen EU/Russland 49 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Luxemburg, 12./13.12.1997, „Der Beitritts- und Verhandlungsprozeß“, Punkt 25(in: a.a.O., Auswärtiges Amt, GASP-Dokumentation, S. 210-219) 50 Ebd. 51 Schubert, Klaus, „Auf dem Wege zu neuen Formen der Staatlichkeit und zu einer neuen Qualität von Außenpolitik?“, in: Schubert, Klaus/Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela, (Hrsg.), Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik, Opladen 2000, S. 9-29, hier: S. 20 46
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ischer Interessen und Werte zum Schutz und zur Förderung kollektiver Güter wie Frieden, Menschenrechte, Bewahrung der Umwelt, wobei die EU nicht selten eine Vorreiter-Rolle gespielt habe, etwa bei der Weiterentwicklung des Internationalen Strafgerichtshofes. Schließlich das Engagement im ferneren Ausland, an den „Rändern der Weltpolitik“ (AKPStaaten, Mittelamerika, Südamerika, Südliches Afrika etc.). „Herausragende Motive der EU-Außenbeziehungen wären somit zum einen die Wahrnehmung einer Art `Mission` gegenüber ihrer direkten Nachbarschaft, betreffend die Förderung von Marktwirtschaft und Demokratie in den so genannten Transformationsländern, und zum anderen, von ersterem jedoch nicht zu trennen, Krisen-Prävention“ 52. Bei dieser „Mission“ zur Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft entwickelte sich aus dem ansonsten eher sperrigen Dualismus von einerseits vergemeinschafteten (Wirtschafts)außenbeziehungen und andererseits intergouvernemental funktionierender Außenpolitik eine Besonderheit des EG-Außenhandelns.53 Die politische und die wirtschaftliche Dimension wurden im Dialog mit Drittländern verknüpft. Dies führte zunehmend zu einer Politik der Konditionalität. Schon in den Anfängen der EPZ ergab sich der Trend der Verschmelzung von wirtschaftlichen und politischem Dialog54, insbesondere bei den Beziehungen der EG mit anderen Staatengruppen, im Übrigen eine Besonderheit des EG-Außenhandelns. Ebenso wurde auch recht bald klar, dass zum einen bei den Nord-SüdBeziehungen in der Verknüpfung ökonomischer und politischer Aspekte „die spezifische Herausforderung“55 lag. Das Konzept der interregionalen Zusammenarbeit als „neuartige Kooperationsform“ und „maßgebliche(s) Gestaltungselement einer europäischen Außenpolitik“ hatte ein „friedenstiftendes und ökonomische Rückständigkeit abbauendes Element“56. Der Gruppendialog war eine Mischung von EPZ- und EG-Außenbeziehungen, einer „gebündelten Außenpolitik“. Die politische Dimension bestand entweder in dem Versuch, stabilisierend und krisenbefriedend zu wirken wie im San-José-Dialog oder in der zunehmenden Einbeziehung des Themas Menschenrechte, insbesondere auch im interregionalen Dialog.57 Die Mehrdimensionalität „kann als Potential für einen neuen, viel versprechenden Typ von Außenpolitik interpretiert werden…“58. Es sei ein neuer Ansatz zu beobachten, bei dem die EU „in wachsendem Maße zu einer pfeilerübergreifenden Ausrichtung ihrer Außenpolitik“ übergeht.59 So wurden etwa bei dem Stabilitätspakt Südosteuropa sowie bei der Gemeinsamen Strategie zu Russland politische und wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen aufs engste verzahnt. Damit wird das ganze Spektrum der EU-Politikbereiche abgedeckt. 52
Ebd., S. 20 Zur Mehrdimensionalität oder dem „fragmentierten Profil“ der EU siehe Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela, „Die Mehrdimensionalität der EU-Außenbeziehungen“, in: a.a.O., Schubert/Müller-Brandeck-Bocquet, S. 29-45 54 So etwa bei dem Euro-Arabischen Dialog, der neben der Beschäftigung mit spezifischen Wirtschaftfragen eine „eigene politische Dimension“ hatte. Weiterhin und insbesondere für den Dialog mit Mittelamerika, den San-JoséProzess. Vgl. dazu Nutall, Simon, „Wo die Europäische Kommission ins Spiel kommt“, in: a.a.O., Pijpers/Regelsberger/Wessels, S. 133-149, hier: S. 140 und 142. Zum Euro-Arabischen Dialog siehe a.a.O., Allen; zum Dialog mit Mittelamerika siehe a.a.O., Regelsberger, 1992, S. 340ff 55 A.a.O., Rummel, 1978, S. 304 56 aAa.O., Regelsberger, 1992, S. 298 57 Vgl. dazu a.a.O., Hrbek/Schneider, S. 420 und a.a.O., Regelsberger, 1992, S. 300, 326ff, 345 58 A.a.O., Müller-Brandeck-Bocquet, 2001, S. 30. Siehe dazu auch die Bewertung der jüngsten Entwicklungen (Nizza, ESVP) in dies., „Das neue Entscheidungssystem in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“, in: dies., (Hrsg.), Europäische Außenpolitik. GASP- und ESVP-Konzeptionen ausgewählter EU-Mitgliedstaaten, Baden-Baden 2002, S. 9-28 59 Ebd., S. 41 53
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Dies zeigt sich auch daran, dass die EU „in Anlehnung an den KSZE-Prozeß häufig nach einer Art modifiziertem Drei-Körbe-Modell vorgeht, also die ökonomisch-finanzielle Beziehungsdimension nicht nur mit (sicherheits-)politischen Fragen verkoppelt, sondern auch mit gesellschaftlich-kulturellen Belangen, z.B. mittels einer betonten Förderung von Menschenrechten oder zivilgesellschaftlichen Strukturen bei ihren Partnern.“60 Eine Grundlage des EG-Außenhandelns ist die Verzahnung der politisch und wirtschaftlich ausgerichteten Handlungsformen bis hin zu dem Status eines pfeilerübergreifenden Ansatzes, der etwa in der Heranführungsstrategie für die ostmitteleuropäischen Länder ebenso wie im BalkanStabilitätspakt oder der Gemeinsamen Strategie für Russland seine konkrete Umsetzung findet. Der Grundcharakter der EG/EU als der einer „transnationalen Zivilmacht“61 ergibt sich aus dem Fehlen militärischer Macht oder militärischer Mittel und den über Jahrzehnte immer weiter entwickelten zivilen Fähigkeiten – dazu gehört die Unterstützung von Demokratie, Rechtsstaat und Bürgergesellschaft ebenso wie zivile Konfliktregelung oder Aufbau der zivilen Strukturen wie nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Das Leitbild der EGAußenbeziehungen besteht aus Multilateralismus, Konfliktprävention, Dialog- und Kooperationsstrategien. Die Stärke der EU lag bislang – das hat der Jugoslawien-Konflikt gezeigt – jedoch weniger in der Konfliktregulierung als in der Friedenskonsolidierung. Inwieweit die verteidigungspolitischen Elemente und Konzepte für eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik daran mittelfristig etwas ändern, muss sich zeigen. Die militärische Schwäche wird durchaus ambivalent beurteilt. So liege im Bereich ziviler und präventiver Maßnahmen ein „komparativer Vorteil“. Dies könnte zu einer sinnvollen Rollenverteilung mit den USA führen. Denn: „Diese (USA und NATO) mögen eher dazu in der Lage sein, einen militärischen Konflikt zu entscheiden oder abzuschrecken; die EU ist aufgrund ihrer politischen Anziehungskraft und ihrer ökonomischen und administrativen Kompetenzen jedoch im Vorteil, wenn es darum geht, Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen oder durch friedlichen Politikwandel zu überwinden.“62
Schubert unterstreicht den postmodernen Charakter der EU-Außenpolitik und warnt davor, die „Potenziale der EU als postmoderner außenpolitischer Akteur aus den Augen zu verlieren“.63 Die besondere Dialog- und Kooperationskultur der EG ist oft auch sehr gefragt. Das liegt an ihrem Partnerschaftsgeist und weniger repressiven Politikstil.64 „Die EG und ihre Mitgliedstaaten gelten als ein überaus attraktiver Gesprächspartner des Westens, der sich wohltuend von dem traditionellen Verhältnis einer Über/Unter-ordnung, wie es etwa in den amerikanischen-zentralamerikanischen Beziehungen bestand, abhebt.“65
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Schubert/Klaus, Müller/Brandeck-Bocquet, Gisela, „Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik. Ein Resümee“, in: a.a.O., dies., S. 281-289 61 Ebd., S. 288 62 Wolf, Reinhard, „Weltmacht oder Ohnmacht? Bilanz und Perspektiven der EU-Sicherheitspolitik“, in: a.a.O., Schubert/Müller-Brandeck-Bocquet, S. 263-281, hier: S. 273 63 A.a.O., Schubert und Schubert/Müller-Brandeck-Bocquet, S. 287 64 Ebd., S. 284 65 A.a.O., Regelsberger, 1992, S. 353
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War der breite Handlungsrahmen und damit die Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten immer schon ein besonderes Charakteristikum der EG und ihre große Stärke zugleich, dann hat sich daran grundsätzlich nichts geändert. Die Grundstruktur des Agierens der EG bleibt, indessen ist mit den ESVP-Strukturen eine zusätzliche Komponente in diesen breit gespannten Handlungsrahmen hinzugekommen. Seit 2003 führt die EU Polizei- und militärische Mission sowohl in (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien) als auch außerhalb Europas (Kongo, Palästinensische Autonomiebehörde) durch. Auch mit der Möglichkeit militärischer Handlungsfähigkeit bleiben die Prioritäten der EU-Außenpolitik Befriedung und Krisenbewältigung ebenso wie die Förderung demokratischer Zustände und wirtschaftliche Aufbauhilfe. Die Komplexität der Handlungsformen ist freilich gestiegen, und die Verzahnung politischer, wirtschaftlicher und eventuell auch kultureller oder sozialer Unterstützungsmaßnahmen hat zugenommen. Somit hat sich das Instrumentarium an Maßnahmen ebenfalls erweitert. Es bewegt sich im Rahmen der jeweiligen Handlungsebene (diplomatisch, politisch, wirtschaftlich, nicht-zivil) und umfasst positive oder negative Maßnahmenbündel. Grundsätzlich gesprochen beinhalten positive Maßnahmen einen Ausbau an Kontakten, an Handel, Unterstützung in den jeweiligen Handlungsbereichen (wie politische Institutionen, Wirtschaft, Bürgergesellschaft) und negative Maßnahmen eine Reduzierung von Kontakten und Kooperation bis hin zum Entzug von Unterstützung oder Handel, die auch in Sanktionen enden können. Die extremsten Maßnahmen sind Verschiebung eines Vertragsabschlusses, Änderung des Inhalts der Kooperation und schließlich Suspension des Vertrages.66 Kehren wir zur Anfangsfrage dieses Kapitels zurück: Ist der internationale Akteur EG während des Umbruchs in Südeuropa und der Süderweiterung in seinen grundsätzlichen Zielen, in seinen Entscheidungsverfahren, Handlungsformen und Instrumenten zu unterscheiden von der EU als Akteur als während des Umbruchs in Osteuropas und der Heranführungsphase? Betrachtet man die Entwicklung der EPZ zur GASP und weiter zur ESVP lässt sich feststellen, dass sich an den Zielen der EG weder deklaratorisch noch faktisch etwas geändert hat. Im Maastrichter Vertrag werden die Ziele der GASP festgelegt als „Wahrung der gemeinsamen Werte“, „Wahrung des Friedens und die Stärkung der internationalen Sicherheit“, „Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“67. Es ist deutlich geworden, dass die EU heute die gleichen Ziele hat wie die EG zu Beginn der EPZ und vorher. Die EG der 1970er Jahre war wie die EU der 1990er Jahre charakterisiert als hauptsächlich zivile, um Dialog und Konfliktprävention bemühte Macht. Sie ist weiterhin charakterisiert durch ihren mehrdimensionalen Ansatz, der politische und wirtschaftliche Aspekte umfasst. Die politischen Ziele – Sicherung des Friedens, Demokratie und Wohlstand für die europäischen Völker – sind damals wie heute identisch geblieben. Bei der Sicherung des Friedens hat der Aspekt der Stabilisierung an den „Rändern“ der EU zum Beispiel durch das Fördern von Nachbarschaftspolitik seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes zugenommen. Angefangen bei dem Stabilitätspakt von 1994 über den Stabilitätspakt für Südosteuropa bis hin zu dem neuen Politikfeld Europäische Nachbarschaftspolitik hat die EU ihre Konzepte und ihr Instrumentarium erweitert. Bezüglich der demokratischen Standards ist sowohl die Konzeptualisierung als auch die der Methodik fortgeschritten (in Form der Konditionalität, siehe 66
Vgl., a.a.O., Kommission, 22.11.1995 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, Titel V „Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Art. J.1 (Ziele der GASP)“
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dazu Kap. 1.3.1). Die Gemeinschaft hat die demokratischen Standards, ihre Reichweite und Ausgestaltung konkretisiert, ihr institutionelles Gefüge und ihre Instrumente erweitert und ihr Maßnahmenbündel verfeinert. Das Profil der EG war und ist das einer transnationalen Zivilmacht – seit Nizza: mit militärischen Mitteln -, deren Stärken in multilateraler Konsensfindung und Dialog- und Kooperationsstrategien liegen, deren Schwächen im effizienten operativen Handeln bei Krisen liegen. Daher liegt der Einfluss der EU sehr stark in dem Ausstrahlen der durch sie verkörperten und gelebten Werte – Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität -, die zunehmend explizit als nach außen gewandte Außenpolitik vertreten und umgesetzt werden. Fazit: Die EU ist über die Jahre hinweg ein in ihren Zielen und Motiven konsistenter, freilich auch in ihren „endogenen Restriktionen“ konsistenter Akteur der Demokratieförderung, dessen Themen, Handlungsformen und Instrumente sich aber ausdifferenziert und verfeinert haben. 1.3 Die Erweiterungspolitik als Element des Außenhandelns Innerhalb der außenpolitischen Handlungsfelder der EG/EU nimmt die Erweiterungspolitik einen besonderen Platz ein. Als Teil der Europaforschung ist sie allerdings ein „neglected subject“68. Erst anhand der Osterweiterung und der seit Ende der 1990er Jahre festgelegten Strategie weiterer Aufnahmerunden (Türkei, West-Balkan) beginnt die Beschäftigung mit der Erweiterung als Politikfeld der EU stärker ins Blickfeld zu rücken. Dass Erweiterung ein Politikfeld ist, daran lässt die EU selbst keinen Zweifel. Eine komplette Übersicht über die Entwicklung dieses Politikfeldes kann hier nicht geleistet werden. Was hier interessiert, ist, Erweiterung als Grundkonstante des Außenhandelns nachzuzeichnen. Dabei stellt die Konditionalität die Verbindung zwischen der Erweiterungspolitik und der Demokratisierungspolitik der EU dar. Bevor in den Fallstudien diese Verbindung im Detail untersucht wird, sollen hier die Konditionalität als Methode (Kap. 1.3.1) und die schrittweise instrumentelle Ausweitung des Beitrittsverfahrens (Kap. 1.3.2) als Pfeiler der Erweiterungspolitik kurz umrissen werden. Die Erweiterung der Sechsergemeinschaft war von Anfang an ein Element der europäischen Einigungsidee. Bereits Robert Schuman hatte in seiner Erklärung vom 9. Mai 1950 gesagt, dass eine Organisation geschaffen werden solle, „die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht.“69 Genauso bestand eine zentrale Grundlage der EWG in dem Willen, „einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen“70. Der Ausdruck „europäische Völker“ war bewusst so offen gehalten worden. Die Aufnahme weiterer Staaten war von Anfang an eine politische Leitidee, ein Programm der Gründerstaaten, auch wenn es dazu kein Konzept gab. Genau wie in ihrer gesamten Entwicklung, so zeichnete sich auch die Erweiterung der EWG von Anfang an als ein offener Prozess ohne Blaupausen aus.
68 So Helen Wallace, siehe ihr Beitrag „EU Enlargement: A Neglected Subject“, in: Cowles Green, Maria/Smith, Michael, (Hrsg.), The State of the European Union. Risks, Reforms, Resistance, and Revival, Vol. V., Oxford 2000, S. 150-163 69 Zit. nach Brunn, Gerhard, Die Europäische Einigung, Stuttgart 2002, S. 71 70 So an erster Stelle der Präambel des EWG-Vertrages formuliert.
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Wenngleich es diesen Titel nicht gab, so bildete die Erweiterungspolitik ein Entstehungsund Entwicklungsmotiv der EG71 und ein Element ihres Außenhandelns. Dazu gehörte nicht nur die Erweiterung durch Vollmitgliedschaft. Anfang 1960 wurde die Politik der Assoziierung als „Möglichkeit einer strukturellen Verbindung“ mit der EG geschaffen. „Die Assoziation“, so der damalige Präsident der EWG-Kommission, Walter Hallstein, stellt ein „vollwertiges Instrument der europäischen Einigung dar“.72 Zwar überwogen zweifelsohne handelspolitische Aspekte, dennoch hatten die Assoziierungen mit Griechenland (1961) und der Türkei (1963) auch politische Motive. Das Abkommen mit Griechenland hob sich durch seinen „besondere(n), auf den künftigen Beitritt hinzielende(n) Charakter“ von späteren, mehr entwicklungs- und handelspolitisch motivierten Assoziationen ab73. Die Assoziation mit der Türkei war sicherheitspolitisch motiviert, galt sie „als eine zusätzliche Komponente der Sicherung der ´Südostflanke´ der Nato“74. Und das 1963 geschlossene Assoziierungsabkommen von Jaunde, Vorläufer der Lomé-Abkommen mit den AKPStaaten, wurde zur Keimzelle für die EG-Entwicklungshilfe. Bei den Beziehungen, die die EWG in den 1960er Jahren knüpfte, lässt sich somit bereits eine Vermischung wirtschaftlicher und politischer Motive erkennen. Artikel 237 der Römischen Verträge formulierte, dass jeder europäische Staat beantragen kann, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Dennoch gab es keine Überlegungen, etwa strategischer Art oder Konzepte, wie man zu diesem vereinten Europa gelangen wollte. Und auch der konkrete Ablauf solcher Beitritte war weder vertraglich festgelegt noch irgendwie vorgedacht. Artikel 237 enthält minimale Verfahrensregeln: „Jeder europäische Staat kann beantragen, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig, nachdem er die Stellungnahme der Kommission eingeholt hat.“
Auch die Kriterien werden sehr offen gehalten: „Die Aufnahmebedingungen und die erforderlich werdenden Anpassungen dieses Vertrages werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifizierung durch alle Vertragstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften.“
Diese offene Formulierung bewirkte, dass die Ausgestaltung der Beitrittsverfahren, die Kriterienbildung für die Aufnahme selbst, die Heranführungs- und Anpassungsmaßnahmen etc. im praktischen Vollzug geschahen, wobei sich einerseits ein gewisses Gerüst herausbildete, andererseits dieses „informelle“ Gerüst um neue Elemente ergänzt wurde auf Grund neuer Erfahrungen. Innovationsschübe im Erweiterungsverfahren ergaben sich dabei
71 „Letztes und wichtigstes Ziel der Errichtung der Gemeinschaft war von Anfang an stets die politische Einigung Europas …“ Präsident der EWG-Kommission, Walter Hallstein, in seiner Bilanz der Jahre 1961/62, in: Amtsblatt der EWG, 12/1962, S. 11 72 Walter Hallstein in der Debatte des Europäischen Parlaments zur Assoziierung Griechenlands (Bericht Duvieusart), in: Amtsblatt der EWG, 11/1961, S. 70f 73 Teske, Horst Europa zwischen gestern und morgen. Von den Römischen Verträgen bis zur Europäischen Akte, Köln 1988, S. 121 74 Regelsberger, Elfriede, Westeuropa als internationaler Akteur. Die Außenbeziehungen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), Diss. Tübingen 1992, S. 170
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vor allem bei den Erweiterungen mit Transformationsländern, insbesondere bei der Osterweiterung. Der Erweiterungswille der Gemeinschaft ist eine Seite der Medaille; die andere besteht aus dem Interesse von Nichtmitgliedern beizutreten. Ganz grob gesprochen muss man hier die Eigeninteressen der Bewerber ebenso in Rechnung ziehen wie die Magnetkraft der EU (push und pull-Faktoren). Eine Magnetkraft hatte die EG bereit sehr schnell auf Grund ihrer wirtschaftlichen Erfolge entwickelt, was man auch an der Akkumulation von Anträgen erkennen kann. Wirtschaftliche Gründe mögen daher gerade bei der ersten Erweiterungsrunde überwogen haben. So hatte Großbritannien sich zunächst außen vor gehalten, da es sich wirtschaftlich und handelspolitisch auf den Commonwealth stützte, politisch auf die special relationship zu den USA. Als beide Pfeiler aber zu bröckeln begannen, wurde die EG zu einer attraktiven Option. Als Motive nannte Großbritannien die Ähnlichkeit der Gegebenheiten und Ziele, der größere internationale Einfluss in der Gemeinschaft und die Vorteile durch gemeinsame Lastenteilung, gerade bei den wirtschaftlichen Aufgaben.75 Dies zeigt sehr deutlich die push-Faktoren auf, die auch die Bewerber der zweiten Nordoder EFTA-Erweiterung kennzeichneten. Die Anziehung des europäischen Modells auf die süd- und osteuropäischen Bewerberstaaten hatten zusätzlich andere Motive, etwa politischer und kultureller Art. Dieses Zusammenspiel von push- und pull-Faktoren wird in III.2 und 3. näher beleuchtet. Nicht nur die Motive unterschieden sich bei den Norderweiterungen einerseits und der Süd- und Osterweiterung andererseits, auch die Verfahren und der Ablauf der Verhandlungen gestalteten sich auf Grund der unterschiedlichen Hintergründe und zu erfüllenden Bedingungen anders. Bei der ersten Erweiterungsrunde war die erste Bedingung die Übernahme des Acquis communautaire. Anpassungen akzeptierte die EG nur durch Übergangsbestimmungen mit festen Fristen. Dabei durfte die Weiterentwicklung der EG während der Verhandlungsperiode nicht gestört werden. Und wichtig war ihr auch, dass alle Probleme vor dem Beitritt geregelt waren.76 Nun waren insgesamt gesehen die ersten Bewerber (Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen) „unproblematische“ Fälle, handelte es sich doch um funktionierende Marktwirtschaften und etablierte Demokratien. Ähnlich verhielt es sich bei den Bewerbern der vierten Erweiterung (Finnland, Schweden, Norwegen und Österreich). Bei letzteren Fällen kommt dazu, dass es sich bei den Ländern um EFTAMitglieder handelte, die insbesondere durch die „Fusion“ zum Europäischen Wirtschaftsraum die EU-Normen und Standards des Binnenmarktes bereits übernommen hatten. Herausgefordert wurde die EG/EU durch den Beitrittswunsch der südeuropäischen und post-kommunistischen Länder, und hierbei verbanden sich Anpassung an die EU mit der Transformation der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme in den Bewerberländern, die von der EG/EU einerseits unterstützt, andererseits gefordert wurde. Durch diese Interessenkonvergenz beider Akteure hinsichtlich der Transformation– hier Bewerber, dort EG/EU – ergibt sich ein Schnittmengenbereich von Interaktionen. Auch ohne die Beitrittsfrage – durch Antrag oder durch Assoziierung wie bei den EuropaAbkommen – kann die EG/EU durchaus Interesse haben an einer demokratischen und marktwirtschaftlichen Transformation und Motive zu ihrer Unterstützung: sei es die moralische Verpflichtung gegenüber europäischen Völkern, die in diktatorischer Knechtschaft 75 So das Britische Weißbuch über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften von 1971, in: a.a.O., Gasteyger, D68, S. 291ff, hier: S. 292 76 Vgl., ebd., S. 290
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gehalten wurden, sei es die Sicherung politischer Stabilität bzw. das Verhindern von Destabilisierung oder sei es das Erschließen neuer Märkte. Intensiver und profunder wird die Interaktion in dem Schnittmengenbereich jedoch durch die Heranführung an die EG/EU mit dem Ziel des Beitritts. Dies trifft auf beide Seiten zu: das Bewerberland und die EU. Wie in Teil II. argumentiert, stellt die Demokratisierungsphase eine Sondersituation für ein Land dar, in dem ein erhöhten Bedarf an konkreter Unterstützung (finanziell, technisch etc.), ebenso aber an Modellen zur Umgestaltung des politischen und wirtschaftlichen wie auch des gesellschaftlichen Systems herrscht, und damit auch ein erhöhter Bedarf, eine erhöhte Akzeptanz und aktive Nachfrage nach policy transfer, d.h. Transfer von Institutionen, Prozessen oder Politikfeldern. Die EU stellt sowohl in ihrer Modellhaftigkeit für funktionierende Demokratie und Marktwirtschaft, Wohlstand und bestimmte Werte als auch als Quelle für policy transfer die zentrale Bezuggröße für diesen Bedarf dar. Die EU hält ein konkretes Angebot bereit, das mit konkreten Bedingungen verbunden ist, wobei dieses Angebot wiederum sowohl Unterstützung als auch Transfer konkreter Modelle beinhaltet. Während das Angebot – Beitritt – absolut freiwillig ist, während die Erfüllung der Bedingungen dem Zwang unterliegt. Die Methode – Belohnung bei Erfüllung bestimmter Bedingungen – ist als Konditionalität insbesondere bei internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank ein gängiges Verfahren. Gelder, Kredite u.Ä. werden gewährt bei der Umsetzung bestimmter wirtschafts- oder finanzpolitischer Vorgaben. Zwar ist das Grundprinzip bei der EU das Gleiche – Belohnung bei Erfüllung -, dennoch besitzt die EUKonditionalität besondere Merkmale, die sie von der traditionellen Methode unterscheidet. Dazu mehr im folgenden Kapitel. Bei dem Beitritt in eine supranationale Organisation wie der EU ist die Anpassungserfordernis höher als bei dem Beitritt in jede andere Art von Organisation. Transformationsländer sind ohnehin durch einen hohen Grad an Wandel gekennzeichnet. Insofern beinhaltet das Heranführungs- bzw. das Beitrittsverfahren der EU nicht nur – negativ gesprochen einen abzuarbeitenden Aufgabenkatalog, sondern auch – positiv gesprochen - einen Transformationsrahmen (Christiane Frantz77) für diesen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Die EU selbst hat dabei ein eigenes Interesse an einer erfolgreichen Transition und Konsolidierung des politischen Systems sowie einer erfolgreichen Transformation des wirtschaftlichen Systems. Bei der Süd- und Osterweiterung haben Transformation und Integration ineinander gegriffen. Wie sich das konkret ausgestaltet, wird an den empirischen Fällen deutlich gemacht. Die Erweiterungsvariante – Transformation und Integration – prägt auch die nächste Erweiterungsrunde bzw. die zurzeit laufenden Verhandlungen mit Bulgarien, Rumänien und Kroatien. Einen ganz anderen Fall stellt in dieser Runde die Türkei dar, da sie einerseits kein Transformationsland ist, andererseits bestimmte demokratische Kriterien der EU nicht erfüllt. Mit dem Übergewicht an Integration von Transformationsländern bei der fünften und künftigen sechsten Erweiterung bekommt diese Variante samt ihrer Methode und Verfahren eine zunehmende Bedeutung. Bereits nach der Süderweiterung und der gelungenen Demokratisierung Griechenlands, Spaniens und Portugals hatte die EG ein Renommé als Konsolidierungshelfer. Durch die Heranführung und Erweiterung der postkommunistischen Länder sowie ebenso durch den Stabilitätspakt Südosteuropa und das Programm CARDS hat sich das außenpolitische Profil der EU als Demokratisierer und Stabilisator geschärft. 77
A.a.O., Frantz 2000
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1.3.1 Konditionalität als Element der Erweiterungspolitik Das besondere Merkmal der EU-Demokratieförderung liegt in dem doppelten und miteinander verknüpften Angebot der EU von Beitritt und Unterstützung bei der Transformation. Es gibt der Methode der Konditionalität ein anderes Gesicht und Gewicht als bei der bekannten traditionellen Variante. Ein zentraler Unterschied ist, erstens, dass es für die EU nicht nur um ein punktuelles Desiderat und einen Geldtransfer geht. Die Aufnahme eines Landes in die Gemeinschaft hat eine ungleich größere und gewichtigere Dimension für beide Seiten. Die Kriterien sind viel weitergehender und auch grundlegender: Es geht um einen Wertekatalog, den die EU nach außen vertritt, mit dem Ziel zur Etablierung stabiler und funktionsfähiger Demokratien beizutragen. Die Vorbereitung von Transformationsländern auf die Aufnahme zielt zudem darauf ab, die Grundlagen zu schaffen, die bei den anderen Mitgliedern oder Bewerberländern mit etablierten Demokratien ganz selbstverständlich vorhanden sind oder mitgebracht werden. Die EU kann es sich nicht leisten, ein instabiles System mit Problemen aufzunehmen, das die EU selbst von innen heraus gefährden könnte. Das gilt für Minderheitenkonflikte ebenso wie für Umweltstandards. Ein weiterer Unterschied zu anderen Formen von Konditionalität ist, zweitens, jenes doppelte Angebot der EU von Integration und Transformation. Das Angebot des Beitritts ist mit jenem umfangreichen „Leistungspaket“ der EU verknüpft: die Unterstützung, die die EU bis dorthin leistet. Dieses Unterstützungsinstrumentarium ist, drittens, breit gefächert, deckt nicht nur den wirtschaftlichen, sondern auch den politischen Bereich ab und hat sich vor allem im Zuge der Osterweiterung stark ausdifferenziert. (siehe 3.3) Ganz grob kann man es unterteilen in 1. finanzielle Programme (PHARE, ISPA, SAPARD), 2. technische Hilfe, 3. den politischen Dialog, bei dem es um die Anpassung an die Kriterien und die Übernahme des Acquis geht und 4. die Begleitung der Maßnahmen sowie die Korrektur von Fehlentwicklungen (Fortschrittsberichte, Monitoring). Das heißt, viertens, dass auch die Aufgabenstellung zur Erfüllung der Bedingungen durch das Bewerberland sehr breit gefächert ist. Fünftens, bedeutet die politische und wirtschaftliche Konditionalität für das Bewerberland, dass es bestimmte Vorgaben, deren Verpflichtung auf Umsetzung sowie die Begleitung und Evaluierung durch die EU akzeptiert. Vor allem aber hat, sechstens, die Erfüllung der Kriterien und die Zusammenarbeit mit der EU dabei einen nachhaltige Wirkung auf das politische und wirtschaftliche System. Die Konditionalität der EU basiert weder allein auf Freiwilligkeit noch auf purem Zwang, sie stellt ein Anreiz-Druck-System dar, da sie den sehr attraktiven Anreiz der Mitgliedschaft bereithält, gleichzeitig aber einerseits den Druck zur Demokratisierung generell aufrecht hält, andererseits aber auch im Einzelfall bei demokratischen Defiziten oder Fehlentwicklungen den Druck mit Negativmaßnahmen verstärken kann. Der Anreiz ist zudem doppelt: Neben der Mitgliedschaft können die Bewerber auch mit der Unterstützung bei der Transformation und während der Beitrittsverhandlungen rechnen. Kein Land wird gezwungen, Mitglied der EU zu werden. Möchte ein Transformationsland aber das Beitrittsangebot annehmen, bekommt es das zweite Angebot – das Leistungspaket zur Transformation – dazu geliefert. Dieses Anreizsystem und die Konditionalität als ihr Kernstück waren nicht zu Beginn der EWG konzipiert, sondern haben sind im Laufe der Jahrzehnte entwickelt. Wohl aber verfügte und nutzte bereits die EWG und die EG über die Möglichkeit, Elemente ihrer Gemeinschaftspolitik – finanzielle Hilfe, Handels-, Präferenz-, Assoziierungsabkommen und nicht zuletzt die Vollmitgliedschaft – für politische Anreize einzusetzen. Diese
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Praxis war bis in die 1990er Jahre nicht festgelegt, sondern „ergab“ sich durch die Parallelität der Ziele: wirtschaftliche Hilfe sowie eigene wirtschaftliche Vorteile zum einen und Unterstützung bestimmter politischer Ziele (Demokratie) und bestimmter Werte (Menschenrechte) zum anderen. Ihre Keimzelle ist bereits in den 1960er Jahren zu finden. Nach den Römischen Verträgen bestand die einzige Bedingung für den Beitritt darin, ein „europäischer Staat“ zu sein; ein Kriterium, mit dem die EG 1987 den Beitrittsantrag Marokkos ablehnte. Während der Europarat von seinen Mitgliedern verlangt, dass sie die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit sowie die Menschenrechte und Grundfreiheiten beachten (Art. 3), hatte der Vertrag von Rom solch eine Demokratie-Klausel aus bestimmten Gründen bewusst nicht beinhaltet (Status Westdeutschlands, mögliche Wiedervereinigung). Dass politische Prinzipien nicht vertraglich festgeschrieben waren, bedeutete nicht, dass die EG keine gehabt hätte oder dass sie keine Rolle gespielt hätten. Zunächst aber war die Frage solcher politischen Bedingungen gar nicht virulent, denn die Länder, die einen Beitritt beantragt hatten (1961: Großbritannien, Irland und Dänemark; 1962: Norwegen), oder über eine Mitgliedschaft nachdachten wie Österreich, die Schweiz und Schweden, waren ohnehin Demokratien. Griechenland und die Türkei, die 1959 bzw. 1961 die Assoziierung beantragt hatten, galten formal als Demokratien.78 Auf Grund der Akkumulation von Anträgen war die EG gefordert, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, um die Anträge zu begrenzen und zu kanalisieren.79 Da das Abkommen mit Griechenland sehr günstig für das Land ausgefallen war, fürchtete die EWG obendrein, es könne so attraktiv sein, dass auch andere Nationen die Assoziierung beantragen würden. In Verlautbarungen ließ man daher durchblicken, dass Assoziationen für nicht-europäische Länder gedacht waren, der Beitritt aber für die europäischen. Im Oktober 1961 stand zur Debatte, entweder eine gemeinsame Politik entwickeln müssen, die die Bedingungen formuliert für Länder, die Assoziierungs- oder Beitrittsverhandlungen führen wollen oder im Einzelfall zu entscheiden. Man optierte für die Entwicklung von Kriterien.80 So wurde im Dezember 1961 eine Kommission gebildet aus Vertretern der Parlamentarischen Versammlung zur Untersuchung der Bedingungen für die Assoziation und den Beitritt zur EWG, die als Ergebnis einen Bericht vorlegte, der nach dem Berichterstatter, Willy Birkelbach81, benannt wurde. Der Bericht wurde am 15. Januar 1962 vorgestellt und im Parlament einstimmig beschlossen, ihn an die Ministerräte weiterzuleiten. Die Unterstützung des Berichts war fraktionsübergreifend, was der Beitrag eines belgischen christdemokratischen Abgeordneten zeigt, der konstatierte, „dass dieses Dokument mehr ist als ein Bericht, und dass es (…), ein Basisdokument darstellen wird, fast ein Gesetz.“82 Kernaussage des Birkelbach-Berichtes war, dass nur demokratische Staaten zum Beitritt zur EG zugelassen werden sollten. Der Birkelbach-Bericht83 formulierte klare Bedingungen für die Mitgliedschaft: 78 Merkel weist auf den bloß formalen Charakter der griechischen Demokratie zwischen 1949 und 1967 hin. De facto gab es erhebliche Einschränkungen rechtsstaatlicher Garantien und politischer Partizipationsrechte. Es bezeichnet diese Periode als semidemokratisch, da auch de jure undemokratische Einschränkungen vorlagen (Männerwahlrecht, Verbot der Linken). A. a. O., Merkel, 1999, S. 246 79 Vgl. La Porte, Maria Teresa, La política europea del régimen de Franco. 1957-1962, Pamplona 1992, S. 19 80 Vgl., ebd., S. 282 81 Willy Birkelbach, deutscher Sozialdemokrat, war Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung von 1958-1964. 82 Wortbeitrag des belgischen Abgeordneten Duvieusart, zit. n. Birkelbach, Willy, Fazit. Gelebt – bewegt, Marburg 2000, S. 228 83 “Rapport fait au nom de la Commission politique sur les aspects politiques et institutionnelles de l’adhésion ou de l’association a la Communauté/CE”, Parlement Européen/Commission, 15.1.1962, Dokument 122
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III Empirischer Teil: EU „Die Länder, deren Regierung die demokratische Legitimierung fehlt und deren Völker nicht an den Entscheidungen der Regierungen teilhaben, sei es direkt oder durch frei gewählte Repräsentanten, können nicht anstreben, in den Kreis der Nationen zugelassen zu werden, die die Europäische Gemeinschaft formen.“
und „Nur Staaten, die auf ihrem Territorium wirklich demokratische Praktiken und Respekt für fundamentale Rechte und Freiheiten garantieren, können Mitglieder unserer Gemeinschaft werden.“
Da der spanische Außenminister Fernando Castiella nur wenig später, am 9.2.1962, den Antrag auf „Assoziierung Spaniens mit dem Ziel der vollen Integration“84 stellte, bekam der Birkelbach-Bericht eine zusätzliche Bedeutung für die Behandlung dieses Antrags.85 Franco-Spanien war das erste nichtdemokratische Land, das einen Antrag auf Assoziierung bzw. Beitritt stellte. Somit ist die Reaktion der EG darauf von besonderem Interesse, vor allem auch weil sie auch bestimmte innere Dynamiken in Franco-Spanien auslöste. Die EG lehnte den Antrag Spaniens zwar nicht ab, stellte aber die Bedingung eines demokratischen Wandels (siehe III.2.). In ihrer Stellungnahme zum späteren Beitrittsgesuch des demokratischen Spaniens bezog sich die Kommission explizit auf diesen Antrag von 1962 und wies darauf hin, dass die EG nur Staaten aufnehme, die sich „zum Ziel der Wahrung des Friedens und der Freiheit bekennen“ und dass sie deswegen nicht auf die Demarche Francos reagiert habe.86 Ein weiteres Beispiel für die Unvereinbarkeit nichtdemokratischer Regierungsformen mit einer engeren Beziehung zur EWG war, dass die EG 1967 auf den Obristenputsch in Griechenland mit dem Einfrieren der meisten Bestimmungen reagierte (Ausnahme: Zollunion). Außerdem kristallisierte sich ebenfalls bereits in den 1960er Jahren in der Kommission ein Haltung heraus, die verhindern wollte, dass die Assoziierung zu einem Weg werden sollte, auf dem man sich an den wirtschaftlichen Resultaten des Gemeinsamen Marktes beteiligen könnte, ohne die politischen Verpflichtungen eingehen zu müssen, die eine Integration impliziert.87 Es zeigt sich also an dieser sehr frühen Etappe der EG-Erweiterungs- und Assoziierungspolitik, dass sich bereits bestimmte Leitlinien herausbildeten: die Differenzierung von 84
Der genaue Wortlaut war “eine Assoziierung mit dem Ziel, eines Tages zu einer vollen Integration zu erreichen, nachdem die Etappen durchlaufen worden sind, die unabdinglich sind für die Angleichung der spanischen Wirtschaft an die Bedingungen des Gemeinsamen Marktes“. Eigene Übersetzung, zit. n. Moreno Juste, Antonio, Franquismo y construcción europea, 1951-1962, Madrid 1998, S. 227 85 Siehe dazu auch Kneuer, Marianne, „Die Demokratieförderung der EG bei der Transformation Südeuropas: Lehren für Osteuropa?“, in: Welttrends, Nr. 30, Frühjahr 2001, S. 111-133, S. 111f. Bekanntermaßen war das Gewicht der Parlamentarischen Versammlung nicht sehr groß. Andererseits handelte es sich um einen Bericht im Auftrag der Kommission. 86 Europäische Kommission, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 9/1978, Stellungnahme zum Beitritt Spaniens (vorgelegt am 29.11.1978), S. 9 87 Die Beurteilung dieser Frage war abhängig von der Einstellung zum europäischen Einigungswerk an sich: So forderten die Supranationalisten politische Bedingungen für Assoziation und Beitritt. Nur wenn der Kandidat auch den Willen hatte, sich nach der Assoziierung zu integrieren, wollte man eine Assoziierung aus wirtschaftlichen Gründen konzedieren. Die Befürworter des Intergouvernementalismus dagegen waren bereit Assoziierungen auch ohne politische Requisiten zu gewähren. Letztlich setzten sich aber Erstere durch: Die Assoziierung sollte für außereuropäische Drittländer in Frage kommen, als Vorbereitung eines möglichen Beitritts oder zur Bildung einer Zollunion. Vorrangig war dabei gedacht an die überseeischen Länder und Gebiete, die mit einigen Gründerstaaten der EG als deren ehemalige Kolonien besonders enge Wirtschaftsbeziehungen unterhielten.
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Assoziierung88 und Vollmitgliedschaft, die politischen Kriterien, die Rolle des Parlaments als Sachwalterin der demokratischen Prinzipien und als „Gewissen Europas“. Es zeigte sich ebenfalls, dass die politischen Kriterien selbst noch recht rudimentär gefasst sind (freie und faire Wahlen, Pluralismus, Meinungsfreiheit). Auch gab es eine gewisse Willkür bei der Bewertung der politischen Kriterien sowie teils zuwider laufende Haltungen der verschiedenen Institutionen. Der Birkelbach-Bericht hatte trotz seines nicht verbindlichen Charakters den Status einer Orientierungslinie für die Beurteilung von Beitrittskandidaten erworben, bis der Europäische Rat 1993 die Kopenhagener Kriterien aufstellte. Verstärkt wurde die Herausbildung des Kriteriums Demokratie durch das „Dokument über die europäische Identität“ von 1973, in dem wiederholt wird: „Das europäische Einigungswerk (…) steht den anderen europäischen Nationen offen, die die Wertvorstellungen und Ziele der Neun teilen.“89 und durch die „Erklärung zur Demokratie“ des Europäischen Rates von 197890, deren Anlass der bevorstehende griechische Beitritt war. Da die EG im Falle Griechenlands bereits einmal einen Rückfall erlebt hatte, sollte mit der Demokratieerklärung verdeutlicht werden, dass „die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Demokratie und der Menschenrechte in allen Mitgliedstaaten wesentliche Elemente ihrer Zugehörigkeit zu den Europäischen Gemeinschaften sind.“91 Zwar blieb die EG davor verschont, auf den Abfall von der Demokratie eines Mitgliedsstaates reagieren zu müssen, dennoch hätte sie damals wohl trotz der Demokratieerklärung Schwierigkeiten gehabt darauf zu reagieren, denn Sanktionen oder ein Ausschluss etwa waren vertraglich nicht vorgesehen.92 Erst im Vertrag von Amsterdam wurde ein Mechanismus eingebaut, mit dem „eine anhaltende und schwerwiegende Verletzung“ der Grundsätze von Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geahndet werden kann in Form von Aussetzung bestimmter, einschließlich der Stimmrechte.93 Nur wenige Jahre nach der ersten Erweiterung hatte die EG über die Aufnahme der jungen südeuropäischen Demokratien und über die Bedingungen der Verhandlungen zu entscheiden. Im Gegensatz zu Großbritannien, Dänemark und Norwegen (Irland eingeschränkt) - moderne Industriestaaten, die sich vom wirtschaftlichen Niveau der SechserGemeinschaft nicht unterschieden – handelte es sich bei Griechenland, Portugal und Spanien um Länder mit erheblich schwächerer Wirtschaftskraft, mit niedrigem Entwicklungsniveau, Agrarlastigkeit, unzulänglicher Infrastruktur und schwerwiegenden Beschäftigungsproblemen. „Somit stand die Gemeinschaft vor dem Problem einer Integration halb88 Die EG nahm eine qualitative Abstufung vor in Assoziierung, Kooperationsabkommen, die nicht so weitgehend und „die allein auf eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit gerichtet sind“ sowie Handelsabkommen. Die Differenzierung gilt heute noch. Siehe www.europa.eu.int/eur-lex, „Die Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts“. 89 Punkt 4 90 Vom 8. April 1978 91 Zit. n. a.a.O., Teske, S. 133 92 So sah es damals der Berater der Kommission als selbstverständlich an, dass die Errichtung einer Volksdemokratie oder einer Rechtsdiktatur in einem Mitgliedsstaat „zwangsläufig“ zur Folge haben müsse, dass seine Rechten und Pflichten suspendiert werden (z.B. keine Zahlungen aus den Fonds oder von der EIB). Zugleich weist er darauf hin, das der EWG-Vertrag keine ausdrücklichen Vorschriften für so einen Fall hat und fordert deswegen eine rechtlich verbindlich Erklärung; und zwar nicht nur im Hinblick auf die drei südeuropäischen Kandidaten, sondern auch mit Rücksicht auf die Mitgliedstaaten, in denen kommunistische Parteien, deren DemokratieVerständnis keinesfalls über alle Zweifel erhaben sei, nach der Macht strebten. Vgl., Rhein; Eberhard, „Plädoyer für eine erweiterte Gemeinschaft“, in: Hasenpflug, Hajo/Kohler, Beate, Die Süd-Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Wende oder Ende der Integration?, Hamburg 1977, S. 49-60, hier: S. 52 93 Art. 7, Vertrag von Amsterdam. Diese Möglichkeit wurde auch im Verfassungsvertrag festgeschrieben (Titel IX, Artikel I-59).
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industrialisierter Staaten, die im Verhältnis zu dem bisher zusammengeschlossenen Kerneuropa durchaus den Status von europäischen Entwicklungsländern hatten“.94 Dies führte dazu, dass die Gemeinschaft im Gegensatz zur ersten Erweiterung besondere wirtschaftliche Bedingungen stellte, nämlich dass die Gemeinschaft „die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung eines möglichst hohen Wachstums treffen“ musste, wie es in der Stellungsnahme der Kommission hieß.95 Die Kommission entwarf Maßnahmen, die bereits in der Verhandlungsphase getroffen werden sollten, so etwa zur Vorbereitung auf den Gemeinsamen Markt. Dabei war auch klar, dass die Gemeinschaft Hilfe leisten musste zur Förderung des Wirtschaftswachstums; insbesondere im Falle Portugals. Des Weiteren wurde prognostiziert, dass diese Hilfe nach dem Beitritt beibehalten werden müsste.96 Solche wirtschaftlichen Vorbedingungen und ein solches Engagement der Gemeinschaft – auch zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung - waren bei der ersten Erweiterung nicht nötig gewesen. Der Acquis mit seinen Verpflichtungen musste zwar auch 1973 uneingeschränkt übernommen werden, aber Probleme wie Standhalten des Wettbewerbsdrucks im Gemeinsamen Markt, Strukturreformen etc. waren neue Aspekte, die die Bewerberländer in den Griff bekommen mussten, die EG ihrerseits aber auch mit der entsprechenden Unterstützung. Bei der Süderweiterung spielten also politische wie auch wirtschaftliche Kriterien eine Rolle. Auch als in Polen und Ungarn die kommunistischen Regime erodierten und dann jener Dominoeffekt einsetzte, der schließlich zum Auslöser einer großen Demokratisierungsbewegung in der Region wurde, formulierte die EG klare politische Bedingungen für eine Annäherung: Unterstützung der Entwicklung in Richtung einer pluralistischen Demokratie, einer dezentralen Marktwirtschaft, sowie internationale Integration. Die drei wichtigsten Elemente der EG-Politik gegenüber den Ländern Ostmitteleuropas in der Anfangsphase – das Unterstützungsprogramm PHARE-Programm, die EBWE und die Europa-Abkommen – enthalten die Bindung an demokratische und marktwirtschaftliche Prinzipien.97 Die Bedingung für finanzielle und wirtschaftliche Hilfe bestand nicht nur in der Reform hin zu marktorientierten Wirtschaften, sondern auch in Fortschritten bei der politischen Demokratisierung. So setzte der Rat der Außenminister bei seinem Treffen im Februar 1990 fünf Prinzipien fest als Vorbedingungen zur Unterzeichnung der Assoziationsabkommen, von denen sich vier allein auf den politisch-rechtlichen Bereich bezogen: Schaffung einer Rechtsordnung, Respektieren der Menschenrechte, Einführung einer Mehrparteiendemokratie, Abhalten freier, fairer und kompetitiver Wahlen und die Entwicklung einer marktorientierten Wirtschaft. Die Einhaltung dieser Prinzipien wurde durch die Kommission im März 1990 vor Ort überprüft. Erst nach der positiven Überprüfung dieser Kriterien wurden die Hilfsprogramme auf Bulgarien, die ýSSR, die DDR und Jugoslawien ausgedehnt; und am 17.9.1990 beschloss der Europäische Rat, das PHARE-Programm auf die anderen postkommunistischen Länder auszudehnen98. Beim Ausschluss Rumäniens wurde wieder die 94
A.a.O., Teske, S. 129 Europäische Kommission, Erweiterung der Gemeinschaft. Umfassende Überlegungen, Mitteilung an den Rat, 20.4.1987, in: Bulletin der EG, Beilage 1/1978, S. 7 96 Vgl., ebd., S. 8f 97 Die Statuten der EBWE beinhalten die Verpflichtung zu und Anwendung der Prinzipien eines Mehrparteiensystem, Pluralismus und Marktwirtschaft. Vgl., dazu auch Pinder, John, “The European Community and democracy in Central and Eastern Europe”, in: Pridham, Geoffrey/Herring, Eric/Sanford, George, (Hrsg.), Building democracy? The international dimension of democratisation in Eastern Europe, New York 1997, S. 119-144, hier: S. 124 98 Der Kreis erweiterte sich zwischen 1990 und 1996 auf vierzehn Länder, wobei Jugoslawien 1995 ausgeschlossen wurde. 95
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politische Konditionalität erkennbar: Die sich verschlechternde Menschenrechtssituation war Anlass für den Ausschluss aus PHARE und für die Nichtzeichnung des Handels- und Kooperationsabkommen, das die Kommission im Juni 1990 auszuhandeln begonnen hatte.99 Daran ist zu erkennen, dass auch die EG bei der Unterstützung der osteuropäischen Länder von Anfang an den politischen Kriterien hohes Gewicht zumaß. Auch bei den Assoziierungsabkommen (Europa-Abkommen) wurden die politischen Requisiten ebenso festgelegt wie die wirtschaftlichen. „One significant feature of the Community’s evolving relationship with the countries of Eastern Europe was that it was made explicit from early on that the granting of associate status to East European countries would be conditional not only on market-oriented economic reform but also on progress towards political democratization.”100
Diese sehr frühe Verpflichtung auf einen demokratischen Weg und auch die frühen Beispiele für die „Sanktionen“ beim Abkommen von diesem Weg waren sicher von großer psychologischer Bedeutung.101 Die Europa-Abkommen, die zunächst 1991 mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakischen Republik (nach der Auflösung neu gezeichnet) bis 1995 auch mit Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Lettland, Litauen und Estland abgeschlossen wurden, nennen pluralistische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Mehrparteiensystem und freie und demokratische Wahlen als Kriterien.102 Die Bedeutung der Kopenhagener Kriterien liegt darin, dass erstmals klar definierte und überprüfbare Bedingungen formuliert wurden für Beitrittskandidaten. Zwar stellen die 1993 in Kopenhagen vom Europäischen Rat festgelegten politischen Kriterien – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte – inhaltlich keine Innovation dar, denn sie beinhaltet bereits formulierter und praktizierter Aufnahmebedingungen. Das Neue liegt in der Festschreibung der Kriterien sowie in der expliziten Verknüpfung der detaillierten Erfüllung dieser Bedingungen mit der Akzeptanz als Beitrittskandidat. Die Formulierung der „Stabilität der Institutionen“, eine recht allgemein und vage gefasste grundsätzliche Bedingung wurde dann konkretisiert. Dies war auch deswegen notwendig, weil die Erfüllung dieser Bedingungen als Maßstab für die Beitrittsfähigkeit diente. Die Stellungnahme der Kommission 1997 im Rahmen der Agenda 2000 und die Forschrittsberichte, mit denen die Kommission seit 1998 jährlich Entwicklung, Stand, Defizite sowie kurz- und mittelfristige Prioritäten beurteilte, orientierten sich somit an den in Kopenhagen vorgegebenen Kriterien. Dabei werden die politischen Kriterien in drei Felder unterteilt: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Achtung der Minderheitenrechte. Die demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen wiederum umfassen folgende Punkte:
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Erst im Januar 1991 wurde Rumänien wieder in das PHARE-Programm aufgenommen. Hyde-Price, Adrian G.V., „Democratization in eastern Europe: the external dimension“, in: Pridham, Geoffrey/Vanhanen, Tatu (Hrsg.), Democratization in Eastern Europe-Domestic and International Perspectives, London, New York 1994, S. 220-255, hier: S. 230 101 A.a.O., Lippert, 1998, hier: S. 34 102 Vgl., Präambel der Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits, Bundesgesetzblatt 1993, Teil II, S. 1473ff. Die Verträge sind alle analog aufgebaut. 100
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III Empirischer Teil: EU Erstens: demokratische Freiheiten, politischer Pluralismus, Meinungs- und Religionsfreiheit; Zweitens: demokratische Institutionen, unabhängige Justiz- und Verfassungsgerichtsbarkeit Drittens: freie und faire Wahlen, die das Alternieren verschiedener politischer Parteien erlauben, das Anerkennen der Rolle der Opposition.103
Damit nimmt die Kommission eine Differenzierung vor in, erstens, demokratische Prinzipien, die verfassungsmäßig garantiert sein müssen, zweitens, in institutionelle Vorkehrungen und drittens in demokratische Mindestverfahren. Betont wird außerdem, dass es nicht nur notwendig sei, sich diesen demokratischen Prinzipien zu verschreiben, „but actually to put them into practice in daily life.“104 Dass die EG nicht nur auf die rechtliche Anpassung, sondern auch auf die faktische Umsetzung der neu verabschiedeten Gesetze Wert legte und hierbei ein Problem sah, wurde deutlich, als der Europäische Rat von Madrid im Dezember 1995 die Kopenhagener Kriterien erweiterte um eine weitere Bedingung, nämlich die Fähigkeit der Verwaltungsstrukturen, die EU-Rechtsstandards umzusetzen. Der Europäische Rat von Luxemburg im Dezember 1997 betonte nochmals ausdrücklich: „Die Umsetzung des Besitzstandes der Union ist ein notwendiger, aber nicht ausreichender Faktor, denn auch die tatsächliche Anwendung muß gewährleistet sein.“105 So wurde dieser Aspekt auch Bestandteil der Kommissionsberichte, denn “Die Kapazität der Verwaltung und Justiz in den beitrittswilligen Ländern ist für die Übernahme, Umsetzung und Durchsetzung des Besitzstandes und für eine effiziente Verwendung der Finanzhilfen vor allem aus den Strukturfonds, von größter Bedeutung. Es kommt entscheidend darauf an, daß das Recht der Union in innerstaatliches Recht umgesetzt wird. Dies allein gewährleistet aber noch nicht eine korrekte Anwendung der Rechtsvorschriften. Ebenso wichtig ist es, die Verwaltungen der beitrittswilligen Länder so zu modernisieren, daß sie den Besitzstand umsetzen und durchsetzen können.“106
Zudem wurde die Achtung der Minderheitenrechte zu einem wichtigen politischen Kriterium, das so explizit in der Konditionalitätspolitik der Europäischen Gemeinschaft bislang nicht formuliert worden war. Die EG war zunehmend mit nationalistischen Tendenzen und ethnischen Spannungen in den Reformländern konfrontiert, die seit 1991 den demokratischen und marktwirtschaftlichen Übergang zu bedrohen begann. Zunächst wurden nationale Gefühlslagen, die ein zentrales Motiv im Abkoppelungsprozess von der sowjetischen Vormachtstellung waren, im Sinne des Selbstbestimmungsrechts vom Westen unterstützt.107 Bald aber zeigte sich, dass die ethnischen Minderheiten, derer es bedeutende Anteile in den einzelnen Ländern gab, Autonomiebestrebungen an den Tag legten, die mit den Staatenbildungsprozessen nicht kompatibel waren. Das Konfliktpotential dieser Situation 103 Vgl., Europäische Kommission, Agenda 2000. Eine stärkere und erweiterte Union, Luxemburg 1997, Zweiter Teil, I. „1. Politische Kriterien” (Bulletin der EU, Beilage 5/1997) 104 Vgl., ebd. unter „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit” 105 A.a.O., Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Luxemburg vom 12. und 13. Dezember 1997, Punkt 23 106 Vgl., Europäische Kommission, Agenda 2000, Zweiter Teil, I. “3. Sonstige Verpflichtungen der Mitgliedschaft”, hier: S. 51 107 Das Bestreben, sich von der Herrschaft anderer Nationen zu befreien, schien zunächst eher den friedvollen Wechsel zu unterstützen. Zudem schien das Entstehen neuer souveräner Staaten besser als die Aufrechterhaltung artifizieller Staatengebilde.
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war beträchtlich; es musste befürchtet werden, dass es, zusammen mit einem wirtschaftlichen Kollaps etwa, nationalistisch-autoritären Kräften den Weg ebnen könnte.108 Der Europäische Rat reagierte auf dieses Problem 1993, indem er zum einen in Kopenhagen die Achtung der Minderheitenrechte bei den politischen Kriterien einschloss und zum anderen beschloss, als Gemeinsame Aktion einen Stabilitätspakt auszuarbeiten, „mit dem die Minderheitenfrage geregelt und die Unverletzlichkeit der Grenzen in höherem Maß gewährleistet werden soll“109. In dieser Gemeinsamen Aktion für einen Stabilitätspakt „ermutigte“ die EU die teilnehmenden Länder, falls noch nicht geschehen, „Abkommen und Vereinbarungen zu treffen über Zusammenarbeit und gutnachbarliche Beziehungen einschließlich Minderheiten- und Grenzangelegenheiten“.110 Auch in der Agenda 2000 sowie in den folgenden Berichten der Kommission figurierte der Punkt Minderheitenrechte als eigenes Kriterium. Nach Lippert geht die EU mit der Erweiterung des Requisits Respekt für und Achtung der Minderheitenrechte über die „Lehrbuch-Definition von Demokratie“ hinaus. Die Assoziierungsabkommen der zweiten Generation, wie sie etwa Tschechien und die Slowakei 1994 unterzeichneten, umfassten sogar eine einseitige Aufhebungsklausel im Falle der Verletzung der Menschen- und Minderheitenrechte.111 Bei den wirtschaftlichen Kriterien – funktionierende Marktwirtschaft, Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck der EU stand zu halten handelte es sich um die Festschreibung bereits früher angewandter Aspekte (vor allem bei der südeuropäischen Erweiterung). Ähnlich verhielt es sich mit der Verpflichtung, den gemeinschaftlichen Besitzstand zu übernehmen. Auch dieser Punkt war nicht neu; Die Übernahme des Acquis communautaire ist seit der ersten Erweiterung von 1973 Bedingung. Neu war lediglich, dass dieses Triptychon – politische, wirtschaftliche Kriterien, Erfüllung des gemeinschaftlichen Besitzstandes - in dieser Form festgeschrieben wurde. Der Vertrag von Amsterdam nahm zudem erstmals das Bekenntnis auf, dass die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit beruhe (Artikel 6).112 Und die bis dahin unveränderte Formulierung des einstigen Beitrittsartikels 237 EWG-Vertrag wurde ergänzt durch die Klausel: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.“113 Dem entspricht die Formulierung des Verfassungsvertrages „Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die ihre Werte achten und sich verpflichten, ihnen gemeinsam Geltung zu verschaffen“ (Titel IX, Artikel I-58). Sie nennt im Weiteren nicht nur die Werte - Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte –, sondern konkretisiert, dass sich die Mitgliedsstaaten „durch Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung“ auszeichnen und „die Regeln, nach denen die Union funktioniert, akzeptieren“ müssen. In Anbetracht der Projekte, die die EU verfolgte – Wirt108
Vgl., Torreblanca Payá, José Ignacio, The European Community and Central Eastern Europe (1989-1993): Foreign Policy and Decision-Making, Madrid 1997, S. 426f 109 Schlußfolgerungen des Europäischen Rates vom 29.10.1993 in Brüssel, Punkt 2. GASP, (1) Förderung von Stabilität und Frieden in Europa 110 Gemeinsame Aktion zur Fortsetzung der Gemeinsamen Aktion betr. die Eröffnungskonferenz für den Stabilitätspakt vom 14.6.1994, Anhang: Schlussdokument zur Eröffnungskonferenz über einen Stabilitätspakt für Europa, Teil I: Ziele und Grundsätze der Eröffnungskonferenz über einen Stabilitätspakt für Europa, Punkt 1.7. (in: a.a.O., Auswärtiges Amt, GASP-Dokumentation, S. 508-514 111 Vgl., a.a.O., Lippert, 1998, S. 34 112 Im Vertrag von Maastricht hatte Artikel 6 noch so gelautet: „Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen beruhen.“ 113 Art. 49, Vertrag von Amsterdam
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schaft- und Währungsunion, Maastricht-Prozess -, war es zudem wichtig für sie, festzuschreiben, dass die Kandidaten die gleichen politischen, wirtschaftlichen und monetären Ziele zu verfolgen hatten. Die Befürchtung vieler Mitgliedsstaaten, der Integrationsprozess der Gemeinschaft könnte der Erweiterung zum Opfer fallen, war der Grund für die explizite Aufnahme dieser Bedingung.114 Bedeutsam ist die Gewichtung der verschiedenen Kriterien, die eindeutig den Schwerpunkt bei den politischen Standards setzt. Der Europäische Rat von Luxemburg im Dezember 1997, der die Einleitung des Erweiterungsprozesses beschloss und die Aufnahme der Verhandlungen festsetzte, konstatierte: „Die Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen dar. Die wirtschaftlichen Kriterien und die Fähigkeit, die sich aus dem Beitritt ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen, wurden bisher und werden auch weiterhin aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus beurteilt werden.“115
Damit wird einerseits das ungeschriebene Prinzip der Priorität der politischen Dimension festgeschrieben, andererseits nochmals ein deutliches Signal an die künftigen Beitrittskandidaten gesendet, dass keinerlei Abstriche gemacht werden an den politischen Voraussetzungen; ohne demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse, ohne Verankerung und Umsetzung der Achtung von Menschen- und Minderheitsrechten, so das eindeutige Signal, ist ein Beitritt unmöglich. Dahingegen werden bei der Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien und der Anpassung an den Acquis andere, weichere Maßstäbe angelegt. Sowohl die Reichweite als auch die Spezifizität der EU-Konditionalität hat sich im Zuge der Osterweiterung erheblich verstärkt.116 Dieses starke Gewicht der politischen Bedingungen deckt sich mit der zentralen Grundlage des Außenhandelns der Gemeinschaft, dem Eintreten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit bzw. Menschenrechte (siehe 2.). Dabei sind drei Aspekte wichtig: Zum einen, das eindeutige Deklarieren dieser Prioritäten, das potentiellen Beitrittskandidaten die Voraussetzungen von vorne herein erkennbar macht; zum zweiten, das konkrete Umsetzen, etwa in Beitrittskriterien, zu deren Erfüllung die Bewerber verpflichtet sind, und drittens, die Tatsache, dass die EG sich verpflichtet fühlt und gefordert ist, bei der Erfüllung entsprechende Unterstützung zu leisten. Dabei begleitete die EU die Erfüllung der Kriterien nicht nur, sondern brachte bestimmte Vorstellungen bei ihrer Umsetzung ein. Insofern hatte die Konditionalität eine zentrale Rolle und eine besondere Qualität, erlaubte sie doch der EG/EU, durch die Formulierung ihrer Kriterien konkrete Aspekte innerhalb der Entwicklung der demokratischen Institutionen, Strukturen und Verfahren mitzulenken. Hieraus ergeben sich der Einfluss und das Steuerungspotential der EG auf den politischen und wirtschaftlichen Reformprozess.
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Zu dem Spannungsverhältnis Erweiterung versus Vertiefung siehe Kapitel III. 1.4 A.a.O., Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Luxemburg, „Die Erweiterung der Europäischen Union“, Punkt 25. 116 Siehe hierzu auch Pridham, Geoffrey, „The European Union’s Democratic Conditionality and Domestic Politics in Slovakia: the Meþiar and Dzurinda Governments Compared”, in: Europe-Asia Studies, 2/2002, S. 203-227 und Heather, Grabbe, A Partnership for Accession? The Implications of EU Conditionality for the Central and East European Applicants, EUI Working Papers, RSC No. 99/12, San Domenico, 1999 115
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1.3.2 Das Beitrittsverfahren Die Verfahren zur Aufnahme neuer Mitglieder waren, wie erwähnt, nicht von vorneherein festgelegt. Das Gerüst steht zwar laut Vertrag fest: Beitrittsantrag – Stellungnahme der Kommission – Entscheidung des Rates – Aufnahme von Verhandlungen über die Erfüllung der Bedingungen – Beitrittsvertrag – Zustimmung des Parlamentes seit Maastricht – Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten. Was aber das Verfahren angeht, so lautete die magere Beschreibung des EWG-Vertrages: „Die Aufnahmebedingungen und die erforderlichen Anpassungen dieses Vertrages werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedsstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt“. Weder im Vertrag von Nizza noch im Verfassungsvertrag wurden weitere Konkretisierungen vorgenommen.117 Die bisherigen Erweiterungsrunden und insbesondere der Verhandlungsverlauf mit den Transformationsländern der fünften Runde belegen, dass dieses Gerüst sukzessive angefüllt worden ist mit neuen Elementen. Damit reagierte die Gemeinschaft auf die jeweils veränderten Ausgangs- und Rahmenbedingungen für die Aufnahme weiterer Mitglieder. Als 1961 die ersten Anträge gestellt wurden, gab es kein Konzept für die Verhandlungen oder über den Ablauf der Beitritte. Bei den Verhandlungen waren die Delegationen aller Mitgliedsstaaten gleichberechtigt beteiligt, so dass die Antragsteller sich sechs verschiedenen Positionen gegenüber sahen. Erst in der zweiten Verhandlungsrunde mit Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen 1970 wuchs die Erkenntnis der Sechs, dass eine gemeinsame Verhandlungsgrundlage ausgearbeitet werden müsste. Diese bestand vor allem in der Forderung, den Besitzstand der EG unverändert zu akzeptieren, das heißt, alle rechtlichen und politischen Akte und Zielsetzungen, alle in die Wege geleiteten Politiken sowie alle internationalen Verpflichtungen. Anpassungen der Verträge kamen für die EG nur in Bezug auf „unverzichtbare technische Regelungen“118, wie die Zahl der Mitglieder in den Organen, in Frage. Für die Anpassungen gab es feste, relativ kurze Zeitpläne. Wohl aber gestand die EG den neuen Mitgliedern eine für alle Sektoren im Wesentlichen einheitliche Übergangszeit zu, und zwar von fünf Jahren. Die Verhandlungen mit Dänemark, Norwegen, Irland und Großbritannien gingen zügig voran119 und konnten schnell abgeschlossen werden. Ergebnis der Verhandlungen war ein Vertragswerk, dessen wichtigster Bestandteil die Beitrittsbedingungen waren, verankert in einer Akte, die als Bestandteil den Beitrittsdokumenten beigefügt wurde und die detaillierten Anpassungen der durch den Beitritt geänderten Gründungsverträge enthielt. Bei der Süderweiterung waren die Ausgangsbedingungen gänzlich verschieden: rezente Demokratisierung, sehr schwache Wirtschaftsentwicklung, starke strukturelle Probleme der drei Kandidaten. Daher war klar, dass man bei der Anpassung der südeuropäischen Länder an die Gemeinschaft anders vorgehen müsste als bei der ersten Erweiterung. Darauf wies die Kommission hin und empfahl statt eines starren Zeitplans Flexibilität bei der Gestaltung des Übergangs, Anschneiden der Probleme zu Beginn der Verhandlungen, damit sie vor dem Beitritt so weit möglich gelöst werden können, schrittweise Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes, längere Übergangszeiten (mindestens fünf Jahre, eher länger), 117
Der Verfassungsvertrag ergänzt lediglich Bestimmungen über einen freiwilligen Austritt aus der EU. Siehe Teil I, Art. I-60 118 A.a.O., Teske, S. 74 119 Die Verhandlungen begannen am 30.6.1970 und konnten im Laufe des Jahres 1971 zum Abschluss gebracht werden. Am 22.1.1972 wurden die Verträge unterzeichnet. Es gab insgesamt 13 Ministersitzungen und 38 Stellvertretersitzungen. Das Vertragswerk umfasst 161 Artikel und 700 Seiten.
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schrittweise Beteiligung an den Gemeinschaftsverfahren und der EPZ bereits nach der Unterzeichnung der Beitrittsakte.120 Tatsächlich ergaben sich bei der Süderweiterung folgende neue Aspekte: Erstens, wurde klar, dass die EG selbst sich an der Heranführung der Länder, vor allem finanziell, beteiligen musste, um das Entwicklungsgefälle auszugleichen; zweitens, war es nahe liegend, bestimmte Anpassungsprozesse vor dem Beitritt durchzuführen – im Gegensatz zur ersten Erweiterung, bei der die Übernahme des Acquis nach dem Beitritt während der fünfjährigen Übergangszeit geschah; drittens, war es ebenso nahe liegend, dass die Übergangsfristen in bestimmten Bereichen länger sein müssten. Allerdings wurde bei den beiden Süderweiterungen 1981 und 1986 mit zweierlei Maß gemessen. Griechenland hatte den Vorteil, bereits einen, wenn auch bis 1974 eingefrorenen, Assoziiertenstatus zu besitzen. Zudem war das Land klein genug, um es ohne weitere wirtschaftliche Anpassung vor dem Beitritt aufzunehmen und damit eine Anpassungsphase innerhalb der Gemeinschaft in Kauf zu nehmen. Die Kommission hatte in ihrer Stellungsnahme eine positive Antwort auf das Beitrittsbegehren empfohlen, zugleich aber eine Vorbereitungsphase (pre-accession-Phase) unbestimmter Länge vorgeschlagen, in der mit einem Wirtschaftsprogramm die notwendigen Reformen hätten beschleunigt werden sollten. Parallel dazu, so der Vorschlag, hätten die Verhandlungen aufgenommen werden können.121 Dies wurde jedoch von der griechischen Regierung aufs Heftigste abgelehnt und nach intensiver Überzeugungsarbeit durch Ministerpräsident Karamanlis auf Staat- und Regierungschef-Ebene schwenkte der Rat auf die griechische Linie ein und verzichtete auf eine Heranführung.122 Die Verhandlungen mit Griechenland begannen am 27.7.1976 und wurden im April 1979 abgeschlossen. Der Beitrittsvertrag umfasste vierzehn Punkte123 und wurde am 28. Mai 1979 gezeichnet. Der Beitrittsvertrag lehnte sich an das Vorbild der Beitrittsdokumente der Norderweiterung an. Auch für Griechenland wurde eine Übergangszeit vorgesehen, und zwar von fünf Jahren, die für einige Bereiche (landwirtschaftliche Erzeugnisse und Arbeiternehmerfreizügigkeit) auf sieben Jahre verlängert wurde. Zudem beteiligte die EG Griechenland bereits vor dem offiziellen Beitritt an der Arbeit der Gemeinschaft und der Politischen Zusammenarbeit.124 Der Fall der beiden anderen südeuropäischen Länder wurde anders behandelt, allein schon wegen der Größe Spaniens. Auch in der Stellungnahme zu dem Antrag Spaniens wurde von der Kommission eine Art Vorbereitungszeit empfohlen: „Deshalb sollte die Zeit genutzt werden, die uns noch bis zur völligen Integration Spaniens in die Gemeinschaft bleibt, um die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, die mit der Verflechtung der beiden
120
Vgl., Kommission, Erweiterung der Gemeinschaft. Übergangszeiten und institutionelle Folgen, Bulletin der EG, Beilage 2/1978, S. 5-19, hier: „Erster Teil: Übergangszeiten“, S. 6f 121 Vgl., a.a.O., Stellungnahme der Kommission zum griechischen Beitrittsgesuch, abgedruckt in: a.a.O., Hasenpflug/Kohler, S. 227-268, hier S. 236f 122 Vgl. dazu a.a.O., Keesing´s International Studies, S. 188 sowie zu den Einzelheiten der griechischen Diplomatie und des Willensbildungsprozesses in der EG Kohler, Beate, „Die Süderweiterung der Gemeinschaft – Hintergründe, Motive und Konsequenzen“, in: a.a.O., Hasenpflug/Kohler, S. 15-49, hier: S. 17ff 123 Zollunion für Industrieprodukte, Freizügigkeit, GAP, Wettbewerbsregeln, Steuerfragen, Regionalpolitik, Sozialpolitik, Wirtschafts- und Währungspolitik, Kapitalverkehr, EGKS, Energie, Außenbeziehungen, finanzielle Arrangements (Budget), institutionelle Arrangements (Organe). Siehe dazu Kommission, Stellungsnahme zum griechischen Beitrittsgesuch (dem Rat am 29.1.1976 vorgelegt), Bulletin der EG, Beilage 2/76, Teil II. Spezifische Aspekte des griechischen Beitritts. Siehe auch detailliert dazu a.a.O., Keesing´s International Studies, „8. Greece Application and Accession”, S. 181-203 124 Vgl., a.a.O., Teske, S. 136f
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Volkswirtschaften verbunden sind.“125 Im Falle Portugals wiederum wurde der wirtschaftliche Entwicklungsrückstand als so gravierend dargestellt, dass für die Kommission die Schlussfolgerung lautete: „Daraus ergibt sich, dass Portugal rasch eine Antwort erteilt werden muss. Die Gemeinschaft muß sich bereit erklären, die Umstrukturierungsmaßnahmen zu unterstützen, die die portugiesischen Behörden auf der Grundlage der vorstehend dargelegten Leitlinien unternehmen werden.“126 Diese im Falle Portugals und Spaniens verwirklichte Heranführungsphase bedeutete, dass die EG sehr viel aktiver den Anpassungsprozess an die Gemeinschaft, der gleichzeitig auch den marktwirtschaftlichen Reformprozess darstellte, unterstützen musste und darin involviert war. Die Übergangsfristen, die bei der ersten Erweiterung und im Falle Griechenlands bis auf zwei Ausnahmen ebenfalls, fünf Jahre betrugen, wurden für Spanien und Portugal verlängert (z.B. sieben Jahre für die Schaffung des Gemeinsamen Marktes für Industrie- und Agrarprodukte; sieben bis zehn Jahre Freizügigkeit der Arbeitnehmer), teilweise sogar verdoppelt auf zehn Jahre für sensible Produkte im Agrarsektor. Der wichtigste Unterschied zu der Aufnahme der nordischen Länder und Griechenlands war die lange Verhandlungszeit, die sich durch zweimalige Blockade Frankreichs ergab. Zwar waren die ersten Verhandlungen um die Norderweiterung auch am Veto de Gaulles gescheitert und dies hatte dann den Abbruch der Verhandlungen nach sich gezogen. Bei Spanien und Portugal praktizierte Frankreich eher eine Hinhaltetaktik; zunächst durch das Veto Giscard d´Estaings im Juni 1980, dann im Juni 1982 durch die Anforderung François Mitterrands an die Kommission, erst noch eine „Inventarliste“ aufzustellen. Diese Verzögerung verursachte in den Bevölkerungen der Bewerber Enttäuschungseffekte und Frustration bei den verhandelnden Politikern. Die vierte Erweiterungsrunde ähnelte in Ausgangssituation der Beitrittskandidaten und Verfahren wiederum der ersten. Allerdings war der Acquis angewachsen auf 31 Kapitel und zudem gab es auch Verpflichtungen zu übernehmen aus der zweiten und dritten Säule. In Bezug auf die GASP bestand das Problem darin, dass es sich um neutrale Länder handelte (den Fall hatte es bereits mit Irland gegeben).127 Die Verhandlungen mit Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen128 verliefen zügig (Anträge zwischen 1989 und 1992, Verhandlungsbeginn 1993, Beitritt 1995), da es sich wie bei der ersten Erweiterung um Länder handelte, die sich aufgrund ihres politischen und wirtschaftlichen Status gut eingliedern ließen. Dagegen wurde die EG durch die Beitrittwünsche der postsozialistischen Transformationsländer vor die größte Herausforderung seit ihrem Bestehen gestellt. Die Verfahren unterscheiden sich in vielen Punkten von den bis dahin durch geführten Verhandlungen, was aber nicht a priori so festgelegt war. Vielmehr entwickelte sich das Verfahren der Osterweiterung in dem kumulativen Aufbau eines komplexen Gebildes. Angefangen bei der Basis der Unterstützungsinstrumente für die verschiedenen Reformprozesse wurden zusätzliche und anders ausgerichtete Instrumente (Assoziierungsabkommen, Dialogstrukturen, 125
A.a.O., Kommission, Stellungnahme zum Beitritt Spaniens, S. 10 Kommission, Stellungnahme zum Beitritt Portugals (dem Rat vorgelegt am 19.5.1978), Bulletin der EG, 5/1978, S. 10 127 Ausführlich zu dem Problem der Neutralität: Luif, Paul, „Die bündnisfreien und neutralen Mitgliedstaaten der Europäischen Union: Ihre Position in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, in: a.a.O., MüllerBrandeck-Bocquet, S. 57-82 128 In Norwegen wurde der Beitritt nach Abschluss der Verhandlungen bei einem Referendum abgelehnt, womit der dritte Versuch des Landes scheiterte (bereits 1962 und 1967), Mitglied der EG zu werden. 126
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Heranführungsstrategie und Beitrittsverhandlungen usw.) darauf gesetzt und auch miteinander verzahnt. Betrachtet man aus heutiger Perspektive die Erweiterungsstrategie als Ganzes mit all den verschiedenen Strängen, dann erscheint es als eine ausdifferenzierte Form von Heranführung, die gepaart ist mit einem starken finanziellen Engagement zur Unterstützung der Reformprozesse. Im chronologischen Verlauf wird derweil sichtbar, wie schwerfällig das Erreichen jedes einzelnen Schrittes war – etwa von der Assoziierung bis zu den Beitrittszusagen, von dort bis zur Verhandlungsbeginn -, wie lange es dauerte, bis schließlich ein Verfahren festgelegt war, wie etwa auf dem Gipfel von Luxemburg. Aber selbst dann handelte es sich nicht um eine endgültig festgelegte Marschroute. Die Annäherung zwischen der EG und Osteuropa lässt sich in folgende in Phasen einteilen: Die Anfangsphase zwischen der Liberalisierung in Polen und Ungarn 1988 und 1991 war geprägt vor allem durch die Schaffung neuer Instrumente: (1) PHARE, dem Hilfsprogramm für Polen und Ungarn, das die finanzielle Unterstützung der EG (und der G24) kanalisierte und das sukzessiv ausgeweitet auf die anderen Reformländer bis zum Beitritt 2004 zentraler Pfeiler der EG-Politik war; (2) die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung129, die eigens gegründet wurde, zuvorderst um die Privatisierung der Wirtschaft zu unterstützen; (3) die Europa-Abkommen, die als „besondere Form der Assoziierung“, so die Formulierung der EG, den Visegrád-Staaten angeboten wurden. Die EuropaAbkommen unterschieden sich insofern von anderen Assoziierungsabkommen, als sie die Vertragspartner an den Beitritt heranführen sollten; daher gab es einen politischen Teil, einen handelspolitischen, einen Teil über Zusammenarbeit in Wirtschaft, Kultur und Finanzen sowie einen Teil zur Angleichung der Rechtsvorschriften.130 Diese Anfangsphase war – vor allem im Vergleich zu Südeuropa - von etlichen Hilfsaktivitäten gekennzeichnet mit durchaus auch innovativen Elementen. Da die EG es aber ablehnte, eine Beitrittsperspektive zu formulieren, empfanden die Visegrád-Länder den Ansatz der EG als hinhaltend und übermäßig technisch.131 Waren Spanien und Portugal während der Verhandlungen hingehalten worden, kam es bei den Visegrád- Ländern erst 1993 auf dem Gipfel von Kopenhagen zu einer Beitrittszusage. In der zweiten Phase, die dann mit der grundsätzlichen Zusage der Möglichkeit der Aufnahme in Kopenhagen 1993 eine neue Qualität in die Beziehungen brachte, ging es um die Vorbereitung des Beitritts. Von der Beitrittszusage bis zum Verhandlungsbeginn mit der ersten Gruppe im März 1998 dauert es aber noch fast fünf Jahre. Die EG stützte sich auf die bereits geschaffenen Instrumente (Europa-Abkommen und PHARE). Gleichzeitig rief sie aber auch Neuerungen ins Leben wie die 1994 in Essen beschlossene Heranführungsstrategie, der den assoziierten Länder einen „Fahrplan an die Hand geben“ sollte, so der
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Der Vorschlag zur Gründung kam von dem französischen Präsidenten Mitterrand. Beschlossen wurde sie im Dezember 1989 und eingerichtet Anfang 1991. 130 Im Zuge der Entscheidung über sowie der Gestaltung der Europa-Abkommen gab es massive Differenzen innerhalb der Organe der EG (Kommission, Rat) sowie zwischen den Visegrád-Staaten und der EG. Diese Differenzen betrafen die inhaltliche Ausgestaltung sowie die Zielaussagen (Beitrittsperspektive) der Abkommen. Den Ablauf des Willenbildungs- und Entscheidungsprozesses und der Meinungs- und Motivlagen beschreibt sehr detailliert und ausführlich a.a.O., Torreblanca Payá. Eine hervorragende Quelle über die EG-Politik bis 1997 ist Mayhew, Alan, Recreating Europa. The European Unions’s Policy towards Central and Eastern Europe, Cambridge 1998. Mayhew. Er war lange Zeit in der Kommission tätig, zuletzt zuständig für die wirtschaftlichen Beziehungen mit Mittel- und Osteuropa in der Generaldirektion für Auswärtige Wirtschaftsbeziehungen. 131 Vgl., a.a.O., Lippert, 1998, S. 23
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Rat.132 Des Weiteren wurde neben der Heranführungsstrategie (Gipfel von Essen, Dezember 1994) das Weißbuch zur Integration in den Binnenmarkt ausgearbeitet (vorgelegt im Mai 1995). Der Zeithorizont zur Aufnahme der Verhandlungen - auf sechs Monate nach Abschluss der Regierungskonferenz zur Revision des Maastricht-Vertrages festgelegt stellte jedoch weiterhin eine recht vage Datierung dar (Gipfel von Madrid, Dezember 1995). Erst mit der Agenda 2000 wurde eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen getroffen, sprich: wann Verhandlungen mit wem geführt werden sollten. Dieser Fahrplan mit Klärung des Abreisebahnhofs, der mitzunehmenden Passagiere und der Stationen wurde im Dezember 1997 vom Europäischen Rat in Luxemburg beschlossen. Hierbei lud die EU sechs Länder zu Verhandlungen ein (Luxemburg-Gruppe). Das war deswegen so bedeutsam, weil sie damit zeigte, dass sie die Erfüllung der Kriterien sehr ernst nahm und auf Grund deren Erfüllung durchaus differenzierte. So wurden auf der Grundlage der Evaluierung des Entwicklungsstandes zwei Gruppen gebildet. Die zweite Phase führte die Instrumente der ersten Phase weiter, ergänzte aber weitere Vorkehrungen, wie die Einführung der multilateralen und politischen Ebene, des strukturierten Dialoges und das Weißbuch auf der Binnenmarkt-Ebene, das ein „Subtext zu den Europa-Abkommen“133 war. Vor allem aber war diese Phase geprägt von einem schrittweisen Herantasten an einen Plan für das eigentliche Verfahren der Verhandlungen. Die dritte Phase – von dem Verhandlungsbeginn im März 1998 bis zum Beitritt im Mai 2004 - wies wieder mehrere Neuerungen im Vergleich zu anderen Erweiterungsverfahren auf. Die Luxemburg-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien, Zypern) begann die Verhandlungen im März 1998. Die anderen sechs Länder (Slowakei, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Malta) hatten aber ebenso Teil an der intensivierten Heranführungsstrategie in Form von Beitrittspartnerschaften, die gleichzeitig anliefen. Die Beitrittspartnerschaft war ein Verfahren zur individuellen Begleitung, bei dem die kurz-, mittel- und langfristigen Prioritäten festgelegt wurden, denen das Kandidatenland besondere Aufmerksamkeit zuwenden musste. Es galt das Prinzip der „own merits“, das heißt, jedes Land wurde individuell auf der Grundlage seiner Fortschritte und Verdienste bei der Erfüllung der Kriterien beurteilt. Dafür gab es das Monitoring der Kommission und die jährlichen Fortschrittsberichte. Die EU zeigte in dieser Phase Flexibilität, als sie auf dem Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 der zweiten Gruppe Verhandlungen anbot (Helsinki-Gruppe). Dies geschah nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kosovo-Krise, der die Ausweitung der Beitrittsverhandlungen auf die anderen sechs Länder als einen Beitrag zur Sicherheit und Stabilität erscheinen ließ.134 Bereits zwei Monate später begannen die Verhandlungen mit der zweiten Gruppe. Das Prinzip der Differenzierung und des Aufholens wurde nochmals bestätigt.135 132
So im „Bericht des Rates an den Europäischen Rat Essen über die Strategie zur Vorbereitung des Beitritts der assoziierten MOEL“, Anhang IV der Schlussfolgerungen des ER Essen, 9./10. Dezember 1994, in: Bulletin, 121994, S. 22ff 133 A.a.O., Lippert, 1998, S. 28 134 Die Kommission schlug dies im Oktober 1999 vor. „The crises in the Balkan region have created a new momentum in the enlargement process and have emphasized the essential contribution of European integration to peace and prosperity in Europe”, so der zuständige Kommissar Verheugen. “Commission sets out an ambitious accession strategy” (13.10.1999, IP/99/751). So dann auch die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Helsinki: „Determined to lend a positive contribution to security and stability on the European continent and in the light of recent developments”, 10/11.12.1999, 1. Preparing for enlargement, Punkt 10 135 “All candidates will continue to be judged on the basis of own merits. In line with the principle of differentiation, it is possible for candidates to catch up with those which started their negotiations earlier.” Schlussfolgerun-
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Damit wurde den Ländern der Helsinki-Gruppe das „Einholen“ der ersten Gruppe ermöglicht. Das Ergebnis dieser Strategien war, dass tatsächlich drei osteuropäische Länder, nämlich die Slowakei, Lettland, Litauen, sowie Malta – zusammen mit den Ländern der ersten Gruppe im Mai 2004 beitreten konnten. Rumänien und Bulgarien sollten hingegen nach dem Vorschlag der Kommission erst 2007 aufgenommen werden und in dieser Zeit die Heranführungsmaßnahmen fortführen. Der Überblick über die bisherigen Erweiterungen zeigt, dass sich das minimale, im Vertrag festgeschriebene Verfahrensgerüst doch erheblich angefüllt hat zu einem komplexen Gebilde, das im Laufe der Zeit spezifische Merkmale hinzugewonnen hat. So etwa die Verhandlungen, ihre Struktur und Akteure. Die Verhandlungen aller Erweiterungen weisen die gleiche Grundstruktur auf. Der Begriff der „Verhandlung“ suggeriert allerdings, dass sich zwei gleichwertige Verhandlungspartner gegenüberstehen. In Wirklichkeit sind die Beitrittsverhandlungen durch eine Asymmetrie gekennzeichnet. Die EU setzt den Preis fest, sie bestimmt die Bedingungen. Bei den Beitrittsverhandlungen wird in Wirklichkeit auch kaum „verhandelt“ im Sinne eines Prozesses des Festsetzens der terms of trade. Die terms of trade werden von der EU auf den Tisch gelegt und sind zu erfüllen. Es handelt sich um ein asymmetrisches Szenario. Ebenso charakteristisch ist die Praxis der Nachbesserungen. Ist ein Land erst einmal Mitglied, können Sondervereinbarungen oder Kompensationen erstritten werden. So praktizierte es Großbritannien mit den Neuverhandlungen 1974, bei denen es unter anderem um die Agrarpolitik und die Haushaltsbeiträge ging. Auch Spanien setzte quasi eine Art Kompensation für die harten Beitrittsbedingungen durch in Form des 1992 beschlossenen Kohäsionsfonds.136 Die Akteure sind durch den Vertrag festgelegt. Die Mitgliedsstaaten haben im Erweiterungsverfahren eine Schlüsselrolle inne, sie sind „Herren des Geschehens“137 – qua Rat bzw. qua Europäischem Rat. Letzterer hat insbesondere hinsichtlich grundsätzlicher Weichenstellungen – Annahme eines Antrags (Spanien 1962), Beitrittszusage (1993), Aufnahme von Verhandlungen (1997, 1999) oder Abschluss von Verhandlungen (1984) immer wieder als Richtliniengeber fungiert. Bei den Verhandlungen ist der Rat das Schlüsselorgan. Er vertritt die von den Mitgliedsstaaten vereinbarten Positionen und führt den Vorsitz bei den Verhandlungen. Dieser entscheidet über das Öffnen und Schließen der Verhandlungskapitel und empfiehlt am Ende auch dem Europäische Rat, die Verhandlungen abgeschlossen werden können. Laut Vertrag gibt der Rat gibt der Kommission den Auftrag zur Prüfung. Erst die Praxis jedoch zeigt, wie unterschiedlich dies aussehen kann. Der Rat kann untätig bleiben bei einem Antrag (Spanien 1962), oder er gibt relativ rasch den Auftrag zur Prüfung, wie nach dem Antrag Spaniens 1977. Wann er diesen Auftrag gibt, ist letztlich offen. Im Falle Osteuropas entschied der Europäische Rat von Kopenhagen 1993, dass man sich erweitern würde und 1995 gab er der Kommission den Auftrag für ihre Stellungnahme, die dann 1997 erfolgte.
gen des Europäischen Rates von Santa Maria da Feira, 19./20. 6. 2000, I. Preparing the Future, D. Enlargement, Punkt 15. Siehe dazu auch Kommission, Strategiepapier zur Erweiterung vom 8.11.2000, in: Bulletin 11-2000, S. 75ff 136 Für die Mittel aus dem Kohäsionsfonds sind bis heute Spanien, Portugal, Griechenland und Irland anspruchsberechtigt (Kriterium ist, dass das BSP pro Kopf eines Mitgliedsstaates weniger als 90% des gemeinschaftlichen Durchschnitts beträgt). Die Fortführung dieses Fonds wurde vor allem von Spanien auch immer wieder eingesetzt als Druckmittel, nicht zuletzt auch bei der Finanzierung der Osterweiterung. 137 Zu den Akteuren insbesondere bei der Osterweiterung siehe a.a.O., Lippert, 2004, S. 23ff
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Der Rat ist Verhandlungsführer, die Kommission der Verhandlungsdurchführer. Sie hat daher die Abarbeitung der Kapitel und Erfüllung der Kriterien im Blick, die Gestaltung des Verhandlungsprozesses und die Auswirkungen eines Beitritts, die „technischen“ Fragen der Gemeinschaft. Die Kommission hat die Hauptrolle auf der Arbeitsebene: Sie arbeitet die Verhandlungspositionen für die Mitgliedsstaaten aus, führt die Verhandlungen durch, bewertet die Fortschritte und gibt auf dieser Grundlage entsprechende Empfehlungen an den Rat. Sie ist Beraterin, Kontrolleurin und Mahnerin für die Beitrittsländer. Sie misst die Fortschritte der Kandidatenländer und umreißt deren Hausaufgaben. Der Rat dagegen entscheidet auf Grund politischer Erwägungen, das können objektive allgemein-politische Interessenlagen wie die Stabilisierung der betreffenden Region ebenso sein wie subjektive Opportunitätsgründe in Form von nationalen Interessen. Diese können sich sowohl positiv als auch negativ auswirken: So setzte sich der Rat bei dem Beitritt Griechenlands über die Stellungnahme der Kommission, die eine Heranführungsphase empfohlen hatte, hinweg, weil Frankreich als Protektor Griechenlands auftrat. Aber auch negative Auswirkungen nationaler Interessen waren immer wieder vorhanden: Misstrauen gegenüber Großbritannien leitete de Gaulle in seiner Ablehnung des britischen Beitritts 1963, die Agrarwirtschaft oder innenpolitische Problemlagen (bevorstehende Wahlen) waren der Grund für die Blockade der Verhandlungen mit Spanien 1980/81. Nationale Interessen können sich auch sehr konkret in Sonderwünschen und Zugeständnissen niederschlagen, wenn ein Mitgliedsstaat aus handelstechnischen Gründen bestimmte Regelungen verlangt; so etwa machte Großbritannien die Marktöffnung Spaniens für britische Auto-Importe zur Aufnahmebedingung. Frankreich ist zum Beispiel sehr erfolgreich darin, die Subventionen für seine Landwirtschaft weitestgehend zu schützen; auch bei der Osterweiterung war dies wieder eine Bedingung für die Zustimmung. Es hat sich gezeigt, dass der Rat nicht unbedingt im Sinne der Kommission entscheidet, so etwa im Falle Griechenlands. Im Zuge der Verhandlungen um die Europa-Abkommen mit den Visegrád-Staaten unterstützte die Kommission die von ihnen geforderte Beitrittszusage, was der Rat aber ablehnte. Der Rat ließ sich nur auf den massiven Druck der Visegrád-Drei auf eine, zudem einseitige Formulierung einer Beitrittsperspektive ein. Das Gewicht der Kommission im Prozess der Beitrittsverhandlungen hängt auch davon ab, wie stark Interessen aus den Mitgliedstaaten im Rat bzw. Europäischen Rat virulent werden – im Falle des griechischen Beitritts etwa warf Frankreich sein Gewicht in die Waagschale - und auch davon, wie einig die Kommission selbst in ihrer Politik ist .138 Insgesamt hat das Gewicht der Kommission in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Die Rolle und die Aufgaben der Kommission weiteten sich bis zur fünften Erweiterungsrunde zum einen auf Grund des anwachsenden Acquis, zum anderen auf Grund der Anzahl der Bewerber stetig aus. Des Weiteren hatte man bei der Osterweiterung die neuen Instrumente der Regelmäßigen Fortschrittsberichte und Screenings eingeführt, für die die Kommission zuständig war. Die Screenings der einzelnen Kapitel wurden im Vorfeld der Verhandlungen durchgeführt, um zu überprüfen, in wieweit die Kandidaten den Acquis akzeptieren und anwenden können. Bereits hier konnten problematische Punkte für die Verhandlungen identifiziert werden, auf deren Lösung sich beide Seiten speziell vorbereiten konnten. Auf der Grundlage der Screenings erarbeitete die Kommission dann die gemeinsamen 138
Torreblanca zeigt sehr deutlich, dass auch der Dissens innerhalb der Kommission bezüglich der Assoziierungspolitik zwischen 1989 und 1993 ihre Position gegenüber dem Rat geschwächt hat. Da dies unvermeidlich auch nach außen dringt, gibt dies den Kandidatenländern ein Signal, sich besser auf Regierungschef-Ebene für ihre Sache einzusetzen (siehe auch Griechenland).
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Standpunkte zu den einzelnen Verhandlungskapiteln. Die Fortschrittsberichte der Kommission (die ab 1998 im Herbst jeden Jahres erschienen) benannten die Fort- oder Rückschritte, Probleme und positive Entwicklungen und sehr konkret die noch offenen Aufgaben und Desiderate. Sie ermöglichten so eine objektive Bewertung der bereits erfüllten und der noch ausstehenden Aufgaben. Dieses neue Verfahren barg mehrere Vorteile: Erstens gab es den Kandidaten ein objektives Feed-back ihres Entwicklungsstandes, zweites war dies ein Mittel, größere Transparenz über die Kriterien und Bewertungsmaßstäbe sowie eine bessere und objektivere Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Kandidaten zu schaffen. Drittens, wurde das ganze Verhandlungsverfahren stärker objektiviert, denn die Fortschrittsberichte „dämmen den Spielraum für politisch gefärbte Entscheidungen zugunsten oder zulasten von Kandidaten aus anderen als integrationskonformen Erwägungen ein.“139 Bei der Heranführung der Kandidaten hat die Kommission durch das strukturierte und objektivierte Verfahren, das sie in der Hand hat, damit deutlich an Gewicht gewonnen. Dazu kommt, dass die Kommission das Verfahren vor und während der Verhandlungen im Zuge der Osterweiterung strategisch und konzeptionell stark geprägt hat. So basierte das Konzept der Heranführung sowie deren Instrumente (insbesondere die strukturierten Beziehungen) auf dem Kommissionspapier „Die Europa Abkommen und die Zeit danach – Vorbereitung des Beitritts der Länder Mittel- und Osteuropas.“140 Die Neuausrichtung von PHARE auf die beiden als prioritär festgestellten Herausforderungen – Stärkung der Institutionen und Förderung der Investitionen in die wirtschaftliche Entwicklung - geht ebenfalls auf die Kommission zurück.141 Ebenso entwarf die Kommission 2000 jene „road map“, die die Phase bis zum Abschluss der Verhandlungen strukturierte und vor allem für die Länder der „Helsinki-Gruppe“ das Aufholprinzip bestätigte.142 Dazu kommt die intensive Begleitung, Überwachung und Lenkung der Anpassungsprozesse in den Bewerberländern. Insofern ist es völlig richtig, von der Kommission als „erfolg- und einflussreiche(m) Manager und Makler des Erweiterungsprozesses zu sprechen.143 Das Europäische Parlament hatte sich seit den 1960er Jahren als das Gewissen und die Sachwalterin demokratischer Kriterien profiliert (siehe Birkelbach-Bericht). Diese Rolle hat es beibehalten. So wurde auf Initiative des Parlaments das PHARE Democracy Programme geschaffen, mit dem Projekte in sechs Bereichen gefördert wurden: parlamentarische Praxis, Förderung und Überwachung der Menschenrechte, unabhängige Medien, Entwicklung von NGOs und repräsentativen Strukturen, lokale Demokratie und Partizipation sowie Bildung und Analyse.144 Als ein Beispiel für viele Hinweise auf die Bedeutung der demokratischen Prinzipien sei eine Resolution von 2002 genannt, die bekräftigt, dass alle verhandelnden Länder die politischen Kriterien erfüllen, „es betont die Notwendigkeit, die Situation der Minderheiten, das Phänomen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und AntiSemitismus und andere Formen der Diskriminierung genau zu beobachten.“ 145 Das EP hat sich außerdem immer eher als Protektorin der Beitrittsländer und Kontrolleurin der anderen 139 Neuss, Beate, „Die Osterweiterung der EU als Herausforderung eigener Art“, in: a.a.O., Schubert/MüllerBrandeck-Bocquet, S. 45-65, hier: S. 54. Siehe dazu auch a.a.O., Kneuer, 2001, S. 121f 140 Vgl., Bulletin, 7/8-1994, S. 82 141 Vgl., Bulletin, 3-1997, S. 78f 142 Vgl., Kommission, „Strategiepapier zur Erweiterung“, 8.11.2000, in: Bulletin, 11-2000, S. 75ff 143 Vgl, a.a.O., Lippert, 2004, S. 27 144 Vgl., a.a.O., Hyde-Price, S. 231 145 Resolution des EP zur Vorbereitung des ER von Sevilla, 13.6.2002, Resolution zum Stand der Erweiterungsverhandlungen, Berichterstatter Elmar Brok, A5-0190-2002
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europäischen Organe im Erweiterungsprozess verstanden. Sowohl bei der Süd- als auch bei der Osterweiterung mahnte das Parlament die Beschleunigung der Verhandlungen an. So verabschiedete es am 13.3.1981 eine einstimmige Resolution zur Beschleunigung der Verhandlungen mit Spanien und Portugal vor dem Hintergrund, dass die Verhandlungen seit dem Veto Giscard d´Estaings brachlagen, die junge spanische Demokratie am 23.2.1981 aber durch einen Militärputsch bedroht worden war. Bei der Osterweiterung zeigt sich die Unterstützung der Kandidatenländer etwa darin, dass das EP für einen „inklusiven Ansatz“ war, also dagegen, dass mit den zehn Bewerberländern in zwei Gruppen verhandelt wurde146. Insgesamt hat sich die Rolle des EP gestärkt durch die Zustimmungspflicht der Erweiterung. Vergleicht man die Süd- und Osterweiterung, dürfte auf den ersten Blick am meisten erstaunen, dass die Verhandlungen mit Spanien und Portugal die längsten in der europäischen Erweiterungsgeschichte waren. Sie dauerten 76 bzw. 80 Monate. Bei der zweiten Norderweiterung waren es 17 Monate. Und die Länder der Osterweiterung verhandelten nur 61 Monate (Luxemburg-Gruppe) bzw. 38 Monate (Helsinki-Gruppe).147 Dies ist deswegen erstaunlich, weil, wie gezeigt, das Verhandlungsgerüst im Laufe der Zeit angewachsen ist, der Acquis und auch die Anzahl der EU-Länder sowie der Beitrittsländer größer war sowie nicht zuletzt auch die Reformprozesse der post-sozialistischen Länder deutlich umfangreicher. Diese letztlich relativ kurze Verhandlungszeit bei der Osterweiterung kann man dadurch erklären, dass zum einen in den Europa-Abkommen bereits ungefähr 30 Prozent des Acquis enthalten waren, so dass es bereits vor Verhandlungsbeginn eine Angleichung gegeben hatte. Zum anderen trug die klare Struktur des Verhandlungsverfahrens selbst kombiniert mit den Screenings und einem Zeitplan - all dies gab es bei den früheren Erweiterungen nicht – zu dem effektiveren Abarbeiten des Kapitelkataloges bei. Hilfreich war auch die „road map“ für die verbleibenden Verhandlungen, die zudem die Aufmerksamkeit auf noch bestehende Schwachpunkte – insbesondere die administrativen Kapazitäten zur Umsetzung des Acquis – lenkte.148 Das Verfahren hatte damit einerseits einen festen und objektiven Rahmen, andererseits zeigte sich die EU dennoch immer wieder flexibel. So empfahl die Kommission im Oktober 2002 den Abschluss der Verhandlungen noch im selben Jahr, obwohl sie gleichzeitig feststellte, dass die Anpassung von neun Bereichen des Acquis noch beendet werden und in vier Bereichen dringend besondere Anstrengungen unternommen werden mussten bis zum Beitritt. Neu war auch, dass die EU sich mit einer Sicherungsklausel absicherte, die maximal zwei Jahre dauert und den Kandidatenländern Flexibilität zugesteht in den Bereichen Binnenmarkt und innenpolitische und justizielle Angelegenheiten. Sechs Monate vor dem anvisierten Beitrittsdatum legte die Kommission hierzu noch einen Bericht vor. Blickt man nun auf die bereits entschiedene Erweiterung um die Länder des WestBalkans, so lässt sich bereits jetzt sagen, dass diese Länder von den Erfahrungen der EU bei der Osterweiterung profitieren, ebenso wie von den dort generierten Instrumenten und dem objektivierten Verfahren. Die Heranführung dieser Länder geschieht auf der Basis bereits erprobter und bewährter Verfahren und Instrumente. Die Beitritte sind das Aufspringen auf einen fahrenden Zug, der weder seine Geschwindigkeit verringern, noch den Weg ändern will. Das heißt logischerweise, dass sich die Bedingungen immer weiter verschärfen, je 146 147 148
Vgl., Baron/Oostlander-Bericht vom 4.12.1997, A4-0368/97 Vgl., a.a.O., Lippert, 2004, S. 33 Vgl., a.a.O., Kommission, Strategiepapier zur Erweiterung
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konsolidierter sich die EG/EU präsentiert und je weiter die Integration fortschreitet. So ist der Besitzstand und die Verpflichtungen aus der zweiten und dritten Säule nach dem Maastrichter Vertrag, die die ostmitteleuropäischen Kandidaten übernehmen müssen, ungeheuer angewachsen gegenüber dem, den die südeuropäischen Länder übernommen haben.149 Dieses dynamische Moment bewirkt andererseits jedoch auch, dass später beitretende Länder von dem qualitativen Sprung in der Heranführung profitieren.150 1.4 Merkmale der Süd- und Osterweiterung im Vergleich Sowohl die deutlich komplexeren Verhandlungsverfahren als auch die deutlich breiteren Unterstützungsinstrumente lassen sich als einen wichtigen Unterschied der Süd- und Osterweiterung ausmachen. Es fragt sich, darüber hinaus, inwieweit diese beiden Erweiterungsrunden Gemeinsamkeiten oder Unterschiede aufweisen. Im Folgenden werden einige zentrale Charakteristika herauskristallisiert: Fehlendes Design Die EG wurde sowohl in Bezug auf Süd- wie auf Osteuropa dafür kritisiert, dass sie kein Konzept für die Zeit „nach der Diktatur“ hatte. Die europäische Außenpolitik habe in Bezug auf Südeuropa überwiegend reaktive Züge gehabt.151 Das Problem habe darin gelegen, dass die Gemeinschaft keine mittel- und langfristige Planung in Angriff genommen habe. Es gebe zwei Situationen, in denen die Gemeinschaft aktiv werde: „Die erste ist, wenn gemeinsame umfassende Interessen berührt oder gar gefährdet sind.“ Das war in Portugal und in Spanien der Fall, „als die Neun durch das vage gemeinsame Anliegen vereint wurden, die Entwicklung der pluralistischen Demokratie zu fördern.“152 Die zweite Situation trete dann ein, wenn ein Mitgliedsstaat ein besonderes Interesse habe. Bei der Zypernkrise habe die Bedrohung, die sie für die Stabilität des östlichen Mittelmeeres dargestellt habe, allein nicht ausgereicht. Ausschlag gebend sei das Interesse Großbritanniens gewesen. Zu Recht wird das Fehlen mittel- oder langfristiger Konzepte moniert. Es gab zwar frühe Ansätze, die südliche Flanke an die EWG zu binden (Griechenland und Türkei), dass Spanien und Portugal dabei außen vor blieben, hatte mit dem nichtdemokratischen Charakter ihrer Regimes zu tun. Letztlich aber agierte die EG nicht auf der Basis großer strategischer Zusammenhänge, vielmehr stand das punktuelle Vorgehen im Vordergrund.153 Auch nach Kohler betrieb die EG hinsichtlich Südeuropas ein „Politik der Reaktion“; sie hatte das Gesetz des Handelns nicht in der Hand, sondern ließ sich die Entscheidungen aufdrän-
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Bei der ersten Erweiterung betrug das Vertragswerk 161 Artikel und 700 Seiten. Bei der dritten Erweiterung gab es 403 Artikel und 1300 Seiten (Keesing´s, 10.18), bei der Osterweiterung umfasste das Vertragswerk gut 2500 Seiten. Der Acquis beinhaltete bei Griechenland, Spanien und Portugal 11, bei der Osterweiterung 31 Kapitel. 150 So äußert sich auch Manuel Marín, Chefverhandler Spaniens und Mitglied sowie Vize-Präsident der EUKommission von 1986 bis 1999 mit verschiedenen Portfolios. Spanien wäre froh gewesen, wenn es diese Hilfe gehabt hätte, wie sie Osteuropa zuteil wurde. Vgl. Interview 151 So Praag, a.a.O. 152 Ebd., S. 213 153 Vgl., a.a.O., Rummel, 1978, S. 24
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gen.154 Unter all den internationalen Krisen, auf die die EPZ alsdann zu reagieren hatte (die Instrumentalisierung des Öls als politische Waffe, überhaupt der Nahe Osten, Südafrika, Vietnam, Indochina)155 hatten die Ereignisse in Südeuropa, die Zypern-Krise, der der demokratische Neubeginn Griechenlands folgte, sowie die Systemwechsel in Portugal und Spanien eine andere Qualität. „Im Gegensatz zur „Neuner-Kooperation in den VN, wo es um weltweite, häufig dem spezifisch europäischen Interesse entrückte Themen geht“, so Rummel, gehe es im Mittelmeerraum um ein Feld, auf dem die europäische Identität besonders angesprochen sei.156 Kohler weist darauf hin, dass die Zielstrebigkeit der griechischen Politik – hier könnte man ebenso die spanische und portugiesische nennen – „in einem auffallenden Kontrast zur Konzeptionslosigkeit, mit der seitens der EG-Staaten die Beitrittsfrage behandelt wurde“157, stand. „Die öffentlich bekundete Bereitwilligkeit, Griechenland den Weg in die Gemeinschaft zu ebnen, gewann den Charakter von Glaubensbekenntnissen, die teils in erheblichem Widerspruch zu wirtschaftlichen und auch außenwirtschaftlichen Interessen stand. So sprach man mit gespaltener Zunge: nach außen unterstütze man die Erweiterung, intern zog man die Fortdauer des Assoziierungsverhältnisses vor.“158
Bei diesem Zitat kann man „Griechenland“ ergänzen durch „Spanien und Portugal“, ebenso könnte man zudem die zehn postsozialistischen Reformländer einsetzen. Die gleichen Merkmale – fehlende Strategie für die Region vor der Krise, Konzeptlosigkeit für die Zeit nach dem Umbruch – treffen auch auf die EG-Politik gegenüber Osteuropa zu. Zwar vertraten die USA und die EWG lange Zeit die Politik des positive linkage, mit dem durch den Osthandel Reformentwicklungen in Osteuropa gefördert werden sollten159. Es gab aber keine Überlegungen für den Fall, dass diese Strategie tatsächlich fruchten würde. „It is astonishing that the Member States of the Community and the Community institutions appeared unprepared and without any well developed strategy for tackling the result of the collapse of Communism. (…) This unpreparedness underlines a major problem for EU foreign policy: that there is no real capacity to predict crises and no forward contingency planning for them.”160 “There was no well-thought-out strategy in Western Europe to cope with the new situation.”161
154
Kohler, Beate, „Die Süderweiterung der Gemeinschaft – Hintergründe, Motive und Konsequenzen“ , in: Hasenpflug, Hajo/Kohler, Beate, Die Süd-Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Wende oder Ende der Integration?, Hamburg 1977, S. 15-49, hier: S. 15 155 Die EPZ setzte 1973 vier Arbeitsgruppen zur Ministerkonsultation ein: Naher Osten, Mittelmeerraum, Asien und KSZE. Vgl., a.a.O., Regelsberger, 1989, S. 31 156 Rummel, Reinhard, „Zwischen Diplomatenclub und gemeinsamen Entscheidungszentrum: Zukunft der EPZ“, in: a.a.O., Rummel/Wessels, S. 297-337, hier: S. 308 157 A.a.O., Kohler, 1977, S. 24 158 Ebd. 159 Die EWG konnte sich sogar gegen die USA durch setzen, als diese begann, Anfang der 1980er Jahre begann, umzuschwenken auf einen negative linkage, mit dem der Ostblock durch Boykotte, Sanktionen etc. unter Druck gesetzt werden sollte. Der EG gelang es, einen konsensuellen europäischen Standpunkt zu formulieren und sich in der Auseinandersetzung mit den USA durch zu setzen. Siehe dazu a.a.O., Lingnau, S. 42-47 160 A.a.O., Mayhew, S. 11 161 Ebd., S. 13
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Die europäische Verhaltensstrategie beschreibt Lingnau so, “daß sich Europa zwar immer dann profiliert hat, wenn die Herausforderungen der Umwelt akut waren, daß aber keine eigene, von den Mitgliedstaaten unabhängige, konstruktive Gesamtstrategie entwickelt wurde.“162 Kritisiert wird allenthalben, dass damit nur kurzfristige Maßnahmen auf den Weg gebracht worden waren. Dabei sollten zwei Dinge nicht vergessen werden: Zum einen die Tatsache, dass ein präzedenzloser Umfang an Herausforderungen auf die EG einströmte; zum anderen war diese Form der Reaktion mit Direkthilfen und dem immerhin relativ schnell etablierten PHARE-Programm eine erhebliche Verbesserung gegenüber den 1970ern. Richtig ist, dass weder die Zwölf noch die Fünfzehn klare Vorstellungen über die Zukunft des Kontinents hatten. Prägt jenes work in progress, das den Entwicklungsweg der EU darstellt, auch die Politiken wie die Integrationspolitik? So meint Torreblanca: „…the Twelve were used to engage in processes, such as the integration process, in which ambiguities over the future were a prerequisite for keeping moving along.“163 Das Fehlen eines klaren Designs beunruhigte die Mitgliedsstaaten jedenfalls weniger als die Bewerberländer. Debatten um die Alternativen Vertiefung oder Erweiterung, um die „Finalität“, um das Wesen Europas, seine Identität, haben die Gemeinschaft von Beginn an und im Laufe ihrer Entwicklung begleitet. Gehört das zu einem System dynamischer Stabilität im Sinne, wie Lingnau es beschreibt?164 Hinhalten der Beitrittsperspektive Im Gegensatz zur Süderweiterung hat es bei der Osterweiterung noch länger gedauert, bis sich die EG überhaupt auf eine Beitrittszusage einigen konnte (vier Jahre).165 Ein schnelles Angebot dieser Perspektive aber ist gerade für Transitionsländer essentiell: als Horizont und Hoffnung für die Bevölkerung, als Legitimierung für die Regierungspolitik. Auch nachdem die Beitrittsperspektive grundsätzlich eröffnet worden war – und dies war dann das zweite Problem – ließ sich die EU viel Zeit, um konkrete Zeitpläne für den Abschluss der Verhandlungen, das tatsächliche Beitrittsdatum etc. aufzustellen. Diese Ungewissheit war für die Bewerber sehr unbefriedigend; vor allem im Falle Spaniens, wo noch mehr willkürliche Hürden gelegt wurden, was bei der Osterweiterung durch das objektivierte Verfahren nicht mehr so leicht möglich war. Endogener Reformdruck Ein besonderes Merkmal, vor allem der Süd- und Osterweiterung, war die Wirkung nach innen, der Reformdruck auf die Institutionen und Verfahren der Gemeinschaft. Die Aussicht auf Erweiterung wurde zum Katalysator für institutionelle Reformen, die Reform von Politikfeldern, zuvorderst der Agrarpolitik. Die Aussicht auf die Vergrößerung der Gemein162
A.a.O., Lingnau, S. 51; Weiteres dazu siehe a. S. 113 A.a.O., S. 256 „Europa ist ein System, das sich in einem permanenten Prozeß der Abgrenzung von seiner Umwelt und in einem permanenten Prozeß der Öffnung zu seiner Umwelt befindet. Offenheit garantierende Varietät (Anregbarkeit) und Geschlossenheit garantierende Redundanz (Konsolidierung) werden jeweils soweit zugelassen, daß ein Ausgleich zwischen beiden immer wieder hergestellt werden kann. Diese Fähigkeit Europas, zwischen Offenheit und Geschlossenheit zu balancieren, wurde exemplarisch erkennbar an der Art und Weise, wie Europa mit dem Umbruch in Osteuropa umgeht.“ A.a.O., Lingnau, S. 113f 165 Vgl., a.a.O., Lippert, 1998, S. 23 sowie im Detail a.a.O., Torreblanca, insbesondere S. 139-405 und a.a.O., Mayhew, S. 41-157 163 164
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schaft machte deutlich, wo Schwächen etwa der institutionellen Konstruktion und der Entscheidungsverfahren der Gemeinschaft lagen. Außerdem generierte sie auch neue Politikfelder, wie etwa die Struktur- und Regionalpolitik, die aus der Notwendigkeit heraus entstanden, das Entwicklungsgefälle zwischen den alten und neuen Mitgliedern abzubauen. Hinsichtlich der Aufnahme Spaniens und Portugals ging es, erstens, um den Haushalt, der grundlegend reformiert werden musste, zweitens, um eine Reform der Agrarpolitik, und, drittens, wurde thematisiert, den Mehrheitsentscheid im Rat zu erweitern und die Zahl der einstimmig zu beschließenden Felder zu reduzieren. All diese Probleme waren im Zuge der ersten und auch der zweiten Erweiterung unerledigt geblieben. Die Frage, inwieweit die Funktionsfähigkeit der Organe und Verfahren beeinträchtigt würde, wenn man einfach zu den für eine Sechsergemeinschaft konzipierten Institutionen zusätzliche Mitglieder addieren würde, hatte man sich seinerzeit nicht gestellt.166 Hierbei ging es vor allem um die Einführung des Mehrheitsentscheides im Rat, da bei einer zunehmenden Anzahl von Mitgliedern das seit dem Luxemburger Kompromiss übliche Veto die Entscheidungsfähigkeit des Rates lahm zu legen drohte. Auch das Problem der Finanzierung des Haushalts spitzte sich zu167 – nicht zuletzt wegen der Neuverhandlung Großbritanniens über seinen Haushaltsbeitrag. Exakt die gleichen Desiderate lagen bei der Osterweiterung wieder auf dem Tisch: Reform der Institutionen, Ausweitung des Mehrheitsentscheids, Reform der Agrarpolitik, Finanzierung des Haushalts bzw. der Belastungen durch die Erweiterung. Dass eine Erweiterung von 15 auf 25 eine Belastung für die Institutionen darstellte und das Risiko der Lähmung in sich barg, lag auf der Hand. Es mussten Regelungen getroffen werden zur Zusammensetzung der Kommission, über die Stimmgewichtung im Rat und die Ausweitung des Mehrheitsentscheids im Rat. Das empfindlichste Politikfeld war auch bei der Osterweiterung die Agrarpolitik, wobei Frankreich der größte Nutznießer ist als größter Nettoempfänger von Leistungen. Sprengstoff bietet zudem die Strukturpolitik, deren größte Nutznießer die Länder der Süderweiterung und Irland sind. Hätte man die geltenden Ansprüche auf die neuen Mitglieder übertragen, dann hätte das den Haushalt der Gemeinschaft gesprengt. Die internen Reformnotwendigkeiten waren bei beiden Erweiterungen de facto vorhanden; gleichzeitig wurden sie für die Gemeinschaft zu einem sich selbst auferlegtem Kriterium, zu einer Hausaufgabe, die EG bzw. EU zu erfüllen hatte, wollte sie nicht durch den Beitritt weiterer, insbesondere von zehn Mitgliedern instabil werden. Bereits in ihrer Stellungnahme zur Erweiterung von 1978 wies die Kommission darauf hin, dass die „bei der Erweiterung von sechs auf neun Mitgliedstaaten gemachten Erfahrungen (…) bereits Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten der gemeinsamen Handlungsfähigkeit“ deutlich gemacht haben. Die Kommission weiter: „Zwölf Mitgliedstaaten werden daher die Organe und Beschlussfassungsverfahren erheblich belasten und die Gemeinschaft der Gefahr der Lähmung und Verwässerung aussetzen, wenn die praktischen Voraussetzungen für ihre Funktionsfähigkeit nicht verbessert werden. Daher sind im Interesse der erweiterten Gemeinschaft umfassende Anpassungen unerlässlich. (…) Eine Anpassung der Verträge muß der Tatsache Rechnung tragen, daß die Funktionsfähigkeit der Institutionen der Gemeinschaft derart verbessert werden muß, daß die durch die größere 166
Vgl., a.a.O., Teske, S. 78f Im Haushaltsjahr 1983 waren erstmals die ein Prozent der Mehrwertsteuermittel fast vollständig in Anspruch genommen worden, so dass mancher bereits das Schreckgespenst einer in Konkurs gehenden Gemeinschaft am Horizont auftauchen sah. Vgl., a.a.O., Teske, S. 229
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III Empirischer Teil: EU Zahl von Mitgliedstaaten bedingte schwerfälligere Abwicklung der Beschlußfassungsverfahren ausgeglichen wird. Diese Anpassung sollte insbesondere die Mehrheitsbeschlüsse, die Befugnisse der Kommission und einen sinnvolleren Einsatz der in den Verträgen vorgesehenen Rechtsinstrumente zum Gegenstand haben.“168
Die Kommission hatte den Finger in die Wunde gelegt und ganz zu recht auf die notwendigen Reformen hingewiesen. Damals aber stellten sich ihre Forderungen als „unerfüllbare Vorbedingungen für den Beitritt der europäischen Südstaaten dar“.169 Andererseits aber wurde insbesondere von Frankreich das Argument der noch nicht vorhandenen Erweiterungsfähigkeit der Gemeinschaft ins Feld geführt, womit die Verhandlungen mit Spanien und Portugal erst einmal brach lagen.170 Außerdem wurde wenig unternommen, um die vorhandenen und erkannten eigenen Probleme zu lösen, so dass diese Art der Instrumentalisierung des Arguments der Erweiterungsfähigkeit nicht ohne Grund als Hinhaltetaktik empfunden wurde. Vor allem, als der neue Französische Präsident, François Mitterrand, am 29.6.1981 das gleiche Argument wieder vorbrachte.171 Ein ernsthafter Versuch, die bereits seit einigen Jahren bekannten Probleme zu lösen, wurde indes erst 1983 in Gang gesetzt172, und nach den enttäuschenden Ergebnissen von Stuttgart (Juni 1983) und Athen (Dezember 1983), war auch erst der Europäischen Rat in Fontainebleau (25./26.6.1984) in der Lage, sich auf die notwendigen Regelungen zu einigen.173 Und auch erst dann wurde Spanien und Portugal ein Zieldatum zum Abschluss der Verhandlungen genannt, der 30. September 1984, der sich aber wiederum verzögerte bis zum 29. März 1985, vor dem eine Marathonsitzung des Rates lag. Der Gipfel von Fontainebleau wurde dann gleichzeitig zum Ausgangspunkt eines Relaunch für die Gemeinschaft und für das erste Reformvorhaben seit den Römischen Verträgen. Die institutionellen Reformen sowie die Gemeinschaftsprojekte Wirtschaftsunion, Binnenmarkt und Politische Kooperation sollten angepackt werden. Dieses Reformvorhaben lief seit Fontainebleau praktisch parallel zu den Verhandlungen mit Spanien und Portugal. Nur ein halbes Jahr nach Zeichnung der Beitrittsverträge war auch die EG-Reform beschlossen (ER von Luxemburg, Dezember 1985): die Einheitliche Europäische Akte, die gezeichnet wurde, kurz nachdem Spanien und Portugal beigetreten waren. Mit ihr wurde zum Beispiel auch der seit dem Luxemburger Kompromiss außer Kraft gesetzte Mehrheits168
A.a.O., Stellungsnahme der Kommission vom 20.4.1978, hier: „Institutionelle Aspekte und Anpassung der Verträge“, Punkt 49 und 51. Der Aspekt der Mehrheitsbeschlüsse wird dann noch weiter behandelt in Punkt 52-53, Befugnisse der Kommission Punkt 54 und Rechtsordnung Punkt 55, S. 16f 169 A.a.O., Teske, S. 131 170 In seiner Rede vom 5.6.1980 sagte der französische Präsident Valéry Giscard d´Estaing, es sollte keine weitere Ausdehnung der Gemeinschaft vorgenommen werden, solange die Probleme, die aus der vorhergehenden Erweiterung von 1973 nicht befriedigend gelöst worden seien. „That is why, (…) it is necessary that the Community should give priority to completing the first enlargement before it can be in a position to undertake a second.” Zit. n. a.a.O., Keesing´s, 10.6.. 171 Er sei nicht grundsätzlich gegen das Prinzip der Erweiterung und hielte die Zulassung Portugals und Spaniens für wünschenswert, die Probleme jedoch müssten erst gelöst werden, um sicher zu stellen, dass die Balance der Gemeinschaft nicht geschädigt werde. Ebd., 10.10 172 Auf ihrem Treffen am 21./22. März 1983 in Brüssel erklären die Staats- und Regierungschefs ihre Entschlossenheit, „dass die Verhandlungen mit Portugal und Spanien nun einen substantiellen Fortschritt machen sollten.“ Ebd., 10.11 173 Die seit 1979 offene Frage der Ausgleichszahlungen an Großbritannien, die Einigung auf die Erhöhung der Eigeneinnahmen (für die Abführung der Mehrwertsteuer auf 1,4%), Teilergebnisse bei der Agrarreform, Einführung des Strukturfonds zur Reduzierung der regionalen Ungleichgewichte.
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entscheid für den Rat wieder eingeführt, eines der zentralen Desiderate. Die Süderweiterung hatte gezeigt, dass ein wirklicher Durchbruch bezüglich eines Zeithorizontes für den Abschluss der Verhandlungen und den Beitritt, der Durchbruch zur Einigung überhaupt erst gelang, nachdem sich die Gemeinschaft ihre wichtigsten eigenen Probleme gelöst und eine Perspektive hatte, sie durch weitere Reformen in den Griff zu kriegen. Insofern stellt die eigene Erweiterungsfähigkeit tatsächlich ein implizites Beitrittskriterium dar. Sehr deutlich wird die Abhängigkeit der Erweiterungs- von der Integrationspolitik wiederum, betrachtet man etwa den Beschluss des Europäischen Rates von Lissabon 1992, die Norderweiterung erst vorzunehmen, wenn der Maastricht-Vertrag ratifiziert und Einvernehmen über das Delors-II-Paket- erreicht seien. Auch die Osterweiterung war von dem Maastricht- sowie dem Maastricht-Folge-Prozess betroffen. Die EG war just seit 1989 mit sich selbst beschäftigt, endlich sollten die Projekte einer WWU und einer PU angegangen werden, was auf dem Gipfel von Madrid im Juni 1989 beschlossen wurde. Obwohl kurz zuvor in Polen gewählt worden war mit einem überwältigenden Sieg des Bürgerkomitees, befand sich das Thema Mittel- und Osteuropa erstaunlicherweise nicht unter den Hauptpunkten der Agenda.174 Auch der Gipfel von Straßburg im Dezember 1989 legte den Schwerpunkt eindeutig auf die Vertiefung der Gemeinschaft: Man beschloss, zwei Regierungskonferenzen abzuhalten, eine zur WWU und eine zur PU. Obwohl, wie oben dargestellt, die EG schnell reagierte mit „Hilfe und Handel“ und dem Angebot von besonderen Assoziierungsabkommen, blieb die Frage einer Erweiterung außen vor, zur großen Enttäuschung und Frustration der Visegrád-Länder, deren Ziel eigentlich genau dies – Beitritt zur EG – war. Der Rat aber lehnte explizit eine Beitrittsperspektive ab. Dabei gab es ebenso wenig wie bei der Süderweiterung einen Konsens unter den Mitgliedsstaaten. Das Muster wiederholte sich: Großbritannien war die stärkste Befürworterin einer Erweiterung, weil dies eher die intergouvernementale Richtung stärken und das supranationale Moment schwächen würde. Frankreich dagegen legte die Priorität auf die Vertiefung und die diesbezüglich anstehenden Projekte. Deutschland, das sich bei der Süderweiterung als Anwalt der Beitrittskandidaten profiliert hatte, war diesmal mit sich selbst, nämlich mit der deutschen Wiedervereinigung beschäftigt.175 Auch innerhalb der Kommission und teilweise zwischen Rat und Kommission gab es unterschiedliche Ansätze: Der zuständige Kommissar Frans Andriessen war dafür, sofort die Assoziierung an zu bieten, während die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs warten wollten, bis die deutsche Frage entscheiden war. Der Kommissionspräsident, Jacques Delors, hatte bereits im September 1989 seiner Sorge über die Wirkung der Entwicklungen in Osteuropa auf die Gemeinschaft Ausdruck gegeben. Er sprach auch davon, dass eine adäquate Antwort der EG auf die Herausforderungen, die sich aus den Reformen im Osten ergeben, zunächst erforderte, dass sich die Gemeinschaft selbst stärke.176 Er unterstrich die Priorität, die der Straßburger Gipfel auf die Vertiefung gelegt hatte, und argumentierte, dass eine Erweiterung aus institutionellen und finanziellen Grün-
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A.a.O., Mayhew, S. 13 Wobei die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich über die Wiedervereinigung die Ostpolitik der EG ebenso überschattete wie die Angriffe Frankreichs auf Großbritannien. Die Divergenzen der drei wichtigsten Mitglieder – Frankreich- Deutschland – Großbritannien – schwächten die Ostpolitik. Vgl., a.a.O:, Torreblanca, S. 106 176 Delors, Jacques, “Un avenir commun, oui, mais à certaines conditions », Rede vor dem Europarat, Straßburg, 26.9.1989, zit.n. a.a.O., Torreblanca, S. 100f 175
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den unmöglich sei177 - also die gleichen, von der Süderweiterung bekannten Argumente. Im Frühjahr 1991 verstärkte Delors diese noch, indem er Václav Havel warnte, es sei nicht im Interesse der potentiellen Mitglieder, den Vertiefungsprozess zu verlangsamen und die Regierungskonferenzen zu stören.178 Die Erweiterung war zwischen 1989 bis 1991 tatsächlich nicht auf der Agenda der Gemeinschaft. Auch das Drängen der Visegrád-Drei in den Jahren 1990/1991 änderte sehr wenig an der Haltung der EG. Die Ankündigung Polens, die Verhandlungen abzubrechen179, erzeugte keinen hohen Druck für die EG. Selbst der Putsch in Moskau sorgte nur für kurzen Aktivismus, und selbst die drohende Destabilisierung im Osten und Südosten (Jugoslawien) verschwand wieder hinter nationalem Interesse und Gezerre: Frankreich legte wegen 500 Tonnen Rind- und 900 Tonnen Lammfleisch sein Veto zur Erweiterung des Mandats ein und ein paar Monate später - ausgerechnet - Spanien wegen der Stahlquoten.180 Es ist entsprach zudem der bereits 1989 geäußerten Präferenz für die Vertiefung, dass die Europa-Abkommen erst abgeschlossen wurden, nachdem man sich über den Vertrag über die Europäische Union geeinigt hatte. Der Gipfel von Kopenhagen schließlich formulierte es denn auch in dieser Deutlichkeit: Es stelle einen wichtigen Gesichtspunkt dar, „die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten“181. Hier wird das, was bei der Süderweiterung bereits ein implizites Requisit war, zu einem expliziten Kriterium: die Fähigkeit der EU zu notwendigen inneren Reformen. Damit wurde es zu einer Voraussetzung für die Erweiterung, dass die Union sich selbst erweiterungsfähig macht. Für die Bewerber bedeutet das, dass der Beitrittsprozess nicht linear abläuft, sondern in Schüben. Für Spanien und Portugal ging es erst nach Fontainebleau weiter, für die ostmitteleuropäischen Länder waren die Wegmarken Kopenhagen 1993, Luxemburg, Nizza, Kopenhagen 2002: Ratifizierung des Maastricht-Vertrages, auf die die Beitrittszusage 1993 folgte, Abschluss des Amsterdamer-Vertrages, auf den 1997 der Beschluss zur Eröffnung von Verhandlungen folgte, 2000 die Einigung auf den Nizza-Vertrag, der die EU ab 2002 beitrittsfähig machte, und 2002 schließlich die Einigung auf ein Finanzpaket, die den Weg für die Erweiterung erst wirklich frei räumte. Verhandlungsmasse Die inhaltlichen Details der Verhandlungsmasse waren ein weiterer Grund, dass die Erweiterungsverhandlungen in Süd- und Osteuropa durch ein „stop-and-go“ gekennzeichnet waren. Eine weitere Parallele zwischen Süd- und Osterweiterung sind die inhaltlichen Probleme, die den Zündstoff bei den Verhandlungen ausmachten: die Agrarwirtschaft, die sensiblen Produkte – Stahl, Textil -, die Übergangsfristen in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Die heftigen Diskussionen, die es über diese Aspekte in den letzten Jahren gab, kamen demjenigen, der sich mit der Süderweiterung beschäftigt hatte, nur allzu bekannt vor. Ähnliche Argumente auf beiden Seiten, ähnlich unnachgiebig verfochten, ebenso verhärtete Positionen, das gleiche Besitzstandswahren, die gleiche protektionistische Tendenz bei den Mitgliedsstaaten. 177
So in der Vorstellung des Kommissionsprogramms vor dem EP am 17.1.1990; Delors, Jacques, „Discurso ante el Parlamento Europeo el 17 de enero de 1990“, in: Fundación Encuentro, Europa y la Democratización del Este, o.O. 1990, zit. n. a.a.O., Torreblanca, S. 110f 178 Vgl., ebd., S. 285 179 So Ministerpräsident Olechowski in einem Interview mit Financial Times, 16.7.1991 180 Vgl. im Detail, a.a.O., Torreblanca, S. 323 bis 358; zu dem spanischen Veto vgl., S. 389-419 181 Vgl., a.a.O., Schlussfolgerungen des ER von Kopenhagen
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In Spanien und Portugal waren jeweils mehr Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt – nämlich 18 bzw. 23,6 Prozent, als durchschnittlich in der EG (etwa 10%). Mit dem Beitritt der drei südeuropäischen Länder vergrößerte sich die Zahl der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen um 55 Prozent, der landwirtschaftlichen Nutzfläche um 49 Prozent und der landwirtschaftlichen Produktion um 24 Prozent.182 Bei dem Beitritt der zehn ostmitteleuropäischen Ländern erhöhte sich die landwirtschaftliche Nutzfläche um 45 Prozent, und mit 10,3 Millionen Beschäftigenten in der Landwirtschaft gab es in den Beitrittsländern mehr als in der EU insgesamt.183 Die Problemlagen auf beiden Seiten ähneln sich also. Spanien und Portugal hatten das Problem, dass sie die gleichen Produkte auf den europäischen Markt brachten wie Frankreich, Italien, Griechenland: Wein, Oliven, Zitrusfrüchte und Gemüse; Polen, ein ähnlich stark agrarisch geprägtes Land wie Spanien und die stärkste Landwirtschaft der zehn Kandidatenländer, bringt Milchprodukte, Fleisch etc. auf den EUMarkt, was die meisten westeuropäischen ebenfalls produzieren. Die Mitgliedstaaten wiederum fürchteten und fürchten die billiger produzierende Konkurrenz, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch im Textil-, Bekleidungs- Nahrungsmittel- und Stahlsektor. Außerdem gab es die Furcht vor Wanderungsbewegungen von Arbeitnehmern, bei der Südwie bei der Osterweiterung. Protektionismus Mit dem Protektionismus der EU hatten die Länder sowohl bei der Süd- als auch bei der Osterweiterung zu kämpfen. Trotz der parallelen Problemlagen hat die EG eine Lehre nicht gezogen: die protektionistische Haltung zu ändern, die schon Südeuropa Probleme bereitet hatte. Obwohl es Teil der Europa-Abkommen war, die Bedingungen für den Marktzugang der Partnerländer zu verbessern, um dann ein Präferenzsystem für den Handel zu schaffen, behielten sich - wie im spanischen Fall - die EG, aber auch die G-24-Länder der OECD die Protektion ihrer „sensiblen Produkte“ vor: die landwirtschaftlichen Produkte, Stahl und Textilien. Oder sie schufen nach der Freigabe des Handels nicht-tariffäre Hemmnisse. Der Königsweg für die Integration in die internationale Gemeinschaft, nämlich Handel in beide Richtungen, lief mitnichten hürdenlos184. EG und OECD-Länder übten einen erheblichen ordnungspolitischen Druck aus, „ohne selbst einen spürbaren Beitrag zur Verbesserung der außenwirtschaftlichen Bedingungen zu leisten“, unter denen die Transformation im Sinne der von der EG formulierten Konditionen durchgeführt werden mussten185. Genau wie seinerzeit in Spanien wurden die Länder genau dort per Quote niedrig gehalten, wo sie noch einigermaßen konkurrenzfähig waren. In Polen war vor allem der Agrarsektor betroffen, in dem ein sehr hoher Anteil der arbeitenden Bevölkerung, nämlich etwa 25 Prozent, beschäftigt ist; in Tschechien betraf es die Stahlindustrie. Die protektionistische Politik, so lautete die Kritik, vergrößere die Zahlungsschwierigkeiten der Länder und verringere die Mittel für
182
A.a.O., Kommission, Erweiterung der Gemeinschaft, S. 9 Vgl., von Urff, Winfried, „Agrarmarkt und Struktur des ländlichen Raumes in der Europäischen Union“, in: a.a.O., Weidenfeld, 2002, S. 425-439, hier: S. 435 184 Siehe zu den Problemen im Bereich der Handelspolitik u.a. Vulchev, Todor, “Economic Relations Between the European Community and Eastern Europe After 1992: Problems and Prospects”, in: a.a.O., Clesse, Vernon, S. 270-278 sowie auch a.a.O., Pinder, 1991, ebenso a.a.O., Hyde-Price 185 Brock, Lothar, „Selbsthilfe und Selbstbegrenzung im internationalen System. Die EU im neuen Ost-WestVerhältnis“, in: Lehmbruch, Gerhard, (Hrsg.), Einigung und Zerfall. Deutschland und Europa nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, Opladen 1995, S. 239-258, S. 242 183
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den Import westlicher Waren und Technologie186. Weidenfeld brachte es auf den Punkt: „Wenn die betroffenen Staaten ihre Exporte nach Westen nicht erhöhen können, verlieren sie mehr, als sie durch Transfer westlicher Finanzhilfe gewinnen.“187 Selbst bei der insgesamt positiven Beurteilung der Heranführungsstrategie der EU von Seiten der ostmitteleuropäischen Länder188 (hervorgehoben werden von ihnen die Assoziationsabkommen und das Weißbuch vom Mai 1995) werden für sie der asymmetrische Abbau von Handelshemmnissen bei weiter bestehenden Exportbarrieren zum Problem. Druck der EU-Öffentlichkeit Neue Aspekte kamen zusätzlich zu diesen genannten problematischen Politikfeldern ins Spiel durch die Fortentwicklung der EU (Binnenmarkt, Freizügigkeit, etc.). Auch unterliegt die Einschätzung von bestimmten Politikbereichen Veränderungen. So sind Verbraucherund Gesundheitsschutz sowie Lebensmittelsicherheit (siehe BSE), aber auch Umweltschutz und Reaktorsicherheit (siehe die Auseinandersetzung um die Atomkraftwerke Bohunice in der Slowakei, Ignalina in Litauen, Kozloduy in Bulgarien etc.) im Vergleich zu den 1970er Jahren viel prekärere Themen geworden mit hoher Wertigkeit auch in der Öffentlichkeit. So kommt es zum Beispiel, dass in der im Juni 2000 eröffneten Verhandlungsrunde der EG mit der ersten Gruppe über Gesundheitsschutz und Veterinärrecht (Teil eines Landwirtschaftskapitels) etwa in Bezug auf die Milchproduktion und das Fleisch verarbeitende Gewerbe die Sichtweise vor allem Polens und der Kommission aufeinander prallten: Auf der einen Seite stand die Forderung Polens, das z.B. nur zu einem Teil die EU-Standards der Milchproduktion erfüllt, nach Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen, auf der anderen Seite hatte die Kommission geringen Spielraum diesbezüglich189. Neuss weist auf ein viel grundsätzlicheres Problem hin, nämlich dass die Bürger der Mitgliedsstaaten erst einmal davon überzeugt werden müssen, (so viele) arme Nachbarn aufzunehmen, die über billige und gut ausgebildete Arbeitskräfte verfügen190. Dieses Problem der Akzeptanz für Erweiterungen in den Bevölkerungen der alten Mitgliedsstaaten hat sich an Hand der kontroversen Diskussion um den Beitritt der Türkei, aber auch jenseits dieser Frage gezeigt. So machen die Umfragen deutlich, dass die Bürger der EU sehr viel weniger Bedenken haben, Ländern wie Island, Norwegen oder die Schweiz aufzunehmen als etwa Albanien, SerbienMontenegro oder die Türkei.191 Frustrationseffekte im Beitrittsland Das Gerangel um Quoten für Artischocken oder Rindfleisch, das Warten auf ein konkretes Beitrittsdatum, die Stillstände bei den Verhandlungen (bei Spanien und Portugal) oder das Warten auf den Verhandlungsbeginn (in Ostmitteleuropa) haben – auch all dies ein gemeinsames Merkmal von Süd- und Osterweiterung – mannigfaltige Begleiterscheinungen: Frustrationen bei den Verhandelnden und der politischen Klasse insgesamt, Abnahme der Europabegeisterung in der Bevölkerung, Schwierigkeiten bei den Anpassungsprozessen etc. Es hat sowohl bei der Verhandlungs- bzw. Vorverhandlungsphase mit Spanien und Portugal 186
Vgl., a.a.O., Weidenfeld, 1995, S. 19f Ebd., S. 20 Siehe dazu die aufschlussreichen Meinungsbilder polnischer und tschechischer Eliten in a.a.O., in S. 54ff, S. 68ff 189 Siehe dazu auch FAZ, 27.5.2000, S. 13 190 Vgl., a.a.O., Neuss, S. 48 191 Vgl., Eurobarometer 64, Herbst 2005 187 188
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einerseits und insbesondere mit den Visegrád-Ländern andererseits erhebliche Spannungen und Differenzen geben, so dass man in beiden Fällen von einem angespannten Verhandlungsklima sprechen kann, das auf seinen Tiefpunkten als verbittert bezeichnet wurde auf Seiten der Bewerber. Ihre Verhandlungsmacht ist wiederum gering, was den Bewerbern auch bewusst ist und zusätzlich frustriert. Dazu kommt, dass sie ihrer Bevölkerung gegenüber auch Forschritte oder Erfolge vorzeigen müssen – etwa vor Wahlen – und daher auch innenpolitisch unter Druck stehen. Da die Argumentation der jeweiligen Regierungen für die Integration in die EU und die damit verbundene Abgabe von Souveränität – ein delikater Aspekt insbesondere die Länder, die gerade ihre Selbstbestimmung wiedererlangt haben nach jahrzehntelanger Fremdbestimmung durch den sowjetischen Hegemon – dahin geht, dass diese Integration die wirtschaftliche Misere überwinden würde, dem Land den Wohlstand bringen würde etc., ist jede Verzögerung schwer zu erklären und kann im schlimmsten Falle der Regierung das Vertrauen kosten. So brachten die bevorstehenden Parlamentswahlen im Oktober 1991 die polnische Regierung dazu, ihre maximalistische Position bei den Verhandlungen zu den Europa-Abkommen aufzugeben, denn nun ging es eher darum, die Abkommen als Erfolg zu präsentieren.192 Zwar ist die Verhandlungssituation asymmetrisch und die Macht der Bewerber daher gering. Sie haben nur oder immerhin eine „moralische Macht“. So konstatierte der spanische Regierungschef González im November 1983, dass er den Beitritt niemals aufgebe, niemals werde er den Europäern das Gewicht vom Gewissen nehmen, sich von dem Beitritt zurück zu ziehen“193 Oder ebenso der spanische Außenminister Fernando Morán: „Meine Regierung hat sich ernsthaft und fest vorgenommen, den Konsolidierungsprozess der spanischen Demokratie zum Höhepunkt zu führen. Der Gemeinschaft wird die Pflicht zu teil, soweit sie kann bei dieser Anstrengung solidarisch mit zu helfen und die Verantwortung für eine kollektive Frustration zu vermeiden.“194
Zudem haben trotz der anerkannten schwachen Verhandlungsposition vor allem die großen Länder – Spanien und Polen – durchaus „Krallen“ gezeigt. So zeigte sich die 1982 neu gewählte sozialistische Regierung Spaniens unter Felipe González, offensiver. González schickte im November 1983 einen Brief an die Regierungschefs, in denen er wiederum die moralische Karte spielte, zum anderen aber auch formell zu einer Positionsbestimmung in Bezug auf Spaniens Beitritt aufforderte195: „Meine Regierung erwartet (…) eine klare Haltung von Seiten der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaftsinstitutionen, die in einem vernünftigen Zeitraum die Integration Spaniens möglich macht. Das Gegenteilige würde eine schwere historische Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber dem spanischen Volk darstellen. (…) Aus diesem Grund und wegen des bevorstehenden Gipfels von Athen habe ich mich entschlossen, mich an Sie zu wenden, um zu wissen, welche Position genau die Ihrer Regierung in Bezug
192
Vgl., a.a.O., Torreblanca, S. 383f Pressekonferenz Felipe González, 17.11.1983, wiedergegeben in: MAE, Oficina de Información Dilomática, Actividades, Textos y Documentos de la Política Exterior Española, 1981ff, hier: S. 1983, S. 576 194 Erklärung des Außenministers, Fernando Morán vor dem Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 13.12.1982, in: MAE, 1982, S. 211-213, hier: S. 211 195 Ein Jahr später, am 15.10.1984 startete González eine ähnliche Briefaktion noch einmal. 193
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Auch die Visegrád-Länder übten Druck aus, vor allem Polen, mit dem Ziel, endlich die Verhandlungen der Europa-Abkommen zu beginnen. Auch sie glaubten, sie haben eine „moral kind of bargaining power“.197 Im Juni 1990 übersandte die polnische Regierung ein Memorandum mit Forderung für ein Assoziationsabkommen.198 Im Juli 1991 droht die Regierung, die Verhandlungen ab zu brechen, wenn ihre Wünsche nicht berücksichtigt würden.199 Oft bekam nicht nur das Vertrauen der politischen Klasse in das Engagement der EG Risse, sondern auch die Europabegeisterung der Bevölkerungen ging durch lange, zähe und ergebnisarme Verhandlungen teilweise drastisch zurück. Bereits 1982 lautete die Analyse des Eurobarometers: „In Spanien befürworten mehr als die Hälfte der Befragten den Beitritt ihres Landes zur Gemeinschaft, jedoch scheint sich eine gewisse Unentschlossenheit (…) abzuzeichnen, je länger sich die Verhandlungen hinziehen.“200
Das nächste Eurobarometer konstatiert, dass in Spanien und Portugal das Interesse für die EG abnimmt, „was zweifellos mit den schleppenden Verhandlungen und der damit verbundenen Aufschiebung des Beitritttermins zu tun hat.“201 Eine analoge Entwicklung der öffentlichen Meinung war in den ostmitteleuropäischen Ländern feststellbar. Das Image der EU fiel in sieben von den zehn Kandidatenländern zwischen 1991 bis 1995, um 10 bis teilweise 20 %. Nur in Polen und Rumänien bleibt das positive Image der EU immer über 40 Prozent. Ab 1996 stieg das Image wieder an; wenngleich langsam im Baltikum, Tschechien und der Slowakei. Interessant ist, dass das Image der EU in Polen, wo es immer recht hoch lag, weniger stark angewachsen ist als etwa in Bulgarien, Rumänien und Slowenien, die Polen inzwischen überholt haben.202 In allen anderen Ländern hat das Image der EU zwar zwischenzeitlich gelitten und die Unterstützung für einen EU-Beitritt ist streckenweise gesunken, seit 1997 ist die Tendenz jedoch wieder steigend. Die Befürwortung des EU-Beitritts in den Bevölkerungen wurde zunehmend auch deswegen relevant, da in allen mittelosteuropäischen Ländern, die 2004 beigetreten sind, die Beitrittsverträge per Referendum ratifiziert wurden. Nicht zuletzt angesichts dieser Referenden hatte der zuständige Kommissar für die Erweiterung, Günter Verheugen, eine Kommunikationsstrategie ins Leben gerufen, um die Kenntnis über die EU zu verstärken. 196
Texto de la Carta enviada por el Presidente del Gobierno Español a los Jefes de Estado o Gobrierno de los Paises miembros de la Comunidad Economica Europea, 18.11.1983 in: MAE, 1983, S. 842-843, hier: S. 842 197 A.a.O., Torreblanca, S. 259 198 Siehe dazu im Detail a.a.O., Torreblanca, S. 143ff 199 Vgl., ebd., S. 323 200 Eurobarometer 17, Frühjahr 1982, S. 88 sowie Tab. 48 201 Eurobarometer 18, Herbst 1982, S. 96 und Tab. 30 und 31 202 Von 1991 bis 1995 fiel das Image der EU in Bulgarien von 47 auf 27%, in Lettland 45 auf 35%, in Litauen von 51 auf 31%, in der Slowakei von 45 auf 35%, in Slowenien von 45 auf 35%, in der Tschechischen Republik von 49 auf 36%, in Ungarn von 51 auf 30%. In Polen lag der Wert 1990ff immer über 40%, in Rumänien immer über 50%. Vgl., Central and Eastern Eurobarometer 8 (CEEB 8), 1997, „European Union´s Image in…“, Annex, Abb. 8-17. Bis 2002 stieg es dann wieder auf folgende Werte: in Bulgarien 64%, in Lettland 37%, in Litauen 41%, in der Slowakei 47%, in Slowenien 62%, in der Tschechischen Republik 43%, in Ungarn 59%. Polen weist in 2002 den selben Wert auf wie 1991, nämlich 46%. Vgl., Candidate Countries Eurobarometer (CCEB), Frühjahr 2002, Abb. 4.1c, S. 53
1 Die EU als externer Akteur
137
Keine gemeinsame Front der Bewerber Bleiben wir bei der Perspektive der Kandidatenländer, so besteht eine interessante Parallele zwischen der Süd- und Osterweiterung darin, dass die Bewerber mitnichten – wie man eventuell vermuten könnte – gemeinsam, mit vereinten Kräften und kollektiv oder solidarisch ihr Ziel des Beitritts angehen. Das Gegenteil ist der Fall: Es bildet sich ein Konkurrenzverhalten heraus, das eher auf den eigenen Vorsprung gegenüber den anderen aus ist, als bestrebt, zusammen mit den anderen die Verhandlungsposition möglicherweise zu verbessern. So insistierte der griechische Ministerpräsident Karamanlis, nachdem sich seine Verhandlungen seit März und Juli 1977 mit denen Portugals und Spaniens überlappten und es in Brüssel Überlegungen zu einer „Globalisierung“, das heißt einer gleichzeitigen Verhandlungsführung mit der EG gab, „that Greek accession should not be linked with that of Spain and Portugal in a „globalization“ of the Community enlargement process.“203 Griechenland erhob Anspruch auf eine privilegierte Behandlung seines Beitrittsantrags wegen seins Assoziiertenstatus. Spanien war bestrebt, den kleinen Vorsprung, den Portugal durch den früheren Antrag hatte, aufzuholen. Portugal dagegen fürchtete, zum einen durch parallele Verhandlungen im Schatten der größeren Nachbarn zu stehen und dadurch zu wenig Aufmerksamkeit für seine speziellen Probleme zu bekommen. Als dann Schwierigkeiten mit Spanien auftraten, fürchtete Portugal, dass dies den Beitritt Portugals, wenn nicht gefährden, so doch verzögern könnte, was die Regierung dazu veranlasste, von der EG zu fordern, den portugiesischen Beitritt vom spanischen zu trennen. Dies lehnte die Gemeinschaft allerdings ab.204 Bei den Verhandlungen der Europa-Abkommen gab es dagegen von Seiten der Visegrád-Staaten den Ansatz einer Kooperation zu dem Zweck, „sich gegenseitig zu helfen, um die völlige Integration in die europäische politischem wirtschaftliche, Sicherheits- und legislative Ordnung zu erreichen“205. Mit der Gründung der Visegrád-Gruppe 1991 und diesem Zweckbündnis wollte man die Kräfte bündeln, um schneller das gemeinsame Ziel, EG-Mitgliedschaft, zu erreichen. Dass die EU sich dann nach der Unterzeichnung der Europa-Abkommen, Rumänien und Bulgarien zuwandte und mit ihnen relativ schnell ebenfalls Europa-Abkommen aushandelte, gefiel den Visegrád-Ländern überhaupt nicht, denn damit war ihre „spezial relationship“ mit der EU zu Ende, von der sie erhofft hatten, dass sie in eine schnelle Mitgliedschaft führen würde.206 Ungarn widersetzte sich heftig, die beiden Länder in die Visegrád-Gruppe aufzunehmen, und die Visegrád-Drei weigerten sich, eine Erklärung zu unterschreiben, in der die EG die Entwicklung von Beziehungen mit Rumänien und Bulgarien nach den gleichen Prinzipien ankündigt und die Freude darüber ausdrückt.207 In der Phase zwischen 1991 bis 1993 gab es somit eine funktionierende Kooperation Polens, Ungarn und der Tschechoslowakei im Hinblick auf die EG-Mitgliedschaft und dem gemeinsamen Druck auf die Gemeinschaft.208 Aber auch innerhalb der Visegrád-Drei nahm der Zusammenhalt ab, je weiter es auf den Abschluss der Verhandlungen zu ging, desto 203
A.a.O., Keesings`s, 8.4, S. 189; vgl., dazu a., a.a.O., Teske, S. 135f Vgl., ebd., S. 137f sowie a.a.O., Glaesner, S. 37 205 „Joint Declaration on cooperation on the road to European Integration“, zit. n. a.a.O., Torreblanca, S. 240 206 Vgl., a.a.O., Mayhew, S. 24. Weiter auch: “The Association Agreements lost their very special meaning…” 207 Vgl., a.a.O., Torreblanca, S. 438 und 479 sowie 482 208 Wenngleich auch jedes Land einen eigenen Ansatz hatte, und diese Ansätze nicht übereinstimmten, was dann auch 1993 – zusammen mit der Erweiterung der Gruppe der Assoziierten – zu einer Schwächung ihrer Position führte. Vgl., ebd., S. 438 204
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III Empirischer Teil: EU
deutlicher wurde, dass zu diesem Zeitpunkt manch einem der eigene Abschluss näher war, als die Möglichkeit, in der Schlussphase noch gemeinsam Konzessionen von der EG zu erreichen. Als die Tschechoslowakei ihre Kapitel geschlossen hatte, schloss sie die Verhandlungen, ohne auf ihre polnischen und ungarischen Partner zu warten; „In doing so, they completely underminded the possibility of exerting collective pressure in this final stage.“209 Zwischen dieser Gruppe, den südosteuropäischen Ländern – Rumänien und Bulgarien – sowie dem Baltikum, gab es keine gemeinsamen Positionen oder Aktionen der Art, wie des Gemeinsamen Memorandums der Visegrád-Gruppe von 1992.210 Die Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Subregionen begann mit der Ausdehnung der Assoziierungsabkommen über die Visegrád-Gruppe hinaus. Innerhalb der ersten Gruppe beäugte man die Fortschritte des Nachbarn im Vergleich zu den eigenen; in der zweiten Gruppe drehte es sich um die Frage, wer es denn als nächstes in die erste Gruppe schaffen würde. Diese Situation hatte freilich auch den positiven Aspekt, dass etwa die Slowakei einen besonderen Ehrgeiz entwickelte, ähnlich auch Lettland und Litauen, die natürlich mit Estland gleichziehen wollten. Außenwirkungen Ein wichtiger Aspekt der Erweiterungen waren die Außenwirkungen. Damit ist nicht nur das größere Gewicht der EG/EU gemeint, insbesondere nach der Osterweiterung. Die Erweiterungen zogen immer auch Implikationen für andere Bereiche des Außenhandelns nach sich. So intensivierte die EG auf Anregung Spaniens und Portugals und mit Hilfe deren Brückenfunktion die Beziehungen zu Lateinamerika. Im Zusammenhang mit der Osterweiterung entwarf die EU das neue Politikfeld der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit der sie im Süden und Osten einen Stabilitätsring zu schaffen anstrebt.211 In beiden Fällen hat sich gezeigt, dass die EG/EU dabei das Instrumentarium der Assoziierung intensiv nutzt. Auf Grund dieser nicht kompletten, aber doch sehr charakteristischen Punkte lässt sich erkennen, dass auf der „informellen“ Seite der Erweiterungsrunden doch etliche Parallelen ergeben. Die erhebliche Ausdifferenzierung des Erweiterungsverfahrens von jenem minimalen Gerüst der 1960er Jahren bis zu jenem komplexen Gebilde, das seit den 1990er Jahren besteht, kann man auf zweierlei Art auslegen: Einmal als mangelnde Vorbereitung bzw. fehlendes Konzept oder als Flexibilität und Lernfähigkeit der EG. Beides ist richtig. Die Frage ist allerdings, ob das minimale Gerüst und die „kumulative Methode“ nicht auch Vorteile in sich bergen. Gerade die Süd- und Osterweiterung zeigten, dass im Zuge der Annäherung oder Verhandlungen bislang ungekannte Probleme austauchen können, für die dann ohnehin neue Herangehensweisen oder Instrumente ersonnen werden müssen. Diese beiden Erweiterungen, die gleichzeitig mit den Reformprozessen der Bewerberländer abliefen, warteten mit solchen Problemen auf. Das können völlig unvorhersehbare Ereignisse sein wie der Putsch im Falle Spaniens oder die Trennung der Tschechoslowakei. Oder es handelt sich um Aspekte, die erst sichtbar werden im Verlauf des Reformprozesses. Gerade 209
Ebd., S. 387 Siehe dazu a. III. 2.2 211 Mit den Mittelmeeranrainern bestehen im Rahmen von Euromed bereits seit 1995 Assoziationsabkommen. Mit Moldau, der Ukraine und Weißrussland (suspendiert) sowie den Staaten des Südkaukasus (Georgien, Armenien und Aserbaidschan) wurden 1998/99 solche Abkommen geschlossen. 210
1 Die EU als externer Akteur
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bei der Osterweiterung wurde die EU mit bisher ungekannten und andersartigen Herausforderungen und Schwierigkeiten konfrontiert (Nachbarschaftskonflikte, Missachtung der Minderheitenrechte, Schwäche des Justiz- und Verwaltungsapparates, Korruption, fehlende zivilgesellschaftliche Strukturen). Für diese Probleme hatte die EU in der Tat kein Konzept in der Tasche und handelte daher reaktiv. Mit den dann ins Leben gerufenen Maßnahmen nahm sie dann aber das Zepter in die Hand. Man kann durchaus von einem „Lernprozess“ der EU sprechen oder Anpassungsprozess an die neuen Parameter, die zunächst die postautoritären, dann die post-sozialistischen Länder bereithielten. Das sieht freilich aus dem Blickwinkel der Bewerber anders aus: Für die Kandidaten stellte das fehlende Konzept (Fahrplan, Zeithorizont etc.) meist ein Problem dar. Die Flexibilität wiederum kann ihnen durchaus auch zum Vorteil gereichen, wenn kurzfristige Maßnahmen ins Leben gerufen werden (Aktionsplan zur Verstärkung der Verwaltungskapazitäten) oder Strategien modifiziert werden (catch up-Prinzip). Nimmt man die Konzeptlosigkeit der EG/EU in den Blick, muss man unterscheiden zwischen der Phase vor einer potentiellen Demokratisierung oder Krise (Konzept für eine bestimmte Region), der direkten Reaktion auf ein Ereignis wie den Zusammenbruch eines Regimes und der Politik während der Demokratisierung. Richtig ist, dass die EG im Falle Südeuropas kein Konzept für diese Region hatte und dann, als die Krise auftauchte, nur noch reagieren konnte. dies trifft analog auf Osteuropa zu. Nach den Krisen gab das Angebot - mindestens einer Annäherung, maximal einer Mitgliedschaft in der EG - die Richtung vor, wenngleich es dazu ebenfalls kein fertig ausgearbeitetes Konzept gab. Das Vorgehen entwickelte sich also mit den Ereignissen, manchmal auch hinter den Ereignissen herhinkend. Die EG hatte zwar keinen Spielplan, aber einen Ball in der Hand: die Aussicht auf Mitgliedschaft. Mag auch das Konzept gefehlt haben, es existierte ein Leitgedanke, der freilich an sich keine Strategie ausmacht, aber Ziel und Weg markiert: Das Ziel stellte die Mitgliedschaft dar, der Weg führte über die Demokratie. Auch eine Methode hatte sich, wiederum in einem work in progress herausbildete. Die politische Konditionalität wurde in dem Transformations- und Integrationsrahmen zur zentralen Methode, zum Verbindungsglied zwischen dem Ziel der EG/EU – Demokratie - und dem Ziel des Bewerbers – Mitgliedschaft -. Ist diese besondere Konditionalität der EG die Hauptstrategie ihrer Demokratisierungsförderung? Welches Einfluss- und Steuerungspotential erwächst der EG durch das Angebot der Integration und das damit implizite Anreizsystem zur demokratischen Reform? Um diese Hauptfrage der Arbeit zu beantworten, sind das Analyseschema und die Leitfragen erarbeitet worden. Das erarbeitete Schema gibt den Untersuchungsweg vor: Die Variablen externer Kontext, transnationale Interaktion und internationale Verortung werden für jede Phase im Kontinuum geprüft, jeweils am spanischen und am slowakischen Beispiel. Die Variable Transnationale Interaktion wird Antwort geben auf die Fragen nach Motiven und Zielen, nach Methoden und Instrumenten der EG/EU und nach den Ergebnissen ihrer Maßnahmen und Einflüsse.
