Giannina Wedde
Deutschland auf Diät
Eulenspiegel Verlag
ISBN 3-359-01485-5 © 2004 Eulenspiegel • Das Neue Berlin Ve...
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Giannina Wedde
Deutschland auf Diät
Eulenspiegel Verlag
ISBN 3-359-01485-5 © 2004 Eulenspiegel • Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Rosa-Luxemburg-Str. 39, 10178 Berlin
Umschlaggestaltung: Peperoni Werbeagentur, Berlin, unter Verwendung eines Motivs von Nabil el Solami Druck und Bindung: Salzland Druck Staßfurt Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe. www.eulenspiegel-verlag.de
Wie sieht es aus, wenn ein ganzes Land auf Diät gesetzt wird? Wenn Geiz geil ist? Und Sparsamkeit die höchste Tugend? Wenn an Deutschlands Schulen aufgeräumt wird? Wenn der Kult zum Kult wird? Wenn man fürs Finanzloch schmökt? Wenn Reality-TV unser täglich Brot ist? Giannina Wedde serviert mit ihren Glossen über die Irrungen und Wirrungen des Zeitgeistes alles andere als Schonkost.
Meiner Familie und Sherie
Deutschland, deine Patenschaften. Wenn Promis für Publicity menscheln
Deutschland, deine Patenschaften! Spätestens seit Mitte der Siebziger ist es irgendwie an die Öffentlichkeit gedrungen, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt, sich die Beliebtheit der Massen zu erschleichen: Entweder man verschenkt gallonenweise Freibier in den Einkaufszonen der Großstädte, oder aber man übernimmt die Patenschaft für ein Projekt, das eine Moralität bedient, an der der Heilige Vater in Rom seine helle Freude hätte. Davon machen Politiker und Promis natürlich gern Gebrauch, schließlich ist es ja nicht einfach, täglich durch Skandale oder welterschütternde Errungenschaften die Aufmerksamkeit der Presse zu finden. Insbesondere hier in Deutschland, wo ein eklatanter Mangel an prominenten Praktikantenschändern und besoffenen Sodomiten herrscht, grapscht man gern mit denselben klebrigen Fingern nach Presserummel, mit denen man gerade noch in irgendeinem drittklassigen sozialen Provinz-Clübchen einen Schirmherrschaftsvertrag unterzeichnet hat. Ob es bei der angepeilten Patenschaft um ausgemusterte Zyklopen, beinamputierte Nekrophile oder um herzkranzgeschädigte Zwergpinscher mit rezidivierender Depression geht, ist eigentlich nebensächlich, Hauptsache man weiß sich selbstverliebt in Szene zu setzen. Daß man sich einer bemühten, medizinisch wirken wollenden Metzger-Innung wie der Krebshilfe anschließt, um dort ein paar Leiden zu lindern, ist ja irgendwie verzeihlich, schließlich wissen wir heute, daß die Evolution reichlich alkoholisiert war, als sie uns kränkelnde Eiweißhäufchen ausspuckte, und daß es da noch einiges zu verbessern gibt. Und so wollen wir einen
Scheel und Herzog auch mit ihren Verdiensten artig ruhen lassen. Weitaus befremdlicher scheint mir da schon die Schirmherrschaftsjagd einiger blaßgesichtiger PromiAnhängsel und Möchtegern-Stars, die sich der Absurdität manch eines Projektes gar nicht bewußt zu sein scheinen, wenn sie auf Anraten ihrer Tagespfleger und wegen Steuerhinterziehung inhaftierten Imageberater die erforderlichen Unterlagen unterzeichnen. Zugegeben, Frau Kohl ahnte wohl schon von der schwanenden Hirninsuffizienz ihres Gatten, die sich spätestens bei der Spendenaffäre und dem folgenden Größenwahn deutlich abzeichnete, und sah vermutlich deshalb die Notwendigkeit, das Kuratorium für Patienten mit geschädigten Nervensystemen und Gehirnen nach besten Kräften zu unterstützen. Aber daß Johannes Rau meint, seine bei weitem ausreichende Popularität noch mit der Unterstützung des Deutschen Roten Kreuzes aufzuwerten, ist ja fast schon ein geschäftsschädigendes Eigentor. Wer läßt denn hier schließlich immer Spenden verschwinden und dreht die Klamotten seinen eigenen Kindern an, die bemühte Mittelstandsbürger so artig in die Altkleidersammlung stopfen? Sollte man sich mit institutionalisierten Kleptomanen für die erste Seite einer Tageszeitung ablichten lassen? Noch schlimmer, als für Klamottenklau Pate zu stehen, ist das organisierte Herumhüpfen auf den Gräbern potentieller AIDS-Toter. In Zeiten, in denen es zum gesellschaftlichen Chique gehört, sich ein rotes adrettes AIDS-Schleifchen ins Haar zu stecken, um mit dem öffentlichen Betroffenheitsgestus mithalten zu können, kriecht mir schon manchmal die Grübelfalte auf die Stirn. Da AIDS-Kranke unter Hilfsbedürftigen aber so beliebt sind wie die Eisbären im Zoo, prügelt sich die Prominenz geradezu um jene Patenschaften. AIDS-Kranke sind für Galas und Promiparties einfach so
ergiebig wie ein Liter Ahornsirup in einem Ein-PersonenHaushalt. Aus dem Siechtum der mindestens schwul und meistens auch noch nichtmonogam lebenden Gelegenheitsfixer läßt sich mehr Pläsier quetschen als aus den Quaddeln eines Sonnenallergikers, der völlig unspektakulär an seine Lebensunfähigkeit geraten ist. Auf diesem Gebiet haben Promis wie Rock Hudson oder Freddy Mercury für einen echten Beliebtheitsbonus gesorgt, denn die waren ja eigentlich ganz famose Kerlchen, bis man sie ihrer Krankheit wegen in Regenfässer stopfen und in den Wäldern vor der Stadt aussetzen mußte, nur um sie dann regelmäßig für Veranstaltungen mal kurz wieder in die Zivilisation zu zerren, wo sie sich dann artig über Buttersemmel und paradierende Fotografen freuten. Aber werfen wir mal einen Blick über den Tellerrand des Gesundheitswesens. Zum Beispiel auf Frau Heide Simonis, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit die Schirmherrschaft für ein Aufforstungsprojekt in Israel übernahm. Ich fragte mich da besorgt, ob es nicht ratsamer für sie gewesen wäre, sich um die Aufforstung ihres Haupthaares zu kümmern, dessen beharrliches Fehlen schon allein für manche politische Aversion ihr gegenüber gesorgt hat. Eine weitere Skurrilität scheint mir das Engagement der Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann zu sein, die mit ihrer Schirmherrschaft über die Polizeiaktion »Gegen Gewalt« mit Sicherheit soviel humoristisches Potential beweist wie seinerzeit Papst Paul VI. mit »Humanae Vitae«. Nicht daß mich der Gedanke an pöbelnde Polizisten wirklich entrüstet, schließlich muß man den Burschen zugestehen, ihre mangelnde Schulbildung durch exzessiven Gebrauch ihres phallischen Gummiprügels zu kompensieren. Aber sich als Vertreterin einer Kirche, deren einzig denkbare Gewaltlosigkeit es wäre, sich in eine Zeitmaschine zu setzen
und ihre Gründung rückgängig zu machen, gegen Gewalt zu inszenieren, hat schon eine gewisse Komik. Dieselbe Komik übrigens, die Herr Dr. Heiner Geißler an den Tag legte, als er sich zum Schirmherren des Stuttgarter Christopher Street Days erklären ließ, um zur leuchtenden Ikone über den Häuptern paradierender Schwuler und Lesben zu mutieren. Offenbar hatte er in einem schwachen Moment vergessen, daß er einer Partei entstammt, die eine rechtliche Absicherung homosexueller Beziehungen immer noch als Untergrabung der Verfassung und unzulässigen Angriff auf die heilige Institution der Ehe betrachtet, worin ich ihm als Befürworterin des Leinenzwangs für Homosexuelle natürlich von Herzen unterstützen möchte. Vielleicht fand er auch einfach ein paar wackelnde Ärsche so unwiderstehlich, daß er diesen kleinen politischen Lapsus in Kauf nahm. Und nicht genug dieser Widersinnigkeiten: Die in Ungnade gefallene Übermutter und Superfrau Hera Lind, die ihre quantitativ hündisch anmutende Kinderbrut bei ihrem öde gewordenen Noch-Ehemann sitzen ließ, um sich den sinnlichen Freuden an der Seite ihres Traumschiffkapitäns hinzugeben, ist Schirmherrin der Wunschkind e.V.! Schwant Ihnen da was? So einfach ist das Image der Rabenmammi aber nun auch nicht wieder wegzudiskutieren, Frau Lind! Und da wir gerade bei Übermüttern sind: Mutter Beimer, die plappernde Glucke aus dem ARD-Stall, hat natürlich außer der Huldigung ihrer eigenen Person den lieben langen Tag nichts zu tun, als sich in Vietnam und Sri Lanka mal eben zwei Kinder zu kaufen und sich dann noch als Botschafterin des Kinderhilfswerkes feiern zu lassen. Dabei wäre ihr Fernbleiben von Kindern die einzig wirkliche Hilfe, wenn man mal beachtet, daß die Lindenstraße mit ihrem Festhalten am urdeutschen Hang zur Depressivität irreversible
Sozialisierungsschäden bei Minderjährigen verursacht und bei werdenden Müttern den Spontanabort einleitet! Da ist mir Gerhard Schröder schon lieber, der sich für ein komplett der Sinnlosigkeit verschriebenes Projekt wie die Golf WM 2000 engagiert und damit seine Absage an die Politik feiert, nachdem auch er – wenn auch sehr spät – endlich merkt, daß er besser Buletten gewendet hätte, als sich mit dem maroden Deutschland nach der Wende zu befassen. Frau Schröder-Kopf hat das wohl noch nicht ganz begriffen und hält eifrig Reden für das Kinder- und Jugendtelefon e.V. an dem sich verwirrte Jugendliche wohl den ganzen Tag darüber echauffieren, daß sie bei all den Ehen des Kanzlers gar nicht mehr wissen, wer eigentlich die aktuelle First Lady ist und ob Vielweiberei jetzt in Deutschland legalisiert ist. Ein bißchen publikumswirksamer wäre es sicher gewesen, wenn sie sich für ein Ehebruch-Telefon engagiert hätte, soviel Selbstironie sollte man wohl haben, aber Ironie ist ja bekanntermaßen im Hause Schröder so angesagt wie Naturhaarfarbe und politisches Know-how. Ich bin ja mal gespannt, für welchen Haufen Schill die Patenschaft übernimmt, wenn erst mal Gras über den Erpressungsskandal gewachsen ist. Sollte es keine organisierten herpesgeplagten rechtspopulistischen Homophobiker geben, denen er mit seinem Namen das Cocktailwürstchen veredeln und den Ruf ruinieren kann, findet er sicher Anschluß auf irgendeiner AIDS-Gala. Schleifchen gibt’s ja noch genug.
Der Mensch als Bausatz
Sicher haben Sie es auch schon bemerkt: Der Trend geht zur Zweitnase. Da die meisten Menschen nach einer gestörten Pubertät eines Morgens mit dem Gefühl aufwachen, mit den falschen Körperproportionen ausgestattet zu sein, ist das auch nur zu verständlich. Wie alle kulturstiftenden Phänomene verdanken wir auch dieses den Amerikanern, die mit ihren trendsetzenden Schönheitsidealen alle Kontinente überfluten, abgesehen natürlich von den nahöstlichen, in denen es immer noch zum unentbehrlichen Chique gehört, einen buschigen Damenbart und schwerkraftbetonte Hängebrüste zu tragen. In Deutschland gehört es unter Frauen inzwischen zum guten Ton, die Brüste generalüberholen zu lassen, und nicht selten regnet es Geschenkgutscheine für ein neues Paar Milchtüten, wenn die Konfirmation oder der Hauptschulabschluß ins Haus stehen. Insbesondere die Entweihung des Rinds durch das BSEPhänomen und das Ausbleiben des Stillens aufgrund ungünstiger Umwelteinflüsse tragen dazu bei, daß es zu den Aufgaben der Frau gehört, die traditionelle Milchkuh zu ersetzen. Je größer die Brust, desto größer die Chancen, zu zweifelhaftem Ruhm in Talkshows oder zu einem leidlich gut bezahlten Job in der Pornoindustrie zu gelangen. Interessant sind da die Möglichkeiten, die sich seit dem Schwinden der Chirurgie-Skepsis bieten: So führte Drews Ramona unlängst auf beeindruckende Weise vor, daß man inzwischen gegen geringen Aufpreis sogar ein Titten-Upgrade erwerben kann, indem man durch eine Kanüle unter den Achseln die sekundären Geschlechtsmerkmale auf eine beliebige Größe aufpumpen kann. Die Queen-Size-Möpse
werden immer gern bei Anlässen wie dem Wiener Opernball gesehen, wohingegen es ratsam ist, bei einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Terrorismus eher züchtig flachbrüstig zu erscheinen. Schädlich für die Rundumerneuerungsindustrie sind natürlich die OP-Touristen, die einen Umbau mit einem Kurzbesuch in Polen verbinden und sich dort auf dem Fließband gegen ein Mindestentgelt unter die rostigen Messer legen. Nicht selten enden solche Besuche in einem Desaster, sollte man doch auf den polnischen Entwendungstrieb gefaßt sein. Möglicherweise wacht man da mit einer korrigierten Brust, aber einem fehlenden Bein auf, das dann auf dem Schwarzmarkt zu Höchstpreisen verschachert wird, während man noch überlegt, wie man denn auf einem Bein schnellstmöglich nach Hause humpelt. Die plastische Chirurgie ist in schreiend komische Kategorien unterteilt: Beispielsweise gibt es da die Wiederherstellungschirurgie, die sich darum bemüht, einen wieder menschlich aussehen zu lassen, wenn man beim Nickerchen auf dem Acker von einem Mähdrescher überrascht wurde. Fehlende Extremitäten werden dort nicht selten mit Attrappen rekonstruiert, beispielsweise kann für eine abhanden gekommene Brust das von Altkanzler Konrad Adenauer erfundene beleuchtete Stopfei herhalten. Ist formschön und leuchtet sogar im Dunkeln. Wenn man das Glück hat, von einem Zwölftonner erwischt worden zu sein, aber sein abgetrenntes Bein noch in einer Baumkrone entdeckt hat, kann man sich jenes auch wieder annähen lassen. Mit ein bißchen Liebe zum Individualismus und Mut zum Experiment kann man dem Chirurgen sogar den Vorschlag unterbreiten, es doch einmal falsch herum anzunähen, damit man auf der nächsten Party auch mal im Mittelpunkt steht.
Weitaus lustiger ist da die reine kosmetische Chirurgie, die einem knallhart exemplifiziert, wie man aussehen könnte, wenn Gott nicht besoffen und die Eltern nicht von diversen Erbkrankheiten befallen gewesen wären. Über eine möglicherweise von NS-Physiognomikern erstellte Software kann man sich problemlos die Veredelung demonstrieren lassen, und dann liegt es nur noch in der Hand des Chirurgen, den Sollzustand möglichst kostengünstig herzustellen. Besonders preisgünstig sind solche Operationen für Menschen, die eigenes Material zum Verwursten mitbringen. So erspart einem ein fetter Hintern die Kosten eines Brustimplantats, da sich aus Sitzfett feine Körperteile modellieren lassen. Anorektische Menschen haben es da schon schwerer: Wollen sie sich Üppigkeit antackern lassen, müssen sie entweder geborgte Leichen vom Stadtfriedhof mitbringen oder tief in die Gummikiste greifen. Davon profitiert dann letztendlich die Reifenindustrie, die das Material für Brüste, Lippenpolster, Wangen und Gesäße liefert. Die dazugehörigen Werbekampagnen werden sicher in Kürze über die Bildschirme flimmern. Eine computeranimierte Brust wird dann möglicherweise sagen: Ich war mal ein Reifen. Daß das Sponsoring dann auch sichtbar gemacht werden muß, liegt auf der Hand. In Zukunft werden sich auf antransplantierten Körperteilen zumindest ein Strichcode und ein kleiner Werbebanner befinden; beispielsweise »Pirelli machts möglich.« Selbstverständlich wird dies zu einer Verhärtung der Zweiklassengesellschaft führen, denn eine Designernase von Lagerfeld wird allemal besser ankommen als eine Sonderangebotsnase von Palomino. Interessanterweise ist der Mangel an Individualismus dann am größten, wenn am lautesten von Individualität gesprochen wird. Der euklidische Symmetrie- und Einheitswahn zeichnet sich ja besonders in
den korrigierten Gesichtern ab, die uns zwischen Erdnußflips und Sportreport als schön verkauft werden. Entgegen der Unkenrufe, die eine eugenische Einheitszucht in der Gentechnik voraussehen, etabliert sich vielmehr der nachträgliche Umbau, was wohl der Faulheit des Menschen entspricht, eine Sache erst dann zu reparieren, wenn sie völlig marode ist. Dabei kann der ganze Hokuspokus freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mumifizierung der Lebenden nur zu kaschieren versucht, daß wir innerlich bereits verrottet sind. Da der Trend ohnehin zur Industrialisierung und billigen Massenproduktion geht, ist es absehbar, daß auch die chirurgischen Produkte wie Trendnasen bald unter die Gesetze staatlicher Kontrolle fallen. Passen Sie bloß auf, daß Ihr neues Gesicht auch durch den TÜV kommt!
Liebe ist…
… der direkte Weg zur Verbraucherzentrale. Zumindest beweisen das Statistiken, die erheben, wie viele vereinsamte Singles jährlich den Helfern des Volkes die Bude einrennen, nur weil sie auf der Suche nach einer heiratswilligen Frau ohne eine solche, dafür aber mit 30.000 Euro Schulden dasitzen und ein dummes Gesicht ziehen. Ein Indiz für Dämlichkeit ist die professionalisierte Suche nach der Richtigen dabei noch nicht – erschreckend viele Akademiker haben neben Plagiaten, Fehlstunden und simuliertem Forschungsdrang noch andere Leichen im Keller: die Suche nach der devoten Frau. Erfahrungsgemäß tun sich männliche Akademiker mit Frauen der Unizunft schwer. Sie wissen, was es bedeutet, unter einem krankhaft analytischen Gemüt zu leiden (»Nein Schatz, ich glaube nicht, daß ich dir ein Bier holen sollte, denn erstens würde dies eine Affirmation regressiver Frauenfeindlichkeit bedeuten und zweitens ergibt das Bier, addiert mit deinem heutigen Kohlenhydratquotienten, eine biorhythmische Anomalie, die zu hypnogogen Halluzinationen führen könnte.«) und bevorzugen daher den Typ Frau, dessen Gehorsamsgestus mindestens so groß ist wie deren Titten. Dafür gibt es ja dankenswerterweise Partnerschaftsvermittlungsagenturen, die sich nicht nur dadurch auszeichnen, daß neunzig von hundert unseriös sind, sondern die auch noch mitverantwortlich sind für rassistische und sexistische Entgleisungen, derer sich nicht mal die SchillPartei bedienen würde. Und das Schöne ist, daß dies nicht einmal als gesetzeswidrig gilt!
Solche Agenturen, die sich auf den Import germanophiler Frauen spezialisieren, stellen sich meist mit Annoncen vor, die vom Züchterverein von Rassehunden geschrieben sein könnten. Der Thailand-Zwinger beispielsweise perpetuiert gerne folgendes Frauenbild: Die Thai-Welpin ist »vollkommen unvoreingenommen« (dumm), »unerfahren mit Männern« (noch nicht geschlechtsreif), »aus guter Familie« (keine InzestZucht), »krankenversichert« (entwurmt und schutzgeimpft) und darüber hinaus auch noch »dienlich« (der beste Freund des Menschen) und »lernwillig« (dressierbar). Da die meisten Thaifrauen leider kein deutsch sprechen, wenn sie vermittelt werden, und ihre Sprache in unseren Ohren ein wenig schrill klingt, entscheiden sich viele lieber für eine Frau aus dem Ostblock. Die gilt nämlich als »solide«, »kinderlieb«, »fleißig«, und das Ziel einer jeden Ludmilla von der Stange ist natürlich »Familie und Geborgenheit«. Das kommt dem Hopfenfreund, der aufgrund seiner hanebüchenen Häßlichkeit und der mangelnden Sozialkompetenz keine Frau und Sklavin findet, natürlich gerade recht. Wer es gerne ein wenig aufregender hat, kann ja eine Brasilianerin nehmen, denn jene haben, wie wir alle wissen, »den Rhythmus im Blut«, sie sind »feurig«, »leidenschaftlich«, und so manche jener Partneragenturen entblödet sich nicht einmal, mit dem Hingucker zu inserieren, daß es unter Brasilianerinnen »keine Emanzen« gebe. Auffallend ist natürlich, daß auf sogenannten »Originalfotos« (original aus’m Wichsmagazin ausgeschnitten, woll!) immer Frauen zu sehen sind, die entweder halbnackt oder in eindeutiger Pose fotografiert wurden und die abgesehen davon für ihren Modeljob, in dem sie häßlichen Katalogfrauen ihren Körper leihen, ein gutes Taschengeld kassieren und dies wahrscheinlich in ihr Psychologiestudium investieren (Titel der Diplomarbeit:
»Effektivität von Primärreizen innerhalb kulturkonservativer Partnervermittlungsstrategien unter besonderer Berücksichtigung endogen kontaktgestörter Subjekte«). Wer in der lustigen Partnerschaftsvölkerkunde so gut wie gar nicht vertreten ist, ist die Inderin. Warum? Nun, der Sextourismus hat Thailand unglaublich aufgewertet. Die Thailänderin ist ja quasi schon Personifikation des Befriedigungswillens, und in Polen ist sowieso jede zweite Frau Hauptdarstellerin in einem Porno. Was soll man da mit einer indischen Gespielin, die mit ganz verdrehten Vorstellungen komplizierter Kamasutra-Praktiken in einen durchschnittlichen deutschen Dreißig-Sekunden-Haushalt kommt? Auch die Afrikanerin sucht man fast vergeblich. Sie ist einfach noch mit zuviel Ablehnung belegt, auch Stefan Raabs singende »Ich-liebe-Deutsche-land«-Artistin war für das Verhältnis zum schwarzen Kontinent eher kontraproduktiv, es sei denn, man verfechtet nun vehement die Sideshow-Tradition des alten Zirkus. Die wenigsten Männer, die sich ihre Frau aus dem Onlinekatalog bestellen, enden als Lacher, die heiraten und mit ihrer neuen Errungenschaft durch sämtliche Talkshows eiern, als würden sie mit einem neuen Auto prahlen. Eine weitaus größere Kundengruppe ist einfach nur geprellt und ruiniert und verbreitet im Fernsehen und im Internet tränentreibende Geschichten über ihr Scheitern an der geldgeilen Welt und nappenden Studenten, die sich nebenbei mal eben eine Frauenimportfirma zulegen. Dabei hält sich das erpreßte Mitleid irgendwie in Grenzen: Man könnte es ja mal mit einer Frau versuchen, die nicht in Ermangelung eines Flugtickets bleiben muß, sondern bleiben will, die ab und zu mal Kleider
trägt und erst dann bei dir einzieht, wenn sie sich deinen Namen gemerkt hat. Ich weiß, diese Kriterien sind ziemlich weit unten angesetzt, aber man muß manche Männer eben da abholen, wo sie sind.
Voll trendy, voll out. Das Diktat der Trendscouts
Wenn Frauen früher wissen wollten, was sie anziehen sollten, fragten Sie einfach ihren vom Feierabendbier paralysiert auf dem Sofa herumlungernden Ehemann. Wenn Schatzi das geblümte Kleid absegnete, war nicht nur klar, daß es zum Kotzen aussah und out war, sondern auch, daß es in die Kleidersammlung für arme Kinder in Bratislava gehörte. Da es inzwischen aber kaum noch zum guten Ton gehört, einen Mann auf der Couch herumliegen zu haben und an dessen Stelle ein singlegerecht nach circa zehn Jahren ohne Maulerei ablebender Terrier getreten ist, müssen Geschmacks- und Trendfragen heute anders geklärt werden. Den schwulen Freund mit Geschmack kann man selten fragen, der hängt ja meist bücklings in irgendwelchen Dark Rooms rum und leidet zudem auch oftmals unter einer kleinen hysterischen Verstimmtheit, wenn man seinen Rat mal nicht annehmen sollte. Die lesbische Freundin ist leider indiskutabel, denn alles, was jene in den letzten fünfzehn Jahren repetieren konnte war: »Wenn’s kein Flanell ist, zieh’ ich’s nicht an!« Heterosexuelle Freundinnen werden einem mit dem charmantesten Lächeln immer raten, noch nuttiger, versiffter und geisteskranker auszusehen, als man es ohnehin schon tut, allein weil sie ihre eigene Erscheinung damit aufwerten, was sie auch bitter nötig haben, da ja auch bei ihnen inzwischen nur noch Terrier auf den Sofas sitzen, wofür man sie abseits von Kleidungsfragen auch gern beglückwünschen darf. Wem soll man also noch glauben, wem eine so weltpolitisch relevante und weite Kreise ziehende Frage wie die nach der Farbe des angesagtesten Glitzernagellacks anvertrauen?
Die Antwort ist einfach: Fragen Sie den Trendscout! Der Trendscout weiß einfach alles, sogar bevor es passiert, was ihn einem Orakel nicht unähnlich macht, nur muß man nicht auf hühneräugigen Senkfüßen zu ihm hinpilgern, und meist hat man auch mehr als drei Fragen zur Verfügung, was aber gar nicht nötig wäre, da die hippen Orakel einem nicht mehr so viel kryptischen Müll an den Kopf werfen, wie das leider lange Usus war. Noch toller an der Institution Trendscout ist, daß jeder mit Blindheit, Taubheit und Dementia Praecox geschlagene Schweinehüter sich heutzutage so nennen darf. Es reicht schon, wenn man gähnend etwas so lapidares wie »He, ich habe vorausgesagt, daß Gerhard Schröder heute zum vierzehnten mal mit Rücktritt droht!« in den Raum stellt, um bei RTL mit dieser Weitsicht für aktuelles Weltgeschehen als Trendscout anzufangen, und zur Not ist auch die Ankündigung des morgendlichen Sonnenaufgangs ausreichend, nur kann es sein, daß man dann vorher noch in einem Volontariat ein paar Körperöffnungen anbieten muß. Wie auch immer, ich besuche seit jeher die Website von RTL, wenn ich wieder einmal wissen möchte, was unter Schweinehütern so chique und in und wichtig ist, und wessen die Menschen in Deutschland in Ermangelung einer sinnhaften Existenz innerhalb der letzten zwei Tage wieder so überdrüssig geworden sind, daß es megaout ist. Heute zum Beispiel steht da unter »out«: »Montag ist out!« Hm, das ist ja schade, denn von so einem geblümten Kleid, da kann man sich schon besser trennen als von einem ganzen Wochentag. Sagen Sie mir mal, wer einen Wochentag haben will! Die Kinder in Bratislava etwa? Was machen die dann mit zwei Montagen? Dann haben die ja noch einen Tag nix zu essen! Ist ja gar nicht auszudenken, was für kosmische Katastrophen eine solche Manipulation des guten gregorianischen Kalenders mit sich bringt!
Damit das Tohuwabohu mit dem doppelten Montag in Bratislava aber nicht so auffällt, haben sich die RTLTrendscouts was Tolles einfallen lassen: »Freitage sind in!« Na so was! Dann stopfen wir einfach noch einen Freitag in die vom verbannten Montag entstandene Lücke, und alle sind wieder glücklich. Jetzt weiß ich zwar immer noch nicht, was ich anziehen soll, aber auch andere Trendscouts schlafen nicht (»Schlafen ist out!«), das Internet ist voll davon, und schon bald taucht eine weitere Trendigkeit auf, die sich markant vom Wochentagsfetischismus der Gregorfeinde abhebt: »Track your kid ist in!« Das ist übrigens kein Ident-Code für Kinderärsche, der Verwechslungen im Krankenhaus vorbeugen soll, sondern eine für Diktatoren und Überwachungsstaaten hergestellte Technik, die man unverfänglich in ein Handy implementieren kann, um damit den Standort des Handybesitzers zu identifizieren. Das etwas stalinistisch anmutende Elternspielzeug räumt auch endlich mit dem lästigen Gerücht auf, daß Kindern Privatsphäre oder am Ende sogar Menschenrechte zugesprochen werden sollten. Die Handyindustrie schlägt da gleich ein paar Fliegen mit einer Klappe, schließlich kann nun auch der dominante Mann mit Vorliebe für Rippenfrakturen am weiblichen Körper seine flüchtige Alte im Frauenhaus verorten. Kurz vorbeigefahren, heulende Frau mit dem Steakhammer zurechtgekloppt, und die Welt ist wieder in Ordnung. Wow, was in der Demokratie alles möglich ist, man muß es nur wollen! So, und da ich gerade lese, daß am Computer sitzen total out ist, kratze ich jetzt wohl besser die Kurve. Vielleicht gründe ich noch eine Selbsthilfegruppe für den diskreditierten Montag.
Erziehen und Entflimmern. Deutsche Schulen räumen auf
Früher dachte man, ein guter Schüler sei der, der die Ärsche seiner Lehrer gustatorisch zu unterscheiden wisse. Ganzen Generationen schwebte dieses Idealbild des sittsamen Schülers vor, der, behende seiner eigenen Schleimspur ausweichend, dem Ordinarius eifrig buckelnd durch die Flure folgt, ihm Tasche und Rohrstock trägt und auch mal in einem Anfall aufopferungsvoller Obrigkeitsliebe sein eigenes Fleisch für Körperstrafen oder sexuelle Fron anbietet. Irgendwann in den späten Siebzigern muß sich das wohl geändert haben, jedenfalls kam mir zu Ohren, daß Schüler inzwischen Widerworte geben, vor dem Unterricht nicht mehr beten und auch dem Lehrer nicht mehr allzu huldigend entgegentreten. Es soll sogar weibliche Schüler geben, die sich bewußt gegen ein erfülltes Leben zwischen Herd und Ehebett entscheiden und auf dem Weg zum erhofften Abitur nicht einmal davor zurückschrecken, dann und wann locker-luftig bekleidet ein Buch zu lesen! Nach so vielen empörenden Neuigkeiten war es freilich nur eine Frage der Zeit, wann Sittenwächter und HobbyInquisitoren in die Öffentlichkeit treten würden, um all dem ein Ende zu bereiten. Daß in der Penne schon lange etwas schief läuft, wissen wir ja nicht erst seit PISA. Aber wer den Kopf hinhalten muß, wenn gesellschaftliches Versagen transparent wird, liegt ja im Grunde auf der Hand: das ewig sündige Weib. Und so begann die durch alle Medien geisternde Jammerorgie mit dem Abgesang auf deutsches Bildungsgut, das sich angesichts bauchfreier Teenieschrippen doch gar nicht
mehr so recht unters Volk bringen lasse. Mit Dauerständer unterrichtet es sich eben nicht so famos, und anstatt den Schulmeister auf den Koitus mit seiner Gattin zu verpflichten, erdreistet sich so manche Amtsgurke, vor den Kids mit Kleidungsvorschriften herumzuwedeln. Bremens Schulsenator Willi Lemke scheute sich nicht mal davor, die Erektionsprobleme seiner Lehrerschaft publik zu machen: »Es gibt Sexbomben an unseren Schulen, da möchte ich nicht Jung-Lehrer sein.« Möchten wir doch auch nicht, Willi, vor allem nicht in Bremen, da, wo die Kinder laut PISA so saudämlich sind, daß es eigentlich ein Wunder ist, wenn sie es schaffen, sich morgens allein anzuziehen. Der Hype um die Lolitas war rasch verdaut, wozu sicher auch die philosophische Handhabe von BILD beigetragen haben dürfte (74,3 % der BILD-Leser wünschen sich Schuluniformen – über die Frage, ob das wohl aus Gründen der Moral oder des Uniformfetischismus so ist, dürfen Sie zu Hause allein abstimmen). Das nächste Problem ließ nicht lange auf sich warten: Deutsche Schüler benehmen sich wie Sau! Und weil es eben nicht Ausdruck der idealen Konduite ist, den Lehrer morgens auf dem Parkplatz mit Pfefferspray zu begrüßen oder die Tochter des Direktors mit dem städtischen Kanalisationssystem bekanntzumachen, wird jetzt an so mancher Schule das Unterrichtsfach »Benimmregeln« eingeführt. Unter dem Motto »Aller Anstand ist schwer« soll, so erhoffen sich einige verbeamtete Sozialromantiker, ein »Wertedialog« entstehen, wobei »Werte« hier nicht für Erpressungsgelder und »Dialog« auch nicht für Gaspistolen steht. Mal als wöchentliches, an Pawlow orientiertes Schulfach eingesetzt, und mal nur beiläufig-verspielt in Workshopform verabreicht, soll sich hier den Teens, Tweens und Twens eine Welt erschließen, die in sich harmonisch und geordnet ist.
Daß diese somit freilich nicht im geringsten mit dem Elternhaus oder dem verwalteten Leben außerhalb des Schulbiotops korrespondiert, ist ein Problem, mit dem sich später die Psychologen herumschlagen dürfen, oder jeweils der, der diesen knigge-geadelten Bürokratieleichen eines Tages auf einem ihrer Amokläufe im Karstadt begegnet. Glücklicherweise merkte dann doch noch jemand, daß Lehrer, die sich zum Frühstück Marihuana in Würfel schneiden, Kinder in Kombination mit Zirkeln als Dartscheiben betrachten und mangelnde Sozialkompetenz nur noch durch die völlige Verweigerung körperhygienischer Maßnahmen überbieten, möglicherweise auch eine Prise Benehmen gebrauchen könnten. Auf Begeisterung traf dieser Vorschlag unter den Klassenzimmersadisten natürlich nicht, bei so viel Arbeit, so wenig Gehalt und so wenig Urlaub im härtesten Berufsstand schlechthin ist das aber auch entschuldbar. Für die ganz hartgesottenen Sozialkompetenzverweigerer, Stinker und Kleinkriminellen (egal ob Lehrer oder Schüler) gibt es inzwischen an zwei Berliner Schulen etwas fast so exotisches wie Etikette; hier wird – bisher noch exklusiv – Buddhismus unterrichtet. Wünscht man sich inzwischen bundesweit, dem deutschen Durchschnittsbalg die Kinderstube nachträglich zu applizieren, so tritt hier schon ein missionarischer Erlösungsgedanke hinzu. Das deutsche Kind nämlich ist im derzeitigen Psychometer ein arg gebeuteltes Ding: Wagt es eine Bewegung zuviel, hat es ADS. Fehlen die Kniestrümpfe, muß es wohl ein Sodomit sein. Liegt die Zunge morgens nicht rechtwinklig auf dem Schuh des Studienrates, so liegt es am Sittenverfall par excellence. Allein daß in der Antike schon die Jugend als aufmüpfig und roh galt, das wird bei all dem Wehgeschrei zu gern vergessen. Auch die buddhistische Notstandserklärung der ersten und
einzigen Buddhismuslehrerin Deutschlands liegt schwer auf der Tränendrüse: »Viele Kinder erleben die Welt heute als hektisches Geflimmer.« In diesem Sinne: Passen Sie auf, daß beim großen Entflimmern von Ihrem Kind noch etwas übrig bleibt.
Who the fuck is Ally McBeal?
