Die Spur der Totenschiffe von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Christopher Reed und Harry Vanderbullt — Zw...
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Die Spur der Totenschiffe von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Christopher Reed und Harry Vanderbullt — Zwei Majore der US-Luftwaffe werden von einem UFO gekidnappt. Christine Schuberth — Eine Touristin aus New York. Skip — Ein Fischerjunge. Der „Alte“ — Ein seltsamer Mann, der für Überraschungen sorgt.
1. Christine saß reglos in einem seltsam geformten Schwenksessel vor einer Reihe kleiner Monitoren, Konsolen und Anzeigetafeln, die sie nicht verstand. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, als träumte sie. In Wirklichkeit war es ein Zeichen ihrer tiefen Resignation. Christine hatte aufgehört, begreifen zu wollen, was um sie herum geschah. Irgendwo im Hintergrund des riesigen, runden Raumes mit den unzähligen fremdartigen Instrumenten und Apparaturen hörte sie Skip. Der Junge heulte hemmungslos vor sich hin, und sie konnte ihm nicht helfen. Im Gegenteil. Sie war selbst am Ende, dort, wo die Grenzen des menschlichen Fassungsvermögens lagen. Wieder richtete sich der Blick der Frau auf die Bildschirme vor ihr, die fast alle das gleiche zeigten. Wie ein mittelalterlicher Trauerzug, wie eine grausige Prozession trieben die Raumschiffe schweigend durch das Sternenmeer des Weltraums. Christine hatte sich mittlerweile an den Anblick des Alls gewöhnt. Ihr wurde nicht mehr schwindlig, wenn sie zu lange hinsah. Aber begriffen hatte sie immer noch nicht, was mit ihnen vorging. Das hoffnungslose Bild in dem großen; Schaltraum (Christine hatte keine andere Bezeichnung dafür) hatte auch die letzten Illusionen zerstört. Nur die überall arbeitenden Instrumente, die farbigen Lichter auf den Konsolenbänken und an den Schirmen, schienen zu leben. Sie waren allein. Unsagbar allein irgendwo weit entfernt von der Erde. Gefangen in einer von vielen hundert großen Walzen, die durch das All trieben, einem unbekannten Ziel entgegen. Es gab keinen Zweifel, daß auch sie sich an Bord einer solchen Walze befanden, wie sie im Licht der Sterne auf den Schirmen trieben. Die Frau stand auf und machte einen neuen Versuch, Skip zu trösten. Der Junge aus dem kleinen Fischerdorf an der kalifornischen Küste war keine sechzehn Jahre alt. Er zitterte immer noch am ganzen Körper vor Angst. Sie redete auf ihn ein und strich ihm durch das dichte, schwarze Haar. Ebenso wie sie selbst, hatte er nur das an, was sie in der Nacht am Leib gehabt hatten, als sie von dem Ding entführt worden waren. Die Nacht in der Bucht. Christine vergaß für einen Moment die Umgebung und ließ ihre Gedanken zurückschweifen. Die Nacht war schwül und sternenklar gewesen, und die Leute aus dem Dorf hatten auf ihre eigene Art und Weise gefeiert, mit viel lauter Musik, Tanz und Wein. Christine, die für ein paar Tage der Erholung aus der Welt der großen Städte entflohen war, hatte sich in eine kleine Bucht zurückgezogen, nicht weit vom Dorf entfernt. Die Lichter der Feuer hatten sich im ruhigen Wasser des Ozeans gespiegelt und der Nacht etwas Unvergeßliches gegeben. Die Luft war lau gewesen, und die junge Frau hatte sie in tiefen Atemzügen genossen. Lange hatte sie mit geschlossenen Augen im Sand der Bucht gelegen und ihren Körper vom leichten
Wind umspielen lassen, während sie dem Gesang der Mexikaner vom nahen Dorf gelauscht hatte. Niemand kam in einer Nacht wie dieser auf die Idee, früh ins Bett zu steigen. Und dann war Skip gekommen, der nette Junge aus dem Dorf, der ihr den Hof gemacht hatte, seitdem sie angekommen war. Er war noch ein Kind, aber der Flirt hatte Christine Spaß gemacht. Skip hatte sich neben sie gelegt und Geschichten erzählt, Geschichten von den Fischern, vom Meer und wilden Festen in Nächten wie dieser. Christine hatte die ganze Zeit über auf eine flammende Liebeserklärung gewartet, aber bevor es dazu hatte kommen können, hatten sie den Lichtschein am Himmel gesehen. Christine hatte zuerst geglaubt, es sei eine Sternschnuppe, aber Skip hatte plötzlich Angst gehabt. Sie hatte sich daran erinnert, daß in den letzten Jahren wieder viel über angebliche UFO-Sichtungen in den Zeitungen gestanden hatte. Sie glaubte nicht daran. Man schrieb das Jahr 1987, und die Menschheit war noch sachlicher, noch materialistischer und nüchterner geworden. Um sich einen Spaß zu machen, hatte Christine den Jungen so lange aufgezogen, bis er bereit gewesen war, mit ihr die hügelige Küste entlangzuwandern, in die Richtung, wo der helle Schein am Horizont verschwunden war. Christine hatte immer noch an eine Sternschnuppe geglaubt und sich königlich über die Naivität der Dorfbewohner amüsiert. Aber dann hatten sie vor der strahlenden Scheibe gestanden, jenem flachen Diskus, der in einer Mulde zwischen ein paar bewachsenen Hügeln stand. Als sie davonrennen wollten, war es bereits zu spät gewesen. Plötzlich war alles um sie herum in blendendhelles Licht getaucht gewesen, und dann hatten sie das Bewußtsein verloren. Als sie wieder zu sich gekommen waren, hatten sie sich hier wiedergefunden, in einem scheinbar endlosen Labyrinth aus leeren und toten Korridoren, Schächten, Treppen und Kabinen. Erst nach einem halben Tag, als sie den Mut gefaßt hatten, sich in die metallene, unbegreifliche Welt hinauszuwagen, hatten sie die Zentrale, den großen Schaltraum, in dem sie sich noch immer befanden, entdeckt. Die ganze Zeit über hatten sie Angst davor gehabt, plötzlich jenen Wesen gegenüberzustehen, die sie gekidnappt hatten. Aber da war niemand. Das Gefühl, allein zu sein in einem Raumschiff, weit weg von den Menschen und der Erde, war schon schrecklich genug. Sie aber waren allem Anschein nach die einzigen lebenden Wesen überhaupt an Bord. In halb zerschlissenen Jeans und verwaschenen T-Shirts saßen die Frau und der Junge zwischen Monstren aus Metall und Elektronik und warteten. Wie viele Decks mochte dieses Schiff besitzen? Die Scheibe, die sie hierhergebracht hatte, war viel zu klein, als daß sie sich in ihr hätten befinden können. Wenn sie aber tatsächlich, und Christine zweifelte nicht daran, in einer der Walzen waren, so kannten sie nur einen minimalen Teil des Schiffes. Ein jäher Hoffnungsschimmer durchfuhr Christine, als sie daran dachte, daß vielleicht noch andere Menschen in jener Nacht von anderen UFOs entführt worden waren und sich nun irgendwo hier befanden, ebenso allein und hilflos wie sie selbst. Skip beruhigte sich langsam. Zwar schluchzte er noch leise, aber das Zittern hatte aufgehört. Schließlich beschlossen die beiden, sich auf die Suche nach eventuellen Mitgefangenen zu machen, anstatt grübelnd hier herumzusitzen. Sie verließen den Schaltraum und wagten sich auf einen Korridor hinaus, der als einer von sechs in die Zentrale mündete. Es ist verrückt! fuhr es Christine durch den Sinn, als sie durch kalte und leere Gänge gingen, ohne ein Zeichen von Leben zu finden. Nur hier und da hörten sie das monotone, leise Summen von unbekannten Aggregaten, die irgendwo im Leib der Walze in Betrieb waren. Und dann blieb Skip, der vorausging, abrupt vor ein paar in eine Wand eingelassenen Bildschirmen stehen. Es waren kleine Monitoren, die wohl irgendwelche Kontrollfunktionen erfüllten. Auf einigen wechselten sich verwirrende Zahlengruppen und fremde Zeichen ab, andere zeigten Bilder von weiteren Abteilungen des Schiffes. Gänge und enge Korridore, Schächte und Kabinen.
Und dann sah auch Christine, was den Jungen stutzig gemacht hatte. Einer der kleinen Schirme zeigte einen Gang wie den, auf dem sie sich befanden. Der Winkel war so gewählt, daß sie kein Ende des Ganges erkennen konnten. Und mitten auf dem Monitor war das Ding zu sehen, das nicht hierhergehörte. Es lag auf dem Boden des Ganges.. „Ein Hut!“ entfuhr es Christine. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, was ihre Augen ihr vermittelten. Aber es gab nicht den geringsten Zweifel: Mitten auf dem Boden des unbekannten Ganges lag ein alter, zerknautschter Hut, der scheinbar achtlos zurückgelassen war oder den jemand verloren hatte. Das aber bedeutete, daß es außer ihnen noch jemand an Bord gab. Und dieser Jemand war ein Mensch wie sie. „Wir müssen versuchen, ihn zu finden“, sagte Christine und legte einen Arm um die Schulter des Jungen. Aber sie machte sich nichts vor: Sie hatten keine Ahnung, auf welchem Deck sich der Hut und damit der Unbekannte befand. Die Schächte! Sie mußten die einzelnen, übereinanderliegenden Decks miteinander verbinden. Aber wie gelangten sie hinauf oder zu tieferen Etagen des Schiffes? Sie hatten bereits einmal vor einem der Schächte gestanden, aber keine Vorrichtung gefunden, die einem Aufzug glich. Christine sah sich um. Einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm sie Skip beim Arm und kehrte mit ihm in den Schaltraum zurück. Irgendwo mußte sich ein Schema oder ein Plan, eine Anzeige oder ein sonstiger Hinweis darauf finden lassen, wie dieses Unikum aus Metall gebaut war und wie sie in die anderen Decks gelangen konnten. Ein kurzer Blick auf die Monitorgalerie zeigte ihnen, daß sich nichts an dem Bild des sie umgebenden Weltraums geändert hatte. Sie hatten es nicht wirklich erwartet, aber eine irrationale Hoffnung, daß dies alles eine phantastische Illusion war, ein teuflisches Spiel, das mit ihnen getrieben wurde, blieb noch immer. Als Christine sich den verschiedenen Skalen neben den Schirmen zuwandte, hörten sie das schnell anschwellende Summen. * „Der alte Idiot ist weg!“ fluchte der Mann, der eben die Kabine betreten hatte. Er setzte sich auf die Kante einer Sitzgelegenheit. „Einfach weg! Er scheint auf eigene Faust losgezogen zu sein!“ Der andere schüttelte den Kopf. Er saß an einem ovalen Tisch und fertigte ein paar primitive Skizzen an.. Ebenso wie der eben Eingetretene trug er die Kombination der amerikanischen Luftwaffe. „Er wird zurückkommen“, sagte er. „Er wird nicht so leichtsinnig sein, in die oberen Decks zu steigen.“ „Er ist verrückt, Chris! Ich glaube, er denkt immer noch, daß wir uns irgendwo in einem Hochhaus auf der Erde befinden. Er bleibt an jedem Schaltbrett stehen und tut so, als würde er etwas davon verstehen! Er glotzt in jeden Monitor, in jede Linse wie in einen Spiegel!“ „Er ist alt, Harry!“ Der mit „Harry“ Angesprochene war ein etwa vierzig Jahre alter Mann mit den Rangabzeichen eines Majors der Luftwaffe. Sein voller Name lautete Harry Vanderbuilt. Christopher Reed war ebenfalls Major der US-Luftwaffe. Zusammen mit Vanderbuilt hatte er sich auf einem Routineflug befunden, als der Diskus über ihnen aufgetaucht war. Reed winkte Vanderbuilt zu sich heran und schob ihm einen der seltsamen Stühle hin, die überall in der Kabine verteilt herumstanden. Der Raum machte in allem den Eindruck, als sei er speziell für Besucher eingerichtet worden.
Reed hatte sich schon mehrmals gefragt, ob es überall in dem Schiff so aussah. Wenn die Einrichtung überall gleich war, so ließ sich daraus einiges über die Körperform der Besatzung schließen. Auch die Tastaturen und Instrumente im zentralen Schaltraum dieses Decks schienen für menschliche Hände gemacht zu sein. Seit vier Tagen befanden sich die beiden Männer an Bord dieses Dinges, aber sie hatten bisher vergeblich nach einer Besatzung gesucht. Es schien, als sei das Schiff ausgestorben. „Sieh her“, forderte Reed seinen Kameraden auf und deutete auf die Skizze. „Dies hier ist unser Deck, soweit wir es kennen. Ich schätze den Durchmesser auf etwa 150 Meter.“ „Du bist also sicher, daß wir uns an Bord einer solchen Walze befinden wie...“ Er machte eine Geste mit der rechten Hand und deutete über die Schulter. „.... da draußen?“ „Absolut, Harry. Das UFO, das über uns auftauchte, hatte nie und nimmer diese Ausmaße. Ich schätze, daß es sich um ein Beiboot handelte.“ „Ein Zubringer, der die Passagiere abholt?“ versuchte Vanderbuilt zu scherzen, aber er brachte kein richtiges Lachen zustande. Keiner der beiden Männer machte sich Illusionen über ihre Situation. Nicht mehr, seitdem sie die Bildschirme in dem Zentralraum des Decks gesehen hatten. „Gehen wir davon aus, daß wir uns an Bord einer der Walzen befinden. Dann dürfte dieses Deck eines von vielen sein, und ich schätze, daß die oberen für uns von Interesse sind. Ich glaube nicht, daß wir unten noch etwas finden - außer Maschinen und Generatoren.“ Vanderbuilt und Reed wußten, daß in Wirklichkeit die Schächte den „normalen“ Zustand verkörperten. Innerhalb des luftleeren Weltraums gab es keine Gravitation, nur Schwerelosigkeit. Das wirklich Unfaßbare war die Gravitation im Schiff. Irgendwo mußte ein Generator sie künstlich erzeugen. Daß sie gerade der Schwerkraft entsprach, die die Menschen gewohnt waren, deutete auf ein weiteres Mosaiksteinchen in dem großen Rätsel um die Besatzung des Raumers hin. Wer waren ihre Entführer? Jeder kannte die Spekulationen über die UFOs. Gerade in den letzten Jahren hatte die Diskussion in nie gekannter Stärke eingesetzt. Vanderbuilt wußte ebenso wie Reed, daß Unmengen von Akten und einwandfreien Beweisen für die Existenz der Außerirdischen, die die Erde besuchten, in den Panzerschränken der Armee und des Sicherheitsdiensts lagen. Wieso entsprach die Atmosphäre an Bord des Schiffes genau der irdischen? Wieso war die Temperatur so wie auf der Erde? Die Erklärung, daß irgendwelche Fremdrassigen die Verhältnisse an Bord auf die Belange der Menschen abgestimmt hatten, akzeptierte keiner der Männer. Reed stieß Vanderbuilt an und riß ihn aus den Gedanken. „Wir müssen also nach oben“, erklärte er. „Nur dort können wir erwarten, Hinweise auf unser Ziel und die Besatzung zu finden.“ „Ich weiß nicht recht“, warf Vanderbuilt ein. Dann setzte er sich und machte eine verzweifelte Geste mit beiden Armen. „Was für einen Sinn hat das eigentlich noch? Chris, glaubst du im Ernst, daß wir noch einmal die Erde zu sehen bekommen? Wie schnell mögen wir fliegen? Wir sind doch schon längst in der Zukunft! Du kennst die Theorien besser als ich, du liest doch diese Bücher, dieses utopische Zeug!“ „Eben!“ sagte Reed. „Und deshalb gebe ich nicht auf, bis ich nicht alles versucht habe, herauszubekommen, wem wir unsere Entführung zu verdanken haben. Noch haben wir Luft, und für ein paar Tage reichen die Nahrungskonzentrate, auch wenn wir den Alten mit durchfüttern müssen. Ich...“ Er machte eine Pause, als er das leise Summen hörte. Auch Vanderbuilt schien zu lauschen. Dann schwoll das Geräusch an. Zugleich ,begann der Boden unter den Füßen der Menschen zu zittern. Und dann drehte sich alles um sie herum. Die Umgebung verschwamm und löste sich auf. Der Weltraum, in dem noch vor Sekunden einige hundert Walzen ihre schweigende Bahn gezogen hatten, war leer.