140 2
III Empirischer Teil: EU Die EU und ihre Politik gegenüber Spanien. Motive und Ziele, Methoden und Instrumente, Einflüsse und Ergebnisse
Im Folgenden wird der Einfluss der EG auf den spanischen Demokratisierungsprozess untersucht. Als Grundlage dient das erstellte Analyseschema, dem gemäß jede einzelne Phase betrachtet wird. Die erste demokratische Erfahrung stellt demnach die Zweite Republik dar. Ihr folgt die lange undemokratisch geprägte Phase des Bürgerkriegs und der autoritären Diktatur Francos. Das Regimeende fällt mit der Agonie Francos zusammen und tritt mit seinem Tod 1975 ein. Der Weg für die entscheidenden Phasen – demokratische Transition und Konsolidierung - ist geöffnet. In jeder Phase der spanischen Demokratisierung werden die drei generierten Variablen - Internationale Verortung, Externer Kontext und Transnationale Interaktion – untersucht und ihr Zusammenwirken herausgearbeitet. Die Transnationale Interaktion – also die Einflussnahme der EG und die Reaktionen der Teilbereiche des spanischen Systems – werden differenziert in die strategische Ebene: Motive und Ziele sowie in die Umsetzungsebene: Methoden und Instrumente. Schließlich werden die Ergebnisse der Maßnahmen festgestellt und ihr Einfluss gewichtet. Abbildung 16:
Analyseschema für die spanische Demokratisierung
Externer Kontext
Zweite Republik 1931-36
FrancoDiktatur 1936-1975
Agonie des Regimes 1973-75
Transition 1975-1979
Konsolidierung 1979-1986
Konsolidierte Demokratie
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Europa, EG
2 Die EU und ihre Politik gegenüber Spanien
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2.1 Die vorautoritäre Phase: demokratische Erfahrungen in der Zweiten Republik Der Akteur Europäische Gemeinschaft fehlt in dieser Phase in Bezug auf unsere Fragestellung. Die europäischen Mächte aber und auch der externe Kontext spielten bei dem Scheitern der vorautokratischen demokratischen Erfahrung der Zweiten Republik Spaniens eine Rolle.1 Die Betrachtung der Zweiten Republik versteht sich als Freilegen von geistighistorischen Grundlagen oder Grundorientierungen, die bereits vor der Franco-Zeit relevante Aspekte konditionierten, wie die internationalen Positionierung des Landes, damit zusammenhängende außenpolitische Fragen und Entscheidungen (Marokko, Neutralität oder Isolierung) sowie nationale Debatten über die Identität des Landes (Verlust des Großmachtstatus, Zugehörigkeit zu Europa). In dieser Phase sind zudem grundlegende Handlungsund Denkmuster zu finden, auf die während der Transition bzw. Konsolidierung zurückgegriffen oder Bezug genommen wurde oder deren Wirkung sich bis in diese Phasen hineinzog. Schließlich fragt sich auch, wie sich das Scheitern einer ersten demokratischen Erfahrung bei späteren Versuchen demokratischer Transition niederschlägt. 2.1.1 Internationale Verortung: das Binom Spanien-Europa Die Frage der Zugehörigkeit zu Europa war bereits im Spanien des 19. Jahrhundert immer auch zugleich mit der prekären Frage der nationalen Identität Spaniens verbunden gewesen. Diese beiden miteinander verknüpften Fragen fanden sich - gerade auch in Intellektuellenzirkeln - polarisiert: Zuwendung zu Europa – hauptsächlich verkörpert durch Frankreich – bedeutete positiv gesprochen: aufklärerische und liberale Ideen, Kosmopolitismus, Fortschritt für Wirtschaft und Land, Modernisierung der Gesellschaft, und negativ gesprochen: Verdorbenheit durch Aufklärung und Liberalismus, Republikanismus und Laizismus, Zerstörung der katholischen Fundamente der Gesellschaft und ihrer fest gefügten, traditionellen Ordnung. Diese ideologische Spaltung spiegelte sich in dem Begriff der „zwei Spanien“ – „las dos Españas“ – wider, deren konfrontative und nur schwer versöhnliche Polarisierung die Entwicklung des Landes im 20. Jahrhundert prägte. Die fehlende ideologische Kohäsion manifestierte sich seit Beginn jenes Jahrhunderts in konkreten Erscheinungen der Dissoziierung, die sich nicht lösen ließen und schließlich im Bürgerkrieg ihre gewaltsame Konfrontation fanden.2 Auch die Frage der „europeización“, also „Europäisierung“3, spaltete die Bevölkerung. Für die Einen bedeutete die Öffnung nach Europa die Chance, die Rückschrittlichkeit einer durch provinzielles, traditionalistisches Denken klerikal und katholisch geprägten Gesell1 Dies regte auch den Vergleich zwischen dem externen Umfeld von 1931 und dem von 1975 an. Siehe dazu Neila Hernández, José Luis, „Europa como paradigma en los procesos de transición política en España: dos momentos y un mismo desafío (1931 y 1975)”, in: Tusell, Javier, (Hrsg.), Historia de la transición y consolidación democrática en España, Madrid 1996, Bd. 2, S. 213-233 2 Vgl., Tuñón de Lara, Manuel, “Orígenes lejanos y próximos”, in: Tuñón de Lara, Manuel/Aróstegui, Julio/Viñas, Angel, Cardona, Garbiel/Bricall, Josep M., La Guerra Civil Española. 50 años después, Barcelona 1989, S. 7-45. Siehe auch ders., La segunda república, Madrid 1976 3 In diesem Sinne ist der Begriff der “Europäisierung” als Orientierung an Europa bzw. den europäischen Werten und europäischer Politik zu verstehen und unterscheidet sich damit von anderen Aspekten von Europäisierung, wie sie etwa auch der Europaforschung zu Grunde liegen. Dort wird Europäisierung auch als der konkrete Prozess der strukturellen Angleichung an die EU-Institutionen und rechtlichen Standards verstanden oder als der Einfluss der EU auf die Ausgestaltung der Institutionen, Strukturen oder Prozesse in den Mitgliedsstaaten.
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III Empirischer Teil: EU
schaft aufzuholen und sich der Moderne, die die anderen Nationen bereits atmeten, anzuschließen. Für die Befürworter oder Nutznießer der nationalistisch-konservativen, ländlichkatholischen und autoritär-monarchistischen Ordnung dagegen lag das Ziel darin, den Status quo zu erhalten, was durch Abschottung gegen die „gefährlichen“ Ideen jenseits der Pyrenäen erreicht werden sollte. Das Binom Spanien-Europa stellte einen konstanten Faktor in der Geschichte Spaniens dar; nicht zuletzt auch wegen einiger fundamentaler historischer und geographischer Bedingtheiten: Da ist, erstens, die Lage am Rande Europas und als Halbinsel, die das Gefühl der Isolierung als abseitige Welt verstärkte, zweitens, die vergangene, durch Dekadenz zersetzte Größe und drittens, die Tendenz, im Süden das Grenzkonzept zu polarisieren.4 Dazu kommt der Entwicklungsunterschied, der in Spanien zu einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Rest des Kontinents führte. Es ergab sich eine Spannung zwischen „Modernisierung“ und „casticismo“5, wobei Modernisierung die Konvergenz mit dem Modell der europäischen Großmächte implizierte und casticismo die Selbstbestätigung der spanischen Eigentümlichkeit bedeutete. Neben dieser Spannung zwischen Hinwendung oder Rückzug von Europa war für die nationale Identität Spaniens das „Desaster von 1898“ prägend. Die Niederlage Spaniens im spanisch-amerikanischen Krieg, der die einst größte und wichtigste Kolonialmacht ihre letzten Kolonien verlieren und damit nicht nur das Restaurationssystem zusammenbrechen ließ, löste im Land ein nationales Trauma aus. „1898“ spitzt die jahrzehntelang diskutierte Frage nach der Rolle Spaniens in der Welt und in Europa auf drastische Weise zu: Wie sollte sich Spanien jetzt definieren? Die existenzielle Frage, wohin das Land gehöre, beschäftigte Gazetten, Redezirkel und politische Debatte und gab einer Literatengeneration ihren Namen. Das Land blieb gespalten. Auf eine kurze Formel gebracht, ging es um Modernisierung qua Europäisierung: ja oder nein. „Das Erwachen aus dem imperialen Traum“, so Bernecker, „löste in Spanien eine gewaltige Bewegung aus…“. Viele der Intellektuellen „erblickten Spanien in einer tiefen Krise, aus der nur die Rückbesinnung auf das ´wahre Wesen´ und die ´Europäisierung´ des Landes herausführen konnte“.6 Dafür steht die programmatische Formulierung Jose Ortega y Gassets: „Regeneration ist untrennbar verbunden mit Europäisierung (…). Regeneration ist der Wunsch; Europäisierung ist das Mittel, ihn zu erfüllen. Tatsächlich war von Anfang an zu erkennen, dass Spanien das Problem und Europa die Lösung ist.“7 Die politische Geschichte Spaniens zwischen 1898 und 1923 kann man nach Raymond Carr als verlängerten Versuch betrachten, das parlamentarische System zum Leitfaden der Regeneration des Landes zu machen, es dabei gegen die Attacken seiner Gegner und vor seinen eigenen Scheitern zu schützen.8 Dies war allerdings ein Versuch, der misslang auf Grund des Beharrungsvermögens des Systems selbst und auf Grund der externen Krisen – des Ersten Weltkrieges und des marokkanischen Krieges, insbesondere der Niederlage von
4 So eine in Spanien als „klassisch“ rezipierte Definition von José María Jover Zamora, „La percepción española de los conflictos europeos: notas históricas para su entendimiento”, in: Revista de Oriente, Nr. 57, Februar 1984, S. 9-11 5 Das Attribut „castizo“ steht für das ‚wahrhaftig Spanische’. 6 Bernecker, Walther L., Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1990, S. 220 7 Ortega y Gasset, José, “Nueva revista”, in: Obras Completas, Madrid 1961-63, Bd. 1, S. 104 8 Vgl., Carr, Raymond, España 1808-1975, Barcelona 1988, S. 453
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1921. Sowohl die Diktatur Primo de Riveras von 1923 bis 19309 als auch die Zweite Republik blieben geprägt von der ideologischen Spannung bzw. Spaltung der spanischen Gesellschaft. Selbst während des Ersten Weltkriegs spielt die Spaltung in „las dos Españas“ eine Rolle. Spanien hatte sich zwar neutral erklärt, nichtsdestotrotz gab es Parteinahme sowohl für die Alliierten als auch für die Deutschen. Dabei waren aber die „germanofilia“ wie die „aliadofilia“ nicht bloße Sympathiebekundungen für einen der Blöcke, weil jeder ein anderes politisches und soziales Modell repräsentierte, „sondern Transpositionen derjenigen Modelle, die diese europäischen Ländern verkörperten, auf die nationale Ebene“.10 Auf diesem Hintergrund müssen auch die – in den Worten Berneckers -„Problemachsen“ gesehen werden, die die Zweite Republik geerbt hatte: die Agrarfrage, Neuverteilung des Grundeigentums zur Zerschlagung des Latifundismus, den katalanischen und den baskischen Nationalismus, das Zurückdrängen der starken Stellung der Kirche und des Militärs im Staat. Während der Zweiten Republik konnten weder diese Probleme beseitigt werden, noch reduzierte sich die ideologische Polarisierung. Und die Republik war zu schwach, um die Angriffe sowohl von links und als auch von rechts abzuwehren.11 Spanien musste sich nach dem Desaster von 1898 auch außenpolitisch völlig neu orientieren. Die internationale Position des Landes hatte sich fundamental gewandelt: Es war militärisch besiegt, diplomatisch gedemütigt in den Friedensverhandlungen und vollkommen isoliert im Konzert der Nationen. Seine territoriale Struktur war reduziert auf die Halbinsel, die Balearen, die Kanaren sowie Ceuta und Melilla in Nordafrika. Mit dem Verlust der Überseekolonien waren auch die strategischen Interessen in Amerika und im Pazifik verschwunden. Spanien war eine Macht zweiter Ordnung geworden, mit regionalen Interessen im westlichen Mittelmeer und an der Enge von Gibraltar. Damit war es nicht nur auf Grund seiner geografischen Lage, sondern auch wegen der militärischen Schwäche auf eine marginale Rolle zurückgestuft hinsichtlich der großen politischen Fragen, die man im Zentrum des Kontinents entschied. Es herrschte in Spanien das Gefühl, vom Subjekt des internationalen Rechts zum Objekt der Aufteilung geworden zu sein. Dies führte zu einer besonderen Sensibilität in Bezug auf die Erhaltung dieser bereits reduzierten Territorialität und zu einem permanenten Gefährdungsgefühl, was die Inseln und Nordafrika anging.12 Spaniens vitales Interesse war es, zu jedem Preis den Status quo zu erhalten; das Hauptproblem war, die Sicherheit gegen eine nicht provozierte Aggression von außen zu garantieren. Dazu gab es grundsätzlich zwei Optionen: Die eine hieß Neutralität oder Isolierung, die andere war, sich unter den Schutz der Großmächte zu stellen. Spanien wurde in dieser Situation der zunehmenden politischen Unsicherheit und Spannung in Europa von 9 Zwar gab es in den Kreisen Primo de Riveras Bewunderung für Mussolini. Die Diktatur Primo der Riveras kann man jedoch nicht als faschistisch bezeichnen. Dazu ebd., S. 545. Nach Tamames lassen sich die Merkmale des italienischen Faschismus – Einheitspartei, korporative Versammlung, Intervention der Hochfinanz und der Monopole in die Wirtschaft etc. – bei Primo de Rivera nicht feststellen. Vgl., Tamames, Ramón, La República, La Era de Franco, Madrid 1983, S. 18 10 Espadas Burgos, Manuel, “España y la Primera Guerra Mundial”, in: Tusell, Javier/Avilés, Juan/Pardo, Rosa, (Hrsg.), La política exterior de España en el siglo XX, Madrid 2000, S. 95-117, hier: S. 107 sowie Powell, Charles T., „Spain´s external relations: 1898-1975“, in: Gillespie, Richard/Rodrigo, Fernando/Story, Jonathan, (Hrsg.), Democratic Spain. Reshaping external relations in a changing world, London/New York 1995, S. 11-30, hier: S. 13 11 Vgl., a.a.O., Bernecker, 1984, S. 36 12 Siehe zu den Gründen und Hintergründen ausführlich Niño, Antonio, „Política de alianzas y compromisos coloniales para la ´Regeneración´ internacional de España, 1898-1914”, in: Tusell, Javier/Avilés, Juan/Pardo, Rosa, (Hrsg.), La política exterior de España en el siglo XX, Madrid 2000, S. 31-95, hier: S. 35ff
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einem zentralen Motiv geleitet: Unter keinen Umständen wollte es in eine kriegerische Auseinandersetzung hineingezogen werden. Hinsichtlich der europäischen Politik strebte es somit auf jeden Fall nach einer neutralen Rolle. Andererseits hatte zu dieser Position nicht den notwendigen Verteidigungsapparat. Daher war die zweite Option, eine Allianz mit den Großmächten, die billigere. Zudem deckte sie sich mit der allgemeinen Meinung, dass Spanien aus seiner Isolierung heraustreten solle. Solch eine Allianz wiederum setzte das Interesse der Großmächte voraus. Dieser Gleichklang der Interessen bestand allein in Bezug auf das Mittelmeer und Marokko. Man muss diesen Hintergrund von „1898“ und die Ängste um die territoriale Integrität kennen, um zu verstehen, dass man in Spanien „die spanische Politik hinsichtlich Marokkos von Anfang an als Teil der Politik der Verteidigung des Landes auffasste“.13 Gleichzeitig stellte die starke Fokussierung auf Marokko natürlich auch einen einfachen Ausweg dar, um die Niederlage von 1898 und die damit insbesondere für das Militär verbundene Demütigung wieder wett zu machen und die kolonialen Nostalgien zu beruhigen. Das Problem Marokko zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Spaniens im 20. Jahrhundert und beeinflusst seine Entwicklung mehrmals direkt oder indirekt. Nicht unwichtig ist auch, dass der dortige langjährige Konflikt die Mentalität der Offiziere deformierte und sie von der zivilen Gesellschaft Spaniens entfernte.14 Die Niederlage von 1921 im marokkanischen Konflikt nährte zusätzlich die Hypersensibilität und die Bereitschaft, über den eigenen Radius hinaus aktiv zu werden. So war auch Francisco Franco „in seiner Erfahrung durch und durch von Afrika geprägt“.15 Diese zwei zentralen Fragen – die Garantie für die territoriale Integrität und die Marokko-Frage, für Spanien untrennbar miteinander verbunden – markierten das außenpolitische Handeln der nächsten Jahrzehnte und wurden zu Kristallisationspunkten in einer Phase der Redefinition nationaler Identität. Dass es sich hier um langlebige Sedimente des spanischen politisch-nationalen Selbstverständnisses handelt, lässt sich daran erkennen, dass beide Fragen immer wieder die nationale Debatte und auch die politische Entscheidungsebene beschäftigt haben, sei es in Schlüsselsituationen wie während des Regimeendes, in der Transition oder gar bis in die jüngste Gegenwart, man erinnere sich an die, wenn auch sehr begrenzte, aber immerhin militärische Auseinandersetzung um die Isla Perejil 2002. Wichtig festzuhalten ist, dass der Versuch der „regeneración“ der spanischen Außenpolitik darauf beruhte, die Isolierung aufzugeben. Diese Grundlage für die internationale Orientierung, die bis 1936 galt wurde in Form der Allianz mit Großbritannien und Frankreich in den Jahren zwischen 1898 und 1907 gelegt. 2.1.2 Externer Kontext: das Aufblühen der Demokratie in der Ära der Totalitarismen Der Demokratieversuch der Zweiten Republik kam verspätet. Nachdem sich in der zweiten Demokratisierungswelle nach 1919 das demokratische Modell in Europa verbreitet hatte, 13 Ebd., S. 45. “Aus spanischer Perspektive erschien das marokkanische Problem nicht als eine koloniale Frage, sondern als ein Problem der nationalen Verteidigung.“ (S. 61) Siehe dazu auch Palomares Lerma, Gustavo, “La Política Exterior Española: de la Dictatura de Primo de Rivera a la Guerra Civil”, in: a.a.O., Abu Warda/Aldecoa/del Arenal, S. 47-71, a.a.O. Espadas Burgos, S. 100f und a.a.O., Tuñón de Lara, S. 14 14 Vgl., ebd. 15 Siehe dazu die hervorragende und konzise Darstellung von Fusi, Juan Pablo, Franco. Spanien unter der Diktatur 1936-1975, München 1992, in diesem Zusammenhang besonders „Als Soldat in Afrika“ (S. 9-34), hier: S. 15
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produzierte sich die Demokratisierung Spaniens paradoxerweise, während Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus aufstiegen. Dass sich am südlichen Rande Europas ein neues Regime installierte, ohne Blutvergießen und unter einstimmiger und begeisterter Akklamation des Volkes „schien in Europa wie ein romantisches Aufblühen von Demokratie in der Ära der Totalitarismen“16 Die Zweite Republik begann in vollem Vorkriegskontext und - ebenso erschwerend - inmitten der Weltwirtschaftskrise. Diese externen Rahmenbedingungen für die spanische Demokratie zwischen 1931 und 1936 waren sehr ungünstig, wenn nicht widrig. Das Umfeld war bestimmt von zunehmender Ideologisierung auf den beiden politischen Extremen, von zunehmender Aufrüstung und Spannung auf dem Kontinent. Die politisch-ideologische und die soziale Dissoziierung Spaniens fand durch die gleichermaßen gespaltenen europäischen Gesellschaften und ihre zunehmende Konfrontation in den 1930er Jahren zusätzliche Nahrung. Sowohl die antidemokratischen Wege Mussolinis und Hitlers als auch die ideologische Aufladung wie in Frankreich und Österreich spiegelten sich in dem Hochschaukeln radikaler linker und radikaler rechter Aktivitäten in der ohnehin seit 1933 krisenhaften politischen Situation Spaniens wider. Die Konsolidierung der spanischen Demokratie scheiterte nach Stanley G. Payne an drei Dingen: Erstens, an strukturellen Probleme wie den sozioökonomischen Schwierigkeiten und dem Problem der Nationalismen; zweitens, an den problematischen Umständen der internationalen Bedingungen und, drittens, an den politischen Problemen auf Grund der politisch-ideologischen Radikalisierung, die begünstigt wurde durch den fehlenden Konsens in Bezug auf die neue Verfassungsordnung.17 Das heißt, neben anderen Faktoren spielten die internationalen Rahmenbedingungen eine Rolle beim Scheitern der Demokratie der Zweiten Republik. 2.1.3 Transnationale Interaktion: Neutralität, keine Isolierung Wie dargestellt war die Bedeutung Spaniens als Akteur in Europa und global seit 1898 ohnehin sehr gering. Als Macht zweiter Ordnung waren seine Möglichkeiten, die großen Fragen in Europa mit zu beeinflussen, praktisch gleich null. Dabei darf man nicht vergessen, dass Spanien bereits auf dem Wiener Kongress seine Großmachtstellung verloren hatte und ohnehin im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die innenpolitischen Probleme und die wirtschaftliche Rückständigkeit nicht mehr an den kontinentaleuropäischen Angelegenheiten beteiligt war. Und nachdem Spanien während des Ersten Weltkrieges neutral geblieben war, konnte es dann in Versailles wiederum nicht teilhaben an der Neuordnung des Nachkriegseuropas. Das heißt, Spanien sah sich in seiner marginalen Bedeutung bestätigt. Der Krieg in Marokko wurde daher auch als Versuch interpretiert, wieder als europäische Kraft ernst genommen zu werden.18 Während Tamames konstatiert, die Zweite Republik habe keine Außenpolitik betrieben außer den Aktivitäten im Völkerbund durch den bekannten Intellektuellen Salvador de 16
Egido León, Angeles, „La dimensión internacional de la segunda República: un proyecto en el crisol”, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, S. 189-220, hier: S. 189 17 Vgl., Payne, Stanley G., Spain’s first democracy. The Second Republic 1931-1939, Wisconsin 1993, siehe dort insbesondere S. 373ff 18 So Susana Sueiro Seoane, „La política exterior de España en los años 20: una política mediterránea con proyección africana”, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, 2000, S. 135-159
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Madariaga19, erkennen andere spanische Historiker den „ernsthaften und überzeugten Versuch, innerhalb des Reformprojektes eine wirkliche Außenpolitik zu artikulieren“20 bzw. sehen in der eingeschlagenen Politik eine neue Richtung, die die Zweite Republik von der vorherigen Außenpolitik abhebt.21 Diese neue Richtung bestand - im Gegensatz zur vorherigen Isolierung - in „aktivem Pazifismus“ innerhalb des Völkerbundes und „positiver Neutralität“ mit aktiver Teilnahme in den internationalen Organisationen. Dazu gehörte auch das Konzept, die internationalen Beziehungen unter demokratischen Gesichtspunkten zu sehen, zur Konfliktlösung beizutragen und die Prinzipien des Völkerbundes explizit – insbesondere in der Verfassung verankert - anzuerkennen. Diese Außenpolitik lässt sich auf folgende Formel bringen: „Neutralität, ja, aber keine Isolierung; Kontinuität, ja, aber keine Abhängigkeit; Pragmatismus ja, aber kein Sich-Fernhalten“.22 Wer aber waren die Akteure, national und international? Die nationale Außenpolitik war in der Hand der Paläste, Kanzleien, in der Hand eines reduzierten Personenkreises. Dazu kam ein erweiterter Kreis von Intellektuellen und Politikern (Abgeordnete, Diplomaten, Publizisten), die sich mit Außenpolitik beschäftigten und sie interpretierten. Im Allgemeinen war die große Masse der Bevölkerung an außenpolitischen Fragen nicht interessiert. Marokko dagegen war ein Thema, bei dem sich die innenpolitischen Implikationen immer wieder zeigten.23 Für die außenpolitische Orientierung der Zweiten Republik spielten die Intellektuellen eine hervorgehobene Rolle. Das Konzept der „Regeneration durch Europäisierung“, das die intellektuelle Debatte seit 1898 durchzog, bildete die Leitlinie für die Politik der Zweiten Republik im Äußeren – theoretisch allemal, praktisch begrenzt umgesetzt. Was konnte Europa zu dieser Zeit bedeuten? Zum einen die Großmächte; da orientierte sich Spanien an Großbritannien und Frankreich, teils noch an Italien, zum anderen der Völkerbund. Hier betrieb Spanien eine aktive Politik. Die Teilnahme am Völkerbund, die Verankerung seiner Grundsätze in der Verfassung von 1931 und damit die Übernahme seiner Grundnormen für die internationalen Beziehungen, bedeuteten für Spanien zwei zentrale Schritte: weg von der Isolierung, hin zu der damals wichtigsten und einzigen europäischen Organisation einerseits; und andererseits der Versuch, die außenpolitischen Beziehungen des Landes unter international anerkannte Normen zu stellen. Politiker und Intellektuelle der Zweiten Republik waren getragen von dem Gedanken eines Reformprojektes im Inneren, das für sie implizit verbunden war mit der Öffnung für die Ideen und Strukturen, die das kontinentale Europa verkörperten. Nach außen hin bedeutete das – so dachte es die Generation von 1898 und von 1914 vor – Europäisierung. Das republikanische Reformprojekt war verknüpft mit der Option für die Friedensideale, die die Völkergemeinschaft repräsentierte, denn man glaubte, dass dieses Projekt nur möglich war in einem internationalen Kontext von Stabilität und Frieden.24 Zusammenfassend kann man sagen: Europa befand sich im Zentrum der nationalen Debatte und der Bemühungen der Elite um Modernisierung und stellte so als Kontext und Referenz einen „Schlüsselmoment zur Erklärung der Transitionsprozesse zur Demokratie“ dar.25 Europa als Paradigma bedeutete für Spanien in dieser Zeit Anschluss an den Teil des 19
Vgl. a.a.O., Tamames, Kapitel 4.7 „La política exterior. España en la Sociedad de Naciones”, S. 193-197 A.a.O., Palomares Lerma, S. 63 Vgl., a.a.O., Egido León, S. 197 und 219ff 22 Ebd., S. 220 23 Vgl., dazu a.a.O., Niño, S. 40f 24 Vgl., ebd., S. 68 25 A.a.O., Neila Hernández, S. 214 20 21
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Kontinents, der politischen, wirtschaftlichen, technologischen, geistigen und sozialen Fortschritt verkörperte, und Modernisierung auf all diesen genannten Gebieten zur Überwindung des eigenen, selbstverschuldeten Rückstandes. Die Option für „Europa“ muss auf dem Hintergrund des binomischen Denkmusters gesehen werden, bei dem die traditionellen, nationalistisch-konservativen, ländlich-katholischen und autoritären Kräfte für das Abschotten optierte. Das Paradigma Europa hatte somit auch eine zentrale Bedeutung als Option für ein Konzept internationaler Verortung, das die Randlage und Isolierung Spaniens beenden sollte. Dieses Konzept wurde insofern umgesetzt, als das Engagement im Völkerbund eine Hinwendung zu den Demokratie, Frieden und Freiheit verpflichteten europäischen Ländern bedeutete. Somit zeigt sich, dass das Spanien der Zweiten Republik, zumindest von 1931 bis 1933, seine internen Erwartungen (Modernisierung) und die Definition seiner internationalen Position in eine enge Verbindung brachte.26 2.2 Die vordemokratische Phase: die autoritäre Franco-Diktatur Die zu untersuchende autoritäre Phase des Franquismus27 ist relativ lang und sie umfasst mehrere Zeitabschnitte: den Bürgerkrieg, den Zweiten Weltkrieg und schließlich die längste Periode von 1945 bis 1975, die gemeinhin nochmals unterteilt wird in den Abschnitt der Isolierung und Autarkie (1945-1957), den Abschnitt der Öffnung (1957-1967), schließlich den Abschnitt der Krise (ab 1967) und Agonie (1973-1975). Für unsere Betrachtung bietet sich an, die Franco-Zeit zu unterteilen in die Zeit vor 1957, wobei unter der Variable „externe Akteure“ Westeuropa, die USA sowie internationale Organisationen wie UNO zu fassen sind, und ab 1957, als die EWG28 als externer Akteur ins Spiel kam. 2.2.1 Die Franco-Diktatur bis 1957: von der Isolierung zur partiellen Einbindung Internationale Verortung: gespalten wie das Land Die internationale Verortung der Bürgerkriegszeit zu identifizieren, ist insofern schwierig, da mit der Spaltung des Landes zwei verschiedene internationale Verortungen einhergingen, so wie es tatsächlich zwei spanische Außenpolitiken gab: die der republikanischen Regierung und die der nationalistischen Aufständischen.29 Während sich die Regierung weiterhin der demokratischen Seite verbunden sah, insbesondere Frankreich – dort regierte auch die Volksfront – und Großbritannien, reihten sich die Aufständischen um Franco in die Achse Berlin-Rom ein. Es waren auch die Nationalisten, die den Konflikt durch ihre 26
Vgl., ebd., S. 219 Mit Franquismus ist die personalistische, autoritäre Diktatur General Francisco Francos gemeint, die den Zeitabschnitt der spanischen Geschichte von 1936/39 bis 1975 so stark prägte, dass dieses ideologiearme System durch jenen eigenen Begriff wiedergegeben wird. Die deutsche Übertragung der spanische Bezeichnung „franquismo“ ist übernommen von Bernecker. Siehe dazu das von ihm gleich lautend bearbeitete Stichwort in: Spanien Lexikon, München 1990, S. 204ff 28 Es wird hier der korrekten und vertragsgemäßen Bezeichnung gefolgt, so dass von EWG gesprochen wird von 1957 bis 1967, als der Vertrag zur Fusion der Behörden (EGKS, EWG und Euroatom), in Kraft tritt, danach von EG. 29 A.a.O., Powell, 1995, S. 16 27
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Anfrage an Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien um Lufttransport von Afrika nach Spanien im Sommer 1936 internationalisierten.30 Abgesehen von der internationalen Unterstützung der beiden Seiten versteht sich, dass in einem Bürgerkrieg Fragen außenpolitischer Orientierung und Verankerung des Landes in den Hintergrund rücken. Das heißt nicht, dass die Grundausrichtung der Regierung an dem demokratischen Europa aufgegeben worden war und dass die Ausrichtung der Aufständischen nicht auch durchgehend klar gewesen war. Für die politische Elite wie für Volk und Intellektuelle rangierten diese Aspekte aber zweifelsohne nicht oben auf der Agenda. Während des Zweiten Weltkrieges hielt Franco seine Sympathie für die Achse durchgehend aufrecht, wenn auch seine politischen Handlungen teilweise ambivalent waren. Er schwankte zwischen anfänglicher Neutralität, Nichtkriegsführung und dann in der Endphase wieder Neutralität, wobei Franco nie wirklich neutral war. Die Hilfe der Achse im Bürgerkrieg und seine Sympathie ihr gegenüber hielt ihn nicht davon ab, einerseits, den Antikominternpakt beizutreten und gleichzeitig auch Geschäfte mit den Amerikanern und Briten zu machen; oder etwa für den Kriegsbeitritt so überzogene Forderungen an Hitler heranzutragen, dass dieser sie ablehnte. Solche außenpolitischen Entscheidungen waren zum Teil der Tatsache geschuldet, dass das durch den Bürgerkrieg danieder liegende Spanien jede Hilfe brauchen konnte. Interessenkalkül spielte ohnehin eine beträchtliche Rolle, blieb Franco doch bestrebt, „sich weder innen- noch außenpolitisch auf eine bestimmte Machtgruppe festzulegen“.31 So hoffte er zwar immer auf den Sieg der Achsenmächte, als aber die Überlegenheit der Alliierten immer offenkundiger wurde, schwenkte Franco schnell wiederum, zog die Blaue Division aus Russland zurück und erklärte sich wieder neutral, eine Neutralität, die aber im Gegensatz zur Anfangsphase nicht Deutschland, sondern den USA wohlwollen gegenüberstand. Obwohl Francos Sympathien völlig klar verteilt waren, passte sich seine Vorgehensweise pragmatisch an die neue Konstellation ab 1942/43 an, als sich das Blatt zu ungunsten Deutschlands und Italien zu wenden begann. Franco ergriff folgende Maßnahmen, die eindeutig nach außen gerichtet waren:32
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Die Marginalisierung der stark profaschistischen Segmente in der Falange, was bedeutungsvoller Weise dazu führt, dass Außenminister Serrano Suñer – Francos Schwager – ersetzt wurde durch den als eher als alliiertenfreundlich bekannten General Jordana. Kosmetische Maßnahmen in Form verschiedener Gesetze – tituliert als „Politische Reform“ -, um das Bild einer Demokratisierung des Regimes abzugeben. Eine umfangreiche Regierungsumbildung 1945, bei der die nationalsyndikalistischen Kräfte der Falange ihre Plätze den nationalkatholischen Kräften überlassen mussten. So wurde Martín Artajo (bis 1957) Außenminister, ein Mann der Acción Católica, dessen Aufgabe zunächst darin bestand, die Glaubwürdigkeit der Großmächte zurück zu gewinnen und den Begriff „faschistisch“ für Spanien zu zerstreuen. Abschaffung der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Symbolik (z. B. NaziGruß).
Vgl., ebd. A.a.O., Bernecker, S. 82 32 Vgl., Calduch Cervera, Rafael, “La Política Exterior Española durante el Franquismo”, in: Abu Warda, Najib/ Aldecoa, Francisco/del Arenal, Celestino et.al. (Hrsg.), La Política Exterior Española en el Siglo XX, Madrid 1994, S. 107-157, hier: S. 113ff sowie a.a.O., Carr, S. 680ff 31
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Neben diesem antizipatorischen Handeln Francos gab es auch Druck von Seiten der Alliierten, dem er nach und nach entsprach. Großbritannien und die USA hatten in Gesprächen Ende 1943 Folgendes gefordert: den Rückzug der División Azul, das Ende der antisowjetischen Propaganda, die Schließung der Botschaft in Tanger (1940 von spanischen Truppen besetzt), die Aufhebung der Hilfe für die deutschen Informationsdienste und der Exporte von Wolfram und anderem kriegsdienlichen Material an Deutschland.33 Dies zeigt, dass Franco die Erwartungen der internationalen Protagonisten ziemlich realistische einschätzte und sein innenpolitisches Handeln indirekt (durch die antizipierten Maßnahmen) und direkt (auf Druck der Alliierten) bestimmte. Das Ziel Francos war nie eine wirkliche Liberalisierung, sondern der Machterhalt, seine Methode eine zumindest scheinbare Anpassung. Die Außenpolitik – von Franco gesteuert und kontrolliert und von Außenminister Artajo ausgeführt – wurde in den Dienst der Interessen des Regimes und der Kontinuität der franquistischen Macht gestellt. Ein zentrales Erklärungsmoment Francos außenpolitischer Orientierung findet sich in dem seinem Denken zugrunde liegenden Koordinatensystem, auf das hier kurz eingegangen wird, da es sein innen- wie außenpolitisches Agieren bestimmt. Francos Denkmuster spiegelten eine fest gefügte, sehr simple Ideenwelt wider, bar jedes intellektuellen Anspruchs, geprägt von Vaterland, Katholizismus, Ordnung, Einheit der Nation. Franco war kein Politiker und wollte auch keiner sein. Er selbst charakterisierte sich als Soldat. Francos Einstellung zur Politik wird von Fusi sehr erhellend so eingeordnet: „Das, was er machte, hielt er nicht für Politik, auch wenn sie unter autoritärem Vorzeichen stand. Er war (…) der Ansicht, was er tue, sei Dienst und Pflichterfüllung. Mehr noch, er besaß kein politisches Denken im wahren Sinne des Wortes. Seine Wirtschafts- Sozial- oder Außenpolitik folgte weder einem staatsmännischen Plan noch war sie Kristallisation einer Lehre oder Ideologie. Franco war ein Pragmatiker und kein Doktrinär oder Ideologe. Wie wir noch sehen werden, tat er nichts anderes als seine Politik den Erfordernissen der Umstände anzupassen. Man ist fast in Versuchung, über ihn das zu wiederholen, was Wellington über Lord Liverpool sagte (…): Das Geheimnis seiner Politik sei es, daß er keine Politik mache.“34
Mit dieser Beschreibung lässt sich die grundlegende Haltung Franco über seine ganze Regierungszeit hinweg kennzeichnen. Eine zentrale Aussage ist, dass Franco keine politischen Überzeugungen oder ideologische Grundlagen hatte. In Bezug auf die politische Ordnung Spaniens verbanden sich bei ihm in einer eher vagen Vorstellung Merkmale wie Autorität, Religiosität und sozialer Paternalismus.35 Fest verankert und deutlich dagegen war seine Verachtung für den Liberalismus, die parlamentarische Demokratie und den Kommunismus. Der Anti-Kommunismus stellte eine zentrale und unverrückbare Koordinate in Francos Denken dar, die auch seine außenpolitische Orientierung leitete. Dies erklärt zum Beispiel seine Enttäuschung und nur stille Unterstützung Deutschlands nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes; dies erklärt das Nichtintervenieren im Westen, aber das Entsenden der Blauen Division in den Osten sowie den Versuch Francos, 1943 einen einseitigen Friedensschluss zwischen den Westmächten und dem Deutschen Reich zu vermitteln, mit dem Ziel des gemeinsamen Kampfes gegen die Sowjetunion.36 33
Vgl., a.a.O., Calduch Cervera, S. 115 A.a.O., Fusi, 1992, S. 69 35 Vgl., ebd., S. 70 36 Vgl., a.a.O., Carr, S. 677ff; vgl., a.a.O., Bernecker, 1984, S. 80ff 34
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Die Unterstützung der Achse im Spanischen Bürgerkrieg und umgekehrt die der Achse durch Franco-Spanien im Zweiten Weltkrieg sind deswegen relevant, denn dies konditionierte die feindliche Haltung der internationalen Staatengemeinschaft in der Zeit nach 1945. Die Allianz mit der Achse wurde zum Stigma des Franco-Regimes, das „ebenso oder sogar noch mehr als die fehlende demokratische Legitimität oder seine wiederholten Menschenrechtsverstöße“, seine Versuche belastete, sich in das neue internationale System nach 1945 zu integrieren.37 Dieses Stigma wandelte sich nie vollends bis zum Ende der Diktatur, und dessen Überwindung war eine der Hauptaufgaben der jungen spanischen Demokratie. Die wichtigsten Antriebsmomente Francos waren innen- wie außenpolitisch: Machterhalt, Anti-Kommunismus und ein gutes Verhältnis zum Vatikan. Die internationale Anerkennung war für ihn durchaus nicht unwichtig, das hatte sich in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, als eine Niederlage der Achse wahrscheinlich wurde, ebenso gezeigt wie auch während der Phase der Autarkie-Politik (bis 1957). Die Autarkie-Politik war nicht bloß eine Antwort auf den Mangel der Zeit nach dem Bürgerkrieg und auch nicht in erster Linie die Konsequenz aus der internationalen Isolierung. Sie war die von den Ideologen der Falange konzipierte Philosophie des Staates, ein Gegenprojekt ebenso zum liberalen Kapitalismus wie zum marxistischen Materialismus. Die Autarkie war im wirtschaftlichen Bereich der Widerschein der politischen Paranoia Francos: Für ihn, umgeben von einer feindlichen und konspirativen Welt bot sich die Autarkie als patriotische Notwendigkeit dar.38 Zudem entsprach diese Politik seiner Abneigung gegen liberale Ideen jeglicher Art. Der Zusammenhang zwischen dem Erhalt seines Regimes und der Anerkennung durch die wichtigen westlichen Mächte war Franco durchaus klar. Der ewige Makel der Illegitimität seines Regimes suchte Franco durch diese internationale Anerkennung zu kompensieren. Interessant ist, wo er die Grenzen seiner Kompromissfähigkeit setzte, um diese Anerkennung zu bekommen. So hätte Spanien zumindest einen Teil der Vorteile des MarshallPlans, von dem es grundsätzlich ausgeschlossen war, ausnutzen können, hätte sich Franco bereit erklärt, die Bedingung Präsident Trumans zu erfüllen: nämlich die Hindernisse zur Ausübung nicht-katholischer Religionen in Spanien zu beseitigen.39 Es wurde klar, dass Franco nur sehr begrenzt zu politischen Modifikationen seines Regimes bereit war. Die Stützpunktverträge mit den USA und die – partielle - Aufnahme in die internationale Gemeinschaft bestätigten ihn letztlich in dieser Haltung, hatte doch sein Anti-Kommunismus ausgereicht, die angestrebte Anerkennung zu erlangen. Dabei gereichte es Franco zum Vorteil, dass er keine tiefgehenden Überzeugungen besaß, sondern sich pragmatisch anpasste an die Zeichen der Zeit, solange sein Regime sowie Ordnung und Einheit des Landes nicht angetastet wurden. Nach 1945 bestand Francos erklärtes Ziel in der Überwindung der Isolierung und in der Aufnahme in die UN. Seine Methode war, zum einen die autoritäre Physiognomie seines Regimes zu überschminken und das Bild eines katholischen und konservativen Spaniens, Bollwerk gegen den Kommunismus, abzugeben, das sich in einem Prozess der permanenten Evolution zu einem System größerer Freiheit befinde. Zum anderen begann Spanien eine intensive diplomatische Aktivität, indem es Beziehungen knüpfte zu Portugal, Iberoamerika, der arabischen Welt, durch deren Unterstützung sich Franco die Neutralisie37
García Pérez, Rafael, „España y la Segunda Guerra Mundial“, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, S. 301-323, hier: S. 321 38 Siehe zur Autarkie-Politik a.a.O., Carr, S. 704, a.a.O., Fusi, 1992, S. 124ff, a.a.O., Bernecker, 1984, S. 86ff 39 Vgl., a.a.O., Fusi, 1992, S. 111
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rung des internationalen Drucks – vor allem auch in der UNO - erhoffte. Weiterhin wurde versucht, alle republikanischen und antifranquistischen Projekte kurzzuschließen. Schließlich wurde die anti-kommunistische und katholische Karte gespielt sowie die geostrategische Bedeutung Spaniens im Kampf gegen den Kommunismus hervorgehoben.40 Im Übrigen diente die internationale Isolierung Spaniens der Durchsetzung der Autarkie-Politik, die Vertreter einer nationalistischen Ökonomie in Francos Regierung bis in die 1950er Jahre hinein verfolgten. Externer Kontext: vorteilhafter Kalter Krieg Der externe Kontext spielte eine eminent wichtige Rolle, denn der Kalte Krieg konditionierte das außenpolitische Handeln der maßgeblichen externen Akteure, wie etwa der USA, und wirkte sich auf die Positionierung Spaniens in der internationalen Staatengemeinschaft aus. Der Wandel des externen Kontextes von der „Epoche des Faschismus“, über den Zweiten Weltkrieg hin zum Kalten Krieg war dramatisch, und die damit zusammenhängenden Änderungen in den Konstellationen der externen Akteure verlangten von der Regierung Anpassungsfähigkeit und flexible Strategien. Andererseits mussten die externen Akteure auf dem Hintergrund des Wandels der internationalen Szenerie eine entsprechende Politik gegenüber Spanien formulieren. Der externe Kontext während des Bürgerkrieges war gekennzeichnet durch die Schwäche der europäischen Demokratien gegenüber der aggressiven Außenpolitik Hitlers und die Einbindung Mussolinis in seine Pläne. Dies war der Hintergrund, auf dem die Unterstützung bzw. Nicht-Unterstützung der europäischen Mächte für die spanischen Bürgerkriegsparteien entstand. Das Ende des Bürgerkrieges durch den Sieg der Nationalisten fiel quasi zusammen mit dem Zweiten Weltkrieg, was Franco überhaupt nicht in seine Pläne passte, denn er hätte sich eine Friedens- und Stabilitätsperiode gewünscht, die das in jeder Beziehung am Boden liegende Spanien zum Wiederaufbau nötig gebraucht hätte.41 So wurden diese Jahre für das Land eine schwarze Zeit mit Hunger und Entbehrungen. Als sich dann im Laufe des Jahres 1943 das Blatt wandelte und die Wahrscheinlichkeit eines Sieges der Achsenmächte immer geringer wurde, sich gar die Möglichkeit einer Niederlage abzeichnete, fand sich der einzige verbleibende autoritäre Staatsmann plötzlich in einem feindlichen Umfeld. In Frankreich und Italien waren Sozialisten bzw. Kommunisten an der Regierung, Stalin hatte sich die Sichtweise der spanischen Opposition zu eigen gemacht, und Truman verabscheute die rechten Diktaturen ebenso entschieden wie die linken. Churchill - der einzige, der Franco mit einer gewissen Toleranz betrachtete, nicht zuletzt, weil ihn mit Franco der Anti-Kommunismus verband - wurde bald abgelöst.42 Die Veränderungen der internationalen Großwetterlage im Rahmen des Kalten Krieges stellten sich für Franco bald als vorteilhafte Wendung heraus. Die zunehmende Konfrontation zwischen dem Westen und der Sowjetunion zeichnete sich ab, die Eindämmungspolitik Trumans und der Marshall-Plan waren der Beginn einer ideologischen Frontstellung des 40
Vgl., Martínez Lillo, Pedro Antonio, „La política exterior de España en el marco de la Guerra Fría: del aislamiento limitado a la integración parcial en la sociedad internacional: 1945-1953”, in: Tusell, Javier/Avilés, Juan/Pardo, Rosa, (Hrsg.), La política exterior de España en el siglo XX, Madrid 2000, S. 323-341, hier: S. 329f 41 Vgl., dazu Fusi, 1992, S. 76 und a.a.O., Powell, 1995, S. 18 42 Zur Periode von 1943 bis 1945 siehe a.a.O., Carr, S. 680ff; a.a.O., Calduch Cervera, S. 114ff; a.a.O., Bernecker, 1984, S. 80ff; a.a.O., Martínez Lillo S. 324f
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Westens gegen die kommunistische Expansion und Subversion. Die Allianz mit der Sowjetunion wurde endgültig aufgegeben, und der Antikommunismus wurde zum Kriterium, das das neue Schema der Allianzen der USA bestimmte. „Es besteht kein Zweifel, dass diese Wende der Außenpolitik Washingtons schließlich fruchtbringend war für ein System, das so erklärtermaßen antikommunistisch war wie das des General Franco“.43 Der Antagonismus der Blöcke und der Kalte Krieg bildeten somit den Hintergrund, und zwar einen günstigen Hintergrund für die Franco-Herrschaft ab 1947, auf Grund dessen es ihm gelang, sich nicht nur an der Macht zu halten und sein Regime zu konsolidieren, sondern zudem noch seine außenpolitischen Beziehungen maßgeblich zu normalisieren.44 Transnationale Interaktion: partielle Integration Die Haltung der Alliierten nach 1945 war feindlich, und daran änderten auch die kosmetischen Korrekturen Francos nichts. Das Stigma der Zusammenarbeit mit der Achse während Bürgerkrieg und Zweitem Weltkrieg bewirkte, dass Spanien seit 1945 in der internationalen Staatengemeinschaft geächtet wurde. Auch wenn diese Ächtung einer Schrittweisen Inkorporierung in die internationalen politischen Organisationen Platz machte, dann geschah dies quasi allein auf Grund des Wandels des externen Kontextes, nämlich der veränderten weltpolitischen Koordinaten in Richtung Antagonismus der Blöcke. Das Makel „der Herkunft und des Charakters seines Regimes“ und „die enge Assoziierung mit den Aggressoren“, so lautete die Formulierung der Potsdamer Konferenz45, konnte Franco nie beseitigen. Betrachten wir zunächst die Phase der Isolierung und der Schrittweisen „partiellen Integration“ in die internationale Staatengemeinschaft, die Phase von 1945 bis 1953. Zu Ende des Krieges war nicht nur die Ächtung des Franco-Regimes klar, sondern auch der Wunsch der Alliierten, dass Spanien wieder demokratisch werden sollte. Auch die spanische Opposition sah bereits ihren Tag kommen. Die Hoffnung aber, dass die Alliierten aktiv für die Einrichtung einer Demokratie eintreten würden, wurde enttäuscht.46 Es zeigte sich auf der Konferenz in Potsdam, dass die Großmächte unter sich nicht einig waren: So befürwortete Frankreich die Variante der Intervention, Stalin wollte sofortige Sanktionen gegen Spanien. Churchill aber, in seiner Haltung zu Spanien flexibler, lehnte beides ab, gestützt von den USA. Bei der „spanischen Frage“ spielten in der insgesamt von Unsicherheit bezüglich der nächsten Zukunft geprägten Stimmungslage verschiedene Motive hinein: Ideologisch gab es eine klare Ablehnung des Franco-Regimes, gestützt von dem Druck der öffentlichen Meinung, der Gewerkschaften und Parteien, die jenseits der moralischen Verurteilung Sanktionen forderten. In den Regierungen wiederum spielte die Furcht vor einer Destabilisierung, etwa einem erneuten Bürgerkrieg, eine nicht unbedeutende Rolle. Dazu kamen wirtschaftliche Motive. Trotz der Verwüstung und schlechten Situation der spanischen Wirtschaft stellte sie ein nicht übersehbares Potential dar. Nicht zuletzt wurden zunehmend strategische Motive bedeutsam auf Grund der geografischen Lage Spaniens, die durch die weltpolitische Großwetterlage eine Neubewertung erfuhren. 43
A.a.O., Calduch Cervera, S. 120 Agl., a.a.O., Martínez Lillo, S. 340 45 Zit. n. ebd., S. 117 46 Zur Opposition von 1939 bis 1949 siehe Tusell, Javier, La oposición democrática al franquismo, 1939-1962, Barcelona 1977 44
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Zunächst wurde Spanien auf der Grundlage des Potsdamer Beschlusses nicht zu der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen zugelassen, und 1946 durch ihre Resolution 39 explizit ausgeschlossen sowie die Botschafter aus Madrid abberufen. Frankreich schloss seine Grenzen, und bis auf wenige Ausnahmen verließen alle Botschafter das Land. Die Resolution stellte zuvorderst eine moralische Verurteilung dar, setzte aber auch Bedingungen, unter denen Spanien erneut um Aufnahme ersuchen könne: Beseitigung des FrancoRegimes, politische Amnestie, Rückkehr der exilierten Spanier, politische Freiheiten und demokratische Wahlen.47 Die Isolierung wurde zwar von etlichen Staaten streng durchgehalten, aber neben der - im Übrigen für Spanien existentiellen - Hilfe Argentiniens bekam Franco Unterstützung von privaten Kapitelinteressen.48 Die Erklärung der drei alliierten Regierungen vom 5. März 1946 machte klar, dass das spanische Volk keine komplette Aufnahme in die Weltgemeinschaft erwarten könne, solange Franco regiere. Zugleich aber lehnte die UNO ab, weitergehende Sanktionen gegen Spanien zu erheben. Diese Haltung, die das folgende Zitat widerspiegelt, löste bei der Opposition erheblichen Pessimismus aus. „Wir haben keinerlei Absicht, in die inneren Angelegenheiten Spaniens zu intervenieren…Man hofft im Gegenteil darauf, dass spanische Patrioten von liberalem Geiste bald die Gelegenheit finden, einen friedlichen Rückzug von Franco zu erreichen, die Abschaffung der Falange und die Etablierung einer Interims- oder provisorischen Regierung, unter der das spanische Volk die Möglichkeit hätte, den Typus Regierung zu bestimmen, den es vorzieht und sein Führungspersonal auszusuchen.“49
Innerhalb der vielfältigen und teils widerstreitenden Positionen der externen Akteure hinsichtlich der Haltung zu Spanien ergab sich durch den externen Kontext zunehmend eine klare Gewichtung zugunsten geostrategischer Motive. Der anfängliche Protagonismus Großbritanniens in Bezug auf Spanien wurde allmählich von den USA übernommen. Die Haltung der USA entfernte sich in dem Maße schrittweise von der Politik, den Diktator zum Sturz zu bringen, wie sich die antisowjetische Rivalität herausbildete.50 1948 beschloss der Nationale Sicherheitsrat eine Empfehlung, die die Notwendigkeit anerkannte, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Spanien zu normalisieren. Daraufhin gab es die ersten bedeutenden Kredite von amerikanischen Banken.51 Den USA gingen es nicht mehr darum, ob Franco an der Macht bleiben sollte, sondern wie man Spanien in das westliche Sicherheitssystem eingliedern konnte. Ideologische Beweggründe wurden also in der US-amerikanischen Strategie ersetzt durch eine Sichtweise, die den geopolitischen und strategischen Nutzen der Iberischen Halbinsel in den Vordergrund stellte bzw. ideologische Gründe anderen Vorzeichens. Die Überlegungen des Pentagon stellten sogar darauf ab, dass die dezidiert anti-kommunistische Franco-Regierung „als ein vertrauenswürdigerer Partner 47
Vgl., a.a.O., Bernecker, 1984, S. 84 Tamames spricht von einer „abgeschwächten diplomatischen und wirtschaftlichen Blockade“, da bestimmte Produkte wie Öl weitergeliefert wurden. A.a.O., S. 518 49 Als wesentliche Requisiten einer solchen Regierung werden genannt: politische Amnestie, Freiheit zur politischen Assoziation und Wahlen. Eine solche Regierung, so wird in Aussicht gestellt, erhalte die Anerkennung und Unterstützung der freiheitsliebenden Völkergemeinschaft inklusive diplomatische Beziehungen und wirtschaftliche Hilfe. Zit. n. a.a.O., Tamames, S. 516, der keine weitere Quelle angibt. 50 Vgl., a.a.O., Calduch Cervera, S. 118 51 1949 gewährte die Chase National Bank einen ersten Kredit von 25 Millionen Dollar, 1950 folgte die ExportImport-Bank mit einem Kredit über 62,5 Millionen Dollar; weitere schlossen sich an. Vgl., ebd., S. 121f, vgl. auch a.a.O., Bernecker, 1984, S. 99 48
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erschien als eine demokratische Regierung, von der – auf Grund des Einflusses der Kommunisten – schwerlich eine völlige Opposition gegen die Sowjetunion zu erwarten war“.52 Dies wurde auf dem Hintergrund gesehen, dass in Frankreich und Italien die kommunistischen Parteien eine wichtige Rolle spielten. Die Motive der USA waren also geostrategischer Natur, die Methode bestand in der Eingliederung Spaniens in den westlichen Block. Ein Instrument war, die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu unterstützen und möglich zu machen. So wurde die UNO-Resolution 39 auf Betreiben der USA 1950 zurückgenommen und die internationale Ächtung des Franco-Regimes beendet. Spaniens trat verschiedenen Unterorganisationen der UNO bei. Diese Politik wurde zusätzlich katalysiert durch den Beginn des Korea-Krieges. Die USA verstärkten ihre Initiativen, Spanien nunmehr auch in das westliche Verteidigungssystem zu integrieren. Da aber einige europäische NATO-Mitglieder, insbesondere Großbritannien und Frankreich, Norwegen, Belgien und Niederlande, sich einer Aufnahme Spaniens widersetzten, mussten die USA eine andere Methode wählen. 1951 begannen sie, bilaterale Verträge mit Spanien auszuhandeln. Für diese Phase ist es interessant, zwischen den verschiedenen Akteuren innerhalb der amerikanischen Regierung zu differenzieren: Die starke Befürwortung einer Annäherung an Spanien kam vom Pentagon. Zwar folgte die Politik auch der Doktrin Trumans, für ihn aber hatte die Unterstützung Spaniens auch Grenzen. So ging sein Engagement zur Einbindung Spaniens in die internationalen Organisationen nicht über die UNESCO hinaus. Auch hatte er persönlich Druck ausgeübt, damit der Senat die Eingabe mit der Aufnahme Spaniens in den Marshall-Plan ablehnte, nachdem Franco sich geweigert hatte, die Bedingungen Trumans zu erfüllen, die Ausübung nichtkatholischer Religionen in Spanien nicht zu behindern.53 Truman machte keinen Hehl daraus, dass er Franco nicht leiden konnte54. Die Verhandlungen der bilateralen Verträge wurden denn auch nicht von der Administration Truman zu einem erfolgreichen Abschluss geführt, sondern von seinem Nachfolger Eisenhower. Bei den Verträgen handelte es sich um ein Tauschgeschäft: Die USA durften militärische Stützpunkte bauen und verwenden55, dafür bekam Spanien wirtschaftliche und militärische Materialhilfe.56 Gegner dieser Verträge kritisierten vor allem zwei Dinge: Die Tatsache, dass Spanien seine Souveränität „verkaufte“, und die Tatsache, dass die Stationierung von Kampfflugzeugen und Atom-U-Booten nicht zur Verteidigung Spaniens beitrugen, sondern eher eine Bedrohung darstellten.57 Mit
52
Ebd., S. 335 Vgl., a.a.O., Tamames, S. 527, 521 Vgl., a.a.O., Fusi, 1992, S. 114 sowie a.a.O., Lillo, S. 340 55 Die USA errichteten Luft- und Flottenstützpunkte. Besonders wichtig war und ist Rota mit Zugang zur Straße von Gibraltar und als einziger Stützpunkt in Europa für Polaris-Atom-U-Boote. Des Weiteren bauten sie etliche Radarstationen, Nachschubdepots und weitere Anlagen. 56 Die Militärhilfe betrug 350 Millionen Dollar von 1953 bis 1958 für Luftwaffe und Marine. Sie bestand in amerikanischen Waffen, Panzern und Düsenflugzeugen. Spanische Offiziere erhielten in den USA eine hoch qualifizierte Ausbildung. Die Wirtschaftshilfe belief sich von 1951 bis 1963 auf über 1,5 Milliarden Dollar. 57 Der Stützpunktvertrag enthielt Geheimprotokolle, an denen kritisiert wird, dass die franquistische Regierung nationale Interessen preisgegeben habe. So die sogenannte „Klausel zur automatischen Aktivierung“ der Basen, die vorsah, dass die USA die Basen „Im Falle einer offensichtlichen kommunistischen Aggression, die die Sicherheit des Westens bedroht“ benutzten konnten gegen militärische Ziele, und zwar „in der Form (…), die zur Verteidigung des Westens erforderlich ist“. Zit. n. a.a.O. Calduch Cervera, S. 123 sowie ebenso a.a.O., Bernecker, 1984, S. 102. Gleichzeitig erhielt Spanien keinerlei Garantie für sein eigenes Territorium. „Das strategische (auch nukleare) Risiko, das Spanien mit dem Stützpunktabkommen einging, wurde in keiner Weise durch die amerikanische Wirtschaftshilfe kompensiert, gewisse positive Effekte, vor allem im Hinblick auf die Versorgungslage des Landes, 53 54
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diesen Verträgen wurde Spanien indirekt in das westliche Verteidigungssystem eingeschlossen worden, ohne allerdings eine Sicherheitsgarantie zu haben – ein Punkt der bis zum NATO-Beitritt Spaniens, also auch von den demokratischen Regierungen nicht befriedigend gelöst werden konnte. Die „begrenzte Isolierung“ war nun einer „partiellen Integration“ gewichen.58 Die einzigen Organisationen, in die Spanien nicht aufgenommen wurde, waren die EGKS, der Europarat und die NATO. Für Franco und seine Regierung waren die Stützpunktverträge und das Konkordat mir dem Vatikan – ebenfalls 1953 geschlossen – enorme Erfolge. Das Konkordat sicherte ihm die Anerkennung des Vatikans – für ihn ohnehin zentral – und er erhoffte sich damit auch international eine Imageverbesserung. Letztere war auf jeden Fall gegeben durch die Stützpunktverträge und die Beziehungen mit den USA, die auch wirtschaftlich sehr wichtig für Spanien waren. Franco verkaufte diese außenpolitischen Erfolge natürlich ganz in seinem Sinne: Er habe Recht gehabt mit seiner anti-kommunistischen Haltung, die nun bestätigt worden sei. Der Besuch Präsident Eisenhowers in Madrid 1959 als sichtbare „Absegnung“ passte bestens in diese Interpretation. Dass die Abkommen von 1953 neben der Wirtschafts- und Militärhilfe eine entscheidende politische Unterstützung, bedeuteten war klar. Washington sorgte denn auch dafür, dass Spanien 1955 UNO-Mitglied wurde, „eine alte Aspiration des spanischen Diktators, die zurückging auf den die Konferenz von San Francisco“59, als Spanien ausgeschlossen wurde. 1958 trat Spanien der OECE, dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Bank für Internationalen Wiederaufbau und Entwicklung (IBWE) bei. Die Haltung Europas unterschied sich von der der USA. Die Legitimierung Francos durch die amerikanische Außenpolitik verursachte starkes Unwohlsein bei den europäischen Regierungen, die diesbezüglich auch unter dem Druck ihrer Öffentlichkeit standen. Es gab Diskrepanzen mit Washington sowohl in Bezug auf ideologische als auch in Bezug auf strategische und wirtschaftliche Faktoren, und die Europäer versuchten, die prospanischen Initiativen des Pentagons und von Teilen des Kongresses zu bremsen.60 In Europa existierte eine starke und breite Ablehnung gegen das Franco-Regime und eine ebenso starke Unterstützung für die demokratischen Kräfte, die sich aus einer anti-faschistischen Orientierung sowohl der europäischen Linken und der Gewerkschaftsbewegung - viele führende westeuropäische politische Figuren hatten im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft - als auch der christlichen Demokraten in Europa nährte. Die Unterstützung westeuropäischer „Schwesterparteien“ und Gewerkschaften sowie der Sozialistischen Internationalen spielte hierbei eine Rolle. In ihren Augen war die Franco-Diktatur ein barbarisches Relikt und konnte kein verlässlicher Partner sein.61 Der Europarat drückte, kurz bevor die UNO ihre Resolution 39 (I) aufhob, seinen Wunsch aus, dass das spanische Volk freie Wahlen abhalten könne und ein konstitutionelles Regime etabliert werde, dessen Vertreter Mitglieder der Versammlung des Europarates sein könnten.62 Die Aufhebung der UNO-Resolution hatte in Europa nicht zur Folge, dass lassen sich zwar nicht leugnen, der eindeutige Gewinner für nahezu 20 Jahre aber war das Sicherheitsbedürfnis Nordamerikas.“ – so die Bewertung Berneckers. Ebd., S. 104 58 So die Formulierungen von Martínez Lillo im Titel seines Beitrages. 59 Vgl., a.a.O., Calduch Cervera, S. 125 60 Vgl., a.a.O., Martínez Lillo, S. 338 61 Vgl., a.a.O., Whitehead, 1986, S. 14 62 Das war am 10.8.1950. Vgl., Beratende Versammlung des Europarates, Dok. 44, 10.8.1962, Straßburg, zit. n. a.a.O., La Porte, S. 29f
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Spanien in den europäischen Organisationen akzeptiert wurde.63 Das Veto wurde beibehalten; in Organisationen mit politischem Profil wurde Spanien nicht zugelassen (z.B. Charta von Paris, Europäisches Kulturabkommen). Das Äußerste war, Spanien einen Beobachterstatus in Organisationen mit technischem Charakter zu geben (etwa im Pool Verde, der aber dann nicht zustande kam). Dieses Veto bestimmter europäischer Staaten verhinderte auch den von den USA angestrebten NATO-Beitritt Spaniens. Des Weiteren gab es keinen ernsthaften Dialog zwischen den europäischen Organisationen und Spanien. Auch wenn die Integration in die internationale Gemeinschaft letztlich nur partiell war, so konnte aus Francos Sicht das Ergebnis nicht befriedigender sein. Er hatte seine Ziele erreicht: Er hatte sich nicht nur an der Macht gehalten, sein Regime war sogar konsolidiert, und dies mit Außenbeziehungen, die ganz anders aussahen als 1945. Die Betrachtung des Franco-Regimes und der Interaktion zwischen den maßgeblichen externen Akteuren hat folgende Aspekte hervorgebracht: 1. 2. 3.
4.
5.
Neben der Katastrophe von 1898 und dem demokratiefeindlichen Umfeld der Zweiten Republik wurde die internationale Isolation Spaniens nach dem Zweiten Weltkrieg ein drittes traumatisierendes Moment in der spanischen Geschichte. Die internationale Anerkennung spielte eine wichtige Rolle für Franco. Sowohl der externe Kontext als auch das Agieren der externen Akteure zeitigte Folgen für die Regierung und die Opposition. Das Franco-Regime profitierte von dem Wandel des externen Umfelds – Anti-Kommunismus, Kalter Krieg - nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Tatsache, dass die internationale Politik letztlich Franco zu bestätigen schien, schwächte gleichzeitig die Opposition. Francos Methode, die Erinnerung an den Bürgerkrieg aufrecht zu erhalten und so die Furcht der Bevölkerung vor einer Wiederholung permanent zu nähren, wäre ins Leere gelaufen, vor einem „entschiedeneren und dauerhafteren Druck der demokratischen Mächte“.64 Westeuropa und die USA hatten unterschiedliche Motive und Herangehensweisen gegenüber der franquistischen Diktatur, die bestimmt wurden durch die unterschiedlichen Interessen: Die USA als militärische Weltmacht legte ihre Schwerpunkte im Zuge der sich zuspitzenden Blockkonfrontation auf geostrategische und sicherheitspolitische Aspekte. Die Zusammenarbeit zwischen den USA und der franquistischen Regierung, die Art, wie sie zustande kam und wie sie sich gestaltete, stellt ein zentrales Moment für die Erklärung späterer außenpolitischer Handlungsweisen dar. Die demokratische Opposition vergaß nicht, dass die USA mit Franco paktiert hatte und nicht, wie sie es vor allem direkt nach 1945 erhofft hatte, die Rückkehr demokratischer Verhältnisse stärker unterstützt hatte. Dies ließ auch in der Bevölkerung ein anti-amerikanisches Ressentiment entstehen. Diese Gleichung „USA gleich Freund Francos, ungleich Freund spanischer Interessen“ bestimmte am Anfang der Transitionsphase die Haltung vor allem der linken Kräfte und auch großer Teile der Bevölkerung. Aufschlussreich ist die Interpretation der Stützpunktverträge durch Ramón Tamames, bedeutende Figur der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE):
63 Vgl., Moreno Juste, Antonio, Franquismo y construcción europea, 1951-1962, Madrid 1998 S. 77ff sowie a.a.O., La Porte, S. 31 64 A.a.O., Tusell, 1977, S. 225, siehe auch 225f
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„1. Sie [die Verträge – MK] riskierten die Sicherheit Spaniens und bedeuteten keine Verstärkung der spanischen Verteidigung gegenüber den nächsten Bedrohungen (Nordafrika). 2. Sie unterstellten den globalen Anschluss der spanischen Außenpolitik an die Interessen der USA während siebzehn Jahren. Zur gleichen Zeit brachten sie die internationale Konsolidierung des Regimes zum Ausdruck und die Unterstützung der USA zum Beitritt in die UNO, in den IWF und die IBWE und die OECE. Der Beitritt in diese Organe wurde immer unter dem Patronat der USA vollzogen, die jedoch nicht den Beitritt Spaniens zur NATO und zur EWG erzwingen konnte. 3. Die Allianz mit den USA bedeutete keine amerikanische Unterstützung für die spanischen Forderungen bezüglich Gibraltars. (…)“65
Die Stützpunktverträge mit den USA sind ein Beispiel dafür, wie sehr die außenpolitischen Entscheidungen des vorhergehenden, undemokratischen Regimes und das Agieren der externen Akteure in dieser Zeit das Verhalten der dann folgenden demokratischen Regierung prägen können. So wirkte die Kooperation zwischen Franco-Spanien und den USA als „Negativvorbild“, dem später ein Gegenmuster entgegen zu setzen angestrebt wurde. Dieses Kapitel der franquistischen Außenpolitik ist während der Transition und über sie hinaus eines der Hauptthemen des spanischen internationalen Handelns und sogar Teil – und zwar strittiger Teil – etlicher Bereiche der spanischen Innenpolitik geblieben.66 2.2.2 Die Franco-Diktatur ab 1957: Öffnung nach außen Internationale Verortung: gegenläufige Strömungen Das Jahr 1957 stellt innen- und außenpolitisch ein Wendepunkt für die Entwicklung der spanischen Politik dar. Dass in diesem Jahr auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf die europäische und internationale Bühne trat, war ein historischer Zufall, verstärkte aber zusätzlich den Druck auf Franco und seine Regierung, bestimmte Neuausrichtungen ihrer Außenpolitik vorzunehmen. Verschiedene Krisensymptome hatten sich 1956 gezeigt: Das Franco-Regime war kurz vor dem Bankrott, die Wirtschaftslage katastrophal, Streiks und Studentenunruhen kamen auf, soziales Unbehagen machte sich breit. Anscheinend, so Fusi, hatte Franco an Standfestigkeit verloren, außerdem wurde „die unklare Linie seiner Politik zunehmend sichtbar“.67 Auch musste er die Zukunft seines Regimes – Fragen der Institutionalisierung, der Nachfolge etc. – regeln. Außenpolitisch gab es ebenfalls kritische Entwicklungen.68 Zwar hatte Spanien mit dem Stützpunktvertrag und dem Konkordat bestimmte politische Aspirationen erfüllt, aber in verschiedener Hinsicht waren sie unbefriedigend:
65
Der Stützpunktvertrag erfüllt nicht das Sicherheitsbefürfnis Spaniens. Dies war ein Kritikpunkt, zunehmend auch der Militärs, der sich anlässlich des Sputnik-Startes und der daraus entstehenden Angst vor seiner ballistischen Reichweite verstärkte.
A.a.O., Tamames, S. 529f Vgl., a.a.O., Calduch Cervera, S. 122 67 A.a.O., Fusi, 1992, S. 123 68 Vgl., hierzu im Folgenden Pardo Sanz, Rosa, „La etapa Castiella y el final del Régimen, 1957-1975”, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, S. 341-371, hier: S. 343ff 66
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III Empirischer Teil: EU Die Unabhängigkeit Marokkos, der Spanien zustimmen musste, war nicht abgesichert worden durch klare Grenzbestimmungen, und der Irredentismus Marokkos zeigte sich schnell. Die Beziehungen zu den westeuropäischen Staaten waren sehr kühl. Es gab in den 36 Jahren der Franco-Herrschaft keinen offiziellen Besuch aus einem europäischen Staat außer Portugal. Dagegen besuchten Eisenhower (1959), Nixon (1970) und Ford (1975) Spanien, wenn auch immer auf größeren Rundreisen mit anderem Anlass. Die Ergebnisse der Außenpolitik in Lateinamerika und der arabischen Welt waren ebenfalls eher schwach.
Es zeigten sich die Grenzen jener partiellen internationalen Integration. Die Gründung der EWG drohte einen neuen Typus von Isolierung herbeizuführen, nämlich am Rande des europäischen Einigungsprojektes zu stehen. Wieder einmal ging es in Spanien um die Frage Öffnung nach Europa oder nicht. Mit der Autarkie-Politik und dem zwanzig Jahre andauernden Behaaren darauf hatte Franco sein Land auch wirtschaftlich von seinem internationalen Umfeld abgekoppelt. Dadurch waren Spanien Kredite und ausländische Investitionen entgangen, die es dringend benötigt hätte. Öffnung in der Wirtschaftspolitik bedeutete Liberalisierung, Annäherung an die großen internationalen Wirtschaftsorganisationen, Einbindung in das internationale Wirtschaftsnetz. Insbesondere bedeutete Öffnung aber auch – und gerade nach der Zeichnung der Römischen Verträge – Annäherung an Westeuropa, an die EWG. Neben der wirtschaftspolitischen Motivation dieser Annäherung an die EWG kamen auch außenpolitische Motive ins Spiel, nämlich der Versuch, sich aus der alleinigen Abhängigkeit der USA zu begeben.69 Auch wenn Franco sowohl der Teilhabe am europäischen Projekt als auch der Liberalisierung der Wirtschaft skeptisch gegenüber stand, so entschied er sich dennoch für die politische Neuorientierung, die sich auch innenpolitisch bemerkbar machte. Bei der Regierungsumbildung von 1957 wurden nicht nur zwölf von achtzehn Ministern ausgetauscht, sondern zentrale Ministerien – Handel und Finanzen –von wichtigen Persönlichkeiten des Opus Die besetzt. Es war der Beginn des Einflusses der so genannten „Technokraten“, wie man die Opus Dei-Minister wegen ihrer strikt fachlichen Orientierung nannte, und der Wirtschaftinteressen. Die Katholiken verloren an Kraft, und auch die Falange wurde bei den folgenden Regierungsumbildungen70 zurückgedrängt. Ins Zentrum der Arbeit der neuen Regierung rückte die wirtschaftliche Stabilisierung71 und die wirtschaftliche Öffnung. Diese Politik traf sich mit der des Außenministers Fernando María Castiella, dessen Ziel die völlige Normalisierung der internationalen Beziehungen Spaniens war, wozu insbesondere die Annäherung an Westeuropa und die Neubalancierung der Beziehungen zur USA gehörte, aber auch die Frage der Dekolonialisierung sowie insbesondere die Gibraltar-Frage. In der Tat wurde insbesondere während der Amtszeit Castiellas die Normalisierung der Außenbeziehungen weiter gebracht: Die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Spanien – das Wirtschaftswunder der 1960er Jahre – ließ das Interesse des Auslands an Investitionen steigen. Gerade auch auf Grund dieser Außenwirtschaftsaspekte und der weite69
Padro Sanz drückt es noch drastischer aus: „der Abhängigkeit des nordamerikanischen Lassos zu entkommen“ (a.a.O., S. 342). Das war wahrscheinlich weniger das Ziel, als tatsächlich ein Gegengewicht zu finden für diesen alleinigen Pfeiler außenpolitischer Orientierung. 70 1962, 1965, 1969 71 Geschehen durch den Stabilisierungsplan von 1959, der nach den Vorgaben der OECE konzipiert wurde.
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ren Integration Spaniens in die internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen (IWF, OECE, IBWE) kann man sagen, dass die internationale Position des Franco-Staates sich seit 1957 immer weiter verbesserte. Allerdings gab es einen Punkt, an dem Spanien nicht weiter kam: die angestrebte Integration in die EWG. Was bedeutete die Gründung der EWG für die grundlegende Einstellung zur internationalen Verortung Spaniens? In den Wirtschaftskreisen empfand man es als Problem, dass Spanien möglicherweise abgekoppelt bliebe von wichtigen Handelsströmen. Aber auch politisch und psychologisch schien sich die Randlage Spaniens zu verstärken. Fühlte man sich bislang zumindest indirekt mit dem Westen verbunden durch die Verträge mit den USA, so tat sich hier eine neue Front auf. Wieder war Spanien nicht „in Europa“, sondern am Rande, wieder drohte es, bei den wesentlichen Entscheidungen auf dem Kontinent außen vor zu sein. Außenminister Castiella72 (1957-1969), der wie kein anderer zuvor die spanische Außenpolitik prägte, wollte für Spanien den Platz bekommen, der ihm gemäß seiner Geschichte, Kultur und Zivilisation zustand, wollte ein aktive Außenpolitik mit langfristigem Konzept und Umsetzung nationaler Interessen betreiben. Dazu gehörten unter anderem der Beitritt oder die Assoziierung Spaniens in bzw. mit der EWG und die Neubalancierung der spanisch-amerikanischen Beziehungen. Beides gelang ihm nicht. Dafür gibt es vielfache Gründe, auf die im Abschnitt zur Transnationalen Interaktion eingegangen wird. Hier ist wichtig fest zustellen, dass ein Grund – auch für das Abtreten Castiellas – die verschiedenen Meinungen waren, die in Bezug auf das Sicherheitsbedürfnis Spaniens bestanden. Zwar trafen sich die Wirtschaftspolitik der Technokraten und Castiellas Annäherung an Westeuropa; andere Ziele des Außenministers wie die Rückgewinnung Gibraltars durch eine breite Dekolonialisierungspolitik im Einklang mit der UNO riefen jedoch den Widerstand Francos und des zweiten Mannes und „Kronprinzen“ in seiner Regierung, Carrero Blanco hervor. Vor allem in dem Moment, als Castiella enttäuscht von der Nichtunterstützung der USA in der Gibraltar-Frage zu einem härteren Kurs bei den Verhandlungen zur Verlängerung der Stützpunktverträge überging und die Annäherung zu Frankreich suchte, das seinerseits gerade dabei war, sich von der NATO zu distanzieren, wurde deutlich, dass Franco die Unterstützung der USA nicht aufs Spiel setzen wollte oder anders gesagt: einfach nichts tun wollte, was den Status quo veränderte hätte. Zugleich muss man konstatieren, dass die beabsichtigte Annäherung an Westeuropa bis dahin keine positiven Ergebnisse gezeitigt hatte. Es zeichnete sich ab, dass das Äußerste, was man von der EWG erwarten konnte, ein Han-
72 Castiella wird übereinstimmend eine besondere Rolle für die spanische Außenpolitik bis 1975 zugewiesen. Er hat als einer der wenigen Außenminister überhaupt eine „authentische nationale Außenpolitik“ (a.a.O., Cervera Calduch, S. 129) betrieben. Er wollte nicht Außenpolitik im Schlepptau der internationalen Situation machen, sondern selbst eine positive Aktivität entfalten, die auch Terrain auf dem internationalen Feld gut machen sollte. (a.a.O., Pardo Sanz, S. 345) Seine Bedeutung, die über seine Amtszeit weit hinaus geht, liegt neben der politischen Schwerpunktsetzung und seiner Idee von Außenpolitik darin, dass er das diplomatische Wesen Spaniens modernisiert hat, so den Informationsdienst der Diplomaten, die Oficina de Información Diplomática, und dass in seiner Amtszeit ein wichtiger Kern an Diplomaten herangebildet wurde, von denen viele nach 1975 zentrale Positionen inne hatten. So José María Areilza, Außenminister 12/1975-6/1976; Marcelino Oreja, Außenminister 6/19769/1980; José Pedro Pérez Llorca, Außenminister 9/1980-11/1982; Fernando Morán, Außenminister 11/19826/1985, um nur die höchstrangigen zu nennen. Siehe zur ausführlicheren Würdigung der Amtszeit von Castiella insbesondere Oreja, Marcelino, Tres Vascos en la Política exterior de España, Discurso de Recepción del Académico de Número, Real Academia de Ciencias Morales y Políticas, 24. April 2001, Madrid, hier der Teil zu Castiella, S. 13-23; des Weiteren a.a.O., Pardo Sanz.
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delsabkommen war. Da der Erfolg in Europa also begrenzt war, blieben die USA der Hauptpfeiler der spanischen Außenpolitik. An den Bedingungen des Stützpunktvertrages entzündete sich allerdings Kritik von ganz verschiedenen Seiten. Selbst Franco war nicht zufrieden mit ihnen und wollte auf diplomatischem Wege die Bedingungen verbessern.73 Zum einen hatten viele Spanier den Eindruck, dass die Souveränität des Landes Schaden durch das Abhängigkeit von den USA davon getragen hatte74. Zum anderen fürchteten viele Spanier auf Grund der starken amerikanischen Militärpräsenz selbst Ziel von militärischen Aktionen von Seiten der Sowjetunion werden zu können.75 Nicht nur im Außenministerium, auch bei der Marine, beim Heer und der Luftwaffe begann man, die Reichweite der Konzessionen Francos beim Abtreten nationaler Souveränität in Frage zu stellen.76 Noch dazu, da der strategische Wert Spaniens eher gestiegen war durch die Krisen im Nahen Osten und den Vietnam-Krieg. Die Verlängerung der Verträge 1963 und 1969, bot die Gelegenheit, neu zu verhandeln und die Konditionen zu verbessern. Vor allem wollte Spanien eine Art Beistandspakt abschließen, um dem Sicherheitsbedürfnis – auch auf Grund der erhöhten Angriffsgefahr durch die Basen – Rechnung zu tragen. Mitten in den Verhandlungen im Jahr 1962 erlaubte Franco jedoch den USA - quasi im Alleingang -, den Luft- und Marinestützpunkt Rota bei Cádiz auch für amerikanische U-Boote mit Nuklearsprengköpfen zu benutzen. Castiella war kurz davor, zurück zu treten. Immerhin konnte er eine Art „Schutzerklärung“, die „Joint Declaration“ erreichen, aber ansonsten keine weiteren Zugeständnisse der USA. 1968 trat Castiella härter auf. Der Gegenwind in Spanien gegen die Verträge hatte sich verschärft. Die öffentliche Meinung war inzwischen sensibilisiert, nachdem sich 1966 bei einem Zusammenstoß zweier Flugzeuge der amerikanischen Luftwaffe über spanischem Festland zwei Bomben mit atomaren Sprengköpfen gelöst hatten und niedergingen. Zwar explodierten sie nicht, bewirkten aber eine erhebliche radioaktive Verseuchung.77 Die Bevölkerung wurde immer kritischer, ebenso die Presse, die sich seit den liberaleren Pressegesetzen größerer Freiheiten erfreute. Das Thema der Stützpunkte beherrschte die Tageszeitungen mit „einer bis dahin unbekannten Lebendigkeit“.78 Während der Verhandlungen zwischen 1968 und 1970 und nach der Unterzeichnung „aktiviert man die größte Kampagne der Opposition, die das Regime kennt“.79 Spanien hatte eine Umwandlung der Verträge in wirkliche Beistandsabkommen gewollte, mehr finanzielle Militärhilfe und vor allem auch die Unterstützung der USA für die Rückgewinnung Gibraltars. Die Verträge von 1970 konnten von diesen Forderungen Spaniens nicht weiter entfernt sein. Sogar die „Joint Declaration“ von 1963 war weggefallen. Castiella war inzwischen abgelöst worden. Selbst Artajo, der 1953 als Außenminister die Verträge ausgehandelt hatte, kritisierte, dass die Basen missbraucht würden für Zwecke, die nichts zu tun hätten mit der Verteidigung des spanischen Territoriums.80 73
Vgl., a.a.O., Fusi, 1992, S. 199 Vgl., a.a.O., Powell, 1995, S. 21 Vgl., a.a.O., Tamames, S. 529 76 Vgl., a.a.O., Calduch Cervera, S. 129 77 Der Zusammenstoß eines B-52 Bombers und einer KC 135 über Palomares (Almería) war einer schlimmsten Unfälle mit nuklearen Waffen, der sich während des Kalten Krieges im Westen ereignet hatten. 78 Siehe dazu Barbé, Ester, España y la OTAN. La problemática europea en materia de seguridad, Barcelona 1984, S. 71f 79 Ebd., S. 75 80 Vgl., ebd., S. 75f 74 75
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Dieses Kapitel der spanischen Außenpolitik der Franco-Zeit zeigt zwei Dinge: Erstens, die Herausbildung verschiedener Fraktionen innerhalb des Regimes, nämlich Öffnungsgegner und Öffnungsbefürworter, wobei Franco als Bewahrer des Status quo fungiert. Was die USA angeht, so entstand eine sehr kritische Haltung, bei der sich die politische Linke interessanterweise mit eher in nationalem Interesse Denkenden – seien es Militärs, Falange oder andere Regierungsmitglieder - traf. In der Bevölkerung aber bildete sich ein Ressentiment gegen die amerikanischen Streitkräfte und in letzter Konsequenz gegen die USA heraus. Zweitens, wird deutlich, dass außenpolitische Fragen während der Franco-Zeit eine wichtige Rolle spielten. Die Frage nach der Einbettung Spaniens hatte sowohl für die Führung als auch zunehmend für bestimmte Kreise der Bevölkerung eine zentrale Bedeutung, vor allem seit der Existenz der EWG. Die Frage der Öffnung wurde Teil der wachsenden Konfliktlinien innerhalb des Regimes, sie wurde Teil der Agenda der Opposition und sie bewirkte eine Sensibilisierung der Bevölkerung für ihre nationalen Interessen und die Art und Weise, wie die Regierung damit umging. Das andere zentrale Thema der Außenpolitik waren die Beziehungen zu den USA. Die zunehmende Unzufriedenheit der Militärs und der Regierung und die Ressentiments der Bevölkerung hallten in der Zeit nach 1975 nach und bestimmten die Bewertung der Beziehungen zu den USA mit. Politikern wie Bevölkerung hingen der „Sklavenstatus“81 Spaniens gegenüber den USA nach. Auch der Antagonismus zweier spanischer Konzepte internationaler Verortung verlängerte sich nach 1975: So nachhaltig die Spuren Castiella für die spanische Diplomatie gewesen seien, wie Pardo Sanz feststellt, so problematisch sei sein politisches Erbe gewesen. Der „erste Castiella“ stehe für die europäistische und atlantische Orientierung. „Der letzte Castiella dagegen nährte, vielleicht ohne zu wollen, alte nationalistische Leidenschaften in der spanischen öffentlichen Meinung, die in einigen Generationen von Spaniern aktiv bleiben konnten bis Anfang der 1980er Jahre, wobei die antiimperialistische und antinordamerikanische Komponente des internationalen politischen Denkens der politischen Linken dazu kamen. Dieses alternative Muster, das für Spanien durchschimmerte in den letzten Monaten seiner Amtszeit wurde von einigen zentristischen Politikern der Transition (gemeint ist: Politikern der Partei Unión Centro Democrático, UCD, - Anm. MK) wieder gefordert…In jedem Fall könnte in dieser problematischen Erbschaft eine Erklärungskomponente für die Ambiguität der UCD hinsichtlich ihrer Sicherheitspolitik – vor allem des Tandems Suárez-Oreja – liegen, die mehr als erforderlich das perpetuierte, was Ex-Präsident Calvo Sotelo die Haltung des `Romantizismus´ in der spanischen Außenpolitik genannt hat.“82
Auf diese zentrale Feststellung wird im Kapitel über die Transition zurückzukommen sein. Festzuhalten ist, dass es ab 1957 zwei Grundorientierung hinsichtlich der internationalen Einbettung Spaniens gab: erstens, eine eindeutige europäische mit in unterschiedlicher Ausprägung vorliegendem atlantischem Akzent, die sowohl von Oppositionskreisen83 als auch von Kreisen der Regierung (Technokraten) - aus unterschiedlichen Gründen freilich vertreten wurde; und zweitens, jenes „alternative Muster“ eines stärker unabhängigen Spaniens, vertreten einerseits von nationalistischen Kreisen sowohl in der Regierung als auch im Militär, andererseits von der antifranquistischen linken Opposition und ihrem antinordamerikanischen, anti-imperialistischen Denken. Franco selbst inklusive einige seiner 81 82 83
A.a.O., Tamames, S. 493 A.a.O., Pardo Sanz, S. 363 Siehe dazu den Abschnitt “Transnationale Interaktion”
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Regierungsmitglieder wie Carrero Blanco bauten auf die Freundschaft und Wirtschaftsbeziehungen zu den USA, zu Spanisch-Amerika und der arabischen Welt, während Europa großes Misstrauen entgegengebracht wurde.84 Zu einem Beitritt zur EWG war Franco nur bereit, insofern er keine Veränderungen für „unsere innere Gesundheit“ bedeutete. Er befürchtete, dass die Einbindung in die EWG „schädliche Infiltrationen“ mit sich bringen würde und einen Veränderungsdruck im Inneren auslösen könnte, was wiederum zur Destabilisierung seines Regimes führen könnte. Das externe Umfeld: neuer Druck durch den neuen Akteur EWG85 Für Spanien, seine Position und seine außenpolitische Ausrichtung waren vor allem zwei Dinge relevant: zum einen das Erscheinen eines neues Akteurs auf der regionalen und internationalen Bühne: der EWG 1957 sowie damit zusammenhängend der EFTA 1960; zum anderen die jeweilig wechselnde Bewertung der geostrategischen Situation des Landes durch die USA. Der generelle Hintergrund blieben Kalter Krieg und Ost-WestAntagonismus. Die Unterzeichnung der Römischen Verträge löste in Spanien eine starke Reaktion aus. Dafür gab es verschiedene Gründe. Ein Motiv war, dass Spanien wieder drohte, außen vor zu bleiben bei wichtigen Entwicklungen auf dem Kontinent, das alte Trauma der Randlage kam wieder hoch: „Die Schaffung des Gemeinsamen Marktes, die Konvertibilität der europäischen Währungen bewirkten eine fast pathologische Angst, am Rande der neuen Ökonomien des Kontinents zu bleiben.“86 Ein zweiter Grund war eher wirtschafts- bzw. handelspolitischer Natur. Die Entscheidung Francos, die Wirtschaftspolitik zu liberalisieren und damit kompatibel zu machen mit den westlichen Volkswirtschaften, die Einsetzung der Technokraten an die Schlüsselpositionen der Regierung waren zu einem Teil beeinflusst von der Zeichnung des EWGVertrages. Jedenfalls sahen es die Wirtschaftskreise als notwendig an, auf dieses Ereignis zu reagieren, um zu verhindern, dass die Errungenschaften der europäischen Integration den eigenen Handelsströmen schaden könnten. Diese Sichtweise wurde zusätzlich verschärft durch die wenige Jahre später erfolgte Gründung der EFTA, der auch Portugal angehörte und zu der Spanien nicht eingeladen wurde, womit es einmal mehr isoliert dastand. Die Gründung der EWG – als Weiterentwicklung der erfolgreichen EGKS und als verheißungsvolle Perspektive für ein geeintes Europa – hatte bald eine starke Anziehungskraft entwickelt: 1959 beantragten Griechenland und die Türkei die Assoziierung, 1961 folgten Österreich, die Schweiz und Schweden. Im selben Jahr reichten Großbritannien, Irland und Dänemark, ein Jahr später Norwegen ihre Anträge auf Vollmitgliedschaft ein. Die anfängliche Idee, dass eine Rivalität zwischen EWG und EFTA entstünde, bestätigte sich nicht; die Entwicklung schien eher daraufhin zu deuten, dass die EFTA mittelfristig in der EWG aufgehen würde. Zusammengefasst drohte sich das Entstehen dieser europäischen Wirtschaftund Freihandelsräume wirtschaftlich und politisch negativ für Spanien auszuwirken. Dieses 84
Siehe dazu der Franco-Biograph Luis Sánchez Fernández, Franco y su tiempo, Bd. VI, Madrid 1985, S. 188: “Der Generalísimo Franco misstraute den europäischen Initiativen...(…) Seine Hoffnung wurzelte darin, neue Felder der Freundschaft und Wirtschaftbeziehungen aufzutun in den Vereinigten Staaten, Hispanoamerika und den Nationen des Islam.“ 85 Siehe zu diesem Abschnitt: a.a.O., Moreno Yuste, S. 206f, a.a.O. Powell, 1995, S. 22f; a.a.O., Pardo Sanz, S. 341f 86 A.a.O., Carr, S. 708
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Bedrohungsgefühl nahm in dem Maße zu, wie sich die Integration bestimmter Politikfelder weiterentwickelte, insbesondere der Gemeinsame Markt, die Gemeinsame Agrarpolitik und die Zollunion. Der zweite Faktor im internationalen Szenario, der in Spanien eine gewisse Unsicherheit auslöste, war das Bedrohungsgefühl durch den Sputnik-Start, der weltweit wie auch in Spanien der Reichweite potentieller Angriffe eine ganz andere Dimension gab. Spanien fühlte sich plötzlich sehr ungeschützt, noch dazu es sich nicht auf den Schutz der USA berufen konnte. Die USA ihrerseits war vielerorts involviert (Suez-Krise, israelisch-arabischer Krieg, Kuba-Krise, Vietnam). Gerade die Konflikte im Nahen Osten erhöhten in den Augen der Franco-Regierung die strategische Bedeutung Spaniens, was Ausgangspunkt des Versuches wurde, bessere Konditionen und vor allem einen Beistandspakt mit den USA auszuhandeln. Es gab in Bezug auf die oben dargelegten Faktoren im externen Kontext – Gründung der EWG und Bedrohungsgefühl durch UdSSR – jeweils zwei ambitiöse Versuche der Neujustierung, zufällig beide zwischen 1962 und 1964: Der erste war die Neuverhandlung der Stützpunktverträge mit den USA, der zweite war der Antrag auf Assoziierung mit der EWG, die in eine volle Integration münden sollte. Beides gelang nicht. Transnationale Interaktion: die EWG und Franco-Spanien – politische Beziehungen ausgeschlossen Die Gründung der EWG und die in den folgenden Jahren ausgelöste Dynamik ließen weder die Regierung noch die oppositionellen Kräfte gleichgültig. Sie bedeutete Wasser auf den Mühlen sowohl derjenigen, die ohnehin die wirtschaftliche Öffnung des Landes vertraten, als auch derjenigen, die die völlige Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen anstrebten. Außerdem verkörperte sie den Scheidepunkt zwischen den demokratisch Gesinnten und den nicht-demokratisch Gesinnten im Lande. So der Oppositionspolitiker Fernando Alvarez de Miranda: „…das Problem der europäischen Einigung diente als zwangsläufiger Referenzpunkt zur Abgrenzung derjenigen, die für demokratische und liberale Werte eintraten und derjenigen, die sie ablehnten.“87 Es gab verschiedene Reaktionen der spanischen Regierung, sei es, dass im Juni 1957 eine „Interministerielle Kommission zur Analyse der EWG“ (CICE) eingesetzt wurde, sei es die Entsendung eines Botschafter vor der EWG 1960; sei es der Stabilisierungsplan von 1959, der auch auf diesem Hintergrund gesehen werden muss.88 Die bedeutsamste und einschneidendste Reaktion aber war die Entscheidung für die Annäherung an die EWG in Form eines Assoziierungs-Antrags mit dem Ziel des Beitritts. Ein Schlüsselmoment war das Jahr 1962: einmal für die Beziehungen zwischen der EWG und Spanien, zweitens, für die Handlungen der Regierung Franco, drittens, für die Aktivität der Opposition sowie, viertens, für die Strategie der EWG. Die Entwicklung in Europa und die wirtschaftliche schlechte Lage in Spanien führten, wie erwähnt, dazu, dass sich der Druck auf Franco zur Öffnung des Landes Richtung EWG erhöhte. Die Interministerielle Kommission zur Analyse der EWG kam zu dem Schluss, dass ein Nicht-Beitritt für die Wirtschaft wie für die Landwirtschaft negative Folgen haben könnte. Die Antragswelle auf Assoziierung oder Beitritt zwischen 1959 und 1962 ließ zu87 88
Alvarez de Miranda, Fernando, Del “contubernio” al consenso, Barcelona 1985, S. 24 So Powell, a.a.O., 1995, S. 22
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sätzlich die Befürchtung entstehen, Spanien könnte vom Gemeinsamen Markt, von der Zollunion, insgesamt von dem Integrationsprozess ausgeschlossen werden.89 Dass andere südeuropäische Länder ebenfalls, entweder im Falle Griechenlands mit der EWG assoziiert oder im Falle Portugals EFTA-Mitglied wurden, verstärkte dieses Gefühl zusätzlich. Bei der Frage, wie auf die europäische Integration zu reagieren sei, gab es verschiedene Ansätze, die offenbarten, dass die Reorientierung zu Europa hin interne Spannungen auslöste und die spanische Außenpolitik stark gelenkt war von dem Machtkampf rivalisierender Fraktionen innerhalb des Regimes.90 Franco war dafür, die Abhängigkeit so gering wie möglich zu halten; aber die für die Sanierung des Landes zuständigen Regierungsmitglieder, hinter denen sich die einflussreicher werdenden Wirtschaftsinteressen des Landes sammelten, bestanden darauf, dass die anvisierten Ziele nur mit der Hilfe bzw. Vernetzung internationaler Wirtschaftsorganisationen zu erreichen waren. Eine engere Integration mit den europäischen Ökonomien betrachtete man als notwendig zur Reform der eigenen Wirtschaft. Franco und Carrero Blanco standen der EWG mit Argwohn gegenüber, sie konnten sich am ehesten mit de Gaulles „Europa der Vaterländer“ anfreunden. „Der Druck auf die Regierung, diesen Schritt [des Beitrittsantrages – MK] zu tun, wurde immer stärker in bestimmten Bank- und Wirtschaftskreisen, die fürchteten – um nur einen wichtigen Aspekt des spanischen Außenhandels zu nennen -, dass wenn man ihn nicht tue, große Schaden zu erleiden seien in Bezug auf den spanischen Export von Zitrusfrüchten und Wein ...“91 Der Druck auf Franco kam nicht nur von den Technokraten, sondern auch von Seiten der Falange und den Gewerkschaften.92 Seine Entscheidung über die Politik gegenüber der EWG wurde im Laufe des Jahres 1961 gebildet und dann im Januar 1962 getroffen93. Am 9. Februar 1962 wurde dem EWG-Ratspräsidenten der „Antrag auf Assoziierung mit dem Ziel, eines Tages eine volle Integration zu erlangen“ übergeben. Für diese Formulierung gab es mehrere Gründe, einerseits wirtschaftliche wie etwa die Tatsache, dass Spaniens Wirtschaft nicht in der Lage war, den mit einer Vollintegration verbundenen Implikationen stand zuhalten. Andererseits aber war insbesondere nach dem Birkelbach-Bericht die weiterhin deutliche Ablehnung des nicht-demokratischen Franco-Regimes klar. Die Idee einer Assoziierung mit einer Schrittweisen Einbindung und einer schließlichen Integration folgte dem intensiv studierten Modell der Assoziierung Griechenlands und entsprach der eher defensiven Linie, die das Regime in Bezug auf Europa fuhr.94
89 Finanzminister Navarro legte in seinem Memorandum vom Januar 1959 in drastischen Worten dar, Spanien könnte in eine Situation des „Gefängnisses kommen, in der es Kontrollen unterworfen würde, die nur jenseits des Eisernen Vorhangs existierten.“ Dies sei eine sehr harte Argumentation für Franco gewesen, aber er habe die Politik abgesegnet: „Que se haga“: „Dann machen wir es.“. Zit. n. a.a.O., Carr, S. 709 90 Ebd., S. 95; siehe auch a.a.O., Powell, 1995, S. 23 91 Vertrauliche Notiz des Korrespondenten der Financial Times in Madrid vom 8.2.1962, Nota de la Oficina de Información Diplomática, Madrid MAE, R 69 16/E6, zit. n. a.a.O., La Porte, S. 19 92 Das franquistische Kampfblatt „Arriba“ schrieb 1959, Spanien sollte in das neue Europa eintreten oder sich auf den Kollaps vorbereiten. Vgl., a.a.O., Carr, S. 708 93 Die entscheidende Meinungsbildung fand in der der Regierungskommission für Wirtschaftsangelegenheiten statt, vor der auch Franco drei Mal sprach. Es gab unterschiedliche Meinungen bezüglich des Zeitpunktes des Antrages an die EWG: Handelsminister Ullastres fand den Zeitpunkt ungünstig (Verhandlungen mit Großbritannien etc., Vorbereitungen der GAP) und plädierte für einen späteren, Außenminister Castiella unterstrich die Bedeutung des politischen Aspekts des Einigungsprozesses und befürwortete einen möglichst schnellen Antrag. Vgl., a.a.O., Moreno Yuste, S. 209 sowie S. 217ff 94 Vgl., ebd., S. 225ff. Dort finden sich die Gründe Etappen der Formulierung des Antragsbriefes ausführlich dargelegt. Interessant ist zum Beispiel, dass es drei Formulierungsvorschläge gab, von denen einer nur die Assoziie-
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Nach dem Antragsbrief entfaltete sich eine intensive diplomatische Initiative – für die spanische Diplomatie völlig ungewöhnlich, was den besonderen Charakter dieser Mission unterstreicht – mit dem Ziel, einer „größten Anstrengung, damit die erste Antwort des Rates nicht eine bloße Eingangsbestätigung sein möge“, so der spanische Botschafter in Brüssel.95 Tatsächlich war die Antwort aber eine bloße Eingangsbestätigung. Generalsekretär Calmes schrieb in einem Brief an den spanischen Außenminister, „dass nur nach einer Geste Spaniens im Sinne seiner Annäherung der politischen Struktur an die Westeuropas eine günstige Berücksichtigung Ihres Antrags möglich ist.“96 Als das spanische Außenministerium um Konkretisierung bat, blieb die Antwort allerdings vage; Calmes erwähnte das Wahlsystem und die Gewerkschaftsfreiheit. Die Kampagne, die die sozialistische Gruppe der Parlamentarischen Versammlung kurz nach dem Eingang des Antrags begonnen hatte, die starke antifranquistische Haltung in Teilen der öffentlichen Meinung und der Widerstand in den nationalen Parlamenten (vor allem Belgien, Niederlande), führte wohl zu jener Antwort des zuständigen Kommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Jean Rey: „…die europäische Politik ist nicht nur von Interessen geleitet, sondern auch von Gefühlen und Idealen. Wenn es so starke Meinungen gibt, müssten ihnen Rechnung getragen werden durch alle europäischen Autoritäten: Rat, Kommission, Versammlung …“97 Man hatte in Spanien optimistischer Weise mit einer positiven Antwort und einem schnellen Verhandlungsbeginn gerechnet.98 Die in den Worten des spanischen Diplomaten und Botschafters vor der EG, Raimundo Bassols, „kalte und entmutigende Reaktion“99 hatte mehrere Gründe: Zuvorderst stand der politische Grund, nämlich der weiterhin undemokratische Charakter Spaniens, der auf dem Hintergrund des gerade einen Monat zuvor verabschiedeten Birkelbach-Berichtes des Europäischen Parlaments100 demokratische Verhältnisse als Beitrittsbedingung in den Mittelpunkt rückte. Zum anderen war die EWG sowohl beschäftigt mit der Flut anderer Anträge als auch aufgrund dessen noch gar nicht entschlossen, wie man das Thema Assoziierung und/oder Beitritt anpacken sollte. Des Weiteren hatte die EWG mit anderen internen Problemen zu tun. Schließlich aber waren sich weder die einzelnen Organe noch die Mitgliedsstaaten einig. Die Position des Parlaments war klar, und in der Debatte Ende März 1962 machte der Abgeordnete Birkelbach noch einmal deutlich, dass die Gemeinschaft keine Assoziierung mit Spanien eingehen könne, solange „das aktuelle Regime in Spanien nicht das gleiche noble Ziel proklamiert, die Freiheit sicher zu stellen.“101 Die Birkelbach-Doktrin war theoretisch und praktisch eine unüberwindbare Hürde für die spanischen Aspirationen. Walter Hallstein für die Kommission und Couve de Murville für den Rat hatten zwar dieselbe Reserve bezüglich der politischen Verhältnisse, waren aber rung anspricht, der zweite überhaupt keine konkrete Form nennt, dafür aber eine klar europäistische Formulierung enthält, die dann in der endgültigen Fassung wegfällt. 95 Zit. n. a.a.O., Moreno Yuste, S. 232 96 Brief vom 14.3.1962, Ministerio de Asuntos Exteriores, R 6916/E 7 (zit.n. a.a.O., La Porte, S. 365) 97 Brief Jean Rey, Ministerio de Asuntos Exteriores, R 6915/E 65 (zit. n. A.a.O., La Porte, S. 370) 98 Siehe ebd., S. 233 sowie a.a.O., La Porte, 332 99 So Raimundo Bassols, España en Europa. Historia de la adhesión a la CE 1957-85, Madrid 1995, S. 38. Raimundo Bassols, hoher spanischer Diplomat, hatte während der Transition zentrale europapolitische Positionen inne: Unter Außenminister Oreja war er Botschafter vor der EG in Brüssel, von September 1980 bis November 1982 Staatssekretär für die Beziehungen mit der EG. Bassols gehörte zum Team, das mit der EG verhandelte. Sein Buch stellt ein wertvolles Zeitzeugnis dar. 100 Siehe III. 1.3 101 Debatte vom 27. bis 30. März 1962, zit. n. a.a.O., Bassols, S. 39
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weniger hart oder begrüßten – wie Hallstein – gar den spanischen Antrag. Ähnlich gespalten waren auch die Meinungen der Mitgliedsstaaten: Frankreich und Deutschland empfingen den Antrag als positiv und erfreulich, Belgien, Holland und Italien zeigten größte Reserven.102 Dies spiegelt zwei verschiedene Ansätze wider: Der eine bestand in einer drastischen Ablehnung einer Annäherung, die von den sozialistischen Regierungen (Belgien, Holland, Italien) und den ebenso gesinnten Parteien, Gewerkschaften etc. getragen war. So kündigte Birkelbach in jener Parlamentsdebatte vom März 1962 an, dass es nicht bei diesem Veto bleibe, sondern dass die sozialistische Gruppe eine kontinuierliche Aktion gegen die Etablierung von Beziehungen zwischen der EWG und Spanien starte. Europa, so Birkelbach, diene dem spanischen Volk mehr, wenn es seine Regierung ablehne, denn die Theorie, dass mehr internationale Anknüpfung zur liberalen Evolution der Diktaturen führe, sei eine falsche Theorie.103 Tatsächlich waren bereits nach Eingang des Antrags entsprechende Briefe gegen Verhandlungen mit Spanien beim Rat eingegangen (z.B. der Conference International des Sindicats Libres), und es setzte eine Kampagne ein, die auch die nationalen Parlamente einbezog.104 Der andere Ansatz lehnte die undemokratischen Verhältnisse nicht minder ab, sah aber in dem Schritt der spanischen Regierung ein Hoffnungszeichen für eine mögliche innere Evolution hin zu demokratischen Verhältnissen. So sagte der deutsche Vizekanzler Ludwig Erhardt 1961, er erwarte den sofortigen Eintritt Spaniens zur EWG, sobald der Demokratisierungsprozess in allgemeine Wahlen gipfelte.105 Eine verbreitete Idee war, dass Kontakte mit Spanien einen Wandel des Regimes bewirken könnten. So argumentierte der belgische Sozialist Dehousse: „Si nous voulons enseigner la démocratie au peuple espagnol, nous n´y parviendrons que par l´exemple, et non pas en le frappant d´ostracisme. Nous ne pouvons espérer modifier la structure politique actuelle de l´Espagne qu´un favorisant les contacts humains que les espagnols désirent si ardemment, et en les mettant à même de voir notre démocratie à l´œuvre. “106
Diese Haltung traf sich mit der in den 1960er Jahren aktuellen Modernisierungstheorie. Dazu kam, dass man Spanien durchaus als Teil Europas betrachtete und grundsätzlich seine Mitgliedschaft befürwortete. Außerdem waren die Wirtschaftsinteressen nicht zu vernachlässigen, denn nachdem die spanische Wirtschaft sich stabilisiert hatte, waren die westeuropäischen Ökonomien durchaus an einer Annäherung interessiert. Diese Gespaltenheit in Bezug auf die Herangehensweise gegenüber Spanien zeigte sich auch innerhalb des Europarates. Während das Ministerkomitee der Einbeziehung Spaniens bei der Assoziierung aller Mittelmeerländer nicht fern stand, spiegelte die Beratende Versammlung die feindliche Haltung gegenüber dem Franco-Regime wider.107 Die Anstrengungen der spanischen Dip102
Ausführlich zu den Positionen der einzelnen Regierungen: a.a.O., Bassols, S. 35ff und Moreno Yuste, S. 66ff sowie S. 246ff 103 Zit. n. a.a.O., La Porte, S. 369f 104 Vgl., ebd., S. 343 sowie a.a.O., Moreno Yuste, S. 242 105 Büro des spanischen Botschafters de Bolarque, 29.4.1961, MAE 1350/8, A.F.F. leg. 166, fol. 57, zit. n. a.a.O. La Porte, S. 256 106 Intervention in der Sitzung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 14.9.1959, 11. reguläre Sitzung; zit. n. a.a.O., Moreno Yuste, S. 68 107 Beide Haltungen kristallisierten sich heraus in dem „Macmillan-Bericht“ und dem „Renger-Bericht“. Der Macmillan-Bericht war, so Moreno Yuste, der größte Erfolg, den die spanische Diplomatie erreichte in ihrem Versuch, Unterstützung für den Antrag zu sammeln. Dennoch muss man sehen, dass erstens, die Rede war von einer
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lomatie unter Außenminister Castiella aber wurden ohnehin sehr bald zunichte gemacht, und zwar von Franco selbst. Anlass war der Kongress der Europabewegung Anfang Juni 1962 in München. Die Gründung und Existenz der EWG hatte eine starke Wirkung auf die oppositionellen Kräfte108 und die Öffentlichkeit ausgeübt, die in dem europäischen Einigungswerk eine neue Hoffnung sahen. Die Zukunft Spaniens hatte plötzlich einen neuen Rahmen bekommen, einen europäischen, so Alvarez de Miranda109: „Während der ganzen Etappe des Franquismus, ist die Fahne des Europäismus Synonym für Freiheit, Demokratie und Progressismus. (…) Die spanischen Demokraten dachten, dass unser Entrinnen in Europa liege.“110 Die Nachrichten, die über die EWG nach Spanien kamen, reflektierten zwar die offizielle Haltung des Regimes, nämlich dass Europa eine Utopie und ein Manöver sei, aber die Leute hätten dies nicht mehr geglaubt, und so sei Franco „ausgerutscht auf den vielen von den Ideen und Nachrichten aus dem Ausland unruhig gewordenen Geistern“. Und dies war auch der Anstoß, Vereinigungen zu gründen, die um Europa kreisten.111 Die EG habe einen „großen Einfluss auf die gesamte Bewusstseinshaltung in Spanien“ gehabt. Europa als „Tor und Tür zur Demokratisierung“, als „Pforte zu einer Erneuerung“.112 Als Spanien dann den Antrag auf Assoziierung stellte, betrachtete auch die Bevölkerung dies als einen positiven Schritt. Eine der wenigen Umfragen, die aus der Zeit vorliegen, belegen die mehrheitliche Befürwortung (74 Prozent) eines EWG-Beitrittes113. Bassols beschreibt, dass es kaum vorstellbar sei, welche Wirkung der spanische Antrag gehabt habe. Der Brief habe „eine Ladung Sauerstoff“ beinhaltet, von der die Spanier dachten, es seien die Lüfte der Transition. Zwar rechneten die Spanier mit vielen Problemen, aber man empfand, dass etwas Neues und Wichtiges passiert.114 Die Identifikation mit dem „europeísmo“ – ein im Spanischen geläufiger Begriff für diese pro-europäische Haltung, der als „Europäismus“ schwierig ins Deutsche zu übertra„certaine forme d´accord économique entre l´Espagne et la CEE“, die die EWG prüfen sollte, und zweitens, enthielt auch diese Empfehlung den Hinweis „tenant compte des modifications constitutionelles qui seront nécessaires avant qu´une forme quelconque d´association politique puisse être envisagée.“ Siehe dazu a.a.O., Moreno Yuste, S. 250ff 108 Die antifranquistische Opposition war zum einem vielgestaltig und lässt sich nicht als homogenes Ganzes verstehen; zum anderen gab es im Laufe der langen Herrschaftszeit Francos auch verschiedene Phasen. So unterteilt Tusell in seinem Standardwerk eine erste Phase von 1939 bis 1949 unter dem Stichwort der demokratischen Alternative während des Zweiten Weltkrieges und eine zweite Phase, die von 1950 bis 1962 reicht. Die nach dem Zweiten Weltkrieg geschwächte Opposition konnte in der ersten Hälfte der 1950er Jahre ihre Situation nicht ändern: Die wirtschaftliche Erholung und insbesondere die internationale Anerkennung waren „triumphale Jahre“ (S. 226) für Franco. Ab Mitte der 1950er Jahre aber entstand eine neue Opposition, die sich eher aus den politischen Parteien speiste. Siehe a.a.O., Tusell, 1977, S. 225-439 109 Vgl. eigenes Interview mit Alvarez de Miranda. Zur Person: “Fernando Alvarez de Miranda ist einer der wenigen christdemokratischen Politiker, die für einen langen Lebensweg der Opposition gegen den Franquismus bürgen.“ So die Beschreibung von Prego, Victoria, Diccionario de la Trancisión, Barcelona 1999, (Alvarez de Miranda, S. 20-22), S. 20 110 Interview mit Fernando Alvarez de Miranda, in: Proyección internacional de España. Conversaciones de Sergio Vilar, Barcelona 1980, S. 17-24, hier: S. 17 111 Vgl., eigenes Interview mit Alvarez de Miranda 112 Vgl., Interview Dieter Koniecki 113 Laut einer Umfrage von 1968 antworteten auf die Frage: „Ihrer Meinung nach: Ist es richtig, dass Spanien versucht, in den Gemeinsamen Markt einzutreten?“ 74% mit ja, 2% mit nein, 24% gaben keine Antwort. „La opinión pública española ante la Comunidad Económica Europea, 1968-1985”, in: Revista de Investigaciones Sociológicas, 29/1985, S. 289-396, hier: Tab. 1, S. 293 114 Vgl., a.a.O., Bassols, S. 35
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gen ist – wurde zu einem Antrieb für alle diejenigen, die die demokratischen und freiheitlichen Ideale teilten.115 Anhand des durch die Gründung der EWG neu aufgekommenen und sehr konkreten Themas einer Verortung in Europa und der sehr konkreten Frage nach der Teilhabe am europäischen Einigungswerk in Form der Mitgliedschaft Spaniens entwickelte sich eine neue Aktivität der Opposition im Inneren wie im Äußeren. Dem „europeísmo“ kam in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre „eine wesentliche und wachsende Rolle“ in der Opposition zu.116 Es hatte bereits seit dem Kongress von Den Haag 1948 eine spanische Präsenz in der Europabewegung gegeben. Hierbei engagierte sich unter anderem Salvador de Madariaga aus dem Exil, der bereits während der Zweiten Republik ein Verfechter multi- bzw. supranationaler Zusammenschlüsse zur Konfliktregelung gewesen war117 und der jetzt die Entstehung spanischer „europeistischer“ Gruppen und Vereinigungen im Ausland anregte.118 Solche Institutionen und Vereinigungen entstanden in den 1950er Jahren auch in Spanien selbst, die wichtigsten in Zentrums- und katholischen Kreisen.119 Die Regierung beobachtete die Entstehung dieser Vereinigungen, deren Personal einst ihren eigenen Organisationen wie der Asociación Católica Nacional Propagandista (ACNP) angehört hatte, überaus argwöhnisch, entschloss sich aber, sie nicht zu unterdrücken. Diese europäisch gesinnten Organisationen hatten auch Verbindungen ins europäische Ausland. Und wenn Politiker – Europaabgeordnete, Minister usw. – nach Spanien kamen, wurde dies „von den Demokraten immer dazu genutzt, irgendwo (…) eine große Pressekonferenz zu machen und zu sagen: Spanien gehört zu Europa. Und das hatte auch Wirkung selbst innerhalb des franquistischen Apparates, der Unternehmerverbände…“.120 Die Annäherung an das demokratische Europa verkörperte einen Referenzpunkt für die Opposition, einen Ausweg, um aus dem Knebel des Franquismus herauszukommen. Der Antrag der spanischen Regierung an die EWG bewirkte eine unmittelbare Reaktion innerhalb der demokratischen Opposition, und zwar sowohl im Exil wie im Inneren. Dazu muss man sagen, dass, erstens, die demokratische Opposition im Land keinesfalls einig oder homogen war121 und es, zweitens, zuvor keinerlei Verbindung zwischen der Opposition in Spanien und außerhalb gab. Das Aufleben der Vision Europa in Form der EWG wurde, so der spätere sozialistische Außenminister Fernando Morán, zu einem „wesentlichen Faktor“ für die Entwicklung eines Dialoges zwischen den oppositionellen Kräften im In- und Ausland. Dies sollte auf dem Kongress der Europabewegung in München geschehen.122 Der Kongress in München am 7. und 8. Juni 1962 wurde zum „…vielleicht wichtigsten Ereignis, und natürlich zum Ereignis mit der meisten öffentlichen Aufmerksamkeit im Leben der demokratischen Opposition seit Mitte der 1950er Jahre und es 115
So Alvarez de Miranda an anderer Stelle: a.a.O., S. 24 Ebd., S. 383 117 Siehe dazu Kap. III. 2.1. Nun war er neben anderen Funktionen Mitglied des permanenten Exekutivkomitees der Europäischen Bewegung und Präsident des spanischen Rates derselben. 118 Vgl., a.a.O., Tusell, 1977, S. 384f 119 Die erste Einrichtung europeistischer Ausrichtung war das Instituto de Estudios Europeos, das 1950/51 in Barcelona ins Leben gerufen wurde; die wichtigste Organisation war die Asociación Española de Cooperación Europea (AECE), die geführt und dominiert wurde von Personen aus der Asociación Católica Nacional Propagandista (ACNP). Vgl., a.a.O., Tusell, 1977, S. 386f sowie sehr detailliert a.a.O., Alvarez de Miranda, S. 24ff 120 Interview Dieter Koniecki 121 Siehe dazu a.a.O., Tusell, 1977 122 Vgl., Interview Fernando Morán 116
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verursachte eine solche Erschütterung, dass man es als Determinante einer neuen Phase in ihrer Geschichte [der Opposition – MK] betrachten kann.“123
Das „contubernio de Munich“ - wie die Franco-Regierung und die Presse den vierten Kongress der Europabewegung und die Teilnahme von über 100 spanischen Politikern, die der Asociación Española de Cooperación Europea (AECE) verbunden waren, abfällig nannte – das „Schmachbündnis“ zwischen spanischen und europäischen Demokraten auf der einen Seite, aber auch von der inner- und außerspanischen Opposition kann in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Erstmals vereinigten und verständigten sich die oppositionellen Kräfte verschiedener Herkunft124 – Sozialisten, Christdemokraten und Liberale, Monarchisten und Republikaner, Oppositionelle im Exil und aus dem Inneren -, um den Wunsch und die Möglichkeiten einer Demokratie in Spanien auszuloten.125 Als Salvador de Madariaga in seiner Rede sagte, „der Bürgerkrieg, der in Spanien am 18. Juli 1936 begann und den das Regime künstlich aufrecht erhielt durch seine Zensur, das Monopol von Presse und Radio und die Siegesumzüge, dieser Bürgerkrieg endete vorgestern in München, am 6. Juni 1962“ 126, drückte er damit aus, dass erstmals seit der für Spanien verheerenden Spaltung durch den Bürgerkrieg die vom Franco-Regime bewusst genährte Polarisierung in Sieger und Besiegte außer Kraft gesetzt wurde. Diese Polarisierung, mit der Franco auch zur Aufrechterhaltung der unversöhnlichen Gegensätze innerhalb der verschiedenen oppositionellen Kräfte beigetragen hatte, wurde in München 1962 erstmals, wenn auch nicht vollständig überwunden, was sich in der symbolträchtigen Umarmung der Führer der Christdemokraten und der Sozialisten widerspiegelte. Dies bedeutete für die Opposition eine neue Etappe mit neuen Perspektiven, nämlich dem Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte. Das muss auch Franco klar gewesen sein, und seine Nervosität und seine Reaktion erklären sich aus diesem Umstand sowie aus dem Inhalt der gemeinsamen Resolution. Diese forderte, dass die Integration in die EWG – sei es in Form eines Beitritts oder einer Assoziation – für Spanien nur möglich sein sollte, wenn bestimmte konkrete Änderungen in Richtung eines demokratischen Systems vorgenommen würden127. Gemäß dieser Resolution sollte also auch bereits eine Assoziierung mit Spanien unmöglich gemacht werden. Die spanische Regierung versuchte zu verhindern, dass der Vorsitz diese spanische Resolution annahm, sie ging sogar soweit, bei der bayerischen Regierung zu intervenieren. Tatsächlich wurde diese Resolution nicht im Schlussmemorandum nicht aufgenommen.128 Erstaunlich hart war Franco außerdem bei der Bestrafung der Teilnehmer, so dass sie selbst von „einer solch fulminanten repressiven Reaktion“129 verwundert waren. Franco setzte am 8. Juni – also noch während des Kongresses Artikel 14 des „Grundgesetzes“ für 123
A.a.O., Tusell, 1977, S. 388f Die Teilnahme der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war sowohl von der inneren als auch von der ExilOpposition nicht erwünscht. 125 Vgl., a.a.O., Tusell, 1977, S. 394 126 Zit. n. ebd., S. 395 127 Die Note nannte fünf Punkte: Die Einrichtung wirklich repräsentativer und demokratischer Institutionen, die Garantie aller Menschenrechte, die Anerkennung der verschiedenen Gemeinschaften, die Ausübung der Gewerkschaftsfreiheit und die Möglichkeit zur Organisation von politischen Parteien und dem Recht zur Opposition. Weiterhin wurde angemerkt: „Der Kongress hat die Hoffnung, dass eine Entwicklung auf der Grundlage der genannten Punkte die Eingliederung Spaniens in Europa erlauben wird….“. Zit. n. a.a.O., Tusell, 1977, S. 398 128 Vgl., a.a.O., La Porte, S. 407 129 So Fernandez Miranda, 1985, a.a.O., S. 34 124
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die Dauer von zwei Jahren und für alle Spanier außer Kraft, nämlich das Recht auf freie Wohnungswahl. Als die Teilnehmer auf dem Madrider Flugplatz ankamen, wurden sie von der Polizei empfangen und zur Wahl gezwungen zwischen dem Exil im Ausland, in Form einer sofortigen Abreise mit dem nächsten Flugzeug, und der sofortigen Verbannung auf die Kanarischen Inseln.130 Zudem gab es eine massive Mobilisierung gegen jenes „contubernio“ durch die Presse, Reden Francos und anderer Regierungsmitglieder. Diese extrem harte Reaktion Francos wiederum rief den Protest innerhalb der europäischen Staaten, insbesondere der Europabewegung hervor. Anfang Juli 1962 wurde eine hochrangige Kommission ihres Internationalen Exekutivbüros bei Franco vorstellig. Zwar nahm Franco keine Rücknahme der verhängten Maßnahmen vor - was das Ziel der Intervention gewesen war -, wohl vollzog er aber wenige Tage später eine Umbesetzung seiner Regierung. Dieses Revirement ist in zweifacher Sicht bemerkenswert: Erstens, weil es als Folge der Unterhaltung zwischen Franco und der Kommission betrachtet wird131. Zum anderen sind die Neubesetzungen interessant: Franco holte Manuel Fraga in die Regierung, mit dem Auftrag, ein liberaleres Pressegesetz zu erarbeiten, und verstärkte den Einfluss des Opus Dei. Dennoch war klar, dass es nach dieser Reaktion Francos auf den Münchner Kongress keine positive Antwort von Seiten der EWG auf den spanischen Assoziierungsantrag mehr geben konnte. Die möglichen Zielsetzungen der diplomatischen Aktivitäten waren durch Francos Reaktion zerschlagen. Außenminister Castiella war kurz davor, zurückzutreten. Nicht nur ihm, auch anderen Regierungsmitgliedern132 war klar geworden, dass sich einerseits die öffentliche Meinung in Europa gegenüber Spanien nicht ändern würde, solange sich das Franco-Regime nicht änderte, dass andererseits aber solche Änderungen nicht in Sicht waren. Tatsächlich schwieg die EWG seit ihrer Empfangsbestätigung, was freilich auch andere Gründe hatte, nämlich interne Schwierigkeiten, insbesondere die Blockade der Norderweiterung und der Agrarpolitik durch de Gaulle. Nachdem der Assoziationsantrag in manchem westeuropäischen Land als positiver Schritt empfunden worden war, verstärkte sich nach der repressiven Reaktion Francos wieder die antifranquistische Haltung. Die einzelnen supranationalen Parteien verabschiedeten Resolutionen, nach denen nichtdemokratische Länder nicht in die EWG aufgenommen werden sollten.133 Ähnliche Initiativen gab es von verschiedenen nationalen Parlamenten (etwa der Niederlande). Schließlich verurteilte das Europäische Parlament am 26. Juni 1962 in einer Resolution die Repression des Franco-Regimes und forderte von den Regierungen der Mitgliedsstaaten, dass Franco-Spanien nicht der EWG beitreten dürfe.134 Die weitere 130
Diese Maßnahme wurde selektiv angewandt; das heißt, nicht alle 80 spanischen Teilnehmer wurden exiliert, sondern nur diejenigen, die das Franco-Regimes als die Hauptfiguren betrachtete, wie Gil Robles, Ridruejo, Alvarez de Miranda, Iñigo Cavero, Satrústegui. Insgesamt entschieden sich zehn Teilnehmer für die Verbannung auf die Kanarischen Inseln, die gleiche Zahl etwa für das Exil. Die anderen wurden Verhören unterzogen oder registriert. Vgl., dazu Fusi, Pablo, „La oposición a la dictatura franquista“, in: ders., De la dictatura a la democracia. Desarrollo, crisis y transición (1959-1977), Sonderausgabe XXV von Historia 16, Februar 1983, S. 11-61, hier: S. 72 131 Vgl., a.a.O., Tamames, 479 und 483 132 Minister Ruiz Gimenez näherte sich der demokratischen Opposition an, EWG-Botschafter Areilza kündigte und wurde Berater von Don Juan de Borbón. 133 Die Sozialisten am 4.6.1962, die Liberalen am 16.6.1962, die Christdemokraten am 22.6.1962. 134 „D´une part, il [das Komitee der Parlamentspräsidenten] est heureux que de ce fait, l´Espagne sorte de son isolement en Europe, en partie involontaire, en partie recherché, et souhait insérer dans une plus grande communauté son économie jusqu´alors isolée (…) Mais, d´autre part, on s´est demandé si la Communauté, que défend le principe de la démocratie et s´efforce de la mettre en pratique dans ses propre institutions, devrait entretenir des relations étroites avec un Etat qui ne semble pas partager ses concretions.“ AHCE, CCE, Sixtième rapport sur
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Haltung der EG war Schweigen und Nichtreagieren, bis Außenminister Castiella im Februar 1964 noch einmal auf sein Gesuch hinwies. Der Rat beauftragte daraufhin die Kommission mit Gesprächen, stellte aber klar, dass es sich lediglich um wirtschaftliche Gespräche handelte. Im Februar 1965 übermittelte die Kommission der spanischen Delegation einen Fragebogen, erst im Juni 1966 bat der Ministerrat die Kommission um einen Bericht über die Ergebnisse der bisherigen Gespräche, und wiederum ein Jahr später bekam die Kommission ein Verhandlungsmandat. Es dauerte also drei Jahre, bis man tatsächlich zu verhandeln begann, und weitere drei Jahre, bis dann 1970 ein präferenzielles Handelsabkommen abgeschlossen wurde.135 Eine politische Perspektive wurde ausgeklammert. Mehr als dieses Abkommen erreichte Spanien nicht. Zusammengefasst kann man sagen: Die Gründung der EWG und ihr bald sichtbarer Erfolg wirkte sich sowohl auf die Regierungspolitik als auch auf die Situation der Opposition aus. Die Führung des Franco-Regimes war gespalten bezüglich der EWG und der Frage der Öffnung: Die „alten“ Kräfte betrachteten sie als Bedrohung und potentiellen Destabilisierungsfaktor auf Grund der Einflüsse, die eine Einbindung in die Gemeinschaft bedeuten könnte. Die „neuen“ Kräfte hingegen sahen die Notwendigkeit und Chancen einer Assoziierung für die spanische Wirtschaft. Das Paradoxe war, dass Franco zwar von der EWG nichts hielt, aber meinte, den „inneren Frieden“, der ihm so wichtig war, aufrecht erhalten zu können, wenn es den Spaniern nur gut ginge; dafür wiederum bedurfte es der wirtschaftlichen Einbindung in die Gemeinschaft. Tatsächlich aber bestätigten sich seine Befürchtungen, dass mit einer Öffnung gen Europa jene gefährlichen Einflüsse ins Land dringen könnten: so der Tourismus und die rückkehrenden Gastarbeiter, einerseits eine Kapitalquelle, andererseits Träger westeuropäischen Werte und Verhaltens, so die europäischen Investitionen und der Handel, einerseits Beförderer der spanischen Wirtschaft, andererseits Modernisierungsfaktor für die spanische Gesellschaft. Die Gründung der EWG produzierte für Franco ein klassisches Dilemma, eine lose-lose-Situation: Eine Annäherung war positiv für das Land, aber gefährlich für das Regime, eine Nicht-Annäherung schlecht für das Land und schwierig zu rechtfertigen gegenüber der fortschrittlichen Fraktion des Regimes. Vor allem aber wurde die Frage der europäischen Einbindung ein zusätzlicher Faktor innerhalb des sich abzeichnenden Machtkampfes zwischen den Technokraten des Opus Dei und dem Bunker. Oder umgekehrt formuliert: Die spanische Außenpolitik war stark geprägt von dem internen Machtkampf der Fraktionen. Für die Opposition wiederum wurde Europa in Form der EWG zum hoffnungsgeladenen Zielpunkt, einerseits als außenpolitische Alternative sowohl zur lang erlittenen Isolation als auch zum Vasallenhaften Verhältnis zu den USA, andererseits als Möglichkeit, sich an die demokratischen Verhältnisse Westeuropas anzupassen. Diese Chance, die mit der europäischen Integration plötzlich auftauchte, wurde für die Opposition zu einem Regenschirm, unter dem sich auch die bis dahin unversöhnlichsten Gruppierungen versammeln konnten. Diese europäische Perspektive wurde gleichzeitig auch zum Anlass für etliche Franquisten, die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Regimes als Bedingung und Chance zu erkennen und auch zu artikulieren.