Früher, als cholerische Hardcorefeministinnen noch im Untergrund wirkten und ihren Haß auf die Männerwelt auf Celluloid bannen wollten, entstanden urkomische und sinnträchtige Filme wie »Der Angriff der 20-Meter-Frau«. Heute, in Zeiten, in denen die Freudsche Wissenschaft auf die Rückseite von Milchtüten gedruckt und der frustrierten Hausfrau zugänglich gemacht wird, sieht das anders aus. Da ruft man eine hochneurotische alte Jungfer auf den Plan, stellt sie in eine Anwaltskanzlei, weil dort Korruption, Bigotterie und Yuppiepsychosen Rekordwerte erreichen, und verpaßt ihr einen so liebreizenden Namen wie »Ally McBeal«. Und schon sitzen alle zur Zwangsjungfräulichkeit verdammten Mittzwanzigerinnen wie gebannt vor den Fernsehschirmen, sagen Staatsexamen, Pilzbehandlungen und Beerdigungen ab, nur um dem neuen leuchtenden Guru am Himmel weiblicher Sexdeprivation zu huldigen. Dabei ist die Erfolgssuppe, in der Calista Flockhart schwimmt, keineswegs eine neue. Schon »Seinfeld« führte exemplarisch vor, wie sehr den Mob die Demenz eines amerikanisch sozialisierten Angestellten interessiert, und schon dort setzte sich die Strategie durch, die totale Irritation des Zuschauers über soviel verniedlichten Wahn in verzweifeltes Gelächter umzuwandeln. Bei Ally liegt der Focus nun auf der Demenz der Frau; das ist nicht ungefährlich, schließlich wissen wir alle, daß Frauen nicht nur die besseren Autofahrer, sondern auch die effizienteren Massenmörder sind. In Allys anorektischem Gesicht spiegelt sich der Irrsinn einer Generation wieder, die den Mann zwar permanent beseitigen möchte, tragischerweise
aber auf seine primären Geschlechtsmerkmale angewiesen ist. Und um das mal weniger tiefenpsychologisch klingen zu lassen: Ally ist strunzgeil. Denn erstens arbeitet sie mit dem Mann zusammen, den sie immer haben wollte, aber nicht bekommen hat, und zweitens sieht das Drehbuch für sie in jeder Folge einen neuen potentiellen Besteiger vor, mitunter sogar Sechzehnjährige. Das schrie eigentlich nach einer Gastrolle für Michael Jackson, wäre der für das weibliche Geschlecht zu begeistern. Allys Assistentin Elaine, die sich als »leicht zu habende Schlampe« tituliert, ist da auch keine große Hilfe, auch wenn sie klasse Ideen für neue Markenprodukte hat: etwa den Gesichts-BH, die Scheibenwischerbrille für den Windeltausch oder den WC-Sitzwärmer mit verbesserter WC-Fernbedienung. Sie ist sozusagen der Daniel Düsentrieb der Alice-SchwarzerJüngerinnen. Allerlei Skurrilitäten, möchte man meinen, und das spiegelt sich auch in den Fällen wieder, die die emsigen Anwälte bearbeiten; da geht es um komatöse Frösche, reinkarnierte Axtmörderinnen, unrechtmäßig transplantierte Schweinelebern und Begegnungen mit Einhörnern. Und mitten in diesem Surrealitätenkabinett steht die frischeversiegelte Ally und schiebt Visionen von tanzenden Babys. Da sieht man mal, daß zu wirklich guten Trips nicht mal Drogen nötig sind, man muß sich nur lange genug einem gesunden Sozialleben verweigern! Daß die vordergründig postfeministische Sitcomsoap nur eine weitere Strategie zur Korrumption weiblicher Macht ist, zeigt sich schon an zwei Dingen: Erstens stammt dieses Spätprogrammprodukt von David E. Kelly, in Fachkreisen auch DEK genannt (und das ist keine Krankenkasse), der sich mit so unübertroffen diabolisch-schlechten Serien wie »Chicago Hope – Abnippein mit schlechten Ärzten leicht gemacht« und »Picket Fences – mein Gartenzaun ist die zweite
Klagemauer« (übrigens wurden auch hier unrechtmäßig Schweinelebern transplantiert) unbeliebt gemacht hat. Und zweitens ist das räumliche und inhaltliche Zentrum der AllySoap eine Toilette. In der für amerikanische Verhältnisse ungemein subversiven Einrichtung eines Unisex-Abortes öffnet sich scheinbar das Tor zu einer anderen Dimension; hier wird gelacht, geweint, phantasiert und sich geprügelt, und verzeihen Sie mir meine massiven Zweifel, aber wenn sich das philosophische Potential antagonistischer Charaktere aus dem Ambiente eines Ortes speist, auf dem minütlich Exkremente entsorgt werden, dann bereitet mir das schon Kopfzerbrechen. Und da wir gerade von Aborten reden: Neulich zelebrierten die hohen Volksvertreter und VOX im Reichstagsgebäude eine »Ally-McBeal-Nacht«, offenbar, um sich ein wenig politische Inspiration zu holen. Das liegt ja auch nahe, stammen von dem Kanzleileiter Fish doch die berüchtigten »Fishismen«, von denen man eine Menge lernen kann. Passend zu den anwesenden Bundestagsabgeordneten bei jener außerpolitischen Feier möchte man ihn gern zitieren: »Alles dreht sich um die Präsentation. Was drinnen ist, zählt nicht.«
Kraft zum Leben. Heute schon gelacht?
Vor kurzem verschwand Bernhard Langers gelangweiltes Gesicht, das sich mechanisch zu Gott und diesem blauen Büchlein bekannte, von deutschen Bildschirmen. Mit einem Sendeverbot wegen Werbung für eine fundamentalistische religiöse Vereinigung wurden die unfreiwillig komischen Spots aus den Wohnzimmern verbannt; das knapp hundertvierzig Seiten dicke Büchlein aber ist immer noch gratis erhältlich. Falls Ihnen mal langweilig sein sollte, werfen Sie mal ein Auge drauf und erfreuen Sie sich an den infantilen Bekehrungsversuchen einer dem Tod geweihten Religion. Nachdem es hieß, die DeMoss Stiftung sei von solcher Radikalität, daß sie Höchststrafen für Homosexuelle fordere und sich mit amerikanischen Schreibtischterroristen verbrüdere, rechnete ich mit einem reißerischen Schocker. Leider wurde diese Erwartung aufs bitterste enttäuscht, und sollte über den in diesem Buch vielzitierten himmlischen Wolken ein Gott sitzen, so hoffe ich inständig, daß er mich für die Stunde, die ich in die Lektüre dieses Werkes investierte, einst tüchtig rügen wird. Um die Bekenntnisse der Prominenz ist es traurig bestellt: Bernhard Langer kann sich nichts tolleres vorstellen, als zum »Team Jesu Christi« zu gehören, Cliff Richard spricht von »großer Erregung« beim Beten (wo waren seine Hände?), Britta Baldus signiert ihre Autogrammkarten, die keiner will, mit Psalmen, und last but not least ist der irre prominente Chef der gleichnamigen Billig-Schuhfabrik Horst Deichmann mit
188 Jahren bereit zu erkennen, daß er »nicht nur Geschäftsmann, sondern auch Christ« ist. Die Message ist denkbar einfach: Ohne Gott bist du ein Loser, wie eine »Rakete ohne Düsen«, wie »Charlie Brown« mit seinem »Gefühl der Unzulänglichkeit«, und wenn du dein Leben nicht in die Hände Jesu legst, dann bist du ganz schön gearscht. Von schreiender Komik sind dabei die kleinen Grafiken, die offenbar von besoffenen Statistikern gemalt wurden, und die Rhetorik dieser zusammenhanglosen Anekdotensammlung ist an Infantilismus kaum zu überbieten: »Wenn ein Sandkorn ins Auge geraten ist, braucht man den Finger, um es herauszuholen. Ein Ellbogen oder ein Fuß können das nicht tun… Haben Sie je versucht, mit dem Finger das Auge zu erreichen, wenn der Ellbogen steif war?« Neben dieser offenbar für Extraterrestriker geschriebenen Einführung in die menschliche Anatomie wird einem noch eingebläut, daß Gott kein »Supercop« ist, sondern ein netter, aber gestrenger Mann, der insbesondere Randgruppen wie die »im Ehebruch verstrickte Hausfrau« retten will. Und zu guter Letzt gibt’s dann noch eine schöne Metapher vom Schaf, das um Hilfe blökt, wenn es in einen Haufen Scheiße fällt, während das Schwein sich grunzend darin suhlt. Womit wohl wenig charmant gesagt werden soll: Seien Sie kein Schwein, sondern lieber ein Schaf. Dann sind Sie zwar blöd und willenlos, aber wenigstens haben Sie keinen Spaß mehr am Dreck. Ja und Amen leicht gemacht. Damit Sie auch morgen nicht mehr nachdenken müssen.
Der Kult mit dem Kult
Einen der ungeklärten Forschungsgegenstände aus der Kategorie »sprachliche Degeneration« stellen hermetische Schlagwörter dar, die irgendwann aus dem Morast fehlgeleiteten Denkens emporsteigen und sich dann im gesellschaftlichen Slang festsetzen wie ein reifer Herpes Labialis in den Mundwinkeln eines pubertierenden Kindes. Jede Generation hat so ihre schwer durchschaubaren Schlagwörter, die mit unglaublich nervtötender Penetranz wiederholt werden, bis man meint, man verstünde, was sie bedeuten. In den Achtzigern war es das Wörtchen »geil«, das verwirrte Mediävisten und Pädagogen auf den Plan rief, weil sich die Myriaden von Bedeutungshorizonten (in denen alles von »fröhlich« bis »mit dicken Eiern gesegnet« enthalten ist) kaum unter einen Hut bringen ließen. Die Geil-Ära wurde durch die Cool-Ära abgelöst, in der man versuchte, apokalyptischen gesellschaftlichen Realitäten nicht mit hysterischem Frohsinn, sondern mit einem Höchstmaß an Lässigkeit zu begegnen, was natürlich gleichermaßen bescheuert aussah und darüber hinaus auch noch soviel politische Tragweite hatte wie ein warmes Glas Bier. Inzwischen wird weit über ein erträgliches Maß das Wort »Kult« herbemüht, wenn es darum geht, neue Insignien für die Regression des Menschen zu schaffen. Dabei wird das Wort so oft eingesetzt wie bei den Schlümpfen einst der Begriff »schlumpfen«, der aufgrund eines höchst überschaubaren Vokabulars für ein Drittel aller Verben herhalten mußte. Was hat es mit diesem Wörtchen auf sich? Laut Wörterbuch handelt es sich hier doch um eine Bezeichnung für die Verehrung des Heiligen, die an vier Regeln gebunden ist:
Intention, Kultort, Kulthandlung und Kultzeit. Wie kann es also sein, daß Bubble Gum und Raumpatrouille Orion, Westerwauzi und Fishermen’s Friend Kult sind? Warum sind Bands, die zwei Akkorde beherrschen, Kult, und Hosen aus Latex und Schwermetall irre kultig? Die Intention dahinter erschließt sich relativ rasch, schaut man sich die diversen Strategien zur Etablierung eines neues Kultobjekts an: Wenn etwas so anders ist, daß es den konformen Haufen Gesellschaftsbodensatz verängstigt, wird schnell das Label »Kult« aufgeprägt. Dieser Strategie fiel beispielsweise Alice Schwarzer zum Opfer. In den Siebzigern noch gefürchtet und wegen ihrer politischen Scharfsicht bewundert, ist Schwarzer heute mit dem Stempel »Kult« mundtot gemacht und schwimmt in einer Suppe mit Herren wie Zlatko und Stefan Raab. Dabei folgte die Öffentlichkeit der Weisheit der Naturvölker, daß ein domestizierter Wolf einem nicht den Stall leerfrißt. Die dreiste Einverleibung funktioniert mit allen: Martin Luther King ist nur noch eine Sequenz in drittklassigen Dancefloorschinken, Che Guevara eine T-Shirt-Fresse, Adorno ein kultiger Türstopper bei Studienabbrechern und Rosa Luxemburg der Beweis dafür, daß Frauen aufrecht gehen können, wenn’s denn sein muß. Ein weiterer Grund für die Etablierung einer Kultperson ist die Beschämung über deren selbst für unsere entgeistigten Verhältnisse unerträgliche Konformität. So geschehen mit Verona: Ihre Dämlichkeit und Absenz von abstrakter Denkfähigkeit empörte selbst die Sonderschulklientel derart, daß man sie kurzerhand zu Kult und verschlagen intelligent erklären mußte. Das vielsagende abwinkende Gekicher, wenn man äußert, Verona sei intellektuell betrachtet ein Primat, zeugt nur von der Hörigkeit der Meute gegenüber dem KultDiktum. Deswegen nochmal zum Mitschreiben: Verona ist saublöde.
Eine dritte Praxis der Kult-Industrie ist die, etwas, das viel Geld macht, zu Kult zu erklären. Das ist die Prämie des kapitalistischen Marktes: Wer die Finanzen füttert, bekommt ein Sternchen und darf einen Nachmittag lang stolz sein. Deswegen schaffen es grottenschlechte Filme wie Independence Day und Star Wars Kultstatus zu erlangen. Auf der anderen Seite verfährt die Industrie aber genauso, wenn etwas nun partout kein Geld machen will. Ist ein Film so grottig, daß er nicht mal die Produktionskosten einspielt, wird ihm auch gerne Kultstatus verliehen. Denn spätestens mit diesem klingelt die Kasse dann doch noch rückwirkend, sozusagen von hinten durch die Brust ins Auge. So geschehen mit »Angriff der Killertomaten« oder »Texas Chainsaw Massacre«. Die Kultmaschinerie schämt sich dabei auch nicht, Filme aus den Fünfzigern wieder herauszukramen, um auch aus diesen noch ein paar Heller herauszuquetschen. Wenn Sie also das nächste Mal in ein versifftes Programmkino gelockt werden, weil ein angeblicher Kultfilm aus der McCarthy-Ära unters intellektuelle Volk gebracht werden soll, fragen Sie sich erst mal, wieso es auf einmal Kult sein soll, kein Drehbuch und keine ausgebildeten Schauspieler zu haben! Der letzte Grund, etwas zu Kult zu machen, hat fast schon etwas Herzerwärmendes: Manche Produkte sind einfach so gnadenlos scheiße, absurd und hanebüchen, daß einfach niemand, egal ob Akademiker oder Hinterhofprolet, weiß, was es damit auf sich hat. Zum Kult erklärt, kann man es wenigstens in eine Kategorie stopfen und bewunderndnichtsahnend davor paradieren. In diese Kategorie gehört Stoiber: Keiner weiß, woher er kommt, keiner weiß, ob er nicht vielleicht doch das tödliche Virus einer extraterrestrischen Population ist, die uns ganz dringend loswerden möchte, oder am Ende nur ein harmloser Spießer
mit eklatanten Wortfindungsstörungen. Also wird er vorsichtshalber schon mal in einigen Internetgemeinden zum Kult erklärt. Wie gut, daß heutzutage Kulte manchmal schon nach Tagen ausgestanden sind. Das gibt doch Anlaß zur Hoffnung.
Agenda, Agenda, du bist nur was für Blender
Manche Leute machen, wenn sie Flatulenzen haben, substantiellere Aussagen mit ihrem After, als es ihnen mit dem Mund je gelang. Das allein wäre noch kein Problem, stießen jene Leute nicht regelmäßig in die Bundesregierung vor, aus deren sicherem Schoß sie fortan mit ihrem wenig geübten Munde Worthülsen in den Äther blöken, ohne daß ihnen einmal jemand freundschaftlich in die Seite knufft und sagt: »Gerhard, sprich doch mal wieder mit deinem Schließmuskel, das hat doch der Kohl früher auch gemacht, deswegen war der auch so lange im Amt!« Ohne einen so weitsichtigen Berater spricht die Regierung dann und wann komplexe Pläne zur Zerstörung der menschlichen Rasse aus, die sie euphemistisch in so futuristisch klingende Begriffe wie »Agenda 2010« kleidet. Das hört sich ein bißchen nach 2010-Das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen an (mit noch schlechterem Drehbuch), und ein kleines bißchen auch nach heiler Welt auf dem Beamtenschreibtisch. Was aber bedeutet diese obskure Agenda, die Gerhard der Supikanzler regelmäßig als »historisch« bezeichnet, nur um mögliche Kritiker gleich mit einem ehrfurchteinflößenden Totschlagbegriff zum Schweigen zu bringen? Zunächst mal bedeutet sie, auch Gerhard hat inzwischen verzeichnet, daß ihm die vielen Michael-MooreFans, die hierzulande viehisch jubeln, wenn die barttragende Ulk-Bulette gegen Bush als Zerstörer der Welt wettert, nicht ewig dafür danken werden, sich selbst zur deutschen Friedenstaube erklärt zu haben. Auch dem letzten Amiphobiker ist inzwischen aufgefallen, daß Gerhard mit seinem echolalisch wiederholten »No, Sir!« lange genug kaschierte, daß ihm auch nach gröbsten Hirnverrenkungen zum
Thema Innenpolitik nicht wirklich etwas Brauchbares einfiel. Nun, da das unserer Rücktrittsmemme aufgefallen ist, lädt er sich ein paar besoffene Ökonomiestudenten nach Hause ein, um sie um revolutionäre Reformkonzepte anzuschnorren, aber die zeigen ihm nur den Stinkefinger, weil ihnen seine Bildungspolitik nicht gefällt. Das ist den Studis auch nicht zu verübeln, denn als ihnen Gerhard im Vorgespräch kleinlaut offenbart, an deutschen Unis sei künftig eine Regelstudienzeit von zwei Semestern vorgesehen und Bafög-Ressourcen würden bald in ArmaniAnzüge für die letzten austrittsunwilligen SPD-Mitglieder investiert, sind sie ein bißchen angesäuert, etwa so wie andernorts baskische Terrororganisationen, kurz bevor sie eine Bombe werfen. Also geht unser Kanzler einfach online und schaut etwas matt, aber nicht hoffnungslos bei Google rein, um sich dort von Suchmaschine und Hausarbeitenarchiven inspirieren zu lassen, wie Deutschlands Wirtschaft wohl zu retten sei. Als erstes fällt ihm da ein, daß er schon immer ein paar Leute in Deutschland nicht leiden konnte. Da sind zum Beispiel die, die immer so selbstbewußt in Rollstühlen durch deutsche Straßen kurven, ohne sich der Gnade bewußt zu sein, die ihnen der gönnerhafte Staat widerfahren läßt, anstatt sie ordnungsgemäß des Landes zu verweisen oder sie von Zivis vor rasende Autos schubsen zu lassen. Ebenso hegt er eine Aversion gegen Leute, die unstatthafterweise das sechzigste Lebensjahr vollendet und dessen ungeachtet nicht den Löffel abgegeben haben. Auch solche, die in ihrer Kindheit immer ungesund aßen und deshalb an Wehwehchen wie Multipler Sklerose, AIDS oder Mukoviszidose erkranken, gehen Gerhard schwer auf die Gonaden. Da es aber seit einer eher unrühmlichen Phase deutscher Weltherrschaftsambitionen nicht mehr erlaubt ist,
solche Leute einfach zu entsorgen oder ihnen sexuelle Reproduktion per Gesetz zu verbieten, muß er sich etwas anderes einfallen lassen. Die einfachste Lösung ist da freilich die, die schon etliche frustrierte Ehefrauen an ihren nervenden Gatten anwendeten: Man muß den kostenintensiven Schnorrermob in den kollektiven Selbstmord treiben. Und da es verhältnismäßig einfach ist, einen Moribunden irrsinnig zu machen, indem man ihm in der Bank zuraunt, daß die Witwenrente nicht ausgezahlt werden könne, aber dafür in der Bahnhofsmission eine exzellente Erbsensuppe gereicht werde, ist das auch wirklich ein gelungenes Konzept. Das gleiche gilt freilich für Leute, die sich unachtsamerweise beim Kampf um die rationierte Erbsensuppe eine Schädelfraktur zugezogen haben und denen man in Zukunft im Krankenhaus durch die verschlossene Glastür zuruft: »Sie haben leider keine Befugnis hereinzukommen. Ihre Praxisgebühr wurde noch nicht entrichtet. Oh, Sie haben da ein Stück Hirn auf dem Revers!« Ähnlich effektiv kann man Leute, die einem auf der Tasche liegen, wohl nur noch mit göttlichen Heuschreckenplagen oder biologischen Kampfstoffen aus dem deutschen Idyll entfernen. Damit den Oldies unter den Geprellten aber nicht auffällt, daß ihnen gerade von staatlicher Seite ein Grab geschaufelt wurde, sollen sie halt noch länger arbeiten. Malochen bis zum siebenundsechzigsten Lebensjahr macht nicht nur Sinn, weil man dann Chancen hat, von einem Kollegen auf eine Tasse Kohlsuppe eingeladen zu werden, die man dann geradezu bitter nötig hat, sondern auch, weil im Falle eines Ablebens mit fünfundsechzig der Staat noch Ansprüche an die Hinterbliebenen stellen kann. Denn irgendwer muß ja für die zwei Jahre, die die todessüchtige Arbeitsdrohne dem deutschen Staat schuldig geblieben ist, haftbar sein. Um für dieses unehrenhafte Verlassen des Arbeitsmarktes geradezustehen, wird man sich dann selbst enteignen müssen und allen Besitz
in einen Fonds einzahlen, der eigens dafür eingerichtet wurde, Flugblätter mit der Aufschrift »Wir sind wieder wer!« drucken zu lassen und sie über den USA aus deutschen Wehrmachtsbombern regnen zu lassen. Wenn das Vertrauen unserer amerikanischen Freunde in die deutsche Wirtschaft dann wiederhergestellt ist, bekommen wir vielleicht auch ein Stück Irak, in das wir dann die arbeitslosen Akademiker verfrachten können, die sich vehement weigern, in Schlachthöfen Augen aus weggebolzten Kühen zu pulen, obwohl dieser Job ja wohl mehr als zumutbar ist. Zur Not kommen die auch in die Wurst. Die Agenda ist aber noch viel mehr als das: Sie stellt auch endlich klar, an welchen Ausbildungsorten Deutschland wirklich Interesse hat. Der deutsche Studi, der seine Krankenversicherung selbst zahlt, nebenbei noch sieben Jobs nachgeht und mit vierundzwanzig am Burnout-Syndrom zugrunde geht, genießt im Sozialwesen bekanntlich das Ansehen einer wundsekretabsondernden Vaginalwarze. Arbeitslosengeld bekommt er nicht, Nebenjobs zählen nicht, und wenn er nach bestandenem Examen jemals eine Arbeit finden will, soll er doch bittschön drei Titel, unterschrittene Regelstudienzeit und siebzehn Praktika nachweisen. Um das ganze noch zu beschleunigen, wackelt auch die dreizehnjährige Schulzeit bereits beträchtlich, schließlich lassen sich Vektorrechnung und Günther-Jauch-kompatibles Quizshowwissen auch in elf Jahren erlernen. Der Ausbildungsberuf hingegen kann aufgrund seiner unermeßlichen Intellektualität um keinen Preis verkürzt werden, und diese haarsträubende Lahmarschigkeit schafft auch richtig viele Arbeitsplätze. Man muß natürlich mindestens drei Jahre lernen, wie man Haare schneidet. Es ist doch nicht so, als würde man das schon nach zwei Wochen raushaben und die übrigen zwei Jahre und elfeinhalb Monate
als rekordverdächtig unterbezahlte Hilfskraft den BMW der Chefin sauberlecken und für den Betriebsrat Wiener Melange kochen. Auch das Brotbacken ist uns allen als einer der komplexesten Gegenstände menschlicher Kultur bekannt. In drei Jahren zu lernen, einen Schnitt in aufgehenden Brötchenteig zu setzen, überschreitet beinahe jegliches geistige Potential, das von der Steinzeit bis heute von der Evolution hervorgekotzt wurde. Mit der Befreiung vom Meisterzwang kann man sich dann künftig als diplomlose Haardekorateuse oder menschlicher Backautomat trotzdem selbständig machen und nach ein paar Monaten Insolvenz beantragen. Aber unser Land braucht ja auch keine hochqualifizierten Individuen, denn wir sind ein brezelnessendes Volk von Bauern und Arbeitern, und wir wollen hier keine geistigen Höhenflüge, sonst könnte mal einer versehentlich darauf kommen, daß unsere Demokratie jenseits der RTLTelefonvotings für singende Teenies darin besteht, einen von zwei dicken Männern zu wählen, die immer dasselbe machen, es aber ganz anders sagen. Also weg mit Qualifizierungsmaßnahmen oder Sprachausbildungen, hinfort mit den Auslandsverflechtungen und her mit den bierbäuchigen Kadett-Schraubern und Klempnern mit Lochfraßpsychose. Was die Agenda unserem urlaubsfreudigen Volk zukünftig großzügigerweise bietet, ist das Flair amerikanischer Großstädte auf deutschem Boden. Wer könnte dazu schon nein sagen, spart es einem doch zehn Stunden Flug und die Gefahr, in der U-Bahn mit Anthraxpulver beworfen zu werden. Wenn erst Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt sind, hat bald jeder einen Job, ganz wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Was glauben Sie, wie interessant ein Supermarktbesuch erst mal wird, wenn Ihnen an der Kasse jemand für drei Euro
fünfzig pro Stunde die Tüte packt, der ein Studium der Kriminologie und drei Umschulungen zum Sportlehrer, Wirtschaftsmanager und altkatholischen Diakon hinter sich hat? Der gelockerte Kündigungsschutz sorgt dann auch bei Ihnen für die nötige Abwechslung, damit Sie nicht nur in den Genuß kommen, Ihren vormals Angestellten die Butter einzutüten, sondern auch in den, pferdeäpfelübersäte Ställe glänzend zu schrubben oder Schnellstraßen von Kaugummiresten zu säubern. Möglicherweise müssen Sie dafür aber erst eine dreijährige Ausbildung absolvieren, denn es wäre kaum zu vertreten, Sie ohne die nötigen Qualifikationen auf so ein sensibles Terrain loszulassen. Der lästige Papierkram, den Sie immer zu bewältigen hatten, wenn Sie dem Chef Ihre Krankenkasse mitteilten, hat sich dann auch erledigt, denn der zahlt Ihnen sowieso nichts mehr dazu, weil Gerhard es sich gerade im Enddarm der Arbeitgeber so gemütlich gemacht hat, von wo aus er Betroffenheitsbriefe an den Deutschen Gewerkschaftsbund schreibt. Hatten Sie zufällig das Vergnügen, zwanzig Jahre für denselben Betrieb zu arbeiten, der Sie nun feuert, haben Sie gar keine Ansprüche, bevor Sie nicht Ihr Hab und Gut verkloppt und sämtliche Ihrer Kinder und Enkel auf Knien um Essensmarken angebettelt haben. Das stärkt auch Familienbande und wirkt der zunehmenden Isolation sich selbst versorgender Mittelständler entgegen. So gesehen betreibt Schrödi wirklich fürsorgliche Familienpolitik. Daß sich faule Phlegmatiker mit selbsterklärter Arbeitsallergie künftig dann und wann Arbeit werden suchen müssen, um ihre wöchentlichen Schmarotzerfeten noch finanzieren zu können, ist dabei wohl der einzig sichtbare Erfolg. Jenen, die sich schon krummgebuckelt haben oder das noch dreißig Jahre lang tun müssen, ist damit wenig geholfen. Da hilft auch das Lamento
von den notwendigen Einschnitten wenig, von denen einige vielleicht etwas sensibler und langfristiger hätten umgesetzt werden können, wenn vor etlichen Jahren ein gewisser birnenköpfiger Herr mit Tendenz zu egomanischer Verspanntheit über die Dauer seines bröckelnden Imperiums hinaus gedacht hätte. Daß Gerhard das weder besser machen noch so souverän lügen kann wie sein pfundiger Vorgänger, kann man ihm kaum übelnehmen, er hat das Regieren ja schließlich nicht gelernt und ging einfach davon aus, seine zweite Amtsperiode, von der er selbst am meisten überrascht war, mit Gesprächen über seine Haartönung schon irgendwie hinter sich zu bringen. Peinlich ist das nur, wenn man sich gleichzeitig als Sozialdemokrat ausgibt, was sich, wie einige Parteimitglieder gar nicht mehr wissen, aus den Wörtchen »sozial« und »Demokrat« zusammensetzen soll. Vielleicht ist das aber auch nur ein Gerücht. Gerhards Freund Münte brilliert derweil mit einer rosaroten Rhetorik und herunterpolemisierten KantSchlagwörtern, wenn er die Zusatzbelastungen des Bürgers als »Eigenverantwortung« tituliert, die sich aus der »Würde« und der »Freiheit« des Menschen ergäben, für die Sozialdemokraten immer schon selbstlos eintraten. Wenn Münti dann der Heiligenschein aus dem blatternarbigen Schädel wächst, fügt er noch ätherisch säuselnd hinzu: »Wir müssen das Herz über die Hürde werfen und nach vorn gehen.« (Spiegel) Ich weiß zwar nicht, was das heißt, und auch eigens zur Übersetzung angeheuerte Philologen und Dolmetscher konnten es mir nicht dechiffrieren, aber vielleicht meinte er ja: »Wir müssen die Agenda 2010 über Bord werfen und aus den Regierungsgebäuden gehen.« Meinen Segen hat er.
Ficken für die Rente
Die Geschichte der Prostitution ist eine Geschichte voller Mißverständnisse. Möglicherweise liegt das auch daran, daß das Wort »Hure« sich zumeist in Gesellschaft anderer unschöner Wörter befindet. Nehmen wir einmal das Mittelalter, wo es gang und gäbe war, empört »Rauben, Huren und Brandschatzen« in einem Atemzug zu nennen oder womöglich noch »Männchen-in-dieBibel-malen« hintanzustellen. Oder schauen wir einmal in die Grundschule von heute. Die Mama vom Dieter trägt rosa Lackröcke und weiße Spitzensocken in den Pumps, und sofort heißt es, sie sei eine Hure. Selbstverständlich kann sich unter solchen Bedingungen mangelnder begrifflicher Perfektion kein respektables Bild der Hure etablieren. Dieser Tage geht die Diskussion um Paragraph 180a wieder hoch her, und nachdem nun schon seit Jahrhunderten die Gilde der Zuhälter Huren vom Kinderstrich über den Straßenstrich zum Hotelzimmerstrich prügelt, wird die Forderung nach einer Legalisierung und beruflichen Anerkennung wieder laut. Ich glaube ja, die Leute, die da so lauthals nach der Etablierung des Hurenberufs schreien, sind sich nicht über die Konsequenzen im klaren. Erst mal müßte man die intellektuelle Anstrengung unternehmen, das äußerst prekäre Wort »Hure« durch einen politisch korrekten Neologismus zu ersetzen. Nett wäre es, wenn die Regierung einen bundesweiten Wettbewerb dazu ausschreiben würde, denn dann könnte man sogar noch was gewinnen, zum Beispiel eine Zehnerkarte für den Puff. Ich schlage als Alternativvokabel für Hure »Testosteronentsorgerin« vor, da könnte dann manch eine
Dame der Beischlafriege in einer Cocktailparty-Konversation noch als Mitarbeiterin des Umweltamtes durchgehen, ohne dumme Fragen zu ernten. Aber dann hätten wir schon das nächste Problem, denn für einen anerkannten Beruf muß es doch auch bitte verschiedene Grade und Gehaltsklassen geben, schließlich muß die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs auch in einer solchen Dienstleistung bestehen. Da wird sich die Hurenlobby also bald in eine mehrklassige Gesellschaft aufteilen, einmal hätten wir dann die Testosteronazubine, die den ganzen Tag nur Kaffee kocht und zugucken darf, die Testosteronentsorgerin mit Abschluß, die Testosteronmeisterin und natürlich, wenn sie erst den akademischen Grad innehat, die Dr. test. der Genitalen Reibung sowie die habilitierte Academica Genitales mit einem Lehrstuhl an der hiesigen Alma Mater. Was das allein für einen Zulauf an den Unis bedeutet! Da bleibt kein Platz in der Mensa mehr frei. Und was machen wir mit den Drückebergerinnen dieser Berufssparte, den Dominas? Nur die Tyrannin raushängen lassen, aber westliche Vereinigungspraktiken ablehnen, finde ich, ehrlich gesagt, ein bißchen feige. Dafür gibt’s erst mal Lohnabzug. Für die Hure selbst ist das neue Berufsbild auch nicht gerade eine Verbesserung, denn wenn sie erst mal den Privilegien der Krankenversicherung, Rente und des Urlaubsanspruchs Tür und Tor geöffnet hat, kann sie zwar ihren Tripper auf Staatskosten auskurieren und im hohen Alter noch von ihrem welken Venushügel zehren, aber dafür stehen auch unliebsame Änderungen ins Haus. Mit der anerkannten Dienstleistung werden dann nämlich rasch Marketingstrategien der Industrie folgen, so zum Beispiel Rabattmarken für Dauerkunden. Sozusagen »Buy one, get one free« für Dauergeile. Da wird für den zehnten Ritt am Tag dann kein Geld mehr aufs
Nachttischchen gelegt, und wenn der Kunde fit ist, darf erst mal zwei, drei Stunden für lau gelitten werden. Und was ist, wenn das Ladenschlußgesetz auf Bordelle übertragen wird? Dann geht’s um acht nach Hause, Kinder hüten, Überstunden zur persönlichen Bereicherung sind nicht mehr drin, und die gesamte Bordellkundschaft muß dazu umerzogen werden, hormonelle Grillen bitte zwischen vier und sieben am Nachmittag zu entwickeln. Das wird nicht nur Warteschlangen begünstigen, in denen man womöglich seinen Pfarrer und Onkel wiedertrifft, sondern auch fragwürdige Gespräche am Arbeitsplatz: »Hey Chef, ich brauchte heute mal einen halben Tag frei, ich hab da so ein Jucken im Schritt…« Der Kunde ist überhaupt der Leidtragende in dieser ganzen Diskussion. Denn wenn die Besamungsdulderin erst mal eine anerkannte Dienstleisterin ist, dann ist es mit dem kleinen Geheimnis der Ehemänner bald vorbei. Quittungen zur steuerlichen Absetzung werden den Kunden nach Hause geschickt, und gehörnte Ehefrauen sitzen am nächsten Tag wegen vorsätzlichen Mordes an ihren Männern in Untersuchungshaft. Zeche prellen ist auch nicht mehr drin, weil die Genitalmechanikerin den Kunden ja öffentlich bei Richterin Barbara Salesch auf Sat 1 wegen Zahlungsunwilligkeit verklagen könnte. Und nicht mal mehr die Lieblingstabernakel des heiligen Ejakulats kann der Kunde nun ständig frequentieren, denn mit dem neuen Urlaubsanspruch könnte er an der Tür der Auserwählten das Schild vorfinden: »Die Kopulationszelle 34 ist wegen Urlaubs für drei Wochen geschlossen. Die Urlaubsvertretung finden Sie in Tuttlingen. In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an die Anonymen Sexsüchtigen.« Mal abgesehen davon, daß sich noch niemand Gedanken darum gemacht hat, was wir dann mit den ganzen arbeitslosen
Zuhältern anstellen. Schließlich wollen die im sozialen Netz auch berücksichtigt werden. Ich sehe sie schon vor dem Bundestag demonstrieren und Weiterbildungen einklagen. Meinetwegen können die alle Sportlehrer werden, das scheint mir ohnehin fast dasselbe zu sein.