2. Eine knappe Woche, nachdem eine neue Welle von angeblichen UFO-Sichtungen für Schlagzeilen gesorgt hatten, kämpften in einem vollkommen von der Außenwelt isolierten Armeehospital hochqualifizierte Ärzte um das Leben von zwei Frauen. „Es ist zum Verzweifeln!“ sagte einer der Ärzte, die gerade aus den Desinfektionskammern gekommen waren, zu den wartenden Beobachtern. „Wir sind machtlos. Sie sterben uns unter den Händen weg!“ „Das gleiche wie immer?“ fragte einer der Besucher, die auf ihren Uniformen die Marke trugen, die sie zum Betreten der unterirdischen Station legitimierte. Der Mann im weißen Kittel nickte. „Sehen Sie selbst!“ Dann drückte er auf ein paar Tasten auf einem Schaltbrett, und ein Projektionsschirm leuchtete auf. Die Besucher sahen das Bild der beiden Kranken. „Es fängt erst richtig an“, erklärte der Arzt. „Die Rötung der Haut und der Juckreiz stehen am Beginn. Dann treten die ersten Deformierungen auf, als nächstes kommt der Wahnsinn. Die von dem Virus befallenen Opfer sterben als ausgebrannte Wracks. Sie spüren den Tod nicht mehr - es ist nicht einmal mehr eine Erlösung.“ „Wie lange?“ Der Arzt sah den Frager an und zuckte mit den Schultern. „Das ist eine der Sachen, die wir nie begreifen werden. Einmal haben die Opfer es nach einer Woche hinter sich, manchmal dauert es mehr als einen Monat. Die Erreger scheinen insofern kleine Unterschiede auf zuweisen. Das Krankheitsbild als solches ist aber immer gleich.“ „Es sind die ersten Fälle, seitdem wir wieder Besuch bekommen“, stellte einer der Armeevertreter fest. „Hoffen wir, daß es die einzigen bleiben.“ „Das wäre gegen die Wahrscheinlichkeit“, gab der Arzt zurück. Der Besucher nickte finster. Wie alle anderen in der unterirdischen Station irgendwo in der Wüste Neu Mexikos wußte er über viele Dinge Bescheid, die kein Normalsterblicher auch nur ahnte. Die letzte UFO-Welle vor fast 50 Jahren hatte mehr als 200 Tote gefordert. Menschen, die mit den Flugscheiben in Berührung gekommen und nicht verschleppt worden waren. Es war schon mehr als ein Wunder, daß man sie rechtzeitig entdeckt und isoliert hatte. Meist waren es Piloten gewesen. Nur einmal hatte es eine Sekundärinfektion gegeben. Und nun schien es, als stünde der Menschheit ähnliches bevor wie vor 50 Jahren. Die Technik und die Mittel, eine Verbreitung der Seuche zu verhindern, waren verbessert worden, aber es genügte ein einziger infizierter Mensch, der irgendwo unentdeckt geblieben war, um die Katastrophe auszulösen. „Wie lange wird es noch dauern?“ fragte der Sprecher der Armeedelegation. „Schwer zu sagen. Ich schätze, daß sie in drei, vier Tagen anfangen werden, durchzudrehen. Für sie ist dann alles vorüber. Für uns fängt in dem Moment das Schlimmste an.“ „Wollen wir hoffen, daß es die einzigen bleiben“, wünschte der Mann in der Uniform und verabschiedete sich. Während die Besucher die Station verließen, arbeiteten überall in den Labors die Wissenschaftler und Mediziner daran, dem tückischen Virus, das nicht von der Erde stammte, beizukommen. Weder sie noch die Militärs, die in diesen Momenten in einem Helikopter nach Nordwesten flogen, ahnten etwas von den beiden Farmerskindern, die verstört und fast erblindet nach Hause kamen und ihren Eltern wirres Zeug erzählten über eine in helles Licht getauchte Scheibe, die angeblich auf dem Weg von der Schule über ihnen geschwebt hatte und dann plötzlich vor ihnen gewesen sei.
Der herbeigerufene Doktor versprach, einen Spezialisten anzufordern. Alles, was er im Augenblick für die Kinder tun konnte, war, ihnen eine Kalziumspritze zu geben. Irgendeine Allergie, erklärte er den Eltern.
3. Christine drückte beide Hände gegen die Schläfen, um den bohrenden Schmerz zu lindern. Als sie sich nach Skip umsah, stellte sie fest, daß der Junge verschwunden war. Sie stand auf, und sofort begann es in ihren Schläfen wieder wild zu hämmern. Sie suchte jeden Winkel des Schaltraums ab, aber Skip war fort. Christine zitterte am ganzen Körper und ließ sich in einen der Schwenksessel fallen. / Ihr Blick fiel auf die Bildschirme, die den Weltraum zeigten. Da gab es keine Sterne mehr, nur grenzenlose Schwärze und die dahintreibenden Walzen. Diesmal war das Bild noch gespenstischer. Das Licht der Sterne war gewichen, und die Walzen schienen von innen heraus zu glühen. Überall war eine einzige große Leere. Nur im unteren rechten Winkel des Schirmes schimmerte etwas milchigweiß. Christine hatte sich nie ausführlich mit Astronomie beschäftigt, aber sie wußte auch so, daß das, was verschwommen in den Bildwinkel hineinragte, ein Spiralarm einer Galaxis war. Und irgend etwas sagte ihr, daß es ihre Galaxis war. Christine richtete sich auf und zwang sich zur Ruhe. Sie mußte Skip finden. Wahrscheinlich war der Junge in einem Anfall von Panik auf einen der Gänge hinausgerannt und irrte jetzt ziellos in der Gegend herum. Aber wo? Christine beschloß, den aus dem Schaltraum führenden Gang zu untersuchen, durch den sie hereingekommen waren. Vielleicht hatte Skip in seiner Angst den Raum gesucht, in dem sie erwacht waren. Als sie sich zu dem entsprechenden Ausgang in Bewegung setzte, glaubte sie für einen kurzen Augenblick das verrunzelte Gesicht eines alten, verwahrlost wirkenden Mannes auf einem der Kontrollmonitoren an der Instrumentensäule in der Mitte des Raumes zu sehen. Ein verrückt grinsendes Gesicht mit Augen, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Als sie zum zweiten Mal hinblickte, war das Gesicht verschwunden. Christine redete sich schließlich ein, daß ihr ihre Nerven einen Streich gespielt hatten. Trotzdem mußte sie an den Hut denken. Ein Blick auf den entsprechenden Kontrollschirm zeigte ihr, daß er immer noch auf dem Gangboden lag. Sie mußte Skip finden. Es war nicht nur die Angst vor dem Alleinsein. Christine gestand sich ein, daß sie irgendwie an dem Jungen hing. Wie eine Schwester an ihrem kleinen Bruder, und sie hatte das Gefühl, ihn beschützen zu müssen. Christine wußte, daß dieser Gedanke lächerlich war angesichts ihrer Situation. Als sie den Gang betrat, der aus der Zentrale führte, kratzte sie sich im Nacken. Irgend etwas juckte. * „Mach keine Witze!“ Reed zeigte Vanderbuilt mit einer bezeichnenden Handbewegung, was er von der Spekulation hielt, das Ziel des Raumers könnte im intergalaktischen Raum liegen. Sie befanden sich im zentralen Schaltraum ihres Decks, um sich über ihre Position zu informieren. Im Laufe der Tage war es ihnen gelungen, einige Mechanismen zu begreifen. So konnten sie unter anderem die Einstellung auf den Außenmonitoren regulieren. Auf einem der Schirme stand groß die Milchstraße.
„Sie können also mit Überlicht fliegen“, stellte Reed fest. „Ich bin sicher, daß wir ohnmächtig wurden, als die Schiffe in den anderen Raum eintauchten, der ihnen diese Fortbewegung gestattet. Sie müssen in regelmäßigen Abständen Überlichtetappen einlegen. Ich frage mich, woher sie kommen.“ „Mich interessiert mehr, wohin sie fliegen. Und ob wir’s noch erleben werden.“ „Wir müssen die oberen Decks untersuchen, Harry, es hilft nichts. Wenn wir einen Aufschluß über unser Ziel und über die Besatzung haben wollen, müssen wir nach oben. Unter uns sind Maschinenräume, und ich nehme an, daß sich dort die Hangars für die Beiboote befinden, die...“ „Beiboote?“ Vanderbuilt verzog das Gesicht wie nach einem schlechten Witz. Reed nickte. „Die Dinger, die uns hierhergebracht haben, die Diskusse. Die Walzen sind mindestens 150 Meter breit und vielleicht einen Kilometer lang, Harry! Rechne dir aus, wie viele der Scheiben hier reinpassen.“ „Und du glaubst, daß wir oben etwas finden?“ „Wo sonst? Wenn das Schiff eine lebende Besatzung hat, ist sie irgendwo dort oben.“ „Wenn!“ Vanderbuilt lachte bitter auf. „Glaubst du noch daran, Chris?“ „Ehrlich gesagt, bezweifle ich es. Alles hier wirkt wie... wie auf einem Totenschiff! Manchmal komme ich mir vor wie in einem riesigen, metallenen Sarg. Verdammt, dieses verfluchte Jucken!“ Reed kratzte sich am Hals und im Nacken. „Du auch?“ erkundigte sich Vanderbuilt. „Bei mir fängt’s ebenfalls schon an. Was sind das für Flecken an deinem Hals?“ Reed blickte seinen- Freund betroffen an. Dann winkte er ab. „Wir müssen nach oben. Der Alte macht mir Sorgen. Wer weiß, was er anstellt, wenn er irgendwo allein herumstreicht.“ Dann machten sie sich auf den Weg zum nächsten Antigravschacht. „Alles funktioniert wie von unsichtbarer Hand gesteuert“, sagte Vanderbuilt, bevor sie in den Schacht stiegen und sich nach oben tragen ließen. „Ich gäbe einiges dafür, wenn ich wüßte, wie alt dieser Kasten ist.“ Reed gab keine Antwort mehr. Selbst wenn er versucht hätte, das Alter der Geisterarmada zu schätzen, wäre er nicht annähernd an die Wirklichkeit herangekommen. * Skip stand mit offenem Mund vor der Wand und betrachtete staunend die Bilder. Eigentlich waren es eher in die Wand eingearbeitete Reliefs, aber das fiel Skip kaum auf. Dies war schon der dritte Raum, den er durch die offenstehende, ovale Tür betreten hatte. Überall standen bequeme Sitzgelegenheiten um große, runde Tische herum. Der Raum erinnerte Skip an eine gemütliche Bar in seinem Dorf. Es waren keine Einzelbilder, sondern ganze Bildfolgen, immer fünf Szenen untereinander angeordnet, und sie zeigten Menschen, Tiere und immer wieder diese Männer in den seltsamen Anzügen. Skip schien fast sicher, daß diese Männer einmal mit diesen Schiffen geflogen waren. Die Bilder, vor denen Skip jetzt stand, waren anders als die bisher gesehenen. Die dunklen Farben stimmten ihn traurig. Außerdem war die Bildfolge nicht zu Ende geführt. Der Künstler hatte anscheinend mitten in der Arbeit aufgehört. Das oberste Bild zeigte zwei der Männer, wie er sie oft in den Anzügen gesehen hatte, aber diesmal waren sie nackt. Auch auf dem zweiten Bild waren sie da, aber sie hatten überall rote Flecken auf dem Körper. Aus den kleinen Flecken wurden große Fladen, die den Körper auf dem dritten Bild überzogen, und die Gliedmaßen waren an einigen Stellen seltsam verformt. Auf dem vierten Bild schließlich konnte er kaum etwas erkennen. Es war nicht mehr fertiggestellt worden. Der Fischerjunge von der kalifornischen Küste verließ den Raum, um in den nächsten zu treten, zu dem die Tür offenstand. Er dachte nicht weiter über die unvollendete Bildfolge
nach. Als er dann wieder auf dem kahlen Gang stand, fiel ihm plötzlich ein, weshalb er eigentlich den Schacht verlassen und den Gang betreten hatte. Das Lachen! Als er in dem großen Schaltraum spürte, wie ihm langsam schwindlig wurde, war er losgerannt und hatte sich voller Panik in einen der Schächte gestürzt. Christine hatte nichts davon gemerkt, denn auch sie war von dem Schwindel erfaßt worden. Zu Skips Erstaunen war er nicht gefallen, sondern langsam nach oben geschwebt. Bevor er endgültig ohnmächtig wurde, war es ihm gelungen, den Schacht zu verlassen. Er befand sich mindestens drei Decks über Christine. Als er unter Schmerzen erwacht war, hatte er das Lachen gehört - ein meckerndes Lachen, fast wie von einer alten Ziege. Und komischerweise hatte Skip in diesem Augenblick nur noch den Wunsch gehabt, herauszubekommen, was oder wer hinter dem Lachen steckte. Das Lachen war von oben gekommen, also hatte er erneut den Schacht betreten und sich nach oben tragen lassen. Dann hatte er den Hut auf einem der Gänge gesehen. Skip war ausgestiegen, und kurz darauf drang das Lachen erneut an seine Ohren. Überall hatte der Junge geöffnete Türen gefunden und war in die Kabinen gestiegen. Die Bilder an den Wänden hatten ihn das Lachen vergessen lassen, aber jetzt war es wieder da. Skip ging weiter in den Gang hinein, der plötzlich endete. Aber da war direkt vor ihm noch eine Öffnung, und dahinter mußte sich der Lacher verbergen. Die große Tür war von innen angelehnt. Skip griff nach dem Metall, aber bevor er die Tür aufreißen konnte, wurde sie von innen bewegt. Ein verrunzeltes, altes Gesicht erschien, und ein dürrer, alter Körper schob sich auf den Gang. Noch nie hatte Skip einen so zerlumpten Menschen gesehen. „Tot“, sagte der Alte mit knarrender Stimme, wobei Skip ein paar vereinzelte Zähne zwischen den Bartstoppeln und den aufgeplatzten Lippen des Mannes erkennen konnte. „Alle tot!“ Der Alte grinste und zeigte mir einer Hand auf den Türspalt. * Christopher Reed bückte sich und hob den alten Hut auf. „Er scheint hier zu sein“, stellte Vanderbuilt fest. „Jedenfalls war er es“, meinte Reed. „Sehen wir uns den Gang an.“ Wenig später erreichten sie die ersten offenen Einstiege in die Aufenthaltsräume. Sie brauchten nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, daß dies einmal die Aufenthaltsräume der mysteriösen Besatzung gewesen waren. Es gab keinen Zweifel mehr: Irgendwann einmal mußten sich Hunderte von Raumfahrern an Bord des Schiffes befunden haben. Wo aber waren diese jetzt? Und warum hatte man sie selbst hierhergebracht? Irgendein Sinn mußte doch hinter dem Ganzen stecken! Sie kamen nicht dazu, den Raum mit dem unvollständigen Relief zu betreten, der ihnen vielleicht eine Antwort hätte geben können, denn plötzlich stand der Alte vor ihnen und neben ihm ein Junge, der am ganzen Leib zitterte. „Alle sind sie tot, General“, kam es aus dem Mund des Alten, als Reed ihn fragend ansah. Die Augen des Alten leuchteten irr. Immer wieder zeigte er auf das Ende des gekrümmten Ganges. „Wer ist tot?“ fragte Vanderbuilt ärgerlich, während er sich um den Jungen kümmerte. „Wer sind ,sie’?“ „Alle tot!“ wiederholte der Alte. Vanderbuilt nahm den Jungen in die Arme, der bei den Worten zusammenzuckte und dann zu weinen begann. Reed gab dem Freund ein Zeichen, auf die beiden aufzupassen. Dann ging er zum Gangende und stieß die Tür nach innen auf.
Der fahle Schein des vom Gang einfallenden Lichtes genügte, um Reed erkennen zu lassen, was den Boden des großen Raumes, der größer war als alle bisher gesehenen, bedeckte. Hunderte von menschlichen Mumien lagen da, und Reed hatte das Gefühl, aus vielen toten Augen zugleich angestarrt zu werden. Er hielt sich am Rahmen des Einstiegs fest und merkte nicht, daß er sich übergab.