l’activité de la Communauté (1.5.1961-30.4.1962), Annex Institutions, Parlement Européen, zit. n. a.a.O., Moreno Yuste, S. 257 135 Siehe dazu ausführlich a.a.O., Bassols, S. 46ff, a.a.O., Pardo Sanz, S. 358 sowie a.a.O., Calduch Cervera, S. 130f
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Die Ereignisse von 1962 stellen eine Wendemarke innerhalb der Entwicklung des FrancoRegimes dar. Mit dem Antrag reagiert die Regierung auf die Gründung der EWG, und zwar mit dem klaren Wunsch der Teilhabe, was einen fundamentalen Kurswechsel der franquistischen außenpolitischen Orientierung bedeutet. Zum anderen bildete die Gründung der EWG einen neuen Hoffnungsmoment für die oppositionellen Kräfte in einer Zeit, da die Konsolidierung und Stabilität des Franco-Regimes eigentlich keinen Anlass zur Hoffnung gaben. Die politische Vision von Europa katalysiert den Zusammenschluss der bislang konkurrierenden oder unversöhnlichen Gruppen und damit eine „neue Oppositionsbewegung“ gegen das Franco-Regime, die auf Grund der Tatsache, dass sie halb toleriert war, bis 1975 bestand und somit zum Zeitpunkt des Regimeendes teils voll funktionsfähig waren.136 Die Reaktion Francos auf den Europakongress in München wiederum machte für den öffnungsbereiten Kreis der Führung die Unbeweglichkeit Francos endgültig deutlich.137 Der Modernisierungsprozess der spanischen Gesellschaft hatte neben Kapitalfluss und Handel, Austausch durch Tourismus und Emigration und der Industrialisierung noch einen anderen europäischen Aspekt. Dieser bestand in der Anziehung, die die EWG auf die Spanier ausübte und zwar sowohl wirtschaftlich und sozial sowie auch als demokratisches Gewissen. Franco war sich darüber im Klaren, dass der Beitritt zur EWG genau jene politische Liberalisierung verlangte, die er in Gang zu setzen nicht bereit war; das Volk aber und zunehmend auch Teile der politischen Klasse waren bereit. Der Franquismus wurde zu einem Hindernis für die europäische Zukunft des Landes. „Die offizielle Haltung und die Aktionen der Gemeinschaftsinstitutionen zwischen 1960 und 1980 machten den Spaniern klar, dass die Demokratisierung eine Bedingung für den Eintritt in die Gemeinschaft war, und diese Ambition wurde zum Motor und Fokus des wachsenden demokratischen Gefühls.“138
Wie kann man den Einfluss der EWG während der Franco-Diktatur und ihre Entwicklung bis zum Ende bewerten? Es wurden sowohl direkte als auch indirekte Einflüsse festgestellt. Direkte Reaktionen auf die Gründung der EWG von Seiten der Regierung (z.B. Antrag auf Assoziierung) sowie von oppositionellen Kräften (Gründung von Institutionen). Indirekte Einflüsse gab es ebenfalls. Das Thema und Ziel der europäischen Integration wirkte als aktivierender Faktor einer „neuen Opposition“ und als Katalysator für den Zusammenschluss der verschiedenen zerstrittenen demokratischen Kräfte. Die Erkenntnisse der Transitionsforschung weisen darauf hin, dass der sozioökonomische Modernisierungsprozess, also der Modernisierungserfolg, die Industrialisierung, die Verbreitung westlicher Konsumgewohnheiten die wachsende Delegitimierung des Franco-Regimes verursachten. „Die langfristigen sozioökonomischen Modernisierungsprozesse bildeten wichtige materielle und soziale Grundlagen für den Regimewechsel“, so Merkel.139 Innerhalb dieser Prozesse spielte die EWG insofern eine wichtige indirekte Rolle, als sie die spanische Regierung unter Zugzwang setzt, ihre Wirtschaft zu öffnen. Mit dem Ansinnen Spaniens, dies in Richtung EWG zu tun, wird aber gleichzeitig der Widerspruch 136
Vgl., Interview Alvarez de Miranda Für etliche, auch exponierte Persönlichkeiten innerhalb des Franquismus wurde dies zum Anlass, sich zu distanzieren; prominentes Beispiel ist etwa der hochrangige Diplomat und spätere Außenminister José María de Areilza. Siehe auch Kap. III. 2.4. 138 Vgl., Preston/Smyth, España ante la CEE y la OTAN, Barcelona 1985, S. 69 139 A.a.O., Merkel, 1999, S. 252 137
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zwischen dem Willen zur wirtschaftlichen Liberalisierung und der Ablehnung einer politischen Liberalisierung offenbar. Die sich verschärfende Dichotomie zwischen den Aspirationen des Regimes, international anerkannt zu werden und auch international seine Interessen wahrnehmen zu können einerseits und der damit verbundenen Penetrierung der Gesellschaft durch die Werte und Haltungen der westlichen Demokratien war eine Determinante, die später die Transition prägte.140 Der Schritt Francos auf die EWG zu machte Spanien abhängiger für die inhärenten Prinzipien der Gemeinschaft (Demokratie, bürgerliche Freiheiten etc.) als auch empfänglicher für Maßnahmen der EWG. Diese durch die Annäherung an die EWG zwangsläufig gegebene Penetrierung141 war es, die Franco intuitiv fürchtete, aber nicht mehr verhindern konnte. Seine Reaktionen im Zusammenhang mit dem Münchner Kongress gaben dafür ein beredtes Beispiel. Die Bestrafung der Teilnehmer war sein Versuch, die Sache „im Land“ zu regeln, was aber nicht mehr vollständig gelang, denn mit den Interventionen von Europabewegung und Europäischem Parlament wurden die demokratischen Prinzipien nicht mehr länger passiv hochgehalten, sondern aktiv vermittelt. Die Europäisierung hatte eine Anziehungskraft – auch zunehmend auf Francos eigene Kreise -, dem das Regime nichts Ähnliches entgegensetzen konnte. Die wirtschaftliche Elite, aber auch die Großgrundbesitzer erhofften sich von einem EWG-Beitritt erhebliche Vorteile. Der Paria-Status Spaniens, den es gegenüber Europa nie verlor, wurde zum Hindernis. Europäisierung bedeutete Demokratisierung - das war den Eliten des Regimes ebenso klar geworden wie der Opposition und auch der Bevölkerung. Es war nicht so, dass die EWG Initiativen entwickelt hätte, aktiv zur Demokratisierung Spaniens beizutragen. Andererseits hatte sie es in der Hand, über die Art der Beziehungen zu Spanien zu entscheiden, wobei die Assoziierung oder der Beitritt durchaus einen Hebel darstellten. „La CEE ne peut s`immiscer dans les affaires intérieures d´autres Etats, et elle ne le fers certes pas; elle est cependant libre de décider, si ou non elle pondra en considération les demandes d`association.”142 Der Beitritt oder die Assoziation waren der Anreiz, den die EWG nicht aktiv – gerade in den 1960er eher nicht -, aber sichtbar in der Hand hielt. Ebenso sichtbar war für die Bedingung: Demokratie. Es gab keinen aktiven Druck der EWG auf das Franco-Regime durch Sanktionen oder Ähnliches, um eine Demokratisierung zu erreichen. Andererseits gab es eine Verweigerung, politische Beziehungen mit Spanien aufzunehmen, die sehr deutlich vermittelt wurde. Das wiederholte Insistieren auf Demokratisierung als Vorbedingung für jegliche politische Gespräche – sei es im Birkelbach-Bericht, durch die Parteien, die nationalen Parlamenten, in den Antworten des Ministerrates 1962 und 1964 – waren ein deutliches Signal für die spanische Regierung ebenso wie für die Opposition und die Bevölkerung. Die Wirkung der Haltung der EWG auf Opposition und Bevölkerung sollte nicht unterschätzt werden. Die EWG stellte einen positiven Referenzpunkt für beide dar. Die Aktivierung einer neuen Opposition und vor allem der Zusammenschluss der verschiedenen Oppositionskräfte geschahen vor dem Hintergrund des Ziels der europäischen Integration. Kristallisationspunkt und Wendemarke stellte der Kongress von München dar. „Von 140 Vgl., Story/Pollack, „Spain’s Transition: Domestic and External Linkages”, in: Pridham, Geoffrey, (Hrsg.), Encouraging Democracy: The International Context of Regime Transition in Southern Europe, London 1991, S. 125159, hier: S. S. 126 141 Siehe auch Kap. II. 2. 142 VI. Allgemeiner Bericht über die Aktivitäten der Gemeinschaft vom 1.5.1961 bis 30.4.1962, EP, zit. n. a.a.O., Moreno Yuste, S. 257
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da an machte die ganze Opposition den „europeísmo“ zum Zeichen ihrer Identität“.143 Der Kongress und die Reaktion Francos war auch eine „Offenbarung für die Mehrheit der Spanier über die Existenz einer wichtigen demokratischen Opposition.“144 Auch dies war ein wichtiges Moment. Die Gründung und Existenz der EWG katalysierte somit verschiedene innere Prozesse: gegenläufige Haltungen innerhalb der Führung, eine neue nationale Debatte über die Zugehörigkeit zu Europa, den nach außen sichtbaren Zusammenschluss einer neuen Opposition. Die Botschaft, die die EG an alle diese Kräfte richtete, war, dass die Zugehörigkeit zu Europa mit Demokratisierung verknüpft war. 2.3 Das Regimeende: die Agonie der Franco-Diktatur Im Gegensatz zu Portugal und Griechenland endete die autoritäre Phase in Spanien nicht mit einem Militärputsch, sondern mit dem Tod des Autokraten, Francisco Franco, am 20. November 1975. Die Krise des Systems war jedoch bereits seit Oktober 1973, nämlich der Ermordung von Carrero Blanco durch die baskische Terrororganisation ETA, den Franco nur wenige Monate zuvor zum Regierungschef ernannt hatte, offen zu Tage getreten. Das Regime war nicht mehr in der Lage, seine Widersprüche und Probleme zu lösen, es kehrte zurück zum repressiven Charakter seiner Anfangszeit, was dazu führte, dass sich die feindliche Haltung gegenüber Spanien verstärkte und das Land sich einer internationalen Isolation gegenüber fand, die noch nicht einmal nach 1945 so heftig gewesen war. Bei den Gründen für die Krise des Franquismus und für die Transition zur Demokratie stellt die Mehrheit der Autoren auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandlungsprozesse ab – konkret: auf das Ungleichgewicht von sozioökomomischer Entwicklung und politischem Wandel. In neueren Werken wird dieser Erklärungsansatz zwar nicht verworfen, der zweifelsohne zentrale Phänomene der Entwicklung Spaniens insbesondere seit der Abkehr von der Autarkiepolitik und der wirtschaftlichen Öffnung beschreibt. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass die Sequenz „wirtschaftliche Entwicklung - Herausbildung einer besser gebildeten Mittelklasse – Stärkung der politischen Einstellung zugunsten von Demokratie – Demokratie“ ein zu simples Modell sei und nicht die Komplexität der Beziehungen zwischen wirtschaftlichen, und sozialen Faktoren, der Strategien der Eliten und der Haltung der Bürger wiedergebe.145 Zudem sei das Modell zu deterministisch. Das heißt nicht, dass eine Untersuchung des spanischen Regimewechsels absehen kann von einer Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Transformation der 1960 und 1970er Jahren, die sehr wohl das demokratische Ergebnis begünstigten (nicht determinierten), zu dem aber auch andere ebenso entscheidende Faktoren beigetragen haben; nämlich Faktoren politischer Art, die ebenfalls Beachtung verdienen. Dazu zählt Powell die Dilemmata des autoritären Regimes und seiner Institutionalisierung, die Dilemmata der Nachfolge Francos sowie die äußere Verwundbarkeit des autoritären Regimes.146
143
Vgl., Interview Manuel Marín A.a.O., Tusell, 1977, S. 420 145 Vgl., Powell, Charles, España en democracia, 1975-2000. Las claves de la profunda tranformación de España, Barcelona 2001, S. 17ff 146 Vgl., ebd., S. 89-127 144
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2.3.1 Internationale Verortung: erneut isoliert Zwar war 1970 endlich ein, wenn auch mageres, Handelsabkommen mit der EG abgeschlossen und das Stützpunktabkommen mit den USA erneuert worden, das ungelöste Problem der Dekolonisierung der Sahara aber spitzte sich zu, bis hin zur Drohung König Hassans von Marokko, im Sommer 1975 Spanisch-Sahara zurück zu erobern. Auch die Gibraltar-Frage harrte weiter einer Lösung. Das Verhältnis des Franco-Regimes zur katholischen Kirche gestaltete sich zunehmend konfliktiv, vor allem seit dem Wechsel zu Primas Vicente Enrique y Tarancón 1972, der zu einem Protagonisten der Distanzierungspolitik wurde, die gemeinsam mit dem Vatikan und Reformkräften entworfen wurde.147 Diese wachsend distanzierte, wenn auch noch nicht offen kritische Haltung immer breiterer Kreise der katholischen Kirche war ein „Phänomen, das zweifelsohne am meisten zur Delegitimierung des Franco-Regimes in den sechziger und siebziger Jahren beitrug“.148 Das Regime war besonders verwundbar gegenüber der Kritik der Kirche, denn auf Grund der fehlenden Legitimität hatte Franco den Sieg des 18. Juli zu einem Kreuzzug gemacht, eine Sichtweise, die von breiten Teilen der katholischen Kirche Spaniens in den 1940er und 1950er Jahren geteilt worden war. Franco hatte keine Problem gehabt, der Kirche Konzessionen zu machen in Bezug auf ihren rechtlichen Stand, ihre Erziehungs- und seelsorgerischen Funktionen sowie wirtschaftlich; bis hin zu der Tatsache, dass er in dem „Gesetz der grundlegenden Prinzipien der Bewegung“ von 1958 als zweites Prinzip die Konfessionalität des Regimes setzte, die „Folgsamkeit gegenüber dem Gottesgesetz gemäß der Doktrin der Heiligen Katholischen, Apostolischen und Römischen Kirche, einzig wirklicher und von dem nationalen Bewusstsein untrennbarer Glaube“. Spätestens seit 1974, als der Bischof von Bilbao, Antonio Añoveros, in den Gemeinden der Diözese die kulturellen Rechte der Basken einforderte, kam es nicht nur zu einer Aufruhr innerhalb der franquistischen Klasse, sondern auch zu repressiven Maßnahmen Francos. Nur die Drohung der Exkommunikation konnte ihn davon abhalten, Añoveros des Landes zu verweisen.149 Die spanische Kirche und der Papst waren in den letzten Jahren des Franquismus in offenen Gegenkurs zu Franco gegangen. Ein Pfeiler des Franquismus war weg gebrochen. Weiterhin machte dem Regime zu schaffen, dass es immer noch keine Sicherheitsgarantie der USA bekommen hatte; Westeuropa sperrte sich weiterhin gegen die Integration Spaniens in die NATO, und die durch das das Handelsabkommen mit der EG erzielten Vereinbarungen gerieten bald aus dem Gleichgewicht, da Großbritannien als der größte Importeur spanischer Waren nun zur EG gehörte. Diese Entwicklung stellte sich für Spanien als so abträglich dar, dass es um Nach- bzw. Neuverhandlungen mit der EG bemüht war. Franco setzte weiterhin auf seine speziellen Beziehungen zur USA. Insbesondere suchte er aktiv die westliche Unterstützung für seine Nachfolgepläne. 147
Es gab mehrerlei Gründe für die Änderung der Haltung der spanischen Kirche; da spielten innerspanische Gründe wie die Wahrnehmung der Tatsache, dass sie durch ihre Nähe zum Franco-Regime zunehmend von Katholiken abgelehnt wurde ebenso mit wie innerkirchliche Gründe im Land (interne Reorganisation). Dazu kamen auch außerspanische, von Rom kommende Gründe wie der neue Geist des II. Vatikanischen Konzils. Was allerdings quasi zum offenen Konflikt wurde, war die immer aktivere Teilnahme von Priestern an nationalistischen Forderungen im Baskenland etwa. 148 Ebd., S. 68, vgl. auch Collado Seidel, „Kirche im Wandel“, in: Bernecker, Walther L./Collado Seidel, Carlos, (Hrsg.), Spanien nach Franco, Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie 1975-1982, München 1993, S. 86104 149 Vgl., Haubrich, Walter, „Spanien vor offenem Kirchenkampf“, in: FAZ, 5.3.1974
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Die zwei wirklich schwerwiegenden Krisen betrafen zum einen Marokko und zum anderen die neuerliche internationale Abwendung von Spanien. Interessanterweise handelt es sich just um die zwei „Errungenschaften“ Francos Politik: zum einen Afrika, wo der Beginn seiner Karriere lag, und zum zweiten die schrittweise, wenn auch nicht vollständig erlangte Rückkehr in die internationale Gemeinschaft nach der schmerzhaften Isolierung. Es scheint eine Ironie der Geschichte, dass die Agonie Francos mit dem Wegbrechen dieser beiden Pfeiler zusammenfällt. Juan Carlos, dem der todkranke Franco die Geschäfte übertragen hatte, verhinderte den Grünen Marsch der Marokkaner, und der überstützte Abzug des spanischen Militärs aus der Sahara war die erste außenpolitische Amtshandlung von Juan Carlos nach dem Tod Francos.150 Die erneute Isolierung Spaniens ging vornehmlich von den europäischen Staaten, der EG sowie dem Vatikan aus, die die zunehmend repressiven Methoden des Franco-Regimes seit den Prozessen von Burgos 1970, den Exekutionen des katalanischen Studenten Antich und von Heinz Chez, dem Prozess gegen Marcelino Camacho und andere Gewerkschaftsführer mit Beunruhigung verfolgten. Nach den Exekutionen von fünf Terroristen, die Franco im September 1975 trotz internationaler Petitionen, auch des Vatikans, vornehmen ließ, brach ein Sturm des Protestes aus. Daher lässt sich mit Bernecker sagen, dass das FrancoRegime in vielerlei Hinsicht so endete, wie es begonnen hatte: international isoliert, mit den gleichen stereotypen Argumentationsmustern, unter Rückgriff auf Methoden aus den 1930er Jahren. Das Franco-Regime sah sich weltweiten Protesten gegenüber, Botschafter wurden aus Madrid abberufen, die Beziehungen zum Vatikan hatten einen Tiefstand erreicht und Spanien zog sich überstützt aus der Sahara zurück: „Deutlicher hätte das Ende des Regimes auf internationaler Ebene nicht zum Ausdruck gebracht werden können.“151 2.3.2 Externer Kontext: anachronistische Diktatur in demokratischem Umfeld Es waren vor allem zwei Ereignisse in dieser kurzen Zeitspanne, die Bedeutung hatten für Spanien: Auf wirtschaftlicher Ebene wurde das Land von der Ölkrise betroffen. Politischen Sprengstoff aber barg der Putsch der Militärs in Portugal mit dem erklärten Ziel einer Demokratisierung, die so genannte Nelkenrevolution, am 25. April 1974, dem dann nur drei Monate später der Pusch gegen die griechischen Obristen und die relativ rasche Einrichtung demokratischer Institutionen folgte. Es versteht sich von selbst, dass die Tatsache, dass jeweils Militärs der Diktatur ein Ende bereiteten und den Weg zur Demokratie frei machten, einen erheblichen Eindruck auf Franco und seine Gefolgsleute hinterließ. Zwar waren die spanisch-portugiesischen Beziehungen historisch nie einfach gewesen, dennoch garantierte die Präsenz der beiden Diktatoren im selben geographischen Raum die Konsolidierung ihrer Regime. Daher erschütterte der Sturz des autoritären Systems in Portugal das Franco-Regime heftig, die Wirkung auf die Führung war immens.152 „Die Tatsache, dass 45 Jahre Autoritarismus in Portugal von heute auf morgen einfach verschwinden konnten, verursachte eine 150
Vgl., dazu a.a.O., Bernecker, 1984, S: 202, a.a.O., Calduch Cervera, S. 146ff, Vilar, Juan B., „La descolonización española en Africa“, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, S. 391-413 151 A.a.O., Bernecker, 1984, S. 205 152 Siehe dazu Sánchez Cervelló, Josep, La revolución portuguesa y su influencia en la transición española (19611975), Madrid 1995, insbes. das Kapitel zum Einfluss der portugiesischen Revolution auf die spanische Transition, S. 257-338
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tiefe Konsternation im spanischen Bunker …“153 Dort versuchte man, die Ereignisse herunter zu spielen, indem man auf die Einzigartigkeit dieses Vorfalls in Portugal hinwies, auf die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede zwischen Spanien und Portugal und daher die Schlussfolgerung vermittelte, dass die Ereignisse in Portugal sich nicht in Spanien wiederholen könnten.154 Am Tag nach der Nelkenrevolution trat umgehend der spanische Ministerrat zusammen. Die Sorge Francos verstärkte sich zusätzlich, als Spinola abtrat und die Situation in Portugal sich zu radikalisieren drohte. Franco fürchtete, dass sich die westliche Flanke noch mehr öffnen könnte und dies alle möglichen destabilisierenden Einflüsse auf sein Regime erlauben würde. Deswegen unterstützte Spanien diskret die Konterrevolution. Da die Presse frei und sehr positiv berichtete über die Nelkenrevolution, wurden der liberale Informationsminister Pío Cabanillas von Franco entlassen und die Zügel wieder strenger gezogen. Die Nelkenrevolution hatte eine beträchtliche Wirkung auf alle politischen Kräfte, die alle auf ihre Weise die Lektion nutzen: Die Rechte reagierte alarmiert und mit Panik, die dann durch den Sturz Spinolas noch verstärkt wurde. So Felipe González: „Der politische Prozess in Portugal beeinflusst die spanische Situation, vor allem auf psychologischer Ebene in Bezug auf das Verhalten der Rechten.“155 Für die Reformkräfte stellte der „´April in Portugal´ mit seiner starken Ausstrahlung nach Spanien Fanal, Beispiel oder wenigstens Aufmunterung“156 dar, eine „starke moralische Injektion“157, aus der die Opposition die Hoffnung und Schlussfolgerung zog, dass die Demokratisierung Portugals auch die Einführung demokratischer Freiheiten in Spanien bedeuten könnte. Für die demokratische Opposition begann damit eine neue Etappe, in der sie entschiedener und offener agierte. Aber nicht nur die beginnende Demokratisierung Portugals, sondern auch die dann folgende Radikalisierung bargen eine Lektion für die politischen Kräfte in dieser Endphase des Franquismus wie auch für die Transition: Die portugiesische Erfahrung, so Juan Linz, war „ein Stimulus für diejenigen, die den Wechsel wollten, aber auch ein Beispiel dafür, was zu vermeiden ist“.158 Die Reformkräfte sahen, dass sie die Linke einbinden mussten, um solche eine Entwicklung wie in Portugal seit dem Herbst 1974 zu verhindern. Auch für die Linke war der 25. April ein hoffnungsvoller Auftrieb. Der Führer der Kommunisten Santiago Carrillo zog sofort die Parallele zu Spanien. Die Nachfolge Salazars habe nicht überlebt, das sei eine Lektion für diejenigen, die davon träumten, dass die franquistische Diktatur Franco überleben werde.159 Die Machtübernahme durch die Marxisten in Portugal aber wurde von den spanischen Kommunisten allerdings kritisch beurteilt. So betonte Santiago Carrillo: „Die Tatsache, dass die Kommunisten die Ergebnisse der Wahlen, die die Sozialisten gewonnen hatten, nicht respektierten, hat uns sehr verletzt. Die Rechte sagte sofort: ´Das ist das, was die Kommunisten in Spanien machen würden.´ Und ich sage, dass ich niemals das machen werde, was Cunhal gemacht hat und ich werde es sagen, solange ich atme.“ 160 153
A.a.O., Preston/Smyth, S. 86 So etwa die Zeitung Arriba am 26.4.1974, zit. n. a.a.O., Sánchez Cervelló, S. 271 155 Interview des Autors mit Felipe González, siehe a.a.O., Sánchez Cervelló, S. 293 156 Haubrich, Walter, Wie Madrid auf den ´April in Portugal´ reagiert“, in: FAZ, 11.5.1974 157 A.a.O., Preston/Smyth, S. 86 158 Linz, Juan J., „La transición española en perspectiva comparada”, in: Tusell, Javier/Soto, Alvaro, (Hrsg.), Historia de la transición 1975-1986, Madrid 1996, S. 21-46, hier S. 27 159 So am 26.4.1974 im Radio Pirenaica, zit. n. a.a.O. Sánchez Cervelló, S. 303 160 Interview mit Oriana Fallaci, in: República Portugal Socialista, Nr. 67, 22.10.1975, S. 8-9, zit. n. ebd., S. 307 154
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Was die Sozialistische Partei angeht, so wurde sie nach den Ereignissen in Portugal stark von der deutschen SPD und der Sozialistischen Internationalen unterstützt, wobei hier der Einfluss Willy Brandts erkennbar wurde. Die Abgrenzung gegen die kommunistischen Kräfte war ein zentraler Impuls, der der deutschen SPD bzw. Willy Brandt kam. Er optierte sowohl in Bezug auf Portugal161 als auch auf Spanien, die Eigenständigkeit gegenüber den Kommunisten zu stärken. Diese Abgrenzungsstrategie der deutschen SPD gegen den Kommunismus beeinflusste sowohl die ideologische Ausrichtung als auch die Verortung der portugiesischen und spanischen Sozialisten in ihren jeweiligen Parteiensystemen und trug damit nicht zuletzt zu einem moderaten Transitionsverlauf bei. Insgesamt hatte die portugiesische Revolution vom 25. April eine erhebliche Wirkung auf alle politischen Kräfte in Spanien. Sie bewirkte bei den einen Befürchtungen, bei den anderen Hoffnungen über ein Ende der Franco-Diktatur, die durch die Agonie des „Caudillo“ zusätzlich verstärkt wurde. Das spanische Militär war alarmiert und fürchtete eine Wiederholung des Coups im eigenen Land. Es sammelten sich aber auch dort liberale Kräfte; und zwar in der im September 1974 gegründeten Unión Militar Democrática (UMD), die inspiriert durch die Nelkenrevolution mit konspirativen Aktivitäten das Ziel einer demokratischen Verfassung verfolgte.162 Auch die Frage nach dem „Nachfranquismus“ (Bernecker) bekam durch den Sturz Caetanos zusätzliche Nahrung. Die Ähnlichkeit der Regime und die geographische Nähe machten Portugal zu einem Laboratorium für Spanien, wo man die anzuwendenden Formeln für eine Transition im eigenen Land ableiten konnte. In Portugal gab es einen Bruch mit dem vorherrschenden System, der zu einem Machtvakuum führte. In Portugal war die Rechte unorganisiert, die Mitte existierte nicht, die Linke hatte revolutionäre Ambitionen. Diese Umstände hielten ihre Lektionen bereit für die verschiedenen politischen Kräfte. Insbesondere das Verlassen des demokratischen Weges hin zu einer volksrevolutionären Bewegung in Portugal prägte die Verhaltensmuster aller spanischen Kräfte, deren Lektion lautete, es keinesfalls zu einer solchen Entwicklung kommen zu lassen, die zudem Erinnerungen an das Ende der Zweiten Republik und den Bürgerkrieg hervorrief. Als dann auch die Militärs in Griechenland putschten und dort ebenfalls demokratische Verhältnisse eingeleitet wurden, war Spanien plötzlich die letzte verbleibende Rechtsdiktatur auf dem Kontinent – ein Anachronismus in der nun gänzlich demokratischen Umgebung. Ein feindliches Umfeld zudem, das sich distanzierte von der zunehmend repressiv agierenden Regierung und dem sichtbar in den letzten Zügen liegenden Franco.
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Im Falle Portugals war das dezidierte Setzen auf den Partido Socialista und Mario Soares, während Kissinger ihn für einen „portugiesischen Kerensky“ hielt, eine sehr eigenständige und letztlich erfolgreiche Strategie. Daher können die interventionistischen Anstrengungen der deutschen sozialiberalen Koalition gegen ein Umschlagen zugunsten der kommunistischen Kräfte in Portugal als besonders effektiv beurteilt werden. „Most importantly of all, the success of the German-led intervention in Portugal, aimed at defeating Communist efforts to take power while strengthening Soares’ PSP, proved that even a situation which seemed lost could be turned around to the West’s advantage.“ Powell, Charles, “International Aspects of Democratization: The Case of Spain”, in: Whitehead, Laurence, (Hrsg.), The International Dimensions of Democratization. Europe and the Americas, Oxford 1996, S. 285-315, hier: S. S. 288f 162 Siehe dazu ausführlich a.a.O., Sánchez Cervelló.
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2.3.3 Transnationale Interaktion: Druck von Seiten der EG In den Jahren 1974/75 war die EG durch eine Ballung politischer Krisen herausgefordert, wie sie für die Gemeinschaft und die gerade aus der Taufe gehobene EPZ nur schwer zu bewältigen waren: die Revolution in Portugal und die Unsicherheit angesichts der Stabilität gefährdenden Entwicklung, der Coup auf Zypern und die Teilung der Insel, die krisenhafte Zuspitzung der Repression in Spanien und die Frage der Franco-Nachfolge. Neben dem Vorgehen der EG und ihrer Organe muss man freilich sehen, dass auch die Mitgliedsstaaten eine gewichtige Ergänzung der außenpolitischen Methoden und Maximen war. So stellte die Tatsache, dass der deutsche Außenminister Walter Scheel bei seinem ersten Besuch in Spanien 1970 mit Vertretern der verbotenen Opposition zusammentraf, ein taktisches Signal an Regierung und Opposition dar. Der Dialog mit der Opposition, die Vertiefung und Ausweitung der Kontakte zu ihr und offene Zeichen wie Einladungen bestimmter Persönlichkeiten stellte gerade seit Beginn der 1970er Jahre eine Form der Interaktion dar, die sich insbesondere bei den nationalen wie supranationalen Parteien und Gewerkschaften fand. Die Beziehungen zwischen Spanien und der EG bestanden in dem seit 1970 abgeschossenen Handelsabkommen. Die spanische Regierung verstand dies als irreversiblen Prozess der Integration in Europa. Klar war freilich, dass es sich nur um Handels- und Zollfragen handelte, die geregelt worden waren; wirtschaftliche oder gar politische Aspekte waren außen vor geblieben, und es gab auch keine konkreten Absprachen, diese in Zukunft ein zu beziehen. Von daher war die von der EG beabsichtigte Begrenztheit dieses Abkommens auch den Spaniern durchaus klar. Dazu bekam dieser ohnehin dünne Faden des jungen Beziehungsgeflechtes zwischen der EG und Spanien Risse auf Grund der neuen Repressionen, auf die die EG heftig reagierte. Betrachten wir zunächst die Motive und Ziele der EG und dann die Maßnahmen im Zusammenhang mit der sich verschärfenden innenpolitischen Situation in Spanien. Motive und Ziele der EG Die Motive und Merkmale der europäischen Politik gegenüber Franco-Spanien werden besonders deutlich, wenn man sie mit der Politik der USA vergleicht, dem anderen wichtigen externen Akteur. Auf der Seite Westeuropas bzw. der EG wurde die Isolierung verfolgt, später Distanz gewahrt. Die USA dagegen beendeten die anfängliche Isolierung zu Gunsten eines bilateralen Verhältnisses. Während die EG sich noch nicht einmal zu einer Assoziierung mit Spanien bereitfand, und verschiedene europäische Staaten eine Aufnahme Spaniens in die NATO verhinderten, schlossen die USA die Stützpunktverträge und verlängerten sie immer wieder und ungeachtet der innenpolitischen Lage in Spanien. Hier lassen sich die verschiedenen Motive und deren Priorität ablesen: Die Priorität der amerikanischen Außenpolitik als die einer Supermacht war auf ihre Sicherheitsinteressen gerichtet, während die EG ein Profil als regionale Zivilmacht hatte, das auf ihrer militärischen Schwäche einerseits, ihrer politischer Attraktivität und wirtschaftlicher Macht basierte. Besonders deutlich wurde dies mit Beginn der krisenhaften Entwicklung in Spanien. Während die EG mit Protesten, Resolutionen und Erklärungen auf die Repressionen reagierte, blieb das amerikanisch-spanische Verhältnis ungetrübt. 1973 war das davor zurückgegangene Interesse der USA an den spanischen Militärbasen durch den Yom Kippur-Krieg
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und die Ölkrise wieder erwacht. Als Nixon 1970 Spanien besuchte, ging es ihm vor allem um die Frage der Nachfolge, und zwar, in dem Sinne, „zu verhindern, dass sich der Tod des Generals übersetzte in eine Änderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Sowjetunion“.163 Dies erforderte auch, den Verbleib der Stützpunkte in Spanien zu garantieren, und wenn möglich den Eintritt in die NATO vorzubereiten. Washington war für eine graduelle Demokratisierung Spaniens nach dem Tod Francos. Wenn es aber wählen musste zwischen dem Verteidigen ihrer globalen geostrategischen Interessen und dem Begünstigen eines politischen Wechsels, war die Entscheidung klar; das zeigte die Sahara-Krise von 1975. Die USA kümmerten sich wenig um die inneren Verhältnisse und die politischen Rückfälle des Franco-Regimes, vielmehr waren sie daran interessiert, die Verlängerung der Stützpunktverträge durchzusetzen, insbesondere wegen der unsicheren Lage in Portugal und auf Zypern. Man beeilte sich, 1974 eine Deklaration zu unterzeichnen, in der man Spanien sogar die Formulierung zugestand, dass sich das abzuschließende Abkommen in die atlantische und mediterrane Verteidigung integriere – eine Forderung, die Spanien schon seit den 1960er gehabt hat und die Vorbedingung für die Verhandlung der Abkommen in 1975 war. Das amerikanische Interesse an den Basen war so groß, dass im Mai 1975 der amerikanische Präsident Ford nach Madrid kam, gegen den Rat seines Botschafters und trotz der wachsenden inneren Opposition gegen die Unterstützung des Franco-Regimes. Die USA wollten ihre Beziehung zu Spanien konsolidieren „um jeden Preis“.164 Die Unterschiede zwischen der europäischen und der amerikanischen Haltung lassen sich bestens ablesen an einem Gespräch, das der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Präsident Gerald Ford führte. Schmidt ging es darum klar zu machen, dass die Ära Franco zu Ende gehe, und dass noch unklar sei, wer danach das Steuer in die Hand bekomme. „Schmidt: Wir sollten diejenigen ermutigen, von denen wir hoffen, daß sie nach Franco regieren werden. Das heißt: wir dürfen nicht bloß mit denen reden, die gegenwärtig die Macht ausüben. Ford: Wir stehen in Vertragsverhandlungen über einen Stützpunktvertrag, dem wir hohe Priorität beimessen. (…)“165
Während in Europa heftig gegen die Exekutionen reagiert wurde, unterzeichneten die USA ein Vor-Abkommen der Stützpunktverträge. Die Prioritätensetzung der amerikanischen Außenpolitik war eindeutig und kontrastiert mit der der EG. Schmidt brachte die divergierenden Prioritäten auf den Punkt: „Für uns in Europa sieht das spanische Problem etwas anders aus als für die USA, für die Spanien vornehmlich ein strategischer Faktor ist.“166 [H.d.MK] Auch das Verhalten in Falle Portugals war verschieden: Die USA zeigten Portugal während der Radikalisierung der MFA, wie Schmidt es beschreibt, die „kalte Schulter“, während Europa „durchaus noch Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung“ hatte.167 Im Falle Griechenlands trat Schmidt, „entschieden (…) amerikanischen Tendenzen entgegen, angesichts destruktiver und provozierender Maßnahmen Papandreous Griechenland aus der NATO drängen zu wollen.“168 Die EG versuchte einerseits, die Regierung unter Druck zu setzen und andererseits mit der Opposition ins Gespräch zu kommen, verhielt 163
Vgl., a.a.O., Powell, 2001, S. 118f A.a.O., Powell, 1995, S. 28 165 Schmidt, Helmut, Menschen und Mächte, Berlin 1987, S. 207 166 Ebd, S. 204 167 Vgl., ebd., S. 208 168 Ebd., S. 209 164
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sich abwartend bezüglich der Vertiefung der Beziehungen, benutzte auch Verhandlungsstillstände als Reaktion auf die nicht-rechtsstaatlichen Methoden und Aburteilungen. Dagegen ging der amerikanische Präsident weitgehend über die internen Konstellationen hinweg mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der Sicherheitsinteressen. Methoden und Instrumente der EG Die EG beginnt konkret zu reagieren, als nach einem Mord durch Terroristen an einem spanischen Polizisten 1970 der Fall vor den Kriegsrat kam. Die so genannten Prozesse von Burgos riefen deutliches Unbehagen hervor. Der damalige Kommissar für äußere Angelegenheiten, Ralf Dahrendorf, zitierte den spanischen Botschafter in Brüssel und übergab eine Note des Kommissionspräsidenten Malfatti an den spanischen Außenminister. Die Note drückte die Besorgnis der Kommission über die Prozesse und den Antrag auf Höchststrafe für sechs der Angeklagten aus und kündigte an, dass ein Resultat in dieser Linie „die Beziehungen, die man gerade zwischen den Europäischen Gemeinschaften und Spanien etabliert hatte, schwerwiegend beeinträchtigt werden könnten. Die Kommission ist tiefgehend davon überzeugt, dass das die Prinzipien des Rechts und der Respekt vor der menschlichen Person (…) überall respektiert werden muss. Aber es handelt sich nicht nur um ein gemeinsames politisches Interesse. Es steht das Leben von einigen Menschen auf dem Spiel. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften wünscht, dass alles getan wird, um zu vermeiden, dass irreparable Entscheidungen getroffen werden.“169
Auch Dahrendorf unterstrich noch einmal, dass die EG sich zwar nicht in die inneren Angelegenheiten Spaniens einmischen wolle, aber doch zeigen wolle, dass die Beziehungen, die mit dem Abkommen auf einem guten Weg seien, ernsthaft beeinträchtigt werden könnten durch diese Ereignisse.170 Tatsächlich wurden sechs Todesstrafen verhängt. Neben einer internationalen Protestwelle, wie man sie seit der Nachkriegszeit nicht mehr gesehen hatte, löste das Urteil in zahlreichen europäischen Städten Unruhen und Proteste aus. Die spanischen Minister schließlich stellten bei Franco einen Antrag auf Begnadigung, dem er auch entsprach. Zwar ging alsdann allgemeine Erleichterung umher, nichtsdestotrotz lebten die alten antifranquistischen Gefühle wieder auf. Es blieb nicht bei diesen repressiven Maßnahmen Francos, und die EG reagierte entsprechend. Zunächst war da die Festnahme von Marcelino Camacho, dem Führer der verbotenen Gewerkschaft CC.OO. (Comisiones Obreras) und anderen Mitstreitern, die sich heimlich in einem Kloster getroffen hatten. Wieder wurde der spanische Botschafter vom Kommissionspräsidenten, diesmal Mansholt, einberufen. Dieser teilte mit, dass diese Intervention Ausdruck einer „freundschaftlichen Beunruhigung über die künftigen Beziehungen zu Spanien“ sei, von denen alle hofften, dass sie sich ausweiteten. Er machte deutlich, dass solche Akte den Weg Spaniens in Richtung Beitritt bremsen können. Zudem machte er klar, dass er erwarte, dass man mit den Verhafteten nach für die Gemeinschaft akzeptablen Gesetzen verfahre und dass, eine Jurisdiktion des Sondergerichtes „Tribunal de Orden 169
So der Brief von Malfatti, Allgemeines Archiv des Außenministeriums, Legajo R 15570, carpeta 60/08-13, zit. n. a.a.O., Bassols, S. 307 (Fußnote 7) Vgl., ebd., S. 62
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Público“ zu vermeiden sei.171 Dazu muss man sagen, dass Marcelino Camacho in Europa großes Prestige besaß, und die illegalen Gewerkschaften UGT und USO Kontakte mit den europäischen Gewerkschaften hatten sowie mit hohen Funktionären der Organisation International de Travaux (OIT). Der Prozess in Spanien – der so genannte Prozess 1001 - wurde von vielen Protesten europäischer Organisationen wie auch mit großer Aufmerksamkeit der EG im Laufe des Jahres 1973 begleitet. Die Angeklagten wurden zu harten Strafen verurteilt172. Am selben Tag, an dem endlich der Prozess beginnen sollte, wurde der nur kurz zuvor designierte Staatspräsident Carrero Blanco von der baskischen Terrororganisation ETA ermordet, was neue Fragen der Nachfolge Francos aufwarf und die franquistische Klasse erheblich erschütterte. Der nächste Fall, der die EG zu Protest herausforderte, war die Verurteilung des katalanischen Studenten Salvador Puig Antich zum Tode173. Es gab auf internationaler Ebene zahlreiche Bitten, das Todesurteil umzuwandeln in eine Haftstrafe. Wieder wurde der spanische Botschafter einberufen, dieses Mal vom Vizepräsidenten der Kommission, Christopher Soames. Auch er wies darauf hin, dass die Vollstreckung des Todesurteils die Beziehungen Spaniens zur EG belasten würde.174 Die Exekution von Antich und einem weitern Verurteilten im Frühjahr 1974 rief größte Bestürzung in Europa hervor. Insbesondere, da gerade zwei Wochen vor der Exekution der neue, nach dem Mord an Carrero bestimmte Regierungschef Carlos Arias Navarro eine Rede gehalten hatte, die den Reformwünschen innerhalb wie außerhalb Spaniens neue Nahrung gegeben hatte. Arias hatte von Partizipation, von Versammlungsrecht, von regionaler Pluralität und glaubwürdigen Gewerkschaften gesprochen. Politische Vereinigungen und politische Mitbestimmung sollten zugelassen werden, so hatte er angekündigt. Hervorzuheben ist auch, dass Arias sich eindeutig zu der Zugehörigkeit Spaniens zu dem geographischen, historischen und kulturellen Europas bekannt hat und den „Wunsch, bei dem Integrationsprozess Westeuropas dabei zu sein“ ausgedrückt hat.175 Diesem Reformgeist wurde durch die wenig später vollstreckten Todesurteile Lügen gestraft. Die EG agierte auf der diplomatischen, aber auch auf der politischen Ebene. Die Verhandlungen über die Anpassung des Handelsabkommen schritten seit 1972 in einem Stopand-go-Prozess voran: Die repressive Vorgehensweise Francos verursachte Proteste, aber auch den Stillstand der Verhandlungen. Seit 1973, im Zuge des Prozesses gegen die Gewerkschaftsführer, waren die Verhandlungen im Prinzip paralysiert. Das Klima verschlechterte sich immer weiter; nach der Exekution von Antich verabschiedete das EP auf Antrag der Christdemokraten eine Resolution, mit der gegen den wiederholten Verstoß gegen die Menschen-, Bürger- und Minderheitsrechte protestiert wurde. „Es [das EP] erhebt sich gegen den Anachronismus solcher Regierungsmethoden im Herzen eines Europas, das einen freien und demokratischen Weg sucht, um sich zu einigen. Es konstatiert, dass solche Akte und das Regime, das sie inspiriert, den Beitritt Spaniens zur Gemeinschaft verzögern.“176
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Vgl., ebd., S. 86 Zwischen 12 und 20 Jahren, Camacho bekam die hohe Strafe von 20 Jahren. 173 Antich hatte einen Polizisten erschossen. 174 Vgl., Haubrich, Walter, „Telegramme an Staatschef Franco“, in: FAZ, 23.2.1974 175 Zit. n. a.a.O., Bassols, S. 98 176 Zit. n. ebd., S. 96 172
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Im Juli 1974 verabschiedete der Ministerrat ein neues Verhandlungsmandat für die Mittelmeerländer. Das Angebot der EG beruhte auf der Idee einer Freihandelszone für Industrieund einige Agrarprodukte. Auch Spanien sollte einbezogen werden. Nach überzogenen Forderungen der spanischen Verhandlungsgruppe brach die EG die Verhandlungen im November 1974 ab.177 Auf geheimdiplomatischem Weg handelten jedoch der spanische Botschafter Ullastres und der Verhandlungsführer der EG Kergolay mit vielen Schwierigkeiten einen Kompromiss aus, dessen Formeln im Sommer 1975 so weit standen, dass dann das Weitere in einer Spezialverhandlungen abgeschlossen werden sollte. Dies wurde aber verhindert durch den schwersten Vorfall an Repression jener Endphase des Franquismus, der Verurteilung von fünf Terroristen zum Tode. Alle EG-Mitglieder, der Vatikan und der Vizepräsident der Kommission baten um Umwandlung der Strafe. Das EP beantragte das Einfrieren der Verhandlungen. Aber anders als 1970 bei den Prozessen von Burgos blieb Franco hart, und am 27. September 1975 wurden die Exekutionen vollstreckt. Der Skandal war enorm und die Reaktion von einer Intensität, wie man sie seit der Nachkriegszeit nicht mehr gekannt hatte. Alle Botschafter der EG-Mitglieder sowie weitere acht wurden umgehend aus Madrid abberufen. Basierend auf einer Empfehlung der Kommission entschied der Rat, die Verhandlungen über das Handelsabkommen abzubrechen. Zudem verabschiedete er am 7. Oktober eine Deklaration, die zum einen darauf hinwies, dass die Menschenrechte ein gemeinsames Gut der europäischen Völker darstelle. Zum anderen wurde die FrancoRegierung eindringlich ersucht, „Spanien und seinem Volk, mit dem unsere Völker durch so viele Bande verbunden sind, einen Prozess der Gewalt zu ersparen.“ Hier wird eine deutliche Unterscheidung zwischen dem spanischen Volk und der spanischen Regierung gemacht und die Verbundenheit mit ersterem unterstrichen. Schließlich konstatiert der Rat in aller größter Klarheit: „Die Minister stimmen dafür, dass ein demokratisches Spanien seinen Platz zwischen den europäischen Ländern finde.“178 Die letzte symbolische Handlung der europäischen Staaten gegenüber dem Franquismus war, dass kein Staatschef an Francos Begräbnis teilnahm, wohl aber Vertreter zum ersten Empfang des neuen spanischen Königs Juan Carlos I geschickt wurden. Diese Geste wurde von der politischen Elite sehr genau wahrgenommen.179 Zusammenfassend kann man sagen: Die Maßnahmen von EP und Kommission bestanden seit Beginn der 1970er Jahre aus Gnadensersuchen für die zum Tode Verurteilten, aus Mahnungen an rechtsstaatliche Verfahren und an das Einhalten der Menschenrechte, aus nichtöffentlichen Noten der Kommission sowie öffentlichen Deklarationen des EP, aus Botschafterabberufung und Paralysierung der Verhandlungen. Dabei versuchten die respektiven Organe mit dem Hinweis darauf, dass sich bei Nichtbeachtung der Empfehlung die Beziehungen zwischen EG und Spanien verschlechtern würden, ein Druckmittel zu schaffen. Im Falle der Prozesse von Burgos konnte damit auch tatsächlich etwas erreicht werden. Umso schockierter regierte man später darauf, dass sich Franco nicht umstimmen ließ. Nach den Exekutionen vom September 1975 griff die EG zum härtesten verfügbaren Mittel: dem Abbruch der Verhandlungen. Die EG hat ihre Haltung vor allem durch zwei For177
Eine detaillierte Darstellung des Verlaufs findet sich bei dem Mitglied der spanischen Verhandlungsgruppe Bassols. Vgl., ebd., S. 100ff Archivo General del ministerio de Asuntos Exteriores, Legajo R 15570, capeta 60/08-13 €, zit. N. A.a.O., Bassols, S. 123 179 Dabei gab es allerdings Unterschiede: Frankreich, Deutschland und Irland entsandten ihre Präsidenten, während andere Staaten sehr viel rangniedriger vertreten waren. Vgl., Haubrich, Walter, „Juan Carlos – König der Hoffnung“, in FAZ, 28.11.1975 sowie vgl., die Interviews Marin und Haubrich 178
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men zum Ausdruck gebracht: Zum einen das Darlegen der politischen Bedingungen, die an die Aufnahme von Assoziierungs- oder Beitrittsverhandlungen geknüpft sind. Konsequenterweise wurde Spanien weder die Assoziierung noch der Beitritt angeboten. Die politische Ebene der Beziehungen bestanden hauptsächlich in den Mahnungen auf das Erfüllen der Kriterien. An „das spanische Volk“ wurden positive Botschaften der Verbundenheit gerichtet. Die andere Form bestand in konkreten Reaktionen auf Vorfälle, die Empfehlungen, Warnungen, Deklarationen oder Ähnliches zur Folge hatten. Mit dem zunehmenden Rückfall in repressives Vorgehen verstärkte sich auch der Druck der EG, der sich dann auch zeigte in dem äußersten anwendbaren Mittel, dem Abbruch der Verhandlungen und dem Abzug der Botschafter, was einem Abbruch der Beziehungen gleichkommt. Insgesamt betrachtet lässt sich nicht feststellen, dass die EG seit 1962 einer klaren und ausgearbeiteten Strategie gefolgt war, in das dieses Agieren gegenüber Spanien eingepasst war. Im Übrigen konnte man einen Ansatz von Strategie auch erst seit Anfang/Mitte der 1970 erwarten, nachdem die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) geschaffen worden war. Der Kopenhagener Bericht von 1973 hatte sich zu mittel- und langfristigen Zielsetzungen bekannt, gleichzeitig aber festgelegt, dass Konsultationen der Neun vorrangig gemeinsame Positionen der Neun in „konkreten“ Fällen erarbeiten sollten. Das hat dazu geführt, dass tatsächlich erst die konkrete Krisen eintreten mussten, bevor die EG über ein gemeinsames Vorgehen beriet.180 Gleichwohl erwiesen sich die politischen Bedingungen, die sich im Birkelbach-Bericht niedergelegt fanden, als fester Pfeiler der EG-Politik. Viele Maßnahmen, die die Kommission und der Rat im Laufe der Jahrzehnte ergriffen, waren situativ und reaktiv. Dennoch folgten sie der bereits in jener Periode zu Grunde liegenden politischen Konditionalität. Trotz einer fehlenden Strategie hatten sich im Laufe der 1960er Jahre ein Ziel und ein Handlung leitendes Prinzip herausgebildet. Die Annäherung an die EG war konditioniert durch die Voraussetzung demokratischer Verhältnisse. Diese Konditionalität wurde bereits in den 1960er Jahren zum Merkmal der EG-Politik gegenüber potentiellen Beitrittskandidaten. Das zeigt nicht nur das spanische, auch das griechische Beispiel. Die Mittel waren noch nicht differenziert - das wichtigste Mittel bestand in der Nichtaufnahme von Verhandlungen oder Einfrieren von Verträgen – und die weitere Begleitung der einzelnen Fälle nicht intensiv und konzeptionell ausgefeilt. Die Methode der Konditionalität hatte sich seit dem Birkelbach-Bericht verfestigt und war durch das stringente Durchhalten zu einer auch nach außen sichtbaren Orientierungslinie geworden. Die Bedeutung des Birkelbach-Berichtes ist auch als Referenz für die Opposition zu sehen: „Der Birkelbach-Bericht (…) wird zu einem der Pfeiler der Plattform der Opposition“. Der Bericht und die opponierende Haltung der EG (z.B. während der Verhandlungen zum Präferenzabkommen) seien eine Stütze für die Opposition gewesen.181 Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Spanien beruhten auf der Meinung, dass es ratsam wäre, die sozioökonomische Entwicklung der Länder zu fördern, da dies einer künftigen Demokratisierung zuträglich sei und eine Isolierung nur zu einem heldenhaften Widerstand des Regimes und zum Leiden der Bevölkerung beitragen würde. Freilich deckte sich diese Haltung zugleich mit den wirtschaftlichen Interessen
180
Vgl., van Praag, Nicholas, „Krisenmanagement im Süden Europas“, in: a.a.O., Rummel/Wessels, S. 189-215, S. 192 Vgl., Interview Fernando Morán
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der europäischen Mächte, die in beachtlicher Weise zur wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens beitrugen und zugleich politischen Abstand hielten von dem Franco-Regime.182 Die Interaktion zwischen dem externen Akteur EG und Spanien hatte zweierlei Grundlagen: Für die EG war sowohl die Integration Südeuropas ein Ziel als auch die Demokratisierung dieser Länder. Für Beides gab es keine explizite Konzeption oder Strategie, vielmehr entwickelte sich im Laufe der Jahre eine Art Maßnahmenkatalog, mit dem auf konkrete Ereignisse reagierte wurde. Der Druck der nationalen westeuropäischen Öffentlichkeiten und ihrer Repräsentanten (Parteien, Gewerkschaften etc.) für Distanz und Verurteilung der Franco-Regimes war groß, was sich auch im EP übersetzte. Politisch hat sich die EG nicht auf das Franco-Regime eingelassen und hat ihm auch keine Perspektiven für politische Beziehungen unter den herrschenden Verhältnissen in Aussicht gestellt. Wirtschaftliche Beziehungen hingegen gab es im Interesse beider Seite – auch der EG-Seite -. Mit dem Assoziierungsersuchen Spaniens und dem abgeschlossenen Handelsabkommen hatte die EG freilich zusätzliche Druckmittel, das sie auch einsetzte: Sie wies immer wieder darauf hin, dass dieses oder jenes dem Verhältnis schaden bzw. die Assoziierung verzögern würde. Diese Methode der Drohung hat seine Wirkung vor allem auf die „öffnungsorientierten“ Politiker des Regimes gehabt und bot der Opposition eine moralische Stütze. Ergebnisse der Maßnahmen und Einflüsse Welchen Einfluss hatte diese Politik auf das Franco-Regime bzw. die verschiedenen Gruppen innerhalb des Regimes? Ein grundlegendes Kriterium für den potenziellen Einfluss von außen war die äußere Verwundbarkeit, die das Franco-Regime, wie Powell feststellte, vom ersten Tag an konditionierte.183 Da das Regime an der fehlenden inneren Legitimität litt, suchte Franco nach Legitimität im Äußeren. Deswegen hatten solche Besuche wie der Eisenhowers 1959 solch eine übergeordnete Rolle, weil hier Anerkennung - dazu noch der wichtigsten Macht - öffentlich demonstriert werden konnte. Diese Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft war sehr wichtig für die spanische Außenpolitik. Für die Regierung Franco war es daher ein Misserfolg, dass ihr die Anerkennung Europas versagt blieb. Als sich Franco für einen Antrag und damit für das Herantreten an Europa entschied, fiel er außerdem in die „Falle der Europäisierung“.184 Er geriet unter Druck durch die erwähnten öffnungsorientierten Teile seiner Regierung und gleichermaßen durch die wirtschaftlichen Nachteile des Paria-Status. Die Bevölkerung war zunehmend sensibel geworden, nicht zuletzt durch die repressiven Maßnahmen 1975. Diese hatten nicht nur den liberalisierungsresistenten Charakter des Franco-Regimes auf erschreckende Weise unterstrichen, sie verdeutlichten noch einmal die Haltung der EG. Diese Haltung wurde in Form des Beitrittsvetos, aber auch gerade 1975 von verschiedenen Sektoren in der Bevölkerung wahrgenommen; auch solchen, die bislang das Regime toleriert oder gar unterstützt hatten, die aber erkannten, dass es ein Hindernis war für die Durchsetzung ihre Aspirationen. Die Mehrheit der Spanier (73 Prozent) war im Oktober 1968 für einen Beitritt Spaniens, gleichzeitig waren sie sich überwiegend (56 Prozent) der Tatsache bewusst, dass Spanien auf
182 183 184
Vgl., a.a.O., Powell, 2001, S. 121 A.a.O., Powell, 2001, S. 118 Ebd., S. 121
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Grund der politischen Bedingungen nicht beitreten konnte.185 Der Zusammenhang zwischen Demokratisierung und europäischer Integration wurde also nicht nur von der gesamten Opposition und von Teilen des Regimes (den „aperturistas“), sondern auch von der Bevölkerung perzipiert. Die Tatsache, dass der Franquismus nicht kompatibel war mit Europa, machte Europa zum Gegenstück des autoritären, unfreien Status quo, zum Symbol von Demokratie und Freiheit. Die EG war durch ihr konsequentes Handeln zu einem glaubwürdigen, diese Werte repräsentierenden Akteur geworden. 2.4 Die Transition: neue Beziehungen zwischen Spanien und EG Die Terminierung der Transitionsphase erfolgt nach der Definition von Maravall und Santamaría als „legal-formal institutionalization“.186 Das Ende dieser Institutionalisierung deckt sich meistens mit der Verabschiedung der Verfassung.187 Im Falle Spaniens stellte die Verabschiedung der Verfassung und ihre Billigung durch Volksentscheid im Dezember 1978 noch nicht das Ende der Transition dar, weil die Verfassung nicht alle Fragen der Regionalisierung regelte; die Institutionalisierung des Dezentralisierungsprozesses begann erst mit der Konstituierung der Autonomen Gemeinschaften des Baskenlandes und Kataloniens im Oktober 1979.188 Die politische Dezentralisierung und die vertikale Gewaltenteilung stellt nicht nur rein formal einen Bestandteil der Institutionen- und Verfahrensbildung dar. Vielmehr war in Spanien die konkrete Gestaltung der Dezentralisierung ein äußerst konfliktiver Aspekt. Dazu kommt, dass ohne eine Lösung des Regionalisierungsproblems die Legitimität der Regierung hätte in Frage gestellt werden können.189 Die Aufgeladenheit des Themas und die extremen Interessensgegensätze führten dazu, dass die Bestimmungen in der Verfassung lediglich einen Minimalkonsens enthalten und „wichtige Grundentscheidungen über die künftige territoriale Organisation des Staates (…) ausgeklammert und auf die Zukunft verschoben“ wurden.190 „The solution provided by the constitution introduced a complex scheme full of ambiguities. It did not allow actors to decipher exactly what would be the final structure of the Spanish state after its territorial reformulation was completed.“191 Maravall/Santamaría betrachten mit Abhaltung der Wahlen im Frühjahr 1979 die Transition für „practically at an end“. Nimmt man die Konstituierung der baskischen und katalonischen Autonomien als Lösung der drängendsten Aufgabe innerhalb des Dezentralisierungsprozesses, könnte man ergänzen „definitely at an end“. Also: Das Ende des Transitionsprozesses ist im Laufe von 1979 anzusetzen.
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Umfrage vom Oktober 1968, a.a.O., Opinión pública, Abb. 8 und 6 Vgl., a.a.O., Maravall/Santamaría, S. 72; siehe Kap. II. 1. Zwar gibt es auch andere Einteilungsmöglichkeiten, wie etwa den Pusch vom Februar 1981 als Bewährungsprobe oder den Regierungswechsel 1982, mit dem die Sozialisten die Regierung übernehmen, was man – sieben Jahre nach Francos Tod – auch als Bewährungsprobe bezeichnen kann. Es macht aber Sinn, hinsichtlich der Definition des Endes der Transition bei dem Aspekt der „legal-formal institutionalization“ (S. 73) zu bleiben. Das heißt nicht, dass solche Bewährungsproben nicht mit einfließen müssen, in diesem Fall aber in die Bewertung der Konsolidierungsfortschritte. 187 Vgl., a.a.O., Merkel, 1999, S. 143 188 Siehe dazu auch Hildenbrand, Andreas, „Das Regionalismusproblem“, in: a.a.O., Collado Seidel/Bernecker, S. 104-127 189 Vgl., dazu a.a.O., Linz/Stepan, S. 106f; des Weiteren a.a.O., Merkel, 1999, S. 271f, vgl., 190 Ebd., S. 115 191 A.a.O., Maravall/Santamaría, S. 91 186
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In der Zeitspanne von 1975 bis 1979 wurde die spanische Monarchie reinstalliert, indem zwei Tage nach Francos Tod - der von ihm designierte Nachfolger Prinz Juan Carlos den Schwur als neuer König leistete. Allerdings erfuhr erst im Mai 1977 durch den offiziellen Verzicht des rechtmäßigen Thronfolgers Don Juan III sein Sohn Juan Carlos I die eigentliche Legitimität als König. Dies war ein wichtiger Schritt, mit dem der Geruch des Königtums von Francos Gnaden beseitigt wurde und die dynastischen Rechte der spanischen Monarchie nach der Unterbrechung von 1931 wieder hergestellt wurden. Mit der ersten freien und demokratischen Wahl, der founding election, vom Juni 1977 wurden die im Franquismus ständisch zusammengesetzten Cortes ersetzt. Bis zu diesen Wahlen wurden schrittweise die Parteien – die Kommunistische Partei (PCE) erst spät - und freie Gewerkschaften zugelassen sowie Pressefreiheit gewährt. Die erste demokratisch gewählte Regierung ließ dann die Verfassung erarbeiten. Regierungen gab es während der Transition zwei: Die erste Regierung stand noch sehr stark in franquistischer Kontinuität, nachdem der König den Ministerpräsidenten der letzten Franco-Regierung, Carlos Arias Navarro, gebeten hatte, die Regierung weiter zu führen. Mitte 1976 wurde er aber bereits durch Adolfo Suárez ersetzt, ebenfalls ein Mann aus dem Franquismus. Suárez gewann mit der neu gegründeten Partei Unión de Centro Democrático (UCD) die Wahlen von 1977, ebenso die von 1979 und blieb bis 1981 im Amt. Das Besondere an der spanischen Transition war die Tatsache, dass das Franco-Regime auf dem Wege der ausgehandelten Reform – reforma pactada – schrittweise demontiert wurde. Innerhalb der noch geltenden franquistischen Legalität wurde das alte System unter Zustimmung der alten wie der neuen Eliten zunächst schleppend (Regierung Arias), dann dynamischer (Regierung Suárez) umgewandelt. Der einerseits durch geschicktes Taktieren und Austarieren der Regierung Suárez und andererseits durch große Kompromissbereitschaft und Moderation der politischen Gruppen erlangte Konsens aller – teils weit divergierender Gruppen – wurde zum modellhaften Merkmal der spanischen Transition. Dennoch war es keine einfache und glatte Transition, wie dies auf Grund des bemerkenswerten Ergebnisses und des insgesamt gewaltlosen Verlaufes scheinen mag. Die internen Aspekte der spanischen Demokratisierung zu diskutieren, ist nicht Hauptaugenmerk dieser Studie, es muss aber folgender Aspekt unterstrichen werden: Das Ziel Demokratie war zwar für die überwiegende Mehrheit von Eliten und Bevölkerung klar, aber die Wege dorthin musste erst in einem Prozess gefunden werden, der sehr wohl mit Unsicherheiten, mit Problemen, mit dem Erbe des Bürgerkrieges und des Franquismus selbst belastet war. Analog gilt dies für die Fragen der künftigen internationalen Verortung des Landes. War das Ziel für die innere Transition Demokratie, so lautete die Vision für die äußere Transition Einbettung in Europa und die westliche demokratische Staatengemeinschaft. Aber der Weg zu beiden Zielen musste erst absolviert werden. Als Franco starb, wusste niemand genau, wie es nun weitergehen würde. Es gab kein Konzept dafür, wie man das Ziel – Demokratie – erreichen könnte, und ebenso wenig gab es einen masterplan zur Integration in die EG. Es gab eben, wie Linz sagt, noch kein Modell für eine gelungene Transition von einem autoritären Regime, wie es dann später das spanische sein würde192. Die externen Aspekte der spanischen Demokratisierung waren ebenso wie die internen von zwei zentralen Merkmalen geprägt: der Unsicherheit und des starken Wechsels. In Bezug auf die externen Aspekte schleppte Spanien nach 1975 das außenpolitische Erbe des Franquismus mit: die Isolierung oder Teilisolierung, ungeklärte außenpolitische Fragen 192
Vgl., a.a.O., Linz, 1996, S. 27
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(z.B. Sahara, Verhältnis zum Vatikan) sowie zwei prekäre Desiderate, die Franco nicht zu lösen vermochte, nämlich, erstens, die für Spanien so zentrale „Integrität der Territorialität“, die sich vor allem in Nordafrika und an Gibraltar festmachte, aber auch die Kanarischen Inseln und Guinea-Ecuatorial betraf; und zweitens, eine Sicherheitsgarantie. Die Frage war also, wie die bereits klaren Ziele erreicht werden, wie die geerbten und neu auftauchenden Probleme gelöst und wie die Desiderate in konkrete Ergebnisse umgesetzt werden. In unserem Kontext heißt das also konkret: Wie wurde von den Regierungen der Transition das Ziel der Integration in die EG angegangen? Wie wurde das distanzierte Verhältnis zwischen EG und Franco-Spanien überwunden? Welche Bedeutung hatte das Thema Europa für die Regierungen Arias und Suárez? Welche Priorität hatte Außenpolitik überhaupt? Wie dachte die Bevölkerung? Und für die andere Seite lässt sich fragen: Wirkte sich das externe Umfeld auf den Verlauf der spanischen Transition aus? Wie reagierte die EG auf die neue Demokratie? Welche Rolle spielte die EG für den Verlauf der Transition? Welche konkreten Maßnahmen richteten sich auf Spanien, mit welchen Motiven und mit welchen Ergebnissen? 2.4.1 Internationale Verortung: ungebrochene Symbolik Europas So wie der innere Prozess während der Transition durch einen starken Wechsel charakterisiert war, unterlagen die externen Aspekte ebenso einer Neuausrichtung. Auch in der Außenpolitik gab es mehr Elemente des Wechsels als der Kontinuität. Der Wechsel betraf, erstens, die Philosophie und das globale Design der äußeren Handlungen (das Warum und Wofür der Außenpolitik), und zweitens, die Form und Art (das Wie der Außenpolitik), wie die Außenpolitik betrieben wurde bzw. werden sollte193. In Bezug auf das globale Design gibt es zwei historische Erbschaften, die im demokratischen Spanien zum Tragen kamen: Erstens, die für Bevölkerung und politische Elite junge und jüngste Erfahrung der internationalen (Teil)Isolation auf Grund der Merkmale des Franco-Regimes, und zweitens, das seit langem und tief im nationale Bewusstsein verankerte Gefühl, von dem großen Strömungen der Moderne und dem politischen Zentrums Europas abgeschnitten zu sein nach dem Desaster von 1898, also auch eine Art Isolationstrauma. Beide Erbschaften – obwohl in unterschiedlichen Kontexten entstanden – resultierten im selben Fazit: Europa. Europa, das seit Jahrzehnten das Symbol für Moderne und Modernisierung, für Freiheit und Demokratie verkörperte und sich in der Existenz der EG konkretisiert hatte. Das herausragende Merkmal der internationalen Orientierung Spaniens nach 1975 ist der breite, einhellige Konsens in der politischen Elite, zwischen den politischen Parteien und in der Bevölkerung über die künftige Verortung des Landes in Europa, konkret: den Beitritt in die EG. Demgegenüber gab es in der anderen zentralen, außenpolitischen Frage, dem NATO-Beitritt, keinen solchen Konsens.194 Die Option für den Westen war unter den demokratischen Parteien inklusive Kommunisten unumstritten in Bezug auf den Westen als geistig-kulturelles und politisches Modell sowie als wirtschaftliches Modell in Form von Modernisierung und Wohlstand. In Bezug auf die sicherheitspolitische Verortung Spaniens 193
Arenal del, Celestino, „La posición exterior de España”, in: Cotarelo, Ramón, (Hrsg.), Transición política y consolidación democrática. España 1975-1986, Madrid 1992, S. 389-431, hier: S. 393 194 Es gab noch einen anderen Punkt des Dissenses zwischen UCD und PSOE, nämlich die Dekolonisierung der Sahara. Den Deckel dieses Topfes aber hielt man geschlossen.
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aber gab es unterschiedliche Vorstellungen und Optionen, die sich vor allem festmachten an der Frage: NATO ja oder nein. Die NATO-Gegner wiederum manifestierten verschiedene Nuancierungen. Es gab eine starke neutralistische Strömung, manche neigten den Blockfreien zu, wünschten sich als künftige Partner eher Hispanoamerika und die arabische Welt denn die USA. Der Dissens in der NATO-Frage brach Anfang der 1980/1981 auf und beschäftigte die öffentliche und politische Diskussion bis zum NATO-Referendum 1986, wie wir im Kapitel zur Konsolidierung noch sehen werden. Bereits 1976 aber, in der Regierung Arias existieren diese Divergenzen in der NATO-Frage. Sie werden deutlich in der Ablehnung einer solchen Einbindung, als sich Außenminister José María Areilza, der die Verlängerung der Stützpunktverträge mit den USA verhandelte, im Kabinett massiver Opposition, nämlich seitens des bunkers, gegenüber sah. Die Kritik an dem ausgehandelten Vertrag war, wie Areilza selbst es nennt, vernichtend.195 Der Dissens bestand zwischen Regierung und den linken Oppositionsparteien PSOE und PCE, die entschieden gegen einen NATO-Beitritt waren. Die Sozialisten lehnen generell jegliche Anbindung an einen der Blöcke ab und vertraten eine Politik der „aktiven Neutralität“, die sich gleichzeitig stark an der Solidarität mit der Dritten Welt orientierte; zwischen 1977 und 1979 entwickelte die PSOE zudem eine starke Aktivität gegenüber den Blockfreien Staaten.196 Die Kommunisten waren gleichermaßen für eine neutrale und völlig unabhängige Außenpolitik und ein ebenso unabhängiges Europa.197 Der Dissens setzte sich aber auch während, und sogar innerhalb der Regierung Adolfo Suárez fort. Außenminister Marcelino Oreja strebte die Verankerung Spaniens in der westlichen Welt an, wozu für ihn neben dem EG-Beitritt unabdingbar auch die NATOMitgliedschaft gehörte. Suárez wollte sich dazu nicht entschließen. Der Dissens zwischen Suárez und Oreja führte 1980 sogar zur Entlassung des Außenministers.198 Suárez selbst war im Prinzip der prominenteste Vertreter jener Strömung, die einer Option des „dritten Weges“ und der engen Verbindung mit Hispanoamerika und der arabischen Welt zuneigte. Erstaunlicherweise haftete der Regierungschef, der mit großem Geschick die innere Transition vollzog, in Bezug auf die äußeren Aspekte an den franquistischen Mustern.199 Während also noch bedeutende Teile der politischen Elite mit jener nationalistischneutralen, in Richtung Hispanoamerika und arabischer Welt gerichteten Perspektive liebäugelten, befürwortete die Bevölkerung solche Optionen kaum: Zusammenarbeit mit der arabischen (2 Prozent) oder der hispanoamerikanischen Region (6 Prozent), mit den sozialistischen Ländern (2 Prozent), mit Portugal (1 Prozent) oder die völlige Abstinenz von Kooperation (3 Prozent) wurden kaum als attraktiv, die Anbindung an die EG dagegen (44 Pro195
Das Militär und der bunker hatten große Vorbehalte gegen den Vertrag mit den USA. Es gab Stimmen, die Neutralismus bevorzugten, die Schließung der Basen, gar den Abbruch der Beziehungen. Vgl., Areilza, José María, Diario de un ministro de la monarquía, Barcelona 1977, S. 45 und 59 196 Siehe ausführlich dazu a.a.O., Barbé, S. 171ff 197 Vgl., ebd., S. 186ff 198 Vgl., Interview mit Marcelino Oreja, 8.3.2002. Zudem a.a.O., Oreja, S. 91ff: “Die Haltung des Regierungschefs bei diesem Thema war immer außerordentlich vorsichtig, da seiner Meinung nach ein übereilter Beitritt Spaniens eine Destabilisierung des Gleichgewichts der Blöcke provozieren könnte…“. Suárez Haltung war eher der Dritten Welt zu- und Nordamerika abgeneigt, seine neutralistischen Neigungen entsprachen dabei der Tradition Castiellas, die in der spanischen Außenpolitik wirksam geblieben war. Siehe auch Powell „Cambio de régimen y política exterior: España 1975-1989”, in: a.a.O., Tusell/Avilés/Pardo, 2000, S. 413-455, S. 432ff sowie a.a.O, Powell, 2001, S. 277f sowie zu dem Aspekt der Tradition Castiellas, a.a.O., Pardo Sanz 199 Siehe dazu Kap. 4.3.1
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zent dafür) als alternativlos betrachtet.200 Die Haltung in der Bevölkerung zur NATO war in den Jahren 1975/76 noch nicht gefestigt, was man daran sieht, dass im Juni 1975 57 Prozent sagten, sie seien für einen NATO-Beitritt, bereits sechs Monate später die Zahl auf 40 Prozent gesunken war, was sich aber nicht in einer signifikant größeren Zahl von Beitrittsgegnern niederschlug. Vielmehr steigerte sich die Antwort „Ich weiß nicht/ich antworte nicht“ von 19 auf 43 Prozent und bis 1978 sogar auf 58 Prozent. Erst später – ab 1979 – fing offensichtlich die Meinungsbildung zur NATO-Frage an.201 Von 1978 auf 1979 nahm die Zahl der Unentschlossenen sprunghaft ab (von jenen 58 auf 46 Prozent) und fiel dann sukzessive bis auf 30 Prozent in 1983. Proportional dazu stieg die Zahl der NATO-Gegner von 26 Prozent (1979), 35 Prozent (1981) auf 57 Prozent (1983) und sank die Zahl der Befürworter von 28 (1979) auf 13 Prozent (1983).202 Beide Phänomene - die große, einstimmige Befürwortung des EG-Beitritts und die Spaltung hinsichtlich der NATO - lassen sich zum einen an Hand der franquistischen Erbschaft erklären. In den Augen der Linken waren die USA – die als Synonym für die NATO betrachtet wurden – diskreditiert als Komplizen des Franco-Regimes und Hauptverantwortliche für seine externe Konsolidierung.203 Zum anderen hatte sich die Bedrohungsperzeption in Spanien verlagert: Man fühlte sich eher von der Situation in Nordafrika bedroht als etwa von der Sowjetunion. Ganz im Gegenteil befürchtete man eine größere Bedrohung dadurch, dass Spanien durch eine NATO-Mitgliedschaft in jenen Antagonismus der Blöcke hineingezogen würde und damit zum Ziel sowjetischer Aggression werden könnte. Nach den Gründen für ihre Gegnerschaft eines NATO-Beitritts gefragt, gaben 1981 35 Prozent Kriegsgefahr und 23 Prozent Gefahr durch Atomwaffen an (1983 waren es sogar 42 respektive 27 Prozent)204. Die Militärs waren gespalten; hier war vielen in negativer Erinnerung, dass die USA die immer wieder geforderte Sicherheitsgarantie nie zu geben bereit war. Andere befürchteten eher die Modernisierung der Streitkräfte, die mit einem NATO-Beitritt einhergehen würde. Ein weiteres Argument war, dass der NATO-Beitritt nicht förderlich sei für die nationalen Interessen Spaniens bezüglich dem wichtigen Thema territorialer Integrität, denn man hatte nicht vergessen, dass die USA den Grünen Marsch unterstützt hatten; Rückendeckung bei den Fragen der nordafrikanischen Enklaven und bei der Lösung des Gibraltar-Problems war somit nicht zu erwarten.205 Nicht nur viele Teile der Bevölkerung, das Militär und die politische Elite waren gespalten, auch für die politische Mitte – die Regierungspartei UCD – traf dies zu. Die pro200 Umfrage des CIS vom März 1980, vgl. “La opinión pública española ante la Comunidad Económica Europea, 1968-1985”, in: Revista de Investigaciones Sociológicas, (REIS), 29/1985, S. 289-396, hier: Tab. 41, S. 331 201 Das deckt sich mit den Beobachtungen etwa Armeros oder Rodrigos, dass ab 1979 das außenpolitische Interesse der Öffentlichkeit größer wurde bzw. eine öffentliche Debatte außenpolitischer Themen eingefordert wurde; zu einer Zeit also, als die drängenden innenpolitischen Fragen größtenteils gelöst waren. Armero, José María, Política exterior de España en democracia, Madrid 1988, S. 73; Rodrigo, Fernando, „Spain’s security policy“, in: a.a.O., Gillespie/Rodrigo/Story, S. 50-67, hier: S. 52 202 Vgl., “La opinión pública española ante la OTAN”, in: Revista de Investigaciones Sociológicas (REIS), Nr. 22, April/Juni 1983, S. 187-263, hier: S. 188 Abb. 1 und 2, siehe auch die Tabellen im Anhang 203 Vgl., a.a.O., Powell, 2000, S. 419 204 A.a.O., „La opinión pública española ante la OTAN“, S. 189 (Abb. 3). 53 Prozent der Spanier glaubten, dass der NATO-Beitritt Spanien im Falle eines Krieges zu einem wahrscheinlicheren Ziel von nuklearen Attacken machen. 44 Prozent glaubten, dass der Beitritt die Spannungen zwischen den Blöcken erhöhen würde. Vgl., a.a.O., Preston/Smyth, S. 46f 205 Siehe zu dem Für und Wider bezüglich NATO, der Diskussion in Elite und Öffentlichkeit und den verschiedenen Standpunkten: a.a.O., Preston/Smyth, S. 45-56 sowie ausführlich a.a.O., Barbé, sowie aus der Innensicht Rupérez, Javier, España y la OTAN. Relato parcial, Barcelona 1986.
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grammatischen Erklärungen206 waren eher verhalten und zogen sich auf eine parlamentarische Debatte dazu zurück. Es gab dezidierte Befürworter eines NATO-Beitritts wie der Außenminister und der außenpolitische Sprecher, Javier Rupérez207, und ebenso etliche, die für den neutralen oder dritten Weg im Sinne von Ministerpräsident Suárez optierten, wie etwa Alvarez de Miranda.208 Abgesehen von den Konservativen ging die Ablehnung der NATO quer durch die Parteienlandschaft, wenngleich sie am deutlichsten in der Linken war (PCE, PSOE). Und auch die Option der Neutralität war außer bei den Konservativen quer durch die Parteien zu finden. Die EG dagegen - als die Organisation, die Franco-Spanien ausgeschlossen hatte – symbolisierte die Verteidigung der Demokratie. Europa bzw. ab 1957 die EG stellte seit der Franco-Zeit einen zentralen Referenzpunkt, ein Symbol für Demokratie, Freiheit und Modernisierung dar. Nach Francos Tod blieb der Beitritt zur EG das prioritäre und konsensuelle Projekt der spanischen Neuorientierung. So klar wie der Wunsch nach Demokratie im Inneren, so der nach europäischer Integration im Äußeren. Für den EG-Beitritt waren sogar große Teile des bunker. Fernando Morán, Außenminister unter Felipe González, konstatiert, dass zur „Kultur der Transition“ folgende zentrale Punkte gehörten, die zwischen Regierung und Opposition festgelegt worden waren: die Regierungsform, der Akzeptanz der Monarchie, die Wiederherstellung der Autonomiestatuten und der Eintritt in die EG209. Und in der Bevölkerung bestand nicht nur ein großer Wunsch nach Integration in die EG, ihr wurde auch überwiegend große Priorität beigemessen; 63 Prozent der Befragten meinten, sie sei sehr wichtig.210 Ein weiterer wichtiger Beweggrund war, dass die europäische Integration auch als Garantie für eine demokratische Entwicklung Spaniens gesehen wurde, dass die spanische Demokratie „sich verstärkt sehen wird durch unsere kontinentale Integration“.211 Oder umgekehrt: als „Schutz gegen den Rückfall in die Diktatur“212. Eine solche Demokratie sichernde Erwartung hatte man dagegen hinsichtlich der NATO nicht, hatte die Mitgliedschaft in der Allianz doch keineswegs die coups in der Türkei oder Griechenland verhindert. Es ist auffallend, dass in den ersten Parlamentsdebatten zur Außen- bzw. Europapolitik bei der Begründung für die Priorität der europäischen Integration die politischen oder geistig-kulturellen Motive – manchmal auch noch im geographisch-historischen Zusammenhang - an erster Stelle stehen. Von den sechs Rednern der Debatte im September 1977 nennen vier Motive für ihre Unterstützung der Integration Spaniens: „Der Beitritt Spaniens zu den europäischen Gemeinschaften würde uns helfen, einige unserer Probleme zu lösen, insbesondere die demokratische Restrukturierung und die Modernisierung unserer Agrarwirtschaft (…). Die Integration in den Gemeinsamen Markt wird eine Hilfe sein, die interregionalen Ungleichgewichte zu verringern (…)“ (Ignacio Gallego Bezares, PCE)213
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Programmatische Erklärung der zweiten Regierung Suárez vom 11.7.1977, Parteitagsbeschluss der UCD von 1978, Wahlprogramm von 1979. 207 Vgl. Interview mit Javier Rupérez am 25.4.2003 208 Vgl., a.a.O., S. 177 209 Vgl. Interview Morán 210 A.a.O., “La opinión pública española ante al Comunidad Económica Europea, 1968-1985”, Tab. 12 und Tab. 14, Umfrage vom Januar 1976 211 So der sozialistische Abgeordnete Luis Yañez-Barnuevo Garcia in der Parlamentsdebatte vom 20.9.1977, Cortes, Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados, 1977, Nr. 10, S. 260 212 Vgl. Interview Walter Haubrich 213 A.a.O., Cortes, 20.9.1977, S. 256
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III Empirischer Teil: EU „Geographisch und historisch ist Spanien Teil Europas. Unser Außenhandel vollzieht sich maßgeblich mit den Neun.“ (Luis Yañez-Barnuevo, PSOE)214 „Gewiss stellt sich uns Europa in diesem Moment auf drei Ebenen dar: auf der Ebene der ethischen, ästethischen und politischen Philosophie, die versucht hat, sich zu verwandeln in ein Paradigma der Verteidigung der persönlichen Freiheiten, der liberalen Tradition und des Respekts für alle Arten von Credos und Glauben. Auf politischer Ebene mit den demokratischen Strukturen und auf der realistischen Ebene wirtschaftlichen Charakters…“ (Federico Silva Muñoz, Alianza Popular)215 „…wir verfechten nicht nur die Eingliederung Spaniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, sondern dass unsere wichtigste Aufgabe und wesentliche Motivation das politische Europa ist, das politische Europa, dass sich in einem demokratisierenden Prozess integrieren wird, bei dem der wesentliche Punkt die Verteidigung unserer wahrhaft demokratischen Institutionen ist.“ (Antón Canyellas Baldells, Baskisch-Katalanische Gruppe)216
Zwar werden wirtschaftliche Gründe auch genannt, dennoch zeigt sich die Dominanz der politischen Motive. Dass sich dieser Tenor auch nicht ändert, verdeutlicht die Parlamentsdebatte vom Juni 1979, die erste ausschließliche EG-Debatte. Dort findet man die politische Bedeutung sogar noch stärker betont: „Das politische Leben in Westeuropa ist von Stabilität geprägt: die revolutionären Versuche sind marginal, man verurteilt Totalitarismen; es herrscht Moderation und Kampf gegen den Terrorismus. Das alles brauchen wir in Europa. Diese Stabilität, die sich durch unser Einpassen in die europäischen Formen und Fahrwasser begünstigt sehen wird, ist für uns nicht nur einfach eine Notwendigkeit, sondern ein Problem des Überlebens, des Überlebens unserer Demokratie, des Überlebens von Spanien selbst.“ [H.d.MK] (Leopoldo Calvo Sotelo, Minister für die Beziehungen zur EG)217 „...die Teilhabe an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird ein dynamischer Faktor des Abstützens und Vertiefens des demokratischen Weges in einem sicher wichtigen Moment unserer eigenen politischen Evolution sein.“ (Manuel Marín, PSOE)218
Natürlich waren neben diesen politischen immer auch wirtschaftliche Motive präsent: die Teilhabe an dem wirtschaftlichen Erfolg der EG, an Wohlstand und Wachstum. Dabei hatte das Wort von der Modernisierung des Landes im Allgemeinen, und für spezielle Sektoren (Landwirtschaft, Industrie etc.) im Besonderen einen positiven Klang, was wiederum auf dem Hintergrund jenes Traumas der Rückständigkeit und Abkopplung von der europäischen Moderne seit dem 19. Jahrhundert zu sehen ist. So betonte etwa Felipe González als Motiv die „Notwendigkeit der Modernisierung“ und beschrieb Europa als „Symbol der Modernität“.219 Nicht zuletzt spielt bei den Motiven das Gefühl kultureller und geschichtlicher Zugehörigkeit zu Europa eine Rolle. Auf die Frage, welches Motiv überwog – das politische, das wirtschaftliche oder das kulturelle, dominierte bei den von mir befragten Politikern die Meinung, es sei eine Mischung gewesen, allerdings mit einem deutlichen Akzent 214
Ebd., S. 260 Ebd., S. 265 Ebd., S. 271 217 Sotelo in der Parlamentsdebatte vom 27.6.1979, Cortes, Diario de Sesiones del Congreso de Diputados, Nr. 21/1979 (S. 1039-1110), S. 1063 218 Ebd., S. 1075 219 Interview Felipe González 215 216
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auf der politischen Motivation. Dies wurde immer wieder auf ein Moment zurückgeführt, für das die Darstellung des Staatssekretärs für die Beziehungen zur EG unter Felipe González und Chefverhandlers, Manuel Marín, beispielhaft steht: „Europäisch zu sein bedeutete für einen Spanier demokratisch zu sein. Mitglied der EU zu sein, bedeutete, unser politisches System zu homologieren in Bezug auf Pluralismus, Freiheit, Rechtsstaat, Verfassung, Presse- und Kulturfreiheit. Dies war ein entscheidender Einfluss, absolut entscheidend. Und deswegen war für die Spanier die Integration in die EG vor allem anderen ein politisches Projekt.“220
Die Überwindung der außenpolitischen Erbschaft des Franco-Regimes einerseits und die Demokratie verteidigende Haltung der EG während der Diktatur sind entscheidende Erklärungsmomente für die starke Unterstützung eines Beitritts. Den übergroßen Konsens aber können sie allein nicht erklären, insbesondere, da Spanien diesbezüglich im Vergleich mir den anderen beiden Fällen Portugal und Griechenland heraus fällt. Die Grundsituation internationaler Orientierung der drei Länder gleicht sich erstaunlich stark: Die zentralen Fragen lauteten Integration in die EG, Integration bzw. Verbleib in der NATO (nicht in Portugal) und territoriale Integrität. In der NATO-Frage existierte in Griechenland und Spanien gleichermaßen eine starke antiamerikanische Strömung. Alle drei Länder trugen ungelöste Probleme bezüglich ihrer territorialen Definition mit sich221. Die Problematik der territorialen Integrität ist ein Faktor, den die Transitionsforschung zu Spanien bzw. Südeuropa anfangs unterschätzt, ja vernachlässigt hatte, deren Stellenwert Linz und Stepan durch die hervorgehobene Einordnung als vorgeschaltete Makrovariable der Staatlichkeit (stateness) zu Recht ins Licht gerückt haben. Über den tatsächlich hohen Stellenwert dieser Frage für die einzelnen Staaten legt die politische Entwicklung seither beredtes Zeugnis ab.222 Für die Betrachtung der Interaktion zwischen der inneren und äußeren Dimension bei Demokratisierungsprozessen spielt die Frage der Staatlichkeit insofern eine Rolle, als 1. die politische Elite bei der Formulierung ihrer nationalen Interessen und deren bestmöglichen Verteidigung – gerade und auch im Äußeren - den Aspekt der territorialen Integrität mit einbezieht, 2. dies ein Frage ist, die in der breiten Öffentlichkeit leicht Emotionen (Größe des Landes, Nationalstolz etc.) weckt, 3. in der delikaten Phase des demokratischen Umbruchs, in der auch die nationale Identität partiell neu gedeutet wird, gerade die territoriale Frage ein Beharrungsmoment bildet, und 4. territoriale Integrität zudem ein klares Schnittmengenelement ist zwischen der inneren Dimension (was ist spanisch?, was ist griechisch?) und der äußeren Dimension, insbesondere wenn außenpolitische Konflikte (siehe Zypern, West-Sahara) und völkerrechtliche Fragen (Gibraltar, Kanaren, WestSahara) eine Rolle spielen, bei denen es auch um bilaterale Verhandlungen oder internationale Vereinbarungen geht. Trotz dieser gemeinsamen Grundsituation der drei südeuropäischen Länder gab es einen so breiten Konsens über den EG-Beitritt zwischen den Parteien, in der politischen Elite 220
Interview Manuel Marín Griechenland mit Zypern, Portugal mit seinen Kolonien, Spanien mit der Sahara, den Kanarischen Inseln sowie Gibraltar. 222 Selbst die Hoffnung, das Zypern-Problem könnte im Zuge des EU-Beitritts gelöst werden, stellte sich als trügerisch heraus. Portugal war noch lange in Angola involviert. Das West-Sahara-Problem und die Gibraltar-Frage harren bis heute einer Lösung, der Vorfall um die Insel Perejil 2002 hat gezeigt, dass die alten Kolonialstreitigkeiten mit Marokko bis in die Gegenwart ihre Wirkung entfalten. 221
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sowie in der Bevölkerung weder in Portugal noch in Griechenland. Der Unterschied lag in der Haltung der Linken, die in Griechenland223 und Portugal224 erst eine Entwicklung zu pro-europäischen Parteien durchmachten. Warum also dieser große Europa-Konsens in Spanien? Die Bedeutung Europas muss eine andere für Spanien gewesen sein als für die anderen beiden Fälle. Auf der einen Seite stand der spanische Integrationswille möglicherweise in Korrelation zu der viel größeren Isolierung und dem viel stärkeren Paria-Status Spaniens. Manche Interpretation sieht den Konsens in puncto Europa als natürliche Verlängerung des Konsenscharakters, der den Transitionsprozess insgesamt bestimmte.225 Zweifelsohne konnten sich bei dem Thema EG alle Kräfte treffen, weil sie, wenn auch teils aus verschiedenen Beweggründen, alle Interesse an dem Beitritt hatten. Eine weitere Erklärung für diesen Konsens ist der Zusammenhang zwischen der Art des Regimeendes und dem Aufbau des neuen Systems.226 Die Transformationsforschung unterscheidet die Ursachen des Regimeendes und dessen Verlaufsform.227 Demnach ist Griechenland ein klassischer Fall für einen Regimekollaps nach einer Kriegsniederlage. In Portugal fand ein von unten erzwungener Systemwechsel statt, durch den Militärputsch der mittleren Ränge. Im Falle Portugals und Griechenlands waren externes Versagen die direkten Anlässe des Scheiterns des Caetano-Regimes und der Obristen. Spanien dagegen erlebte weder ein so dramatisches Ende seiner Diktatur, noch war das Ende direkt durch ein externes Ereignis (Zypern, Kolonialkrieg) herbeigeführt. Das portugiesische und das griechische Regime waren auf Grund der Art des Regimeendes – die Nelkenrevolution und den Putsch gegen die Junta - vollends und sozusagen mit einem Schlag delegitimiert und vollzogen die Differenzierung von dem vorherigen System durch Handlungen wie die „Dejuntifikation“ in Griechenland oder „Säuberungen“ in Portugal. Im Gegensatz dazu wies das spanische Regimeende weder einen so klaren Punkt des Machtwechsels noch solche delegitimierende Gesten auf, sondern vielmehr eine Kontinuität des personellen wie verfassungsmäßigen Rahmens – ganz anders übrigens auch als die Zweite Republik, die wie eine „Revolution“ empfunden und gelebt wurde. Gerade dies aber machte die Legitimierung des neu aufzubauenden demokratischen Systems ungleich schwieriger. Die Art des Regimewechsels und der Charakters von Kontinuität während der Transition verlangte in Spanien daher umso dringender nach legitimierenden Symbolen. Dies hatte Adolfo Suárez ganz offensichtlich erkannt, denn er versuchte, ein neues Image und damit interne Legitimation zu suchen, indem er sich mit seinen vielen Reisen von dem franquistischen Bild des weitgehend isolierten und international nicht-präsenten 223
Die Linke in Griechenland unterschied nicht zwischen EWG und NATO, für sie waren beide die bloße Verlängerung der wirtschaftlichen und militärischen Interessen der USA. Gegen den von Ministerpräsident Karamanlis ausgehandelten EG-Beitrittsvertrag opponierte sie frontal, und nur langsam änderte die PASOK ihre Haltung, nachdem sie 1981 an die Macht gekommen war. Formal aber akzeptierte sie den Beitritt erst 1985. 224 In Portugal änderte sich die Situation durch den Versuch, eine „Volksdemokratie“ zu errichten. Für diejenigen, die eine pluralistische Demokratie vertraten, wurde die EWG zu dem entscheidenden Alliierten im Kampf, erneut ein autoritäres System, diesmal mit anderem Vorzeichen oktroyiert zu bekommen. „Tatsächlich, war die Debatte über die europäische Integration im Laufe der portugiesischen Transition überaus eng verbunden mit der Definition des neuen politischen Regimes.“ A.a.O., Powell, 2000, S. 418. Siehe dort auch allgemein, S. 415ff 225 So Mesa, Roberto, „La normalizacion exterior de España”, in: Cotarelo, Ramón, (Hrsg.), Transición política y consolidación democrática. España 1975-1986, Madrid 1992, S. 137-163 und a.a.O., del Arenal 226 Vgl., Alvarez-Miranda, Berta, “A las puertas de la comunidad: Concenso y disenso en el sur de Europa”, Working Paper 1995/74, Centro de Estudios Avanzados en ciencias Sociales del Instituto Juan March, Madrid 1995, S. 33 227 Vgl., dazu a.a.O., Merkel, 1999, S. 123ff
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Franco absetzte.228 Nur konnte diese Art der Legitimierung nicht gelingen, denn die Akzentsetzung bei den Reisen – Besuch bei Fidel Castro, Teilnahme an der Blockfreien Konferenz 1979 in La Habana, Einladung an Palästinenserführer Arafat – rief eher Kritik hervor. Die franquistische Kontinuität („continuismo“) wurde auch in den parlamentarischen Debatten kritisiert.229 Dies ging gerade in den Oppositionsparteien der Linken einher mit der Forderung nach einer eigenständigeren, unabhängigeren internationalen Position. Bereits in den ersten Parlamentsdebatten 1977 werden von verschiedenen politischen Seiten solche Meinungen geäußert: „Zurückgewinnung der Unabhängigkeit“230, Finden eines „autonomen Handlungsbereich(es)“ und „Vermeiden einer Satellisierung“231, Zurückgewinnen von Spaniens „Fähigkeit als Protagonist in der internationalen Szenerie“232. Die Begründung, die einer der Abgeordneten lieferte, weist einmal mehr auf die außenpolitische Erbschaft des Franco-Regimes hin, gleichzeitig aber auch auf die Bedeutung, die der Rückgewinnung einer demokratischen Außenpolitik zugemessen wird: „Die Außenpolitik der letzten vierzig Jahre war dadurch charakterisiert, dass die Interessen der Völker Spaniens dem bloßen Überleben des Regimes untergeordnet wurden (…) und durch die tatsächliche Auslieferung an die ausländische Dominierung.“233 Zugleich ist es auffällig, dass immer wieder auf den engen Zusammenhang zwischen Innen- und Außenpolitik hingewiesen wurde: „Die Außenpolitik eines Landes ist der Reflex seiner Innenpolitik, und zugleich hat die internationale Politik einen entscheidenden Einfluss auf die Innenpolitik.“ (YañezBarnuevo), „Es erscheint notwendig zu konstatieren, dass (…) eine profunde Korrelation existiert zwischen der Innenpolitik und der Außenpolitik“ (Außenminister Oreja). Dies wird in dreierlei Hinsicht konkretisiert: Zum einen, da, wie Oreja argumentiert, unter Franco die Außenpolitik unabhängig und „abgegrenzt“ von der Innenpolitik betrieben worden sei, heute aber das Ziel in einer Synthese bestehen sollte.234 Zum zweiten in dem Sinne, dass die Bedeutung, die die ersten demokratischen Wahlen im Juni 1977 gehabt haben, adäquat in die Außenpolitik übersetzt werden müsse. Und schließlich, da eine solche Außenpolitik – „heute nötiger denn je“ - zur „Konsolidierung des demokratischen Systems (…) in Spanien beitragen wird“235. Das Problem der fehlenden Delegitimierung und der Kontinuität des alten Systems einerseits und der Bedarf an notwendigen Symbolen der Diskontinuität und Legitimierung des neuen Systems andererseits sind also augenfällig. Der EG bekam diese die neue Demokratie legitimierende Symbolkraft.236 Die Integration in die EG verkörperte für Spanien jenes Moment der Diskontinuität, jenes differenzierende Merkmal vom vorherigen Regime, das zur Legitimierung notwendig war. Der kausale Zusammenhang zwischen der Bedingung demokratischer Verhältnisse und dem EG-Beitritt war in Spanien präsent seit dem Birkelbach-Bericht und der Zurückweisung Spaniens unter Verweis auf die notwendigen 228
A.a.O., del Arenal, S. 397, Fußnote 4 Vgl., a.a.O., Cortes, Parlamentsdebatte vom 20.9.1977: „Es muss mit den Kontinuismen der franquistischen Etappe gebrochen werden“ (Abg. Gallego Bezares, S. 255), s.a. Abg. Yañez-Barnuevo García, S. 258 230 So der Abgeordnete Yañez-Barnuevo García, a.a.O., Cortes, Parlamentsdebatte vom 20.9.1977, S. 259 231 So der Abgeordnete Morodo Leoncio, Grupo Mixto, ebd., S. 248 232 So der kommunistische Abgeordnete Gallego Bezares, PCE, ebd., S. 255 233 Vgl., ebd., Yañez-Barnuevo García 234 Vgl., ebd., Oreja, Marcelino, S. 276 und 279 235 Vgl., ebd., S. 258 und 259 236 Vgl., Alvarez-Miranda, Berta, „Democratización e integración: los países mediterráneos ante la Comunidad Europea”, in: Tusell, Javier, (Hrsg.), Historia de la transición y consolidación democrática en España, Madrid 1996, Bd. 2, S. 191-199, siehe S. 193ff sowie a.a.O., Alvarez-Miranda, 1995, S. 30 229
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demokratischen Voraussetzungen. Leopoldo Calvo Sotelo führte die Perzeption dieser Verknüpfung in der Bevölkerung – wörtlich: „Ich bestehe auf dieser Verknüpfung…“ – 1979 sogar als Argument an, warum die Regierung Suárez sofort den Beitrittsantrag gestellt und nicht gewartet hatte: Seinerzeit habe das spanische Volk verstanden, dass vor dem Beitritt zum Gemeinsamen Markt die eine Bedingung steht: die Schaffung eines demokratischen Regimes. In dem Moment aber, wo diese Bedingung gegeben gewesen sei, sei es deswegen angezeigt, sich sofort auf den Weg zu begeben.237 Die Perzeption des Zusammenhangs zwischen Demokratisierung und Integration wirkte auch nach 1975 weiter. So wurde bei einer Umfrage im Januar 1976 nach der Befürwortung des EG-Beitritts gefragt, auf den 73 Prozent positiv antworteten. Auf die Frage: „Möchten Sie, dass die notwendigen politischen Reformen durchgeführt werden, damit Spanien im Gemeinsamen Markt akzeptiert wird?“, antworteten 65 Prozent der Befragten positiv.238 Das zeigt, dass die europäische Integration in diesem Sinne weniger ein isoliertes Thema rein außenpolitischer Art war, sondern drei zentrale Momente von interner Relevanz umfasst: Zum einen die Tatsache, dass die Verortung in Europa ein Paradigma für die internen Erwartungen an die Modernisierung Spaniens verkörperte - und zwar dies, wie die Kapitel 1 und 2 zeigen, bereits seit der Jahrhundertwende. Dazu kam, zweitens, die Tatsache, dass pro-europäisch gleichbedeutend war mit antifranquistisch - eine evident innenpolitische Komponente, wie Rupérez es ausdrückt.239 Hier handelt es sich um eine langfristige Einstellung bezüglich der internationalen Verortung Spaniens. Drittens schließlich, stellte die politische Entscheidung für die europäische Integration ein die Demokratie legitimierendes, damit also ein innenpolitisches, Vehikel dar. Es ging bei der breiten Sammlung hinter der Idee Europa und dem Projekt EG in der Anfangsphase weniger um konkrete Themen im Rahmen der Aufnahme bilateraler Beziehungen, sondern darum, das innenpolitische Projekt Demokratie zu legitimieren durch die Symbolkraft der EG und die Diskontinuität zum Franco-Regime zu manifestieren. Europäismus und Befürwortung der europäischen Integration erreichten so in jenem Moment des demokratischen Übergangs einen „quasi metapolitischen Wert“, und konstituierten eine Einstimmigkeit, die den Wechsel erlaubte, so Außenminister Fernando Morán.240 Der Kampf für die Demokratisierung in Spanien war für die Menschen direkt verbunden mit dem Kampf für die Zugehörigkeit zu den demokratischen Organisationen, so Rupérez.241 Die Relevanz der spanischen Verortung in Europa fand seinen konkreten Niederschlag darin, dass die erste außenpolitische Entscheidung, die die erste demokratisch gewählte Regierung traf - nicht einmal vier Wochen nach Amtsantritt und bevor Spanien überhaupt eine demokratische Verfassung hatte - der Antrag auf EG-Mitgliedschaft war.242 Insofern fallen für die erste demokratische Regierung die ihr obliegende schwierige Aufgabe der Verfassungsgebung einerseits und die Annäherung zur EG andererseits zeitlich zusammen. „Es war notwendig, dass politische Transition und Integration in Europa koinzidierten; diese 237
Parlamentsdebatte über den EWG-Beitritt vom 27.6.1979, in: Cortes, Diario de Sesiones del Congreso de Diputados, Nr. 21/1979, S. 1039-1110, hier: Calvo Sotelo, Leopoldo, S. 1043 238 A.a.O., “La opinión pública española ante la Comunidad Económica Europea”, Umfrage vom Januar 1976, Tab. 13, S. 303 239 Vgl., Interview Javier Rupérez 240 Morán, Fernando, Una política exterior para España: Una alternativa socialista, Barcelona 1980, S. 289 241 Vgl. Interview Javier Rupérez 242 Die Bedeutung dieser Tatsache unterstrichen mehrere Interviewpartner: Marcelino Oreja, Manuel Marín, Fernando Alvarez de Miranda. Siehe dazu auch a.a.O., Oreja, S. 74
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Koinzidenz war notwendig, wenn auch unbequem und, ich denke, sie war auch angebracht.“243 Dieser aufschlussreiche Satz von Europaminister Calvo Sotelo in der Parlamentsdebatte vom Juni 1979 verdeutlicht noch einmal mehr, dass die europäische Integration als Teil des Transitionsprojektes gedacht wurde, und zwar als ein zentraler Teil, als Rahmen, in dem „sich unser neuer Staat verwirklicht und verfestigt“.244 2.4.2 Externes Umfeld: wirtschaftlich krisengeschüttelt, aber demokratiefreundlich Das herausragende Merkmal in Bezug auf das externe Umfeld der spanischen Transition 1975-1979 sind die politisch günstigen, demokratieförderlichen internationalen Rahmenbedingungen im Gegensatz zur Zweiten Republik245. Im Gegensatz zur Zweiten Republik vollzog sich die Transition 1975 auf einem stabilen internationalen Rechtsrahmen (UNO) und einem stabilen und demokratischen europäischen Kontext, verkörpert vor allem durch EG und Europarat. Als auf den Prinzipien von Demokratie und Freiheit aufgebaute Organisationen übten sie einen wichtigen pro-demokratischen Druck aus. Der politischen Klasse in Spanien waren das Scheitern des Demokratieversuches von 1931 und die fatalen Folgen sehr deutlich vor den Augen. Dies zeigt die Feststellung von Außenminister José Pedro Pérez-Llorca: „Der Unterschied zwischen dem Scheitern der spanischen Modernisierung der dreißiger Jahre und dem relativen Konsens bei der Modernisierung in den siebziger Jahren liegt darin, dass das Europa der dreißiger Jahre ein Misserfolg war. (…) Der Kontext eines Europas mit relativem Wohlstand und die demokratische Utopie waren die wesentlichen Elemente, warum Spanien zu einer Demokratie werden konnte.“
Und noch einmal in anderen Worten: „Wenn es kein demokratisches Europa gegeben hätte, dann wäre die Transition nicht gut ausgegangen.“246 Es war ebenfalls ein demokratieförderlicher Umstand, dass sich der Nachbar Portugal und Griechenland – also mit Spanien die letzten verbleibenden Rechtsdiktaturen Europas – demokratisierten. Natürlich wurden die demokratischen Veränderungen in Südeuropa in der demokratischen Welt allseits positiv aufgenommen. Die Entwicklung in Portugal löste allerdings bald Beunruhigung aus. Während der Transition beeinflusste das Erstarken der radikal-marxistischen Kräfte und die Unsicherheit hinsichtlich eines demokratischen Weges sowohl die nationalen Akteure innerhalb Spaniens als auch die externen Akteure. Aus sowjetrussischer Sicht war sicher der spanische Fall der unerfreulichere, denn die Kommunistische Partei unter der Führung von Santiago Carrillo schlug einen Kurs ein, der deutlich auf Distanz zur UdSSR und zu dem Beispiel der portugiesischen Kommunisten ging. Bei dem erheblichen Einfluss der Nelkenrevolution auf die Gefühlslage der spanischen Opposition, auf die in Kapitel 3.2 hingewiesen wurde, dürfte der Einfluss ex negativo der wichtigste Moment für die spanische Transitionsphase und die Rolle der PCE gewesen sein. Dass die PCE sich von den portugiesischen Kommunisten distanzierte, deren Weg der Radikalisierung ablehnte - auch in Erinnerung an die Endphase der Zweite Republik und die eigene Bürgerkriegserfahrung – und 243
Calvo Sotelo in der Parlamentsdebatte vom 27.6.1979, a.a.O., Cortes, S. 1043f Ebd., S. 1042 245 Siehe auch Kapitel III. 2.1 sowie a.a.O., Neila Hernández 246 Interview José Pedro Pérez-Llorca 244
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ganz im Gegensatz dazu einen moderaten Kurs einschlug, war für den konsensuellen Übergang in Spanien entscheidend. „Die zurückhaltende Politik des Partido Comunista de España, seine Kooperations- und Konsensbereitschaft waren in den Jahren 1977-1979 von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Eine radikalere Strategie hätten die poderes fácticos, allen voran die Armee, herausgefordert und den noch fragilen Demokratisierungsprozeß gefährdet.“247
Des Weiteren darf man nicht vergessen, dass das 1975 verabschiedetet Programm-Manifest des PCE eine neue Linie festlegte, die später als „eurokommunistisch“ titulierte Richtung. 1977 veröffentlichte Carrillo sein Buch „Eurocomunismo y Estado“, in dem er auf Distanz zum sowjetischen System ging und in noch nie da gewesener Weise die Sowjetunion, die KPdSU und ihre Politik kritisierte. Er erreichte, dass seine Partei das sowjetische Modell des Sozialismus zurückwies. Dies trug ihm wiederholte Attacken aus der UdSSR ein.248 Die USA nahmen unter dem Eindruck der portugiesischen Ereignisse eine grundsätzliche positive, aber doch sehr verhaltene Position ein. Das belegen die Zeugnisse des ersten Außenministers nach 1975, Areilza. Im Dezember 1975 notiert er: „Die Vereinigten Staaten wünschen die Demokratisierung des Systems, aber getreu ihres Pragmatismus ohne zu viel Eifer, Bedarf oder Eile. Sie wünschen vor allem, dass wir nicht den Weg Portugals gehen.“249 Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger äußerte im Juni 1976 seine Besorgnis über das Wie, Wann und Bis Wohin der spanischen Reform. Dass die Demokratie und die Freiheiten kommen müssten, betrachte er als logisch und zudem unvermeidlich. Aber Areilza berichtete über den „hohen Grad an Reserve“ bei ihm in Bezug darauf, dass der Prozess ein „die Harmonie störendes („discordante“) Element oder ein Faktor der Komplikation in dem europäischen und mediterranen politischen Schachspiel mit sich bringen könnte“.250 So sagte Kissinger im Gespräch mit Areilza: „Sie sind jetzt ein sicheres Teil in der generellen Gliederung des Westens. Diese Sicherheit kann abnehmen mit einem Linksruck in der Regierung. Dieses Risiko laufen wir auch in Italien und Frankreich in den nächsten Wahljahren. Und Großbritannien durchläuft wirtschaftlich und sozial höchst schwierige Momente. Wir haben keine andere solide Stütze als Deutschland.“251
247
Kraus, Peter A./Merkel, Wolfgang, „Die Linksparteien“, in: a.a.O., Bernecker/Collado Seidel, S. 192-212, hier: S. 210 248 Carrillo, Santiago, Memorias, Barcelona 1993, S. 662. Seit dem Erscheinen des Buches “Eurocomunismo y Estado“ im Juni 1977 begann das sowjetische Blatt „Neue Zeit“, Carrillo zu attackieren. Man versuchte sogar, über die moskautreue Kommunistenführerin Dolores de Ibárruri (La Pasionaria) Carrillo zu stürzen und einen bekannten Kommunisten (etwa den angesehenen Wirtschaftprofessor Ramon Tamames oder den Arbeiterführer Marcelino Camacho) zum Gegenkandidaten Carrillos aufzubauen und in zum nächsten Generalsekretär zu machen. Vor allem der Botschafter der UdSSR Bogumolow und der Kulturattaché bemühten sich „besonders aktiv“ um „eine Änderung der Machtverhältnisse innerhalb des PCE“. Vgl., Haubrich, Walter, „Moskau betreibt den Sturz Carrillos“, in: FAZ, 25.6.1977. Die Berichterstattung des FAZ-Korrespondenten Walter Haubrich stellt ein sehr detailliertes, in der zweiten Jahreshälfte 1977 durchgängiges und daher wertvolles Zeitzeugnis zu diesem Thema dar. Siehe u.a. die Beiträge vom 27.6.1977, 28.6.1977, 29.6.1977, 8.7.1977, 22.7.1977. 249 A.a.O., Areilza, José María, Diario de un ministro de la monarquía, Barcelona 1977, S. 15 250 Vgl., ebd. 251 Ebd., S. 195. Es handelte sich um eine Unterredung mit Kissinger während des USA-Besuches von König Juan Carlos, am 3.6.1976 im State Department.
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Diese Skizze der amerikanischen Sicht auf die Welt- und europäische Ordnung verdeutlicht die Prioritätenskala, für die jedenfalls an diesem Punkt gilt, dass die amerikanischen Sicherheitsziele bei der Bestimmung ihrer Außenpolitik in diesen Jahren die höchste Priorität hatten. Die Außenpolitik war dominiert von der anti-kommunistischen stabilitätsorientierten Haltung, die deutlich vor der Unterstützung von Demokratisierungen rangierte.252 Damit sind wir bei dem wichtigen Hinweis, der näherer Ausführungen nicht bedarf: Das internationale Klima und damit auch die Demokratisierungen in Südeuropa wurden bestimmt durch den Ost-West-Gegensatz, der präsent war in den Kalkulationen vor allem der Großmächte, natürlich aber auch der Transitionsländer. Zwar war es nicht mehr die „heißeste Phase“ des Kalten Krieges, dennoch zeigten alle drei Demokratisierungsfälle, dass Anti-Kommunismus (insbesondere im portugiesischen Fall) und geostrategische Motive (Mittelmeer) bei den USA eine dominante Rolle spielten. Außenminister José Pedro PérezLlorca betont, dass es für die USA sehr wichtig gewesen sei, „dass eine stabile Demokratie entsteht, und dass sie sich nicht nach links aus dem Gleichgewicht gerate. Die spanische Transition vollzieht sich während des Kalten Krieges. Sie war verbunden mit der Befürchtung, es könnte etwas Ähnliches wie in Portugal passieren.“253 Auch Javier Rupérez sieht diesen Aspekt der Stabilität als dominant in der amerikanischen Perspektive: „Als Franco im Sterben lag waren die USA im Wesentlichen an der Stabilität Spaniens interessiert. (…) Sie werden nicht zu einem sehr aktiven Element für die Propagierung der Demokratisierung. Sie waren interessiert an Stabilität und an der Aufrechterhaltung der strategischen Verbindung.“254 Eine zweite prägende Rahmenbedingung neben dem Ost-West-Konflikt war die weltweite finanzielle und wirtschaftliche Krise. Hier liegt die einzige, aber bedeutende Parallele zu der Situation von 1931, denn wieder fielen Demokratisierung und Weltwirtschaftkrise zusammen. Die Weltwirtschaftskrise der siebziger Jahre traf Spanien sehr. Enrique Fuentes Quintana, spanischer Wirtschaftsminister 1977/78, führt dies auf drei Punkte zurück255: Zum einen traf der Anstieg der Energiekosten Spanien deswegen so hart, da es seinen Ernergiebedarf in überdurchschnittlich hoher Weise durch Importe decken musste (70 Prozent zu 30 Prozent im OECD-Durchschnitt). Zum zweiten war die Wirtschaftpolitik zwischen 1973 und 1977 sehr passiv und nahm keinerlei Korrekturen vor, was die Folgen verschlimmerte. Und drittens, spielte die Tatsache eine Rolle, „dass die Erschütterung der Wirtschaft mit dem Aufbau eines demokratischen Systems zusammenfiel“. Den Verantwortlichen stand die Vergangenheit in Form der 1929er Krise deutlich vor Augen. Dies bezeugt Adolfo Suárez: “Die Gelegenheit eines Wechsels vollzog sich inmitten einer schweren, weltweiten wirtschaftlichen Krise, die 1973 anfing und sich 1977 zuspitzte. Die Zweite spanische Republik, die von der Großen Depression begleitet gewesen war, schien sich zu wiederholen. Wir mussten aus unserer eigenen Geschichte lernen, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. In solch einem schwierigen Moment war es notwendig, das Gleichgewicht zwischen sozialem Druck, den
252
Vgl., a.a.O., Whitehead, 1986, S. 43 Interview José Pedro Pérez-Llorca 254 Interview Javier Rupérez. 255 Vgl., zum Folgenden Fuentes Quintana, Enrique, „Wirtschaftspolitik im Übergang“, in: a.a.O., Bernecker/Collado Seidel, S. 26-44 253
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III Empirischer Teil: EU Erfordernissen des politischen Wandels und der Eigenverantwortlichkeit der Regierung zu wahren.“256 „Die Angst vor einer Wiederholung der historischen Ereignisse war eines der grundlegenden Momente bei den politischen Entscheidungen, die der Abschwung der Konjunktur in den Monaten nach den Wahlen vom 15. Juni 1977 provozierte.“ – so Fuentes Quintana.257 Die politischen Implikationen der Weltwirtschaftkrise wurden gefürchtet, weckte sie doch historische Reminiszenzen, die sehr sensibel wahrgenommen wurden, da nicht nur die Legitimität der Regierung Suárez, sondern der noch nicht gefestigten jungen Demokratie insgesamt auf dem Spiel stand. In dieser Erkenntnis stand die erste demokratisch gewählte Regierung vor der Herausforderung, eine tragfähige Lösung zu finden, die eine Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte erforderte. „Die Wirtschaftsprobleme waren der politische Anlaß für die im Herbst 1977 zwischen der Regierung und der demokratischen Opposition geschlossenen Pactos de la Moncloa“258, so Fuentes Quintana, der Kopf dieser Bündnisse.
Das junge demokratische Spanien fand in seinem externen Umfeld den Ballast der FrancoZeit vor in Form verschiedener Probleme und Unsicherheiten. So mussten das Verhältnis zum Heiligen Stuhl völlig neu geordnet werden, was immerhin gut drei Jahre dauert und erst Anfang 1979 gelöst werden konnte. Das Gleiche galt für die Beziehungen zu Israel und zum Ostblock. Besonders prekär aber stellte sich der Konflikt um die Sahara dar, der 1975 kurz vor einer kriegerischen Auseinandersetzung stand und der „den Beginn des Demokratisierungsprozesses schwerwiegend hätte komplizieren können“.259 Auch die Frage der territorialen Integrität stand weiterhin auf der Agenda.260 Insgesamt ist festzuhalten, dass die spanische Demokratisierung unter einem demokratiefreundlichen und –förderlichen Stern stand. Einflüsse aus dem externen Umfeld, die sich auf den Transitionspfad auswirkten, bestanden zum einen in Form des negativen Vorbild Portugals, das, erstens, ein Motiv (ein anderes war die Bürgerkriegserfahrung) für das moderate Agieren des maßgeblichen Akteurs Kommunistische Partei während der Transition war, und zweitens, beeinflusste das Beispiel Portugals die Sicht der Großmacht USA, was sich in einer vorsichtig-verhaltenen Position widerspiegelte. Ein zweiter direkter und obendrein massiver Einfluss aus dem externen Kontext bestand in den Auswirkungen der Weltwirtschaftkrise auf die Transition. Die bedrohliche Lage der spanischen Wirtschaft hätte zu ernsthaften Legitimationsproblemen der jungen Demokratie führen können. Der Druck, dem sich die politischen Akteure auf Grund dieser Tatsache ausgesetzt sahen, führte zu jenen Pactos de la Moncloa261, die die Fama des konsensuellen und paktierten Übergangs in Spanien begründeten. Diese Pakte hatten hauptsächlich zwei Wirkungen: Zum einen stabilisierte sich tatsächlich allmählich die Wirtschaft, und zum anderen führte das Klima des Konsenses, „das die Pactos de la Moncloa ermöglicht hatte, (…) auch zu einer grundlegenden Wende im politischen Umgang miteinander.“262
256
Suárez, Adolfo, Fue posible la concordia, Madrid 1996, S. 86f Vgl., a.a.O., Fuentes Quintana, S. 28 258 Ebd., S. 30. Siehe dazu auch a.a.O., Suárez, S. 86ff 259 A.a.O., Oreja, S. 45 260 A.a.O., Powell, 2000, S. 416 261 „Moncloa“ steht für den Amts- und Wohnsitz des spanischen Regierungschefs, den Palast der Moncloa, wo das Abkommen unterzeichnet wurde. 262 Ebd., S. 34 257
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Die Betrachtung des Faktors „externer Kontext“ hat mehrere Hinweise darauf ergeben, dass während der Transition die historische Perspektive einen wichtigen Bezugspunkt darstellte, so etwa bei der Frage nach Analogien früherer Demokratieerfahrungen. Der Demokratieversuch der Zweiten Republik und die fatalen Folgen seines Scheiterns sind in mindestens drei Punkten relevant gewesen für die Entscheidungen der politischen Elite: 1. das Suchen nach Unterstützung durch das demokratische Europa, 2. die Mäßigung und Konsensbereitschaft der Kommunistischen Partei, 3. die Pactos de la Moncloa als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise. Hier wird noch einmal deutlich, dass sich der externe Kontext früherer Demokratieerfahrungen auswirkt auf die Handlungsoptionen sowohl der Regierung als auch der Opposition. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Faktor externer Kontext nicht nur evidenterweise allgemein den Handlungsrahmen und die -bedingungen der einzelnen Akteure prägt, sondern dass es auch konkrete Ereignisse oder Entwicklungen sein können, die die Strategien der nationalen und externen Akteure konditionieren. Die portugiesische Erfahrung war solch ein Moment, das bei dem externen Akteur USA in mindestens zwei Punkten große Vorsicht auslöste, bei der möglichst raschen Verlängerung der Stützpunktabkommen und der nicht so rasch gewünschten Legalisierung der Kommunistischen Partei. Auch nach innen war das portugiesische Negativbeispiel wirksam, insbesondere als moderierendes Element für die spanischen Kommunisten. 2.4.3 Transnationale Interaktion: die Demokratie im Blick Für die Interaktion zwischen der EG und Spanien während der Transition zwischen 1977 und 1979 ergeben sich rein formal zwei Phasen: Die erste umfasst den Zeitraum vom Tode Francos bis zur Wahl der ersten demokratischen Regierung (15.6.1977) und deren sofortigem Beitrittsantrag (28.7.1977). In dieser Phase gab es keine demokratisch legitimierte Regierung sowie nur sehr schleppende und erst mit der Regierung Suárez vorgenommene sukzessive Reformschritte. Die Frage ist also, wie reagierte die EG darauf? Nahm sie Einfluss und wenn ja, wie? Die zweite Phase beginnt im Sommer 1977, zum einen weil Spanien zu diesem Zeitpunkt über eine demokratisch gewählte Regierung verfügt – wenn auch noch über keine Verfassung - und weil mit dem Beitrittsantrag eine neue Qualität in den Beziehungen zur EG eingeläutet wurde. Will man die erste Phase skizzieren, kann man in groben Zügen feststellen, dass sowohl die Regierung Arias Navarro als auch die Regierung Suárez durch nicht widerspruchsfreie Konstellationen zwischen Regierungschef und Außenminister geprägt waren. Die zögernde Unentschlossenheit des letzten franquistischen und zugleich ersten Ministerpräsidenten nach Francos Tod, Carlos Arias Navarro, das demokratische Reformprojekt umzusetzen, geht im außenpolitischen Bereich mit einem Desinteresse für die Neuordnung der Rolle des Landes und der bilateralen und internationalen Beziehungen einher. Arias’ Verharren in den franquistischen Denk- und Handlungsmustern führte zu jener Unfähigkeit zur innenpolitischen Reform ebenso wie zur Abstinenz von Entscheidungen zur Neupositionierung Spaniens. Die eifrigen Ansätze zu einer Normalisierung der spanischen Außenbeziehungen und zu einer außenpolitischen Neuorientierung des profilierten und als exDiplomat bei Nachbarn und Partnern angesehenen Außenministers José María Areilza mussten auf halbem Wege stecken bleiben, da die Regierungsführung diese nicht aktiv mit
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trug.263 Dagegen fand seine außenpolitische Linie die Unterstützung von König Juan Carlos, während Arias seinen Außenminister sogar in manchem Punkt (etwa bei dem Vertrag mit dem Heiligen Stuhl) behinderte. Arias war weder an Europa noch an Amerika interessiert, so Areilza, und dass ganz Europa auf ihn schaute, interessierte ihn ebenfalls nicht.264 Tatsächlich unternahm Arias keine Auslandsreise. Mit dem König stimmte sich Areilza regelmäßig ab und beriet ihn in außenpolitischen Fragen. So ist auch die wichtige und einschneidende Reise des Königs in die USA im Juni 1976 von Areilza vorbereitet und begleitet worden. Areilzas Linie bestand in der Schrittweisen Normalisierung der Außenbeziehungen, Mitarbeit in den internationalen Abkommen und Organisationen. Die Koordinaten dabei waren: „Verständigung mit Europa, Abkommen mit Nordamerika, atlantische und mediterrane Verantwortung, Freundschaft mit Portugal, enge Brüderlichkeit mit Hispanoamerika, brüderliche Beziehungen zu den arabischen Nationen, nicht zu beugende Aspiration zu territorialer Integrität und (…) eine tiefgehende Übereinkunft mit dem Heiligen Stuhl.“265 Neben der Normalisierung der Beziehungen und einer Spanien gebührenden Platzierung in der Staatengemeinschaft verfolgte Areilza grundsätzlich die Einbindung in die euro-atlantischen Strukturen. In den ersten Monaten nach Francos Tod verstand Areilza sein Ziel im Zusammenhang mit Europa mehr im Vermitteln des spanischen Reformwillens und im Gewinnen der EG-Mitglieder dafür. Es ging ihm um eine langsame Annäherung an Europa. Dabei bevorzugte er „fünf kleine, aber positive Schritte eher als einen großen Schritt, der in unlösbare Probleme führt“.266 Konkrete Vorstellungen über die Integration Spanien in die EG spielten kaum eine Rolle. Eher vermittelt er den Eindruck, Spanien habe es nicht eilig.267 Obwohl er nur sieben Monate im Amt war, hatte Areilza die Grundentscheidungen – nämlich die Option für den Westen – nach innen und nach außen vertreten und im externen Umfeld Spaniens diese Grundlinie vermittelt. Das andere Ziel, glaubwürdig für das demokratische Reformprojekt Spaniens zu werben, wurde allerdings konterkariert sowohl durch das Zögern der Regierung als auch durch verschiedene Rückfälle in repressive Maßnahmen. Auch das in der zweiten Phase folgende Gespann von Regierungschef Adolfo Suárez und Außenminister Marcelino Oreja war nicht spannungsfrei. Insbesondere in Bezug auf die NATO-Frage, die ja auch schließlich zum Rücktritt Orejas führte. Wie in Kapitel 4.1 gezeigt, blieb Suárez bei der Ausrichtung seiner Außenpolitik bestimmten franquistischen Mustern verhaftet. 263
Areilza hatte seit 1936 zur Falange gehört und war von Franco auf herausragende Botschafterpositionen (Buenos Aires, Washington, Paris) geschickt worden. Während des Europakongresses in München 1962 war er Botschafter in Paris gewesen. Die franquistische Repression gegen die Teilnehmer hatte er zum Anlass genommen, Franco davon zu überzeugen, dass das Regime sich weiterentwickeln müsse, um zur EWG beitreten zu können. Da dies nicht gefruchtet hatte, hatte er 1964 den Dienst quittiert. 1966 hatte Don Juan Areilza als Chef in seinen Privaten Rat gerufen. Trotz seiner falangistischen Herkunft wurden seine politische Evolution und das Eintreten für mehr Freiheit und die Demokratisierung des Regimes später von den demokratischen Zirkeln akzeptiert. Vgl., a.a.O., Prego, Victoria, 1999, S. 25ff. Während seiner Zeit als Außenminister vertrat er eine liberale Politik der Mitte, anders als etwa Miguel Fraga, der von Anfang an eine konservative, rechts der Mitte liegende Position einnahm. 264 Vgl., ebd., S. 73, siehe auch S. 18 265 Areilza in einer Rede zur Einführung seines Staatssekretärs, Marcelino Oreja im Dezember 1975. A.a.O., S. 31 266 So in der katalanischen Zeitung La Vanguardia, 10.1.1976, zit.n. a.a.O., Armero, S. 34; s. dort auch S. 32ff 267 So in einem Gespräch mit dem Vizepräsidenten der EWG, Simonet, im Juni 1976: „Und wir haben keine Eile. Wenn das Land seine ersten demokratischen Reformen gemacht hat, dann reden wir wieder. Aber nichts von wegen, uns einbestellen zur medizinischen Untersuchung durch die Doktoren der Demokratie. Es scheint, als ob er verstehe.“ Ebd., S. 201
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„Suárez war ein wenig gereister Mann, der in das öffentliche Leben getreten war in der franquistischen Situation geschlossener Horizonte und des Misstrauens gegenüber den westlichen Demokratien. (…) Suárez kehrte ohne Fingerspitzengefühl zu den franquistischen, arabischen und amerikanischen Koordinaten der internationalen Politik zurück und vernachlässigte die äußere Transition“, so Suárez’ Europa-Minister und Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, Leopoldo Calvo Sotelo.268
Insofern stand Suárez in der Tradition Castiellas, der alte nationalistische Passionen mit anti-nordamerikanischen Gefühlen verband; eine Tradition, die bis in die 1980er Jahre hinein wirkte. Dies stellte eine problematische Erbschaft dar, die im Falle der UCD in Form einer sicherheitspolitischen Ambiguität zum Tragen kam.269 Nicht zuletzt aber gab es auch innenpolitische Gründe für ein verhaltenes Handeln zumindest bis 1979; nämlich zum einen die Sorge, dass eine klare Befürwortung des NATO-Beitritts den delikaten Konsens mit den erklärten NATO-Gegnern, den Sozialisten, und damit den Verfassungsgebungsprozess gefährden könnte. Dies wäre aber nur bis 1979 ein Argument gewesen; danach - mit der Verfassung und der erneut gewonnenen Wahl im Rücken – hätte Suárez die Zurückhaltung aufgeben können. Noch dazu, da er selbst bei seiner Wahl am 30. März 1979 verlautbarte: „El consenso se ha terminado“ – „Der Konsens ist zu Ende.“ Freilich muss man sehen, dass es auch in Suárez Partei UCD keinen Konsens in der NATO-Frage gab, und der Parteichef in der ohnehin intern zunehmend labilen und durch die „barones“ – den Führern der verschiedenen in der UCD vereinten politischen Gruppen – angefachten Richtungsdiskussionen auch hier das Aufbrechen von Konfliktlinien fürchtete.270 Das außenpolitische Agieren von Suárez bestätigt das, was Carlos Huneeus hinsichtlich seiner Führungsfähigkeit feststellte; nämlich dass Suárez sehr gut agierte während der verfassungsgebenden Phase, in der die Handlung in der Hand weniger Führer lag, die in geschlossenem Kreis, fern der öffentlichen Meinung und der politischen elektoralen Kompetenz, bestimmt wurde von der Politik des Konsenses. In der späteren Phase der Transition jedoch, nach den Wahlen von 1979, änderten sich für den Ministerpräsidenten die Handlungsbedingungen: Er hatte dem Wahlvolk gegenüber verantwortlich zu handeln und die Loyalität zu den Parteien und der Demokratie zu konsolidieren. Diesen Herausforderungen, die das neue, auch nicht mehr völlig Konsens geleitete Szenario bereithielt, stellte er sich nicht und handelte eher unglücklich.271 Waren Schweigen, Nichthandeln oder Ausweichen in der Konsens geleiteten Phase normal gewesen, so war es nun – etwa auch in der NATO-Frage - kontraproduktiv.272 In der ersten und zweiten Phase sind also eine eher schwache außenpolitische Performanz der Regierungschefs und im Gegensatz dazu eine in ihren Möglichkeiten relativ starke Leistung der Außenminister zu verzeichnen, die zudem eine klarere Vorstellung der außenpolitischen Richtung hatten. Erwähnenswert ist hier zudem die Rolle des Königs. Gera268
Calvo Sotelo, Leopoldo, Memoria viva de la transición, Barcelona 1990, S. 126. Siehe zu Suárez außenpolitischer Haltung auch Portero, Florentino, “La política de seguridad, 1975-1988”, in: a.a.O., Tusell/ Avilés/Pardo, S. 473-511, hier: S. 478f; a.a.O., Armero, S: 92ff; Marquina, Antonio, „La política exterior de los gobiernos de la Unión de Centro Democrático”, in: Tusell, Javier/Soto, Alvaro, (Hrsg.), Historia de la transición 1975-1986, Madrid 1996, S. 182-216 269 Vgl., a.a.O., Pardo Sanz, S. 363 270 Vgl., a.a.O., Portero, S. 479 271 Huneeus, Carlos, „El liderazgo de Adolfo Suárez y la crisis de la Unión del Centro Democrático (UCD)”, in: a.a.O., Tusell/Soto, S. 101-113, hier: S. 111 272 So auch Armero: „Das NATO-Thema stellt den greifbarsten Fall fehlender Stellungnahmen in der spanischen Außenpolitik der Transición dar.“ A.a.O., S. 92
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de in der noch nicht demokratisch legitimierten Phase füllte er die Rolle des Botschafters für sein Land, für die Glaubwürdigkeit des demokratischen Reformprojektes aus. Bereits in der Rede zur Ernennung am 22. November 1975 richtete er den außenpolitischen Kompass auf Europa aus.273 Und er setzte immer wieder Akzente, wie durch die entscheidende Reise in die USA im Sommer 1976. Das Agieren in Bezug auf die EG und den allgemein angestrebten Beitritt wurde den Regierungen innenpolitisch denkbar leicht gemacht: Wie oben gezeigt, gab es einen einstimmigen Konsens unter den politischen Parteien sowie eine mehrheitliche Unterstützung in der Bevölkerung. Von der ersten – also der VorAntragsphase – bis zur zweiten – der Phase nach dem Antrag änderte sich an diesem Konsens in der Sache nichts. Was sich nach den Wahlen von 1979 und damit nach dem Aufbrechen des allgemeinen konsensuellen Geistes änderte, war, dass die Oppositionsparteien oder andere Sektoren bei Detailfragen, etwa des Verfahrens (Fortschritt der Verhandlungen etwa) Kritik übten oder sich politisch zu profilieren suchten. Dies aber sollte als Zeichen der in einer Demokratie normalen Kritik- und Kontrollfunktion verstanden werden. Im Blick sowohl auf die Motive und Ziele als auch auf die Methoden und Mittel der EG muss man fragen, ob diese beiden verschiedenen Status Spaniens sich auf das Verhalten der EG nieder schlugen. Des Weiteren fragt sich, wie die EG auf bestimmte innenpolitische Ereignisse oder Entwicklungen reagiert. Für die spanische Perspektive interessiert, ob und welche europäische Einflüsse erkennbar waren und wie sie sich niederschlugen. Motive und Ziele der EG Die erste Reaktion der EG und der Mitgliedsstaaten auf den Tod Francos und die ReInstallation der Monarchie durch Juan Carlos stellte bereits einen aussagekräftigen Hinweis auf die Motivationslage der Gemeinschaft dar: Freude, aber verhaltene Freude; Begrüßen, aber mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung. Diese Reaktion, die auf den ersten Blick möglicherweise zu wenig positiv erschien, und auch bei einigen spanischen Beteiligten gewisse Enttäuschung auslöste, war der Tatsache geschuldet, dass man nicht sicher wissen konnte, wohin die Reise wirklich ging. Andererseits bezeugen die ersten Gespräche mit Vertretern der EG – um das Datum der Ernennung Juan Carlos’ – vor allem einen großen Vertrauensvorschuss an die junge spanische Monarchie.274 Die EG war sich - und das drückte sie auch explizit aus – ihrer moralisch-politischen Verantwortung gegenüber Spanien bewusst und bereit, diese zu übernehmen.275 So formuliert die 273
„Die Idee Europa wäre unvollständig ohne den Bezug auf die Spanier und ohne die Erwägung dessen, was viele meiner Vorgänger dazugetan haben. Europa sollte mit Spanien rechnen, und wir Spanier sind Europäer. Auf dass beide Seiten dies so verstehen mögen und alle die sich ableitenden Konsequenzen daraus ziehen. Es ist eine Notwendigkeit des Moments.“ 274 So in dem ersten Gespräch seit Francos Tod zwischen Raimundo Bassols und Edmund Wellenstein, dem Generaldirektor für Auswärtige Beziehungen der Kommission am 22.11.1975, in dem Wellenstein andeutet, dass man viel Vertrauen setze in den neuen König und dass, wenn sich diese Erwartungen erfüllten, die Gemeinschaft zu einem Neuanfang bereit sei. (Vgl., a.a.O., Bassols, S. 131). Ebenso in dem Gespräch zwischen Raimundo Bassols und dem Repräsentanten der Kommission bei der Feier zur Ernennung von Juan Carlos, Finn Olay Gundelach am 27.11.1975, das Bassols so wiedergibt: „Das gemeinschaftliche Europa hatte beschlossen, dem neuen König von Spanien ein unbedingtes Vertrauensvotum zu geben“ (Ebd., S. 132). 275 Hier ist eine Szene sehr bezeichnend, die sich zwischen Kommissar Gundelach und dem Stellvertretenden Generaldirektor für Auswärtige Beziehungen, de Kergolay, abspielte, der meinte, nun könne man die Verhandlungen um das Handelsabkommen wieder aufnehmen, worauf die spanischen Gesprächspartner entgegneten, sie seien
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Kommission mit Verweis auf die Präambel des Vertrags von Rom, in ihren „Überlegungen zur Erweiterung der Gemeinschaft“ vom April 1978: „Die drei Länder haben der Gemeinschaft eine politische Verantwortung übertragen, der sie sich nur entziehen könnte, wenn sie selbst die Grundsätze ihres eigenen Aufbaus verleugnet.“276 Die politische Botschaft der EG an Spanien bestand in der konsequenten Verlängerung der demokratischen Konditionalität seit der Franco-Zeit; man gab der Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung des Landes Ausdruck und verband damit die Perspektive auf eine Mitgliedschaft – und zwar sobald diese Bedingung erfüllt sein würde. Bei den Motiven einer Erweiterung spielten weitere politische Gründe eine Rolle: die Vergrößerung des Einfluss- und Machtpotentials, die Brücke über Spanien und Portugal nach Lateinamerika. So stellt die Kommission in ihrer Stellungsnahme zum portugiesischen Beitrittsantrag fest, es dürfe nicht vergessen werden, dass die traditionellen Verbindungen zu Lateinamerika, Afrika und dem Fernen Osten die „Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft auf internationaler Ebene erhöhen wird“.277 Auch sicherheitspolitische Motive sind nicht zu vergessen278. Wirtschaftliche Gründe für eine Erweiterung fanden sich in der Tatsache, dass die drei Beitrittskandidaten, aber insbesondere Spanien, einen interessanten Markt darstellten, und auch neue Marktzugänge auf dem lateinamerikanischen Kontinent eröffneten: „Wirtschaftlich gesehen wird sich die Öffnung eines Marktes mit bedeutendem Entwicklungspotential günstig auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr auswirken…“279 Andererseits waren es gerade die wirtschaftlichen Fragen, die Hürden für den Beginn und während des Verhandlungsprozesses darstellten: „In einigen Bereichen stellt die spanische Wirtschaft indessen eine sehr starke Konkurrenz der Gemeinschaft dar.“280 Die Abwägung der o. g. „Überlegungen“ zur Erweiterung von Seiten der Kommission - in dem zwölfseitigen Dokument nimmt die Behandlung der wirtschaftlichen Probleme die Hälfte ein - gibt diesen Tenor wieder: Die drei Länder hatten einen politische Wahl getroffen, die EG hatte eine politische Verantwortung, das Problem aber waren die Wirtschaft sowie die institutionellen Aspekte in der EG. Dies deckt sich mit der Perzeption der spanischen politischen Akteure. Sie gaben in den Interviews als Hauptmotiv der EG politische Gründe an für die Unterstützung der Demokratie und für die Aufnahme Spaniens.281 Gleichzeitig aber ist heute noch insbesondere bei dem damaligen Europa-Minister Calvo Sotelo und dem Botschafter vor der EG, Bassols, die Enttäuschung darüber erkennbar, dass Spanien nach dem Tod Francos nicht sofort und bedingungslos mit offenen Armen empfangen wurde. „Man denkt, wenn ein Land wie nicht mehr an dem alten Weg jenes Abkommens interessiert, sondern an einem künftigen Beitritt. Gundelach hob daraufhin hervor, dass Europa sich entschlossen habe, „die Verantwortung hinsichtlich Spaniens anzunehmen.“ (siehe a.a.O., Bassols, S. 133) Diese Szene spiegelt wieder, dass es in der EWG und in den Mitgliedstaaten Politiker gab, die eher eine „große politische Sicht“ hatten, und solche, die eher eine „kleinliche“ Herangehensweise hatten. 276 Mitteilung der Kommission an den Rat, „Erweiterung der Gemeinschaft. Umfassende Überlegungen“, in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften 1/1978, 20.4.1978, S. 6-18, hier: „Herausforderungen der Erweiterung“, Punkt 1, S. 6 277 A.a.O., Kommission, Stellungnahme zum Beitritt Portugals, hier: S. 7 278 Siehe dazu a.a.O., van der Groeben, S. 484f sowie a.a.O., Preston/Smyth, S. 17f 279 A.a.O., Kommission, Stellungnahme zum Beitritt Spaniens, S. 9 280 Ebd., S. 10 281 So nennt Ministerpräsident Felipe González als Motive der EG die Bedeutung von Demokratie im Allgemeinen, die geographisch-geostrategische Lage Spaniens sowie kulturelle Gründe (vgl. Interview), ebenso Ministerpräsident Leopoldo Calvo Sotelo und die Außenminister Pérez-Llorca („Die EG wollte ein demokratisches Spanien. Das haben wir immer so verstanden.“) und Fernando Morán. Vgl. die entsprechenden Interviews.
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Spanien ankommt nach vierzig Jahren Diktatur, werden sie es empfangen wie der Vater den verlorenen Sohn. (…) nun so war es nicht. Weder gab es ein Fest noch schlachteten sie den gemästeten Hammel.“282 Statt dessen hielt die EG die bereits bekannten Forderungen nach Erfüllung der politischen Kriterien aufrecht, was Bassols so wahrnahm: „Es dauerte nicht lange, und Europa erklärte uns ein wenig hochtrabend, dass wir klare Beweise für die Demokratisierung zu bringen hätten oder wir würden nicht beitreten, auch nicht ohne Franco. Der Schatten von Birkelbach legte sich erneut auf unser Schicksal.“283 Als nächste Enttäuschung wurde es empfunden, dass in dem Moment, da Spanien die politischen Kriterien erfüllte, die wirtschaftlichen Hürden aufgestellt wurden. „…Europa freute sich, dass der König die Zügel der Transition in die Hand nahm, dass das spanische Volk die Transition ernst nahm. Es begleitete uns mit einer großen Erwartungshaltung, aber in dem Moment, wo sie uns beim Beitritt helfen sollten, taten sie es nur mit viel Vorbehalt.“284 Hier kommt ein strukturelles Moment der EG ins Spiel, auf das in Bezug auf die Merkmale der Erweiterungen bereits hingewiesen wurde285: Dass es nicht nur um die objektiven Bedingungen der EG ging, sondern auch oft subjektive Motive und Interessen der Mitgliedstaaten eine Rolle spielen, die sich sowohl positiv als auch negativ niederschlagen können, im Falle Frankreich überwiegend negativ. Im Gegensatz zu Portugal und Griechenland, deren Aufnahme wirtschaftlich weniger problematisch war, stellte die spanische Landwirtschaft und die starke Überschneidung mit den französischen Produkten ein erhebliches Problem dar. Das führte dazu, dass der französische Regierungschef Jacques Chirac schon Mitte 1976 öffentlich verkündete, dass der Beitritt Spaniens zum Gemeinsamen Markt unerträglich sei für die Obst- und Gemüseproduktion im allgemeinen und die des französischen Midi im Besonderen und dass infolgedessen die französische Regierung die politische und industrielle Annäherung zwischen EG und Spanien unterstütze, einen Beitritt Spaniens zur gemeinsamen Landwirtschaftspolitik aber ausschließe.286 Die französische Interessenlage prägte die Beziehungen zwischen Spanien und der EG und die gesamte Phase der Verhandlungen sehr stark.287 Mit dem Beitrittsantrag Spaniens, der quasi zusammenfällt mit den ersten demokratischen Wahlen, wandelte sich die Motivlage der EG. Der Akzent verschob sich von der Forderung nach der Erfüllung der politischen Kriterien auf die der wirtschaftlichen Probleme. Zwar hielt die EG im Prinzip die politische Priorität des spanischen Beitritts bei, in der Praxis aber wurden die Verhandlungen bestimmt von den strukturellen Problemen der Gemeinschaft selbst und den wirtschaftlichen Probleme Spaniens bzw. den wirtschaftlichen Auswirkungen für die EG inklusive der nationalen Einzelinteressen.
282
Interview Leopoldo Calvo Sotelo A.a.O., Bassols, S. 136 284 Interview Bassols 285 Siehe III. 1.3 286 Bericht des spanischen Botschafters Miguel Lojendio: Jacques Chirac zu dem Präsidenten der Vereinigung für Obst- und Gemüseanbau am 9.7.1976. Archivo General del MAE, Legajo R 15573, carpeta 60 (E)73-1, zit. n. a.a.O., Bassols, S. 163f und 327 287 Siehe dazu ausführlich a.a.O Preston/Smyth und a.a.O., Bassols. Calvo Sotelo sagte dazu: „Frankreich führte die Verhandlungen mit Spanien immer in dem Rhythmus, den sein Wahlkalender vorgab…“. A.a.O., S. 151 283
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Methoden und Instrumente der EG Entsprechend dem Status Spaniens – Beitrittskandidatin oder nicht – und entsprechend den Zielen der EG – Erfüllung der politischen bzw. der wirtschaftlichen Bedingungen – sahen auch die Mittel aus. Der erwähnte Vertrauensbonus, den die EG Spanien ausdrücklich und sichtbar nach Francos Tod gewährte, ging einher mit einer moralischen Unterstützung, die in vielerlei Hinsicht vermittelt wurde, sei es die Anwesenheit bei der Ernennung von König Juan Carlos, bei Gesprächen hoher Repräsentanten Spaniens bzw. der EG oder sei es durch ein Signal wie die Prüfung (20.1.1976) und den Beschluss des Rates (9.2.1976), die unterbrochenen Verhandlungen zur Neufassung des Handelsabkommens von 1970 wieder auf zu nehmen. Das war zwar nicht das, was die spanische Regierung wollte - „Spanien wollte sich nur einschiffen auf die Operation Beitritt“288 -, aber es war ein Zeichen von Seiten der EG. Gleichzeitig war auch klar, dass die EG ihre moralische Unterstützung verband mit der Erwartung auf eine demokratische Entwicklung. Während Außenminister Areilza auf seiner tour d’Europe dabei war, für das demokratische Reformprojekt zu werben und die Grundlagen für den erwünschten Beitritt zu legen, wartete man in Europa auf die entsprechenden Schritte von Seiten der Regierung Arias. In den erwähnten ersten Gesprächen zwischen Kommissionsvertretern und spanischer Seite war deutlich geworden, dass die EG keinen sofortigen spektakulären Wechsel der Politik erwartete, sondern eher Zeichen für die politischen Ziele des neuen Königs, etwa eine Amnestie der politischen Gefangenen.289 Die erste Regierungserklärung Carlos Arias’ aber enttäuschte sowohl im Inland als auch im Ausland. „Die Tatsache, dass ganz Europa auf ihn blickt, ist ihm egal, weil er sich nicht für Europa interessiert…“, so Außenminister Areilza nach der Rede Arias.290 Das Europäische Parlament reagierte darauf in einer Debatte im Februar, in der die sozialistischen und kommunistischen Abgeordneten Arias Programm als halbherzige Liberalisierung des existierenden Systems abtaten.291 Im Laufe der Monate März/April 1976 spitzte sich außerdem die innenpolitische Situation in Spanien zu: Tote und Verletzte bei Demonstrationen im Baskenland und die Verhaftung mehrerer prominenter Sozialisten und Kommunisten. Ein besonders Aufsehen erregender Fall war die Verhaftung des außerhalb Spaniens sehr bekannten Gewerkschaftsführers Marcelino Camacho durch Innenminister Manuel Fraga bei der Pressekonferenz, auf der die beiden Oppositionsbündnisse Plataforma de Convergencia Democrática und Junta Democrática ihren Zusammenschluss ankündigen wollten. Das europäische Ausland horchte auf, und Areilza informierte den König und Fraga, dass die Verhaftungen bereits eine negative Wirkung in Europa hervorgerufen haben.292 Die Reaktionen waren eine Protestnote des Präsidenten des EP, die Ablehnung einer Einladung an Innenminister Fraga von Seiten einer Delegation der Liberalen Fraktion des EP, die scharfe Verurteilung der Verhaftungen und Forderung nach der Legalisierung der Kommunistischen Partei durch dieselbe Delegation bei König und Außenminister.293 Es gab zudem formelle Proteste von
288
A.a.O., Bassols, S. 157 So das erwähnte Gespräch Wellenstein-Bassols, vgl., a.a.O., Bassols, S: 131 A.a.O., Areilza, S. 73. Zur Reaktion des Auslands auf die Rede Arias’, siehe Haubrich, Walter, „An Demokratie und Amnestie interessiert“, in: FAZ, 2.2.1976 291 A.a.O., Powell 1996, S. 298 292 Am 2.4.1976, vgl., a.a.O., Areilza, S. 125 293 Am 31.3.1976, vgl., ebd., S. 123 289 290
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Seiten der EG auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Luxemburg. In Italien war der Protest so heftig, dass die Auslandsreise von Außenminister Areilza gefährdet war. Nachdem Arias Ende April das Vorhaben eines Reformgesetzes zu den Cortes und dem Grundgesetz vorgestellt hatte, reagierte das EP mit einem Bericht seines Spanien-Berichterstatters, des französischen Christdemokraten Maurice Faure. Dort wurde die spanische Mitgliedschaft explizit verknüpft mit dem Fortschritt Spaniens auf dem demokratischen Weg. Konkret wurde der Plan Arias’ eines Zwei-Kammer-Systems mit einem demokratisch gewählten Kongress und einem teils korporatistisch zusammengesetzten Senat verurteilt, da so das Parlament dem Senat untergeordnet gewesen wäre. „Ein solches Parlament würde nicht die demokratischen Requisiten erfüllen, die die Demokratien Westeuropas sich selbst setzen.“ Gleichzeitig konstatierte Faure, es sei falsch, die Kommunisten auszuschließen, und wies darauf hin, dass „die legale Existenz kommunistischer Parteien ein gemeinsames Merkmal der westeuropäischen Demokratien ist“ und daher eine conditio sine qua non für eine Regierung, die den Beitritt zur EG wünsche.294 Auf Grundlage des Faure-Berichtes verabschiedete das EP eine Resolution, in der es die bisherigen Anstrengungen der Regierung Arias anerkennt, gleichzeitig aber die Herstellung der individuellen und politischen Rechte, die Anerkennung der Gewerkschaften, die baldige Legalisierung aller politischer Parteien ohne Ausnahme und eine Generalamnestie, die auch den Exilierten die Rückkehr ermögliche, forderte. Anfang Juli entließ König Juan Carlos Arias. Seine Unfähigkeit zur Durchführung der Reform war erkennbar, und – wie die Zeugnisse Areilzas dies zeigen -, waren der König ebenso unzufrieden darüber wie die Oppositionskräfte. Walter Haubrich nennt fünf Gründe für die Entlassung Arias’, worunter einer lautet: „Europäische Regierungen hatten in den letzten Wochen ziemlich deutlich gemacht, daß sie den Gang der Demokratisierung in Spanien für zu langsam hielten“.295 Dass Europa aufmerksam der innenpolitischen Entwicklung und den von der Regierung unternommenen Schritten zur Demokratisierung folgte, wurde nicht nur durch inoffizielle oder halboffizielle Gespräche deutlich, sondern auch durch die klaren Deklarationen (Europäischer Rat) oder Resolutionen (EP). Zusätzlich dazu gab es Einflüsse und Druck von der Nicht-Regierungsebene, insbesondere von den europäischen Gewerkschaften – etwa nach der Verhaftung Marcelino Camachos – und von den Parteien – hier insbesondere von den sozialistischen bzw. sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien – etwa in Italien nach ebenjener Verhaftung. Mehrere Interviewpartner296 wiesen auf die insgesamt im Vergleich mit den anderen westeuropäischen Staaten herausragend positiv-unterstützende Haltung hin, die aus Deutschland kam; und zwar sowohl von Seiten der deutschen Bundesregierung als auch von Seiten der Parteien und Parteistiftungen und des DGB. Eine besondere Rolle spielte die deutsche sozialliberale Bundesregierung bzw. die SPD, die aktiv mit dem PSOE zusammenarbeitete. Über den engen Draht zwischen dem spanischen Außenministers und dem deutschen Botschafter in Madrid wurden durchaus sehr konkrete „Handlungsvorschläge“ ausgetauscht. So gibt Areilza wieder, wie er nach dem Öffentlichwerden der Pläne zur Zusammenlegung der beiden Oppositionsplattformen – verkürzt gesagt: der sozialistischen und der kommunistischen -, die dann zur Verhaftung der Beteiligten führte, den deutschen Botschafter anrief, „um ihm zu sagen, dass der PSOE 294
12.5.1976, ebd., S. 299 Haubrich, Walter, „Spaniens Opposition erwartet von Juan Carlos die Ernennung eines Reformkabinetts“, in: FAZ, 3.7.1976 296 So Marín, Calvo Sotelo, Pérez-Llorca 295
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nicht den Pakt mit der Sozialdemokratie in Bonn einhalte in Bezug auf die Kommunistische Partei.“ Der Botschafter versprach ihm, sofort mit der Führung der deutschen SPD zu sprechen.297 Ein anderer Hinweis ist der Besuch des deutschen Botschafters bei Areilza, um diesem zu sagen, „sie (die deutschen Sozialdemokraten - MK) können Einfluss nehmen auf den PSOE, aber nicht vollständig.“298 Der Einfluss der SPD bewegte sich auf verschiedenen Ebenen: zum einen sehr konkret durch Seminare und technische Hilfe etwa, zum zweiten finanziell, und zum dritten indirekt durch Empfehlungen oder Vorbildfunktion. Letzteres lässt sich an zwei Punkten festmachen: 1.