Männer sind Männer – Frauen auch
Kürzlich kam mir zu Ohren, daß Männer gar nicht so sehr auf starke und erfolgreiche Frauen abfahren. Das liegt irgendwie daran, daß der Mann früher dachte, die Frau sei so etwas wie ein lebendes Tamagochi: Wenn er sie nicht regelmäßig füttere und streichle, dann werde sie binnen kürzester Zeit eingehen. Irgendwann hegte ein besonders schlaues Exemplar der Spezies Mann dann den Verdacht, daß die im Ehebett neben ihm liegende schnarchende Entsamungspuppe doch vielleicht so etwas Exotisches wie ein Eigenleben pflege. Zuerst tat er diesen aufkeimenden Gedanken selbst noch als Narretei ab, dann aber ließ er es darauf ankommen. Er verabschiedete sich mit den Worten: »Schatz, ich geh mal zum Zigarettenautomaten«, und beschloß, erst nach drei Tagen wieder heimzukehren und sich währenddessen schon mal auf den Anblick ihres möglicherweise bereits im fortgeschrittenen Verwesungsstadium befindlichen Körpers vorzubereiten (in einer Wirtschaft). Als er wiederkehrte, traute er seinen Augen nur widerwillig: Das von ihm zum hoffmannschen Automatenmenschen degradierte Wesen, über dessen Ableben er schon halbherzigerweise zu schluchzen sich anschickte, lag weder madenübersät auf dem Linoleum in der Küche, noch hatte es in der Erkenntnis der eigenen Lebensunfähigkeit eine ehrenvolle Selbsttötung mit Fön in der Badewanne angetreten. Reichlich verdutzt schaute unser besonders kluges Exemplar der Spezies Mann, aber sein Name war ja eigentlich Egon, aus der (im übrigen offenbar seit drei Tagen nicht gewaschenen) Wäsche. Nun wäre Egon ja kein richtiger Mann, hätte er nicht erst mal herrisch herumgebrüllt, um seine Gattin ausfindig zu machen.
Also rief er, da ihm zum wiederholten Male ihr Name entfallen war, einfach impulsiv »Wo ist mein Essen!« durch die Wohnung, und als das nicht helfen wollte, setzte er noch ein »Ich hab Druck!« oben drauf, weil das nun mal seine traditionelle Art war, das Vorspiel einzuleiten. Erst als sein Blöken hämisch von den Wänden schallte, wurde es ihm schlagartig klar: Seine Frau hatte sich aus dem Staub gemacht, was im übrigen, wie er später konstatieren mußte, durch den mit einem bananenförmigen Magneten an die Kühlschranktür gehefteten Zettel mit der Aufschrift »Fuck you« auch hinreichend illustriert worden war. Klappen wir nun aber das Geschichtsbuch männlicher Evolution wieder zu, eingedenk des Egon, der uns heute immer noch, wenn auch mit besserer Rhetorik ausgestattet und sich mit aus Frauenzeitschriften gewonnenen Erkenntnissen über weibliche Sexualität brüstend, im Büro oder im Cafe an der Straße anlächelt. Was hat es auf sich mit dem Mann, der kreolische Kochrezepte beherrscht, Alice-Schwarzer-Reden auswendig kennt und dem doch im Grunde seines Herzens die Frau, die ohne Leine laufen kann, zur Wahl geht, Geld verdient und sich auch mal genießerisch was Gutes zum Ficken nach Hause einlädt, nicht ausstehen kann? Warum führt ein von der Frau gesäuseltes »Ja klar geht’s mir gut, ich hab mir gerade einen Zweitwagen gekauft, und jetzt gehe ich ins Fitneß-Studio und gucke meinem Tae-Bo-Trainer auf den Arsch!« beim Mann unweigerlich zu erektiler Dysfunktion? Seit etlichen Jahren geistern schwindsüchtig aussehende Fernsehpsychologen durch Talkshow-Studios, machen kluge Gesichter und problematisieren Schwellkörperinsuffizienzen, bis es einem das Essen aus dem Magen treibt. Erst neulich geriet ich vor dem Fernseher wieder in so eine ZappingSchleife, weil auf jedem Kanal einem anderen selbsternannten Penisretter der Sabber missionarischen Eifers auf den Lippen
stand. Hier wurden die Frauen gescholten, die dem Mann einfach nicht mehr vermitteln konnten, ein omnipotenter Superheld zu sein, und da wurden Schwule gerügt, die zur Entmännlichung des Mannes mit ihren Gucci-Handtaschen und dem Vanille-Aroma im Haarwasser ja auch keinen unwesentlichen Beitrag geleistet haben. Und dann kramte irgend so ein Fernsehpraktikant eine Videokassette hervor, auf der Männlichkeitsriten bei Naturvölkern gezeigt wurden. Da wurde jeder Knabe ein Mann, der tüchtig Drogen nehmen, ein paar Frauen und Ziegen begatten oder ein blutiges Massaker unter Gazellenbabys in der Savanne anrichten konnte. Mir fiel eine wenig rühmliche Parallele zwischen den naturburschelnden Semimännern und meiner Familie auf, in der gerade unter uns Frauen solche angeblichen Initiationsriten zur Herstellung der Männlichkeit an der Tagesordnung liegen. Wenn Drogen, Sex und rüde Gewalttätigkeit die Kähne sind, mit denen man in den seligen Hafen der Männlichkeit schippert, dann muß ich in Zukunft im Restaurant wohl die Herrentoilette frequentieren. Spätestens nach dieser Sendung wurde mir klar, daß die Angst des Mannes vor der starken Frau demnach wohl eine Angst vor seiner Homosexualität sein muß, denn wenn jede trinkfeste, militante und notgeile Frau im Grunde ein Mann ist, dann befinden wir uns gerade im Sequel zur griechischen Antike. Aber überlassen wir solche Spekulationen doch den Gender-Experten. Vielleicht werfen wir noch einen abschließenden Blick auf Egon. Der ist vor lauter Verzweiflung schwul geworden. Und die Sache mit dem Bananenmagneten hat er seiner Frau bis heute nicht verziehen.
Die Frau auf dem Gebärdampfer Traumakreistanz und Wehensingen
Als mich kürzlich eine lange verschollene Freundin aus dem Elsaß anrief und mir freudestrahlend verkündete, sie habe vor wenigen Monaten ein Kind geworfen, erstarrte ich förmlich in spontaner Agonie. Mittelalterlich wie ich bin, hatte ich vor Augen, wie Frauen einstmals auf den Kartoffelacker getrieben und solange mit Fußtritten malträtiert wurden, bis ihnen die Blagen aus den Gebärschlündern plumpsten, die dann auch gleich bei der Ernte mithelfen konnten. Diese gruselige Vorstellung aus meinem Kopf zu vertreiben, schickte sich meine Freundin an, mir von ihrer luxuriösen Gebärkreuzfahrt zu erzählen. »Du ahnst gar nicht, wie du spirituell erwachst, wenn du ein Leben unter deinem Herzen trägst«, tönte sie, und ich meldete keine Zweifel an, denn ich weiß, daß man auch von Blähungen Depressionen bekommen kann – wieso sollte man also mit einem kofferradiogroßen Lebewesen im Gedärm nicht etwas wunderlich werden? So wunderlich, daß meine Freundin eine Wassergeburt anpeilte, nachdem ihr eine spirituelle Hebamme klargemacht hatte, daß man nur in der Rückkehr zum Ursprung des Lebens auch Leben geben könne. Die Wahrheit sieht dann etwas unromantischer aus: Nachdem die werdende Mutter mit Hilfe einiger Joints bereit ist, sich für einen Fisch zu halten, wird sie in einen hölzernen Wasserbottich gesetzt, in dem sie dann aufquillt, bis sie ganz schrumpelig ist. Wenn der Mutterkuchen sich dann feist an der Wasseroberfläche absetzt, ist es soweit, und die Frau kann davon ausgehen, daß unter ihr gerade ein Fischbaby das Licht des Kreißsaal-Canale-Grande erblickt hat.
Wenn frühere Evolutionsstufen nun ein Garant für natürliche Geburten sind, dann ist damit zu rechnen, daß es bald auch Geburten auf Bäumen geben wird, ganz im Sinne unserer affigen Vorfahren. Und die Hebammen stehen dann unter den Bäumen und fangen die Babys wie Fallobst. »Das Wehensingen hat mir so geholfen!« tönte meine Freundin, und ehrlich gesagt konnte ich mir darunter nichts anderes vorstellen als einen schmerzvoll gejaulten Gassenhauer: »Aua, das tut so weheeee, wenn ich den Kopf des Kindes seheeee…« Nein, Wehensingen ist die trendige Alternative zum Schreien und Pressen. Da wird jeder Schmerz in Musik gekleidet, und das Kind erschreckt sich nicht gleich so über das Gebrüll. Eine noch weniger elegante Alternative zum mühselig rausgepreßten Ableger ist ja der Kaiserschnitt. Angeblich voll im Trend. Einfach Vollnarkose, aufschlitzen und Kind rausholen, und das Praktische dabei ist: Man kann das gleich mit nützlichen Überholungsarbeiten wie Blinddarmentfernung und Lebertransplantation verbinden. Da wacht man quasi als völlig neuer Mensch auf! Überhaupt gibt es so viele Möglichkeiten zu entbinden, daß ich mich einfach nicht entscheiden kann, welche den ersten Preis in Barbarei gewinnt. Wir hätten da einmal die Geburt auf dem Sackstuhl, der sich schon aufgrund seines Namens nur an die härtesten der Frauen wendet. Hier wird man auf lauter Kugeln gebettet, ich nehme an, um soviel Schmerz im Kreuz und den Gliedern zu erleiden, daß einem die Geburt selbst gar nicht mehr auffällt. Besinnungslos vor Schmerz kann man aber auch im afrikanischen Geburtsstuhl gebären. Das ist noch viel toller, weil man da mit der Schwerkraft zusammen das Kind »austreibt«. Austreiben ist ein schönes Wort, da bin ich fast geneigt zu sagen, man hätte der werdenden Mutter mal vorher die Flausen
austreiben sollen, damit sie gar nicht erst in diese traurige Lage kommt! Na ja, und das Entbindungsbett kennen wir ja alle, aber das ist einfach zu öde, denn im Bett gebären kann ja jeder! Meine Freundin erzählte mir noch allerlei Schauergeschichten, beispielsweise war ihr Mann mit ihr zur Schwangerschaftsgymnastik gegangen und so solidarisch geworden, daß er monatelang in seinem Erbrochenen aufwachte. Man mußte ihm sogar Schwangerschaftsurlaub geben, da er seiner Arbeit auf dem Bau einfach nicht mehr nachkommen konnte, weil er ständig von der Balustrade kotzte. Da sind mir die prügelnden Mittelalterburschen auf dem Kartoffelacker ja doch fast lieber, die hatten wenigstens nicht so einen Hang zum Pathos. Jetzt irren Sie sich aber, wenn Sie denken, mit der Geburt sei das Drama ausgestanden. Denn nun erzählte mir die gute Frau am Telefon, sie habe eine postnatale Depression gehabt und wäre daran fast zugrundegegangen. Ich vermute mal, ich bin die letzte, die einem eine Depression ausreden könnte, denn schließlich ist ein Kind Grund genug, nun für die nächsten dreißig Jahre mächtig suizidal zu sein, aber meine Freundin formulierte das so: »Ich habe meine Mitte einfach nicht mehr gefunden.« Ja, bei dreißig Kilo Gewichtszunahme ist es auch schwer, seine Mitte zu finden! Sie meinte das aber eher spirituell. Und deshalb fand sie ihre Mitte dann auch wieder, nachdem sie ein Geburtsabschluß-Seminar mit Kreistanz und Traumabewältigung absolviert hatte. So ein Geburtstraumakreistanz ist schon was lustiges, da fassen sich alle Mütter an den Händen und hüpfen so lange in einer schwitzigen Turnhalle herum, bis sie merken, daß sie ihrem schleichenden Wahn nur Einhalt gebieten können,
indem sie nach Hause gehen und sich mit so profanen Dingen wie vollgeschissenen Windeln beschäftigen. Ich gehe mittlerweile sogar so weit zu sagen, daß nur die menschlichen Exkremente einen wieder auf den Boden der Tatsachen bringen können, wenn man mal wieder einen spirituellen Überflieger hat. So habe ich das auch bei diesem Telefonat gemacht, denn ich merkte, daß auch ich schon ganz schwirrig wurde von soviel Spiritualität und Lebensverherrlichung. Also sagte ich: »Du, ich muß mal auflegen, mein Hund hat gerade auf den Teppich gemacht.« Und gleich nach dem Auflegen habe ich mich sterilisieren lassen.
Klonen: Doppelt hält besser
Daß das Klonen von Menschen eine tovte Idee ist, weil Männer sich dann endlich selbst einen blasen können, klingt ziemlich abgedroschen und ist wohl eher eine Spitzfindigkeit über die Fortschritte der Autoerotik, die uns in der Diskussion um die Vervielfältigung menschlichen Erbgutes nicht weiterbringt. Implantierte Schweinelebern beispielsweise haben die Leute noch nie besonders provoziert, insbesondere angesichts der Tatsache, daß die Anatomie eines Schweines einfach bestens mit dem wabbeligen Organismus eines fettsüchtigen Westeuropäers korrespondiert. Fast könnte man schon sagen, mit der Einverleibung schweinischer Organe finde der Mensch endlich zu seiner wahren Natur. Die weiteren Fortschritte in der Genforschung haben auch nicht gerade zur abendfüllenden Unterhaltung des Mobs beigetragen. Das Schaf Dolly war eigentlich nicht interessant – allenfalls die Frage »Kann man das Teil denn auch essen, oder ist das ungesund?« raunte durch die Wohnzimmer von Ratzeburg bis nach Oberammergau. Da es aber neuerdings heißt, dank der therapeutischen Klonierung könnten Embryonen nun postalisch verschickt und in der Hausapotheke zu Ersatzteillagern für verlorengegangene Nieren und kaputtgesoffene Lebern umgearbeitet werden, rumpeln auf einmal prähistorisch anmutende Christenkarawanen durch die Straßen und verkünden das Ende der Menschheit. Das zu Recht verschütt gegangene Unwort »Moral« erfährt plötzlich ein Revival, das den Sixties-Wahn des vergangenen Jahrzehnts in den Schatten stellt. Insbesondere Deutschland brüstet sich in der internationalen Diskussion mit scharfen Protesten, die man normalerweise nur
hört, wenn die Absetzung der Lindenstraße zur Debatte steht. Während in den USA der Handel mit Eizellen zur künstlichen Befruchtung floriert wie der Dattelnverkauf auf einem türkischen Bazar und die Briten schon tüchtig die Verwurstung embryonalen Urschleims ankurbeln, stecken wir Haxenfresser noch verschwörerisch die Köpfe zusammen und verhandeln, ob Eugenik nun schon beim Ausrotten lästiger Nasenhaare beginnt oder doch erst bei der Einnahme der Pille. Begünstigt werden solche geistigen Irrläufe natürlich durch gewisse Sekten, die prophezeien, Hitler zu klonen, damit er endlich ordentlich vor ein Gericht gestellt werden könne. Mal ehrlich: Wer will das denn? Bei der deutschen Rechtsprechung ist der doch in fünf Jahren wieder auf freiem Fuß, sofern ihm nicht Steuerhinterziehung nachgewiesen werden kann. Das reproduktive Klonen ist aber auch für solche nützlich, die sich ein neues Kind backen wollen, weil sie das alte aus Versehen überfahren haben, oder die sich die Geliebte verjüngen wollen, die gerade verfaulend im Schaukelstuhl sitzt. Interessanter noch als die Abgründe der Kollektivschuld, in die sich der artige Deutsche bei solchen Diskussionen selbst zu stürzen pflegt, sind so unrealistische Entgleisungen wie die Frage »Ist eine Gesellschaft von Genies tragbar?« Manche befürchten nämlich, man werde in der Zukunft nur noch geniale Erfinder und große Denker heranzüchten. Es ist wohl nicht nötig zu erwähnen, daß das ungefähr so realitätsnah ist wie ein gutes Fernsehprogramm des Kirch-Imperiums. Deutschlands liebste Denker sind Jenny Elvers und Dieter Bohlen, und die gepriesenen Erfinder sind bestenfalls die Schöpfer der Instantleberwurst und des geschmacksneutralen Gleitmittels. Angesichts der hierzulande gefeierten Intelligenzresistenz ist allenfalls zu befürchten, daß Leute wie
Thomas Gottschalk und Stefan Raab, so sie denn endlich tot sind, nochmal wiederbelebt werden, um ein weiteres Jahrtausend mit ihren geistigen Exkrementen zu überfluten. Ich würde die Frage also umformulieren in: »Ist eine Gesellschaft von TV-Mutanten tragbar?« Zurück zur Moral: Darf denn der Mensch Gott spielen? Um ehrlich zu sein: Ja. Schließlich kann der Mensch schon seit jeher alles besser, was von Gott so lieblos hingepfuscht wurde. Körbchengrößen korrigieren, Trinkwasser keimfrei machen, Nachbarn mit Kettensägen erlegen, statt mit dem Knüppel, das sind alles Errungenschaften, die ohne eine konstruktive Kritik am Schöpfungsplan gar nicht möglich gewesen wären. Gingen wir mit Gott konform, wären wir lendenschurztragende Prärieratten mit dem IQ einer Pellkartoffel. Derselbe Gott, der so gern zitiert wird, wenn es um das therapeutische und reproduktive Klonen geht, hätte es sicher auch nicht so gern, daß wir mit achtundneunzig an der Herz-Lungen-Maschine liegen, anstatt mit vierundzwanzig einen gepflegten Abgang gemacht zu haben, weil die Mundfäule ihren Weg ins Vorderhirn gefunden hat. Wenn es um den Austausch maroder Organe geht, nimmt man gern die Niere vom Organhändler aus Polen, und auch Schweine, Verwandte und studentische Probanden werden bedenkenlos ausgeweidet, nur mit dem Mehrzweckembryo tut man sich ein bißchen schwer, denn schließlich könnte dieser ja schon ein Individuum sein. Ab wann ist denn ein Mensch ein Individuum? Ich wage zu behaupten, ich kenne Leute, die sind fünfundvierzig und noch immer keines. Darf man die jetzt recyceln? Und wie oft will man seinem Exmann, seinem Pfarrer und seinem Gerichtsvollzieher im Leben eigentlich begegnen?
Hier muß ich nun wirklich einmal Partei für Gott ergreifen: Der war wenigstens so schlau und hat jeden Fehler nur einmal gemacht. Wir sollten es auch dabei belassen.
Zurück zur Natur. Kosmetik aus der Suppenküche
Was in den Achtzigern noch undenkbar war, wird heuer traurige Realität: Die Weiber weigern sich auf einmal, sich wie Nutten zu schminken und zu gebärden, statt dessen sind naturkosmetische Bescheidenheit und karriereorientierte Reserviertheit angesagt. Da, wo früher noch ein Eimer Wasser über Pastellfarben ausgegossen und das Resultat ins morgendlich-entstellte Gesicht geschmiert wurde, sollen jetzt zarte Naturtöne gerade mal behelfsweise die Akne kaschieren, damit auch ja niemand merkt, daß man eigentlich geschminkt ist. Und wo früher bei Erwähnung der für die Kosmetik dahinsiechenden Laboraffen noch ein indifferentes »Fuck you« in den Raum gestellt wurde, da heißt es heute »Bitte nur Schminke, für die kein Tier und keine Blume leiden mußte«. Einen lächerlicheren Anfall von Schuldbewußtsein gab es wohl bis dato nicht, sehen wir einmal großzügig von Stings Konzerten zur Rettung des Regenwaldes ab. Das neue umweltfreundliche Make Up gibt’s jetzt an jeder Ecke, allerdings versteckt sich hinter dem diffusen Begriff alles mögliche – von Rattengift bis zu horrend teurem Schwarzkümmelextrakt. Deklarationspflichtig ist nämlich noch längst nicht jeder, der auf seine Tube Tönungscreme »Naturkosmetik« schreibt, und nicht immer verrät der Preis auch die Qualität, wohl aber die Qualitäten der Händler als geldgeile Kriminelle. Idealerweise kann ein Naturkosmetikprodukt folgende Kriterien aufweisen: 1. Es ist hautfreundlich. Womit schon eines der größten Probleme bezeichnet wäre, denn was daran hautfreundlich sein
soll, sich quadratmeterweise die Poren zuzukleistern, ist mir bis heute ein Rätsel. Es soll hier aber den zahllosen Allergikern Entgegenkommen gezeigt werden, die sich heute mit Schuppenflechte, Blatternarben und längst ausgestorben gewähnten Pockenarten herumquälen, weil sie über Jahrzehnte der Kosmetikindustrie vertrauten und ihre zwei One-NightStands aufgrund gutsitzenden Lippenstifts teuer bezahlen mußten. 2. Es enthält keine genmanipulierten Pflanzen und möglichst nur Pflanzen aus biologischem Anbau. Ja, Scheiße, werden Sie jetzt sagen, wie soll daraus denn ein gutes Produkt werden, wenn es voller fauler Schrumpfkartoffeln steckt und nicht mal gentechnisch oder radioaktiv nachgebessert werden konnte, weil ein paar Wiesennostalgiker immer noch meinen, die Natur werde es schon richten? Das Mißtrauensvotum an die Natur ist mehr als berechtigt, also her mit den springenden Genen! 3. Es enthält keine Duft- oder Farbstoffe. Moment mal – das geht sogar den weniger Hellen unter uns auf: Waren Kosmetika nicht ursprünglich dazu da, erstens eine Frau geruchlich und zweitens farblich aufzubessern? Wenn die Frau nun immer noch so aussieht wie eine blasse Schwindsüchtige und riecht wie ein paniertes Schnitzel, warum dann unökonomisch sein und schminken? Es wird die soziale Verträglichkeit der Rohstoffgewinnung, der Herstellungsprozesse sowie des Endproduktes inklusive Verpackung berücksichtigt. Falls sie solch obskure Weltrettungsorganisationen wie Misereor oder Amnesty International schon vermißt haben: Die arbeiten jetzt alle in der Kosmetikbranche. Das Produkt darf also nicht bunt sein, nicht riechen, nicht auf Kosten von starkstrom-behandelten Tieren produziert sein und muß darüber hinaus der gerechten Verteilung der Nahrung auf diesem Erdenrund Rechnung
tragen. Da setze ich meine Erlösungshoffnung doch gleich mal auf die nächste Tube Naturteint! Noch lustiger als die ideale Verarbeitung dieser moralinsauren Lachnummer ist jedoch die Klientel, die solche Produkte konsumiert. Einmal hätten wir da die Managerinnen, die blindlings prominenten Besinnungsslogans wie »Lieber nackt als im Pelz!« folgend zur Sanddornschminke greifen, um ihr Pensum an sozialer Verantwortung zu erfüllen. Dann sind da die leicht angegrauten Feministinnen, die einfach mal frech behaupten, sie wären immer schon für eine humane, umweltfreundliche und tierliebe Schminke demonstrierend auf die Straße gegangen. Vergessen wir nicht die Hardcore-Ökos und Hobbyschamaninnen, die sich nur noch an KombuchaGetränken und biologisch-dynamischen Lauchstangen laben und zur Feier des Tages auch mal Make-up in ihre verhärmten Veganergesichter schmieren wollen. Zu guter Letzt darf man nicht die größte Kundengruppe, die jahrelang von Yves Rocher verarschten Hausfrauen, vernachlässigen, die jetzt allen Ernstes annehmen, der liebe Yves, der ihnen immer so bunte Massendruckbriefe mit persönlicher Note schrieb, habe das sowieso alles erfunden, denn bei ihm waren alle bunten Fläschchen stets mit dem Wort »naturelle« versehen. Das soziale Gewissen hat wieder masturbiert, die Tiere laufen glücklich aus den Laboren ins biblische Idyll, und am Ende sind alle noch mehr Geld los als je zuvor, obwohl sie dafür sogar noch ins Reich der Unfickbarkeit verbannt wurden, weil natürliche Kosmetik einfach nicht dieselbe Leistungskraft besitzt, wenn es darum geht, die vom physischen Zerfall und dem Stundenglas innerer Bitterkeit bedrohten Gesichter zusammenzuhalten wie der Lack die Karosse. Wenn Sie wirklich auf Schwarzkümmel stehen, kaufen Sie sich ‘nen Döner. Schönheit kommt ja bekanntlich von innen.
Mobbing am Arbeitsplatz. Richtigstellungen eines männlichen Freizeitetymologen und Mobbingopfers
Um es gleich am Anfang klar herauszustellen: Mobbing ist eine Geschlechterkrankheit, nicht mehr und nicht weniger. Sie befällt nur Frauen und niemals Männer, denn die »mobben« nicht, sondern schlagen sich einfach gepflegt mit einer Bierflasche oder einem Spaten den Schädel ein, wenn es kleinere Unstimmigkeiten im sozialen Nebeneinander gibt. Mobbing kann als Krankheit genetisch bedingt überhaupt nur bei Frauen auftreten, da Männern die Rezeptoren für Feinheiten im Umgang miteinander gänzlich fehlen. Viel beängstigender wird die Sache noch dadurch, daß viele Frauen, obwohl sie permanent mobben, gar nicht wissen, was Mobbing eigentlich ist. Im Wust anglizistischer Wortfetzen, die das ohnehin inhaltsfreie Konglomerat deutscher Knurr- und Bellgeräusche – gelegentlich von Kennern als Sprache deklariert – um immer weitere Sinnlosigkeiten ergänzen, nimmt dieses Wörtchen in Büros und Amtstuben unseres schönen Landes eine besondere Bedeutung ein. Sekretärinnen schauen immer öfter verschwörerisch über den Rand ihrer doppelten Portion Sahneschaumkaffee und flüstern zu Kolleginnen Sätze wie: »Die Frau Brandelmeier haben se aber gestern wieder ganz schön gemobbt.« Alle anderen Sekretärinnen nicken dann die wie Elstern auf dem Gartenzaun und rühren dabei finster blickend ihren Kaffee um, obwohl niemand von ihnen weiß, was dieser Person nun wirklich passiert ist. Groteske Bilder, die Frau Brandelmeier weinend auf der Toilette mit einem Wischmob auf dem Kopf portraitieren, blitzen durch Gehirne, die darauf abgerichtet
wurden, ein neues Wort auf Rechtschreibung zu untersuchen, nicht jedoch auf Sinngehalt. Eine kürzlich von einem eher unwichtigen Journal für die Rechte der Frau durchgeführte Umfrage beweist, daß zwölf von zehn Frauen eine andere Auffassung von Mobbing haben als sie selbst. Früher war das alles ganz anders. Und natürlich viel einfacher. Etymologische Untersuchungen ergeben, daß der Mob zunächst eine englische Meute, bestehend aus pöbelnden, vornehmlich betrunkenen Männern war. Seine Tätigkeit war das Mobbing, wie es die Inselaffen in Ermangelung einer richtigen Sprache formulierten. Der Mob kam zusammen, wenn eine Frau sich als Hexe outete, dem Mann oder einem seiner Haustiere den Beischlaf verweigerte, nicht kochen konnte oder ähnliche blasphemische Akte an der gottgewollten Herrschaft der Männlichkeit verübte. Anschließend kritisierte die Ansammlung herrischer Familienernährer die verräterische Zicke lauthals, schlug und schubste sie ein bißchen durch die Stadt und veranstaltete schließlich ein stattliches Grillfest mit ihr als Zündkohle. Diese neben der Erfindung des Golfens und der Zahnfäule wichtigste Errungenschaft der Engländer fand später Einzug in Konrad Lorenzens soziokulturelle Forschungen über das Verhalten der Tiere, namentlich Nacktschnecken und Silberrückengorillas. Mobbing als Begriff beschrieb hier die Reaktion einer Ansammlung mehrerer (aber mindestens dreier) männlicher Tiere, die durch wilde Gesten und lautes Gezeter die Weibchen davon in Kenntnis zu setzen versuchten, daß die Verweigerung eines Geschlechtsaktes mit multiplen maskulinen Partnern (die Wissenschaft bezeichnet dieses Paarungsritual als »Gang Bang«) sehr ungesund für das betreffende Frauchen sein werde. Die Beobachtungen, die gemacht wurden, wenn sich ein Weibchen diesem Akt der herzlichen Zuneigung widersetzte, sind zu grausam, um sie im
einzelnen wiederzugeben, denn insbesondere in Wallung geratene Nacktschneckenmännchen sind, wie Sie wissen, für infernalische Bestrafungsrituale berüchtigt. In Anbetracht dieser historischen Fakten wird doch sehr deutlich, daß das Wort »Mobbing« als Bezeichnung für geschlechtsspezifisches und kulturstiftendes männliches Verhalten völlig unrechtmäßig in Verruf geraten ist. Denn heute bezeichnet dieses Wort eine zutiefst grausame Strategie insubordinater Frauen, die mit dem selbstlosen männlichen Dienst an der Natur so rein gar nichts zu tun hat. Heute künden all die tränennassen Beschwerdebriefe völlig zermürbter Leibeigener oder auch neudeutsch Angestellter von perfiden Psychokriegen, die nur ein bis ins Mark böses und allmachtsbesessenes Individuum zu führen in der Lage ist, und wer außer einer Frau könnte an dieser lästerlichen Umkehrung der evolutionären Ordnung schon seine pervertierte Lust gewinnen? Glaubt man den Mobbing-Selbsthilfegruppen, besteht die strukturelle Gewalt eines Mobbing-Crimes darin, einen Mitarbeiter sozial auszugrenzen, nicht mit ihm zu sprechen, Rufmord zu betreiben und/oder ihn sexuell zu belästigen. Auch dies ist nur eine Strategie der Y-Chromosom-Trägerinnen zur Tarnung ihrer wahren Absichten. Denn hinter diesem Wunschzettel für unbefriedigte Egozentriker verbirgt sich die wahre Mobbingstrategie, und die klingt in etwa so: »Wir sitzen doch alle in einem Boot.« Oder auch: »Wir verstehen uns doch alle so gut hier, möchtest du noch ein Stück Kuchen, Kollege?« Das ist so ähnlich wie »We are family«, nur ohne Schwule. Denn mit Verlaub, ich habe mich noch nie mehr gemobbt gefühlt als zu Zeiten, in denen ich von meinen weiblichen Kollegen sozial integriert war, mir Zahnseidesonderangebote anhören und mich der Tatsache stellen mußte, nicht sexuell belästigt zu werden und somit
wohl zum »Bürokastrat ehrenhalber« degradiert worden zu sein. Ich will keine betulichen Camping-Urlaubsepisoden aus der fränkischen Twilight-Zone hören, und auch auf die geradewegs in die Idiosynkrasie führenden Weisheiten einer dauerschwangeren Sekretärinnenassistentin, die nur zur Assimilierung meiner Person über mir ausgegossen werden, möchte ich dankend verzichten. Ich will mit der lakonischen Beiläufigkeit eines emotionslosen Ignoranten von meinem Kollegen angegrunzt werden, mein Chef soll mich allmorgendlich auf dem Golgatha seiner Herrschsucht kreuzigen, und meine Sekretärin soll meinen aufkeimenden Sadismus allenfalls zu einer SPD-tauglichen Gemütslage kaputtdemokratisieren, indem sie mir frech in den lauwarmen Kaffee spuckt. Und ich will eine Zeitmaschine und zurück nach England, back to the roots, als das Mobben noch Spaß machte.
Der Fall der Felle. Pelzträger und ihre haarigen Argumente
Sicher umschmeichelt Ihr Gemüt ein geradezu wie Nationalstolz anmutendes Sentiment, wenn Sie daran denken, daß Deutschland einmal ein Land der Dichter war. Zugegeben, nach Goethe gab es einen – nur für Kenner merklichen – Qualitätsabfall innerhalb der Poeterei, allerdings gelingt es dem ein oder anderen Bundesbürger in seltenen Momenten, den großen Geist zeitloser Dichtung zu atmen. Dann entstehen so sinnhaft-komplexe Einzeiler wie: »Eine Frau mit Herz trägt keinen Nerz.« Mehr noch als von dichterischem Feingefühl zeugt dieser Ausspruch von einer Attitüde, die sich ungeachtet diverser Trendhochs und -tiefs mit ermüdender Regelmäßigkeit in die öffentliche Diskussion stiehlt wie seinerzeit ein mimosenhaftes Waschweib mit schlechter Haartönung ins Kanzleramt. Pelzträger sind immer noch geächtete Kreaturen, gehetzt von einer tierschützenden Meute, deren Militanz so ausgeprägt ist, daß sie im Irak binnen einer Woche eine blutige Befriedung herbeigeführt hätte. Nun sind aber leider die Tierschützer nicht im Irak, dort weiß man ein gegrilltes Viech auf dem Teller noch zu schätzen, sondern hierzulande, wo dem ein oder anderen im Zuge zoophilen Eifers schon mal der gute Geschmack ent- und die lüsterne Zunge den Rachen des geliebten Hundes hinabgleitet. Mit ungebändigter Penetranz laufen diese cerebral beeinträchtigten Political-Correctness-Guerilleros durch Einkaufszonen, spritzen zobeltragenden Ruheständlerinnen Bastelklebstoff auf die Mäntel oder rupfen armen Arbeiterkindern die Fuchsbordüre von der Supermarktjacke.
Wenn man Pech hat und in einen Pulk solcher wenig differenziert denkenden, tollwütig tobenden Tiererlöser gerät, muß manchmal sogar die eigene Körperbehaarung dran glauben – alles wird heruntergerupft, und wer gegen die unfreiwillige Epilierung protestiert, bekommt ein »Lieber nackt als im Pelz!« um die Ohren gehauen, daß es scheppert. Sicher war noch keiner, der diesen Ausspruch skandierte, an einem deutschen FKK-Strand. Dort flanieren anatomische Supergaus, die das menschliche Auge binnen Minuten sehunfähig machen können. Zieht erst die Schwerkraft am Gemächt, wär’ mir ein Pelz schon lieb und recht! Nun bewegten sich Pelzgegner einst in guter Gesellschaft, als skelettierte Supermodels für fünf Minuten ihre Eßbrechsucht ruhen ließen und statt dessen verschwörerisch von Plakaten blickten, um dem Pelzgeschäft zu entsagen. Die Verbrüderung mit den Promigötzen kam dem tobenden Mob natürlich gerade recht, denn was Naomi sagt, das muß ja stimmen, auch wenn sie normalerweise nur eine cholerische Amazone ist, deren regelmäßige Totalausfälle in Psychiatrien zur Unterhaltung des Personals ans schwarze Brett geheftet werden. Da verdienen es die selbsternannten Schutzheiligen der gemarterten Tierwelt ja nicht anders, daß sie schon seit drei Jahren wieder ihr Luxusgestell in Haare wickelt, die sich bei genauerer Prüfung eindeutig als nichtmenschlich identifizieren ließen. So erinnert sich auch bei der aktuellen Winterkollektion fast keiner an diese drollige Jugendsünde: Ob Prada, Jil Sander, Gucci oder Dolce & Gabbana, für die schöne Frau werden munter etliche Vertreter der Fauna an die Starkstromgeräte angeschlossen. Galeriebesuche gibts inzwischen umsonst in jeder Fußgängermeile: Bilder von elektrifizierten Opossums hängen an aufwendig dekorierten Mahnmalen, alte NavajoGebete werden zitiert, um dem dekadenten Westeuropäer seine Sünde wider die Natur zu demonstrieren, und deutsche Straßen
säumt nicht selten eine Ikonographie tierischen Sterbens, die in ihrem Pathos noch jeden christlichen Kreuzweg um Längen schlägt. Nun wäre die Frage nach tierischem Wohlbefinden ja prinzipiell gar nicht mal so unberechtigt, manövrierten sich die Tiersymbionten nicht selbst permanent ins Waterloo ihrer eigenen Absurditäten: Sicher versteht jeder halbwegs intakte Gelegenheitsdenker, daß ein Mensch, der lederstiefeltragend auf einem von klebstoffsüchtigen Kindern geklöppelten Importteppich steht, sich einen Hamburger in den Hals stopft und anschließend vor seinem einjährigen Filius eine brasilianische Zigarre raucht, nicht unbedingt das über jeden Zweifel erhabene Symbol erstrebenswerter Moralität abgibt. Von der eigenen Verstrickung in soziale Ungerechtigkeiten ablenkend, mutiert da dem Pelzfeind schnell jedes Tier zum Fetisch und jeder Pelzträger zum Sündenbock. Ein Feindbild zu pflegen ist auch possierlich, fast so schön wie ein Haustier zu haben, und wir alle wissen seit der Kampfhunddiskussion und dem PETA-Spot gegen Tiertransporte, daß dem dementen Tierretter der Davidstern so locker sitzt wie dem Gerichtsvollzieher der Kuckuck. Wahlweise wird ersterer auf Kühe, Nerze, Schimpansen oder Küchenschaben geklebt, denn der Deutsche tut den lieben langen Tag nichts anderes, als systematisch Tiere auszurotten und sein historisches Karma zu vollenden. So einfach funktioniert die Welt freilich nur für jene, die ihren menschlichen Verstand bereits gegen einen tierischen eingetauscht haben (und das haben bekanntlich nicht wenige). In einem Land, in dem das beliebteste Demonstrationsobjekt sozialer Verantwortung die mit Hundeschokolade vollgestopfte Teppichratte ist und in dessen Familien dem inzestuös entstandenen Nymphensittich mehr Gesprächsanteile zufallen
als dem eigenen Kind, muß der Angriff auf das Leben des Tieres den Menschen empfindlich treffen. So empfindlich, daß er gar nicht mehr sieht, wie er sich zum Affen macht.