4. „Ein Königreich für eine Flasche Whisky!“ sagte Vanderbuilt und zog eine Grimasse. Sie befanden sich in dem Hauptschaltraum eines der unteren Decks des unbekannten Schiffes, das nicht mehr ganz so unbekannt war. Zumindest wußten sie nun, daß sie die einzigen lebenden Wesen an Bord waren. Sie teilten sich das Schiff mit einigen hundert Toten. Es war nicht allzuschwer, sich vorzustellen, wie es an Bord der anderen Walzen aussah. Immer noch stand die lautlos dahinziehende Prozession der Walzenschiffe scheinbar bewegungslos im absoluten Nichts. Aber der Anblick konnte die Menschen nicht mehr sonderlich erschüttern. Nicht mehr, nachdem sie wußten, daß sie tatsächlich in einer metallenen Gruft eingesperrt waren. Sie, das waren eine junge, attraktive Frau aus New York, die an der kalifornischen Küste Urlaub gemacht hatte, als sie gekidnappt wurde, und der Junge, der dabei war, sich von dem Schock zu erholen. Weiterhin zwei Offiziere der US-Luftwaffe und ein alter Mann, über dessen Herkunft keiner der anderen etwas wußte. „Wie geht es Ihnen?“ fragte Reed, der sich um Christine kümmerte. „Schon besser. Die Stunden allein hier unten waren furchtbar.“ „Seien Sie froh, daß Sie nicht oben waren“, tröstete Reed. Mit Schaudern dachte er an die Mumien. Was hatte die Leichen so konserviert, daß sie aussahen, als wären sie gestern gestorben? „Wer ist er?“ fragte Christine und zeigte auf den Alten, der in einer Ecke vor einer Konsolenbank saß und neugierig die Knöpfe und Armaturen betrachtete. Dann und wann lachte er wie ein Kind. „Wir wissen es selbst nicht. Wir stießen auf ihn, als wir die ersten Schritte aus unserer Kabine taten, in der wir aufgewacht waren. Er stammelt dummes Zeug, und wir haben keine Ahnung, wie lange er schon an Bord des Schiffes ist. Vielleicht weiß • er’s selbst nicht.“ Der Alte sah kurz zu ihnen herüber, und es schien für einen Augenblick fast so, als wüßte er, daß das Gespräch sich um ihn drehte. Wie lange war der alte Mann bereits auf diesem Schiff? fragte sich Reed unwillkürlich. Er vergaß den Alten, als Christine sich am Ärmel kratzte. Es war schlimmer geworden in den letzten Stunden. Reed betrachtete die Frau verstohlen. Sie war schön. Die langen silbernen Haare fielen auf die Schultern. Sie trug eine leichte Bluse mit Blumenmustern, dazu eine ausgefranste, verwaschene Jeans. Ihre Haut war braun. Christine hatte alles, was eine attraktive Frau ausmachte. „Wir können nur warten“, sagte Reed. „Warten und hoffen, daß dieser Flug bald ein Ende haben wird. Allerdings wissen wir nicht, was uns bevorsteht. Schlimmer als dies hier kann es jedoch nicht sein.“ In Skip sah es finster aus. Der Junge fühlte sich zwischen verschiedenen Gefühlen hin und her gerissen. Manchmal war er eifersüchtig auf den Offizier, der sich für seine Begriffe viel zu oft in der Nähe von Christine aufhielt. Er kannte die Blicke, die Männer Frauen zuwarfen, wenn sie etwas ganz Bestimmtes von ihnen wollten. Aber dann standen die Bilder wieder vor seinen Augen. Jene Bildfolge, die nicht zu Ende geführt worden war.
Keiner der anderen hatte die Bilder gesehen, außer dem Alten. Er schwieg ebenso wie Skip. Immer mehr der roten Flecken erschienen auf der Haut der Menschen. Auch Skip hatte sie. Es waren die gleichen Flecken, wie er sie auf dem Relief gesehen hatte. Die Menschen redeten nicht sehr viel, und die Schiffe zogen weiter auf ihrer Bahn. Nach zwei Tagen gingen sie wieder zum Überlichtflug über. Als sie in den Einsteinraum zurückfielen, befanden sie sich im Sterngewimmel einer fremden Milchstraße. Aus den kleinen, roten Flecken waren große Fladen geworden. Der Juckreiz war fast verschwunden. Dafür schmerzten die roten Stellen auf der Haut ganz leicht. Auf den Außenschirmen stand schimmernd ein Planet. Er war seit dem Eintauchen in den normalen Weltraum größer geworden. Keiner in der Schaltzentrale zweifelte daran, daß dies die Endstation für sie war. * Fünf Tage, nachdem Pat und Billy Jennings sich mit dem Juckreiz und den roten Flecken ins Bett gelegt hatten, begannen sich die Leute im Dorf zu kratzen. Bei einigen von ihnen zeigten sich bereits die roten Flecken. Melberville hatte nicht mehr als 500 Einwohner. Es war ein kleiner Ort abseits der großen Highways und Autorouten. Die Leute, in der Hauptsache Farmer, lebten hier noch, wie es ihre Väter und Großväter getan hatten. An Melberville war der große Fortschritt vorbeigegangen. Und die Dorfbewohner waren in der Regel froh darüber. Ihre Luft war noch frisch, und sie hatten ihre Ruhe. Jetzt jedoch begannen sich viele zu wünschen, in der Nähe einer großen Stadt zu leben. Die Nachrichten, die von den Jennings-Kindern verbreitet wurden, brachten die Angst ins Dorf. Angeblich waren die Kinder am ganzen Körper rot und hatten Schmerzen an den Gliedmaßen. Der Doktor konnte ihnen nicht helfen. Als das Kalzium keine Wirkung zeigte, hatte er es mit anderen Mitteln versucht, aber ohne Erfolg. Er war als erster angesteckt worden. Auch den Eltern der beiden erkrankten Kinder ging es schlecht. Irgendwie war bekannt geworden, daß die Kinder ein UFO gesehen haben wollten. Dies und die Tatsache, daß der Arzt bei jeder Gelegenheit versichert hatte, ihm seien die Krankheitssymptome gänzlich fremd und unerklärlich, sorgten für eine sich schnell ausbreitende Hysterie. Der Doktor telephonierte mit Kollegen in den Städten, von denen er sich Rat erhoffte, aber auch sie waren hilflos. Einige kamen, um sich die Patienten anzusehen, aber sie fuhren schulterzuckend wieder zurück. Einen Tag, nachdem die großen Zeitungen über die seltsamen Krankheitsfälle in Melberville zu berichten begannen, tauchten Fahrzeuge der Armee in dem Ort auf. Flugzeuge hingen plötzlich am Himmel. Aus den Wagen, Transportern und Panzerfahrzeugen stiegen Männer und Frauen in Schutzanzügen, deren Gesichter hinter Atemmasken verborgen waren. Aber alles, was sie taten, war sinnlos. Längst war das Virus, denn um ein solches handelte es sich, auf dem Vormarsch in die Metropolen der Menschheit. Eine Katastrophe, die vor Jahrmillionen bereits ein Planetenvolk dezimiert hatte, begann, ihren Lauf zu nehmen.
6. „Ich wünschte, wir hätten uns woanders kennengelernt“, sagte Reed. „Wozu?“ fragte Christine, ohne ihn anzusehen. Reed hatte es so eingerichtet, daß er zusammen mit ihr nach oben gekommen war. In den letzten beiden Tagen, an denen die
Schiffe scheinbar unbeweglich vor dem Planeten verharrt hatten und auf etwas zu warten schienen, hatten sie beschlossen, in Gruppen zu zwei Leuten das Schiff weiter zu untersuchen. „Wozu?“ Reed schien verwundert über diese Frage. „Ich bin ein alter Junggeselle, und es wird Zeit für mich, einmal an eine andere Zukunft zu denken.“ „Dort vorne liegt unsere Zukunft“, meinte Christine und zeigte auf den Planeten. Sie waren weit oben in der großen Walze, weiter, als jemand vor ihnen bisher gekommen war. Sie befanden sich in einem komfortabel eingerichteten Raum, der wie ein Schlauch rund um das Schiffszentrum gebaut war. Und die nach außen gerichtete Wandung war ein einziger großer Bildschirm, der. den Eindruck vermittelte, als sähen die Menschen direkt durch die gläsern gewordene Schiffswand ins All. Es war eine Art Reling, an der sie standen. Unter anderen Umständen hätten sie die Faszination des Anblicks genossen. Sie standen scheinbar direkt im Weltraum. „Sie wissen, was ich meine“, griff Reed den Faden auf. „So wie Sie müßte sie sein.“ „Wer?“ „Christine, tun Sie doch nicht so. Meine Frau natürlich, jene Frau, die mich dazu bringen könnte, mein trostloses Dasein zu beenden und heimisch zu werden.“ „Sie Ärmster!“ sagte Christine kühl. „Dort unten sind noch mehr von diesen Städten.“ Der Major stöhnte. Natürlich wußte er, daß Städte auf den Kontinenten lagen. Das wußten sie alle bereits seit fast zwei Tagen. „Ich glaube, Sie können mich nicht besonders leiden, was?“ versuchte er es noch einmal auf die andere Tour. Reed kam sich irgendwie plump vor. Normalerweise fand er die Worte schneller, und es waren bessere Worte. Aber hier fühlte er sich seltsam unbeholfen. „Entschuldigen Sie, Christine“, murmelte er schließlich und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Bei der Bewegung spürte er den stechenden Schmerz in der Schulter. Christine blickte ihn an. „Lassen Sie’s gut sein, Major. In einer anderen Situation wüßte ich auch etwas Besseres, als...“ Sie schwieg und machte eine vielsagende Armbewegung. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist“, meinte Christopher Reed. „Vielleicht muß sich jeder von uns ablenken. Nur nicht daran denken, was uns dort unten erwartet.“ „Kann es schlimmer sein als dies hier?“ Die Frau krempelte den rechten Ärmel hoch. Nur noch wenige Hautstellen waren nicht von der Rötung befallen. Dort, wo die roten Flecken zuerst aufgetreten waren, fing die Haut an sich zu kräuseln. Und an diesen Stellen begannen die stechenden Schmerzen. Die Menschen vermieden es, von der Krankheit zu reden. Um so mehr bewegten sich ihre Gedanken um das, was weiter auf sie zukam. Wie würde das nächste Stadium der unbekannten Seuche aussehen? Und was stand am Ende? Christine drehte sich abrupt ganz zu Reed um und sprach das aus, was sie seit Tagen quälte: „Sie sind an dieser Krankheit gestorben, oder?“ Christopher Reed brachte es nicht fertig, eine Antwort zu geben, obwohl er sie zu kennen glaubte. Noch immer hatte Skip nichts von dem letzten Wandbild gesagt, und die anderen hatten es nicht entdeckt. „Der Junge macht mir Sorgen“, meinte Reed. „Seit wir die Mumien der Besatzung fanden, hat er kaum drei Worte geredet. Er ist verliebt in Sie, eh?“ „Er ist ein Kind.“ „Tun Sie mir einen Gefallen, Christine: Versprechen Sie mir etwas!“ Sie sah ihn mit einem seltsamen Blick an. „Und?“ „Wenn wir das hier hinter uns haben, machen wir beide zusammen drei Wochen Urlaub in der Südsee. Wir beide ganz allein. Geben Sie mir Ihr Wort?“ Christine lachte zum erstenmal seit ihrer Begegnung. „Drei Monate, wenn’s sein muß, drei Jahre.“ Sie schüttelte immer noch lachend den Kopf. „Sie sind auch ein Kind, Reed. Gehen wir?“ Er nickte, und sie warfen einen letzten Blick auf das Panorama vor ihnen. Wie stille Wächter standen die großen Walzen um den Planeten herum, soweit das Auge sie erfassen konnte. Reed hatte den Eindruck, als wären es mehr geworden.
Waren bereits andere Walzen hier gewesen, bevor sie diese Welt erreichten? „Zwei Tage!“ stellte Reed mißmutig fest. „Zwei Tage sitzen wir hier fest, und nichts tut sich. Vielleicht hat Harry recht, wenn er sagt, daß wir selbst runter müssen. Vielleicht ist dort unten ebenfalls alles tot.“ „Seien Sie still!“ bat Christine. „Die beiden sind unten?“ „Vanderbuilt und der Junge. Sie sehen sich unter den Maschinendecks um. Irgendwo dort müssen die Beiboote sein.“ „Die ,UFOs’. Eigentlich hatte ich mir sie anders vorgestellt.“ Sie betraten den Antigravschacht, mit dem sie mittlerweile vertraut waren. Überhaupt hatten sie sich in den letzten Tagen schneller als erwartet an die Umgebung gewöhnt. Einige Instrumente hatten sie zu bedienen gelernt. Die Frage war, ob sie eine der Scheiben steuern könnten, wenn es notwendig wäre. Immer wieder kamen die quälenden Gedanken. Das Warten und die Ungewißheit waren das Schlimmste, sah man von der Krankheit ab. Wie lange würden sie auf den Beinen sein? Seit gestern hatten sie keine Nahrung mehr. Die Notrationen der Armee waren aufgebraucht. Ein komisches Geräusch drang an ihre Ohren. Es kam von unten, aber noch lange waren sie nicht an ihrem Ziel. Irgendwo auf den , Mannschaftsdecks trieb sich jemand herum. Sie schwebten langsam nach unten. Als sie glaubten, das richtige Deck erreicht zu haben, verließen sie den Schacht. Und tatsächlich hörten sie nun das seltsame Geräusch ganz nahe. „Da singt einer!“ flüsterte Christine verdutzt und klammerte sich instinktiv an Reeds Arm. Dann hörten sie erste Wortfetzen, in einer Art Melodie vorgetragen: Jt’s allong way... to Tipparrrarriee...“ „Das ist der Alte, ich werde verrückt!“ Reed ging einige Schritte in den Gang hinein. Dann stand er vor dem menschlichen Unikum. Der Alte begann wieder zu grinsen, als er Reed sah. Christine war inzwischen auch herangekommen. Der alte Mann, über den sie eigentlich so gut wie nichts wußten, hob beide Hände und machte eine Geste, als wolle er einen Chor dirigieren. Dabei sah er Christine und Reed aufmunternd an. „It’s allong way...“ „Schon gut, schon gut“, wehrte Reed ab und hielt sich die Ohren zu. Dann stutzte er und sah den Gegenstand in der rechten Hand des Alten. Im nächsten Moment streckte der alte Mann die Rechte aus und reichte Reed das Ding. „Bitte sehr, Herr General!“ kam es aus dem Mund des Unikums. Der Alte schien sich zu freuen, Reed, den er offenbar als Anführer der kleinen Gruppe ansah, seinen Fund präsentieren zu können. „Wo hast du das her?“ fragte der Major. Der Alte zuckte mit den Schultern und deutete hinter sich. Reed nahm den Gegenstand in die Hand. Die äußere Form ließ keinen Zweifel zu, wozu er diente. „Haltet euch die Ohren zu“, forderte er Christine und den Alten auf. Christine gehorchte, der Alte grinste nur. Wieder einmal hatte Reed das Gefühl, daß dieser Mann eine Menge wußte, wovon sie keine Ahnung hatten. Reed zielte auf den Boden, dann drückte er ab. Aber der Knall blieb aus. Statt dessen fuhr ein hellblauer Strahl aus der Mündung der Handwaffe, und der Boden löste sich an der getroffenen Stelle auf. „Puh!“ machte Reed und wischte sich über die Stirn. „Und jetzt sehen wir zu, daß wir nach unten kommen.“ Während sie im Schacht nach unten schwebten, sagte er vor sich hin: „Ich glaube, jetzt geht’s los...“ *
Sie warteten noch einen Tag, dann stiegen sie in den nach unten führenden Schacht und kletterten in eines der Beiboote. Mehrere der Flug-Scheiben standen jeweils in einem Hangar, tief unten im Schiffsleib. Jeder von ihnen, mit Ausnahme des Alten, trug einen der in einem großen Arsenal gefundenen Handlaser. Außerdem schleppten sie zwei Lasergewehre mit. Vielleicht würden sie dort, wo sie ankommen würden, darauf angewiesen sein. Hunger und die immer weiter fortschreitende Krankheit hatten sie zu diesem Schritt getrieben. Und die irre Hoffnung, auf dem Planeten Hilfe zu finden. Noch immer standen die Walzen wie eine Schale um die im All schimmernde Welt herum. Keiner der fünf hierher Verschlagenen hatte genügend astronomische Kenntnisse, um auch nur vage bestimmen zu können, wo sie sich befanden. Sie schwebten im Orbit um einen Planeten, der allem Anschein nach erdgroß war und auch so ähnlich wie die Erde wirkte. Nur die braunen Flächen schienen auf große Wüsten hinzuweisen. Es war Vanderbuilt und Reed gelungen, einzelne Symbolgruppen zu entschlüsseln. Sie beruhten auf der gleichen mathematischen Logik wie die komplizierten Programmcodes, die man auf der Erde verwendete. Es gab nur eine Logik im Universum. So kam es, daß zwei Männer, die nie im Leben in einem Raumschiff oder einer Rakete gesessen hatten, eine Automatik einer anderen, völlig fremden Kultur programmierten und das, was man in einem irdischen Flugzeug und den primitiven Raumfahrzeugen einen Autopiloten nannte, mit der Aufgabe der Landung versahen. Keiner konnte sagen, ob sie Erfolg haben würden. Es hatte ebenfalls Stunden gedauert, bis sie den Mechanismus entdeckten, der das Hangarschott öffnete. Und wieder war es der Alte gewesen, der ihn scheinbar zufällig gefunden hatte, als er wieder einmal an den Armaturenbänken, die überall in den Wänden zu finden waren, entlanggeschritten war und dann und wann auf eines der bunterleuchteten Knöpfchen drückte. „Irgendwann wird er uns damit in die Luft jagen!“ befürchtete Vanderbuilt und setzte sich zu seinem Freund. Reed grinste. „Ich möchte wissen, wer er ist“, sagte der Offizier. „Zuerst findet er die toten Raumfahrer, dann stöbert er die Waffenarsenale auf, und jetzt drückt er wie zufällig den richtigen Knopf fürs Schott!“ „Am besten setzen wir ihn an die Steuerung der Scheibe, dann brauchen wir uns um die gute Landung keine Sorgen zu machen.“ „Da ist noch was anderes, Harry!“ Reed sah mit zusammengekniffenen Augen hinüber zu dem Alten, der vor einem Monitor saß und das Bild immer wieder vergrößerte und dann wieder verkleinerte. Dabei lachte er still in sich hinein. „Ja, er gehört in eine Klapsmühle!“ brummte Vanderbuilt. „Sieh dir seine Hände an, seinen Hals.“ „Ich weiß nicht, was das soll, Chris?“ „Er hat keine einzige rote Stelle am Körper, und er hat sich bisher nicht ein einziges Mal gekratzt...“ * Der Diskus durchmaß im Durchmesser etwa 50 Meter, die Höhe lag nicht über 10 Metern. Es war eher eine flache Scheibe. Auf einen Knopfdruck hin, der die Automatik nach der Programmierung anlaufen ließ, schob sich das Beiboot der großen Walze aus dem Hangar hinaus ins freie All. Es schien auf unsichtbaren Schienen zu gleiten. Dann raste die Scheibe im Sturzflug auf die schimmernde, blaubraune Kugel hinab. Reed sah zwei Monde auf den Schirmen.