2.
die Empfehlung an den PSOE, sich gegen die Kommunistische Partei abzugrenzen. Dabei spielte die portugiesische Erfahrung eine Rolle.299 Eine nicht unwichtige Wirkung auf die Absage des PSOE an den Marxismus im Parteiprogramm aber hatte die deutsche Debatte um das Programm von Bad Godesberg. „Wollten wir eine moderne Partei sein, eine europäische Partei, mussten wir sehr schnell unsere traditionelle marxistische Doktrin überprüfen. „Die Debatte um Bad Godesberg war fundamental.“, so Manuel Marín, dazu kam der „entscheidende Einfluss“ von Seiten Willy Brandts300. die Empfehlung an den PSOE eher zum Sammelbecken für das gesamte sozialistische oder sozialdemokratische Spektrum zu werden, statt in Konkurrenz zu anderen kleinen Gruppen zu treten. Brandt setzte darauf, eine Partei in die Mitte zu stellen, um dann eine zentripetale Bewegung auszulösen.301
Betrachtet man das Verhalten der EG in dieser „Phase Arias“ wird deutlich, dass die EG Fort- oder Rückschritte auf dem Demokratisierungsweg beobachtete und umgehend reagierte: der Rat mit den „üblichen“ diplomatischen Mitteln (Protestnote, Hinweise in offiziellen Gesprächen wie etwa Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seinem Spanienbesuch Anfang Januar 1976), das aktive Europäische Parlament mit Resolutionen, die sehr konkrete Empfehlungen enthielten. Zudem gab es inoffizielle Kanälen, auch über Parteien und Gewerkschaften. Der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen dem Stand der Demokratisierung und dem EG-Beitritt wurde durchgehend und auf allen Ebenen vermittelt.302 297
29.3.1976, a.a.O., Areilza, S. 122 24.4.1976, ebd., S. 156 299 „Ja, also was wir alle intendiert haben, das muss man ganz offen sagen, wir konnten natürlich alles nur denkbar versuchen, dass hier kein traumatischer Übergangsprozess zustande kommt, dass also wer einen Rückfall in eine totale Rechtsdiktatur und umgekehrt auch in irgendwelche chaotischen oder gar, was weiß ich, unüberschaubaren anarchistisch-revolutionären Dinge, das war schon allen Leuten klar.“ So Dieter Koniecki, siehe Interview. 300 Interview Manuel Marín. Dieter Koniecki unterstrich diesbezüglich, dass Brandts Vorgehensweise so gewesen sei: „…der Felipe [González – MK] hat immer gesagt, ‚ja, was sagst Du denn nun, wie sollen wir an diese Dinge herangehen…’ Darauf hin habe Brandt nie gesagt, macht das oder das, sondern, also ich habe in anderen Situationen die und die Haltung eingenommen. Die beste Form der Einflussnahme ist, den anderen das Gefühl zu geben, dass man keinen Einfluss nehmen will. Bei Brandt war das nicht eine taktische Frage, das war sein ganzer Habitus, ein zutiefst schüchterner, fast ein bisschen schamhafter Mensch, obwohl es nach außen hin ganz anders wirkte, oft.“ Interview Koniecki 301 Interview Dieter Koniecki 302 Das gilt für die EG-Organe, zugleich aber auch für die Mitgliedstaaten. So berichtet Walter Haubrich von einem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Schmidt: “Für einen Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft könne man jetzt noch keinen Zeitpunkt festlegen. Voraussetzung dafür seien natürlich demokratische Strukturen in Spanien. Spaniens Wirtschaft brauche noch eine Anpassungszeit. Mit Suárez hat Schmidt ausführlich über die zukünftigen spanischen Gewerkschaften gesprochen. In deutschen Regierungskreisen fürchtet man, daß Spanien (…) Schwierigkeiten beim Aufbau einer verantwortlichen Sozialpartnerschaft haben könnte.“ Haubrich, Walter, „Schmidt lobt Reformpolitik spanischer Regierung“, in: FAZ, 8.1.1976 298
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Die EG regierte auch auf die Entlassung von Arias. „Die Haltung der Gemeinschaft verbesserte sich erkennbar nach der Nominierung Suárez’.“303 Maurice Faure, der EPBerichterstatter, kam nach Gesprächen mit Regierung- und Oppositionsmitgliedern zu dem Schluss, dem neuen Regierungschef einen Vertrauensbonus zu geben. Dies geschah dann, als auf sozialistische Initiative ein Antrag in die Politische Kommission des EP eingebracht wurde, mit dem Ziel der Anerkennung der Oppositionskräfte, der aber abgelehnt wurde. Nach dem Referendum über das Reformgesetz im Dezember 1976 und neuerlichen Gesprächen Faures in Madrid empfahl er dann der Regierung, den PSOE in den politischen Prozess einzubeziehen, um die Möglichkeit einer Volksfront zu vermeiden. Nach der Legalisierung der PCE und nach der Einberufung von Wahlen, verabschiedete das EP einstimmig eine Resolution (22.4.1977), in der sie die Erfüllung der Demokratieversprechen anerkennt. Und nach den ersten demokratischen Wahlen verabschiedet das EP eine Resolution, in der es „seinen politischen Willen, Spanien sobald als möglich seinen Platz in der Europäischen Gemeinschaft einnehmen zu sehen“ bestätigt. „Mit diesem Akt, legitimierte das Europäische Parlament, höchster demokratischer Ausdruck der EG, öffentlich den spanischen Prozess.“304 Ein weiteres eindeutiges Zeichen war, dass der Rat auf den Beitrittsantrag der ersten demokratisch gewählten Regierung vom 28.7.1977 knapp zwei Monate später positiv antwortete und entsprechend dem Verfahren die Stellungnahme der Kommission erbat. Ergebnisse der Maßnahmen und Einflüsse In dieser „Vor-Kandidaten-Phase“ zeigt sich eine Bandbreite an Mitteln, die die EG einsetzte: Gerade in der Anfangszeit ist die moralische Unterstützung und Ermunterung zu nennen. Im Fragebogen meiner Interviewpartner wurde dieser Aspekt sogar sehr hoch („sehr wichtig“ bis „entscheidend“) bewertet; Deklarationen, Empfehlungen, Forderungen, Druck, Bedingungen und politischer Dialog als „wichtig“. Dabei konnte es sich um eher allgemeine Hinweise oder Forderungen handeln, wie etwa, dass demokratische Strukturen in Spanien vorherrschen müssten, bevor es beitreten könne; oder auch um sehr konkret formulierte Empfehlungen mit einem gewissen Bedingungscharakter, etwa von Seiten des EP. All das - seien es moralische Unterstützung oder konkrete Hinweise und Empfehlungen der Regierungen der EG-Mitglieder als auch die eindeutigen Deklarationen und Resolutionen der EG-Organe - wurde auf jeden Fall von der politischen Elite wahrgenommen und in seiner Bedeutung erkannt. Es war zum Beispiel klar, dass auf Grund der politischen Entwicklung im ersten Halbjahr 1976 der Kredit, den Europa im Dezember 1975 Spanien eröffnet hatte, eine offenkundige Abwertung erlitt. Die Kritik von Seiten der EG an dem unbefriedigenden Fortgang der Demokratisierung unter Regierungschef Arias hatte zweifelsohne einen verstärkenden Charakter zu der internen Unzufriedenheit, die zu der Entscheidung des Königs führte, Arias zu ersetzen. Als Beispiel für konkrete Empfehlungen und intendierte Einflussnahmen im polity-Bereich dienen zum einen das Wahlsystem, zum anderen die Legalisierung der Kommunistischen Partei. Letzteres war mit eminenter Bedeutung für den Verlauf der Transition und ein schwieriges Kapitel der Innenpolitik, wie der König im Nachhinein sagte: „ein dicker Kno303
Powell, Charles, „La dimensión exterior de la transición española” (Zugriff am 8.3.2003): www.cidob.org/ Castellano/Publicaciones/Afers/powell.html, S. 11 Ebd.
304
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chen“. Nichtsdestotrotz waren die externen Interessen an dem Thema nicht zu vernachlässigen. Die USA hielten nicht hinter dem Berge, dass sie wenig Interesse an der Legalisierung des PCE hatten. So Henry Kissinger zu Areilza: „Wir werden nichts sagen, wenn Sie sich darauf einlassen, die kommunistische Partei zu legalisieren. Aber wir werden auch kein böses Gesicht machen, wenn sie es noch ein paar Jahre ohne Legalisierung belassen. Das wäre für uns bequemer.“305 Die EG wiederum ganz anders wies mehrfach und bereits sehr früh306 darauf hin, für wie wichtig sie die Legalisierung aller Parteien hielt. Vor allem auch das EP drängte insbesondere auf die Zulassung der PCE. Zweifellos handelt es sich bei der Frage der PCE um eine überwiegend von inneren Faktoren bestimmte Entscheidungslage, deren Entwicklung von der Haltung verschiedener interner Akteure – vom bunker bis zu den Kommunisten selber – konditionierte wurde. Dass dieser Frage aber in Europa und den USA große Aufmerksamkeit und große Bedeutung zugemessen wurde, das war den internen Akteuren durch die verschiedenen Stellungnahmen durchaus klar. Außerdem mischte sich die EG in dieser Frage mit klarer Intention und wiederholt ein.307 Zum Wahlsystem: Sowohl die Regierung Arias als auch Adolfo Suárez hielten das Mehrheitswahlsystem für das adäquate. Zu diesem Zeitpunkt war Suárez dem Einerwahlkreis mit zwei Wahlgängen zugeneigt, ähnlich dem französischen System, weil dies große Parteien hervorbringe, was helfen könne, das politische Leben Spaniens zu stabilisieren.308 Der EP-Berichterstatter Maurice Faure empfahl dagegen bei den erwähnten Gesprächen mit der neuen Regierung Suárez im Juli 1976 nachdrücklich, von einem Mehrheitssystem abzusehen, sondern ein System proportionaler Repräsentation einzurichten. „Maurice Faure eröffnete mir, wir sollten sehr ernst über dieses Thema nachdenken, weil wir vielleicht einen historischen Fehler begehen könnten, indem er mich darauf hinwies, dass Mehrheitswahlsysteme in Wahlkreisen geeignet sei für etablierte und sehr verwurzelte Demokratien…Aber dass es für uns gefährlich werden könnte…“309
Als Gründe führte Faure an, in so kurzer Zeit die Einerwahlkreise nicht angemessen strukturieren zu können; schlecht strukturierte Wahlkreise dagegen könnten wiederum starke Polarisierungen zwischen unversöhnlichen Positionen der Rechten und Linken hervorrufen. „Ich muss zugeben“, so merkt Osorio zu diesem Gespräch an, „dass all diese Darlegungen von Maurice Faure einen großen Eindruck bei mir hinterließen und meinen Standpunkt sehr beeinflussten, als es darum ging, die Entscheidungen über unser Wahlsystem zu treffen.“310 Ein weiteres Beispiel zum Wahlsystem: Im August 1976 reiste Außenminister Oreja erstmals nach Bonn. Während der Gespräche mit Hans-Dietrich Genscher auf Schloss Gymnich lud dieser Oreja zu einem Spaziergang „durch den Wald“ ein, um sich näher zu informieren über den Fortgang des Demokratisierungsprozesses. Dabei interessierte er sich 305
Gespräch Areilza-Kissinger am 3.6.1976; a.a.O., Areilza, S. 196 Bassols schildert die Verwunderung, dass bereits Areilza auf seinen ersten Reisen durch Europa danach gefragt wurde. Vgl., Interview Bassols 307 Inwieweit die USA dies tat, kann hier nicht geklärt werden, obgleich dies sicher eine interessante Frage wäre, worauf insbesondere Außenminister Morán im Interview hinwies. 308 Siehe hierzu das Zeugnis des Vizepräsidenten der Regierung Suárez (bis 7/76-7/77), während der Regierung Arias Minister der Präsidentschaft, Alfonso Osorio, der am 27.7.1976 ein langes Gespräch mit Maurice Faure während seiner „Monitoring“-Reise in Madrid hatte. Osorio, Alfonso, Trayectoria política de un ministro de la Corona, Barcelona 1980, S. 157f 309 A.a.O., S. 158 310 Ebd. 306
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besonders für die Details, so etwa, wie die Verfassung erarbeitet werden sollte und nach dem Wahlsystem. Genscher empfahl, so Oreja, eine Fünf-Prozent-Sperrklausel einzuführen, um einer Disgregation vorzubeugen.311 Dass tatsächlich zum einen das Verhältniswahlrecht und eine Drei-Prozent-Hürde eingeführt wurden, muss nicht auf einer Kausalität basieren und nicht direkt auf jene beiden Empfehlungen zurückzuführen sein. Diese Beispiele sollen vielmehr zeigen, wie sehr sich externe Akteure sehr spezifische Details thematisieren und in Empfehlungen an die nationalen Akteure weitergeben. Die bundesdeutsche SperrKlausel gilt durchaus als „modelo inspirador“ für die damalige spanische Regelung.312 Interessant ist aber auch, dass solche Impulse von außen oft inoffiziell, informell und über solche Gesprächssituationen in die Reflexions- und Entscheidungskontexte der Regierung hinein gegeben wurden. Um des Weiteren ein Beispiel für eine sehr direkte und intendierte Einflussnahme zu nennen, sei die „Sache Arrabal“ aufgeführt: Der spanische Dramatiker Fernando Arrabal beklagte sich öffentlich darüber, dass er nicht aus dem Exil zurückkommen könne. Bei einem Besuch interessierten sich Willy Brandt (Anfang Dezember 1976) und Günter Grass (Ende November 1976) für seinen Fall. Eine Woche später erklärt Außenminister Oreja, Arrabal könne zurückkommen. Die Sache an sich war eigentlich eher unbedeutend, interessant aber ist das Einflusspotential, das hier an einem weniger wichtigen und auch eher nur zufällig (durch den Korrespondenten der FAZ) öffentlich gewordenen Ereignis deutlich wird, und das auf Verschiedenes hinweist: die Inanspruchnahme semi-oder inoffizieller Kanäle, das Reagieren der nationalen Akteure überhaupt und dazu noch relativ schnell, die Einflussmöglichkeiten und die Nutzung durch die externen Akteure. Dies verstärkt noch einmal die Feststellung, dass die EG bzw. die Mitgliedsstaaten zum einen ganz allgemein demokratische Schritte einforderten, zum anderen aber auch die Details im Blick hatten und mit sehr konkreten Empfehlungen aufwarteten. Die Bewertung der Ergebnisse des Einflusses stützt sich auf zwei Pfeiler. Der erste Pfeiler ist die Bewertung durch die Beteiligten313. Nehmen wir die Zulassung der Kommunistischen Partei PCE. Alle befragten Zeitzeugen perzipierten bei der Zulassung bislang verbotener Parteien eine positive Wirkung der EG.314 Der andere Pfeiler, auf dem sich die Wirkungsannahme stützt, beruht auf dem Input-Reaktions-Schema (Abb. 9).315 Der nationale Akteur hat ein konkretes Problem, in diesem Fall: Legalisierung der PCE ja oder nein bzw. wie bald? Es liegen zwei Haltungen vor: Die USA sagen, die Legalisierung ist weni311
Vgl., Interview Oreja So beispielsweise Esteban, Jorge, „El proceso constituyente español 1977-1978“, in: a.a.O., Tezanos et. al., S. 275-317, hier: S. 284 313 An dieser Stelle ist es wichtig, daraufhin zuweisen, dass die Ergebnisse der Befragung in zweierlei Hinsicht gefärbt sein können: Zum einen durch den langen Zeitraum, der seit der spanischen Demokratisierung vergangen ist und zum anderen durch eine damals oder inzwischen fest gefügte Haltung, der man alle Einzelaspekte unterordnet. Letzteres ließ sich bei Leopoldo Calvo Sotelo und bei Marcelino Oreja feststellen. Beide vertreten durchgängig und umfassend, dass es bei der Demokratisierung Spaniens keinerlei Einflüsse von außen gab, weder positive noch negative, womit sie sich eindeutig von der Meinung aller anderen Befragten teils eklatant abheben. In den Interviews mit Calvo Sotelo und Oreja wurde allerdings auch erkennbar, dass sie „Einflüsse“ einzig als Druck verstanden hatten. Fragte man nach positiven Aspekten von Einfluss wie Hilfe oder Rat, dann änderten sich die Antworten (siehe Oreja und die Genscher-Episode). 314 Auf die Frage, ob die EG eine positive, negative oder gar keine Wirkung auf die Zulassung bislang verbotener Parteien hatte, gaben die meisten (außer Calvo Sotelo) eine positive Wirkung an; bemerkenswert war, dass dies auch der einzige Punkt war, in dem Oreja, der ansonsten nur „neutral“ als Antwort gab, eine positive Wirkung nannte. 315 Siehe Kap. II. 3.2.2 312
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ger wichtig und eilt nicht; die EG sagt, die Legalisierung ist wichtig (Bedingung) und sollte so schnell wie möglich vollzogen werden. Zur Gewichtung dieser beiden Haltungen und ihres Einflusses auf die spanische Regierung werden die Interaktionskriterien (Abb. 11) herangezogen. Spielen wir diese Punkte durch, so ergibt sich folgendes Bild: Die EG war ein sehr wichtiger Akteur (1), dessen Motiv bzw. Interesse demokratische und stabile Verhältnisse, wozu unter anderem auch die Zulassung aller Parteien als conditio sine qua non galt. Das Druckmittel der EG (2) hatte hohe Bedeutung für Spanien, nämlich das Angebot des Beitritts. Die spanische Regierung war interessiert an einer Annäherung an die EG (3). Hinsichtlich des innenpolitischen Problems, ob und dann wann sie die PCE zulassen sollte, deckten sich zum einen die Interessen mit der EG – nämlich demokratische Verhältnisse. Zum anderen bildeten der Status des externen Akteurs EG (sehr wichtig) und das Ziel des nationalen Akteurs (Beitritt) auf Waagschlage bei der Kosten-NutzenKalkulation ein großes Gewicht. Für den externen Akteur USA sieht das Bild anders aus: Die USA waren zwar objektiv ein wichtiger weltpolitischer Akteur, für die spanische Regierung aber weniger, denn die USA hielten weder ein Angebot noch ein Druckmittel bereit. Spanien war bei diesem Thema nicht in einer „Nachfragesituation“, die USA nicht in der Geberposition. wiederum 3. wollte sie nicht Wichtiges von den USA. 2. wurden die Motive sowohl von Spanien so empfunden als auch von den USA selbst so artikuliert, dass es mehr um die Interessen der USA selbst ging (Stabilität im geostrategischen Sinne). Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass bei der politischen Entscheidung, erstens, die nationalen Akteure eher dort Einflussnahme zulassen, wo sich die Empfehlung mit der eigenen Einschätzung der Situation und der Reformnotwendigkeit deckt. Zweitens aber spielen zusätzlich der Status des Absenders, seine Motive und die ihm zur Verfügung stehenden Anreize eine wichtige Rolle. Im Falle der Beispiele (Wahlsystem, PCE) lassen sich zwei Phänomene festhalten: einmal die größere Konsonanz zwischen den Vorstellungen der EG und der spanischen Akteure, und zweitens, eine daraufhin verstärkende Wirkung auf die innenpolitische Entscheidung. Ein anderes Phänomen des Einflusses ist der Import oder die Kopie (Mimesis) von demokratischen Institutionen – auch als Institutionentransfer bezeichnet. Im Gegensatz zu konkreten Empfehlungen stellt der Import bestimmter institutioneller Elemente ein Beispiel für passiven, nicht intendierten Einfluss dar, wie sich am spanischen Verfassungsgebungsprozess zeigen lässt. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich „in einigen Fällen auch ein direktes Eingreifen ausländischer Parteien feststellen (lässt), nicht so sehr um zu helfen, (und Einfluß auf ihre spanischen Partnerorganisationen auszuüben), sondern um direkt auf bestimmte soziale Gruppen einzuwirken, die ihrerseits den Verfassungsprozeß mitbestimmen konnten.“316 Dieses Vorgehen während der Installierung der Institutionen basiert auf der Erkenntnis der nationalen Akteure, dass die europäische Ebene erprobte Grundlagen bietet, auf die man zurückgreifen kann. So geschehen auch in Spanien. Aber freilich sind auch hier wieder Vorentscheidungen zu treffen: Welche Verfassung kann als Vorbild dienen? Also wieder die Frage, nach welchen Kriterien der nationale Akteur entscheidet. Dazu Francisco Rubio Llorente, eines der sieben Mitglieder der verfassungsgebenden Kommission: „Die Autoren des Verfassungstextes sahen es als vordringliches Ziel an, eine ‚Anpassung an Europa’ zu
316
Rubio Llorente, Francisco, „Der verfassungsgebende Prozeß“, in: a.a.O., Bernecker/Collado Seidel, S. 127-150, hier: S. 142
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erreichen, d.h. ein Vorbild nachzuahmen, das freilich nicht näher bestimmt wurde …“317 Der Wunsch nach „Europäisierung“ habe dazu gedient, die Dritte-Welt-Orientierung oder die „sozialistischen“ Bestrebungen einiger politischer Gruppen zurückzudrängen, und habe zudem die Suche nach Formeln auf einige konkrete Systeme hin gelenkt, deren „Europäertum“ eine „Garantie für Perfektion“ darstellte. Dass die Integrationsperspektive zudem einen starken Stellenwert hatte, fand seinen Niederschlag in Art. 93, der die Möglichkeit der Kompetenzübertragung an internationalen Organisationen oder Institutionen mit einer die Ratifizierung von Verträgen per Verfassungsgesetz.318 Ansonsten stellte das wichtigste Vorbild für die spanische Verfassung das deutsche Grundgesetz dar, eine „große Inspiration“, „von der wir viele Dinge kopiert haben“, so das Mitglied in der Verfassungskommission und der spätere Außenminister Pérez-Llorca.319 Nach Paniagua orientierten sich die spanischen Verfassungsväter an zwei Komponenten: 1. der inneren Ordnung, sprich dem historischen Konstitutionalismus und den Techniken einer stabilen Regierungsbildung; und 2. einer internationalen Ordnung, sprich dem europäischen Kontext und speziell bestimmter Themen des Bonner Grundgesetzes sowie der italienischen und französischen Verfassung.320 Warum diente aber gerade das deutsche Grundgesetz als Hauptvorbild?321 Bei dem Entwurf der Verfassung, ähnlich übrigens wie bei dem des Wahlgesetzes, stand die Sorge einer stabilen Regierung im Vordergrund. Das bundesdeutsche System mit Vorkehrungen zur Vermeidung einer instabilen oder schwachen Exekutive entsprach insofern den Anforderungen. Das spanische System folgt dem bundesdeutschen Vorbild bei der Gestaltung der Rechte der Regierung und bei den Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative. Dazu zwei Mitglieder der Verfassungskommission: „Spanien hat so eine ‚Kanzlerregierung’, wobei der König dem Kongreß den Regierungschef vorschlägt; der Kongreß wählt dann den Kanzler nach Anhörung seiner Regierungserklärung, ohne daß die von ihm später präsentierte Regierung der parlamentarischen Ernennung bedürfe.“ 322 (Rubio Llorente) „Wir entwarfen eine starke Regierungsführung (…), und die Kanzlerregierung, der ‚Bundes323 kanzler’ war das Modell.“ (Pérez-Lorca)
Die spanische Verfassung übernahm – in den Worten von Pérez-Llorca: „kopierte direkt“ sowohl die Techniken zur Vermeidung instabiler Verhältnisse, zur „Rationalisierung des Parlamentarismus“ (Rubio Llorente) wie etwa bei der Investitur des Regierungschef (Art. 99, 3 CE), vor allem aber das konstruktive Misstrauensvotum (Art. 113 und 144, CE) und 317
Ebd., S. 141 Vgl., dazu ebd., S. 142. Zudem wiesen Marín, Morán und Perez-Llorca in den Interviews explizit auf diesen Umstand hin. 319 Interview Pérez-Llorca 320 Paniagua Soto, Juan Luis, „El modelo parlamentario en la Constitución española de 1978”, in: a.a.O., Cotarelo, S. 201-219, hier: S. 202 321 Hierüber besteht Einigkeit in der Literatur: siehe dazu a.a.O., Rubio Llorente, Esteban, Paniagua sowie Cotarelo, Ramón, „La Constitución de 1978“, in: a.a.O., Tezanos, S. 317-347, siehe dazu v.a.: S. 329. Natürlich wurden auch Elemente anderer Verfassungen übernommen, neben der deutschen etwa aus der italienischen. 322 A.a.O., Rubio Llorente, S. 146. Geregelt in Art. 100, CE. Man spricht auch von einer „präsidentiellen Regierung“ oder einem „gobierno presidencializado“ auf Grund der starken Position des Regierungschefs. Siehe dazu auch a.a.O.; Paniagua; S. 209 Weitere Elemente dieser starken Stellung sind etwa eine der deutschen Richtlinienkompetenz (Art. 65 GG) quasi analoge Formulierung in Art. 98,2 CE. 323 Interview Pérez-Llorca 318
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die automatische Auflösung des Parlaments im Fall einer anhaltenden Krise (Art. 115, CE). Ein weiteres Element, das die spanische Verfassung der Bundesrepublik entlehnt hat, ist die Verfassungsgerichtsbarkeit, das auch bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen nationaler Ebene und den Comunidades Autónomas, quasi der föderalen Ebene, entscheidet.324 Hier, so Pérez-Llorca, habe man das Grundgesetz „wörtlich“ übernommen.325 Auch wies er darauf hin, dass die spanischen Überlegungen bezüglich des föderalen Systems stark vom bundesrepublikanischen Modell inspiriert waren. So war auch überlegt worden, die zweite Kammer, den Senat, nach dem Vorbild des Bundesrates zu gestalten, was Pérez-Llorca sehr befürwortet hätte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass selbstverständlich viele wichtige innenpolitische Entscheidungen getroffen werden mussten und diese intern getroffen wurden. Gleichzeitig wurden diese Entscheidungen oder auch die fehlenden Schritte zur Demokratisierung des Landes sehr genau beobachtet und kommentiert sowohl von den Institutionen der EG (Parlament, Rat) als auch von den einzelnen Mitgliedsstaaten. Zudem verband sich die Kritik mit konkreten Anforderungen (wie etwa die Legalisierung aller Parteien, Amnestie der politischen Gefangenen etc.), deren Nichterfüllung immer wieder mit dem Hinweis auf den angestrebten Beitritt zur Gemeinschaft beantwortet wurde. Die Methode der Konditionalität ist somit konsequent fortgeführt worden. Das EP nahm damit seine tranditionelle Rolle als Wächterin der demokratischen Bedingungen wahr. Allerdings wurde die Verknüpfung von demokratischen Zuständen als Vorbedingung für einen Beitritt auch immer vom Rat ventiliert. Die Haltung der EG änderte sich im Sommer 1977. Dies dürfte wohl einen Grund darin haben, dass es seit Juni eine erste demokratisch legitimierte Regierung gab und damit sozusagen ein wichtiges Ziel erreicht war. Man hatte keinen Zweifel, dass die spanische Regierung nun auch eine entsprechende Verfassung ausarbeiten würde. Das lässt sich auch daran erkennen, dass der Europarat, der eigentlich eine demokratische Verfassung als Bedingung für eine Aufnahme verlangt, Spanien diesen Vertrauensvorschuss gab und es bereits im November 1977 aufnahm. Ein anderer Grund für die sich verändernde Haltung war der Beitrittsantrag Spaniens. Mit seiner Annahme durch den Rat begann zwangsläufig eine neue Etappe der Beziehungen. Wie bereits dargestellt, hatte sich die spanische Seite erhofft, da sie nun die politischen Kriterien praktisch erfüllte, einem zügigen Beitritt entgegensehen zu können. In den Interviews, gerade auch mit denjenigen Politikern, die die Phase von 1979 bis 1982 gestalteten – Europaminister und später Ministerpräsident Calvo Sotelo, Außenminister Pérez-Llorca, Botschafter vor der EG und späterer Staatssekretär für Europa Bassols – kam die Enttäuschung, ja sogar Verbitterung – dies insbesondere bei Calvo Sotelo – deutlich zum Ausdruck, die sich vor allem an Frankreich festmachte.326 Die Gründe für die Enttäuschung und Verärgerung lassen sich konkret festmachen:
324
Entgegen dem in Art. 237 der Römischen Verträge festgelegten Verfahren und entgegen der angewandten Praxis bei Griechenland und Portugal erarbeitete die Kommission nach der Annahme des Beitrittsantrages durch den Rat vor ihrer eigentlichen Stel-
Vgl., a.a.O., Paniagua, S. 202. Es handelt sich um Art. 161, 1 c) CE. Vgl. Interview Pérez-Llorca 326 „Ich sage nicht, dass die übrigen Länder der Gemeinschaft unserer Integration nicht auch Schwierigkeiten in den Weg legten: aber der Kopf der Oppositionsreihe gegen den spanischen Beitritt war immer ein Franzose.“ A.a.O., Calvo Sotelo, S. 151 325
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III Empirischer Teil: EU lungsnahme „Überlegungen zur Erweiterung“. Bassols betrachtet dies als Mittel, „um Zeit zu gewinnen; Zeit, die für uns wertvoll war und für Europa auch, um unseren Beitritt etwas zu verzögern.“327 Dazu sollte Spanien dann 22 Fragebögen beantworten zu den einzelnen Politikbereichen, im Falle Griechenlands nicht angewandt, und, so Calvo Sotelo, eine französische Technik des préalable.328 Weiterhin regte der französische Präsident Giscard d’Estaing im September 1978 an, ein Komitee der Drei Weisen zu bilden, um die durch die Erweiterung verursachten Probleme zu untersuchen. Tatsächlich wurde so verfahren; im November 1979 lieferten die drei Weisen ihren Bericht ab.329 Wiederum anders als im Falle Portugals wurden nach der Befürwortung des spanischen Antrags durch den Rat im Dezember 1978 Coreper und Kommission beauftragt, eine „vue d’ensemble“ zu erarbeiten als Grundlage für die Verhandlungen. Dies war eine französische Initiative und eine Taktik Frankreichs, um den Verhandlungsbeginn bis September/Oktober 1979 herauszuzögern, bis es nicht mehr die Ratspräsidentschaft innehatte.330 Als dann schließlich die Verhandlungen im Februar 1979 offiziell eröffnet worden waren, dauerte es daher bis September, dass in die faktischen Verhandlungen eingestiegen wurde.331 Im Juni 1980 aber wurden sie bereits wieder paralysiert durch den französischen Präsidenten, der in einer Rede vor der Landwirtschaftskammer in einer Rede sagte: „…es ist angezeigt, dass die Gemeinschaft sich prioritär der Beendigung der ersten Erweiterung widmet, bevor sie imstande ist, die zweite anzugehen.“ Dieser von den Spaniern „Giscardazo“ genannte Zug kam einem Veto gleich. Da sich Frankreich weigerte, die Kapitel Landwirtschaft und Haushalt zu verhandeln, bevor die Gemeinschaft diese Probleme gelöst habe, lagen die Verhandlungen praktisch brach. Ratspräsident Thorn informierte Spanien darüber, dass erst am 1.7.1981 weiterverhandelt werden könnte, das war die Frist, zu der die Kommission einen Vorschlag auszuarbeiten hatte.
Wie agierten die anderen Organe der EG? Das EP äußerte sich befriedigt über die Schaffung demokratischer Regime in Südeuropa und bestätigte „den politischen Willen, Griechenland, Portugal und Spanien in die Gemeinschaft aufzunehmen“.332, hielt aber auch seine Sorgen hinsichtlich der Konsequenzen der Erweiterung nicht hinter dem Berg (Resolution vom 10.5.1979). Der Wirtschafts- und Sozialausschuss legte im Juni 1979 einen Bericht vor „Die Beziehungen zwischen der EG und Spanien“, in dem er die wirtschaftliche Situation Spaniens Sektor für Sektor analysiert. Insgesamt ist der Tenor des Berichtes unterstützend; aus politischer Sicht trage die Erweiterung zur Stabilität und Verstärkung der Demokratie in Südeuropa bei und zur Konsolidierung des demokratischen Systems insgesamt auf 327
Interview Bassols; siehe dazu auch a.a.O., Bassols, 1995, S. 211 sowie a.a.O., Bassols, 2000, S. 466 Vgl., Interview Calvo Sotelo und a.a.O., S. 151 329 Vgl., dazu a.a.O., Bassols, 1995, S. 231 330 Vgl., a.a.O., Bassols, 1995, S. 216 sowie S. 221 331 Das erste Treffen auf Ministerebene fand am 18.9.1979 statt, dann gab es einen Rhythmus von dreimonatlichen Treffen auf Ministerebene und zweimonatlichen auf Stellvertreterebene. Bis Juli 1980 ab es 12 Sitzungen. Es ging langsam voran, so Bassols, langsamer als die Spanier gewünscht hätten, aber ohne weitere Verstimmungen bis zum „giscardazo“. 332 Aussprache über den Bericht Pintat, 17.1.1979, Dok. 479/78 328
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dem Kontinent. Unterstrichen wird die Notwendigkeit, die institutionellen Strukturen der EG anzupassen, vor allem die Entscheidungsmechanismen. Die Betrachtung der spanischen Transition zeigt zusammenfassend: Europa lebte auch nach 1975 als Symbol für Demokratie, Moderne und Wohlstand weiter in der breiten Bevölkerung und in der oppositionellen politischen Elite, eine Integration wurde aber nicht nur von diesen Gruppen, sondern auch von der franquistischen Elite, dem bunker befürwortet. Der politischen Elite, aber auch der Bevölkerung war der kausale und konditionelle Zusammenhang zwischen Demokratie und EG-Mitgliedschaft klar. So Calvo Sotelo: „…Demokratie und Europa waren Begriffe, die verbunden waren mit der Hoffnung vieler Spanier. (…) Das spanische Volk verstand, dass für den Eintritt in den Gemeinsamen Markt nur eine Bedingung zu erfüllen war: die Errichtung eines demokratischen Regimes in Spanien.“333 Es gab eine Wechselbeziehung zwischen der Suche nach einer neuen nationalen Identität als Demokratie und der Suche nach einer neuen internationalen Verortung, also einer Art „internationaler Identität“. Zur Identität einer Demokratie gehört auf Grund der Vergangenheit die Identität als europäische, westliche Demokratie. Diese beiden Facetten der neuen Identität Spaniens gehörten untrennbar zusammen. Die europäische Integration war ein Vehikel zur positiven Identitätsbildung in Abgrenzung zur Franco-Zeit. Diese Identität als europäische Demokratie wurde mit dem Transitionsprojekt verbunden. So ist Felipe González zu verstehen in seinen Worten: „unsere Identität in unserer natürlichen Umgebung, Europa, zu bestätigen“.334 Spanische Außenpolitik während der Transition war auch ein Vehikel zur Definition und Gestaltung dieser Identität als europäische Demokratie. Die Bedeutung von Europa für die Demokratisierung lag in dem „legitimierenden Inhalt“335, den Europa der spanischen Demokratie gab. Die Hinwendung zu Europa war die stärkste Abkehr der franquistischen außenpolitischen Orientierung und Ausdruck einer Neuorientierung, die eben nicht nur außenpolitische Bedeutung hatte, sondern ein nach innen legitimierendes Moment der neuen Demokratie war. Die EG betrachtete ebenso wie Spanien die Integration als vorrangig politisches Projekt, wobei sie zunächst die Demokratisierung Spaniens durch ihre Methode der Konditionalität begleitete. Sie nahm ihre eigene politische Verantwortung Spaniens gegenüber an, indem sie den Beitrittsantrag akzeptierte. In dem Moment, da die politischen Kriterien erfüllt waren, änderten sich die Ziele, Methoden und Mittel der EG. Die Einflussnahme wurde durch das Diktat des Acquis direkt, intendiert, und in großem Maße unbedingt. Die zunehmende Annäherung an Westeuropa ging zudem einher mit der Verstärkung der bereits, auch vorher existierenden Verbindungen auf Nicht-Regierungsebene. Die Beispiele zeigten, dass es Kriterien transnationaler Interaktion gibt, also dafür, ob und wie stark ein wie auch immer gearteter externer Einfluss (direkt oder indirekt, intendiert oder nicht intendiert) intern Niederschlag findet. Die Entfaltung der Wirkung all der aufgezeigten Methoden und Mittel der EG-Organe und –Mitglieder birgt keinen Automatismus in sich. Die EG war durch die Konsistenz und Konsequenz ihrer Konditionalitätspolitik seit 1961 (Birkelbach-Bericht) ein glaubwürdiger, an demokratischen Werten orientierter Akteur für die Bevölkerung wie für die politische Elite. Die Kongruenz der Ziele und Motive von spanischer und europäischer Seite stellte eine wichtige Voraussetzung für die Einflussmöglichkeit der EG dar. Der Integrationswunsch war somit der größte Hebel, den die 333 334 335
A.a.O., Cortes, Parlamentsdebatte vom 27.6.1979, S. 1043 Vgl. Interview Felipe González A.a.O., Alvarez-Miranda, 1996, S. 198
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EG ansetzen konnte, gleichzeitig auch das attraktivere, vielleicht attraktivste Angebot im Vergleich zu dem anderer externer Akteure. Jedenfalls gilt: Je kongruenter die Interessen des externen und des nationalen Akteurs einerseits, und je mehr Angebot und Bedürfnisse andererseits übereinstimmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass der nationale Akteur externe Einflüsse als positiv wahrnimmt, dementsprechend beachtet und in seine Entscheidungen einbezieht. 2.5 Die Konsolidierung ab 1979: hürdenreicher Weg nach Europa Wie kann die spanische Konsolidierung eingegrenzt werden? Linz/Stepan bezeichnen den Regierungswechsel von der UCD zum PSOE nach den Wahlen im Oktober 1982 als Ende der Konsolidierungsphase; sogar als spätesten Zeitpunkt mit der Begründung, dass nach dem Militärputsch vom 23. Februar 1981 bereits im selben Jahr die verantwortlichen Offiziere abgeurteilt und inhaftiert worden seien. Mit der überwältigenden negativen Reaktion auf den Putsch sei es sehr klar gewesen, „that the only game in town after February 1981 was a democratic game“.336 Tatsächlich sind zwei Herausforderungen eindeutig bewältigt worden und das Funktionieren der demokratischen Verfahren bestätigt worden: Der Militärputsch verlief im Sande, und 1982 fand eine „kritische Wahl“ statt337, bei der die Sozialisten nur sieben Jahre nach Francos Tod eine absolute Mehrheit errangen – ein Regierungswechsel, der ohne Probleme gelang und ohne Rühren von Militär oder Franquisten. Somit lag zu diesem Zeitpunkt eine Einhegung und Reduktion ernsthafter Bedrohungen vor, was Pridham „negative Konsolidierung“ nennt.338 Es gibt vor allem zwei Gründe, warum man 1982 allenfalls von einer negativen Konsolidierung sprechen kann: Zum einen gab es zwar tatsächlich eine breite und klare Ablehnung des Militärputsches, einen Beweis für das Funktionieren des Systems durch die Verurteilung, eine Verstärkung in das Vertrauen vor allem in den König, aber auch in die anderen Institutionen. Dennoch blieb eine Unsicherheit in Bezug auf das Militär und mögliche, tatsächlich auch geplante Wiederholungen. Zum zweiten wurde die zivile Kontrolle des Militärs de jure und de facto erst durch die Reform des Militärs im Januar 1984 vollzogen.339 Erst mit dieser von der sozialistischen Regierung, auch in Reaktion auf den Putsch, durchgeführten Reform wurden etwa 1. das Oberkommando der zivilen Regierungsgewalt unterstellt und korporative Privilegien abgeschafft, 2. die militärische Sondergerichtsbarkeit auf rein militärische Vergehen beschränkt, 3. der Oberste Militärgerichtshof aufgelöst und in den Obersten Gerichtshof integriert. Weitere Reformschritte wie 4. der Abbau des Überhangs an Offizieren und die Ablösung durch demokratieloyale Offiziere auf der Kommandoebene, 5. die Beseitigung der parallelen Strukturen von drei Militärministerien (Luft, Heer, Marine) und Eingliederung in einen einheitlichen Aufbau unter einem einzigen Verteidigungsministerium wurden bis 1989 (Ley de la Función Militar) durchgeführt. Schließlich ist auch der beschleunigte Beitritt zur NATO durch die Regierung Calvo Sotelo auf dem Hintergrund zu sehen, die Aufgaben der Streitkräfte auf die nationale Verteidigung 336
A.a.O., Linz/Stepan, S. 109 Vgl., a.a.O., Merkel, 1999, S. 286 338 Vgl., a.a.O., Pridham, 1995, S. 169 339 Siehe zum Folgenden Busquets, Julio, „Die Streitkräfte zwischen Diktatur und Demokratie“, in: a.a.O., Bernecker/Collado Seidel, S. 69-86; a.a.O., Powell, 2001, hier: „La reforma militar y la consolidación de la democracia“, S. 373-380 337
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bzw. auf internationale Sicherheit zu konzentrieren und somit ihren Rückzug aus der Politik zu erreichen. Betrachtet man also die Stellung des Veto-Akteurs Militär und die Beziehungen zwischen Zivilgewalt und Militär, so muss man mit Merkel zu dem Schluss kommen, dass die spanische Demokratie, nicht seit 1981, sondern seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr bedroht wurde.340 Neben dem zentralen Aspekt der Eingliederung des Militärs unter zivile Strukturen wurde auch noch ein weitere essentielle Erbschaft aus der Transitionsphase mitgenommen: die Dezentralisierung, deren formaler Konstituierungsprozess mit dem Abschluss aller Autonomiestatute und den danach statt gefundenen Wahlen, also 1983, anzusetzen ist.341 Aber auch danach blieb die Autonomiefrage ein konfliktreiches politisches Phänomen bis in die Regierung Aznar, bei dem Finanzautonomie und Kompetenzabtretung zwei zentrale Streitpunkte waren. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder342 die Reform des Senats diskutiert, ebenfalls ein „Transitionsrest“.343 Powell hält den Status der Autonomien im Übrigen erst 1992 für konsolidiert mit dem „Übertragungsgesetz“.344 Beide Probleme sind zwar bereits während der Transitionsphase angegangen worden345, konnten aber nicht abschließend gelöst werden – Stichwort „Transitionsreste“. Dazu kommen die entscheidenden äußeren Aspekte der Verortung Spaniens: die europäische Integration und die offene Frage des NATO-Verbleibs. Den endgültigen Bruch mit dem franquistischen Erbe - darauf verweist vor allem die spanische Literatur – stellt der spanisch-amerikanische Vertrag von 1988 dar, in dem endlich der Geburtsfehler dieser Beziehungen bereinigt wurde: Die „Installation, Lagerung oder Einführung“ von nuklearen Waffen wurde untersagt.346 Richtig ist, dass erst mit diesem Vertrag die Neujustierung der spanischen Außenpolitik beendet war, insofern als damit alle Elemente der franquistischen Selbstdefinition überwunden worden waren. Dennoch kann man sagen, dass bereits mit dem positiven Referendum über den NATO-Verbleib im März 1986 die Entscheidung für die Verortung im Atlantischen Bündnis gefallen und damit der qualitative Sprung vom im Franquismus angelegten Bilateralismus zum Multilateralismus des demokratischen Spanien endgültig vollzogen war. Erst mit der Verortung im euro-atlantischen Kontext, die zufällig in Form des NATO-Referendums und des EG-Beitritts im ersten Drittel 1986 passiert, ist meines Erachtens die Konsolidierung vollständig vollzogen. Dabei hatte die europäische Integration sowohl für die Bevölkerung als auch für die politische Elite nicht nur prioritäre Bedeutung, sondern sie – das zeigen die bereits untersuchten Phasen – war aufs Engste mit der inneren Demokratisierung verknüpft. Die Neuorientierung der nationalen Identität als Demokratie in Europa ist faktisch sowie in Bezug auf die kognitive (anerkannte und
340
Vgl., a.a.O., Merkel, S. 297 Vgl., a.a.O., Hillenbrand 342 Siehe etwa den Vorstoß von Manuel Fraga, dem Präsident von Galizien, im Jahr 2001 343 Im Interview berichtete Pérez-Llorca, dass er zum Beispiel in der Verfassungsgebenden Kommission das bundesdeutsche föderale Modell mit dem Bundesrat als zweiter Kammer befürwortet hatte. Der Senat, wie er dann konstruiert worden sei, sei „eine wenig gelungene Figur“. Die Konstruktion des Senats ist demnach – da stimmte Pérez-Llorca ebenfalls zu – ein „Transitionsrest“. 344 „Ley Orgánica de Transferencias“, Dezember 1992, vgl., a.a.O., Powell, 2001, S. 476ff: “La consolidación del estado de las autonomías y los nacionalismos pereféricos” 345 Für den Militärbereich durch das Gesetz vom 1.7.1980 über die Nationale Verteidigung und die Organisation der Streitkräfte (LODN); die Dezentralisierung wurde begonnen durch die beiden Autonomiereferenden in Katalonien und das Baskenland im Oktober 1979. 346 Vgl., a.a.O., Portero, S. 499ff 341
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gleichberechtigte Partner) und affektive (Zugehörigkeit zu Europa) Wahrnehmung der Spanier erst mit dem Beitritt zur EG erfüllt. Innenpolitisch umfasst der Zeitraum zwischen dem Herbst 1979 und dem Frühjahr 1986 den zunehmenden inneren Zerfall der Zentrumspartei UCD und die immer schwächer werdende Position des Regierungschefs Suárez bis zu seinem Rücktritt Anfang 1981. Bei der Inauguration seines Nachfolgers Leopoldo Calvo Sotelo geschah jener Militärputsch durch die Stürmung des Parlamentes, der durch die klare Position des Königs vereitelt wurde. Die vorgezogenen Wahlen im Oktober 1982 gewann die Sozialistische Partei mit absoluter Mehrheit, mit der sie bis 1989 regierte, danach unterstützt von Regionalparteien bis 1996 - also eine lange Regierungszeit für Ministerpräsident Felipe González, einer der längsten im Nachkriegseuropa. Die europapolitische Ausrichtung wurde maßgeblich von ihm geprägt. Nach dem Beitritt verstand er Spaniens Rolle dahingehend, einen aktiven Part bei der Weiterentwicklung der europäischen Integration zu leisten. So fand sich Spanien immer auf der Seite derjenigen Staaten, die einen supranationalen Ansatz vertraten. Zudem war es Spanien wichtig, innerhalb der EU keinen peripheren Platz innezuhaben; es beteiligte sich auch an Zusammenschlüssen außerhalb des Gemeinschaftsrechts wie dem Schengener Abkommen oder den Eurocorps. Der Beitritt zur Währungsunion stellte ebenfalls einen wichtigen Schritt dar. Auch hier spielte wieder die historische „Angst Spaniens vor einer zu großen Distanz zu Europa“ eine Rolle. Diese „historische Formel“ von Felipe González galt auch noch nach seiner Regierungszeit.347 Das prioritäre Ziel der europäischen Integration blieb während der Konsolidierung unvermindert bestehen, ebenso der Konsens in Elite und Bevölkerung, der auch über die Konsolidierung hinaus sowohl zu einer überdurchschnittlich guten Beurteilung der EUMitgliedschaft führte348 als auch zu einer überdurchschnittlichen Unterstützung etwa des Euro349, der Osterweiterung350 oder der EU-Verfassung351. Der durch den Verhandlungsbeginn eingeleitete Qualitätswandel im spanisch-europäischen Verhältnis setzte sich fort; dazu gehörten das „normale“ Verhandeln um die einzelnen Kapitel inklusive das oft sehr harte Zerren um die technischen Details ebenso wie die Hürden, die die EG im Falle Spaniens – anders als bei Griechenland und mehr als bei Portugal – aufbaute. Der Hauptteil der Verhandlungen fiel in die Zeit zwischen 1982 und 1985, also unter die sozialistische Regierung. Der bereits während der Transition manifest gewordene Dissens in der politischen Elite bezüglich der NATO verschärfte sich durch den Beitritt, von der Regierung Calvo Sotelo vollzogen und von einer starken Opposition in Parlament und Bevölkerung negativ beantwortet. Diese Frage nahm während der Konsolidierung die Form einer breiten und oft heftigen nationalen Debatte über die sicherheitspolitische Ausrichtung an, die interessanterweise von den beiden verschiedenen Regierungen Calvo Sotelo und González auf eine
347
Vgl., Barbé, Ester, „Spanien“, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang, (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration, 1996/97, Bonn o.J., S. 361-368, hier: S. 363 1996, zehn Jahre nach dem Beitritt, lag die Zustimmung bei 75%, bei einem EU-Durchschnitt von 69% (im Vergleich dazu Deutschland: 61%); im Frühjahr 2003 lag die Zustimmungsquote zwar niedriger bei 62%, damit aber immer noch – und zwar fast ebenso - weit über dem Durchschnitt (54%) wie 1996. Vgl., dazu Eurobarometer 45, Frühjahr 1996, Tab. 1.2 sowie Eurobarometer 59, Frühjahr 2003, Tab. 17. 349 Im Frühjahr 2003: 75% (Durchschnitt: 66%). Das ist der vierthöchste Wert in der EU. Vgl., a.a.O., Eurobarometer 59, Tab. 19 350 Frühjahr 2003: 60%, das ist der dritthöchste Wert (Durchschnitt: 46%). Vgl., a.a.O., Eurobarometer 59, Tab. 20 351 Vgl., a.a.O., Eurobarometer 59, Tab. 11 348
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ähnliche Weise mit der EG-Mitgliedschaft strategisch verknüpft wurde. Daher spielt in unsere Betrachtung das Thema NATO im Folgenden immer wieder hinein. 2.5.1 Internationale Verortung: Verankerung in Europa als doppelter Bruch mit der Vergangenheit Die Verfestigung im Inneren ging mit dem Willen zur Verfestigung der externen Verortung einher. Prioritär war dabei die europäische Integration, sehr nachdrückliche verfolgt, wenngleich oft behindert in den Beitrittsverhandlungen, wie wir im Abschnitt Transnationale Interaktion sehen werden. Aber auch die NATO-Frage war bis zum Referendum 1986 ein zentrales Thema der nationalen Debatte in Parlament und Bevölkerung. Die letzten beiden Jahre der UCD-Regierung waren einerseits gekennzeichnet von der Instabilität dieser Regierung und der inneren Krise der Partei, was nach Armero stark die spanische Außenpolitik beeinflusste. Die Themen, über die es keine Einigkeit gab, so etwa der NATO-Beitritt, wurden verschoben, um die Differenzen nicht noch weiter zu vergrößern. Andererseits wurde das konsensuelle Verhalten der politischen Kräfte vom „normalen“ demokratischen Parteienwettbewerb abgelöst, was sich vor allem in der Profilierung des PSOE als anti-NATO- Partei manifestierte. Auch der neue Regierungschef Calvo Sotelo konnte die Auflösungserscheinungen der UCD nicht stoppen. Zudem wurde er bei Amtsantritt mit der schwersten Bewährungsprobe der jungen spanischen Demokratie, dem Militärputsch vom 23. Februar 1981, konfrontiert. Man könnte Calvo Sotelo als „Ministerpräsident der Krise“ bezeichnen. Dennoch war seine Regierungszeit nicht nur eine „Verwaltung der Krise“. Obwohl er nur anderthalb Jahre regierte, fielen entscheidende Wegmarken in diese Zeit. Bereits vor Amtsantritt hatte Calvo Sotelo als zentrale Inhalte seines Regierungsprogramms skizziert: die Rationalisierung des Autonomieprozess, den Beitritt Spaniens in die NATO und einen sozialökonomischen Pakt zur Bekämpfung der Krise. Der Militärputsch katalysierte all diese Vorhaben bzw. die Bereitschaft der Verhandlungspartner, zu Ergebnissen zu kommen: Er begünstigte die Konzertierung im Wirtschaftsbereich und trug dazu bei, dass UCD und PSOE einen Pakt bezüglich der Autonomien schlossen. Nur im außenpolitischen Bereich wirkte dieser Katalysator nicht. Die Entscheidung Calvo Sotelos, den NATO-Beitritt ohne nationale Debatte, ohne Referendum und ohne Zustimmung der Opposition zu vollziehen, rief praktisch umgehend den Protest im Parlament und dann, auch von dem PSOE mobilisiert352, auf der Straße hervor. Im Oktober 1981 beschloss der Kongress nach langer und harter Debatte den Beitritt und lehnte den Antrag des PSOE auf Referen-
352
Wir hatten in Kapitel 4.1 gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung (58%) bis 1978/79 unentschieden war bzw. nicht antworten konnte. Bis 1983 hatte sich das bereits signifikant geändert, da bestand fast die gleiche Zahl (57%) aus NATO-Gegnern. Unentschiedene gab es noch 30%. Ein entscheidender Beitrag zum Abbau von Unentschlossenheit bzw. Uninformiertheit war die Informationskampagne des PSOE 1981 „50 Fragen zur NATO“ sowie die Wahlkampagne 1982.
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dum ab.353 Die Entscheidung des NATO-Beitritts war die kontroverseste überhaupt im Laufe des Demokratisierungsprozesses354. Die Entscheidung der Regierung spiegelte externe wie interne Bedingungsfaktoren wider: Zu nennen sind hier das Auslaufen des spanisch-amerikanischen Vertrages und die geringe Neigung der USA auf die Änderungswünsche Spaniens einzugehen, bevor es nicht beigetreten war; oder auch die Hoffnung, man könne die Gibraltar-Frage besser mit dem NATO-Partner Großbritannien klären. Ein innerer Faktor war die Einhegung des Militärs durch Ausrichtung auf internationale Aufgaben, seine Professionalisierung und Modernisierung; der Putsch lieferte ein zusätzliches Argument, diese Anstrengungen zu verstärken. Aber auch nach dem NATO-Beitritt im Mai 1982 blieb das Thema auf der Tagesordnung. Der PSOE ging mit zwei zentralen Versprechungen in den Wahlkampf 1982: die Schaffung von 800.000 Arbeitsplätzen und ein Referendum über den NATO-Verbleib sowie das Einfrieren der NATO-Integration. Der EG-Beitritt blieb unverändert prioritäres Ziel, wie Außenminister Pérez-Llorca vor den EG-Ministern im März 1981 ausführte: „Im Programm der Regierung stellt die europäische Integration tatsächlich ein historisches Ziel erster Größe und eine eminent politische Option dar.“355 Er wies auf die persönliche Verantwortung des damaligen Ministerpräsidenten und vorherigen Chefverhandlers hin, für den die europäische Integration die „Achse seiner Außenpolitik“ sei. Pérez-Llorcas Aufgabe war es, die paralysierten Verhandlungen neu anzustoßen und in seinen – nicht neuen - Argumenten findet man einen drängenden Unterton. Er sprach von der „erneuter Bestätigung“ der Beitrittsentscheidung als einer, die Spanien mit seiner Geschichte versöhnt und zur definitiven Konsolidierung der Demokratie beitragen soll. Sehr interessant aber ist die implizite Verknüpfung zwischen dem Stand der Beitrittsverhandlungen und der Entscheidung, in die NATO einzutreten – der NATO-Beitritt als bargaining chip gegenüber dem EG-Beitritt.356 Die Beitrittsverhandlungen standen praktisch seit dem „Giscardazo“ im Sommer 1980 still, der Putsch hatte dies auch nicht maßgeblich geändert (dazu 5.3.) Calvo Sotelo meinte, dass der Eintritt in die NATO die spanische Position bei den europäischen NATO- Mitgliedern stärken könnte. So versuchte er – in den Worten seines Außenministers – die Frage zu „europäisieren“.357 Calvo Sotelo kalkulierte, dass man durch den NATO-Beitritt auf internationalem Feld wieder die Initiative wiedergewinnen, so den Knoten in Brüssel zerschlagen und den Rückstand im Verhandlungszeitplan aufholen könnte. Sein Plan war nämlich ein Beitritt zu NATO und EG bis zu den Wahlen 1983 („Plan Occidente“). Man glaubte nicht, so Außenminister Pérez-Llorca,
353
Bei der Abstimmung im Kongress gab es 180 Ja-, 126 Neinstimmen und 2 Enthaltungen. Der Antrag des PSOE, die Frage dem Verfassungsgericht vorzulegen, wurde mit 173 Nein- und 138 Ja-Stimmen (15 Enthaltungen) abgelehnt; der Antrag des PSOE auf Abhaltung eines Referendums mit 172 Nein-, 144 J-Stimmen (10 Enthaltungen). Der Senat bestätigte am 26.1.1981 den Parlamentsbeschluss mit 106 Ja- und 60 Neinstimmen. 354 In der Literatur wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Debatten darüber zu den Sternstunden des spanischen Parlaments gehören. 355 Deklaration des AM, Don José Pedro Pérez-Llorca, bei der Sitzung der Verhandlungskonferenz für den Beitritt Spaniens, 16.3.1981, in: Ministerio de Asuntos Exteriores, Oficina de Información Diplomática, Textos y Documentos de la Política Exterior Española, 1981, (künftig zit. als MAE) S. 131ff, hier: S. 131 356 Del Val Cid, Consuelo, Opinión pública y opinión públicada. Los españoles y el referéndum de la OTAN, Madrid 1996, S. 65. Siehe im selben Sinne a.a.O., Powell, 2001, S. 310f; a.a.O., Preston/Smyth, S. 156 357 Pérez-Llorca, José Pedro, “La política exterior de los últimos gobiernos de U.C.D.”, Vortrag vor der Academis de la Historia, 2002, Manuskript vom Autor überreicht, S. 15
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dass alle Schwierigkeiten mit der EG durch den Beitritt zur NATO verschwinden würden, „wohl aber konnte er mittelfristig ein Druckmittel darstellen“.358 Leopoldo Calvo Sotelo unterschied sich maßgeblich in zwei Punkten von seinem Vorgänger: Er war erstens außen- und vor allem europapolitisch erfahren, da er von 1978 bis 1980 die Position des Ministers für die Beziehungen mit der EG innehatte, und in dieser Zeitspanne mit einiger Frustration die Widerstände und Probleme erfahren hatte; und zweitens war er von der Notwendigkeit und Alternativlosigkeit der NATO-Zugehörigkeit überzeugt. Überdies war es seine erklärte Absicht, der von den vorherigen Regierungen kultivierten Ambiguität ein Ende zu machen und Klarheit für die externe Definition Spaniens zu schaffen. So Calvo Sotelo in seiner Investiturrede: „Die Hauptanstrengung wird uns dazu hinführen, für unser Land eine Definition europäischer, demokratischer und okzidentaler Politik zu erreichen; klar und irreversibel; fern von Träumen, die eine isolationistische Versuchung gegenüber dem okzidentalen Rahmen verraten.“359 Bereits in dieser Rede gibt der ehemalige Europa-Minister einen Hinweis auf jene implizite Verknüpfung von NATO- und EG-Beitritt: „Ohne zu ignorieren, dass die Eingliederung Spaniens in die NATO mit anderen Bedingungsfaktoren unserer Außenpolitik verbunden ist, bestätige ich für diese Regierung, der ich vorsitzen werde, ihre atlantische Berufung…“360 [H.d.MK] Die atlantische Problematik war nicht nur eine wichtige Komponente der externen Neuorientierung Spaniens und eine sicherheitspolitische Frage, die in mehreren Punkten historisches und nationales Unwohlsein hervorrief (das Franco-Erbe der Nuklearwaffen und des Vasallenkomplexes etwa). An der NATO-Frage lässt sich auch erkennen, dass diese äußeren Aspekte einen hohen Stellenwert in der nationalen Debatte hatten. Des Weiteren hatte diese Debatte innenpolitische Konsequenzen: Für die PSOE war es das Thema, an dem sich die Partei zunächst zur starken und potentiell regierungsfähigen Opposition schliff. Als Regierungspartei verhalf ihr das Thema zu einem Reifeprozess vom „radicalismo“ zum „posibilismo“361, also von einer radikalen Politik zu einer Politik des Möglichen. Calvo Sotelo nennt die „atlantische Polemik“ die Hauptweggabelung des Post-Franquismus, mit dem Spanien sich des Romantizismus der Außenpolitik entledigte. Mit der Konversion des PSOE habe Spanien aufgehört, „anders zu sein“ – wie das geflügelte Wort Francos gelautet hatte362 -; es hatte das politische Erbe Francos war abgeschüttelt und hinter sich gelassen. Der PSOE war traditionell pro-europäisch, und Felipe González war ganz anders als Adolfo Suárez sehr an außenpolitischen Fragen interessiert, hatte als Oppositionsführer eine Führungsrolle auf diesem Feld angenommen. Er war nicht nur ein überzeugter Europäer, sondern geprägt von der Überzeugung, „dass der einzige Ausweg aus der Diktatur die Demokratie und die Integration in die europäischen Institutionen war“363. Die Demokratisierung und Modernisierung Spaniens und die Zugehörigkeit zu Europa gehörten für ihn im-
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Pérez-Llorca, Pedro, “De cómo y porqué entramos en la Alianza Atlantica”, in: La Política de defensa española y la OTAN, (Ideas para la democracia, Nr. 1, 1984, S. 311-321, hier: S. 314 359 Rede von Leopoldo Calvo Sotelo in der Inverstitursitzung vom 18.2.1981, in: Ministerio de Asuntos Exteriores, Oficina de Información Diplomática, Textos y Documentos de la Política Exterior Española, 1981, S. 103ff, hier S. 103 360 Ebd., S. 104 361 So del Arenal, a.a.O., S. 402 362 Vgl., a.a.O., Calvo Sotelo, S. 123 363 So in der Parlamentsdebatte nach der Investiturrede von Calvo Sotelo, 18.2.1981. A.a.O., MAE, 1981, S. 113
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mer untrennbar zusammen. Europa stellte für ihn das Symbol der Modernität dar.364 Ministerpräsident González - ebenso Außenminister Morán und der Chefverhandler Marín – sahen die innere Entwicklung seines Landes als eng verbunden mit der Außenpolitik.365 So Morán: „Europa und Demokratie sind das selbe Konzept“.366 „Wir haben grundsätzlich nie die europäische Idee von unseren innenpolitischen Aspirationen getrennt, so dass das europäistische Projekt im spanischen Fall eine sehr bedeutsame interne Projektion hatte für unsere demokratische politische Kultur.“367 Genau wie Calvo Sotelo trat González die Regierung an mit dem Ziel, den Beitritt innerhalb der Legislatur zu erreichen.368 Dies deutet darauf hin, dass auch in der Konsolidierungsphase die europäische Integration einen nach innen legitimierendes Moment darstellte. Sowohl die Regierung Calvo Sotelo wie auch die Regierung González standen unter einem gewissen „Erfolgsdruck“, den von der breiten Bevölkerung erwünschten Beitritt zu vollziehen, waren doch die politischen Bedingungen erfüllt und liefen doch bereits die Verhandlungen. Tatsächlich steigerte sich von 1983 bis 1984 sich die empfundene Dringlichkeit von 41 auf 52 Prozent, aber 1983 hielten nur 30 Prozent die Arbeit des Außenministeriums für gut/sehr gut.369 Die politische Elite nahm sehr wohl eine zunehmende Ungeduld und Enttäuschung über die Verzögerungen und die Stillstände war (eben in den Umfragen). Das effiziente handling des Beitritts durch die Regierungen war zweifelsohne ein wichtiger Aspekt zur Legitimierung.370 Sowohl die Regierung Calvo Sotelo als auch die Regierung González artikulierten selbst den Zusammenhang zwischen Konsolidierung und Integration. So spricht Außenminister Pérez-Llorca von „der Notwendigkeit, die Konstruktion der demokratischen Institutionen des Staates definitiv zu konsolidieren (…) und das Ziel zum Gipfel zu bringen, das untrennbarer Teil und Folge dieser Konstruktion ist: die volle Integration in das gemeinschaftliche Europa.“371 Auch Außenminister Fernando Morán unterstreicht, dass die Konsolidierung der spanischen Demokratie und die Außenpolitik miteinander verbunden waren: „Die spanische Außenpolitik hat als erste Funktion, zur Konsolidierung der Demokratie beizutragen, was bedeutet, Spannungen zu vermeiden, die diese in Gefahr bringen und Tendenzen im Land entfesseln kann, die negativ sein könnten.“372 Neben der Notwendigkeit einer effizienten europapolitischen Regierungsperformanz und der Wechselwirkung mit der demokratischen Konsolidierung findet sich ein dritter Legitimationsaspekt, der vor 364
Vgl., Interview Felipe González So González in seiner Investiturrede am 30.11.1982, in: MAE, Oficina de Información Diplomática, 1982, S. 201ff, hier: S. 201 sowie in ähnlicher Formulierung im Bericht zur Lage der Nation vom 20.9.1983, in: MAE; Oficina de Información Diplomática, 1983, S. 460ff, hier: S. 460. Vgl. auch die entsprechenden Interviews 366 Erklärung von Fernando Morán vor dem Ministerrat der EWG am 13.12.1982, in: a.a.O., MAE, 1982, hier: S. 211 367 Interview mit der Tageszeitung “Ya”, 20.6.1985 368 Vgl., a.a.O., González, Investiturrede, S. 201 369 Siehe Fußnote 188 370 Nicht ohne Grund ließ die sozialistische Regierung Umfragen machen, bei denen sie seit 1983 abfragte, erstens, für wie dringend der Beitritt zur EG gehalten wird, zweitens, wie das Agieren der Regierung beurteilt wird, und drittens, ob die Festlegung des Beitrittsdatums auf dem Gipfel von Fontainebleau betrachtet wird als „Erfolg der Regierung Felipe González, die Zulassung Spaniens“ erreicht zu haben, ob „jede Regierung den Beitritt erreicht hätte“ oder „nur die gute Leistung der derzeitigen Regierung den endgültigen Beitritt (…) möglich gemacht hat“. Vgl., a.a.O., Opinión pública, S. 343ff: Umfragen 3/1983 (Abb. 52, 53), 6/1983 (Abb. 65), 6/1984 (Abb. 78, 79, 80, 81), 9/1984 (Abb. 95, 99), 3/1985 (abb. 104) 371 A.a.O., Perez-Llorca, Rede am 16.3.1981, S. 132 372 Interview mit Fernando Morán in La Vanguardia, 13.2.1983 365
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allem von der PSOE-Regierung immer wieder ins Feld geführt wird: die Abkehr von der franquistischen Vergangenheit. So wie Europa als nach innen legitimierendes, da die Differenz zur Franco-Zeit symbolisierendes Moment während der Transition fungierte, so bleibt dies auch während der Konsolidierung. Erst mit dem Beitritt wurde diese Abgrenzung symbolisch und faktisch endgültig vollzogen. Bezeichnenderweise spricht Außenminister Morán in der Debatte nach der Unterzeichnung der Beitrittsverträge von dem europeismo als „distinktives Zeichen der spanischen Demokratie und einer der verbindenden und integrierenden Faktoren der politischen Klasse, ohne den dieses Projekt der demokratischen Konstruktion nicht hätte Statt finden können.“373 Die „Konversion“ des PSOE von der Oppositionspartei in heftiger NATOGegnerschaft zur Regierungspartei, die ihr politisches Schicksal mit dem positiven Ausgang des NATO-Referendums verknüpfte - oder anders gesagt: die „Transfiguration González’ vom Neutralitätsapostel zum Kreuzritter des Atlantismus“374 - vollzog sich in den ersten beiden Jahren seiner Regierung. Diese Konversion folgte zum einen aus dem Reifeprozess des in politische Verantwortung gekommenen Felipe González, von der Gesinnungs- zur Verantwortungsethik, wie er es selbst beschrieben hat. Aber wiederum – ähnlich nämlich wie bei Calvo Sotelo – spielte das Ziel der europäischen Integration die konditionierende Rolle. Es dauerte nicht lange, bis González pragmatisch und in Abkehr zu seiner vorherigen Position begann, die NATO-Frage anders einzuschätzen. Die Aussage González’ noch vor den Wahlen 1982: „Ich bin nicht anti-NATO und möchte das klar sagen. Wohl bin ich aber dagegen, dass Spanien nichts Positives aus dieser Integration herausholt“ deutet bereits darauf hin, dass auch er die Idee der Trumpfkarte NATO als Gegenleistung für den EG-Beitritt entdeckt hatte.375 Jedenfalls lässt González jene vormals von ihm bei Calvo Sotelo so heftig kritisierte strategische Verknüpfung von EG-Beitritt und NATOVerbleib wiederaufleben. „Es gibt eine psychologische Verknüpfung (…) zwischen dem Eintritt Spaniens in die EG und dem Verbleib in der NATO“, so González376. Diese strategische Verknüpfung bekam zusätzliche Nahrung durch das Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl am 3. Mai 1983. Die Inhalte des Gespräches liegen im zeitgeschichtlichen Halbdunkel und werden von den jeweiligen Teilnehmern ziemlich unterschiedlich eingeordnet. Fakt aber ist das Ergebnis dieses Gespräches: Völlig im Gegensatz zu seiner Partei sowie zu der deutschen Schwesterpartei SPD, zu seinen eigenen vorherigen Stellungnahmen und zu seinem Außenminister drückt Felipe González „Verständnis und Solidarität“ in Bezug auf die Stationierung der Mittelstreckenwaffen in Deutschland aus. Vieles deutet auf ein do ut des hin, das man kurz so zusammenfassen könnte: Wenn Spanien den NATO-Doppelbeschluss unterstützt und in der NATO bleibt, dann sorgt Deutschland dafür, dass Spanien so bald wie möglich in die EG kommt. Außenminister Morán jedenfalls war so verärgert über das Gespräch, dass er vorzeitig nach Madrid abreiste. Die Aussage zur Unterstützung der Pershing-Stationierung hielt er für „unnötig“, „vor allem, weil die Sozialdemokraten, Willy Brandt, eine andere Position hatten“. Ansonsten ist an diesem Teil meiner Befragung von Morán am Interessantesten, was Morán nicht sagte bzw. 373
Fernando Morán in der Debatte über das Projekt des Organisches Gesetzes zur Autorisierung für den Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften am 26.6.1985, in: MAE, Oficina de Información, 1985, S. 246 So die beiden Intellektuellen José Luis González und Miguel de Amado in ihrem politischen Portrait, La ambición del Cesar. Un retrato político y humano de Felipe González, Madrid 1989, S. 321f 375 Vgl., a.a.O., del Val Cid, S: 94. Die Aussage González’ stammt aus einem Interview mit dem Diario 16, am 3.10.1982 376 Felipe González in El País, 22.9.1984 374
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was er ganz offensichtlich nicht sagen wollte.377 Eine Frage mit Antwort aber soll hier wörtlich wiedergegeben werden: Frage: Man sagt, dass Kohl in diesem Gespräch Vertrauen fasste, da González seine Unterstützung für die Installation der Mittelstreckenwaffen artikulierte und dass dies der Grund war, warum Kohl später auf dem Gipfel von Stuttgart sich so sehr für den Beitritt Spaniens und Portugals einsetzte und so die Verhandlungen weiter trieb. Antwort Morán: Das ist korrekt.“378
Die konkreten Auswirkungen dieser Verknüpfung in Bezug auf die Beitrittsverhandlungen werden im Abschnitt Transnationale Interaktion eingehender betrachtet. An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass es diese Verknüpfung der deutschen Unterstützung für den spanischen Beitritt und das NATO-Thema gab, wenn auch nicht explizit, wie Morán und Marín, der ebenfalls bei dem Gespräch anwesende Staatssekretär für die EG-Beziehungen, übereinstimmend sagen.379 Die „Botschaft“ des Gespräches, so Marín, habe zu der Politik der „kalkulierten Ambiguität“ geführt. „Kalkulierte Ambiguität“ wurde das von González kreierte Synonym für jene Strategie, die Marín so beschreibt: „Wenn Sie mir die Probleme mit der EG-Integration lösen, dann habe ich die Legitimität, um meinem Volk einen Positionswechsel (in der NATO-Frage – MK) zu unterbreiten. Vorher nicht.“380 Nach diesem Gespräch in Bonn änderte sich sichtbar das Verhalten González, so Rupérez.381 Es sollte „der Albtraum von Felipe González sein, (…) den am ehesten geeigneten Zeitpunkt für die Abhaltung einer Konsultation [eines Referendums – MK] zu finden, in der er, noch schwieriger, eine entgegen gesetzte Position würde vertreten müssen als zu jenen Tagen, als er vom dem Wahlversprechen inspiriert war.“382 Ohne gewollte Polemik muss man sagen, dass es eine ungeheuere Überzeugungsarbeit von Felipe González war, eine Bevölkerung, die 1975 mehrheitlich einen NATO-Beitritt befürwortet hatte (57%) zu einer mehrheitlichen Ablehnung des Verbleibs (57% in 1983) zu bringen, um dann im Referendum eine Befürwortung des Verbleibs von 52,5% zu erreichen. Schwierig war es al377
Auch nach zwanzig Jahren spürte man im Gespräch mit diesem Typus des intellektuellen Politikers die Verbitterung über jene Ereignisse um das Kohl-Gespräch, über den sich dann klar manifestierenden Pragmatismus González, den Morán als „Vordenker“ einer sozialistischen spanischen Außenpolitik, dargelegt vor allem in seinem 1980 erschienenen Buch „Una política exterior para España“, nicht mit seiner Programmatik vereinbaren konnte. Diese bestand unter anderem im Neutralismus und in einer anti-NATO-Haltung. In dem Maße, wie González einen pragmatischen Kurs fuhr und Morán diesem nicht bzw. nur widerwillig folgte, nahmen Einfluss und Gestaltungsspielraum des Außenministers ab. Schließlich entließ González ihn in dem Moment, da die Verträge mit der EWG unterzeichnet waren (1.7.1985). Daher rührt möglicherweise ein weiterer Grund für die Verbitterung Moráns. 378 Interview Morán 379 Javier Rupérez bestätigte auf Grund seiner indirekten Informationen diesen Inhalt ebenso, und zwar wie folgt: „Ich bin davon überzeugt, dass Kohl Felipe González Hilfe anbot bei Spaniens EG-Beitritt gegen zwei Dinge: eine war, dass er nicht aus der NATO austrete, und die andere, dass er Deutschland helfe bei der Stationierung der Mittelstreckenwaffen. Und ich glaube auch, dass dieses Versprechen zu helfen mit einem Unterlassen der Hilfe präsentiert wurde in dem Fall, dass sich das nicht erfüllen sollte. Es muss einen sehr klaren Dialog gegeben haben: Wenn Du aus der NATO austrittst, trittst Du dem Gemeinsamen Markt nicht bei; und wenn Du mir nicht bei den missiles hilfst, dann wird es natürlich auch kompliziert, in den Gemeinsamen Markt hineinzukommen und ich kann Dir dann nur noch schwer helfen.“ Interview Rupérez. 380 Interview Marín 381 So Rupérez im direkten Anschluss ans eine Ausführungen (siehe Fußnote 195): „Warum ich glaube, dass das so war? Weil sich die Einstellung von Felipe González zum Thema NATO unmittelbar nach der Reise nach Bonn ändert.“ Interview Rupérez 382 Ebd., S. 275
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lerdings auch, die eigene Partei bei diesem Positionswechsel mitzunehmen. Der PSOE, der ja nach der Regierungsübernahme insgesamt eine Evolution der politischen Moderation durchmachte, entideologisierte schrittweise seine außenpolitischen Positionen. Dies gepaart mit dem Pragmatismus Felipe González rief bei den „Ideologen“ der Partei Unmut hervor. Dies betraf insbesondere den intellektuellen Vordenker der sozialistischen Außenpolitik, Fernando Morán, so dass sich erneut eine schwierige Konstellation zwischen Ministerpräsident und Außenminister ergab, die wiederum mit der Entlassung des letzteren endete. Es gab aber auch über Morán hinaus eine starke Strömung in dem PSOE, dazu gehörten etwa der Vizepräsident und zweite Mann der Partei, Alfonso Guerra, sowie einige Minister, unter anderem der spätere NATO-Generalsekretär und spätere Hohe Vertreter der GASP, Javier Solana -, die sich auch öffentlich gegen diese neue NATO-Politik stellten. Die Kommunistische Partei blieb auf dem anti-NATO-Kurs, die Volkspartei blieb bei ihrer pro-NATOHaltung. Und so wie die Spaltung durch die Parteien und das Parlament ging, war es auch bei der Bevölkerung. Erst im Dezember 1984 (XXX. Parteikongress) konnte González seiner Partei die Unterstützung für seine Politik und für das Abhaltens eines Referendums abringen, wobei er sich den Zeitpunkt offen hielt („im opportunsten Moment“). Die Festlegung des Zeitpunkts schließlich ist der beste Beweis für die Verknüpfung von EG-Beitritt und NATO-Verbleib: Nachdem auf dem Gipfel von Fontainebleau im Juni 1984 erstmals ein Beitrittsdatum für Spanien genannt worden war, nämlich der 1.1.1986, verkündet González vier Monate später 1984383 den Zeitpunkt für das Referendum: Anfang 1986, das heißt, nachdem alle EG-Mitglieder den Beitrittsvertrag ratifiziert haben würden und Spanien der EG beigetreten sein würde. So hätte der EG-Beitritt nicht mehr gefährdet werden können, selbst bei einem negativen Ausgang des Referendums. Der positive Ausgang aber öffnete eine neue Periode in der spanischen Sicherheitspolitik und verkörperte zudem aber die bereits von Calvo Sotelo angestrebte Vollendung der transición externa, der externen Transition. Die letzte franquistische Erbschaft wurde erst 1988 endgültig beseitigt durch die Einigung mit den USA über die Entnuklearisierung Spaniens. Und zum anderen trat Spanien 1988 der WEU bei, eine sehr bewusste Entscheidung, so Morán, „in der Funktion, die atlantischen Beziehungen zu europäisieren. Das heißt, unseren Beitrag zur Allianz wesentlich zu präsentieren als Konsequenz unserer europäistischen Option.“384 In Bezug auf die Bevölkerung muss vorausgeschickt werden, dass die Bedeutung der Außenpolitik in Spanien relativ hoch eingeschätzt wird. 85 Prozent messen ihr gegenwärtig viel oder ziemlich viel Bedeutung bei.385 Uns interessieren hier vor allem zwei Aspekte: die Einstellung zur EG, aber auch, ob die Bevölkerung eine Einflussnahme oder Wechselwirkung der EG mit innenpolitischen Fragen wahrnahm. Wie bereits in den jeweilig untersuchten Phasen gezeigt, war die Einstellung zu Europa bzw. der EG überwiegend positiv; ein Punkt, der sich bis heute nicht geändert hat.386 Dass dies nicht selbstverständlich war, zeigt 383
Bei dem Bericht zur Lage der Nation am 23.10.1984 Morán, Fernando, España en su sitio, Barcelona 1990, S. 373 385 Umfrage 2446 “Los españoles y la política exterior”, Sept-Dez. 2002, Datenbank CIS 386 Es ergibt sich ein methodisches Problem bei der Erstellung einer Zeitreihe zu dieser Frage. Uns liegen zwei maßgebliche Quellen vor: die seit 1981 für Südeuropa regelmäßig erstellten Werte des Eurobarometer sowie ebenfalls regelmäßig erstellte Umfragen des staatlichen spanischen Meinungsforschungsinstituts CIS. Interessanterweise weichen die Werte ab und zwar dergestalt, dass die positive Beurteilung des EG-Beitritts (Die Frage lautet: „Ist der EG-Beitritt eine gute/schlechte Sache, weder- noch“) im Eurobarometer meist höher liegt als bei der des CIS. Das CIS selbst stellte dies fest und erklärte das damit, dass möglicherweise der Druck auf die Befragten bei Interviewern der EWG implizit oder explizit höher ist, eine positive Bewertung abzugeben. Vgl., „La Opinión pública española ante Europa y los europeos“, (Estudios y Encuestas, Nr. 17), Okober 1989, S. 46. 384
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der Vergleich mit der portugiesischen Bevölkerung, deren positive Einstellung zur EG halb so niedrig war.387 Kennzeichnend in Portugal war die hohe Rate an Unentschiedenen oder Desinteressierten388. Die Spanier dagegen waren bereits sehr früh gut informiert sind und hatten eine positive Einstellung zum Beitritt (zwei Komponenten, die oft miteinander einhergehen).389 1982 aber stellt das Eurobarometer nach zwei Erhebungen fest, dass das Interesse in Spanien wie in Portugal abnehme, „was zweifellos mit den schleppenden Verhandlungen und der damit verbundenen Verschiebung des Beitrittstermins zu tun hat“.390 Ganz allgemein gesprochen erwartete gut die Hälfte der Spanier vor dem Beitritt positive Konsequenzen von der Integration.391 Und die Messungen zwanzig Jahre später zeigen, dass sich diese Erwartungen bestätigten.392 Aufschlussreicher aber ist die Differenzierung in einzelne Aspekte. Die spanische Bevölkerung verband mit der künftigen EG-Mitgliedschaft konkrete Erwartungen, und zwar die Absicherung der Demokratie, Anregen der Wirtschaft, ein größeres Gewicht in internationalen Angelegenheiten.393 In mehreren Umfragen kristallisierte sich heraus, dass die Spanier vor allem positive Auswirkungen des EG-Beitritts erwarteten auf den Export, das Funktionieren der Demokratie und die eigene Rolle in der Welt.394 Insgesamt positiv wurden auch die Auswirkungen auf die einzelnen Sektoren erwartet wie Industrie, Landwirtschaft, Handel, Kultur, Tourismus, Warenauswahl. Während gut ein Jahr nach dem Beitritt395 die Einschätzung der positiven Auswirkungen im politischen Bereich, nämlich das Funktionieren der Demokratie (positiv: 65%) und die Rolle in der Welt (72%), sogar noch anstieg, und auch in Bezug auf die gesellschaftliche Modernisierung überwiegend positive Effekte (70%) gesehen wurden, fiel die Einschätzung für den wirtschaftlichen Bereich deutlich schlechter aus.396 Gerade die vor dem Beitritt hohen Erwartungen hinsichtlich des Exports rutschten ab; sehr negativ wurden die Wirkungen auf etwa auf die Arbeitsmarktsituation (negativ: 78%), die Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Industrie (74%) und die Preisentwicklung (61%) beurteilt sowie auf die Industrie, den Handel, die Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei.
Dies stört das Gesamtbild aber insofern kaum, da die Tendenz der überwiegenden Befürwortung so oder so eindeutig ist. Interessant sind zudem eher zum einen der Vergleich mit Portugal und, zum zweiten, die Schlussfolgerungen. Dazu mehr im Haupttext. 387 Die portugiesische Zustimmung lag bei 27% im Herbst 1984. Erst kurz vor dem Beitritt im Herbst 1985 machte sie einen Sprung auf 60% und bewegte sich damit in die Richtung des EG-Durchschnitts. In Griechenland passierte dies erst 1987 (59%) bzw. 1988 (67%). Die Werte seit beim Beitritt waren dagegen bei etwa die 50%. Siehe a.a.O., Eurobarometer 45, Seite 18, 19, 25 388 Oktober 1980: 59%, Oktober 1981: 60%, Herbst 1982: 55%. Erst 1984/85 ging die Zahl langsam zurück (46% bzw. 45%), und kurz vor dem Beitritt sank die Zahl (auf 30%) diametral zu dem Ansteigen der Befürworter. Vgl., Eurobarometer, 18, Herbst 1982, Tab. 40 sowie Eurobarometer 24, Herbst 1985, Tab. 35 389 Vgl., Eurobarometer 16, Herbst 1981, S. IV 390 Eurobarometer 18, Herbst 1982, S. 96, siehe auch analog Eurobarometer 17, Frühjahr 1982, S. 88. Hier weichen die Daten des Eurobarometers ab von denen des CIS. 391 56% in 1980, 51% in 1985, vgl., a.a.O., Opinión pública 392 55% bewerteten die Konsequenzen des Beitritts in 2000 positiv. Vgl., CIS, Datos de Opinión, Oktober/Dezember 2000, S. 1 (Umfrage vom Mai 2000) 393 Vgl., Eurobarometer 16, Herbst 1981, S. IV 394 Die Zahlen des Eurobarometers beziehen sich auf 1981 und 1984, die des CIS auf 1983. Siehe Eurobarometer 24, Herbst 1985, Tab. 36, S. 92 sowie a.a.O., Opinión pública, S. 341ff. 395 Vgl., CIS, Los españoles ante el segundo aniversario de la firma del tratado de adhesión de España a la Comunidad Europea, (Estudios y Encuenstas, Nr. 9), Madrid 1988, S. 37ff 396 Fast ausgeglichen sind die Einschätzungen in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung (positiv: 46%, negativ: 40%) und die Möglichkeiten, sich der Weltwirtschaftskrise zu konfrontieren (positiv: 40%, negativ: 35%).
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In den 1980er Jahren stieg die positive Einschätzung im politischen Bereich (Werte um 70%) und blieb in den 1990er Jahren auf hohem Niveau (Werte um 50%). Dass die Werte insgesamt niedriger wurden, kann damit erklärt werden, dass Mitte der 1990er die Spanier diese Aspekte - funktionierende Demokratie, modernisierte Gesellschaft, eigene Rolle in der Welt – als erfüllt ansahen. Dennoch wurden die Auswirkungen auf den politischen Bereich deutlich positiver eingeschätzt, nämlich doppelt so vorteilhaft wie auf die wirtschaftliche Entwicklung.397 Knapp zehn Jahre nach dem Beitritt sagten mehr als die Hälfte der Spanier, dass die Auswirkungen der EG/EU-Mitgliedschaft für die Bereiche Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und Arbeitsmarkt negativ seien. Die vormals ebenso schlechten Werte für Handel und Industrie pendelten sich eher in einem mittleren Bereich ein.398 Gleichzeitig lässt sich eine hohe positive Einschätzung ablesen (um die zwei Drittel) in neu abgefragten Bereichen wie Verbesserung der Infrastruktur und Einführung neuer Technologien. Auch im kulturellen Bereich ergeben sich hohe Werte (über 50%). Und die Auswirkungen auf die Entwicklung der benachteiligten Regionen des Landes werden ebenfalls eher positiv (40%) beurteilt.399 Diese Einschätzung – also niedrige Werte in den „traditionellen“ Sektoren, der Arbeitsmarkt-, Preis und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hohe Werte in Infrastruktur, neue Technologien und Kultur sowie hohe Werte im politischen Bereich verfestigen sich im Laufe der 1990er Jahre. Was lässt sich daraus ablesen hinsichtlich der Relation zwischen erfüllten oder nicht erfüllten Erwartungen und der Einstellung zur EG/EU? Obwohl die Erwartungen in Bezug auf die wirtschaftlichen Vorteile bereits kurz nach dem Beitritt als nicht erfüllt angesehen wurden und die Einschätzung der wirtschaftlichen Vorteile bis heute schlecht geblieben ist, hat sich dies nicht auf die seit der Franco-Zeit durchgehend positive Einstellung, die über dem europäischen Durchschnitt liegt, ausgewirkt. Das bestätigt erstens, die von der politischen Elite immer hervorgehobene Dominanz politischer Motive für den EG-Beitritt. Zweitens werden das Bewusstsein der politischen Dimension der europäischen Integration und die politische Motivation der Bevölkerung bestätigt. Die Spanier assoziieren mit Europa überwiegend Demokratie (50%), und erst weit dahinter rangiert der Begriff freier Markt (32%); und wiederum mit Abstand die Begriffe Wohlstand und Wettbewerb (24%).400 Auf die Frage, was es bedeute, sich europäisch zu fühlen, lagen an erster und zweiter Stelle die Antworten „die alten Rivalitäten zu vergessen und in Frieden zu leben mit den Nachbarvölkern“ sowie „zur gleichen kulturellen Tradition zu gehören und mehr oder weniger die gleiche Lebens- und Denkensform zu teilen“. Das heißt, auch hier stehen wieder politische oder kulturelle Gründe im Vordergrund, wenngleich als Motive für den Zusammenschluss Europas die wirtschaftlichen Verbindungen genannt werden. Es wird also offensichtlich unterschieden zwischen den eigenen Integrationsmotiven und denen der anderen Länder.Bei der Beurteilung der Zeit zwischen 1975 und 2000 sehen die Spanier mehrheitlich vor allem 397
1994 beurteilten die Spanier die Effekte der EG-Mitgliedschaft als sehr gut/gut: 1. auf die Rolle Spaniens in der Welt zu 65%, 2. auf die Modernisierung der Gesellschaft zu 63% und 3. auf das Funktionieren der Demokratie zu 54%. Dagegen die Werte für den wirtschaftlichen Bereich in vorteilhaft-nachteilig: 1. Preisentwicklung: 14% – 54%; 2. Möglichkeit, Arbeit zu finden: 13% – 47%; 3. Gehälter: 12% - 49%; 4. wirtschaftliche Entwicklung: 31% - 33%. Vgl., CIS, „La opinión pública española y la integración europea: 1994“ (Opiniones y Actitudes), S. 50, Tab. 21 398 61% halten die Auswirkungen der EG-Mitgliedschaft für nachteilig für die Landwirtschaft, 59% für die Fischerei und 58% für die Viehzucht. Untersuchung Nr. 2130, Frage 3 vom Januar 1995 (Datenbank CIS) 399 Umfragen 2130 (Frage 3) vom Januar 1995, 2246 (Frage 5) vom Mai 1997, 2428 (Frage 5) vom Juli 2001; Datenbank CIS 400 A.a.O., Umfrage 2130 (Frage 15) vom Januar 1995, Datenbank CIS.
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Verbesserungen in der wirtschaftlichen Situation (80%); an zweiter Stelle wird derweil mit 73% bereits die internationale Situation genannt.401 Der Fokus des Interesses liegt dabei ganz klar in Europa (57%) und erst mit großem Abstand (9%) folgen die USA und Iberoamerika (7%).402 Mit demselben erheblichen Abstand wird als wichtigstes Ziel der internationalen Politik genannt, in der europäischen Integration fortzuschreiten403. Diese Befunde untersteichen die Bedeutung der internationalen Rolle Spaniens in der politischen Kultur, im Bewusstsein der Bürger. Dies überrascht wenig, erinnert man sich an die beiden historischen Traumata des Verlustes der Weltmachtrolle und der internationalen Isolation. Die Spanier assoziierten mit Europa Demokratie und Frieden, schätzten die positive Wirkung der EG-Mitgliedschaft auf das Funktionieren der Demokratie hoch ein und wiesen eine starke affektive Identifikation mit Europa auf. Dieser hohe Wert, den die Spanier der EG für ihre Demokratie und die Modernisierung ihrer Gesellschaft zumaßen, wog die Zweifel bezüglich der wirtschaftlichen oder sektoralen Vorteile bzw. die nachteiligen Erfahrungen auf. Spanische und europäische Identität - españolismo und europeísmo – wurden von den Spaniern nicht als Gegensätze empfunden. Die Zugehörigkeit zur EG und die damit verbundene Auszeichnung als demokratisches Land symbolisierten den doppelten Bruch mit der als negativ empfundenen Vergangenheit. Der Beitritt in die EG implizierte eine doppelte Neujustierung: die des nationalen und des internationalen Selbstbildes. Dies macht den faktischen sowie den psychologischen Konnex deutlich zwischen einerseits dem Ende des Franco-Regimes und der Demokratisierung sowie andererseits zwischen Isolierung und EG-Mitgliedschaft. Die definitive und feste Verankerung in Europa, um die es zwischen 1979 und 1986 ging, intendierte mehr als eine Neuordnung der außenpolitischen Beziehungen. Sie barg in sich die Verknüpfung eines Neuanfangs in Form der Demokratisierung und der Einbettung dieser Demokratie in die Europäische Gemeinschaft, und bot damit zugleich eine Zukunftsperspektive für Spanien als europäische Demokratie. 2.5.2 Externer Kontext: Normalisierung für Spanien Auf globaler Ebene beeinflussten Spanien bis 1986 vor allem zwei Dinge: die Energiekrise von 1979, die das Land schwer traf und die spanische Wirtschaft in die schlimmste Krise seit 1977 führt, und der NATO-Doppelbeschluss. Über den NATO-Doppelbeschluss und seine Bedeutung für Spanien wurde im vorigen Kapitel bereits gesprochen. Den Wandel der internationalen Rolle Spaniens und das Agierens seiner Regierung nach 1986 kann man gut beobachten anhand der externen Ereignisse und der externen Wandlungsprozesse. Es zeigte sich, dass Spanien nach der bzw. durch die Integration in die EG und die NATO sein äußeres Profil schärfen konnte in einer Art und Weise, wie man es nur einige Jahre zuvor kaum hätte vermuten können, sogar in traditionellen Einflussbereichen (wie der arabischen Welt). Das lag freilich auch an dem überaus klugen und geschickten Agieren Felipe González und seines Außenministers Fernández Ordoñez (1985 bis 1992). 401
Felix Moral, 25 años después. La memoria del franquismo y de la transición a la democracia en los españoles del año 2000, Madrid 2002 (CIS: Opiniones y Actitudes Nr. 36), S. 26f Vgl., CIS, La opinión pública española ante Europa y los europeos, (Estudios y Encuestas 17), Oktober 1989, S. 12 und 14 (Tab. 2 und 3) 403 8% befürworten die Vertiefung der Beziehungen mit Lateinamerika, 7% den Beitrag zur Entwicklung der Dritten Welt. Vgl., CIS, „Los españoles ante la política exterior“, Umfrage 2446 vom September-Dezember 2002 (Datos de opinión) 402
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Ab 1985/86 war die internationale Situation von Entspannung und Annäherung zwischen den beiden Großmächten geprägt. Die großen Brüche, die ab 1989 die internationale Ordnung vollkommen umwarfen, wurden von der spanischen Regierung im europäischen Rahmen mitgestaltet. Aus spanischer Perspektive, so Powell, entbehrte es zwar nicht einer gewissen Ironie, dass die Ordnung, in die man sich einzugliedern so sehr bemüht hatte, nur wenige Jahre nach 1986 zerbrach. Aber im Gegensatz zu all den anderen Wandlungen des 20. Jahrhunderts, war Spanien diesmal in der Lage, als relevanter Akteur bei diesem Prozess beizutragen. Angesichts der maßgeblichen Neuordnungen im externen Kontext war Spanien nicht mehr ein passives Zuschauer der europäischen und internationalen Staatengemeinschaft, sondern aktiv teilnehmendes und teilweise auch mitgestaltendes. Während also Spaniens Handlungsmöglichkeiten vor 1986 noch immer bestimmten Beschränkungen unterlegen waren, bedeutete die Westintegration oder die „Okzidentalisierung“ – wie es in der spanischen Literatur gerne genannt wird – eine Ausweitung des Handlungsspielraums. Dies gilt natürlich auch und erst recht für die Rolle Spaniens in der EG/EU. In der Integrationsdynamik, die die EG mit der Einheitlichen Europäischen Akte erfasst, wollte Spanien nicht abseits stehen. Die Teilhabe an Europa wurde zur raison d’etat. Es vollzog sich während der Konsolidierungsphase, definitiv aber ab 1986, eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den externen Akteuren und Spanien. In dem Moment, da Spanien als konsolidierte Demokratie und Partner in der euroatlantischen Gemeinschaft betrachtet wurde, normalisierten sich die Beziehungen im Sinne eines ausgewogenen und gleichberechtigten, und nicht mehr wie zuvor asymmetrischen, Verhältnisses. 2.5.3 Transnationale Interaktion: den Acquis im Blick Für die Regierungen Calvo Sotelo und González bestand das prioritäre Ziel in der zügigen Integration in die EG. Die Ausgangssituationen stellten sich ebenfalls ähnlich dar: einerseits die Bevölkerung und öffentliche Meinung, die ungeduldig wurden und Fortschritte sehen wollten; andererseits der quasi Stillstand der Beitrittsverhandlungen seit dem Gisgardazo im Juni 1980, dem sich die Regierung Calvo Sotelo gegenübersah, sowie eine ähnliche Blockadeinitiative Mitterrands zwei Jahre später, im Juni 1982, die die PSOERegierung bewältigen musste. Als Giscard d’Estaing im Juni 1980 erklärte, dass keine Erweiterung der Gemeinschaft stattfinden solle, bevor die Probleme der vorherigen nicht gelöst seien, war dies bereits ein Schock für die Regierung Calvo Sotelo. Gleichzeitig schrieb man diese Aussage in gewisser Weise der Wahlkampfsituation in Frankreich zu und hoffte dann nach dem Wechsel zu Mitterrand im Mai 1981 auf neuen Schwung. Diese Hoffnung erwies sich allerdings als unbegründet, als Mitterand auf dem Gipfel des Europäischen Rates im Juni 1982 dieselbe Position wie sein Vorgänger einnahm und zudem von der Kommission eine Liste über die ausstehenden Themen und die Konsequenzen der Erweiterung für jedes Mitgliedsland anforderte.404 Diese „Inventarliste“ wurde von Spanien als Verzögerungstaktik empfunden, und die Frustration über das fehlende Zieldatum und die stagnierenden Verhandlungen nahmen zu. Insbesondere hatte man in Spanien nach dem Putsch vom Februar 1981 mit einer Beschleunigung der Verhandlungen gerechnet. Felipe González betrat somit die Verhandlungsbühne zu einem Zeitpunkt, als es die Beitrittsfrage mit ungebrochen hoher Priorität, aber auch großem Problem behaftet war. Mit welchen Strate404
Vgl., dazu a.a.O., Kessing’s, 10.10
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gien entgegneten die Regierungen Calvo Sotelo und González einerseits dem innenpolitischen Druck, andererseits der stagnierenden Beitrittsfrage? Beide nutzen folgende Muster:
Der Ausdruck der Enttäuschung darüber, dass der Unterstützung für den demokratischen Prozess und die Mitgliedschaft in der EG die Reserve in den wirtschaftlichen Fragen während der Verhandlungen gefolgt ist; der Hinweis auf die Frustration des spanischen Volkes, was zugleich ein taktischer Zug war. das In-die-Verantwortung-nehmen der EG.
Letzteres wandte bereits Perez-Llorca an. Er wies nach dem Putsch auf die Verantwortung der EG hin. Dieses in die Pflicht nehmen war insofern erfolgreich, als die Blockade durch Giscard zunächst einmal aufgeweicht wurde. Die PSOE- Regierung verschärfte den Ton und den Hinweis auf die Verantwortung noch einmal mehr. „Der Gemeinschaft kommt die Pflicht zu, soweit es in ihrer Hand ist, solidarisch bei dieser Anstrengung (der Konsolidierung) mitzuarbeiten und so die Verantwortlichkeit für eine kollektive Frustration zu vermeiden.“ [H.d.MK]405 (Außenminister Fernando Morán) „Meine Regierung erwartet daher eine klare Haltung von Seiten der Mitgliedsstaaten und der Gemeinschaftsinstitutionen, die in einem vernünftigen Zeitraum die Integration Spaniens in die Europäischen Gemeinschaften möglich macht. Das Gegenteil würde eine schwere historische Verantwortlichkeit der Gemeinschaft vor dem spanischen Volk darstellen.“ [H.d.MK]406 (Regierungschef Felipe González)
Die Unterschiede zwischen den beiden Regierungschefs lagen in der Verhandlungsstrategie. So erkannte die PSOE-Regierung, dass es eine „Zeitverschwendung“ sei, sich im bzw. mit dem Ministerrat zu bemühen. „Wir erkannten, dass die einzige Form, die Schwierigkeiten zu brechen, bilaterale Verhandlungen waren.“407 Diese Bilateralisierung sah so aus, dass man die einzelnen Mitgliedsstaaten, ihre Interessen, Vorbehalte und Probleme „abarbeitete“. Es wurde eine Analyse der Interessen erstellt, auf Grund dessen die Regierung dann versuchte, „eine mehr oder weniger homogene Position zu formulieren.“408 Als erstes versuchte man zum Beispiel, die Beziehungen zu Frankreich zu verbessern, die einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatten und zum anderen der Schlüssel zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen waren. Dies geschah in einer „kollektiven Therapie“, wie Bassols es ausdrückt, bei einer Arbeitsklausur im Januar 1983, die tatsächlich die französische Verkrampfung löste. Das Ergebnis des Gespräches mit dem deutschen Bundeskanzler Kohl wurde bereits dargestellt. Zweitens wich man davon ab, auf eine Festlegung des Datums zu dringen, sondern verlegte sich darauf, Kapitel zu schließen.409 Eine dritte Modifikation der spanischen Verhandlungsstrategie bestand darin, selbst initiativer und aktiver zu sein; das konnte auch heißen, von dem „normalen“ institutionellen 405 Fernando Morán vor dem Ministerrat der EWG am 13.12.1982, seine erste Rede vor diesem Gremium kurz nach Regierungsantritt. 406 Felipe González in seinem Brief an die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten am 18.11.1983, in: a.a.O., MAE, Oficina de Información, 1983, S. 842f 407 Interview Marín 408 Ebd. 409 Vgl., a.a.O., Armero, S. 162
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Weg abzugehen und eigene Initiativen zu ergreifen. Dazu zählte die Bilateralisierung, aber auch etwa der Brief, den González im November 1983 an die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten richtet, um sie in die Pflicht zu nehmen. Ein Vorgehen, das er knapp ein Jahr später wiederholte, als es wieder Verzögerungen gab.410 Die Regierung González brachte so eine neue Dynamik in die Verhandlungen. Sie hatte allerdings auch durch ihre Mehrheitsverhältnisse eine stärkere Ausgangssituation, und besaß den Vorteil, eine neue Generation und damit auch einen neuen Stil zu repräsentieren und vor allem, nicht mit dem franquistischen Regime assoziiert zu werden. Dazu kam das sehr geschickte, bald recht staatsmännische Agieren des jungen Regierungschefs González, der seine Kollegen positiv überraschte. Hilfreich war sicher auch die Tatsache, dass gerade zwischen dem deutschen und dem spanischen Regierungschef „die Chemie“ stimmte, und seit Mai 1983 eine vertrauensvolle, stabile Verständigung entstanden war. Kennzeichnend für die Handhabung außenpolitischer Themen sowohl in der Transitions- wie in der Konsolidierungsphase war vor allem die starke Personalisierung.411 Seit der Regierungsübernahme durch Suárez lässt sich feststellen, dass der Regierungschef die entscheidende Rolle spielte und sowohl die Orientierung als auch die Umsetzung der Außenpolitik bestimmte. Nicht zuletzt deswegen kam es im Konfliktfall mit anderen Strömungen oder gar dem eigenen Außenminister zur Durchsetzung der Linie des Ministerpräsidenten und eher zur Entlassung des Ressortchefs. Diese Personalisierung setzt sich fort unter Calvo Sotelo – hier allerdings bestens synchronisiert mit seinem Außenminister – sowie unter Felipe González, wo sie eher noch zunimmt. Erst mit der endgültigen Verortung Spaniens im internationalen Umfeld und mit seiner klaren und unwiderruflichen Definition 1986 bzw. 1988 beginnt sich die spanische Außenpolitik zu entpersonalisieren und sich schrittweise dem im restlichen Europa „normalen“ bürokratischen Modell anzugleichen.412 Motive und Ziele der EG Die EG hatte Ende der 1970er, Anfang der 1980er zwei Herausforderungen zu bewältigen: die innere Krise (Haushaltsdefizit, strukturelle Reformen, Eurosklerose) und die Süderweiterung. Die beiden damit zusammenhängenden Ziele - Bewältigung der inneren Krise und Begleitung der demokratischen und wirtschaftlichen Umstrukturierung Südeuropas – erwiesen sich als von einander abhängig. In dieser schwierigen Phase der Verhandlungen, insbesondere auch nach dem Putsch im Februar 1981, zeigten sich die unterschiedlichen Haltungen der Organe der EG. Auf der Ebene von Europäischem Rat bzw. Rat stand seit der Blockade Giscards die Lösung der internen Probleme an. Zweifelsohne war die Reformnotwendigkeit innerhalb der EG nicht von der Hand zu weisen, bloß die Einigung darauf erwies sich als schwierig. Solange diesbezüglich keine Regelung gefunden werden konnte, kamen die Verhandlungen 410
Vgl., Interview Marín Siehe dazu a.a.O., del Arenal, S. 395ff und 407ff 412 Dabei spielte auch der Übergang von dem stärker ideologisch-intellektuell geleiteten Außenminister Morán zu dem von Juli 1985 bis 1992 amtierenden Fernández Ordóñez und seinem eher realistischen Ansatz eine Rolle. Die Europapolitik lag übrigens bei dem Anfang 1978 geschaffenen Ministerium für die Beziehungen zur EG, das Calvo Sotelo – selbst Inhaber dieses Portefeuilles bis September 1980 – 1981 wieder in das Außenministerium eingliederte. Alsdann waren die jeweiligen Staatssekretäre für die Beziehungen zur EG/EG die Chefverhandler (namentlich Bassols und Marín). 411
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nur in bestimmten Politikfeldern voran. Für Frankreich rangierten die inneren Fortschritte eindeutig vor der Aufnahme Spaniens und Portugals. Die anderen Mitglieder setzten sich von dieser Position ab und bekräftigten ihre Unterstützung für den Beitritt Spaniens und Portugals, wenngleich auch der deutsche Bundeskanzler, Helmut Schmidt, Anpassungen in der Agrarpolitik und eine ausgeglichenere Verteilung der Lasten bei der Finanzierung als unerlässlich betrachtete.413 Solange Frankreich aber kein grünes Licht gab, konnte keine Entscheidung getroffen werden über ein Zieldatum und den Weg dorthin. Der Putsch im Februar 1981 machte für die spanische Regierung die Dringlichkeit einer baldigen Beitrittsperspektive als Unterstützung für den Konsolidierungsprozess umso deutlicher. Auch in der EG rückte zwischen Oktober 1981 und Juni 1982 zwar die politische Komponente wieder in den Vordergrund und ermöglichte, dass zumindest einige Kapitel verhandelt und soweit abgeschlossen werden konnten. Aber die nächste Blockade Frankreichs - diesmal durch den neuen Präsidenten François Mitterrand – stoppte diesen neuen Schwung wieder. Es bedurfte vier Gipfel414, bis die Hindernisse für den Beitritt Spaniens und Portugals beseitigt waren. Die Zerschlagung des Knotens und die Re-Fokussierung des Europäischen Rates auf die politische Bedeutung der Erweiterung gelangen aber erst 1983 auf dem Gipfel von Stuttgart. Dort wurde ein „Gesamtpaket“ geschürt, das konkrete Lösungen für die Probleme Eigenmittel, GAP etc. mit der Süderweiterung verknüpfte. Vor allem aber verließ man die Ebene der Deklarationen. Der Präsident der damaligen Kommission, Gaston Thorn, der das Scheitern des Gipfels befürchtet hatte, sagte danach: „Wir verdanken es dem persönlichen Einsatz von Bundeskanzler Kohl, der dafür das ganze Gewicht seiner Autorität in die Waagschale geworfen hat.“415 Chefverhandler Marín beschreibt dies so: „Kohl spielte eine entscheidende Rolle beim Europäischen Rat in Stuttgart. Wenn Kohl beim Europäischen Rat in Stuttgart nicht gesagt hätte: ‚Herr Mitterrand, Sie wollen Ihre mediterranen Produkte schützen. Frau Thatcher, you want your money back – okay, aber unter einer Bedingung: Man muss den Spaniern und Portugiesen ja sagen.’ (…) Und dann verknüpfte Kohl dies: ‚Wenn Ihr Ja sagt, dann gibt Deutschland das Geld.’ Und das war fundamental…“416
Während die Mitgliedsstaaten – sprich die französischen Partikularinteressen - über weite Strecken die politischen Ziele hintan treten ließen, sah dies bei EP und Kommission anders aus. Kurz nach der Blockade durch Giscard d’Estaing bekräftigte der Vizepräsident der Kommission, Lorenzo Natali, den „politischen Imperativ“ der Beitritte und meinte, „Diese Imperative müssen die wirtschaftlichen und sektoralen Fragen, hinter denen die politischen Aspekte der Erweiterung so oft verborgen bleiben, in den Hintergrund treten lassen.“417 Diese Haltung nahmen Kommission und EP ein. Das EP setzte seine Linie als Sachwalterin der politischen Aspekte fort. Es hob die „politische Bedeutung der Erweiterung sowohl für die Kandidatenländer als auch für die Gemeinschaft, ebenso wie die Suche nach einem 413
A.a.O., Keesing’s 10.6 In Stuttgart (Juni 1983) wurde das Lösungspaket geschnürt, Athen im Dezember 1983 („eine authentische Katastrophe“, so Bassols, a.a.O., S. 291) und Brüssel im März 1984 bleiben ergebnislos; in Fontainebleau (Juni 1984) wurde endlich das Beitrittsdatum festgelegt. 415 Thorn, Gaston, Rede des Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach dem Gipfel am 29.6.1983, in: Europa-Archiv, 38/1983, Dokumente, S. D428ff, hier: S. 428 416 Interview Marín 417 Natali, Lorenzo am 24.6.1980, in: Europa-Archiv, 35/1980, Dokumente, S. 529ff, hier: S. 529 414
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wirtschaftlichen und sozialen Gleichgewicht für die Länder und Regionen“ hervor und die „Verantwortung der Gemeinschaft in Bezug auf die Aufrechterhaltung und Stärkung der Demokratie in Spanien“ zusammen mit der Forderung nach einer Beschleunigung der Verhandlungen.418 Und wenige Monate später verabschiedete das EP eine Entschließung, dass der Beitritt am 1.1.1984 stattfinden sollte und rief den Europäischen Rat von London auf, den Beitrittstermin zu bestätigen, was er aber nicht tat. 419 Dies verdeutlicht, dass die Organe während des Verhandlungsprozesses durchaus verschiedene Prioritäten hatten. Methoden und Instrumente Grundsätzlich werden die Maßnahmen und Mittel der EG während Konsolidierungsphase durch zwei Aspekte geprägt: durch die Beitrittsverhandlungen zur Übernahme des Acquis durch die Beitrittskandidaten und durch eventuelle Reaktionen auf Gefährdungen der demokratischen Entwicklung, wie das durch den Putsch von 1981 der Fall war. Der Prüfstein für die spanische Demokratie war der Putschversuch im Februar 1981, auf den das externe Umfeld entsprechend reagiert: die Handlungsweise des Königs und der Parteien sowie die Haltung des Volkes lobend, die Putschisten verurteilend. Nur ein einziges Land bezog keine klare, die parlamentarische Demokratie stützende Position: Der amerikanische Außenminister Alexander Haig bezeichnete den Putschversuch als „internal affair“, was in Spanien sehr schlecht aufgenommen wurde, so Pérez-Llorca, bzw. zu einem großen Prestigeverlust der USA führte, so Marín.420 Die Reaktionen aus Europa dagegen kamen schnell und eindeutig. Jeglicher Versuchung und jeglicher Unterstützung eines autoritären Rückschrittes wurde von vorne herein eine Absage erteilt. Insgesamt ließ der Putsch die Verantwortung für die junge spanische Demokratie wieder deutlicher hervortreten, dies galt für den Rat (außer Frankreich), die Kommission und das Europäische Parlament. Nach dem Putsch reagierten Kommission und EP mit Deklarationen (24.2., 13.3.): Die Kommission drückte ihr Vertrauen in die konstitutionelle Ordnung aus. Das EP entwickelte einen Dreiklang: Gratulation an die offiziellen Autoritäten, die politischen Kräfte und das Volk, die sich hinter die Demokratie gestellt haben; Erinnerung an das Prinzip, dass nur parlamentarische Demokratien Mitglieder der EG werden können und schließlich Aufforderung an „die zuständigen Instanzen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen“.421
418
Entschließung vom 13.3.1981, Bulletin der EG, 3-1981, S. 73. Debatte über Erweiterung vom 19.11.1981; mit einer Entschließung mit 127 zu 7 Stimmen (1 Enthaltung) beschlossen. Bulletin der EG, 11-1981, S. 73. Weitere Entschließung des EP, die die politische Verpflichtung hervorhoben bzw. zur Lösung der internen Probleme drängten: am 17.11.1982, im Mai 1983, im September 1984, im Februar 1985. Es gab viel Unverständnis und Kritik vor allem von Seiten der Parlamentarier der beiden großen Parteien und der Liberalen. So kritisierte etwa die Die EVP-Gruppe des EP: „Die Mitgliedstaaten glaubten wieder einmal, sich ihrer Verantwortung entledigt zu haben, indem sie die Gemeinschaftsorgane und insbesondere die Kommission mit der Ausarbeitung von Dokumenten beauftragten: das „Mandat vom 30. Mai 1980“, der Bericht der Drei Weisen, der Genscher-Colombo-Plan (…), das Grünbuch über die Eigenmittel, die Bestandsaufnahme zur Erweiterung sind lediglich Vorwände, um die dringlichsten Entscheidungen von Rats- zu Ratstagung zu vertagen.“ Europäische Gemeinschaften, EP, Fraktion der EVP. Arbeit an der europäischen Einigung. Die Süderweiterung der Gemeinschaft, Luxemburg 1983, S. 11 420 Vgl. die entsprechenden Interviews 421 Resolution abgedruckt in : a.a.O., Bassols, S. 255 419
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Der Chefverhandler Marín berichtet, man habe von EG-Seite klar zum Ausdruck gebracht, dass bei einem Triumph des Putsches, Verhandlungen nicht mehr möglich seien, und Spanien niemals beitreten könne.422 Diese Reaktion bedeutete für die demokratischen Kräfte ein wichtiges Signal und wurde ganz anders als die amerikanische Reaktion positiv bewertet. Schließlich waren der Putsch und die dadurch neuerlich fokussierte politische Verantwortung auch ein Beweggrund für die Deblockierung der Verhandlungen durch den Rat im September 1981. Das EP ergriff dann ein weiteres Mal die Initiative, indem es kurz vor dem Londoner Gipfel im November 1981 den Europäischen Rat auf der Grundlage einer mehrheitlich befürworteten Resolution aufforderte, den Beitrittstermin auf den 1.1.1984 festzulegen. Auch der Vizepräsident der Kommission und der zuständige Erweiterungskommissar, Lorenzo Natali, hielt dieses Datum für realistisch: Weiterführung der Verhandlungen 1982, Ratifikation 1983, Beitritt 1984. Der Europäische Rat nahm aber diese Empfehlungen von EP und Kommission nicht auf, und letztlich wurde auf dem Gipfel von London lediglich die politische Verpflichtung für den spanischen Beitritts feierlich erklärt, allerdings ohne Termin. Das heißt: Im Moment einer Gefährdung der Demokratie regierten EP und Kommission mit Demokratie stützenden Deklarationen, während die konkreten Schritte im Verhandlungsprozess, die der Rat hätte einleiten müssen, fehlten. Das Ziel der Verhandlungsphase bestand in der Übernahme des Acquis durch Spanien und Portugal. Das Verhandeln um die einzelnen sechzehn Kapitel423 - gerade um die sensiblen Bereiche Landwirtschaft, Fischerei, aber auch Industrie – war im Falle Spaniens und Portugals von der starken Asymmetrie geprägt, die den Kandidaten wenig Spielraum und der Gemeinschaft erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten einräumte. Auf Grund der veränderten Qualität der Beziehungen, der anderen Zielsetzung der EG – Erfüllen der wirtschaftlichen Kriterien, nicht mehr der politischen – sahen auch Qualität, Methode und Inhalte der Einflussnahme anders aus. Bestanden die angewandten Instrumente der EG-Organe vorher in Empfehlungen, Deklarationen, teils auch mit Druck durch die Konditionalität, Protest etc. – also eher Überzeugungsarbeit mit mehr oder weniger Druck -, so reduzierten sich die Mittel mit Verhandlungsbeginn auf das Muster: Vorgabe durch die EG anhand des Acquis communautaire, Erfüllen dieser Anforderungen durch den Kandidaten. Das Ziel war die Anpassung Spaniens an den europäischen Standards, die Methode bestand in dem Diktat der Anpassungsmaßnahmen des Kandidaten. Dieser Anpassungsprozess an den Acquis ist mit substantiellen Reformen bei dem Kandidatenland verbunden. Hier lag die Haupteinflussmöglichkeit der EG während der spanischen Konsolidierungsphase, die mit den Beitrittsverhandlungen zusammenfiel. Solche Reformen betrafen die Wirtschaft (Restrukturierung, Privatisierung, Demonopolisierung etc.) bzw. sektorialen Bereich wie etwa die Konversion der Schwerindustrie bzw. generell die Umstrukturierung der Industrie. Andere Reformen griffen ein in bereits bestehende staatliche Strukturen wie etwa die Steuergesetzgebung. Oft deckten sich diese von der EG auferlegten Reformen mit der ohnehin vorhandenen Reformbedürftigkeit des Kandidatenlandes und erleichterten insofern auch diese Reformen, indem sie bereits Richtung und Inhalt der Lösungswege vorgaben. Dies wurde auch durchaus von der Regierung so wahr-
422
Vgl. Interview Marín Zollunion und Freier Warenverkehr im industriellen Sektor, Steuersystem, Regionalpolitik, Landwirtschaft, Verkehr, Wirtschaft und Finanzen, Soziales, EGKS, EURATOM, Fischerei, Dienstleistungen, Eigenmittel, Kapitalverkehr, Rechtsanpassung, Auswärtige Beziehungen, Patente (seit 1982).
423
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genommen: „Der Beitritt ist nicht die Lösung unserer Probleme, sondern der Rahmen, um unserer Probleme besser zu lösen.“424 „Europa ist nicht die magische Lösung unserer Probleme, obgleich die Lösungen unserer Probleme sicher durch Europa kommen. Die Integration in die Gemeinschaft wird nicht nur durch sich selbst die Krise in Spanien lösen, aber sie wird uns erlauben, ihr mit mehr Effizienz zu entgegnen, bereits durch die Verhandlung.“425
Als direkte Einflussnahme kann man den Druck bei dem Thema des NATO-Verbleibs nennen. Dass der Verbleib in der NATO vorteilhaft wäre für die Beitrittsfrage wurde der spanischen Regierung durchaus zu verstehen gegeben. Kommissionspräsident Thorn konstatierte gar die existierende starke Verknüpfung zwischen dem Beitritt zur EG und dem Verbleib in der NATO. Eine intendierte Maßnahme waren des Weiteren die finanziellen Hilfen. Diese bestanden vor allem in Darlehen, die sich auf die Stärkung Kleiner und Mittlerer Unternehmen, Investitionstätigkeit und Infrastrukturmaßnahmen konzentrierten. Spanien und Portugal erhielten Darlehen der Europäischen Investitionsbank zwischen 1981 und 1985.426 Portugal wurden zudem 100 Millionen nichtrückzahlbare Zuschüsse gewährt, die Spanien nicht genoss. Mit dem Beitritt partizipierten Spanien und Portugal dann an den Regionalfonds, Spanien mit dem zweithöchsten Prozentsatz nach Italien, Portugal mit dem vierthöchsten Satz. Diese Strukturförderung war ein entscheidender Faktor für die Modernisierung von Wirtschaft, Landwirtschaft und Fischerei sowie der Entwicklung einer modernen Infrastruktur. Insgesamt kann man sagen, dass während der Konsolidierungsphase für beide Akteure – EG und Spanien – auf der einen Seite die Aufarbeitung einiger Transitionsreste anstand und die Anpassung an EG-Standards. Es handelte sich dabei um schwierigere – teils auch langwierigere – Themen, die vorher von der spanischen Regierung nicht gelöst worden waren, bei denen die Reformnotwendigkeit aber durchaus bewusst war. Die EG formulierte dazu ihre Vorgaben und übte auch einen unbedingten Druck aus. Besonders unter dem Verhandlungsteam der UCD-Regierungen hat dies teils adverse Reaktionen hervorgerufen, und heute noch ist die Bitterkeit über die Härte der Verhandlungen zu spüren. Die PSOERegierung zeigte sich einerseits insistenter, andererseits flexibler. Vieles habe man akzeptiert, so Chefverhandler Marín, weil das politische Projekt wichtiger gewesen sei als die Sektoren, die man verhandelte. Zudem sei ihm von vielen gesagt worden: Akzeptieren Sie, treten Sie ein, und dann wenn Sie Mitglied sind, holen Sie sich wieder, was Sie verloren haben.427 Tatsächlich wurden 1988 auf spanischen Druck hin die Mittel der Strukturfonds bis 1993 verdoppelt; in Maastricht wurden 1991 die Mittel nochmals bis 1997 und zusätzlich der Kohäsionsfonds eingeführt, den seither die drei südeuropäischen Staaten und Irland nutzen und der vor allem Verkehrs- und Umweltprojekte fördert.428 Daher, so Marín, sei man dann später als Mitglied oft so hart gewesen und habe auch Probleme gemacht, denn 424
Europa-Minister Calvo Sotelo vor der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten des Parlaments am 18.4.1978. Cortes, Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados, Nr. 44/1978, S. 1560-1587, hier: S. 1569 425 Calvo Sotelo bei der ersten Debatte zum EWG-Beitritt im Parlament. Cortes, Diario de Sesiones del Congreso de los Diputados, Nr. 21/1979, 27.6.1979, S. 1039-1110, hier: S. 1044f 426 Spanien erhielt von 1981-1984 300 Millionen ERE und bis Ende 1985 noch einmal 250 Millionen. Portugal erhielt bis 1984 225 und dann noch einmal 150 Millionen bis Ende 1985. 427 Vgl., Interview Marín 428 Der Kohäsionsfonds wurde 1992 verabschiedet und fördert seit 1994 Staaten mit einem Pro-Kopf-BSP unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts.
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es habe sich darum gehandelt zu sagen: ‚Während der Verhandlungen habt Ihr uns so ungerechte Bedingungen gesetzt und jetzt werden wir diese Ungerechtigkeiten ausgleichen.’ Obwohl aber auch aus heutiger Sicht die Verhandlungen von dem PSOE-Verhandlungsteam als hart und ungerecht beurteilt werden, so wird andererseits bescheinigt, dass die Bedingungen des Acquis zur Konsolidierung der spanischen Demokratie beigetragen haben.429 Ergebnisse der Maßnahmen und des Einflusses Die Interaktion zwischen EG und Spanien muss man differenzieren in die Ergebnisse während der Verhandlungsphase und die Auswirkungen als Mitglied. Während der Verhandlungsphase war die Interaktion durch die unbedingten Vorgaben der EG gekennzeichnet. Ob diese Interaktion von Reformvorgaben von außen und Reformnotwendigkeit im Inneren im Kandidatenland als Hilfestellung oder als Oktroi empfunden wird, ist eine andere Frage und hängt auch von der Materie ab. Die Einsicht in die Umstrukturierung des Industriesektors war zum Beispiel ebenso vorhanden wie die Einsicht, dass es mit der EG schneller und besser ging. Die Vorgaben für den Agrarsektor oder bei der Fischerei wurden dagegen als unnötig schmerzhaft empfunden. Eine andere Form der Reaktion auf den Zwang des Acquis ist die antizipative Reformtätigkeit, das heißt, das Kandidatenland führt eine Reform durch in Vorwegnahme der ohnehin von der EG kommenden Anforderung. Eine weitere Variante für die Regierung ist, unpopuläre Entscheidungen, die sowieso hätten früher oder später getroffen werden müssen, mit dem Hinweis auf Brüssel zu „verkaufen“, in den Worten Pridhams, ein „instrumental use of EC membership“.430 Insgesamt gesehen stellte die EG auch während der Konsolidierung den zentralen Referenzrahmen dar für die verschiedenen Komponenten des politischen Systems Spaniens dar. Die Wirkung war in jedem Bereich unterschiedlich. So stellten sich die institutionellen Anpassungen – insbesondere auch der Institutionentransfer – als sehr viel bescheidener dar als bei der sektoralen Politik, dort fand er intensiv statt.431 Dies mag zum einen daran liegen, dass etliche der institutionellen Anpassungen in der Transitionsphase vorgenommen worden sind oder zu viele Schwierigkeiten beinhalteten und sie daher einer längerfristigen Lösung harrten. Zum anderen richtete sich der Druck der EG auf die Anpassung bestimmter policies, wie im Folgenden am Beispiel der Steuerreform gezeigt wird, an dem sich die meisten der möglichen Interaktionsmuster nachzeichnen lassen.432 Das spanische Steuersystem war seit Mitte des 19. Jahrhunderts, so auch im Franquismus, vor allem gekennzeichnet durch a) eine Dominanz der indirekten Steuern, b) eine Besteuerung der Produkte bei den direkten Steuern und c) durch eine Schwäche der administrativen und juristischen Kontrollmechanismen, was zu einem erhöhten Betrug und einer „Verhandlungskultur“ in Bezug auf die Verteilung der Steuerlast führte. Während des Franquismus konzentrierten sich die Steuereinnahmen auf zwei Quellen: die direkte Be429
Vgl., Interview Marín A.a.O., Pridham, 1995, S. 181 431 Vgl., Closa, Carlos, „Conclusión: La Europeización del sistema político español”, in: Closa, Carlos, (Hrsg.), La Europeización del sistema político español, Madrid 2001, S. 512-523, S. 512f 432 Siehe hierzu: Pan-Montojo, Juan, “Una larga e inconclusa tranisión. La reforma tributaria. 1977-1986”, in: a.a.O., Tusell/Soto, S. 264-305; a.a.O., Fuentes Quitana; a.a.O., Perston/Smyth; a.a.O., Pridham, 1995; Alberola Ila, Enrique, „La europeización de la política macroeconómmica“, in: Closa, Carlos, (Hrsg.), La europeización del sistema político español, Madrid 2001, S. 330-351 430
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steuerung der Einkünfte sowie die indirekte Besteuerung von Handelsprodukten der öffentlichen Monopole (Öl, Tabak) und importierten Produkten. Teil der Pactos de la Moncloa war, so ihr „Vater“ Fuentes Quintana, “eine Steuerreform, die das antiquitierte spanische Abgabensystem auf den europäischen Standard heben sollte und in die außerdem eine Reform der Steuer- und Abgabenverwaltung mit eingeschlossen war, um die effektive Durchführung zu gewährleisten.“433 Also hier eine (intendierte) antizipative Anpassung an die EG; man beachte auch die Reihenfolge in der Argumentation. Tatsächlich kam aber diese vorgesehene Steuerreform nicht zustande.434 Die strukturellen Defizite und die geringe Steuermoral blieben ebenso unverändert wie die Dominanz der indirekten Steuern. Die Reform des spanischen Steuersystems war bereits sehr früh Thema der Verhandlungen. Schon 1979 bestand die EG-Delegation auf der Einführung der Mehrwertsteuer, und der Wirtschafts- und Sozialausschuss forderte im gleichen Jahr Sofortmaßnahmen zu ihrer Übernahme.435 Damals konnte die spanische Delegation noch mit ihren Reformplänen aufwarten. Nachdem dies aber im Sande verlaufen war, kam das Thema zurück. Die EG kritisierte nicht nur die Tatsache, dass durch die indirekten Steuern die Exporte und die eigenen Waren im Wettbewerb mit den importierten geschützt wurden, was seit dem Handelsabkommen von 1970 auch die EG-Waren betraf. Der Acquis verlangte die Anpassung an das System der Mehrwertsteuer. Dies rief in Spanien, wo man diese Steuer eben nicht kannte, eine psychologische, aber auch eine politische Abwehrreaktion hervor. Die spanischen Verhandler lehnten die Forderung Frankreichs einer feierlichen Erklärung zur Einführung der Mehrwertsteuer bei Eintritt ab. Spanien benutzte Frankreich gegenüber das Steuerthema als Tauschobjekt, wie Bassols im Nachhinein zugibt. Man wollte Erklärung zur Einführung im Februar 1982 abgeben, allerdings ohne Festlegung auf ein Datum, im Tausch gegen das Ende der Blockade.436 Es erwies sich jedoch einmal mehr, dass die EG an längeren Hebel saß. Die sozialistische Regierung wartete bis zum letzten Moment, bis sie dann 1985 ein Gesetz mit drei Typen von Mehrwertsteuer verabschiedete. Hier geschah somit eine strukturelle Änderung auf Grund des Drucks der EG. Änderung einer Struktur auf Druck der EG hin. Mit dem Beitritt galt dann das neue System und etwa 20 alte Steuerarten wurden abgeschafft. Da die Unpopularität in der Bevölkerung ebenso wie die Kritik der Unternehmerverbände ungebrochen waren, wurde diese unerwünschte Maßnahme dadurch versucht abzumildern, in dem man sie als „europäische Steuer“ etikettierte, die eine Bedingung für den Beitritt gewesen sei.437 Also: Instrumentalisierung der EGMitgliedschaft. Das Beispiel des Steuersystems zeigt zwei Punkte: Erstens handelte es sich 433
A.a.O., Fuentes Quintana, S. 31 „Die Gesetzentwürfe zur Verteilung der neuen Steuerlasten bleiben liegen und verstaubten im Parlament. Anwendung fanden nur einige wenige Maßnahmen, die allerdings das Steuersystem weder stärkten noch verbesserten, da sie lediglich Konzessionen an verschiedenen Ressorts darstellten. Das führte insgesamt dazu, daß die Steuermoral, deren Verbesserung das Ziel der Reform von 1977 gewesen war, sank. Die Auswirkungen dieser wankelmütigen Politik auf die Staatsfinanzen zeigten sich schließlich in der wachsenden Staatsverschuldung…Diese Staatsverschuldung sollte sich in negativer Weise auf das spanische Wirtschaftleben auswirken.“ Vgl., ebd. S. 37 435 Bulletin der EG, 6/1979, S. 89 und 120f 436 „Aus der zeitlichen Distanz heraus muss ich ganz offen sagen, dass die Bedingungen, die Mehrwertsteuer bei Eintritt anzuwenden, verständlich, zulässig und ganz in unserem Sinne waren. Das Akzeptieren des gemeinsamen Besitzstandes, wesentliche Bedingung für den Eintritt in Europa, verpflichtete uns dazu, und unserer eigene Steuer- und Handelsdisziplin riet es uns. Nach einer ruhigen Reflexion über die Vergangenheit kann man zugeben, dass wir die Mehrwertsteuer benutzten als Verhandlungs- und Tauschtrumpf.“ A.a.O., S. 265 437 Das führte dazu, dass man allenthalben Meinungen hören konnte wie „Nun sind wir in Europa und schon müssen wir mehr Steuern bezahlen“. Zudem zeigte sich der Widerstand oder Widerwille gegen die Mehrwertsteuer dadurch, dass noch sehr lange ohne sie gerechnet wurde, also die Preise als Nettopreise ausgewiesen waren. 434
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hier um einen typischen Transitionsrest, der mit in die Konsolidierung genommen worden war. Und zweitens, ist der Zwang zur Bewältigung ebenso wie die Richtung der Lösung von der EG vorgegeben worden. Hier zeigt sich ein direkter Druck, bei dem Spanien keinen Handlungsspielraum hatte und somit die Vorgabe umsetzen musste Ist das frisch demokratisierte Land integriert, unterliegt es zwar nicht mehr in gleichem Maße den direkten, unbedingten Vorgaben der EG/EU, dennoch bestehen aber weiterhin intensive Interaktionsmechanismen, die sich auf Grund der Mehrebenenstruktur, des policy- oder Institutionentransfers oder des policy learning ergeben, jenen Mechanismen, denen sich die Europaforschung unter dem Stichwort Europäisierung in den letzten Jahren zugewandt hat. Am spanischen Fall lassen sich diese Mechanismen belegen, wobei sich gleichzeitig die These formulieren lässt, dass diese Prozesse bei frisch konsolidierten EG/EU-Mitgliedern intensiver sein können las bei „alten“. Dies beruht auf folgender Ausgangssituation: 1. Es gibt Transitionsreste, deren Bewältigung noch aussteht. In diesem Fall kann der Europäisierungseffekt sich entweder durch antizipierende Mimesis ergeben oder durch direkte Vorgaben im Mehrebenendominanzspiel. 2. Nicht nur zur Übernahme, auch zur Umsetzung des Acquis sind Anpassungen notwendig, die gleichermaßen durch Institutionen- oder policy transfer oder policy learning geschehen können. Ebenso wie das Steuersystem stellten die Reform der Verwaltung und des Justizsystems „Transitionsreste“ dar. Die stufenweise geplante Verwaltungsreform (durch Gesetze von 1984, 1985 und 1987) kann als Anpassung an die europäischen Strukturen und ihre Standards verstanden werden; das selbe gilt für das Justizsystem, das zwischen 1982 und 1993 tief greifende Modifikationen erfährt; strukturell wie verfahrensmäßig. Im Falle von Verwaltung und Justiz allerdings rührte dies nicht von dem Anforderungskatalog Acquis her, sondern beinhaltete eher die Koinzidenz von Reformnotwendigkeit und – teils antizipierten – Vorteilserwägungen auf der Seite des Kandidatenlandes und dem indirekten Anpassungsdruck, der von der EG ausgeht. Zudem hat die EG auch nach dem Beitritt die Möglichkeit, bestimmte Reformen zu erzwingen, indem sie diese an die Vergabe von Darlehen koppelt.438 Ein Beispiel für einen policy transfer ist die Umweltpolitik.439 Der Beitritt zur EG hatte eine starke, ja initiierende Wirkung auf die Entwicklung des bis dahin in Spanien unbekannten Politikfeldes Umweltpolitik, und zwar sowohl auf inhaltlich-gesetzlicher als auch auf institutioneller und nicht zuletzt symbolischer, politisch-kultureller Ebene. Die Ausgangssituation war, dass in Spanien vor 1986 praktisch keine Umweltpolitik existierte, dass es auch in der politischen Elite keine Sensibilität für dieses Thema gab, so dass die Verhandler zwar die Erfüllung des Acquis in diesem, für sie überhaupt nicht prioritären Bereich zusagten, aber z. B. keine „Sicherungsklauseln“ für die Implementierung vereinbarten. Mit dem Beitritt per 1.1.1986 aber hatte Spanien die entsprechenden zahlreichen Richtlinien zu inkorporieren. Die spanische Regierung fand sich in der Situation, weder einen politisch-institutionellen oder operativen Rahmen noch einen Haushalt dafür zu haben. Dazu kam, dass das Verwaltungspersonal weder informiert genug noch sehr interessiert war hinsichtlich der übernommenen umweltpolitischen Verpflichtungen. Die Kommission gab der spanischen Regierung eine Gnadenfrist. Das heißt, erstens, wurde Spanien die Über438
So geschehen etwa im Falle Griechenlands; 1991 machte die EG eine zehnprozentige Reduktion des öffentlichen Dienstes zur Bedingungen für einen Kredit. 439 Vgl., hierzu Font, Nuria, “La Europeización de la Política Ambiental: Desafíos y Inercias”, in: a.a.O., Closa, S. 381-403
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nahme des Politikfeldes Umwelt als solches in die politische Agenda von der EG aufgetragen, und zweitens, kam auch die inhaltliche Füllung aus Brüssel. Die spanische Regierung übernahm dies zwar, dann zeigte sich bereits das nächste Problem: Die Kommission kritisierte Defizite bei der effektiven Implementierung der Richtlinien, was sie vor allem an einem fehlenden Umweltministerium und der schwachen interministeriellen Koordination festmachte. Daraufhin begann in Spanien ein Prozess der „institutionellen Revision“, die dazu führte, dass nach und nach der Umweltbereich in seinem Rang erhöht wurde440 und sich auch in den Autonomen Regionen abspielte. Neben diesen inhaltlichen und institutionellen Auswirkungen ergab sich eine fortschreitende Sensibilisierung für das Thema Umwelt in der öffentlichen Meinung. Die Formulierung einer umweltpolitischen Agenda ebenso wie eine langsame, aber vorhandene Bewusstseinsbildung „waren die ersten Symptome dafür, dass sich die Europäisierung im Umweltbereich auch auf die symbolische Ebene übertrug.“441 Ein Prozess des policy learning lässt sich in der Makroökonomie erkennen. Die spanische Regierung änderte ihre Währungspolitik durch den Beitritt, als sie erkannte, dass ihre vorherige makroökonomische Linie nicht mehr einzuhalten war, und optierte für Inflationskontrolle. Allerdings macht dieses Beispiel aber auch deutlich, dass Europäisierungseffekte auch dysfunktional sein können. Im spanischen Fall kam es zu gravierenden Ungleichgewichten, und letztlich zu einer handfesten Krise. So betrachtete man den Eintritt in das Europäische Währungssystem als einzige Lösung. Zum einen zeigte sich aber nur ein Teilerfolg – der Druck auf den Wechselkurs reduzierte sich zwar, aber in Bezug auf die Inflation wurde nur wenig gewonnen -, und zum anderen machte die Teilnahme am EWS deutlich, dass Währungspolitik allein nicht zur Inflationsbekämpfung ausreicht. Diese Politik der fuite en avant führte letztlich in eine tiefe Währungs- und Wirtschaftskrise, aus der man jedoch die Lehren zog, indem man in der darauf folgenden Zeit eine kohärentere makroökonomische Politik verfolgte.442 Policy learning kann auch auf einigen Feldern festgestellt werden, wie etwa bei der Modifizierung der Bildungswege (mehr technische Schulen) oder der Formulierung von Forschungsschwerpunkten (mehr Aktivität in Forschung und Entwicklung). Ein Beispiel für den Anpassungsdruck der EG auf institutioneller Ebene waren die Autonomen Gemeinschaften.443 Hier führten dysfunktionale Effekte in der Zusammenarbeit zwischen den Autonomien, zwischen ihnen und dem Zentralstaat und in Bezug auf die EG zu einem Strategiewandel der Autonomen Gemeinschaften. Dies ist auch als ein Fall des political learning zu bewerten. Erweisen sich nämlich gewählte Anpassungsstrategien als untauglich, so wird mit anderen Handlungsoptionen experimentiert. Dabei handelt es sich nicht nur um Modifikationen der auf der institutionellen Ebene, auch weiterreichende Auswirkungen sind zu erwarten, etwa auf die institutionelle Kultur.444 Feststellbar sind somit in der Konsolidierung Anpassungs- und Integrationseffekte, meist längerfristigen Charakters. 440 1990 wurde ein Generalsekretariat für Umwelt geschaffen innerhalb des damaligen Ministeriums für Öffentliche Angelegenheiten, 1991 als Staatssekretariat für Wasser- und Umweltpolitik, 1993 wurde das Ministerium in Öffentliche Angelegenheiten, Verkehr und Umwelt genannt, und die konservative Regierung unter Aznar schuf 1996 (kurz nach ihrem Antritt) ein eigenes Umweltministerium 1996. Vgl. ebd., S. 387 441 Ebd., S. 386 442 Vgl. a.a.O., Alberola Ila 443 Das zeigt Tania A. Börzel, „Europäisierung und innerstaatlicher Wandel. Zentralisierung und Entparlamentarisierung?“, in: PVS, 1/2000, S. 225-250. 444 Vgl., ebd., S. 233
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Das betrifft sowohl die Adaption auf der institutionellen Ebene, die Umsetzung der policies sowie den Wandel in Einstellungsmustern (siehe Umweltbewusstsein oder Gleichstellung der Geschlechter). Längerfristige und positive Wirkungen ergaben sich auch im Handelsbereich. Hier wirkte die die EG-Mitgliedschaft wie ein Gütesiegel, das sich in der erhöhten Investitionsbereitschaft des Auslands auf Grund der Vertrauens- und Glaubwürdigkeit zeigte.445 Aber auch negative Beispiele sind zu finden: So führte der Abbau der spanischen Zölle bei gleichzeitiger Beibehaltung von Hürden bei der Einfuhr sensibler spanischer Produkte in die EG ab 1986 dazu, dass die Importe in Spanien erheblich (31,6%), die Exporte aber nur sehr gering (6,8%) zunahmen. Von 1984 bis 1992 steigerten sich so die EG-Importe von 33,4 auf 60,7% fast um das Doppelte. Zwischen 1985 und 1987 vervierfachte sich das spanische Handelsdefizit. Auch die unter französischen Einfluss eingebauten langen Übergangsfristen von zehn Jahre für den Marktzugang für landwirtschaftlichen Produkte waren für Spanien ungünstig; das gleiche gilt für den Zugang zu den Fischgründen.446 Drei Jahre nach dem Beitritt und kurz vor der Übernahme der ersten EGPräsidentschaft legte die Regierung eine insgesamt positive Bewertung des EG-Beitritts ab. Wie wird die Wirkung von den Beteiligten beurteilt? Bis auf zwei Personen - Calvo Sotelo und Oreja – sind sich alle Befragten sind einig, dass die positiven Effekte überwiegen. Sei es in Bezug auf die Verbesserung der bürgerlichen Rechte, die Modernisierung des Landes und der Gesellschaft, die Ausübung von Prinzipien wie Wettbewerb, Kompromiss, Toleranz gegenüber anderen Meinungen, Vertrauen untereinander und Rechtsbewusstsein; oder ganz generell in Bezug auf die Stabilisierung der politischen Situation und das Funktionieren der Demokratie. Dies stimmt überein mit der Meinung der Bevölkerung, die das Funktionieren der Demokratie und die Rolle Spaniens in der Welt durchgehend als positive Wirkungen der EG-Mitgliedschaft beurteilen.447 Der Abschluss des Beitrittsvertrages selbst wurde als das sichtbare Zeichen für die Konsolidierung Spaniens empfunden. „Der Eindruck während der Verhandlungen war, dass es für die Konsolidierung unabdinglich ist beizutreten, und der Eindruck im Moment der Unterzeichnung und später ist, dass die spanische Demokratie konsolidiert ist. Und dass zum Beispiel ein 23. Februar in der EG unmöglich ist.“448 Felipe González brachte den Gedanken, dass mit der Zeichnung der Verträge die „jahrhundertelange Isolation“ ein Ende finde, sogar zwei Mal während seiner Rede beim Abschluss des Beitrittsvertrages ein. Diese Bewertung weist wiederum auf die Bedeutung der EG als nach innen wirkendes Moment hin, bei dem die diktatorische und isolierte Vergangenheit gegenüber dem demokratischen Neuanfang durch die Zugehörigkeit zu Europa abgegrenzt wird.449 Die Spanier hätten unter einem großen Minderwertigkeitskomplex gelitten, waren sie doch einmal wichtig gewesen und hatten dann so lange im Abseits gestanden.450 Der Beitritt wurde zum Zeichen ihrer Normalität und ihrer Rückkehr als anerkanntes Land, als Demokratie. So Marín: „Historisches Aufatmen: Wir sind normal. Das Vergnügen, sich normal zu fühlen für ein Land mit einer anormalen Vergangenheit.“451 Insofern
445
Nach Spanien flossen zwischen 1986 und 1991 etwa 80 Milliarden Dollar. Zu den Details siehe a.a.O., Tovias, S. 89ff Siehe dazu auch der Abschnitt „Internationale Verortung“ 448 So Morán im Interview 449 Vgl., Bulletin der EG, 6/1985, S. 11 450 So Marín und Bassols im Interview 451 Interview Marín 446 447
2 Die EU und ihre Politik gegenüber Spanien
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stellte die Aufnahme in die EG nicht nur ein Gütesiegel nach außen dar – für Investoren etwa -, sondern auch ein Gütesiegel nach innen. Eine zentrale Aussage hat sich im Zuge der Untersuchung des spanischen Falles, gerade auch in den Gesprächen mit den und anderen Zeugnissen der Beteiligten herauskristallisiert: der enge Zusammenhang zwischen dem internen Prozess der Demokratisierung und den außenpolischen Erwägungen der internationalen Verortung. An dieser Stelle sollen einige Äußerungen einfach aufgeführt werden: „…von der Unternehmung (…) politische Transition, wussten wir, dass sie zwei verschiedene Kapitel hatte - ein internes Kapitel: die Entwicklung Spaniens zu den formalen Freiheiten; und ein anderes externes Kapitel: die Installation Spaniens in den Ort, der ihm heute zusteht im internationalen Konzert. Das eine und das andere Kapitel waren aus dem vorhergehenden Regime anhängige Aufgaben. (Calvo Sotelo)“452 „Dies (die interne und externe Transition – MK) waren zwei mit einander verwobene Prozesse von Anfang an…Die Demokratisierung Spaniens bestand darin, unser Problem zu lösen und sich zur gleichen Zeit in einer Umgebung einzufinden, von der wir aus Gründen ausgeschlossen waren, die nicht mehr existierten. Die beiden Dinge waren aufs engste mit einander verbunden, aufs engste…“ (José Pedro Pérez-Llorca, Interview) „In diesem Moment brauchten wir keinen Marshall-Plan. Wir brauchten etwas, was unsere Anstrengungen der Transition leitete, ein Ideal, das uns sichtbar machen würde: die Demokratie ist möglich.“ (Raimundo Bassols, Interview) „Die europäische Präsenz hatte einen tranzendentalen Einfluss auf unsere politische Transformation“. (Fernando Alvarez de Miranda im Interview) “Die Außenpolitik bildet ein Ganzes mit der Innenpolitik, die mit dieser kohärent sein muss.” (Felipe González, Debatte zur Lage der Nation, 22.9.1982) „…die generelle Beitrittstheorie aller Regierungen vorher: dass die Beitrittsverhandlungen eine Staatsangelegenheit sind, die die nationalen Interessen Spaniens direkt betreffen.“ (Manuel Marín vor der Europäischen Kommission am 13.4.1983)
In der spanischen Literatur wird ebenfalls die Verknüpfung der internen und externen Demokratisierungsbedingungen unterstellt. Mesa spricht von der “engen Überlappung zwischen der Konstruktion der internen Ordnung und der Konzeption eines internationalen Projektes”453. Die differenzierte Analyse hat dies für jede der untersuchten Phasen belegt. Die Betrachtung der fünf Phasen hat eindeutig gezeigt, dass die Idee Europa und später die Organisation EG interagiert haben mit den internen Vorstellungen über die erwünschte Form der Regierung und der internationalen Verortung. Die internationale Verortung spielt eine zentrale und grundlegende Rolle im Zusammenhang mit der nationalen Identitätsfin452
A.a.O., Calvo Sotelo, S. 124 A.a.O., S. 138; vgl., auch etwa a.a.O., Aldecoa, S. 160 und 167; a.a.O., Powell (2001), S. 218. Viñas konstatiert: “Schon in der Anfangsphase der Transition wurde deutlich, daß die Außenpolitik in enger Beziehung zum demokratischen Wandel stand; sie sollte ihn flankieren, und er war zugleich die Basis für eine neue Politik“. A.a.O., S. 229. Tovias: “The case of Spain showed how much – as with the other two countries [Portugal, Griechenland – MK] – European, strategic and domestic political considerations were closely linked.” A.a.O., 1984, S. 164
453
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dung. Damit wurde die Variable an sich, aber auch in ihrer „vorgelagerten“ Bedeutung als Makrovariable bestätigt. Die Betrachtung hat auch Aufschluss über die Interaktionskriterien gegeben: 1. ein hoher Status des externen Akteurs, 2. eine grundlegende Koinzidenz in den Zielen und Motiven des externen und der nationalen Akteure, und 3. die Akzeptanz sowohl der politischen Elite als auch der breiten Bevölkerung für eine Einflussnahme. Alle Punkte waren im Falle Spaniens gegeben und stellten eine Bedingung für eine Interaktion mit erfolgreichem Ergebnis dar. Die Analyse der spanischen Konsolidierung hat gezeigt:
Europa blieb auch nach der Installierung der demokratischen Institutionen, nach Verabschiedung der Verfassung und dem Beginn des Autonomieprozesses das zentrale Symbol für Demokratie, Moderne und Wohlstand, mit dem die Bürger vor allem Vorteile für die Rolle ihres Landes in der Welt und für das Funktionieren der Demokratie verbanden. Das heißt, die möglichen, gar erhofften Wirkungen des EG-Beitritts auf die Stärkung der Demokratie in Spanien wurden von der Bevölkerung gesehen. Daraus ergab sich: Die Integration in die EG hatte eine nach innen wirkende legitimierende Bedeutung. Methode, Qualität und Mittel der direkten Einflussnahme der EG änderten sich in dem Moment, als die Konsolidierungsphase mit den Beitrittsverhandlungen zusammenfiel. Dadurch war das Verhältnis nicht mehr von demokratischer Konditionalität, sondern von der Unbedingtheit des Acquis geprägt. Die Koinzidenz von interner Reformnotwendigkeit und von außen geforderter Anpassung an das Gemeinschaftsrecht bewirkte eine intensive Interaktion, die geprägt war von einem antizipierten, direkt erzwungenem oder indirektem Anpassungsprozess auf der policy-Ebene, der infolgedessen institutionelle oder administrative Modifikationen nach sich zog. Auch die politische Kultur erfuhr langfristig eine Anpassung an bestimmte Werte und Verhaltensweisen. Die „mächtigste“ Wirkung für die Wirtschaft und der Modernisierungsschub für die Sektoren ebenso wie für die Gesellschaft beginnen mit dem Beitritt und den damit verbundenen Leistungen der EG und dem Glaubwürdigkeitsbonus im externen Umfeld. Das externe Umfeld, betrachtet man den internationalen wirtschaftlichen Kontext, so wird in der Literatur verschiedentlich betont, war auf den ersten Blick nicht förderlich für eine Konsolidierung. Insofern stand der Vergleich mit dem ersten Demokratisierungsversuch Spaniens immer vor Augen. Die politischen Faktoren aber machten den Unterschied: eine generelle pro-demokratische Umgebung, vor allem aber Organisationen, die Demokratisierung implizit oder explizit, direkt oder indirekt förderten. Die Differenzierung in die beiden Variablen Kontext und Akteure hat zudem gezeigt, dass der Kontext zwar konditioniert, aber das Handeln der Akteure auf jeden Fall entscheidend war und die externen Akteure eine größere Rolle spielten als die Kontextfaktoren. Das galt in negativer Hinsicht für die Zweite Republik, im positiven Sinne für 1975 und die Folgejahre. Innerhalb der externen Akteure hatte die EG die herausragende Bedeutung für Spanien.