Zipfel auf! – Von den Jakobsisters und anderen Zwergenwüchsigen
Der Morgen graut. Schweißgebadet wache ich aus verstörenden Träumen auf und frage mich alsbald brötchenkauend, wie ich meine vom Horror des Alltags gepeinigte Seele mit harmonischen Bildern zurück in die Arme längst vergessener Ausgeglichenheit führen kann. Und mit einem Schlag wird es mir bewußt: Ich brauche selbstvergessenes Lustwandeln in unberührter Natur, innigen Austausch mit herzensguten, gebildeten Menschen und die Uniformität gleichgesinnter, einem hehren Ideal verschriebener Kämpfer. Auch verlangt es mich nach Musik, denn wie heißt es so schön: »Da wo Menschen singen, laß dich nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.« Kurz gesagt: Ich brauche beschauliche Schrebergärtnerromantik, Zwergenfetischismus und den betörenden Gesang der legendären Jakob Sisters. Der Tagesplan ist unumstößlich, das Ziel meiner Reise im Visier: Ich muß zum Schöller-Gartenzwergmeeting im Oberhausener CentrO. Gerüstet mit Halstuch und Leberwurststulle und allen Instrumenten, die man für eine Wallfahrt braucht, trete ich die lange, beschwerliche Reise an, bekehre unterwegs noch ein paar Wald- und Wiesenphobiker, die mir widerstandslos folgen, und betrete das Einkaufszentrum. Von den hysterisch den Sommerschlußverkauf zelebrierenden Frührentnern räumlich desorientiert frage ich unterwegs einige schlechtinformierte Mitarbeiter dieser Milliardeninvestition, wo denn das Gartenzwergfestival zu finden sei. Nicht wenige Male ernte ich dabei Blicke, als sei ich eine im Meskalinrausch stammelnde Geisteskranke, bis ich vor mir endlich das Schild
erblicke, das mich unmißverständlich in den Park hinter dem Einkaufsgebäude führt. Am Tor begegnet mir ein als Eistüte verkleideter Student, der unter seinem tonnenschweren Kostüm vermutlich schon an einem Hitzschlag verendet ist und nur noch dank seiner Totenstarre den nahenden Besuchern die richtige Richtung weist. Glücklich betrete ich das Biotop ungebrochener Fröhlichkeit und laufe das Gelände ab, das in der Größe dem Standort der Winnetou-Festspiele wohl in nichts nachsteht. Es ist 10.30 Uhr. Die Morgensonne lacht, als freue sie sich diebisch auf den für 11 Uhr angesetzten Liveauftritt der Jakob Sisters. Mit allen Attitüden eines kreischenden Groupies erstürme ich die unterarmlange Bühne und erblicke… nichts. Kein Fuß, der den Rasen vor der Bühne platt tritt, keine hysterischen Fans, keine Jakob Sisters und vor allem: keine Presse. Ein kurzes Telefonat mit der Referentin für Pressearbeit setzt mich darüber in Kenntnis, daß satte zwei Interviews für die Jakob Sisters angemeldet wurden. Sollte das die Bilanz aus vierzig Jahren Ruhm sein? Ich entschließe mich, noch ein wenig zu warten, bevor ich mir das künstlerische Produkt zwergischer Ikonographie einverleibe. Die zwölfte Zigarette nagt aggressiv an meinen Magenschleimhäuten, da sehe ich in der Ferne drei in bunte Filzkostüme gekleidete Damen, die begleitet von kläffenden, insektengroßen Hunden und dem Direktor des CentrO gen Bühne stapfen. Plötzlich spüre ich im Boden unter meinen Füßen Erschütterungen. Aus den Büschen springen kabeltragende Kamerapraktikanten und mikrofonschwingende Journalisten, als hätten sie nur darauf gewartet, sich diesen intimen Moment mit den Jakob Sisters zu erschleichen. Die weißen Pudel jaulen erblindend unter dem Blitzlichtgewitter, empört spucke ich einem Fotografen aufs Objektiv.
Hektisch gestikulierend betreten die drei drallen Diven das historische Zwergenzelt, um sich dort auf ihren Auftritt vorzubereiten. Nach wenigen Minuten kommen sie unter dem Johlen einiger angereister Damen reiferen Alters auf die Bühne und stimmen ihre Hymne »Aldalbert, schenk mir nen Gartenzwerg« an. Ich bin bewegt. Die studentische Eistüte scheint inzwischen reanimiert worden zu sein und schunkelt munter vor der Bühne im Takt dieses so politisch engagierten Liedes, dabei immer achtgebend, daß sie unter ihren martialisch wirkenden Stiefeln keines der anwesenden Kleinkinder zertritt. Das Bad in der Masse gewohnt, treten die fröhlichen Sisters von der Bühne herunter und laufen nun zwischen den sich ständig vermehrenden Kindern umher, was nicht wenige von ihnen veranlaßt, erschrocken zu ihren Müttern zurückzulaufen. »Wo wir sind, scheint immer die Sonne!« ruft eine der Sisters euphorisch und sieht mich ganz erstaunt an, als ich im vermeintlichen Schutz der Wildrosen einen flehentlichen Regentanz aufführe. Nach diesem unübertroffenen Kunstgenuß schieben die Zuständigen für Öffentlichkeitsarbeit die Schwestern mit sanfter Gewalt zurück ins historische Zwergenzelt, wo nun feierlich das rote Band zur Eröffnung dieser kulturellen Orgie duchtrennt werden soll. In anbetender Haltung verharre ich vor diesem ergreifenden Szenario und sehe nach dieser Entjungferung noch eine Weile den Schwestern zu, wie sie emsig Autogramme schreiben und sie mit mahnenden Worten zur Verschwendung arglosen Kindern in die Hand drücken. Den meterhohen Stapel an Autogrammkarten betrachtend, die die Sisters noch zu unterschreiben gedenken, beschließe ich, mich nun erst mal dem heiligen Zweck dieser Ausstellung zu widmen und mir die harmonisierende Farbenpracht der liebevoll auf den Wiesen drapierten Zwerge anzusehen.
Entnehme ich dem Presseprospekt noch, daß der Hang zum Zwergenkult eigentlich über Jahrhunderte ansehnliche Produkte aus Stein, Ton und Terracotta hinterließ, so scheint das Festival doch ganz unter dem Stern des PVC-Zeitalters zu stehen, denn auf dem grünen, akkurat frisierten Rasen lachen mich vorwiegend mit aggressivem Rot besprühte Plastikpüppchen an. An die Präzision gefalteter Bundeswehrhemden erinnert mich die symmetrische Aufreihung der zahllosen Zwerge jeder Größe, die aus dem abgezäunten Rasen herausragen. Mit einem unbegründeten Anflug von Vandalismus klettere ich über den Zaun und ordne ein paar Zwerge in einem schier revolutionären Chaos neu an. Der erhoffte Protest ordnungsliebender Kleingärtner bleibt aus, ebenso der Platzverweis. Hinter mir deutet ein greiser Zwergenfan auf die zum Dauergrinsen verurteilen Plastikmaskottchen und skandiert empört: »Nee, wat kitschig!« Dieser geäußerte Unmut ist vergleichsweise harmlos, wenn ich den sechzehnjährigen Halbstarken betrachte, der keine zwei Meter von mir entfernt mit gekränkter Stimme seine Mutter bearbeitet und fragt: »Warum hast du mich eigentlich hier hergeschleppt!« Nun will ich ja eigentlich in betulichem Frohsinn und erzwungener Naturliebe baden, deswegen entferne ich mich flugs von diesen subversiven Subjekten, um mich im historischen Zelt der Geschichte der Zwerge zu widmen. Geschichtsträchtig schauen mich Bergarbeiterzwerge eher finster an, als sei ich für ihren unbequemen Arbeitsplatz verantwortlich. Skandalös ist allerdings schon fast der einzige weibliche Terracottazwerg, der da so unbeholfen zwischen all den erstarrten Gesellen steht und für mehr Wirbel sorgt als die Jakob Sisters mit ihren kleinen weißen Schoßwanzen. Laut Statuten der »Internationalen Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge« heißt es nämlich, daß weibliche Zwerge
unzulässig seien, und so führen diese gesetzestreuen Herren auch dieser Tage ein Verfahren gegen den häretischen Hersteller aus Gräfenroda. Da fühle ich mich ja gleich genötigt, mich zu fragen, wie sich denn die Zwerge in all den Jahrhunderten vermehrt haben, wenn nie eine weibliche Produktionsstätte neuer Zwergenbrut zugegen war. CentrO versäumt es angesichts dieser rechtlichen Mißlage aber nicht, der einzigen tönernen Frau in dieser Männerdomäne den Status des Zwerges abzuerkennen und sie zu einer »Figur« zu degradieren. Neben dieser leblosen Skandalnudel tummeln sich noch etliche Zwerge mit ganz eigener Ästhetik: sei es ein herziger Plüschzwerg, das Sandmännchen oder ein mir beherzt den Fuck-Finger entgegenstreckender Protestzwerg, es sind einige konträre Gestalten zugegen, ebenso wie unter den Gästen dieses Festivals. Händereibend freue ich mich nun auf die wenigen bewundernden Worte, die ich an die inzwischen dem Autogrammgeben entsagenden Jakob-Schwestern richten darf, und nach dem Interview schaue ich noch eine Weile versonnen einem im Teich ertränkten Gartenzwerg zu, der anklagend seinen prallen Po aus der Wasseroberfläche reckt. Am frühen Nachmittag beglücken uns die Jakob Sisters mit weiteren Werken aus ihrem schier unerschöpflichen Repertoire, bis ich fühle, daß soviel gute Laune mir körperliche Schmerzen bereitet. Also verlasse ich dankbar und von der Schönheit des Lebens geküßt, den Zwergenparcour und widme mich auf der Heimreise noch einigen wissenschaftlichen Fragen. Die Nanologie nämlich, also die Zwergenkunde, ist eine ganz eigene Wissenschaft, die sich nicht davor scheut, mit an Besessenheit grenzender Genauigkeit zu untersuchen, seit wann und wie sich der Zwergenfetisch in das Bewußtsein des
Menschen schlich. Der Nanus hortorum vulgaris, also der Adam unter den Gartenzwergen, ist ein Bergmann, und jeder Anschlag auf den Ausrüstungskodex aus schweren Schuhen und Laterne ist gleichbedeutend mit dem Werfen eines Fehdehandschuhs! Dieser Kodex ist von solcher Strenge, daß er die EU-Norm für die Länge und Krummheit der Durchschnittsbanane noch um ein weites übertrifft. Der legale und gesetzeskonforme Garten-Nano darf nämlich eine Länge von 68 cm nicht überschreiten! Sonst verliert er traurigerweise, ebenso wie unsere Nano-Dame aus dem Historienzelt, den Zwergenstatus. Am Ende dieses Tages bin ich also nicht nur glücklich, ich habe auch noch etwas fürs Leben gelernt. Und mit den denkwürdigen Worten des Nanologen Prof. nan. Fritz Friedemann will ich nun auch schließen: »Sie [die Zwerge] hören sich geduldig alle Klagen und Sorgen, alle Wünsche und Hoffnungen an, und sie geben auf böse Worte nie eine unhöfliche Antwort. Denn Schweigen ist für sie Gold.« (Na, dann ist mir ja auch klar, warum es keine weiblichen Zwerge geben kann.)
Hauptsache Körperschändung. Piercing, Branding, Hardcore-Entstellung
Einen gewissen Anachronismus hat es im Modeempfinden des gemeinen Bürgers ja immer schon gegeben. Hatte man sich gerade von der Naivität skandierter Siebziger-Parolen wie »Mein Bauch gehört mir« und »Atomkrieg, nein danke« distanziert, da wucherte die Abartigkeit blumiger Schlaghosen schon wieder in den Boutiquen. Genauso verhält es sich mit modischen Selbstverstümmelungsstrategien: Gerade hat sich das Individuum trotzig von Gott und der Welt emanzipiert, sogar noch die Postmoderne als Regression in die Metaphysik verspottet, da boomt das Revival archaischer Körperschändung, als habe es nie etwas anderes gegeben, und Piercing, Tattoos sowie Brandings gehören auf einmal zum guten Ton. Das ganze passiert freilich höchst selektiv, denn weinerliche Subjekte haben es heutzutage nicht gerne allzu schmerzhaft: Eine Klitorektomie aus Modegründen wird beispielsweise selbst in den versifftesten Tattoostudios gar nicht angeboten, selbst auf Nachfrage weigert man sich vehement, sexmüde Frauen ihres lästigen Gebamsels zu entledigen. Was nicht bedeutet, daß wir zu diesem Trend nicht auch noch kommen. Vorerst bleibt es aber bei Farbgeschossen unter die Haut, Brandzeichen wie im Kuhstall und die für Mediziner sicher interessanten Knochen-Metall-Legierungen. Dabei wird dann immer gern die glamouröse Geschichte jener Praktiken in epischer Breite dargelegt, weil »Ich halte Zwiesprache mit den Göttern« einfach besser klingt als »Ich bin maso und blöd«.
Hier zeichnet sich die Geschichte des Tattoos als eine Geschichte voller Mißverständnisse ab: Ursprünglich von Halbaffen im Dickicht der Steinzeit noch aus Tarnungsgründen praktiziert (sozusagen der Bundeswehranzug unter der Epidermis), mutierte das nadelige Farbvergnügen bald schon zum Marketingkonzept für Singles, und unter der Haut wurden, sichtbar für alle, Informationen angebracht, die den Mensch gläserner machten, als Personalausweis und Krankenakte es je könnten. Stand auf dem Rücken eines polynesischen Höhlenbewohners »Ich habe Mundfäule und furze im Schlaf«, war es erst mal aus mit der Familienplanung. Möglicherweise haben diese Praktiken die Evolution also durchaus begünstigt. Im Pazifik richtete man sich unter der Haut förmliche Informationspools für die Götter ein, weil man ihnen nicht die Intelligenz zutraute, den Menschen ohne eindeutige Slogans auf dem Allerwertesten zu durchschauen, und in Tibet nahm man an, daß, wenn man sich mit einer stumpfen Häkelnadel tätowierte, der Schmerz über ein verlorenes Familienmitglied relativiert werde. Die Gegenschmerz-Theorie hielt sogar Einzug in die Medizin, denn war man erst mal besinnungslos vor Schmerz, wurde der Gedanke, daß man wegen einer Lungenembolie nur noch drei Wochen zu leben habe, irgendwie erträglicher. Es waren natürlich die Europäer, die diese halbwegs akzeptablen Dummheiten infantiler Subjekte mal wieder versauen mußten. War es den Seefahrern ungeachtet schwuler Orgien und Syphilis mal wieder langweilig, mußten halt Tattoos her, und dem Intellekt der Kombüsenratten entsprechend kam es zu bekannten Entgleisungen wie »Ich liebe Mutti«, die das Tätowieren und Mütter in Verruf brachten. Auch Trends aus Samoa, wie etwa das berühmte »Pussy-Tattoo«, konnten das nur bedingt wieder ausbügeln,
denn Mütter hören es nicht gerne, wenn Töchter sagen: »Mutti, ich laß mir heute den Schritt durchnadeln.« Wie es nun zu Brandings kam, ist weitaus trauriger, denn dort läßt sich die Mär von der Naturreligion nur mit reichlich Phantasie erdichten. Die traurige Wahrheit ist, daß die Leiden, die üblicherweise Kühe und Schweine über sich ergehen lassen müssen, bevor sie mit einem Bolzenschuß über die Regenbogenbrücke marschieren, neuerdings unter Menschen sehr beliebt sind, frei nach dem Motto: »Du bist, was du ißt.« Hatte der durchschnittliche Teenie einem schmuddeligen Anthropologenfilmchen über die Yanomami erst mal entnommen, daß gewisse Leute es witzig finden, sich Bambusröhren, Suppenschüsseln und die gesamte Aussteuer durch Ohrläppchen und Lippen zu stecken, war es auch um die Angst vor neuen Körperöffnungen geschehen. Es wird gepierct, was das Zeug hält, und was ein Graus für die Security-Gates der Flughäfen darstellt, ist für den hippen Teen Garant für Individualität. Das moderne Äquivalent zur Schrapnellwunde läßt auch nicht unbedingt den Mediziner in mir jubilieren, aber seit selbst Oma ein Piercing hat, ist es noch hipper, sich Teufelshörnchen implantieren oder Eidechsenschwänze basteln zu lassen, obwohl man froh sein sollte, zumindest körperlich über den Status einer Amphibie hinausgewachsen zu sein. Ob man sich nun für ein dermatologisches Massaker, Kuhstallkunst, Bleivergiftung oder den Amphibienstatus entscheidet, die Frage bleibt: Was bringt das heute? Zumal das Landesgesundheitsamt in seiner Infobroschüre den wirklich neuen Kenntnisstand kolportiert, »das Durchstechen von Haut oder Gewebe tut weh«? Was hat uns eine Szene zu sagen, die Ikonen wie Hermes Phettberg zu bieten hat, der seinerzeit an Fleischerhaken von der Decke hing und sich von Hinterhofmasos begutachten ließ? Vermutlich hat es
Berechtigung zu sagen, die über Jahrhunderte verdrängte Körperlichkeit habe sich qua popularisiertem BorderlineSyndrom zurück ins Bewußtsein des Menschen geschlichen. Das »Mir tut alles so weh, also bin ich«, sicher nicht weniger tiefgründig als das cartesianische Vorläufermodell, konvergiert mit dem Bedürfnis, ausgemerzte Individualität wiederzugewinnen und das eigene Inszeniertsein zu diskreditieren. Neben der esoterischen Identitätsfindung liegen den legalisierten Foltermethoden aber auch ganz profane Motive zugrunde: Erstens ist die Piercingindustrie in der Hand von Rentnern. Und da die bekanntlich immer notgeil auf junges Fleisch sind, erweist sich die Piercingmethode als optimal. Man nehme einen Metalldetektor und da, wo es am lautesten piept, gibt es was zu nageln. Darüber hinaus ist es augenscheinlich, daß besonders häßliche und fette Menschen zu großflächigen Tattoos tendieren. Sich die zwei Quadratmeter große Wampe kolorieren zu lassen, bringt nicht nur erheblichen Aufschwung in eine marode Wirtschaft, sondern folgt auch noch dem sozialen Bedürfnis nach Umweltverschönerung. Natürlich hat auch die Industrie ihre helle Freude an den offenen Bekenntnissen Tätowierter, denn das spart Kundengruppenklassifizierung und Marktforschung und gleicht schon fast einem Strichcode. Und der Kontrollstaat jubiliert, denn wo »Hells Angels« draufsteht, da ist auch Hells Angels drin, womit dann wieder mal eine Knastzelle belegt wäre. Für erzieherische Maßnahmen sind Körperverstümmelungen schier unerläßlich. Seit es nicht mehr erlaubt ist, Kinder zu schlagen, kommt einem als Elternteil dieser Trend doch sehr entgegen. »Halts Maul, sonst gibt’s ein Branding«, funktioniert immer, und sollte das Kind sogar einwilligen, erspart man sich zumindest die Arbeit, den Ableger selbst manuell zu
modifizieren, und das Jugendamt bleibt einem auch endlich vom Leib. Selbst wenn Sie Ihrer Frau in einem Anflug leichter Verstimmung mal eine Axt in den Schädel hauen, können Sie auf der Wache immer noch angeben, Sie hätten das für eine indianische Urform des Körperpiercings gehalten. Leseunlustige Staatsanwälte, die keinen Bock haben, das bei Karl May nachzuschlagen und halbwegs über Trends im Bilde sind, werden Ihnen das sicher glauben und strafmildernd anrechnen. Ganz schön praktisch, diese Körperschändung.
Ich und mein Psychiater. Wandlungen einer wunderbaren Beziehung
Es ist unglaublich, was der Beruf des Psychiaters schon für wundersame Wandlungen vollzogen hat. Irgendwie fing alles damit an, daß die Priester aus den Gassen deutscher Städte vertrieben wurden, weil man zu ahnen begann, daß sie unter den Soutanen nicht nur ihre Homosexualität, sondern auch die schwarzen Westen korrupter Dauersünder trugen. Mit ihrem Verschwinden aus dem halbzivilisatorischen deutschen Alltag wurde nicht nur einer so verträumt-verspielten Idee wie der der Demokratie Vorschub geleistet, sondern auch einem blind um sich greifenden, allesverschlingenden Schuldgefühl. Schuld ist für den Menschen wie Lochfraß für die Waschmaschine; tut man nichts dagegen, fällt der Mensch auseinander. Dem entgegenzuwirken suchten die Menschen lange nach einer Alternative, die einem das Privileg der Absolution erteilen, einen dabei aber nicht mit Kruzifixen hasenschartig prügeln würde, und einem ferner nicht verbot, Karfreitags zu kopulieren, bis sich einem die Haut abschält. Als Alternativmodell zum befreienden Beichtgespräch wurde Männern angeboten, mit ihren Ehefrauen zu reden, aber das mußte natürlich daran scheitern, daß Frauen gar nicht wissen wollen, was ihre Männer gerade so denken, wenn sie mal nicht auf dem Sofa liegen und sich im Schritt kratzen. Auch der Vorschlag, dem Marktschreier zwischen Preisfeilschen und Kartoffelkauf seine tiefsten Abgründe anzuvertrauen, wurde vom Fußvolk nur mäßig begeistert aufgenommen, denn zwischen all den rustikalen Früchten der hiesigen Äcker wirkten selbst die perversesten Abgründe des Menschen noch profan.
Also mußte ein neuer Berufsstand her, und nach einigem Überlegen wurde deutlich, daß für Bekenntniskonversation nur die ehemaligen Folterknechte und Henker in Frage kamen, hatten diese sich im Laufe ihrer Karriere doch schon so manches Geschrei angehört, ohne davon betroffen von der Couch zu plumpsen. Da die Todesstrafe wegen der zunehmenden Verweichlichung des Menschen sowieso nicht mehr im Trend war, wurden all jene treuen Diener der Menschenentsorgung fortan als Psychiater tituliert, und in ihren Kellergewölben, die man von da an beschönigend Psychiatrien nannte, frönten sie auch lange Jahre danach noch ihren Genozidfantasien, indem sie Patienten in Form von Elektroschocktherapien oder Eiswasserbädern einfach langwierige Hinrichtungen verschrieben. Dem Volk fiel der Etikettenschwindel nicht auf, und nur der lange ignorierten, aber nicht minder vorhandenen Sexualität der Frau ist es zu verdanken, daß der nun errungene Psychiaterberuf sich bald wieder wandelte. Irgendwann nämlich hatte eine Frau aus Versehen, möglicherweise durch eine unbedacht begangene feinmotorische Bewegung (etwa bei dem Versuch, ihren Keuschheitsgürtel noch fester abzuschließen), einen Orgasmus erlebt, und von da an munkelte man, die Frau an sich sei viel genießbarer, wenn sie dann und wann eine sparsam rationierte Orgasmusserie erfahren dürfe. Und schon war es die dankbare Aufgabe des Psychiaters, dem Phänomen weiblicher Hysterie entgegenzuwirken, indem er der Frau monatlich einmal einen Orgasmus herbeimassierte. Etwa wie ein Vibrator, nur ungeschickter. Die Frau nahm es dankbar auf, verriet freilich niemandem, was auf der Therapeutencouch geschah, und trug mit ihrem glücklichen Lächeln fortan zum hohen Ansehen des Psychiaters bei, der ja eigentlich nichts anderes tat als zu onanieren, nur an jemand anderem.
Schon wähnte man den Psychiater auf dem Gipfel seines Ruhms, da kamen noch weitere Glanzleistungen seines Berufsstandes hinzu: Hatte man bis dato Menschen, die Stimmen hörten, noch gemäß den biblischen Schweinen als Besessene von den Klippen der Nordsee gestürzt, so waren die Psychiater auf einmal so gnädig, jene armen Geschöpfe noch eine Weile leben zu lassen, freilich um ihnen unter dem Begriff »Psychosebehandlung« soviel Geld abzuknöpfen, wie ihre Vorfahren, die Priester mit den Klingelbeuteln. Die Epoche der Romantik und später dann die Antipsychiatrie machten es vollends salonfähig, Geisteskranke zu integrieren, und ein jeder bestand darauf, in seinem Haus mindestens einen Irren zu beherbergen, um sich an den Weisheiten dieser vermeintlich seherisch begabten Menschen zu bereichern, und nicht selten nahmen sich ganze Horden von Weisheitssüchtigen die Zeit, das schäumend vorgetragene Stammeln eines geistig havarierten Psychowracks zu decodieren, etwa so, wie wir es lange Jahre taten, als wir noch vor dem Fernseher versuchten, die wirren Reden unseres Altkanzlers Kohl zu entschlüsseln. Die Trendintegration der Bekloppten führte dazu, daß wir heute gar nicht mehr in der Lage sind, sie von geistig gesunden Menschen zu unterscheiden, weswegen es nicht selten der nette Junge von nebenan ist, der mal wieder den Lidl überfällt und anschließend seine Mutter zersägt, nur um sie uns abends beim Grillfest im Garten als Dauerwurst anzubieten. Daß Sie all dies für bare Münze nehmen können, zeigt sich schon daran, daß auch der heutige Psychiater all jene Aspekte seines wunderlichen Berufsstandes in sich trägt. Auch heute noch predigt der eschatologische Psychiater von den letzten Dingen dieser Erde. Apokalyptische Reiter, die Schlange, die Wiederkunft? Nein: Konfrontation, Medikation, Reintegration. Prozac ist Erlösung in Dosen, aber bitte nur auf Rezept, wie
der Ablaßbrief nur gültig ist mit einer nicht-maschinellen Unterschrift. Ablaßhandel? Aber ja, gehen Sie mal zum Bahnhof Zoo. Und daß der Psychiater mal ein Menschenmetzger war, ist bis heute ersichtlich. Bevor Sie eine Therapie beantragen konnten, war – bis vor kurzem – noch eine Generaluntersuchung beim Psychiater notwendig. Da wurden dann erst mal die Gehirnströme gemessen. Vielleicht fehlen Ihnen ja ein paar Volt? Das Orgasmusmassieren ist ja irgendwie nicht mehr so in, aber nicht selten führt eine ausgewogene Ehetherapie dazu, daß man sich endlich mal wieder eine Orgasmusserie abholt, und zwar nicht beim Partner! Ich muß diesen Berufsstand nun doch einmal in Schutz nehmen, denn auch ich würde ja nicht hier sitzen, wäre ich nicht durch jahrelange Reintegration wieder in der Lage, mich ohne den Gebrauch von Seziermessern zu artikulieren. Und ja, uns geht es schlecht! Der Euro ist da, und wir müssen den ganzen Tag umrechnen, wieviel eine Banane kosten darf, in Deutschland sind mehr als dreißig Programme immer noch die Ausnahme, und überhaupt haben wir viel zu viel Zeit darüber nachzudenken, wie es sich anfühlen würde, wenn die Welt nun unterginge, was sie dann aber leider doch nicht tut. In die Kirche gehen ist doof, gegen die Kirche sein ist auch doof, es ist kein Ende der Raabschen TV-Total-Manie in Sicht, und die Bowle zu Weihnachten hat auch wieder nicht geschmeckt, weil man wegen der herzkranken Oma keinen Reinigungsalkohol reinkippen durfte. Um die Nöte des westlichen Menschen zu verstehen, muß man schon ein Virtuose der Psychologie sein. Und um halbwegs im Trend zu bleiben, muß man auch unbedingt einen Psychologen haben. Ohne die Trendwörter der Psychiatrie wäre unsere Sprache ja auch um einiges ärmer. Was man früher schlechthin »kauzig« nannte, ist heute katatonische Schizophrenie. Was früher
übellaunig hieß, ist heute depressiv. Und wenn man heute von »Stimmen hören« redet, steckt nicht selten die Schwiegermutter dahinter, die eben auch mal ein wenig Konversation machen will. (Tinnitus ist auch manchmal nur das Telefon. Rangehen hilft.) Es zählte mal zum guten Ton, sich selbst das Bein mit einem Knüppel zu zertrümmern, wenn man nicht zur Arbeit gehen wollte. Heute wedelt man gleich mit dem Psychiaterattest, auf dem mit fetten Lettern das Wort »aversive Panikstörung« steht. Aber irgendwie ist die eigene Anamnese ja auch abendfüllend. Was sollte man sonst auf der Party erzählen? Etwa wie glücklich man ist? Lassen Sie diese Perversion nicht einreißen! Waren Sie heute schon beim Psychiater?
Die Liebe in Zeiten des Charterflugs. Sehr persönliche Anmerkungen einer Reiseverkehrskauffrau
Mit Sicherheit sagt Ihnen der Begriff »Sextourismus« etwas. Nein, dieser bezeichnet nicht etwa die Tätigkeit, sich mit einer Erektion, Hawaiihemd und Polaroidkamera auf seine in Duldungsstarre verharrende Alte zu legen, um keine zwei Minuten danach erschöpft von ihr und in Tiefschlaf zu fallen, vielmehr umschreibt dieses fürtreffliche Wort ein trauriges Phänomen, das mit immer wiederkehrender Regelmäßigkeit den deutschen Sexualmisfit ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit rückt. Der deutsche Sexualmisfit ist zumeist bereits Rentner und dem zeitlosen deutschen Schönheitsideal entsprechend mit Alopezia areate und klassischer germanischer Biertitte ausgestattet. Dieses unvorteilhafte Erscheinungsbild, gepaart mit seinem primatenartigen Gemütszustand, bringt ihm während des Jahres ungeteilte Nichtbeachtung oder bestenfalls Hohn ein, da die ungeheure sexuelle Anziehungskraft dieser Vertreter des männlichen Geschlechts der ahnungslosen Frauenwelt verständlicherweise verschlossen bleibt. Auf diese Ablehnung durch selbstbewußte Exemplare emanzipierter Weiblichkeit reagiert der gekränkte selbe mit einer verstärkten Suche nach der widerspruchslosen, ewig dienstbaren Frau. Freilich ist die im westeuropäischen Raum nicht mehr zu finden, schließlich hat der Säkularisierungsprozeß der modernen Welt nicht eben wenig dazu beigetragen, daß Frauen heute sogar unaufgefordert sprechen, wählen und gegen Entgelt arbeiten dürfen. Manche geben sich zudem Mutterfreuden hin, ohne einen Mann je
mehr als dreißig Sekunden erduldet zu haben, geschweige denn, jemals wieder einen in ihrem Hause zu tolerieren. Das hormongeplagte Produkt psychiatrischer Mißwirtschaft investiert also seine karge Rente in ein Flugticket und reist in ein Land, in dem Frauen sich in der öffentlichen Meinung möglichst noch eine Evolutionsstufe unter Ziegen und Schweinen befinden und sich an ihre letzte Mahlzeit nicht mehr erinnern können. Dort setzt er dann sein gönnerhaftes Lächeln auf und interpretiert das Interesse gewisser Damen als Zuneigung, eine Fehlinterpretation mit Folgen, wie man sagen muß, denn auf diesem verlogenen Konstrukt baut er ja seine Verteidigungsrede auf, die er später lächelnd bei Bärbels Trutschentalk oder auch seriös geschäftsmännisch blickend bei Akte 2000 in die Kamera grunzt. An diesem Sexualmisfit hängt freilich noch ein ganzer entarteter Rattenschwanz, bestehend aus Pädophilen sowie Menschenhändlern, Pornofilmern und Zuhältern. Wenn Sie mich fragen, nicht gerade Berufsgruppen, die ich mit meinem Urlaub in Verbindung gebracht wissen möchte. Nun zaubert jede Dokumentation über dieses Phänomen dem Plebs erneut die Empörung ins Gesicht, und laut Betroffenheitsstatistiken der Deutschen dürfte ja überhaupt nie jemand auch nur an Sextourismus gedacht haben, nicht mal an Tourismus oder Sex! Die Wahrheit sieht natürlich anders aus. Fast möchte man meinen, in einem Land, in dem auf Steuerhinterziehung noch Zwangsarbeit, kombiniert mit lebenslanger Isolationshaft steht, während Mord und Totschlag gerne zur strafmildernden Affekthandlung deklariert werden, sofern man vorher an einer Aldi-Weinbrandbohne gelutscht hat, werde der Besuch wirtschaftlich ruinierter Drittweltländer zwecks Austausch hochinfektiöser Körperflüssigkeiten nicht besonders ernstgenommen. Schließlich stellt man hier bereitwillig in jeder dritten Talkshow der Quote zuliebe
unterbelichteten Kopulations-Touris ein Forum zur Verfügung, in dem sie ihre Gesichtsbaracken unzensiert in die Kamera halten und ferner Urlaubsfotos und Frauenkataloge zum besten geben können. Damit auch jeder die Anleitung für daheim hat, wie man sich ein perfektes Begattungsopfer bastelt. Zur Not läßt man sich das von seinem Zivi noch mal erklären, und sicher sind da die Redaktionen der Privatsender auch kooperativ, wenn man mal die Adresse des florierenden Straßenstrichs in Manila nicht mitbekommen hat. Und wer nun exotischen Frauen und Kindern rein gar nichts abgewinnen kann, der zieht sich halt in Trendsendungen mal eben die ganzen hippen Lolita-Girlies rein, dann wird der persönliche Geschmack auch an das gewünschte kranke Niveau angeglichen. Und während all diese begierlichen Halbmenschen vor dem Spiegel stehen und ihre Krawatte binden, um im Flieger dann auch recht adrett auszusehen, diskutiert Deutschlands Öffentlichkeit zum drölften mal und unter größter Empörung die Abschaffung der legalen Prostitution im eigenen Land, schließlich verkommen wir sonst ja zur moralischen Diaspora. Ich denke damit ist es soweit: Ich erleide den Kulturschock in meiner eigenen Heimat.