Alles war in Dunkel und Rätsel gehüllt. Reed hoffte, daß sie lange genug leben würden, um das Geheimnis der UFOs, die auf der Erde aufgetaucht waren, zu erfahren, das Geheimnis der Walzen und ihrer mysteriösen, toten Besatzung. Er spürte, daß es das Geheimnis eines Volkes war, dessen Vertreter vielleicht dort unten auf sie warteten. * Der Raumhafen war nicht von der gewohnten Sterilität, im Gegenteil: Dreck und Unrat bedeckten große Teile der Plattformen. Überall wucherte Unkraut. Wie ein Leichentuch lag die weißgraue Wolkendecke über dem Hafen. Irgendein für menschliche Sinne nicht faßbarer Leitstrahl mußte den Diskus hierhergelotst haben. Und die sichere Landung mußte Bestandteil der Programmierung sein. Einige Stunden verbrachten die Menschen an Bord der Scheibe und versuchten, sich ein Bild von ihrer Umwelt zu machen. Die Welt war wie die Erde, aber tot. Nirgendwo entdeckten die unfreiwillig zu Raumfahrern gewordenen Menschen eine Spur von Leben. Überall waren Verwitterung und Moder. Mehrere Diskusse standen in unmittelbarer Umgebung. Etwa fünfhundert Meter entfernt ragten ein paar Türme aus der ebenen Fläche des Hafengeländes auf. Zwischen ihnen waren kleinere Kuppelbauten zu erkennen. Wenn es einen Hinweis für die Menschen geben konnte, dann war es dort in den Kuppeln, und wieder war es der seltsame Alte, der ihnen die Antwort auf die Frage gab, ob draußen für Menschen erträgliche Lebensbedingungen herrschten. Unbeobachtet von den anderen, hatte sich der Alte an einigen Armaturen zu schaffen gemacht, wobei ein Außenschott des Beiboots aufgeglitten war. Ohne eine Warnung abzuwarten, war der Mann in die entstandene Öffnung getreten und ließ sich auf das Gelände des Hafens hinabgleiten. Der Alte winkte. „Langsam wird er mir unheimlich“, murmelte Reed. Dann traten sie nacheinander in die Öffnung, die in der Scheibe entstanden war, und ließen sich nach unten gleiten. Ab nun kümmerte sich Vanderbuilt um den Alten und paßte auf, daß er keine weiteren Alleingänge unternahm. Reed ging als letzter hinter Christine und dem Jungen. Skip schwieg noch immer. Irgend etwas lag schwer auf seiner Seele. Reed stellte fest, daß er den Jungen gern hatte. Er war tapfer, trotz der Schmerzen. In den letzten Stunden hatte etwas damit begonnen, ihre Haut weiter zu verändern. Sie schien zu einer rauhen, roten Kruste werden zu wollen. Die kleine Gruppe passierte zwei Diskusse, die sich kaum von dem unterschieden, mit dem sie gekommen waren. Es war ein faszinierender Anblick, die flachen Scheiben ruhig nebeneinander stehen zu sehen, die seit Jahrzehnten immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatten - auf der Erde. Nichts rührte sich zwischen den Schiffen, und auch die Kuppeln schienen verlassen. Die Umweltbedingungen dieser Welt glichen tatsächlich denen der Erde, nur die Luft war trockener, und es war heißer, aber dies konnte nicht der Grund sein für das Fehlen von Leben. Die Menschen waren noch hundert Meter von der ersten Kuppel entfernt, als die Explosion erfolgte. Ein großes Stück wurde aus der Kuppeldecke herausgerissen und in den Himmel geschleudert, über dem eine unbekannte, rote Sonne stand. Einen Augenblick später bildete sich eine Öffnung direkt vor ihnen, und drei Männer stürmten aus der Kuppel. Sie rannten genau auf die fünf Menschen zu. Und dann tauchten die Verfolger auf. Als die ersten Schüsse fielen, befanden sich die drei Fremden genau zwischen den Angreifern, die jetzt aus der Kuppel kamen, und den Menschen. *
„Zurück!“ brüllte Reed, der als erster die Situation erfaßt hatte. Die anderen standen noch benommen da und starrten entgeistert auf die Szene. „Macht, daß ihr zurück in die Scheibe kommt, los schon!“ Reed hatte den Laser in der Hand und fixierte die aus der Kuppel brechenden Männer. Auch sie schwenkten irgendwelche Strahlgewehre, und immer wieder standen blaßblaue Strahlbahnen in der Luft. Noch galten die Schüsse den drei Männern, die zuerst aufgetaucht waren. Einen Moment lang schienen die Angreifer verdutzt und hörten auf, zu schießen. Sie hatten wohl erst jetzt die Menschen entdeckt. Vanderbuilt nutzte die Chance und trieb die anderen zum Beiboot zurück, während Reed noch wartete, bis sie einen Vorsprung hatten. Immer noch unsicher, hielt er den Laser auf die Fremden gerichtet. Die drei Männer (Reed bezeichnete sie als „Männer“, denn sie waren auf den ersten Blick wie Menschen) trugen gelbe Kombinationen, die mit einer Menge Verzierungen versehen waren. Die Verfolger dagegen waren in farblose, einfache Uniformen gekleidet. Es schien sich um Vertreter zweier gegnerischer Parteien zu handeln. Die Gelben waren unbewaffnet. Der nächste Angriff würde ihnen keine Chance lassen. Reed sah zu Vanderbuilt und den anderen hinüber und stellte fest, daß sie weit genug voran waren. Noch einmal blickte er zurück zu der Kuppel, bevor er ihnen folgte. Der Major hätte später kaum zu sagen gewußt, was ihn dazu veranlaßte, zu warten und die drei gelbgekleideten Fremden zu sich heranzuwinken. Vielleicht war etwas in ihrem Blick, das ihn zu dieser Geste trieb. Wenn man ihnen nicht half, waren sie in weniger als einer Minute tot. Und die Fremden verstanden. Sie rannten hinter der kleinen Gruppe der Terraner her. Die Verfolger begriffen sofort, was gespielt wurde. Als die ersten Schüsse in ihren Reihen aufblitzten und die ersten Strahlbahnen an ihm vorbeifuhren, drückte Reed auf den Auslöser. Er erschrak über die Wirkung der Waffe. Ein greller, blauer Strahl löste sich aus dem gedrungenen Lauf und fuhr in die Reihen der Angreifer. Drei von ihnen wurden bei dem ersten Schuß erfaßt und wandten sich schreiend aus der Schußbahn. Das waren nicht die Schreie von Menschen. Und Reed wurde klar, daß er gegen fremde Wesen kämpfte, von denen er nicht das geringste wußte. Der Strahl brach erst ab, als der Terraner den Finger vom Abzug nahm. Gewarnt durch die verheerende Wirkung der vermeintlichen Laserwaffe, gab er noch einen weiteren kurzen Schuß ab, diesmal zielte er aber über die Köpfe der Fremden hinweg, die sich nach allen Seiten geworfen hatten, um eine Deckung zu erhaschen. Der Strahl fuhr in das metallen scheinende Material der Kuppel, hoch über der Öffnung, und brachte es zum Glühen. Dann drehte Reed sich um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, zurück zu dem Diskus, in dem seine Begleiter und die drei Fremden auf ihn warteten. Noch einmal zischte es heiß an seiner Schulter vorbei, dann war er in dem Beiboot. Irgend jemand ließ die Öffnung zufahren. Reed hockte keuchend am Boden. Keiner der anderen sagte ein Wort, bis er sich aufrichtete. Und dann war es Vanderbuilt, der ihn mit undefinierbarem Blick betrachtete und feststellte: „Du bist verrückt geworden, Chris!“ * „Sie glotzen einen an wie Idioten!“ sagte Vanderbuilt ärgerlich. Er und Reed saßen nebeneinander vor einer Anzeigenwand, in die unzählige kleine Konsolen, Ein- und Ausgabeeinheiten und kleine Monitoren eingebaut waren. Der einzige große Bildschirm zeigte die Kuppeln auf dem Landefeld. Ein Blick genügte, um festzustellen, daß draußen alles ruhig war. Diejenigen, die von den Angreifern übriggeblieben waren, hatten sich zurückgezogen. Vielleicht (und das erschien den beiden Männern wahrscheinlicher) warteten
sie aber auch nur auf Verstärkung. Die Kuppeln bildeten die Peripherie des Bildfeldes und verdeckten den Blick auf das, was hinter ihnen und somit hinter dem Landefeld lag. „Wie lange sollen wir noch warten. Chris?“ fragte Vanderbuilt und nahm den Faden auf. „Du glaubst doch nicht etwa, daß die drei etwas aus ihnen rausbekommen?“ Reed schwieg. Irgend etwas ließ ihn daran glauben, daß die Kontaktversuche mit den Fremden Erfolg haben würden. Christine war verzweifelt dabei, mittels primitivster Gesten eine Verständigung mit den Fremden herbeizuführen. Bisher ohne Erfolg. Sie hatten irgend etwas an sich, irgend etwas in ihren Augen, in der Art, wie sie die Menschen ansahen. Wenn es nicht zu lächerlich gewesen wäre, hätte Reed gemeint, daß so etwas wie Ehrfurcht aus ihrem Blick sprach. Vanderbuilt explodierte. „Verdammt noch mal, ich rede mit dir! Was versprichst du dir von dem Zauber? Wir sitzen auf einem Pulverfaß, das jeden Augenblick hochgehen kann! Wir haben nichts zu essen und Werden von irgendeinem Virus gefressen! Wir sind eine Zielscheibe für die Burschen da draußen und stehen hier herum und warten darauf, daß diese Mondanbeter den Mund aufmachen! Was versprichst du dir, eh?“ „Was sollen wir deiner Meinung nach tun?“ „Raus aus dem Ding hier und zusehen, daß wir die Kuppel knacken! Erst dann können wir uns ein Bild machen. Vielleicht finden wir dort etwas zum Essen. Vielleicht auch Medikamente!“ Reed sah seinen Kameraden mitleidig an. „Und du meinst, ich sei verzückt?“ „Dann mache einen besseren Vorschlag!“ „Bis wir in den Kuppeln etwas gefunden haben, sind wir längst zu Mumien geworden. Wenn wir aber...“ „Mumien?“ unterbrach ihn der Freund. „Wie kommst du jetzt darauf?“ Reed zuckte mit den Schultern. „Glaubst du nicht, daß sie an unserer Seuche starben? Wie sonst sollten sich ihre Körper über all die Jahre hinweg konserviert haben, wenn sie nicht von innen her...“ Wieder sprach Reed nicht zu Ende, deutete aber dafür mit den Augen auf die verkrustete Haut an den Gelenken. Vanderbuilt schwieg. Reed fuhr fort: „Wenn wir aber ein Gespräch zustande bringen, haben wir eine Chance. Vielleicht haben sie die Krankheit kennengelernt, vielleicht sind sie tatsächlich Nachkommen der ehemaligen Walzenbesatzungen und haben Medikamente entwickelt. Sie werden uns sagen, was sie wissen.“ „Du bist sicher?“ Reed nickte. * Es waren keine zwei Stunden vergangen, als die Verständigung erreicht war. Die Kehlen der drei Fremden vermochten durchaus menschlich klingende Laute zu erzeugen, wenn auch in einer gänzlich unbekannten Sprache. Reed sah seine Vermutung, es könne sich zumindest um Verwandte der Wesen handeln, die einmal die Schiffe gebaut hatten, bestätigt, als sie sich an einigen Apparaturen in der Scheibe zu schaffen machten und schließlich ein Gerät (eigentlich war es ein irgendwo in einer Schaltbank verstecktes Aufnahme-Wiedergabegerät) aktivierten, das ihre Laute in die menschliche Sprache übersetzte und umgekehrt. Als die drei menschenähnlichen Fremden in ihren schnörkelbesetzten gelben Roben die an sie gerichteten Fragen beantworteten, geschah dies in einer Art und Weise, mit denen keiner der Menschen gerechnet hatte. Es schien für die Wesen ein ritueller, fast hochreligiöser Akt zu sein, als sie sich bei den feingliedrigen Händen faßten und in eine Art Trance zu fallen begannen. Als dann die Gedankenbilder in die Gehirne der Menschen drangen, war die Überraschung vollkommen. Bereits vorher hatte man sich auf normaler akustischer Basis mit den Fremden
unterhalten, aber es waren Belanglosigkeiten gewesen im Vergleich zu dem, was nun auf die Menschen einströmte. Als die Bilder kamen, war alles vergessen, das an möglichen Gefahren auf dem Landefeld lauerte... * Sie hatten niemals eine andere Aufgabe gekannt, als die Rückkehr der großen Schiffe abzuwarten. Erst dann würde der Zeitpunkt gekommen sein, wo sie die UNSTERBLICHEN aus ihrem ewig währenden Schlaf holen durften. Jahrtausendelang waren sie die Wächter der UNSTERBLICHEN gewesen, und es hatte für sie niemals etwas anderes gegeben als zu warten und bereit zu sein für den Tag, an dem die Schiffe zurückkehren würden nach LOORD. Alte gingen und Junge kamen. Die Alten überlieferten die Botschaft und bereiteten die Jungen auf ihre Aufgabe vor. Sie berichteten von den Schiffen, die einst, vor langer Zeit, den Weg ins All angetreten hatten, um ihre große Mission zu erfüllen, und sie lehrten die Gesetze jener, die unsterblich in den Lebenskapseln auf die Rückkehr ihrer Brüder warteten, um endlich den heißersehnten Schritt vollziehen zu können, der der einstmals auf LOORD entstandenen Kultur die ewige Erfüllung bringen würde. Sie, die Wächter, würden teilhaben an diesem Schritt, denn auch sie waren Loorden. Jahrtausendelang waren sie die Wächter der UNSTERBLICHEN gewesen, und sie hatten ihre Aufgabe versehen. Generationen waren gekommen und gegangen, hatten neuen Platz gemacht, die die Aufgabe fortführten. Bis dann eines Tages der Funke des Unmuts über die Wächter kam. Teile der Wächter begannen, sich von der Aufgabe zu lösen und den Auftrag der UNSTERBLICHEN zu vergessen. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Loorden. Die Rebellion erfolgte, als die ersten Schiffe von ihrer Mission in den Tiefen des Alls zurückkehrten. Ein großer Teil der Wächter versagte die Erfüllung des Auftrags der UNSTERBLICHEN, und es kam zu Kämpfen zwischen den loyalen Loorden und den Rebellen. Inzwischen erschienen immer mehr der Schiffe am Himmel über LOORD. Aber keines der Schiffe landete, und niemand ließ sich sehen. Jahrtausendelang waren die Loorden die Wächter der UNSTERBLICHEN gewesen und hatten die ihnen erteilte Aufgabe erfüllt, doch plötzlich schien all das, was ihre Welt gewesen war, zusammenzubrechen. „Sie haben Angst!“ stellte Vanderbuilt verwundert fest, als die Planetarier eine Pause einlegten, aber immer noch den Kontakt mit den Händen hielten. Sie sendeten im Moment nicht mehr, aber jeder der lauschenden Menschen hatte das bestimmte Gefühl, als gäbe es etwas, das die Loorden zögern ließ, in ihrem Bericht fortzufahren. „Sie wissen nicht, was sie von uns halten sollen“, mischte sich Christine ein und nahm den Blick nicht von ihnen. „Immerhin scheinen wir etwas getan zu haben, auf das sie lange, sehr lange gewartet haben. Vielleicht sehen sie in uns sogar die, auf deren Rückkehr, von wo auch immer, sie warteten.“ „Wir kommen so nicht weiter“, meinte Vanderbuilt wieder. „Sie reden in Rätseln. Das alles scheint für sie eine Religion zu sein. Am Ende sind wir noch ihre Heiligen. Aber die Heiligen leben nicht mehr lange, wenn’s nicht bald konkreter wird.“ Reed schwieg. Er versuchte, sich ein Bild zu machen. Aber dann schienen sich die Fremden ein Herz zu fassen. Wieder drangen die Eindrücke in die Gehirne der Menschen von der Erde... Die Katastrophe war über sie gekommen, als die Schiffe so zahlreich am Himmel über LOORD hingen, daß sie des Nachts als viele helle Sterne das Firmament erleuchteten. Die Rebellen organisierten sich und sagten sich vom Auftrag der UNSTERBLICHEN los. Sie