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei 3
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Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei: Motive und Ziele, Methoden und Instrumente, Einflüsse und Ergebnisse
Analog zum spanischen Fallbeispiel wird im Folgenden der Einfluss der EU auf den slowakischen Demokratisierungsprozess untersucht. Als Grundlage dient wiederum das erstellte Analyseschema. Die Untersuchung der slowakischen Demokratisierung greift bei den ersten drei Phasen auf die Entwicklung in der Tschechoslowakei zurück. So bestand die erste demokratische Erfahrung in der Ersten Republik zwischen 1918 und 1939, der die nationalsozialistische und die lange Phase kommunistische Diktatur folgten. Das Regimeende durch den Zusammenbruch des besonders reformunwilligen Regimes unter Präsident Gustav Husák vollzog sich abrupt und ebnete bereits knapp einem Monat nach der Samtenen Revolution den Weg Richtung Demokratie. Die Transition und die Konsolidierung des Landes wurden jedoch kompliziert. Zunächst führte das Versagen bei der Einigung über die Form des Staates 1993 zur Teilung. Die Konsolidierung der Slowakei erfuhr durch die Regierung Meþiar eine Paralyse bzw. Rückschritte, so dass sie zwischen 1994 und 1998 als defekte Demokratie einzustufen ist. Hier interessiert vor allem, wie die EU mit solchen Fällen umgeht. Die Untersuchung wird mit dem EU-Beitritt enden. Abbildung 17:
Analyseschema für die slowakische Demokratisierung
Externer Kontext
Verzögerte Konsolidierung
Erste. Republik 1918-38
Totalitäre Diktatur 1938-1989
Regimekollaps Nov. 1989
Doppelte Transition
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Akteure
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Institutionen
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Prozesse
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
Einstellungen
1989-1992 1992-1993
Europa, EG, EU
Konsolidierte Demokratie
1994-2002
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III Empirischer Teil: EU
3.1 Die vorautoritäre Phase: demokratische Erfahrungen in der Ersten Republik Im Falle der Slowakei, dieses sehr jungen, 1993 durch Segregation der Tschechoslowakischen Republik entstandenen Staates kommt man gar nicht umhin, zurückzublicken auf die Geschichte des ebenfalls sehr jungen tschechoslowakischen Staates, einem veritablen Produkt des 20. Jahrhunderts: Produkt der Ideen von Selbstbestimmung und Demokratie ebenso wie des Ersten Weltkrieges und der Neuordnung Europas. Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig das Einbeziehen der vor dem Systemwechsel liegenden Phasen ist. Weisen doch die Entstehungsgeschichte und die ersten demokratischen Erfahrungen der 1918 geschaffenen Tschechoslowakei bestimmte Merkmale auf, die sowohl von zentraler Bedeutung für den späteren Weg des Staates sind als natürlich auch für den Transitions- bzw. Konsolidierungspfad nach 1988/89: die für die tschechische Elite alles überragende Idee des Tschechoslowakismus und eines eigenen Staates, die Einstellungsmuster in Elite und Bevölkerung zu den Nachbarn Tschechien, Ungarn und Deutschland, die außenpolitischen Alternativkonzepte – wie Ost versus West bzw. slawisch versus europäisch – bei der Frage nach der internationalen Einbettung. Und schließlich erklärt der historische Hintergrund die Spannungen um die von den Tschechen zugesagte, von den Slowaken eingeforderte, aber nie realisierte Autonomie der Slowaken innerhalb der Tschechoslowakei sowie die daraus entstandenen Konfliktlinien zwischen Tschechen und Slowaken. 3.1.1 Internationale Verortung: das Projekt westliche Tschechoslowakei1 Das bestimmende Merkmal der slowakischen Geschichte ist die Tatsache, dass das Schicksal dieser Nation maßgeblich von außen gelenkt war. Dies ergab sich einerseits durch das Fehlen einer nationalstaatlichen Tradition und andererseits durch die wiederholte „Kolonisierung“. Die kollektive Identität der Slowaken hatte mehrere Schichten: Zum einen die Zugehörigkeit zum ungarischen Staat, dem die Slowakei seit dem Zerfall des Größmährischen Reiches 907 angehörte, auf der anderen Seite die Beibehaltung ihrer Sprache, ein kulturelles und ethnisches Zusammengehörigkeitsgefühl durch die eigene Sprache. Der multiethnische Charakter und die Assimilation an die jeweilige Herrschaft bedingten, dass die nationale Identität Umformungen durchlebte. Da waren die tausendjährige Verwobenheit mit dem ungarischen Staat, ab 1526 im Habsburger Reich, und dann die Verbindung mit den Tschechen in dem künstlichen Gebilde der Ersten Tschechoslowakischen Republik, die wiederum keinen Nationalstaat, sondern eher ein Nationalitätenstaat darstellte. Immer aber wurden die Slowaken dabei politisch dominiert, lediglich kulturell konnten sie ihre Eigenständigkeit aufrechterhalten. Wohl hatte es in der Slowakei im 19. Jahrhundert auch ein nationales Erwachen gegeben wie unter den Tschechen, bei dem demokratische Freiheiten und Selbstbestimmung im Mittelpunkt standen. In Mitteleuropa wurde die Forderung nach „den historischen Rechten“ zum Leitmotiv bei der Definition des jeweiligen Nationalismus. Dabei taten sich die Slo1 Vgl., hierzu Mannova, Elena et.al., A concise history of Slovakia, Bratislava 2000; Hoensch, Jörg, K., Geschichte der Tschechoslowakei, Stuttgart/Berlin/Köln 1992; Glaser, Kurt, Die Tschecho-Slowakei. Politische Geschichte eines neuzeitlichen Nationalitätenstaates, Frankfurt am Main/Bonn 1964; Kirschbaum, Stanislav J., A History of Slovakia. The Struggle for Survival, Houndmills et. al 1995; Schwarz, Karl-Peter, Tschechen und Slowaken. Der lange Weg zur friedlichen Trennung, Wien/Zürich 1993; Korbel, Josef, Twentieth century Czechoslovakia. The meaning of its history, New York 1977
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waken allerdings schwer, denn sie hatten seit dem Großmährischen Reich keinen Staat mehr gebildet und ihre Präsenz im ungarischen Königtum wurde als Präsenz ohne legitime historische Rechte aufgefasst. Die Tschechen, intellektuell angeführt von Palacky, verfolgten die Föderalisierung des Habsburger Reiches und innerhalb dessen eine Union mit den Slowaken. Diese aber waren nicht bereit zum völligen Bruch mit den Ungarn, sie wollten vielmehr Hilfe im Kampf um mehr Rechte. Zudem rief Palackys zweiter Verfassungsentwurf bei den slowakischen Führern wie Stur die Furcht vor tschechischer Hegemonie hervor. Dies war nicht unbegründet, zumal die Slowaken weniger als etwa die Magyaren auf Selbständigkeit vorbereitet waren: Ihnen fehlte das organisatorische und administrative Zentrum, eine mehr oder weniger homogene nationale Bewegung, die politische Erfahrung und nicht zuletzt auch konkrete politische Ziele. Das tschechische politische Denken hielt sich bis fast an Ende des Ersten Weltkrieges an die Grundsätze Palackys. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte klar, dass die Suche nach neuen Optionen sowohl für Tschechen als auch für Slowaken nur „außerhalb“ stattfinden konnte.2 Die Optionen hießen Russland oder USA. Kramár, Führer der Jungtschechen, strebte nach einer slawischen Föderation mit Russland, Polen, den böhmischen Ländern und weiteren Assoziierten. Auch in der Slowakei gab es Anhänger einer slawischen Lösung. Es setzte sich aber das Konzept von Tomáš Garrigue Masaryk durch.3 Masaryk, der Architekt des ersten tschechoslowakischen Staates und dessen bestimmende Persönlichkeit bis zu seinem Tode 1935, orientierte sich an den westlichen Demokratien. Er sah die Unvermeidlichkeit einer Verbindung zum Westen. Masaryk war durchaus russophil; er teilte die traditionelle sentimentale Neigung zu „Mütterchen Russland“ und vor allem wertete er Russland als potentielles Gegengewicht zu den Bedrohungen des deutschen Imperialismus und des österreichisch-ungarischen Expansionismus. Allerdings stand er dem panslawischen Programm sehr skeptisch gegenüber und kritisierte das zaristische System. Er wollte die Zukunft jenes von Palacky entworfenen gemeinsamen Staates von Tschechen und Slowaken von den Westalliierten bestimmt sehen und arbeitete daher sehr zielstrebig daran, die Unterstützung Frankreichs und Großbritanniens zu gewinnen. Masaryk wurde, unterstützt von seinem Mitarbeiter Edvard Beneš der intellektuellpolitische Protagonist einer Westorientierung, die weder selbstverständlich war noch eindeutig dem breiten Willen der Bevölkerung entsprach.4 Die Slowaken fühlten sich Russland nahe, im Gegensatz zu Ungarn, Rumänen, Ukrainern oder Polen, die Russland feindlich gesinnt gegenüberstanden. In Bezug auf Österreich war die Gefühlslage eher ambivalent. Erst während des Zweiten Weltkrieges verfolgte Masaryk kompromisslos jenes Ziel der Zerschlagung des Habsburger Reiches. Dies war aber keine Mehrheitsmeinung; viele tschechische und slowakische Politiker ebenso waren für die Verwirklichung ihrer Selbstbestimmung im Rahmen eines föderalisierten Österreichs.5 2
Vgl., a.a.O., Kirschbaum, S. 150 Siehe hierzu a.a.O., Korbel, S. 30f, Müller, Adolf, Die Tschechoslowakei auf der Suche nach Sicherheit, Berlin 1977, a.a.O., Kirschbaum 4 Masaryk und auch Beneš waren – auch durch ihren persönlichen Lebensweg schon westlich geprägt. Masaryk heiratete eine Amerikanerin, deren Namen er sogar annahm (daher der Doppelname Garrigue Masaryk), und hatte viele und gute Kontakte zur angelsächsischen Welt; Beneš hatte in Frankreich studiert und promoviert, seine Dissertation in Dijon über „Das österreichische Problem und die tschechische Frage“ andere Schriften („Détruisez l’Autriche-Hongrie!“, Paris 1916) dort veröffentlicht und damit einigen Einfluss in Frankreich ausgeübt. 5 Als die Entente im Juni 1917 die Befreiung der Tschechen und Slowaken proklamierte, erklärte das Präsidium der Union der tschechischen Abgeordneten (ýesky Svaz), die Tschechen wünschten nicht, befreit zu werden, diese Erklärung wurde auch später im tschechischen Parlament bestätigt. 3
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Eine eigenständige Tschechoslowakei war die Idee einiger Weniger, die breite Öffentlichkeit stand dem Ringen um staatliche Selbständigkeit noch verständnis- und tatenlos gegenüber. Der überraschende Erfolg dieser unblutigen Revolution löste dann allerdings eine überschwappende Welle des Nationalismus aus, unter der die Minderheiten, vor allem die deutsche, zu leiden hatte.6 Der Umschwung der öffentlichen Meinung setzte Anfang 1918 ein. Die außenpolitische Verortung der Tschechoslowakei wurde, genau wie die Schaffung dieses neuen Staates und seine innenpolitische Ausrichtung, von Masaryk und Beneš bestimmt und gelenkt. Dieser neue Staat hatte keine historischen Traditionen, an die man hätte anknüpfen können. So wie der Staat, so wurde auch seine Außenpolitik in großem Maße ein Gedanken- und Willensprodukt Masaryks, eine Art tabula rasa-Projekt. Die Bestandsaufnahme der slowakischen politischen Situation sah 1918 ungünstig aus: Die Slowakei hatte das Problem, dass sie einer politischen Führungsschicht, Massenparteien und politischer Pläne für slowakische Ziele entbehrte. Sie konnte auch keine administrative Organisation und Tradition, kein Personal mit entsprechender Schulung und ebenso wenig ein politisch-administratives Zentrum wie Prag aufweisen. Des Weiteren hatte der lange Verbleib unter dem patriarchalisch-patrimonialen System der Ungarn zu einer passiven und resignativen Haltung gegenüber Autorität und sozialem Rang geführt. All dies bedingte, dass die politische und administrative Macht in Prag verblieb. Die Tschechen stellten die administrative Elite in der Slowakei und dominierten die politische Organisation des Landes. Die Autonomie, im Pittsburgher Abkommen von 1918 festgelegt, wurde den Slowaken von Prag verweigert. Die Schwäche der slowakischen Elite und die Dominanz der Tschechen führten dazu, dass die politischen Ideen und der Politikstil von außerhalb der Slowakei diktiert wurden. Die Slowaken hatten mit der Gründung des neuen Staates nicht nur die Hoffnung auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung verbunden, sondern auch, dass sie – anders als unter den Ungarn – voll und gleichberechtigt an der Regierung des Staates teilhaben würden. Als dies aber nicht eintrat, gab es keine externe Lobby für die slowakische Sache. Die Tschechen dagegen waren sich der internationalen Unterstützung sicher und konnten daher fortfahren, einen zentralistischen Staat aufzubauen, statt die Slowaken als gleichberechtigte Nation oder wenigstens als nationale Minderheit anzuerkennen und ihnen die entsprechende politische Partizipation zuzugestehen. „Ignorance in the West about the Slovaks turned out to be the most important factor in the creation of CzechoSlovakia. The Czech political leadership exploited this ignorance to their benefit…”7 Masaryk und Beneš hatten die Tschechoslowakei als nationalen Einheitsstaat entworfen und so auch den Westalliierten „verkauft“.8 Letztlich spiegelt das der Ersten Tschechoslowakischen Republik inhärente Konfliktpotential mikrokosmisch das makrokosmische Problem Mitteleuropas wider, nämlich, einen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Geopolitik und der Ethnopolitik zu finden. „Sollte dieser Staat erhalten bleiben“, urteilt daher Hoensch, „so musste mit der Absicherung nach außen eine Befriedung und Gewinnung 6
Vgl., a.a.O., Hoensch, S. 27 A.a.O., Kirschbaum, S. 158 8 Tatsächlich war jenes neue Gebilde nämlich ein Vielvölkerstaat, und seiner Führung ging es darum, einem mehrere Nationalitäten bergenden Raum einen auf ein herrschendes Volk, die Tschechen, gestützten Nationalstaat aufzuerlegen. Die Tschechen bildeten nicht die absolute Mehrheit, dazu brauchten sie die Slowaken; gemeinsam machten sie etwa 65 Prozent der Bevölkerung aus. Nach dem Zensus von 1921 waren von 13,8 Millionen Bürgern in der Tschechoslowakei 49% Tschechen, 22,5% Deutsche, 13,9% Slowaken, 5,3% Ungarn, 3,3% Ruthenen, 0,5% Polen zuzüglich sonstiger Nationalitäten. Vgl., a.a.O., Kirschbaum, S. 158, a.a.O., Glaser, S. 51 7
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der nationalen Minderheiten zu konstruktiver Mitarbeit Hand in Hand gehen.“9 Das heißt: Die innere Struktur (ethnische Heterogenität) und zentrale innenpolitische Entscheidungen (streng zentralistischer Staat nach französischem Vorbild statt föderalem Staatsaufbau mit Selbstverwaltungsrechten) bargen nicht nur innenpolitisches, sondern auch Konfliktpotential mit den Nachbarn in sich. Dies wiederum bestimmte die künftigen außenpolitischen Vorgaben, nämlich Absicherung durch Pakte mit Großmächten einerseits und Versuch zu gut nachbarschaftlichen Verhältnissen andererseits. „Dadurch, daß die T. (sic!) kein Nationalstaat ist und Volksbestandteile von gleicher Sprache, gleicher Kultur wie die Nachbarstaaten, dadurch daß jene Volksteile früher im Verbande dieser Nachbarn gelebt haben, entsteht eine nicht ungefährliche Beziehung zwischen Innen- und Außenpolitik.“10 Die innere Befriedung blieb ein Desiderat. Weder konnte ein verbindendes Bewusstsein der staatlichen Einheit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den beiden Völkern geschaffen werden noch konnte das kulturelle und wirtschaftliche Gefälle nivelliert werden.11 Derweil bemühte sich Beneš sehr eifrig und zudem erfolgreich um diese äußere Absicherung. Er verwandte seine Energie darauf, das Land einzubinden in ein Vertragssystem, das die Tschechoslowakei vor den Deutschen, Österreich und dem ungarischen Revisionismus schützen sollte. Dabei war und blieb Frankreich der wichtigste Verbündete und Protektor gegen deutschen und russischen Expansionsdrang. Die Tschechoslowakei war zu einer bedeutenden Mittelmacht in Mitteleuropa geworden; einerseits war sie auf gesamteuropäischer Ebene über Frankreich vernetzt und andererseits betrieb selbst zudem eine Vertragspolitik mit den mittel- und südosteuropäischen Staaten.12 Sehr vorausschauend konstatierte Hassinger 1925, „…die Gesinnung der Völker der Tschechoslowakei wird nicht unbeeinflusst bleiben von der weiteren Entwicklungsrichtung des europäisches Geistes“.13 Die Permeabilität und Abhängigkeit der Tschechoslowakei von der geistigen Entwicklungsrichtung in Europa war dreifach gegeben: Zum einen durch die ethnische Heterogenität des Staates, dessen Nationalitäten jeweils insbesondere nach Berlin und Budapest schauten; zum zweiten durch die politisch-geographische Lage inmitten Europas mit langen Grenzen, eine Lage, die ganz im Gegensatz etwa zu Spanien eine Abschottung gänzlich unmöglich macht; und drittens schließlich durch die in maßgeblicher Weise von außen konstituierte Republik und deren von außen abgesichertem Bestand.
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A.a.O., Hoensch, S. 38 Hassinger, Hugo, Die Tschechoslowakei, Wien/Leipzig/München 1925, S. 354 11 Der Ansatz der Prager Führung ließ keine Möglichkeit einer „dualen Loyalität“, einmal der tschechischen oder slowakischen Nation und zum anderen dem tschechoslowakischen Staat gegenüber zu. In ihren politischen Rechten von Prag zurückgesetzt und politisch dominiert, konnten die nicht-tschechischen Völker dem Staat gegenüber keine Loyalität entwickeln. Die Enttäuschung der nationalen Minderheiten ob ihrer nicht zu gestandenen Autonomie, das Misstrauen zwischen Tschechen und Slowaken wuchs. Vgl., dazu a.a.O., Hoensch, S. 40, a.a.O., Kirschbaum S. 170, a.a.O., Glaser, S. 51 12 Dies war ein Anliegen Masaryks. Die Zusammenarbeit der kleinen Nationen war ein zentraler Gedanke für ihn gewesen, dem er sich bereits in seinem Buch „Neues Europa“ gewidmet hatte und den er auch in der „Deklaration der gemeinsamen Interessen der unabhängigen Staaten Mitteleuropas“ niedergelegt hatte. Vgl., Müller, Adolf, Die Tschechoslowakei auf der Suche nach Sicherheit, Berlin 1977, S. 28 13 A.a.O., Hassinger, S. 564 10
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3.1.2 Externer Kontext: inhärenter Antagonismus – Staatsgründung mit Konfliktpotential im Inneren und mit den Nachbarn Die immense Bedeutung des externen Umfelds für die Entstehung, den Bestand und das Ende der Tschechoslowakischen Republik ist in der obigen Darstellung bereits deutlich geworden – angefangen bei dem Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie und der Gestaltung der Nachkriegsordnung bis hin zu deren Zusammenbruch. Die internationale Situation spielte für die Tschechoslowakei in mehrfacher Hinsicht eine Rolle: Sie beeinflusste die Formulierung der Kriegsziele der Entente, sicherte dann die Existenz des neuen Staates und dessen Grenzziehung und legte mit dessen Entstehen auch seine künftige außenpolitische Orientierung fest. Die politische Entwicklung zwischen 1918 und 1938 kann und muss hier nicht weiter erörtert werden. Mit dem Hinweis auf den Zerfall der kontinentalen Demokratien und dem Aufstieg der totalitären Herrschaftssysteme, der geistigen Krise des Abendlandes und der Ideologisierung, zu der dann 1929 noch die wirtschaftliche Krise kam, ist das Feld dieser gärenden und dann von Hitler zu offener und rassistischer Gewalt geführten Zeit in nuce abgesteckt. Im Weiteren geht es darum, jene Elemente, Momente oder Wegmarken aufzuzeigen, die Problem- und Entscheidungslagen der Ersten Tschechoslowakischen Republik beeinflusst haben. Der Beginn der ersten tschechoslowakischen Demokratie fand inmitten jenes Schubes von Demokratisierungen nach dem Ersten Weltkrieg statt.14 Im diesem Umfeld demokratisierten sich Deutschland, Österreich, Ungarn. Allerdings begann bald eine „reverse wave“, Ergebnis der Ideologisierung und rechten wie linken Radikalisierung. Obwohl die Tschechoslowakei innenpolitische Probleme hatte – zuvorderst verbunden mit den nicht gewährten Minderheitenrechten – und man nicht sagen kann, wie sich das auf den Fortbestand ausgewirkt hätte, so war es Hitler, der dieser Demokratie ein Ende setzte. Betrachtet man die subregionale Ebene, ist nochmals ausdrücklich die geopolitische Lage und geistig-kulturelle Gemengelage Mitteleuropas zu unterstreichen. Die Nachbarschaft einerseits zu Russland, andererseits zu Deutschland und Österreich und drittens zum slawischen Raum brachte diese Region historisch-kulturell in eine „Zwischenlage“.15 Beherrschendes Merkmal war die ethnische und konfessionelle, aber auch soziologische Heterogenität, die sich in der Tschechoslowakei beispielhaft widergespiegelte. Ein anderes Merkmal waren Erbfeindschaften (wie die Polens gegenüber Russland), aber auch frisch entstandene Feindbilder. Der einzige mitteleuropäische Staat, der seine territorialen Vorstellungen nach 1918 umsetzen konnte, war die Tschechoslowakei. Dabei kam ihr das Selbstbestimmungsprinzip, ein zentrales Element des politischen Zeitgeistes, zugute. Gegen Kriegsende von Präsident Wilson proklamiert, auf der anderen Seite auch von der russischen revolutionären Bewegung eingefordert, leistete es den politischen Zielen der Gruppe um Masaryk große Schützenhilfe. Die neue tschechoslowakische Republik war somit von Staaten umgeben, die sich alle durch die Pariser Friedenskonferenz mehr oder minder geschädigt fühlten und ihr deswegen im Prinzip von vorne herein feindlich eingestellt wa14 Diese „Erste Demokratiewelle“ setzt Huntington 1828 in den USA an mit den beiden Hauptkriterien für die demokratischen Systeme des 19. Jahrhunderts. Die Demokratisierungen nach dem Ersten Weltkrieg als „mass movement toward democracy (…) in the sucessor states to the Romanov, Hapsburg (sic!), and Hohenzollern empires” bilden das Ende dieser langen Welle. Vgl., a.a.O., S. 16f 15 „Europa dazwischen, (…) ist nicht nur Okzident, und es ist noch nicht Orient.“ Forst de Battaglia, Otto, Zwischeneuropa, Von der Ostsee bis zur Adria, Teil I, Frankfurt am Main 1954, S. 33
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ren.16 Die tschechoslowakische Regierung war daher doppelt genötigt, sich um gute nachbarliche Beziehungen zu bemühen. Dies wurde verstärkt durch die geopolitische Lage: Die Mittellage in Nachbarschaft mit fünf Ländern und 3800 Kilometern Grenze - “Ein wahrhaft monströser Staatskörper! Von seinem Osten darf man wohl sagen: Viel Grenze und wenig Land!“17 - war militärisch schwer zu verteidigen. Die Tschechoslowakei musste zu allererst eine Politik betreiben, die das Land in seiner Form erhielt, also eine vorsichtige Defensivpolitik.18 Andererseits musste sie sich um Absicherung durch die Großmächte bemühen. Die Tschechoslowakei befand sich also weniger in einem anachronistischen Umfeld, wie das für die spanische Demokratie der Zweiten Republik in jenem demokratieunfreundlichen Umfeld der 1930er Jahre festgestellt wurde, als vielmehr in einem antagonistischen Kontext. War es ihr um den inneren Frieden weniger gelegen, so hatte Beneš den Staat nach allen Seiten hin geschickt gegen alle möglichen, von außen drohenden Gefahren – auch die Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland oder Frankreich und der Sowjetunion abgesichert. Nach der Machtergreifung Hitlers schloss er (bzw. die Kleine Entente) sogar einen Nichtangriffspakt und 1935 ein Defensivbündnis mit der Sowjetunion. Er fühlte sich auf Grund dieser Verpflichtung Frankreichs und der Sowjetunion gegen einen Angriff Hitlers bestens abgesichert. 3.1.3 Transnationale Interaktion: mit Hilfe von außen gegründet In der Phase der Ersten Tschechoslowakischen Republik gab es eine Korrelation zwischen innenpolitischen Konstellationen und Zielen und deren außenpolitischer Absicherung. Die Außenpolitik wurde von drei Konstanten bestimmt: der geographischen Lage, der kulturellhistorischen Tradition des tschechischen Volkes und der politischen Ziele der Kräfte, die die tschechoslowakische Selbständigkeit anstrebten und die maßgeblich die westliche Verortung und den entsprechenden außenpolitischen Kurs bestimmten. „Der Geburtsort der Tschecho-Slowakischen Republik liegt nicht im eigenen Land, sondern im Ausland.“19 Ohne die Unterstützung der Westalliierten hätte Masaryk seine Pläne kaum hätte umsetzen können. Der 1914 ins Exil gewanderte Masaryk verstand es vorzüglich, überzeugend für seine Idee von einem unabhängigen tschechoslowakischen Staat in Großbritannien und Frankreich zu werben.20 Dazu baute er ein entsprechendes Netz im Ausland auf.21 Die Allianz mit - oder besser gesagt Protektion durch - Frankreich, die auch während der Ersten 16
Eine Einigung mit Polen über den Grenzverlauf konnte erst 1924 erreicht werden, Ungarn hatte sich ja von Anfang an nicht mit der Eingliederung der Slowakei inklusive ungarischer Gebiete abgefunden. Und man darf nicht vergessen, dass Prag die Sudetengebiete und die Slowakei bereits besetzt hatten, bevor die Friedenkonferenz begann, und damit bereits ein fait accompli geschaffen hatte, das die jeweiligen Länder nicht mehr rückgängig machen konnten. Die ungarischen Roten Garden hatten sogar zur Gegenoffensive ausgeholt und nur mit der Drohung der Alliierten, die französische Balkanarmee und rumänische Truppen gegen Ungarn in Marsch zu setzen, zogen sie sich zurück. Der diplomatische und militärische Kampf um die Slowakei dauerte immerhin acht Monate. Vgl., a.a.O., Hoensch, S. 30f 17 A.a.O., Hassinger, S. 341 18 Vgl., ebd., S. 550 19 A.a.O., Hoensch, S. 30 20 Im April verfasste er ein Memorandum an den britischen Außenminister Grey mit dem Titel „Independent Bohemia“. Sitz des Aktionskomitees zur Errichtung eines unabhängigen tschechoslowakischen Staates wurde ab November 1915 Paris. 21 Siehe detailliert a.a.O., Schwarz, S. 93ff
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Republik weiter galt, basierte auf den deutschfeindlichen Gefühlen beider Nationen. Masaryk überzeugte Briand von der Attraktivität einer Schwächung Deutschlands und einer Aufsplittung Österreich-Ungarns durch die Schaffung einer unabhängigen Tschechoslowakei.22 Es gelang sogar, den von Masaryk und Beneš im Exil gegründeten Nationalrat zur Kriegsführenden Macht zu machen – 1918 als solche vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson anerkannt -, indem Beneš 1917 durchsetzte, dass eigene Verbände in Frankreich und Italien aufgestellt wurden unter oberster politischer Führung des Nationalrates. So konnte Masaryk nach der Niederlage Österreichs über Nacht den Stand einer besiegten Nation mit dem einer Siegernation verkaufen – auch den Slowaken gegenüber.23 Nach der deutschen Kapitulation und dem Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns bestand unter den Alliierten jedoch kein Konsens darüber, nach welchen Prinzipien Mitteleuropa reorganisiert und befriedet werden sollte. Auch auf der Friedenskonferenz wurde keine übereinstimmende politische Linie gefunden. Dies freilich begünstigte das Vorgehen Benešs „unter Verzeichnung der Tatsachen und mit geschickt angewandtem Druck den ‚Großen Vier’ die Zustimmung zur Verwirklichung des tschechoslowakischen Maximalprogramms abzuringen“.24 Frankreich unterstützte das tschechische Konzept vorbehaltlos, Großbritannien schloss sich dieser Position an, Italien stimmte teilweise zu.25 Masaryks größter Erfolg war, Woodrow Wilson von der Bildung einer tschechoslowakischen Republik zu überzeugen, als „freieste Möglichkeit für eine autonome Entwicklung“, wie der Präsident in seinen Vierzehn Punkten gefordert hatte. Die Verpflichtung Frankreichs (September 1918), den Nationalrat als Provisorische Regierung anzuerkennen und die Gründung eines unabhängigen Staates innerhalb seiner historischen Grenzen diplomatisch zu unterstützen, diente Masaryk als Referenz, um während der kritischen Waffenstillstandsverhandlungen die Staatsgründung der Tschechoslowakei vorzunehmen. Die in Paris gebildete Regierung mit dem Präsidenten Masaryk, Außenminister Beneš und Kriegsminister Stefanik wurde im Oktober 1918 sukzessive von Frankreich, Russland, den USA, Italien und Großbritannien anerkannt. Sogar die Gebietsansprüche, die mit dieser Staatsgründung verbunden waren und die die Tschechen als Teilnehmer der Friedenskonferenz erfolgreich hatten durchsetzen können, wurden mit fremder Hilfe erkämpft werden, teils diplomatisch, teils militärisch (siehe bei der ungarischen Besetzung der Slowakei). Aus slowakischer Perspektive kam dazu, dass die Tschechen größtenteils für sie mitbestimmten. So waren die Slowaken nicht eigens bei den Pariser Friedenskonferenzen vertreten und konnten somit auch ihre speziellen Interessen nicht hörbar machen. Sie waren bei dem Akt der Staatsgründung nicht beteiligt, vielmehr wurde er von ihrem Vertreter Šrobár nachträglich unterzeichnet. Bereits 1915 hatten die slowakischen Auslandsorganisationen, die in den USA am aktivsten waren, mit den entsprechenden tschechischen Emigranten ein Abkommen zur Schaffung eines „föderativen Staatenbundes“ abgeschlossen. Diesem Abkommen von Cleveland folgte im Pittsburgher Abkommen vom 30.5.1918 die Präzisierung über die Rechte der Slowaken in einem gemeinsamen Staat. Den von Masaryk unterzeichneten und am 14. November bei seiner Wahl zum Präsidenten bestätigten Vertrag 22
Konkret gab es eine Unterredung zwischen Briand und Masaryk am 3.2.1916, auf die hin Frankreich der Konstituierung eines Nationalrates zustimmte. Vgl., a.a.O., Hoensch, S. 19 Vgl., a.a.O., Glaser, S. 37 24 A.a.O., Hoensch, S. 30 25 Es stimmte dem Grenzverlauf gegenüber dem Deutschen Reich zu, machte sich aber Sorgen wegen eines slawischen Einflusses im Mittelmeerraum, weshalb es Polen und Ungarn gegen eine tschechische Suprematie in Mitteleuropa stärkte. 23
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spielte er später, als die Slowaken jene Autonomierechte einforderten, hinunter als Abkommen „zur Beruhigung einer kleinen slowakischen Fraktion unterzeichnet, die weiß Gott was von einer Selbständigkeit der Slowaken träumte“26. In dem Maße, wie der internationale Kontext und die externen Akteure konstitutiv für die Schaffung der Tschechoslowakischen Republik waren, so blieb auch das Schicksal der Slowaken abhängig von äußeren Faktoren. Als sie der Gründung des gemeinsamen Staates zustimmten, war den Slowaken nicht klar, in welchem Ausmaß ihre nationalen Ziele Erfüllung finden würden und mit welcher internationalen Unterstützung sie rechnen konnten, falls die Regierung nicht willig oder fähig sein würde, diese Bedürfnisse zu erfüllen. So wie die Erste Republik mit der Unterstützung und dem Segen des Auslands entstehen konnte, so wurde das Ende dieser Republik auch von außen besiegelt. Mit der Machtergreifung Hitlers wurde das nationalsozialistische Deutschland der bestimmende Akteur und die Tschechoslowakei das Hauptziel des diplomatischen Spiels Hitlers. Die Abtretung der Sudetengebiete war nicht das Ende des deutsch-tschechischen Konfliktes, wie Frankreich und Großbritannien glaubten, sondern der Anfang vom Ende der Tschechoslowakei, die nun in Hitlers Händen war. Die Umstände, wie die Erste Republik beendet wurde, löste im nationalen Bewusstsein der Tschechoslowaken Enttäuschung und Misstrauen gegenüber den demokratischen Großmächten – gerade Frankreich und Großbritannien – aus. München 1938 wurde zu einem nationalen Trauma. Zudem gab es aber auch eine Diskrepanz zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung, als es darum ging, auf Hitlers Politik zu reagieren. Die Bevölkerung – auch die Sudentendeutschen, die in großer Mehrheit der Generalmobilmachung durch die Prager Regierung folgten – wollte Widerstand leisten und kämpfen. Beneš aber war, obwohl ihm seine Generäle zur Kriegserklärung rieten, zur Aufgabe der sudetendeutschen Gebiete bereit und signalisierte dies bereits vor der Münchner Konferenz.27 Diese Handlungsweise wirkte sich entsprechend auf die Bevölkerung aus. George Kennan beschreibt die Verbitterung (hier der Tschechen) und wie auf diese Weise Liberalismus und Demokratie in Verruf geraten seien.28 Zusammenfassend kann man sagen: Externe Ereignisse (Erster Weltkrieg), externe Akteure (USA, die europäischen Großmächte), externer Kontext (mitteleuropäische Zwischenlage, die in der Nachkriegsordnung angelegten Probleme) und der Zeitgeist (Selbstbestimmungsprinzip, Ideologisierung, Revanchismus) spielten eine herausragende Rolle für die Entstehung, für den Bestand und für das Ende der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Die Republik verortete sich im Westen und orientierte sich an dem westlichen Vorbild von Demokratie. Aus der geopolitischen Lage, Grenzziehung und ethnischer Zusammensetzung der Republik leiteten sich die außenpolitischen Linien (Absicherung durch Allianzen und gut nachbarschaftliche Beziehungen) ab. Zugleich ergab sich eine prekäre Beziehung zwischen Staatsstruktur und Minderheitenpolitik auf der innenpolitischen Seite und nachbarschaftlicher Missgunst und Revanchismus auf der außenpolitischen Seite – eine 26
Zit. n. a.a.O., Schwarz, S. 101 „Der Gedanke für die Erhaltung eines Staates, der 1918 als Geschenk der Westmächte in die Welt getreten war, nun mit eigener Kraft zu kämpfen, lag Beneš fern.“ A.a.O., Schwarz, S. 128 28 „Finally, it is impossible to object when they now turn as bitterly on their erstwhile liberalism as they have on the alliances which supported it…” (S. 4) Kennan beschreibt die Bitterkeit und Frustration der Tschechen, das Gefühl vollkommen verlassen zu sein. (so S. 4, 118, 170) „The result is an atmosphere of outward submission and inner demoralization which defies description and the inevitable consequences of which are not pleasant to contemplate.“ (S. 170) Kennan, George F., From Prague After Munich. Diplomatic Papers 1938-1940, Princeton 1971. 27
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Spannung zwischen Innenpolitik und Außenpolitik, die nicht befriedigend gelöst werden konnte. Die Orientierung an Frankreich und Großbritannien erlitt einen großen Rückschlag durch ihre Appeasement-Politik. München 1938 wurde zu einem Trauma. Der „Westen“ war diskreditiert, und die Demokratie in Frage gestellt. 3.2 Die vordemokratische Phase: unter totalitärer Herrschaft (1938-89) Ähnlich wie im spanischen Fall handelt es sich bei dieser autokratischen Phase um einen langen Zeitraum, der mit der Zerschlagung der Ersten Republik durch die Nationalsozialisten und der Einverleibung als Protektorat Böhmen und Mähren beginnt, die Slowakei als „autonomen Schutzstaat“ installiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Land 1948 durch den „Coupe de Prague“ in den kommunistischen Herrschaftsbereich gezwungen und so dem ideologischen, politisch, wirtschaftlichen und militärischen Einflussbereich der Sowjetunion unterstellt. Bei der Betrachtung dieser Phase ist daher festzuhalten, dass weder die außenpolitische Orientierung noch die Entscheidungs- und Handlungsebene in der Tschechoslowakei als eigenständig bezeichnet werden können. Dies gilt für die Zeit unter nationalsozialistischer Herrschaft und für die Jahrzehnte unter kommunistischer sowjetischer Herrschaft. Auf Grund der Tatsache, dass das sowjetische Diktat in alle Bereiche der Satellitenstaaten hineinreichte, so auch und gerade in die Außenpolitik, muss man bei der Betrachtung der internationalen Verortung der politischen Elite, bei den Strukturen des externen Kontextes und bei der Interaktion zwischen Westeuropa und der Tschechoslowakei die ideologischen und politischen Maximen und Handlungsvorgaben der UdSSR bzw. RGW voranstellen. Somit fließen bei der Prüfung der einzelnen Variablen auch bestimmte Aspekte der sowjetischen bzw. RGW-Außenpolitik ein. Die lange undemokratische Phase der Tschechoslowakei wird – ebenso wie im spanischen Fall – unterteilt. Ein Schnitt wird 1960 vorgenommen, da sich zu diesem Zeitpunkt eine Wendemarke erkennen lässt. 1960 verabschiedet die - im Gegensatz zu Polen und Ungarn - weiterhin stalinistische Führung eine neue Verfassung, mit der der Übergang vom Sozialismus zum wirklichen Kommunismus markiert werden sollte. ýSSR lautet nun der Name des Staates. Zwar hatte sich die Regierung der Moskauer Vorgabe der Entstalinisierung vom XX. Parteitag 1956 lange widersetzt, aber der ultimativen Forderung Chruschtschows auf dem XXII. Parteitag 1961 konnte sie sich nicht mehr verschließen. Es begann eine leichte Lockerung, die zu einem gewissen kulturellen Pluralismus führte. Außerdem hatte die Planwirtschaft zu einer desolate Wirtschaftslage geführt, was die Unzufriedenheit der Bevölkerung hervorrief. In der Slowakei kommt es zudem auf Grund der weiterhin uneingelösten Forderung nach Föderalisierung Anfang der 1960er zu Reformwünschen („Preßburger Frühling“), die 1968 dann unter dem neuen Parteiführer, dem Slowaken Alexander Dubþek im „Prager Frühling“ gipfelten, einem Schlüsseldatum für die ýSSR. Auch für die Tschechoslowakei gilt, dass der externe Akteur EG erst 1957 auf den Plan tritt. Für die Zeit vor 1957 stellen sich Fragen wie, welche Politik und welche Perzeption - von den Westmächten, von Russland bzw. der Sowjetunion und auch von den Nachbarn wie Ungarn oder Österreich - die (außen)politische Kultur der Slowaken geprägt haben, welche Erfahrungen mit Autonomie oder Zusammenschlüssen sie gemacht haben bzw. welche Einstellung sie dazu den jeweiligen Konzepten entwickelt haben. Die Zäsur an jener
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oben beschriebenen Wegmarke mit Beginn der 1960er Jahre macht es möglich, im zweiten Abschnitt von 1960 bis 1988 auf die Interaktion mit der EG einzugehen. 3.2.1 Von nationalsozialistischer zu kommunistischer Diktatur: 1938-60 Internationale Verortung: das Scheitern des Brückenkonzepts Das Münchner Abkommen vom 30. September 1938 bedeutete das Ende der von Masaryk gegründeten Tschechoslowakei. Wieder wurde von außen über die Tschechoslowakei entschieden, diesmal aber ohne ihre Beteiligung. Am 15.3.1939 besetzen deutsche Truppen das Land und gliederten das „Protektorat Böhmen-Mähren“ dem Deutschen Reich ein. Die Zweite Republik war ein asymmetrischer quasi-föderaler Staat mit den tschechischen Rumpfländern, der autonomen Slowakei und Ruthenien. Die Ereignisse 1938 hatten unmittelbare Rückwirkungen in der Slowakei. Hier wurde nun für die slowakischen Rechte eingetreten; es gab Demonstrationen, und im Parlament reichte die Slowakische Volkspartei einen Autonomieentwurf ein. Es gab sowohl Anhänger einer Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei (Tiso, Sidor), als auch Vertreter einer Unabhängigkeit (Tuka, Durcansky). Die Entscheidungen aber okroyierte Hitler. Er formulierte zwei Optionen: die slowakische Unabhängigkeit unterstützen oder „das Schicksal der Slowakei dem Spiel der Ereignisse überlassen“, sprich Ungarn. Alle weiteren Ereignisse geschahen nur auf Grund Hitlers Billigung (die Unterwerfung der Ruthenen durch Ungarn) oder seines Diktats (Unabhängigkeit der Slowakei). Die „krypto-souveräne“ Slowakei wurde zu einem Vasallenstaat des Deutschen Reiches. Diese Eigenständigkeit wurde von den nationalistischen Strömungen innerhalb der Slowakei gestützt. Dabei gab es zwei Richtungen: Die eine wollte eine völlige Linientreue mit dem Dritten Reich, die andere sah in der Unabhängigkeit eine Chance, die slowakischen Traditionen und Interessen zu verfolgen. Jozef Tiso – zunächst Regierungschef, dann Präsident - erlangte – trotz auch vorhandener Vorbehalte durchaus Popularität in der slowakischen Bevölkerung und wurde später, nach seiner Hinrichtung, durch vom slowakischen Nationalismus als Märtyrer verklärt.29 Die zentrale Frage war die nach der Einbettung des Landes nach dem Krieg. Mit der Klärung dieser Frage 1948 war das Schicksal der Tschechoslowakei für die nächsten vier Jahrzehnte besiegelt. Der entscheidende Part für die Richtungsentscheidungen bis 1948 kam Edvard Beneš zu. Leicht drängt sich bei dem Agieren Benešs der Eindruck einer Wiederholung der Geschichte auf.30 Wie im Laufe des Ersten Weltkrieges hing das Schicksal der Tschechoslowakei von den Interessen der Siegermächte, von der aktiven Tätigkeit der tschechoslowakischen Emigranten im Ausland und erst dann von den politischen Kräften im okkupierten Land ab. Es ging zwar diesmal nicht um die Errichtung, sondern um die Wiederherstellung der Ersten Republik. Aber wieder wurde, erstens, die Anerkennung der
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Auf die heute umstrittene Rolle Tisos kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. So auch in der Literatur konstatiert: siehe etwa a.a.O., Müller, S. 57ff, Glaser, S. 89, Schwarz, S. 155. Interessanterweise hatte auch Beneš diese Sicht: „Es wiederholt sich genau die Situation, die es im letzten Krieg auch schon gab. Die Deutschen haben sowohl eine Konzeption als auch eine Politik … Die Alliierten haben nichts dergleichen, also muß es ihnen aufgezwungen werden.“ Dokumenty z historie þeskoslovenské politiky 1939-1943 (Dokumente aus der Geschichte der tschechoslowakischen Politik 1939-1949), Academia Prag 1966, Teil I., S. 68 (zit. n. a.a.O., Müller, S. 58)
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Exilregierung, zweitens, die Sicherung der Staatsgrenzen – und zwar jener vor 1938 – und schließlich Sicherheit nach dem Krieg angestrebt. Für die Slowaken ging es erneut um die Frage ihrer Stellung. Die Demokratische Partei wollte Autonomie, die Kommunisten plädierten für eine föderale Lösung. Dabei war es ein Fehler der slowakischen Kommunisten, kein detailliertes Konzept auszuarbeiten, dass bei der Konferenz in Moskau 1945 hätte vorgelegt werden können. Diese Schwäche führte dazu, dass in Moskau der erste Schritt zur Unterordnung unter die tschechische Agenda vollzogen war. Wieder war dem slowakischen Volk die Möglichkeit verwehrt, sein Schicksal mit zu bestimmen. Die Slowakei wurde auf Grund einer alliierten Entscheidung in die Tschechoslowakei eingegliedert. Beneš hatte es erneut geschafft, die Alliierten für seine Ziele zu gewinnen. Wieder wurde eine tschechoslowakische Republik im Ausland und mit Hilfe des Auslands geschaffen; wieder wurde die innen- und außenpolitische Ausrichtung von der Exilregierung bestimmt. Und erneut trat eine totalitäre Macht auf Bühne, die den Versuch einer Eigenständigkeit – diesmal als demokratischer Sozialismus – scheitern ließ. Der Unterschied zu 1918 war die Verortung im Nachkriegssystem. War Masaryks Orientierung vollends westlich und demokratisch gewesen, mit dem Bedürfnis guter Beziehungen zu allen Staaten eingebettet im Mitteleuropakonzept, so dachte Beneš nun der UdSSR die Rolle des Protektors zu. Für diesen Wechsel der Allianz gab es verschiedene Gründe: Zum einen hatte das Münchner Abkommen ein tiefes Trauma ausgelöst, übrigens nicht nur bei der politischen Elite, auch bei der Bevölkerung; man hegte seither ein Misstrauen gegenüber Frankreich und Großbritannien, die die Tschechoslowakei im Stich gelassen und gegenüber den USA, die nicht eingegriffen hatten. Zum zweiten gab es Opportunitätserwägungen: Beneš erwartete einen maßgeblichen sowjetischen Einflusses nach dem Krieg. Und schließlich war da jene traditionelle Russophilie, die bei der inneren Gemütslage (Misstrauen gegen den Westen) und der äußeren Konstellation (Unsicherheit darüber, ob die USA sich nach dem Krieg wieder aus Europa zurückziehen würden, ein nach dem Krieg zunächst eher geschwächtes Frankreich) das Pendel zu der Sowjetunion ausschlagen ließ, von der künftig auf jeden Fall eine wichtige Rolle in Europa zu erwarten war. Zudem schien nur Stalin ihm Schutz vor dem deutschen Drang nach Osten garantieren zu können. „Nicht nur außenpolitisch, sondern auch ideologisch begünstigte der Beneš-Kreis die spätere „volksdemokratische“ Entwicklung. Dieser „Verrat der Intellektuellen“ stand allerdings im Einklang mit den Gefühlen der Mehrheit: Der Westen und die Demokratie waren bei den Tschechen diskreditiert, die Bestialität der Nationalsozialisten hatten sie erfahren, der alte Haß auf die Deutschen hatte sich bis zum Wunsch nach deren Vernichtung und Vertreibung gesteigert. Die stets latenten panslawistischen Sympathien aktualisierten sich, insbesondere nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, ganz von selbst.“31
Diese Welle panslawistischer Sympathie erfasste auch die Slowakei, was einerseits dem kommunistischen Widerstand die Arbeit erleichterte, und andererseits auch die antikommunistischen Bürger und Offiziere ein Bündnis mit der Sowjetunion befürworten ließ. Ansonsten formierte sich der slowakische Widerstand auf der Grundlage eines Programms der nationalen Autonomie. Die slowakischen Kommunisten, seit 1943 in einem eigenen Zentralkomitee organisiert, verurteilten sowohl den Tschechoslowakismus als eine Spielart der bürgerlichen Ideologie als auch die Wiedereinrichtung des gemeinsamen Staates. Ursprüng31
A.a.O., Schwarz, S. 157
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lich wollten sie sogar eine Eingliederung der Slowakei in den Verband der UdSSR.32 Über die außenpolitische Ausrichtung gab es zwischen der Exilregierung, den tschechischen und den slowakischen Kommunisten keinen Dissens. Jedoch diskutierte man sehr heftig über die Position der Slowakei in einem gemeinsamen Staat. Obwohl die Stellung des Slowakischen Nationalrates nach dem Aufstand von 1944 recht stark war, ebenso die der slowakischen Kommunisten, zogen sie doch am Ende den Kürzeren und fügten sich in einen Kompromissvorschlag, der zunächst nur die slowakische Nation anerkannte und weitere Regelungen auf einen späteren Zeitpunkt verschob. Die tschechoslowakische Außenpolitik wurde bis zu seinem Scheitern und Rücktritt maßgeblich von Beneš bestimmt. Auch gab es eine personelle Kontinuität in Person von Jan Masaryk, dem Sohn des Staatsgründers. Seinem Ansatz folgend, baute Beneš einerseits die Beziehungen zu den Westmächten wieder auf, andererseits sollte der außenpolitische Grundpfeiler die Verbindung zur Sowjetunion bleiben. Die Weichen stellende Handlung für die Zukunft der Tschechoslowakei war der sowjetisch-tschechoslowakische Vertrag. Er wurde zum grundlegenden außenpolitischen Dokument der Nachkriegs-Tschechoslowakei, aber auch zum Wendepunkt für die innenpolitische Ordnung. Der „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand in der Nachkriegszeit“ vom 12. Dezember 1943 legte den außen- und innenpolitischen Kurs des Landes für die Zeit unmittelbar nach dem Krieg fest.33 „Damit war der Weg der Tschechoslowakei zur Volksdemokratie abgesteckt, mehr als ein Jahr vor der berüchtigten Konferenz von Jalta.“34 Mittel- und Osteuropa waren als sowjetischer Einflussbereich präjudiziert, bereits vor dem Abkommen der Großmächte. Zudem wertete der Vertrag die internationale Position der UdSSR auf, insbesondere hinsichtlich der künftigen Beziehungen zwischen ihr und den kleineren europäischen Staaten. Das internationale Echo auf den Vertrag war zum Zeitpunkt der Unterzeichnung mehrheitlich positiv. Der Vertrag galt als direktes Vorbild für die vertraglichen Regelungen zwischen der UdSSR und Polen und Jugoslawien. Beneš hatte sich zuvor die Zustimmung der Westmächte eingeholt; nur Großbritannien stimmte nicht zu. Auch die Mehrheit der tschechoslowakischen Bevölkerung nahm die Neuorientierung positiv auf. Beneš glaubte an eine sozialistisch-demokratische Humanität als Grundlage für die Innenpolitik, die auch die Außenpolitik bestimmen sollte: Nämlich 1. Festigung der erreichten Staatskontinuität, 2. Zusammenarbeit mit allen Staaten, vor allem im Hinblick auf die Friedensverträge, 3. Abschluss bilateraler Verträge, vor allem mit Frankreich und 4. ein Vertragsnetz mit den Staaten Mittel- und Osteuropas im Rahmen einer so genannten slawischen Sicherheitspolitik.35 Als Beneš, nun wieder als Präsident der Tschechoslowakei, nach dem Krieg versuchte, seine außenpolitischen Vorstellungen umzusetzen, wurde sehr schnell der enge Spielraum deutlich, der durch die Orientierung an der UdSSR entstanden war. Das zeigten die Friedensverhandlungen in Paris 1946, wo die Tschechoslowakei zwar versuchte, ihre eigenen Interessen zu wahren, aber die Orientierung an der UdSSR, an Polen und Jugoslawien erkennbar wurde.
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Vgl., ebd., S. 158f Vereinbart wurde eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber auch ein Fünfjahresplan für die Tschechoslowakei. Die bürgerlichen Parteien sollten verboten werden, Kommunisten, Sozialisten und tschechische Volkssozialisten (Benešs Partei) sollten sich in einer Nationalen Front vereinigen. Auf kommunaler Ebene sollten Nationalkomitees nach Vorbild der örtlichen Sowjets eingeführt werden. Vgl., a.a.O., Schwarz, S. 157, Müller, S. 90ff 34 A.a.O., Schwarz, S. 157 35 Vgl., a.a.O., Müller, S. 122 33
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1945 hatte Beneš zwar wieder sein Ziel erreicht: eine eigenständige Tschechoslowakei und gesichert durch eine ausländische Großmacht, aber diese „Volksdemokratie“, hatte nur kurzen Bestand. Im Programm von Kosiþe (oder Kaschauer Programm) vom 5.4.1945 wurde als außenpolitische Leitlinie das Bündnis mit der „siegreichen slawischen Großmacht im Osten“ festgelegt. Die Grundlage der außenpolitischen Konzeption basierte auf den gleichen Denkmodell der Ersten Republik: Schutz vor deutscher Expansion und Sicherung der Staatsgrenzen von außen. Beneš versuchte, in allgemeinen Linien an die Erste Republik anzuknüpfen, freilich mit veränderten Vorzeichen: innenpolitisch statt Demokratie eine Form des demokratischen Sozialismus, außenpolitisch statt Allianz mit dem Westen das Bündnis mit der UdSSR. Er griff dabei bewusst auf die Grundfrage aus der Gründungszeit der Tschechoslowakei zurück: „Das für uns in der Frage West oder Ost enthaltene Problem ist bewusst und klar mit der Antwort gelöst: sowohl West als auch Ost“.36 Er glaubte an den Weiterbestand einer Anti-Hitler-Koalition auch nach dem Krieg. Dieser Ansatz, zusammen mit der Angst vor Deutschland, ließ auch das Mitteleuropakonzept Benešs entstehen; jene Idee einer Föderation oder Konföderation – mit Polen - als Wall zwischen Deutschland und Russland, der den Frieden und den Schutz vor Deutschland garantieren sollte.37 Diese Vision Benešs rechnete der Sowjetunion und den Slawen eine führende Rolle im künftigen Europa zu. Dass diese Idee des „sowohl West als auch Ost“ scheitern musste, ließ sich spätestens seit 1947 absehen, als sich die Konfrontation zwischen den USA und der UdSSR deutlich verfestigte. Beneš lieferte, so Schwarz, „sein Land im Verlauf von zehn Jahren gleich zweimal der Beutegier der totalitären Diktatoren“ aus.38 Die Tschechoslowakei war das letzte Land, das sich 1948 in den sowjetischen Machtbereich eingliederte. Forthin war die Treue zur UdSSR in der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (CPýS) unumstritten. Es gab in den Jahren des Stalinismus keine Linienkämpfe innerhalb der Partei. Die Führung war in den Händen einer kleinen Gruppe doktrinärer Marxisten, die man als „orthodoxer als der Kreml“ bezeichnete.39 Sie identifizierte sich völlig mit den Interessen der UdSSR, nationale Interessen traten in den Hintergrund, die Außenpolitik wurde stark ideologisiert. Seit Beginn der 1950er Jahre beschäftigte sich das Regime weniger mit den außenpolitischen Zusammenhängen der eigenen Existenz als mit der „disziplinierten Unterstützung der sowjetischen Vorschläge“.40 Externer Kontext: zwischen zwei Großmächten Der externe Kontext war geprägt durch den Zweiten Krieg, dann durch die Machtinteressen der Großmächte und schließlich durch die wachsende Spannung zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten. Zunächst war Benešs Ansehen nicht nur im Inland, auch im Ausland drastisch gesunken. Nach dem deutsch-sowjetischen Pakt schloss die Sowjetunion die tschechoslowakische Botschaft und nahm diplomatische Beziehungen zur Slowakei auf. 36
Archiv des Außenministeriums, Prag, zit. n. a.a.O., Müller, S. 102 Auf diese Pläne Benešs reagierte Moskau negativ. Die Deklarationen tschechoslowakisch-polnischer Zusammenarbeit, die zwischen 1940 und getroffen wurden, beäugte Moskau sehr misstrauisch. Das Föderationsmodell war auch eine Idee Churchills gewesen, der damit versuchen wollte, den Einfluss der Sowjetunion in Mitteleuropa zu verhindern. Vgl., a.a.O., Müller, S. 96 38 A.a.O., Schwarz, S. 155 39 Vgl. a.a.O., Glaser, S. 189 40 Vgl., a.a.O., Müller, S. 383f 37
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Die Slowakei wurde von 28 Staaten, auch der UdSSR, Frankreich und Großbritannien, nicht von den USA, anerkannt. Zum Wendepunkt wurde die deutsche Invasion in der Sowjetunion. Sie war der Ausgangspunkt für den slowakischen Widerstand. Und die internationale Position der Tschechoslowakei änderte sich sofort und drastisch. Beneš wurde als Exilpräsident wieder anerkannt, die Westmächte standen Beneš und der tschechoslowakischen Idee wieder positiv gegenüber. Unabhängig davon, dass sich Beneš bereits vorher auf ein Bündnis mit der UdSSR festgelegt hatte, fiel die tatsächliche Entscheidung über das Schicksal der künftigen Tschechoslowakei im Mai 1945. Die Billigung der Besetzung durch die UdSSR von Seiten der Westmächte stellte – zusammen mit den Zugeständnissen Benešs an die Kommunisten bei der Ausarbeitung eines Regierungsprogramms - die Weichen für die künftige innen- und außenpolitische Ausrichtung. Die zunehmenden Spannungen zwischen der USA und der UdSSR und die Distanz, die die Westmächte auf Grund der Bindung der Tschechoslowakei an die UdSSR einnahmen, decouvrierten jenen Sowohl-als-Auch-Ansatz Benešs bald als unrealistisch. Die Tschechoslowakei fand sich seit 1938 mit zwei imperialen Großmächten konfrontiert und musste jeweils „vor den realpolitischen Gegebenheiten“ kapitulieren.41 Die Ablehnung der Marshall-Hilfe durch die Sowjetunion und die Gründung des Kominform im September 1947, machte die Blockbildung definitiv; Zhdanow sprach von der Teilung der Welt in zwei Lager. Die Sowjetunion stellte ihre Politik darauf ab, ihren Einflussbereich zu markieren und zu sichern sowie gegen die USA abzugrenzen. So sollte die Gründung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)42 die mittel- und osteuropäischen Länder gegen das European Repair Programm (ERP) der USA abschirmen und ihre eigene Führungsposition sichern. Stalin maß dem RGW letztlich aber keine große Bedeutung zu, er war „mehr eine institutionelle Fassade für eine einseitige Ausbeutungspolitik Moskaus in den Volksdemokratien“43. Der RGW tagte zwischen 1951 und 1954 überhaupt nicht und wurde erst 1959 unter Chruschtschow zu einer Organisation mit Rechtsstatut und Zielsetzung – und zwar, wie die Zeitnähe dies beweist, in Reaktion auf die Gründung der EWG. Die Gründung und die spätere Entwicklung des RGW zeigen, „wie stark sie von der wirtschaftlichen Integration Westeuropas beeinflusst und vorangetrieben wurden“44. Transnationale Interaktion: Eingliederung in den sowjetischen Machtblock Auch vor der kommunistischen Machtübernahme wurde die transnationale Interaktion von den ideologischen und machtpolitischen Motiven der Sowjetunion dominiert. Die Tschechoslowakei spielte aus geostrategischen und wirtschaftlichen Gründen eine herausragende Rolle für die UdSSR. Für die UdSSR war es wichtig, das damals zu den höchstentwickelten 41
Vgl., a.a.O., Hoensch, S. 438 Gründungsmitglieder waren UdSSR, Bulgarien, Polen, Rumänien, Ungarn, Tschechoslowakei. Im September 1950 wurde die DDR Mitglied. Später traten dem RGW auch außereuropäische Länder bei (Mongolei, Kuba, Vietnam). Zur Wirtschafts- und Außenhandelspolitik der Tschechoslowakei innerhalb des RWG: Kosta, JiĜi, „Veränderungen des tschechoslowakischen Wirtschaftssystems nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-65)“, in: Lobkowicz, Nikolaus/Prinz, Friedrich, (Hrsg.), Die Tschechoslowakei 1945-1970, München, Wien 1978, S. 137-173; siehe auch Thalheim, Karl C., „Übergang zur staatwirtschaftlichen Planung und Verflechtung mit dem Comecon“, in: ebd., S. 173-201 43 A.a.O., Gasteyger, S. 105 44 Ebd., S. 106 42
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Industrieländern Europas gehörende Land, das zudem inmitten Europas lokalisiert war, in seinen Machtbereich einzugliedern. Eigenen außenpolitischen Spielraum hatte die Tschechoslowakei ebenso wenig wie die anderen sozialistischen Satellitenstaaten. Die sich schnell verändernde internationale Lage, die Furcht vor kommunistischer Machtübernahme und die sich auseinander bewegenden politischen Systeme, längst aber auch der eiserne Einfluss Moskaus offenbarten, dass die Idee von der Anti-Hitler-Allianz unmöglich war. Dasselbe galt für einen eigenen tschechoslowakischen Weg zwischen Ost und West, mit freundschaftlichen Beziehungen zur UdSSR und ansonsten selbständiger Außenpolitik. Der eindeutige Beweis war der erste und massive Eingriff der UdSSR in die tschechoslowakische Außenpolitik, als Stalin die Teilnahme der Tschechoslowakei am Marshall-Plan verweigerte.45 Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten im Februar 1948 galt: „The special ‚czechoslovak road to socialism’ was soon forgotton, replaced by the Soviet model publicly proclaimed by the Party.“46 Benešs Konzept war gescheitert, die Tschechoslowakei politisch-ideologisch, wirtschaftlich, außenpolitisch und später militärisch im Warschauer Pakt in den sowjetischen Einflussbereich eingegliedert. Die Kontrolle Moskaus in allen Bereichen und die wirtschaftliche und militärische Fesselung an den Hegemon UdSSR in RGW und Warschauer Pakt lässt sich mit dem Rosenau’schen Begriff der Penetration charakterisieren: „the system that was imposed in 1948 established channels of control which enabled the CPSU to exert a direct influence on future political and economic events, turning Eastern Europe into a totally penetrated system“.47 1947 hatte die Tschechoslowakei noch handelspolitische Beziehungen mit westlichen Ländern gehabt.48 Zudem versuchte sie im RGW anfangs durchaus, eigene Initiativen zu entwickeln und vertrat die Haltung, dass das Autarkie-Konzept nachteilig sei. 1950 aber beschloss der RGW, die Handelsbeziehungen mit dem Westen (inklusive Jugoslawien) vollständig abzubrechen. Dazu kam allerdings auch die Embargopolitik des Westens, die die Tschechoslowakei besonders empfindlich traf und die Abhängigkeit von der UdSSR förderte. Seither galt der bilaterale Warenaustausch innerhalb des RGW als wichtigste Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Sie basierte auf einer autarken Handelspolitik des Ostblocks. Zwischen 1949 und 1952 übernahm die ýSSR lückenlos das sowjetische Planungsmodell. In der Arbeitsteilung des RGW fiel der Tschechoslowakei die Rolle einer bedeutenden Kapitalgüterlieferantin der Sowjetunion und der übrigen Partnerländer zu. Sie hatte den Hauptteil der schweren und leichten Waffen für die Ausrüstung der sozialistischen Armeen zu produzieren. Die sklavische Übernahme des sowjetischen Modells, das eigentlich für unterentwickelte, agrarische Wirtschaften entworfen worden war, bedeutete für die auf westlichem Niveau stehende, moderne und entwickelte Wirtschaft der Tschechoslowakei eine Katastrophe. RGW und Warschauer Pakt bildeten zusammen „das Fundament des multilateralen politischen, ökonomischen und militärischen Zusammenwirkens
45
Masaryk soll damals gesagt haben – ein Satz, der in der tschechoslowakischen Exil-Presse oft zitiert worden war -: „Ich fuhr nach Moskau als Minister eines freien Staates und kehrte als Knecht zurück.“ 46 A.a.O., Korbel, S. 255 47 Light, Margot, „The USSR/CIS and democratisation in Eastern Europe”, in: Pridham, Geoffrey/Herring, Eric/Sanford, George, Building democracy?: the international dimension of democratisation in Eastern Europe, New York 1997, S. 133-153, S. 136 48 Vgl., a.a.O., Kosta, S. 144f. 1947 betrug der Handel mit dem Osten nur 12 Prozent der gesamten Ein- und Ausfuhren. Vgl., Schönfeld, Roland, Slowakei, München 2000, S. 180
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der sozialistischen Bruderstaaten“.49 Aus dieser Umklammerung durch die Hegemonialmacht UdSSR, aber auch der „Bruderstaaten“ ließ sich kaum entkommen. Anders als in Polen und Ungarn wurde ein eigener Weg von der stalinistischen Parteiführung nicht verfolgt. Der eigene „tschechoslowakische Weg zum Sozialismus“ war kein Thema mehr. 3.2.2 Die Kommunistische Diktatur 1960-89: die Reformbestrebungen und ihre Niederschlagung In diese Phase fällt die für die Tschechoslowakei - aber auch für alle anderen Satellitenstaaten - zentrale Erfahrung der Legitimierung des sowjetischen Machtanspruchs qua Gewalt oder über die kommunistische Partei. Die Niederschlagung des Prager Frühlings hatte Signalwirkung auch über das Jahr 1968 und über die ýSSR hinaus, denn die „brüderliche Hilfe“ im Falle abweichender Tendenzen von den Moskauer Vorgaben wurde zur Doktrin. Eine andere Signalwirkung bestand darin, dass der Westen sich äußerstenfalls zu „platonischem“ Engagement entschied. Damit war klar, dass eine Veränderung im Sowjetblock und für die einzelnen Länder nur vom Zentrum, der UdSSR, ausgehen konnte. Dies geschah zwischen 1985 und 1989. Das „neue Denken“ („novoe myshlenie“), mit dem Generalsekretär Michail Gorbatschow den massiven internen Problemen der Sowjetunion entgegentrat, wurde zu einem katalysierenden Faktor für den Zusammenbruch der kommunistischen Regime und die Demokratisierung der ehemals sozialistischen Staaten. Damit hatte sich ein Phänomen aufgetan, für das die Erklärungsansätze der Transitionsforschung, nämlich wirtschaftliche Stagnation und Legitimitätsprobleme nicht ausreichten, denn erstens, existierten diese lange vor 1989 und zum anderen erklären sie nicht alleine den dominogleichen Kollaps der Länder. Dafür ist, so Linz/Stepan, die Untersuchung des besonderen linkage zwischen internationaler und Innenpolitik notwendig.50 Um dieses linkage in seiner Bedeutung erfassen zu können, muss die Einbettung Osteuropas in jenes Abhängigkeitssystem, zu dem auch insbesondere RGW und Warschauer Pakt gehören, stärker fokussiert werden. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich diese „embeddedness“ Osteuropas in das Sowjetblock-System, deren Bedeutung Linz/Stepan zu Recht hervorheben, durch das Konzept der Penetriertheit erklären lässt (siehe II.). Die außenpolitischen Handlungen der tschechoslowakischen Regierung bis November 1989 als Produkte eines eigenständiges Handlungs- und Entscheidungssystem zu begreifen, würde die Einflussmöglichkeiten des externen Akteurs UdSSR so kolossal unterschätzen, dass jede Erklärung in die Irre führen würde. Wodurch baut sich aber eine solche Penetration ab? Da der Kollaps der kommunistischen Regime unmittelbar mit Abnahme von Penetration durch die UdSSR zusammenhängt, wird die Betrachtung der drei Variablen im Folgenden auch immer die Strukturelemente dieser Penetration – also RGW insbesondere – einbeziehen. Das heißt, dort, wo es um die Interaktion zwischen der EG und der Tschechoslowakei geht, wird auch die Interaktion zwischen EG und RGW bzw. EG und Sowjetunion qua RGW betrachtet. 1960 wurde die nationale Frage in der Tschechoslowakei erneut thematisiert. Die Verfassung von 1960 unterteilte die Slowakei in drei Regionen und unterstellte diese direkt der Prager Regierung. Das asymmetrische Vertretungsmodell führte dazu, dass die Slowaken 49 So die Definition laut Kleines politisches Wörterbuch (4. und überarbeitete Ausgabe von 1988), Berlin (Ost) 1989, S. 1025 50 Vgl., a.a.O., Linz/Stepan, S. 236
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sich betrogen fühlten, als Bürger zweiter Klasse. Auch innerhalb der CPýS fühlten sich die slowakischen Intellektuellen übervorteilt von den tschechischen Kommunisten, die die Zentralisierung auch auf den Parteiapparat ausgedehnt hatten. Wirtschaftlich allerdings erlebte die Slowakei eine massive Industrialisierung und Modernisierung, die das Gefälle zwischen Tschechen und Slowaken verringerte, gleichzeitig aber die traditionellen Sozialstrukturen zerschlug und die traditionell bäuerliche Gesellschaft proletarisierte. Die Kappung des Handels mit dem Westen und die Orientierung auf den Handelspartner Sowjetunion rückte die slowakische Wirtschaft von der Peripherie näher zum Zentrum.51 Internationale Verortung: eingefrorener Stalinismus, unterströmt Der gesamtpolitische Rahmen, die inhaltlichen Vorgaben und die Entscheidungsspielräume der ýSSR wurden weiterhin vorgegeben durch die feste Verankerung im sowjetischen Machtblock. Nur im Zuge der Reformbewegung von 1968 wurde eine Lockerung von der einseitigen Ausrichtung an der UdSSR intendiert und eine eigenständigere Außenpolitik, angestrebt. Dies hatte allerdings primär wirtschaftliche Gründe; es ging um Handelsbeziehungen mit dem Westen, vor allem mit der 1957 geschaffenen EWG. Bei der Aufbruchstimmung in der Slowakei Anfang der 1960er Jahre, die mit einer neuen Welle an Nationalgefühl und der Forderung nach Selbstverwaltung und Föderalisierung einerseits sowie Kritik am Machtmissbrauch der Parteizentrale und am Missbrauch der marxistischleninistischen Lehre verbunden war, spielte Außenpolitik ein sekundäre Rolle, Ebenso wie bei den Liberalisierungsversuchen des neuen Parteichefs Dubþek. Bis zum August 1968 wurde kein einziger Vorschlag formuliert oder unterbreitet, der eine grundlegende Änderung der außenpolitischen Orientierung für die Tschechoslowakei gefordert hätte. Man wollte nicht aus der sozialistischen Gemeinschaft ausbrechen, wohl aber zum Beispiel effektivere Mechanismen in der Wirtschaft und Reformvorschläge für den Außenhandel umsetzen. Die Tschechoslowakei war eines der ersten Länder des RGW, in dem Vorschläge für die Reform des traditionellen sowjetischen Lenkungssystems entwickelt wurden; die Galionsfigur dieser Reformergruppe war der Wirtschaftswissenschaftler Ota Šik.52 Trotz des Akzents auf innenpolitische Reformen, lässt sich erkennen, dass Dubþek um ihre außenpolitische Absicherung bemüht war.53 Andererseits gab es auch Stimmen, die durchaus weiter gehen wollten als die ýPCS und auch über die Blockgrenzen Kontakte intensivieren wollten.54 Diese Konzeption setzte sich allerdings nicht durch. Das Aktionsprogramm der CPýS vom April 1968 hält fest: „Die grundsätzliche Orientierung der tschechoslowakischen Außenpolitik entstand und bewährte sich in der Zeit des nationalen Befreiungskampfes und während des Prozesses der sozialisti-
51
Vgl., a.a.O., Schwarz, S. 188ff Siehe hierzu a.a.O., Müller, S. 238f 53 Siehe dazu unter „Transnationale Interaktion“ 54 Der 1969 emigrierte Dubþek-Anhänger und vormalige Wissenschaftler am Institut für Internationale Politik und Ökonomie in Prag, Adolf Müller, war Mitautor (zusammen mit Alois Mikeštik und Ivan Synek) an einem Beitrag in der Zeitung Rudé právo (22.3.1968) unter dem Titel „Internationale Zusammenhänge unserer Entwicklung“, in dem die Meinung vertreten wurde, der Demokratisierungsprozess könnte auch „neue Verbündete“ in Europa gewinnen. A.a.O., Müller, S. 249f 52
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schen Umgestaltung unseres Landes – es ist das Bündnis mit der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten.“55
An der Verankerung im Warschauer Pakt und im RGW wurde kein Zweifel gelassen, aber auch die europäische Ebene wurde als wichtig erachtet, und zwar in zweifacher Weise: Zum einen erfordere, so das Aktionsprogramm, die geographische Lage ebenso wie die Bedürfnisse und Möglichkeiten eines Industriestaates eine „aktive europäische Politik“; dabei ziele man auf „vorteilhafte Beziehungen mit allen Staaten und internationalen Organisationen“ und auf „die Sicherung der kollektiven Sicherheit des europäischen Kontinents“. Und in Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen sprach das Aktionsprogramm von der „Entfaltung progressiver Formen der internationalen Zusammenarbeit … mit den interessierten Ländern.“56 Die weitere internationale Verortung, die Handlungsoptionen der Regierung sowie die Haltung in der Bevölkerung wurde maßgeblich geprägt von der militärischen Intervention der Roten Armee zusammen mit vier anderen Warschauer-Pakt-Staaten. Selbst auf Reformgegner und überzeugte Kommunisten wirkte sie wie ein Faustschlag. Die Partei war verunsichert, die neue Parteiführung zeigte Unterwürfigkeit und Opportunismus. Die Bevölkerung, stark panslawistisch eingestellt, reagierte mit Hass, Verachtung und Hoffnungslosigkeit, die Mehrheit der Bürger betrachteten die Intervention als rechtswidrig, sprach sich gegen einen Verbleib fremder Truppen aus. Es gab starke Bekundungen zugunsten einer Neutralität der Tschechoslowakei.57 Vor allem in der Slowakei machten die Intellektuellen aus ihrer Enttäuschung über die „Bruderstaaten“ keinen Hehl; sie fühlte sich besetzt.58 Zugleich war man vom Westen enttäuscht. Nach 1938 und 1948 wurde das Land wieder seinem Schicksal überlassen. Dass der Westen nicht weiter ging, als „platonische Sympathie“ zu bekunden, werteten die Tschechoslowaken als Tatsache dafür, dass der Staat international als Teil des sowjetischen Blockes akzeptiert war und dass substanzielle Veränderungen nicht ohne Veränderungen im Zentrum möglich sein würden.59 Die Dissidentenbewegung, die sich ab Mitte der 1970er Jahre formierte, entstand zuvorderst als Kritik an Menschenrechtsverletzungen und formulierte sozialistische Reformideen. Die wichtigste Gruppierung, die Charta 77, mit Mitgliedern wie Václav Havel und Pavel Kohout, verstand sich nicht als Opposition und benutzten den Ausdruck Dissident auch nur in Anführungszeichen.60 Ihr Ziel war der „konstruktive Dialog mit der politischen 55
Zit. n. ebd., S. 252 Ebd., S. 253 und 254 Vgl., VeĜejné mínƟní okupované Prahy (Die öffentliche Meinung des okkupierten Prag), Umfrage des Soziologischen Instituts, Prag 1968, zit. n. a.a.O., Müller, S. 308 58 Vgl., a.a.O., Schönfeld, S. 198 59 Vgl., a.a.O., Mannova, S. 292 60 Die Charta 77 betont in ihrer ersten Deklaration ausdrücklich, dass sie sich nicht als Opposition versteht: „Charta 77 ist keine Basis für oppositionelle politische Tätigkeit“. (Erklärung der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewebung Charta 77 vom 1.1.1977, in: a.a.O., Gasteyger, Dokument D82, S. 354ff, hier: S. 356) Václav Havel erläutert sehr stichhaltig die Gründe dafür. Etwa, dass Charta 77 nicht wie eine Opposition in parlamentarischen Systemen ein alternatives politisches Programm vorlegt; oder dass im Sowjetblock das Wort Opposition ‚als die denkbar schlimmste aller Beschuldigungen’ benutzt wird“. Auch mit der Bezeichnung „Dissident“ ist Havel nicht glücklich und nennt sie „schon etymologisch fragwürdig“. Die Dissidenten fühlten sich nämlich nicht als „Abtrünnige“. Stärker noch aber wehrt sich Havel gegen den Eindruck, Dissidententum sei ein Beruf, „jemand (…), der sich einfach für den Beruf eines professionellen Unzufriedenen entschlossen hätte, so etwa wie sich ein Mensch entschließt, Schuster oder Schmied zu werden.“ Havel, Václav, Versuch, in der Wahrheit zu leben, Hamburg 1989 (Neuausgabe des Originaltextes von 1978 „Moc Bezmocných“); besonders Kapitel 13, S. 47-51 56 57
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und staatlichen Macht“. Anstoß und Basis für dieses Bürgerrechts-Engagement bildete die Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE und der dort verankerten Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Die Charta 77 verfolgte allerdings in ihrer Grundintention weder die Errichtung demokratischer Verhältnisse noch lässt sich eine explizite westliche Orientierung erkennen. So konstatiert Havel 1978: „Es weist nichts darauf hin, daß die westliche Demokratie – das heißt die Demokratie vom traditionellen parlamentarischen Typ – irgendeinen glaubhaften Ausweg eröffnete. (…) Wirklich: Es sieht nicht so aus, als ob die traditionellen parlamentarischen Demokratien ein Rezept zu bieten hätten, wie man sich grundsätzlich der ‚Eigenbewegung’ der technischen Zivilisation, der Industrie- und Konsumgesellschaft widersetzen könnte.“ „Sich jedoch an die traditionelle parlamentarische Demokratie als ein politisches Ideal zu klammern und der Illusion zu erliegen, daß nur diese ‚bewährte’ Form den Menschen eine würdige, und mündige Existenz auf Dauer sichern kann, wäre meines Erachtens zumindest kurzsichtig.“61
Ein weiteres neues Gedankenelement tauchte auf: Die Mitteleuropa-Thematik. Bereits in den 1970er Jahren setzte sich die tschechische oppositionelle Historiographie mit dem Mitteleuropa-Begriff auseinander, früher als in den anderen ostmitteleuropäischen Ländern. Der Tscheche Milan Kundera war der wesentliche Initiator der Mitteleuropadebatte der 1980er Jahre mit seinem über das Land hinaus bekannt gewordenen Essay „Die Tragödie Mitteleuropas“.62 Die Mitteleuropa-Idee - durch die Teilung Europas jahrzehntelang verschüttet, unter Hitler vergiftet und mit dem Kalten Krieg hinter dem Eisernen Vorhang in Vergessenheit geraten, wie Timothy Garton Ash es ausdrückt63 - wurde wieder entdeckt und revitalisiert von den Intellektuellen und Schriftstellern; zunächst auf einer geistig-kulturellen Ebene, später politisiert in Form eines systemkritischen und (außen)politischen Ansatzes.64 Dies geschah insbesondere nach der harten Reaktion auf die polnische SolidarnoĞü-Bewegung und der Verhängung des Kriegsrechts 1981. Spätestens da waren die kommunistische Integrationsperspektive und das Prinzip des sozialistischen Internationalismus für die Opposition endgültig diskreditiert. Das Zusammengehörigkeitgefühl der mitteleuropäischen Staaten und die regionale Identität eines Mitteleuropas wurden nicht nur zum Gegensymbol für jene internationalistische Propaganda, sondern zum Gegenbegriff all dessen, was die sowjetische Herrschaft ausmachte, als „politisch-intellektuelle Alternative zu dem sowjetisch dominierten ‚Osteuropa’“65. „Das Rufen nach der Anerkennung eines „Mitteleuropas“ ist in den heutigen Sowjetblockländern schließlich und endlich ein Ausdruck des Bestrebens, aus der Sphäre des sowjetischen He61
A.a.O., Havel, S. 85 und 86 Er erscheint zuerst 1983 in der tschechischen Exilzeitschrift „150.000 slov“ (150.000 Worte) und dann in europäischen und amerikanischen Zeitschriften. Siehe zur tschechoslowakischen Mitteleuropa-Debatte und ihrer Einordnung Weimer, Christian, „Mitteleuropa“ als politisches Ordnungskonzept? Darstellung und Analyse der historischen Ideen und Pläne sowie der aktuellen Diskussionsmodelle, Würzburg 1992, S. 203ff 63 Vgl., Garton Ash, Timothy, „Mitteleuropa? Aber wo liegt es?“, in: Zeit der Freiheit. Aus den Zentren des neuen Europa, München/Wien 1999, S. 415-432, hier: S. 415 64 Vgl., Kneuer, Marianne, „Der Europa-Diskurs der Intellektuellen seit 1945. Ein Überblick“, in: Ballestrem, Karl Graf/Gerhardt, Volker/Ottmann, Henning/Thompson, Martyn P., Jahrbuch des Politischen Denkens 2003, Stuttgart/Weimar 2002 (2000b), S. 167-192 und a.a.O., Tombrink, Ansgar 65 A.a.O., Ash, 1999, S. 415 62
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gemonismus auszubrechen, Ausdruck nach dem Streben nach einer Möglichkeit sich autonom, ohne sowjetischen Zwang, politisch und kulturell entwickeln zu dürfen.“66
Die Mitteleuropa-Idee aus der Sicht der späten 1970er und der ersten Hälfte der 1980er Jahre muss differenziert werden in eine kulturell-geistig-historische Dimension, wozu die Erinnerung an eine Kultur mit gemeinsamen Zügen ebenso gehören mag wie die (Re)Konstruktion einer Identität als Quelle einer moralischen Gegenkraft zur ideologischen Vereinnahmung durch die UdSSR. Auch muss die Revitalisierung des Begriffs „mitteleuropäisch“ als Abrücken vom „Osten“ verstanden werden. Es sollte nicht ein „Gegenbegriff“ zu Europa gesetzt werden, es ging vielmehr darum, der Zuordnung dieser Länder zu Osteuropa zu widersprechen – ein Signal sowohl an die UdSSR als auch an den Westen. Im wieder entdeckten Begriff Mitteleuropa kristallisierte sich bei Kundera der Vorwurf an die Sowjetunion, Mitteleuropa vereinnahmt zu haben – es sei vom Osten entführt worden – als auch die Kritik am Westen, der die eigentlich mitteleuropäischen Länder abgeschrieben hatte, indem er sie zum Osten gezählt hatte. Kundera ordnet Mitteleuropa klar dem Westen zu.67 Es wird bei Kundera ebenfalls sehr deutlich, dass es den Ländern um den „Kampf um die Erhaltung ihrer Identität“ geht, und diese definiert er eindeutig als „Westlichkeit“.68 Die politische Dimension des Mitteleuropabegriffs zielte auf eine Lockerung von der sowjetischen Umklammerung durch eine verstärkte Zusammenarbeit Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei. Die Verbesserung und Erweiterung der Beziehungen zu den anderen mitteleuropäischen Ländern, die bereits in der Dubþek-Zeit aktiviert worden war, wurde immer wieder einmal thematisiert. Es kamen aber auch „alte“ Pläne wieder ins Gedächtnis wie Neutralität für Mitteleuropa oder Mitteleuropa als alternatives Sicherheitssystem und Puffer zwischen Ost und West á la Beneš. Neutralität war tatsächlich eine Denkrichtung innerhalb der Mitteleuropa-Diskussion. In der Tschechoslowakei hatte die Idee von der Brücke zwischen Ost und West eine gewisse Tradition, wenn sie auch keine vorherrschende Haltung war. Die Rekonstruktion Mitteleuropas wurde jedoch umgehend durch den Wunsch der „Rückkehr nach Europa“ ersetzt in dem Moment, als die kommunistischen Regime zusammenbrachen und sich eine völlige neue Perspektive eröffnete. Insofern war die Mitteleuropa-Debatte ein wichtiges Element der gesellschaftsinternen Selbstfindung gewesen, die nach außen wie nach innen wirkte. Ungeachtet der Nuancierungen in der Debatte signalisierte sie primär die Nicht-Identifikation mit dem „Osten“ und das Selbstverständnis als westlich, was einherging mit dem Wunsch nach Freiheit im Inneren. So verstanden war die Mitteleuropa-Debatte eine Verortungsdiskussion, die sich 1989 in dem Moment verabschiedete, als sich die Optionen veränderten. Während der letzten Jahre im kommunistischen Block, von 1985 bis 1989, blieb das Regime der ýSSR bis zum Schluss das unbeweglichste. Als mit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU 1985 ein neuer Wind durch den Sowjet66
MlynáĜ, Zdenek, „Mitteleuropa im Ost-West-Konflikt“, in: Papcke, Sven/Weidenfeld, Werner, (Hrsg.), Traumland Mitteleuropa? Beiträge zu einer aktuellen Kontroverse, Darmstadt 1988 (zuerst veröffentlicht 1986 in Innsbrucker Universitätshefte, Nr. 160/1986, S. 65-71), S. 46-56, hier: S. 51 67 „Durch sein politisches System gehört Mitteleuropa zum Osten, durch seine kulturelle Geschichte zum Westen. Doch da Europa selbst dabei ist, seine Identität zu verlieren, erblickt es in Mitteleuropa nichts als ein politisches Regime. Anders gesagt: Es sieht in Mitteleuropa nur Osteuropa.“ Kundera, Milan, „Die Tragödie Mitteleuropas“, (erstmals 1983), abgedruckt in: Busek, Erhard/Wilfinger, Gerhard, (Hrsg.), Aufbruch nach Mitteleuropa. Rekonstruktion eines versunkenen Kontinents, Wien 1986, S. 133-144, hier: S. 143 68 Ebd., S. 137
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block wehte, schloss die tschechoslowakische Parteiführung erst einmal die Fenster. Man stand Gorbatschows Modernisierungsideen ebenso hilflos gegenüber wie den nationalkommunistischen Experimenten in Polen und Ungarn. Anders als dort fürchteten sich die tschechoslowakischen Funktionäre vor Erneuerung aus der Partei heraus. Zwar gab es personelle Wechsel, das änderte aber nichts an der Linie der Partei. Im Gegensatz zu Polen und Ungarn gab es in der CPýS vor 1989 keine Reformbewegung. Diese Resistenz hinsichtlich Reformen, der krampfhafte Versuch, die Aufweichung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei und Liberalisierungsschritte zu verhindern, ging außenpolitisch einher mit der Hilflosigkeit angesichts der sichtbaren Nichtunterstützung der Alt-Kommunisten in Moskau, Warschau und Budapest. „Die Kritik am Stalinismus und Breschnewismus sowie die neuen (oder neuen alten) Reformideen, die aus Moskau kamen, versetzten die Herrschenden in einen Panikzustand, zwangen sie zu verschiedenen ideologischen Klimmzügen und riefen in ihnen Gefühle von Vereinsamung bis hin zu Resignation hervor.“69 Die Bevölkerung dagegen fühlte sich von den Ideen Gorbatschows, über die sie durch das Fernsehen (Kanal der sowjetischen Besatzungstruppen) informiert waren, angezogen. Und sie merkte, dass der dort gepredigte Umbau in ihrem eigenen Land nicht stattfand, was dazu führte, dass das traditionell eher apathische tschechoslowakische Volk vermehrt seinen Gehorsam aufkündigte. Träger dieser Bewegung waren die seit 1987 gegründeten Bürgerinitiativen, und in der Slowakei vor allem die Katholische Kirche. Die Legitimitätsprobleme haben ihre Wurzeln allerdings früher. Und dabei spielen zwei Aspekte der internationalen Verortung eine wesentliche Rolle: 1.
“…while the state institutions have been coopted to the East, the nation still resides spiritually in the West. This disjunction between a Western orientated nation and an Eastern orientated state has been particularly marked in Poland, East Germany, Czechoslovakia and Hungary.”70 Zwar waren die „traditionelle“ außenpolitische Orientierung der Tschechoslowakischen Republik und die historischen Verbindungen zu Westeuropa in den 1950er Jahren gekappt worden. Aber die Erinnerung an die demokratischen parlamentarischen Einrichtungen der Zwischenkriegszeit, die Westorientierung, das Wissen um frühere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und der Stolz auf geistige Errungenschaften lebten fort.71 Das wurde 1968 deutlich, als nach der Einordnung der verschiedenen historischen Kapitel gefragt, die Tschechen auf dem ersten Platz die Erste Republik mit 39% als ruhmreichste Periode nannten, auf dem vierten Platz dann die Dubþek-Zeit; nur 3% sprachen sich für die Zeit zwischen 1948 und 1969 aus. Bei den Slowaken war die Beurteilung der Ersten Republik 17% (dahinter direkt die Zeit zwischen 1948 und 1968 mit 16%) nicht ganz so positiv, während die Dubþek-Zeit mit 36% vorne lag.72 Die Opposition, die während der „Normalisierung“ genannten Phase
69 BĜach, Radko, Die Außenpolitik der Tschechoslowakei zur Zeit der „Regierung der nationalen Verständigung“, Baden-Baden 1992, S. 25. 70 Dawisha, Karen, Eastern Europe, Gorbachev and Reform, Cambridge 1988, S. 24. Dort auch zu dem Legitimitätsproblem, S. 22ff und 113f 71 Bereits in den Programmplattformen des Prager und Pressburger Frühlings hatte man sich an der Ersten Republik orientiert. Vgl., dazu a.a.O., Hoensch, S. 445 und KĜen, Jan, “Die Tradition der tschechischen Demokratie”, in: Hildermeier, Manfred, (Hrsg.), Europäische Zivilgesellschaft in Ost und West. Begriff, Geschichte, Chancen, Frankfurt am Main et.al. 2000, S. 179-197 72 Vgl., Brown, Archie/Wightman, Gordon, „Czechoslovakia: Revival and Retreat”, in: Brown, Archie/Gray, Jack, (Hrsg.), Political Culture and Political Change in Communist States, London 1979, S. 159-197 und Piekalkiewicz,
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2.
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der brutalen Unterdrückung ab 1968 entstand, „stellte im Grunde genommen eine Enklave der bürgerlichen Gesellschaft dar, die in den Köpfen der Menschen noch präsent war.“73 Die prä-kommunistische Erbschaft Ostmitteleuropas und seine Durchdringung mit westlichen Ideen und Traditionen stellten eine Herausforderung für die Sowjetunion dar; in der Tschechoslowakei wurde sie symbolisiert durch Masaryk als Synonym für Demokratie und Westorientierung. In ihrer Propaganda stempelte die SOwjetunion Masaryk daher als anti-bolschewistisch und bourgeois ab. Einen grundlegenden Wechsel in der politischen Kultur der Tschechoslowakei stellte die Invasion 1968 dar. Da die Sowjetunion als Befreier vom Nationalsozialismus seit 1945 in hohem Ansehen stand – der Westen war diskreditiert -, und die Tschechoslowaken keine Erfahrung mit russischer Unterdrückung wie Polen und Ungarn hatten, war die Verbitterung umso tiefer, als man erfahren musste, dass die beschworene Freundschaft eine Schimäre war. Damit schlug die vorher durchaus vorhandene panslawistische und russophile Einstellung der Bürger um. Dies erschütterte aber die legitimatorischen Grundlagen des Regimes – wie stark oder schwach sie auch gewesen sein mögen. Der bis dahin vorhandene und für die Legitimität unabdingbare Konsens zwischen Regierenden und Regierten hatte zumindest in einer relativ breiten positiven Einstellung zur UdSSR (traditionelle Russophilie plus „Befreier-Bonus) und in dem nach dem Menetekel der Demokratien und der nationalsozialistischen Erfahrung als Alternative wahrgenommenen Kommunismus gelegen. Dieser Konsens zerbrach aber 1968. Die militärische Intervention im August 1968 und die demütigende Besatzung der Roten Armee bewirkte mehrerlei: eine Distanzierung der Bürger von diesem Staat und seinem System,74 das Verschwinden der Distanz zwischen Intellektuellen und Bevölkerung und schließlich das Zusammenkommen von Reform orientierten ExKommunisten und Nicht-Partei-Mitgliedern.75 Die intellektuelle Elite rückte offen ab von den sowjetischen Idealen. Symptome dafür waren die Charta 77 und ihre Ausrichtung auf die Verteidigung der Menschenrechte, die intellektuelle Renaissance des Mitteleuropa-Gedankens und nicht zuletzt das „Träumen von Europa“ (JiĜi Dienstbier). Es kristallisiert sich in den 1980er Jahren die Suche nach neuen Identifikationssymbolen heraus, die zunächst geistig-kulturell stattfand, zunehmend aber auch politische Züge annahm. Die Disjunktion zwischen Führung und Bürgern kam erst durch Gorbatschows Reformanstöße zum Tragen: Das neue Denken Gorbatschows, die damit verbundenen Hoffnungen und die wahrgenommene Diskrepanz zur Politik des eigenen Landes ließen schließlich auch die Bürger von ihrem Regime abrücken, das sowohl dem Reformkurs Gorbatschows als auch den Vorbildern von Liberalisierung in den Nachbarländern standhalten wollte. Die Delegitimierung der Regimeführung und die Identifikation mit Europa wurden erheblich verstärkt, diesen Aspekt darf man nicht vergessen, durch den Einfluss westlicher Medien – seien es die verschiedenen, zur Information Osteuropas installierten Sender wie Radio Free Europe oder schlichtweg die österreichischen und deutschen Sender etwa - und das dort zu findende Bild von Wohlstand und Konsummöglichkeiten.
Jaroslaw A./Bede, Barry, Public Opinion Polling in Czechoslovakia, 1968-1969: Results and Analysis of Surveys Conducted during the Dubþek Era, New York 1972 73 A.a.O., KĜen, S. 198 74 Vgl., a.a.O., Mannova, S. 292 75 Vgl., Renner, Hans, A history of Czechoslovakia since 1945, London/New York 1989, hier bes. das Kapitel “Opposition under the rule of Gustáv Husák” (S. 118-148)
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III Empirischer Teil: EU
Externer Kontext: Bewegung im Block Der externe Kontext – weiterhin auf dem Hintergrund des Kalten Krieges - wurde von zwei Entspannungsperioden zwischen Ost-West geprägt: Der SALT- und KSZE-Prozess, zudem die neue Ostpolitik der bundesrepublikanischen Regierung unter Brandt/Scheel, die Unterzeichnung der Ostverträge, vor allem aber der Dialog im Rahmen der KSZE brachten in der kommunistischen Welt der 1970er Jahre Einiges in Bewegung. Der Einmarsch in Afghanistan und die harte Gangart in Polen 1981 unterbrachen dann die Entspannung zwischen den Blöcken, die dann Mitte der 1980er Jahre durch Gorbatschow wieder neuen Schwung bekam. Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte wurde zu einem zentralen Bezugspunkt für die Reformkräfte oder Oppositionelle. Sie beriefen sich seither auf die Anerkennung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Ein wichtiger Faktor war die Entwicklung in den Nachbarstaaten, die sehr genau beobachtet und als gefährlich angesehen wurde. Selbst das von Moskau kommende Reformdenken in Gestalt von perestroika und glasnost wurden nicht aufgenommen. Insbesondere die Gewerkschaftsbewegung SolidarnoĞü in Polen machte das tschechoslowakische Regime extrem nervös. Anti-polnische Kampagnen wurden in den Medien geschaltet, touristische Kontakte eingeschränkt. Die Bürger wiederum wichen auf westliche Medien aus, um sich zu informieren. Die Ereignisse in Polen beschäftigten die Gesellschaft, auch über die Niederschlagung im Dezember 1981 hinaus. Wirkung hatte auch die Entwicklung in Ungarn, die zeigte, dass der Umbau des kommunistischen Systems möglich und keine Utopie mehr war.76 Die enorme Dynamik, die den externen Kontext zwischen 1985 und 1989 erfasste, zwang die einzelnen Staaten nun zur innen- und außenpolitischen Neuorientierung. Der zentrale Akteur innerhalb dieses Kontextes auf jeder Ebene war die UdSSR. Sie stellte den wichtigsten und direktesten Einflussfaktor für diese Prä-Transitionsperiode der osteuropäischen Demokratisierungsprozesse dar. Der Schlüssel für die Demokratisierung Osteuropas lag in der Veränderung der sowjetisch-osteuropäischen Beziehungen. Gorbatschows Reformansatz war die „notwendige, wenn auch nicht ausreichende Bedingung“ für die Ablösung der kommunistischen Regime und die darauf folgende Demokratisierung. Allerdings waren das Ende der kommunistischen Herrschaft und die Einführung demokratischer Systeme westlichen Zuschnitts weder beabsichtigt noch absehbar. Für die ýSSR ergaben sich zwei Einflussfaktoren aus dem externen Kontext: Zum einen der neue sowjetische Kurs, und zum anderen die Reaktionen der Nachbarstaaten Polen und Ungarn darauf. Die Abgrenzung zwischen systemischem und Akteurseinfluss ist schwierig. Einerseits war die UdSSR Akteur gegenüber der ýSSR. Andererseits bewirkte sie grundlegende Veränderungen des internationalen Klimas und Veränderungen der Beziehungen zwischen der ýSSR und ihren Bruderländern. Denn das „neue Denken“ Gorbatschows, das in den beiden ebenso diffusen und interpretationsoffenen und deswegen so mit Hoffnung beladenen Begriffen glasnost (Offenheit/Öffentlichkeit) und perestroika (Umgestaltung) seinen Ausdruck fand, wurde auch auf die Außenpolitik bezogen. Für die Umsetzung der inneren Reformen betrachtete Gorbatschow die Veränderung des internationalen Klimas und bestimmte außenpolitische Bedingungen für unerlässlich. Innen- und Außenpolitik korrelierten auf zwei Ebenen: International brauchte Gorbatschow einerseits die Annäherung an die USA und konkrete Abrüstungserfolge und andererseits den Handel mit dem Westen; innerhalb des 76
Vgl., a.a.O., Renner, S. 156ff
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sozialistischen Blocks wollte er, dass die Bruderländer ihm in seinen Reformanstrengungen folgten. Zugleich wollte er auch dort seine Maximen umsetzen: Abbau der verkrusteten zentralistischen Strukturen und weniger Lenkung von Moskau, dafür mehr Selbstverwaltung und selbstverantwortliches Handeln in den einzelnen Ländern. Deswegen nahm Moskau den Druck auf und die Kontrolle über die Satellitenstaaten zurück. Auch hierbei ging es um die Wirtschaftsreformen, effektivere Arbeitsmethoden und die Sicherung der Einflusssphäre via ökonomische Macht77, nicht um politischen Wandel und um die Lockerung des Blockverhältnisses. Der ehemalige ZK-Sekretär der CPýS, MlynáĜ, argumentiert, dass die UdSSR weder aus Sicht ihrer Großmachtinteressen auf die Bündnisbeziehungen im Warschauer Pakt noch auf die Satellitenstaaten als Wirtschaftsfaktor verzichten konnte.78 Abrüstung auf der internationalen Ebene einerseits und Wirtschaftsreformen auf der nationalen und regionalen (RGW) Ebene sollten den wirtschaftlichen Bankrott verhindern – Stichwort „Abrüstung für Entwicklung“, wie Gorbatschow es selbst formulierte.79 Die Motive des externen Akteurs UdSSR waren zuvorderst wirtschaftlicher Art. Die Abkehr der sozialistischen Bruderländer vom sowjetischen Modell und die darauf folgende Ausrichtung an westlichen Demokratien waren nicht beabsichtigt. Das Handeln der UdSSR wirkte sich für die ýSSR in zweifacher Weise aus: auf der Ebene der bilateralen Beziehungen (Reaktion auf die Moskauer Reformforderungen) und auf der subregionalen Ebene der Nachbarstaaten (Reaktion auf die von Moskau gebilligten Reformprojekte in Polen und Ungarn). Da die ýSSR dem neuen Denken Gorbatschows nicht folgen wollte, stand sie bald recht isoliert da: ohne Unterstützung, ja unter gewissem Druck von Moskau, und umkreist von Reformprojekten. In Polen formierte sich im Herbst 1988 der „Runde Tisch“, der – wenn auch nur eingeschränkt freie - Wahlen für Juni 1989 beschloss. In Ungarn begann die Auseinandersetzung der gemäßigten und radikalen Reformer, darüber, ob am Einparteiensystem festgehalten werden sollte oder das kommunistische Machtmonopol abgeschafft und ein Mehrparteiensystem eingeführt werden sollte. Um die ýSSR herum gärte es; sie nahm es widerwillig wahr, verschloss sich selbst vor jeglicher eigener Reformanstrengung. Insbesondere in der Slowakei, wo sich der Widerstand im katholischen Bereich befand, hatten die Ereignisse in Polen, da dort die katholische Kirche zusammen mit SolidarnoĞü kämpfte, starken Einfluss.80 Auf die Parteiführung in der ýSSR wirkte somit doppelter Druck: zum einen durch den rundum ablaufenden, von oben gesteuerten Reformprozess in der Sowjetunion, Ungarn und Polen, zum anderen durch die Wirkung von Gorbatschows Ideen und den Reformprozessen in der Nachbarschaft auf die intellektuelle Elite genauso wie auf die Bevölkerung. Der neue Kurs Moskaus beinhaltete einen weitgehenden Rückzug der UdSSR aus den inneren Angelegenheiten der Satellitenstaaten, indem die sowjetische Zustimmung zu dortigen Personalentscheidungen ebenso abgeschafft wurde wie der internationale Sozialismus. Mit diesen beiden Schritten waren die Überwachungskanäle der KPdSU über die Satellitenstaaten unterbrochen; ihr penetrierter Zustand hatte ein Ende. Entscheidend aber war die Aufgabe der Interventions- bzw. Gewaltandrohung – der so genannten Breschnew-Doktrin. Da von der Gewaltandrohung der UdSSR die Legitimität der osteuropäischen Regime ab77
„Sobald die Umgestaltung uns in allen ökonomischen Hauptkennziffern Zutritt zum Weltniveau gesichert hat, wird sie unserem (…) Land die Möglichkeit geben, sich auf eine bisher nie da gewesene Weise in die weltweite Arbeits- und Ressourcenteilung einzuschalten.“ A.a.O., Gorbatschow, S. 108 78 Vgl., a.a.O., MlynáĜ, S. 54. So auch Light, a.a.O. 79 A.a.O., Gorbatschow, S. 107 80 Vgl., a.a.O., Mannova, S. 294
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hing, entzog Gorbatschow in dem Moment, als er diese ersatzlos strich und die Länder in ihrer Suche nach neuen Legitimitätsquellen sich selbst überließ, den Kommunisten in der ýSSR – auch in der DDR - die Reform- und Überlebenschancen.81 Neben den Veränderungen auf internationaler Ebene und in den Nachbarländern, spielte auf der regionalen Ebene die Gründung der EGKS und EWG und die fortschreitende Integration eine große Rolle. Die EG gewann durch die zunehmende Integration – WEU, EPG, EWS, EEA –, durch den wirtschaftlichen Erfolg und die politische Rolle (siehe KSZE-Prozess) an Attraktivität und an Bedeutung für die Ausrichtung der Sowjetunion sowie der Satellitenstaaten. Transnationale Interaktion: die EG als besondere Sorge der UdSSR Den überragenden Faktor innerhalb des externen Kontextes zwischen 1948 und 1988 stellten die Vorgaben der UdSSR als Hegemonial- und Steuerungsmacht der von ihr penetrierten Satellitenstaaten dar. Da die Außenpolitik der einzelnen Staaten auf Grund des penetrierten Zustands diesen Vorgaben folgte bzw. zu folgen hatte, und da bereits festgestellt wurde, dass die Tschechoslowakei bis auf die kurze Zeit des Prager Frühlings ein absolut linientreues Land war, wird hier die Interaktion zwischen Westeuropa und Sowjetunion, zwischen EWG und RGW betrachtet.82 In den 1950er und 1960er Jahren herrschte eine feindliche Haltung von Seiten der Sowjetunion. Sie weigerte sich, die EWG anzuerkennen - erst Breschnew nannte sie eine „Realität“ - und untersagte es den übrigen RGW-Staaten, allgemeine Handelsabkommen abzuschließen. Die EG ihrerseits ignorierte die Gegenorganisation weitgehend. 1964 rief der RGW seine Mitgliedsstaaten zu bilateraler Kooperation auf, es kam zu sektoralen und Kooperationsabkommen mit den anderen RGW-Ländern, so dass ein Netz solcher Vereinbarungen entstand.83 Von den frühen 1970er bis Mitte der 1980er Jahre gab es Versuche begrenzter Kooperation, wobei die Sowjetunion bzw. der RGW versuchten, mit der EWG ins Geschäft zu kommen, während die EG einerseits Distanz hielt, andererseits eine politische Strategie verfolgte, die die Abhängigkeit der ostmitteleuropäischen Länder von der UdSSR lockern sollte. Schließlich setzte eine Normalisierung auf niedrigem Niveau ein ab Mitte der 1980er Jahre bis zur Gemeinsamen Erklärung von EG und RGW im Juni 1988.
81
Vgl., a.a.O., Light, S. 142 Siehe hierzu vor allem: Bailey-Wiebecke, Ilka, Die Europäische Gemeinschaft und der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Multilaterale Diplomatie oder Blockpolitik?, Bern et.al. 1989; Lingau, Wiltrud, Europäische Außenpolitik und Osteuropa, Frankfurt am Main, et.al. 1991; Lippert, Barbara, “EC-Ostpolitik revisited: Continuity and new approaches”, in: Lippert, Barbara/Schneider, Heinrich, (Hrsg.), Monitoring Association and Beyond. The European Union and the Visegrád States, Bonn 1995, S. 49-69; Mayhew, Alan, Recreating Europe. The European Unions’s Policy towards Central and Eastern Europe, Cambridge 1998; Pinder, John, The European Community and Eastern Europe, London 1991; Pinder, John, “The European Community and democracy in Central and Eastern Europe”, in: a.a.O., Pridham/Herring/Sanford, S. 119-144; Pinder, John and Pauline, The European Community’s Policy towards Eastern Europe (Chatham House, European Series Nr. 25), London 1975; Seeler, HansJoachim, Die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, in: Europa-Archiv, 7/1987, S. 189-198; Senior Nello, Susan, Recent Developments in Relations Between the EC and Eastern Europe, (Working Paper No. 89/381 der European University Institute, Florenz), San Domenico 1989 83 Zwischen 1965 und 1980 zeichneten alle osteuropäischen Länder außer der DDR und Albanien zum Beispiel Agrarabkommen; mit Rumänien wurde ein Textil (1976), mit Ungarn und der Tschechoslowakei StahlAbkommen (1978) gezeichnet. 82
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Die Wirkung der EG lässt sich in zweifacher Weise festmachen: Zum einen an der bloßen Existenz und erfolgreiche Entwicklung des Integrationsmodells an sich (Magnetwirkung) und der Reaktion darauf – also eine unintendierte Wirkung -; zum anderen an den explizit formulierten Strategien und den entsprechenden Maßnahmen und deren Ergebnissen, das heißt, an dem intendierten Einfluss. Zunächst zur nicht intendierten Wirkung: Bereits die Existenz erster Integrationsschritte hatte Relevanz für die UdSSR bzw. den RGW, die zunehmende Integrationsdynamik wurde entsprechend beantwortet. Handlungen der EG, die auf eine Stärkung hinausliefen durch Erweiterungspläne, die Vertiefung von Politiken oder verstärktes Auftreten nach außen – lösten Reaktionen auf der Seite von UdSSR und RGW aus. Das kann man daran sehen, dass die einzelnen Schritte auf europäischer Seite mit Gegenmaßnahmen auf sowjetischer Seite beantwortet wurden: So etwa der Versuch, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu verhindern, durch den Vorschlag einer Konferenz zur Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit, das selbe später in Bezug auf die Gründung der Westeuropäische Union (WEU). Die EWG wurde als „wirtschaftlicher und politischer Arm der NATO“, als „imperialistisches Instrument“ verurteilt, gleichzeitig kam die Reaktion auf den Zusammenschluss umgehend: Als Gegengewicht zur EWG reorganisierte Chruschtschow den seit Stalin brach liegenden RGW, indem er 1959 ein Rechtsstatut und Institutionen für den RGW schuf.84 Die politisch-ideologische Unterfütterung bildeten der im November 1957 konzipierte proletarische oder sozialistische Internationalismus - plus „brüderliche gegenseitige Hilfe“ - sowie die Grundprinzipien der sozialistischen Arbeitsteilung von 1962. Die wirtschaftlichen Ziele waren letztlich ähnlich wie die der EWG – höhere Leistungsfähigkeit durch verbesserte Zusammenarbeit -, allerdings war die Motivation geleitet von dem Wettbewerb mit dem „Kapitalismus“ und letztlich von der Machtsicherung der Sowjetunion, zu der die RGW-Staaten „eingespannt“ wurden, was nicht immer reibungslos ging (siehe Rumänien). Auf die Verwirklichung der ersten Stufe des Gemeinsamen Marktes reagierte der RGW mit der „sozialistischen ökonomischen Integration“ und dem Komplexprogramm von 197185, die erste Erweiterung und die Etablierung der EPZ beantwortete er 1973 mit der Initiative zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Blöcken, die aber scheiterte. Auch der neuerliche Integrationsschritt in Form der EEA und die Pläne für einen Binnenmarkt ab 1992, hinterließen ihre Wirkung. Gorbatschow ergriff erneut die Initiative zur Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen EG und RGW. Dabei muss man sehen, dass der Anteil des RGW-Handels am EG-Außenhandel Mitte seit Anfang der 1980er Jahre stark zurückgegangen war und 1988 nur sieben Prozent betrug. Andererseits setzte Gorbatschow weiterhin auf das Gegengewicht RGW, dessen Zusammenarbeit verbessert werden sollte, er setzte weiterhin auf die sozialistische ökonomische Integration und beabsichtigte, 84 Das höchste Organ war die Ratstagung der Delegationen aus den Mitgliedsstaaten - bei EWG: Ministerrat -, die Tagung der Ländervertreter (ein Mitglied je Land), ab 1962 das Exekutivkomitee als Hauptvollzugsorgan – bei EWG: Kommission -, das die Durchführung der Empfehlungen und Beschlüsse des RGW leitete und kontrollierte. Des Weiteren gab es Komitees und Ständige Kommissionen, ein Sekretariat. Geschaffen wurde auch die Internationale Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Internationale Investitionsbank (1963) und Organe wie das Vereinigte Institut für Kernforschung, Intermetall (1964) u.a. Vgl., dazu a.a.O., Kleines Politisches Wörterbuch sowie Statut des RGW, abgedruckt in a.a.O., Gasteyger, S. 205ff. Es ist erkennbar, wie sich die Struktur des RGW und die anderen gegründeten Institutionen an die Struktur der EWG bzw. Euratom und EGKS anlehnten. 85 „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW“
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die internationale sozialistische Arbeitsteilung zu vertiefen, für die 1988 noch eine kollektive Konzeption für die Zeitspanne 1991-2005 verabschiedet wurde.86 Das heißt, Gorbatschow fuhr zweigleisig: Verbesserung der Beziehungen zur EG, gleichzeitig aber Verbesserung der Kooperation im RGW als Reaktion auf die EEA. Die Reaktionen Gorbatschows reflektieren, dass er das wachende Gewicht der EG als politischer Faktor auf westlicher Seite wahrnahm. Über die Anziehungskraft von Wohlstand und Freiheit hinaus verstärkte sich auf Grund des Modells immer enger werdender Kooperation und Integration das Gefühl, die EG sei das Modell für Zukunft. Timothy Garton Ash bezeichnet es als das Gefühl, „daß das Rad der Geschichte nun nach Westen rollt“. Dieses Gefühl habe „eine entscheidende Rolle bei der Revolution von unten, aber auch bei den Reformen – oder schlicht dem Rückzug – von oben in Ostmitteleuropa“ gespielt. Ein Gefühl, das Michail Gorbatschow besonders gehabt haben musste. „Die Reformer um Gorbatschow hatten nachweislich große Sorgen, daß sie wirtschaftlich wie technologisch dem „Westen“ hinterherhinkten. (…) Ihre besondere Sorge aber galt der Europäischen Gemeinschaft - die seit Mitte der achtziger Jahre eine neue Dynamik angenommen zu haben schien, mit der Einheitlichen Europäischen Akte und dem großen Entwurf des Europäischen Binnenmarktes 1992 -, und daß diese Gemeinschaft sie einfach im Regen stehenlassen würde.“
Ash geht noch weiter und schlussfolgert aus diesem Zusammenhang, „In diesem Sinne darf man der scheinbar elementaren historischen Logik zum Trotz behaupten, daß 1992 eine der Ursachen für 1989 war.“ 87 Die EG wirkte somit, erstens, durch die Strahlkraft des erfolgreichen Modells europäischer Integration auf die Großmacht UdSSR. Diese modifizierte ihr bilaterales in ein trilaterales Weltbild richtete ihre Politik daraufhin neu aus88. Zweitens, reagierte die UdSSR auf die europäischen Integrationsschritte der 1950er Jahre, indem sie qua RGW oder Warschauer Pakt Gegengewichte schuf. Und drittens, wirkte die EG über die bilateralen Beziehungen mit den einzelnen Staaten des RGW. Die UdSSR war extrem besorgt über die „autonomistischen“ Initiativen verschiedener Länder wie Ungarn und auch der Tschechoslowakei, seit Beginn der 1980er Jahre Abkommen mit der EG zu verhandeln. Die von Gorbatschow betriebene Stärkung des RGW und die Block-Block-Diplomatie waren eine Reaktion darauf, nämlich als Form, die Kontrolle über die Satellitenstaaten zurück zu gewinnen.89 Seine Initiative zur Aufnahme bilateraler Beziehungen zwischen EG und RGW, die im Juni 1988 in die Gemeinsame Erklärung mündete, hätte in der Tat „ein neues Blatt in der europäischen Nachkriegsgeschichte aufgeschlagen“, wie der Ratspräsident Hans-Diet86 Siehe dazu die Außerordentliche RGW-Tagung im Oktober 1987, also nach Inkrafttreten der EEA, bei der die Umgestaltung der multilateralen Zusammenarbeit („neue qualitative Stufe“), u.a. durch eine Koordinierung der Volkswirtschaftpläne beschlossen wurde. Die RGW-Tagung im Juli 1988, also nach der Gemeinsamen Erklärung mit der EWG, entschied, dass die sozialistische ökonomische Integration und die internationale sozialistische Arbeitsteilung eine „zunehmende Rolle“ im politischen und wirtschaftlichen Leben der Mitglieder des RGW spielen sollte. Vgl., Europa-Archiv, 15/1988, Dokumente D 433ff 87 Ash, Timothy Garton, Europa im Zweifel, Stuttgart 1993, S. 11f 88 John Van Oudenaren wies mit Bezug auf den russischen Wissenschaftler Burlatzki (Europessimismus, in: Literaturnaja gazeta, 8.8.1984) darauf hin, dass dies bereits in den 1970er Jahren ein Thema war, sich dann aber Anfang der 1980er Jahre wieder abschwächte wegen der damaligen Schwäche Europas. Die Politik der UdSSR war dementsprechend eine des „Keil Treibens“. Vgl., „Die sowjetische Politik gegenüber Westeuropa”, in: EuropaArchiv, 4/1985, S. 89-98, hier: S. 89 89 Vgl., a.a.O., Senior Nello, S. 8ff, a.a.O., Pinder, 1991, S. 11ff
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rich Genscher es damals in seiner Rede ausdrückte, hätte der Sturm in Ostmitteleuropa nicht ohnehin alle alten Blätter hinweggefegt. Andererseits hatte die EG mit Ungarn praktisch ein so weit reichendes Abkommen gezeichnet, dass ernsthaft gefragt werden kann, ob jene Block-Block-Initiative nicht in Bälde obsolet geworden wäre, in dem Maße, wie sich die einzelnen Satelliten durch die Anbindung an die EG immer weiter aus der Umlaufbahn um Moskau entfernt hätten. Wie sah der intendierte Einfluss, die Strategie der EG gegenüber Osteuropa aus? Aus wirtschaftlicher Perspektive gesehen, war das Interesse der EG an Osteuropa gering. Der RGW-Markt war nicht sehr dynamisch, und so war es schwer, klare wirtschaftliche Interessen und Ziele für den Handel zu formulieren. Der Umfang des Handels war marginal.90 Der Osthandel hatte vor allem politische Bedeutung und zwar sowohl für einzelne EG-Mitglieder (siehe die Ostpolitik Brandts) als auch für die Gemeinschaft. Die Strategie der EG hatte zwei Standbeine. Man wollte einerseits zur Stabilität in Europa beitragen und zum anderen durch die Handelsbeziehungen mit den einzelnen Ländern Reformentwicklungen fördern und zugleich die Abhängigkeit von der UdSSR lockern. Daher entsprach der RGW-Vorschlag von 1973 zur Aufnahme von Blockbeziehungen nicht den politischen Zielen der EG. Es kam zwar zu einem diplomatischen Ping Pong, aber ansonsten verlief die Initiative im Sande: 1976 überreichte der RGW der EG einen Entwurf für ein Rahmenabkommen zwischen den beiden Blöcken, 1979 überreichte die EG einen Gegenentwurf, der wiederum unbeantwortet blieb.91 Ein politischer Grund des Zögerns der EWG war, dass man verhindern wollte, die Staaten durch solch eine Blockinitiative noch stärker in die sowjetisch dominierte RGWIntegration zu drängen. So der de-Clerq-Bericht des EP vom August 1981: „ (…) politisch wäre eine solche Entwicklung von Übel, weil sie dazu beitragen würde, die sowjetische Umklammerung der osteuropäischen Länder zu verstärken, und das steht genau im Gegensatz zu unseren Absichten.“92 Die EG hielt weiterhin an der Strategie des „positive linkage“ fest, also dem Versuch durch Handelsbeziehungen die Satellitenstaaten aus der sowjetischen Umklammerung zu lockern. Dieser Ansatz war im Laufe der 1970er Jahre im Konsens mit den USA vertreten worden. Nach dem Afghanistan-Einmarsch wollten die USA die Sicherheitsaspekte aufwerten und dies mit Sanktionen, Boykotten und ökonomischem Druck unterlegen. Die USA versuchten stärker als die EG, die Wirtschaftsbeziehungen für ihre jeweiligen aktuellen Zwecke zu instrumentalisieren.93 Die EG und ihre Mitgliedsstaaten hielten an den kontinuierlichen Wirtschaftsbeziehungen fest, „weil sie diese als einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des politisch sensitiven Ost-West-Verhältnisses“ ansahen und als Mittel, „einen Modus vivendi im geteilten Europa zu erreichen und aufrechtzuerhalten.“94 Dass die EG hinsichtlich dieser Frage in eine Auseinandersetzung mit den USA trat, zeigt, wie wichtig ihr diese Frage war. Tatsächlich setzten sich die Europäer 90
Für die 1960er Jahre geben Pinder/Pinder folgende Zahlen an: 3 (Export) und 2,8 Prozent (Import) mit geringen Steigerungen bis 1974 (A.a.O., Pinder/Pinder, S. 8). In den 1970er Jahren liegt der Export bei rund 8 Prozent, ab Anfang der 1980er geht er zurück auf etwa 6,5 (1984 und 1985) bzw. 5,8 Prozent (1987 und 1988). Vgl., a.a.O., Lippert, S. 57 91 Die Geschichte dieser diplomatischen Ballspiele zwischen RGW und EG – von Lippert „dialogue of the deaf“ genannt – ist vielfach beschrieben. Auch die Interpretationen, was taktisch war oder nicht, haben breiten Raum. 92 Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1981-1982, De-Clerq-Bericht, 28.8.1981, Dok. 1-424/81 93 So Jacobsen, Hans-Adolf, „Die Osthandelspolitik des Westens – Konsens und Konflikt“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 5/1985, S. 19-31, hier: S. 20 94 Ebd., S. 27
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gegen die Amerikaner durch, und bemerkenswert dabei war, dass die europäischen Staaten hierbei eine gemeinsame Position vertraten. Dieser europäische Konsens blieb die Grundlage für die Außenhandelspolitik gegenüber Osteuropa.95 Die EG führte aber auch noch weitere politische Gründe für ihre Politik an: So wurde die Blockinitiative auch mit Hinweis darauf abgelehnt, dass erst die Bestimmungen des dritten Korbes der KSZE erfüllt sein müssten (Stichwort: Menschenrechte). So sagte Ratspräsident Thorn, der RGW-Vorschlag dürfe sich nicht auf den ersten und zweiten Korb beschränken.96 In der Literatur werden die politischen Argumente als die dominierenden interpretiert. Die handelspolitischen und selbst die juristisch-formalen Themen waren weniger wichtig als die politische Strategie der EG, die RGW-Staaten nicht zusätzlicher Dominierung durch die UdSSR auszusetzen.97 Diese grundsätzliche Ausrichtung verließ die EG auch nicht, nachdem Gorbatschow und der RGW eine neue Initiative zur Aufnahme von beidseitigen Beziehungen starteten. Die EG reagierte mit der Formulierung des „parallelen Ansatz“, mit dem sie seit Mitte der 1970er Jahre praktizierte Zweigleisigkeit der europäischen Ostpolitik auch für die Zukunft fixierte98: einerseits Weiterführung der bilateralen Beziehungen mit den einzelnen RGWStaaten - seit 1983/84 kam es vermehrt zu Kontakten bezüglich Handels- und Kooperationsabkommen, die zwischen 1988 und 1990 abgeschlossen wurden -, andererseits wurden parallel dazu die Expertengespräche zwischen EG und RGW wieder aufgenommen. Der RGW akzeptierte diesen von der EG unterbreiteten Ansatz. Das Instrumentarium der EG waren, wie beschrieben, verschiedenartige Abkommen: sektorale Abkommen, allgemeine Handelsabkommen und als höchste Stufe Kooperationsabkommen auf wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, industriellen und technologischem Gebiet. Bei der Form der Abkommen mit den einzelnen RGW-Staaten legte die EG wiederum ein politisches Kriterium an. Je weitergehend die Reformbereitschaft und erkennbare Reformschritte des jeweiligen Landes waren, desto weitergehender gestaltete sich das Abkommen. So war das Handels- und Kooperationsabkommen, das mit Ungarn verhandelt und 1988 abgeschlossen wurde, sehr weitgehend, und zwar weil Ungarn nicht nur seine wirtschaftlichen Reformen beschleunigt betrieb, sondern auch die politischen, sozialen und kulturellen Rechte am Weitesten verwirklicht hatte. Diese Art von Abkommen markierte eine neue Phase in den Beziehungen zwischen der EG und den Staaten Ostmitteleuropas.99 Rumänien dagegen, das die längsten Beziehungen mit der EG hatte, stieß bei der Erneuerung seiner Verträge auf Widerstände, da die EG die repressiven Maßnahmen bei der Einebnung tausender Dörfer in Siebenbürgen missbilligte. Als der Botschafter der Präsidentschaft im rumänischen Außenministerium nicht empfangen wurde, setzte die EG Anfang 1989 die Verhandlungen des Abkommens aus und verzögerte 1990 die Ratifizierung. Die EG wandte den Ansatz der individuellen Ausformung der Beziehungen seit 1985 noch expliziter an, um der Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern Rechnung zu tragen. Dieses „Prinzip der Spezifität“ machte Reformbereitschaft und politische Umstände zu einem Maßstab für die Art des respektiven Vertragswerkes. Die Methode des Anreiz95
Vgl., a.a.O., Lingau, S. 46f Thorn in Literaturnaja Gazeta am 2.3. 1976. Vgl., a.a.O., Bailey-Wiebecke, S. 81 97 Zur Abwägung der verschiedenen Argumente siehe auch a.a.O., Lippert, Bailey-Wiebecke und Lingau. 98 Lippert sieht diesen parallelen Ansatz de facto bereits in den 1970er Jahren gegeben, der in dem, wenn dann auch gescheiterten Dialog auf intersystemarer Ebene einerseits und den gleichzeitig weitergeführten bilateralen Beziehungen bestand. Lippert, Barbara, „Etappen der Osteuropapolitik – Distanz, Kooperation, Assoziierung“, in: integration, Beilage Jg. 13, Nr. 3, S. 111-125. Siehe dazu auch a.a.O., Lingau, S. 82 99 Vgl., a.a.O., Mayhew, S. 9 96
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Schaffens wurde somit deutlich akzentuiert und kombiniert mit politischen Bedingungen. Die EG unternahm einen „firm, prudent, and above all, cohesive approach to the new opportunities provided by Gorbachev’s policies”100. Kommission und Mitglieder setzten die Politik der Differenzierung und der Konditionalität geschlossen um. Das führte dazu, dass die Beziehungen zwischen der EG und der Tschechoslowakei im Vergleich zu Polen und Ungarn am geringsten entwickelt waren. Das Abkommen mit Prag – eher in der Tradition der Sektoralabkommen – trug dem niedrigen Niveau der Reformentwicklungen Rechnung. Die tschechoslowakische Regierung nahm sehr wohl wahr, was für ein vorteilhafter Vertragsabschluss Ungarn zugestanden worden war, so dass die tschechoslowakische Regierung zum Beispiel um ähnlich niedrige Einfuhrrestriktionen bat. Die EG-Kommission listete daraufhin die innenpolitischen Reformen auf, die das Land durchzuführen hätte, wenn es in den Genuss dieser Regelungen kommen wollte. Als die Prager Regierung dies ablehnte, war die EG nicht zu der Konzession eines festen Zeitplans für Handelsliberalisierungen bereit. So wurde die Tschechoslowakei mit einem „mageren“ Handelsabkommen (Dezember 1988) bestraft, ohne Kooperationskomponente und ohne Hinweis auf den Ausbau gegenseitiger Beziehungen. Im Sinne eines Fazits sind folgende Aspekte hervorzuheben:
100
Fehlende Legitimität und fehlende Unterstützung des kommunistischen Regimes in der Bevölkerung machte die Gesellschaft in den 1980er Jahren besonders empfänglich für externe Einflüsse. Der Sowjetunion gelang es zwar, ein stabiles System von Beherrschung und Kontrolle aufzubauen, das auf einem asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnis basierte (Breschnew-Doktrin, sozialistischer Internationalismus, sozialistische Integration etc.) und die einzelnen Satelliten zu penetrierten Systemen machten. Die Legitimität dieses sowjetischen Blocksystems wie auch die der einzelnen Satellitenstaaten beruhte zunächst auf dem Befreier-Bonus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Krisen in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei zerstörten aber jegliche Grundlage für eine breite Unterstützung von Seiten der Bevölkerung. Diese begann, andere Identifikationsmöglichkeiten zu suchen. Die historische Erfahrung der Westanbindung der Ersten Republik war ein zentraler Aspekt. Der andere wichtige Aspekt bestand in dem Abrücken vom sowjetischen Modell, das in der Mitteleuropadebatte zum Ausdruck kam. Die politisch-historischen und geistig-kulturellen Traditionslinien der ostmitteleuropäischen Bevölkerungen, die sich als westlich verorteten, gewannen an Boden, ein fruchtbarer Boden, auf den die zunehmende Attraktivität des Modells EG fiel. Die EG hatte eine starke Anziehungskraft herausgebildet durch ihre erfolgreiche Existenz, die sich aus verschiedenen Quellen speiste: zum einen das ohnehin vorhandene Gefühl der kulturell-historischen Gemeinsamkeiten, die Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile und Unterstützung und nicht zuletzt die wachsende Interessendivergenz zwischen dem Machtzentrum Sowjetunion und den einzelnen Satellitenstaaten. Der parallele Ansatz und der Anreiz weitgehender bilateraler Abkommen als „Belohnung“ der EG für Reformbereitschaft durchlöcherten die Kohärenz des RGW. Die Anziehungskraft der EG stellte einen indirekten Faktor, die Strategie der Differenzierung und Konditionalität einen direkten und intendierten Faktor dar. Das Ergebnis war ein A.a.O., Torreblanca, S. 85
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III Empirischer Teil: EU gewisser Wettbewerb um gute Vertragsbedingungen, den einige Länder annahmen – Polen etwa -, andere, wie die Tschechoslowakei, nicht. Die EG nutzte auch Maßnahmen sanktionierender Art; neben Mahnungen und Deklarationen setzte die EG Verhandlungssuspendierung oder Ratifizierungsverzögerung als Druckmittel ein, um Verbesserungen in konkreten Punkten (Schutz der deutschen Minderheit in Rumänien, der türkischen Minderheit in Bulgarien) zu erreichen. Die politische Führung in der ýSSR bekundete zwar Interesse an den Beziehungen mit der EG. Diese formulierte ihre Bedingungen, denen die tschechoslowakische Regierung aber ebenso unbeweglich gegenüberstand wie den Vorgaben der UdSSR.
3.3 Regimekollaps 1989: spät, aber schnell Nach den ersten halbfreien Wahlen im Juni 1989 in Polen brachen innerhalb eines halben Jahres die meisten kommunistischen Regime zusammen, ohne dass die UdSSR eingriff. Die stärksten Signale für die Nachbarn waren die Öffnung der Grenzen durch Ungarn und der Fall der Mauer. Danach war es auch um die starrsten Parteiführer schlecht bestellt: Einen Tag später wurde Schivkov abgesetzt, eine Woche später fanden die Demonstrationen in Prag statt, die nach zehn Tagen zum Regimekollaps führten. Am 10. Dezember 1989 wurde eine Übergangsregierung gebildet mit Marián ýalfa im Amt des Ministerpräsidenten und ab 29.12. mit dem Intellektuellen und der Schlüsselfigur der Charta 77, Václav Havel, als Präsident. Die kommunistische Führung in der Tschechoslowakei hielt am längsten stand, trat dann aber relativ schnell ab. Die Art, wie die kommunistischen Regime um die Zentralmacht UdSSR herum kollabierten und schließlich das ganze kommunistische Machtsystem implodierte, führte dazu, dass die Transitionsforschung den Faktor internationaler Einflüsse nicht mehr unbeachtet lassen konnte. Nicht selten wurde in der Literatur das Einbeziehen internationaler Einflüsse auf den „Gorbatschow-Faktor“ beschränkt oder mit Ansteckung – „contagion“ – als „plausibelste Erklärung“101 – interpretiert. Dieser Sichtweise kann aber durch eine differenziertere Analyse mehr Tiefeschärfe verliehen werden. Die Regimekrise stellt sich dar als die Kulmination eines in den 1980er Jahren beschleunigten Prozesses im Inneren und Äußeren sowie einer Intensivierung der Interaktion zwischen internen und externen Prozessen. So lässt sich die sofortige Zuwendung zur EG ohne die Betrachtung der innen- wie außenpolitischen Traditionen, des Zugehörigkeitsgefühls zu Europa trotz der Enttäuschungen und des gewichtigen Aspekts der Identifikationssuche nicht erklären. Auch wird ohne die Berücksichtigung der „international embeddedness“ der ostmitteleuropäischen Staaten in das sowjetische Machtsystem nicht die Wirkung klar, die das Nichthandeln der UdSSR auf die Re-
101
So greift Philippe C. Schmitter Whitehead’s Begriff „contagion” auf und interpretiert ihn folgendermaßen: „The successful example of one country’s transition establishes it as a model to imitate and, once a given region is sufficiently saturated with this mode of political demonstration, pressure will mount to compel the remaining autocracies to conform to the newly established norm.” A.a.O., Schmitter, Philippe C., „The Influence of the International Context upon the Choice of National Institutions and Policies in Neo-Democracies“, S. 26-55, hier: S. 37f
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gime bzw. Bevölkerungen hatte. „Dieselbe enge innenpolitische Koppelung der kommunistischen Staaten, die jahrzehntelang deren Herrschaftsstabilität garantiert hatten, führten in der Systemkrise von 1989 zum beschleunigten kollektiven Untergang aller osteuropäischen kommunistischen Staaten“.102 Schließlich stellte der Akteur EG einen indirekten Faktor dar, dessen paralleles Vorgehen einerseits die Kohärenz des RGW durchlöcherte, und andererseits die reformwilligen Länder an sich zog. Das zentrale Phänomen der Zeitspanne des eigentlichen Regimekollapses zwischen dem 17. November und dem 10. Dezember 1989 ist zweifelsohne, dass die gerade installierte Übergangsregierung quasi bereits nach einer Woche, noch bevor Václav Havel Präsident wurde, die EG um politischen Dialog und Gespräche über eine künftige Assoziierung ersuchte. 3.3.1 Internationale Verortung: diffuse Europa-Euphorie „Rückkehr nach Europa“, Petitum und Appell zugleich, wurde umgehend zum Begleitmotiv der Befreiungsbewegung. Nachdem Identitätsbildung, auf welcher Ebene auch immer, von der Sowjetunion jahrzehntelang unterdrückt worden war, bedeutete das Ende der sowjetischen Dominanz die Rückkehr zur Identität. Die Rückkehr zur Identität war gleichbedeutend mit dem Wunsch einer Rückkehr nach Europa. „This return thus coincided with a „return to Europe” of the post-communist countries in Central and Eastern Europe, the two returns having the same origins in the end of the Cold War…”103 Identität wurde zu einem Schlüsselbegriff in dem plötzlich entstandenen Zugehörigkeitsvakuum. Der Nationalismus, der sich nach dem Kollaps des Kommunismus als mächtigste und auch gefährlichste Kraft in den ehemals sozialistischen Ländern Bahn brach (das betraf bekanntlich nicht nur Ostmitteleuropa), war der stärkste Ausdruck für die Identitätssuche dieser Länder. An der Konstellation nach 1989 wird es überdeutlich, welche bedeutende Rolle bei der Identitätsfindung die äußeren Aspekte – zum Beispiel in dem Antagonismus Westen-Osten - spielten. Hatten in den Jahrzehnten unter sozialistischer Herrschaft die inneren Aspekte - nichtdemokratische Zustände, Planwirtschaft, Mängelwirtschaft – und die äußeren Aspekte - Orientierung gen Osten – korreliert, so traf dies auch für die künftige Selbstdefinition zu: Demokratie und Westen. Man wollte nicht mehr Osten sein. Nur 16 Prozent der Bürger in der Tschechoslowakei waren für den Verbleib im Warschauer Pakt.104 Der Begriff „Rückkehr“ im Zusammenhang mit Europa wies auf die Grundlagen, auf die Verortung dieser Identität hin. Mit einem Schlag verloren andere Optionen ihre Bedeutung. Neben der sehr klaren Willensbekundung für Europa, gab es in der tschechoslowakischen Bevölkerung eine starke Neigung zur Neutralität, die von zwei Dritteln unterstützt wurde.105 Dies war auf Grund der traumatisch empfundenen militärischen Invasion und Besetzung verständlich. Es zeigt zudem auch, dass zwischen kulturellen Motiven und Anreizen bezüglich des Lebensstandards einerseits und sicherheitspolitischen Fragen andererseits sehr genau unterschieden wurde. MlynáĜ schätzte 1988, dass in der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und der DDR bei einem freien Volksentscheid „die bei weitem größere Mehr102
A.a.O., Merkel, 1999, S. 399 Drulák, Petr, „Introduction: The Return of Identity to European Politics“, in: Drulák, Petr, (Hrsg.), National and European Identities in EU Enlargement. Views from Central and Eastern Europe, Prag 2001, S. 11-21, hier: S. 13 104 A.a.O., S. 42 105 Vgl., ebd. 103
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heit der Bevölkerung (vielleicht 70-80%) für die blockfreie oder neutrale Stellung ihres Landes stimmten.“106 Darunter befände sich ein großer Teil jener Bevölkerung, die für „Mitteleuropa“ als politische Einheit plädieren würde. Das österreichische Modell barg insofern eine „gewisse Anziehungskraft“, da es die Koppelung von neutralem Status und kulturell-zivilisatorischer Zugehörigkeit zum Westen repräsentierte. Spiegeln sich in diesem Denkansatz auch Vorstellungen der Elite? War dies eine Haltung in der Bevölkerung, die aus der Mitteleuropa-Debatte der 1980er Jahre herrührte? An dieser Stelle sind ein paar Worte zu der „neuen“ Elite notwendig: Der Kollaps des kommunistischen Regimes brachte den praktisch kompletten Austausch der Kader mit sich. Ministerpräsident Marian ýalfa war einer der wenigen Ex-Kommunisten und der einzige, der politische Praxis mitbrachte. Die Tschechoslowakei konnte mit Václav Havel als Präsidenten, dem rührigen Außenminister JiĜí Dienstbier und Alexander Dubþek als Parlamentspräsident eine im Ausland bald hoch angesehene Führungsgruppe aufweisen. Viele Posten wurden mit Bürgerrechtlern der Charta 77 besetzt. Die wenigsten hatten politische Praxis, diplomatische Erfahrung oder außenpolitisch geschulte Berater mit ausgearbeiteten außenpolitischen Konzepten. Bei der Opposition hatte es sich nicht um eine organisierte Partei oder Organisation gehandelt mit einem bestimmten Programm. Havel, Protagonist der Charta 77, war sehr stark von einer moralischen und philosophischen Betrachtungsweise mit eher unpolitischen Zügen geprägt. Für ihn stand die Sicherung einer „würdige(n) und mündige(n) Existenz“ des Menschen im Vordergrund, und dass diese durch den „üblichen traditionellen Parlamentarismus mit dem üblichen Spektrum großer politischer Parteien“ gelingen könnte, hielt er für „kurzsichtig“.107 Parlamentarischer Demokratie und Parteien setzte er die Idee einer an der wahrhaften Existenz des Menschen orientierten Bürgergesellschaft entgegen. Als Grundlage für die Innen- und Außenpolitik der demokratischen Tschechoslowakei betrachtete Havel „die Idee der Achtung der Menschenrechte“.108 Sieht man von den beiden Schlüsselthemen – Rückkehr nach Europa und Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen – ab, herrschte in den ersten Wochen nach der Ablösung des alten Regimes ein eher diffuser Zustand. Dies lag an einer „gewisser Naivität“ im Handeln und Denken und den fehlenden politischen Konzepten, an einem „gewissen moralischen Idealismus“, der sich in Präsident Havel und dem Erbe der Dissidenten widerspiegelte.109 So brachten Europas Präsident Václav Havel und Außenminister JiĜí Dienstbier zwei grundsätzliche Vorstellungen in Bezug auf die künftige militärische Ordnung aus der Zeit des Dissidententums mit110: Zum einen plädierten sie für die Auflösung der Blöcke, sowohl des Warschauer Paktes als auch der NATO: „Wir möchten zu einem Europa gehören als einer freundschaftlichen Gemeinschaft unabhängiger Nationen und demokratischer Staaten, zu einem stabilisierten, nicht in Blöcke und Pakte ge106
A.a.O., MlynáĜ, S. 51 A.a.O., Havel, S. 86 108 Rede Havels vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 10.5.1990, in: a.a.O., ýeskoslovenská zahraniþní politika, Dokumenty, 4-6/1990, S. 103 109 Vgl., Batt, Judy, “The international dimensions of democratization in Czechoslovakia and Hungary”, in: Pridham, Geoffrey/Herring, Eric/Sanford, George, (Hrsg.), Building Democracy? The International Dimension of Democratisation in Eastern Europe, New York 1994, S. 168-188, hier: S. 178 110 Siehe dazu Schmidt, Rainer, Die Wiedergeburt der Mitte Europas. Politisches Denken jenseits von Ost und West, Berlin 2001, S. 147ff und a.a.O., BĜach, S. 131 sowie Hyde-Price, Adrian, The international politics of East Central Europe, Manchester/New York 1996, S. 52 Wolchnik, Sharon L., Czechoslovakia in Transition: Politics, economics and society, London/New York 1991, S. 305ff 107
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teilten Europa, zu einem Europa, das keinen Schutz der Großmächte braucht, weil es fähig ist, sich selbst zu verteidigen, d.h. sein eigenes Sicherheitssystem aufzubauen.“111
Und zum anderen betrachteten sie die KSZE als „Übergang von der Blockauffassung zu einer demokratischen und pluralistischen Auffassung“ und somit als Grundlage dieser Friedenssicherung.112 Diese beiden Konzepte deckten sich insofern mit Havels Verständnis von Mitteleuropa, als er es - ganz anders als Kundera - als eine Region betrachtet, die sich sowohl vom westlichen Individualismus als auch vom östlichen Kollektivismus unterschied, eine Region mit ganz eigenen Werten, die weder mit dem westlichen Konsum orientierten Kapitalismus noch mit dem sowjetischen Staatssozialismus etwas zu tun haben. Später modifizierte sich diese idealistische Haltung. Sie wurde „flexibler, realistischer und konkreter“113, und es zeigte sich, dass es nicht um ein trilaterales Europabild West-Mitte-Ost ging, sondern man sich in Europa, sprich im Westen verortete. So Havel in einem späteren Essay mit dem bezeichnenden Titel „Die Suche nach einem neuen europäischen Zuhause“: „Wir wollen niemandes Satellit mehr sein. Zugleich wollen wir aber auch nicht irgendwo im luftleeren Raum schweben und glauben, wir könnten uns selbst genügen…Umso weniger wollen wir eine seltsame Art von Pufferzone oder Niemandsland zwischen den explosiv sich ändernden Staaten der ehemaligen Sowjetunion und dem demokratischen Westeuropa sein.“114
Viele außenpolitische Äußerungen und Vorstellungen bargen teils Diffusität, teils Inkonsistenz in sich; und neben jener eher „idealistischen“ Fraktion in der neuen Führung gab es auch andere Strömungen, eine „realistische“ etwa, zuvorderst vertreten durch Václav Klaus, dem Finanzminister, einem konservativen, neo-liberalen Politiker, der primär die ökonomische Dimension im Blick hatte. Das heißt, in etlichen Punkten gab es keine einheitliche, bereits festliegende Linie. Nur in zwei Punkten trafen sich wohl die Mehrheit der „neuen“ Elite ebenso wie die Bevölkerung: In dem Wunsch, die Besatzung der Sowjetarmee so schnell wie möglich zu beenden und sich so schnell wie möglich der EG anzunähern und damit die Abkehr vom Osten ebenso wie die Zugehörigkeit zum Westen kulturell, politisch und wirtschaftlich festzuschreiben. Diese breite Euphorie über die Rückkehr nach Europa galt auch für die Slowaken. Die Rückkehr zur Identität umfasste jedoch neben der europäischen Perspektive zusätzlich die der eigens slowakischen Frage, also die Frage nach dem Verhältnis der beiden Nationen im tschechoslowakischen Gesamtstaat. Dieser Aspekt - zwischen 1948 und 1989 weit von einer befriedigenden Lösung entfernt, kam schon bald nach der Sanften Revolution wieder hoch. Im „Krieg um den Bindestrich“115, der die Debatten im Parlament monatelang beherrschte und der fast zur Verfassungskrise führte, kristallisierte sich die innerstaatliche Ordnung als zweite Identitätsebene heraus. Es standen sich nicht nur die slowakischen Erfahrungen mit der tschechischen Dominanz und auf der tschechischen Seite das Anknüpfen an den Tschechoslowakismus gegenüber. Als drittes Element kam das Havelsche „Bürger111
Rede von Václav Havel vor dem polnischen Sejm am 25.1.1990, in: ýeskoslovenská zahraniþní politika, Dokumenty, 1-3/1990, S. 12-13 112 Rede von JiĜi Dienstbier auf der Konferenz „Der offene Himmel“ in Ottawa am 12.2.1990, ebd., S. 62 113 A.a.O., BĜach, S. 132 114 Havel, Václav, „Die Suche nach einem neuen europäischen Zuhause“, in: Sommermeditationen, Hamburg 1994, S. 85 115 Es ging um den neuen Staatsnamen. Die Tschechen schlugen „Tschechoslowakische Republik“ vor, während die Slowaken beben jenen Bindestrich einfügen wollten zur „Tschecho-Slowakischen Föderativen Republik“.