Lustig ist das Studentenleben
Irgend jemand hat einmal das Gerücht in die Welt gesetzt, das Studentenleben sei lustig und ferner die schönste Zeit des eher öden bis nervtötenden Lebens, das man schlechthin zu absolvieren hat. Ebenso wie die Gerüchte, Labskaus schmecke gut und Tiere seien die besseren Menschen, ist das natürlich schlichtweg falsch. Denn zweifelsohne ist jedes Essen, das wie durch Menstruationsblut besudelter Stuhl aussieht, prinzipiell ungenießbar, und bis heute hat mein Hund weder meine Steuererklärung für mich erledigt noch meine Wäsche gebügelt. Mit dem Studentenleben kann das also auch nicht so ganz hinhauen. Das zeigte sich schon, als die Redaktion bei mir anrief und mich um Impressionen aus dem erquicklichen Studidasein bat, während ich mich, um am Telefonat angemessen teilnehmen zu können, erst einmal von dem Strick losschneiden mußte, den ich mir gerade um den Hals gelegt hatte. Der Strick war übrigens eine preiswerte Behelfslösung aus zusammengeknoteten Kniestrümpfen des Winterschlußverkaufs, da sich der deutsche Durchschnittsstudent ein reißfestes Tau gar nicht leisten kann. Wie Sie vielleicht wissen, liegt der monatliche Bafög-Satz für einen angehenden Studenten bei etwa 13,66 DM. Das aber auch nur, wenn die Eltern des angehenden Akademikers nachweisen können, nicht etwa durch lukrative Nebenjobs wie Hausfrauenprostitution oder Waffenhandel über der offiziellen Armutsgrenze zu liegen. Hat man das Glück, ein Findelkind oder auch ein dreiarmiges Tschernobylopfer zu sein, klingelt die Kasse schon ein wenig lauter, aber zum Sattwerden reicht es auch nicht, denn die
Zuständigen in den Ämtern nehmen schlechthin an, ein Student lebe nicht von Butterbrot und Banane, sondern von den geistigen Ergüssen der Vorsokratiker. Ich war von daher immer schon dafür, die lieblos zusammengeschüttete Tüte Nüsse und Rosinen, die im Aldi seit jeher als »Studentenfutter« deklariert wird, gegen eine Tüte Vorsokratiker auszutauschen. Dann kann man sein Essen zukünftig im Buchladen kaufen, was ja für einen Intellektuellen auch viel standesgemäßer ist. Studenten leben in der Regel nicht bei Mammi, denn meist entsteht der Wunsch zu studieren ja ohnehin nur aus dem Drang, fluchtartig die Stadt zu verlassen, in dem man noch Überbleibsel seiner Verwandtschaft weiß. Nicht unbedingt eine löbliche Motivation, Heidegger im Grab zirkulieren zu lassen, aber immerhin doch besser als gar nichts. Schließlich haben wir in Deutschland einen Ruf als Denker zu verteidigen. Wie in Deutschland fühlt sich der Student der in eines dieser herzigen Studiheime einzieht, zumeist aber gar nicht. Eher wie in Südanatolien. Wer solche Fakultäten wie Maschinenbau besucht, dürfte sogar ernsthaft mit Verständigungsschwierigkeiten rechnen. Das macht aber gar nichts, denn Studenten sind ja bekanntermaßen multi-kulti. Ich fürchte fast, ich sitze gerade wieder dem Labskausmythos auf, denn Multi-Kulti schmeckt zwar gut, aber nicht jeden Tag, und schon gar nicht, wenn die einzigen Fernsehsender, die man in diesen Etablissements verabreicht bekommt, von der PKK gesponsort sind. Womit wir schon bei der Demokratiefähigkeit der Studentenschaft wären, und dies war eine wirklich gelungene Überleitung. Als ich noch das zarte Pflänzchen Studium goß, wucherten in meinem gelangweilten Wohlstandshirn fast vergessene Träume der 68er, und wenn ich auch annahm, man müsse sich nicht mehr auf einer Demo wegen der Bitte um
einen Stuhl im Hörsaal von Panzern überrollen lassen, so rechnete ich doch mit verschwörerischen Versammlungen bei Koks und Molotow-Cocktails. Mehr hätte ich mich nur noch irren können, wenn ich mit der Erwartung von Gruppensex in ein Benediktinerinnenkloster gegangen wäre. Das politische Potential der Vergeistigten beschränkt sich im wesentlichen darauf, die Kommilitonen zu mobben, die das Mülltrennen verweigern. Und möglicherweise ist Ihnen nicht ganz klar, warum den Studenten so daran liegt, aber Sie verkennen die Situation, wenn Sie sich nicht im klaren darüber sind, daß unsere Gesellschaft allein am seidenen Faden der Mülltrennung hängt. Die Mülltrennung begründet in Deutschland jedes Zusammengehörigkeitsgefühl, der Müll ist das gemeinsame Feindbild, seit Ossis und Wessis gezwungen wurden, einander zu mögen. Volksverräter sind die Mülltrennungsverweigerer, und knapp hinter ihnen rangieren diejenigen, die auf dem Unigelände die Frauenparkplätze besetzen, obwohl sie nachweislich einen Lümmel zwischen den Schenkeln tragen. 68er Light möchte ich das mal nennen, macht nicht dick und kostet kaum Energie. Wer Dutschkes Esprit nochmal vergegenwärtigen möchte, sollte also nicht an die Uni, sondern zu einer spiritistischen Seance gehen. Und an der Uni gibt es erfahrungsgemäß nicht wenige Spiritisten. Das liegt aber keineswegs, wie man meinen könnte, an der totalen Vergeistigung, die einem widerfährt, wenn man zugunsten geisteswissenschaftlicher Uniformität verlernt, einen Kontoauszug auszudrucken, sondern an den zwei Eckpfeilern des Universitätslebens: Erstens der Zerstörung des Soziallebens, und zweitens der körperlichen Hinrichtung. Da staunen Sie ganz schön, denn üblicherweise sollte man annehmen, wenn man mit tausenden Leidensgenossen auf den Campus strömt, habe man auch so etwas wie Sozialleben. Für
ein Sozialleben braucht man aber Dialoge, und dialogisch zu reden verlernt man eigentlich spätestens im dritten Semester. Und seien wir mal ehrlich, auch Platon hat seine Koksfantasien nur in Dialogform aufgeschrieben, weil er sich so sehr jemandem zum Reden wünschte, daß er schizo wurde. Wenn man also im dritten Semester erst mal zum Freizeitautisten geworden ist, und allein geistige Flatulenzen vor sich hin monologisiert, fehlt nur noch der körperliche Verfall, um die Uni zu dem zu machen, was sie im Grunde ist: ein Biotop für Zombies. Die Zerstörung des Körpers ist aber nur noch reine Formsache, wenn man beachtet, daß in der Mensa immer noch munter nährstofffreies Dosenfutter gereicht wird, als ob der Anblick der fetten Schranze hinter der Theke nicht schon krankheitserregend genug wäre. Zudem sind die meisten Unigebäude in Deutschland entweder asbestverseucht oder aber in bewährter Sechzigerjahre-Tradition mit PCB gebaut worden. Eine renommierte Chemikerin erläuterte einmal beiläufig, sie würde lieber an einem nuklearen Brennstab lutschen, als in einem PCB-Gebäude ein und aus zu gehen, und da die durchschnittliche Studienzeit entgegen offizieller Regelstudienzeiten bei vierzehn Semestern liegt, bekommt man genug PCB ins Nervensystem, um an Saddam Husseins privater Nervengiftolympiade teilzunehmen. Was zugegebenermaßen wenigstens eine Berufsaussicht wäre. Aber erstens wissen wir nicht, wie lange Saddam noch lebt, und zweitens haben wir kein Geld für ein Ticket in den Irak. Alternative Berufschancen lagen traditionell ja bei Taxifahren und Fensterputzen, aber ich muß gestehen, daß Studenten in beiden dieser vielversprechenden Karrierezweige tendenziell scheiße abschneiden. Wenn ich ein Taxi nehme, frage ich schon meistens, ob eine Akademikerlaufbahn vorliegt, und wenn ja, können Sie sicher
sein, daß ich lieber zu Fuß gehe, denn Studenten sind wohl die lausigsten Autofahrer unter Gottes Sonne, was natürlich auch daran liegt, daß sie die meiste Zeit aus purem Geiz ihr Auto stehengelassen haben, um das im Studentensozialtarif enthaltene Bahnticket zu nutzen. Im Grunde wäre das ganze Studentenleben ja immens lustig, wenn die Dozenten und Dozentinnen knackärschige Schönheiten wären, aber der durchschnittliche Dozent ist nicht nur dreiundsechzig, er riecht auch so, und das einzige, was bei dem noch knackt, sind Bypass und künstliche Zahnreihe. Dieser mangelnde Lebensgeist ist zeitweise dermaßen auf die armen verhärmten Gemüter der Studenten übergegangen, daß es zum Phänomen des Selbstmordtourismus kam, dessen sich manche Uni hierzulande rühmen kann. Stellen Sie sich das mal vor, da pilgern Leute aus allen Ecken des Landes in den Ruhrpott, um sich dort von einem PCB-verseuchten Germanistenkomplex in Massen brötchenkauender Unibiotopler zu stürzen. Und das ist nicht als Anatomiegrundkurs zu verstehen, auch wenn manche Leiche anschließend auf geheimnisvolle Weise im Medizinergebäude verschwunden sein soll. Was bleibt da noch übrig vom feisten Studileben, von Wein, Weib und Gesang? Ich würde sagen, Weinen, Geiz und der Strang. Eben jener, an dem ich hing, bevor ich den Auftrag annahm, Ihnen den wahren Charakter des Studentenlebens zu offenbaren. Das Bildungsniveau an den deutschen Unis ist übrigens auch lausig. Sie werden als Student also nicht nur asozial und körperlich hingerichtet, sondern auch noch dumm. Und was dabei herauskommt, sind dann Leser, die all den Unsinn glauben, den ich gerade geschrieben habe.
Extremsport – nur Selbstmord ist schöner
Neben Oberlippenbartträgern und Leuten, die Mozarella und Tomaten für das Allerheiligste der italienischen Küche halten, gibt es noch eine dritte Volksgruppe, die meinen uneingeschränkten Haß auf sich zieht: Extremsportler. Der engagierte Versuch, Nahtod-Erfahrungen zu erzwingen und dabei die Coolness sonnenbrillentragender Mischlingsrüden zu verbreiten, weckt in mir, die ich als Freundin ehrlicher und effektiver Selbstmordversuche jegliche Koketterie mit dem Tod ablehne, wahre Aversionsausbrüche. Was ja auch verständlich ist, denn der durchschnittliche Extremsportler illustriert nicht nur die unerträgliche Langeweile des bürgerlichen Daseins, sondern auch den trotzigen Versuch, durch masochistische Praktiken Sympathien zu wecken. Als ob es nicht schon maso genug wäre, sich jeden Tag aufs neue aus dem Bett zu schälen, gesellschaftsfähig zu schminken und auf der Arbeit den buckligen Recken zu mimen. Es gibt mehrere Gründe, warum langweilige Banker und abgebrochene Wiwi-Studenten sich grölend von Klippen stürzen, vierzig Tage ohne Wasser in der Wüste ausharren oder sich in von Nacktmullen bevölkerte Tropfsteinhöhlen quetschen bis zu dem Punkt, an dem vierzehn Semester Medizin nicht mehr ausreichen, um die Folgeschäden auszubügeln: Der erste Grund ist der regressive Versuch, Helden der Kindheit nachzuahmen. Warum auch nicht, denn Superman, He-Man und Reinhold Messner sprangen ja auch ständig auf oder von Wolkenkratzern und Viertausendern, und zum Dank gabs immer was zu Poppen und Ruhm und Ehre vom devoten Volk, das für jeden Christus-Ersatz dankbar ist,
vor dem es seine Willenlosigkeit und mangelnde Selbstverantwortlichkeit demonstrieren darf. Ein weiterer Grund, warum picklige Nichtskönner auf einmal Naturgesetze diskreditieren, ist ein schon in früher Kindheit verramschtes Ego, das dringend moralischer Stabilisierung bedarf. Wer in der Schule wegen Wühltisch-Klamotten und dicker Brillengläser Kloppe kriegte, ist bestens disponiert, auf einem Skatebord den Grand Canyon runterzufetzen, einfach weil man’s damit den Spöttern der Vergangenheit mal so richtig zeigt und die Pubertät endlich feierlich beerdigt werden kann. Noch erbärmlichere Subjekte denken nicht mal so weit, sondern spekulieren einfach auf den Mutterinstinkt sportinteressierter Frauen, denn freilich weckt ein jammerndes Riesenbaby, das, wie beim Bungeejumpen an einer elastischen Schnur hängt, gewisse Assoziationen. Ich komme nicht umhin, einen weiteren peinlichen Grund für jene waghalsige Methode der Selbstknechtung zu nennen: Der eklatante Mangel an Intelligenz. Wenn der dritte Anlauf, ein Buch ohne Großdruck und spielerische Verständnishilfen zu lesen scheitert und die mahnende innere Stimme, die einmal von Gravitation und Fliehkräften wußte, verstummt, öffnen sich die Tore zu den absurdesten Formen körperlicher Betätigung, und wie dieser Begriff auch schon andeutet, ist in der Tat nur der Körper dabei beschäftigt, da sich alle anderen Instanzen, durch die sich ein Mensch vom Tier zu unterscheiden wähnt, bereits verabschiedet haben. Um nur einen kleinen Einblick in die menschenfeindliche Praxis zu gewähren, sollten Sie hier einmal in die diversen Disziplinen eingeweiht werden, wobei Ihnen sicher auffallen dürfte, daß nicht nur dem Menschen, sondern auch der Sprache Hohn gesprochen wird, wenn es heißt: »U-Booting«. Ein zusammenfaltbares Subjekt quetscht sich in eine phallusförmige Kapsel, strampelt sich an den Pedalen ins
Koma und sinkt zwischen Planktonschwemmen ins Reich der Haie. Sozusagen die Reise ins Unbewußte inklusive Druckabfall und Hörsturz. Sollte die Beinmuskulatur unten nachlassen, sieht’s düster aus, aber wenn die Lungen erst voll Wasser sind, soll man ja recht euphorische Momente haben. Beim »Aqua-Canyoning« läuft das übrigens genauso, nur wuselt man da lieber in geburtenkanalähnlichen Spalten herum, bevor man absäuft, Mutter Gaia ist nämlich eine recht unangenehme Zeitgenossin. In der Luft sieht es da nicht besser aus. Sicher haben einige Menschen Angst vor Flugzeugentführungen oder unfreiwilligen Innenansichten von Wolkenkratzern, meines Erachtens rechtfertigt das aber noch nicht, einfach so aus dem Flieger auszusteigen und sich beim »Highspeed Skydiving« zu versuchen, bei dem man kopfüber mit bis zu 530 Stundenkilometer in Froschperspektive auf die Hühnerfarm des Onkels in Haselünne zurast. Wer Lust hat, sich unangespitzt in den Boden rammen zu lassen, kann doch einfach die Exfrau besuchen! Das Skysurfen kann ich ja noch weitgehend tolerieren, denn in Regionen wie Afghanistan ist das Wasser zugegebenermaßen knapp, da muß man sich schon mal behelfsmäßig arrangieren, wenn man Lust hat, zu surfen. Wenn Sie das nächste Mal bei einem SelbsterfahrungsWorkshop in der Sahara ein paar Idioten mit neonfarbenen Neoprenanzügen die Dünen runtersausen sehen, schreiben Sie es nicht einer Fata Morgana zu, denn hier handelt es sich um »Sandboardcrossing«, was sich besonders für Leute eignet, denen die Alpen zu spießig sind, weil man sich da gar nicht stilvoll liquidieren kann. Natürlich komme ich nicht umhin zu erwähnen, daß es auch ehrbare und redliche Motive gibt, Extremsportarten wie »Zorbing« oder »Flying Fox« zu fördern. Ein dynamisiertes Schweiz-Image zum Beispiel fordert seinen Tribut. Wer nicht
als touristische Einöde für zeugungsunfähige Frührentner gelten will, muß potentiellen Kunden schon was bieten. Da werden die Verunglückten ganz heimlich in die Werbekampagne geschummelt, denn Touristen sind wie Geier: Wo Tote herumliegen, da bringen sie gerne sich und ihr Portemonnaie ein. Warum sonst sollten Urlaubsgeier aller Länder ihre wohlverdiente Auszeit am Ground Zero oder bei einem horrend teuren Tauchtrip zur Titanic verbringen. In diesem Sinne: Hoch die Gläser! Auf die halbtoten und dahingeschiedenen Extremsportler, das Wasser auf den Mühlen der Marktwirtschaft!
Die Freuden der Walpurgisnacht
Am 30.4. feiern Freizeitheidinnen die Walpurgisnacht. »Dies ist die Zeit, da sich süßes Verlangen mit Entzücken paart«, heißt es in einem der zahlreichen Wie-werde-ich-eine-HexeBücher, die man sich auf verrauchten Zugtoiletten oder im Autobahnstau zu Gemüte führt. Paarung klingt ja per se schon mal gut, nur das Entzücken muß ich noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Das Beltanefest stelle ich mir als Opfer der Entmythologisierung opulent und sinnlich vor, zu deutsch: Drei Dutzend nackte Frauen tanzen im Wald um ein loderndes Feuer, bis sie ihre schwitzenden Körper widerstandslos zum stundenlangen Reigen der Wollust ineinander sinken lassen. Ein bißchen übertrieben, ich geb’s zu, und bei genauerer Betrachtung sinkt die Anzahl der betörenden Elemente doch beträchtlich. Das Beltanefest war zu Ehren des Frühlings gedacht, die Frühlingsjungfrau und der Herr des zunehmenden Jahres paarten sich, und die heidnischen Lustmolche taten es ihnen in den Äckern gleich, übrigens in der Annahme, die vergossenen Körperflüssigkeiten würden die angebauten Früchte sprießen lassen. (Das sollte man Frau Künast mal vorschlagen, das paßt vorzüglich ins Konzept der biologischen Landwirtschaft.) Ungeachtet dessen drängt sich einem die ernüchternde Realität der Heiden- und Hexenfeste auf, wenn man aufmerksam die Talkshows verfolgt, in die sich regelmäßig sogenannte Hexen verlaufen. Die lassen sich in vier Kategorien einteilen: 1. Die Ökohexe: Hat aus gesundheitlichen Gründen ihre Ernährung auf Vollwertkost umgestellt, und ist aufgrund eines
eklatanten Mangels an Alkohol und Zigaretten irr sinnig geworden. 2. Die Spiri-Hexe: Hier handelt es sich um eine geschiedene Frau oder eine politische Lesbe, deren ideologischer Hintergrund sich auf die Schwanz-ab-Mentalität reduziert, daher hat sie eine Affinität zu bösen Zaubern. 3. Die Drogen-Hexe: Hat eindeutig zuviel mit Stechäpfeln und Trompetenblumen herumgespielt und ist deswegen von dem Gedanken besessen, das reinkarnierte Böse und ein Gruftie zu sein. 4. Die Hausfrau-Hexe: Ist im Laufe der Jahre zu der Erkenntnis gekommen, daß Bügeln und Pilawa langweilig sind, und flüchtet sich daher in unkontrollierbare Allmachtsphantasien. Wenn Sie jetzt ein Déjà-vu haben, verstehe ich das. Ökos, Hausfrauen und Esos, klingt erschreckend nach Waldorfschule. Aber schweifen wir nicht ab. Die Walpurgisnacht mündet in den Tag, an dem verliebte Bauerntrampel ihren im frühen Kindesalter zugesagten Ehefrauen in spe einen abgesägten Maibaum vor die Tür stellen und in der Mitte des Dorfes ein weiterer Baum in den Boden gerammt wird. Ursprünglich war dieser Brauch ein Sinnbild für den Phallus, der in die Erde getrieben wird, um sie zu befruchten. So gesehen eine unschöne Tradition, denn wer will schon einen abgesägten Phallus vor der Tür stehen haben, der förmlich schreit: »Dieses mal war es noch die Erde, aber das nächste mal ist es dein Geburtenkanal!!« Wünsche trotzdem einen angenehmen Mai. Und halten Sie sich von birkentragenden Kartoffelfarmern fern.
Feng Shui oder: Mein Heim ist mein Elysium
Bisweilen entwickelt der Mensch ganz absonderliche Hobbys, wenn es darum geht, sein westlich-aufgeklärtes Schuldbewußtsein gegenüber seiner vernachlässigten Seele zu kompensieren. Dann springt er mit liebenswerter Putzigkeit auf den nächsten Esozug auf und freut sich darüber, daß er nun sich selbst, Kalle von der Tanke und die einmal im Monat besuchte Nutte davon überzeugen kann, er sei ein geläuterter, weil wieder in den Einklang mit den kosmischen Gesetzen gebrachter Idealmensch. Ein besonders trendiges Beispiel für diese Konsequenz menschlichen Identitätszwangs ist Feng Shui. Das ist weder eine Kampfsportart für kleinwüchsige Frauen noch eine Meditationsart für Chefschiffachbauarbeiter, sondern eine dem Taoismus entsprungene Methode, sein Eigenheim in ein energetisch fließendes Elysium zu verwandeln. Manche nennen es auch spiritistisches Möbelrücken für Neureiche, und diese Bezeichnung hat zugegebenermaßen gewisse Berechtigung. Wer sich auf dem Markt des Feng Shui einen Überblick verschaffen will, der gerät in einen ideologischen Krieg, der an Blutigkeit kaum zu überbieten ist. Dabei ist es so einfach: Da sind die puristischen Hongkong-Feng-Shui-Anhänger, die sich eingedenk der jahrtausendealten chinesischen Tradition erst mal arbeitslos melden, um den ganzen Tag lang Teezeremonien feiern zu können. Dann sind da die zwei Schulen des Kompass-Feng-Shui und des Landschafts-Feng-Shui, in denen es darum geht, das Mietreihenhaus in Köln-Stammheim wahlweise in ein
energetisch ausgemessenes gleichschenkliges Dreieck oder in ein Ikebana-Bordell zu verwandeln. Die hierzulande beliebteste Tradition ist aber die der EsoHausfrau, die in ihrer zwanghaften Art, Nippes zu sammeln, die Porzellanpuppen und Fabergé-Eier gegen Windspiele und Panflöten austauscht und von da an auf der Welle ihrer geistigen Ausgeglichenheit an ihren ehelichen Pflichten vorbeischwebt. Dieser Art des Feng Shui zufolge gilt es, vier Dinge zu erreichen: Gesundheit, materiellen Wohlstand, ausgeglichene Partnerschaft und Harmonie mit der Natur. Was sich westlich etwa so anhört: Akzeptabler Cholesterinspiegel, ‘nen Sechser im Lotto, Poppen bis der Arzt kommt und ab und zu ein Joint zur Johannes B. Kerner Show. Da der intelligenzresistente deutsche Kleinbürger von Taoismus etwa soviel versteht wie Jürgen Drews von Frauen, ist es wesentlich einfacher, die Schule der energetischen Selbstreparatur auf Dinge zu reduzieren, die die westliche Matschbirne verarbeiten kann. Weswegen eine Feng-Shui-Beratung hierzulande meist in folgende Tipps ausartet: 1. Hängen Sie möglichst viele Spiegel in Ihre Wohnung. Damit potenziert sich die positive Energie, so oft sie sich spiegelt. Die Folge ist natürlich, daß man nicht mal mehr den Weg zum Kühlschrank findet, weil man sich im hei mischen Spiegellabyrinth den Hals bricht. Runden Sie alle Ecken ab, denn spitze Formen ziehen negative Energie, das sogenannte Sha, an. Was nicht unwesentlich dazu beiträgt, daß das Wohnzimmer etwas Gummizellenartiges ausstrahlt. Ist aber optimal, falls Sie sich mal besaufen und stürzen, denn an runden Ecken hat sich noch niemand das Hirn zu Brei geschlagen. 3. Schließen Sie den Toilettendeckel. Gute Energien verflüchtigen sich sonst durch die geöffnete Toilette, und negative Energien aus dem Abort dringen in Ihre Wohnung.
Was sich auch einfacher sagen ließe: Deckel drauf, sonst stinkt’s. 4. Schalten Sie alle Elektrosmogquellen aus, oder das böse Sha manipuliert Ihre Gehirnwellen. Hier möchte ich fast eine indirekte Aufforderung zur Entsagung an die Zivilisation lesen. Ohne einen Fernseher mit Arte-Programm dürfte die klägliche Erhaltungsdosis Intelligenz, die das deutsche Gehirn täglich absorbiert, vollständig dem Tode geweiht sein, und ohne Radiowecker schafft’s auch keiner mehr ins Büro, womit Sie dann freundlichst an den oben erwähnten arbeitslosen Teezeremonienmeister verwiesen werden. Feng Shui erweist sich als mit der westlichen Kultur völlig inkompatibel, trägt man der chinesischen Tradition Rechnung, für ein energetisches Ideal die Ahnen im Vorgarten zu beerdigen. Der Deutsche tut sich mit solchen Vorschlägen erfahrungsgemäß ein wenig schwer, und die Leute, die hier Leichen im Garten horten, enden meist in einer der Justizvollzugsanstalten, in die bis heute bekanntlich wenig des beflügelnden Feng-Shui-Esprits vorgedrungen ist. Wenig beliebt ist hier auch der Geisterglaube, der der Inneneinrichtungsreligion zugrunde liegt. Wenn da die Rede von arealgebundenen Naturgeistern, linearen Fluggeistern und Kellergeistern ist, denen man doch bitte blaue Tore an die Wand malen soll, damit sie den Ausgang finden, wenn sie nachts auf Tour gehen, schüttelt der Deutsche verständnislos mit dem Kopf wie ein falsch instruierter Wackeldackel und wirft schüchtern seine gute, aber wenig hilfreiche Kenntnis von Himbeergeist ein. Ungeachtet dessen wird Feng Shui gern in Anspruch genommen, auch wenn Feng-Shui-Inneneinrichter, die Avonberater der pekuniären Transzendenz, bis zu mehreren Tausend Euro dafür einsacken, daß sie in der Küche Bierkästen in karmakompatible Ecken rücken und Stehpinkler an das
mahnende Toilettendeckelschließgesetz erinnern. Mit Geomantie kommt man hierzulande nicht weit, da sich die Deutung der Erdkräfte wohl eher auf die Diskussion der Grundstückspreise beschränkt. Bimmelnde Deckenglöckchen, Ikea-Deckenfluter und harntreibende blubbernde Stubenbrunnen täuschen wohl kaum darüber hinweg, daß wir von asiatischer Spiritualität so weit entfernt sind wie StuckradBarre davon, ein guter Schriftsteller zu sein. Die chinesische Architekturbereinigung deswegen als Heilslehre zu betrachten, ist eine eklatante Dummheit, wenn man beachtet, daß ein echter Feng-Shui-Chinese bereit ist, Berge abzutragen und Flüsse zu begradigen, um göttliches Korrektiv an der Natur zu spielen. Statt krankhafter Naturbeherrschung und schuldhafter Pseudospiritualität schlage ich vor, Sie hängen sich ein geiles Britney-Spears-Poster an die Wand, vertiefen sich in die Kunst der Masturbation und lesen ab und zu ein Buch ohne Bilder. Dann klappt’s auch mit dem Fluß zwischen Herz und Hirn. Und den Toilettendeckel können Sie ja trotzdem unten lassen.
Zeiten ändern sich – Leute nie
Im Morgengrauen des heutigen Tages saß ich in der Gelsenkirchener Straßenbahn, die sich knarrend durch das stinkende Armutsgelände unseres schönen, aber doch irgendwie vermodernden Landes windet, und lauschte unverhohlen indiskret der Öffentliche-VerkehrsmittelKonversation zweier in die Jahre gekommener Schranzen. Auf den Umstand, daß es sich um eine Öffentliche-VerkehrsmittelKonversation handelte, weise ich wohlwollend hin, weil in der Regel selbst eher intellektuell vernachlässigte Exemplare der Gattung Mensch außerhalb eines Mediums, in dem das Gespräch mit dem Gegenüber jederzeit Gefahr läuft, durch das Erreichen des Zielbahnhofs unterbrochen zu werden, größere Weisheiten absondern, als es ihnen zwischen »Auf Schalke« und »Gelsenkirchen Buhr« möglich ist. Da tritt dann im Zuge der Zeitnot an die Stelle einer illuminierenden Betrachtung über tradierte Kulturgüter und deren Dekonstruktion schon mal ein »Ja watt, Zeiten ändern sich eben, woll!« So war es auch in diesem Fall, und während ich mich innerlich schon an der Vorstellung weidete, die beiden Damen zum Kaffee einzuladen, nur um sie dann hinterrücks auf einem Markt für Zuchtsauen an den höchstbietenden grantigen und ein bißchen nach Exkrementen riechenden Bauern zu verhökern, erreichte eine weitere der monumentalen Straßenbahnsentenzen mein überreiztes Ohr: »Et wird doch alles weniger in Deutschland!« O ja, es wird alles weniger, fiel ich innerlich bestätigend in diesen Chor ein. Gestern hatte ich noch vier Tafeln Schokolade, heute sind nur noch zwei davon da, wie ich unter kolikartigem Bauchschmerz bekennen muß. Gestern meine ich
auch im Aldi nur eine Kassiererin gesehen zu haben anstatt zwei. Was geht da vor? Wird am Ende nicht nur alles weniger, sondern es verflüchtigt sich eine komplette Hälfte Deutschlands auf Nimmerwiedersehen? Wenn das die ostdeutsche wäre, dann kenne ich einige Leute, die darüber gar nicht so traurig wären. Aber sprechen wir über eine andere Klientel neben der der Straßenbahnphilosophen, die in meinem Unterbauch heute ein gewisses Kribbeln verursacht, das sich bedauerlicherweise nicht kecker Verliebtheit verdankt, sondern vielmehr einer allergischen Reaktion meines psychischen Haushaltes: Die Fassadenmenschen. Dort, wo die Seelentiefe eines Menschen nicht unbedingt mit dem Marianengraben in Konkurrenz tritt, müssen Extremitäten oder andere Ersatzteile meterhoch hervorragen, um das Fehlende zu entschuldigen. Da wuselt sich ein Bart behende den Brustkorb eines Mannes herunter, dort ragen toupierte Haartürme gotisch in den Himmel, oder High Heels rütteln bedrohlich am Thron der Zwanzig-MeterFrau. Die Straßen sind voll von solchen Posern, man stolpert über Frisurenrebellen, Modezarinnen und sonstige schillernd aussehende Egomanen jeglicher Couleur. Verwickelt man diese auratisch ausufernden VIP’s des Bürgersteigs in ein Gespräch, sagen sie nur »Hallo ich bin der Ewald, und ich mache eine Lehre zum Versicherungsangestellten.« Vor solcherlei Blendern möchte ich mich manchmal mitten im Einkaufsparadies aufbauen, mein wuselndes Haar abschneiden, die High Heels übers Knie brechen wie der muskulöse Mann die Flinte auf dem legendären »Schwerter zu Pflugscharen«-Sticker und die versammelten seelischen Flachgewässer mit meiner Tiefstapelei demütigen. Alternativ dazu könnte ich mich auch einfach mit ein paar Salzstangen vor den Fernseher setzen und meine durch Milzunterfunktion und Übermut entstandenen Visionen von der Befreiung der
Menschheit im Schwachsinn der sogenannten Nachrichten bei RTL ertränken. Ich komme also nach Hause und versuche meine soeben injizierte Dosis Gelsenkirchener Realität mit ein wenig Fernsehfiktion verdaulicher zu machen. Es begrüßt mich eine fröhlich blondgelockte Katja Burkhard, ihres Zeichens vom Logopäden aufgegebene Berufslisplerin und geförderte Ehefrau des Chefredakteurs Hans Mahr, die sich noch im fehlerfreien Vorlesen welterschütternder News übt. Britney Spears hat Mundgeruch höre ich da und hadere innerlich schon ein bißchen mit Gott, wie ein gewisser Hiob das tat, als auch ihm vergleichsweise unerfreuliche Nachrichten überbracht wurden. Na, hoffentlich sagt das niemand den GFs im Irak, die das Bild des Popluders im Spind hängen haben, sonst haben die am Ende wirklich einen Grund, Selbstmord zu begehen. Forget Saddam! Britney suffers from Halitosis! – Boom! Kopfschuß. Madonna habe sich beklagt, daß Brit vor der ludrigen Kußeinlage bei den MTV-Awards eine Zigarette geraucht habe, sie schmecke ja scheußlich wie ein Aschenbecher. Skandalös. Wie ein Aschenbecher soll ja auch Clark Gable geschmeckt haben, und der sah dabei auch noch scheiße aus. Schlimmer noch traf es aber Marilyn Monroe, von der Tommy Noonan sagte, sie küsse wie ein Staubsauger. Gab es damals eigentlich schon Staubsauger mit 1600 Watt? Tony Curtis fand sogar, man könne orale Intimitäten mit der Monroe nur damit vergleichen, Hitler zu küssen. Finde ich jetzt gar nicht mal so charmant, zumal man Hitler nachsagt, auch unter Halitose gelitten zu haben. Das hat aber kaum einer erfahren, weil ja Madonna ihn nicht geküßt und ihren Ekel bei Katja Burkhard gepetzt und rausposaunt hat. Was für weite Kreise diese Nachrichten meines Lieblingssenders ziehen. Scharfsinniger Journalismus setzt sich eben doch durch.