redeten von Betrug und trieben ihren Frevel auf die Spitze, als sie die Lebenskapseln der UNSTERBLICHEN angriffen. Die Entrüstung der loyal gebliebenen Wächter hatte keine Grenzen gekannt, aber sie waren bereits zu schwach, um gegen die skrupellos vorgehenden Rebellen Widerstand leisten zu können. Die UNSTERBLICHEN wurden aus ihrem viele Jahrtausende dauernden Schlaf gerissen und mußten fliehen. Keiner der Wächter und keiner der Rebellen konnte hinterher genau sagen, wie sie verschwunden waren. Aber sie hatten LOORD für immer verlassen. Und dann brach die Ordnung endgültig zusammen. Die Aufrührer begannen die letzten treuen Anhänger der UNSTERBLICHEN gnadenlos zu verfolgen. Schließlich blieben nur noch wenige der Loyalen übrig. * „Der Rest ist euch bekannt“, übersetzte der unbegreifliche Mechanismus die Worte desjenigen der drei Loorden, der als ihr Sprecher zu fungieren schien. Jedenfalls lief über ihn die Kommunikation. Die drei Gelbgekleideten hatten ihren Kontakt gelöst und die telephatische Sendung beendet. Die Tatsache, daß sie nun wieder „normal“ zu den Menschen redeten, verstärkte noch den Eindruck, das eben Erfahrene sei Bestandteil eines Ritus gewesen. Die Gelben sahen ganz offensichtlich etwas in den Menschen, das sie nicht waren. Ihre Botschaft hatte widerstrebende Gefühle in den Menschen ausgelöst. Reed hatte die Nerven, aufs Ganze zu gehen und die Chance zu nutzen, die er so plötzlich in ihrem vollen Ausmaß erkannte. „Wohin verschwanden die Unsterblichen?“ fragte er in die Richtung, wo er den Übersetzungsmechanismus vermutete, Dann sah er die Wächter, wie sie sich nannten, an. Die Antwort kam prompt. „Es war, wie ihr wißt, das große Ziel der Unsterblichen, nach der Rückkehr der Schiffe von ihrer Mission diese Welt zu verlassen und sich der Erfüllung allen Lebens hinzugeben - auf der einzigen Welt im Universum, die sie dazu auserwählt hatten. Ihr kennt den Namen.“ „Wir kennen ihn“, beeilte sich Reed zu sagen und kümmerte sich nicht um die Blicke der anderen. Wohl war ihm nicht in seiner Haut, aber er hatte zu pokern begonnen, und er mußte die Runde zu Ende spielen. „Es ist lange her, daß wir Loord verließen“, sagte Reed langsam, als überlege er jedes Wort. „Die Zeit begann mit eurem Aufbruch, Brüder der Unsterblichen“, kam die Antwort. Der Major gab sich Mühe, ruhig zu bleiben. Brüder der Unsterblichen! Reed war sich jetzt sicher, daß seine Vermutung zutraf. Die Burschen hielten sie für jene, die vor langer Zeit aufgebrochen waren zu irgendeiner Mission, von der die Menschen nichts ahnten. Einen Augenblick lang fielen Reed die UFOs über der Erde ein. Was hatte die Erde, was hatten die Menschen mit dieser „Mission“ zu tun? Reed beeilte sich, zum entscheidenden Bluff anzusetzen; er zog einen Ärmel seiner dünnen Kombination hoch und hielt den Gelbgekleideten das Handgelenk hin, das verkrustet und aufgedunsen war. Teilweise waren noch rote Stellen zu sehen. „Ihr kennt das?“ fragte er und spürte, wie sein Herz wild schlug. Noch verlief der Krankheitsverlauf relativ ruhig im Vergleich zu den ersten Tagen, aber Reed hatte keine Zweifel daran, daß sie von etwas infiziert waren, das vor ihnen bereits der Mannschaft des großen Schiffes zum Verhängnis geworden war Und dann nickte der Sprecher der Fremden. Reed hatte Mühe, dem Blick standzuhalten. Was verbarg sich wirklich hinter diesen fremden Augen? Noch sahen die Loorden die zurückgekehrten Götter in ihnen, den vergleichsweise
primitiven Bewohnern eines Planeten, der unendlich fern von Loord war. Was würde geschehen, wenn sie die Wahrheit erfuhren? Es genügte der kleinste Versprecher, um sie mißtrauisch zu machen, die kleinste falsche Geste. Wieso nahmen sie es als selbstverständlich hin, daß die Menschen eine andere Sprache benutzten als sie? Wie lange mußte die Expedition unterwegs gewesen sein, daß man eine solch grundlegende Veränderung der Sprache akzeptierte? „Die Seuche raffte vor Beginn der Mission der Schiffe den größten Teil der Bewohner Loords hinweg, sagen die Überlieferungen“, kam wiederum prompt die Antwort, und wieder hatten die Menschen den Eindruck, als redeten die drei Wächter auswendig gelernte Texte herunter. Wie Psalme in der Kirche! dachte Reed. „Nur die Unsterblichen entgingen dem Tod.“ „Sie waren immun“, sagte Reed, und der Sprecher der Fremden nickte. „Ist es gelungen, ein Mittel gegen die Seuche zu entwickeln?“ Reed stellte die Frage, die alles entscheiden würde. Er beeilte sich, hinzuzufügen: „Wir waren bereits unterwegs, als die Seuche ausbrach.“ „Nur die Unsterblichen kennen das Serum“, antwortete der Loorde. „Wir müssen zu ihnen“, erklärte Reed. „Könnt ihr ein Schiff auftreiben, mit dem ihre Welt erreicht werden kann?“ Als der Major den Blick des Gelben sah, wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er fügte schnell hinzu: „Wir sind müde von der langen Reise und schwach von der Krankheit. Ich nehme an, ihr könnt ein Schiff zu der Welt unserer Brüder führen, auch ohne unsere Hilfe.“ „Wir können es, aber nur dann, wenn der Befehl von einem Unsterblichen kommt. Ihr kennt wirklich den Namen der Welt?“ „Caalis!“ rief die knarrige Stimme des Alten, der bisher still in einer Ecke gestanden und zugehört hatte, bevor Reed etwas sagen konnte. * Wieder waren sie im Raum, und wieder stand das Sternenmeer der fremden Galaxis auf den Schirmen. Sie befanden sich an Bord eines der Schiffe, die auf dem großen Landefeld gestanden hatten. Eigentlich war es auch ein Diskus, genau wie die Beiboote, nur eben viel größer und viel schneller. Und geräumiger. Christine Schuberth und Christopher Reed saßen wieder einmal zusammen in einem Raum, der anscheinend ein Erholungszentrum in dem Diskusschiff darstellte. Christine war seit seiner „Verhandlung“ mit den Gelben nicht ansprechbar. Und wenn er ehrlich war, so mußte er zugeben, daß er in ihr sein schlechtes Gewissen verkörpert sah. Ein Lautsprecher verkündete, daß sie in zehn Minuten auf Überlicht gehen würden. Dieses Schiff war etwas ganz anderes als die Walze. Dieses Schiff lebte. Es lebte durch die drei Loorden und die Technik, die sie beherrschten. Als das Stickwort Caalis gefallen war, hatten die Fremden begonnen, zu arbeiten. Es war, als ob eine tief in ihrem Innern schlummernde Kraft zum Leben erwachte. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ein überlichtfähiges Diskusschiff ausfindig gemacht. Und nun befanden sie sich auf dem Weg nach Caalis. Reed fragte sich, was hinter dem Begriff stehen mochte und wieso der Alte Bescheid wußte. „Nun sagen Sie’s schon, Christine!“ brach der Mann jetzt das Schweigen. Christine sah ihn nicht an. Sie schien ihn gar nicht zu hören. Reed brauste auf: „Herrgott, nun sägen Sie endlich, daß ich nicht das Recht hatte, den Glauben dieser Leute für unsere Zwecke auszunutzen! Daß wir lieber krepieren sollten, anstatt... ach, es hat doch keinen Sinn!“ Er winkte ärgerlich ab.
„Es hätte andere Möglichkeiten gegeben“, erklärte Christine trotzig. „Sie machen sich selbst etwas vor“, stellte Reed fest. „Wir haben durch sie eine Chance. Wir haben ihnen ein Märchen erzählt, zugegeben, aber sehen Sie sich die drei Burschen an! Sie blühen auf, weil sie glauben, endlich neben ihren Ahnen, die sie vergöttern, zu stehen, und sie fiebern der Begegnung mit diesem Caalis entgegen. Verstehen Sie denn nicht, daß sie wieder an etwas glauben? Das Leben hat wieder einen Sinn bekommen für sie, nachdem ihnen alles genommen wurde.“ Reed hatte sich in Erregung geredet. Jetzt wunderte er sich über seine eigenen Worte und winkte verärgert ab. Christine sah ihn aus großen Augen an. „Wieso erzählen Sie mir das eigentlich alles?“ fragte sie. Weil ich mich in dich verliebt habe, du dummes Ding! wollte Reed antworten, statt dessen kam nur ein undeutliches Gemurmel über seine Lippen. „Ich will nicht, daß Sie mich für einen skrupellosen Menschen halten, der die Gefühle anderer mißachtet. Deshalb! Und es bringt uns nichts ein, wenn wir uns voneinander abkapseln.“ „Sie haben recht“, gab die Frau nach einer Weile zu und versuchte ein Lächeln. „Na endlich!“ Reed atmete auf. * Christine erkannte, wie unsinnig es war, Christopher Reed gegenüber den Trotzkopf zu spielen. Sie war anfangs wirklich wütend auf ihn gewesen, weil er die Gefühle, der Planetarier, die auf ihre Weise ebenso verloren waren wie sie selbst, scheinbar eiskalt für seine Zwecke mißbraucht hatte. Inzwischen wußte sie, daß es notwendig gewesen war. Aber sie hatte erst jetzt ihre ablehnende Haltung aufgegeben. Sie wußte, daß er sich für sie interessierte, und sie fühlte sich ebenfalls zu ihm hingezogen. „Sie haben recht“, wiederholte sie. Dann brach es aus ihr heraus, und sie unterhielten sich über viele Dinge und viele Fragen, die sie beschäftigt hatten während dieser Tage. Und es tat gut, zu sehen, daß auch andere Menschen die gleichen Probleme bewegten. Der Lautsprecher machte sie darauf aufmerksam, daß es in einer Minute soweit war. Sie standen kurz vor der Überlichtetappe. Sie hatten ihre Piloten nicht gefragt, welche Wirkungen der Übergang auf sie haben würde, weil sie nicht wieder Verdacht erregen wollten. Aber sie nahmen an, daß es so sein würde wie auf den Walzen. „Wir sollten zu den anderen gehen, bevor’s losgeht“, meinte Christine. Aber eine Frage brannte ihr noch auf der Zunge. „Der Alte“, murmelte sie kopfschüttelnd. „Er ist nicht von der Krankheit befallen, macht immer wie zufällig die wichtigsten Entdeckungen und rettet uns im letzten Augenblick, indem er den Loorden den Namen der Welt verrät, die nur sie kennen können! Wer ist er, Chris, was weiß der Kerl? Langsam wird er mir unheimlich.“ „Mir auch“, gab Reed zurück. „Hast du ihn eigentlich beobachtet, als die Gelben ihren telepathischen Bericht gaben?“ „Wieso?“ „Er hatte aufgehört zu grinsen. Fast hatte ich den Eindruck, er wäre voll bei der Sache. Das war das erste Mal, daß ich ihn ernst dreinschauen sah, fast zu ernst.“ „Wer ist er, Chris?“ Sie waren beide aufgestanden und hatten sich auf den Weg in die Zentrale des Schiffes gemacht, wo die anderen sich aufhielten. „Vielleicht bekommen wir die Antwort noch früh genug“, meinte Reed und legte den rechten Arm um die Taille der Frau, als sie im Verbindungstrakt zur Zentrale standen. Ein akustisches Signal deutete die letzten Sekunden vor dem Überlichtflug an. „Nicht, Chris!“ preßte Christine leise zwischen den Lippen hervor. „Wir sind krank, nicht normal!“ Sie mußte sich zwingen, weiterzugehen und nicht zurückzuschauen. Tränen traten in ihre geschwollenen Augen. Christine dachte an die wundervolle Nacht in der kleinen Bucht an der Westküste. Kaum eine Woche war dies her, und doch trennten sie Welten von der glücklichen Christine,
die aus Übermut mit einem Fischerjungen geflirtet hatte. Skip! fuhr es ihr durch den Kopf. Immer noch schwieg er. Sie hatte den Eindruck, als sei die Krankheit bei ihm bereits weiter fortgeschritten. Irgend etwas tat sich in ihm, aber er redete nicht darüber. „Irgendwann stoßen wir auf das ,Du’ miteinander an, Chris, irgendwann holen wir all das nach, was uns hier versagt bleibt.“ Sie hörte die Antwort wie aus weiter Ferne. Bevor sie die Zentrale erreichten, sagte Christopher Reed noch: „Ich verspreche es.“ Dann tauchte das Schiff in einen für menschliche Sinne nicht faßbaren Raum ein.