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prinzip“ hinzu, nach dem der Staat jenseits von ideologischen, nationalen oder religiösen aufgebaut sei und das daher Havel einer Neuordnung des innerstaatlichen Verhältnisses völlig fremd gegenüberstehen ließ.116 Bereits in diesem Disput, so OĐga Gyárfášová, deutete sich der Anfang des definitiven Endes des gemeinsamen Staates an.117 In der Slowakei war dabei die Haltung gespalten: War das Ziel Europa unbestritten, so gab es eine Strömung, für die der Weg dorthin nur über die Souveränität der Slowakei führte. 3.3.2 Externer Kontext: passiver Hegemon und Schneeballeffekt Der externe Kontext ist schnell umrissen: Die Nichtinterventionspolitik der UdSSR setzte sich fort, der Akteur EG intensivierte seine Unterstützungsmaßnahmen, näherte sich vor allem auf bilateraler Ebene an (dazu mehr in 3.3), und schließlich kam jener angesprochene Schneeball-Effekt zum Tragen. Wie beschrieben hatten neben der Politik der UdSSR auch die Vorgänge in den Nachbarstaaten ihre Wirkung, einerseits auf das versteinerte Regime der ýSSR, andererseits auf die Bevölkerung. Nach der Absetzung Kadars, bei den innerparteilichen Auseinandersetzungen in Ungarn und den ersten Runde-Tisch-Gesprächen in Polen wusste man möglicherweise noch nicht, wohin der Weg führen würde. Dass im Juni 1989 die ersten völlig freien Wahlen eines Hauses, des polnischen Senats, im Ostblock nach vierzig Jahren stattfanden und im August der erste nicht-kommunistische Premierminister Tadeusz Mazowiecki sein Amt antrat, hatte zwei internationale Implikationen: Erstens, dass Mazowiecki dieses Amt antreten konnte, „was strongly conditioned by international power relationships“, denn Gorbatschow hätte bei einer Intervention die détente mit dem Westen beendet. Und, zweitens, hatte dies in Richtung auf die anderen osteuropäischen Staaten einen „international demonstration effect“.118 Als die UdSSR am 8. September 1989 die Breschnew-Doktrin für abgeschafft erklärte und Ungarn zwei Tage später die Grenzen öffnete, war dies das erste nach außen gerichtete Signal, dass die hermetische Geschlossenheit im wahrsten Sinne des Wortes Löcher bekam, und es setzte sich das in Gang, was die Transitionsforschung a posteriori als Domino-Effekt oder Schneeballprinzip bezeichnet, ein Ausdruck, den Attila Agh vorzieht, weil er anders als „Domino-Effekt“ nicht nur eine mechanische Bewegung beschreibt. Insgesamt barg der externe Kontext zwei Komponenten, die auf die tschechoslowakische Führung ebenso einwirkte wie auf die oppositionellen Kräfte und Bevölkerung: die Bewegung, in die die inneren Verhältnisse der Nachbarn geraten waren und die Passivität des Hegemons UdSSR. Der externe Kontext spielte für das Ende des tschechoslowakischen 116
So Havel in seinem Essay “Bürgergesellschaft“ (a.a.O., Sommermeditationen). Die slowakische Frage war den Dissidenten völlig fremd. Sie hatten zum einen kaum Kontakt; und in Havels Schriften, so Karl-Peter Schwarz, „gab es keinen Hinweis darauf, daß er sich mit der slowakischen Frage irgendwann einmal gründlicher beschäftigt hätte. Er stand ihr mit jenem Unverständnis gegenüber, das für das tschechische Bürgertum schon in der Ersten Republik kennzeichnend war.“ A.a.O., Schwarz, S. 212. Schwarz gibt zudem ein Gespräch mit einem der populärsten Mitglied der Bewegung VPN und des Beraterstabes von Havel, Milan KĖaško, wieder, in dem dieser konstatierte: „Ich habe das Gefühl, daß Havel das Problem der Tschechen und Slowaken bis heute nicht verstanden hat. Ich will ihm gar nicht unterstellen, daß er es bewusst ignoriert hat, er hatte nur keine Ahnung davon, worum es eigentlich geht. Die Beziehungen zum Ausland hatten für ihn den Vorrang vor der Regelung des Verhältnisses zwischen Tschechen und Slowaken, diese Probleme hat er bagatellisiert.“ Ebd., S. 213f 117 Vgl., dazu Gyárfášová, OĐga, „From Defense Against the ,Others’ to the Formulation of its Own Interests: The Case of Slovakia“, in: a.a.O., Drulák, S. 39-57, hier: S. 40 118 A.a.O., Linz/Stepan, S: 266f
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Regimes eine entscheidendere Rolle als für die anderen beiden ostmitteleuropäischen Länder, da der interne Druck in der ýSSR recht schwach war. Eine wirklich kraftvolle Herausforderung tauchte erst durch den Zusammenbruch des Kommunismus in den Nachbarländern auf.119 Die Sowjetunion und die Nachbarn blieben zentrale direkte Bezuggrößen im externen Kontext. Die EG trat als Akteur sehr viel konkreter auf die Bühne durch die mit den Nachbarländern abgeschlossenen weitgehenden Abkommen. Sie setzte das Signal, dass Reformbemühungen belohnt werden. Der Anreiz einer Annäherung an die EG wuchs, die Möglichkeit von bilateralen Beziehungen kam als realistische Option ins Blickfeld. 3.3.3 Transnationale Interaktion: in zweiter Reihe Mit der in 3.2 dargestellten Politik hatte die EG zwischen 1985 und 1988 einen durchaus gelungenen und kohärenten Ansatz entwickelt, bei dem die einzelnen Organe – Europäischer Rat, Rat der Außenminister und Kommission synchron handelten und EPZ und Gemeinschaftspolitik in einen konsistenten Handlungsrahmen gebracht worden waren.120 Allerdings hatte die EG für den Fall, dass ihr Ansatz erfolgreich wäre, „keine gedankliche Vorsorge“ getroffen.121 Es gab keinen Masterplan, keine grand design, keine ganzheitliche Strategie. Dies war den Mitgliedern der EG zumindest bewusst, forderte doch der Rat der Außenminister im April eine „gemeinsame Strategie“ und der Europäische Rat im Juni 1989 in Madrid Kohärenz zwischen EPZ-Diplomatie und Außenbeziehungen. Es muss nicht betont werden, dass erstens, die Herausforderungen durch die Implosion des kommunistischen Herrschaftsbereiches ungeheuer groß und vielfältig waren und, dass, bei aller berechtigten Kritik an der Konzeptlosigkeit, dem zerbröckelndem Konsens der verschiedenen Organe und der inkonsistenten Herangehensweise -, zweitens, die EG bereits im Jahr 1989 etliche Maßnahmen traf. Sie waren schwerpunktmäßig wirtschaftlicher und finanzieller Art (Soforthilfen), und setzten relativ schnell ein, wenngleich – auch dies ist berechtigte Kritik – es sich um reactio als actio handelte.122 Auf die Ergebnisse der polnischen Wahlen im Juni 1989 reagierte man rasch: Die G24 übertrug der Kommission die Koordinierung ihrer Aktionen.123. Bereits im August wurde das Unterstützungsprogramm PHARE ins Leben gerufen.124 Auf die weiteren Reformschritte Ungarns und Polens öffnete sich die EG im Laufe des Jahres 1989 weiter (etwa durch das Einbeziehen in das Allgemeine Präferenzsystem). Dieses Vorgehen zeigt, dass die EG bei ihrem differenzierenden Prinzip blieb: Voraussetzung für die Annäherung war die erkennbare Bereitschaft zu politischen und wirtschaftlichen Reformen. Die Tschechoslowakei stand daher weiter in der zweiten Reihe. Neben dieser „Kaskade“ schneller und nicht geringfügiger finanzieller Hilfe, begannen Kommissionspräsident Jacques Delors, der für Auswärtige Beziehungen zuständige Kommissar Frans Andriessen, verschiedene Staats- oder Regierungschefs wie Margaret Thatcher und François Mitterrand ihre – teils recht divergierenden - Vorstellungen über die 119
Vgl., a.a.O., Batt, 1994, S. 175 Vgl., a.a.O., Torreblanca, S. 85 A.a.O., Lingnau, S, 84 122 Siehe hierzu auch III. a) 3.3.2 und 3.3.3 123 EG, EFTA, USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland, Türkei 124 PHARE – Poland and Hungary Action for Restructuring of the Economy – wurde ursprünglich für diese beiden Länder geschaffen, aber bald auf die anderen post-sozialistischen Reformländer ausgeweitet. 120 121
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künftige Entwicklung der Beziehungen zwischen EG und dem ehemaligen Ostblock zu entwickeln. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kristallisierten sich zwei gegensätzliche Positionen heraus: Auf der einen Seite diejenige, die eine negative Wirkung auf die Vertiefung der Gemeinschaft fürchtete. Dazu gehörte der französische Präsident, aber auch Kommissionspräsident Jacques Delors. Er fürchtete, dass der Integrationsschub der Gemeinschaft gebremst werden könnte und unterstrich daher die Priorität der Vertiefung, die der Straßburger Gipfel im Dezember 1989 formuliert hatte. Auf der anderen Seite gab es Stimmen, die vor einem „engstirnigen Scheuklappen-Ansatz“ warnten und „neue Formen der Assoziation“ forderten, wie Thatcher. Leicht zu erkennen, wie sich alte Muster wiederholten: Frankreich als Erweiterungsbremser auf Grund seiner Vertiefungspriorität, Großbritannien als Erweiterungsbefürworter auf Grund der Präferenz nicht allzu großer Vertiefung - in diesem Fall im Zuge ihrer Attacken gegen die WWU, an der wiederum Delors viel lag. Zum Kristallisationspunkt der Debatte wurde die Frage der Assoziation. Das Politische Komitee des EP sprach sich für eine spezielle Form der Assoziation, wie in Artikel 238 vorgesehen aus, etwa für Polen. Der Europäische Rat (November 1989 in Paris) dagegen befürwortete eher kurz- und mittelfristige Maßnahmen wie die von Mitterrand vorgeschlagene Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und Stabilisierungsfonds für die polnische und ungarische Währung. Ende 1989 war klar, dass die Zwölf keine einheitliche Position bezüglich der künftigen Form der Beziehungen hatte. „There was agreement about goals (support), general principles (conditionality), and contents and instruments (aid, trade and cooperation), but there was absolutely no common position as to what the Community would do if the transitions in Eastern Europe were successful.”125 Sowohl der Gipfel von Straßburg im Dezember 1989 als auch die Präsentation des Kommissionsprogramms im Januar 1990 durch Delors ließen erkennen, dass die Frage einer Integration nicht an Platz Eins der Agenda stand. Die lauwarme Rhetorik von Straßburg, die Aussage Delors, eine Erweiterung sei institutionell und finanziell unmöglich und sein Hinweis auf die lange, siebenjährige Wartezeit Spaniens und Portugals waren dazu angetan, Euphorie zu dämpfen. Nichtsdestotrotz gab es einen großen Konsens über die moralische und historische Verpflichtung Europas gegenüber den ehemaligen Ostblockstaaten bei der Unterstützung ihrer Demokratisierung. Ebenso klar war das Bewusstsein über die geopolitische Bedeutung der Stabilität in dieser Zone. Im Gegensatz zur Erweiterung standen wirtschaftliche und politische Unterstützung von Anfang an außer Frage. Wie erwähnt war die quasi umgehende Initiative der neuen Regierung der nationalen Verständigung, eine Woche nach ihrer Installierung, um Assoziierung und politischen Dialog zu bitten, der auf Grund des begrenzten Handelsabkommens bislang nicht existierte, erstaunlich. So lange die kommunistische Tschechoslowakei durch ihre mangelnde Reformfähigkeit in Distanz blieb, so schnell änderte die neue Regierung diesen Kurs. Während der polnische Außenminister Skubiszewski am 29. November noch davon sprach, dass eine polnische EG-Mitgliedschaft „social science fiction“ sei126, sandte der tschechoslowakische Premier ýalfa im Dezember einen Brief an Kommissionspräsident Delors, in dem er die Hoffnung auf baldige Gespräche „über mögliche Formen des Anschlusses an die Europäische Gemeinschaft“ zum Ausdruck brachte. Insofern vollzog die Tschechoslowakei die radikalste außenpolitische Wende nach der Novemberrevolution. Freilich war dieser Schritt
125 126
A.a.O., Torreblanca, S. 104 Financial Times, 20.11.1989, zit. n. ebd., S. 121
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„etwas voreilig und überstürzt“, und die Anregung zur Assoziation wurde in der EG mit Verlegenheit aufgenommen, gerade da die interne Debatte darüber voll im Gange war.127 Für die Interaktion zwischen der EG und der Tschechoslowakei im Jahr 1989 waren zwei Handlungen entscheidend: Die EG demonstrierte in der unterschiedlichen Behandlung einerseits Polens und Ungarns und andererseits der versteinerten Gruppe DDR, Tschechoslowakei, Bulgarien die Bedeutung der Erfüllung politischer Bedingungen. Von Seiten der neuen Regierung der nationalen Verständigung war die in gewisser Weise überzogene und voreilige Anfrage nach Assoziation als Signal der Neupositionierung zu verstehen, mit dem der EG der komplette Bruch mit der bisherigen Politik des kommunistischen Regimes nahe gebracht werden sollte. Zweifelsohne spielte es für die Tschechoslowakei eine Rolle, das stalinistische Regime hinter sich zulassen, indem man umso nachdrücklicher den Wunsch zur Annäherung an die EG vertrat. Ein Motiv, das uns bereits in Spanien begegnet war: Bruch mit der Vergangenheit als legitimierendes Moment nach innen und außen. 3.4 Doppelte Transition: im gemeinsamen Staat und in der Unabhängigkeit Bei der Analyse der Variablen in der Transitionsphase begeben wir uns auf schwieriges Terrain, denn wir nähern uns dem Datum der Teilung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (ýSFR) – wie sie seit April 1990 hieß – und damit der unabhängigen Slowakei ab 1.1.1993. Damit stellt sich zunächst einmal das Problem, wie man die Transition der Slowakei festlegen kann, denn: „It is not easy for comparativists to unambiguously categorize Slovakia in one of the known ideal types of transition“128. Zwar hat die Slowakei als Teil der Tschechoslowakei nach 1989 denselben Transitionspfad absolviert. Zwischen wurden 1990 und 1993 die neuen demokratischen Institutionen geschaffen. Allerdings gelang es auf Grund des Dissenses über die künftige Form des Staates (Föderation oder Konföderation) und die Beziehung der beiden Nationen zueinander nicht, eine Verfassung zu verabschieden. Geplant war, genau zwei Jahre nach der founding election im Juni 1990 erneut zu wählen. Bis dahin sollte eine Verfassung ausgearbeitet werden. Aber es kam keine gemeinsame Verfassung oder ein Staatsvertrag über das Verhältnis der beiden Republiken zustande. Nachdem am 26. August 1992 die beiden Ministerpräsidenten Václav Klaus und Vladimír Meþiar die Auflösung der ýSFR beschlossen hatten, verabschiedete dann im September 1992 die Slowakische Abgeordnetenkammer eine Verfassung. Dennoch kann man zu Transition zu diesem Zeitpunkt nicht als abgeschlossen bezeichnen. Nach der Teilung trat die Slowakei zunächst in einen Staatsbildungsprozess ein. Damit fanden die beiden Prozesse Staatsbildung und Institutionalisierung parallel statt, was den Fortgang des Regimewechsels erheblich verkomplizierte. Die slowakische Transition unterscheidet sich von der der anderen Nachbarn durch dieses Staatlichkeitsproblem und die Art, wie damit umgegangen wurde.129 Zweifelsohne hatte die Slowakei im Vergleich zu 127
Vgl., a.a.O., BĜach, S. 123 Szomolányi, SoĖa, „Slovakia between Western and Central European Ways of Transition“, in: DvoĜáková, Vladimíra, (Hrsg.), Success or Failure? Ten years after, Prag 1999, S. 24-39, hier: S. 24 129 Hierzu gibt es nur sehr wenige eingehende Betrachtungen. Elster/Offe/Preuss sehen folgende Spezifika der Transitionen postkommunistischer Länder: 1. der nicht-militärische und nicht-gewaltsame Charakter von Kollaps und Transition, 2. die Abwesenheit von „revolutionären“ Gegen-Eliten, Ideologien oder Konzepten, 3. die Gleichzeitigkeit von politischen, wirtschaftlichen und territorialer Reform und Rekonstitution und 4. die revolutionären und universalistischen Vorstellungen des vorhergehenden altes Regimes. Dies trifft natürlich auch auf die Slowa128
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ihren Nachbarn die am wenigsten günstigen Bedingungen: nämlich einen höheren Grad an ethnischer Heterogenität, eine größere subkulturelle Segmentation, und vor allem hatte war sie das einzige Land, das nie eine nachhaltige, historische Erfahrung mit staatlicher Selbständigkeit gehabt hatte. Zu dieser grundsätzlichen verschiedenen Ausgangsposition kamen weitere Punkte: Erstens, musste sie mit Datum der Unabhängigkeit verschiedene staatliche Institutionen gänzlich neu schaffen; so das Amt des Staatspräsidenten, das Verfassungsgericht, eine Armee, ein diplomatisches Netz, Zollbehörden, aber auch wirtschaftliche Institutionen wie Zentralbank, Börse, Handelsvertretungen. Zweitens, musste überhaupt erst politisches know-how neu oder ganz anders erworben werden. Drittens, hatte Meþiar kein spezifisches Programm für den neuen slowakischen Staat ausgearbeitet. Viertens, trug Meþiar nicht zu einer national-politischen Integration in dem neuen Staat angetan. Da er im Laufe von 1992 immer nur die nationale Karte gespielt hatte, blieb sie auch das einzige erkennbare Merkmal der unabhängigen Slowakei als „ethnischer slowakischer Staat“. Die Tatsache, dass ethnische Minderheiten ausgeschlossen wurden förderte eher eine „fragmenting policy of identity“.130 Und schließlich hatte die Slowakei mit dem verzögerten Beginn der Liberalisierung des kommunistischen Regimes zu kämpfen, die in Polen und Ungarn bereits in der Prä-Transitionsperiode eingesetzt hatte und durch die diese Länder bereits wirtschaftliche Reformen begonnen und eine flexiblere kommunistische Führung erlebt hatten.131 Während die Tschechische Republik diese ungünstigeren Ausgangsbedingungen dadurch kompensieren konnte, dass sie das einzige früh modernisierte Land in Mitteleuropa war und davon profitieren konnte, dass sie bereits vor der Auferlegung des sowjetischen Systems Erfahrung mit Kapitalismus und Modernisierung gehabt hatte, konnte die Slowakei auf solche Grundlagen nicht zurückgreifen. Für die Slowakei ergab sich aus dem unterschiedlichen Charakter der Prä-Transitionsperiode zum einen „a significant condensation of the transformation processes“.132 Das betraf nicht nur die wirtschaftliche Seite, sondern auch die psychologische Adaption, den Lernprozess von Bevölkerung und politischen Repräsentanten sowie die Internalisierung der Werte parlamentarischer Demokratie. Zum anderen durchlief die Slowakei eine verlängerte Periode von Transition und Institutionalisierung. So konnte die Tschechische Republik nach der Teilung 1993 in die Phase demokratischer Konsolidierung übergehen, verfügte sie doch über einen vollständig funktionierenden Staat mit eingerichteten Institutionen und dem entsprechenden know how sowie nicht zuletzt über eine homogene Gesellschaft. kei zu. Vgl., Elster, Jon/Offe, Claus/Preuss, Ulrich K., Institutional Designs in Post-Communist Societies. Rebuilding the Ship at Sea, Cambridge 1998, S. 3ff. Mit der Einordnung und Bewertung der slowakischen Transition hat sich die slowakische Politikwissenschaftlerin SoĖa Szomolányi profund in mehreren Arbeiten beschäftigt: „Introduction: a Transition to Democracy“, in: Szomolányi, SoĖa/Mesežnikov, Grigorij, (Hrsg.), The Slovak Path of Transition – to Democracy?, Bratislava 1994, S. 5-13; “Does Slovakia deviate from the Central European Variant of Transition?“, in: Szomolányi, SoĖa, Mesežnikov, Grigorij, (Hrsg.), Slovakia: Parliamentary Elections 1994. Causes – Consequences – Prospects, Bratislava 1995, S. 8-39; „Identifying Slovakia’s Emerging Regime“, in: Szomolányi, SoĖa/Gould, John A., (Hrsg.), Slovakia: Problems of Democratic Consolidation and the struggle for the Rules of the Game, Bratislava 1997, S. 9-35; „Slovakia between Western and Central European Ways of Transition“, in: DvoĜáková, Vladimíra, (Hrsg.), Success or Failure? Ten years after, Prag 1999, S. 24-39; ”The Slovak Path to Democracy: From a Deviant Case to a Standard New Democracy”, in: Mesežnikov, Grigorij/Gyárfášová, OĐga, (Hrsg.), Slovakia: Ten Years of Independence and a Year of Reforms, Bratislava 2004, 9-27 130 Vgl., dazu a.a.O., Szomolányi, 1999, S. 29 131 Vgl., a.a.O., Szomolányi, 1997, S. 26ff 132 A.a.O., Szomolányi, 1994, S. 9
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Für die Slowakei macht die Definition einer „zweiten Transition“133 Sinn, einer unabhängigen slowakischen Transition nach der Tschechoslowakischen. Sie begann nach den Wahlen von 1992, die auf slowakischer Seite eine Gruppe Politiker mit autoritärem Politikstil an die Regierung brachten und die Installierung einer unabhängigen slowakischen Republik zur Folge hatte. Zwischen den Wahlen von 1992 und den vorgezogenen Wahlen im Herbst 1994 lag somit eine Zeitspanne, in der sich die Prozesse der „zweiten Transition“ und der bereits begonnenen Konsolidierung überlappten. Nach dem Misstrauensvotum gegen Meþiar im Frühjahr 1994 schienen die Aussichten für eine Konsolidierung günstig; insofern war die Wahl von 1994 eine „kritische Wahl“. Daher setzen wir das Ende der Transition 1994 an. Gemäß der festgestellten doppelten Transition teilt sich das folgenden Kapitel in: Transition in der Tschechoslowakei (3.4.1) und Transition als unabhängiger Staat (3.4.2). Die Unabhängigkeit führte unvermeidbar zu einer verzögerten Transition, hätte aber nicht zwangsläufig zu einer verzögerten Konsolidierung führen müssen, insbesondere nicht nach der gelungenen Ablösung Meþiars. Die Umstände der Teilung weisen zudem auf bestimmte Handlungsmuster der slowakischen politischen Elite nach 1993 hin. Daher sollen an dieser Stelle in aller Kürze134 einige Aspekte der politischen Kultur und des Elitenverhaltens heraus kristallisiert werden, die dann auch später in Bezug auf die Frage nach nationaler und europäischer Identität aufgenommen werden. Ausgehend von meiner Hypothese, dass die innere Neuorientierung des nationalen Systems interagiert mit den Vorstellungen über die äußere Einbettung, spielt die Frage der Identitätsfindung in der Slowakei als neu gegründeter Staat eine doppelt wichtige Rolle. 1. Differenzen in der politischen Kultur: Auf Grund der unterschiedlichen historischen Entwicklung (siehe auch 3.1 und 3.2) ergaben sich Unterschiede zwischen der tschechischen und slowakischen Bevölkerung in der Sozialstruktur, im Selbstverständnisse und in der politischen Kultur. Ullram/Plassner stellen etwa eine „tiefe Kluft“ zwischen den beiden Mentalitäten fest, was aus das Bild von zwei politischen Kulturen nahe legte.135 Maßgeblich waren dabei die „asynchrone Entwicklung“ der beiden Nationen136, was sich vor allem in Bezug auf die Modernisierung zeigt: Tschechien war ein sehr früh sehr weit modernisiertes Land, während es sich bei der Slowakei um die „peripheral modernization of an early late-comer“ handelt, bei dem auch die sehr intensiv durchgeführte Industrialisierung durch 133
Ebd., S. 10 Siehe zur Teilung der ýSFR aus verschiedenen Blickwinkeln u. a. die Beiträge in Kipke, Rüdiger/Vodiþka, Karel, (Hrsg.), Abschied von der Tschechoslowakei. Ursachen und Folgen der tschechisch-slowakischen Trennung, Köln 1993; Brokl, Lubomír/Manfeldová, Zdenka, „Zerfall der Tschechoslowakei – Strukturelle Ursachen und Parteihandeln“, in: Segert, Dieter/Machos, Czilla, (Hrsg.), Parteien in Osteuropa. Kontext und Akteure, Opladen 1995, S. 133-148; Vodiþka, Karel, „ýSFR: Die Teilung war nicht notwendig“, in: Die politische Meinung, Januar 1994, S. 73-76; Batt, Judy, Czecho-Slovakia in Transition: From Federation to Separation, Chatham House Discussion Paper No. 46, London 1993 135 Vgl., Plassner, Fritz/Ulram, Peter A., “Zwischen Desillusionierung und Konsolidierung. Demokratie- und Politikverständnis in Ungarn, der ýSFR und Polen“, in: Gerlich, Peter/Plassner, Fritz/Ulram, Peter A., Regimewechsel. Demokratisierung und politische Kultur in Ost-Mitteleuropa, Wien et.al. 1992, S. 9-79. Wobei ein wichtiger Hinweis ist, dass in Bezug auf bestimmte Aspekte (Politikbild) die slowakische Einstellung sich in Übereinstimmung mit der der polnischen und ungarischen Nachbarn deckte und die Tschechen abwichen (ebd. S. 15f) – ein Befund, den auch Szomolányi unterstreicht: „Civic culture has never taken deep roots in Slovakia. (...), this is not distinctively different from Slovakia’s neighbours such as Poland or Hungary.” A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 26. 136 So der sehr ausgewogene Beitrag, der die Ursachen der Trennung auf beiden Seiten sucht: Bútorová, Zora/Bútora, Martin, „Die unerträgliche Leichtigkeit der Trennung“, in: Kipke, Rüdiger/Vodiþka, Karel, (Hrsg.), Abschied von der Tschechoslowakei. Ursachen und Folgen der tschechisch-slowakischen Trennung, Köln 1993, S. 108-140 134
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die Sowjetunion den tief verwurzelten Traditionalismus nicht vollkommen beseitigen konnte. Die Slowakei war somit 1989 zwar ein industrialisiertes Land, aber – anders als Tschechien - mit einem geringen Grad an Modernität, vor allem in kultureller Hinsicht.137 2. Die Rolle der „nationalen Frage“ für die Slowaken. Mit der Befreiung von der sowjetischen Zwangsjacke verband die Slowakei die Hoffnung auf eine endlich gleichberechtigte Stellung im Staatsgefüge. Eine überragende Relevanz hatte das Nationalitätenproblem hingegen nicht. Im November hielten nur 12 Prozent der Bürger der ýSFR - davon 10 Prozent der Tschechen und 17 Prozent der Slowaken - diese Frage für die wichtigste Aufgabe des Landes.138 Auch 1992 maßen nur 10 Prozent der Slowaken und 4 Prozent der Tschechen den nationalen Problemen höchste Dringlichkeit zu.139 Brokl/Mansfeldová bezeichnen daher das Nationalitätenproblem als ein durch die „unpolitische Politik“ des Jahres 1990 aufgeworfenes Pseudoproblem.140 Vor allem aber gab es nie eine Mehrheit – auch nicht in der slowakischen Bevölkerung - für eine Teilung. Die überwiegende Mehrheit beider Republiken befürwortete eine Föderation, die Frage war lediglich, welche Form der Föderation: Für einen selbständigen Staat waren 1990 nur 5,3 Prozent der Tschechen und 9,6 der Slowaken.141 Die überwiegende Mehrheit der Slowaken und der Tschechen wollte den gemeinsamen Staat erhalten.142 Selbst nach der Unabhängigkeitserklärung des slowakischen Parlaments im Juli 1992 plädierten nur 32 bzw. 24 Prozent der Slowaken und Tschechen für eine Teilung.143 Nach der Teilung meinten 81 Prozent der slowakischen Bürger, die Teilung der ýSFR hätte ihre wirtschaftliche und soziale Lage schwieriger gemacht, und die Angst vor der Zukunft überwog das Gefühl neuer Möglichkeiten.144 Heute ist das Verhältnis der Befürworter und Gegner der Teilung 43 zu 37 Prozent, also denkbar eng beieinander.145 Die Trennung ist inzwischen als fait accompli akzeptiert, vergessen aber nicht. 3. Verantwortung für die Teilung. In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass der Zerfall der ýSFR vor allem die Konsequenz des Versagens der ersten Generation der postkommunistischen Eliten war, die nicht in der Lage waren, die Anforderungen auf politischer Ebene – Schaffung des politischen Systems und der Verfassung -, auf wirtschaftlicher Ebene – Einführung der Marktwirtschaft – und auf kultureller Ebene – Schaffung neuer sozialer Bindungen, einer nationalen Identität – zu bewältigen und die im Gegensatz zum postfranquistischen Spanien die Kontrolle darüber verloren.146 Der gemeinsame Staat schei137
A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 23 A.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 170f 139 Vorneweg stehen Arbeitslosigkeit 30 Prozent und Wirtschaft 10 Prozent, soziale Probleme liegen wie nationale bei 9 Prozent. A.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, S. 113 140 A.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 170 141 Für eine authentische Föderation waren 47,7% Tschechen und 53,8% Slowaken; für das gegenwärtige Modell der Föderation waren 34,1 bzw. 21,4%; für eine Konföderation 6,7 bzw. 9,7%. Umfrage des Instituts für Sozialanalysen vom Oktober 1990, Bútorová, Zora, „Optimálna forma štrátoprávneho usporiadania ýSFR“, in: Sociologické aktuality, 11/1990, hier: S. 9 142 Gut drei Viertel der Slowaken waren mit der Aussage, es sei vorteilhaft, den gemeinsamen Staat zu erhalten, voll oder eher einverstanden; bei den Tschechen waren 90 Prozent. Vgl., a.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, 121, 125 143 Vgl., a.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 184 144 Vgl., a.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, S. 110, 134 145 Vgl., Bútorová, Zora, „The Separation of Czechoslovakia and the First Decade of Slovakia’s Independence through the Eyes of its Citizens”, in: Mesežnikov, Grigorij/Gyárfášová, OĐga, (Hrsg.), Slovakia: Ten Years of Independence and a Year of Reforms, Bratislava 2004, S. 97-117, S. 102 146 Vgl., a.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, S. 110. Das Versagen der politischen Elite wird auch von „Beteiligten“ so gesehen, und zwar sowohl auf tschechischer wie auf slowakischer Seite: Als Beispiele seien ZdenƟk Jiþínský, führender tschechischer Exponent der Samtenen Revolution und Vizepräsident der Bundesversammlung 1990-1992 138
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terte an dem Unvermögen aller beteiligten Politiker, das entsprechende Fundament, eine Verfassung, zustande zu bringen; Václav Klaus und Vladimír Meþiar betätigten dann, ohne die Bewohner – etwa in einem Referendum - gefragt zu haben, die Abrissbirne. Wichtig festzuhalten ist: Die Teilung war kein Ergebnis der nationalen Emanzipationsbestrebungen des slowakischen Volkes, ebenso wenig das Ergebnis einer unversöhnlichen Einstellung der Bevölkerung beider Republiken. Sowohl das schnelle Aufflammen nationaler Emotionen und deren ebenso schnelles Abebben – etwa bei der Auseinandersetzung über das Sprachengesetz – wiesen darauf hin, dass diese nationalen Gefühle keine breite Unterstützung und tiefe Verankerung hatten, sondern „lediglich von einigen ambitionierten Politikern und speziellen Interessen vorübergehend mobilisiert wurde(n)“.147 Vladimír Meþiar nahm hierbei die Hauptrolle ein. Den Grund für die beginnende Besetzung des nationalen Themas durch Meþiar sah der tschechische Politiker Jiþínský in Meþiars Ausschluss aus der VPN und der Absetzung als Premier 1991 auf Grund seines undemokratischen Stils: „Als Vorsitzender der slowakischen Regierung hatte Meþiar mit großem Einsatz für die Erweiterung der Regierungskompetenzen gekämpft, war aber gleichzeitig ein großer Befürworter der tschechoslowakischen Föderation geblieben. Nachdem er in die Opposition gedrängt worden war, verblieb ihm nur ein winziger Wirkungskreis, wo er noch erfolgreich um seine Rückkehr an die Macht kämpfen konnte: die national-slowakische Frage.“148 Meþiar gelang es erfolgreich, die nationale Frage zu instrumentalisieren im Zusammenhang mit den beiden Schlüsselthemen Verfassung und Wirtschaftsreform. Unter den Slowaken bestanden große soziale Ängste, soziale Absicherung war ihnen sehr wichtig und sie befürworteten eher für einen langsamen Übergang, während die Tschechen eine liberale Grundhaltung hatten und durchaus hinter der von Klaus begonnenen schnellen Reform standen.149 In dem Diskurs um den wirtschaftlichen Weg, der seit 1991 geführt wurde und der auch im Hinblick auf die Wahlen 1992 hoch kochte, verband Meþiar soziale und nationale Demagogie und gewann nicht zuletzt auf diese Weise mit seiner neu gegründeten Partei HZDS die Mehrheit im slowakischen Parlament.
sowie Fedor Gál, Vorsitzender der VPN, wichtigster Akteur des demokratischen Umbruchs in der Slowakei und Berater des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Marian ýalfa. So konstatiert Jiþínský, dass „der Zerfallsprozeß des Tschechoslowakischen Staates nicht ‚aus dem Wesen der Dinge’ entstanden (…) ist.“ und „daß die tschechoslowakische Staatlichkeit in einer neuen Gestalt hätte bewahrt werden können. Daß dies nicht gelungen ist, muß der nationalen, provinziellen Beschränktheit der Regierungsparteien zugeschrieben werden, deren mangelndem politischen Verantwortungsbewußtsein, dem Dilettantismus und Partei-Egoismus, wodurch schließlich auch das politische Klima in der tschechoslowakischen Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde.“ (Jiþínský, ZdenƟk, „Das Scheitern der tschechoslowakischen Föderation“, in: a.a.O., Kipcke, Vodiþka, S. 63-76, hier: S. 76). Und Gal: “Der Zerfall der Tschechoslowakei war keine unvermeidbare Folge des Emanzipationsprozesses in der Slowakei, sondern eher eine unbeabsichtigte Folge des Handels der politischen Eliten. (…) Die historische Verantwortung tragen die Protagonisten der unpolitischen Politik, des ökonomischen Pragmatismus und des nationalen Sozialismus“. (Gál, Fedor, „Zerfall der Tschechoslowakei unter innenpolitischen Aspekten“, in: a.a.O., Kipke/Vodiþka, S. 140-153, hier: S. 151) 147 A.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 180 148 A.a.O., Jiþínský, S. 70 149 Im November 1991 befürworteten 52 % der Tschechen gegenüber 33% der Slowaken eine Marktwirtschaft. Fast umgekehrt sind die Zahlen in Bezug auf ein Gemischtes System: 53% der Slowaken befürworten dies gegenüber 39% der Tschechen. A.a.O., Brokl/Mansfeldová, S. 188ff, siehe dazu auch: a.a.O., Bútorová/Bútora, 1993, S. 118ff sowie Gyárfášová, Olga, „Slovak Society in the First Year of Independence“, in: a.a.O., Szomolányi/Gould, S. 41-51, hier: S. 42f. Zu den wirtschaftlichen Aspekten und den Wertvorstellungen auch Haarland, Hans Peter/Niessen, Hans-Joachim, Hrsg.), Die Transformationsprozeß in der Tschechischen und Slowakischen Republik, Köln 1995
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3.4.1 Transition in der Tschechoslowakei (1989-92): Rückkehr nach Europa Internationale Verortung: unbedingte Europäer versus Pragmatiker Bei der Analyse der internationalen Verortung stehen zwei Aspekte im Mittelpunkt: Erstens, generell auf die außenpolitischen Orientierung in Elite und Bevölkerung und, zweitens, auf den Zusammenhang zwischen nationaler und europäischer Identitätsfindung, nationalistischen und Integrationsorientierten Vorstellungen. In der Tschechoslowakei wie in den anderen post-kommunistischen Staaten wurde die EU betrachtet als „overall strategic aim (…) in the sense of an ‚order-building’ environment for newly independent states.“150 Über das Ziel der EG-Mitgliedschaft gab es sofort einen breiten Konsens in der neuen politischen Elite. Der zusammen mit der Samtenen Revolution artikulierte Wunsch der Rückkehr nach Europa hatte mehrerlei Facetten: 1. 2. 3.
kulturell-psychologisch: als Bestätigung des europäischen Charakters der nationalen Identität, als Betonung der historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten, innenpolitisch: als Befürwortung der Etablierung des europäischen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmens für das neue System; international: als Wunsch nach internationaler Anerkennung, nach Außenhandel, als Ausdruck des Sicherheitsbedürfnisses.
Der Begriff der Europäisierung bekam einen wichtigen Stellenwert. Man kann ihn auf jene drei Aspekte anwenden: 1. Europäisierung als Rückkehr zu den europäischen Traditionen, Normen und Wertesystemen, Verinnerlichung der demokratischen Werte; 2. Europäisierung als Entwicklung der strukturellen Kompatibilität mit den EG-Institutionen und ihrem legislativen System durch den Integrationsprozess; 3. Europäisierung als Gestaltung eines spezifisch Weges regionaler und nationaler Entwicklung; regionale Kooperation und Integration als spezielles Element einer größeren Integration.151 Sehr zutreffend weist Lingnau darauf hin, dass es nicht nur um das Schaffen neuer politischer – man kann auch ergänzen: wirtschaftlicher - Strukturen ging, sondern auch um das Setzen neuer gesellschaftlicher Grundwerte. Gerade hier kam der EG Vorbildfunktion zu. In der EG fanden die Völker kulturell sowie in der sozialen und politischen Dimension mit den zentralen Grundwerten von Freiheit und Gleichheit das größte Identifikationspotential.152 Bei den Motiven kann man ähnlich wie in Südeuropa sagen, dass zwar wirtschaftliche Gründe (Erhöhung des Lebensstandards, Verbesserung der wirtschaftlichen Situation etc.) sehr wichtig waren, jedoch gab es „a considerable shift in the interest patterns of the Central and Eastern European countries towards basic political goals probably as part of their ‚raison d’être’“.153
150
Handl, Vladimír, “Translating the Czech Vision of Europe into Foreign Policy – Historical Conditions and Current Approaches”, in: a.a.O., Lippert/Schneider, S. 125-149, hier: S. 133 Agh, Attila, “The Europeanization of the ECE Polities and Emergence of the New ECE Democratic Parliaments“, in: ders., (Hrsg.), The First Steps. The Emergence of East Central Parliaments, Budapest 1994, S. 9-22 152 Vgl., a.a.O., Lingnau, S. 60 153 Lippert, Barbara, „EC-Ostpolitik Revisited: Continuity and New Approaches“, in: a.a.O., Lippert/Schneider, S. 49-69, S. 67 151
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Im Vergleich zu den anderen post-kommunistischen Staaten vollzog die Regierung ýalfa den radikalsten und schnellsten Wechsel in der Außenpolitik.154 Es war das erste Land, das um Assoziierung der EG bat und das erste Land, das den RGW verließ. Dazu kam der bemerkenswerte Prestige-Wandel vom konservativsten und unbeweglichsten Regime des Ostblocks zu dem Land, das in Ostmitteleuropa bald das beste Image innehatte und dem man ehesten jene Rückkehr nach Europa zutraute.155 - Prestige-Wechsel. Vom „bad boy“ der Visegrád-drei wurde sie zum „darling of the West“156. Das war zu einem großen Teil dem hohen moralischen Ansehen Václav Havels, seinem Auftreten und seinen viel beachteten Reden im Ausland geschuldet. „Das Ansehen des tschechoslowakischen Präsidenten, der den Sieg von Anstand und Menschenwürde symbolisierte, war zu einem Faktor internationaler Bedeutung geworden und strahlte auf die Umgebung aus. (…) Die neue Tschechoslowakei genoß ein enormes internationales Prestige. Havel garantierte Demokratie, die Wirtschaftsreform des Finanzministers für Glaubwürdigkeit bei Weltbank und Weltwährungsfond“.157
Für die von Dissidenten dominierte Regierung der nationalen Verständigung war es das primäre Ziel, eine westliche Demokratie nach europäischem Vorbild zu schaffen und sich so in Europa einzugliedern. Die EG-Mitgliedschaft war der Pfeiler des außenpolitischen Programms des Bürgerforums, und die antizipierten Erfordernisse dafür prägten zunehmend die politischen Entscheidungen. Sowohl im Stil als auch in Ansatz und Programmatik unterschieden sich Havel und der ab 1992 (bis 1997) amtierende Ministerpräsident Václav Klaus. War Havel der an ethischen Prinzipien und civic culture orientierter Intellektueller und vertrat eher einen kooperativen Stil in Bezug auf die internationalen Beziehungen, den Handl „liberal institutionalism“ nennt. Klaus hatte dagegen eine wirtschaftszentrierte und sehr pragmatische Sicht, die auch andere Politikfelder beeinflusste; so etwa die Außenpolitik. Klaus war ebenso proeuropäisch, aber das in der EG reflektierte politische und vor allem wirtschaftliche Modell verblasste in seiner Vollbildfunktion. „Klaus had his own strategy – a personal mix of free market ideology and political pragmatism – for creating a ‘Western’ state, fit for membership in the EU and NATO.”158 Dem kooperativen Stil Havels stand Klaus eher reserviert gegenüber, er verfolgte einen “realistic approach”. In Bezug auf die EU stand er auf der Seite der Intergouvernementalisten und war gegen supranationale Lösungen.159 Daher brachte er dem Maastricht-Prozess eher Skepsis entgegen und betonte auch eher die Bedeutung des Nationalstaats. Als Ministerpräsident (1992-1997) nahm er eine regelrechte euro154
In Ungarn kann man eher von Kontinuität als Wandel sprechen, in Polen blieb die Fokussierung auf Deutschland und die Sowjetunion, die Inhalte der Außenpolitik änderten sich. Vgl., Skak, Mette, Analyzing the foreign policy change in what used to be the Soviet-East European region, (Paper for the first European Peace Research Association), conference, November 1991, University of Florence 1991, S. 12, siehe auch a.a.O., Batt, 1994, S. 176: “It was much easier for the new Czechoslovak government than for the Antall government to present its foreign policy as diametrically opposed to what had gone before.” 155 Zur Außenpolitik der Tschechoslowakei siehe Vachudová, Milada Anna, “The Czech Republic: The Unexpected Force of Institutional Constraints”, in: a.a.O., Zielonka/Pravda, S. 325-363, a.a.O., Handl, a.a.O., Skak, a.a.O., BĜach, a.a.O., Batt, 1994 156 Vgl., a.a.O., Vachudová, S. 330, a.a.O., Schwarz, S. 219f 157 A.a.O., Schwarz, S. 219 158 A.a.O., Vachudová, S. 326 159 Vgl., a.a.O., Handl, S. 131
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skeptische Haltung ein, aus der er auch heute noch, inzwischen als Staatspräsident (seit 2003), keinen Hehl macht.160 Bei der Politik der „Dissidenten-Regierung“ 1990 bis 1992 war der Wille zur raschen internationalen Anerkennung, zur Gewinnung von Glaubwürdigkeit für das demokratische Projekt zu erkennen. Der sofortige Schritt in Richtung EU war der deutlichste Beweis dafür, zusätzlich untermauert durch die zahlreichen Auslandsreisen Havels, ausschließlich in westliche Länder. Damit wurde eine klare Abkehr von der bisherigen außenpolitischen Orientierung signalisiert. Der Bruch mit der kommunistischen Vergangenheit und die gleichzeitige Hinwendung zu Europa wurden zum Legitimationsmoment, ebenso wie in Spanien. „Western recognition of the new governments as equal partners, and the promise of rapid integration into Western international institutions, played a very important role in their legitimation by providing some kind of seal of approval or guarantee of their credibility vis-à-vis their own societies.”161
Hier wird wie im spanischen Fall – und das gilt für alle ostmitteleuropäischen Länder – das Legitimationsmoment sichtbar, das in der erklärten Zuwendung und dem Zugehörigkeitswillen zur EG liegt und Europa zur Legitimationsquelle macht. Dies trifft auf jeden Fall auf die Politik der tschechoslowakischen Regierung der nationalen Verständigung zu. Die Regierung Klaus vertrat dagegen einen deutlich utilitaristischeren Ansatz und schwächte den Impetus zum Erreichen der EG-Mitgliedschaft ab durch die stärkere Betonung des Nationalen und das Betonen der bereits erreichten Wirtschaftsreformen.162 Klaus hat während seiner Regierungszeit „gegenüber Brüssel eine sehr selbstbewusste Haltung eingenommen und durchaus auch Kritik an der EU und dem europäischen Integrationsprozess geübt.“ Er verkörperte dabei eine „überzogene Selbstsicherheit“ und „eine Haltung, die Böhmen und Mähren auf der Grundlage historischer und kultureller Zugehörigkeit zum westlichen Europa als selbstverständlichen und organischen Teil der EU versteht. Es geht aus dieser Sicht mehr um die Aufnahme eines – ohne dessen Schuld – „verloren gegangenen Sohnes“, als um den Antrag eines neuen Anwärters für die Gemeinschaft.“163 Neben der Annäherung an die EG engagierte sich die Dissidenten-Elite unter der Führung von Präsident Havel und Außenminister Dienstbier bereits ein halbes Jahr nach der Samtenen Revolution mit konkreten Schritten für eine subregionale Zusammenarbeit. Die ýSFR trat der losen Allianz Österreichs, Italien, Ungarns und Jugoslawiens bei, woraus die Pentagonale wurde, 1991 dann mit Polen die Hexagonale, die schließlich in Zentraleuropäische Initiative umbenannt wurde. Wichtiger aber wurde die Visegrád-Gruppe, die Polen, Ungarn und die ýSFR im Februar 1991 schufen. Mit ihrer Gründung wollte man die Kräfte bündeln, um schneller das gemeinsame Ziel, EG-Mitgliedschaft, zu erreichen. Die verabschiedete „Deklaration über Zusammenarbeit“ richtete sich vor allem auf die durch gemein160
So sagte Klaus im Interview mit „Die Zeit“: „Ein Traum ist der EU-Beitritt für mich wirklich nicht. Aber wir haben keine Alternative. Wir waren und sind immer Europa. Heute kann man nicht ohne EU-Mitgliedschaft in Europa sein. Das ist eine Ehe der Vernunft, nicht der Liebe. Für ein mitteleuropäisches Land, das nicht auf einer Insel oder am Rande Europas liegt, ist es ganz einfach unmöglich, nicht der EU beizutreten.“ So in: „Der EU-Beitritt ist nicht unser Traum. Europa als Bedrohung der Demokratie: Ein Zeit-Gespräch mit dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus, 16.4.2003, S. 10 161 A.a.O., Batt, 1994, S. 176 162 Vgl., a.a.O., Vachudová, S. 325f 163 Kipke, Rüdiger, Die politischen Systeme Tschechiens und der Slowakei. Eine Einführung, Opladen 2002, hier: S. 89
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sames Vorgehen verbesserte Position auf dem Weg in die europäischen Integrationsstrukturen. Es ging darum, „sich gegenseitig zu helfen, um die völlige Integration in die europäische politischem wirtschaftliche, Sicherheits- und legislative Ordnung zu erreichen“164. 1992 wurde dann die CEFTA165 gegründet, quasi als ökonomischer Flügel der VisegrádGruppe. Beide waren als Übergangsstrukturen gedacht, die zwar subregionale Gemeinsamkeiten vereinten, zuvorderst aber der Kooperation hinsichtlich der Verhandlungen mit der EG dienen sollten. Die Idee war weniger, eigene Strukturen oder gar alternative Strukturen zur EG zu schaffen, sondern vielmehr die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, politischen und militärischen Gebiet zu koordinieren und zwar dies sehr konkret im Hinblick auf gemeinsame externe Ziele und Politiken: So sollte die Visegrád-Gruppe ein Sprungbrett in EG und NATO sein166, die CEFTA wurde als „Vorzimmer des Beitrittes zur Europäischen Union“ gesehen167. Aber auch hier manifestierten sich wieder Differenzen zwischen Havel und Klaus. Der Präsident strebte nach Einheit und Kohäsion der Visegrád-Gruppe, der Ministerpräsident betrachtete sie eher als ein Hindernis auf dem Weg nach Europa, bevorzugte ein bilaterales Vorgehen und vereitelte eine effektive Kooperation.168 Die generelle Einstellung in den ostmitteleuropäischen Ländern gegenüber einer EGMitgliedschaft war überwiegend positiv (80 Prozent und mehr waren sehr oder etwas dafür).169 In die vier Gesellschaften differenziert170, lässt sich feststellen, dass 1991 die höchste Befürwortung bei den Ungarn zu finden war, die Tschechen in der Mitte lagen, Slowaken und Polen, mit recht ähnlichen Werten, darunter. 1992 blieben die Werte etwa gleich, nur bei den Slowaken stieg die Unterstützung, höher sogar als bei den Tschechen. Dies deckte sich auch mit den Daten über den Eindruck, den die Bürger dieser Länder von der EG/EU hatten. Ein positives Bild der Slowaken entwickelte sich langsamer als in den übrigen Bevölkerungen und erreichte dann 1993, als die Werte der anderen absacken, ein Hoch.171 Insgesamt waren die Tschechen 1990 etwas optimistischer, dass ihr Land sich in die richtige Richtung entwickelte (58 zu 42 Prozent), wobei dieser größere Pessimismus der Slowaken mit ihren insgesamt als düsterer eingeschätzten Zukunftsaussichten und der größeren Unzufriedenheit mit der Demokratie korrelierte.172 Alle Visegrád-Länder wollten ihre Zukunft an erster Stelle mit der EU verbunden sehen: Bei den Tschechen war dieser Wunsch allerdings am größten und lag am deutlichsten vor anderen Optionen. Die Slowaken lagen mit ihrer Einstellung wiederum eher näher an den Polen. So wie bei der Haltung zur EU die Bevölkerungsmeinung und die Meinung der politischen Elite übereinstimmten, verhielt es sich auch mit der Einstellung zur NATO bis 1991, 164
„Joint Declaration on cooperation on the road to European Integration“, zit. n. a.a.O., Torreblanca, S. 240 Unterzeichnet am 21.12.1992, in Kraft seit 1.3.1993 166 Vgl., Cowen Karp, Regina, “The challenge of transition”, in: dies., (Hrsg.), Central and Eastern Europe: The Challenge of Transition, Oxford 1993, S. 1-17, hier: S. S. 6f 167 So die Darstellung der Investment and Trade Agency Ungarn (ITDH), siehe „Investieren in Ungarn“, (hrsg. von der ITDH), 30.9.1999 168 Vgl., Kural, Václav, „Die Tschechische Republik vor historischen Weichenstellungen“, in: a.a.O., Klunkert/Lippert/Schneider, S. 105-121, S. 119 169 Eurobarometer 33, Frühjahr 1990, Tabelle 10. CEEB2 (1991), CEEB3 (1992) jeweils Variable 60 (1990, 1993 und 1994 wurde diese Frage nicht gestellt). 1990 wurden erstmals Befragungen in den postkommunistischen Staaten von der Kommission durchgeführt. Von 1990 bis 1997 wurden diese in dem Central Eastern European Barometer, CEEB, gesammelt. 170 Die tschechische und slowakische Bevölkerung wird hier bereits getrennt betrachtet. 171 Ein positives Bild haben in der Slowakei 1990: 20,7, 1991: 39,3, 1992: 36,4, 1993: 42,8 Prozent. CEEB1, CEEB2, CEEB3, CEEB4, Variable 22 172 A.a.O., Eurobarometer 1990, S. 47, 49, 51 165
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nämlich solange die politische Führung ebenfalls einer Blockzugehörigkeit generell distanziert gegenüber stand. Die Neigung zur Option der Neutralität war 1990 hoch; sie wurde von zwei Dritteln der Bevölkerung befürwortet.173 Auf Grund der Ereignisse im äußeren Umfeld die sicherheitspolitische Position der Regierung. Vor allem seit dem Putsch in Moskau im August 1991 war das Ziel der NATO-Mitgliedschaft konsensuelles Ziel der politischen Parteien mit Ausnahme der radikalen Linken. Diese Wende der politischen Führung in 1991 zugunsten einer NATO-Mitgliedschaft, wurde von den Bürgern nicht auf gleiche Weise mit vollzogen. Das Vertrauen der Slowaken in die NATO war 1992 signifikant niedriger als in die EU (26 zu 41 Prozent), und nur 33 Prozent waren für einen NATOBeitritt.174 Dies lässt sich erklären mit dem generellen Misstrauen gegenüber Militärblöcken, mit der Angst, in einem militärischen Konflikt verwickelt werden zu können, möglicherweise auch mit der Angst vor der bereits traumatisch erfahrener Truppenpräsenz. Die Außenpolitik der Regierung ýalfa – also Öffnung nach Westen - wurde mit hohen Zufriedenheitswerten von der Bevölkerung (67 Prozent) beurteilt. Es handelte sich um den Politikbereich, der mit großem Abstand am positivsten bewertet wurde.175 Auch bei den Erwartungen für die nächsten zwei Jahre stand die Außenpolitik mit dem gleichen Wert mit Abstand an erster Stelle. Gegenüber eher schmerzhaften Reformen im Inneren stellte die WestOrientierung in der Perzeption ein vorteilhaftes und viel versprechendes Ergebnis dar. Gleichzeitig schwang dabei die große Hoffnung mit, die sich auf die EU richtete. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Elite wie Bevölkerung den Beitritt zur EU befürworteten. Allerdings gab es in der Elite einerseits verschiedene außenpolitische Handlungsweisen und Akzentsetzungen (kooperatives Vorgehen versus überzogene Selbstsicherheit) und andererseits auch trotz Befürwortung des EG-Beitritts unterschiedliche Motivationen (genuin nationales Ziel versus pragmatisch-utilitaristisch). Die Haltung der Elite muss somit differenziert werden: Es gab ein cleavage zwischen der unbedingt proeuropäischen Haltung und einer in Bezug auf nationale und europäische Interessen dichotomen Haltung. Dieses cleavage lässt sich aber nicht vertikal zwischen Tschechen und Slowaken ansetzen, sondern ging vertikal sowohl durch die tschechische als auch durch die slowakische Elite. Diese Trennlinie korreliert mit der alternativen Nuancierungen bezüglich der nationalen bzw. europäischen Identität, die sich wiederum in den Protagonisten Havel versus Klaus und Meþiar personifizieren lassen: Alle stimmen in dem europäischen Charakter der nationalen Identität überein und wollten den EG-Beitritt. Havel aber betont die europäische Dimension der tschechischen Identität, während Klaus den Akzent auf die nationale Dimension legt.176 Diese Feststellung verweist auf die wesentliche Bedeutung der Identität im Demokratisierungsprozess der post-kommunistischen Länder. Die Rückkehr der Identität und die Rückkehr nach Europa waren miteinander verbunden. Daher wird hier exkursartig dieser Erklärungsfaktor beleuchtet, der zwar mehr oder weniger alle post-kommunistischen Staaten betraf, für die Entwicklung der Tschechoslowakei und der Slowakei aber besonders relevant war.
173
Vgl., a.a.O., BĜach, S. 42 A.a.O., Gyárfášová, 2001, „Slovensko a svet“, S. 200f 175 Die Innenpolitik folgte mit 37%. (Zahlen von 1991). Vgl., Kipke, Rüdiger, „Die jüngste politische Entwicklung der Tschechoslowakei im Meinungsbild ihrer Bürger“, in: a.a.O., Kipcke/Vodiþka, S. 39-54, S. 43 176 Siehe dazu Brodký, JiĜi, „The Czech Experience of Identity“, in: a.a.O., Drulák, S. 21-38 174
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Kurz gesagt ist die Tschechoslowakei daran gescheitert, eine gemeinsame Identität, ein „Wir-Gefühl“, als Grundlage für die neue Demokratie zu schaffen, und die Slowakei musste sich dann als unabhängiger Staat eine neue Identität schaffen, was unter Meþiars Führung zu einem „slowakischen Weg“ - Distanz zu Europa und Annäherung zu Russland - führte. Für beide Vorgänge war die politische Elite maßgeblich verantwortlich (siehe 4.). Andererseits stimmte in den Wahlen 1992 die Mehrheit für zwei stark national ausgerichtete Parteien bzw. Politiker: Václav Klaus und Vladimír Meþiar, der eine rechts-liberal, der andere links-national. Im Folgenden wird zunächst der Zusammenhang zwischen nationaler und europäischer Identität und dann konkret für die tschechoslowakische bis 1992 und dann ab 1992 getrennt für die tschechische und slowakische Elite und Bevölkerung beleuchtet. Obwohl die ethnische Diversität und die historische Belastung auf Grund der verspäteten Staatenbildung und wiederholten Grenzverschiebungen in Ostmitteleuropa bekannt war, hat der Aspekt der Identität - regional und national – bislang wenig Aufmerksamkeit in der Transitionsliteratur gefunden.177 Das Paradigma der Transitionsliteratur fokussierte die Eliten-Konfiguration, die nationale Ebene, das institutionelle Design, die Entstehung der Parteien und die Politische Kulturforschung regte eine Vielzahl von Studien über die Werte und Einstellungen der Bevölkerung zum Demokratisierungsprozess an. Studien, die sich mit der sub-staatlichen Ebene beschäftigten, konzentrierten sich auf den „top down“ institutionellen Wandel. Der Zusammenhang zwischen der Dynamik der Identitätspolitik auf nationaler Ebene und der Annäherung an Europa wird so weitgehend ausgeblendet. Und dies „despite the fact that institutional reforms in Central and Eastern Europe were not only preceded by heated debates on the nature of nationhood, national unity and minority rights, but were also accompanied by strenuous efforts to gain recognition as rightful members of the ‘European family’, and by an upsurge of ethnic-minority and regional assertiveness.”178 Nach Clifford Geertz ist die Dynamik der Identitätspolitik in neuen Staaten zu verstehen als Interaktion zwischen zwei teils konkurrierenden, teils komplementären, jedenfalls aber eng verknüpften Motiven. Das erste besteht in dem Drang, einem „Indigenous Way of Life“ – eigene Traditionen oder Nationalcharakter – Ausdruck zu geben und das zweite verfolgt die Ausrichtung am „Spirit of the Age“. Diese beiden Motive lassen sich in der Gefühlslage des post-kommunistischen Ostmitteleuropa gut beobachten: das Aufleben des Nationalismus als „Indigenous Way of Life“ und der Wunsch der „Rückkehr nach Europa“ – als Ausrichtung am „Spirit of the Age“, der für höheren Lebensstandard, eine gerechtere soziale und eine effektivere politische Ordnung steht.179 Das Andersartige an dem nach 1989 auflebenden Nationalismus ist die Verknüpfung von diesen beiden Motiven: Der neue Nationalismus geht einher mit dem gleichzeitigen Wunsch der Verortung in Europa, der Eingliederung in dieses europäische, westliche Politik-, Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell und befindet sich in einem Kontext von Demokratisierung, Interdependenz und multilateraler Kooperation. Darin unterscheidet er sich von den ersten nationalistischen Bewegungen in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert, die einen eher organischen Charakter hatten und sich meist vorpolitisch, religiös, kulturell oder sprachlich definierten. Der neue Nationalismus hatte somit einen anderen internationalen 177
Vgl., Judy Batt, „Introduction: Region, State and Identity in Central and Eastern Europe“, in: Batt, Judy/Wolczuk, Kataryna, (Hrsg.), Region, State and Identity in Central and Eastern Europe, London 2002, S. 1-15, hier: S. 2f 178 Ebd., S. 3 179 Vgl., ebd., S. 3f
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Kontext und auf nationaler Ebene war der Wille der Bevölkerung inzwischen gereift, wieder zum Westen zu gehören. Diese Veränderungen im äußeren Kontext und im inneren Kontext bewirkten einen modifizierten Nationalismus.180 „The new nationalist myth in Eastern Europe thus attempts to define contemporary national identity in terms of European values and a European cultural heritage. The desire to return to Europe and embrace European values has led to a growing acceptance in much of East Central Europe of liberal democracy, human rights, multilateral cooperation and European integration. Consequently, traditional Eastern nationalism (…) is being tempered and constrained by political and moral values derived from the main stream of Europe’s Enlightment and liberal humanist traditions. In this way a more complex national identity is being created from an amalgam of traditional nationalist identities and contemporary ‘European’ values and attributes.”181 Der aufgelebte Nationalismus ließ aber auch einen neuen cleavage entstehen. Nach Adam Michnik bestehen die Trennlinien nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen den städtischen, säkularen, fortschrittlichen Gruppen, die nach außen schauen, und dem parochialen Obskurantismus, der das Wiederbeleben prä-kommunistischer nationaler Kulturen und Traditionen betont.182 Die eine Seite steht für eine westlich orientierte Politik, eine offene Zivilgesellschaft, demokratische und zügige ökonomische Reformen. Die andere Seite versucht die Nation von der „Verschmutzung“ durch externe Einflüsse zu bewahren, verfolgt eine populistische Politik, die eher zögert bei der wirtschaftlichen Reform und oft anti-westlich eingestellt ist. Ganz in diesem Sinne beurteilt Bútorová die Trennlinie in der Slowakei nicht zwischen rechts und links, sondern in der gegensätzlichen Vorstellung über politische Prinzipien: pro-demokratisch und pro-europäisch versus Demokratie und Europa-Skepsis.183 Die beschriebene Polarisierung lag in der ýSFR wie in der Slowakei vor. Es handelt sich um eine Polarisierung der politischen Elite in modernisierende und europäisch-westliche Projektionen nationaler Identität versus anti-moderne und nationale Autochtonie bewahrenden Projektionen. In Ländern, in denen es eine weniger polare Trennlinie gibt, „European identity is constructed as self-evident“. Während in Länder, wo dieses cleavage stark entwickelt ist, dazu gehört auch die Slowakei, „European identity is placed more at the center of political controversy, and „Europeanness“ constitutes a device used by Westernizers to argue against traditionalists.“184 Die Verbindung von nationalen, anti-westlichen, reformträgen und populistischen Elementen findet sich – fast schon prototypisch – in der HZDS, und ebenso prototypisch in der Person Vladimír Meþiars.185 Die Spannung zwischen nationaler und europäischer Identität wurde während der Meþiar-Regierung nicht abgebaut, sondern vielmehr durch dichotome Rhetorik und Handlungsweise genährt. 180
Vgl., a.a.O., Hyde-Price, S. 59ff, Schneider, Heinrich, “Political-Cultural Prerequisites for an Integration of the Four Associated Central European States into the European Union”, in: a.a.O., Lippert/Schneider, S. 349-383; a.a.O., Batt, 2002 181 A.a.O., Hyde-Price, S. 60f 182 So Michnik auf einer Konferenz von Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten im April 1990; veröffentlicht als „The two faces of Europe“, in: New York Review of Books, Juli 1990, S. 7 183 Vgl., Bútorová, Zora, “Public Opinion”, in: Bútora, Martin/Hunþík, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, Bratislava 1997, S. 265-287 (1997), S. 283 184 A.a.O., Brusis, S. 201 185 Siehe dazu auch Kneuer, Marianne, “Transformation und Populismus. die Slowakei“, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 1/2005, 87-114 (2005b)
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Externer Kontext: Auflösungsprozesse und Neuordnung Der externe Kontext in der Zeit zwischen 1990 und 1994 ist durch zwei generelle Tendenzen gekennzeichnet: Zum einen durch einen Zerfallsprozess, der die Auflösung der UdSSR und den konfliktiven und kriegerischen Zerfall Jugoslawiens beinhaltet, aber auch die Auflösung von RGW und Warschauer Pakt. Zum anderen spielt die Neuordnung der weltpolitischen Koordinaten eine bedeutende Rolle, auf deren Hintergrund die EU Schritte zu größerer politischer Verantwortung unternimmt (wie etwa durch die GASP). Ein zentraler Vorgang für die ostmitteleuropäischen Länder war die deutsche Wiedervereinigung. Es muss nicht weiter erklärt werden, dass vor allem in Polen und der Tschechoslowakei ein größer werdendes Deutschland sehr ambivalente Gefühle weckte. Die Regierung der nationalen Verständigung unterstützte die Forderung der polnischen Regierung, dass beide deutsche Staaten noch vor der Vereinigung die Grenze mit Polen bestätigen sollten.186 Die Demokratisierung der ostmitteleuropäischen Länder lief parallel zu dieser die ganze EG beschäftigenden Frage nach der Eingliederung des wiedervereinigten Deutschlands. In dieser Phase war der politische und wirtschaftliche Reformprozess der Visegrád-Drei war zwar ein wichtiges Thema, aber eines unter mehreren. Die EU war sehr stark mit sich selbst und ihrer zukünftigen Form beschäftigt: mit der Wiedervereinigung, mit den im Dezember 1990 beginnenden Regierungskonferenzen zur Politischen Union und zur Wirtschafts- und Währungsunion, mit der Vollendung des Binnenmarktes. Maßgebliches Moment innerhalb des externen Kontextes war für die ehemaligen Satellitenstaaten die Bedrohungsperzeption durch die UdSSR und das daraus folgende Sicherheitsbedürfnis. Die Ereignisse in der UdSSR (Putsch, Zerfall) verursachten große Unsicherheit und prägten insbesondere die sicherheitspolitischen Vorstellungen und Entscheidungen der Regierungen. In der Tschechoslowakei wirkte sich dies konkret so aus, dass die von Regierung und Präsident Havel im Jahre 1990 sogar sehr pro-aktiv vertretene Vorstellung eines gesamteuropäischen Sicherheitskonzeptes sich 1991 zugunsten einer NATOMitgliedschaft änderte. Im April 1990 hatte die tschechoslowakische Regierung noch ein Memorandum vorgelegt, das unter anderem eine Europäische Sicherheitskommission vorschlug im Rahmen der KSZE. Im Juni desselben Jahres wurde ein ähnliches Dokument vorgelegt, als gemeinsamer Entwurf von Polen, DDR und ýSFR.187 Abgesehen davon, dass diese Pläne im Westen keinen Widerhall fanden, änderte sich die Sicherheitslage einmal durch das die Auflösung des Warschauer Paktes im Februar 1991, durch den Putsch in Moskau im August und dann durch die Auflösung der UdSSR im Dezember 1991. Der Idealismus der „unpolitischen Politik“ wich einer – gezwungenermaßen – realistischen Einschätzung der sicherheitspolitischen Ausrichtung des Landes. Die NATO-Mitgliedschaft wurde zum erklärten Ziel tschechoslowakischer Außenpolitik. Der durch den irakischen Überfall auf Kuwait ausgelöste Golfkrieg schuf ein denkbar schweres Szenario für die Tschechoslowakei, da der Konflikt die Erdölpreise drastisch ansteigen ließ.188 Andererseits ermöglichte der Golfkrieg der Regierung, durch die Unterstützung der UNO-Resolutionen und die Solidarität mit der westlichen Welt den Willen zu Eingliederung glaubwürdig zu untermauern. Präsident Havel sandte sogar eine Militäreinheit nach Saudi-Arabien. 186 Siehe dazu a.a.O., BĜach, S. 62ff; dort auch zu den Gründen für die Nichtteilnahme der ýSFR an der „4+2Konferenz“, S. 69ff. 187 Siehe dazu ausführlich ebd., S. 132ff 188 Vgl., ebd., S. 166f
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Insgesamt kann man sagen, dass das externe Umfeld zwar nicht demokratieunfreundlich war, aber auf Grund der massiven Neuordnungsprozesse nach dem Ende des Kalten Krieges durch erhebliche Unsicherheit und Unwägbarkeiten geprägt war. Dies führte zu einer realistischeren Einschätzung des Sicherheitsbedürfnisses und der dazu notwendigen Maßnahmen. Auf die Renaissance nationaler Gefühle und das Phänomen nationaler Selbstbestimmung waren die externen Akteure kaum vorbereitet; sie standen ohne Expertise und ohne Konzepte da. Transnationale Interaktion: Im Wartesaal der EU Motive und Ziele der EG Auf die Reformschritte in Polen und Ungarn 1989 hatte die EG positiv reagiert. Der Zusammenbruch des Kommunismus brachte Westeuropa das, was implizit immer das Ziel gewesen war: die Perspektive eines vereinten Europa. Dies war allerdings weder in 1989 ein Thema noch wurde es eines bis 1993. Die EU war sich zwar ihrer Verantwortung und auch der hohen Erwartungen der Transformationsländer durchaus bewusst: „Die Gemeinschaft muß diesen Erwartungen und Anforderungen gerecht werden: Sie kann sich nicht auf sich selbst zurückziehen, sondern muß sich öffnen…“ (…) „Die Gemeinschaft ist aufgrund ihrer Dynamik und Ausstrahlungskraft die europäische Instanz, auf die sich die Länder Mittel- und Osteuropas jetzt berufen.“189
Erweiterung war jedoch kein Thema in den Jahren nach 1989. Die EU wollte sich ihrer Verpflichtung nicht entziehen, sah aber den besten Weg darin, zunächst die Vertiefung durchzuführen. Man unterstützte die Wirtschaftsreformen, durch sofortige Hilfe und danach durch weiterzuführende Begleitung des wirtschaftlichen und politischen Reformprozesses. Das erste, kurzfristige Ziel war, diese Region schnell durch finanzielle Hilfe zu stabilisieren. Mittelfristig sollten „geeignete Formen der Assoziierung“ geprüft werden. Warum war Erweiterung kein Thema in den ersten Jahren? Erstens, war die EU mit sich selbst beschäftigt, was genug Konfliktstoff barg, zweitens, stand als erstes die schwierige Frage der deutschen Einheit an, drittens, war die EU gerade in einem Erweiterungsprozess begriffen, nämlich um Österreich und die Nordstaaten. Selbst diese, relativ unproblematische Erweiterung hatte man auf Eis gelegt, bis der Vertrag über die Europäische Union ratifiziert und bis Einigung über die Struktur- und Finanzregelung durch das Delors-II-Paket erzielt worden sein würde.190 Das heißt, das vorrangige Ziel der EU war, den Vertiefungsprozess nicht abzuschwächen. Dem ordnete sie alles andere unter. Erst nach Abschluss des Vertrages von Maastricht begannen 1993 die Verhandlungen mit Österreich, Finnland und Schweden und Norwegen. Und erst auf dem Gipfel von Kopenhagen im Juni 1993, eröffnete die EU konkret die Perspektive eines Beitritts der post-kommunistischen Länder. Innerhalb dieser Gruppe aber hatten die bereits assoziierten Visegrád-Vier zunächst einmal einen privilegierten Status hatten. 189
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Straßburg, 9.12.1989, in: EA, 11/1990, D 4ff So der Europäische Rat von Lissabon, 26./27.6.1992 (Bulletin der EG, 6-1992, S. 7). So auch das EP, das Erweiterung befürwortete unter der Voraussetzung, dass die Gemeinschaft nicht geschwächt wird. (Bulletin der EG, 7/8-1992, S. 125) 190
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Methoden und Instrumente der EG Die Merkmale, die in für die Osterweiterung generell herausgearbeitet worden sind191, gelten natürlich auch für die Tschechoslowakei: Der EG fehlte eine globale Strategie und sie ließ die Frage der Erweiterung offen. Gleichwohl schaffte sie neue Instrumente: die Unterstützung in Form von PHARE, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie die Assoziierung in Form der Europa-Abkommen. Das magere, noch zu kommunistischer Zeit abgeschlossene Handelsabkommen zwischen EG und ýSFR wurde im Mai 1990 erweitert auf das Niveau der mit Polen und Ungarn laufenden Verträge der so genannten 1. Generation. In die Unterstützung durch das PHARE-Programm wurde die ýSFR ebenfalls 1990 einbezogen. Die Europa-Abkommen für alle drei Visegrád-Staaten wurden im Dezember 1991 gezeichnet, da aber die Ratifizierung drei Jahre in Anspruch nahm, wurden im März 1992 Interim-Abkommen in Kraft gesetzt.192 Im Juni 1993 formulierte der Europäische Rat die Bereitschaft zur Erweiterung und zugleich die Bedingungen dafür, seither so genannten Kopenhagener Kriterien. Die Europa-Abkommen wurden zum „core instrument for the shaping and managing of Europe after the fading East-West division“.193 Sie stellten eine privilegierte Behandlung dar mit Marktzugang und strukturiertem Dialog, der alle drei Pfeiler der EU abdeckte, so dass innerhalb von drei Jahren die Beziehungen zwischen EU und Ostmitteleuropa eine „Komplexität ohne Präzedenz“194 erreicht hatten. Und obwohl die EG nicht zu einer Aussage über die Mitgliedschaftsperspektive zu bewegen war, stellten die Europa-Abkommen einen bindenden Rahmen zwischen EG und den Visegrád-Drei dar, einen Rahmen, der substanziell zur Transformation und gleichzeitig zur Vorbereitung auf die Mitgliedschaft beitrug. Sie waren der Pfad zur progressiven Konvergenz mit den EU-Regeln und Politiken dar, mit sehr konkreten Aufgaben, Rechten und Verpflichtungen. Diese bezogen sich auf 1. die politisch-rechtliche, 2. die institutionell-administrative und 3. auf die Wirtschafts- und Handelsebene. Die Begleitung bzw. Überwachung der Implementierung geschah durch die gemeinsamen Institutionen auf verschiedenen Ebenen.195 Das heißt, bereits vor der Beitrittszusage 1993 oder gar dem Verhandlungsbeginn 1998 war eine Struktur geschaffen, durch die sich die Anpassung an die Normen und Politiken in den verschiedenen Bereichen zu vollziehen begonnen hatte. Sowohl im PHARE-Programm als auch in den Europa-Abkommen (sowie in den Statuten der EBWE) hatte die EG von Beginn an die Bindung an demokratische und marktwirtschaftliche Prinzipien verankert.196 Die Konditionalität begleitete also von Anfang an die Politik der EG in Osteuropa. Erst nach einer Überprüfung wurde PHARE auch auf die ýSFR ausgedehnt. Die Besonderheit der Europa-Abkommen war der institutionalisierte po191
Siehe Kap. III. 1.4 Siehe Übersicht im Anhang 193 Lippert, Barbara/Schneider, Heinrich, „Association and Beyond: The European Union and the Visegrád States”, in: a.a.O., dies., S. 25-47, hier: S. 25 194 A.a.O., Lippert, 1995, S. 68 195 Assoziationsrat (Ministerebene, jährliche Treffen), Assoziationskomitee (Vertreter des Rates, der Kommission und der Regierung des Landes, Erarbeitung von Vorschlägen, Implementierung der Entscheidungen), Subkomitees (keine Entscheidungskompetenz, Zuarbeit für Assoziationskomitee), Gemeinsames Parlamentarisches Komitee (zweijährliche Treffen von Mitgliedern des EP und des Landesparlamentes). 196 Schaffung einer Rechtsordnung, Respektieren der Menschenrechte, Einführung einer Mehrparteiendemokratie, Abhalten freier, fairer und kompetitiver Wahlen. Dazu kam die Entwicklung einer marktorientierten Wirtschaft. Siehe auch Kap. III. 1.3.1 192
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litische Dialog, auch ein Indiz dafür, dass die EG besonderen Wert auf die Erfüllung der politischen Bedingungen legte.197 Der politische Dialog begann ebenso wie die Handelsvereinbarungen per Interimsabkommen bereits 1992. Der Kernstreitpunkt zwischen EG und Visegrád-Gruppe war die Beitrittszusage, die die EU nicht bereit war zu geben, und die für Polen, Ungarn und die ýSFR existenziell war. Es ging für sie darum, erstens, sich irreversibel an die EG zu binden, und zweitens, die Beitrittsperspektive in der Hand zu haben als Instrument, mit dem die Regierungen in ihren Ländern die schmerzhaften Opfer im Zuge des Reformprozesses der Bevölkerung gegenüber rechtfertigen zu können.198 Zwischen 1990 und 1992 wurden die Beziehungen zwischen beiden Seiten von den Verhandlungen um die Europa-Abkommen dominiert. Betrachtet man den Verlauf der Entscheidungsfindung auf europäischer Seite, lässt sich verstehen, dass die Visegrád-Länder unzufrieden waren, weil sie die gewünschte Beitrittszusage der EG nicht erreichten und erst nach über drei Jahren (1993) diese Perspektive eröffnet bekamen. Zwar war sofort im Herbst 1989 die Idee einer Öffnung in Form einer Assoziierung artikuliert worden, erst im Juni 1990 konnte man sich jedoch darauf einigen, und im Dezember 1990 verabschiedete der Rat ein Mandat für die Verhandlungen; diese wiederum begannen im Frühjahr 1991 und wurden nach nicht unerheblichen Problemen Ende desselben Jahres abgeschlossen. Ein Kritikpunkt richtete sich daher auf die Langsamkeit der Entscheidungsfindung. Dem kann man andererseits entgegen halten, dass es bei Spanien und Portugal drei Jahre dauerte, bis die EG grundsätzlich grünes Licht für eine Erweiterung gab, die Länder in dieser Zeit aber keinen alternativen Rahmen in Form der Europa-Abkommen hatten. Die Visegrád-Länder gingen bei den Verhandlungen teilweise koordiniert vor. Dennoch gab es Unterschiede in Stil und Ansatz, die hier kurz skizziert werden. Die ýSFR hatte einen stärker politischen Ansatz hinsichtlich der Beitrittszusage, daher bestand sie mehr als Polen und Ungarn auf der Formulierung der Mitgliedschaft als beidseitiges Ziel.199 Für Polen standen die Handelsfragen im Vordergrund, nach dem Motto: Politik folgt Wirtschaft. Ungarn vertrat eher eine minimalistische Position; dem Land genügte es, den Beitritt in Aussicht gestellt zu bekommen. Für Regierung ýalfa war die politische Ebene die wichtigste und so vertrat sie dieses Ziel sehr viel dezidierter.200 Dieser politischere Ansatz prägte das Vorgehen der ýSFR bei den konkreten Verhandlungen, denn dort reagierte sie weniger empfindlich bei den wirtschaftlichen Vorgaben. Während die polnische Regierung einen sehr fordernden und teils aggressiven Ton annahm, Ungarn im Stil weniger fordernd, aber trotzig in der Sache (z. B. Marktöffnung) war, ging die Regierung ýalfa „more prudent in the way they presented future membership to the European Community and more realistic about the sacrificies which approaching the Commu197
Siehe zu den Mechanismen der Europa-Abkommen: a.a.O., Mayhew, a.a.O., Lippert, 1995, 1998 A.a.O., Lippert/Schneider, S. 27 199 Polen und Ungarn waren daher auch bereit, einer einseitigen Feststellung des Beitrittszieles zuzustimmen, die ýSFR nicht. Nach dem Moskauer Putsch jedoch wurde die tschechoslowakische Linie auch die der anderen beiden. 200 Die Unterschiede sieht man sehr gut in den Stellungnahmen der drei Länder zur dritten Verhandlungsrunde der Europa-Abkommen am 8.4.1991. Polen formuliert, die Mitgliedschaft “would allow Poland to take part in the process of European integration, with the final objective to become in the future a member of the Community”, Ungarn spricht von “Having in mind that the final objective of Hungary is to become a member of the Community and that this association should help to achieve this objective”. Die ýSFR dagegen kurz und klar: “taking into account of the parties’ intention that Czechoslovakia shall become a full member of the European Community”. Zit. n. ebd., S. 246 198
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nity would require.“201 ýalfa betonte im Zuge des formalen Antrags auf Assoziierung die politische Dimension, die die Assoziation für sein Land habe, es ginge um die Bestätigung des „caractère démocratique irréversible de notre société après les changements dramatiques de l’année dernière.“202 Außenminister Dienstbier erklärte die Bereitschaft der ýSFR, jeden Preis zu zahlen für die Annäherung an die Gemeinschaft.203 Im Gegensatz zu den anderen beiden Visegrád-Partnern signalisierte die ýSFR auch, dass sie bereit sei, Bedingungen zu akzeptieren, dass man von außen auferlegte Zwänge als nützlich betrachte, da sie der Öffentlichkeit helfen könnte, die Notwendigkeit einer Schocktherapie einzusehen.204 Dies brachte die ýSFR nur prima facie in eine schwache Verhandlungsposition, denn ihre die Strategie war: je mehr Bedingungen, desto enger die Verbindung. Außerdem bewirkte dies einen positiven Eindruck bei der Kommission, die die realistische Position lobte. Wie stellen sich nun die Instrumente der Europa-Abkommen und PHARE konkret in Bezug auf die ýSFR dar? Im März 1990 überprüfte die „fact-finding mission“ der EG die Fortschritte bezüglich der demokratischen und marktwirtschaftlichen Fortschritte. Das Ergebnis war die Ausdehnung der Hilfsprogramme unter anderem auf die ýSFR. Ein Mandat für die Verhandlungen der Europa-Abkommen wurde erst erteilt, nachdem in den drei Ländern Wahlen abgehalten und demokratisch gewählte Regierungen eingesetzt waren. Die Regierung ýalfa stellte formal den Antrag auf Assoziierung erst nach den Wahlen im Juni, nämlich im September 1990. Der sehr frühe, etwas voreilige Vorstoß vom Dezember 1989 hatte seinen Dämpfer erhalten durch die Rede Delors vor dem EP im Januar 1990. Daraufhin räumte ýalfa ein. „Es ist wahr, dass die Erfahrungen, die wir gemacht haben, unseren Optimismus – was unsere Vorstellungen über die Zeitspanne des Aufbaus der europäischen Einheit betrifft – ein wenig korrigierten. Heute wissen wir bereits, dass unsere Eingliederung in die Europäische Gemeinschaft auf absehbare Zeit nicht wahrscheinlich ist…“205 Ab diesem Zeitpunkt entwickelten sich die Beziehungen auf einer realistischeren Basis. Ergebnisse der Maßnahmen Ein profunder Einfluss der EG bestand in der Funktion als Modell und Ziel. Die Mitgliedschaft in der EG war der Pfeiler der tschechoslowakischen Außenpolitik, und die außenpolitischen Handlungen wurden durch die Antizipation der Erfordernisse geprägt. Dies änderte sich ab 1992, denn Ministerpräsident Vaclav Klaus – ganz anders als ýalfa – war deutlich weniger empfänglich für die Empfehlungen der EG. So etwa in der Frage der Staatsform, bei der die westeuropäischen Regierungen zur Erhaltung der Föderation rieten, die EU auf die Kosten einer Trennung hinwies und warnte.206 Auch den Wunsch der EG einer regionalen Kooperation, wie sie ja mit der Visegrád-Gruppe bereits bestanden hatte, berücksichtigte Klaus nicht und zog bilaterales Vorgehen vor. Die Tatsache, dass ab 1992 die Einflussmöglichkeiten der EG abnahmen, hatte verschiedene Gründe:
201
A.a.O., Torreblanca, S. 147 So ýalfa in seinem Brief an Kommissionspräsident Delors am 9.9.1990. Zit.n. ebd. 203 Vgl., ebd., S. 160 204 So ýalfa in seinem formalen Antrag auf Assoziierung. Zit. n.ebd., S. 160 205 So ýalfa am 27.2.1990 vor der Föderalversammlung, zit. n. a.a.O., BĜach, S. 123f 206 Vgl., a.a.O., Vachohová, S. 332f 202
300 1.
2. 3. 4. 5.
III Empirischer Teil: EU Die Tschechoslowakei hatte erfolgreich ein sehr positives Image vermittelt. Sie galt als mustergültig, die makroökonomischen Daten waren gut, die Verschuldung gering. So konzentriert sich die EU eher auf Länder, wo demokratische Standards nicht eingehalten wurden oder wo ethnischer Nationalismus die Minderheitenrechte bedrohte, wie etwa bei der Nachbarin Slowakei. Die EU entwickelte ihre Instrumente erst sukzessive, vor allem auch die Kontrollinstrumente, die Regular Reports, die Screenings, aber auch die Instrumente, mit denen dann Reformen erzwungen werden konnten. Es gab – nicht zuletzt auf Grund des positiven Images – auch Fehleinschätzungen der EG. Dies galt etwa für die Brisanz der Frage der Staatsform.207 Für Klaus hatte die Vorbild-Funktion der EG nicht so einen hohen Stellwert. schwächer wurde. So wurde diese indirekte Wirkung also schwächer. Klaus reduzierte Europapolitik auf die wirtschaftlichen Fragen; diesbezüglich war er aber der Meinung, dass er durch seine erfolgreiche Politik die Transition der tschechischen Wirtschaft 1993 bereits abgeschlossen habe. Für politische und diplomatische Instrumente war er wenig empfänglich. Zudem nahm Klaus eine weniger kooperative Haltung ein, war kaum belehrbar und schlug einen stärker selbstbewusst-nationalen Ton Klaus’. Dies reduzierte auch die direkten Einflussmöglichkeiten der EG.
Dazu ein Beispiel für die Input-Reaktions-Koppelung (Abb. 7): Zwar war die ýSFR der „darling of the West“, aber die Thematik der Roma führte 1993 zu Druck von europäischer Seite, das Staatsbürgerschaftsgesetz vom Januar 1993 zu ändern, mit dem etwa 100.000 Roma die Staatsbürgerschaft verweigert wurde. Das Gesetz wurde von allen maßgeblichen westlichen Organisationen kritisiert. Das Ergebnis war, ein weitgehendes Ignorieren der EU-Empfehlungen. Die Prüfung des Grads der Befolgung (Abb. 8) ergibt somit: Klaus ignorierte den Druck der EU, etwa einen Ombudsman einzusetzen – also ein niedriger Grad der Befolgung. Erst eine Gesetzesergänzung vom April 1996 brachte eine leichte Verbesserung - damit eine mittlere, nämlich Scheinbefolgung. Die Erklärung auf Grund der Interaktionskriterien (Abb. 9) ergibt: 1. Die hohe Selbsteinschätzung der Regierung Klaus kombiniert mit einem teils kritischen Blick auf die EU führte zu einer Reduzierung des übergeordneten Status, den die EG für die Regierung ýalfa noch deutlicher innehatte. 2. Die Motive der EG wurden sehr viel stärker auf der Grundlage der Selbsteinschätzung eingeordnet: Klaus fühlte sich bereits auf gleicher Augenhöhe auf Grund der wirtschaftlichen Fortschritte. Er meinte, man könne ihm auf anderen Gebieten nichts anhaben. Dadurch ergab sich eine deutliche Resistenz das von der EU thematisierte Problem als solches anzunehmen. 3. Da die Priorität der Regierung Klaus auf wirtschaftlichen Themen lag, spielten für sie die politischen Forderungen der EG eine weniger wichtige Rolle. Die Motivlage der Regierung Klaus war wiederum stark von der hohen Selbsteinschätzung beeinflusst. 4. Diese führte ebenfalls zu einer geringen Problemperzeption, die das Bedürfnis nach Problemlösung bzw. Hilfestellung als eher niedrig einschätzen ließ. Die Resistenz gegenüber den EG-Empfehlungen ergab sich auf Grund des als niedrig empfundenen Lösungsdrucks und auf Grund der hohen Selbsteinschätzung, die mit einer Abschwächung des Status der EG einherging. Andererseits muss man sagen, dass die EG den Druck zur Problemlösung auch nicht so hoch einschätzte und keine konkreten Druckmittel einsetzte. Die hatte zwei Gründe: Zum einen deckten sich die Erwartungen der EG in vielen 207
Vgl., a.a.O., Schwarz, S. 220
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
301
anderen Feldern mit der politischen und wirtschaftlichen Agenda; schließlich ging die Entwicklung durchaus in die richtige Richtung. Und: “When they did not (as in reform of the state administration, protection of minority rights, and support of civil society), this remained largely hidden for lack of a systematic evaluation of Czech reforms.”208 Tatsächlich änderte sich die Einschätzung, nachdem die EU die regelmäßige Überprüfung durch die Fortschrittsberichte eingeführt hatte und 1997 Unzulänglichkeiten der tschechischen Reformen offenbar wurden. Hätte die Regierung Klaus 1996 das Staatsbürgerschaftsgesetz nicht geändert, hätte die Beurteilung der Kommission 1997 gelautet, dass Tschechien die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllte. So kritisierte sie die Behandlung der Roma und legte einen deutlichen Akzent auf ihre künftige Integration in die tschechische Gesellschaft. Insgesamt zeigt dies, dass die Konditionalität nicht greifen kann, wenn die Furcht vor Sanktionen geringer ist als die Sicherheit bzw. Selbstüberschätzung, die Bedingungen der Mitgliedschaft zu erfüllen. Beratungsresistenz der Elite und Nicht-Empfänglichkeit für Instrumente von außen lassen sich allerdings auch nur begrenzt aufrechterhalten. Im tschechischen Fall kam es zu einem verzögerten, aber dafür aufrüttelnden Absturz 1997. 3.4.2 Transition in der Selbständigkeit: außenpolitische Ambiguität Weder die tschechische noch die slowakische Regierung hatten sich offensichtlich viele Gedanken gemacht über die außen- und sicherheitspolitischen Konsequenzen einer Trennung.209 Es war abzusehen, dass nach der Trennung der Tschechoslowakei die Slowakei eine weitaus ungünstigere Startposition haben würde als Tschechien. Die Slowakei musste ihre außenpolitischen Wurzeln improvisieren.210 Es fehlte ihr an Institutionen, an erfahrenem, vor allem diplomatischem Personal und auch an Konzepten für die Unabhängigkeit.211 Es gab kein Programm für einen neuen Staat, keine Visionen für eine neue Identität. Das Soziologen-Ehepaar Zora und Martin Bútora212 brachten 1993 die Situation so auf den Punkt: „Die Slowakei muß sich jetzt im Jahre Null selbst aufs neue definieren und sich selbst finden.“ Und sie konstatieren: „Schlüsselbedeutung bei dem Kampf um die Weiterentwicklung der Slowakei nimmt die Orientierung in der Außenpolitik ein.“213 Bei einem neu und zudem eher kurzfristig gegründeten Staat spielt die Neuorientierung natürlich eine noch größere Rolle, als sie ohnehin wesentlich ist für die Transitionsphase. Bei einem „normalen“ Transitionsland handelt es sich um die Neuausrichtung 208
Ebd., S. 330 Vgl., sUrban, Jan, „The Czech and Slovak republics: security consequences of the breakup of the ýSFR“, in: a.a.O., Cowen Karp, S. 101-121 210 Vgl., a.a.O., Samson, 2000, S. 153 211 Das Personal rekrutierte sich aus vier Milieus: ehemaligen tschechoslowakischen Diplomaten aus der Zeit vor 1989, Teilnehmern diplomatischer Schnellkurse im Inland oder von PHARE-Mitteln bezahlt im Ausland und schließlich aus neu angeworbenen Beamten. Es mangelte an konsistenten, langfristigen Strategien und Schwächen im außenpolitischen Entscheidungsprozess. 212 Martin Bútora ist eine der herausragenden Figuren in der Slowakei. Er war ein Protagonist der Revolution von 1989, zu tschechoslowakischen Zeiten Berater Václav Havels für Menschenrechte. In der Slowakei gründete er das Inštitút pre verejné otázky (IVO), Institute for Public Affairs, inzwischen eines der führenden Forschungsinstitute des Landes. Bútora wurde von Dzurinda zum Botschafter in den USA berufen. Er kandidierte als unabhängiger Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2004. Zora Bútoravá ist eine der führenden Sozialforscherinnen in der Slowakei. 213 A.a.O., Bútora/Bútorová, 1993, S. 135 209
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III Empirischer Teil: EU
der „inneren“ Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit etc. – die zugleich verbunden sind mit der äußeren Verortung. Die Slowakei hatte einerseits den Vorteil, dass sie auf Grund der Rechtsnachfolge der ýSFR eigentlich recht sanft auf bereits vorbereitete Schienen gesetzt wurde. Andererseits musste sie ihre eigene Identität nach innen und nach außen definieren. Dieser Aspekt wird im Zusammenhang der Spannung von nationaler und europäischer Identität genauer betrachtet. Wichtig festzuhalten ist, dass nicht nur objektiv, sondern auch im Empfinden der politischen und intellektuellen Elite der außenpolitischen Ausrichtung eine Schlüsselbedeutung zugemessen wurde. Internationale Verortung: schwierige Neuorientierung Seit der Unabhängigkeit erklärten alle slowakischen Regierungen ihren Wunsch, sich in die westlichen Strukturen einzugliedern. Dies hatte einen Grund auch darin, dass die Tschechische und die Slowakische Republik nach der Trennung den internationalen Rahmen der ýSFR geerbt hatten und so ohnehin auf der Integrationsschiene liefen. Andererseits „there were a lot of question marks … in slovak foreign policy orientation“.214 Unter den slowakischen Parteien – das gilt auch für die HZDS – gab es zwar einen Konsens über einen EGBeitritt. Lediglich die rechts-nationalistische Slowakische Nationalpartei, SNS, und die Kommunisten machten eine Ausnahme. Allerdings muss man bei der Regierung in Rechnung stellen, dass es eine Kluft gab zwischen den offiziellen, und nach außen gerichteten Verlautbarungen und den tatsächlichen Entscheidungen oder nach innen gerichteten Aussagen. So gab es nicht nur in der SNS, sondern auch in der HZDS „pro-nationale“ Kräfte, wie Martin Bútora es ausdrückt, die die Attraktivität des Neutralitätskonzeptes am Beispiel der Schweiz oder Österreichs betonten, wobei sie den relativ niedrigen Wissenstand der Bevölkerung nutzten, um ihre eigenen Ideen zu präsentieren.215 In seinen Programm-Erklärungen legte die Meþiar-Regierung einen Schwerpunkt auf die Integration in die EU. Freilich hinderte diese offizielle pro-europäische Rhetorik Meþiar nie daran, wenn es ihm opportun erschien, auch eine ganz andere Klaviatur zu benutzen, nämlich die des „dritten Weges“, als neutrale bzw. Brückenposition zwischen Ost und West, eine Gedankenfigur, die, wie dargestellt, in der Tschechoslowakei gewissen Rückhalt in Elite wie Bevölkerung hatte. So lautete ein Slogan Meþiars in dem 1992er Wahlkampf: „Wir werden uns Richtung Osten wenden, wenn der Westen uns nicht will“. Generell blieb die Regierung – vor allem auch deklaratorisch auf der bereits von der Tschechoslowakei eingenommenen Linie, nicht zuletzt auch, weil die unabhängige Slowakei diesbezüglich die Rechtsnachfolge angetreten hatte.216 Bereits 1993 kam die Kluft zwischen deklaratorischer und faktischer Ebene zum Tragen. Die offiziellen Erklärungen – so etwa auch in dem Grußwort bei der Unterzeichnung des Europa-Abkommens – ließen nie einen Zweifel darüber aufkommen, dass der Wunsch nach Vollmitgliedschaft das strategische Ziel der Slowakei sei. In Bezug auf die sicherheitspolitische Orientierung spielte die Regierung bereits Anfang 1993 mit der Idee der 214
Interview Martin Bútora Vgl., ebd. 216 Bútora, Martin, „Some Foreign Policy Implications of early Elections in Slovakia“, in: Szomolányi, SoĖa/Mesežnikov, Grigorij, (Hrsg.), Slovakia: Parlamentary elections 1994. Causes - Consequences – Prospects, Bratislava 1995, S. 60-85, hier: S. 61 215
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
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Neutralität, obwohl davon nichts in den Programm-Erklärungen zu finden und nur inoffiziell davon zu hören war.217 Dies geschah auch in einer völligen Überschätzung der geopolitischen Situation und der Hypertrophierung der zentralen Lage der Slowakei. Man glaubte, dass die Slowakei allein auf Grund der besonderen, für einzigartig gehaltenen Lage international anerkannt werden würde, auch ohne politische und wirtschaftliche Leistungen.218 Zum anderen säte Meþiar in seiner über das notwendige Maß hinausgehenden Annäherung an Russland, Zweifel an seinen offiziellen Stellungnahmen. So schloss Meþiar 1993 zwei wichtige Verträge mit Russland, einen „Grundlagenvertrag“, in dem politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart, aber auch Sicherheitsfragen geregelt wurden – mit signifikanten Konzessionen von Seiten der Slowakei -, und einen „Vertrag über Militärische Kooperation“, der zum Beispiel in einer engen Zusammenarbeit im militärindustriellen Bereich und gemeinsamen slowakisch-russischen Militärübungen übereinkam. Gleichzeitig hörte die Meþiar-Regierung nicht auf, ihren Wunsch nach NATO-Integration auszudrücken, was die ambigue Position nochmals verdeutlicht. Diese Verträge mit Russland wurden von westlicher Seite als Hindernis für eine NATO-Mitgliedschaft betrachtet. Außerdem wurden sie in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert.219 Die Ambiguität der faktischen außenpolitischen Orientierung der Meþiar-Regierung in den Jahren 1992 bis 1994 hatte ihren Grund unter anderem in der Gespaltenheit innerhalb der HZDS.220 Eine Gruppe, bestehend aus einer Allianz von nationalistischen und altkommunistischen Strömungen, stand für jene Option des dritten Weges als Brücke zwischen Ost und West. Es gab aber auch einen anderen, klar westlich orientierten Teil in der Partei, verkörpert durch den Vizepräsidenten der Partei und Außenminister Knažko. Die ersten Monate der unabhängigen Slowakei wurden durch die persönlichen Spannungen zwischen Meþiar und Knažko beherrscht und machten die Europapolitik zu einem Feld taktischer Ranküne für Meþiar. So stoppte er den geplanten Brüssel-Besuch des Außenministers im Februar 1993 und reiste selbst oder lehnte Knažkos außenpolitisches Konzept ab, obwohl es eine Erklärung für die europäische Orientierung der Slowakei war. Einen Monat später wurde Knažko durch Jozef Moravþík abgelöst, der folgende außenpolitische Prioritäten unterstrich: EU-Beitritt, Teilnahme an den europäischen Sicherheitsstrukturen mit dem Ziel der vollen Mitgliedschaft in NATO und WEU sowie Stabilität in Mittelosteuropa. Mit der Etablierung des Präsidentenamtes – eine der Institutionen, die neu geschaffen werden mussten – gab es einen weiteren Akteur auf dem diplomatischen Parkett. Präsident Michal Kováþ, HZDS, distanzierte sich ab Mitte 1993 zunehmend von Meþiar, und sein 217 Vgl., Samson, Ivo, “Slovakia: Misreading the Western Message“, in: a.a.O., Zielonka/Pravda, S. 363-383, hier: S. 374ff sowie Samson, Ivo, Die Sicherheits- und Außenpolitik der Slowakei in den ersten Jahren der Selbständigkeit. Zu den Voraussetzungen der Integration der Slowakischen Republik in die euroatlantischen Verteidigungsstrukturen, Baden-Baden 2000, S. 62ff 218 Der sicherheitspolitische Experte der Slovak Foreign Policy Association, Ivo Samson, beschreibt, wie Anfang der 1990er Jahre die Analyse der Geopolitik zur populärsten Disziplin in der slowakischen Politikwissenschaft geworden war. Es wurden in dieser Zeit zwei Studien erstellt (vom Institute of Political Science der Slovak Academy of Sciences, und vom Center for Strategic Studies des Verteidigungsministeriums. Vgl., a.a.O., 2001, S. 372f 219 Die externe wie die interne Kritik machte sich vor allem an Artikel IV fest, der vorsah, dass kein Partner eine dritte Partei sein Territorium einer dritten Partei überlassen könne, die einen der beiden Vertragspartner bedrohen könnte. Vgl., Malova, Darina, „Slovakia as a New Foreign Policy Actor: Equal Partnership and European Integration”, in: Lippert, Barbara/Schneider, Heinrich, (Hg.), Monitoring Association and Beyond. The European Union and the Visegrad States, Bonn 1995, S. 149-161, hier: S. 156 und a.a.O., Samson, S. 376f 220 Vgl., dazu, a.a.O., Malova, a.a.O., Kipke/Vodiþka, S. 50ff
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III Empirischer Teil: EU
Bericht zur Lage der Nation am 9.3.1994, in dem er die autokratische Regierungsweise Meþiars anprangerte, führte zu dem Misstrauensvotum, das die Meþiar-Regierung stürzte. Kováþ unterstrich die europäische Orientierung seines Landes und bemühte sich bei seinen offiziellen Besuchen in Brüssel, die Lage in der Slowakei zu erklären, „den Unterschied zu erklären zwischen der Einstellung der Bürger und einzelnen politischen Schritten der damaligen Regierung“.221 „Gleichzeitig habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass das Programm der Regierung, das schriftliche Programm akzeptabel ist und dass es notwendig ist, dass sie dieses Programm realisiert. Und ich habe auch auf die Umfragen aufmerksam gemacht, die zeigen, dass die Öffentlichkeit Interesse hat am Beitritt zur EU. Dass hier ein großes Interesse da ist.“222
Der europapolitische Konsens der parlamentarischen Parteien zerbrach nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Meþiar im März 1994. Die danach gebildete Minderheitsregierung unter dem vormaligen Außenminister Moravþík führte den klaren pro-europäisch und pro-westlichen Kurs, in Einklang mit Präsident Kováþ fort, konnte sogar das im Laufe 1993 international angekratzte Image verbessern. Die HZDS und die SNS aber, nun in der Opposition, verabschiedeten sich von dem außenpolitischen Konsens und begannen, von einem „gemäßigten Weg nach Europa“ zu sprechen.223 Die Positionen polarisierten sich: Auf der einen Seite standen die national orientierten Parteien HZDS, SNS und die neue entstandene Arbeitervereinigung der Slowakei, ZRS, eine von unzufriedenen Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei gegründete linksextremistische Partei mit stark antiwestlichem Profil, die EG und NATO-Beitritt ablehnte. Auf der anderen Seite standen die Christdemokraten (KDH), die Sozialdemokraten (SDL), die ebenfalls neue Demokratische Union (DU) unter Moravþík224 sowie die Ungarische Koalition, die alle einen prowestlichen Kurs befürworteten. Die Zustimmung zum EU-Beitritt in der slowakischen Bevölkerung war hoch und relativ stabil. Der positive Eindruck von der EG/EU war bei den Slowaken immer etwas verhaltener als bei den Tschechen, erreichte aber 1993 ein Hoch.225 Auch die Zahl derjenigen, die ihre Zukunft mit der EG verbunden sehen wollten, steigerte sich von 1992 auf 1993.226 Alle Indikatoren – sowohl positiver Eindruck der EU als auch Wunsch nach Verbindung mit der EU in der Zukunft und die Befürwortung des EU-Beitritts – sanken 1994. Gleich viele Bürger unterstützten die westliche (37,9%) wie die östliche (39%) Orientierung. Das legt den Schluss nahe, dass sich die öffentliche Meinung durch den stärker nationalen Ton von HZDS und SNS, vor allem auch im Wahlkampf 1994, beeinflussen ließ.227 Auch Meþiars zunehmende Rhetorik vom dritten Weg führte in der Bevölkerung zu beträchtlicher Konfusion und ließ die Neutralitätsanhänger anwachsen.228 Die Einstellungen zu den Nachbarn ergaben folgendes Bild: Das Bedrohungsgefühl gegenüber Russland war sehr gering im Gegensatz zu den anderen ostmitteleuropäischen 221
Interview mit Michal Kováþ Ebd. 223 Vgl., a.a.O., Samson, 2001, S. 136 224 Sie spaltete sich von der HZDS ab. 225 Vgl., CEEB4 und CEEB5, Variable 22 226 Vgl., CEEB4 und CEEB5, Variable 58 227 So Samson (a.a.O., 2001) und Bútora (a.a.O., 1995). Zahlen ebd., S. 62f; CEEB3; CEEB 4, Variablen 22, 58 228 Vgl., a.a.O., Samson, 2000, S. 71 sowie a.a.O., Gyárfašová, OĐga, 2001, „Slovensko a svet“, S. 209f 222
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
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Ländern: Im Oktober 1993 und Mai 1994: fühlten sich nur 24 Prozent der Slowaken vom Großmachtstreben Russlands bedroht.229 Das Verhältnis zu Polen war unbelastet, neutral und emotionslos. Einen tief verwurzelten Antagonismus gab es zu Ungarn; und zwar sowohl in Form eines großen Misstrauens in der Öffentlichkeit als auch in einem Konsens der Partien bezüglich einer skeptischer Haltung gegenüber Ungarn. Neben den historischen Gründen für diese „Erzfeindschaft“ gab es weiteren und eigentlich permanenten Konfliktstoff durch die ungarische Minderheit in der Slowakei sowie sehr konkret durch den Streit um das Wasserkraftwerk Gabþikovo-Nagymaros, der 1993 durch den Internationalen Gerichtshof geschlichtet wurde. Mit Österreich bestanden weder historische noch emotionale Probleme. Es wurde nach Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner. Ähnlich wie Tschechien stellte Österreich den „ersehnten Weg nach Europa“ dar.230Die Befürwortung der Visegrád-Kooperation war recht hoch (77 Prozent).231 Externer Kontext: nach Osten gerückt Da die Slowakei die Rechtsnachfolge der ýSFR antrat und sofort und problemlos in die internationalen Strukturen und Netze eingebunden wurde, könnte man sagen, die Trennung blieb insofern folgenlos. Das Land wurde von allen Institutionen anerkannt, 1993 wurde sie Mitglied der UNO und des Europarates. Veränderungen ergaben sich hingegen im subregionalen Bereich. Durch die Teilung der ýSFR änderte sich das direkte Umfeld der beiden getrennten Länder. Die Tschechische Republik rückte gen Westen, sie verlor zwei „östliche“ Nachbarn: die Ukraine und Ungarn. Die Slowakische Republik rückte dagegen gen Osten: Sie hatte keine Grenze mehr mit Deutschland, und nur noch mit einem EUNachbarn, nämlich Österreich. Damit verstärkten sich für Tschechien die günstigen und für die Slowakei eher ungünstigeren Ausgangsbedingungen für die Annäherung zum Westen. Für Tschechien war es „außerordentlich wichtig“, so Außenminister Dienstbier, dass „bei einer negativen Entwicklung der post-kommunistischen Welt“ die nächsten Nachbarländer, und vor allem die Slowakei, nicht in ein Chaos geraten.232 Daher standen für Tschechien gutnachbarliche Beziehungen im Vordergrund, im Bewußtsein, dass die tschechischslowakischen Beziehungen für den mitteleuropäischen Raum eine Schlüsselbedeutung haben. Nach der Trennung wurde die Slowakei verletzlicher für die Entwicklung an der Ostgrenze, vor allem zur Ukraine, einem als instabil betrachteten Land. Eine weitere Herauforderung bestand in der Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu Ungarn, dem historischen „Erzfeind“. „Almost certainly, the most difficult international problem arising from the Czechoslovakia’s separation is that of Hungarian-Slovak relations.“233 Hier verschärften die Selbständigkeit der Slowakei und ihre relativ unkooperative Haltung bezüglich des bereits vorher bestehenden Konfliktes um das Wasserkraftwerk Gabþikovo die nachbarschaftlichen Spannungen mit Ungarn. Zudem barg die Behandlung der ungarischen Minderheit erheblichen Zündstoff. 229
Vgl., a.a.O., Bútora, 1995, S. 64 A.a.O., Samson, 2001, S. 130ff 231 Vgl., a.a.O., Bútora, S. 63 232 Dienstbier, JiĜí, „Außenpolitische Konsequenzen der Auflösung der ýSFR“, in: a.a.O., Kipke/Vodiþka, S. 180186, hier: S. 184 233 A.a.O., Batt, 1993, S. 30 230
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Transnationale Interaktion: Nationalismus und Minderheitenprobleme – ungekannte Herausforderungen Motive und Ziele der EU Die Haltung der EU hinsichtlich der Perspektive eines Beitritts änderte sich gänzlich, nachdem der Vertrag von Maastricht ratifiziert worden war. Kopenhagen markiert damit die Wende hin zur Erweiterungsbereitschaft – mit einer stärker denn je artikulierten Konditionalität in Form der so genannten Kopenhagener Kriterien. Mit dem Gipfel von Kopenhagen rückt die Erweiterung in der Prioritätenliste deutlich nach vorne, wenngleich er von weiteren Konkretisierungen wie einem Zeitplan für die Verhandlungen absieht. Die seit 1989 geleistete Unterstützung der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Restrukturierung wurde nun unter den Aspekt der Heranführung an die EU-Mitgliedschaft subsumiert. Dieser Schritt dauerte weitere anderthalb Jahre, bis zum Gipfel von Essen im Dezember 1994. Neben der Beendigung des Maastricht-Prozesses spielten weitere Gründe eine Rolle. In den ersten Jahren des Transformationsprozesses der post-kommunistischen Länder wurde die EU mit etlichen Herausforderungen konfrontiert, wie sie sich bei anderen Erweiterungen und auch bei der Demokratisierung Südeuropas nicht oder nicht in dieser Schärfe gestellt hatten. Eine dieser Herausforderungen bestand in den nationalistischen und ethnischen Konflikten (der Missachtung der Rechte ethnischer oder religiöser Minderheiten und Nachbarschaftskonflikte), die sich als die Stabilitätsgefährdend erweisen konnten. Die Vermeidung von Destabilisierung und die Entschärfung von Konfliktlagen wurden damit zu einem prioritären Ziel der EU. Gerade aber die Jahre 1991/1992 mit der Zuspitzung des Jugoslawienkonflikts, der – wenn auch friedlichen - Teilung der Tschechoslowakei, dem tschechoslowakischungarischen Konflikt und der offenbar werdenden Problematik bei der Behandlung von Minderheiten234 machten der EU bewusst, dass neben den in der PHARE-Unterstützung und den Europa-Abkommen festgelegten demokratischen Kriterien (Mehrparteiensystem, freie und faire Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte) weitere Aspekte einbezogen werden müssen. Die Achtung der Rechte von Minderheiten wurde so ein zusätzliches Kriterium in der Beurteilung der demokratischen Standards und somit zu einer politischen Bedingung. Dies galt gleichermaßen für regionale Zusammenarbeit und gutnachbarliche Beziehungen, die als Strategie der Konfliktentschärfung und -vermeidung im Rahmen des Stabilitätspaktes für Europa zu Beitrittsvoraussetzungen wurden.235 Die Stabilisierung der Region war somit zu einem sehr wichtigen Motiv der EG geworden. Der auf dem Europäischen Rat von Essen im Dezember 1994 beschlossene Prozess der Heranführung wurde als „Beitrag zur Sicherheit und Stabilität“ definiert.236 Die Stabilität der Region, die Verhütung und Beilegung von Konflikten wurde zu einem „neuen“ Ziel.
234
In Rumänien ging es um die deutsche Minderheit sowie um die Roma, in Bulgarien um die türkische Minderheit, in Estland und Lettland um die russischen Bevölkerungsteile, in Tschechien um Roma, in der Slowakei um die ungarische Minderheit und Roma. Siehe hierzu Brunner, Georg, Nationalitätenprobleme und Minderheitskonflikte in Osteuropa, Gütersloh 1996 235 Siehe Europäischer Rat von Kopenhagen, Juni 1993, vgl., Bulletin der EG, 6-1993, S. 15 236 Vgl., Europäischer Rat von Essen, Bulletin der EU, 12-1994, S. 14
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Methoden und Instrumente der EU Die EU ergriff verschiedene Maßnahmen, um dieses Ziel umzusetzen: Erstens, wurde 1992 ein neues Ziel für den Politischen Dialog im Rahmen der Europa-Abkommen formuliert, nämlich ein größeres gegenseitiges Verständnis und mehr Sicherheit und Stabilität in Europa zu fördern.237 Zugleich wurden die Außenminister der Visegrád-Länder aufgefordert, ihre Zusammenarbeit zu stärken.238 Der Europäische Rat von Kopenhagen (Juni 1993), der die lang ersehnte Beitrittsperspektive eröffnete, legte, zweitens, auch die zu erfüllenden Kriterien fest, unter denen neben institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung und Wahrung der Menschenrechte auch die Achtung und der Schutz von Minderheiten enthalten ist. Drittens, beschloss er zugleich einen „Pakt für die Stabilität Europas“ ins Leben zu rufen, der die Stabilität und den demokratischen Prozess fördern sollte mit besonderem Augenmerk auf den Ausbau der regionalen Zusammenarbeit, der Regelung der Minderheitenfrage und der Unverletzlichkeit der Grenzen.239 Der Europäische Rat stellte explizit fest, „daß die jüngsten Ereignisse in Europa gezeigt haben, daß Maßnahmen in diesem Bereich angezeigt und angemessen sind“.240 Und viertens, bewirkte die EU in einem gemeinsamen Gipfeltreffen mit dem Europarat die Wiener Erklärung, in der unter anderem die politische und rechtliche Verpflichtung auf den Schutz nationaler Minderheiten aufgenommen wurde.241 Diese oben genannten Zielvorgaben richteten sich besonders auf die Slowakei, denn die anderen Visegrád-Länder wiesen nicht jene prekäre Mischung von einem bilateralen Spannungsverhältnis, einer völkerrechtlichen Streitigkeit (Gabþikovo) und einer beachtlichen nationalen Minderheit des Nachbarn auf. Alle jene Kriterien – gutnachbarschaftliche Beziehungen, Achtung der Minderheitenrechte und regionale Zusammenarbeit – trafen daher auf die Slowakei zu. Dies und das im Gegensatz zu Tschechien „gemischte Image“ bewirkten, dass die EU die Slowakei von Anfang an kritischer betrachtete.242 Die konkreten Probleme im Bereich der nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn bestanden bereits 1992. Es ging um das Wasserkraftwerk Gabþikovo-Nagymaros, ein noch aus den 1970er Jahren datierendes gemeinsames Projekt, aus dem sich Ungarn zurückziehen wollte, worauf es zu erheblichen Spannungen zwischen der ýSFR und Ungarn gekommen war. Die Kommission hatte sich bereits 1992 eingeschaltet, Vermittlungsversuche gestartet sowie einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet. Das EP hatte sich in einer Entschließung „zutiefst beunruhigt über den Konflikt geäußert“.243 Dieses Problem erbte die Slowakei, und man konnte es absehen, dass dies ein Problem bleiben würde. Es gab Grund für die EU, alarmiert zu sein. Der Nachbarschaftskonflikt mit Ungarn und die starke ungarische Minderheit (etwa zehn Prozent) stellten eine höchst prekäre Kombination dar. 237
So der Rat am 5.10.1992 in Luxemburg. Vgl., Bulletin der EG, 10-1992, S. 72f Gemeinsame Erklärung der Außenminister der EU und der Visegrád-Länder vom 5.10.1992, in: Bulletin der EG, 10-1992, S. 129ff 239 Beschlossen auf dem Europäischen Rat von Brüssel, 29.10.1003 240 Vgl., Europäischer Rat von Kopenhagen, a.a.O., Bulletin, S. 14 241 Das Gipfeltreffen fand statt am 8./9.10.1993. 242 Vgl. Interview Vladimír Bilþik und a.a.O., Samson 2001, S. 90, sowie Günther Verheugen: „Manche Beitrittsländer haben ein Image-Problem in der EU, und die Slowakei gehört dazu.“ So der Erweiterungskommissar bei der Podiumsdiskussion „On the Way into the European Union. The Role of NGOs in Slovakia’s integration into EU“, 2. Mai 2002 in Bratislava (veranstaltet von Civil Society Development Foundation). 243 Entschließung des EP vom 29.10.1992, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 10-1992, S. 76 238
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III Empirischer Teil: EU
Welche Maßnahmen ergriff die EU jenseits des Stabilitätspakts und den Kopenhagen Kriterien? Da waren zum einen diplomatische Mittel: Vermittlung (Kommission), Erklärungen (EP: Oktober 1992, März 1993), Gespräche mit gewissem Druck (Kommissar Van den Broek kündigt im Mai 1993 Außenminister Moravþik an, den Europarat die Lage der ungarischen Minderheit prüfen zu lassen). Anfang April 1993 einigten sich Ungarn und die Slowakei, unter Druck von EP und Kommission, die Sache dem Internationalen Gerichtshof zu übergeben. Das passierte aber nicht, so dass das EP im Juni 1993 die slowakische Regierung aufforderte, „so bald wie möglich“, die von der Gemeinschaft unterbreiteten Kompromissvorschläge und die Einleitung des Schiedsverfahrens durchzuführen.244 Des Weiteren verstärkte die EU die politischen Kriterien in den Europa-Abkommen. In den nach der Trennung neu zu vereinbarenden Vertragwerken ergänzte die EU eine Klausel bezüglich der Minderheitenrechte, nach der die Achtung der Menschenrechte, die demokratischen Grundsätze und die der Marktwirtschaft ein wesentliches Element der neuen EuropaAbkommen war.245 Eine weitere neue Herausforderung der post-kommunistischen Demokratisierungen war die Schwäche der Zivilgesellschaft - ein Thema, dem die EG in Südeuropa wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Im Falle der post-sozialistischen Länder wurde die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Strukturen für die Entwicklung der Demokratie bald deutlich, und die EU reagierte darauf. Hierbei spielte das EP eine wichtige Rolle. Auf seine Initiative hin wurde 1992 das PHARE-Demokratisierungsprogramm – quasi als Ergänzung der wirtschaftlichen und finanziellen Hilfe – geschaffen, das 1993 anfing, Projekte zu finanzieren, unter anderem auch zur Entwicklung von NGOs. Im Falle der Slowakei empfahl die Kommission 1992 die Einrichtung einer unabhängigen, nicht-gouvernementalen Stiftung. Die Civil Society Development Foundation bekam ab 1993 Gelder von der Kommission, die sie wiederum völlig unabhängig an NGOs weitergeben konnte. Der damalige tschechoslowakische Außenminister (1991/92) und heutige Chairman of the Board dieser Stiftung, Pavol Demeš, bewertet diese durch die EU garantierte Unabhängigkeit des Nichtregierungssektors als einen wesentlichen Faktor dafür, dass eine relativ gut entwickelte Zivilgesellschaft in der Slowakei entstehen konnte. „I would say that the European Commission was strategically an important player in giving that money and not letting the government to decide to whom this money will go. So we were able to maintain independence throughout the years.”246 Die EU wurde mit diesem Programm eine der wichtigsten Förderer des NGO-Sektors in der Slowakei, mit den zweithöchsten finanziellen Zuwendungen nach der Open Society Foundation von George Soros.247 Ergebnisse der Maßnahmen Meþiar zeigte sich nicht sehr empfänglich für die Empfehlungen der EU oder die Resolutionen des Europarates, die die ungarische Minderheit betrafen. Das heißt, die direkt an die Regierung gerichteten Maßnahmen der EU wurden oft nicht angenommen, liefen leer. An244
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 6-1993, S. 109 Vgl., Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 10-1993, S. 74 246 Interview mit Pavol Demeš 247 Vgl., dazu Demeš, Pavol, „The Third Sector and Volunteerism“, in: Mesežnikov, Grigorij/Ivantyþyn, Ivan/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 1998-1999. A Global Report on the State of Society, S. 347-365, hier: S. 351 245
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
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dererseits gab es gute Gesprächskontakte zwischen der EU – sowohl der Mitgliedsstaaten als auch der Kommission – und Präsident Kováþ, so dass die EU die Sichtweise des Präsidenten auf die Situation im Lande kannte.248 Er wiederum vermittelte in seinem Land die Position bzw. Kritik der EU. Die an Meþiar und seine Regierung gerichteten Mittel der EU – meist diplomatischer Art – zeigten nur sehr begrenzte Ergebnisse. Dazu zwei Beispiele: Der Streit um Gabþikovo und die Behandlung der ungarischen Minderheit. Die Input-Reaktions-Koppelung (Abb. 7) ergibt: Der europäischen Forderung nach Überstellung der Streitfrage um Gabþikovo an den Internationalen Gerichtshof wurde schließlich entsprochen, aber erst nach Druck und sehr verzögert. Empfehlungen und Hinweise der Kommission, dass die Behandlung der ungarischen Minderheit verbessert werden müsste, aber wurden ignoriert. Der Grad der Befolgung (Abb. 8) war in Bezug auf Gabþikovo mittel; auf argumentativer Ebene mit Ausflüchten und auf praktischer Ebene mit Scheinbefolgung, da man sich zwar auf die Übergabe des Gabþikovo-Problems nach Den Haag einigte, ohne es dann umzusetzen bzw. nur zögernd und auf nochmaligen Druck hin. In Bezug auf die Minderheitenfrage war der Grad der Befolgung niedrig; auf argumentativer Ebene mit Ausflüchten (die Interpretation der EU gebe die slowakische Wirklichkeit verzerrt wieder, trage den Besonderheiten der Slowakei nicht Rechnung), praktisch aber Nichtbefolgung. Die Prüfung der Interaktionskriterien (Abb. 9), ergibt Folgendes: Gabþikovo: 1. Der Status des Absenders war auf Grund des Beitrittswunsches hoch, das Druckmittel lag zu diesem Zeitpunkt (Mitte 1993) in der bevorstehenden Unterzeichnung der neuen Europa-Abkommen, womit nicht gesagt sein soll, dass dies explizit von der EU ins Feld geführt worden ist, aber die Wortwahl der EP-Entschließung war dringlich genug. 2. Das Motiv der EU spielte wahrscheinlich eine geringe Rolle für Meþiar, wohl aber, dass der slowakisch-ungarische Streit auf europäischer und internationaler Ebene starke Aufmerksamkeit bekommen hatte. 3. Dies dürfte ein starkes, vielleicht das einzige Motiv für Meþiar gewesen sein, halb einzulenken. 4. Denn das tatsächliche Bedürfnis der slowakischen Regierung, das konkrete Problem zu lösen, war relativ gering. Meþiar sprach zwar davon, dass er „ a keen and long-lasting interest in good relations“ mit Ungarn habe, konstatierte aber gleichzeitig: „Requests for the demolition of the project (GabþikovoNagymaros) are unreal. We are willing to negotiate about everything else.“249 Ungarische Minderheit: In diesem Fall liegt eine unterschiedliche Bewertung des Problems vor: 1. Der Status der EG war zwar hoch. 3. Andererseits aber verfolgte Meþiar das, was Miroslav Wlachovsky die „two-face-policy“ nennt, nämlich: „one face towards Slovakia and one towards the rest. (…) He [Meþiar] thought that he can keep these two faces, that he can do something undemocratic at home and that he still can say on an international arena that Slovakia wants to become an EU member, that Slovakia fulfils all political criteria.”250 Das heißt, auf Grund der Dichotomie von deklaratorischer und faktischer Ebene bei Meþiar hatte er selbst den Eindruck, er könne handeln, ohne die EU zu verärgern. Dies bewahrheitete sich insofern, als die EU 1993/94 keine weiteren Maßnahmen als die beschriebenen diplomatischen oder politischen (Stabilitätspakt, Verankerung der Kriterien in Europa-Abkommen) vornahm. Das was die EU als Problem anmahnte, wurde von der 248
Siehe dazu die Aussagen Kováþs, zit. in Kap. III. 3.4.1, „Internationale Verortung“ Neujahrsansprache des Premierministers Vladimír Meþiar, 1.1.1993, in: Documents, Foreign Policy of the Slovak Republic, 1993, S. 23 250 Interview Wlachovsky 249
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III Empirischer Teil: EU
slowakischen Regierung anders beurteilt. 2./4. Meþiar aber betrachtete diese Frage, erstens, als interne Angelegenheit, und zweitens, empfand er keinen Lösungsdruck. Die Problemperzeptionen der EU und Meþiars waren diametral entgegengesetzt. Ein gutes Beispiel für die Art der Ausflüchte ist auch die Reaktion der slowakischen Delegation auf den inoffiziellen Bericht der Helsinki Commission des amerikanischen Kongresses mit dem Titel „Human Rights and Democratization in Slovakia“, in dem eine lange Liste von Mängeln über den Zustand der demokratischen Verhältnisse und die Behandlung der Minderheiten aufgeführt wurde. In den offiziellen Regierungsverlautbarungen der Slowakei heißt es dazu: „The Slovak delegation pointed out serious insufficiencies of the report.“251 Ähnlich die Erwiderung Slowakischen Parlamentspräsidenten Gašparoviþ bei seiner USA-Reise Mitte Oktober 1993, als er dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Kommission sagte: “We do not require you to speak of Slovakia in superlatives only, however, we cannot be indifferent to the fact that, due to the ignorance of the problem’s complexity, an official USA report contains data distoring the objective picture.”252 [H.d.MK] Der Hauptunterschied der beiden Fälle – Gabþikovo und ungarische Minderheit - liegt wohl darin, dass es sich einmal um eine „internationales“ und das andere Mal ein nationales Thema handelte. Offensichtlich wurde die EU von Meþiar als in die inneren Belange eingreifende Autorität nicht anerkannt. Insgesamt kann man hier das gleiche schlussfolgern wie im Fall von Václav Klaus: Die Konditionalität kann dann nicht greifen kann, wenn die Furcht vor Sanktionen geringer ist als die Sicherheit bzw. Selbstüberschätzung, die Bedingungen der Mitgliedschaft zu erfüllen. Bei der Unterstützung des NGO-Sektors handelte es sich um eine auf mittlere Sicht gerichtete Maßnahme. Die Bedeutsamkeit dieser Unterstützung wurde bald sichtbar. Dank der Tatsache, dass der Samen 1993 gesät worden war, war der NGO-Sektor bereits vor 1995, als Meþiar dann begann, die Bürgerrechte zu unterdrücken, gut entwickelt. Die Mehrzahl der NGOs wurde in den Jahren 1990 bis einschließlich 1994 etabliert253 und, so Demeš, wäre das nicht so gewesen, dann hätte Meþiar diesen Sektor kaputt gemacht.254 Also: Eine wichtige Wirkung der EU-Politik auf Nichtregierungsebene. Eine indirekte Wirkung auf die Nichtregierungsebene – Opposition, Intellektuelle – war zudem die Wahrnehmung der EU-Kritik in diesen Kreisen. Die Tatsache, dass der Regierungschef und seine Partei sich taub stellten gegenüber der EU bedeutete nicht, dass ihre Mahnungen nicht in anderen politischen Kreisen – im Übrigen auch von Präsident Kováþ – und in der Opposition gehört wurde. Das Verhalten Meþiars gegenüber der EU hatte wiederum Rückwirkungen. Es führte dazu, dass das ohnehin mediokre Image der Slowakei sich im ersten Jahr der Unabhängig251 A.a.O., Documents, Foreign Policy of the Slovak republic, 1993, „Event Overview”, S. 16. Siehe dazu auch Duleba, Alexander, “Democratic Consolidation and the Conflict over Slovak International Alignment“, in: Szomolányi, SoĖa/Gould, John A., (Hrsg.), Slovakia: Problems of Democratic Consolidation and the struggle for the Rules of the Game, Bratislava 1997, S. 209-231: “Slovak governmental and societal reaction to the Report of the Helsinki Commission (…) was one of partial denial”. (S. 213) 252 Pravda, 18.10.1993, S. 1, zit. n. a.a.O., Duleba, S. 214 253 Von den 1639 registrierten NGOs (Stand April 1996) waren 1075 zwischen 1990 und 1994 gegründet worden, das sind zwei Drittel. Daten nach der Slovak Academic Information Agency – Service Center for the Third Sector (SAIA-SCTS), die lediglich die aktiven NGOs mit Rückmeldung in diesen Zahlen eingeschlossen haben. Vgl., Bútora, Martin/KošĢálová, Katarína/Demeš, Pavol/Bútorová, Zora, Nonprofit Sector and Volunteerism in Slovakia, in: Bútora, Martin/Hunþík, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, Bratislava 1997S. 207-245, hier: S. 214 254 Vgl., Interview Demeš, vgl., auch ebd., S. 216, 219
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keit nicht besserte, „und die anfängliche Skepsis einiger Politiker und Experten im Hinblick auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung einer selbständigen Slowakei (…) erwies sich als berechtigt.“255 Das wiederum erhöhte die Aufmerksamkeit der EU auf die Slowakei, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. 3.5 Verzögerte Konsolidierung und Druck der EU Die zweite Transition der Slowakei überlappte sich mit der beginnenden Konsolidierung. Daher kam der Parlamentswahl von 1994 eine erhöhte Bedeutung zu, denn es war klar, dass sie über den weiteren Konsolidierungspfad entscheiden würde. Auch die Optionen waren abgesteckt: Demokratisierung á la Visegrád-Länder mit dem festen Ziel von Demokratie, Marktwirtschaft und europäischer Integration und der Angleichung an das politische und wirtschaftliche Modell der EU versus osteuropäische Variante der post-sowjetischen Staaten, gekennzeichnet durch die Missachtung des Verfassungs- und Rechtsstaates, durch unkontrollierte Mehrheitsregierung, durch die Zentralisierung der exekutiven Macht und durch Schritte hin zu der Einrichtung einer machtvollen oligarchischen Besitzstandsklasse. Der umgehend manifestierte autoritäre Politikstil und die undemokratischen Maßnahmen kurz nach dem Wahlsieg der HZDS indizierten bereits eine schwierige Konsolidierung, denn das Land entfernte sich von dem „zentraleuropäischen“ Weg der Konsolidierung und näherte sich dem „osteuropäischen Weg“ an.256 Letztlich ging somit die verzögerte Transition der Slowakei in eine Konsolidierung über, die zwischen 1994 und 1998 durch demokratische Rückschritte wiederum verzögert wurde. Die Regierung Dzurinda, 1998 gewählt und 2002 bestätigt, machte diese demokratischen Rückschritte der Meþiar-Zeit rückgängig und holte die stecken gebliebene Konsolidierung in beschleunigter Form nach. Die Entwicklung der slowakischen Demokratisierung ist daher ein gutes Beispiel dafür, dass Demokratisierungsprozesse nicht unbedingt linear und auch nicht gleichmäßig ablaufen. Die slowakische Demokratisierung wies ebenso Rückschritte und Paralyse wie Vorwärtsschübe auf. Die nach der Wahl von 1994 entstandene Regierungskoalition aus HZDS, der rechtsnationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) und der neu entstandenen linksradikalen, nationalistischen Arbeitervereinigung (ZRS) brach bereits in der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 3./4. November 1994 – nachher „Nacht der langen Messer“ genannt - mit den herkömmlichen Normen und Praktiken westlicher parlamentarischer Demokratien. Sie verhinderte die proportionale Besetzung der Vorsitzenden der Parlamentarischen Ausschüsse durch die Oppositionsparteien, überhaupt lag die Repräsentation der Opposition in den Ausschüssen unter dem Proporz, schloss die Oppositionsabgeordneten komplett aus bei der Besetzung wichtiger Kontrollorgane (OKO, das Organ, das die Sicherheitsdienste kontrollierte; das Büro des Generalanwalts und die nationale Privatisierungsagentur FNM). Ebenso wurden die wichtigsten Posten der elektronischen Medien mit Parteifunktionären besetzt. Das heißt, mit einem Handstreich wurde die Opposition ihrer 255
Kipcke, Rüdiger/Vodiþka, Karel, Slowakische Republik. Studien zur politischen Entwicklung, S. 142 Das zentraleuropäische Modell ist das der Visegrád-Länder, das östliche Modell trifft auf die post-sowjetischen slawischen Länder zu, wo „Missachtung der konstitutionellen Prinzipien, Tendenz zur Zentralisierung der exekutiven Macht und Tendenz zur Einrichtung einer mächtigen oligarchischen Besitzklasse“ herrschen. (a.a.O., Duleba, S. 224) Szomolányi sieht den Weg der Slowakei zwischen diesen beiden Transitionstypen oszillieren. Vgl., a.a.O., 1999, S. 24
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Kontrollfunktion in zentralen Bereichen der legislativen Arbeit - sowie in zu dieser Zeit besonders delikaten exekutiven Entscheidungsprozessen - Geheimdienst, Privatisierung – beraubt. Dazu kam die Kontrolle der Regierung über die Medien. Es war nicht der Ausgang der Wahlen selbst, der die Opposition im Inland und Beobachter des Auslands alarmierte, sondern diese Parlamentssitzung. Sowohl der in dieser Nacht praktizierte Stil als auch die Richtung setzten sich fort. Das heißt, die Regierung zwischen 1994 und 1998 war gekennzeichnet durch die permanente Konfrontation zwischen Regierungschef und Präsident, durch die Beschneidung der Kontrollrechte der parlamentarischen Opposition, durch die Beschneidung bürgerlicher Rechte. Dazu kamen illegale Aktivitäten des Geheimdienstes, Klientelismus und Missachtung der Minderheitenrechte. Im Folgenden werden die zentralen Verstöße aufgelistet, auf die die Öffentlichkeit zunehmend mit Protesten und die EU mit selten scharfer Kritik reagierte:
257
Noch 1994 setzte Meþiar einen Untersuchungsausschuss zu dem Misstrauensvotum ein, das zum Sturz seiner Regierung im März 1994 geführt hatte; ein Schritt, den das Verfassungsgericht später für verfassungswidrig erklärte. 1995 setzte Meþiar die bisherige in der Tschechoslowakei begonnene Praxis der Coupon-Privatisierung aus und ersetzte sie durch die Direktvergabe unter klientelistischen Aspekten (Parteianhänger etc.). Damit war die staatliche Kontrolle über den Privatisierungsprozess eliminiert. Ende 1996 urteilte das Verfassungsgericht, dass die Nationale Privatisierungsagentur (FNM) wieder unter die Verantwortung der Regierung gestellte werden müsse, was aber von Meþiar nicht beachtet wurde. Die Lizenzvergabe wurde außerdem instrumentalisiert, etwa um unliebsame Medien auszuschalten. So zog das Finanzministerium die Lizenz der größten und erfolgreichsten Investitionsfirma PSIS zurück (sie gab das erfolgreichste Oppositionsblatt „Sme“ heraus). Ende 1995 befand das Verfassungsgericht diese Aktion für illegal und annullierte sie, aber das Finanzministerium weigerte sich, den Besitz von PSIS freizugeben.257 Im Zuge der Konfrontation mit dem Präsidenten beraubte Meþiar ihn verschiedener Rechte, wie das, den Geheimdienstchef zu benennen, und er versuchte Ähnliches in Bezug auf den Generalstaatschef. Dies lehnte das Verfassungsgericht ab. Nicht verfassungsgemäß war ebenso der Versuch, den Präsidenten durch Parlamentsmehrheit abzuwählen, was aber misslang. Die Entführung des Sohnes von Präsident Kováþ nach Österreich wurde von einem dortigen Gericht mit einem erheblichen Verdacht belegt, dass der slowakische Geheimdienst dabei beteiligt gewesen sein könnte. 1995 wurden verschiedene Gesetze verabschiedet, die Bürgerrechte einschränkten; so das Gesetz zum Schutz der Republik, das unter Strafverfolgung verbot, AntiRegierungs-Äußerungen zu tun. Die Rechte der ungarischen Minderheit wurden eingeschränkt, indem in Abänderung des Sprachengesetzes von 1990 das Slowakische zur einzigen offiziellen Amtssprache erklärt wurde. Bei Nichtbeachtung drohten Geldbußen. Dazu wurden Sprachinspektoren eingesetzt.
Siehe dazu den Wirtschaftswissenschaftler Ivan Mikloš, Vize-Premierminister in beiden Legislaturen Dzurindas, zudem zunächst Wirtschafts-, dann Finanzminister und „Vater“ der slowakischen „flat tax“: „Economic Transition and the Emergence of Clientalist Structures in Slovakia“, in: a.a.O., Szomolányi/Gould, S. 57-93
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Die Medienfreiheit wurde beschnitten, indem bei der Zuteilung der Mittel loyale Medien bevorzugt wurden. Zudem wurden solche Medien benachteiligt, bei denen ausländische Investoren beteiligt waren. 1996 wurden weitere Gesetze verabschiedet, die die Informations- und Wissenschaftsfreiheit beschnitten. Zudem wurde ein restriktives Stiftungsgesetz in Kraft gesetzt, das den „dritten Sektor“ schwächen sollte. Eine Reform der Regionalverwaltung wurde durchgeführt und zwar so, dass im Hinblick auf eine ebenfalls neue Aufteilung der Wahlkreise die ungarische Minderheit nur noch in 2 statt bisher 17 Wahlkreisen die Bevölkerungsmehrheit stellte. Im Dezember 1996 wurde dem Abgeordneten František Gaulieder gegen seinen Willen das Parlamentsmandat entzogen, nachdem er aus der HZDS-Fraktion ausgetreten war. 1997 wurde das vom Präsidenten angesetzte Referendum zur Direktwahl des Präsidenten, das zusammen mit dem vom Parlament entschiedenen Referendum zur NATO abgehalten werden sollte, manipuliert. Die vom Präsidenten genehmigten Stimmzettel mit drei Fragen zur NATO und einer zur Direktwahl wurden wenige Tage vor dem Referendum vom Innenminister eliminiert und neu ausgedruckt ohne die letzte Frage zur Direktwahl. Daraufhin rief die Zentralkommission für die Volksabstimmung die Bürger zum Boykott des Referendums auf. Tatsächlich stimmten nur zehn Prozent ab. Das Verfassungsgericht bestätigte die Verfassungswidrigkeit und annullierte das Referendum als „von der Regierung vereitelt“. 1998 stand die Wiederwahl des Präsidenten an, was aber nach fünf Wahlrunden im Januar nicht gelang. Daher gingen mit Ablauf der Amtsperiode von Präsident Kováþ die Kompetenzen an den Premierminister über, was dieser entsprechend ausnutzte. So hatte Präsident Kováþ nach der Annullierung des Referendums von 1997 durch das Verfassungsgericht, ein neues Referendum ausgerufen (für den 19. April 1998). Dieses Referendum setzt Meþiar ab, ein Tag nach der Übernahme der präsidentiellen Kompetenzen. Diese nutzte er weiterhin, um Amnestien zu erlassen, und zwar für diejenigen, die in die Entführung des Präsidentensohnes sowie in die Manipulation des Referendums verwickelt waren. Kurz vor den Wahlen verabschiedete die Parlamentsmehrheit ein neues Wahlgesetz, das für auch für Parteien in einem Wahlbündnis eine Fünf-Prozent-Klausel etablierte. Damit wollte Meþiar verhindern, dass die Oppositionsparteien ihre Potentiale bündeln.
All dies nutzte ihm aber nichts mehr, denn die HZDS konnte zwar wieder meisten Stimmen gewinnen, aber vier demokratische Oppositionsparteien schlossen sich zu einer Koalition zusammen, die mit 93 Sitzen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament innehatte. Stärkste Koalitionspartei war die Slowakische Demokratische Koalition (SDK), die ihrerseits ein Wahlbündnis darstellte aus Christlich-Demokratischer Bewegung (KDH), Demokratischer Union (DU), Sozialdemokratischer Partei der Slowakei (SDSS) und der Partei der Grünen in der Slowakei (SZS). Die SDK stellte den Ministerpräsidenten, Mikuláš Dzurinda. Die Koalitionspartner waren die Partei der Demokratischen Linken (SDL), die Ungarische Koalition (SMK) und die Partei der Bürgerverständigung (SOP). Die Wahl von 1998 zog eine völlig neue Verteilung der Machtverhältnisse nach sich. Die neue Regierung hatte drei zentrale Ziele: die Herstellung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz, die Slowakei in EU und NATO zu führen
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sowie die Wirtschaft auf Kurs zu bringen (marktwirtschaftliche Strukturen, ausländische Investitionen, Abbau des Klientelismus). Die Regierung Dzurinda begann ihre Arbeit damit, sukzessive zunächst die autoritären Prozeduren (z.B. Verteilung der Ausschussvorsitze) und Entscheidungen (z.B. die o.g. Amnestien) sowie die unrechtmäßigen Gesetze rückgängig zu machen. „Das meiste wurde allein dadurch erreicht, daß die neue Mehrheit selbstverständlich die Verfassung und die Gesetze respektierte.“258 Das Wichtigste war, dass ein Stilwandel vollzogen wurde, indem die neue Regierung die Opposition im Parlament fair behandelte. Noch im selben Jahr wurde ein neues Mediengesetz verabschiedet, und ab Januar 1999 gab es wieder zweisprachige Schulzeugnisse, die Ausarbeitung eines neuen Sprachgesetzes wurde umgehend in Angriff genommen. Schließlich wurde im Januar 1999 ein Gesetz zur Direktwahl des Präsidenten verabschiedet. Im Mai 1999 wurde erstmals ein Präsident direkt gewählt: Bei der Wahl trat auch Vladimír Meþiar an, konnte aber gegen Rudolf Schuster von der SOP nicht gewinnen.259 Die Regierung Dzurinda brachte die Slowakei wieder auf den demokratischen Weg zurück. Trotz der permanenten Schwierigkeiten auf Grund der sehr heterogenen Zusammensetzung der Regierungskoalition, eines weiterhin konfrontativen Stils der HZDS, nun als Opposition260, und wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung wegen des Tempos der nachzuholenden Reformschritte konnte er die Koalition zusammenhalten und auch die Wahlen im September 2002 wieder gewinnen. Die populistischen Kräfte wurden geschwächt, die nationalistischen Parteien wie SNS kamen nicht mehr ins Parlament. Zwar errang die HZDS wieder die meisten Stimmen, hatte aber große Verluste und vor allem gab es eine alle Parteien umfassende Abmachung, nicht mit der HZDS zu koalieren. Obwohl die Regierungskoalition von SDKU261, SMK, KDH und der neuen Partei ANO die ideologisch kohärenteste seit Bestehen der Slowakei war, kämpfte sie mit inneren Querelen. Nach dem Austritt einiger Abgeordneter aus der Regierungspartei im Dezember 2003 befand sich die Koalition in der Minderheit. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2004 kandidierte Meþiar wieder und kam sogar in Stichwahl, in der er dann aber seinem ehemaligen HZDSParteifreund Ivan Gašparoviþ unterlag.262 Außenpolitisch waren die wichtigsten Ziele und Leistungen der Regierung Dzurinda, dass er das Land wieder auf den europäischen Weg zurückbrachte. Zusammen mit den anderen Visegrád-Staaten zeichnete er die Beitrittsanträge im April 2003. Bei dem Referendum im Mai 2003 stimmten 92,5 Prozent für den EUBeitritt. Seit Mai 2004 ist die Slowakei als EU- und seit April 2004 als NATO-Mitglied fest im euro-atlantischen System verankert. Nachdem Dzurinda in der ersten Legislatur die politischen Reformen durchgeführt hatte, die zur Wiederherstellung der demokratischen Verfahren und Prinzipien notwendig waren, setzte er in der zweiten Legislatur eine beschleunigte und verstärkte Reformtätigkeit im wirtschaftlichen und sozialen Bereich in Gang (Steuerreform einer „flat tax“ sowie der 258 Stuth, Reinhard, “Die Slowakei auf dem Weg nach Europa, in: KAS-Auslandsinformationen, S. 43-62, hier: S. 55. So auch Juraj Alner im Interview: Das Rückgängigmachen der undemokratischen Züge sei als Erstes geschehen und auch relativ einfach gewesen. 259 In der ersten Wahlrunde vereinigte keiner der beiden Kandidaten genügend, nämlich 50 Prozent, der Stimmen. In der zweiten Runde bekam Schuster 57,2 und Meþiar 42,8 Prozent. 260 In den Jahren 1999 und 2000 stellte die HZDS elf Misstrauensanträge gegen Regierungsmitglieder und Anfang 2000 initiierte sie ein Referendum über vorzeitige Wahlen, das mit einer Wahlbeteiligung von nur 20,03% allerdings scheiterte ebenso wie alle Misstrauensanträge. 261 Im Jahr 2000 von Ministerpräsident Dzurinda gegründete Partei. 262 Ivan Gašparoviþ war während Meþiars Regierungszeit Parlamentspräsident und HZDS-Mitglied gewesen. Die Stichwahl zwischen ihm und Meþiar am 17.5.2004 ging 59 gegen 40,1 Prozent aus.