Am Ende dieser als Nachrichtensendung bezeichneten geistigen Nullrunde, durch die ich immer noch nicht weiß, was eigentlich in puncto Politik passiert ist, nur um dafür bestens über die mundhygienischen Defekte populärer Girlies informiert zu sein, burkhardelt die Queen des schmerzhaften Zischlauts dann auch noch den Evergreen »Die Zeiten ändern sich.« Wo um alles in der Welt ich das heute wohl schon gehört habe…
Used Look geht in die Hose
Wer sich eine halbe Nacht lang in Brennessel setzt, um bei der Musterung Hämorrhoiden vorzutäuschen, wer der ersten Freundin erzählt, er habe schon lustwandelnd den Zenit menschlicher Fleischeslust überschritten, oder wer sich mit frisierten Bewerbungsunterlagen für den Halbtagsjob im Lidl bewirbt, der ist in unserer Zeit gerade richtig: Die Blender und Schaumschläger, die notorischen Vortäuscher sind in, und sie alle tragen den »Used Look«. Der Used Look täuscht vor, man habe seine Jahre in diesem Jammertal schon ehrenvoll abgelitten. Dabei streifte man versonnen durch dornenbewachsene Einöden, immer die Flagge menschlicher Leidensfähigkeit gegen alle Widerstände hochhaltend, man schritt salbungsvoll durch flirrende Wüstenluft und sah den dahingerafften Nomaden beim Sterben zu, denen es mit der passenden Jeanswear sicher besser ergangen wäre, und man wußte sich auch gegen Tsunamis zu behaupten, wie sie so menschenverachtend über kleine, aber idyllische Dörfer fegten und einem außer Kontrolle geratenen Würgeengel gleich Tod und Verderben über rechtschaffene Mittelständler brachten. All dem vermochte die Hose, die da so heroisch ihren Abrieb zelebriert, standzuhalten, und der Mensch in ihr auch, weswegen er mit größter Dankbarkeit an seinem bleichen, ausgebeulten Kleidungsstück festhält. Auch die Frau, die nach teurem Parfüm roch und unzweideutig zu verstehen gab, daß sie bereit sei, genommen zu werden, konnte den Helden nicht dazu animieren, sein geliebtes Kleidungsstück abzulegen; nur ein halbherziges Öffnen des Reißverschlusses war drin. Und am Ende eines langen erfüllten Lebens war es nicht die
Familie, nicht der beste Freund oder der Erbe, der am Grab unseres Helden stand und ihm zum letzten Geleit noch einen Vierzeiler sang, sondern die Hose, die dann auch anschließend ganz tüchtig mit dem Schicksal haderte und den Verlust nicht so ohne weiteres hinzunehmen gedachte. So weit die Theorie, die mir durch den Kopf geht, wenn ich in den Bus steige und wieder einen Abiturienten mit abgeriebener, sputumartig gelblich daherkommender Jeans beobachte. Die Realität sieht wohl eher so aus, daß all jene, die früher die Lebensgeschichte anderer Menschen absorbierten, indem sie Kleidung aus einem Second-Hand-Laden kauften, fanden, daß es weitaus hygienischer sei, die Klamotten nicht von verschwitzten Körperteilen fremder Leute abschmirgeln zu lassen, sondern von der Industrie. Die Industrie ist so nett und stellt Hosen, Jacken und Sweater her, die den Anschein erwecken, als habe der Dreizehnjährige schon Lebenserfahrung satt, obwohl sein Horizont bis dato nur Kelloggs, Onanie und »Die Simpsons« umfaßt. Da das nun aber schon jeder zweite Dahergelaufene trägt, und eine industriell auf schmuddlig getrimmte Hose doch marginale Unterschiede zu einer vollgeschissenen und verschorften Hose eines pestbeulenübersäten Pennbruders vom Frankfurter Straßenstrich aufweist, ist eigentlich jedem klar, daß es sich hierbei um einen gesellschaftlichen Code handelt. Die Used-Look-Frau suggeriert dem Used-Look-Mann: »Hey, ich seh zwar gebraucht aus, bin es aber gar nicht!« Und der Mann wiederum läßt die Frau wissen: »Du, ich bin zwar nicht durch Dornbüsche und Tsunamis gelaufen, aber ich bin kraß erfahren!« Einen gewissen Hang zum Phlegma kann man dem Trend freilich auch entnehmen, denn während es in den Achtzigern noch kultig war, auf den Ätna zu steigen und unter
lebensbedrohenden Bedingungen Lavasteine einzusammeln, die man dann zu Hause, sehr zum Ärger von Muttern, mit der Jeans in die Waschmaschine stopfte, um eine »Homemade Stonewashed« zu kreieren, läßt man den ganzen Haufen Arbeit heute beim Hersteller. Der wird’s schon richten und muß Mama auch keine neue Waschmaschine kaufen. Insgesamt kann man resümieren, daß die Leute ganz schön faul werden. Was die vorgekochte Nudel im Supermarkt anrichtet, das vollbringt die Used Klamotte in der Mode. Überhaupt läßt sich seit dem Used Look auch in allen anderen Lebensbereichen zunehmend der Trend zur Faulheit diagnostizieren: Eingekauft wird nur noch auf ebay, wo die Produkte garantiert mit Staubschicht und Wertverlust bei Ihnen eintrudeln, Tiere werden auch nur noch aus dem Tierheim gekauft, weil die erstens schon angenehme Gebrauchsspuren haben, was die Griffigkeit verstärkt, und weil zweitens die sich virulent vermehrenden, nervtötenden Tiervermittlungsshows im Fernsehen uns glauben machen, daß die Anschaffung eines neuen Tieres einem Völkermord gleichkomme. Und den Kanzler haben wir ja – und das bereuen Sie möglicherweise bei jedem Kauf einer Dose Cola und für den Rest des Tages auch noch – auch ein zweites Mal gewählt, weil wir dachten, gebraucht mache was her. Da sehen Sie mal: Kleider machen Leute.
Pfui Deibel! Die Heiligen und ihr Abwasserkult
Urknall, Schöpfung, Tag eins der Erde und Gott sprach: »Es sollen die Wasser wimmeln vom Gewimmel lebendiger Wesen!« (Genesis 1,20). Gnadenkapelle Altötting, Sommer 2003: Das Wasser lebt. Mit den vom Institut für Hygiene der LMU München festgestellten hundert Millionen Keimen pro Milliliter Weihwasser dürfte die Altöttinger Gnadenkapelle als belebtester Platz der Erde gelten. Ob Gott sich das so vorgestellt hat? Man sollte eben vorsichtig sein mit seinen Wünschen! Mit dem nur noch vage an Wasser erinnernden Schleim der Wallfahrtskirche können fast alle der zehn kürzlich getesteten heiligen Bekreuzigungswässerchen mithalten. In Ärztezeitschriften überschlägt man sich – ohne eine gewisse Süffisanz zu verbergen – vor Besorgtheit, schließlich kommen Sporen und koagulase positive Staphylokokken allenfalls noch in Klärschlamm und im chinesischen Restaurant vor. Hautfetzen, Rädertierchen, Pilzhyphen, Flagellaten und Actinomyceten tummelten sich übrigens auch in den Belebtschlammflocken, die sich die Gläubigen da artig in die Gesichter schmieren, aber die ersten bayrischen Katholiken – auf dieses Drama angesprochen – reagieren betont kämpferisch; es müsse eben der Bischof härter durchgreifen, um die Sekte der Flagellaten zu verbieten. Daß es sich dabei aber nicht so sehr um Häretiker, sondern mehr um Ärsche von Diskusfischen bevölkernde Geißeltierchen handelt, realisiert die bayrische Öffentlichkeit erst durch einen aufklärenden Artikel der Süddeutschen Zeitung. Bestenfalls Durchfall bekomme man
davon, so Experten, schlimmstenfalls Furunkel und Abszesse. Und nun ist man in heller Aufruhr. Ist es am Ende gar nicht die himmelschreiende Borniertheit eines selbstverliebten Klerus, der die Kirchen entvölkert, sondern eine von Verwesungsbakterien verursachte Seuche? Schon greift Paranoia um sich, wo ist eigentlich Tante Trudi, letzten Sonntag war sie doch noch in der Kirche, und nun ward sie nicht mehr gesehen… ein paar Flagellatenopfer weiter, und schon ist die Dorfkirche das neue Bermuda-Dreieck. Und es kommt ja noch viel schlimmer. Denn seit sich einige Pfarrer die göttliche Barmherzigkeit zu eigen gemacht und Drogenabhängigen und Stadtstreichern ihre Kirche als Schlafplatz angeboten haben, hat man sogar schon possierliche Heroinjunkies mit Mut zur Sauberkeit ihr Besteck in den Weihwasserbecken waschen sehen. Bevor Sie jetzt einen Grund haben in die Kirche zu rennen; diese Heroinreste sind wirklich nur auf mikroskopischer Ebene relevant, den Kick müssen Sie sich schon woanders holen. Nun gäbe man den Christen ja nur Grund, sich wieder betont exklusiv zu fühlen, wäre die Chose mit dem verseuchten heiligen Wasser nicht religionsübergreifend und so alt wie die Menschheit selbst. Uriella rührte seinerzeit in Athrumwasser herum, das so von Eiterkeimen bevölkert war, daß es verboten wurde (obwohl ihre Frisur den Tatbestand der Körperverletzung ebenso erfüllte). Der Zamzam-Brunnen in Mekka ist allenfalls ein wahres Mekka der Darmbakterien. Am schlimmsten aber trifft es die Hindus, denn der Ganges müßte eigentlich geschlossen werden wie eine in Verruf geratene Dorfdisco. Dort nämlich glänzt man mit Keimen, die die Altöttinger Wattwurmhütte aussehen lassen wie einen sterilen OP-Saal. Wer denkt, die mangelnde Hygiene des praktizierten Hinduismus erschöpfe sich in einer nicht ganz durchschaubaren und möglicherweise sogar anrüchigen
Verbundenheit mit stinkenden Kühen, irrt gewaltig: Im Ganges waschen sich nicht nur die Kranken, denen schon mal im Zuge religiöser Begeisterung ein lepröser Arm abfällt, sondern hier bekommen auch die zu Asche verkokelten Leichen der Frommen ihren unspektakulären Abgang ins muffelnde Paradies. Mit Ausnahme der Priester und Kinder, die ihrer Reinheit wegen nicht verbrannt werden dürfen und ähnlich wie Mafiaopfer mit Mühlstein um den Hals in der Mitte des Flusses versenkt werden, geht ausnahmslos jeder, der etwas auf sich hält, den Ganges runter, lieber tot als lebendig. Man weiß also im Grunde nie, wessen Leiche man gerade trinkt, wenn man sich das angeblich von Sünden reinigende Schlickwasser einverleibt. Ungeachtet der Tatsache, daß das Hygienedesaster in Indien ein offenes Geheimnis ist, reagieren die meisten Hindus auf die Frage »Wülste mal ne Tasse Opa?« doch eher gereizt bis verständnislos. Und sei’s drum, denn in Indien hat man auch andere Sorgen als in Deutschland, wo auf der händeringenden Suche nach Fernsehbeiträgen schon mal die Kokken auf öffentlichen Türklinken oder – schlimmer noch – sogar Esther Schweins’ tote Bulldogge ins Zentrum des Interesses rücken. Das ganze Bohai mit dem christlichen Abwasserkult jedenfalls wäre sicher dramatisch, lenkte es nicht von der eigentlichen Problematik ab: Kirchenaustritte liegen an der Tagesordnung, und die einzigen, die sich in der Kirche vermehren, sind die Keime. Allerdings ist es der allgemeinen Vernunftverknappung zuzuschreiben, wenn ein Angriff gegen die Kirche auf dem Boden erbsenzählerischer Keimanalysen steht. Zumal der Klerus uns doch den Gefallen tut, wesentlich schwachsinnigeres als Spulwürmer in Puttenschüsseln zu offerieren. Spätestens wenn man die letzte Verlautbarung Kardinal Ratzingers zur als »Legalisierung des Bösen«
titulierten homosexuellen Lebensgemeinschaft und die damit ausgesprochene Aufforderung zur Rechtsbeugung gelesen hat, dürfte einem das eigentliche Problem klar werden: In deutschen Weihwasserbecken findet sich mehr intelligentes Leben als im Vatikan.
Katz und Köter sind doch nur Ausdruck deiner (Un)Kultur
Früher, als man sich Tiere noch aus den Gründen anschaffte, aus denen Gott sie schuf – also um sie zu frittieren, sie dem Nachbar auf den Hals zu hetzen oder sie als Übungsobjekt für die anstehende Hochzeitsnacht zu benutzen – hatte die Rassenfrage keine Relevanz. Es war einem egal, ob die Schwiegermutter im Kartoffelkeller unter einer fauchenden Straßenkatze oder einer reinblütigen Burmesin lag; Hauptsache sie war für den Moment mal außer Gefecht gesetzt. Auch kümmerte es herzlich wenig, ob der Köter, den man gerade versehentlich beim Einparken erwischt hatte, Personalien bei sich trug, die ihn als reinrassigen Entlebucher Sennenhund auswiesen. Allenfalls ein paar kauzige Vertreter des Adels erlaubten sich die Dekadenz, ihre Betten nur von edlen Kammerhunden anwärmen zu lassen oder auf Gemälden mit fetten Siamkatzen zu posieren, die sie wahlweise gehäutet um den Hals gewickelt trugen oder aber lebendig auf ihrem Schoß drapierten. Heute, in einer Zeit, in der richtige Statussymbole wie Autos oder überdimensionale Geschlechtsmerkmale unbezahlbar sind, greift man auf diese Schrullen freilich gern zurück. Denn das richtige Rassetier ist nicht nur Exempel eines ausschweifenden Lebensstils, sondern es öffnet einem auch noch die Tür zu einer Welt mit ganz eigener Logik, in der noch der letzte Verlierer die Möglichkeit hat, einmal zu glänzen. Erfahrungsgemäß bevorzugen Frauen Katzen, weil diese ihre devote Haltung gekonnt hinter einer Fassade der Eigensinnigkeit zu verstecken wissen. Männer hingegen halten es da lieber mit Hunden, deren eklatanten Mangel an
Persönlichkeit man dadurch kompensieren kann, daß man ihnen eine Reihe sinnloser Kunststücke beibringt, wie etwa sich auf Kommando an den Genitalien zu lecken oder Kind aus der Nachbarschaft mal mit bissigem Nachdruck zu erklären, daß ihm sein Gesicht nicht steht. Die Reproduktion der Geschlechterrollen im Bereich der Tierzucht ist vergleichsweise harmlos, hingegen artet die Kundenorientiertheit der Rassezucht doch manchmal in Komik aus. Für Neurodermitiker, deren Haut sich bei Kontakt mit Hunden erfahrungsgemäß von den Knochen schält, erfand man den Basenji, der im eigentlichen Sinne kein Hund, sondern eine Katze ist, weswegen er auch nicht bellt, sondern jodelt. Faulen Katzenliebhabern, denen das Bürsten ihres Tieres zuviel Arbeit ist, bietet man eine Nacktkatze an, deren Lebensunfähigkeit höchstens noch von ihrer Häßlichkeit übertroffen wird. Und für Leute, die eigentlich eine Amphibie halten wollen, aber vom Vermieter nicht die Genehmigung bekamen, erschuf man die Gesichtsruinen der Perserkatzen. Die Rassestandards der Züchtergilden lesen sich wie Werkzeuginstruktionen aus dem Baumarkt, und in puncto höhere Mathematik kann man einem Züchter, der die Proportion des Widerrists zum Rumpf und vom Buggelenk zum Sitzbeinhöcker ausrechnet, nur wenig vormachen. Die vom Zuchtverein vorgeschriebenen Rassestandards beschränken sich jedoch nicht auf die Tiere. Auch der Mensch der sich ein genetisch optimiertes Inzesthündchen anschaffen will, muß gewisse Standards erfüllen, die vom Züchter gegebenenfalls mit der angemessenen militärischen Härte eingefordert werden. So entnehmen wir dem Infoblättchen des Beagle Club Deutschlands, daß eine Frau, die sich einen Beagle hält, gefälligst eine Hausfrau im heiligen Stand der Ehe zu sein habe. Die ideale Besetzung für einen Jagdhund ist eben der beim Ertönen des Halali stramm im Bett aufsitzende Gatte
und die lächelnd das Hirschmotiv über dem Kamin abstaubende Gemahlin. Nun sind es aber die trauten Zwiegespräche in der U-Bahn die dem Selektionswahn gewisser Hobbygötter nachhaltig Sinn verleihen. Hat die neue Bekanntschaft auf dem Sitz gegenüber nämlich erst mal erwähnt, daß sie eine verlauste dreibeinige Hauskatze aus dem Tierheim beherbergt, kann man als Besitzerin eines reinblütigen Neunhundert-Euro-Tieres immer betont pikiert die rechte Augenbraue heben, die Stimme leicht durch die aufeinandergepreßten Zähne zischen lassen und erwidern: »Ach ja? Ich habe ja eine Japanese Bobtail Langhaar Tortie!«, womit dann die Standesunterschiede gekonnt ins Gespräch eingeflossen wären, ohne daß man aufdringlicherweise mit Kontoauszügen herumwedeln oder Immobilienaktien vorzeigen mußte. Der kriegerische Graben zwischen Tierheimbefürwortern und Zuchttierliebhabern könnte ohnehin größer nicht sein. Auf der einen Seite sind da die ewig jammernden selbsternannten Samariter, deren Ehrgefühl proportional zu den Behinderungen des gepeinigten Tierheiminsassen wächst, und auf der anderen Seite haben wir die Snobs, die kein Tier kaufen, das in seinem Stammbaum nicht mindestens drei Gewinner internationaler Wettbewerbe nachweisen kann. Zur ersten Gruppe darf man nicht nur die ledigen Damen zählen, die in Ermangelung einer sinnvollen Beschäftigung oder eines vorzeigbaren Äußeren jeden Sonntag wie gebannt die Sendung »Tiere suchen ein Zuhause« verfolgen, sondern auch jene Verbrecher an deutscher Geschichte, die sich nicht scheuten, im Zusammenhang mit der Kampfhunddiskussion den Davidstern auf ihre beißwütigen Tölen zu heften. Zur zweiten Gruppe darf man jene zählen, die lieber an den Genen eines Tieres herumpfuschen, als sich einen neuen Teppich zu kaufen, der farblich besser zu ihm paßt. Beiden ist gemein, daß sie die
Stasi blaß aussehen lassen, wenn es um die Prüfung der Würdigkeit eines Käufers geht. Wer einmal versucht hat, ein Tierheimkrüppelchen oder den Ableger eines preisgekrönten Zuchttieres zu erwerben, wird wissen, daß die Auflagen der deutschen Justizvollzugsanstalt ein Dreck dagegen sind, denn mit Hinterlegen des Personalausweises und der Sozialversicherungsnummer, wöchentlichen Kontrollanrufen und höchsten Vertragsstrafen bei Nichteinhalten der Auflagen ist es nicht getan. Im Grunde tauscht man in Deutschland seine Seele gegen ein registriertes Tier ein. Falls Sie Ihre behalten wollen: Versuchen Sie es doch mal mit einem Zweibeiner.
Irrwege der Evolution Ein Besuch im Steroidtempel
Als mich neulich eine etwa dreihundert Kilo wiegende Kollegin auf der Arbeit mit den Worten begrüßte: »Huch, du hast aber ein kleines Bäuchlein bekommen«, schwante mir schlimmes. Ich hakte im Geiste schnell alle flüchtigen Bahnhofnischenbekanntschaften ab und kam erleichtert zu dem Ergebnis: nicht schwanger. Womit ich immer noch vor dem Problem stand von einer durch die Flure rollenden Matrone beleidigt worden zu sein, deren linker Arm ungefähr soviel wog wie ich. Ich bin aber kein nachtragender Typ und ließ es daher dabei bewenden sie anzuspucken und nach Feierabend ein paar Fotos von ihr unter Angabe ihrer Telefonnummer auf eine SodomieWebsite zu stellen. Ungeachtet dessen nagte es an mir, und ich stellte mich den Fakten: Wenn man um die Ecke kommt und das erste, was die Leute sehen, ist die Plauze, dann schreit das förmlich nach sportlicher Betätigung. Ich kannte bis dato nur Marathonläufe vom Fernseher zum Kühlschrank und zurück, aber da das bis heute in keinem sportlichen Event als Disziplin zugelassen ist, muß ich wohl annehmen, daß es nicht so körperstählend ist, wie ich annahm. Mein gekränktes Ego fackelte nicht lange und kaufte eine Monatskarte für die Muckibude. Die sind zwar echt out, weil heute ja nur noch Wellness-Sport hip und schön und geil macht, aber für das Geld, das die Wellness-Gurus verlangen, kann ich mir auch einen plastischen Chirurgen nach Hause bestellen, der mir nach den täglichen OPs sogar noch Steak und Röstkartoffeln kocht und abends Schlaflieder für mich
singt. Will man sportliche Betätigung mit dem Restbudget eines finanziellen Verlierers, dann kann man getrost in eine dieser konservativen Eisenstemmhütten gehen. Gesagt, getan. Wie ich feststellen mußte, trifft man dort auf drei Sorten von Menschen: Als erstes sind da die dürren Hänflinge, die früher in der Schule immer verprügelt oder ohne Hosen aus der Straßenbahn geworfen wurden und die sich nun mit einer Phantasie vom Amoklauf im Gemüseladen an der Ecke am Leben erhalten. Für diese Zukunftsvision von der infernalischen Rache stehen sie tagein, tagaus vor dem Spiegel im Studio und stemmen unter unmenschlichen Kraftanstrengungen und animalischen Grunzlauten 250Gramm-Hanteln. Das sieht nicht nur ungemein amüsant aus, es führt auch zu nichts. Die zweite Spezies sieht ungleich beeindruckender aus: Mit einer Spannweite, die meine Ikea-Einbauküche vor Neid erblassen läßt, sitzen diese unkontrolliert wuchernden Trolle an der Bar und absorbieren einen Fünftausend-KalorienEiweißdrink nach dem anderen, während ihre schwitzigen Handtücher auf den Fitneßgeräten wie die übelriechende Spur eines rolligen Frettchens ihr Revier markieren. Sollten Sie einmal den Fehler begehen, eine scheinbar herrenlose Maschine, auf der eines dieser Handtücher liegt, benutzen zu wollen, werden Sie Zeuge des seltenen Schauspiels, daß ein Fleischberg vom Barhocker springt und ihnen unter fast schon biblisch anmutenden Strafpredigten deutlich macht, daß Sie an seinem reservierten Gerät nichts zu suchen haben. Das ist sehr unschön und könnte Ihnen möglicherweise eine anatomische Generalüberholung verschaffen, aber den Versuch ist es allemal wert, schließlich haben Sie für Ihre Monatskarte ja auch bezahlt, allerdings nicht soviel wie der Fleischklops für seine Hormone.
Die dritte Spezies, der Sie im Studio begegnen werden, sind die Anwärterinnen auf den Totalumbau, unter Unkundigen auch »Frauen« genannt. Da eine Operation für Transsexuelle nicht nur ungemein teuer ist, sondern auch jahrelange Beobachtung durch einen Psychologen verlangt, entscheiden sich viele eben für den leichteren Weg, den des Bodybuilding, schließlich will man ja auch die Krankenkassenleistungen in Zeiten wie diesen nicht unnötig ausreizen. Jene Frauen stehen meistens mit roter Signalfarbenkleidung in einem unbeobachteten Winkel des Studios und knacken Paranüsse mit ihren keilförmig ausufernden Pobacken. Da Steroide sich nicht so gut mit weiblicher Anatomie vertragen, fallen der Metamorphose zunächst einmal die Brüste zum Opfer, und da diese umgehend durch naturidentische Gummititten ersetzt werden, sind Fitneßfrauen auch die ungekrönten Hauptsponsorinnen der Silikonindustrie. Aber auch Haarwuchs – wenn man mal von dem auf der Brust absieht – ist nicht unbedingt etwas, was durch Anabolikasnacks begünstigt wird, und so ist es inzwischen zum weiblichen Chique geworden, auf dem Kopf ein mühselig toupiertes Vogelnest aus Resthaar zu tragen. Weder darauf, noch auf die Tatsache, daß sie sich gut auf einem Acker zur Vertreibung saatfressender Krähen machen würden, sollten Sie jene Frauen ansprechen, wenn Sie noch ein paar triste Runden in Ihrem irdischen Dasein zu drehen gedenken. In Muskelfabriken gibt es zum Ausgleich für diese optischen Nervenüberreizungen auch Entspannung pur. Nirgends könnte es schöner sein als in der gemischten Sauna. Gemischt muß sie ja schon deshalb sein, weil man selbst als Profi Männlein und Weiblein nicht mehr auseinanderzuhalten vermag. Da sehen Sie mal, mit welchem politischen Engagement die Bodybuilderszene an der Auflösung der Geschlechterrollen arbeitet!
Aber zurück zur Muckibude. »Mens sana in corpore sano« lese ich da irgendwo auf einem lieblos angebrachten Motivationsposter, und da ich weder Altphilologin noch Muskelfetischistin bin, kann ich mir so gar nicht erklären, was das eigentlich zu bedeuten haben soll. An den Maschinen tummeln sich möglicherweise vom Studiobesitzer für ihr Erscheinen bezahlte Muskelikonen. Ein bißchen hingerichtet fühle ich mich irgendwie – als einzig schmächtiges Wesen inmitten all dieser gemästeten Zuchtbullen. Die Logik meines Weltbildes ist aber auch beunruhigend. Ich gehe davon aus, daß die Evolution zwei Arten von Menschen hervorgebracht hat: Die Starken und die Schlauen. Nachdem die Starken in den ersten paar Milliönchen Jahren das Kommando hatten, und sich mit Töten, Rauben und Zwangsbegattungen so richtig amüsierten, wurden sie von der Natur fairerweise ausgesondert, und es blieben die Schlauen übrig. Richtig ist, daß Dinge wie Big Brother und Windows diese Theorie hoffnungslos unterwandern, aber dennoch möchte ich in meinem grenzenlosen Optimismus davon ausgehen. Folgerichtig fühle ich mich in diesem Fitneß-Studio wie zurückversetzt in wüste Urzeit, und auf einmal scheint die evolutionäre Anstrengung der Dezimierung völlig vergebens gewesen zu sein. Daß dieses Trauerspiel an die Massenmörderin in mir appelliert können Sie sich ja denken, aber als die unfreundliche Blicke auf sich ziehende Minderheit, die ich bin, verhalte ich mich ruhig. Im Nebenraum, olfaktorisch getrennt vom beißenden Tiergeruch der schwitzenden Männer, toben sich, unter dem Drillgeschrei einer cellulitefreien soldatischen Trainerin weibliche Aerobicfreaks aus. Als ich eine anwesende Hotstepperin frage, was es mit diesem urkomisch aussehenden Rumgehüpfe auf sich habe, gibt sie sich richtig Mühe, mir das Konzept dieser angeblich verkannten Sportart zu erläutern.
Was Aerobic aber wirklich heißt, und da lasse ich mir ungern reinreden, ist: Beim Staubsaugen Wolle Petry hören. Da ich mich weder dazu animieren kann, mit den anwesenden PetryAnhängerinnen meine Backen zum Beben zu bringen, noch mich mit diktatorischen Grunzern um Maschinen zu kloppen, die zu bedienen ich ohnehin nie in der Lage sein werde, setze ich mich an die Theke, an der ich mich über muskelfördernde Ernährung und quietschbunte Dopingdrinks beraten lasse. Neben mir holen sich spärlich bekleidete Muskelprimaten ihre Wochenration an Nahrungsmittelsurrogaten ab. Sie glauben gar nicht, wie angestrengt Bodybuilder Lebensmittelästhetik und die Kniffe der Verpackungsindustrie umgehen. Das sogenannte Essen wird einfach in Zehn-Kilo-Eimern gereicht und besteht aus wasserlöslichem Eiweißpulver. Gerade stelle ich mir vor, wie wohl eine Einladung zum Essen unter solchen Leuten aussieht: Acht geladene Gäste in roten Stringtangas sitzen an einem badewannengroßen Schweinetrog und hängen die Zunge in einen angerührten Brei, der nicht nur riecht und schmeckt wie Flüssigzement, sondern auch wirklich gute Erfolge beim alternativen Häuserbau vorzuweisen hat. Ab und zu platzt einer überzeugten Vogelnesthaarträgerin eine Gummibrust, deren Inhalt sich, von den anderen schnaufend fressenden Mutanten unkommentiert, in den vorverdauten Brei ergießt. Aber meine Phantasie geht mit mir durch. Nachdem der Tresen-Tarzan mir einen besagten Schweineeimer zu einem menschenverhöhnenden Preis angeboten hat, lache ich ablehnend und folge einem verlockenden Hinweisschild: »Relaxation Room«. Ich muß gestehen, mich noch nicht wirklich überarbeitet zu haben, und doch ist mir schon ein wenig schwummerig von all den kalorienzehrenden Eindrücken. Mit der Absicht, ein liebliches Nickerchen zu halten, nach dem ich vielleicht sogar aus diesem Alptraum erwache, schiebe ich einen schweren Vorhang
beiseite und trete in einen Raum voller Entspannungssessel, in denen man sich unter musikalischer Berieselung einer EsoShop-CD von den Strapazen der Fettreduktion erholen kann. Wenn man vom Fressen und Schlafen neuerdings Muskeln bekommt, dann frage ich mich, warum ich als ungekrönte Meisterin dieser beiden Disziplinen immer noch keine Wasserflasche heben kann, ohne mir die Leisten zu brechen. Aber wie so viele intellektuelle Meisterschaften verliere ich auch diese, der Gewinner wird gekürt, ich gehe leer aus und stehe allein in meinem Niemandsland der Dummen. Eigentlich bin ich ja nicht nur ins Fitneß-Studio gegangen, weil der Spott der Fettsüchtigen mich quälte, sondern auch, weil es mich schon immer brennend interessiert hat, ob Hoden wirklich auf Rosinengröße schrumpfen, wenn man diesen Sport mit allen ernährungstechnischen und pharmazeutischen Spitzfindigkeiten ernsthaft praktiziert. Ich hatte mir auch fest vorgenommen, einen der anwesenden Fleischberge zu fragen. Aber das wäre ungefähr so schlau, wie einen Pitbull in den Allerwertesten zu treten, um herauszufinden ob diese Hunde sich wirklich so unnachgiebig verbeißen, wie man ihnen nachsagt. Lassen wir also der Menschheit eines ihrer letzten Geheimnisse. Im Grunde will es ja sowieso keiner wissen.
Homoehe oder: Wie man sich lächerlich macht, wenn man keine Ahnung von Demokratie hat
Ich glaube, mit dem Problem der Namensgebung für dieses Projekt wird schon deutlich, daß einige Leute sich etwas schwer tun, wenn es um die partnerschaftliche Verbändelung nicht-heterosexueller Menschen geht. »Ehe« darf es ja nicht heißen, weil erstens Gott keine Homos mag, und zweitens diese Institution auch nicht so ätzend werden soll wie das staatlich abgesegnete Dahinsterben des Individuums in der bürgerlichen Symbiose. »Eingetragene Partnerschaft« klingt irgendwie nach Volkszählung oder Deportationslisten, und »Verpartnerung« ist wohl das schrecklichste Unwort seit der Kreation des Begriffs »enteisent«, den wir tagtäglich auf Mineralwasserflaschen lesen dürfen. Die Verhomoquasiehelichung hat unter Parteien einiges an Fehden verursacht, aber außer dem steinzeitlichen Gegrunze von Seiten der CDU ist dem ahnungslosen Bürger leider gar nicht bewußt, zu wieviel satirischem Potential sich Meinungen aus dem Politdschungel verdichten. Auf einer kleinen Reise durchs Internet erlaube ich mir einmal, mir intellektuelle Standpunkte politisch motivierter Mitbürger zu verinnerlichen: Naheliegend ist ja ein Besuch auf der Seite der »Feministischen Partei«. Dort findet sich zum Thema Tribadenverbändelung rein gar nichts. Lediglich der Hinweis darauf, daß die Partei die »Abschaffung jeglicher Sonderregelungen für Ehepaare« fordert, legt die Vermutung nahe, daß die Damen nicht besonders auf die Ehe abfahren,
aber mal ehrlich: wer will auch schon eine sandalettentragende Schreihälsin mit Domina-Attitüde heiraten. Deutlicher werden da schon unsere Brüder und Schwestern von der »Partei bibeltreuer Christen«, die sich schenkelklopfend über den langersehnten Kreuzzug freuen und sich darüber empören, daß den armen Irren aus dem warmen Lager nicht »Heilung und Befreiung« angeboten wird, sondern so etwas Nutzloses wie Grundrechte. Stimmt auch wieder, was soll man auch damit, die Homos sollen doch erst mal den aufrechten Gang lernen und beim Logopäden den nasalen Unterton entfernen lassen. Ähnlich verhält es sich mit der »Christlichen Mitte«, die sich in ihrer maßlosen Güte darum sorgt, ob zwei gleichgeschlechtliche Körper einander sexuell entsprechen können. Ein wenig Abstraktionsvermögen zugunsten eines Sexualaktes, der anatomisch nicht wie Arsch auf Eimer paßt, scheint den Laienerlösern wohl aufgrund ihrer Abstinenz verlorengegangen zu sein. Die »Anarchistische Pogo Partei Deutschlands«, in der Vergangenheit nicht immer für scharfsinnige Gesellschaftsanalysen berühmt, scheint es allerdings mit den Sexualakten übertrieben zu haben, anders kann ich mir das eklatante Fehlen von Inhalt auf der Seite nicht erklären. In der »Mfz«, der »Mitfickzentrale«, können bislang unbegattete Subjekte ein sogenanntes »Fickgesuch« aufgeben. Möglicherweise zeichnet sich hierin aber bereits ein subtiles Statement zur Ehe ab, innerhalb derer solcherlei Aktivitäten ja unüblich zu sein pflegen, was meines Erachtens immer schon gegen diese possierliche Institution gesprochen hat. Bei den weniger ficklastigen, aber nicht minder inhaltlich schwächelnden »Republikanern« finde ich außer einer lausig animierten wehenden Deutschlandfahne und dem schlechtesten HTML-Code seit Erfindung des Internet irgendwie gar nichts.
Der Hinweis auf ein nötiges Ende der Zuwanderung korrespondiert aber auch nicht unbedingt mit der Errungenschaft der Warme-Brüder-und-SchwesternVerlebensabschnittspartnerlichung, daß ausländische Partner nun ein Zuwanderungsrecht erhalten. Nun, da ich weiß, wie die Rama-Familien Deutschlands denken, treibt es mich natürlich in die Homolager. Nicht selten stoße ich dabei auf Aktionen wie »Wir scheißen auf euer JaWort« oder die »Aktion Neinwort«, deren Homepage aber auf ungeklärte Weise abhanden gekommen zu sein scheint. Plattgemacht vom staatlich durchgesetzten Ja? Wieso kann es eigentlich keiner keinem rechtmachen? Der Verdacht liegt nahe, daß eingestaubte Ehefanatiker einen nahezu unübertroffenen Freßneid entwickeln. Denn dem deutschen Durchschnittsbürger gehört ja nichts außer den Ehepapieren und einem Kohlegrill am Campingplatz KölnStammheim. Wenn demnächst boa-tragende Subjekte sich erstere unter den Nagel reißen und auf letzteren ihre Würstchen legen, dann kommt das einem anarchischen Overkill gleich. Mit den Tribaden ist das ja noch um einiges schlimmer. Wenn die sich jetzt eintragen lassen, dann halten die quasi eine Beglaubigung ihres Penetrationsdesinteresses in den Händen. Und das wiederum kann man nur als Kriegserklärung gegen den männlichen Genitalbereich verstehen, so man als Mann etwas auf sich hält. Wie kann der Staat so etwas fördern? Aber auch auf Seiten der Homos tun sich Abgründe auf. Offenbar scheinen hier einige zu fürchten, daß sie ihres Sonderstatus beraubt werden. Das heißt dann wohl: keine Fütterungseinheiten mehr im Zoo, kein Arschwackeln zum Grand Prix, und bitte auch keine Quotenschwulen und -lesben mehr in den Soaps. Schließlich muß man für Normales keine Werbung machen. Auf der Arbeit kann man künftig nicht mehr
sagen »Sorry fürs Zuspätkommen, aber ich bin im Park von Homophoben zusammengeschlagen worden«, denn dort steht ja jetzt die SPD und wedelt ihren neuen Wählern mit Palmstrunken frische Luft zu, und überhaupt wird alles viel unbequemer. Den im Koma liegenden Partner muß man nun tatsächlich im Krankenhaus besuchen, da man ja jetzt ein eheähnliches Verhältnis hat, und Fremdgehen macht auch gleich keinen Spaß mehr, denn am Ende muß man bei einer Scheidung nur Alimente abdrücken. In der Tat scheint die ganze Ehetümelei nur eine Strategie zu sein, um arme Homosexuelle ihrer Privilegien zu berauben und dabei gleich noch die christlichen Fundamente unseres Staates zu untergraben. Dabei könnte es so schön sein. Ich will mal sehr frei nach Jesus zitieren, dem ja von gewissen Lümmeln nicht selten nachgesagt wird, auch eine kleine Vorliebe für das eigene Geschlecht gehabt zu haben: »Wer Hände hat zu nehmen, der nehme.« Für alle anderen: Laßt es halt.