7. Die Welt unter ihnen war Caalis. Grünschimmernd zog der Planet seine Bahn um eine gelbe, kleine Sonne, die die Menschen auf den ersten Blick an die Sonne der Erde erinnerte. Aber schon bald darauf wurden jegliche Spekulationen in dieser Richtung unterbunden. Caalis hatte keinen Mond. Das war alles, was die Primitiven von der Erde selbst feststellen konnten. Die Daten, die ihnen ihre Begleiter von Loord übermittelten, waren noch eindeutiger. Diese Sonne besaß nur diesen einzigen Planeten. Aber Caalis war nicht das, was sich die Menschen ausgemalt hatten. Insgeheim hatte wohl jeder von ihnen gehofft, eine hochzivilisierte Welt vorzufinden. Aber dort, vor ihnen auf den Schirmen, drehte sich ein Dschungelplanet im All. Nirgendwo waren Spuren einer Zivilisation zu entdecken. Nirgendwo Hinweise auf die mysteriösen Unsterblichen. Was bedeutete das eigentlich: Der Schritt, der die ewige Erfüllung des Lebens bringen sollte? Die Gedankenbilder der Loorden waren vage gewesen. Alles, was die gelbgekleideten Fremden, die eine so große Ähnlichkeit mit den Menschen der Erde hatten, über diese Unsterblichen und Caalis, über die Mission der Schiffe (womit eindeutig die Walzen gemeint waren) und die angestrebte Entwicklung ihrer Rasse wußten, schien das Ergebnis einer jahrtausendelangen Mythenbildung zu sein. Die einzige Tatsache, die als sicher galt, war die, daß die sogenannten Unsterblichen, wer immer sie auch sein mochten, vor kurzer Zeit Loord verlassen hatten und sich auf den Weg nach Caalis gemacht hatten. Irgendwo dort unten warteten sie1 auf sie. Die Menschen gaben es auf, sich danach zu fragen, weshalb ausgerechnet eine verwilderte, urzeitliche Dschungelwelt so wichtig für diese Wesen sein sollte. Vielleicht würden sie hier eine Erklärung finden für all das, was an Fragen aufgetaucht war, seitdem sie entführt worden waren. Sie spürten den Hauch des Geheimnisses, und oft vergaßen sie darüber die mörderische Krankheit, die sie von innen her auffraß. Christopher Reed verhandelte wieder lange mit den Loorden, wobei er auf jedes Wort achtete. Er berief sich auf die lange Zeit im All und die daraus resultierenden Erinnerungslücken, verstand es immer wieder, die Loorden reden zu lassen und zog seine Schlüsse aus ihren stereotypen Antworten. Am Ende der „Besprechung“ stand schließlich eine vage Vorstellung von dem Punkt auf dem Planeten, wo die Station der Unsterblichen, in die sie sich zurückgezogen hatten, zu suchen sei. Dieser „Punkt“ hatte allerdings einen ungefähren Durchmesser von einigen hundert Kilometern. Reed nahm an, daß ihre Begleiter, die über gewisse telepathische Kräfte verfügten, nach der Landung in der Lage sein würden, ihre Herren und Meister zu espern. Nach einer weiteren Umrundung des Planeten ließen sie den Diskus in dem anvisierten Kreis landen. Sie fanden eine große Lichtung inmitten von undurchdringlich scheinendem Ranken-, Baum- und Buschdickicht und ausgedehnten Sumpf gebieten.
Bevor das Schiff den Boden berührte, brach Skip in der Zentrale zusammen. Er schien tatsächlich stärker unter der rätselhaften Krankheit zu leiden als die Erwachsenen. Einige an Bord werteten es als ein schlechtes Omen. Hätten sie gewußt, auf welcher Höllenwelt sie sich nun befanden, wäre ihnen die Seuche vergleichsweise harmlos vorgekommen. * Die Landung des Schiffes blieb auf Caalis nicht unbemerkt. Unsichtbare Beobachter und unvorstellbar feine Sensoren registrierten den Diskus und drangen durch die Hülle in das Innere ein. Daten über jede Einzelheit, über jede Person an Bord flössen Stoff- und lautlos einem gemeinsamen Zentrum zu. Irgendwo dort wurden die Informationen aufgenommen und ausgewertet. Normalerweise hätte eine eindeutige Entscheidung am Ende der Sondierung gestanden. Doch das, was sich hinter dem perfekten System verbarg, das alles lenkte und alle Entscheidungen traf, wartete ab. Eine Komponente paßte nicht in das Bild. Aber es war auch etwas in dem stummen Beobachter selbst, das ihn zögern ließ. Etwas, das Unsicherheit signalisierte. Weitere Informationsströme erreichten das Zentrum allen Seins und die Wesen, die erst vor wenigen Zeiteinheiten dieser Welt die Kontrolle übernommen hatten, aber der Befehl zur Aktion blieb vorerst aus. * Der Landeplatz schien wirklich eine Insel in der Wildnis zu sein. Caalis war eine Urwelt. Die Luft war schwül und schwer, und große Vögel, mitunter auch Flugechsen, flogen über den Wipfeln der Riesenbäume, die zweihundert Meter messen mochten. Unter ihnen breitete sich ein bis zu 50 Meter hohes Dickicht von Schlingpflanzen, riesigen Blüten in einer auf der Erde nie gesehenen Pracht und Dornengewächsen aus. Das Unterholz wurde von kleineren Büschen, Rankengewächsen und weiteren Schlingpflanzen gebildet. Christopher Reed stand in der Bodenluke des Diskus. Etwa drei Meter unter ihm breitete sich weiches, gelbes Gras mit saftigen Blättern aus. Reed fragte sich, ob die Früchte dieser Welt wohl eßbar für sie waren. Die Schmerzen hatten wieder stärker eingesetzt, und Reed spürte jetzt das steigende Fieber. Die Krankheit zehrte an seinen Kräften. Wir müssen durchhalten, bis wir die Burschen gefunden haben! Skip lag bewußtlos in einem Bett und wurde von Christine gepflegt, so gut es ging. Die gelbe Sonne stand am grünblauen Himmel und war bereits halb hinter den Baumwipfeln verschwunden. Bald würde es dunkel werden. Reed hatte den Vorschlag gemacht, daß bis zum nächsten Morgen niemand das Schiff verlassen solle, und die anderen hatten akzeptiert. Keiner von ihnen schien sich danach zu sehnen, die Bekanntschaft irgendwelcher Urwaldbestien zu machen. Als der Abend anbrach, sahen die Menschen sich nach geeigneten Schlafstätten um, während die Loorden an Bord weiterhin die Instrumente der Zentrale beobachteten. Zwischen den drei Fremden schien es so etwas wie eine stillschweigende Verbindung zu geben. Aber sie waren ja auch bis zu einem gewissen Grad Telepathen. Und dann fielen die Menschen in den tiefen Schlaf der Erschöpfung. Die Laute des nächtlichen Urwalds drangen nicht mehr an ihre Ohren. *
Skip wachte in seinem seltsamen, den Körperformen angepaßten Bett auf und wußte, daß es Nacht und daß er allein war. Er wußte es einfach. Skip fühlte die Hitze in seinem Körper, der ihm schon seit Tagen nicht mehr zu gehören schien. Irgend etwas geschah mit ihm, und der Junge konnte sich nicht dagegen wehren. Er hatte Angst davor, und er hatte Angst, mit anderen darüber zu reden. Schließlich hatte er sich in eine Psychose hineingesteigert. Begonnen hatte es mit den Wandbildern und der darauffolgenden Entdeckung der Mumien der früheren Besatzung an Bord der Walze. Es war Skip nicht schwergefallen, einen Zusammenhang zwischen den unvollendeten Reliefs und den Leichen herzustellen. Die Raumfahrer hatten die Bildfolge nicht vollenden können, weil das, was sie festhalten wollten, sie vorher ereilt hatte. Immer wieder hatten die anderen versucht, Skip aufzuheitern, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Besonders Christine hatte sich um ihn gekümmert. Aber er wollte kein Mitleid von Leuten, die nicht in der Lage waren, ihm zu helfen, weil sie selbst zu den Opfern der Krankheit zählten. Er hatte Angst, aus ihrem Mund die Bestätigung seiner Befürchtungen zu hören, obwohl er wußte, daß sie zutrafen. Es fiel ihm schwer, noch klare Gedanken zu fassen. Alles, was um ihn herum vorging, kam wie durch schwebende Nebel zu ihm. Skip begann zu phantasieren. Er richtete sich in dem Bett auf, in das sie ihn gelegt hatten. Er schwitzte und bunte, verzerrte Figuren tanzten vor seinen fiebrigen Augen. Eine kalte Faust schien sich auf seine Schultern zu legen. Skip schlug die Decke zurück und setzte sich auf die Bettkante. Sie hatten ihn ausgezogen. Er stand auf und nahm sich seine alte Hose und das weiße T-Shirt von einer Konsole. Einen Augenblick lang wurde ihm schwindlig, und er mußte sich festhalten. Niemand der anderen sollte ihn so sehen! Keiner sollte neben ihm stehen und zuschauen, wie er verrückt wurde und als phantasierendes Monstrum starb. Leise schlich er sich hinaus aus seiner kleinen Kabine und ging den matterleuchteten Korridor entlang, bis er vor der Bodenschleuse stand. Es war still an Bord, nur einige Aggregate liefen leise summend irgendwo im Leib des Diskus. Skip schlich an der Zentrale vorbei. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Der quälende Wunsch, das Schiff zu verlassen und irgendwo dort draußen in der Einsamkeit sein Ende zu finden, ließ ihn noch einmal die Benommenheit und die Halluzinationen abschütteln. Zu seiner Überraschung stand die Bodenschleuse offen. Dies ersparte ihm die Suche nach einem Öffnungsmechanismus. Er trat vor und machte sich zum Sprung bereit. Caalis nannten die anderen diese Welt. Irgendwo wollten sie ein Serum gegen die Krankheit finden. Skip glaubte nicht daran. Sie versuchten, sich selbst zu betrügen. Er stieß sich ab und segelte die drei Meter bis zum weichen Boden hinab. Auch hier bestand eines dieser rätselhaften Felder, die das Gewicht und die Schwerkraft nahmen. Der Junge atmete auf. Er spürte die Schmerzen und das Pochen des Blutes in den Gelenken nicht mehr. Alles, was für ihn zählte, war, daß es ihm bisher gelungen war, unentdeckt aus dem Schiff zu entkommen. Noch hundert Meter bis zum Rand des Unterholzes, dann würden sie ihn nicht mehr finden. Nur von dem Wunsch besessen, schnell im Wald zu verschwinden, lief er geduckt im gelben, dicken Gras, das etwa einen halben Meter hoch war, auf den Waldsaum zu. Einmal blieb er kurz stehen und betrachtete verwundert die umgeknickten Grashalme und die Schleifspur, die vom Schiff weg führte. Dann war er im Gebüsch verschwunden. Skips Gliedmaßen bewegten sich nun automatisch. Immer weiter bahnte sich der zerschundene und von der teuflischen Seuche gezeichnete Körper den Weg in den Dschungel. Hunderte glühender Augen beobachteten den Jungen, aber er nahm nicht mehr wahr, was um ihn herum vorging.
Das, was sich in ihm ausgebreitet hatte wie ein bösartiger Tumor, legte sich auf sein Denken und ließ ihn wie eine willenlose Puppe voranmarschieren. Als es Tag wurde, war er weit weg von dem Schiff, das ihn auf diese Welt gebracht hatte. * Christine hatte länger geschlafen als beabsichtigt. Aber die Strapazen der letzten Tage hatten ihren Tribut gefordert. Trotzdem fühlte sie sich nicht viel wohler als am Tag zuvor. Im Gegenteil: Das Fieber machte sich jetzt stärker bemerkbar. Als sie nach Skip sehen wollte, sein Bett leer vorfand und auch seine Kleider nicht entdecken konnte, wußte sie, daß etwas nicht stimmte. Sie fühlte das Unheil, das sich über dem Schiff zusammenbraute, fast körperlich. Der herrliche Sonnenaufgang auf einer scheinbar unberührten Welt, wie er auf einigen Bildschirmen der Außenübertragung zu sehen war, stand daher in krassem Gegensatz zu Christines Gefühlen. Sie eilte in die Zentrale und traf dort Reed und Vanderbuilt. „Wo ist Skip?“ fragte sie, in der Hoffnung, daß die beiden Männer für sein Verschwinden eine Erklärung geben könnten. Aber der kurze Blick, den sie sich zuwarfen, nahm ihr auch diese letzte Hoffnung. „Der Junge also auch“, hörte sie Vanderbuilt murmeln. Er saß neben Christopher Reed an einem mit Folien bedeckten Tisch und schlürfte eine Flüssigkeit, die sich mit irdischem Kaffee vergleichen ließ. „Was heißt das?“ fragte sie, und eine Ahnung stieg in ihr auf. „Chris, was ist los?“ „Sieh dich um“, gab Reed mit einem trockenen, humorlosen Lachen zurück. „Wir sind alle, die übriggeblieben sind.“ „Was heißt das?“ Vanderbuilt bekam einen roten Kopf und tobte: „Was heißt das? Das heißt, daß die anderen weg sind! Die gelbverschnürten Schrumpfköpfe und auch dieser alte Narr!“ „Nein!“ Christine stöhnte und ließ sich in eine Sitzgelegenheit fallen. „Oh doch!“ Vanderbuilt konnte sich nicht beruhigen. „Und wissen Sie, was noch fehlt? Beide Gleitboote haben diese Verbrecher mitgenommen, damit wir richtig festsitzen und nicht von der Stelle können. Ich sage Ihnen, wenn wir jemals diesen alten, scheinheiligen Halunken in die Finger bekommen, dann drehe ich ihm eigenhändig den Hals um. Und für die drei Gelbkittel fällt mir auch noch etwas ein!“ „Und das findest du so lustig?“ fragte Christine entrüstet, als sie sah, wie Reed schmunzelte. „Ganz und gar nicht, Chris. Ich mußte nur einen Augenblick lang an die Erde denken. An die Abende in den Casinos bei der Navy, und an einen Haudegen namens Harry Vanderbuilt. Der gröbste Klotz weit und breit. Das“, er zeigte auf seinen Freund, „war nur eine winzige Kostprobe...“ „Moment mal“, fuhr Vanderbuilt dazwischen. Dann sah er Christine an und richtete den Zeigefinger auf sie. „Chris?“ Er starrte sie lange an und drehte sich dann zu Reed um. „Chris?“ fragte er noch einmal. Diesmal zeigte er auf Reed. „Christine und Christopher! Mein Gott, zwei von der Sorte sind für meine Nerven zuviel. Und beim ,Du’ seid ihr auch schon. Moment...“ Er holte sich ein gefaltetes Blatt Papier aus der Hosentasche und kritzelte etwas darauf. „Was soll das?“ fragte die Frau irritiert. Reed begann zu lachen. „Da notiert er sich jeden Anlaß, auf den er normalerweise einen Whisky trinkt. Immer gibt das einen Strich. Diesmal hat er drei Striche gemacht. Er hebt sich den Zettel auf, bis wir wieder auf der Erde sind. Dann...“ „Ich habe es auch gespürt, hier oben!“ Christine tippte gegen die Schläfe. „Manchmal vernebelt es einem das Bewußtsein. Aber daß es bei euch schon so weit ist, hätte ich nicht gedacht. Wenn ihr wieder normal seid, gebt mir Bescheid. Ich will den Jungen finden. Und wenn’s sein muß, gehe ich allein!“