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Umbau des Gesundheits- und Rentensystems). Das was im Ausland weithin große Beachtung fand und als innovativ und fortschrittlich gepriesen wurde, löste im Inland eher Unzufriedenheit aus, denn der Aufschwung ging an Teilen der Bevölkerung und auch an Regionen vorbei. So hat die marktorientierte Reformpolitik Dzurindas dazu geführt, dass die Slowakei deutlich gestiegen ist in ihrem Ansehen als Wirtschafts- und Investitionsstandort und dass die Wachstums und Wirtschaftsperspektiven als sehr positiv eingeschätzt werden.263 Gleichzeitig aber sah er sich der Kritik im Inland gegenüber, dass die soziale Komponente fehle. Das spielte den Oppositionsparteien in die Hände. Vor allem die 1999 gegründete und erst 2002 ins Parlament eingezogene linkspopulistische Partei „Smer“ (Richtung) des ehemaligen SDL-Mitglieds Robert Fico konnte mit seiner Anti-ReformProgrammatik und Rhetorik davon profitieren und bei den Wahlen im Juni 2006 die meisten Stimmen erlangen. Fico nutzte zum einen die Schwäche des klassischen sozialdemokratischen Lagers, zum anderen schöpfte er aus dem Reservoir der „Reformverlierer“. Zudem gab es eine Wählerbewegung von der HZDS und der Kommunisten, die nicht mehr im Parlament vertreten sind, zu Smer.264 Die Parteien der bisherigen Koalition - SDKU, KDH und SMK - erzielten sehr gute Ergebnisse, was belegt, dass der Reformkurs der DzurindaRegierung durchaus breiten Rückhalt hat. Für die Koalitionsbildung gab es mehrere Varianten, wobei die von Fico gewählte als die „gefährlichste“ bezeichnet wurde265: eine Regierung unter Fico zusammen mit der HZDS und der rechtsextremen, nationalistischen und minderheitenfeindlichen SNS, zwei Parteien der Regierung, die für jene undemokratischen Verhältnisse zwischen 1994 und 1998 verantwortlich waren. Solch eine Konstellation – insbesondere die Regierungsbeteiligung von HZDS und SNS – war von EU und NATO vor den Wahlen 2002 mit der Androhung auf Nichtaufnahme in diese Organisationen belegt worden. Ging es bei den Wahlen 1998 um die Rückkehr zur Demokratie und zum Integrationskurs, bei den Wahlen 2002 um die Bestätigung dieses Kurses, so standen bei den Wahlen 2006 die Qualität der Demokratie und die Fortführung der Reformen zur Debatte.266 Mit der gebildeten Regierung sind die Aussichten auf einen reformorientierten Weg wieder unsicher geworden. Nach diesem sehr knappen Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse zwischen 1994 und 2004 stellen sich zwei Fragen: Wie kann die Meþiar-Zeit (1994-1998) typologisiert werden, und wo kann das Ende der Konsolidierungsphase angesetzt werden? In der Regierungszeit Meþiar vollzogen sich in Bezug auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren und Regeln, auf die Ausgestaltung der Reformpolitik und in Bezug auf die außenpolitische Orientierung klare demokratische Rückschritte. Erstens, hat Meþiar mit den demokratischen Regeln gebrochen, was zu einem unkonsolidierten Zustand führte, zweitens, brach er mit dem Muster der begonnenen wirtschaftlichen Transformation vor allem bei der Privatisierung und Industriepolitik, indem er ein klientelistisches Beloh-
263 Siehe Gyárfašová, OĐga, „Slovakia: From Black Hole to Leading Light. How Slovakia transformed itself from a ‘black hole’ to an inverstor’s paradise”, in: Transition online, 6.10.2004 264 Vgl., Mesežnikov, Grigorij, „Assessing Slovakia’s 2006 Parliamentary Elections. Domestic and Regional Implications”, Vortrag vor dem International Forum of Democratic Studies, 28.6.2006; www.ivo.sk/meseznikov_ presentation.ppt#1 265 Siehe dazu Schwarz, Karl-Peter, „Im slowakischen Parteiendschungel“, in: FAZ, 19.6.2006 266 Vgl., a.a.O., Mesežnikov, 2006
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nungssystem einführte267, und drittens, entfernte er sich nicht nur durch die innenpolitischen Aktivitäten, sondern auch durch das Abblocken der westlichen Kritik sowie durch eine ambigue außenpolitische Orientierung von dem Weg nach Europa. All dies wiederum isolierte die Slowakei von ihren Visegrád-Nachbarn. Zusammengefasst: Meþiar verschultete den Bruch mit einer klaren pro-demokratischen, Pro-Reform und pro-EU-Politik. Nimmt man Linz/Stepans drei Ebenen der Konsolidierung stellt sich das so dar: Es gab Rückschritte auf der Verhaltensebene und auf der konstitutionellen Ebene; nur bei der Einstellungsebene, also der politischen Kultur, lässt sich eine Verbesserung feststellen, ein „positive shift in attitutes thus contrasts with the growing democratic conflict“.268 Das heißt, die positive Einstellung der Bürger zur Demokratie verfestigte sich. Während der Meþiar-Zeit wuchs die Unterstützung für die Demokratie in der Bevölkerung wie auch ihre Sensibilität für Verstöße gegen demokratische Regeln. Insofern war hier ein politischer Lernprozess der Bürger zu beobachten. 1995 waren 67 Prozent der Bürger mit dem Zustand der Demokratie unzufrieden, 1996 steigerte sich die Zahl auf 74 Prozent.269 In der Öffentlichkeit hatte sich das Gefühl verstärkt, dass die Demokratie bedroht sei; dies meinten 1997 immerhin 52 Prozent. Demokratie und Achtung vor der Verfassung wurden von der Bevölkerung als drittwichtigstes Problem perzipiert, noch vor der Wirtschaft.270 In den meisten Politikbereichen – außer der Minderheitenpolitik – hielten sie Meþiars Politik für nicht korrekt.271 Nach den demokratischen Prinzipien und dem politischen Stil gefragt ließ sich von 1994 bis 1997 beobachten, dass die Befürwortung der autoritären, majoritätsbetonten Politik der „starken Hand“ ab- und die Befürwortung von Respekt vor dem Gesetz, Pluralismus, Verhandlung, Respektierung der Minderheiten und Medienfreiheit zunahm. In einer Kategorisierung von „professed political principles“ ergibt sich daraus folgendes Bild: Abbildung 18:
Professed political principles Type of principles
1994
1995
1997
Democratic
47
55
59
Hybrid
40
35
30
Non-democratic
13
10
12
aus: Bútorová, 1997b, S. 72
Vor den Wahlen im September 1998 meinten 70 Prozent der Bürger, das Land ginge in die falsche Richtung und die Regierung habe ihre Versprechen nicht gehalten.272 Dieses Ein267
Nach Mikloš behielt Meþiar das Transformationskonzept, das 1991 in der Tschechoslowakei begonnen worden war, bis Ende 1994 bei, trotz seiner harschen Kritik. Insofern gab es eine substanzielle Kontinuität in den wesentlichen Fragen der Reformrichtung. Vgl., a.a.O., Mikloš, S. 62 268 A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 29 269 A.a.O., Bútorová, 1997, S. 270f 270 Bútorová, Zora, „Public Opinion“, in: Bútora, Martin/Skladony, Thomas W., (Hrsg.), Slovakia 1996-1997: A Global Report on the State of Society, Bratislava 1998, S. 67-80, hier: S. 67 271 Dies gilt insbesondere für die Privatisierungspolitik, die von 72% abgelehnt wurde. Dies galt aber auch für die Medienpolitik, die Sozialpolitik und Verbrechensbekämpfung. Vgl., ebd., S. 69 272 Bútorová, Zora/Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, „Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Ivantyþyn, Ivan/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 1998-1999. A Global Report on the State of Society, Bratislava 1999, S. 137-167, hier: S. 137
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stellungsprofil der Bevölkerung war jedoch die einzige Ebene, auf der sich ein Fortschreiten der Konsolidierung feststellen ließ. Ansonsten setzte ab im November 1994 die beschriebene regressive Bewegung ein, und das Land blieb in einem unkonsolidierten Stadium stecken. Dennoch: „It remains a democracy because elementary, yet fragile institutes persist.”273 Demnach war die Slowakei zwischen 1994 und 1998 weder eine konsolidierte Demokratie noch ein autoritäres Regime, sondern eine unkonsolidierte oder defekte Demokratie. Defekte Demokratien274 werden von Merkel/Croissant definiert als Herrschaftssysteme, in denen freie, geheime, gleiche und allgemeine Wahlen den Herrschaftszugang regeln, die „gleichzeitig aber signifikante Einschränkungen der Funktionslogik von Institutionen zur Sicherung grundlegender politischer und bürgerlicher Partizipations- und Freiheitsrechte, Einschränkungen der horizontalen Gewaltenkontrolle und –verschränkung und/oder Einschränkungen der effektiven Herrschaftsgewalt demokratisch legitimierter Autoritären aufweisen.“275 Defekte Demokratien unterscheiden sich einerseits von funktionierenden, rechtsstaatlichen Demokratien, da die institutionellen Mechanismen fehlen oder eingeschränkt sind; andererseits unterscheiden sie sich zugleich auch von autoritären Systemen, da „zentrale demokratische Spielregeln institutionalisiert sind und die Wahl der Regierenden durch die Regierten gewährleisten“.276 Defekte Demokratien lassen sich weiterhin unterteilen in drei Typen, je nach dem welche Dimension der Herrschaft betroffen ist: Bei Exklusiven Demokratien ist die erste Dimension, die des Wahlrechtes und seiner fairen Umsetzung, eingeschränkt (siehe Lettland und der Ausschluss der russischen Bevölkerung). Bei Domänendemokratien ist die zweite Dimension, das demokratisch legitimierte Regierungsmonopols durch nicht legitimierte Gruppen (Veto-Mächte wie Militärs etwa) eingeschränkt. Illiberale Demokratien sind gekennzeichnet durch die Verletzung der dritten Dimension, nämlich des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates, etwa durch das Umgehen der Legislative, Aushöhlen der Gewaltenkontrolle, verfassungswidriges Einwirken auf die Justiz, Nichtrespektieren der rechtsstaatlichen Normen und Verfahren sowie das Verletzen der Grund- und Menschenrechte, der Freiheits- und Bürgerrechte. Demnach war die Slowakei zwischen 1994 und 1998 als defekte, illiberale Demokratie zu bezeichnen. In der Slowakei wurden ausnahmslos alle Regierungswechsel korrekt vollzogen, auf Grund von Wahlen oder auch auf Grundlage eines Misstrauensvotums. Die grundlegenden demokratischen Institutionen – teils aus der Tschechoslowakei (parlamentarische Regierungsform, Verhältniswahlrecht), teils nach 1993 geschaffen (Staatspräsident, Verfassungsgericht) – funktionierten. Und obwohl Präsident Kováþ und Verfassungsgerichtspräsident ýiþ sowohl Ex-Kommunisten als auch HZDS-Mitglieder waren, zeigte sich bald, dass sie ihre Ämter, vor allem die Kontrollfunktion, unabhängig und sogar in Kon273
A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 21 Wir folgen hier der Begrifflichkeit und dem Konzept der defekten Demokratie von Wolfgang Merkel/Peter Thiery/Aurel Croissant et.al. Siehe dazu Merkel, Wolfgang, “Defekte Demokratien“, in: ders., Busch, Andreas, (Hrsg.), Demokratie in Ost und West: für Klaus von Beyme, Frankfurt am Main 1999, S. 361-382; Merkel, Wolfgang/Croissant, Aurel, “Formale und Informale Institutionen in defekten Demokratien“, in: Politische Vierteljahresschrift, 1/2000, S. 3-31; Thiery, Peter, „Demokratie und defekte Demokratie, Zur notwendigen Revision des Demokratiekonzeptes in der Transformationsforschung“, in: Bendel, Petra/Croissant, Aurel/ Rüb, Friedbert (Hrsg.), Zwischen Diktatur und Demokratie. Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen“, Opladen 2002, S. 71-99; Merkel, Wolfgang/Puhle, Hans-Jürgen/Croissant, Aurel/Eicher, Claudia/Thiery, Peter, Defekte Demokratien, Bd. 1: Theorie, Opladen 2003 275 A.a.O, Merkel/Croissant, S. 3 276 A.a.O., Merkel/Puhle/Croissant/Eicher/Thiery, S. 39 274
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frontation mit der Regierung ausführten. Viele Gesetze wurden vom Präsidenten nicht unterzeichnet oder vom Verfassungsgericht zurückverwiesen, was allerdings nicht hieß, dass die Regierung die Entscheidungen des Gerichts respektierte. Veto-Mächte gab es nicht. Somit waren die ersten beiden Herrschaftsdimensionen – Wahlrecht und Regierungsmonopol – erfüllt. Die Defizite in der Slowakei konzentrierten sich auf die Gewaltenteilung, die Kontrolle der Exekutive, den Versuch der Exekutive, in andere Staatsorgane einzugreifen, in der fehlenden Respektierung der konstitutionellen Prinzipien, in Verstößen gegen die Medien- und Informationsfreiheit, die Minderheiten- und andere Bürgerrechte, also auf die dritte Dimension. Diese Illiberalität des slowakischen Systems unter Meþiar deckt sich in vielen Punkten mit der osteuropäischen oder südosteuropäischen Variante. Dafür sprachen zwei weitere Phänomene: der Klientelismus und die starke Fragmentierung und Polarisierung der Parteienlandschaft. Die Trennlinien der Parteien lagen nicht in einem Links-Rechts-Schema, sondern verliefen zwischen pro-europäischen und pro-demokratischen Modernisierungsbefürwortern und den Parteien, die einen anti-westlichen oder „eigenen“ Weg suchten und wirtschaftlichen Reformen sowie demokratischen Regeln eher distanziert gegenüber standen. Anders als bei der osteuropäischen Variante allerdings war es in der Slowakei deutlich besser bestellt um die Stärke der zivilgesellschaftlichen Strukturen, die bereits vor 1994 gut entwickelt waren.277 Zudem waren die demokratischen Kräfte im Parlament mit zivilgesellschaftlichen Strukturen auf der einen und mit europäischen Schwesterparteien auf der anderen Seite vernetzt278. Nun zur Frage, wann die Konsolidierung beendet war. Szomolányi meinte 1999, dass mindestens noch ein Wahlzyklus nötig wäre, um die Stabilität der slowakischen Institutionen und Werte zu testen. Sowohl die Opposition als auch die Bevölkerung hätten Fortschritte im politischen Lernprozess gemacht.279 Dazu gehörte auch die Herstellung eines breiteren Elitenkonsenses in Bezug auf die außenpolitische Orientierung, denn, so Szomolányi, „(d)emocratic stability also requires consensus on the country’s basic foreign policy orientation.“280 Die festgestellten Defekte konnte die Regierung Dzurinda durch einen veränderten Regierungsstil, durch Rückgängigmachen der undemokratischen Gesetze, Verfassungsänderungen etc. beheben. Die Bildung jener Koalition mit mehreren und zudem heterogenen Parteien schränkte allerdings die Effektivität des Regierungshandels oft ein, zwang zu permanenten Kompromissen und verlangte großes Verhandlungs- und Vermittlungsgeschick des Ministerpräsidenten. Daher war die Erleichterung groß, als sich 2002 eine sehr viel homogenere Regierung bilden konnte, der allerdings seit 2003 die nur sehr knappe Mehrheit durch Parteiaustritte und Parteineugründungen zum Problem geworden ist. Das Parteiensystem stellt weiterhin ein instabiles Moment dar. Es ist noch nicht gefestigt, seine Fragmentierung hat nicht abgenommen, Absplitterungsprozesse gehen eher wei-
277
Siehe Kap. III. 3.4.2 Die Ungarischen Christdemokraten (MKDM, später in der Ungarischen Koalition SMK) hatten seit 1996 Beobachterstatus in der EVP, seit 2000, KDH und SDKU seit 2002 assoziiert. Zudem Mitglieder der Europäischen Demokratischen Union (EDU), der Europäischen Union der Christ Demokraten (EUCD) und der Christdemokratischen Internationale (CDI). In der SPE waren assoziiert die SDL und die SDSS. Die SDSS war Vollmitglied in der Sozialistischen Internationale, die SDL hat dort Beobachterstatus. Mit dem EU-Beitritt wurden die Parteien Vollmitglieder. 279 Vgl., a.a.O., Szomolányi, 1999, S. 34, 35 280 A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 24 278
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ter, neue Parteien entstehen und verschwinden wieder.281 Nachdem die Wahlen 2002 die nationalistischen Parteien (ZRS, SNS) marginalisiert hatten, ist die rechtsextreme SNS durch die Koalition mit FICO seit Juni 2006 wieder „gesellschaftsfähig“ geworden. Es zeigt sich, dass die Schwächung der HZDS nicht das Ende populistisch motivierter Politik bedeutet. Die Parteienlandschaft teilt sich nun in das Lager der Reformparteien (SDKU, SMK, KDH) und der Anti-Reformparteien (Smer, SNS, HZDS). Tatsächlich konnte die bloße Abwahl Meþiars nicht ausreichen, um von einer konsolidierten Demokratie zu sprechen282. Die entscheidende Marke stellte daher die Wahl von 2002 dar, da mit der Zusammensetzung der Regierung die Frage der Aufnahme in EU und NATO verknüpft war. Von Seiten der NATO, aber auch von der EU wurde der Beitritt in Frage gestellt, für den Fall, dass die Wahlen eine Regierungsbeteiligung Meþiars ergeben würden. Erst der Ausgang der Wahl mit einer erneuten Koalition unter Dzurinda hat die Verortung ins euro-atlantische System ermöglicht und irreversibel gemacht. Die Demokratie in der Slowakei ist seit 2002 als konsolidiert zu bezeichnen – mit der Einschränkung eines weiterhin ungefestigten Parteiensystems. Sie weist stabile und funktionierende Institutionen auf. Auch die Minderheitsregierung Dzurindas zwischen Dezember 2005 und den Wahlen 2006 hat nicht zur Lähmung der Gesetzgebungstätigkeit, der Entscheidungsprozesse oder zu politischer Instabilität geführt. 3.5.1 Internationale Verortung: Umweg nach Europa – von Europa zu Meþiars „eigenem Weg“ und zurück Vorherrschendes Merkmal der Außenpolitik Meþiars blieb die Doppelgesichtigkeit, die Kluft zwischen deklaratorischer und faktischer Ebene.283 Auch auf anderen Politikfeldern wies Meþiar eine gewisse inhaltliche Ambivalenz auf, die es ihm ermöglichte, seine Programme jeweils taktisch anzupassen an Situation, Zielgruppe etc. – quasi ein Stilmerkmal Meþiars, nicht zuletzt aber auch der fehlenden klaren ideologischen Orientierung der HZDS geschuldet. Offiziell standen bei den außenpolitischen Prioritäten der dritten Regierung Meþiar an erster Stelle die Beziehungen zu den europäischen und transatlantischen politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Strukturen. Dann folgte die Zusammenarbeit mit der OSZE, mit den Nachbarn (Tschechien, Österreich, Polen, Ungarn und Ukraine), die mit anderen assoziierten EFTA-Ländern, dann erst die Zusammenarbeit mit postkommunistischen Staaten, danach die mit USA, Japan und die G7 und an letzter Stelle erst - nur mit einem Satz bedacht - die Zusammenarbeit mit Russland und der GUS.284 So Meþiar bei seiner Programmerklärung 1995: „We want to continue the hitherto policy of bringing Slovakia nearer to European and Transatlantic political security, and economic structures. To intensify this policy, and emphasize our determination is to become a fully-fledged part of these structures. This effort is aimed at the eco281
Im Dezember 2003 trat der ehemalige Verteidigungsminister Šimko mit sieben weiteren Abgeordneten aus der SDKU aus und gründete das „Freie Forum“. Durch diesen Austritt verlor die Regierungskoalition ihre Mehrheit. ANO, eine neu gegründete liberale Partei, kam 2002 ins Parlament und gehörte zur Regierungskoalition, 2006 ist sie schon wieder nicht mehr im Parlament vertreten. 282 Vgl., auch a.a.O., Merkel/Puhle/Croissant/Eicher/Thierry, S. 168 283 So Michal Kováþ, Veronika Lombardini, Miroslav Wlachovsky, Agata Peškova in den Interviews 284 Programmerklärung der Regierung vom 16.1.1995
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III Empirischer Teil: EU nomic space to which we are linked by historical traditions and natural relations… The ultimate priority consists in purposefully approaching the European Union, and becoming a member in the horizon of 2000…The basic security orientation goal of the Slovak Republic consists in becoming a member of NATO and the West European Union.”285
Der im Juni 1995 überreichte Antrag auf Mitgliedschaft in der EU geschah in völliger Übereinstimmung mit diesen erklärten Zielen. In dem Antrag betonte Meþiar wieder die kulturellen und historischen Motive, die Tatsache, dass die Slowakei dieselben Werte vertrete wie die EU-Länder und dass sie den politischen Dialog sehr hoch einschätze. Der von ihm so hoch gelobte politische Dialog wurde eher zu einem Dialog der Gehörlosen, denn auf keine der Empfehlungen, Hinweise, Noten, Démarchen oder Resolutionen (EP) reagierte Meþiar auf der faktischen Ebene – also indem er die geforderten Änderungen vollzog -, sondern nur auf der rhetorischen Ebene, in dem er nach innen seine Nichtbefolgung rechtfertigte. Dazu mehr im Kapitel zur Transnationalen Interaktion. Den Hinweisen der EU zuwider vollzog Meþiar im Laufe des Jahres 1995 etliche Schritte, die den Willen zu einem demokratischen und einem europäischen Weg verstärkt in Frage stellten. Aber nicht nur die innenpolitischen Aktivitäten, auch die außenpolitischen Meþiars waren dazu angetan, Zweifel an der Berechenbarkeit und Verlässlichkeit seiner westlichen Ausrichtung aufkommen zu lassen. Dies kann man an drei Punkten festmachen: 1. die Taubheit gegenüber den Empfehlungen und Warnungen der EG und der USA und die unkooperative Haltung ihnen gegenüber, 2. eine zunehmende Moskauorientierung sowie 3. das offene Artikulieren der neutralen Option durch die Koalitionspartner SNS und ZRS sowie der Option vom „eigenen Weg“ durch die HZDS. Erstens: Die fehlende Bereitschaft, die Kritik der EU und der USA ernst zu nehmen und entsprechend darauf zu reagieren, ließ spätestens nach der zweiten Démarche-Welle im Herbst 1995 vermuten, dass es Probleme bei der Integration in EU und NATO geben könnte. So wurde die Slowakei nicht auf die NATO-Konferenz im Februar 1995 in München eingeladen, wo die Erweiterung mit den potenziellen Kandidaten erörtert werden sollte. Das Signal war eindeutig. Daraufhin begannen vor allem die Repräsentanten der kleinen Koalitionspartner SNS und ZRS offen über Neutralität zu sprechen. Die SNS war ohnehin gegen eine NATO-Mitgliedschaft und für Neutralität. Die ZRS war generell anti-westlich, ebenfalls für Neutralität und zudem gegen einen EU-Beitritt.286 Dieses „flirting with neutrality“ schadete sehr, denn der Westen empfing zunehmend „conflicting signals“.287 Im Mai 1997 wurden die USA von der SNS sogar auf diplomatischem Wege um Garantierung der slowakischen Neutralität gebeten.288 Zwar hatte die Neutralität in dem Regierungsprogramm keinen Platz, „inoffiziell wurde sie jedoch von Spitzenpolitikern der regierenden Dreierkoalition – einschließlich der Vorsitzenden der zwei kleineren Koalitionspartner – in den Jah285
Ebd. Zu dem außenpolitischen Profil der Parteien siehe Mesežnikov, Grigorij, „Domestic Political Developments and the Political Scene in the Slovak Republic“, in: Bútora, Martin/Hunþík, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, Bratislava 1997, S. 11-31, hier: S. 20ff sowie ders., „Domestic Politics“, in: Bútora, Martin/Skladony, Thomas W., (Hrsg.), Slovakia 1996-1997: A Global Report on the State of Society, Bratislava 1998, S. 11-25, hier: S. 19ff 287 Wlachovský, Miroslav, “Foreign Policy”, in: Bútora, Martin/Hunþík, Péter, (Hrsg.), Global Report on Slovakia. Comprehensive Analyses from 1995 and Trends from 1996, Bratislava 1997, S. 33-55, S. 46 288 Der amerikanische Botschafter Ralph Johnson nahm das Gesuch zwar entgegen, äußerte aber, „daß die USA in solchen Fällen keine Sicherheitsgarantien gewähren“. In: Národná obroda, 20.5.1997, zit. n. a.a.O., Samson, 2001, S. 66 286
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
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ren 1995 bis 1997 als die beste Lösung für die Slowakei proklamiert. Die Regierungspartei hat sich von den Neutralitätsdeklarationen ihrer Koalitionspartner nicht distanziert. Dadurch wurde die slowakische Integrationspolitik vage, unberechenbar und intransparent“.289 Zweitens: Die Ambiguität der slowakischen außenpolitischen Orientierung wurde verstärkt durch die Dynamik, die die slowakisch-russischen Beziehungen ab 1995 bekamen, eine Dynamik, die nicht dem Regierungsprogramm entsprach.290 So wurden mehrere Abkommen mit Russland geschlossen, auch über militärische Kooperation sowie ein Abkommen, dass Russland an der Fertigstellung des Atomkraftwerkes Mochovce beteiligte, ein einmaliger Vorgang. Die Slowakei bekam als einziges nicht-postsowjetisches Land einen Beobachterstatus bei dem Surgut-Abkommen über die Förderung russischen Erdöls. Meþiar schlug im Oktober 1995 bei einem Moskau-Besuch die Bildung eines europäischen Sicherheitssystems inklusive Russland vor, im November 1996 verhandelte eine slowakische Regierungsdelegation gar über eine Freihandelszone, die bis Juni 1997 errichtet werden sollte. Kein Visegrád-Nachbar hatte vergleichbar enge Beziehungen zu Russland entwickelt wie die Slowakei. Nach der zunehmenden und zunehmend harschen Kritik von westlicher Seite war Russland zu einer Art Rückversicherung geworden gegen eine potentielle Ablehnung der Integrationsbemühungen der Slowakei. Zugleich wurde die russische Karte auch als Drohung gespielt.291 „Aus diesem Lavieren“, so Samson, „ergibt sich teilweise Orientierungsunsicherheit und teilweise Suche nach einer sicherheitspolitischen Ausrichtung (Ost oder West), stellenweise sogar der direkte Versuch, die europäischen Partner politisch zu erpressen, weil man sich für unentbehrlich hält.“292 Drittens: Ende 1995/Anfang 1996 begann die Regierung, das Bild vom „Slowakischen Weg“ zu benutzen. Oft genug hatte Meþiar zuvor Sätze wie „Wenn der Westen uns nicht will, gehen wir nach Osten“ oder man brauche keine Integration, denn das westliche Modell entspreche nicht den slowakischen Bedürfnissen geäußert. Bei Besuchen in Jugoslawien und Russland äußerte er Ideen wie „Everybody has the right to his own way“ und „If it is different (than in the West) and good – is it bad?”293 Dieser „Slowakische Weg“ hatte zweifelsohne eine Art Alibifunktion, da die eigentlich angestrebte und von der Bevölkerung mehrheitlich gewollte Integration zu scheitern drohte. Andererseits deckten sich Meþiars Machterhaltungsstrategie samt all ihren undemokratischen Merkmalen besser mit der Zusammenarbeit Richtung Osten. Das Flirten mit der Neutralität, die Verstärkung der Bande zu Russland, das Wort vom „Slowakischen Weg“ zusammen mit der innenpolitischen Situation führte die Slowakei weg vom Westen, in eine isolierte Situation. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war das NATO-Referendum, das die Regierung im Mai 1997 ansetzte. Die Fragen waren so suggestiv gestellt, dass sie nur den Eindruck erwecken konnte, es sollte eine Ablehnung provoziert werden.294 Mesežnikov bezeichnete dies als „obvious attempt to shift 289
A.a.O., Samson, 2001, S. 62 Siehe dazu detailliert: Samson, Ivo, Die Slowakei zwischen Annäherung an Moskau und Streben nach Washington, Bericht des BIOst, 2/1997 291 Vgl., a.a.O., Samson, 2001, S. 195, a.a.O., ders., 1997, S. 5 292 Ebd., S. 5 293 Rede zum Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität der Kariþ-Brüder Ende Januar 1996; Interview in der russischen Tageszeitung V.I.P., 14.2.1996. Beides zit. n. a.a.O., Duleba, S. 221 294 1. Sind Sie für den NATO-Beitritt der Slowakei? 2. Sind Sie dafür, dass in der Slowakei atomare Waffen stationiert werden? 3. Sind Sie dafür, dass in der Slowakei fremde Militärbasen errichtet werden? Eigentlich sollte nur die erste Frage gestellt werden. Aber Meþiar ergänzte die beiden anderen. 290
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responsibility to citizens for the looming failure of its own integration efforts“.295 Die Isolation der Slowakei wurde endgültig besiegelt mit dem Ausschluss aus den ersten NATOund EU-Erweiterungsrunden. Der Madrider NATO-Gipfel im Juli 1997 erwähnte die Slowakei noch nicht einmal als hoffnungsvolle Kandidaten der nächsten Runde wie Rumänien und Slowenien. Während also die anderen Visegrád-Staaten die Verhandlungen mit der EU begannen sollten und eine Perspektive für den NATO-Beitritt bekommen hatten, blieb die Slowakei außen vor. Meþiars Integrationspolitik war gescheitert. Nach dem Madrider Gipfel wurde Anti-Amerikanismus Teil der offiziellen Regierungspolitik, die slowakisch-russischen Beziehungen rückten auf zu einer alternativen slowakischen Außenpolitik. Russland unterstützte die Slowakei in ihrer Position. So driftete das Land in fünf Jahren aus einer guten Startposition in der Visegrád-Gruppe, auf dem Weg in EU und NATO innen- wie außenpolitisch in eine östliche Richtung. Sowohl die Kluft zwischen deklaratorischer und faktischer Ebene als auch die zwischen Ziel (Integration) und Ergebnis (Isolation) war selbst mit taktischen Spielzügen und rhetorischer Schönrederei nicht mehr glaubhaft zu kaschieren, weder nach innen noch nach außen. Die Unberechenbarkeit der Slowakei hatte nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Folgen. Die Schwäche im Bereich ausländischer Investitionen war dramatisch: Die Slowakei hatte 1994/1995 das geringste Investitionsvolumen von allen post-kommunistischen Staaten. Die Gründe waren die diskriminierende Privatisierungspraktiken der Regierung, das schlechte Image des Landes im Ausland, die Korruption und die Gleichgültigkeit der Regierung.296 In Bezug auf die außenpolitische Orientierung gab es zwei weitere Akteure: den Staatspräsidenten und die Oppositionsparteien. Präsident Michal Kováþ erwarb sich im Gegensatz zur Regierung das Vertrauen der westlichen Partner, da er offen und unerschrocken die undemokratischen Missstände kritisierte. Kováþ warnte vor Handlungen, die das Land in die Isolation führen würden. Er vermittelte die Kritik, die er in den Gesprächen mit EU-Vertretern, Staats- und Regierungschef zu hören bekam, an die Öffentlichkeit, was der Regierung natürlich sehr zuwider lief. „Ich habe jede Gelegenheit genutzt, im Bericht [zur Lage der Nation] vor dem Parlament der Republik, bei verschiedenen anderen Auftritten und Vorträgen vor der Öffentlichkeit, um über die Risiken dieser Politik zu sprechen und ich habe die Vertreter der HZDS aufgerufen, diese Démarchen ernst zu nehmen. Auch deswegen wurde ich so unbequem und deswegen entstand die Idee, den Präsidenten Kováþ so schnell wie möglich aus dieser Funktion abzuschaffen.“297
Während Meþiar ab 1995 praktisch kaum mehr mit Regierungschefs westlicher Staaten zusammentraf – er bemühte sich zum Beispiel vergebens während seiner Regierungszeit um einen Besuch bei dem deutschen Bundeskanzler Kohl298 - und selbst die Visegrád-Partner es vermieden, mit ihm zusammenzutreffen299, wurde Kováþ nicht nur überall empfangen, er wurde auch offen unterstützt. Kováþ sei „the most articulated spokesperson of true democ295
A.a.O., Mesežnikov, 1998, S. 17 Von 367 Privatisierungen in 1995 gingen nur 5, von 400 in 1996 nur 2 an Ausländer. In allen post-kommunistischen Ländern verdoppelten sich die Direktinvestitionen 1994/1995, nur in der Slowakei gingen sie zurück (von 19,3 auf 17,8 Millionen US-Dollar). Vgl., a.a.O., Mikloš, S. 63, 86 297 Interview Kováþ 298 Kohl stellte zum ersten Mal öffentlich in Frage, dass die Slowakei der EU beitreten könne. Im ORF, 16.7.1996, zit. n. a.a.O., Wlachovsky, S. 52 299 „…before 1998 the Visegrád-cooperation did not exist, because nobody wanted to recognize Meþiar and to meet him.” So Adamiš im Interview. 296
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ratic values“ gewesen, so Demeš, der damalige Leiter der außenpolitischen Abteilung im Präsidialamt.300 Die Opposition, bestehend aus den so genannten Standard-Parteien301, waren allesamt klar pro-europäisch und pro-NATO orientiert. Sie warnten sowohl vor dem Herunterspielen der Kritik der EU und der USA als auch vor der drohenden Isolierung der Slowakei. Beispielhaft sei die Parlamentsdebatte genannt, die der Démarche 1995 vorausging: Peter Weiss (SDL) definierte als das größte Problem der slowakischen Außenpolitik das der Machtausübung. Eduard Kukan (DU) kritisierte die Position der Regierung, die geopolitische Situation sichere automatisch das Interesse der EU an der Slowakei. Ján FigeĐ (KDH), stellte fest, dass der Stil der Regierung nicht mit den außenpolitischen Ambitionen des Landes übereinstimme.302 Insofern gab es allergrößte Übereinstimmung zwischen der Kritik der Opposition und der Kritik der EU andererseits. Die sich abzeichnende Distanzierung von NATO und EU wurde von der Opposition derweil auf zweierlei Weise aufgenommen: Eine Gruppe (vorwiegend DU) wünschte sich den NATO-Beitritt, glaubte aber nicht mehr daran. Eine zweite Gruppe aber hätte es für einen Fehler gehalten, wenn die Slowakei in die NATO aufgenommen worden wäre, da so die anti-demokratische Politik der Regierung in der Weltöffentlichkeit rehabilitiert worden wäre. Da die Opposition in ihrem Land immer daraufhin gewiesen habe, dass eine Nichtaufnahme die logische Folge der mangelhaften Regierungspolitik wäre, hätte die Aufnahme in die NATO diese Strategie Lügen gestraft.303 So war der Ausschluss aus NATO und EU schmerzhaft für die Opposition, die ihre Ziele und die nationalen Interessen des Landes konterkariert sah; andererseits gab es eine Befriedigung über die Abstrafung der Politik Meþiars. „ (…) it was very bad news for Slovakia and especially for all democratic forces in Slovakia in the way that we wanted to become a part of the EU. But also you have to keep the price high for that. (…) And it was good that people saw then, what is the price of it [Europe], that it is not for free.”304 Die politische Elite in der Slowakei war in der Frage der außenpolitischen Orientierung gespalten: pro-europäisch und pro-westlich versus einer diffusen Vorstellung vom eigenen Weg, Isolationismus und Neutralität. Dieser Antagonismus entspricht dem cleavage, das auch die Pro-Reform- von den Anti-Reform-Kräften trennt. Demokratische Stabilität bedarf des Konsenses über die grundlegende Orientierung der internationalen Verortung. Gespaltene oder fragmentierte Eliten müssen um einen Konsens kämpfen und ihn herstellen, damit eine Demokratie Aussicht auf eine nachhaltige Entwicklung hat. Dies betrifft auch und gerade die außenpolitische Orientierung. Daher schlussfolgert Szomolányi vor den 1998er Wahlen: „ (…) the configuration of elites is (…) a crucial factor in the ability of Slovakia eventually to win accession into NATO and the EU. A prerequisite is thus to develop a ‘euro-compatible’, consensually unified national elite”.305 So wie es in der Slowakei unter Meþiar keinen Konsens über die innere Ausrichtung - Demokratie - gab, so fehlte 300
„…practically there was no country in the western World who would not accept him.” Pavol Demeš im Interview. 301 Standard- und Nichtstandard-Parteien sind Begriffe, die der slowakische Wissenschaftler Grigorij Mesežnikov erstmals benutzte, um Parteien danach zu unterscheiden, ob sie den demokratischen Regeln folgen oder nicht. Diese Unterscheidung hat sich seither durchgesetzt. 302 Vgl., a.a.O., Wlachovsky, S. 47 303 Vgl., a.a.O., Samson, 2001, S. 241 304 Interview Wlachovsky 305 A.a.O., Szomolányi, 1997, S. 30
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er auch hinsichtlich der äußeren Ausrichtung. Die Fragmentierung der Elite prädisponierte das Land entweder zu einer konsolidierten Demokratie oder zu Autoritarismus.306 Und man kann ergänzen: entweder zur europäischen Integration oder zur Isolation. Die Bevölkerung war ganz im Gegenteil zu der Regierung eindeutig pro-europäisch eingestellt und wünschte sich einen Beitritt zur EU. Die außenpolitische Orientierung der Bevölkerung hatte sich seit der Unabhängigkeit gefestigt. Das Vertrauen in die EU machte von April 1992 bis Oktober 1993 einen Sprung von zwanzig Prozent und blieb dann relativ konstant auf einem Niveau von etwa 50 Prozent.307 Die Präferenzen für die außenpolitische Orientierung waren eindeutig: 50 Prozent bevorzugten die Integration in EU und NATO308, immerhin 27 Prozent meinten, die Slowakei „should set on its own road of development“, 3 Prozent waren für eine engere Anbindung an Russland und 17 Prozent wussten keine Antwort.309 Differenziert nach Parteipräferenz lässt sich erkennen, dass es überwiegend die Anhänger von SNS, HZDS, erstaunlicherweise auch SDL waren, die einen eigenen Weg befürworten, während die Anhänger der Oppositionsparteien Zustimmungsquoten zu EUund NATO-Beitritt von 72 bis 84 Prozent hatten, doppelt so hoch wie die der oben genannten Parteien.310 Das belegt, dass die Trennlinie zwischen den Anhängern der Regierungsbzw. Oppositionsparteien verlief. Auch in der Meþiar-Zeit setzt sich jene Neigung zur Neutralität aus der tschechoslowakischen Periode fort. Seit 1995 bewegte sich die Unterstützung der neutralen Option bei etwa einem Drittel, auch nach dem Regierungswechsel 1998. Lediglich die Zahl der Neutralitätsgegner stieg seither an (von 30 Prozent in 1995 auf 44 Prozent in 1999). Daraus lässt sich einerseits schließen, dass die Slogans für einen eigenen Weg „found a positive response among a considerable group of respondents“311. Eine weitere Erklärung mag die gewachsene Konfusion in der Bevölkerung gewesen sein auf Grund der „conflicting signals“ von Seiten der Regierung. Andererseits könnte dies auf die weiterhin präsente Attraktivität des österreichischen Modells – EU-Mitglied und neutral – verweisen. Seit seiner Gründung 1997 fragte das IVO nach der Unterstützung für die EU. Die Zustimmung war hoch, dabei relativ konstant um 74 Prozent.312 Zudem lag sie im Vergleich zu den anderen Kandidaten im oberen Bereich: 1997 lag die Slowakei an dritter Stelle hinter Rumänien, das immer die höchsten Werte hat, Polen, Ungarn und Tschechien dagegen auf den hinteren Rängen.313 Nimmt man drei Indikatoren zusammen - das Image der EU, das potentielle Abstimmungsverhalten bei einem Referendum und die Perspektive, wo man sein Land am engsten verbunden sehen möchte -, ergaben sich für die Slowakei 1997 die 306
Vgl., ebd., S. 25 Vgl., Bútorová, Zora/Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, „Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Kollár, Miroslav/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 2000. A Global Report on the State of Society, Bratislava 2001, S. 199233, hier: S. 223f 308 Dadurch dass nach EU und NATO nicht getrennt gefragt wurde, sondern als eine Option, liegt dieser Wert relativ niedrig, denn die Befürwortung der NATO-Integration lag konstant niedriger als die der EU. 309 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1997, S. 276 310 Vgl., ebd. 311 Ebd., S. 279 312 Das Absacken der Zahlen in 1999 lässt sich durch zwei Dinge erklären: Zum einen begannen HZDS und SNS weitaus offener als zu Regierungszeiten die EU-Integration in Frage zu stellen und bewirkten so AntiIntegrationsgefühle unter ihren Anhängern. Zum anderen kommt der Luftangriff gegen den Kosovo dazu, der von der Mehrheit der slowakischen Bevölkerung verurteilt wurde. 313 Bei einem Referendum würden 62% der Slowaken, 56 der Ungarn und 49 der Tschechen mit ja stimmen. Der Durchschnitt der Kandidatenländer liegt bei 60%. Nur die baltischen Staaten haben niedrigere Werte als Tschechien. Vgl., CEEB8, Annex, Abb. 32 307
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
325
zweithöchsten Werte hinter Polen, was einer hohen Gesamtmeinung von der EU entsprach. Dagegen hatten Ungarn ein mittlere und Tschechien eine niedrige Gesamtmeinung.314 Die Bevölkerung war sich jedoch zunehmend der Inkongruenz zwischen ihren eigenen Zielvorstellungen und den Handlungen der Regierung bewusst. Die Kritik der EU wurde ebenso wahrgenommen wie die Reaktion Meþiars darauf – Herunterspielen, aggressives Zurückweisen, Ignorieren der Empfehlungen. Die Bevölkerung empfand zunehmend, dass die faktische Politik sowohl von den erklärten Zielen als auch von den eigenen Wünschen abwich.315 Im Laufe der Regierungszeit Meþiar bekam das Thema der europäischen Integration einen prominenten Platz in der öffentlichen Diskussion. Diese Entwicklung ging mit den innenpolitischen Problemen einher. So beschreibt Bútora, „foreign policy issues became more important also in public perception and people’s mind (…) when the domestic struggle for democracy has become serious.“ In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde der EU-Beitritt zu einem „quite important and frequently discussed factor of the political scene.“316 Das hatte zur Folge, dass die Frage der Integration eine immer größere Rolle spielte in der Innenpolitik, für den demokratischen Wandel und für die Wahlen 1998. Der Regierungswechsel von Meþiar zu Dzurinda bedeutete eine fundamentale Wende der außenpolitischen Orientierung. „After the elections of 1998 the biggest change was made in foreign policy. (…) His [Dzurinda’s] effort to help Slovakia to become a member of EU is one of his top personal priorities. And he would not consider something else a higher priority than this.”317 Die generelle Richtung der neuen Regierung Dzurinda stand unter dem Zeichen des Wechsel, eines prinzipiellen Wechsels, einer nationalen Erneuerung. Zu diesem Wechsel gehörte auch, „breaking of the circle of international isolation“.318 Die Regierung Dzurinda machte in ihrer Programm-Erklärung deutlich, dass sie den Schwerpunkt ihrer Außenpolitik auf den Prozess der Euro-Atlantischen Integration legen wollte.319 „Membership of the European Union is a strategic aim and one of the most important political and economic priorities of the Slovak Republic.” Im Bereich der Sicherheitspolitik erklärte Dzurinda als strategisches Ziel die NATO-Mitgliedschaft „in the shortest time possible“. Abgesehen von diesen im Prinzip kaum überraschenden Erklärungen bezüglich der außenpolitischen Ziele, fanden sich noch zwei interessante Aussagen: Zum einen stellte Dzurinda allen konkreten Zielvorgaben voran die Entschlossenheit, „to achieve the unity and interconnections between domestic and foreign policy“. Damit sprach der Premier die grundsätzliche Fehleinschätzung Meþiars an, der diese Einheitlichkeit und wechselseitige Verbindung innen- und außenpolitischer Handlungen nicht verstanden hatte oder nicht ak314
Vgl., CEEB8, Tab. 1 Dies wird in III. 3.5.3 (Transnationale Internation) weiter ausgeführt, wo es um die Reaktion der Bevölkerung auf die EU-Politik geht. 316 Interview Martin Bútora. In diesem Sinne auch Mesežnikov, Grigorij, „How Political Actors View European Integration in Slovakia“, in: Bajomi-Lazar, Peter/Hegedus, Istvan, Media and Politics, Budapest 2001, hier zitiert nach der Internetversion vom 27.7.2001, S. 1 317 Interview Frantižek Šebej 318 Dzurinda, Mikulaš, Program Declarations of the Government of the Slovak Republic, 25.11.1998, Abschnitt I. Preface, in: www.government.gov.sk/VLADA_1998/PROG_VYHL 319 Ebd., Abschnitt IV.4.D. Foreign Policy in: www.government.gov.sk/ VLADA_1998/ PROG_ VYHL/ en_programove_vyhlasenie. Dieses Ziel blieb auch nach der Wahl von 2002: „The Government is determined and prepared to take decisive steps – in co-operation with all citizens – that will definitively bring Slovakia to the community of European democracies and make it a member of the EU and NATO.” Policy Statement of the Government of the Slovak Republic vom 9.12.2002, Abschnitt Foreign Policy in: www.vlada.gov.sk/ dokumenty/ programove_vyhlasenie _vlady-20021104 _eng.rtf 315
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zeptieren wollte. Auch die andere Aussage spielte auf einen Kardinalfehler der Meþiarpolitik an, nämlich das Versagen Meþiars, eine Identität der Eigenstaatlichkeit zu fördern. Dzurinda indes wies auf die Wechselwirkung zwischen der Konstruktion einer eigenstaatlichen Identität und der Glaubwürdigkeit auf der internationalen Szene hin. Als konkrete Schritte kündigte Dzurinda die Erfüllung der politischen Kriterien an, die Intensivierung der Beitrittsvorbereitungen (Pre-Accession-Partnership), die transparentere Handhabung der PHARE-Programme und den Dialog mit der EU. Auch mit der NATO sollte der Dialog intensiviert werden. Die sehr optimistische Vorstellung der Regierung Dzurinda war, bereits auf dem Gipfel von Wien im Dezember 1998 eine Zulassung zu Beitrittsverhandlungen mit der EU zu bekommen.320 Dies wurde sogar Thema im Wahlkampf, indem von den Oppositionsparteien die Perspektive präsentiert wurde, dass bei ihrem Sieg bereits in Wien die Einladung der EU käme.321 Ähnliches hoffte man auch von der NATO auf dem Washingtoner Gipfel im April 1999. Insgesamt musste die Regierung einsehen, dass der „catching up“-Prozess schwieriger werden würde, als zunächst eingeschätzt. Die Atmosphäre für eine Erweiterung war einfach nicht mehr so günstig wie zwischen 1993 und 1997. Realistischere Ziele wurden ins Visier genommen: Der Helsinki-Gipfel im Dezember 1999, um zu den EU-Beitrittsverhandlungen zugelassen zu werden, und der Prag-Gipfel 2002 für die nächstmögliche Einladung in die NATO. Die Herausforderung, die für die Regierung daraus folgte, war eine dreifache: Zum einen den außenpolitischen Wandels glaubhaft zu machen, das internationale Ansehen zurück zu gewinnen, die Slowakei aus ihrer Isolation heraus zu holen. Zum anderen galt es, die tatsächliche Arbeit zu tun, das hieß, innerhalb eines Jahres den enormen Rückstand aufzuholen. Grundlegend aber war, drittens, der innenpolitische Wandel, der den Willen zu demokratischen Regeln und Verfahren beweisen musste. Was das internationale Ansehen anging, so startete Dzurinda eine diplomatische Offensive, bei der er mit den Vertretern der EU-Organe und der NATO sowie mit seinen Homologen der Mitgliedsländer zusammentraf. Dies wurde ergänzt durch die Aktivitäten von Außenminister Kukan und dessen für Europa zuständigen Staatssekretär Ján FigeĐ. Eine effiziente Mannschaft für den Aufholprozess, überhaupt professionelles Personal für den diplomatischen Bereich zusammenzustellen, war eine der Nebenaufgaben der neuen Regierung. Auch inhaltlich musste eine neue Grundlage geschaffen werden, hatte doch die EUKommission das National Program for Adaption of the Acquis Communautaire (NPAA), das die Regierung Meþiar im März 1998 vorgelegt hatte, kritisiert.322 Im Februar 1999 legte der für Europa zuständige Vize-Premier, Pavol Hamžík, einen Action Plan vor, im Mai hatte die Regierung bereits ein neues National Program ausgearbeitet. Mit der Rückkehr auf den Integrationsweg ging die Revitalisierung der Visegrád-Kooperation einher, die unter Meþiar brach gelegen hatte. Bei dem ersten Treffen im Mai 1999 wurden erste konkrete Schritte vereinbart, auch ein institutioneller Rahmen für die weitere Zusammenarbeit. Nachdem der Gipfel von Helsinki entschieden hatte, Verhandlungen mit der zweiten Gruppe, also auch mit der Slowakei aufzunehmen, stand der nächste „catching-up“-Prozess an: den Rückstand auf die Visegrád-Länder, die bereits zwei Jahre zuvor, im März 1998 die 320
Vgl., hierzu Marušiak, Juraj/Alner/Juraj/Lukaþ, Pavol/Chmel, Rudolf/Samson, Ivo/Duleba, Alexander, “The Foreign Policy and National Security of the Slovak Republic”, in: Mesežnikov, Grigorij/Ivantyþyn, Ivan/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 1998-1999. A Global Report on the State of Society, S. 167-197, S. 173ff 321 Interview Peškova 322 So wurde die unausgewogene Qualität, der unrealistische Zeitplan und das nicht ausreichende Budget kritisiert. Vor allem aber hätten die Verfasser den acquis in seinem Ausmaß nicht erfasst. Vgl., a.a.O., Marušiak et.al, S. 181
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327
Beitrittsverhandlungen begonnen hatten. Anfang 2000 konstatierte Außenminister Kukan: „… our entry into the EU together with our three neighbours – Visegrád- partners – is our strategic policy objective, and Slovakia is ready to do everything within its powers to achieve it.”323 Diese Entschlossenheit setzte sich um in einen ungeheuren Kraftakt des Verhandlungsteams unter der Leitung von Ján FigeĐ, in einen umfangreichen Anpassungsprozess, bei dem mehr als fünf hundert Gesetze in vier Jahren verabschiedet wurden und einschneidende, oft unpopuläre Reformmaßnahmen (z.B. Sozialsystem) vorgenommen wurden. Die Ziele des Verhandlungsteams waren ehrgeizig: Von den 29 zu verhandelnden Kapiteln wollte man die eine Hälfte in 2000, die andere in 2001 öffnen, um so 2002 vor dem Kopenhagen-Gipfel die Verhandlungen abschließen zu können.324 Die Kommission war eher skeptisch, was die Verhandler möglicherweise besonders anspornte325. Tatsächlich erreichte die Slowakei ihr Ziel, und bereits auf dem Gipfel von Göteborg im Juni 2002 war klar, dass die Slowakei die Verhandlungen rechtzeitig abschließen würde. Während der Amtszeit von 1998 bis 2002 wurde die diffuse und ambigue außenpolitische Orientierung Meþiars durch eine klare pro-europäische und pro-westliche Linie ersetzt, die internationale Isolation durchbrochen und die Zusage zum EU-Beitritt erreicht. Die größte Oppositionspartei HZDS gab sich zwar Mühe, ihr Image mit einen proeuropäischen Anstrich aufzupolieren, aber im In- wie Ausland wurde dies eher für Kosmetik gehalten. Auch die neu gründete Partei Smer war kein sicheres Glied in der Integrationsphalanx. Sie unterstützt zwar den EU-Beitritt, zur NATO gab es solch eine klare Aussage nicht.326 Erst nach der Wahl 2002 konnte sich der außenpolitische Konsens verbreitern und die endgültige Gewissheit über die Irreversibilität der internationalen Verortung festigen. Die erneute Abstrafung der HZDS, das Verschwinden der nationalistischen Kräfte SNS und ZRS aus dem Parlament, der Verweis der Smer auf die Oppositionsbank stärkte das prowestliche Lager. Die Kommunisten (KSS), seit 2002 im Parlament vertreten, sind zwar EUskeptisch und Anti-NATO, haben aber ebenso wie die HZDS kein Koalitionspotential. Bei den nicht im Parlament vertretenen Partei ergab sich ein ähnliches Bild: zwei Parteien mit klar pro-europäischem Profil sowie zwei anti-westliche nationalistische Parteien ohne Koalitionspotential. Dazu kam die Gewissheit und Irreversibilität der Beitritte in EU und NATO. Konnte man in der Mitte der ersten Legislatur Dzurinda noch ein rissiges Fundament der pro-westlichen Orientierung erkennen, gegründet auf der „Unausgereiftheit der politischen Szene“, ergab sich durch die Kontinuität des integrationspolitisch erfolgreichen Gespanns Dzurinda-Kukan-FigeĐ das Bild „Erwartungsverlässlichkeit“.327 Das Wahlergebnis von 2002 war „the confirmation of 1998 in the meaning that 1998 was not a (…) short-time
323
Kukan, Eduard, „Slovakia and its Integration into the EU and NATO”, in: Slovak Foreign Policy Affairs, 1/2000, S. 6-16, hier: S. 9 324 Vgl., Interview Adamiš 325 Chefverhandler FigeĐ und Generaldirektor Adamiš berichteten in den Interviews von ihrer Enttäuschung, als Kommissionspräsident Prodi und auch Kommissar Verheugen ihre Skepsis äußerten. Sie meinten, die Slowakei könne in 2000 vielleicht 5 oder 6 Kapitel öffnen. 326 „Der Beitritt zur EU ist ein nationalstaatliches Interesse. Ein sofortiger Beitritt zur NATO ist kein nationalstaatliches Interesse.“ in: Sme, 23.2.200, zit. n. Lange, Kai-Olaf, „Slowakei: Rissiges Fundament der Orientierung auf NATO und EU“, BIOst, Aktuelle Analysen, Nr. 23/2000, 4.4.2000, S. 1-6, hier: S. 4 327 Vgl., Lange, Kai-Olaf, „Die Slowakei hat das Tor zur EU und NATO weit aufgestoßen“, www. swp-berlin.org/ produkte/ brennpunkte/ wahlslowakei1.htm, 24.9.2002, S. 5
328
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enlightment of society, but the election was the refusal of autocratic policies, isolation of Slovakia, self-isolation of the country.”328 Die Bevölkerung anerkannte die Leistungen der Regierung Dzurinda im außenpolitischen Bereich (von 57 Prozent als positiv eingeschätzt). Außenpolitik war 1999 und 2000 sogar der Politikbereich, der am besten bewertet wurde.329 Die sehr positive Einschätzung des internationalen Status blieb auch in den folgenden Jahren.330 Mit der konkreten, nahenden Mitgliedschaftsperspektive begannen die Bürger, die möglichen Nachteile stärker wahrzunehmen (Preiserhöhungen, Probleme im Agrarbereich). Ein großer Teil der Bevölkerung rechnet mit einer Verschlechterung der Situation. Andererseits verschwanden solche vorher für nachteilig empfundenen Aspekte wie „Verlieren der nationalen Identität“ oder „dem Diktat Brüssels unterworfen zu werden“ völlig.331 Das Candidate Country Eurobarometer (CCEB) bestätigt Ängste wie Ansteigen der Kriminalität, Beitrittskosten und Probleme für die Bauern. Allerdings fand sich dort seit Winter 1999 eine konstant hohe Quote derjenigen, die den Nutzen recht hoch einschätzen.332 Vor den Wahlen 2002 versprachen sich rund zwei Drittel der Bürger eine positive Wirkung der Wahlen auf die Integration in die EU, auf die Chance, der NATO beizutreten, auf die internationale Position des Landes - so viel wie in keinem anderen Politikbereich.333 Die Interviewpartner unterstrichen die hohe Bedeutung, die das Thema Europa auch für die Wahlen 2002 hatte.334 Zwar ging es 2002 nicht mehr um die Frage Europa oder nicht, sondern „… the question was what would be the composition of the government, whether the new government really will continue this pro-integration, pro-european, pro-reform course.”335, also ,,Wer führt uns dahin, wer ist am kompetentesten?”336 Diese Frage musste auch bei der Wahlentscheidung eines signifikanten Bevölkerungsteils ausschlaggebend gewesen sein, denn die Regierung Dzurinda hatte inzwischen auf Grund der schmerzhaften Reformmaßnahmen Popularität verloren, die Umfrageergebnisse für die Regierungspartei SDKU, deren Potential normalerweise zwischen 10 und 15 Prozent lag, war unter zehn abgerutscht. Daher, so meint Adamiš, „the people recognized in the very end where the future is and therefore they changed their mind and elected that government which took Slovakia to the international scene.“337 Nach Lizak hat man die „Beobachtungskraft und das Fingerspitzengefühl der Leute unterschätzt und nicht in Betracht gezogen, dass sie doch die Leis-
328
Interview Jan FigeĐ Vgl., a.a.O., Bútorová/Gyárfašová/Velþic, 2001, S. 202, 223 Sie rangiert an zweithöchster Stelle nach dem Status der ungarischen Minderheit. Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, „Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Kollár, Miroslav/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 2001. A Global Report on the State of Society, Bratislava 2002, S. 201-231, S. 203; Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, „Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Kollár, Miroslav/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 2002. A Global Report on the State of Society, Bratislava 2003, S. 219-247, S. 223 331 Ein Drittel glaubte 2002, es ändere sich nichts mit dem Beitritt, 48% glaubten an eine Verschlechterung, nur 7,2 an eine Verbesserung. Vgl., a.a.O., Gyárfašová/Velþic, 2003, S. 234 332 Hier handelt es sich möglicherweise um einen ähnlichen bias wie bei Spanien auch festgestellt; dass man nach außen hin ein weniger schlechtes Bild vermitteln möchte. Seit Winter 1999 liegen die Antworten auf „Slovkia would benefit“ immer über 60%, oft noch höher. Vgl., CCEB 2003.4, S. 102, Fig. 3.3p. 333 Vgl., a.a.O., Gyárfašová/Velþic, 2003, S. 242 334 So auch Lizak, Peškova, Spengler im Interview 335 Interview Grigorij MeseĨnikov 336 Interview Spengler 337 Interview Adamiš 329 330
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
329
tung des Staates spürten, trotz dass die Reformen schwierig waren.“338 Chefverhandler Ján FigeĐ bringt den Vergleich der Wahlen 1998 und 2002 auf den Punkt: „It was not as cristalized as in 98, but a majority of the young population connected the election of 2002 with the EU future for Slovakia. …we can say, accession to the Union, definite accession to the Union, played a role in the outcome.” (…) “..in 1998, it was de facto historical because it returned the country to the European road. And 2002 was de jure historical, because it confirmed that we belonged to EU and NATO.”339
Wenige Monate nach dem Beitritt beurteilten 57% der Slowaken die Mitgliedschaft als eine gute Sache und standen damit vor den anderen Visegrád-Ländern.340 Auch bei der Abschätzung der Vorteile der Mitgliedschaft lag die Slowakei vorne und bis heute ist die Zahl zudem deutlich gestiegen – von 62 auf 70%.341 Die Bevölkerung unterstützt zudem die Projekte der EU auf den verschiedenen Feldern: 88% sind für die ESVP, 73% für die GASP, 72% für eine Politische Union, 64% für die Verfassung, 67% für künftige Erweiterungen und 60% für den Euro.342 Zwei Daten deuteten auf einen grundsätzlichen Einstellungswandel der Bevölkerung hin: Zum einen unterstützten interessanterweise mehr Slowaken den Beitritt Tschechien als umgekehrt (92:77 Prozent). Und zum anderen ist die Slowakei das Land unter den neuen Mitgliedern, das seine Identität am wenigsten national definiert, dafür einen hohen Wert aufweist für eine national und europäisch definierte Identität (siehe Abb. 19). Bei dem Referendum zum EU-Beitritt konnte die Slowakei eine beachtenswert hohe Zustimmung von 92 Prozent verzeichnen, die höchste unter den Visegrád-Vier.343 Damit haben die Slowaken, zehn Jahre nach der Trennung und fünf Jahre nach Meþiar, jenes Identifikationsmuster abgelegt, mit dem Identität in erster Linie gegen äußere Feinde – die Nachbarn, der Westen – definiert wurde. Ein Muster, das Meþiar gefördert und instrumentalisiert hat, von der Mehrheit der Menschen aber nicht gutgeheißen wurde. Abbildung 19:
Identitäten in Ostmitteleuropa Europäische. Identität
Slowakei
5%
Europäische. u. nationale Identität 55%
Polen
5%
61%
32%
Tschechien
4%
47%
40%
Ungarn
1%
47%
51%
Nationale Identität 29%
eigene Zusammenstellung nach CCEB 2003.4, S. 72 338
Interview Peter Lizak Interview Ján FigeĐ Polen: 50%, Tschechien: 49%, Ungarn: 42%. Vgl., Eurobarometer 62 (Erste Ergebnisse), Seite 8 341 Vgl., Eurobarometer 65 (Erste Ergebnisse), S. 14 342 Vgl., Eurobarometer 65 (Full Report), S. 102ff, S. 122ff und 133ff. Die Werte bei ESVP, Euro und Politischer Union liegen sogar vor denen der Višegrad-Nachbarn. 343 Polen und Tschechien hatten 77, Ungarn 82 Prozent. 339 340
330
III Empirischer Teil: EU
In Bezug auf die sicherheitspolitische Ausrichtung war die Haltung der Bevölkerung nicht so eindeutig. Die Unterstützung der Neutralität blieb auch in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konstant bei etwa einem Drittel.344 Im Gegensatz zur EU war das Vertrauen in die NATO konstant relativ niedrig. 1997, also vor einige Monate vor dem NATO-Referendum gefragt gaben 39 Prozent an, sie würden mit „ja“ stimmen. Image-Tiefs hatte die NATO sowohl während des Kosovo-Krieges345 als auch auf Grund des Irak-Krieges. 346 Abbildung 20:
Vertrauen in EU und NATO
Vertrauen in %
1/92
3/93
5/94
10/97
1/99
7/99
2/00
12/00
EU:NATO
41:26
47:29
47:38
53:42
48:36
44:28
54:35
67:46
aus: Gyárfášová, OĐga, “Slovensko a svet”, 2001, S. 200 Unterstützung in %
10/97
4/98
6/99
EU:NATO
74:52
79:58
66:53
8/00
4/01
10/02
10/03
72:39
74:48
74:52
77:51
347
eigene Zusammenstellung der Zahlen von ivo
Insgesamt kann man sagen, dass die Slowaken sich eindeutig europäisch-westlich verorten. Die Ablehnung eines politischen oder militärischen Bündnisses zu Russland war seit der Meþiar-Zeit sehr hoch (drei Viertel).348 Meþiar konnte zwar die anti-reformerischen, westlich-skeptischen Gefühlslagen bestimmter Bevölkerungsteile für eine negative Identitätsbildung und zu seinen innenpolitischen Machterhaltungsstrategien instrumentalisieren. Nach der Unabhängigkeit wurde der „Slowakische Weg“ so zu einem Identifikationsangebot für jene Segmente, die einer neutralen Option zusprachen, die externe Einflüsse – ob aus Russland oder aus dem Westen eher scheuten – und die zudem leicht für nationalistische Gebärden gegen die ungarische Minderheit zu haben waren. Andererseits war die Unterstützung für eine EU-Integration konstant hoch und ging quer durch alle Segmente. Meþiar konnte mit seiner Politik weder das Europabewusstsein der Bürger schwächen noch durch eine rein nach innen gerichtete Perspektive ersetzen. Die Kritik der EU und der Ausschluss 1997 machte den Bürgern die Alternativen klar: Europa versus Isolation.
344
A.a.O., Gyárfášová, “Slovensko a svet”, S. 209, a.a.O., Bútorová/Gyárfašová/Velþic, 1999, S. 155 Zwar schrieben 68 Prozent der Slowaken Präsident Miloševiþ die Verantwortung für die Vertreibung der Kosovo-Albaner zu, dennoch waren 65 Prozent der Slowaken gegen die Luftangriffe der NATO. Vgl., a.a.O., Bútorová/Gyárfašová/Velþic, 1999, S. 155f 346 Die slowakische Bevölkerung war mehrheitlich gegen eine Militärattacke gegen den Irak. Vgl., Gyárfašová/Velþic, 2003, S. 235 347 A.a.O., Gyárfašová/Velþic, 2003, S. 233, 235 und Bútorová, Zora/Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, „Public Opiunion“, in: Mesežnikov, Grigorij/Kollár, Miroslav, (Hrsg.), Slovakia 2003. Global Report on the State of Society, Bratislava 2004, S. 185-219, hier: S. 208 348 Vgl., Bútorova, Zora/Bútora, Martin, “Slovakia and the World”, in: Bútorová, Zora, (Hrsg.), Democracy and Discontent in Slovakia: A Public Opinion Profile of a Country in Transition, Bratislava 1998, S. 175-191, hier: S. 184 345
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Bei der Parlamentswahl von 1998 standen daher die Optionen Illiberalität und Isolationismus auf der einen Seite und Demokratie und Europa auf der anderen Seite zur Abstimmung. Bei den Wahlen von 2002 ging es nicht mehr um die Frage der Demokratie, wohl aber um die Frage, wer am besten geeignet sein würde, das Land in der gebotenen Schnelligkeit in die EU und auch in die NATO zu führen, so dass die Integration „did play an important role in influencing voters’ choices“.349 Längst sehen sich die Slowaken dort fest verortet, wo ihre Reise begonnen hatte: in Europa und in der Visegrád-Gruppe, zu der die positive Einstellung deutlich zugenommen hat. Die Zustimmung zur außenpolitischen Linie der Regierung Dzurinda war unverändert hoch trotz sehr kritischer Bewertung anderer Politiken. 2003 bekamen die Leistungen der Regierung auf dem Gebiet der Integrations- und Außenpolitik die besten Bewertungen, und die internationale Position des Landes kommt ebenfalls im Vergleich zu allen anderen Aspekten am besten weg: über die Hälfte der Bürger halten sie für gut – im Vergleich: von der wirtschaftlichen Situation sagen dies nur sechs Prozent.350 Auch in Bezug auf die Förderung einer nationalen Identität slowakischer Eigenstaatlichkeit stellt die Zeit ab 1998 einen Fortschritt dar. Die national-traditionalistischen Segmente der Gesellschaft waren weiterhin vorhanden, aber abnehmend. Die Wahlergebnisse der nationalistischen Parteien deuteten daraufhin, dass sich mit aggressiven nationalen Gefühlen keine Wähler mehr mobilisieren ließen. Die Tatsache, dass die Ungarische Koalition seit 1998 in der Regierung vertreten war, dass sofort nach 1998 die Verstöße gegen die Rechte der ungarischen Bevölkerung rückgängig gemacht wurden, trug zur Entspannung der gegenseitig aufgeladenen Situation bei. Die konsequente Politik der Annäherung an die EU verband sich mit der Vermittlung der Idee, dass der EU-Beitritt dem nationalen Interesse entspricht.351 Der von Meþiar ab 1994 gebrochene Elitenkonsens352 in Bezug auf die euro-atlanische Integration brauchte eine Legislatur, um sich zu verbreitern und festigen. Zwischen 1994 und 1998 befand sich die Slowakei noch auf einem „brüchigen Transformationspfad: Innenpolitische Stabilisierungsresultate sind weiterhin reversibel, die außenpolitische Orientierung basiert nicht auf einem lagerübergreifenden Elitenkonsens.“353. Spätestens seit 2002 gibt es eine weitgehende Konsonanz der Parteien in Bezug auf die europäische Verortung ein deutlicher Unterschied zur Meþiar-Zeit. Die Europapolitik war zwar bereits vorher schon kein Gegenstand von parteipolitischem Streit, im Wahlkampf aber wurden bestimmte Ergebnisse der Verhandlungen von Robert Fico unter wahltaktischen Gesichtspunkten angegriffen. Im Gegensatz zur Meþiar-Zeit und auch bei einigen Parteien noch zwischen 1998 349
Korba, Matúš, „Foreign Policy“, in: Mesežnikov, Grigorij/Gyárfášová, Oága/ Kolláar, Miroslav/ Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovak Elections 2002, Bratislava 2003, S. 233-245, hier: S. 238 350 Velšic, Marian, „100 Days of Mikuláš Dzurinda’s Government in the Mirror of Public Opinion“, in: Mesežnikov, Grigorij, (Hrsg.), Slovakia after the Elections. Public Opinion, Political Players, Media, Bratislava 2003, S. 9-21, hier: S. 11, 15 351 Präsident Rudolf Schuster ist sogar so weit gegangen in seiner Augurationsrede zu sagen, „I view as unrealistic the policy of Slovak neutrality“ Schuster, Rudolf, Speech of the Slovak President on the Occasion of Inauguration, 15. Juni 1999, www.government.gov.sk/ temy/ INAUGURACIA/ en_prejav_schuster_1.shtml 352 In diesem fehlenden Konsens über die außenpolitische Orientierung hatte sich die Slowakei zwischen 1994 und 1998 von ihren Visegrád-Nachbarn unterschieden. Sowohl der Regierungswechsel 1994 in Ungarn, als der Reformsozialist Gyula Horn die Regierung übernahm, als auch der in Polen 1995, bei dem ehemalige kommunistische Funktionäre die Ämter des Ministerpräsidenten (Józef Oleksy) bzw. Staatspräsidenten (Aleksander KwaĞniewski) übernahmen, modifizierten nicht die grundsätzliche außenpolitische Orientierung. 353 A.a.O., Lange, 2000, S. 6
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und 2002 hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass taktische Spielchen mit dem Thema EUIntegration von der Bevölkerung nicht goutiert werden. Zwar wurden der Irak-Krieg und die Politik der Slowakei in diesem Zusammenhang kontrovers diskutiert, aber an der grundsätzlichen Ausrichtung des Landes veränderte dies nichts. Damit kann man sagen, dass über die internationale Verortung ein mainstream-Elitenkonsens herrscht. Waren in der Meþiar-Zeit nationale Interessen antithetisch zur europäischen Interessen erklärt worden, so werden spätestens seit 2002 nationale und europäische Interessen und Ziele überwiegend als konvergent perzipiert. Externer Kontext: demokratie- und integrationsfreundlich Betrachtet man die Zeitspanne zwischen 1993 und 2004, dann kann man pauschal sagen, dass sich einerseits das allgemeinpolitische externe Umfeld veränderte und andererseits die Haltung der externen Akteure von noch größerer Dynamik gekennzeichnet war. Der internationale Hintergrund, der nach den Ende des Ost-West-Konfliktes zunächst mit einigen Unsicherheiten belegt war, begann sich ab Mitte der 1990er Jahre in einigen Aspekten zu festigen, vor allem, was das für die post-kommunistischen Länder essenzielle Verhältnis zu Russland und ihr gleichzeitiger Wunsch eines NATO-Beitritts anging. Nach der Phase von Fragmentierungsprozessen und der Ungewissheit über die künftige Rolle Russlands setzte ab 1993/94 ein Prozess neuer Integrationsbewegungen ein. Sowohl NATO als auch EU begannen sich 1993/94 dem Beitritt dieser Länder zu öffnen. Damit hatten diese endlich die konkrete Beitrittsperspektive vor sich. Die NATO schuf Partnership for Peace (PFP) als eine Form, den ehemaligen Satellitenstaaten eine Sicherheitsperspektive zu eröffnen. Die Einwände Russlands konnten dann in der NATORussland-Grundakte vom Mai 1997 entkräftet werden, indem die NATO klarstellte, dass sie keine Bedrohung für Russland darstellt und versicherte, keine Atomwaffen in den neuen Mitgliedern zu stationieren. So war die grundsätzliche Möglichkeit einer Erweiterung geschaffen. Nach der generellen Beitrittsperspektive, die NATO und EU 1993/94 gegeben hatten, machten sie sie 1997 konkret. Der Krieg im Kosovo spaltete die öffentliche Meinung, auch in der Slowakei. Für die Regierung Dzurinda war dies eine Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit der Kursänderung nach Meþiar unter Beweis zu stellen. Sie ergriff die Partei der NATO und räumt ihr Überflugrechte ein.354 Ähnlich verhielt es sich während des Krieges der USA und ihren Verbündeten gegen den Irak. Die Slowakei beteiligte sich mit einem gemeinsamen tschechischslowakischen Bataillon bei der militärischen Sicherung in der von Polen verwalteten Zone. Die USA gaben der Slowakei dafür eine Zahlungszusage von sechs Millionen Dollar. Die eher positiven politischen Rahmenbedingungen im externen Umfeld seit 1993/94 für die Unterstützung der demokratischen und wirtschaftlichen Entwicklung der postkommunistischen Länder durch den Westen stellten sich für die Slowakei gegenläufig dar. Dies gilt insbesondere im Vergleich mit den anderen drei Visegrád-Staaten, deren Aufnahme in die internationale Staatengemeinschaft voranschritt, während die Slowakei sich zunehmend isolierte. Auch die Beziehungen zum Nachbarn Ungarn verbessern sich kaum trotz des slowakisch-ungarischen Grundlagenvertrages, der 1995 endlich abgeschlossen 354
UN-Generalsekretär Annan ernennt Außenminister Kukan neben Carl Bildt zum Sonderbeauftragten für den Kosovo. Dies stellt eine gewisse Anerkennung der slowakischen Handlungsweise dar.
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wird. Insgesamt verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen zu den europäischen Staaten und den USA auf Grund der innenpolitischen Lage in der Slowakei, aber auch wegen des undiplomatischen, nicht belehrbaren und unberechenbaren Verhaltens von Ministerpräsident Meþiar. Eine Ausnahme bildete lediglich Russland, für das die Slowakei zwar einerseits nur ein „kleiner Fisch“ war, das sich andererseits nicht die Gelegenheit entgehen ließ, das Land in seiner Abwendung von der NATO zu unterstützen. Der russische Botschafter in der Slowakei, Jastržembskij, spielte dabei eine wichtige Rolle. 1996, inzwischen Sprecher des russischen Präsidenten, wies derselbe Jastržembskij die Kritik in der Rede des amerikanischen Botschafters Johnson zurück, in der er die Regierungspolitik als unvereinbar mit dem demokratischen Geist bezeichnete und darauf hinwie, dass die Slowakei so kein Mitglied der transatlantischen Gemeinschaft werden könne. Jastržembskij bezeichnete die Rede als „open pressure and unprecedented intervention into interior matters“.355 Er äußerte Verständnis für die „spezifischen Merkmale des jungen Landes“, seiner Geschichte und Mentalität und verteidigte die Slowakei, die die Dinge nicht undemokratisch, sondern „nur anders“ mache und das Recht dazu habe. Die Beziehungen, die die Slowakei zu Russland unterhielt, waren die intensivsten und besten unter allen post-kommunistischen Staaten (s. Kap. 3.5.1), was wiederum die Haltung des Westens beeinflusste. Insgesamt erhöhte sich die Kritik an und auch Druck auf die slowakische Regierung von Seiten der internationalen Organisationen. Das Umfeld stellte einen stark demokratieförderlichen Faktor dar. Das Interesse an der Stabilisierung der Region war groß - von westlicher Seite ohnehin, aber auch Russland, die GUS hatte kein Interesse an einem destabilisierten Nachbarn. Die Tatsache, dass die Slowakei aus der Demokratie und Westintegration anstrebenden Gruppe ausscherte, lief dem allgemeinpolitischen Demokratisierungstrend zuwider. Wirtschaftlich war die Phase bis 1998 ebenfalls sehr günstig für die postkommunistischen Länder. Die wirtschaftliche Umstrukturierung fiel in eine weltweite Wachstumsphase. War der Lebensstandard Anfang bis Mitte der 1990er deutlich zurückgegangen, so setzte ab 1996 mit der Steigerung der Wachstumsraten eine Steigerung des Lebensstandards ein. 1996 stellte eine Art „Wendemarke“ dar, der Tiefpunkt war überwunden. 1998 brach allerdings die Phase weltwirtschaftlichen Wachstums jäh ab durch die Währungs- und Finanzkrise in Ostasien. Damit waren auch die Erholungstendenzen in Ostmitteleuropa und Osteuropa unterbrochen. Für ausländische Investoren wurden die Transformationsländer, nachdem sie eine gewisse politische Stabilität aufwiesen, eine zunehmend interessante Region. Für die Slowakei ist der Außenhandel ein tragender Faktor für die Wirtschaft.356 1994 belebte sich beides: die wirtschaftliche Situation stabilisierte sich, die Exporte wurden gesteigert. Auch 1995 profitierte die slowakische Wirtschaft von der internationalen Konjunktur. Die ersten beiden Jahre nach der Teilung waren gekennzeichnet von einer dynamischen Entwicklung des Außenhandels. Dies schlug aber bereits ab 1996 wieder um: Das negative 355
Vgl., a.a.O., Duleba, S. 221 Siehe hierzu: Komínková, Zora/Makúch, Jozef, „Die Wirtschaftsentwicklung in der Slowakei“, in: Hans Süssmuth, (Hrsg.), Transformationsprozesse in den Staaten Ostmitteleuropas 1989 – 1995, Baden-Baden 1998, S. 340378; Mikloš, Ivan/ŽitĖanaský, Eduard, „Economy“, in: a.a.O., Bútora/Hunþík 1997, S. 87-103; Jurzyca, Eugen/Jakoby, Marek/Pažitný, Peter/, ŽitĖanaský, Eduard/Reptová, OĐga/Polonec, Igor, „The Economy of the Slovak Republic“, in: a.a.O., Mesežnikov/Ivantyþyn/Nicholson 1999, S. 197-233
356
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Außenhandelsdefizit stieg von 1996 bis 1998.357 Der interessanteste Indikator für Kredit-, aber auch Glaubwürdigkeit eines Landes sind die ausländischen Investitionen. Diese waren, so stellten slowakische Wirtschaftswissenschaftler für die Jahre 1994 und 1995 bereits als „inadequate both in terms of what is needed and in comparison with the other Visegrád Four countries where the inflow of foreign investment reached multiples”358. Die Direktinvestitionen wuchsen zwischen 1994 und 1998 nur sehr moderat. Der Haupthinderungsgrund für eine stärkere Investitionstätigkeit stellte das schlechte Image des Landes dar. Die Slowakei bekam die Folgen ihrer unberechenbaren und uneindeutigen Ausrichtung zu spüren. Sowohl die privatwirtschaftlichen als auch die staatlichen Investitionen waren extrem gering im Vergleich zu den Visegrád-Nachbarn. Das fehlende Vertrauen in die Regierung Meþiar und die politisch instabilen und intransparenten Verhältnisse im Land hatte konkrete Folgen für Handel, Investitionen, die wirtschaftlichen Beziehungen. Auch die engen Beziehungen mit Russland förderten die Zurückhaltung westlicher Investoren. Mit dem Regierungswechsel zu Dzurinda änderte sich das Verhalten des Umfeldes.359 Die Direktinvestitionen stiegen sprunghaft an (von 17,7 in 1998 auf 69,3 Milliarden Slowakische Kronen in 2000). Zwar lagen die anderen drei Visegrád-Staaten weiterhin vor der Slowakei, was ausländische Direktinvestitionen anging, dennoch war die Steigerung seit den Jahren 1993 bis 1998 beachtlich. Das Außenhandelsdefizit 1999 verringerte sich um 43 Prozent. Die Entscheidung der OECD im Juli 2000, die Slowakei, die als einziges Land noch auf der Warteliste stand, aufzunehmen, war ein positives Zeichen, das sofortige Wirkung zeigte und die Währung stärkte. Insgesamt wird deutlich, dass das Gesamtklima ab 1994 weltpolitisch und weltwirtschaftlich durchaus günstig für die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung der post-kommunistischen Länder war. Die innenpolitische und außenpolitische Ausrichtung der Regierung Meþiar zog jedoch auf Grund der fehlenden politischen Stabilität und Berechenbarkeit eine deutliche Verschlechterung der Entwicklungschancen nach sich. 3.5.3 Transnationale Interaktion: große Bandbreite des Drucks, große Bandbreite der Unterstützung Motive und Ziele der EU Seit dem Gipfel von Kopenhagen war die Erweiterung um die post-kommunistischen Länder zu einem vorrangigen Punkt der europäischen Agenda geworden. Die Gemeinschaft verpflichtete sich, den Reformprozess zu unterstützen, denn „Frieden und Freiheit in Europa hängen von dieser Anstrengung ab“360 Voraussetzung für den Beitritt war die Übernah357
Außenhandelsdefizit in Milliarden Slowakische Kronen: 1993: -27, 1994: +3; 1995: -6; 1996: -70; 1997: -68, 1998: -81. Vgl., a.a.O., Jurzyca, S. 200 358 A.a.O., Mikloš, S. 99. Ein Vergleich aus dem Jahr 1996 zeigt die Dimension: Der Kapitaleinfluss nach Polen betrug 2,8 Milliarden, nach Ungarn 2,2, nach Tschechien 1,5 Milliarden US-Dollar, und in die Slowakei betrug über eine Milliarde, nach Tschechien 563 , nach Polen 177 und in die Slowakei 200 Millionen US-Dollar. 1997 schätzt das Wirtschaftsministerium, dass das Land einen Kapitalfluss von 22 Milliarden Sk bräuchte. Faktisch hatte es 13,6. Vgl., a.a.O., Jurzyca, S. 203. 359 Vgl., für die Zahlen Jakoby, Marek/Pažitný, Peter/Morvay, Karol/Beblavý/KĖažko, Miroslav/Reptova, OĐga/Strieborný, Martin/Blaas/Gejza, „The Economy of the Slovac Republic“, in: a.a.O., Mesežnikov/Kollár/Nicholson 2001, S. 297-365 360 Schlussfolgerungen des ER von Kopenhagen, Bulletin 6-1993, S. 13
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me der Verpflichtungen und das Erfüllen der Bedingungen. Dennoch dauerte es noch anderthalb Jahre, bis in Essen (Dezember 1994) beschlossen wurde, „dem Prozeß der weiteren Heranführung (…) zusätzliche Dynamik und Qualität“ zu verleihen.361 Und erst nachdem die ebenfalls in Essen geforderte Schaffung der institutionellen Voraussetzungen in der EU durch den Abschluss der Regierungskonferenz in Amsterdam (Juni 1997) erreicht war, war „der Weg frei“, den Erweiterungsprozess einzuleiten und „so rasch wie möglich“ Verhandlungen aufzunehmen.362 Die Entscheidung über die Einleitung des Beitrittsprozesses wurde als „historischer Meilenstein für die Zukunft der Union und ganz Europas“ bezeichnet, der Stabilität und Wohlstand verspreche.363 Die historische Bedeutung der Osterweiterung wurde seit Beginn der Verhandlungen bis zum Abschluss in Kopenhagen 2002 betont. Stichworte waren dabei Stabilität, vor allem aber die Überwindung von „Konflikten und Spaltungen in Europa“.364 Das generelle Ziel war klar: die Länder in ihrer Entwicklung zu stabilen Demokratien, wettbewerbsfähigen Wirtschaften mit den an die EU-Standards angeglichenen Normen zu unterstützen. Die Ziele verfeinerten sich im Zuge des Heranführungs-, aber auch des Verhandlungsprozesses, in dem Maße, da konkrete Problemlagen auftauchten. Der Heranführungs- wie auch der Verhandlungsprozess liefen darauf hinaus, alle Kriterien zu erfüllen und so viele Probleme wie möglich zu lösen, und zwar beides vor dem Beitritt. Im politischen Bereich handelte es sich insbesondere um die Stabilität der Region und um die Achtung der Minderheitenrechte, aber auch die Stärkung der Verwaltungsstrukturen, des Justizsystems und die Gewährleistung nuklearer Sicherheit wurden zu Themen hervorgehobener Bedeutung. Während alle Kandidatenländer schwach ausgebildete Verwaltungs- und Justizstrukturen hatten, einige Länder Desiderate in Bereich der Minderheitenrechte oder nuklearer Sicherheit aufwiesen, traten für die Slowakei alle drei Punkte zu. Weiterhin aber war die Slowakei das einzige Land, in dem es zu wiederholten Verstößen gegen demokratische Prinzipien gekommen war und wo die Empfehlungen und Forderungen der EG so durchgehend ignoriert wurden. Hinsichtlich der Slowakei wurden ab 1995 die Bemühungen des EP, der Kommission wie des Europäischen Rates deutlich, das Land auf einem demokratischen Weg zu halten bzw. zurückzuholen. Die konkreten Maßnahmen dazu werden Thema der folgenden Kapitel sein. Auch in Bezug auf die anderen Länder, mit denen 1998 keine Verhandlungen aufgenommen wurden, hatte die EU, konkret: die Kommission, eine besondere Strategie, nämlich, „daß die am wenigsten auf den Beitritt vorbereiteten Länder mit aller Entschlossenheit auf künftige Verhandlungen hinarbeiten müssen…Zu diesem Zweck schlägt die Kommission beachtliche Mittel für alle mitteleuropäischen Beitrittskandidaten vor.“365 Das heißt, für diejenigen Kandidaten, die die Kriterien nicht erfüllten, bedeutete dies nicht, aus dem „Rennen“ zu sein. Die EU fühlte sich im Gegenteil eher verstärkt dafür verantwortlich, das Aufholen dieses Rückstands zu unterstützen. Das tat sie im Falle der Slowakei sowohl vor 1998 als auch nach dem Regierungswechsel insbesondere im Hinblick auf die Herstellung demokratischer Verhältnisse.
361
Schlussfolgerungen des ER von Essen, Bulletin 12-1994, S. 13 Vgl., Schlussfolgerungen, Europäischer Rat von Amsterdam, Bulletin 6-1997, S. 9 363 Schlussfolgerungen, Europäischer Rat von Luxemburg, Bulletin, 12-1997, S. 8 364 So die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen im Dezember 2002, S. 8 365 Agenda 2000, 7/8-1997, S. 9 362
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Die Einhaltung der politischen Kriterien war im Falle der Slowakei zum Dreh- und Angelpunkt geworden, das galt vor allem für die Regierungszeit Meþiar, aber auch für das erste Jahr der Regierung Dzurinda. Es wurde erkennbar, dass es der EU nicht nur die Behebung einzelner Verformungen ging, etwa die Berücksichtigung der Proportionalität bei der Besetzung der Parlamentsausschüsse, sondern um die Nachhaltigkeit der demokratischen Konsolidierung. In der Perzeption slowakischer Akteure wurden die politischen Motive der EU als vorrangig gesehen, vor allem auch das Bestreben der EG/EU nach Stabilität.366 Methoden und Instrumente der EU Für den Prozess der Osterweiterung waren zwei Methoden maßgeblich: die der Konditionalität und das Prinzip der Differenzierung oder der „own merits“. Im Falle der Slowakei kamen beide Methoden voll zum Tragen: die der Konditionalität von 1994 bis 1999, die der Differenzierung und des catching up von 1999 bis 2002. Daher stellt sich die Frage ob und wie die EU und die Kommission als Verhandlerin ihre Maßnahmen und Instrumente nach diesen beiden Methoden ausrichtete. Zuerst zur Konditionalität: Der Gipfel von Kopenhagen hatte die Konditionalität als Methode der Erweiterung noch einmal in aller Deutlichkeit bekräftigt. Auch die Priorität der politischen Bedingungen wurde deutlich. Dies verstärkte sich zusätzlich durch den parallel laufenden Prozess des Stabilitätspaktes für Europa, dessen Inhalte – gutnachbarschaftliche Beziehungen, regionale Zusammenarbeit und Achtung der Minderheitenrechte - Bedingungscharakter für den Beitritt bekamen.367 Der generelle strategische Aspekt „Gewährleistung dauerhafter Stabilität auf dem Kontinent“ implizierte das besondere Augenmerk auf die Stabilisierung der Kandidatenländer. Auf Grund der mangelnden Kapazitäten in den Verwaltungen zur Durchführung und Umsetzung bei der Übernahme des acquis formulierte der Europäische Rat von Madrid (Dezember 1995) die Anpassung der Verwaltungsstrukturen als weiteres Kriterium. Die Verbesserung der Kapazitäten im Verwaltungs- und Justizbereich blieben auch im Zuge der Beitrittspartnerschaften ab 1998 ein Desiderat, denn der Europäische Rat von Luxemburg wies darauf hin, dass die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstands in einzelstaatliches Recht zwar notwendig, aber nicht ausreichend ist, entscheidend sei seine tatsächliche Anwendung. Auch nach Abschluss der Verhandlungen 2002 blieben die Verwaltungsstrukturen ein Punkt, der weiterhin dem Monitoring der Kommission unterworfen blieb. Mit Beginn der Beitrittsverhandlungen wurde der Aspekt nuklearer Sicherheit ein „Schlüsselelement der Beitrittsverhandlungen“: Zwar hatte es bereits vor 1998 Probleme mit verschiedenen Ländern diesbezüglich gegeben (Litauen: Ignalina, Bulgarien: Koslodui, Slowakei: Bohunice); die Brisanz der Materie und die geringen Fortschritte insbesondere bei dem Abschalten von Kernkraftwerken, die nicht die Sicherheitsstandards erfüllten, gaben dieser Frage einen gewissen „Bedingungscharakter“.368 366
So Wlachowsky und Lombardini im Interview “Der Betritt wird durch die Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen im Rahmen des Stabilitätspaktes begünstigt werden.” Vgl., Europäischer Rat von Korfu, Bulletin, 6-1994, S. 15 368 Das kann man an der intensiven Beschäftigung der verschiedenen EU-Organe mit dem Thema erkennen: Mitteilung der Kommission März 1998, Ausschuss der Regionen November 1998: Umweltaspekte als „Schlüsselelement der Beitrittsverhandlungen“, EP März 1999: „höchste Priorität“ der Umweltaspekte bei den Verhandlungen zumessen, Europäischer Rat von Köln Juni 1999: betont die Bedeutung hoher Sicherheitsstandards im Nuklearbereich. Im Fall von Bulgarien machte die Kommission in ihrem Fortschrittsbericht vom Oktober 1999 die Aufnah367
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Während der Meþiar-Regierung lassen sich die Maßnahmen und Instrumente der EU vor allem in fünf Arten differenzieren: 1. im Rahmen der Europa-Abkommen, 2. diplomatischpolitische Maßnahmen an die Regierung gerichtet, 3. Ausschluss aus den Verhandlungen, 4. Weiterführung der Unterstützungsmaßnahmen, keine Sanktionen, 5. Adressierung von Bevölkerung und Opposition. 1. Die Europa-Abkommen, ihre Strukturen (Assoziierungsrat, Assoziierungskomitee und Gemeinsames Parlamentarisches Komitee) und Inhalte (Angleichung an EU-Normen, regionale Kooperation, politischer Dialog) blieben während der Regierung Meþiar von 1994 bis 1998 der Rahmen der Beziehungen und auch die Grundlage des Heranführungsprozesses. Die EU-Organe nutzen die Assoziierungsinstitutionen, um Schwachpunkte in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung oder bei der Übernahme des acquis aufzuzeigen und ihre Empfehlungen zur Abhilfe zu vermitteln. Die wichtigste Institution war der Assoziationsrat369, „as a ‘watch-dog’ and as a steering group for dealing with ongoing problems deciding about open issues and developing new ideas“370. Der Assoziationsrat EUSlowakei wurde zu einem Ort, wo regelmäßig die politischen Verhältnisse kritisiert wurden. So wies die Delegation der EU im Mai 1995 daraufhin, dass „die Strukturreformen, insbesondere die Privatisierungen, die Reform des Bankensektors und die Umstrukturierung der Unternehmen in einem Klima der Transparenz fortgesetzt und der Demokratisierungsprozeß gestärkt werden müsse.“371 Themen der Sitzungen waren auch das Kernkraftwerk Mochovce und die regionale Zusammenarbeit mit Ungarn (etwa Februar 1996 und April 1998).372 Hinweise auf die „politische Situation“, die „Lage der Demokratie“ und die „Achtung der Menschenrechte und Minderheiten“ oder die „notwendige weitere Konsolidierung der Demokratie“ (25.2.1997) fehlten nie. Die EU hat die Möglichkeit, mit der Wiedergabe des Inhalts der Sitzungen entsprechend nach außen und vor allem auch an die slowakische Regierung Signale zu senden. Im Falle der Slowakei etwa wich die Veröffentlichung über die Sitzungsinhalte oft von der üblichen Bürokratensprache – im Stile von „Anlässlich des Weißbuches führte das Kommissionsmitglied X Gespräche mit Regierungschef Y“ – ab. Die konkrete Benennung der Probleme, der Kritik und die entsprechende Empfehlung wie „der Demokratisierungsprozess muss verstärkt werden“ bekamen somit ein zusätzliches Gewicht, einer Abmahnung recht nahe. Zwar war das andere Gremium, das Gemeinsame Parlamentarische Komitee – weniger wichtig, da es kein Entscheidungsorgan darstellte; dennoch sollte man seine Funktion nicht unterschätzen, etwa im Hinblick auf „political learning“ für die Abgeordneten des assoziierten Landes (Einblicke in Diskussions- und Streitkultur, in bürokratische Abläufe) etc. oder auch im Falle der Slowakei als Ort, wo sich die Regierungsabgeordneten der Kritik der Europaparlamentarier stellen mussten bzw. die Oppositionspolitiker Schützenhilfe bekamen. So bewertet ein Mitglied dieses Komitees die Diskussionen über die Vorstellungen der EU, als bereichernd. Zudem hätten die europäischen Kollegen erklärt, „worum es geht, me von Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien sogar von der Schließung des Kernkraftwerkes Koslodui abhängig. Vgl., Bulletin 10-1999, S. 67 369 Zusammengesetzt aus Vertretern der Mitgliedsstaaten, der Kommission und des assoziierten Staates 370 Lippert, Barbara, „Shaping and Evaluating the Europe Agreements – The Community side“, in: a.a.O., Lippert/Schneider, S. 217-249, hier: S. 240 371 Bulletin, 5-1995, S. 72 372 Vgl., Tagung des Assoziationsrates am 27.2.1996, Bulletin 12-1996, S. 105 und Tagung des Assoziationsrates 27/28.4.1998, www.europa.eu.int/comm/dg1a/daily/04_98/pres_98_123.htm
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warum sie diese Methoden des Regierens nicht akzeptieren können, was schlecht ist an dem Funktionieren der slowakischen Institutionen, wie man Demokratie begreifen soll usw. usw. Und natürlich haben die europäischen Kollegen auch mit manchen leaders aus der HZDS gestritten.“373 Die EU-Parlamentarier zeigten sich besonders sensibel, da es im Falle der Slowakei um wiederholte Verstöße gegen Rechte der Abgeordneten ging. So im „Fall Gaulieder“, des slowakischen Abgeordneten, der nachdem er die HZDS-Fraktion verlassen hatte, im Dezember 1996 seines Mandats beraubt wurde. Der Co-Vorsitzende des Gemeinsamen Komitees der EU, Herbert Bösch, schrieb daraufhin einen Brief an seinen slowakischen Homologen Húska, wo er auf die „serious consequences upon the work of the Common Parliamentary Committee and upon chances of Slovakia to join the European Union in near future“ hinwies.374Die EU nutzte also die Assoziierungsinstitutionen, um ihre Kritik zu vermitteln, in den verschiedenen Gremien Überzeugungsarbeit zu leisten. 2. Neben diesen Aktivitäten im Rahmen der Europa-Abkommen nahmen die EU-Organe weitere politisch-diplomatische Mittel wahr. Dabei muss man unterscheiden in offizielle Mittel wie Démarchen und Erklärungen des EU-Vorsitzes und Entschließungen des EP einerseits und den üblichen und regelmäßigen bilateralen Gesprächen und Treffen, die eher informellen Charakter haben, wohl aber einen offiziösen Charakter bekommen können. Mit jenen politisch-diplomatischen Mittel reagierten die EU-Organe jeweils direkt auf innenpolitische Ereignisse, Verstöße gegen demokratische Verfahren oder konkrete Missstände. Der erste Anlass war jene „Nacht der langen Messer“, die konstituierende Sitzung des Parlamentes im November 1994. Die EU reagierte mit einer Démarche, die „misgivings about some phenomena“ ausdrückte sowie „expectations and a hope, that Slovakia, carefully considering its own interests, will consistently follow the way of democratic reforms“.375 Dazu muss man sagen, dass das Übergeben solch einer Démarche gemeinhin bereits den Endpunkt einer ganzen Reihe inoffizieller Gesprächsversuche verkörpert und bislang informell geäußerte Empfehlungen und Warnungen damit einen tatsächlich offiziellen Charakter bekommen. Eine zweite massive Reaktion gab es im Oktober/November 1995. Nachdem die Spannungen zwischen Ministerpräsident Meþiar und Staatspräsident Kováþ stetig zugenommen hatten und Meþiar verfassungswidrig versucht hatte, Kováþ abzusetzen, erreichte die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt in der Entführung des Sohnes von Kováþ, wobei vermutetermaßen der Geheimdienst beteiligt war. Dies zog eine weitere Démarche nach sich, in der sich der Ton verschärfte, indem an die Verpflichtung der Kriterien im Rahmen der Assoziierungsabkommen erinnert wurde und daran, dass die erste Bedingungen in der Stabilität der Institutionen bestehe, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte garantieren müsse.376 Eine Entschließung des EP drohte mit den Europa-Abkommen. „Es warnt die slowakische Regierung davor, daß die Europäische Union sich gezwungen sehen wird, ihre Hilfs- und Kooperationsprogramme im Rahmen des Europa-Abkommen zu überprüfen und gegebenenfalls einzustellen, falls die slowakische Regierung weiterhin eine Politik ver373
Interview Peter Weiss Zit. n. a.a.O., Duleba, S. 219 375 Ebd. 376 Vgl., ebd., S. 216 374
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folgt, die Demokratie, Menschenrechte und Minderheitenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit nicht angemessen Rechnung trägt.“377
In diesem Zusammenhang erhielt das nicht offizielle und nicht verabredete Zusammentreffen von Kommissionspräsident Jacques Santer und Ministerpräsident Meþiar am Rande des Europa-Forums in Berlin im November 1995 besonderes Gewicht. Ein Ereignis, von dem normalerweise nicht offiziell im Bulletin berichtet werden würde, bekam nämlich offiziösen Charakter durch eine entsprechende Verlautbarung, nämlich dass bei einem Treffen „sämtliche Aspekte der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Slowakei und insbesondere die politischen und institutionellen Spannungen in diesem Land erörtert wurden“. Auch der Nachsatz, die Europäische Kommission hoffe, „daß es ihr auch künftig möglich sein werde, die enge Zusammenarbeit mit der Slowakei im Rahmen ihrer Vorbeitrittsstrategie fortzusetzen“, hatte einen sehr nachdrücklichen, fast drohenden Ton.378 Die EU brachte nun stärker die Konditionalität ins Spiel und verstärkte den Druck auf die slowakische Regierung. In diesem Sinne reagierte die Präsidentschaft auf die Ratifizierung des slowakisch-ungarischen Grundlagenvertrages und die gleichzeitige Verabschiedung von Gesetzen, die die demokratischen Rechte der Bürger (z.B. Meinungsfreiheit) einschränkten. Sie mahnte die Regierung, Lösungen zu finden, „die mit den demokratischen Grundsätzen im Einklang stehen und mit den Schlußfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates in Kopenhagen sowie mit der von der Slowakei beantragten Mitgliedschaft in der Europäischen Union vereinbar sind.“379 Auch die bilateralen Gespräche zwischen dem zuständigen Kommissionsmitglied Van den Broek mit Vertretern der Regierung (Staatspräsident Kováþ, Vizepremier Kalman, Parlamentspräsident Gašparoviþ) im Laufe des Jahres 1996 verstärkten den Druck. Ein Druckmittel war die bevorstehende Stellungnahme der Kommission zum Beitrittsantrag. Van den Broek benutzt dies als einen weiteren Hebel, um ein Einschwenken der MeþiarRegierung zu erreichen. Er wies darauf hin, „daß die Qualität der Demokratie in der Slowakei einer der Faktoren sei, den die Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Stellungnahme zu den Anträgen auf Beitritt zur Europäischen Union berücksichtigen werde.“380 Dass diese Protest-Welle von 1996 so wenig genutzt hat wie die vorherigen, zeigte das manipulierte NATO-Referendum vom 23./24. Mai 1997. Die Präsidentschaft reagierte mit einer Erklärung, in der sie die slowakische Regierung aufruft, „Rechtsstaatlichkeit und die für die Festigung einer demokratischen Gesellschaft erforderlichen Grundsätze zu achten“.381 Gleichzeitig griff sie zu drastischeren Mitteln: 3. In der Agenda 2000 vom 15. Juli 1997, der Empfehlung der Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, wurde der Ausschluss aus der Verhandlungsgruppe vorgeschlagen. Die Kommission machte den hohen Stellenwert, den die politischen Kriterien hatten, nochmals sehr deutlich: „Das effektive Funktionieren einer demokratischen Ordnung ist bei der Beurteilung eines Antrags auf Mitgliedschaft von entscheidender Bedeu377
Entschließung des EP zur Notwendigkeit der Achtung von Demokratie und Menschenrechten in der Slowakischen Republik, Bulletin, 11-1995, S. 10f Bulletin, 11-1995, S. 87 379 Erklärung des Vorsitzes am 3.4.1996, Bulletin, 4-1996, S. 66 380 Besuch Van den Broek 8./9.2.1996, Bulletin, 1/2-1996, S. 104. Bei seinem Besuch im Juni 1996 ging es um die „notwendige Stärkung der Demokratie“ und den Schutz der Minderheitenrechte. Vgl., Bulletin, 6-1996, S. 151 381 Erklärung des Vorsitzes, Bulletin 5-1997, S. 72 378
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tung.“382. Sie setzte das konkret um, indem sie nur die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Polen, Ungarn, Tschechien und Estland empfahl. Lettland und Litauen erfüllten nicht das Kriterium, dem Wettbewerbsdruck standhalten zu können, Rumänien und Bulgarien fielen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen heraus. Die Slowakei aber war das einzige Land, das die politischen Kriterien nicht erfüllte. Die Kommission bemängelte das Auseinanderklaffen von Verfassung und politischer Praxis, eine fehlende Verwurzelung von Rechtsstaat und Demokratie, zu wenig Aufgeschlossenheit gegenüber entgegengesetzten Ansichten, das nicht ordnungsgemäße Funktionieren der staatlichen Organe. Als „symptomatisch“ für die Instabilität der Institutionen nannte sie unter anderem das Scheitern der Referenden 1997.383 Damit wurde die Slowakei aus der ersten Verhandlungsgruppe ausgeschlossen, obwohl die Beurteilung der wirtschaftlichen Kriterien recht gut war und sie durchaus an das Niveau der anderen Visegrád-Länder und Estlands herankam.384 Dies zeigte in aller Deutlichkeit die Priorität der politischen Kriterien. Mit dem Ausschluss hatte die EU den bislang äußersten Schritt getan. Zwar wurde eine slowakische Delegation in Brüssel vorstellig, um den Vizepräsidenten der Kommission Leon Brittan zu überzeugen, dass dies ein Irrtum sei. Der Europäische Rat entschied im Dezember 1997 jedoch im Sinne der Kommission. Er stellte zudem die strategische Verbindung von Beitrittsanreiz und Reformprozess heraus: „Die Aussicht auf den Beitritt ist für die Bewerberstaaten ein einzigartiger Anreiz, die Durchführung von Politiken, die dem Besitzstand der Union entsprechen, zu beschleunigen.“385 Zudem wurde das Gewicht der politischen Bedingungen nochmals hervorgehoben. „Die Einhaltung der politischen Kriterien von Kopenhagen stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen dar. Die wirtschaftlichen Kriterien wurden und müssen auch weiterhin aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus beurteilt werden.“386
Auch die drastische Maßnahme des Ausschlusses änderte wenig am Gebaren Meþiars, denn im Oktober passierte der Fall Gaulieder, und der Ton der EU verschärfte sich wieder zusehends. Die Präsidentschaft sah beim slowakischen Parlament „Anlaß zu Zweifeln hinsichtlich seiner Bereitschaft, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu festigen“ und wies wieder auf das Assoziationsabkommen und die Aussicht auf einen Beitritt hin.387 Das EP wurde noch deutlicher; es fordert Parlament und Regierung der Slowakei auf, Gaulieder wieder in seine Ämter einzusetzen und „zu gewährleisten, dass Menschen- und Minderheitenrechte, Demokratie und Rechtsstaat unumschränkt geachtet werden; nur so seinen die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Integration der Slowakei in die Strukturen der Europäischen Union erfüllt. Zudem weist es die slowakische Regierung darauf hin, daß, falls diese Bedingungen nicht erfüllt werden, die Integration des
382
Europäische Kommission, Agenda 2000. Eine stärkere und erweiterte Union, Zweiter Teil. 1, in: Bulletin, Beilage 5/1997, S. 44 383 Vgl., ebd., S. 45 384 Sie erfüllte das Kriterium Wettbewerbsdruck ganz und kam an das einer Marktwirtschaft sehr nah heran. Vgl., ebd., S. 46ff 385 Ebd., S. 10 386 Bulletin, 12-1997, S. 11 387 Erklärung des Vorsitzes vom 4./6.10.1997, Bulletin, 10-1997, S. 79
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Landes ernsthaft gefährdet sein wird und daß die Haltung der slowakischen Regierung ihr Land von den Entwicklungen in fast all seinen Nachbarstaaten isolieren wird.“388
4. Damit wird erstmals von einem Scheitern des gesamten Integrationsprozesses und auch von der Isolierung des Landes gesprochen. Die ohnehin schlechte Stimmung gegenüber der Slowakei war auf einem Tiefpunkt. Es wurde darüber nachgedacht, noch weiter zu gehen als in der Stellungnahme der Kommission, also die Slowakei auch nicht zu den Beitrittspartnerschaften zuzulassen.389 Tatsächlich kam im November 1997 aus dem Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des EP das Modell „10+1-1“, was bedeutet hätte: die zehn mittel- und osteuropäischen Bewerber plus Zypern minus Slowakei.390 „Vor dem Luxemburger Gipfel, also da war eine sehr kritische Stellung gegen die Slowakei, also die Kritik war so hart, dass man die Slowakei auch für die Zukunft nicht als möglichen Partner nennen wollte.“391 Andere Stimmen aber vertraten die Position, dass man unterscheiden müsse zwischen der Regierung und dem Volk der Slowakei.392 Die Entscheidung des Europäischen Rates im Dezember beließ die Slowakei dann auch in der Beitrittspartnerschaft, mit dem Ergebnis „Die Slowakei war am Rande der Isolierung, aber nicht völlig isoliert.“393 Auch wenn sich das extrem gespannte Verhältnisse zwischen EU und der Slowakei 1998 fortsetzte, der Dialog zwischen der Regierung und den europäischen Strukturen durch Konfrontation gekennzeichnet war, die Kommission quasi die Hoffnung und die Geduld aufgegeben hatte, mit der Meþiar-Regierung als Partner im Integrationsprozess zu rechnen394 und alle Organe, auch die Präsidentschaft immer wieder auf mit der Gefährdung des Integrationsprozesses drohten395, so vollzog die EU letztlich keine weitergehenden Sanktionen. Man drohte damit, etwa im Zusammenhang der Beitrittspartnerschaft. Als die Kommission Vorschläge für die Festlegung der Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft machte (vom Rat am 30.3.1998 beschlossen), bekam die Slowakei eine lange Liste an kurzfristigen und mittelfristigen Hausaufgaben. Zudem wurden ihr neben den zugewiesenen PHARE-Mitteln (für den Zeitraum 1995-1997 95 Millionen ECU) eine für 1998 geplanten Aufholfazilität (catch-up facility) in Aussicht gestellt396, gleichzeitig wurde aber daraufhin gewiesen: „Die Unterstützung der Gemeinschaft setzt voraus, daß die Slowakei ihren Verpflichtungen gemäß dem Europa-Abkommen nachkommt und Fortschritte bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sowie bei der Umsetzung dieser Beitrittspartnerschaft macht. Die Nichterfüllung dieser
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Entschließung des EP zur politischen Lage in der Slowakei, Bulletin 10-1997, S. 10 Interview Peter Weiss 390 Vgl., a.a.O., Wlachovsky/Duleba et.al., S. 98 391 Interview Peter Weiss 392 Peter Weiss nennt den luxemburgischen Ministerpräsident und damaligen Ratsvorsitzenden Jean-Claude Juncker. S.a. a.a.O., Wlachovsky/Duleba et.al, S. 98 393 Interview Peter Weiss 394 So etwa Kommissar Van den Broek indirekt vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. 395 Anlass war die Übernahme der Präsidialkompetenzen durch Meþiar zur Gewährung einer Amnestie für die im Zusammenhang mit der Entführung des Präsidentensohnes und des vereitelten Referendums Verurteilten. 396 Eine Sonderfinanzhilfe für die fünf Länder, mit denen ab März 1998 nicht verhandelt wurde zur Beschleunigung der Vorbereitung des EU-Beitritts. 1998 betrug dies für die Slowakei zusätzlich 7,5 Millionen ECU. 389
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III Empirischer Teil: EU Bedingungen könnte einen Ratsbeschluß über die Aussetzung der finanziellen Unterstützung (…)zur Folge haben.“397
Letztlich aber vollzog die EU keine weitergehenden Sanktionen gegen die slowakische Regierung, etwa durch Einfrieren des Dialoges, der Europa-Abkommen, durch Kürzung der Mittel etc. Man sieht, dass sogar im April 1998, zu einem Zeitpunkt, da der Ausschluss von den Verhandlung mit der ersten Gruppe bereits ein fait accompli war, die EU nicht müde wird, die Slowakei zu ermutigen, „to enhance its efforts to strengthen, by lasting measures, its democratic structures and practices in line with the Copenhagen criteria and according to the Accession Partnership“. Damit waren der Slowakei letztlich keinerlei Nachteile hinsichtlich der Hilfsprogramme (PHARE bzw. die ISPA und SAPARD) oder im Rahmen der Assoziierungsabkommen entstanden. Ganz im Gegenteil ermöglichte die ab 1998 ins Leben gerufenen Beitrittspartnerschafte die weitere Annäherung an den acquis, die Heranführungshilfe wurde intensiviert. Bei all diesen Maßnahmen war die Slowakei beteiligt wie alle anderen Bewerber auch. Auch die Einbeziehung in Gemeinschaftsprogramm lief für die Slowakei genauso weiter wie für alle anderen assoziierten Länder. 5. Als die Wirkungslosigkeit der Maßnahmen bei der Regierung klar wurde, begann die Kommission, sich verstärkt an Bevölkerung und Opposition zu wenden. Kommissar Van den Broek tat dies seit 1997. Er hatte bei seinen regelmäßigen Besuchen Gespräche mit Vertretern aller parlamentarischer Parteien, auch mit Vertretern der Industrie und vermittelte dabei die Sicht der EU. Der slowakischen Öffentlichkeit wurden so ein eindeutiges Signale übermittelt, dass mit der derzeitigen Regierung die Annäherung kaum möglich sein würde. Ein weiteres Signal war, dass Van den Broek bei einem Besuch im Juni 1998 ausdrücklich mit führenden Vertretern der Opposition zusammenkam und dies auch explizit so verlautbart wurde. Als im März 1998 auch die Präsidentschaft erstmals die Gefährdung der slowakischen Integration andeutete, wandte sie sich dabei explizit an das slowakische Volk und bezog sich auf dessen „legitimen Bestrebungen (…) nach internationaler Anerkennung und schrittweiser Eingliederung in die europäischen Strukturen“. Die EU wolle diese Bestrebungen auch weiterhin unterstützen, bedauere aber, dass die Maßnahmen der Regierung „einen Rückschlag“ bedeuten können.398 Die diplomatische Isolierung Meþiars fand 1998 seinen Höhepunkt. Die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten kamen kaum mehr mit Meþiar zusammen. Ein Zusammentreffen mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl etwa, um das sich die Regierung Meþiar immer sehr bemüht hatte, kam nie zustande.399 Kommissionspräsident Santer sagte sogar im Mai 1998, dass wenn Meþiar zur Eröffnung
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Beschluss des Rates vom 30. März 1998 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Slowakischen Republik (98/262/EG), http://www.europa.eu.int/smartapi/cgi/sga _doc?smartapi!celexplus!prod!DocNumber&lg=de&type_doc=Decision&an_doc=1998&nu_doc=262 398 Erklärung des Vorsitzes zur Lage in der Slowakei, u.a. veröffentlicht in Bratislava (!), also nicht nur in Brüssel und im Land des Vorsitzes, am 10.3.1998, Bulletin 3-1998, S. 84 Das EP erinnert in seiner Entschließung an die Achtung von Menschen- und Minderheitenrechten, Demokratie und Rechtsstaat als „Voraussetzung für die Fortsetzung der Integration“. Entschließung des EP, Bulletin 3-1998, S. 96 399 Kohl hatte bereits 1996 die Slowakei bei einem Besuch in Wien offen gerügt. Das Land habe zwar immer noch das Potenzial für die Mitgliedchaft in der EU, „Aber unglücklicherweise nicht im Moment“. Oschlies, Wolf, „Slowakei: Konsum geht vor ‚Europa’“, BIOst, (Hrsg.), Der Osten Europas im Prozeß der Differenzierung. Fortschritte und Mißerfolge der Transformation, Jahrbuch 1996/97, München/Wien 1997, S. 154-163, hier: S. 155
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
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der slowakischen Mission nach Brüssel käme, würde er ihn nicht empfangen.400 Insgesamt lässt sich sagen: Der Ausschluss war ein Schritt, der zeigte, dass die EU es in der Tat ernst meinte mit der Erfüllung der politischen Kriterien und diese auch nicht kompensiert werden konnte durch passable wirtschaftliche Daten, wie das die Regierung Meþiar angenommen hatte.401 Die EU blieb auch nicht dabei stehen, sondern drohte mit weiteren Schritten, die zunächst das Einfrieren der Hilfen gewesen wäre und dann die Verzögerung oder gar das Scheitern des Integrationsprozesses überhaupt. Das Einfrieren der Hilfen und die Diskussion darüber stellte 1998 eine Warnung dar und blieb sozusagen eine letzte Waffe. Die Politik der Konditionalität wurde jedoch auch über die Wahlen von 1998 hinaus und insofern durchaus konsequent weiterverfolgt. Die Reaktionen der EU auf das Wahlergebnis und die Koalition der demokratischen Kräfte waren positiv, wobei die Präsidentschaft Regierung und Parlament der Slowakei aufrief, „rasch die Mängel zu beheben, die bislang den Prozeß des Beitritts (…) behindert haben, und diesem Prozeß dadurch eine neue Dynamik zu verleihen.“402 Damit war die Erwartungshaltung deutlich formuliert. Trotz des Sieges der Opposition und der vermuteten demokratischen Stoßrichtung der neuen Regierung blieben der Europäische Rat und die Kommission bei ihrer grundsätzlichen Haltung, dass die politischen Bedingungen erfüllt sein müssten, bevor der Beitrittsprozess eine neue Dynamik bekommen konnte. Der Fortschrittsbericht von 1998 enthielt daher keine Empfehlung zur Aufnahme der Verhandlungen mit der Slowakei. Die Kommission hielt dort fest, „Die neue Regierung hat die Gelegenheit zu beweisen, daß die Slowakei den Grundsätzen der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und des Rechtsstaatsprinzip verpflichtet ist.“403 Die Kommission sah wohl „den Zeitpunkt einer möglichen Aufnahme von Verhandlungen (…) nun näher gerückt“, betont aber weiterhin die Notwendigkeit demokratischer Institutionen404 und nannte drei kurzfristige Prioritäten405: freie und faire Präsidentschaftsund Kommunalwahlen, ein Gesetz über die Minderheitensprachen, und die Frage der Abschaltung des V-1-Reaktors von Bohunice.406 Auch der Rat reagierte abwartend; er sah das Ergebnis der Wahlen als ein „günstiges Zeichen für die Integration der Slowakei“407. Etwas anders reagierte dagegen das Parlament, das die Kommission aufforderte, die „notwendige Flexibilität“ an den Tag zu legen, eine grundlegende Revision des Standpunktes der EU ermöglichen, und prüfen, ob die Entscheidung über die Aufnahme von Verhandlungen nicht schon vor dem Ende der deutschen Präsidentschaft (erste Hälfte 1999) getroffen werden könnte.408 400
Vgl., a.a.O., Marušiak/Alner et.al., S. 178 „In its attitude to the European Union, the declared policy of Slovakia concentrates on emphasizing so-called macro-economic successes.” Samson, Ivo, “Proclamations, Declarations and Realpolitik in current Slovak integration policy”, in Perspectives, 6-7 1996, S. 51-63, hier: S. 52 402 Erklärung des Vorsitzes am 30. September 1998, Bulletin 9-1998, S. 71 403 Regular Report November 1998, Politische Kriterien, 1.3, S. 14, http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/ report_11_98/pdf/de/slovakia_de.pdf 404 Kommission, Fortschrittsbericht, Bulletin 11-1998, S. 83 405 „further opportunity for the Slovak government to demonstrate its commitment to democracy“. Kommission, Fifth meeting of the Association Council between the EU and Slovakia, 27.4.1999, PRES/99/125, www.europa.eu.int/comm/dg1a/daily/04_99/pres_99_125.htm, S. 1 406 Siehe zu den konkreten Ergebnisse: 5.3.3 407 Rat “Allgemeine Angelegenheiten” zur Erweiterung auf dem Europäischen Rat in Wien, Bulletin, 12-1998, S. 28 408 Entschließung des EP im Hinblick auf den Europäischen Rat in Wien am 3.12.1998, vgl., Bulletin 12-1998, S. 138 401
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III Empirischer Teil: EU
Dzurinda, der bei der Regierungsübernahme damit gerechnet hatte, auf dem Gipfel in Wien (Dezember 1998) eine Einladung zu bekommen409, hatte seine Chancen deutlich überschätzt. Der Regierungswechsel allein und die ersten Schritte der neuen Regierung, die den Willen zu demokratischen Verhältnissen und das klare Bekenntnis zur EU zeigten, waren für die EU noch nicht ausreichend, grünes Licht für Verhandlungen zu geben. Eine Wahl, so die Kommission, sei noch nicht genug, um den dauerhaften Charakter eines Wandels zu garantieren. Diese Position konnte weder der sofortige Besuch Dzurindas in Brüssel und Wien ändern noch die kurz vor dem Gipfel verabschiedete Resolution des slowakischen Parlaments, in der es die EU-Mitgliedschaft als Interesse der Mehrheit der slowakischen Bürger bezeichnete und sich mit den Werten der EU und den Bedingungen für den Beitritt identifizierte. Für die Regierung Dzurinda war das von Anfang an verfolgte Prinzip der „own merits“, das den Beitrittsprozess zu einem evolutiven und dynamischen Prozess machte, äußerst bedeutsam. Sowohl für die Heranführung als auch für die Verhandlungen galt der Vorbereitungsstand eine jeden Landes als entscheidend, dies war bereits in Kopenhagen 1993 als auch in Luxemburg 1997 unterstrichen worden. Dieses Konzept, das in Helsinki 1999 nochmals und explizit als Prinzip der Differenzierung - oder salopp: Regatta-Prinzip formuliert und in Feira 2000 bekräftigt wurde, stellte für die EU ein Moment der Flexibilität dar. Die Möglichkeit des Aufholens – „catching up“ - sowohl bei der Heranführung als auch bei den Verhandlungen (Öffnen und Schließen der Verhandlungskapitel) – bedeutete eine enorme Motivation für die Slowakei. Damit wurde ihr (und auch Lettland und Litauen) ab 2000 ermöglicht, den Rückstand auf die erste Gruppe aufzuholen. Neben dieser Beibehaltung der Methode der Konditionalität zeigte sich die Kommission 1998 zugleich flexibel und eröffnete der Slowakei ein besonderes Verfahren des Aufholens: die High Level Working Group. Es handelte sich um ein Instrument, das im November 1998 zwischen Ministerpräsident Dzurinda und Kommissar Van den Broek vereinbart wurde. Das Ziel dieser Gruppe mit hochrangigen Vertretern beider Seiten war, der Vorbereitung für den Beitrittsprozess neue Dynamik zu verleihen. Sie erarbeitete ein follow-up zu Schlüsselaspekten der kurzfristigen Prioritäten der Beitrittspartnerschaft.410 Die High Level Working Group zusammen mit den Institutionen im Rahmen des Europa-Abkommens und der Beitrittspartnerschaft ermöglichten es, der Slowakei, den verschleppten Reformprozess unter Anleitung der Kommission zu beschleunigen. Dies fruchtete auch, so dass die ersehnte Zusage zur Eröffnung von Verhandlungen Ende 1999 auf dem Helsinki-Gipfel kam. Die nächste Aufholjagd absolvierte die Slowakei dann in den Verhandlungen, die Anfang 2000 für alle Bewerberländer der „zweiten Gruppe“ begannen. Das Ziel der Slowakei war, den Anstand zu der ersten Gruppe aufzuholen: „we were very much committed to catch up with those who were in the negotiations process two years ago
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Auch die NATO war zurückhaltend auf dem Washingtoner Gipfel, immerhin bezeichnete sie die Slowakei als „most serious candidate“. 410 Diese Gruppe bestand von November 1998 bis September 1999 unter der Leitung des Stellvertretenden Generaldirektors, François Lamoureux, und Staatssekretär Jan FigeĐ und weiteren vier bis fünf Mitgliedern auf jeder Seite. Sie traf sich insgesamt fünf Mal. Mit der Erfüllung ihres Auftrages hörte sie auf zu existieren. Siehe hierzu im Weiteren: Conclusions. EC-Slovakia High Level Working Group, 8. September 1999 sowie die Accesion Partnership Follow-up Matrix vom Januar 1999, unveröffentlichtes Papier (Slowakisches Außenministerium). Ebenso Slivková, Eva, „Efforts and Necessities on the Way towards the EU-Membership“, in: FigeĐ, Ján/Roth, Wolfgang, (Hrsg.), Slovakia on the Road to EU Membership, Baden-Baden 2002, 91-105, hier: S. 96
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(…) So the motivation was really very high…”411 Günter Verheugen, neuer Kommissar für Erweiterung, dämpfte diese Erwartung, in dem er Anfang 2000 meinte, er glaube nicht, dass die Slowakei aufholen könne. Während die slowakischen Verhandler die Hälfte aller Kapitel in 2000 öffnen wollten, gingen Verheugen und Kommissionspräsident Prodi von fünf bis sechs Kapiteln aus. Die slowakische Seite war enttäuscht und verärgert, man sah sich einem „very strange limited approach“ (FigeĐ) gegenüber. Die Slowakei erreichte jedoch ihr Ziel, und nach und nach habe die Kommission dies auch anerkannt, bis hin zu der in Nizza 2000 verabschiedeten Strategie des catching up, die dann auch offiziell den Aufholprozess ermöglichte.412 Tatsächlich konnte die Slowakei bis Mitte 2001 gleichziehen.413 Die Slowakei hatte erfolgreich Gebrauch von dem „Regatta-Prinzip“ gemacht. Mitte 2002 war zwar klar, dass die Slowakei zu den Ländern gehören wird, die ihre Verhandlungen Ende des Jahres abschließen, im Frühjahr 2003 die Beitrittsverträge zeichnen und 2004 beitreten konnten. Als großes Fragezeichen taten sich dann aber die Parlamentswahlen im September 2002 auf. Aufgrund Meþiars weiterhin großen Rückhalts in der Bevölkerung und der gesunkenen Popularität von Ministerpräsident Dzurinda und seiner Partei SDKU bestand die Möglichkeit eines Wahlsieges der HZDS. Die potenzielle Wiederkehr Meþiars wurde als Problem bzw. Hindernis für sowohl die NATO- als auch die EU-Integration offen artikuliert.414 Es wurde der slowakischen Regierung vermittelt, dass eine Regierungsbeteiligung Meþiars gleichbedeutend mit dem Nichtbeitritt zur NATO gewesen wäre. Und es war auch klar, dass, wie Kukan es formulierte, „if the country is rejected by NATO, I don’t believe that it is acceptable for EU, because the values are the same in both organisations.“415 Ähnlich konstatierte auch der Vertreter der EU-Mission in Bratislava, Eric van der Linden: „If Slovakia is not invited to join NATO for political reasons, it is unlikely that these same ministers who said ‘no’ in the name of NATO would say ‘Yes’ to Slovakia’s membership in the Union.”416 Kommissar Verheugen wandte sich direkt an die Wähler, in dem er ihnen klar machte, wenn sie wollten, dass die Slowakei EU-Mitglied werde, müssten sie Parteien wählen, die das Land dorthin führen könnten.417 Der Druck war groß, die Nervosität in der slowakischen Regierung ebenso.418 Von dänischen Vertretern – Dänemark hatte den Ratsvorsitz – wurde befürchtet, dass die Wiederkehr Meþiars und die dann erfolgende Rückstellung der Slowakei das Land sogar noch hinter Rumänien und Bulgarien fallen lassen würde. Die Wahlen von 2002 stellten auch für die EU eine Bredouille dar. Die zufällige, aber schicksalhafte Verknüpfung von Wahltermin, NATO- und EU-Gipfel führte zu einer Unsicherheit für alle Seiten, obwohl der Verhandlungsstand eine eindeutige Bilanz ergeben hatte. Dennoch blieb die EU in ihrer Haltung konsistent. Die demokratische Konditionalität war ein zentraler Aspekt für die Beziehungen zwischen der EU und der Slowakei seit 1994 und dies mehr und anders als in den anderen Be411
Interview Adamiš Vgl. Interview FigeĐ sowie Interview Adamiš 413 Sie öffnete alle 29 Kapitel und konnte bis dahin 20 Kapitel vorläufig schließen, womit der Unterschied zu den anderen Visegrád-Staaten weg geschmolzen war: Polen hatte 17, Tschechien 19, Ungarn 22 Kapitel geschlossen. 414 Von NATO-Seite direkter als von EU-Seite, so Außenminister Kukan. Interview Kukan 415 Vgl., ebd. 416 A.a.O., Marušiak, Juraj/Duleba, Alexander/Melišová-Bates, Zuzana, “Foreign Policy: Main trends, bilateral relations, regional co-operation”, in: Mesežnikov, Grigorij/Kollár, Miroslav/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovakia 2002. A Global Report on the State of Society, Bratislava 2003, S. 261-311, hier: S. 263f 417 Vgl., ebd., S. 264 418 So Adamiš im Interview 412
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III Empirischer Teil: EU
werberländern. Dort bezog sich die Konditionalität auf punktuelle Defizite in Ländern, wo ansonsten die demokratischen Institutionen und Verfahren ohne Beanstandung waren und den Grundsätzen der EU entsprachen. In der Slowakei dagegen betraf die Konditionalität der EU den ganzen demokratischen Prozess.419 Von 1994 bis 1999, also auch noch im ersten Jahr der Dzurinda-Regierung stand die Erfüllung der politischen Kriterien im Vordergrund, danach lag der Akzent stärker auf der Implementierung der eingeleiteten Maßnahmen (Verabschiedung von Gesetzen etwa). Ergebnisse der Methode und Maßnahmen Dass gemäß unserem Analyseansatz der Blick auf die Regierungsakteure allein jedoch nicht ausreichend ist, beweist der slowakische Fall besonders stichhaltig. Die Politik der EU zeitigte auch Wirkungen auf die Opposition und die Bevölkerung. Außerdem verdeutlicht die Interaktion zwischen EU und den Teilsystemen der Slowakei, dass es, erstens, direkte und indirekte Einflüsse gibt und dass, zweitens, die indirekten Einflüsse eine große, ja entscheidende Wirkung haben können, die das Ergebnis direkter Maßnahmen durchaus auch übersteigen können. Nimmt man die Phase zwischen 1994 und 1998 und die Wirkung der direkten offiziellen und inoffiziellen Maßnahmen, des politischen Dialogs im Rahmen der Assoziierungsinstitutionen und der Beitrittspartnerschaft auf die Regierung Meþiar, wäre eine Bewertung schnell erledigt; das Urteil würde lauten: vernachlässigenswert. Weder die zunächst als Empfehlungen geäußerten, noch die zunehmend deutliche Kritik, weder der Druck durch die Konditionalität noch der Ausschluss aus der ersten Verhandlungsgruppe oder die Androhung noch drastischerer Maßnahmen (Einfrieren der Hilfen) zeitigten eine Wirkung bei Meþiar oder seinen Koalitionspartnern in der Regierung. Sie führten nicht zu einer Änderung der Regierungspolitik, veranlassten die Regierung nicht, die undemokratischen Maßnahmen zurückzunehmen. Als einzige Ausnahme könnte man den slowakisch-ungarischen Grundlagenvertrag ansehen, der auf massiven Druck der EU im Rahmen des Stabilitätspaktes Europa abgeschlossen wurde. Erstens, aber wurde die Ratifizierung des Vertrages verzögert, und zweitens, wurde der Vertrag Gegenstand eines Händels, das einen weiteren Rückschlag für den Zustand der bürgerlichen Rechte, insbesondere der ungarischen Minderheit bedeutete. Meþiars Koalitionspartner SNS war nur bereit, jenen Vertrag zu ratifizieren, wenn im gleichen Zuge eindeutig undemokratische Gesetze verabschiedet würden.420 Die Reaktionen Meþiars bestanden in verschiedenen Mustern: 1. im Ignorieren der Kritik oder 2. in dem Herunterspielen der Bedeutung der Démarchen und Noten, zudem in drei weiteren Taktiken, die auch nach innen gerichtet waren: 3. in der Behauptung, die EU (und andere ausländische Stimmen) verstünden die slowakische Eigenheit nicht und berücksichtigten nicht die besonderen Umstände des Landes und seiner Transformation. Auf 419
So auch Pridham, Geoffrey, „The European Union’s Democratic Conditionality and Domestic Politics in Slovakia: the Meþiar and Dzurinda Governments Compared”, in: Europe-Asia Studies, 2/2002, S. 203-227, hier: S. 209 420 Dazu gehörte das Gesetz zum Schutze der Republik, die Notstandsgesetzgebung, das Sprachengesetz, das Slowakisch zur Amtssprache machte, und das Gesetz zur Reform der territorialen Gliederung, dessen Neueinteilung der Wahlkreise bewirkte, dass die ungarische Bevölkerung fast nur noch in der Minderheit war. Siehe dazu ausführlich Schneider, Eleonora, Quo vadis, Slowakei? Von der eingeleiteten Demokratie zum Autoritarismus?, Bericht des BIOst Nr. 36/1997, S. 20ff
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die sich verschärfende Kritik argumentierte Meþiar zum Beispiel 4. auch mit dem Totschlagsargument der Einmischung in die Souveränität der Slowakei. Angewandt wurde 5. die Verfolgungs- oder Opfertaktik sowie 6. das Abschieben der Verantwortung auf andere, wie etwa, dass Staatspräsident Kováþ das Land im Ausland schlecht mache oder dass die Medien für das schlechte Image verantwortlich seien. Auch 7. Drohungen seitens der Regierung – im Stile: Wenn uns der Westen nicht will, gehen wir nach Osten“ – sowie 8. das Unverzichtsbarkeitsargument – „Westeuropa kann uns nicht allein lassen, denn unsere strategische Position ist zu wichtig“421 - gehörten zur Palette der Meþiar-Regierung. Im Folgenden seien einige Beispiele genannt:
Auf die Démarche von 1994 drückte die Regierung ihre Wertschätzung für die Aufmerksamkeit aus, die den Entwicklungen in der Slowakei geschenkt werde.422 Auf die zweite Protestwelle Ende 1995 reagierte das Außenministerium mit dem Argument des Unverständnisses für das Land: „it is not only the Slovak public that can notice that many countries and also some institutiones cannot get beyond a kind of stereotype in relation to Slovakia“.423 Meþiar meinte, die Démarche sei nicht gut fundiert, andere Regierungsvertreter legten die Démarche als Ergebnis unzureichender Information über die Slowakei aus. Parlamentspräsident Gašparoviþ (seit Mai 2004 Staatspräsident) sah Zweifel ob des Antrages auf Aufnahme in NATO und EU aufkommen.424 Auf einer internationalen Konferenz in Berlin im November 1995 verglich Meþiar das Vorgehen der EU, Entscheidungen „über uns ohne uns“ zu machen mit 1938, 1939 und 1968.425 Das gleiche Verhalten konnte die Verfasserin selbst bei einer hochrangigen, internationalen Konferenz, die von Bundespräsident Herzog im Januar 1996 veranstaltet wurde, miterleben. Für die Schwierigkeiten im Beitrittsprozess 1997/98 machte Meþiar die Opposition und Präsident Kováþ verantwortlich. Auf die Proteste wegen der Amnestien 1998 reagierte er mit dem Souveränitätsargument. Der Staatssekretär im Außenministerium, Jozef Šesták, erklärte, die Slowakei sei nicht länger „submissiv“.426
Der Grad der Befolgung (Abb. 8) von Meþiar war also niedrig, praktisch gleich null. Die argumentativen Reaktionen bestanden sowohl aus Ablehnung als auch aus Ausflüchten, wobei die Meþiar-Regierung sogar noch weiter ging, nämlich in eine Art aggressives Zurückweisen und Gegenangriff auf die Absender der Kritik. Die praktischen Reaktionen bestehen in einer klaren Nichtbefolgung, das heißt keine Änderung von Gesetzen, Institutionen oder Verhalten. Betrachtet man Opposition, dann ist als direkte Wirkung nochmals auf die finanzielle Unterstützung der NGOs durch die EU hinzuweisen. Die breite Kampagne der NGOs vor den 1998er Wahlen gegen Meþiar, für den Wechsel hatte eine große Rolle gespielt. Die Unterstützung bestand nicht nur auf der finanziellen Seite, sondern war auch sichtbar durch die Teilnahme der Kommissare Van den Broek und Verheugen bei den NGO Roundtables vor 421
A.a.O., Wlachovsky, S. 46 Vgl., a.a.O., Duleba, S. 215 423 Ebd., S. 217 424 Vgl., a.a.O., Mesežnikov, 1997, S. 19f 425 Vgl., ebd. 426 Vgl., a.a.O., Mesežnikov, 1998, S. 23f 422
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den Wahlen 1998 und 2002, was eine symbolische Wirkung hatte.427 Im Übrigen war das Bewusstsein für die finanzielle Hilfe allgemein hoch in der slowakischen Bevölkerung, das höchste unter den Bewerberländern.428 Überwiegend sind die Wirkungen auf die Opposition aber als indirekt zu bewerten. Grundsätzlich gab es in den Reihen der Opposition ebenso wie bei Staatspräsident Kováþ Zustimmung zu der Kritik der EU. Für sie waren die genannten demokratischen Mängel eine zutreffende Analyse des Zustands, und die Empfehlungen der EU stimmten mit ihren Forderungen überein. Die Reaktion der Regierung auf die EU-Démarchen, das Herunterspielen, wurde kritisiert.429 Der Weg der EU über Démarchen und Noten wurde als „der einzig mögliche Weg beurteilt, der Regierung zu zeigen, dass man es in Brüssel ernst meint…“430 In dem Maße freilich, wie die Opposition die Kritik der EU ernst nahm, entstand auch Sorge über das schlechte Image des Landes und auch über Konsequenzen. Die Kritik der EU unterstützte und bestätigte nicht nur die Haltung der Opposition, sie bildete auch eine Referenz für die Argumentation. Der langjährige führende Oppositionspolitiker (KDH) und Justizminister der ersten Legislatur Ján ýarnogursky weist auf diesen Effekt der Kritik hin: „Demokratische Kräfte in der Slowakei konnten sich auf die EU berufen, wenn sie allgemein demokratische Ziele in der Slowakei verfolgten.“431 Das heißt, die EU, ihre Standards wie auch ihre Kritik wurden Referenz für die demokratischen Kräfte im politischen Diskurs. Andererseits bestätigte die EU durch die Haltung ihre Glaubwürdigkeit als Vertreterin und Verteidigerin demokratischer Werte. Auch die Betrachtung des Teilsystems Einstellungen bzw. öffentliche Meinung, also der Bevölkerung, ergibt Aussagen zur Wirkungen indirekter Einflüsse. Die Bevölkerung nahm sowohl die Kritik der EU als auch die außenpolitischen Fehlleistungen, schließlich das Scheitern der Integrationspolitik wahr. Die Reaktion der Bevölkerung auf die Protestwelle der EU 1995 war zustimmend. Gut zwei Drittel unterstützten die Meinung, dass die EU das Recht habe, von der Slowakei verlangen zu können, den gleichen Regeln zu folgen wie die anderen assoziierten Länder. Ebenso viele waren zudem der Ansicht, die Regierung sollte die undemokratischen Merkmale ablegen, die die Kritik des EP verursacht hatte.432 In Parteipräferenzen differenziert war die Akzeptanz der EU-Proteste bei den Anhängern der Ungarischen Koalition über 90, der Christdemokraten, Demokratischer Union und DS zwischen 80 und 90 Prozent, bei den Anhängern der Sozialdemokraten bei 60, der Regierungsparteien zwischen 20 (HZDS und SNS) und 40 (ZRS) Prozent.433 Die Bevölkerung nahm zudem die Schere zwischen ihren eigenen außenpolitischen Vorstellungen – nämlich EU-Integration - und der tatsächlichen Politik der Regierung wahr. 1995 befürworteten 50 Prozent die Integration in EU und NATO, aber nur 30 Prozent der Bevölkerung sahen ihr Land auf dem Weg dorthin.434 Nur 3 Prozent waren für eine Anbindung an Russland, aber 19 Prozent hatten den Eindruck, dass sich die Slowakei Rich427
Zu Van den Broek 1998: siehe dazu Interview Demeš; Teilnahme der Verf. am Roundtable im Mai 2002 mit Verheugen. 70 Prozent geben an, sie nehmen wahr, dass die Slowakei Gelder von der EU bekommt. Da ist der höchste Wert unter den 2004-Mitgliedern. Vgl., CCEB 2003.4, S. 159, Abb. 5.3e. Siehe dazu auch CEEB 1997 429 Vgl., a.a.O., Wlachovsky, S. 47 430 Interview Alner 431 Interview ýarnogursky 432 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1997, S. 279 433 Vgl., ebd., S. 280 434 Vgl, ebd., S. 276 428
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tung Russland bewege.435 Dieser Eindruck verdichtete sich: Ende 1996 meinte über die Hälfte der Befragten, die Regierungskoalition würde das Land nicht zur Integration führen. Und die Gründe dafür wurden sehr klar erkannt: 58 Prozent führten dies darauf zurück, dass die Regierung es ablehne, eine demokratischere Politik durchzuführen trotz der wiederholten Warnungen der internationalen Gemeinschaft.436 Es zeigt sich sehr deutlich, dass die Reaktion Meþiars auf die Kritik der EU – Ablehnung der Empfehlungen und Zuwendung zu Russland - den außenpolitischen Wünschen der Bürger und ihrer überaus positiven Einstellung zur EU zuwider liefen. Die Politik Meþiars schmälerte nicht das Europabewusstsein der Bürger, sondern stärkte es eher, ebenso wie die Ablehnung seiner Politik. So stellt das CEEB fest: „The Slovak case is particularly interesting since ordinary citizens there increasingly have a positive opinion of the EU in practically all fields despite the sometimes less positive discussions between their government and the European Union. It appears that the country’s internal situation has led many Slovaks to look for an external point of reference for their hopes and ambitions.”437
Die sich kumulierende Kritik von Seiten der EU und Meþiars Reaktion darauf machte seine Europapolitik unglaubwürdig. Es entstand ein bias zwischen faktischer Regierungspolitik und Wünschen der Bevölkerung. Die Bürger hatten das Gefühl, ihr Land ginge in die falsche Richtung.438 Man muss sehen, dass die internationale Position der Slowakei und ihre Chancen einer Integration in die euro-atlantischen Strukturen ab 1996 „among the most important, and most widely discussed issues in Slovak politics.“439 waren. Der Stellenwert der EU-Integration war für die Bevölkerung sehr hoch. Die Démarchen und Warnungen der EU wurden in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Methode von EU und NATO, auch die Bevölkerung anzusprechen, nachdem die offiziellen Adressen an die Regierung so wenig fruchteten, wurde als wirkungsvoll beurteilt.440 Das weist auf einen weitere Wirkung indirekter Art hin: Die wiederholten Hinweise auf die demokratischen Mängel haben zur Sensibilisierung für demokratische Werte beigetragen. Dies lässt sich als Einstellungsveränderung bewerten und auch als „political learning“ verstehen. Nach Demeš hatte die Kritik der EU „definitely impact on feeling what is considered democratic and what not“.441 Durch die regelmäßige Wiederholung der Missstände, die Empfehlungen, was zu ändern sei, hat sich das Bewusstsein der Bürger für die Bedeutung von Demokratie allgemein und für einzelne Aspekte sensibilisiert. „The West’s open emphasis on the need for democratization was of great importance in shaping public opinion.”442 435
Vgl., a.a.O., Bútorová, 1997, S. 276 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1998, S. 73 437 A.a.O., CEEB, 1997, S. 17 438 Die Slowakei hatte 1997 den niedrigsten Wert aller Bewerberländer: Nur 26% meinte, ihr Land ginge in die richtige, 64% dagegen, in die falsche Richtung. Vgl., CEEB, 1997, Annex Abb. 74. 1998 liegt der Wert nach einer slowakischen Umfrage ähnlich hoch bei 69%. Vgl., a.a.O., Bútorová, Zora/Gyárfašová, OĐga/Velþic, Marián, 1999, S. 138 439 Vgl., a.a.O., Bútorová, 1998, S. 73 440 Interview Wlachovsky 441 Interview Demeš 442 Vgl. Bútora, Martin/Bútorová, Zora, “Slovakia’s Democratic Awakening”, in: Journal of Democracy, 1/1999, S. 80-95, hier: S. S. 90 436
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Das „political learning“ hatte Bedeutung in der politischen, aber auch in der wirtschaftlichen Elite sowie in Justiz und Bürokratie, und damit auch auf der Prozessebene. Dazu trugen nicht nur Instrumente wie das „Twinning“, Training oder die Assoziationsstrukturen bei. Auch die spätere Opposition durchlebte einen Lernprozess, meint Peter Weiss. Als Oppositionsparteien änderten HZDS und SNS ihre Europapolitik. Gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung Politik zu machen, sei sehr schwierig. Insgesamt sei „diese Sozialisierung der politischen Elite durch die Kontakte mit der EU, mit den Parteistrukturen (…) sehr notwendig“ gewesen. Das habe auch die Entwicklung beschleunigt.443 Szomolányi stellt fest: “…political actors have learned not only from their domestic experiences, but also from the influence of external factors, represented by pressure from EU and NATO. This accelerated learning, in the form of a kind of ,democratic broiler’, is not ruled out in the case of Slovakia.”444 Als konkretes Beispiel für die Wirkung der EU auf Opposition und Bevölkerung soll der Ausschluss der Slowakei aus der Verhandlungsgruppe dienen. Dieser Ausschluss bildete einen Markstein oder sogar Wendepunkt, denn im Gegensatz zur Regierung löste er bei Opposition und Öffentlichkeit erhebliche Wirkungen aus. Die Opposition fand sich in ihrer Befürchtung ernsterer Konsequenzen bestätigt. Dieser Schritt der EU wurde als ein harter Rückschlag für den Beitrittsprozess, für die Slowakei empfunden. Alle demokratischen Kräfte waren enttäuscht, darin stimmten die Interviewpartner überein: „…it was a very bad news for Slovakia and especially for all democratic forces in Slovakia in the way that we wanted to become a part of the EU…445 Die Beurteilung des Ausschlusses selbst fällt ambivalent aus: Auf der einen Seite wurde dieser Schritt verstanden: „There were some conditions (…) and in Slovakia the government did not fulfill…The Commission had no other choice. (Adamiš) “I think there was no other chance.” (Demeš) “Ich kann verstehen, dass es aus politischer Sicht nicht möglich war, ein solches Land, mit solcher politischer Repräsentation einzuladen.“ (Lombardini) „ (…) you have to keep the price high for that (…) and EU has its price and we simply don’t make it in 97. And it was good that people saw then, what is the price of it, that it is not for free.” (Wlachovsky)
Die Meinung Ján FigeĐs steht stellvertretend für viele: „Slovakia excluded itself, I think. It was not only EU…We have disqualified ourselves due to governmental policies…”446
Es gab aber auch skeptische Stimmen. Präsident Kováþ etwa hatte Verständnis für die Entscheidung, sah aber zumindest in Bezug auf die NATO Fragezeichen:
443
Interview Weiss A.a.O., Szomolányi, 1999, S. 36 445 Interview Wlachovsky 446 Interview FigeĐ 444
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„Es gab dafür [für den Ausschluss – MK] ernste Gründe, die verständlich waren. Aber die Frage bleibt immer offen, ob es nicht besser gewesen wäre für die Slowakei, wenn sie trotz dieser Vorbehalte in die NATO aufgenommen worden wäre.“447
Daher schrieb er im Mai 1997 an alle Staatspräsidenten der NATO-Länder einen Brief, in dem er darauf hinwies, dass sie trotz all dieser Gründe doch an die Zukunft und die Perspektive der Slowakei denken sollten.448 Juraj Alner argumentiert, dass Isolation immer nur die Isolationisten stärkt. „Die Warnungen waren sehr wichtig, nur der Ausschluss hat auch ein bisschen Skepsis verbreitet“.449 Auch Šebej hätte den Beginn der Verhandlungen befürwortet, „because the negotiation process is mainly about technical things. Of course, you have great political aspects…I would have preferred to start negotiations about chapters (…), and when you say rather you cannot accept this, then you stop negotiations to exclude the country.”450 Konkret hat sich der Ausschluss – darauf wiesen fast alle Interviewpartner hin - katalysierend für die Einigung der Opposition ausgewirkt.451 Der Ausschluss, so Šebej, stellte einen Anstoß für die Opposition dar, sich zusammenzuschließen, um einen erneuten Wahlsieg Meþiars 1998 zu verhindern. Der Druck der EU half den demokratischen Kräften, sich zu mobilisieren, die demokratische Allianz zu bilden, zusammenzuarbeiten und über die Regierungsbildung nachzudenken.452 Auch Bilþik hält den Druck der EU für einen ausschlaggebenden Faktor für die Formierung der Opposition. Sie habe sich einigen müssen.453 „So it had a positive impact on creation, unaninimity and joined approach together on the political scene.“454 Diese katalysierende Wirkung auf den Zusammenschluss der oppositionellen Kräfte zu jener Wahlkoalition ist ein zentraler Faktor der Ablösung der MeþiarRegierung gewesen, den die EU-Politik indirekt beeinflusst hat. Eine weitere Wirkung des Ausschlusses bestand darin, dass die Slowakei gegenüber den anderen Visegrád-Ländern zurückgesetzt war, und nun auf der Stufe von Rumänien und Bulgarien stand. Das lief sowohl der Politik Meþiars zuwider, der die Einzigartigkeit und Bedeutung der geopolitischen Lage des Landes auch nach außen immer hervorgehoben hatte. Im bilateralen Verhältnis erwuchsen kaum direkte Nachteile für die Slowakei, sie blieb ja weiterhin Handelspartner. Allerdings wirkte sich der Ausschluss durchaus auf den Handel und vor allem auf die ausländische Investitionstätigkeit aus, deren Rückgang sich für die Slowakei nachteilig auswirkte. Die Bewertung eines Landes als politisch nicht stabil – zumal, wenn sie mit solch einer Stigmatisierung wie durch EU und NATO einhergeht – birgt auch wirtschaftliche Konsequenzen in sich. Ausländische Investoren wurden abgeschreckt, die internationalen Institutionen schränkten ihre Kredit- und Darlehensvergabe ein.455. Außerdem hatte der Ausschluss einen starken psychologischen Effekt. Diese Zurücksetzung verletzte zweifelsohne den Stolz der Slowaken. Der Prestigeverlust durch den 447
Interview Kováþ Interview Kováþ 449 Interview Alner 450 Interview Šebej 451 Bilþik, Adamiš, Mezešnikov 452 So Mezešnikov und Peškova im Interview 453 Interview Bilþik; so auch Adamiš, Mezešnikov, ĝebej 454 Interview Adamiš 455 Von der Weltbank gab es lediglich eine Überweisung in 1994 von 135 Millionen US-Dollar. Die nächste Aktivität fand 2001 statt. Die Aktivität der IBRD in der Slowakei war ebenso sehr niedrig, im Vergleich der Beitrittsländer mit 2 % eine der niedrigsten. 448
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Rückfall innerhalb einer eigentlich relativ gleich gelagerten Gruppe wurde stark empfunden. Beispielhaft dazu die Darstellung der Perzeption der Slowakei als „schlechter gestelltes“ Land in einer Rede von Präsident Schuster, hier in Bezug auf die NATO: „Im Unterschied zu den übrigen Visegrád-Staaten befindet sich die Slowakei bezüglich der NATO in einer spezifischen Lage. Während Polen, die Tschechische Republik und Ungarn bereits vollberechtigte Mitglieder dieser euroatlantischen Gruppierung sind, ist die Slowakei in einer Situation um eine `Stufe niedriger`.“456
Wie wirkte der Ausschluss auf die Bevölkerung? Die Bürger, die die Integration zu drei Vierteln unterstützten, nahmen den Ausschluss ebenso enttäuscht auf wie die Opposition.457 Zugleich nahmen sie die Gründe wahr und ordneten die Verantwortung für diesen Schritt sehr genau zu. 55 Prozent sagten, dies habe daran gelegen, dass die Regierung keine demokratischere Politik durchgeführt habe, 48 Prozent meinten, dass die politischen Bedingungen nicht erfüllt worden seien.458 Die Zuordnung dieses politischen Tiefschlags war ziemlich eindeutig. Die Konsequenzen des Ausschlusses wurden eher negativ (42%) betrachtet, halb so viele meinte, er habe keine Folgen.459 Vor den Wahlen 1998 betrachtete fast die Hälfte der Bürger den internationalen Status der Slowakei kritisch. Mehr als die Hälfte der Bürger hielten die Kritik der EU für berechtigt.460 1997 waren mehr als die Hälfte der Slowaken besorgt über den Ausschluss der Slowakei aus der ersten Gruppe; er war sogar die zweitgrößte Sorge der Slowaken überhaupt. Dies sah übrigens anders aus in Bezug auf den NATO-Ausschluss, der die Bürger weit weniger beunruhigte.461 Nach den Wahlen 1998 hofften viele, dass sich nun der internationale Status ihres Landes ändern würde. 52 Prozent meinten, dass sich mit der neuen Regierung die Chancen auf eine EU-Mitgliedschaft verbessert hätten.462 Den Bürgern war der Zusammenhang zwischen dem Zustand der Demokratie und dem Regierungsstil Meþiars auf der einen und der Chance auf Integration in die EU auf der anderen Seite sehr klar. Ebenso wie der Opposition stand der Bevölkerung ab Mitte 1997 vor Augen, dass mit Meþiar der europäische Weg gefährdet sein würde: „the whole perception of the failures and democratic deficits were connected with the failure of the European integration“, so Mezešnikov.463 Auf Grund dieser Verknüpfung wuchs die Sorge um den Beitritt und das Bewusstsein um die entscheidende Bedeutung der Wahlen - für die Zukunft der Demokratie in der Slowakei ebenso wie für die Zukunft in oder außerhalb der EU. “And it (…) had an impact on the people because they knew if Meþiar would be again re-
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Schuster, Rudolf, Rede zum Neujahrsempfang der Deutsch-Tschechischen und –Slowakischen Gesellschaft (DTSG), der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft (DUG) und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft (DPG) in Berlin am 19. Januar 2000 (www.dtsg.de/schusterrede.html, S. 1 und S. 3) 457 So Lombardini und Alner im Interview 458 Vgl., a.a.O., Bútorová/Bútora, 1998, S. 178 459 Vgl., ebd., S. 182 460 Vgl., ebd., S. 178 461 An erste Stelle stand Erpressung durch die Mafia mit 76%, dann kam der Ausschluss mit 54%; die NATO rangiert auf dem drittletzten Platz mit 41 Prozent. Vgl., Bútorová, Zora/Gyárfašová, OĐga, “Social Climate three Years after the 1994 Elections”, in: Bútorová, Zora (Hrsg.), Democracy and Discontent in Slovakia: A Public Opinion Profile of a Country in Transition, Bratislava 1998, S. 51-69, hier: S. 59 462 Vgl., a.a.O., Bútorová/Gyárfašová/Velþic, 1999, S. 152 463 Interview Mesežnikov
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elected our chances to start negotiations or to become a NATO or OECD member would be really low. So, they recognized that the politics of Meþiar goes nowhere.”464 Die Kritik der EU sensibilisierte und mobilisierte Opposition und Bevölkerung im Vorfeld der Wahlen 1998. „…for the democratic part of the society it was a signal now to mobilize their forces.“465 Die durchaus reelle Aussicht, in der totalen Isolation zu enden, wurde zu einem wirkungsvollen Element der oppositionellen Parteien im Wahlkampf. Die hohe Wahlbeteiligung (84,24%) zeigte, dass die Bürger wussten, was auf dem Spiel stand. Vor allem in der jungen Generation fokussierten sich die Zukunftshoffnungen auf die EUIntegration, so dass der Ausschluss eine besonders beunruhigende Wirkung auf sie hatte. Das heißt: Die indirekte Wirkungen auf die Opposition – als Katalysator zum Zusammenschluss gegen Meþiar - und die indirekte Wirkung auf die Bevölkerung – als Sensibilisierung für demokratische Werte und Prinzipien und als Mobilisierung für die Wahl – waren zentrale Faktoren für die Abwahl Meþiars. Kommen wir zur Phase der Regierung Dzurinda und den Ergebnissen der Interaktion zwischen ihr und der EU. Dzurindas Ziel bestand von Anfang an darin, die verlorene Glaubwürdigkeit und das angeschlagene internationale Ansehen wiederzugewinnen sowie den verlangsamten Beitrittsprozess wieder zu beschleunigen. Die Konditionalität wurde voll anerkannt und demnach gehandelt. In diesem neuen Kontext einer kooperativen, aber unter Erfolgsdruck Druck stehenden Regierung mit innenpolitisch schwierigen Rahmenbedingungen lässt sich ein anderes Muster an Wirkungen feststellen. Die Perspektive des EUBeitritts hatte vor 1998 als verbindendes Element der demokratischen Opposition gedient. Nach 1998 verkörperte sie ein disziplinierendes Element der schwierigen Koalition der Regierung Dzurinda. Die Opposition schloss sich 1998 zusammen auf der Grundlage zweier Visionen: Demokratie und Europa. Und diese Vision bildete auch das treibende Moment als Koalitionsparteien. Zum einen stellte der europapolitische Konsens aller Parteien dieser Koalition eine wichtige Basis dar und bildete einen, eigentlich den einzigen, wirklichen gemeinsamen Nenner. Zum zweiten diente die Forderung der EU nach politischer Stabilität als Argument und Anreiz, die Koalition zusammenzuhalten. „So the argument, we need a stable government, was also nurtured by the idea of EU. So this was also an external argument for an internal process of sticking together.”466 Dzurinda benutzte dieses Instrument in konfliktiven Situation, indem er dann darauf verwies, ‚wir müssen diesen Punkt lösen, um als Mitglied in der EU akzeptiert zu werden’.467 Zum dritten konnte der Verweis auf die Erfüllung von EU-Anforderungen auch als Argument bei der Vermittlung unpopulärer Maßnahmen ins Feld geführt werden. Damit wurden politisch unbequeme Entscheidungen qua EU legitimiert. Die Beschleunigung des Reformprozesses ist das Stichwort, das die Phase ab 1998 kennzeichnet. Die Wirkung der EU war – und dies stimmt mit der Perzeption der Beteiligten überein, die eines Reform-Katalysators. Dieses Katalysieren richtete sich, erstens, auf die ohnehin notwendigen Reformen im Zuge des Transformationsprozesses. Diese ReformNotwendigkeit traf sich mit den Erwartungen der EU und vor allem dem Zwang, den acquis zu übernehmen. Lombardini nennt das eine „gute Koinzidenz“. In der Perzeption der
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Interview Adamiš Interview Mezešnikov 466 Interview Šebej 467 Vgl. Interview Meežnikov 465
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nationalen Akteure wird die Übernahme der EU-Regeln und des acquis als Hilfe, als Erleichterung des Reformprozesses betrachtet. „Dadurch [durch die Übernahme der EU-Regelungen] haben wir eine ganze Reihe von Fragen gelöst; Themen, zu denen unsere Politiker nie die Initiative ergriffen hätten. Aber durch die Beitrittsverhandlungen werden diese Rechtssysteme übernommen, in großem Maße wird dadurch die Reform unterstützt. Auch im Kampf gegen die Korruption, gegen das organisierte Verbrechen, Landwirtschaft, Ökologie. Also in diesen Fragen werden die Prozesse beschleunigt.“ (Michal Kováþ) „Im Allgemeinen hat der Prozess der Vorbereitung auf die EU-Mitgliedschaft dem Reformprozess geholfen. Wir wussten, dass wir die Reformen machen müssen (…), dass die EU-Kriterien die gleichen waren und dazu Unterstützung da war durch Programme, Expertenhilfe, finanzielle Hilfe – das war eine positive Beeinflussung des Prozesses, den wir gestartet haben.“ (Veronika Lombardini) „Entweder können wir sie [die Reformen – MK] aus eigener Kraft machen, mit eigenen Ideen, sozusagen, etwas neues erfinden, oder wir können – und das ist, glaube ich, ein großes Positivum der Verhandlungen über das acquis communautaire – wir können Regeln und Regelungen übernehmen, die durch jahrzehntelange Entwicklung gegangen sind und die irgendwie getestet wurden.“ (Michal Petraš) „Wie lange würden die Reformen dauern, wenn die Slowakei sich nicht auf den Beitritt vorbereiten würde? Aber die Reformen brauchen wir ja nicht nur, weil wir Mitglied der EU sein wollen.“ (Agata Peškova)
Die Frage, ob der Druck bei der Übernahme des acquis zu dem Gefühl geführt habe, dass die Slowakei Dinge zu übernehmen hat, die nicht in ihrem Interesse stehen, wurde überwiegend von den Interviewpartnern verneint. Es sei allgemein akzeptiert gewesen, dass man die Regeln, wie etwa demokratische Verfahren aussehen, zu übernehmen hätte, wenn man zum Westen gehören wolle, so Wlachovsky. „There was a general notion that EU can help us preparing a good legislation“.468 Petraš verweist auf die Schwierigkeiten bei der Verfassungsreform, dass viele Gesetze mehrmals geändert werden musste und sich der ganze Prozess verzögerte. Ohne den acquis jedoch wäre das Tempo noch viel langsamer und die Fehlerquote wahrscheinlich noch höher, so Petraš.469 Die Reform der Politikfelder, für die der acquis und die Verhandlungen den Leitfaden boten, konnte auch deswegen in knapp drei Jahren durchgeführt werden, weil die Slowakei durch die Europa-Abkommen und vor allem die High Level Working Group vorbereitet war. „Es war ein Instrument, was uns wirklich geholfen hat, sehr schnell nicht nur in den politischen Kriterien (…) Fortschritte zu machen, sondern natürlich auch in den anderen [Bereichen - MK]…“470 Ein Reformbeschleuniger war die EU, zweitens, speziell in Bezug auf die unter Meþiar verschleppten Reformen. Es gab, wie erwähnt, drei problematische Aspekte, die die Kommission in ihrem Fortschrittsbericht von 1998 als kurzfristige Prioritäten genannt hatte: freie und faire Präsidentschafts- und Kommunalwahlen, ein Gesetz über die Minderheitensprachen, und ungelöst war weiterhin die Frage der Abschaltung des V-1-Reaktors von Bo468 469 470
Interview Wlachovsky Interview Petraš Interview Lombardini
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hunice. Nachdem die EU nicht auf dem Wiener Gipfel nicht bereit war, eine Zusage zur Eröffnung von Verhandlungen zu geben, war klar, dass die Entscheidung in Helsinki fallen würde. Das heißt, der Druck, diese oben genannten Mängel zu beseitigen und zwar in Jahresfrist, war extrem groß. Die Kommunalwahlen wurden noch Ende 1998 durchgeführt, das Gesetz über die Direktwahl des Präsidenten wurde im Januar 1999 verabschiedet und im Mai durchgeführt. Diese beiden Bedingungen waren nicht so schwer zu erfüllen, da der Konsens in der Regierung vorhanden war. Weitaus schwieriger gestalteten sich die Verabschiedung eines Sprachgesetzes sowie die Abschaltung von Bohunice. Schwierig deswegen, weil die Regierung Dzurinda unter dem äußeren Druck der EU stand, zugleich aber auch unter dem Druck verschiedener Interessen im Inneren. Auf diese beiden Beispiele soll nun etwas detaillierter eingegangen werden. Die Nuklearpolitik ist ein gutes Beispiel, da sie zum einen eine zentrale Bedingung für die Verhandlungen darstellte, zum anderen ein in mehreren anderen Ländern vorhandenes Problem war (Litauen, Bulgarien), und zum dritten hier gezeigt werden kann, wie sehr die Reaktionen der Regierungen Meþiar und Dzurinda auseinanderklafften. Es ging um das mit überholter Technologie ausgestattete Kernkraftwerk Bohunice – eines der neun gefährlichsten der Welt. Nach Willen der EU sollte es durch das in den 1980er Jahren begonnene Kernkraftwerk in Mochovce ersetzt werden.471 Dafür wollten bereits 1993 die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und Euroatom die Finanzierung bereitstellen. Damit verbunden waren bestimmte Bedingungen wie zum Beispiel ein international akzeptables Sicherheitsniveau, das Abschalten der beiden V-1 Blöcke von Bohunice zum frühest möglichen Zeitpunkt, staatliche Garantien für die ausländischen Kredite sowie die Liberalisierung der Strompreise. Einige dieser Bedingungen erfüllte die Meþiar-Regierung 1994, andere stellten sich als schwierig heraus. Das EP widmete dem Thema Mochovce im Februar 1995 eine Entschließung, bei der es die an dem Vorhaben beteiligten Organe (Kommission, EBWE, EIB) aufforderte, die Beteiligung zu unterbrechen, solange die Sicherheitsprobleme nicht gelöst seien.472 Ende März 1995 stand die endgültige Entscheidung der EBWE an, als wenige Tage vorher in die Öffentlichkeit durchsickerte, dass die slowakische Regierung die EBWE um Vertagung der Entscheidung gebeten hatte. Die Begründung war die Resolution des EP und ein angeblich neues, billigeres Angebot von Skoda, Prag. Die westlichen Partner waren schockiert, die Bayern AG und Preussen Electra zogen sich zurück. Gemäß der EBWE hatte das Projekt keine Zukunft mehr. Das Vorgehen Meþiars lief darauf hinaus, dass er mehrere Fliegen mit einer Klappe schlug: Er musste Bohunice nicht schließen, die Energiepreise nicht liberalisieren – letzteres wäre ein überaus unpopuläres Unterfangen gewesen. Zudem schlug er indirekt den EBWE-Kredit ab, wobei er die EP-Resolution für seine Zwecke instrumentalisierte. Als die Slowakei dann neue Partner suchte, bot nur Russland einen Kredit an. Im Oktober 1995 zeichneten Russland und die Slowakei eine Übereinkunft zur Zusammenarbeit im Nuklearbereich. Neben westlichen Firmen wurde auch Russland Vertragspartner für die Beendigung von Mochovce. 471 Siehe zu diesen Thema Trubíniová, ďubica, „Nuclear energy industry in Slovakia in 1995 through the eyes of its environmental critics“, in: Bútora/Hunþík, S. 145-155; Krivošík, Juraj/Trubiniová, ďubica, „Problems of Nuclear Power Engineering“, in: a.a.O., Mesežnikov et. al., 1999, S. 326-331; Huba, Mikuláš/Trubiniová, ďubica, „Environment and sustainable development“, in: a.a.O., Mezešnikov et.al., 2001, S. 423-439 472 Entschließung des EP zum Mochovce-Vorhaben am 16.2.1995, Bulletin, 1/2-1995, S. 71. Eine weitere Entschließung folgte 1998, die die Slowakei aufforderte, die Inbetriebnahme von Mochovce auszusetzen, bis die Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit ausgeräumt werden. Vgl. Bulletin 5-1998, S. 66
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Die Regierung Meþiar hatte eine Schließung von Bohunice ein Jahr nach dem erfolgreichen Start von Mochovce zugesagt. Die Regierung Dzurinda stornierte diese Zusage allerdings im April 1999. Dzurinda stand zwischen den massiven Interessen der Nuklear-Lobby seines Landes, die Bohunice bis 2012 oder 2015 laufen lassen wollten, und der Kommission, die erklärt hatte, Kandidaten mit „high-risk“-Kernkraftwerken könnten der EU nicht beitreten. NGOs im eigenen Land und Österreich forderten zudem einen sofortigen Betriebsstopp. Im Juni 1999 wurde schließlich eine gemischte Kernenergie-Arbeitsgruppe eingesetzt. Dort sagte die Slowakei die Schließung zu, allerdings erst zwischen 2006 und 2008. 2001 wurde ein internationaler Fonds zur Unterstützung der Stilllegung von Bohunice geschaffen, in dem die EBWE als Verwalterin fungierte. Die EU verpflichtete sich, von 2004 bis 2006 insgesamt 60 Millionen Euro als spezifische Zuweisung für die Stilllegung beizutragen. Vergleicht man nun die Reaktionen Meþiars und Dzurindas nach den Interaktionskriterien (Abb. 9), so ergibt sich: Für die Regierung Meþiar war 1. der Status des Absenders nicht sehr hoch, die internen Verhältnisse (Nuklear-Lobby, die Konsequenzen unpopulärer Entscheidungen wie Energiepreisliberalisierung) fielen stärker ins Gewicht als der Druck der EU. 2. Offensichtlich wurden die Druckmittel – Rückzug der Partner von europäischer Seite – nicht als so stark empfunden, weil man glaubte, andere interessierte Partner zu haben. 3. Die Befolgung der EU-Vorgaben wurde nicht als dringend eingestuft, da Meþiar Alternativen sah. Die Option Russland entsprach dem bereits bekannten Muster Meþiars „wenn der Westen uns nicht will, dann gehen wir in den Osten“, wohl auch in der Annahme, dass dort weniger Auflagen verlangt würden. Diese Alternative wiederum – Zusammenarbeit mit Russland - schwächte das Vertrauen und Berechenbarkeit der EU gegenüber der Slowakei. 4. Aus Meþiars Perspektive wurden die Nützlichkeit der EU-Empfehlung und Hilfe trotz gemeinsamer Interessen (Finanzierung von Mochovce) eingeschränkt durch die unbequemen Bedingungen. Da er Alternativen sah, empfand er keine alleinige Lösungskompetenz der EU. Für die Regierung Dzurinda war die Situation – in der Zange zwischen nationalen und externen Akteuren, also ein Beispiel für eine klassische Sandwich-Position – die gleiche wie für Meþiar. Seine Einschätzung des Absenders und die der Druckmittel waren jedoch völlig anders: 1. Der Absender hatte hohes Gewicht, 2. das Druckmittel war der Beitritt selbst, denn wie der Europäische Rat von Köln im Juni 1999 unterstrichen hatte, wurde die nukleare Sicherheit als beitrittsrelevantes Thema betrachtet. Die Slowakei wollte im Dezember 1999 die Zusage zur Eröffnung der Verhandlungen bekommen, verspürte also einen enormen Druck von außen. 3. Dzurinda stand ebenso unter dem Druck der Nuklear-Lobby und eines massiven Finanzierungsproblems. 4. Die Absage an die Abschaltung von Bohunice düfte eine Taktik gewesen sein, um eine klassische Kompromisslösung des do-ut-des zu erreichen. Dies führte zur grundsätzlichen Zusage der Regierung, Bohunice abzuschalten, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Die EU wiederum sagte finanzielle Unterstützung zu. Die Bedingung der EU wurde letztlich erfüllt. Das Problem Sprachengesetz zeigt abermals die „Sandwich-Position“ der Regierung Dzurinda: Schon lange hatte die Aufmerksamkeit der EU auf der Minderheitenpolitik der Meþiar-Regierung gelegen, insbesondere kristallisiert in einem Sprachengesetz, das die Bedürfnisse der Minderheiten berücksichtigen sollte. Die Teilhabe der ungarischen Koalition SMK in der Regierung Dzurinda konnte als Zeichen gewertet werden, dass sie eine andere Herangehensweise in der Minderheitenfrage hat. So bekam die Position eines Stellvertretenden Ministerpräsidenten für Menschen- und Minderheitenrechte ein Vertreter der SMK,
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der 1992 aufgelöste Parlamentsausschuss für Menschen- und Minderheitenrechte wurde wieder ins Leben gesetzt. Die Verabschiedung eines neuen Sprachengesetzes war zu Meþiars Zeiten eine ständige Forderung der EU gewesen und blieb es auch nach den Wahlen 1998. Die Vorbereitung dieses Gesetzes aber entfachte eine hitzige Diskussion: Die Opposition versuchte die Verabschiedung zu verhindern, der SMK ging der Entwurf nicht weit genug, unter anderem, da er sich nur auf den Gebrauch der Minderheitensprache in offiziellen Dokumenten beschränkte. Die Bevölkerung wiederum lehnte das Gesetz mehrheitlich (80%) ab. Nach den Interaktionskriterien (Abb. 9) ergibt sich Folgendes: 1. Der Status des Absenders war von hohem Gewicht, 2. seine Druckmittel extrem stark (Eröffnung von Verhandlungen), und zwar für alle Regierungsparteien. Nachdem alle anderen Punkte (auch Bohunice) bereits gelöst waren, stand nur noch das Sprachgesetz als letzte Hürde vor der Eröffnung der Verhandlungen. 3. Der Druck von innen bestand einerseits darin, dass der Ministerpräsident einen größtmöglichen Konsens zwischen den Koalitionsparteien finden musste, der Entwurf aber die SMK nicht befriedigte. Die SMK - Zünglein an der Waage hatte ebenfalls großes Interesse, dass die Koalition bestehen bliebe, damit sie die Politik mitgestalten könne, andererseits hatte sie die Interessen ihrer Wählerschaft zu vertreten. Zudem war sie Verfechterin des EU-Beitrittes und sich der Bedeutung des Zustandekommens dieses Gesetzes bewusst. Das Ergebnis war, dass die SMK zwar gegen das Gesetz stimmte, aber vollständig im Parlament zugegen war, so dass das Quorum erfüllt und die Verabschiedung des Gesetzes nicht gefährdet war. 4. Das heißt, Dzurinda ging mit einem minimalistischen Gesetz, das die Erfordernisse der EU erfüllte, wenn auch nicht die der SMK, einen Kompromiss ein. Die SMK zeigte sich ihrerseits ebenfalls kompromissbereit auch, da sie das Gesetz nicht völlig kippte. Für Pridham ist die Entstehung dieses Sprachgesetzes ein Beispiel „illustrating once more how EU influences interacted with domestic political pressures“.473 Ähnlich Samson: „Probably nowhere else (not even in the issue of the Kosovo war) the influence of the EU/NATO was so visible as in this case.” Samson geht so weit zu sagen, dass die Regierung das Gesetz gegen seine eigentliche Überzeugung verabschiedete, weil es eben die zentrale Bedingung der EU in diesem Moment war.474 Ein weiteres Beispiel für die Wirkung der EU-Maßnahmen bezieht sich wieder auf ein Problem, das praktisch alle Beitrittsländer betraf, nämlich die Verbesserung der Kapazitäten im Verwaltungs- und Justizbereich. Die EU empfahl der Slowakei, das Ernennungsund Entlassungsverfahren von Richtern zu ändern. Die Kommission kritisierte 1999, dass in der Slowakei Richter durch das Parlament auf Vorschlag der Regierung ernannt wurden und zwar für vier Jahre und danach erst auf unbegrenzte Zeit. Für die Kommission war damit die richterliche Unabhängigkeit nicht gegeben. 2000 forderte sie zudem die Verstärkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts. Die Regierung musste diese Makel beseitigen; im Zuge der Verfassungsreform im Jahr 2001 wurde die Probezeit abgeschafft und die Ernennung durch einen Richterrat vorgesehen. Angewandt auf Interaktionskriterien (Abb. 9) lässt sich sagen: 1. Der Status des Absenders EU war sehr hoch, der Wille der slowakischen Regierung, den von der EU genannten Erfordernissen Genüge zu tun, ebenfalls. 2. Das Druckmittel bestand in der Aufnahme 473
A.a.O., Pridham, 2002, S. 218 Vgl., Samson, Ivo, “EU, NATO and the Slovak Republic: The National Principle Versus the Integration Principle”, in: Seidelmann, Reimund, (Hrsg.), EU, NATO and the Relationship Between Transformation and External Behaviour in Post-Socialist Eastern Europe, Baden-Baden 2002, S. 93-153, hier: S. 147 474
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der Verhandlungen, also ein starkes Druckmittel, insbesondere weil 3. genau dies das Ziel der Regierung war. Schließlich 4. fragt sich, wie der nationale Akteur das Problem oder die Nützlichkeit der von außen kommenden Empfehlung einschätzte: Sicher stand die Verbesserung des Justizbereiches ohnehin auf der Agenda der Regierung Dzurinda. Die Frage ist, ob sie so schnell durchgeführt worden wären oder nicht einer mittelfristigen Perspektive unterworfen worden wären. Daher trafen sich hier die Problemperzeptionen und die Lösungskompetenz der EU wurde akzeptiert. Fasst man die bisherigen Ergebnisse der Interaktionen zwischen EU und der Slokaei von 1994 bis 2004 zusammen, so konnten non-funktionale Wirkungen (neutrale Wirkung etwa der EU-Démarchen auf Meþiar), eufunktionale Wirkungen (auf Opposition und Bevölkerung, Einstellungen, Prozesse) gefunden werden. Unbestritten können externe Maßnahmen ebenso dysfunktionale Effekte haben. Dysfunktionale Wirkungen sind unterstellermaßen nicht intendiert. Sie können sich zum Beispiel aus dem nicht erwarteten Reaktionen des Akteurs/der Akteure ergeben; so war die EU sicher davon ausgegangen, dass Meþiar die demokratischen Defizite abbauen würde, ähnlich wie dies in anderen Fällen, in denen die EU bestimmte Schritte verlangte, geschah. Dass konkrete Bedingungen aber von Meþiar umgangen wurden (siehe Bohunice), das angestrebte Ziel (Abschaltung) nicht erreicht werden konnte und der EU zudem letztlich die Kontrolle über diesen Bereich entzogen wurde, war eine dysfunktionale Wirkung, wenngleich nicht voraussehbar. Des Weiteren gibt es Beispiele dafür, wie eine Vorgabe oder Maßnahme sowohl positive Ergebnisse als auch dysfunktionale Wirkungen haben kann. Im Falle der Slowakei lässt sich das in Bezug auf die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit zeigen. Das in der EU bzw. durch ihre Mitglieder repräsentierte Rechtssystem wurde als Modell und das Befolgen dieses Modells als Erleichterung für die internen Entscheidungen empfunden. Die EU-Standards oder Empfehlungen wurden also als eine Hilfestellung oder Orientierungshilfe betrachtet. So Justizminister ýarnogursky: „Wenn wir unsere inner-slowakische Diskussion über die Organisation der Justiz führen, dann ist es leichter für uns, wenn wir uns verschiedene Modelle aus Westeuropa anschauen können.“ Und: „Es ist ein festes Modell, an dem wir uns orientieren können.“475 Im Zuge der Umsetzung dieser Vorgaben konnten allerdings auch Probleme entstehen. In Fall der Slowakei war das Pensum der durchzuführenden Reformen deswegen besonders hoch, da die Zeit dafür wesentlich kürzer war als etwa für die Mitglieder der ersten Verhandlungsgruppe, aber auch für die Länder der zweiten Gruppe, da die auszumerzenden demokratischen Defizite auch dort nicht so gravierend waren. Betrachtet man sich etwa die gesetzgebende Aktivität seit 1998, stellt sich das so dar:
475
Interview ýarnogursky
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei Abbildung 21:
359
Gesetzgebende Aktivität in der Slowakei 1998-2002 Jahr
Zahl der verabschiedeten Gesetze 17
Zahl der im verkürzten Gesetzgebungsverfahren verabschiedeten Gesetze 17 (100%)
Zahl der vom Präsidenten zurückgegebenen Gesetze 1
1998 1999
100
49 (49%)
3
2000
126
13 (10%)
20
2001
133
13 (10%)
17
2002
158
11 ( 5%)
33
Gesamt
532
104
74
Slowakisches Parlament, aus: Mesežnikov, Grigorij, „Domestic Politics and the Party System“, in: a.a.O., Mesežnikov/Kollár/Nicholson, S. 23-87, hier: S. 25
Die Zahl der verabschiedeten Gesetze seit 1999 war enorm. Die erforderlichen Anpassungen an EU-Standards und an den acquis wurden geradezu durch das Parlament gepeitscht. Dies traf insbesondere für das Jahr 1999 zu, als fast die Hälfte aller Gesetzesvorhaben im „fast-track“-Verfahren verabschiedet wurde. Die Kommission vermerkte, dass das Parlament dieses verkürzte Gesetzgebungsverfahren kritisierte habe, da es darin ein Zeichen für mangelnde Gründlichkeit bei der Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen sah.476 Dazu kam ein weiteres Problem, nämlich die Anwendung und Umsetzung der Gesetze. Der Druck der EU führte dazu, dass in sehr kurzer Zeit viele Gesetze auf den Weg gebracht wurden, um den Anforderungen der EU Genüge zu tun. Die Implementierung dieser Gesetze aber war nicht immer vollends gewährleistet. So würdigte die Kommission etwa 2001 die Verfassungsänderung in Bezug auf die Richterernennung und –entlassung, mahnte aber gleichzeitig, dass dies nun in Primärgesetzgebung umgesetzt werden müsse, um auch die Unparteilichkeit bei der Amtsausübung zu gewährleisten. Ähnlich lobte sie die Fortschritte bei der Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung und der Verabschiedung des Gesetzes über den öffentlichen Dienst, konstatierte jedoch gleichzeitig, die Gesetze müssten nunmehr „gebührend umgesetzt“ werden.477 Die mangelnde Umsetzung war zwar kein spezifisch slowakisches Problem – der Europäische Rat von Sevilla hatte Mitte 2002 nochmals alle Beitrittskandidaten daran erinnert, wie wichtig weitere Fortschritte in diesem Bereich sind und noch Mitte 2003 in Thessaloniki rief er sie dazu auf, der Verpflichtung der erforderlichen Umsetzung des Besitzstandes nachzukommen. Somit stellte die mangelnde Umsetzungsfähigkeit eingeleiteter Reformschritte eindeutig ein Problem im Beitrittsverfahren und im Transformationsprozess der post-kommunistischen Länder insgesamt dar. Die Frage ist nun, ob dies als dysfunktionale Wirkung zu werten ist. Dazu gilt folgendermaßen abzuwägen: Ohne Einfluss der EU hätte die Slowakei möglicherweise nicht 2001 die Frage der Richterernennung oder das Prinzip 476 477
Vgl., Kommission, Fortschrittsbericht Slowakei 2000, S. 16 Vgl., Kommission, Fortschrittsbericht Slowakei 2001, S. 28
360
III Empirischer Teil: EU
der Selbstverwaltung der Regionen und der regionalen Selbstverwaltungsorgane angepackt, sondern erst später. Wäre eine spätere, aber besser durchdachte Reform vorteilhafter gewesen als das sicher schneller gestrickte Gesetz? Es ist davon auszugehen, dass die Umsetzung der Reform auch zu einem späteren Zeitpunkt ein ebenso großes Problem dargestellt hätte, noch dazu, wenn es keine Instanz gegeben hätte, die auch in Bezug auf den Implementierungsaspekt Druck ausgeübt hätte und auch entsprechende Mittel bereits gestellt hätte.478 Dass die Unabhängigkeit der Justiz und die unparteiliche, unpolitische und effiziente Arbeit der Verwaltung wesentlich sind für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit und damit für das Funktionieren von Demokratie, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die EU bei der Slowakei zudem ein besonderes Augenmerk auf diese Aspekte legte, hatten sich doch in Meþiar-Zeit parallele klientelistische Strukturen, politische Einflussnahme und Korruption herausgebildet, die es abzubauen galt. Über die Perzeption des Einflusses der EU ist bereits an mehreren Stellen die Position der Interviewpartner eingeflossen. Insgesamt gab es einen Konsens bei der Beurteilung der Bedeutung der EU in Bezug auf die Inhalte, die Schnelligkeit und die Effektivität der Hilfe bei den Reformen. Für alle war die enge Verknüpfung zwischen innen- und außenpolitischer Richtungsentscheidung evident. Stellvertretend fast folgende Aussage den Sachverhalt treffend zusammen: „The integration agenda, our membership in the North Atlantic Alliance and the European Union, has been the motor of Slovakia for the last decade. This has been the foreign policy goal, this has been the benchmark and this has been also an important impulse which was quite helpful in the internal reform in Slovakia and in its transition to democracy.”479
Zusammenfassend ist zu sagen: Der Einfluss der EU hat zum einen das öffentliche Bewusstsein für die Verfehlungen der Meþiar-Regierung verstärkt, den Zusammenschluss der Opposition katalysiert, und die drohende Isolation von Europa hat sowohl die Opposition als auch die Bevölkerung im Vorfeld der Wahlen 1998 mobilisiert. Andererseits konnte das Argument der Annäherung an die EU die Regierung Dzurinda disziplinieren und zusammenhalten. Auch bei den Wahlen 2002 spielte das Thema EU wieder eine hervorgehobene Rolle, denn die Fortführung der Koalition allein garantierte die erfolgreiche Fortführung des Annäherungsprozesses an die EU. Die Bedeutung dieser Wiederwahl muss sehr hoch angesetzt werden, berücksichtigt man, dass in den anderen Visegrád-Ländern bisher alle Regierungen abgewählt wurden.480 Die EU wirkte also auf den Meinungsbildungs- sowie auf Akteurskonstellationen und Entscheidungsprozesse ein. Des Weiteren förderte sie den Reformprozess mit Unterstützung und Hilfen ebenso wie mit Vorgaben und Kontrollmechanismen, ohne die der unter der Meþiar-Regierung unterbrochene und verzögerte Konsolidierungsprozess nach 1998 nicht in dieser Geschwindigkeit hätte aufholen können. Ohne den katalysierenden Faktor EU, so Ján FigeĐ, „it would have taken longer time to get where we are now in terms of democratization, stability, prosperity“.481 Es zeigt sich somit, dass auch bei inneren Problemen oder gar demokratischen Defiziten die EU einen wirksamen Einflussfaktor darstellt. Zieht man andere Beispiele hinzu, lässt sich diese Erkenntnis verbreitern. So lässt sich für Polen feststellen, dass trotz der 478
Wie etwa den Aktionsplan zur Stärkung von Verwaltung und Justiz Interview Ježovica 480 Diesen Aspekt hob Frank Spengler im Interview hervor. 481 Interview FigeĐ 479
3 Die EU und ihre Politik gegenüber der Slowakei
361
Vielzahl an destabilisierenden Einflüssen das Land nicht vom Weg abkam, was Frantz mit der „Priorität exogener Anreize“ erklärt. Die Aussicht eines EU-Beitritts hat demnach wie ein um das polnische System gespannter Transformationsrahmen gewirkt. Dysfunktionale innere Reize wurden verarbeitet, um die Zielperspektive des EU-Beitritts nicht zu gefährden.482 Im Falle Tschechiens handelte es sich um einen Anstoß von außen, um die erlahmte Reformfreudigkeit wieder anzuregen. Tschechien hatte – wie dargestellt – ein gutes Image, das jedoch nach der Agenda 2000 und dem ersten Fortschrittsbericht korrigiert wurde. Zudem ergaben sich in Tschechien durch die Minderheitsregierung etliche innenpolitische Probleme. Die Fortschrittsberichte der EU ließen die Regierung merken, dass sie abgefallen war gegenüber den Nachbarstaaten. „Erst dann hat man sich entschlossen, die eigenen Probleme zurückzustellen und die wesentlichen Entscheidungen zu treffen, damit die Fortschrittsberichte der EU entsprechend ausfallen.“483 Die Einflüsse der EU während des slowakischen Konsolidierungsprozesses bezogen sich daher zum einen auf mehrere Ebenen, zum anderen wirkten sie sowohl direkt als auch indirekt. Die direkten Einwirkungen, meist an die Regierung gerichtet, bestanden aus konkreten Vorgaben entweder durch die Kriterien oder den acquis, gekoppelt mit den konkreten Unterstützungsmaßnahmen für den Reformprozess sowie den dargestellten Druckmitteln. Zur Gewichtung des Einflusses reicht die Betrachtung der Regierungsebene jedoch nicht aus, vielmehr müssen die anderen Akteure ebenso wie die institutionelle, die Einstellungsebene, vor allem aber auch die Bevölkerung einbezogen werden. Zudem haben die Beispiele gezeigt, dass die EU mannigfaltige indirekte Wirkungen auslösen kann bei anderen Adressatengruppen als der Regierung. Diese indirekten Wirkungen ergeben sich aus dem übergeordneten Ziel des EU-Beitritts. Diese Wirkungen können, wie das slowakische und die erwähnten polnischen und tschechischen Beispiele zeigen, Entscheidungen beeinflussen, die den Konsolidierungsverlauf betreffen. Das heißt: Die Interaktion zwischen äußeren und inneren Aspekten der Demokratisierung bezieht sich sowohl auf sehr konkrete Punkte im polity-, policy- oder prozeduralen Bereich als auch auf die grundsätzliche Richtung des Demokratisierungsverlaufs. Nur durch das Einbeziehen der indirekten Wirkungen des Einflusses der EU lässt sich die auf den gesamten Demokratisierungsprozess gerichtete Beurteilung untermauern, dass die EU die demokratische Entwicklung der Slowakei gefördert und stabilisiert hat. Dabei spielten die Möglichkeiten der positiven wie negativen Konditionalität und die daran gekoppelten Maßnahmen, wenn auch oft teils nur angedroht, eine zentrale Rolle. Das komplexe Anreiz-Druck-System ist im Falle der Slowakei zur Geltung gekommen, wobei der stärkste Hebel die Mitgliedschaft darstellte. Die Slowakei ist zugleich ein Beispiel dafür, dass auch bei der Demokratieförderung von außen, insbesondere gemäß der Methode der Konditionalität, die top-down ansetzt, die gesellschaftlichen Kräfte eine signifikante, ja sogar entscheidende Rolle spielen können und daher nicht außer acht gelassen werden dürfen.