Handy hoch oder es klingelt!
Über den Nutzen von Handys ist schon viel spekuliert worden. Gerade in einem diskussionsfreudigen Land wie unserem gibt es kaum eine größere Freude, als Errungenschaften der Technik zu problematisieren, eingedenk der Tatsache, daß alles Neue erst mal von Natur aus schlecht ist. Die zahlreichen vorsteinzeitlichen Kampagnen zur Untergrabung der Handyverbreitung finden aber sicher nur deshalb statt, weil die Multifunktionalität dieses Gerätes nicht unwesentlich unterschätzt wird. Gerne helfe ich der Diskussion auf die Sprünge, indem ich auf die unleugbaren Vorteile einer totalen Mobiltelefonschwemme hinweise. Als sich 1987 dreizehn europäische Staaten auf das pan-europäische digitale Mobilfunknetz GSM einigten, bimmelte es eigentlich noch recht motivationslos in einigen Managerhosen. Niemand konnte ahnen, daß der ultimative Anspruch auf Wichtigkeit auch bald schon Hausfrauen, Kleinkinder und Haustiere ereilen würde. Spätestens seit 1998 ist es doch aber so, daß sich handylose Haushalte nur noch in Amish-Kreisen oder in Heimen handyinkompatibler Contergankinder finden. Außerhalb dieser Gruppen leistet das mobile Telefon ungeheure kulturelle Dienste. Seit es die verschiedenen Klingeltöne gibt, die sowohl Popcharts als auch die chinesische Oper abdecken, kann man sein Gegenüber bereits ohne jeglichen Gesprächskontakt ausreichend klassifizieren. Das smarte Lächeln eines zeugungsfähigen jungen Mannes in der Straßenbahn wird doch um einiges relativiert, wenn dieser auf einen Anruf aufmerksam wird, weil in seiner Schweinslederimitat-Tasche
tATu ein Liedchen trällert. Hier können Sie schon mal getrost darauf verzichten, sich zu einem Kaffee überreden zu lassen, da es sich bei Ihrem Gegenüber offenbar um einen Pädophilen handelt. Dasselbe gilt übrigens für die Damenwahl. Sollte die Frau Ihrer Wahl auf einmal eines dieser Handys zücken, die ungefähr so groß sind wie ein durchschnittlicher Daumennagel, ist es keine grobe Verletzung von Tatsachen, wenn Sie davon ausgehen, daß Sie eine Feministin mit ausgeprägtem Kastrationswunsch vor sich haben. Sollte Ihnen etwas an Ihrer Männlichkeit liegen, ist es spätestens dann an der Zeit, das Weite zu suchen. Die Form des Handys ist im allgemeinen sehr aufschlußreich, denn nicht selten tragen Männer mit wenig ausgeprägtem Ego und noch weniger ausgeprägter Potenz ihr Handy als Genitalattrappe in ihrem Schritt. Seit das Handy alternativ zum Klingeln auch vibrieren kann, ist das sowieso von besonderem Reiz, und möglicherweise wird eine Partnersuche infolgedessen völlig unnötig. Das Mobiltelefon als ausreichenden Partnerersatz zu betrachten, wird ohnehin von den Anbietern gefördert. Fürs Handy kann man Sesselchen kaufen, Oberschalen, Freisprechanlagen, auswechselbare Displays (auch das Handy will mal die Unterwäsche wechseln), und sicher gibt es auch bald das Handydeo, das Handykondom und die offizielle Handybeerdigung auf dem kirchlichen Friedhof nach kompetenter Einäscherung des Plastikfreundes im Handykrematorium. Kleinere Rückschläge in der Entfaltung des Handycharismas nimmt man da gern in kauf, beispielsweise ist das WAPSystem ein totaler Reinfall, was nicht zuletzt daran liegt, daß die Auflösung von Pornofilmen aus dem Internet auf dem kleinen Display eines Mobiltelefons nicht eben wenig leidet.
Für Gesundheitsfanatiker, die es mit unerträglicher Militanz darauf anlegen, älter als dreißig zu werden, ist das mobile Telefon natürlich ein Graus, da das Gebimmel nicht nur beim Meditieren über einem Joint störend wirkt, sondern auch, weil man dem kleinen Allroundtalent nachsagt, eine ungesunde Strahlung abzusondern. Auch das ist nicht ganz korrekt. Die Strahlung eines Handys führt lediglich zu einer geringen Erhitzung der inneren Organe, was bei optimalen Bedingungen aber sogar von Vorteil sein kann. Ein durch Wärme angeregtes Zellwachstum des Gehirns beispielsweise dürfte sogar zu einem derartigen Intelligenzzuwachs führen, daß Deutschland sich erneut zu einem Volk der Dichter und Denker aufschwingen könnte. Auf die kleineren Hilfestellungen im Alltag möchte ich nur kurz hinweisen, aber sicher ist Ihnen auch schon aufgefallen, daß die meisten Handys sich vorzüglich als Totschläger, Wecker, Taschenlampen und Röntgengeräte eignen, und viele Leute haben schon erleichtert aufgeatmet, daß sie ihren in der Toilette ertrinkenden Terrier wiederfanden, weil in seinem Bauch ein Handy Sturm klingelte. Zu guter Letzt hat noch das SMS-System zu einer Entschwafelung unseres redseligen Volkes beigetragen, und es gibt keine pointiertere Methode, als eine Beziehung per SMS mit maximal 160 Zeichen zu beenden. Mal ehrlich: Was gibt es denn noch zu sagen als »Viel Spaß mit den Kindern. Ich bin weg.«? Die feindselige Haltung gegenüber Handys geht mittlerweile sogar so weit, daß man den Garant ewiger Erreichbarkeit nun schon in Flugzeugen und Krankenhäusern ausschalten muß, nur weil einige fürchten, man könne arglose Touristen entsorgen oder wichtige Herzlungenmaschinen entmagnetisieren.
Aber fordert nicht jede Revolution ihre Opfer? Wie viele Ochsenkarren stürzten die Klippen hinab, bis man darauf kam, das Rad rund zu bauen, anstatt viereckig? Wie viele flügeltragende Pioniere ersoffen im Meer, bevor das erste Flugzeug startete? Wir brauchen mehr Pioniergeist. Und Gott helfe uns im Kampf gegen das Funkloch.
Deutschland auf Diät
Während die übrige Welt den Sommer feiert, kommen wir in den Genuß des deutschen Äquivalents: Partiell lichtdurchlässiger Himmel mit leichter Wärmeausstrahlung. Und schon kriechen sie wieder hinter Strohhalmen hervor und fliegen federleicht an einem vorbei wie die vielzitierten äthiopischen Biafrakinder aus abgeschmackten Grundschulwitzen der Siebziger: Die ewig Schlanken. Als unerträglich aversiver Stimulus fettleibiger Couchpotatoes gleiten sie süffisant grinsend an überzeugten Doppelkinnträgern vorbei und versetzen eine ganze Nation in Haß und Kriegslaune. Es ist aber auch so ungerecht: Da unterscheidet sich der Mensch wenigstens in einer Hinsicht vom Tier, indem er einer ungezügelten und naturverhöhnenden Freßlust nachgeht, und schon kommen die skelettierten Joghurtfresser daher und deklarieren diesen Fortschritt der Evolution zur Barbarei. Sie skaten auf Rollerblades durch den Park, überschreiten aufgrund ihrer Windschnittigkeit nicht selten die Höchstgeschwindigkeitsgebote für deutsche Autobahnen und lassen jeden Bauchträger hinter sich, allein mit seinen unansehnlichen Schwitzflecken und einem Schnaufen, das klingt, als würde jeder weitere Schritt nun unvermeidbar die Agonie einläuten. Infamerweise tragen diese aerodynamischen Stadtgazellen auch noch immer ein orgasmisch anmutendes Glück in den Augen, das den Triumph der Asketen über die dionysischen Futterverwerter höhnisch bebildert. Der Affront ist unerträglich: Dann kommen die Walküren scharenweise in deutsche Talkshow gestampft, mieten zwei Stühle für jede Arschbacke an und kreischen aus verschwitzten Gesichtern,
auf denen unter Schweißströmen dekomponiertes Make Up den baldigen Herztod der gekränkten Schlemmerinnen orakelt, die Empörung in alle vier Himmelsrichtungen. »Ich bin fett, weil ich mal mit Kortison behandelt wurde!« heißt es dann, und ähnlich wie in Italien, wo alle vermeintlichen Kreuzsplitterreliquien addiert etwa vierhunderttausend Kreuze ergäben, für die weltweit nicht genügend Erlöser aufzutreiben wären, so verhält es sich auch mit dem Kortisonhaushalt Deutschlands: Addierte man alle Wabbelbrüder und -schwestern, die sich ihre Unschuld mit dem Kortisonargument erschleichen, so müßte die deutsche Industrie allein aus kortisonproduzierenden Gewerben bestehen. Als nächste Ausrede muß das klassische »Ich bin fett, weil meine Mutter mich als Kind gemästet hat!« herhalten. Hat der Mensch sich erst mal selbst zur willenlosen Stopfgans degradiert, ist denn wohl auch nicht mehr durch so fundierte psychologische Betreuung, wie Bärbel Schäfer und Jörg Pilawa sie anzubieten pflegten, zu helfen. Den Freßfetischisten ist aber eigentlich recht einfach beizukommen, wenn auch manche Hilfe anmutet wie ein Relikt aus mittelalterlicher Folterkultur: Da hätten wir zum ersten die Fettabsaugung. Diese wird von RTL immer pünktlich zum Abendessen live übertragen! – Ich wünsche guten Appetit! Wenn Sie noch nie das Vergnügen hatten, neben einer Kadaververwertungsanstalt zu wohnen, sollten Sie sich solche Sendungen nicht entgehen lassen! Zum zweiten hätten wir da die ungemein effektive Maßnahme der Kieferverdrahtung. Der Maulkorb für notorische Zuckerschlucker empfiehlt sich unter anderem für Ehepaare, denn hält der Partner endlich mal die Schnauze. Cunnilingus ist dann natürlich erst mal passe, aber selber machen hat auch was. Eine dritte martialische Maßnahme zur Fettreduktion ist der Aufenthalt in Kältekammern. Der bedeutet eigentlich
nichts anderes, als daß man gegen Rezept im Kühlhaus beim Dorfmetzger neben dem Schwein abhängen darf, das man sich eigentlich zwischen zwei Stullen legen wollte. Des weiteren wird einem angeboten, einen Magenballon zu schlucken. Das, was man normalerweise vor dem Zolldurchgang macht, um Mutti ein bißchen Koks mitzubringen, wird hier zur zwangsdiätischen Maßnahme. Klassisch ist da eher die Abführpille. Sitz dich schlank mit Diarrhöe! Nach einem exzessiven Aufenthalt im Wohnklo bleibt eventuell die Darmflora auf der Strecke, aber ohne Darm wird man erfahrungsgemäß rasch ansehnlich schlank. Die Magenverkleinerung auf Erbsengröße ist auch längst kein Geheimtip mehr. Wo nix ist, kann man auch nix reinstopfen, heißt es hier bei dieser sensiblen Art der Eß-Erziehung, und abgesehen davon ist das ein längst fälliges Pendant zur bundesdeutschen Hirnverkleinerung, zu der sich sehr viele Leute entschieden haben, lange schon bevor sie verlernten richtig zu essen. Problem erledigt, Dicker halbiert. Für spießige Leute, die nicht bereit sind, ihr Leben dem uniformen Schlankheitsdiktat zu opfern, halten immer noch Diäten her. »Bauch weg mit der Erdbeerkur«, »Fett adieu mit der Eierdiät« oder sogar »Endlich schlank mit der Bierdiät« titelt es von den Hetzschriften der Schlankheitsschutzstaffel, und diese Diäten spekulieren erfahrungsgemäß einfach auf den Suizid frustrierter Mangelernährter, der ja auch letztendlich zu einer nicht unbeachtlichen Gewichtsreduktion beiträgt. Für völlig unbelehrbare Kalorienjunkies muß jedoch eine Fettsteuer her! Wieso sollte es Mastmenschen da anders gehen als Rauchern und Freizeitalkis? Auch jene frönen nur einer kleinen Leidenschaft, die Leiden schafft. Und seien wir mal ehrlich: Wenn ich die Wahl habe, in der Straßenbahn neben einem Wodka ausdünstenden Arbeitslosen und einem wie schorfige Nacktkatzen schwitzenden Zwölftonner zu stehen,
der mich bei der nächsten Linkskurve unter sich begraben wird, bis ich leicht angesäuert über die Lethe schippere, dann entscheide ich mich doch für ersteren! Wirklich schlimm ist es hingegen mit den Dünnen, die ihre vermeintliche Gesundheit strahlend vor sich hertragen, bis es zum traurigen Wiedersehen in der vierteiligen Sendung »Anorexia nervosa – Da waren’s nur noch drei (Kilo)« kommt. Unter der dynamisch-erfolgreichen Hülle sportlicher Gelegenheitsesser wuchert nämlich schon der kalorienarme Tod, und das höhnische Lächeln entblößt nicht selten eine durch chronische Eß-Brechsucht angegriffene Mundflora. Am Pranger stehen derweil die bösen Medien, die nur dünne Leute liebhaben, gleich neben den noch böseren Computergameherstellern, die für Mord und Totschlag und Lehrerschwund an deutschen Schulen verantwortlich sind. Falls es nun heißt, ich diskreditierte die Dünnen: Aber nein! Ich finde es schön, Anatomie zu studieren, seit die Leichen nicht mehr in der Pathologie liegen, sondern im Park umherjoggen. Und für alle, die jetzt denken, ich hätte was gegen Dicke: Nicht doch! Jeder sollte einen haben. Im Vorratskeller, für schlechte Zeiten.
Rauchwerk. Schmöken fürs Finanzloch
Wenn die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Mißverständnisse ist, dann ist die des Rauchens eine komplett verständnisresistente. Dabei fing alles so harmlos an: Die alten Griechen, Römer und Kelten verlustierten sich nämlich nicht nur bei der Knabenliebe und obskuren Zauberritualen, sondern auch beim Inhalieren natürlichen Rauchwerks, wenn dies auch zunächst vorwiegend aus so unappetitlichen Zutaten wie Kuhdung bestand. Rollte sich der Grieche von nebenan mal wieder ‘nen Fladen und die Schwaden lustvoll züngelnder, verrauchender Scheiße stiegen gen Himmel, dann war der Mikrokosmos der Dorfgemeinschaft mit sich im reinen und das Leben schlichtweg schön. Aufgrund des diffusen Gefühls allgegenwärtig wabernder Religion wurden dann auch solche Institutionen wie das Orakel von Delphi häufig besucht, und erst heute weiß man, daß sich hinter diesem wohlklingenden Namen nur eine lorbeeren- und gersteschmauchende Hausfrau verbarg, deren Summe guter News parallel zu dem Grad ihrer Bekifftheit stieg. Es war also in jedem Fall besser, sie am Abend aufzusuchen, was sich Ödipus ja bekanntermaßen nicht zu Herzen nahm. War der Zustand des Stoned-Seins nun also quasi zum völkerverbindenden Motiv schlechthin geworden, so bedurfte es freilich nur einer hinterfotzigen Spezies, um diesen paradiesähnlichen Zustand zunichte zu machen: der Christen. Bartolome de las Casas, ein kleiner galliger spanischer Mönch, entdeckte das Rauchen und nannte es kreativerweise »Tabaktrinken« (wenigstens mußte sich der Klerus nicht mehr mit der Frage beschäftigen, warum sich manche Leute
Exkremente auf Lunge einverleiben). Und ein Laster sei es obendrein, allein schon, weil es Vergnügen bereite. Aufgrund des Fehlens einer zweiten Gehirnzelle rief so bald der erste Großinquisitor aus, der Rauch, der da gewissen Leuten aus der Nase ströme, könne ja nur der schwefelhaltige Qualm des Höllenpfuhles sein, und schwupps war es aus mit der Sonntagmorgenfluppe, insbesondere nachdem Papst Urban VIII. dann auch noch schriftlich seinem Wunsch Nachdruck verlieh, der Mob möge doch bittschön in der Heiligen Messe nicht so unziemlich paffen, während der Priester sich abmühe, den lieben Herrgott in die Oblatenschüssel zu zerren. Auch die widerständige Haltung einiger Mediziner, die den Patienten lieber eine Pfeife als die lebensrettende Medizin verschrieben, änderte nur wenig; der Ruf der Raucher war ruiniert. Hatte sich in den Köpfen der Bürger erst mal eingenistet, daß Rauchen unerlaubt viel Spaß bereite, darüber hinaus im Grunde zweckfrei und somit reine Zeit- und Materialverschwendung sei, war es bis zur Kriminalisierung des Rauchers kein weiter Weg mehr: Raucher seien ja eigentlich Brandherde, die in ihrer Unachtsamkeit ganze Forstgebiete und Wohnanlagen auslöschten, sie seien der Untergang der Wirtschaft und unsittliche, verrohte Barbaren. Ihre Kinder seien grau und todgeweiht, die Männer unfähig zu arbeiten, da ihnen schon beim Bleistiftheben graues Sputum aus dem Hals tropfe, und die Frauen hysterisch und gereizt, weil sie bis in die Muttermilch vergiftet seien. Erledigt waren die Raucher! Stiegen nachts in ihre Keller hinab, um sich heimlich einen Tabakstengel anzuzünden und dabei um die vom Rauchen dahingeraffte Kraft ihrer Lenden zu weinen. Und so ist es bis heute geblieben. Der Raucher ist kein Thema der hysterisch-frohsinnigen Werbespots, in denen unterernährte deotragende Mittzwanziger durch paradiesisch
unberührte Wiesen tänzeln, der Raucher hat nichts zu melden in Restaurants, in denen er das Essen anderer Leute durch die Ausdünstungen aus seinen Poren verseucht. Er ist ein Niemand in Fahrstühlen, in denen sein Atem empfindliche Charaktere zu affektiertem Hüsteln veranlaßt, und in U-Bahnhöfen gleicht seine Präsenz einer Bedrohung durch biologische Waffen. Er ist der Außerirdische, der keine normalen Vitaminpräparate zu sich nehmen darf, weil sie in Kombination mit Zigaretten angeblich zum Spontantod führen, er ist der gelbzahnige Stinker, der sich nicht zum Zahnarzt traut, er ist der ewige Single, weil kein Partner sich damit abfindet, beim Sex immer Glut im Auge zu haben. Nur ein paar fiktive Spielwiesen sind dem Raucher geblieben, auf denen er leben und für einen Moment seinen Makel vergessen darf: So darf er in Hollywoodstreifen ungestraft Kette rauchen, und auch in schmuddligen Bars kann er, mit nie versiegender Tristesse über sein Bier gebeugt, seinem Laster frönen. Es ist kein Geheimnis, daß es nach der Inquisition die nicht minder unnachgiebige Spezies der Gesundheitsdiktatoren ist, die die Raucher geradezu in den kollektiven Selbstmord treibt. Raucher sterben ja nicht nur bis zu zwölf Jahre früher als Nichtraucher, nein sie reißen auch noch unschuldige Passivraucher mit in den Tod. Wenn Sie einen Raucher kennen, ist die Amputation eines Beines bei Ihnen quasi schon ausgemachte Sache! All jene Statistiken beweisen letztendlich aber nur, daß Yoghurette-Esser nicht nur unsäglich bescheuert aussehen, sondern auch des Denkens nicht mächtig sind. Was über Belastungen des Gesundheitssystems durch Raucher fabuliert wird, kann ja schon deshalb nicht stimmen, weil diese ja, zwölf Jahre vor ihrem von Gott vorhergesehenen Ableben, schon längst tot sind. Was man in zwölf Jahren spart, wird dann in
die Askeseterroristen investiert, die nach einem traurigen, nicht enden wollenden Veganerleben an der Herz-Lungen-Maschine liegen und sich der Herrschaft des Todes wehleidigerweise immer noch nicht stellen wollen. Auch die Rentenleistung entfällt für tote sowie bedingt lebende, junge Raucher. Der Sozialstaat hingegen wird von Rauchern subventioniert, und innere Sicherheit ist zu einem Thema geworden, das sich allein der rauchenden Subjekte in diesem Land verdankt. Darüber hinaus leisten Raucher auch mehr als jeder selbsternannte Guru, indem sie, fast schon mit stoischer Erhabenheit oder mit asiatischer Gleichmut der Zweckfreiheit huldigend, dem Tod trotzig ins Messer laufen und dabei eine Lebensfreude artikulieren, die ein Gesundheitsapostel nicht mal erlangen würde, wenn man ihm unbegrenzten Zugang zum Morphiumdepot des hiesigen Landeskrankenhauses gestattete. Sinniger als der schon fast auffordernde Hinweis »Rauchen verursacht Krebs!« auf den Zigarettenpackungen wäre also in Zukunft ein möglicherweise auch ikonographisch hübsch umgesetztes »Rauchen macht Sie zu einem besseren Menschen. Und bessere Menschen machen eine bessere Welt. Danke!«
Mit Mousehand geschriebene Glosse
»Schatz, kommst du auch Verbotene Liebe gucken?« fragte die Wurstfachverkäuferin Gerda W. aus K. ihren Verlobten Martin. »Ja, ich geh nur eben nochmal schnell online!« antwortete der. Acht Tage später trug man seine vor dem immer noch flimmernden PC zusammengesackte, stark verwesende Leiche aus dem Zwei-Zimmer-Apartment, und Gerda roch auch schon ein bißchen komisch, was aber wohl daran lag, daß sie mittags noch Sauerkraut mit Würstchen gegessen hatte, ohne sich anschließend ordentlich die Zähne zu putzen. Martin ist nur einer unter vielen sogenannten »Internetsüchtigen«, die ihre Passion mit dem Leben bezahlen. Angeblich. Gleichermaßen Berufsklugscheißer wie auch nicht approbierte Psychologen schmeißen bereits seit Jahren geldgeil sabbernd mit so wichtig klingenden Vokabeln um sich wie »Online Addiction«, »Internet Addiction Disorder« (IAD), »Pathological Internet Use« (PIU) oder »Cyberdisorder«, und auch wenig an Medizin oder Psychologie interessierte Subjekte geizen nicht mit prägnanten Kosenamen wie »Chatgurke«, »Cyberwichser« oder »Onlineschmock«, um das unverstandene Hobby des Partners in der Hierarchie der Unmöglichkeiten noch unter dem Stehpinkeln oder der Pediküre einzuordnen. Was hat es damit auf sich? Ist der ambitionierte Internetuser eine neue Spezies, die es verdient, sich auf der Psychologencouch zu wälzen, während Therapeuten, die nicht einmal des HTML-Codierens mächtig sind, ihnen an der Online-Libido herumkastrieren?
Der New Yorker Psychologe Ivan Goldberg erfand die »Internetsucht« im Jahr 1995 eigentlich ja mit der Absicht, seine von der seelischen Verramschtheit der Menschen gelangweilten Kollegen zu belustigen, weil denen allmählich die Psychosen und Neurosen ausgingen. Da Humor unter Ärzten und Psychologen aber etwa so häufig vorkommt wie Menstruationsbeschwerden bei Männern, nahmen jene das Krankheitsbild ernst, und ein paar hypochondrisch veranlagte Stubenhocker fanden sich in den beschriebenen Symptomen auch gleich wieder, weswegen sie in das ertönende Lamento einstimmten, sich selbst für krank und todgeweiht erklärten und die Seelenflicker, die schon mal Platz im Portemonnaie machten, mit E-Mail-Hilferufen überfluteten. Diesen paranoiden Selbstbeobachtern und den humorresistenten Metzgern des Seelenlebens haben wir es heute zu verdanken, daß Eltern Detektive auf ihre Kinder ansetzen, um deren Onlinezeiten zu bespitzeln, daß Ehefrauen bei der Telefonseelsorge anrufen, wenn der Mann auf Ebay ahnungslos einen Tortenheber für Mutti kauft, und daß Kollegen einen als kontaktgestörten Autoerotiker bezeichnen, nur weil man potentielle Lebensgefährten per Internet zurechtgoogelt oder in Erotikchats ab und an zur manuellen Selbsthilfe greift. Daß das Chatten und Shoppen, Surfen und Onlinegamezocken eine Krankheit ist, stützt sich bis dato immer noch auf einen offenbar unter diarrhöischen Krämpfen auf der Toilette erarbeiteten Vergleich mit der Spielsucht, die ihre Kriterien wiederum einem noch unprofessionelleren Vergleich mit der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen verdankt. In sogenannten Onlinesucht-Ambulanzen, die extra eingerichtet wurden, damit Internetuser sich endlich mal richtig krank fühlen dürfen, bekommt man deswegen auch gleich mehrere dämliche Fragen gestellt, die einen mit Fixern,
Säufern und pferderennsüchtigen Neureichen zwangssolidarisieren: Psychoklempner: Besteht bei Ihnen ein starkes Verlangen nach dem Internetgebrauch? Gesunder: Ja sicher, ich bin Online-Redakteur einer großen Tageszeitung. Internetsüchtiger: Nö, warum auch, ich bin doch immer on. Psychoklempner: Verlieren Sie, wenn Sie online sind, das Gefühl für Zeit? Gesunder: Ja schon, aber unten rechts gibt’s ja auf der Windows-Oberfläche zum Glück ‘ne Uhr. Internetsüchtiger: Internetzeit oder Weltzeit? Psychoklempner: Haben Sie Entzugserscheinungen, wenn Sie nicht im Internet sind? Gesunder: Wenn ich nicht im Internet wäre, gäbe es heute bei uns keine Nachrichten zu lesen. Was hat das mit Entzug zu tun? Und wer ist überhaupt dieser ungepflegte Schmock mit dem Laptop hier? Internetsüchtiger: Was meinen Sie mit »nicht im Internet«?? Psychoklempner: Haben Sie Probleme im sozialen Leben, weil sie zu oft online sind? Gesunder: Hört mir hier eigentlich jemand zu? Is’ ja wie in der Redaktion hier… Internetsüchtiger: Soziale Probleme hat man ja wohl nur, wenn man ein Sozialleben hat, oder? Ha, wer ist jetzt der Depp! Hast du überhaupt ‘ne Homepage? Psychoklempner: Setzen Sie Ihr schädliches Verhalten fort, obwohl Sie sich über die negativen Folgen im klaren sind? Gesunder: He du, Laptopmann, kannst du mir mal online ein Taxi rufen? Ist mir zu blöd hier! Internetsüchtiger: (zum Redakteur) Schnauze Mann, schick mir ‘ne Mail, wenn du was willst! (zum Psychologen) Sag mal, bist du IRL auch so ein Idiot? Aber decken wir den Mantel der Liebe über das in Unfreundlichkeiten ausartende Beratungsgespräch. Daß Leute, die lieber in einem IRC-Channel Lieblingsstrickmuster austauschen, als den Beerdigungen naher Verwandter
beizuwohnen oder gelegentlich den ungeschriebenen Gesetzen der Körperhygiene Folge zu leisten ein Problem haben, ist wohl kaum zu bestreiten. Allerdings würde man einen Menschen, der nur alle zwei Wochen Tageslicht abbekommt und stinkt wie ein toter Iltis, weil er seine Nase in literarische Ergüsse der Neuzeit steckt, wohl kaum buchsüchtig nennen, sondern allenfalls kauzig oder Reich-Ranicki. Die Kultur des Bücherlesens genießt hierzulande eben ungeachtet solcher Buchmarktterroristen wie Bohlen, Effe oder Verona ein größeres Ansehen als das Internetsurfen, einfach weil Lesen so exotisch ist und kaum einer es mehr beherrscht. Quetscht man aus dem armen toten Martin das letzte Vermächtnis, der Welt ein Syndrom hinterlassen zu haben, dann übersieht man die liebe wurstessende Gerda W. der auch nach acht Tagen gar nicht auffiel, daß ihr Verlobter schon am Himmelsportal den Enter-Button drückte, weil er auf der Suche nach einem Tortenheber die Zeit vergessen hatte. Manchmal sind die Gesunden eben die Kranken. Als krankmachend darf hierzulande, wo Neuheiten generell so freundlich begrüßt werden wie Furunkel am After, alles gelten, was den Alltag des Bürgers marginal verändert. War es früher noch das Radio, das krank machte, und anschließend das Fernsehen, so ist es heute Bildschirmarbeit, die den Menschen geradewegs ins Grab befördert. Das »Repetitive Strain Injury« oder neudeutsch die »Mousehand« ist nur eine der vielen Krankheiten, die mittelalterliche Marktschreier heutzutage gerne herbeilamentieren, wenn es darum geht zu beweisen, daß Computer Teufelswerk sind. Daß man ebenso vom Kartoffelstampfen, Onanieren oder Fensterputzen dann und wann eine rigor-mortis-ähnliche Handstarre erleidet, erwähnt natürlich im Zuge der inquisitorischen Technikfeindlichkeit niemand.
Auch Lüfter und Hintergrundgeräusche des selig brummenden PC seien geradezu vergleichbar mit dem Fiepen fallender Bomben im zweiten Weltkrieg, denn sie lösen Gehörschäden, Schlafstörungen und extraaurale Langzeitschäden aus, und wer den Computer nicht im richtigen Moment ausschaltet, muß sogar befürchten, sich mit dem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CES) sabbernd in einer Gummizelle wiederzufinden, in der er mit basedowschen Augen das Schaumstoffdekor anstarrt, für immer verloren im Niemandsland der Geisteskrankheit. Natürlich sind es nicht nur Lärm und Streß, mit denen der Computer einem perfide nach dem Leben trachtet, nein, es ist auch der hochprozentige Giftcocktail, den er permanent absondert, um sich für seine Erfindung bis ans Ende aller Tage zu rächen wie seinerzeit HAL an Bord der Discovery. Das Sick-Building-Syndrome (SBS), das zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder auch Geruchsund Geschmacksstörungen führt und von den vielen teuflischen Stoffen in den Chips und Isolatoren ausgelöst wird, ist unter Hypochondern und Arbeitsverweigerern bereits so beliebt, daß manch ein Angestellter im Büro schon morgens eine gekonnte Melange aus Erbrechen, Stürzen und tetanischem Starrkrampf inszeniert, nur um der Arbeit am Computer zu entgehen und hinterher grinsend mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu wedeln. Allen Pseudoallergikern und verhuschten Endzeitliebhabern sei es darum noch mal zum Mitschreiben auf den Weg gegeben: In jeder Limonade, die Ihr in Eure verhärmten Körper schüttet, in jedem Baumarktteppich, über den Ihr würdelos ins Büro schreitet, und in jedem Feng-Shui-Kristall, den Ihr Euch in Erwartung des ewigen Lebens übers Bett hängt, befinden sich mehr Gift- und Schadstoffe als in einen PC je hineinpassen würden. Get a life!
Wenigstens die Belgier wissen ihre Computerfeindlichkeit ironisch zu brechen: Dort fand kürzlich die erste Meisterschaft im Computerweitwurf statt. Der aktuelle Rekord liegt bei vierzehn Metern. Weitaus nötiger haben wir derzeit eine Meisterschaft im PC-Phobiker-Weitwurf. Den nächsten Homo Erectus der mir das schöne neue Computerzeitalter vermiesen will, schmeiß ich locker fünfzehn Meter.
Leben im Kokon. Was Scanning, Monitoring und Contentanalyse über Sie verraten
Manche New Yorkerinnen mit Hang zur Karrieregeilheit überschreiten irgendwann die zarte Grenze zwischen temporärer Schrulligkeit und dem Flächenbombardement fortschreitenden Wahnsinns; dann geben sie sich lustige Künstlernamen, lassen sich chirurgisch ein hysterisches Grinsen im Gesicht verewigen und nennen sich wahlweise Motivationstrainerin, Gott oder auch einfach Trendforscherin, was ja im Grunde alles dasselbe ist und dem Umstand Rechnung trägt, daß mit der Obrigkeitshörigkeit des heruntergekommenen Subjekts eine Menge Schotter zu machen ist. So geschehen mit der populären Klugscheißerin Faith Popcorn, die nicht nur alles darüber weiß, was Sie letztes Jahr so getrieben haben und warum Sie noch immer Grundschullehrer mit versiffter Unterwäsche und nicht etwa Vollzeitmillionär sind, sondern auch, womit Sie in den nächsten fünf Jahren ihre Zeit totschlagen werden. Warum weiß sie das? Die mit dem bürgerlichen Namen Faith Plotkin geborene Weissagerin gründete 1974 zusammen mit ihrer Freundin Lys Marigold in New York das Institut für Markt- und Trendforschung »Brain Reserve« (freie Übersetzung der Autorin: Hirnreserven für die, die keins abbekommen haben). Sie kam auf die lustige Idee, hemmungslos expandierenden Unternehmen wie Pepsi Cola oder BMW einfach mal ihre zukünftige Klientel zu beschreiben und ihnen zu weissagen, wie dumme fette Kinder (im Falle von Pepsi) oder dumme fette Neureiche (im Falle von BMW) noch skrupelloser auszunehmen seien (im Falle
pepsitrinkender fetter BMW-Fahrer). Das rentierte sich schnell, und man darf der Dame mit dem orakeligen Blick gerne Weitsicht attestieren, was das Business der wundersamen Geldvermehrung betrifft. Weniger weitsichtig, dafür eher ganz behäbig auf der Welle der Instantphilosophie mitschwimmend, kommen Faith Popcorns sogenannte »Clicking«-Reports daher. Die benennen neue Trends mit einer angeblichen Trefferquote von über neunzig Prozent. Einer der wichtigsten Trends der letzten Jahre ist das »Clanning«, was die Suche nach Gleichgesinnten und somit möglicherweise weniger einen neuen Trend als eine anthropologische Konstante bezeichnet, die sich schon in den Gemeinschaftsplumpsklos des Pleistozäns durchsetzte. Ebenso bedeutend sind die »Egonomics«, also das Streben nach etwas Individuellem in einer individualitäts-feindlichen Welt. Daß ich dieses Streben bereits ad absurdum führe, indem ich einen der identitätsstiftenden Clicking-Reports lese, ist freilich eine Erkenntnis, die Faith Popcorns Fans nicht zuzutrauen ist. Aber es kommt noch lustiger: Die »Mannzipation« rückt schließlich auch das haarige Wesen, das da morgens rülpsend vor dem Kühlschrank steht und Ihre Heterosexualität in Frage stellt, in ein neues Licht: Nach Karrieredenken und Sachlichkeit ereilt nun den Mann angeblich das Zeitalter des Gefühls und der Herzenswärme, was wohl bedeutet, daß Emanzipation und Political Correctness es endlich geschafft haben, den Mann seines lästigsten Körperteils zu entledigen: (nein, nicht was Sie denken!) des Rückgrats. Weswegen auch ein weiterer der von Popcorn propagierten Trends, der des »wehrhaften Verbrauchers«, zur Lachnummer mutiert. Der Verbraucher lasse sich nichts mehr bieten, heißt es da, und bestehe auf Qualität der Produkte und Aufrichtigkeit der Anbieter. Die Imago des wehrhaften Verbrauchers, der
protestierend durch die Aldi-Filialen stampft, weil er nicht mehr beschissen werden möchte, deckt sich allerdings nur bedingt mit Kunden, die während einer BSE-Krise drei Wochen Fleischverzicht praktizieren, nur um anschließend den Konsum der Wahnsinns-Kuhhäppchen zu verzehnfachen, weil die Barbecue-Sauce gerade im Sonderangebot ist. Auch Verbraucher, die protestlos GEZ-Gebühren bezahlen oder ungeachtet der zahlreichen Billiganbieter Telekommunikationsterroristen wie die Telekom konsultieren, beweisen, daß der Verbraucher nicht wehrhaft ist, sondern geradezu darum bettelt, dominiert und ausgeraubt zu werden. Faith Popcorns Trendforschung am Ende eine Popcornwissenschaft? Ihre größte Entdeckung ist derzeit das »Cocooning«, der Trend, sich lieber zu Hause wie in einem Kokon zu verkriechen, anstatt wie sonst auf den Straßenstrich oder zum Manta-Rennen zu gehen. Die Idee dahinter: Der Mensch von heute hat die Hosen voll. Überall da draußen lauern die Menschen, die ihm nicht die Tür aufhalten, ihm BSE-Fleisch verkaufen, ihn mit gemeinen Schwiegermüttern konfrontieren oder am Ende in der Firma sogar zum Arbeiten auffordern. Überall lauert die Gefahr, überall sind Feinde, und der Mensch saust nur noch zwischen mobilem Kokon (Auto) und nichtmobilem Kokon (Einzimmerwohnung in Sprockhövel) hin und her. Paranoia als Trend? Der 11.9. soll das Seine dazu beigetragen haben, angeblich wird gerade Amerikanern bei tieffliegenden Passagierflugzeugen klar, daß »Home sweet Home« weit größere Dimensionen hat als angenommen. »Ahaaa!« rufen beim Lesen die Meinungslosen und notorischen Jasager auf, und freuen sich, daß ihnen jemand endlich sagt, wie sie sich zu fühlen haben. »Ich bin also ein Cocooner!« schreit erleichtert der Dauerarbeitslose, der noch nie eine Bewerbung schrieb, und der Informatiker, der Sex
ohne Cyberspace aus hygienischen Gründen ablehnt. Und man fühlt sich wohl damit, denn Faith Popcorn versteht es wie kaum eine andere, die Opfermentalität zu kultivieren und an das verschüttete Selbstwertgefühl zu appellieren. Wer genauer hinsieht, sieht freilich nichts. Denn das ist genau das, was die Trendforschung seit Jahren zu einer Wissenschaft für den Pöbel aufbläht. Die poppigen Wortschöpfungen und sektiererisch verpackten Slogans kaschieren nur bedingt, daß es sich bei Popcorns Trendforschung um eine Lebenshilfe handelt, die bewußt an orientierungslose intellektuelle Blindschleichen appelliert und ihre Anwendbarkeit prinzipiell aus der gekonnten Aneinanderreihung von Gemeinplätzen gewinnt. Sicher sind Menschen gern zu Hause (lieber als beim Finanzamt), sicher mögen Menschen Gesellschaft (Kaspar Hauser zeigte schon, daß alles andere bedenklich ist), und selbstverständlich möchte man gesund sein (Flugwarzen sehen scheiße aus) und alt werden (wenigstens noch das Ende der Bush-Administration miterleben). Das ist aber ungefähr so trendy wie der aufrechte Gang, und revolutionär schon mal gar nicht. Wenn Faith Popcorn dann analysiert, der Trend zum Online-Einkauf belege die Angst vor der Welt »da draußen« und die Gesellschaft entwickle den Trend zum »S.O.S.ing«, weil sie ein neues soziales Gewissen entwickeln wolle, um den Planeten zu retten, dann wird der konservative Gestus ihres millionenschweren Unternehmens deutlich. Überlassen wir die Analyse des Zeitgeistes doch lieber den Soziologen. Die haben wenigstens studiert (»Buch-lesing«) und machen nicht aus jeder Banalität einen Trend (»Selektiering«). Und die haben auch noch nie behauptet, daß Männer jetzt kultiviert seien, was ihre Glaubhaftigkeit erheblich steigert.