Reed und Vanderbuilt sahen sich mit ziemlich unglücklichen Gesichtern an, als die Frau die Zentrale verließ. * Es war Vormittag, als sie sich auf den Weg machten. Da keiner von ihnen eine Ahnung hatte, wie sich das Außenschott von draußen verschließen ließ, schlössen sie das innere Schott der Schleuse und hofften, daß das Schiff auf diese Weise vor ungebetenen Besuchern geschützt war. Von nun an waren sie auf sich allein gestellt. Die Loorden hatten die beiden einzigen kleinen Beiboote, die als Gleiter konstruiert und für Atmosphärenflug gedacht waren, mitgenommen (keiner kam auf die Idee, jemand anders könnte mit einem der Boote geflohen sein). Alles, was sie bei sich trugen, waren die Waffen. Die Handlaser hatten nichts mit den Lasern zu tun, die in den letzten Jahren auf der Erde an die Stelle der Projektilwaffen getreten waren, denn sie wirkten um ein Vielfaches verheerender, wie Reed auf Loord festgestellt hatte. Aber da sie nicht wußten, wie die Dinger arbeiteten, nannten sie sie der Einfachheit halber eben „Laser“. Außerdem schleppten sie die beiden von der Walze mitgenommenen Strahlgewehre mit, deren Wirkung noch vernichtender sein durfte. Noch hatten sie keine Gelegenheit gehabt, sie zu erproben, und eigentlich waren sie ganz froh darüber. Die Sonne stand an einem wolkenlosen, grünblauen Himmel. Der Tag auf Caalis hatte nur etwa 18 Stunden. Bald würde die Mittagshitze ihren Höhepunkt erreicht haben. Die Menschen hatten beschlossen, Skip zu suchen. Der Junge mußte in einem Anflug von Verzweiflung gehandelt haben, als er das Schiff verließ. Etwas Ähnliches war vorauszusehen gewesen. Hätte man einen der drei Kranken gefragt, was sie eigentlich außerdem noch vorantrieb, so hätte wohl keiner von ihnen eine Antwort zu geben vermocht. Vielleicht war es ganz einfach der unbändige Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, der Wille, dem grausamen Schicksal zu trotzen und die Herausforderung anzunehmen. Sie hatten keine Möglichkeit mehr, die Station der geheimnisvollen Unsterblichen zu erreichen, sie wußten ja nicht einmal, wo sie sie suchen sollten. Aber sie befand sich irgendwo auf dieser Welt. Aber zwischen ihnen und dem unbekannten Ziel lag mörderische Wildnis. Und irgendwo dort in dieser grünen, schreienden Hölle steckte Skip. „Also los!“ sagte Christine und schritt voran. Vanderbuilt und Reed warfen sich einen Blick zu, dann setzten auch sie sich in Bewegung. * Skip hatte eine deutliche Spur im beginnenden Dickicht hinterlassen. Zuerst hatten umgeknickte Äste seinen Weg markiert, dann konnten die Frau und die beiden Männer den ins weiche Moos getretenen Fußabdrücken folgen. Es war drückend schwül. Immer wieder mußten die Menschen Pausen einlegen, um sich ein wenig zu erholen. Der erste Zwischenfall ereignete sich, als sie ein Gebiet durchquerten, wo zwischen den mächtigen Stämmen der Urwaldriesen große, klebrige Pflanzen ihre breiten, blauen Blätter nach allen Richtungen ausschickten. Immer noch sahen die Suchenden Skips Spur, konnten aber nicht sagen, ob sie näher an ihn herangekommen waren. Immer wieder hatten sie angehalten und gelauscht, wenn sie glaubten, ein Geräusch von ihm gehört zu haben, aber stets waren es kleine Tiere, gewesen, die sie aufgescheucht hatten. Irritierendes Spiel von Licht und Schatten zeichnete dort ein bizarres Muster auf den Boden, wo das Licht der Sonne durch die Baumwipfel hoch über den Köpfen der Menschen drang
und den Moosboden erreichte. Feine Ranken bedeckten den Weg, und große Lianen hingen von den Ästen der Baumriesen herab. Zwischen all dem breiteten sich bis zu zwei Meter in die Höhe reichende Büsche aus. Schließlich gerieten die drei auf ein relativ freies Gelände, als Christine, die voranging, über eine Ranke im Moos stolperte und vornüber fiel. Bevor sie sich aufrichten konnte, schnellten aus einer der blauen, großen Pflanzen, die mehr als drei Meter von Skips Spur entfernt im Dickicht stand, zwei fingerdicke Ranken heran und legten sich um die Knöchel der Frau. Bevor einer der beiden Männer reagieren konnte, wickelten sich die Ranken um Christines Beine und zogen sie auf die Pflanze zu. Die blauen Blätter hoben sich vom Boden ab, wobei klebrige Fäden entstanden. Jedes der Blätter war mehr als anderthalb Meter lang und einen Meter breit. Christine schrie auf und versuchte, mit den Händen einen Halt im Moos zu finden, aber die Büschel, in die sie ihre Finger gekrallt hatte, wurden aus dem Boden gerissen. Unglaublich schnell glitt der Körper der Frau auf die Pflanze zu. Vanderbuilt hatte den Strahler aus dem Gürtel gerissen und stand einen Moment lang unschlüssig da. „Schieß doch!“ brüllte Reed ihn an, der ebenfalls die Waffe in der Hand hatte, aber in einem ungünstigen Winkel zu Christine und der Pflanze stand. Wenn er schoß, würde er die Frau treffen. Vanderbuilt drückte ab. Ein hellblauer Strahl fuhr gebündelt aus dem Lauf und fand sein Ziel im Schaft der Pflanze. Wenige Zentimeter von Christines Füßen entfernt zischte es, und die Pflanze löste sich dort, wo sie getroffen war, auf. Gleichzeitig erschlafften die Ranken, und die Blätter fielen langsam in sich zusammen. Die Männer eilten herbei und zogen Christine aus dem Bereich der blauen Pflanze. Der Schock stand deutlich in dem geschwollenen und teilweise verkrusteten Gesicht der Frau, und es dauerte eine Viertelstunde, bis sie sich wieder beruhigt hatte und gehen konnte. Von nun an waren sie noch wachsamer. Das eben Erlebte war eine deutliche Warnung. Aber sie waren zu dritt und hatten Waffen. Skip jedoch irrte allein durch die feindliche Wildnis. * Für einen Moment kehrte die klare Denkfähigkeit zurück. Skip registrierte, daß er auf einem umgestürzten kleineren Baumstamm saß und aus einer Rißwunde in der rechten Wade blutete. Die Hosenbeine waren zerrissen. Er erinnerte sich, daß er mit ein paar anderen Männern und mit einer Frau hierhergekommen war, aber er konnte nicht sagen, wo er sich befand. Es war irgendwo weit weg von seinem kleinen Fischerdorf. Skip ging es nicht gut. Es war heiß, und er sehnte sich nach einem kühlen Bad im Meer. Skip blickte sich um, aber überall war grünes, undurchdringliches, dichtes Laub und Buschwerk, und der Boden unter seinen Füßen war moosbedeckt. Skip wollte zurück zu seinen Leuten, zurück zu seinem Dorf, aber er wußte nicht, in welcher Richtung er danach suchen sollte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Alles war so fremd und anders. Die Hitze! Der Junge schien innerlich zu kochen. Er merkte nicht, wie die verkrustete Haut an einigen Stellen aufsprang. Das Fieber umnebelte wieder seinen Geist. Skip stand auf und machte sich torkelnd auf den Weg. Er wollte nach Hause. Er stolperte über kleine Ranken, die sich durch das Moos zogen, aber es gelang ihm immer wieder, sich aufzurichten und weiterzugehen. Nach Hause! Skip kannte keinen anderen Gedanken mehr. Und dann griff eine eisenschwere Faust nach seinem Bewußtsein. Skip taumelte und fiel hin.
Ohnmächtig blieb er in dem weichen Moos liegen. Sein Atem ging nur noch stoßweise. Als er erwachte, begann es bereits dunkel zu werden. Die Dämmerung auf Caalis hatte eingesetzt. Skip versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, sich zu erinnern. Das Dorf! Die Fischerboote! Die Männer hatten ihm versprochen, daß er diesmal mitkommen durfte. Er mußte zu ihnen. Aber er spürte, daß irgend etwas ihn hinderte. Da waren wieder diese Menschen, die dunkel in seiner Erinnerung auftauchten. Die seltsamen Gegenstände und die fremden Gänge. Skip stand mit Mühe auf, als er eine Bewegung über sich bemerkte. Er sah auf. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, wo er sich befand. Der Dschungel, Dickicht und Pflanzen, wohin er sah. Kleine Reptilien, die über den Weg huschten. Skip spürte, wie er wieder für einen Augenblick einigermaßen klar denken konnte. Er blickte sich um. Er wußte nicht mehr, wie es hier ausgesehen hatte, bevor er das Bewußtsein verlor, nun aber spannte sich um ihn herum in einem Durchmesser von gut fünf Metern ein riesiges Netz, das in den kleinen Ästen umstehender Büsche und an Baumstämmen verankert war. Es zog sich in die Höhe, wobei es sich verengte und schließlich einen Baldachin über seinem Kopf bildete. Skip fühlte erstmals wieder seinen Körper, der seit einiger Zeit taub zu sein schien. Er merkte, wie das Blut pochend durch die Adern schoß und das Herz wild klopfte. Skip war gefangen in einer Art Haube aus klebrigen Fäden eines großen, um ihn herum gewobenen Netzes. Es war so dicht, daß er kaum erkennen konnte, was sich jenseits des Gespinstes befand. Nur von oben drang Licht ein, spärlich, aber ausreichend, um das zu sehen, was sich genau über ihm befand - dort, wo er eben die Bewegung ausgemacht hatte. Über seinem Kopf bewegten sich die dünnen, behaarten Beine einer riesigen Spinne, die ihn aus ihren vier Augen, die schwach leuchteten, anzustarren schien. Jedes der grauenhaften Beine mochte einen guten Meter lang sein, und der Körper des Rieseninsekts maß ebenfalls einen Meter im Durchmesser. Die Spinne produzierte weiter die klebrigen Fäden und verstärkte das Netz. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es einen undurchdringlichen Kokon um Skip bildete. Der Junge wollte schreien, wollte wegrennen, aber kein Laut kam über seine gesprungenen Lippen, kein Weg führte aus der Falle der Spinne heraus. Skip hatte in der Einsamkeit, fernab von den anderen, sein Leben beenden wollen, aber als er jetzt sah, wie die Beine der Spinne immer näher kamen, packte ihn blankes Entsetzen, und sein erschlafftes Bewußtsein fand noch einmal in die Realität zurück. Und irgendeine Hilfe konnte er nicht erwarten. Nur er und das Untier waren in dem gesponnenen Käfig. Unendlich langsam glitt der Körper der Riesenspinne auf Skip zu. * Die Pausen wurden immer länger, und die Wegstrecken, die die drei Menschen zurücklegten, immer kürzer. Aber das Ziel, Skip zu finden, trieb sie voran. Sie kämpften gegen Schwindel und Fieber an, gegen vorschnellende Ranken und große Insekten, die sich auf ihrer Haut festsetzten und stachen. Schließlich wurde es Nachmittag, dann Abend. Die Sonne versank hinter der grünen Hölle und tauchte die Umgebung in Zwielicht. Die nahende Dunkelheit würde die Suche erschweren. Bereits jetzt waren die Spuren im Moos schwer auszumachen. Keiner der drei sah zurück, und keiner bemerkte die leuchtenden Augen, die sie, dicht über dem Moosboden, verfolgten. Sie hörten nicht die kratzenden Geräusche, die die unheimliche Armee aus vielen kleinen Lebewesen verursachte, die sich an ihre Spur geheftet hatten. Der
Tod hatte viele Gesichter auf Caalis. Zwar waren Christine, Reed und Vanderbuilt vor den tückischen Pflanzen gewarnt, aber sie machten den Fehler, gerade deshalb ihre Aufmerksamkeit nur oder last nur den Pflanzen am Weg zu widmen. Darüber vergaßen sie, daß die Natur dieser Welt nicht nur aus einer Flora bestand. Krabbelnd auf vielen tausend kleiner Füße folgten ihnen die Mordinsekten, die nur darauf zu warten schienen, daß die Menschen stehenbleiben würden, um sich auszuruhen. * Skip schloß die Augen, als er eines der behaarten Spinnenbeine auf seinem Kopf spürte. Ein weiteres Bein berührte die Schulter. Gleich würde sich der monströse Körper auf den Jungen herabfallen lassen. Skip hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen, als er ein Geräusch hörte. Es kam von außerhalb des Netzes, das ihn umschloß, und irgendwie erinnerte es ihn an etwas. Und plötzlich spürte er, wie das Gewicht der beiden Beine auf Schulter und Kopf verschwand. Als er die Augen öffnete und aufblickte, sah er, wie sich der Körper der Riesenspinne zusammenzog und konvulsivisch zuckte. Das Tier krallte sich mit seinen acht riesigen Beinen an der Decke des Netzkäfigs fest und begann zu rotieren. Immer schneller raste der Körper im Kreis. Skip wich so weit an den Rand des Netzes zurück, wie es ihm möglich war, ohne klebenzubleiben. Was er instinktiv erwartet hatte, traf ein: Das Monstrum verlor den Halt und klatschte mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf, dort, wo Skip eben noch gehockt hatte. Noch einmal zuckten die Beine, noch einmal schienen die rotglühenden Augen Skip anzustarren, dann war das Leben aus dem Insekt gewichen. Gleichzeitig war das Geräusch von draußen erstorben. Skip hatte es die ganze Zeit über nur unbewußt wahrgenommen - ein seltsamer, monotoner Singsang. Und die Stimme war alt und knarrig gewesen. Skip sah sich um. Immer noch war er in diesem Netz gefangen. Die Spinne war zwar tot, aber er konnte nicht nach draußen. Aber dann, auf einmal, hatte er das Gefühl, als würde es plötzlich heller um ihn herum. Als er aufsah, löste sich das Gewebe über ihm langsam auf und ließ das noch verbliebene Tageslicht herein. Und dann wurde das Loch über ihm größer und größer, breitete sich nach allen Seiten hin aus, bis Skip über die Reste des Netzes hinwegsteigen konnte. Und da sah er den alten Mann, der im Moos einige Meter vor ihm hockte und ihn schweigend angrinste. Skip erinnerte sich an den Alten und er erinnerte sich auch daran, wie er ihm das erste Mal begegnet war, auf einem der unzähligen Gänge dieses seltsamen Schiffes. Das alles schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Skip ging auf den Alten zu. Er grinste noch immer, sagte aber kein Wort. Irgend etwas war an dem Mann, das Skip störte. Irgend etwas, das er nicht verstand. Und dann, als Skip nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, verschwand er! Von einer Sekunde zur anderen! Es schien, als habe er sich in Luft aufgelöst. Skip schritt weiter auf die Stelle zu, wo der Alte eben noch gehockt hatte, und sah deutlich die plattgedrückte Stelle im Moos. Der Junge wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war unheimlich schwül. Oder war es nur das Fieber? Wieder fühlte er, wie sich sein Bewußtsein zu trüben begann. Bald würde er wieder als seelenloses Stück Mensch durch die Wildnis irren. Skip suchte die Gegend ab, soweit er den Dschungel durchdringen konnte. Mit dem Abend kam das Zirpen unbekannter Insekten, kleine Tiere huschten durch das Unterholz, und einige der Pflanzen begannen fluoreszierend zu leuchten. Skip wollte weglaufen, irgendwohin, aber er wußte nicht, wo sein Weg war. Er hatte Angst. Plötzlich wurden keine zwanzig Meter von ihm entfernt einige Büsche zur Seite geschoben,