482 483
Vgl., a.a.O., Frantz, S. 240 Interview Spengler
IV
Conclusio
Diese Studie, angeregt durch den Erkenntnisbedarf der Demokratisierungsforschung hinsichtlich externer Einflussfaktoren und der Europaforschung hinsichtlich des Demokratisierungs- und Stabilisierungspotenzials der EU, wurde von zwei Grundannahmen geleitet. Die eine lautete: Demokratisierungen haben innere und äußere Aspekte. Wir argumentierten, dass a) die externe Dimension berücksichtigt werden muss, um b) in einem zweiten Schritt Interaktionen zwischen beiden Dimensionen bloßlegen zu können, die c) relevant sein können für den Verlauf oder gar auch den Erfolg eines Demokratisierungsprozesses. An diesem Punkt verband sich jene Grundannahme mit der zweiten, die lautete: Die EU weist ein spezifisches Demokratisierungspotenzial auf, das in der Verknüpfung von Integration und Demokratisierung liegt. Die Schritte dieser Studie bestanden in der Strukturierung der externen Dimension (II.), dem Nachweis der Interaktionen und ihrer Ergebnisse am Beispiel der EU und Spanien und der Slowakei als zwei Länder mit unterschiedlichen Demokratisierungsverläufen (III.). Im Folgenden wird zum einen das Analysekonzept und seine Funktionstüchtigkeit bilanziert und zum anderen werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung synthetisiert zu Aussagen über das Demokratisierungspotenzial der EU sowie über Bedingungen und Grenzen des Integrationsparadigmas. Schließlich wird ein Blick geworfen auf Aspekte künftiger Demokratieförderung sowie künftiger Forschung zur Demokratieförderung. 1
Nützlichkeit und Validität des Analysekonzeptes
Die Ziele dieser Studie bestanden darin, 1. einen Beitrag zur Demokratisierungsforschung zu leisten durch eine konsequente und systematische Einbindung externer Faktoren in ein Analysekonzept, dessen Variablen in vorhandene Modelle oder Ansätze inkorporiert werden können und dessen Analysematrix die handwerkliche Grundlage für empirische Untersuchungen bilden können; und 2. einen Beitrag zur Europaforschung zu leisten durch die Untersuchung des Steuerungspotenzials bei den gleichzeitig ablaufenden Prozessen von Integration und Demokratisierung. Mit der Entwicklung des Analysekonzeptes wurde die Grundlage geschaffen, die bislang diffuse externe Dimension zu differenzieren und zu strukturieren, so dass Absender und Adressaten von externen Einflüssen sowie die Einflusslinien nachvollzogen werden konnten. Die Differenzierung des externen Kontextes erlaubte es, die verschiedenen Ebenen zu identifizieren, aus denen Einflüsse kommen. Dies lässt Schlüsse darüber zu, inwieweit die Wirkung von Impulsen variieren, je nach dem, von welcher Ebene sie kommen. Die Differenzierung der nationalen Akteure machte es möglich, die Verarbeitung externer Impulse nachzuzeichnen. Die Fokussierung auf die Regierungsebene allein hätte nur begrenzte Ergebnisse gezeitigt.
364
IV Conclusio
Erst das Einbeziehen von Opposition, als Parteien oder als zivilgesellschaftliche Strukturen, und Bevölkerung kann die mannigfaltigen, und direkten wie indirekten Wirkungsmechanismen aufdecken. In diesem Zusammenhang zeigte sich, dass die Strukturierung der nationalen Teilsysteme wichtig ist, um Interaktionen und Wirkungen auf der Prozess- und Einstellungsebene nachzuweisen. Desgleichen hat sich die Differenzierung in Motive, Art und Mittel des Einflusses als zweckdienlich und ertragreich erweisen. So ließen sich differenzierte Aussagen zu den Entscheidungsgrundlagen, den strategischen Überlegungen, der Methodenentwicklung und schließlich zur Umsetzung der EU treffen. Durch die Differenzierung in externen Kontext, externe Akteure und den außenpolitischen Handlungsbereich der nationalen Akteure, die mit Hilfe der Analysematrix systematisch durchgeführt wurde, war es möglich, Interaktionsmechanismen zwischen externen und nationalen Akteuren offen zu legen. Bei der schwierigen Frage nach der Wirkung externer Einflüsse konnten durch die Input-Outcome-Koppelung (Abb. 7), die Messung des Grad der Befolgung (Abb. 8) sowie durch die Interaktionskriterien (Abb. 9) fundierte Aussagen zu den Ergebnissen der Maßnahmen gemacht werden. Die Beispiele zur Überprüfung der transnationalen Interaktionen wurden jeweils aus den Bereichen Institutionen (Verfassung, Justiz) und policies (Umwelt- und Energiepolitik) genommen. Aus den Ergebnissen dieser Beispiele ergeben sich Erklärungsmuster für die Wirkung externer Steuerung, in Form von Prämissen, Erfolg und Grenzen externer Demokratieförderung. Die empirische Untersuchung hat die Doppelrolle der EU als Integrator und Demokratisierer konkret belegt und damit Licht gebracht in jenen noch recht dunklen Bereich der simultanen Prozesse von Integration und Transformation. Die Fokussierung der Studie auf die EU entsprach einem Ausgangspunkt mittlerer Reichweite. Das Analysekonzept ist jedoch breiter angelegt, so dass es offen ist für die Überprüfung an Hand anderer Akteure – auf Regierungsebene (einzelne Länder oder Organisationen wie Europarat, NATO) und Nichtregierungsebene (etwa die deutschen Parteistiftungen und die privaten Stiftungen) – und an Hand anderer Demokratisierungsfälle. Auch der Vergleich zweier externer Akteure (z.B. EG und Europarat, EG und NATO etc.) könnte geprüft werden. Das Einbeziehen der Erkenntnisse aus der internationalen Politikforschung hat sich als fruchtbar erwiesen. Die Strukturierung des externen Kontextes und die Systematisierung der externen Akteure führten zu genauen Aussagen über die Herkunft der externen Impulse und die Korrelation zwischen Herkunft und Wirkung. Die Aufschlüsselung der Akteursebene 1. in Motive und Ziele, 2. Methoden und Mittel und 3. Ergebnisse und Wirkungen ermöglicht es, Korrelationen von Entscheidungsgrundlagen und Wirkungsmechanismen in der Interaktion externer und nationaler Akteure deutlich zu machen. Das Kontinuum ermöglichte es, diese Interaktionen in den einzelnen Phasen, aber auch ihre Relevanz für den Demokratisierungsprozess im Ganzen erfassen. Die weit gespannte Perspektive über die fünf Phasen ist sinnvoll. Die Variablen, insbesondere die Differenzierung in Struktur- und Akteursvariablen, sind geeignet, um die äußeren Aspekte von Demokratisierungsprozessen zu beschreiben und zu erklären. Der entwickelte Ansatz hat sich als konzeptionelle und handwerkliche Grundlage bewährt. Er bietet den Zugang zur systematischen Bearbeitung der externen Dimension, ohne die weder weiterführende Erklärungen des komplexen Demokratisierungsprozesses, vor allem im Lichte erfolgreicher Konsolidierungen, noch das Steuerungspotenzial externer Akteure möglich sind.
2 Die Relevanz äußerer Aspekte bei Demokratisierungen 2
365
Die Relevanz äußerer Aspekte bei Demokratisierungen
Es hat sich gezeigt, dass sowohl die internen Aufgaben und Ziele der nationalen Akteure im Demokratisierungsland – Stichwort Neuordnung der inneren und äußeren Aspekte – als auch die Interessen und Ziele der externen Akteure eine intensive Interaktion erzeugen. Diese Interaktion beruht auf Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen der nationalen Akteure, die nach außen gerichtet sind, und auf Vorstellungen und Maßnahmen externer Akteure, die sich auf den Demokratisierungsprozess im Land richten. Wenn hier von Akteuren die Rede ist, dann hat dies seinen Grund in dem ersten Ergebnis dieser Untersuchung, nämlich dass der externe Kontext allein keinen entscheidenden Einfluss auf den Demokratisierungsverlauf hat. Das heißt nicht, dass er unwichtig ist. Wir haben gesehen, dass der externe Kontext negative Einflüsse haben kann; so wirkten sich Weltwirtschaftskrisen negativ auf fragile wirtschaftliche Restrukturierungsprozesse aus, so beeinflusste die internationale Szenerie des Kalten Krieges sehr konkret etwa die Motivlagen der Großmächte, sei es, weil die USA geostrategische Motive vor andere stellten oder die UdSSR etwa Entspannungsperioden nicht gefährden wollte. Ebenso kann er positive Signale senden wie während des KSZE-Prozesses an die Opposition im Ostblock. Auch ein Ereignis wie Krieg – etwa im Kosovo oder im Irak – kann paradoxerweise dem Demokratisierungsland auch Chancen bieten, etwa seine Berechenbarkeit und Verlässlichkeit als Partner unter Beweis zu stellen, was ihm nachgewiesenermaßen nicht nur interessante Kreditzusagen, sondern auch Anerkennung im westlichen Lager bringen kann. Ob sich der externe Kontext demokratisierungsfreundlich oder integrationsfreundlich ausnimmt, ist anders als diese oben genannten Beispiele eine Schlussfolgerung, die nur ex post getroffen werden kann. So zeigte sich in der Rückschau, dass die Regimeenden in Südeuropa und die darauf folgenden Demokratisierungen inklusive EG-Beitritte in einem günstigen Zeitfenster vollzogen wurden, das nur wenige Jahre später mit dem Umbruch 1989 ganz anders ausgesehen hätte. Anders herum: Obwohl die erweiterungsfreundliche Phase insbesondere der NATO 1997 mit der Zusage und 1999 mit der ersten Erweiterung beendet war, hat dies die zweite Erweiterungsrunde letztlich dennoch nicht behindert. Demokratiefreundlichkeit oder –feindlichkeit – bei Linz/Stepan auch unter „Zeitgeist“ und bei Schmitter unter „trends“ oder oft auch unter dem Begriff der „Diffusion“ gefasst – stellt sich als ein Faktor heraus, der verstärkend wirken kann, indem er auf die grundsätzliche Haltung oder Entscheidungen der externen Akteure einwirkt, die dann wiederum eine Rolle spielen können für das Demokratisierungsland, oder auf die Haltung der nationalen Akteure. Der externe Kontext auf regionaler Ebene hat sich als wichtiger, direkter und indirekter Einflussfaktor herausgestellt. Maßgebliche direkte Wirkungen ergaben sich durch Ereignisse im näheren Umfeld auf nachbarschaftlicher Ebene. So waren die Nelkenrevolution in Portugal und die Radikalisierung der Situation durch die Linke Ereignisse mit hohem Stellenwert. Erstere hatte direkte Auswirkungen auf das Franco-Regime und die Opposition während der krisenhaften Endphase, zweitere auf die Kommunistische und Sozialistische Partei während der Transition sowie auf die externen Akteure EG und USA. In der Slowakei war ein ähnliches Phänomen gegeben durch die Ereignisse in Polen von 1981 und die SolidarnoĞü und ihre Wirkung auf die Bevölkerung in der ýSSR, insbesondere auf die sehr katholische Bevölkerung in der Slowakei. Nicht ohne Grund waren die ersten Protestkundgebungen (Wallfahrten wurden zu Demonstrationen) in der ansonsten von großer politischer Apathie geprägten slowakischen Gesellschaft 1988 von religiösem Anstrich.
366
IV Conclusio
Als Fazit kann man aus diesen Ergebnissen zum externen Kontext ziehen: Teilt man den Kontext in konzentrische Kreise, so wird der Einfluss diffuser und indirekter je weiter sich die Ebene entfernt – also von subregional, zu regional bis global. Der Einfluss wirkt umso konkreter, desto näher der Einflussbereich liegt. Dem Einfluss aus subregionalem und regionalem Kontext kommt eine höhere Relevanz bei Demokratisierungsprozessen zu, insofern er direkt auf die konkreten Entscheidungen und Handlungen der nationalen Akteure wirkt, während internationale Trends, Kontexte oder Ereignisse den Demokratisierungsprozess eher tendenziell und indirekt beeinflussen, etwa über die Motiv- und Interessenlagen der externen Akteure. Dieses Ergebnis bestätigt die Differenzierung der verschiedenen Ebenen - Nachbarschaft, regional, international -, die im Analyseraster vorgenommen worden ist. Sie erlaubt es, die Einflüsse und ihr Gewicht konkreter festzumachen. In Bezug auf die nationalen Akteure hat sich die enge Verknüpfung von innenpolitischen und außenpolitischen Fragestellungen während des Demokratisierungsprozesses als ein wichtiger Handlung leitender Faktor sowohl bei der politischen Elite als auch in der Bevölkerung erwiesen. Die internationale Verortung stellte den zentralen außenpolitischen Aspekt während der Demokratisierung dar und einen wichtigen Aspekt im Gesamtprozess. Das zeigte sich zum einen darin, dass die neue internationale Verortung des Landes ein zentraler Punkt der Programmatik der Parteien war, zum anderen in der hohen Bewertung in den Meinungsumfragen sowie drittens darin, dass die Frage nach der internationalen Stellung bzw. der außenpolitischen Ausrichtung sowohl in Spanien als auch in der Slowakei Gegenstand der nationalen Debatte war. Dabei kristallisierten sich drei Schnittpunkte heraus, an denen der Zusammenhang innerer und äußerer Aspekte deutlich wurde, die in Spanien relativ unproblematisch waren, sich aber in der Slowakei als problematisch erwiesen: 1. Legitimität Das neue demokratische System bedarf der Legitimierung, und die neue Regierung muss diese Legitimität schaffen. Es hat sich sowohl in Spanien als auch in der Slowakei erwiesen, dass die Legitimierung vor allem auf dem Bruch mit dem vorherigen Regime beruht. Die prioritäre Abgrenzung gegenüber dem vorherigen Regime geschieht durch die Regierungsform. Aber auch in Bezug auf die internationale Einbettung des Landes verlangen Elite wie Bürger nach einer Abgrenzung: So sind die Verbündeten des diktatorischen Regimes ebenso desavouiert wie das Regime selbst, die außenpolitische Ausrichtung verlangt ebenso nach Bruch wie die innenpolitische. Die Zugehörigkeit zu Europa bzw. EG/EU stellte diese Abgrenzung dar, denn weder Franco-Spanien noch die kommunistische ýSSR hatten vorher maßgebliche Beziehungen zur EG; dies gilt übrigens für alle süd- und ostmitteleuropäischen Länder. Für Spanien bedeutete Europa den Bruch mit dem Konzept der Isolation und dem „Sklavenstatus“ gegenüber den USA, in der Slowakei brach man radikal mit der Ausrichtung auf den Osten und wandte sich dem Westen zu. Europa wurde zu einem distinktiven Merkmal und damit zu einem Vehikel der Legitimierung. Die Zugehörigkeit zu Europa bildete eine Legitimitätsquelle. Das heißt zugleich auch, dass die außenpolitische Performanz der Regierung auf diesem Hintergrund einen hervorgehobenen Stellenwert bekommt im Vergleich zu der „Normalsituation“ in konsolidierten Demokratien, wo Außenpolitik nicht zu den Top-Themen der Agenda gehört. Hier liegt weiterer Forschungsbedarf im Schnittfeld zwischen Demokratisierungs- und Außenpolitikforschung, um den Stellenwert, die spezifischen Rahmenbedingungen und die besonderen Merkmale der Performanz von Außenpolitik in De-
2 Die Relevanz äußerer Aspekte bei Demokratisierungen
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mokratisierungsländern herauszuarbeiten. Für die hier untersuchten Fälle lässt sich sagen: Sowohl in Spanien als auch in der Slowakei waren außenpolitische Themen zentrale Elemente der nationalen Debatte (In Spanien ging es dabei um die Frage des NATO-Verbleibs, also die sicherheitspolitische Ausrichtung, in der Slowakei um die Integration in EU und NATO, wobei die EU vorrangig war). Es hat sich gezeigt, dass für die Bevölkerung auf kognitiver und affektiver Ebene wichtig ist, dass es in die „richtige Richtung“ geht. Wir konnten sehen, dass dieser Zusammenhang mehrere Auswirkungen hat: Erstens, werden die Regierungen unter Erfolgsdruck gesetzt, was Integrationserfolge angeht. Daher auch die „Ungeduld“, wenn Verhandlungen nicht vorwärts gehen, wie im Falle Spaniens, oder die Beitrittszusage nicht gegeben wird, wie in den Europa-Abkommen mit den Višegrad-Ländern. Zweitens, können Regierungen Entscheidungen auch innenpolitischer Art, gerade, wenn sie unpopulär und schmerzhaft für die Bevölkerung sind, als Integrationserfordernis legitimieren (Einführung der Mehrwertsteuer in Spanien). Drittens, konnte Dzurinda seine schwierige Koalition sehr unterschiedlicher Kräfte mit dem Integrationsziel disziplinieren. In Spanien, wo es einen Konsens zwischen Regierung, Opposition und Bürgern in Bezug auf die Verortung in Europa gab, wirkte die EG doppelt als Legitimitätsquelle, erstens als Bruch mit der Vergangenheit und zweitens als weiterer Bereich des umfassenden Konsenses, der sozusagen Transitionsprogramm war. Vor allem Felipe González knüpfte rhetorisch an die Debatte der Generation 1898 an, schlug also lang existierende politisch-kulturelle Saiten an. Damit wurde nicht nur die Franco-Zeit, sondern auch die Bürgerkriegszeit, also sowohl die isolierte als auch die polarisierte Situation ausgeblendet. Andererseits hat eine nicht erfolgreiche außenpolitische Performanz delegitimierende Wirkung. Das hat die gescheiterte und dem Mehrheitswillen der Bevölkerung zuwiderlaufende Europapolitik Meþiars gezeigt. Hier wurde der Zusammenhang zwischen innenpolitischer und außenpolitischer Entwicklung sehr deutlich. Aufgrund des „direct link“ zwischen der inneren Entwicklung und den Fortschritten bei der EU-Integration wurde für die Bürger und die Medien die Integration Teil der inneren Agenda.1 Die Verfehlungen und demokratischen Defizite im Inneren zogen Konsequenzen für die europäische Verortung nach sich, die dem Willen der Bürger und der deklarierten außenpolitischen Priorität der Regierung widersprachen. Damit wurde die Außenpolitik der Regierung zunehmend unglaubwürdig, die außenpolitischen Vorstellungen und Verortungsziele der öffentlichem Meinung und der Regierung stimmten nicht mehr überein. Die Verknüpfung von innerem Zustand und dem europapolitischen Schicksal, den die EU immer wieder thematisierte, fiel zwar nicht bei der Regierung auf fruchtbarem Boden, aber bei der Opposition und Bevölkerung. Die dauerhaft gegen den Willen der Bürger gerichtete Politik in einem vitalen Politikbereich delegitimierte schließlich die Regierung Meþiar. Den Legitimitätsdruck bekam die Regierung Dzurinda ebenfalls zu spüren. Die Bürger erwarteten von ihr, das Versprechen einzuhalten, die Slowakei in die EU zu führen. Das hießt, Dzurinda wusste sehr wohl, dass er hier konkrete Erfolge vorzuweisen hatte. Die Tatsache, dass seine Partei SDKU bei den Wahlen 2002 trotz sehr unpopulärer Maßnahmen ein überraschend gutes Ergebnis bekam, zeigte, dass die Wähler in der Lage waren, von den tagespolitischen Fragen zu abstrahieren, obwohl es um schmerzhafte Reformen ging, zugunsten der darüber stehenden Vision EU-Beitritt, als deren Garant sich Dzurinda profiliert hatte. 1 Vgl., Mesežnikov, Grigorij, „How Political Actors View European Integration in Slovakia“, in: Bajomi-Lazar, Peter/Hegedus, Istvan, Media and Politics, Budapest 2001, hier zit. n. der Internetversion vom 27.7.2001, S. 1
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IV Conclusio
Fazit: Legitimität als eines der Kernindices für die Überlebens- und Erfolgsbedingungen eines politischen Systems umfasst nicht nur innenpolitische, sondern auch außenpolitische Aspekte. Die internationale Verortung kann ein legitimierendes Vehikel werden, erfolglose Regierungsperformanz in der grundlegenden Frage der internationalen Verortung kann im äußersten Falle delegitimierend wirken. 2. Elitenkonsens Die Bedeutung des Elitenkonsenses in Bezug auf die internationale Verortung lässt sich in dreifacher Weise herleiten. Erstens, ist die internationale Verortung zugleich Ausdruck einer raison d’Etat, die quasi zu einem Schirm wird, unter den sich Staat, Politik, Gesellschaft und auch die Wirtschaft stellen. Unabhängig von der Regierung oder dem Koalitionspartner in einer Regierung muss die Ausrichtung berechenbar bleiben für die staatlichen Institutionen, für die politischen Kräften, aber auch für die Bevölkerung und gesellschaftlichen Kräfte und die Wirtschaft. Zweitens, bedarf es dieser Kontinuität in der Verortung, um nach außen hin für die internationalen Partner und Organisationen, berechenbar zu bleiben, was auch für Handel, Investitionen etc. wesentlich ist. Und drittens korreliert die klare und nachhaltige Verortung innerhalb des diversen externen Umfelds mit der Herausbildung einer bestimmten Identität. In Spanien war dieser Konsens gegeben und zwar quer durch alle Parteien, und selbst die franquistischen Segmente nahmen keine obstruktive Haltung gegenüber der EG ein. Die Konsonanz von politischer, wirtschaftlicher und intellektueller Elite sowie Bürgern war eine konstitutive Basis für die außenpolitische Orientierung Spaniens und machte die Zugehörigkeit zu Europa zu dem prioritären Ziel aller. Der Konsens der Elite über die Integration in EU und NATO wurde von Meþiar und der HZDS sowie von seinen Koalitionsparteien zwischen 1994 und 1998 gebrochen; und zwar erstmals rhetorisch in der Oppositionsrolle seit März 1994 und dann sehr konsequent in der Regierungsverantwortung. Dieser Elitenkonsens in der grundlegenden Frage der internationalen Verortung hat sich als eminent wichtig für das gerade unabhängig gewordene Land herausgestellt. Dies auch deswegen, weil das Thema europäische Integration ein prominenter Teil des öffentlichen Diskurses und eines der am häufigsten behandelten Thema in den Medien geworden ist.2 Die Elite war gekennzeichnet durch ein cleavage, an dem sich Pro-Europa, Pro-Reform und demokratische Kräfte auf der einen Seite und diffus antiwestliche, Anti-Reform-Kräfte eines „eigenen Weg“ schieden. Eine Verbreiterung des Elitenkonsenses vollzog sich erst während der ersten Legislatur Dzurinda. Die nationalistischen Pole auf der rechten und linken Seite sind zusammengeschmolzen, wenngleich weiter vorhanden. Szomolányi führt dies auf zwei Dinge zurück: auf die positive Identitätsbildung in der Dzurinda-Zeit und auf den fortlaufenden Integrationsprozess „causing a backlash of traditionalist reactions“.3 Die Aussage, dass die politische Elite „euro-compatible“ geworden ist, die noch im Jahr des EU-Beitritts getroffen werden konnte, hat durch die Regierungsbildung von 2006 eine Einschränkung erfahren. Zumindest müssen Smer und HZDS eine solche EU-Kompatibilität erst beweisen, während die bei der SNS ohnehin ausgeschlossen ist. Die Europäische Sozialistische Partei, deren 2
Vgl., ebd., S. 1 Szomolányi, SoĖa, „Elections in V4 Countries: What They Say about the State of Democracy in the Region”, in: Mesežnikov, Grigorij/Gyárfášová, OĐga/Kollár/Nicholson, Tom, (Hrsg.), Slovak Elections 2002. Results, Implications, Context, Bratislava 2002, S. 11-35, hier: S. 28 3
2 Die Relevanz äußerer Aspekte bei Demokratisierungen
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Mitglied Smer ist, denkt jedenfalls über den Ausschluss dieser Partei nach. HZDS gehört keiner europäischen Parteienfamilie an. Andererseits ist auch denkbar, dass der Druck einer solchen – auch aus Sicht der Bürger - erforderlichen EU-Kompatibilität einen positiven Sozialisierungsprozess bei Smer und HZDS auslöst. Die beschriebenen neuen Unsicherheiten schränken jedoch die – auch in der Regierung Fico – eindeutige EU-Orientierung bislang in keiner Weise ein. Wichtig ist hierbei, dass selbst wenn es EU-skeptische oder antiwestliche Kräfte (wie SNS oder KSS) gibt, diese doch in einer eindeutigen Minderheit sind, und weiterhin ein breiter und überwiegender Elitenkonsens quer durch die Lage von Regierung und Opposition in Bezug auf die Einbindung in EU und NATO vorliegt. Fazit: Der Elitenkonsens ist sowohl hinsichtlich des innen- wie des außenpolitischen Weges des Landes notwendig für die Konsolidierung einer Demokratie. Die Konsolidierung bedarf nicht nur des Konsenses über die innere Ordnung des Landes, sondern auch über die grundlegenden Parameter der internationalen Verortung der neuen Demokratie. 3. Nationale Identität Gerade bei Staaten in der Transition, und zumal neu gegründeten, geht die Definition der nationalen Identität nach innen und nach außen mit der Frage der internationalen Verortung einher. Eine bindende Vision für die neue Demokratie, in der sich die Mehrheit der Bevölkerung und die Elite im Konsens finden, bildet ein wichtiges Requisit. Dies gilt umso mehr, wenn sich ein Staatsgebilde neu konstituiert hat. Beide untersuchten Fälle zeigten die Relevanz der Identitätssuche nach dem Regimeende und in der Phase der Neuordnung. Dazu gehören auch Fragen der Territorialität oder der nationalen Selbstbestimmung, die Justierung nationaler Identität, auch und gerade im Zusammenhang mit der internationalen Verortung (Grundparameter: West, Ost, Neutralität). In Südeuropa wie in Ostmitteleuropa war eine Verbindung zwischen nationaler Identitätsfindung und Europaorientierung festzustellen, vor allem da die EU Demokratie symbolisierte und sich insofern innen- wie außenpolitische Projektionen trafen. Die nationale Identitätsbildung bei Demokratisierungen ist eine Komponente, die in der Transitionsforschung der 1980er Jahre unberücksichtigt blieb, da die Aufmerksamkeit auf Eliten-Rekonfigurationen und auf die nationale Ebene fokussiert war, obwohl gerade Spanien ein Beispiel für ein Land mit ethnischer und nationalistischer Problematik darstellte, deren Lösung entscheidend für den Transitions- und Konsolidierungsprozess war.4 In Spanien war das nationale Selbstverständnis an die Stellung im internationalen Staatensystem gekoppelt auf Grund seiner Vergangenheit als bedeutende Kolonialmacht mit entsprechend über die Halbinsel hinausgehendem Territorium. Die nationale Identität Spaniens war vor allem durch zwei Gefühlslagen geprägt: einmal durch den Minderwertigkeitskomplex, der von der Degradierung zu einer Mittelmacht ohne Einfluss auf dem europäischen Parkett und später auch von der als Sklavenstatus empfundenen Verbindung zu den USA herrührte, und zum anderen durch den Außenseiterstatus in Europa auf Grund der fehlenden Modernität, die das Land als „uneuropäisch“ abstempelte und später durch die Isolation unter Franco. Die Einbindung in Europa wurde zu einer Quelle positiver Identitätsbildung. Man gehörte endlich „richtig“ zu Europa, hatte die Chance, ein modernes Land zu werden – nicht ohne Grund betonte González den EG-Beitritt als „Sehnsucht nach Integration und Notwendigkeit der Modernisierung“.5 4 5
A.a.O., Batt, 2002, S. 2 Interview González
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IV Conclusio
In multiethnischen oder neu gegründeten Staaten – und auf die Slowakei trifft beides zu – spielt die Staatswerdung ebenso wie die Identitätsbildung eine zentrale Rolle. Eine gescheiterte oder fehlgeleitete Identitätsbildung besteht dann, wenn innere (ethnische oder religiöse Minderheiten) und/oder äußere Gruppen (der Westen) zur Generierung von Feindbildern benutzt und zur Identitätsfindung instrumentalisiert werden. In solch einem Fall wird auch die Verletzung von Menschen- oder Minderheitsrechten in Kauf genommen. Die Slowakei hatte in der Vergangenheit ihre Identität zumeist ex negativo geformt, nämlich durch Abgrenzung gegen ihre Nachbarn Tschechien oder Ungarn. Nun war sie erstmals gefordert, eine Identität ex positivo zu definieren. In den Jahren nach der Selbständigkeit der Slowakei war zu beobachten, dass Meþiar statt einer Identitätsbildung auf der Grundlage und in Fortsetzung des Revolutionsslogans „Rückkehr zu Europa“ wie in den anderen VišegradStaaten eine Staatsideologie auf der Grundlage nationalistischer Gefühle und isolationistischer Orientierung schuf, statt eine integrierende innere Identitätsbildung zu fördern und eine klare Vision internationaler Verortung anzubieten. Er führte somit die Identität ex negativo weiter, was auch bestimmte Bevölkerungsteile ansprach. Von dieser Identitätsbildung hing auch die außenpolitische Orientierung ab. Die fehlende Staatsraison, die unklare internationale Ausrichtung und die Konspirationsrhetorik gegen innere und äußere „Böswillige“ verhinderten, dass sich mit der Staatsgründung eine positive nationale Identität herausbilden konnte. Nationale Gefühle wurden lieber gegen andere instrumentalisiert als für ein gemeinsames Ziel zusammen geführt – im Inneren wie im Äußeren. Die fehlende internationale Verortung kann verschiedene Gründe haben: Selbstüberschätzung („wir brauchen niemanden“); Angst vor Fremdeinflüssen, die die eigene Machtposition gefährden könnten („wir wollen keine Einmischung“); fehlendes Bedrohungsgefühl („uns kann niemand etwas anhaben“) oder auch fehlende Konsonanz der Normen oder fehlende Requisiten (EU-Kriterien). Dzurinda hat diesen Mangel verstanden und von Anfang an eine positive nationale Identität slowakischer Eigenstaatlichkeit gefördert. Dazu versuchte er, der inneren Polarisierung die Grundlage zu entziehen (durch Einbeziehung der ungarischen SMK in die Regierung), durch die konsequente und unbedingte Politik der Annäherung an die EU. In erster Linie vermittelte er die Idee, dass das nationale Interesse in der EU-Mitgliedschaft besteht. Damit machte er einer Identitätsbildung Raum, die nationale und europäische Interessen und Ziele als konvergent perzipiert. Während der Regierung Dzurinda ist die Konsonanz von Demokratie- und Europaorientierung hergestellt worden. Fazit: Mit der Demokratisierung geht die Bildung einer „neuen“ Identität einher. Diese Identitätsbildung umfasst ebenso innere wie äußere Aspekte. Die internationale Verortung ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Die Europaorientierung bildet ein positives Identifikationspotential, das regionale, nationale und europäische Identitäten ohne Widerspruch miteinander vereinbaren kann. In diesen drei, für die erfolgreiche Konsolidierung eines Landes wesentlichen Aspekte – Legitimität, Elitenkonsens und nationale Identität – ist die Korrelation mit Fragen der internationalen Verortung enthalten. Im Falle Spaniens waren alle drei Aspekte mit positiven Inhalten internationaler Verortung verbunden, im Falle der Slowakei war dies bei keinem der Aspekte der Fall. Das heißt, die Legitimierung des Demokratieprojektes über ein außenpolitisches Ziel, der außenpolitische Elitenkonsens und eine Identitätsbildung, die ein positives nationales und internationales Selbstverständnis vereint, sind wichtige Element für eine erfolgreiche Konsolidierung. Für den Neuanfang eines Landes sind eine integrie-
3 Die EU als Demokratisierer
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rende Vision für die künftige Einbettung, die glaubhafte außenpolitische Performanz der politischen Elite und die Befürwortung der Bevölkerung konstitutive Elemente. Dabei müssen innenpolitische und außenpolitische Ausrichtung als kompatibel empfunden werden. Interessanterweise ist dies den politischen Akteuren sehr klar. Die spanischen Politiker drückten es durch die Begriffe innere und äußere Transition aus, die miteinander verwoben seien. Sowohl Felipe González als auch Mikuláš Dzurinda konstatierten an zentralen Stellen - Regierungserklärung 1982, Regierungserklärung 1998 -: „Die Außenpolitik bildet ein Ganzes mit der Innenpolitik, die mit dieser kohärent sein muss“ und „…the Government has decided to achieve the unity and interconnections between domestic and foreign policy.“ Zur Legitimierung einer neuen Demokratie gehört die Kompatibilität von innenpolitischer und außenpolitischer Ausrichtung. Damit ist die internationale Verortung 1. als politisch-kulturelles Sediment, 2. als Element zur Konstruktion einer neuen stimmigen Identitätsbildung für die internationale Rolle des Landes und 3. als Orientierung gebende und Handlung leitende Komponente zu erklären. Internationale Verortung hat sich als eine sinnvolle Variable herausgestellt, die in der Lage ist, diese Korrelation aufzudecken. Ihre Bedeutung als vorgeschaltete Makrovariable hat sich erwiesen, denn sie betrifft das Selbstverständnis der Gesellschaft und der neuen Demokratie. 3
Die EU als Demokratisierer in Süd- und Ostmitteleuropa
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Erweiterungsprozessen sind in III. 1.4 herausgearbeitet worden. Auf dieser Grundlage und im Lichte der Ergebnisse der Fallbeispieluntersuchungen lässt sich feststellen, dass sich im Laufe der Jahrzehnte ein Verfahren herausgebildet hat, in dem die Unterstützung der EG/EU für die Demokratisierung und wirtschaftliche Restrukturierung – dieser Bereich stand in dieser Untersuchung nicht im Vordergrund, aber natürlich gehörte er ebenso zu dem Gesamtreformprozess in Süd- und Ostmitteleuropa - und die Annäherung bzw. Integration in die EG/EU parallel ablaufen und miteinander verwoben sind. Es wurde deutlich, dass dieses Verfahren nicht auf einer ausgearbeiteten Strategie beruht, sondern in einem kumulativen Prozess gewachsen ist. Die festen Pfeiler stellten die Perspektive der Mitgliedschaft (Anreiz) und die demokratische Konditionalität (Druck) dar. Wenn sich auch das Beitrittsverfahren ebenso wie das Unterstütungsinstrumentarium seit den 1960er Jahren erheblich ausgeweitet hat, so bilden diese beiden Pfeiler als Anreiz-Druck-System seither die Grundlage für die Politik der EG/EU. Beitrittsverfahren und Unterstütungsinstrumentarium greifen ineinander, da sie einerseits die Reformen fordern, andererseits fördern, einerseits Kriterien vorgeben, andererseits politische Inhalte, Verfahren und auch institutionelle Aspekte steuern. Die Kritik, dass die EG auf die Umbrüche in Süd- und Ostmitteleuropa unvorbereitet war, dass sie keine generelle Strategie und kein konkretes Design hatte, hat sich als berechtigt erwiesen. Es gibt gleichwohl eine strategische Grundlage, die – dies ist eine Gemeinsamkeit der Süd- und Osterweiterung – in dem Anreiz der Mitgliedschaft besteht. Die Kritik, dass es der EU an einer Politik fehle, die etwas anderes anbiete als die Unterstützung demokratischer und wirtschaftlicher Reformen, kehrt sich um zu einem Aktivposten. Tatsächlich hatte die EG keinen Spielplan in der Hand, sondern nur einen Ball: die Aussicht
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IV Conclusio
auf Mitgliedschaft und die Erfüllung der Bedingungen. Vergleichen wir die Wirksamkeit dieses Verfahrens anhand von Süd- und Osterweiterung: Die Methode der Konditionalität ist der feste Pfeiler des Erweiterungsverfahrens und zugleich der Demokratieförderungsstrategie der EU. Die stellt das Verbindungsglied zwischen Erweiterungs- und Demokratisierungspolitik der EU dar. Auch wenn die Methode, unbedingte Erfüllung der politischen Kriterien als Voraussetzung zum Beitritt unverändert ist, so haben sich doch die inhaltliche Seite der Bedingungen und auch die Formen ihrer Anwendung ausgeweitet und ausdifferenziert. Als Merkmale der EU-Konditionalität lassen sich festhalten:
Der starke Anreiz der Mitgliedschaft Der evolutive Charakter des Ansatzes Die individuelle Anwendung mit spezifischen Empfehlungen Die Bedeutung der Wertedimension Das extensive Portfolio Die positive und negative Dimension (Belohnung und Bestrafung) Der komplexe Unterstützungs- und Überwachungsrahmen Das Potenzial den Demokratisierungsprozess direkt zu beeinflussen: „governance by enlargement“ Der Rahmen für nachhaltige Konsolidierung nach dem Beitritt Der geringe oder verlorene Hebel nach dem Beitritt
Die Untersuchung der beiden Fälle hat im Detail gezeigt: Die Bedingungen haben sich quantitativ und qualitativ verstärkt. Der Kriterienkatalog des Birkelbach-Berichts, der bei Spanien angewandt wurde, war eher auf formal-demokratische Aspekte ausgerichtet, stellte ein minimalistisches Programm dar: das Abhalten freier und fairer Wahlen, die Zulassung von Parteien- und Gewerkschaften/Interessenverbände. Bei der spanischen Transition waren die Abhaltung freier und fairer Wahlen als auch die Frage der Zulassung der Kommunistischen Partei wichtige Hürden. Auch die Zusammensetzung der Kammern und das Wahlsystem spielten dabei eine Rolle. Das Kriterium der Rechtsstaatlichkeit war zwar essentiell, wurde aber mit der Verabschiedung der Verfassung als erfüllt betrachtet. Die Stabilität der politischen Institutionen, die Umsetzung von Verfassung und Gesetzen durch die Durchführungsbehörden (Verwaltung, Justiz, auch Regionalverwaltung) wurden nicht verfolgt. Das heißt, die Implementierungsseite der politischen Kriterien, aber auch des acquis, wie wir am Beispiel Umweltpolitik und Regionalisierung gesehen haben, war praktisch völlig unberücksichtigt. Obwohl die Problemkonstellation in Südeuropa ebenfalls nachbarschaftliche Spannungen (Spanien-Marokko; Griechenland-Türkei), Nationalitätenprobleme (Baskenland) und sogar Konflikte wie in Zypern umfasste, formulierte die EG keine Vorgaben dazu. Weiterhin gab es keine Heranführungsstrategie. Griechenland hatte dies abgelehnt, weil es dadurch eine Verzögerung seines Beitritts befürchtete, bei Portugal bestand die Heranführung hauptsächlich in Finanzhilfen und Krediten. Vor allem aber gab es keine Zwischenform der Assoziierung vor dem Beitritt mit entsprechenden Institutionen und Instrumenten. Als durch den Putsch eine Gefährdung der spanischen Demokratie eintrat, reagierte die EG mit diplomatisch-politischen Mitteln, weitere Ansätze zur Stabilisierung gab es kaum.
3 Die EU als Demokratisierer
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Wie ist das Ergebnis in Bezug auf Südeuropa/Spanien zu bewerten? Das wichtigste Ziel der EG war die politische Stabilisierung der Region. Die EG übernahm damals – „abgesegnet“ durch die USA – die Hauptrolle bei dieser Stabilisierung. Die Konditionalität hatte seit 1962 Regierung wie Opposition deutlich vor Augen gestanden. Bis 1975 wurde sie jedoch von Seiten der EG nicht aktiv eingesetzt. Dies geschah hauptsächlich in der Transition, als es darum ging, die minimalen demokratischen Anforderungen zu erfüllen, wobei es keine größeren Probleme gab. Die Konsolidierungsphase wurde von den Beitrittsverhandlungen dominiert, was im Falle Spaniens und Portugals bedeutete, dass es um die Erfüllung des acquis ging, weniger aber die Fortentwicklung der Demokratie begleitet oder „kontrolliert“ wurde. Die EG war zudem weitaus weniger sensibler in Bezug auf Krisen oder Konfliktlagen. Das hatte zur Folge, dass, erstens, Probleme, die durch die Übernahme des acquis entstanden, erst nach dem Beitritt offenbar wurden. Das Beispiel der Umweltpolitik hat gezeigt, dass die spanischen Verhandler sich des Umsetzungsproblems nicht bewusst waren; die europäische Seite aber traf ebenso wenig Vorsorge dafür. Zwar bekam Spanien dann eine Karenz, aber weder signifikante technisch-inhaltliche noch finanzielle Hilfe. Andererseits ist klar, dass der Druck zur Anpassung nach dem Beitritt kleiner ist. Und auch dysfunktionale Effekte sind eher möglich, wie im Falle der Zusammenarbeit unter den spanischen Autonomien untereinander und mit der europäischen Ebene. Drittens, bedeutete die Tatsache, dass Verwaltung und Justiz nicht unter den Kriterien figurierten, dass die spanische Regierung diese Reformen relativ spät anpackte, ohne Vorgaben von außen, das heißt aber auch ohne Gestaltungshilfe. Unter anderem auch dies führte dazu, dass, viertens, Probleme und Konflikte in die EG importiert wurden.6 Das Ergebnis des Zusammenwirkens von Demokratieunterstützung und Annäherung an die EG war in Südeuropa auf den Gesamtprozess bezogen positiv. Das Verfahren der EG hat auf beiden Seiten die angestrebten Ergebnisse gezeitigt. Grundsätzlich hat die EG bei der Erfüllung der demokratischen Kriterien ein formales Verständnis von Demokratie zu Grunde gelegt. Die EG hatte neben den Verhandlungen keine anderen Strukturen zur intendierten Einwirkung auf die Konsolidierung zur Verfügung (wie etwa Unterstützungsprogramme). Direkte Einflüsse ergaben sich durch Europäisierungseffekte wie policy transfer oder Verfahrenstransfers nach dem Beitritt. Ansonsten überwogen während der Konsolidierung indirekte Einflüsse wie political learning. Das Fazit, das sich aus dem spanischen Fall ziehen lässt, lautet daher: Je umfassender die Bedingungen und das Heranführungsinstrumentarium für den Beitritt, desto mehr Steuerungspotenzial hat die EG/EU, und zwar sowohl auf die Stabilisierung des Demokratisierungsprozesses als auch auf Gestaltung im institutionellen, prozessualen und policyBereich. Auch in Ostmitteleuropa lautete das vorrangige Ziel Stabilisierung der Region. Im Vergleich zu Südeuropa nahmen die Kriterien bei der Osterweiterung quantitativ und qualitativ zu: Sie umfassten neue Aspekte wie gutnachbarschaftliche Beziehungen, Respektierung der Minderheitenrechte, Fähigkeit zur Implementierung des acquis, effiziente Justizund Verwaltungstrukturen, Dezentralisierung und lokale Selbstverwaltung, Transparenz und Korruptionsbekämpfung. Gleichzeitig erweiterte sich das Heranführungs- bzw. Unterstützungsinstrumentarium erheblich, wie die Untersuchungen im Einzelnen gezeigt haben, da es auf mehr und andere Probleme einzugehen hatte. Die EU war zudem deutlich sensibler in Bezug auf Problemperzeption und Problemlösung. Dabei ließ sich auch ein erhebli6
Siehe dazu weiter unten
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IV Conclusio
cher Lernprozess bei der EU feststellen, der während des Annäherungs- und Konsolidierungsprozesses Aspekte identifizierte, die sowohl für die Integrationsfähigkeit als auch für die Konsolidierung der Demokratien wichtig waren, wie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen oder die Stärkung von Verwaltung und Justiz oder die Einführung regionaler Selbstverwaltung - Bereiche, die bei der Süderweiterung nicht verfolgt wurden. Die EU legte im Zuge der Osterweiterung ein substanzielles Demokratieverständnis zu Grunde. Aber nicht nur die Bedingungen wurden ausdifferenziert und die Inhalte des acquis und die Unterstützungsinstrumente praktisch verdoppelt. Auch die Formen der Anwendung der Konditionalität, sprich ihre Druckmittel differenzierten sich. Letzteres ließ sich am Fall der Slowakei zeigen, denn die EU stand erstmals bei einem Beitrittskandidaten vor der Situation, dass die Bedingungen nicht erfüllt wurden - eine Präzedenz. Auch für solch einen Fall gab es keine Strategie, kein Notfallprogramm, vielmehr entwickelte sich die Umsetzung der negativen Konditionalität durch verschiedene Mittel reaktiv. An Hand des slowakischen Beispiels lässt sich die Effektivität der Konditionalitätsmethode bewerten. Betrachtet man das Ergebnis der Politik der Konditionalität, so ist tatsächlich richtig, dass Meþiar nicht überzeugt werden konnte, undemokratische Schritte rückgängig zu machen. War der Einfluss der EU auf offiziellem Niveau sehr begrenzt, so lösten aber die Kritik und Maßnahmen der EU „a complex dynamics in the domestic arena at different levels“7, nämlich bei Bevölkerung und oppositionellen demokratischen Kräfte aus. Diese Effekte waren weitgehend indirekt, aber signifikant. Ist die EU mit ihrer Politik gegenüber Meþiar gescheitert, weil sie ihn nicht zur Rückkehr auf den demokratischen und integrationsfreundlichen Weg bewegen konnte? Welche Lehren könnte man aus diesem Beispiel für mögliche künftige Rückfälle in autoritäres Gebaren ziehen? Die Alternativen lauten: die Konditionalität aufweichen oder noch stärker vertreten. Ich habe diese Frage auch meinen Interviewpartnern gestellt. Die Haltung, die EU hätte trotz demokratischer Defizite Verhandlungen aufnehmen sollen, stellte eher eine Minderheitsmeinung dar.8 Dennoch ist die Argumentation interessant, die darauf hinausläuft, dass die EU erst einmal mit den technischen Fragen der Verhandlungen hätte anfangen sollen, und dann, wenn sie ein politisches Defizit nicht hätte akzeptieren können, das Land hätte ausschließen können. Dem muss man entgegenhalten, dass sich die EU, wenn sie nach all der Kritik und den Vorkommnissen bei den Referenden im Mai 1997 zwei Monate später die Verhandlungsaufnahme mit der Slowakei empfohlen, sich als Vertreterin demokratischer Werte unglaubwürdig gemacht hätte – und zwar bei allen Gruppen im Land (Meþiar hätte triumphiert, er könne machen, was er wolle, er komme doch in die EU; die Argumente der Opposition wären entkräftet worden; bei der Bevölkerung hätte die EU ihr Ansehen verspielt, ihr „Wert“ wäre gesunken). Auch angesichts der künftigen Beitrittskandidaten hätte dies die Glaubwürdigkeit, die Berechenbarkeit der EU und ihrer demokratischen Parameter empfindlich geschwächt. Die andere Option wäre gewesen, wie Samson - auch in der Minderheit - argumentiert, die Warnungen die demokratischen Kriterien betreffend mit mehr Druck und auch direkten Drohungen zu verbinden, etwa die Europa-Abkommen zu kündigen.9 Das hätte drastischere und frühere Schritte sowie Negativmaßnahmen, also Sanktionen, bedeutet.
7 8 9
A.a.O., Pridham, 2002, S. 214 So vor allem sehr dezidiert Šebej, tendenziell und mit Einschränkung auch Alner. Vgl., a.a.O., Samson 2001, S. 366
3 Die EU als Demokratisierer
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Gegen diesen Gedanken gibt es Argumente aus verschiedenen Perspektiven: Zum einen hinsichtlich des Kontaktes zu Opposition und Öffentlichkeit. Es sei wichtig gewesen, so Mesežnikov, dass die EU in Kontakt mit den demokratischen Kräften, mit den unabhängigen Organisationen, den NGOs gewesen sei.10 Das sei legitim und nützlich gewesen. So auch Bútora und Bútorová: „The fact that the democratic community in Slovakia had maintained communication with Western democracies during the Meþiar years also played a role in the political change. The domestic media allotted ample space to the statements and analyses of Western politicians and experts, international institutions, and independent organizations concerning developments in Slovakia.”11
Ein zweites Argument stellt darauf ab, wie wichtig die Tatsache für die Beitrittsperspektive gewesen sei, dass die Slowakei im Rahmen der Europa-Abkommen und der Beitrittspartnerschaften die Annäherung an die EU fortgesetzt habe. Es sei „ein sehr gutes Mittel“ gewesen, nicht den ganzen Beitrittsprozess zu stoppen, so Lombardini. Die Institutionen des Assoziierungsvertrages hätten weiterfunktioniert und durch die screenings habe man dann genau gewusst, wo man stehe. So habe man dann ab 1998 weitermachen können.12 Im Nachhinein ist es völlig klar, dass die Slowakei jenen Aufholprozess zwischen 2000 und 2002 nie in dieser Weise hätte durchführen können, wenn der Heranführungsprozess unterbrochen worden wäre. Ein weiteres Argument lautet, Isolierung schade eher13. Letztlich wurde die Slowakei trotz des Ausschlusses nicht völlig isoliert, da sowohl die finanziellen Mittel als auch der inhaltliche Heranführungsprozess weiterliefen. Das heißt, die Verbindungen zur EU wurden letztlich nicht gekappt, sondern liefen weiter. Richtig ist, dass es wahrscheinlich eher schädlich gewesen wäre, die Slowakei tatsächlich ganz außen stehen zu lassen. Vor allem aber, und dies ist ein zentrales Moment, hätte sich die EU mit dem Einfrieren der EuropaAbkommen eines wichtigen Instruments zur Beeinflussung der Situation in der Slowakei beraubt. Das Aufrechterhalten der Konditionalität im ersten Regierungsjahr Dzurinda, so unverständlich für das EP und so schmerzhaft für die Bevölkerung es auch war, stellte eine ebenso wirksame Methode dar, die weiterhin prekären Aspekte der politischen Kriterien lösen zu können. Ohne diesen Druck hätte es möglicherweise auch die Regierung Dzurinda nicht geschafft, diese schwierigen Punkte (Sprachgesetz, Abschaltung von Bohunice) zu einer Lösung zu führen. Und wieder war dies die einzige Möglichkeit der EU, die Steuerung und vor allem die Beschleunigung der Reformen durch die Regierung Dzurinda in der Hand zu halten. Vor einer Zusage für Verhandlungen im Dezember 1999 gab es nur ein kleines Zeitfenster von einem Jahr, das durch das Beharren auf die Erfüllung der Bedingungen und das gleichzeitige Aufholinstrumentarium (High Level Working Group) auf äußerst effektive Weise genutzt wurde. Letztendlich ist die Politik der EU gegenüber der Slowakei aus folgenden Gründen nicht gescheitert:
10
Interview Mesežnikov Bútora/Bútorová, 1999, S. 89 12 Vgl., Interview Lombardini 13 So Alner im Interview 11
376 1. 2. 3. 4.
IV Conclusio Das Land konnte seinen wirtschaftlichen Reformprozess fortsetzen bzw. seinen Rückstand aufholen, was auch ein Element der Stabilisierung darstellte. Die Abstrafung bezog sich immer konkret auf die Politik der Regierung. Die EU hat ihre Glaubhaftigkeit als Vertreterin demokratischer Werte verstärkt, ohne der Bevölkerung zu schaden und die Arbeit der Opposition zu konterkarieren. Die EU hat ihr volles Steuerungspotenzial erhalten, sowohl im Rahmen der EuropaAbkommen als auch im Rahmen der Heranführungsstrategie.
Der Druck, den die EU ausübte auf Grund der Verknüpfung von innerem Zustand und europapolitischem Schicksal, von Demokratie und Integration, wirkte zwar nicht direkt bei der Regierung (zumindest nicht so wie beabsichtigt), aber indirekt bei Opposition und Bevölkerung. Dies wiederum war die Grundlage für die Änderung des Konsolidierungsverlaufs. Die EU wirkte somit katalysierend auf die verzögerte oder paralysierte Konsolidierung. Das führt zu einem zentralen Ergebnis: Dieser Einfluss der EU umfasst nicht nur direkte Steuerungsmöglichkeiten, sondern auch vielfältige indirekte Wirkungen. Beides richtet sich nicht nur auf die Regierungsebene, vielmehr können indirekte Wirkungen, intendiert oder nicht intendiert, auf verschiedene Ebenen im Land treffen, wobei die Opposition, die öffentliche Meinung, und die Wirtschaft14 Adressaten dieses Einflusses und gleichzeitig Rückkoppler an die Regierung darstellen. Sowohl direkte als auch indirekte Einflüsse können sich entscheidend auf den Konsolidierungsverlauf auswirken. Mit der Demonstration der doch erheblichen Wirkkraft auch dieser indirekten Wege transnationaler Interaktion wird der Einwand entkräftet, indirekte Wirkungen seien weniger bedeutsam oder effektiv. Die Fallbeispiele haben deutlich gemacht, dass die „mysteriösen Wege“15 indirekter Wirkungen und ihre Mechanismen durchaus zu erhellen sind. Das Ergebnis des Zusammenwirkens von Demokratieunterstützung und Annäherung an die EU war in Ostmitteleuropa auf den Gesamtprozess bezogen ebenfalls positiv. Die EU hat ihre Maßstäbe quantitativ und qualitativ erhöht sowohl bei der Erfüllung der demokratischen Kriterien als auch bei der Übernahme des acquis. Die EU hatte neben den Verhandlungen wirksame Strukturen geschaffen, erstens zur Vorbereitung auf den Beitritt und zweitens zur gleichzeitigen Begleitung der Konsolidierung mit intendierten und direkten Maßnahmen. Die direkten Einflüsse haben somit zugenommen. Das was in Südeuropa durch Europäisierungseffekte nach dem Beitritt „nachgeholt“ wurde, hatte sich im Rahmen der Europa-Abkommen und der Heranführungsstrategie in großen Teilen bereits vollzogen. Das Fazit, das für Südeuropa gezogen wurde, bestätigt sich auch für Ostmitteleuropa: Je umfassender die Bedingungen und das Heranführungsinstrumentarium für den Beitritt, desto mehr Steuerungspotenzial hat die EG/EU, und zwar sowohl auf die Stabilisierung des Demokratisierungsprozesses als auch auf die Gestaltung im institutionellen, prozessualen und policy-Bereich. Das bedeutet: Die Demokratisierungsländer der Osterweiterung haben mehr und härtere Bedingungen auferlegt bekommen, aber zugleich auch mehr und effektivere Hilfe bei der Gestaltung der Reformen erhalten. Daraus lassen sich Schlüsse für künftige Erweiterungsprozesse ziehen. Auf der Grundlage der erarbeiteten Ergebnisse kann das Handeln der EU als, erstens, lernfähig, und, zweitens, flexibel bewertet werden. Beides hat dazu geführt, dass sich das Instrumentarium 14 Wie erwähnt konnte die Wirtschaft in dieser Untersuchung hier nicht einbezogen werden, aber bei dem Beispiel der Nuklearpolitik (siehe III. 3.5.3) ist dies deutlich geworden. 15 A.a.O., Schmitter, Philippe C., 1996, S. 28
3 Die EU als Demokratisierer
377
ausgeweitet und die EU damit ihr Steuerungspotenzial deutlich erhöht hat. Aus dieser inneren Logik heraus kann vermutet werden, dass mit der Differenzierung der Problemlagen in den Demokratisierungsländern auch künftig eine weitere Ausdifferenzierung der politischen Kriterien und damit eine Verbreiterung der Instrumente einhergehen wird und dass dies somit die künftige Entwicklung des europäischen Demokratieförderungspotenzials bestimmen wird. So gehört zu den Bedingungen, die die EU im Hinblick auf Kroatien formuliert hat, die beschleunigte Rückkehr der Flüchtlinge und die volle Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Ähnliches gilt auch für die Bedingungen der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit den Ländern des West-Balkans: Dort wird die Entwicklung der Kriegsverbrecherprozesse als explizites Kriterium genannt. Gerade die fehlende Kooperation bei diesem Punkt hat bei Kroatien zur Verzögerung der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen geführt (statt 17.3.2005 erst 3.10.2005). Derselbe Grund ließ die EU die 2005 begonnenen Verhandlungen mit Serbien über ein SAA aussetzen, da der Kriegsverbrecher Radko Mladiü nicht an das ICTY ausgeliefert wurde. Auch das Thema des Zusammenlebens verschiedener Religionsgemeinschaften in multiethnischen und multireligiösen Staaten (siehe Balkan) und die Achtung der Rechte religiöser Minderheiten hat zunehmende Bedeutung bekommen. In Bezug auf die Türkei wurde dies von der Kommission bereits thematisiert auf Grund der Einschränkung der Rechte religiöser Minderheiten (etwa bei der Ausbildung des Klerus, der Rechtspersönlichkeit und den Eigentumsrechten). Auch Normen wie der Schutz der Rechte der Kinder, der bereits in Rumänien ein Problem war, oder das Verbot von „Ehrenmorden“ sind ein Thema bei den Verhandlungen mit der Türkei. Anderen Aspekte, die sich bereits bei der Osterweiterung als wichtig herausgestellt haben, wie die Stärkung von Verwaltung und Justiz, begegnen der EU bei der nächsten Erweiterungsrunde bzw. den – runden. Hier bildet das erprobte Instrument des „Twinnings“ eine effektive Grundlage. Neue Herausforderungen stellen sich durch die Nachkriegssituation und Staatenbildungsprozesse auf dem West-Balkan. Die EU muss nicht nur auf das Problem der Re-Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen reagieren, sondern etwa auch Strategien zur inneren Befriedung entwickeln etc. Hier gilt es, noch mehr als bei der Osterweiterung, die gesellschaftliche Ebene zu fokussieren. Das Problem ziviler Kontrolle der Armee oder bewaffneter Milizgruppe, das sich bei den ostmitteleuropäischen Staaten nicht stellte, kommt in Bezug auf die Bürgerkriegsstaaten des ehemaligen Jugoslawien zum Tragen. Auch dies stellt einen neuen Aspekt dar, mit dem die EU konfrontiert ist. Eine zentrale Aufgabe bei künftigen Erweiterungen wird es sein, Konflikte vor dem Beitritt zu lösen und mögliche Destabilisierungspotenziale einzuhegen. Die Frage, ob die EG in den 1970er Jahren stärker auf die Lösung des Zypern-Konfliktes und den spanischmarokkanischen Konflikt sowie die Gibraltar-Frage – alles weiterhin ungelöste Probleme hätte einwirken können oder sollen, kann hier nicht weiter diskutiert werden. In Falle des slowakisch-ungarischen Konfliktes hat die EU starken Druck auf die beiden Parteien letztlich erfolgreich - ausgeübt. Wie schwierig es ist, solche Fragen ohne Druck zu lösen sind, zeigt die Zypern-Frage, bei der trotz maximaler diplomatischer Anstrengung kein befriedigendes Ergebnis erreicht werden konnte. Dem Bereich Konfliktbeilegung dürfte aufgrund der schwierigen nachbarschaftlichen und innerstaatlichen Konstellationen auf dem Balkan künftig ein noch größeres Gewicht zukommen.
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IV Conclusio
Der „Virus der Destabilisierung“ 16 ist zweifelsohne eine Gefahr. Er kann von verschiedenen Seiten kommen, seien es subregionale Konflikte oder die nicht ausreichende politische und wirtschaftliche Stabilität der aufgenommenen Länder. Es hat sich gezeigt, dass die EU für dieses Problem durchaus sensibilisiert ist. So hat sie einer partiellen Übernahme des acquis bei der Osterweiterung, wie bei Portugal und Spanien auch, eine Absage erteilt mit der Begründung, dass ohne Lösung der zugrunde liegenden Probleme oder ihr Aufschieben nur „neue, noch größere Schwierigkeiten heraufbeschwören“ würde.17 Die EU sicherte sich zudem mit einer Sicherungsklausel ab, die maximal zwei Jahre dauert und den Kandidatenländern Flexibilität zugesteht in den Bereichen Binnenmarkt und innenpolitische und justizielle Angelegenheiten. Auch die Entscheidung, Rumänien und Bulgarien erst 2007 aufzunehmen, belegt das Bewusstsein für destabilisierende Gefahren. In Bezug auf die Problematik nachbarschaftlicher Konflikte hat die EU ein besonderes Profil auf Grund der Tatsache, dass sie selbst eine regionale Organisation ist. Regionale Zusammenarbeit hat daher den Rang eines politischen Kriteriums. Außerdem aber hat die Kompetenz der EU in regionaler Zusammenarbeit Vorbildcharakter und ist ein Aktivposten, den sie bereits auf Assoziierungsebene einsetzen kann, was zum Beispiel in den Europa-Abkommen geschah und im MEDA-Programm für die Mittelmeeranrainer ebenso passiert wie in den SAA für den West-Balkan. Insgesamt kann man sagen, dass das Fehlen einer pro-aktiven Strategie der EU bislang durch ein zwar reaktives, aber flexibles Handeln kompensiert worden ist, bei dem sich die Instrumente in einem dynamischen Entwicklungsprozess nicht nur differenziert, sondern auch optimiert haben. Eine faktische Fortentwicklung der EU-Politik im Zusammenhang von Erweiterung und Demokratisierung ist zum einen die Objektivierung der beiden Prozesse durch a) die festen Kriterien (Konditionalität), b) die Bewertung der Fortschritte (Monitoring) und c) die Evaluierung der Maßnahmen. Dadurch sind durch nationale Interessen geleitete Entscheidungen deutlich reduziert worden. Dies ist eine notwendige Entwicklung, denn da die nationalen Interessen und die Konsensfindung die Achillesferse der EU-Entscheidungsfindung darstellen, sind probate Formen vonnöten, die diese Hürden glätten. Eine andere Verbesserung ist darin zu sehen, dass das die Verhandlungen durchführende Organ, die Kommission Generaldirektionen etc. einen hohen Grad an Professionalität erreicht haben. Die Vorbereitung, Durchführung und Begleitung des Beitrittsprozesses ist zu einem „Kerngeschäft“ der Kommission geworden. Dazu gehört auch, dass von ihr zunehmend strategische Impulse kommen. 4
Das Integrationsparadigma der EU - Bedingungen und Grenzen einer erfolgreichen Demokratieförderung
Auf dem Hintergrund dieser konkreten, durch den Vergleich erlangten Ergebnisse gilt es abschließend die Frage nach den Chancen und Grenzen künftiger Demokratieförderung durch die Europäische Union zu stellen. Dazu werden 1. allgemeine Aussagen zu den Prä-
16 Vgl. Sandschneider, Eberhard, „Die Europäische Union und die Transformation Mittel- und Osteuropas. Zum Problem exogener Stabilisierungsstrategien in Transformationsprozessen“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft. 1/1996, S. 27-51, hier: S. 41 17 A.a.O., Agenda 2000, Teil II.3, S. 50
4 Das Integrationsparadigma der EU
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missen erfolgreichen Einflusses formuliert, 2. die Einflussmöglichkeiten (direkte/indirekte Wirkung) systematisierend zusammengefasst und demnach auf 3. Art, Stärke und Zeitraum des Steuerungspotenzials bezogen. Anhand der empirisch überprüften Interaktionskriterien lassen sich folgende Prämissen für erfolgreiche externe Demokratieförderung aufstellen: 1. 2. 3.
4.
Status des externen Akteurs: Der externe Akteur muss einen hohen Status haben, glaubwürdig sein, bewiesener Vertreter demokratischer Werte und eine hohe unterstellte Lösungskompetenz besitzen. Konsonanz der Motive: Die grundlegenden Motive und Ziele des externen Akteurs und der nationalen Akteure müssen übereinstimmen. Die Perzeption der Probleme muss grundsätzlich stimmig sein. Problemperzeption und Akzeptanz der externen Unterstützung: Die nationalen Akteure müssen fehlende oder defekte Demokratie als Mangel perzipieren und Unterstützung bei der Demokratisierung akzeptieren. Das Kosten-Nutzen-Kalkül der nationalen Akteure muss dabei auf eine win-win-Situation hinauslaufen, um eine möglichst stabile Akzeptanz zu sichern. Anreiz-Druck-System: Direkte Gestaltungsmöglichkeiten und effektive Steuerung bedarf des Einsatzes von Druckmitteln. Soll eine nachhaltige Konsolidierung und langfristige Stabilisierung gefördert bzw. gesichert werden, dann muss zusätzlich ein attraktives (Kosten-Nutzen-Kalkül) Anreizsystem vorhanden sein. Die Koppelung von Anreizsystem und Druckmitteln (Konditionalität) verspricht höhere Effektivität und Erfolgsperspektiven der Demokratisierungsförderung.
Auf die EG/EU bezogen heißt das: 1. Die EG/EU hatte/hat einen hohen Status auf Grund ihrer Strahlkraft als politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreiches Modell. Sie war/ist als Regionalmacht in Europa die wichtigste Referenzgröße für die Länder des europäischen Großraums. Sie ist ein äußerst glaubwürdiger Akteur in Bezug auf ihre demokratische Haltung, hat sie doch durchgehend bewiesen, dass sie sich nicht auf undemokratische Regime oder Praktiken einlässt. Dies ist insbesondere ein wichtiger Faktor für die Phase vor dem Systemwechsel (nicht-demokratisches Regime), da die demokratischen Oppositionskräfte und die Bevölkerung die EG/EU als Vertreterin und Verteidigerin demokratischer Werte erlebt (Ablehnung Francos, keine Kontakte zum RGW) und so umso mehr den vorhandenen demokratischen Zielvorstellungen entspricht. Zudem wird die EG/EU auf Grund ihres Erfolgs als Demokratie-, Wohlstand- und Friedenszone einerseits als Quelle von „best policies“ angesehen, sowie andererseits durch erfolgreiche Demokratisierungshilfe in ihrer Kompetenz als Demokratieförderer hoch eingeschätzt. 2. Das prioritäre Motiv der Unterstützung von Reformprozessen ist Stabilisierung durch Demokratisierung. Auf Grund der traditionell fehlenden militärischen Kapazitäten der EG/EU kann sie Stabilisierungsaufgaben nur im Rahmen von Demokratisierung absolvieren. Das heißt nicht, dass sie nicht auch wirtschaftlichen Nutzten – und keinen geringen – dabei hat bzw. verfolgt. Die Perzeption der EG/EU durch nationale Akteure sieht die Mischung an Motiven, aber eindeutig den Akzent ihrer Motive auf den politischen. Strebt ein Land demokratische Verhältnisse an, so ergibt dies eine optimale Ausgangssituation.
380 3.
4.
IV Conclusio Die maßgeblichen nationalen Akteure müssen den Mangel (fehlende Demokratie) bzw. das Problem (defekte Demokratie o.ä.) als solche perzipieren, bereit sein, sie zu beheben und dabei Unterstützung und Einwirkung von außen akzeptieren. Es handelt sich dabei um eine bewusste und gewollte Einwilligung externen Einflusses zum Erreichen eines Zieles. Das heißt, es geht um Kosten-Nutzen-Kalküls, aber auch um die unterstellte Problemlösungskompetenz des externen Akteurs. Sowohl bei der Süd- als auch bei der Osterweiterung waren Problemperzeption unstrittig und die Akzeptanz, sich unter den Schirm der EG/EU zu stellen sehr hoch. Die Akzeptanz externen Einflusses und auch externer Steuerung korreliert mit der Wertigkeit des zu erreichenden Ziels. Die Perspektive der Mitgliedschaft führt zu einer hohen Akzeptanz des Akteurs EU und führt dazu, dass auch Druckmittel, schmerzhafte Anpassungsprozesse oder vorauszusehende Anpassungsfolgen akzeptiert werden. Alle drei Punkte – hoher Status der EG, Priorität der politischen Motive und hohe Akzeptanz der EU-Maßnahmen zur Demokratisierung und Heranführung an EUStandards - sind letztlich möglich durch das besondere Anreiz-Druck-System, bei dem die EU ein für den Heranführungsprozess inzwischen sehr breites Instrumentarium entwickelt hat, das gleichzeitiges den gesamten Transformationsprozess abzudecken in der Lage ist (politisch-institutionelle, politisch-prozessurale und policy-Ebene, wirtschaftliche, gesellschaftliche Ebene). Der Anreiz der Mitgliedschaft erfüllt den Anspruch sehr hoher Wertigkeit durch eine Vision für eine bessere Zukunft des Landes sowie durch die Aussicht auf die Übernahme erprobter und zielführender best policies. Die demokratischen Bedingungen stellen dabei die unbedingte und unnachgiebige Messlatte dar, die letztlich sowohl die EU vor innerer Destabilisierung schützt als auch für die stabile Konsolidierung des Landes sorgt.
Damit sind wir bei der Differenzierung von Einfluss und Wirkung in den jeweiligen Phasen. Die Fallbeispiele haben gezeigt, dass der Anreiz der EG/EU, ihr Status (Glaubwürdigkeit, Modellcharakter etc.) sowie ihre Konditionalität ein permanentes, feststehendes System bilden, das nicht erst einsetzt, wenn ein Regime zusammenbricht oder die Transition mit der Installierung der politischen Institutionen beginnt.18 Integration plus Demokratisierung bilden einen Schirm, der seit 1961 geöffnet ist, immer mit der gleichen Bedingung demokratischer Zustände und immer mit dem gleichen Angebot, einen Platz unter ihm einzunehmen. Die europäische Demokratieförderung ist ein durch Permanenz und Persistenz geprägte Anreiz-Druck-System, das man paradigmatisch nennen kann. Das Paradigma europäischer Demokratieförderung zeichnet sich dadurch aus, dass sein Einfluss durch den gleichzeitigen Beitrittsprozess sowohl breiter und komplexer als auch langfristig angelegt und nachhaltig wirksam ist. Das Paradigma kann potenziell bereits während der nicht-demokratischen Phase wirken, wie das in Süd- wie Ostmitteleuropa der Fall war. Innerhalb dieser Permanenz und Persistenz des Anreiz-Druck-Systems ergeben sich Phasen größeren bzw. geringeren Steuerungspotenzials, also direkter Einwirkungsmöglichkeit. 1. Undemokratisches Regime: Es handelt primär sich um eine indirekte, auch nicht unbedingt intendierte Wirkung, die in der Existenz des Modells EG/EU liegt und Strahlkraft auf bestimmte Gruppen im Land ausüben kann (Wirtschaft, Opposition, Intellektuelle, Bevölkerung, auch auf die Regierung – negativ oder positiv). Direkt reagiert die EG, wenn 18
Siehe dazu auch a.a.O., Kneuer, 2002 a, S. 243
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die Regierungen dieser Länder an sie herantreten, die Wirkungen können wiederum direkt (Abkommen/keine Abkommen) oder indirekt sein. Während der Phase nichtdemokratischer Regierungen und des Regimeendes ist die Rolle der EG/EU eher passiv (Aufrechterhalten der Zugangsbeschränkung), was nicht hießt, dass sie nicht reagiert bei massiven Verfehlungen oder auch gerade in der Regimekrise durch verstärkte Kontakte zur Opposition etwa. Der Anpassungsdruck ist gering, denn so hoch der Anreiz auch seien mag, das Regime hat kaum Interesse, die Bedingungen zu erfüllen. Das Steuerungspotenzial ist ebenso gering, indirekte Wirkungen sind derweil möglich. 2. Regimekrise, Regimeende: Der Anreiz wächst oder schnellt hoch in seiner Bedeutung. Die EG/EU lotet den Demokratisierungswillen im Land und ihr Einflusspotenzial aus, erste pro-aktive Maßnahmen, abhängig vom Personal (alte Führung oder neue Kräfte) werden ausgeführt. 3. Eine überwiegend aktive Rolle setzt dann in der Transition ein. Diese direkten, intendierten Maßnahmen enden nicht mit der Abhaltung der Wahlen oder der Verabschiedung der Verfassung, sondern dauern an, da die aktive Begleitung des Demokratisierungsund Annäherungsprozesses parallel verlaufen. Während der Transition beginnt der Anpassungsdruck, sobald das Anreiz-Druck-System greift. Sobald Konsonanz in den Motiven (Demokratie, Integration) festgestellt ist, das heißt der Beitrittsantrag gestellt ist, setzt das Steuerungspotenzial der EU ein. Während der Transition richtet es sich auf die Steuerung der legal-formalen Aspekte bei der Institutionalisierung. Das Steuerungspotenzial in Bezug auf den acquis (Politikfelder, Verfahren, Standards, Normen) ist groß. Der Transfer von Institutionen, Verfahren, policies etc. geschieht überwiegend nicht freiwillig, sondern durch Druck. Wenn es um die Möglichkeit geht, Gefährdungen der Demokratie zu begegnen, dann ist der Ausgang grundsätzlich offen. Die EG/EU findet die Grenzen ihrer direkten Steuerungsmöglichkeiten dann, wenn der Punkt „Akzeptanz maßgeblicher Akteure im Land“ nicht gegeben ist oder, wenn der Anreiz bei den nationalen Akteuren so niedrig ist, dass Druckmittel nicht mehr akzeptiert werden, das heißt, das Anreiz-Druck-System ganz oder teilweise außer Kraft ist. 4. Die Konsolidierung fällt zusammen mit den Beitrittsverhandlungen. Dabei steht die Übernahme des acquis im Vordergrund. Durch das Monitoring werden aber auch die Bedingungen ihre und die Erfüllung weiterhin beobachtet, angemahnte Schritte begleitet und auch deren Umsetzung bewertet, was wiederum zu neuen Mahnungen führen kann, wenn die Umsetzung keine befriedigenden Ergebnisse zeigt. Insbesondere bei der Osterweiterung hat sich das sehr enge und differenzierte Monitoring als erhebliches Steuerungsinstrument herausgestellt. Bereiche, die dabei fokussiert wurden, waren die durchführenden Institutionen (Verwaltung, öffentlicher Dienst), Judikative und Justizverwaltung sowie der Aufbau und das Funktionieren dezentraler Strukturen. Dies zeigt, dass die EU während der Verhandlungsphase nicht nur Einfluss auf die policy-Ebene genommen hat bzw. nehmen kann, sondern auch für die Konsolidierung wichtige Aspekte im institutionellen Bereich anvisiert und hier in erheblicher Weise gesteuert hat. Der Anpassungsdruck ist in dieser Phase weiterhin hoch. Solange das Demokratisierungsland noch nicht integriert ist, behält die EU die Möglichkeit, bei auftretenden demokratischen Defiziten, Fehlentwicklungen oder Gefährdungen der Demokratie einzugreifen. Ein Erfolg ist dabei freilich nicht garantiert, aber sie hat direkte Druckmittel und, wie der slowakische Fall zeigt, löste dieses Anreiz-DruckSystem auch eine Bandbreite indirekter Wirkungen aus, die eufunktional wirkten. In dieser Phase zeigen sich zudem Wirkungen auf die Prozessebene (Sozialisierung demokratischen
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IV Conclusio
Verhaltens und Verinnerlichung demokratischer Verfahren) sowie auf der Einstellungsebene (steigende Nicht-Akzeptanz autoritären Stils, Befürwortung demokratischer Werte und Prinzipien). Die langfristige und nachhaltige Wirkung macht dieses Paradigma so attraktiv für die jungen Demokratien. Die Einbindung in die EG/EU wird als essentiell für die Konsolidierung der neu entstandenen Demokratien betrachtet, als institutionelle Garantie gegen politische Rückfälle und für die Verankerung und Absicherung des jungen demokratischen Systems. 5. Der Beitritt stellt eine Art demokratisches Gütesiegel für das Land dar. Man kann nun von einer konsolidierten Demokratie ausgehen. Mit dem Beitritt ist das Land in die EU-Prozesse eingebunden und hat die gleichen Rechte wie die anderen Mitglieder. Es bestehen zumeist noch Übergangsregelungen in bestimmten Politikfeldern oder wie bei der Osterweiterung Sicherungsklauseln. Der Anpassungsdruck ist nach dem Beitritt nicht völlig verschwunden. Er nähert sich dem „normalen“ Niveau der Europäisierung an, dem auch die anderen Mitglieder unterliegen. Trotzdem bleibt eine intensivere Interaktion, sei es weil Programme noch weiterlaufen, die EU die internen Prozesse bei den neuen Mitgliedern stärker beobachtet (vor allem die Implementierung), sei es über neu geschaffene Strukturen (z.B. Kohäsionsfonds). Das Beispiel Spaniens hat gezeigt, dass selbst wenn „Konsolidierungsreste“ bleiben oder sich dysfunktionale Effekte einstellen, eine Problemlösung innerhalb der EU – sei es durch Transfer von Institutionen, policies oder Verfahren, sei es durch political learning etc. – möglich ist. Schließlich hat die EU eine Sicherung gegen undemokratische Entwicklungen in einem Land nach dem Beitritt eingebaut. Seit dem Vertrag von Amsterdam können Verletzungen der EU-Grundsätze sanktioniert werden, im Extremfall mit Aussetzung von Stimmrechten.19 Dies sieht auch – im Verfahren modifiziert, im Ergebnis aber gleich - der Verfassungsentwurf vor.20 Die hier gezeigte phasenspezifische Wirkungsintensität der EU bestätigt nicht die These Schmitters, externe Interventionen hätten einen größeren und nachhaltigeren Effekt auf die Konsolidierungen. Die von ihm angenommene Parabolform – „low during the initial transition, building up to its maximum effect during the consolidation, and, subsequently, declining once national political institutions are functioning normally and, hence, capable of asserting both their internal and external sovereignty“21 – lässt sich nicht als Schablone für das Einflusspotenzial der EU anwenden. Zum einen sind auch die vordemokratischen Phasen zu berücksichtigen, bei denen zwar überwiegend indirekte, aber dennoch wichtige Wirkungen festgestellt wurden. Zum zweiten zeichnet sich die EU durch eine nachhaltige Wirkung aus, die die konsolidierte Demokratie, vor allem auf der Verhaltens- und Einstellungsebene, stützt. Zum dritten konnte weder beim spanischen noch beim slowakischen Fall festgestellt werden, dass das Einfluss- oder Steuerungspotential der EU während der Transition niedrig waren. Im Gegenteil setzte der Einfluss der EU in Ostmitteleuropa durch die durch die Konditionalität in den Unterstützungsprogramme (PHARE, EBWE-Kredite etc.) und der Europa-Abkommen bereits in der Transition voll ein. Zudem sind in der Transition vor allem bei den Grundentscheidungen über die noch nicht festgelegten Institutionen durchaus Einwirkungsmöglichkeiten vorhanden, wie im spanischen Fall bezüglich der Zulassung von Parteien etwa zu sehen war. Die Begründung der These Schmitters – vor allem, dass die Schnelligkeit der internen Prozesse die Entscheidungsfindungsprozesse der 19 20 21
Art. 7, EU-V Amsterdam Titel IX, Art. 57 A.a.O., Schmitter, 1996, S. 51
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externen Akteure überfordere,22 trifft höchstens punktuell zu; im Allgemeinen setzt die EU die terms of trade und bestimmt daher auch zu einem großen Teil das Tempo und vor allem eben die Konditionen.23 Was sich allerdings feststellen lässt ist, dass die Bedeutung indirekter Wirkungen im Laufe der Transition und dann noch stärker während der Konsolidierung zunimmt. Sie beziehen sich auf das Elitenverhalten (Kooperation, Aushandeln etc), die Einstellung der Bevölkerung (demokratische Sozialisierung) auf das Einschleifen bzw. Optimieren der demokratischen Prozesse (political learning) etc. Die Ergebnisse indirekter Wirkungen lassen sich unter folgenden Kategorien einreihen24:
Orientierung (z.B. Imitation, Kopie von Elementen in der Verfassung) Sensibilisierung (für Normen wie Schutz der Umwelt) Sozialisierung (Elitenverhalten, Verinnerlichung demokratischer Prinzipen) Konvergenz (mit europäischen Verfahren etwa durch den Binnenmarkt)) Verstärkung (Unzufriedenheit der slowakischen Bevölkerung mit Meþiar) Katalysierung (Zusammenschluss der Opposition unter Franco, unter Meþiar) Beschleunigung (Reform der Justiz in der Slowakei) Optimierung (im Sinne einer effektiveren Reformgestaltung – „best policies“ - als dies ohne Hilfe möglich wäre).
Das Einfluss- und Steuerungspotential der EU auf Demokratisierungsprozesse durch direkte wie indirekte Wirkungen geht weit hinaus über den Einfluss bei „normalen“ Mitgliedern. Der Hinweis, dass die Heranführung eine Ausweitung des EU-Einflusses auf das policymaking darstellt über die Rolle der EU in den internen Prozessen der Mitgliedsstaaten hinaus25, ist durch diese Untersuchung bestätigt worden. Es ist auch richtig, dass die Heranführung Bereiche enthält, gegen die sich Mitgliedsstaaten lange gesperrt haben. Ein wichtiges Fazit dieser Studie lautet daher: Das Einfluss- und Steuerungspotenzial der EU während des Erweiterungsprozesse unterscheidet sich maßgeblich von den Europäisierungseffekten, die sich bei EU-Mitgliedern feststellen lassen. Der Erweiterungsprozess setzt eigene Rahmenbedingungen und enthält eigene Gesetzmäßigkeiten, die sich von den Politikprozessen innerhalb der EU unterscheiden. Die Interaktion zwischen EU und Beitrittskandidat ist ungleich intensiver, die Rolle der EU ist hegemonisch und auf die Penetration des nationalen Systems und die Steuerung bestimmter Prozesse und Strukturen ausgerichtet. Dieses spezifische Steuerungspotenzial der EU während des Erweiterungsprozesses kann als „governance by enlargement“26 bezeichnet werden. Der Stellenwert der Mitgliedschaftsperspektive impliziert zudem, dass auch die indirekten Wirkungen auf die verschiedenen Adressatenebenen anders zu bewerten sind. Sie sind stärker als in normalen Mitgliedsländern 22 „(…) but the sheer pace of change – coupled in some cases with its unexpectedness – leaves outsiders without the critical information they would need to intervene effectively and without regular channels of influence through which operate. The rapid pace of internal change tends to out-run the decision-making capacity of most external actors.“ Ebd., S. 40 23 Siehe zur Kritik an Schmitters These und der Widerlegung an Beispielen aus dem afrikanischen Bereich a.a.O., Hartmann, S. 294f 24 Diese Aufschlüsselung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beruht auf den Ergebnissen der Falluntersuchungen. 25 A.a.O., Grabbe, 1999, S. 20 26 A.a.O., Dimotrova/Pridham, S. 97
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IV Conclusio
dazu angetan, Entscheidungen der politischen Akteure zu beeinflussen. Das übergeordnete Ziel der Integration setzt im Beitrittsland eine spezifische Handlungsagenda in Kraft, die sich von der europapolitischen Agenda der EU-Mitglieder unterscheidet. Dazu kommt die gesteigerte Präsenz der Integration im Bewusstsein der Bürger, der wirtschaftlichen Elite, der Medien, der Intellektuellen etc, was den politischen Diskus im Lande prägt und zwar in anderer Weise als europapolitische Debatten in Mitgliedsländern. Dies bestätigt erneut, dass die Demokratisierung eine „Sondersituation“ ist, bei der penetrative Interaktionen externer Akteure vorkommen. Der EU erwachsen auf Grund des gleichzeitigen Erweiterungsverfahrens eine besondere Stellung und eine besondere Akzeptanz auf der Seite des Demokratisierungslandes für diese Einflussnahme. Das Paradigma der europäischen Demokratieförderung ist maßgeblich durch die Integrationsperspektive gekennzeichnet. Der Erfolg des Integrationsparadigmas der EU liegt in dem Anreiz-Druck-System, in dem Anreiz der Mitgliedschaft und dem Druck durch die Konditionalität. Der Erfolg dieses Paradigmas liegt darin, dass die EU die demokratische Entwicklung des Landes auf der institutionellen, prozessualen und policy-Ebene beeinflussen kann, dass sie einen konsistenten und nachhaltigen Rahmen für die Demokratisierung bildet und dass sie schließlich nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell und technisch den Prozess unterstützt. Diese besonderen Bedingungen gelten solange das Anreiz-DruckSystem greift. Der Hebel, der der EU durch dieses Anreiz-Druck-System erwächst, verliert jedoch seine Kraft durch den Beitritt. Mit dem Beitritt endet auch die spezifische Methode der Konditionalität. Die Konditionalität hat sich als sehr wirkungsmächtige Methode der Demokratieförderung herausgestellt. Dieser Pfeiler der Demokratisierungs- und Erweiterungspolitik der EU bricht aber weg, sobald ein Land nicht mehr Kandidatenstatus hat, sondern Mitglied ist. Auf der einen Seite stellt die EU auch nach dem Beitritt weiterhin einen persistenten Konsolidierungsrahmen für die junge Demokratie und das neue EUMitglied dar. Auf der anderen Seite aber sind Grenzen des spezifischen EU-Einflusses im Sinne der Demokratieförderung durch die Mitgliedschaft definiert. Dieser Aspekt muss an dieser Stelle auch in Bezug auf jenen bereits erwähnten Virus der Destabilisierung näher betrachtet werden. Die EU hat durchaus die Möglichkeit von demokratischen Fehlentwicklungen oder Rückschlägen in Betracht gezogen, und deswegen eben jenen Artikel 7 neu in den EUVertrag aufgenommen, zu einem Zeitpunkt, als absehbar war, dass sich die EU um die ostmitteleuropäischen Reformländer erweitern würde. Bislang ist dieser Artikel noch nicht zur Anwendung gekommen. Von daher lassen sich keine Aussagen machen, wie ein Verstoß gegen die Prinzipien der EU (Artikel 6) – etwa der Rechtsstaatlichkeit oder der Demokratie – behandelt würden. Welches sind hierbei die Maßstäbe und Schwellenwerte einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ (Artikel 7), die die EU zum Handeln veranlassen könnten? Eine Koalition mit einer Nicht-Standard-Partei? Nimmt man die Koalition mit der FPÖ zum Vorbild, dann müsste zum Beispiel die nach den slowakischen Wahlen im Juni 2006 gebildete Koalition mit HZDS und SNS eine ähnliche Signalwirkung erreichen, handelt es sich doch um Parteien, deren Regierungsbeteiligung 2002 noch eine Nichtaufnahme in EU und NATO bedeutet hätte. Andererseits: Solange keine Verstöße gegen demokratische Prinzipien vorliegen, welche Mittel kann die EU anwenden? Tatsächlich ist der Raum, bis Artikel 7 EU-Vertrag zur Anwendung käme, groß und ohne Markierungen. Die Integration Ostmitteleuropas liegt noch nicht solange zurück, und es wird abzuwarten sein, wie die EU künftig auf problematische Entwicklungen in neuen Mitgliedsländern
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reagieren wird, die nicht als schwerwiegender Verstoß gelten. Dies stellt eine neue Herausforderung für die EU dar, die sie zwingen könnte, neue Elemente zu generieren und in ihr Konzept der Konditionalität aufzunehmen, wie etwa eine Art Schutzklausel, die speziell für neue Mitglieder nach dem Beitritt gilt, ähnlich wie jetzt für den Binnenmarkt, und bei der die guidelines für demokratische Fehlentwicklungen enger gefasst sind als in Artikel 6 und 7. Die Grenzen der EU-Demokratieförderung liegen des Weiteren in der fehlenden Akzeptanz externer Unterstützung und einer abweichenden Problemperzeption. An Meþiar wurde dies sichtbar. Die Nichtbefolgung von Bedingungen oder Vorgaben führte zu einer Ausdifferenzierung der verschiedenen Mittel bis hin zum Ausschluss aus den Verhandlungen. Das wäre nicht die letzte Waffe gewesen, das „äußerste Mittel“ der EU ist das Einfrieren der Assoziierungsabkommen (Europa-Abkommen, SAA) und schließlich der Abbruch der Beziehungen. Ist die Schmerzgrenze zur Erfüllung der Kriterien zu hoch für die nationalen Akteure, kann das den Anreiz so schwächen, dass das System nicht mehr greift. Bei Meþiar war dies der Fall. Diese ist eine Konstellation, die bei anderen Regierungen unkonsolidierten Demokratien im Umfeld der EU denkbar ist (z.B. Weißrussland), und daher dieses Problem durchaus auch im Zusammenhang der Neuen Nachbarschaftspolitik aufwirft, die ebenfalls auf der Methode der Konditionalität beruht, aber einen deutlich geringeren Anreiz, nämlich lediglich Teilintegration in den Binnenmarkt sowie Teilhabe an den Gemeinschaftsprogrammen bietet. Eine weitere Grenze ergibt sich aus dem immer noch überwiegenden top-down-Ansatz der EU. Zwar hat sich die EU, wie dargestellt, als lernfähig und flexibel erwiesen, die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Strukturen erkannt und Programme zu ihrer Stärkung ins Leben gerufen. Die bottom-up-Perspektive ist aber weiterhin unterbewertet und das Volumen weiterhin bescheiden. Grenzen kann das Paradigma Integration plus Demokratisierung auch finden durch Überdehnung. Damit ist die Überdehnung der Entscheidungsstrukturen der EU gemeint, die auch die Leistungsfähigkeit der EU in Fragestellen kann.27 Inzwischen hat sich gezeigt, dass das Projekt der Osterweiterung, das Projekt der Verfassungsgebung und die bereits in den Blick genommenen weiteren Beitritte – wobei der der Türkei besonders kontrovers diskutiert wird -, bei den Bürgern, aber auch einem Teil der politischen Elite das Gefühl einer Überforderung ausgelöst hat. Dabei spielen zweifelsohne das Tempo und die Tragweite der Veränderungen eine Rolle. Dies hat dazu geführt, dass sich die Staats- und Regierungschefs des Themas der künftigen Erweiterungskapazität beginnen anzunehmen. Auf dem Gipfel von Brüssel im Juni 2006 stellten sie fest, es seit wichtig, „dass die Union in der Zukunft bei einer Erweiterung in politischer, finanzieller und institutioneller Hinsicht arbeitsfähig bleibt und das gemeinsame europäische Projekt weiter vertiefen kann.“28 Im Dezember 2006 sollen daher „alle Fragen (…) im Zusammenhang mit künftigen Erweiterungen“ erörtert werden, so auch die weitere Aufnahmefähigkeit und die Qualität des Erweiterungsprozesses.29 In diesem Zusammenhang ist auch der erwähnte „Virus der Destabilisierung“ eine Gefahr, die möglicherweise bislang unterschätzt worden ist. Richtig ist, dass Europa ein Stabilitätsraum bleiben muss, damit es als Stabilisierer über seine Grenzen hinweg wirken kann. 27 28 29
Vgl. für die folgenden Argumente: a.a.O., Sandschneider, Eberhard, 1996, S. 41 Schlussfolgerungen des ER, Gipfel von Brüssel 15./16.6.2006, 10633/1/06, 17.6.2006, Punkt 53 Ebd.
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IV Conclusio
Die Tatsache, dass der nachhaltige Erfolg der EU-Demokratieförderung auf dem Integrationsparadigma beruht, führt zu dem bisher nicht erwähnten Hinweis, dass die Methode und die Mittel der EU zivil ausgerichtet sind. Das heißt, jenseits ihres Anreiz-Druck-Systems, also dem attraktiven Angebot der Mitgliedschaft und ihrer diplomatisch-politischen Druckmittel besitzt bzw. nutzt sie keine Möglichkeiten, etwa militärischer Art, zur Demokratisierung. Dies könnte man als Grenze interpretieren, bislang hat sich der ausschließlich zivile Ansatz allerdings als Aktivposten herausgestellt. Dies ist ein maßgeblicher Unterschied zur Demokratieförderung der USA, die wir bereits als einen der wichtigsten Akteure auf diesem Gebiet identifiziert haben (siehe Einleitung). Es ist freilich nicht nur dieser zivile Ansatz, vielmehr unterscheiden sich die Konzepte der Demokratisierungspolitik von EU und USA schlechthin. Insbesondere die jüngsten Demokratisierungsversuche der USA im Nahen Osten verdeutlichen erneut diese grundsätzlichen Unterschiede. Im Laufe dieser Studie wurde in den jeweiligen Zusammenhängen auf strategische Grundentscheidungen der USA bei den untersuchten Demokratisierungen eingegangen. Ein eingehender Vergleich des europäischen Demokratisierungskonzeptes mit der amerikanischen Demokratisierungsstrategie, den Methoden und Mitteln, aber auch der Vergleich der Ergebnisse und Effektivität der beiden Ansätze stellt eine äußerst lohnende Aufgabe für weitergehende Untersuchungen dar. Seit Whiteheads Aufsatz in dem Referenzwerk Transitions from Authoritarian Rule 1986 ist dies nicht mehr systematisch unternommen worden. An dieser Stelle sollen einige zentrale Merkmale des amerikanischen Ansatzes herausgestellt werden, um das Integrationsparadigma der EU - in sehr rudimentärer Form freilich – zu konstrastieren. Die amerikanische Demokratieförderung unterscheidet sich durch die Motive (Demokratieförderung als ein außenpolitisches Ziel im Wettbewerb mit anderen), durch die starke, fast ausschließliche Betonung elektoraler Aspekte, und vor allem hält sie keine so stabilen, berechenbaren, langfristigen und personenungebundenen Anreize bereit. Selbst wenn die USA ein „package of incentives“ schnüre, dann biete es immer nur zeitlich begrenzte Gratifikationen, verlange aber im Gegenzug einen dauerhaften demokratischen Wandel.30 Für die Slowakei hat Pridham Ähnliches konstatiert: Die amerikanische Regierung habe „highly personlised“ agiert, wie es ihr Muster auch bei den südeuropäischen Demokratisierungen gewesen sei, während die EU vielleicht weniger hart, aber in Übereinstimmung mit den slowakischen Rahmenbedingungen agiert habe. Zudem sei die EU differenzierter vorgegangen, ein Element, das auf Seiten der USA gefehlt habe. Auch die Betonung elektoraler Aspekte sieht Pridham weiterhin bei den USA, gegenüber der EU, deren mannigfaltige Vorgaben „much closer to the requisites of substantive democracy“ seien.31 Im Vergleich mit den USA könnte man als These formulieren: Die Spezifika des europäischen Integrationsparadigma sind sein Anreiz-Druck-System, sein hohes Steuerungspotenzial, sein substanzielles Demokratieverständnis, seine Zivilität und seine Nachhaltigkeit. Das Integrationsparadigma impliziert allerdings einen spezifischen Hebel, der die EUKonditionalität im Vergleich zu anderen Konditionalitätskonzepten anderer Akteure ungleich härter und ungleich effektiver macht. Daher kann man schlussfolgern: So wie das politische System der EU ist auch ihr Ansatz der Demokratieförderung sui generis. Die Besonderheit des europäischen Paradigmas liegt in der spezifischen Koppelung von Anreiz und Druck. Ist dies nicht gegeben, muss der externe Akteur dies durch andere incentives kompensieren (z.B. wirtschaftliche Unterstützung), die möglicherweise nicht so 30 31
Vgl., a.a.O., Whitehead, 1986 A.a.O., Pridham, 2002, S. 76
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attraktiv sind. Je weniger das Demokratisierungsland in eine Anreiz-Druck-Struktur eingebunden ist, desto weniger Steuerungsmöglichkeit aber hat der externe Akteur. Er kann auf „imposition“, „bargainig“ und Ähnliches setzen, dann wird jedoch möglicherweise die Effektivität eingeschränkt. Denkbar ist auch bei fehlender Anreiz-Druck-Struktur vor der Demokratieförderungsaktion ein auf das Land zugeschnittenes Stabilisierungskonzept auszuarbeiten und entweder dem Führungspersonal oder der demokratischen Opposition anzubieten. Also etwas Ähnliches, was die EU macht, aber nicht als permanentes und persistentes System, sondern als ad-hoc-Angebot. Alle Gedankenspiele laufen aber darauf hinaus, dass die Effektivität und somit der Erfolg der Unterstützungsbemühungen und damit der Konsolidierung im Land abhängt von der Wertigkeit des Anreizes, dem Druck mittels des Akteurs und der Effektivität seines Instrumentariums. Vergleicht man die EU und die USA, kann man schließen, dass die EU einen Glaubwürdigkeits-, Kompetenz- und Angebotsvorteil hat. Sie kann bereits zwei erfolgreiche Demokratisierungsschübe und Integrationen aufweisen und ist weiterhin als externer Demokratisierer gefragt. Es ist daher durchaus berechtigt von einem europäischen Paradigma der Demokratieförderung zu sprechen, mit einem spezifischen Profil neben dem bislang dominanten amerikanischen. Dass der EU-Ansatz auch über seine Grenzen strahlt, zeigte sich an der Ankündigung der amerikanischen Administration vom Februar 2004, eine neue Initiative für die arabischen Staaten des Nahen Ostens und Südasiens auszuarbeiten, die auf dem G8Gipfel am 9./10. Juni 2004 als „Plan of Support of Reform“ von den USA eingebracht wurde. Die Idee war, die Länder zu politischen und wirtschaftlichen Reformen zu verpflichten. Als Anreiz dienen breite Kooperationsangebote auf Regierungs-, Wirtschafts- und zivilgesellschaftlicher Ebene; Grundlage sollen Konsultation und Dialog sein; angeboten werden Aufbau und Strukturhilfen; der institutionelle Rahmen soll ein „Forum for the Future“ sein.32 Das heißt nichts anderes als ein den amerikanischen Möglichkeiten angepasstes Konzept á la EU. Europäischer Demokratieexport als Exportschlager. Dieser Vorschlag stieß nicht auf allgemeine Zustimmung und verlief daher eher im Sande. Dennoch bleibt dies als ein interessanter und bedenkenswerter Ansatz im Raume, und es lassen sich Gedankenspiele über Optionen künftiger Zusammenarbeit von EU und USA im Bereich Demokratieförderung anschließen. Denn 1. hat die europäische Demokratieförderung ihre Grenzen in ihrer regionalen Ausbreitung. 2. gilt auch jene Gefahr der „Überdehnung“. 3. aber hat die EU tatsächlich Erfahrung, einen guten Ruf und erprobte Instrumente in Sachen Demokratieförderung zu bieten, während 4. die USA an die Grenzen ihrer Demokratieförderungsmöglichkeiten – auch und gerade ihrer militärischen - gekommen zu sein scheint – oder: Amerika heute militärisch mehr darstellt, als es sich politisch vorstellen kann.33 Nachdem die Rollen im Kosovo so verteilt waren, dass die USA hauptsächlich den militärischen Teil übernahmen und die EU dann die nach der Militäraktion zu vollziehende Aufbau- und Stabilisierungshilfe leistete, könnte künftig eine gleich berechtigtere Verteilung ein Denkmodell sein, bei dem die EU ihr Demokratieförderungspotenzial einbringt in gemeinsame transatlantische bzw. internationale Maßnahmen - ein zugegebenermaßen langfristig ausgerichteter Blick in die Zukunft europäischer Demokratieförderung. 32 Vgl., G-8 Plan of Support for Reform, Press Release White House, 9.6.2004, www.whitehouse.gov/news/releases/2004/06/20040609-29.html 33 So der USA-Korrespondent der FAZ, Matthias Rüb: „Niemand hat eine Ahnung. Wie es kam, daß die einzige Supermacht der Welt den Irak-Krieg gewann – aber keine brauchbare Idee für die Zeit danach entwickelte“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.5.2004, S. 3
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IV Conclusio
Die Tatsache, dass Demokratie alles andere als selbstverständlich ist, um das dieser Arbeit vorangestellte Wort Brachers aufzugreifen, und die Schwierigkeit der Konsolidierung von Demokratien hat Demokratieförderung in den letzten Jahren verstärkt zum Thema der Politik, der Politikwissenschaft und der Politikberatung gemacht. Und die Konjunktur von Demokratieförderung scheint künftig eher noch zu steigen. Weder ihre Effektivität noch ihre Erfolg sind garantiert. Aber aus den angewandten Methoden und Mitteln lassen sich Handlung leitende Schlüsse für die Zukunft ziehen. Hier liegt eine Aufgabe der Demokratisierungsforschung, mit Analysen dazu beizutragen, dass die Zusammenhänge zwischen von außen kommenden Einflüssen und internen Faktoren offen gelegt werden. Diese Untersuchung stellt einen Beitrag dar, die Interaktion äußerer und innerer Aspekte bei Demokratisierungen konzeptionell zu erfassen und ihre Mechanismen im Zusammenhang mit der Demokratisierung in Süd- und Ostmitteleuropa darzustellen und zu erklären. Der vergleichende diachrone und interregionale Blick hat sich als Erkenntnisgewinn herausgestellt. Das hier angewandte Analysekonzept bietet eine Grundlage für weitere solcher Vergleiche, etwa anderer europäischen Subregionen mit Demokratisierungsprozessen wie etwa der Balkan. Gleichzeitig bietet das Konzept durch seine stringente Struktur eine Grundlage zum Vergleich verschiedener externer Akteure, seien es EU und USA, andere internationale oder auch Nichtregierungsorganisationen. Allein die mittelfristige Perspektive - die nächsten Erweiterungen, der Aufbau- und Reformprozess auf dem Balkan, die unkonsolidierten Demokratien in der Nachbarschaft der EU - geben reichlich Anlass und Stoff, die Forschung zur Demokratieförderung weiter zu verfolgen.
Bibliographie
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Primärquellen
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Demoskopisches Material
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Bibliographie 4
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Zeitungsartikel
Auf Zeitungsartikel wurde weitgehend verzichtet. Die Artikel des langjährigen Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Walter Haubrich, wurden als Zeitzeugnis herangezogen. (siehe Einleitung) Haubrich, Walter, „Die Führung der spanischen Kommunisten wehrt sich gegen Moskauer Pressionen“, in: FAZ, 27.6.1977 Haubrich, Walter, „Carrillo vergleicht die Sowjetunion mit der Franco-Diktatur“, in: FAZ, 29.6.1977 Haubrich, Walter, „Moskau betreibt den Sturz Carrillos“, in: FAZ, 25.6.1977 Haubrich, Walter, „Spaniens Opposition erwartet von Juan Carlos die Ernennung eines Reformkabinetts“, in: FAZ, 3.7.1976 Haubrich, Walter, „An Demokratie und Amnestie interessiert“, in: FAZ, 2.2.1976 Haubrich, Walter, „Schmidt lobt Reformpolitik spanischer Regierung“, in: FAZ, 8.1.1976 Haubrich, Walter, „Juan Carlos – König der Hoffnung“, in FAZ, 28.11.1975 Haubrich, Walter, Wie Madrid auf den ´April in Portugal´ reagiert“, in: FAZ, 11.5.1974 Haubrich, Walter, „Spanien vor offenem Kirchenkampf“, in: FAZ, 5.3.1974 Haubrich, Walter, „Telegramme an Staatschef Franco“, in: FAZ, 23.2.1974
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Interviews
Methodische Anmerkungen: Hinsichtlich der Interviews sind einige methodische Anmerkungen notwendig. Die Interviewsituationen mit spanischen und slowakischen Zeitzeugen waren sehr verschieden. Für die spanischen Politiker liegen die Ereignisse länger zurück und die Erinnerung ist nicht nur dadurch, sondern möglicherweise auch durch spätere Entwicklungen etc. geprägt, andererseits stärker reflektiert und verarbeitet. Wurde solch ein Phänomen evident, wurde es im Text entsprechend vermerkt. In Bezug auf die slowakischen Zeitzeugen stellt sich dies anders dar, insofern die Eindrücke nicht nur frisch, sondern teilweise simultan waren. Die Aussagekraft der slowakischen Interviews lag in der großen Zeitnähe zur Transition und zur schwierigen Konsolidierung unter und nach Meþiar. Für die Interviews wurden standardisierte Fragebögen entwickelt, mit dem Ziel, die Aussagen und Erkenntnisse systematisch aufarbeiten zu können. Das gelang sehr gut bei den spanischen Interviewpartnern. In Bezug auf die Interviews in der Slowakei zeigte sich, dass durch die starke Dynamik, gerade in der Zeit vor der wichtigen Wahl 2002 und zugleich der letzten Phase der Verhandlungen, die aktuellen Fragen sehr stark in den Vordergrund rückten. Auf Grund dieser dynamischen Entwicklung, der Häufung entscheidender Ereignisse und der Möglichkeit personeller Revirements (die Wahlen im September, der Gipfel von Kopenhagen im Dezember 2002, die Zeichnung der Verträge im April 2003, das Referendum im Mai 2003) war es angezeigt, eine zweite Interviewwelle durchzuführen, nach den Wahlen und dem Referendum. Dies war im Falle Spaniens nicht notwendig. Legende: Normalschrift: Funktion während der Demokratisierung (Spanien) bzw. vor und während der Unabhängigkeit (Slowakei) Kursivschrift: Funktion zum Zeitpunkt des Interviews Erste Interviewwelle Februar/März 2002 Madrid Alvarez de Miranda, Fernando 7.3.2002 Christlich-demokratischer Oppositioneller während des Franco-Regimes, 1977 in das Parlament gewählt, Parlamentspräsident 1977-1979 aus dem politischen Leben zurückgezogen Bassols, Raimundo
15.3.2002 Diplomat, Botschafter bei der EG bis 1980, dann Staatssekretär für die Beziehungen mit der EG 9/198011/1982 Unternehmensberater
410 Bitterlich, Joachim
Bibliographie 4.3.2002 Deutscher Delegierter für die Beitrittsverhandlungen der EG mit Spanien und Portugal; während des Umbruchs in Osteuropa: Außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl; Deutscher Botschafter in Madrid
Calvo Sotelo, Leopoldo
13.3.2002 Minister seit der ersten Regierung 1975 mit verschiedenen Portfolios, 2/1978-9/1980 Minister für die Beziehungen mit der EG, 9/1980-2/1981 Vizepräsident, 2/1981-11/1982 Ministerpräsident
González, Felipe
April 2003, schriftlich
Haubrich, Walter
28.2.2002
Ministerpräsident 1982-1996 Spanien-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1969-2003 Koniecki, Dieter
5.3.2002 Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung seit 1975
Marín, Manuel
21.2.2002 Staatssekretär im Außenministerium der Regierung Felipe González, zuständig für die Beziehungen zur EG, Chefverhandler mit der EG 1982-1985, Vizepräsident der EGKommission und EG-Kommissar mit verschiedenen Portfolios 1986-1999, Abgeordneter, seit 3/2004 Präsident des Spanischen Parlaments
Morán, Fernando
6.3.2002 Außenminister der Regierung Felipe González 1982-1985 aus dem politischen Leben zurückgezogen
Oreja, Marcelino
8.3.2002 Diplomat, Außenminister Regierung Adolfo Suárez 7/1976-9/1980; Generalsekretär des Europarates 19841989; EG-Kommissar 1994-1999; Vorstandsmitglied eines großen spanischen Konzerns (FCC)
Pérez Llorca, José Pedro
22.2.2002 Mitglied der Verfassungskommission, 5-9/1980 Minister für die Beziehungen zu den Regionen, 9/1980-11-1982 Außenminister in den Regierungen Adolfo Suárez und Leopoldo Calvo Sotelo, Rechtsanwalt
Erste Interviewwelle April/Mai 2002 Bratislava Alner, Juraj
3.5.2002 Journalist Präsident der slowakischen Sektion der Association of European Journalists, Generalsekretär der PaneuropaUnion Slowakei
Bilþik, Vladimír
20.4.2002 Senior researcher Slovak Foreign Policy Association Slovak Foreign Policy Association
ýarnogursky, Jan
18.4.2002 Katholischer Dissident, nach der Wende führender Christdemokratischer Politiker, Ministerpräsident der slowakischen Regierung 1991-1992, Vorsitzender KHD, 9/19989/2002: Justizminister der Regierung Dzurinda
Bibliographie Demeš, Pavol
411 2.5.2002 Außenminister der Regierung Carnogursky 1991-1992, Außenpolitischer Berater von Staatspräsidenten Kovaü 1993-1997 Präsident des German Marshall Fund of the United States, Transatlantic Center for Central and Eastern Europe
Hamþik, Pavol
17.4.2002 Diplomat, Außenminister 8/1996-6/1997, Vizepräsident für die Europäische Integration der Regierung Dzurinda 9/1998-5/2001 Vorsitzender der Partei SOP, Abgeordneter; seit 2002 nicht mehr im Parlament
Kovaþ, Michal
2.5.2002
Kukan, Eduard
30.4.2002
Staatspräsident 1993-1998 Außenminister der Regierung Dzurinda seit 1998, (Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2004) Lombardini, Veronika
11.4.2002, 17.4.2002 Diplomatin, Büroleiterin von Präsident Michal Kovaü, Leiterin der Abteilung Beziehungen mit der EU im Slowakischen Außenministerium (bis 8/2002)
Peškova, Agata
22.4.2002
Petraš, Michael
15.4.2002
Šebej, František
20.4.2002, 30.4.2002
Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Slowakei Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Slowakei Vorsitzender des Ausschusses für Europäische Integration des Nationalrates 1998-2002, seit 2002 nicht mehr im Parlament Weiss, Peter
3.6.2002 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Nationalrates, 1998-2002, seit 2002 nicht mehr im Parlament
Wlachovsky, Miroslav
17.4.2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Slovak Foreign Policy Association Berater des Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda für Außenpolitik bis 2003 (seitdem an der Slowakischen Botschaft in Washington)
Zweite Interviewwelle Mai/Juni 2003 sowie September 2003 Bratislava Adamiš, Miroslav
27.5.2003 Diplomat, Generaldirektor für Europäische Angelegenheiten im Slowakischen Außenministerium, (seit 8/2003 Leiter der slowakischen EU-Vertretung in Brüssel)
Bútora, Martin
30.9.2003 Bürgerrechtler in der ýSSR, Berater von Präsident Havel im Bereich Menschenrechte, Gründer des Institut pre verejné otázky (Ivo), heute eines der führenden Forschungsinstitute der Slowakei, von Ministerpräsident Dzurinda zum Botschafter in Washington berufen (1999-2003), führender Intellektueller des Landes, unabhängiger Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2004
412 FigeĐ, Jan
Bibliographie 28.5.2003 Staatssekretär im Außenministerium und Chefverhandler für den EU-Beitritt während der Regierung Dzurinda, Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten, (seit 5/2004 EU-Kommissar)
Ježovica, Milan
3.6.2003 Diplomat, bis 2003 an der Botschaft in Washington Berater von Ministerpräsidenten Mikulaš Dzurinda für den Bereich Außenpolitik
Lizák, Peter
2.6.2003 Diplomat Leiter der Abteilung Beziehungen mit der EU im Außenministerium seit 8/2002 (Nachfolger Lombardini); seit 2003 Sprecher des Außenministers
Mesežnikov, Gregorij
27.5.2003
Spengler, Frank
27.5.2003
Präsident des Inštitút pre verejné otázky (IVO) Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Tschechische und Slowakische Republik (1999 bis 5/2004) Ergänzendes Interview zu Spanien 2003 Rupérez, Javier
25.4.2003 Außenpolitischer Sprecher der UCD in der Opposition, NATO-Botschafter Spaniens, Botschafter in den USA