Auf Eis gefegt. Transhumanisten stürmen die Kühlregale
Daß manche Leute in ihrem Kühlschrank Tote horten, liest man schon mal in der Zeitung. Das liegt aber nicht daran, daß der menschliche Kadaver sich optisch gut neben Teewurst und Halbfettmargarine macht oder am Ende sogar deren fades Aroma aufwertet, sondern meist an zwei unerfreulichen Dingen: Einmal könnte da gerade jemandem rein zufällig ein unliebsamer Zeitgenosse in die Kettensäge gelaufen sein, und dieser Jemand muß nun noch über Entsorgungsarten unauffälliger Natur sinnieren, während der zwischengelagerte menschliche Hackbraten bei angenehmen zwei Grad Celsius auf die Tupperware im untersten Fach tropft. Zum anderen kann es aber auch sein, daß sich jemand einem just vom Sensenmann weggemähten menschlichen Subjekt so verbunden fühlt, daß das tränennasse Gemüt den Trauernden geradewegs in die lebenverheißenden Arme des surrenden Kühlgerätes treibt. Die im zweiten Szenario beschriebene Heulsuse nennt man heute auch anders: Kryoniker. Der erste Kryoniker hatte zwischen einem Popeye-Cartoon und der morgendlichen Zigarette eine Sekunde zu lang auf das auf der Spüle liegende, auftauende Huhn geblickt und einen weltbewegenden Geistesblitz erlitten. Fortan glaubte er, man könne mit einem Menschen ebenso verfahren, nur daß der Mensch nicht zum Verzehr aufgetaut würde und daß – dieses kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Detail fügte er hinzu – der Mensch danach auch wieder leben werde. Das wäre ja gar nicht so absurd, hätte ich schon mal ein auf meiner Spüle auftauendes Huhn wiederbelebt davonschweben
sehen. Sogar das Fenster hätte ich ihm geöffnet, auf daß es seiner neugewonnenen Freiheit kopflos entgegenflattere! Während ich hier aber die zahlreichen Hühnchen Revue passieren lasse, die ich mir in totaler Verkennung der kryobiologischen Bedeutung gedankenlos in den Mund schob, hängen in der Wüste Arizonas achtundfünfzig Tote kopfüber in den Gefriertanks der Firma Alcor und dösen so ihrer fröhlichen Urständ entgegen. Die bei minus 196 Grad herumbaumelnden »Suspendierten«, wie man sie unter Alcorianern nennt, um das häßliche Wörtchen »Tod« nicht zu sehr in die rosarote Auferstehungsmär einbrechen zu lassen, haben an alles gedacht. Ein paar haben sogar ihre Wauwaus mitgebracht, die gleich nebenan mitfrösteln, bis in hundertfünfzig Jahren die markerschütternde Stimme eines Arztes brüllen wird: »Aufstehen, Ihr heruntergekommenen Viecher! Die Hunde auch!« Momentan stehen dem unproblematischen Erwachen im gelobten Land noch einige Faktoren im Wege: In der evolutionären Hierarchie mag der Mensch zwar über dem Kotelett anzusiedeln sein, jedoch erleidet er in der Kühltruhe dasselbe Schicksal: Gefrierbrand. Diese und andere Schäden einzudämmen schicken sich emsige Alcorianer an, den ablebenden Gefriertruhenanwärter binnen Minuten für die Lagerung on the rocks zu präparieren. Dafür wird dem gerade erkaltenden Leichnam ein Cocktail aus diversen Antibiotika verabreicht. Hat der Betreffende vor seinem Exitus zufällig noch ein Schweinefilet zu sich zu genommen, tut’s das zur Not auch. Anschließend werden ihm Konservierungsmittel in den Organismus gepumpt, um das Verfallsdatum des Körpers nachhaltig zu verarschen. Nach diesen Torturen, von denen der kryonisch Suspendierte zum Glück nichts mitbekommt, wird ihm noch der Kopf aufgebohrt und der Brustkorb aufgeschnitten. Während das ramponierte Riesenkotelett dann
an der Herz-Lungen-Maschine hängt, werden noch allerlei Frostschutzmittel hineingespritzt. Fertig ist der InstantMensch, einfach im Falle medizinischen Fortschritts auftauen, Gefrierbrand abpulen, mit Nanoroboterchen die Zellschäden reparieren und mit ‘nem Klaps auf den Po in die neue Welt entlassen. Die neue Welt? Es sind nicht nur U.S.-amerikanische Kryoniker mit einem Faible für altbackene Science Fiction und Hubba Bubba, die von der Welt der Zukunft erwarten, geiler zu sein als sieben nackte Novizinnen auf Ecstasy. Wer davon ausgeht, die zukünftige Gesellschaft frei von Krankheit, Alterserscheinungen und Tod vorzufinden, weil der Mensch endlich begriffen hat, daß er den Kotau vor der Vollkommenheit Gottes oder der Natur gegen ein gepflegtes »Alles Kacke hier, ich reparier das!« eintauschen muß, darf sich heute »Transhumanist« nennen. Transhumanisten sind ein tovtes Völkchen, sie haben zwar einen Hang dazu, den Boden unter ihren Füßen zu verlieren und diesen Verlust dann zur Wissenschaft zu erklären, aber ansonsten haben sie durchaus gute Chancen, die Poleposition unter Blasphemikern einzunehmen, was mich persönlich dazu verleitet, sie für sämtliche auf Erden existierende Orden vorzuschlagen und ihnen Samstagnachmittags Blumen zu schicken. Sie sind wissenschaftsgläubig, technikgeil und keiner Perversion zur Erlangung der Unsterblichkeit abgeneigt. In ihren Phantasien korrigiert der Mensch sich nicht nur durch Schockfrosten, sondern auch durch Genmanipulation, Nanotechnologie, künstliche Intelligenzen und Designerdrogen. Hat Mutti in der Zukunft das Klimakterium erreicht, gibt’s Drogencocktails mit dem Frühstücksei verabreicht. Pubertät? Mund auf, Happy Pills schlucken! Prinzipiell könnte man den Transis zufolge auch Pubertät und Uteri (den Plural hab’ ich nachgeschlagen) abschaffen, beide dürften in puncto
unerwünschte Gemütszustände eindeutig zuviel Angriffsfläche bieten. Hormone braucht dann eh’ kein Schwein mehr, denn wenn alle unsterblich sind, wird es auf dieser rotierenden Kloake so eng, daß ein absolutes Kopulations- und Gebärverbot in Kraft treten dürfte, weswegen dann auch so philosophische Fernsehformate wie »Schnulleralarm« künftig wohl der Vergangenheit angehören werden. Transhumanisten wie Minsky, More und Kurzweil am Extropy Institute haben derzeit viel zu lachen: Nicht nur, daß sich immer mehr widerständige Todesphobiker der relativ jungen Frostindustrie als menschliche Dauerwürste anbieten, auch andere Trends zur Korrektur homo-sapiens-typischer Mittelmäßigkeit setzen sich verstärkt durch: Das mit gekreuzten Fingern vorgetragene obligatorische EthikGeblubber bei Fragen des Klonens oder der Embryogeneralüberholung hat bei weitem nicht mehr das melodramatische Timbre, das es noch in Zeiten besaß, in denen man es für die einzig tolerierbare Naturkorrektur hielt, als Mensch von den Bäumen zu steigen. Daß der lieblos zusammengebrutzelte Haufen Mensch derzeit nur mit suboptimaler Performanz arbeitet, dürfte inzwischen noch dem letzten Bauerntrampel aufgegangen sein, schließlich ist es wahrlich nicht als Kunststück zu bezeichnen, daß man zehn Jahre durch pubertäre Grillen unzurechnungsfähig dahinvegetiert, anschließend noch zwanzig Jahre in den Wechseljahren vor sich hindeliriert, nur um dann noch zur Krönung des Ganzen weitere zwanzig Jährchen altersdement in einer sozialen Suppenküche auf das schleichende Ableben zu warten. Wer da so an der Krone der Schöpfung herumdilettiert hat, verdient eigentlich einen Einlauf. Insofern darf man den Transhumanismus durchaus als – momentan noch etwas peinliche, aber wir alle haben mal klein angefangen – Übergangsphase verstehen, in der der Mensch sich mit einem
weinenden Auge von seiner Mittelalterlichkeit verabschiedet und sich besseren Zeiten entgegenpfuscht. Zusammen mit dem Humanismus geht da freilich auch der Glaube an eine nichtstoffliche Seele die Toilette runter, denn für den Kryoniker ist das spezifisch Menschliche im Gehirn zu verorten. Schade, daß das bis dato ein so vernachlässigtes Organ war, insbesondere in der deutschen Promiwelt dürften dieser Logik zufolge einige Leute gar nicht als spezifisch menschlich zu klassifizieren sein. Aber die geben ihr Geld ja auch lieber für Villen in Tötensen aus als für Gefriertanks in Arizona. Dabei müßte man schon Promi sein, um sich den Luxus der Konservierung leisten zu können: Hundertzwanzigtausend Euro zahlt man dort für eine Aufbewahrung als Bulette, und wer Wühltischangebote bevorzugt, kann auch nur seinen Kopf zum Einfrieren anbieten, was das ganze um siebzigtausend Euro günstiger macht und den Vorteil hat, daß man Ihre häßliche Visage später wenigstens auf einen ansehnlichen Körper montieren kann. Transhumanisten wie Kryoniker sind freilich auch nicht davor gefeit, ihre Visionen notfalls dem Mammon zu opfern und sich beschämt hüstelnd ökonomischen Realitäten zu stellen. Als einige Kryo-Firmen bankrott waren, war auch der Traum vom Auftauen im irdischen Paradies dahin, und die Suspendierten waren plötzlich nur noch banale Tote. Daß sie sowohl um ihre Moneten als auch um ihre Unsterblichkeit auf Erden gebracht wurden, werden sie freilich nie erfahren, da sie inzwischen auf die konservative Art bei den Würmern beerdigt wurden. Ich aber freue mich schon auf die Zeit, in der es einmal als irre exotisch gelten wird, auf einer Party aufzutauchen und in den Raum zu rufen »Hey, ich werde eines Tages sterben, und ich stehe dazu!« Dann werden die Leute erst peinlich berührt
kichern, noch eine Designerdroge schlucken und sich von mir abwenden, als wenn ich schlecht röche. Aber da exotische Leute angeblich immer auch irgendwie kultig sind, werde ich schon bald zu jeder Party eingeladen werden, und die Leute werden die Musik extra leise drehen, nur damit sie den Moment nicht verpassen, in dem ich wieder sage, daß ich bald tot sein werde und das irre cool finde. Und dann kommen später auch Ärzte und Neurologen hinzu, die mich mit gebotenem Sicherheitsabstand und eingeschaltetem Mikro fragen, wann ich den Wunsch tot zu sein in mir zum ersten Mal verspürte. Sie werden mir anbieten, das wegzutherapieren, aber ich werde den Kopf schütteln und sagen »Totsein! Totsein!«, bis sie den Klinikvorstand anrufen und mir Hausverbot erteilen. Richtig toll wird das. Manchmal kann man mit den banalsten Dingen noch Furore machen – vorausgesetzt, die Zeiten sind verrückt genug.
Flennen als täglich Brot. Affektpornographie im Reality-TV Deutschlands
Die Zeiten, in denen Marika Rökk mit der Mission des Zeittotschlagens tirilierend durch das deutsche Abendprogramm Pirouetten drehte und dabei hinterrücks alle Herzschläge diesseits der Fiatline zum ewigen Erliegen brachte, sind dankenswerterweise vorbei. Nicht minder ernstzunehmende Angriffe auf Leib und Leben darf man aber in Zeiten verzeichnen, in denen jedem smegmapulenden (Big Brother, zweite Staffel), mitesserausquetschenden (Big Brother, dritte Staffel) und abortausschlürfenden (Die Hammer-Soap) Menschensurrogat das Privileg eines öffentlichen Bekenntnisses und andauernder Bildschirmpräsenz zuteil wird. Diese unverhüllt als Tötungsabsicht erkennbare Inszenierung der Reality-Fernsehmacher bedarf näherer Betrachtung, schließlich möchten wir ja alle wissen, womit wir dieses peinigende Massaker am menschlichen Verstand eigentlich verdient haben. Wer glaubt, das Reality-TV sei eine Erfindung der holländischen Fernsehfirma Endemol, geschaffen, um den Kreuzzug zu vollenden, den PVC-haltiger Gouda und radioaktive Tomaten am menschlichen Organismus begannen, der irrt. Bereits die Daily Talks der Neunziger rückten dreibeinige Busfahrerinnen, erektionsgestörte Meerschweinchenhalter und von Aliens entführte Aerobictrainerinnen mit fluoreszierenden Arschbackenimplantaten ins öffentliche Interesse. Für eine Kelle sogenannter Realität in der Hans Meiser Show ließen Kardiologen ihre offenherzigen Patienten im OP-Saal liegen, Erotikdarsteller zogen hektisch ihre primären
Geschlechtsmerkmale aus erleichterten Polinnen, und Regierungssprecher ließen entschlossen den Stift fallen, mit dem sie sich eben noch beherzt unter den Achseln gekratzt hatten. Obwohl man Menschen, die nichts zu erzählen haben, die sich aber trotzdem wichtig vorkommen, den lieben langen Tag lang sah, wenn man etwa bei Ihnen eine Gehaltserhöhung einforderte oder ihnen einen Ehering an den Finger schob, war es irgendwie noch cremiger, solche Subjekte im Fernsehen zu beobachten, wobei insbesondere der garantierte Sicherheitsabstand dazu beitrug, daß man sich aus Angst vor diesen wandelnden Feuerwerken der Stupidität nicht auf die eigenen Schuhe kotzte. Ein bißchen wie Zoo war das, nur ohne das Risiko, beim Flanieren vor dem Bärenhaus ein paar Extremitäten einzubüßen. Neben diesen Konfrontationen des Zuschauers mit dem tierischen Naturell des Durchschnittsbürgers etablierten sich noch ein paar andere überflüssige Fernsehformate, in denen es eigentlich nur ums kollektive Flennen ging, denn das tut auch mal ganz gut, besonders in Zeiten, in denen emotional betrachtet in Deutschland einfach nix passiert, weil Kriege oder Hungersnöte tragischerweise ausbleiben. Solche Shows waren etwa die fleischgewordene Suchmeldung Bitte melde dich! (Untertitel: »Du schuldest mir noch dreizehn Mark!«) oder Absolutionssendungen wie Verzeih mir (Untertitel: »Echt, ich weiß auch nicht, wie deine Katze in meine Mikrowelle gekommen ist!«). Krönung dieser kathartischen Gefühlskotzerei war die von einem mit stählerner Tolle dekorierten Grinseandroiden moderierte Emotionsapokalypse Nur die Liebe zählt, in der es zahlreiche Subjekte schafften, sich durch peinliche Selbstmitleidansprachen, schleimfädenziehende Küsse in Nahaufnahme oder auch körperverletzende Gesangseinlagen für immer ins Reich der Partnerlosigkeit zu überstellen.
Das neue Sendekonzept hieß also »Je privater, desto besser«, und endlich konnte man einmal schlonzigen Bundesgenossen unter die Klosettbrille gucken oder auch Psychopathen in die Hirnwindungen. Als erst mal klar war, daß es in jenen Shows nicht um Geschichten ging – denn ehrlich gesagt passierte an allen Ecken und Enden gar nichts –, sondern um die reine Gefühlsduselei, kamen auch zunächst absurd erscheinende Formate aufs Tablett. Heulen und jauchzen tun die Leute schließlich nicht mehr beim Preisen des Herrn, sondern eher beim Autofahren (Die Fahrschule), beim Uterusentleeren (Schnuller-Alarm) oder beim Austauschen leicht ersetzbarer Mutterglucken (Frauentausch). Der Phantasie sind da praktisch keine Grenzen gesetzt, es könnten sich bald auch Sendungen wie »Meine erste Amputation« oder »Ich bin 30 und Bettnässer« durchsetzen, da auch jene Problemkreise sicher genug Nährboden für verheulte Abende bieten. Während also putzende, popelnde, singende und nichtstuende Deppen jedweder gesellschaftlichen Schicht durch die höhnisch an Tränendrüsen herumdokternden Sendungen hüpfen, teilt sich Deutschland in zwei Lager: Da sind auf der einen Seite die, die das alles so »tight« finden, so voll authentisch und mitten aus dem Leben gegriffen. Sie werden nicht müde zu predigen, daß das Fernsehen mit dieser Wendung zum Reality-TV menschlicher geworden sei, ehrlicher und fast schon ein wenig göttlich, so wie der Heilige Geist, der da, bescheiden zu einer Taube reduziert, durch fromme Gemälde flattert und nichts anderes ist als er selbst. Auf der anderen Seite haben wir da ein paar Intellektuelle, die schon ein bißchen schlecht riechen, weil sie mit ihren Hintern an den Sesseln altehrwürdiger Theologiefakultäten festgewachsen sind. Die schreien immer gleich »Voyeurismus!« und verweisen haspelig auf irgendwelche Menschenrechte und den Niedergang des Geistes sowieso. Ab
und zu rufen sie auch aus ihren teuer eingerichteten Tonnen »Geh mir aus der Sonne, du böses Reality-Fernsehen!«, oder sie schreiben zickige Betroffenheitsbriefe an unschuldige USBürger, in denen sie über die Schädlichkeit von Coca-Cola und fernsehtauglicher Menschenverwurstung aufklären und sich solcherlei Importe verbitten. Dazwischen sind freilich noch die, die das alles irgendwie angeblich scheiße finden, die aber trotzdem die Namen aller Reality-Soap-Darsteller besser kennen als die der eigenen Verwandtschaft. Jener Kategorie sollte man aber nicht allzuviel Beachtung schenken, denn wer keine Meinung hat, darf auch nicht mitreden, also Schnauze halten und erwachsen werden! Geht man dem Voyeurismusvorwurf auf den Grund, stellt man schnell fest, daß er ziemlich unpräzise ist. Voyeure stellen sich ja gerne vor Fenster hübsch dekorierter Dreizimmerwohnungen und sehen attraktiven Leuten bei gekonnt in Szene gesetzten Kopulationsakten zu. Und da bei Voyeuren nicht nur das Auge mitißt, sondern auch die Hand, wird die beobachtete Lebensfreude schnell mal auf das eigene Lustzentrum übertragen. Nicht ohne Grund werden Voyeure immer mit dicken Glupschaugen und einer Hand in der Manteltasche dargestellt. Wenn Sie nun mal versuchen, diese Geste der Glupschäugigkeit und emsiger Handmotorik auf sich anzuwenden, wie Sie gerade Die Hammer-Soap im Fernsehen verfolgen, werden Sie schnell feststellen, daß das nicht von nennenswertem Erfolg gekrönt ist! Das liegt nicht nur an den ausnahmslos häßlichen und abstoßenden Protagonisten dieser Stümpershow, sondern auch daran, daß es sich auf erfolglose und in jeder Hinsicht benachteiligte talentfreie Verhütungsunfälle einfach nicht ordentlich masturbieren läßt! Das abendliche Betrachten jener nichtskönnenden und nichtstuenden Versager muß also offenbar andere Gründe haben, denn hier Voyeurismus anzunehmen ist wohl die
optimistischste und realitätsfernste Hoffnung seit dem Glauben an den deutschen Aufschwung. Im Grunde geht es bei dieser tristen Version von Brot und Spiele um Identifikation, Abgrenzung und Macht. Den tumben Zladdi aus der ersten Big Brother Staffel hätten Mütter wohl kaum zum Kindergeburtstag eingeladen, heiratswillige Frolleins hätten sich ihm nur widerwillig an den Hals geworfen und auch Hauptschullehrer hätten sich vehement geweigert, sich seiner zahlreichen Bildungslücken wohlwollend anzunehmen. Ungeachtet dessen fanden ihn etliche Leute cool, weil er zumindest den Eindruck erwecken konnte, die Kriterien, an denen sein mikroskopischer Intellekt gemessen wurde, seien ihm so schnurz wie Shakespeare (nachdem er über dessen Existenz aufgeklärt worden war). Leute, denen alles piepe ist und die sich weigern, ihr Ego von Idealvorstellungen elitärer Alleskönner stutzen zu lassen, beeindrucken hierzulande schon fast so sehr, wie Bush den Mob im Wahlkampf beeindruckte, als er sich gegen den für seinen Bildungsstand schief angesehenen Al Gore durchsetzte. Aus diesem Grund bieten auch Bubis, die weder singen noch tanzen können und dennoch Popstarambitionen hegen (Sedat aus Farne Academy) reichlich Identifikationsfläche, ebenso wie knatschende Kleinkinder, die jedes Barbiturat ersetzen und sich dennoch Superstar nennen dürfen (Alexander aus Deutschland sucht den Superstar). Prinzipiell können diese Leute nämlich nix, und auch das nur mäßig, und dennoch sieht man sie öfter im Fernsehen als Nelson Mandela, was auch noch im pessimistischen Zweifler die Hoffnung weckt, er könne ungeachtet seiner LoserExistenz vom Fernsehen einmal geadelt werden. Natürlich gibt es auch in Reality-Shows Leute, die so abgrundtief daneben sind, daß man sich beim besten Willen nicht mehr mit ihnen identifizieren mag, weil das bedeuten würde, von da an jeden Morgen im eigenen Erbrochenen
aufzuwachen. Solche Nullen bedienen das Moment der Abgrenzung. Hat der Chef einem einen selbstklebenden Zettel an den Monitor geheftet, auf dem steht »Ihr Computer hat sich freundlicherweise bereiterklärt, in Zukunft Ihre Arbeit zu verrichten. Kommen Sie doch ein anderes mal wieder. In fünfzig Jahren wäre zu früh!«, geht man schon mal mit einem unterschwelligen Gefühl des Versagens nach Hause. Für solche Fälle eignet sich ein Blick auf die Sendung Frauentausch vorzüglich. Hat man erst mal zur Kenntnis genommen, was für Kanalratten da gestattet wurde, sich zu reproduzieren, merkt man, daß man gar nicht in der Hölle ist. Die Hölle, das sind ja bekanntlich die anderen. Vorwiegend die, die in dieser Show die Kinder fremder Familien geradewegs in die psychiatrische Karriere geleiten, nachdem sie das an ihren eigenen Bratzen schon erfolgreich vollzogen haben. Zu guter Letzt dienen diese plebejischen Abendfüller auch der Illusion, man habe auf diesem Planeten etwas zu kamellen. Hört man den lieben langen Tag von seinem Lebensgefährten nichts anderes als »Halt’s Maul, Schatz, du bist so viel attraktiver, wenn du einfach nur still bist und gut aussiehst!«, gerät man schon mal in Zweifel, was die Möglichkeiten aktiven Mitgestaltens der Welt betrifft. RTL aber versichert Ihnen, wenn Sie nur zehn mal am Tag für je neunundvierzig Cent die Hotline anrufen, dann werden SIE allein entscheiden, wer Deutschlands neuer Superstar wird! Oder wenn Sie sich für andere Sender die Finger blutig wählen, dürfen Sie sogar bestimmen, wen der dicke Dee in seinem paramilitärischen Popstarcamp mal fünf Minuten lang nicht zusammenbrüllt oder wer von den zerfledderten Proll-Schrippen bei rtl2 die Supermammi wird. Ist doch toll, oder? Mehr Power geht nun echt nicht!
Mir persönlich ist es ja einerlei, wenn sich grunzende Halbaffen für Reality-Shows verheizen lassen und depperte Zuschauer sämtliche Mitspracherecht-Hotlines dieser Erde öfter anrufen als ihre beste Freundin. Was nur ein bißchen nervt, ist der Umstand, daß dem TV-Junkie von heute nicht mehr zugetraut wird, etwas anderes sehen zu wollen als den Deppen von nebenan, dessentwegen man ja eigentlich die Tür zuschlug und den Fernseher einschaltete. Wie soll man sich von der Welt da draußen erholen, wenn man genau die abends zur besten Sendezeit serviert bekommt? Aber lassen Sie mich meinem Optimismus Ausdruck verleihen. Ich bin auch entgegen düsterer Prognosen sich grämender Gutmenschen und Hobbymenschenrechtler der Meinung, daß das Reality-TV wenigstens an einer verläßlichen Größe nichts geändert hat: Die Füllstand an Fernsehscheiße nämlich bleibt immer derselbe.
Functional Food. Fressen und Saufen wider den Tod
Böse Zungen sagen alten Menschen nach, das sinnhafte Zentrum ihres tristen Vortodstadiums sei die Beschäftigung mit dem Essen und dem zu Recht tabuisierten und recht unschönen Vorgang der Colon-Spasmen (Kacken). Es ist an der Zeit, mit diesem Gerücht aufzuräumen und die Wahrheit ans Licht zu bringen: Auch dem jungen Menschen – obschon die Flagge ewiger Jugend und hipper Blödigkeit gegen Sinn und Verstand hochhaltend – geht es unterm Strich um nichts anderes. Das Fressen, Saufen und Ausscheiden ist ein Konglomerat kulturübergreifender und über Politik, Hautfarbe sowie Religion hinwegsehender Hobbys. Daher ist es nur recht und billig, sich ihnen hingebungsvoll zu widmen. Das tut der zeitgemäße Mensch von heute natürlich unter recht fadenscheinigen Vorwänden, da er nie zugeben würde, völlig von oraler und analer Stimulation besessen zu sein. Ein Nahrungsmittel muß daher diskussionswürdig sein, es darf ihm nicht mehr die modrige Spießigkeit und apokalyptische Verzweiflung eines Bombenkraterkartoffelsuchtrupps anhaften. Der Erdapfel ist aus diesem Grund unter trendbewußten Nahrungsmittelspezialisten zutiefst in Ungnade gefallen. Trendkonform hingegen sind natürliche Produkte, denen auratisch quasi noch das Charisma versunkener Hochkulturen unter die knorrige Schale gespritzt ist. So verhält es sich mit der – o ehrfurchtsvolles Zittern – heiligsten Vertreterin der sogenannten »Urnahrung«, der Spirulina. Die Spirulina – übrigens nicht der Bandwurm, der verfressenen Pubertierenden immer unterstellt wird, sondern eine Mikroalge –
exemplifiziert, mit welch simplen Mitteln die Nahrungsmittelindustrie an den zugegeben absurden und in Zeiten desaströsen SPD-Regiments völlig unverständlichen Wunsch nach ewigem Leben appelliert: Für die schleimige Alge spricht nicht so sehr ihr Geschmack, auch nicht ihre Verwertbarkeit, schon gar nicht ihre Farbe. Dafür aber ist sie ideale Projektionsfläche für die Erlösungsphantasien einer Gesellschaft, deren philosophische Aporie immer dann intensiv aufscheint, wenn sie freizügig mit halbmagischen Schlagworten jongliert. »Azteken!« heißt es dann, denn schon diese lustige Spezies wußten um Spirulina, und da sie ja bekanntermaßen neben den Ägyptern auch Pyramiden mithilfe von Alien-Technologie erbauten und überhaupt ein sehr gepflegtes Verhältnis zu Göttern, Dämonen und unirdischen Entitäten unterhielten, ist die Alge geradezu ein Geschenk des Himmels. Wen dieses Wort noch nicht überzeugt, der wird mit ökologischer Haarspalterei bekehrt. Die Alge ist nämlich, den Spirulinaessern zufolge, der Hauptlieferant für Sauerstoff auf der Erde. Und wer könnte zu einer Tasse Sauerstoff schon nein sagen! Wer jetzt noch zweifelt, wird dem Flächenbombardement folkloristisch-retardierter Populärbiologie ausgesetzt und auf den richtigen Weg gebracht: Algen sind der Anfang der Evolution! Und weil sie so Gottes Schöpfung zeitlich gesehen am nächsten stehen, sind sie natürlich auch nicht halb so degeneriert wie beispielsweise ein im Dunkeln leuchtendes grünes Speiseeis! Wer diesen Dreischritt Hochkulturbezug – Ökologie – Folklorebiologie nun für die Erfindung einer ideologischverblendeten Spirulinaphobikerin hält, der darf das Ganze auf Kombucha anwenden. Kombucha, der quallenartige Schleimpilz, der in vielen deutschen Privatwohnungen
ungestraft vor sich hin modert, schmeckt nämlich nicht nur scheußlich und zieht massenweise Essigfliegen an, sondern er hat auch noch die drei schlagenden Argumente auf seiner Seite: 1. Er wurde von einem Koreaner nach Japan gebracht und landete alsbald in China (und wie wir seit den Siebzigern reumütig zu gestehen pflegen, ist der Asiate fleischgewordene Spiritualität, ganz im Gegensatz zum phlegmatischen Europäer, der froh sein kann, wenn er in diesem Jahrtausend den evolutionären Sprung zum Zweizeiler schafft). 2. Er reinigt nicht nur den Darm, sondern beseitigt auch außerhalb des Weckglases, in dem er vegetiert, die atmosphärischen Störungen, und er ist das Idealbild eines perfekt funktionierenden Kosmos, weil Kombucha im Grunde eine natürliche Symbiose sich gegenseitig nützender Bakterienstämme ist. Sozusagen wie Kommunismus, nur ohne lästige Arbeiterklasse. 3. Das gallertartige Pilzungetüm ist ein universelles Regenerationsmittel, weil es im Körper einen Bakterienstatus herstellt, der uns schon an dem Tag verlorenging, als der erste halbmenschliche Prärieaffe sich für das – falsche – Lebensmittel Fleisch entschied. Und so verhält es sich auch mit der Aloe Vera, dem grünen Tee und den probiotischen Kefirkulturen, die den lange Zeit nicht salonfähigen Darm wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückten. Trends markieren da nur noch marginale Unterschiede; war es erst noch die Omega-3-Säure, die das Paradies versprach, so folgten kurz darauf probiotische Bakterienjoghurts, Algenprodukte, Green Food, Aloe Vera und sauerstoffreiche Getränke. Dabei ist in Deutschland jenes Geschäft mit der Angst vor dem würdelosen Abnippein und Verpuffen des Individuums eine juristische Grauzone. Ein Lebensmittel darf keine gesundheitliche Besserung oder Lebensverlängerung
versprechen, sonst ist es ein Medikament. Und wer will schon seinen Joghurt in der Apotheke kaufen? Dennoch scheut sich die Industrie nicht, Aloe Vera und Kombucha in Verbindung mit Dörfern zu bringen, in denen das Durchschnittsalter Methusalem erblassen ließe. Es zögert auch niemand, diesen Wunderwerken der Natur einen krebsvermeidenden und blutbildoptimierenden Effekt zu bescheinigen und zu unterstellen, jemand, der sein Immunsystem mit Algen, Korallen oder Pilzen gedopt habe, könne quasi gar nicht mehr an Aids erkranken. Fast möchte ich da schon spirulinalutschend durch die Intensivstationen Deutschlands paradieren und die verbohrten Kranken mal ordentlich dafür ohrfeigen, daß sie sich keinen vernünftigen Wellnessdrink gekauft und somit das Gesundheitswesen unnötig belastet haben! Hospize und Friedhöfe könnten gleichermaßen in Wellnessbars und Functional-Food-Tempel umfunktioniert werden, wären die Kranken nicht so borniert! Das ganze Geheimnis des sogenannten »Functional Food«, also des Essens, das über die Nährstoffversorgung hinaus Funktionen hat, ist übrigens so banal wie beliebig anwendbar, denn jedes Nahrungsmittel dient ja schließlich einem Zweck: Der morgendliche Johnny Walker dämmt das Zittern ein, der Knoblauch ist Respektsbekundung vor dem Zahnarzt und die Fritten trösten über das konstante Ausbleiben eines Sexlebens hinweg. Und für diese Erkenntnis mußte ich nicht einmal die Azteken bemühen.