und ein menschlicher Körper erschien. Dann kam ein zweiter zum Vorschein, dann ein dritter. Der Junge wollte weglaufen, so geisterhaft wirkte die Szene, aber da rief jemand laut seinen Namen. Skip spürte einen kurzen Augenblick lang seinen Herzschlag, der ihm die Brust zu zerreißen drohte, dann sank er ohnmächtig auf das dunkle Moos. * „Skip!“ rief Christine fassungslos. Dann stürzte sie auch schon auf den Jungen zu, kniete neben ihm nieder und nahm den Kopf in ihren Schoß. „Er ist ohnmächtig“, stellte sie fest. „Vielleicht haben wir ihn erschreckt. Eben stand er doch noch!“ „Aber er lebt!“ sagte Reed der zusammen mit Vanderbuilt herangekommen war. „Sein Herzschlag ist schwach. Hoffentlich hält er durch, bis wir...“ Christine sprach nicht aus und senkte den Blick. Wir machen uns alle etwas vor! dachte Reed bestürzt. Wohin sollen wir den Jungen bringen? Es gibt hier keine Arztpraxis um die Ecke, und wir selbst sind auch fast am Ende! „Da ist was!“ warnte Vanderbuilt. Reed zog den Strahler. Vanderbuilt zeigte schweigend in die Richtung, wo er glaubte, eine verdächtige Bewegung gesehen zu haben. Oder war es ein Geräusch, das ihn alarmierte? Vanderbuilt wußte es nicht. Reed blickte sich schnell um und entdeckte in etwa zehn Meter Entfernung einen aus dem Moosteppich herausragenden Felsbrocken. Er gab Christine einen Wink, und gemeinsam schafften sie Skip zu dem Block. Dann hörten sie das Kratzen. Es drang aus der Richtung, aus der auch sie gekommen waren. Die Büsche am Rand des Pfades verdeckten ihnen die Sicht. Die fluoreszierenden Blätter einiger großer Pflanzen warfen ein fahles, gespensterhaftes Licht auf die Szene. Das Kratzen und Schaben wurde lauter. Aber sie hatten keine Gelegenheit mehr, sich darauf zu konzentrieren, denn plötzlich krachte es im Unterholz zu ihrer Rechten. Irgend etwas Großes brach durch das lianenverhangene Dickicht. Ein markerschütternder Schrei aus der Kehle eines großen Tieres zerriß die Nacht. Zugleich ertönte ein lautes, helles Zischen. Und dann teilte sich das Unterholz, und ein etwa zwei Meter großes, känguruhähnliches Tier erschien. Bevor jemand der Menschen reagieren konnte, raste das Tier in großen Sprüngen an ihnen vorbei, keine fünf Meter entfernt. Es nahm gar keine Notiz von den Menschen. In wilder Panik raste es davon, schlug einen Haken und tauchte links im Dschungel unter. Und dann erschien der Verfolger. Niemals hatte das Auge eines Menschen ein solches Lebewesen gesehen. Christine stöhnte laut auf und unterdrückte einen Schrei. Das Raubtier war eine etwa zwei Meter große Echse, die sich auf zwei muskulösen Hinterbeinen nach vorne schnellte. Der lange Schwanz peitschte in die Pflanzen und riß ganze Äste aus dem Dickicht heraus. Lianen wurden durch die Luft geschleudert, Blätter stoben durcheinander. Wie eine Gestalt aus einem Alptraum tobte die Echse und setzte dem känguruhähnlichen Wesen nach. Reed, der am weitesten im Weg des Jägers stand, sprang zurück und entging so dem peitschenden Schwanz. Wieder drang das schrille Zischen aus dem Maul der Bestie. Die Echse hatte inzwischen den dunklen Saum des Dickichts erreicht, in dem das gejagte Tier verschwunden war, als es ruckhaft stehenblieb und den Kopf den Menschen zudrehte. Vanderbuilt schoß sofort, als das urweltlich anmutende Raubtier sich zum Sprung duckte. Als es sich dann auf sie zuschnellte, stand die blaue Energiebahn in der Luft und ließ den Kopf des Angreifers in einem Chaos sonnenheißer Energien vergehen. Zwei Meter vor den beiden Männern klatschte der tote Körper auf den Boden. Christine schrie auf, und Christopher Reed ging zu ihr hinüber und legte den Arm um ihre Schulter. Aber sie wollte sich nicht beruhigen. Im Licht des Strahlschusses hatte sie nicht nur die springende
Echse gesehen. Christine hatte den Blick gesenkt, um den Schuß nicht sehen zu müssen, und dabei hatte sie entdeckt, was sich ihnen von allen Seiten näherte. Jetzt sahen es auch die Männer. Wie ein schwarzer Teppich schob sich das Heer kleiner Tiere an sie heran. Reed hob den Strahler zum Schuß, aber dann senkte sich die Hand mit der Waffe wieder. Wohin sollte er schießen? Überall, wo der Strahl auftraf, würden nachrückende Tiere die Lücke schließen. Es mußten wirklich Tausende sein! „Das also ist das Ende“, sagte Harry Vanderbuilt. * Die schwarze, lebende Masse ließ sich durch nichts aufhalten. Immer näher rückte sie an die Menschen heran, die dicht aneinandergedrückt um den Felsen herum standen. Sie waren zu schwach, um noch einmal Widerstand zu leisten. Alles, was ihnen jetzt noch blieb, war der schnelle Tod, bevor sie dem grauenhaften Schicksal zum Opfer fielen, das ihnen von den kleinen Tieren drohte. Unendlich langsam hob Christopher Reed die Waffe und führte den Lauf an die Schläfe des Jungen. In wenigen Augenblicken würde alles vorbei sein, wenn die beiden Männer als letzte sich selbst erlösten. Reeds Finger krümmte sich bereits am Abzug, als das monotone, auf- und abschwellende Summen an ihre Ohren drang, das in einen seltsamen Singsang ausartete. Reed zog die Waffe zurück und spähte in die Nacht hinaus, aber es war nichts zu sehen. „Da!“ schrie Vanderbuilt und zeigte auf den Boden. Und tatsächlich hielten die schwarzen Dinger ihren Vormarsch an und verharrten einen Moment. Und dann zog sich der schwarze Teppich langsam zurück. Ungläubig starrten die Menschen auf das Wunder. Der Singsang war stärker geworden. Als der Boden um den Felsen herum wieder frei war, brach er ab. Eine dunkle Gestalt löste sich aus der Dunkelheit. Erst als sie auf wenige Schritte heran war, erkannten die Geretteten das grinsende Gesicht, das im fahlen Licht etwas Dämonisches hatte. „Ich werd’ verrückt!“ rief Vanderbuilt. „Der Alte!“
8. Sie verbrachten die Nacht bei dem Felsen. Das weiche Moos hatte die Wärme des Tages gespeichert und war ein gutes Lager. Vanderbuilt und Reed teilten sich die Wache. Reed schlief die ersten drei Stunden, dann wurde er von Vanderbuilt geweckt. „Alles in Ordnung?“ fragte Christopher Reed. Der andere nickte. „Alles klar. Es wird Zeit, daß ich mich hinlege. Ich habe so ein dumpfes Gefühl im Kopf. Wie benebelt. Lange machen wir’s nicht mehr“, er deutete auf den scheinbar friedlich im Moos liegenden Skip. Reed klopfte dem Freund auf die Schulter und setzte sich auf den Felsbrocken. „Eh!“ flüsterte er vorher noch. „Hast du was aus ihm herausbekommen?“ Vanderbuilt verneinte. Der alte Mann saß schweigend auf der anderen Seite des Felsens und schien in irgendwelche angenehmen Gedanken vertieft zu sein. Jedenfalls lächelte er unbekümmert vor sich hin. Der Blick war in die Ferne gerichtet. Wer ist er? fragte Reed sich zum wiederholten Mal. Alles, was er bisher an rätselhaften Dingen getan hatte, verblaßte im Vergleich zu dem Wunder ihrer Rettung. Keiner bezweifelte
ernsthaft, daß der Rückzug der Kleintierarmee in direktem Zusammenhang mit dem Auftauchen des Alten gestanden hatte. Und mit dem komischen Gesang. Welchen Einfluß hatte der Alte auf die Natur dieser Welt? Was verband ihn mit Caalis? Wo, um Himmels willen, hatte ihn das UFO, das ihn an Bord ihrer Walze gebracht hatte, aufgesammelt? Irgendwo in Amerika, das schien klar, denn er sprach amerikanisch. Wenn er sprach. Reed konnte sich an nicht mehr als zehn Worte erinnern, die er von ihm gehört hatte. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf, aber er schüttelte ihn ab. Er war zu phantastisch, als daß man ihm Beachtung schenken konnte. Wieso grinste der Alte fortwährend? War er wirklich verrückt, oder verstellte er sich am Ende nur? Auf Loord war er plötzlich ernst gewesen, als die Loorden ihren telepathischen Bericht gegeben hatten. Und wo war er gewesen, nachdem er den Diskus in der vorigen Nacht verlassen hatte? Wie hatte er zu ihnen zurückgefunden? Christopher Reed wußte, daß es nichts einbringen würde, aber er versuchte es trotzdem. „He!“ rief er leise zu dem alten Mann hinüber. „Ich weiß, daß du mich verstehst. Und ich bin sicher, daß du kein Idiot bist. Also laß uns reden, einverstanden?“ , Der Alte drehte den Kopf und grinste Reed an. Reed konnte dieses Grinsen nicht mehr sehen! „Sieh dir sie an!“ fuhr er auf, aber so leise, daß die anderen nicht geweckt wurden. „Da! Der Junge, noch ein halbes Kind! Willst du, daß er stirbt?“ Der Alte drehte den Kopf und blickte dorthin, wo Skip lag. Reed glaubte zu bemerken, wie das dümmliche Grinsen verschwand und einer eher traurigen Miene Platz machte. Der Alte weiß mehr von Caalis als ein Normalsterblicher, dachte Reed bitter. Und dann kam ihm die ungeheure Konsequenz dieses Gedankens in vollem Umfang zu Bewußtsein: Wenn der alte Mann, woher auch immer, Informationen über diese Welt besaß, dann war es auch möglich, daß er wußte, wo sich die Station der Fremden, jener Unsterblichen, befand! Und damit das Serum, von dem die Loorden geredet hatten. Der ehemalige Offizier spürte den heißen Schwall, der seinen Körper durchfuhr, als er die Frage stellte. Der Alte sah ihn lange mit ausdruckslosem Gesicht an, bevor er wieder das gewohnte Grinsen aufsetzte. Reed mußte sich beherrschen, ihm nicht ins Gesicht zu schlagen. Aber nach einigen Minuten merkte er, wie etwas in sein Denken einzudringen versuchte. Es war fast so wie auf Loord. Ein kurzer Schwindel packte ihn, dann standen die Bilder klar und deutlich in seinem Bewußtsein. Es waren keine Bilder im eigentlichen Sinne, eher Eindrücke und Erkenntnisse. Als es vorbei war, wußte der Mann, wohin sie sich am kommenden Tag zu wenden hatten. Und er wußte auch, daß sie noch nicht verloren waren. Er sah wieder den Alten an. Der schien unverändert in die Ferne zu starren und vor sich hin zu grübeln. „Danke“, sagte Reed. „Wer immer du bist, alter Freund, danke!“ Dann nickte er ein, denn er wußte, daß sie im Moment sicher waren. Früh am nächsten Morgen brachen sie auf. Skip hatte ein paarmal kurz das Bewußtsein zurückerlangt und wirre Dinge phantasiert. Er hatte hohes Fieber. Alles kam nun darauf an, die Station zu erreichen, bevor es zu spät für den Jungen war. Und auch Christine schien dem endgültigen Zusammenbruch nahe. Ihre Augen blickten fiebernd in die Ferne, und oft schien sie überhaupt nicht mehr recht zu begreifen, was um sie herum vorging. Reed und Vanderbuilt bildeten die Spitze des kleinen Trupps. Reed hatte dem Freund erzählt, was in der Nacht vor sich gegangen war, und nach anfänglicher Skepsis schien Vanderbuilt ihm zu glauben. Christine hatte nicht gefragt, wohin sie gingen. Und der Alte hatte sich Skip über die Schulter gelegt und trug ihn vorsichtig. Christopher Reed wußte selbst nicht, wohin ihr Weg sie führte. Er folgte einer Anleitung, die er nirgendwo gelesen und die ihm niemand gegeben hatte. Seine Füße bewegten sich
automatisch, aber Reed war sicher, daß sie ihn in die richtige Richtung führten. Irgendwann, so wußte er, würde die Natur beginnen, die ersten Veränderungen zu zeigen. Irgendwann in den nächsten Stunden würden sie durch eine Welt kommen, die unter den Strahlen einer nicht in diese Wildnis gehörenden Kraft mutiert war. Bisher hatte Reed wortlos akzeptiert, daß es etwas gab, das es dem Alten, der mit ihnen marschierte, ermöglichte, die Natur von Caalis unter Kontrolle zu halten. Aber wie würde es sein, wenn sie die Zone des veränderten Lebens erreichten? Christine stöhnte und blieb stehen. Reed gab Vanderbuilt ein Zeichen und ging zu der Frau, während die anderen langsam weitermarschierten. Er erschrak, als er den Blick ihrer Augen sah. Christine schien weit entfernt zu sein. Der Schweiß brach ihr aus den Poren, und das Fieber hatte einen Höhepunkt erreicht. Reed nahm Christines Arm und stützte sie, während sie den anderen folgten. Wie lange noch? hämmerte die Frage in seinem Kopf. Verzweifelt hielt er Ausschau nach den ersten Zeichen der Veränderung. Und dann kam sie so abrupt, daß er erschrak. Auch Vanderbuilt war stehengeblieben und wartete. Vor ihnen lag das Mutationsgebiet. Ohne Übergang gerieten sie hinein in diese Welt, die die letzte Barriere vor der Station darstellte, die ihnen vielleicht die Rettung brachte. Vielleicht aber auch die Erlösung durch den Tod. Doch vorerst machten sie sich darüber keine Gedanken. Sie mußten durch die mutierte. Zone - einen anderen Weg gab es nicht. * Jeder Schritt der Menschen wurde registriert und beobachtet. Während, der vergangenen Stunden hatte sich eine gewisse Erregung im Zentrum ausgebreitet. Dort, wo alle Daten zusammenliefen, herrschte Verwirrung. Es war nicht nur jener Faktor in der Mitte der Eindringlinge, der Rätsel aufgab - es war vielmehr etwas in dem Wesen selbst, das nicht stimmte, das nicht so war, wie es hätte sein sollen. Aber es saß so tief, daß es sich jeder Analyse entzog. Im Gegenteil - es breitete sich an der Wurzel des Denkens selbst aus und verzerrte das Bewußtsein. Die Gelandeten drangen in den engeren Gürtel ein. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie das Zentrum erreicht hatten. Wieder verschwammen die Maßstäbe, und das Wesen fühlte sich zwischen zwei entgegengesetzten Polen hin und her gerissen. Es war immer noch nicht zu einer Aktion entschlossen. Da war dieser rätselhafte Impuls, der sich auf das Zentrum zubewegte. Irgend etwas in seinem Innern zwang das Wesen, zu warten. Die Fremden kamen näher. Und mit ihnen das, was eine so unvorstellbare Beklemmung auslöste. * Reed fragte sich, wieso sie dieses Gebiet nicht während ihres Orbits aus der Luft hatten ausmachen können. Die Bäume waren nicht mehr nur grün - die Stämme schimmerten in tiefem Violett, und die Blätter zeigten alle Farben des Regenbogens. Wie ein perlmutterner Baldachin breitete sich ein Gewirr von Blättern, Zweigen und herabhängenden Lianen über den Menschen aus. Und die Pflanzenwelt auf dem Boden um sie herum war nicht weniger phantastisch. Büsche mit halbstofflich wirkenden, oft gläsernen Blättern wechselten sich ab mit saftigen Gräsern. Kleine, palmenartige Bäume ragten bis zu einem Meter in die Höhe, und von der Spitze fielen
zipflige, rote Blätter herab. Das Moos war violett. Und manchmal machte es den Eindruck, als lebte es. Kleine Wellen schienen über den violetten Teppich zu laufen und erregten Schwindelgefühle. Und einmal hatte es sogar den Anschein, als versuche etwas, in die Gehirne der Menschen einzudringen. Reed hatte den Alten angesehen, aber der war mit Skip beschäftigt gewesen. Die beiden bildeten ein seltsames Paar. Noch immer trug der alte Mann den Jungen. Christine ging wieder allein. Sie hatte sich ein wenig erholt. Ein feines Singen lag in der Luft. Es schien von irgendwelchen Pflanzen zu stammen. Und über allem lastete die Schwüle des frühen Nachmittags. Nach zwei Stunden Weg durch die fremde Welt brach Christine schließlich zusammen. Reed lud sie sich über die Schulter. „Mir ist eigenartig zumute“, brummte Vanderbuilt. „Ja“, sagte Reed nur. Er wußte, was gemeint war. Sie hatten das Gefühl, als wolle sich etwas auf ihr Bewußtsein legen. Aber alles, was um sie herum zu sehen war, waren Pflanzen. Pflanzen in allen nur denkbaren Formen und Farben, aber sie bewegten sich nicht. Außer dem Singen war kein Laut zu hören. Alles schien still und friedlich. Zu friedlich! befürchtete Reed. Wieder sah er sich nach dem Alten um, und irgendwie beruhigte es ihn, zu sehen, daß dieser ihnen noch folgte. „Ich traue der Ruhe nicht“, meinte Vanderbuilt. „Es ist etwas faul, Chris, ich kann es förmlich riechen!“ Reed nickte. Wieder sah er sich um. „Wie fühlst du dich?“ erkundigte er sich. Vanderbuilt warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Ich bin immer noch ganz klar im Kopf, wenn du das meinst“, antwortete er etwas zu heftig. Reed zweifelte nicht daran, daß auch Vanderbuilt, ebenso wie er selbst, die ersten Anzeichen der geistigen Trägheit spürte, die den Wahnsinn und das Ende jeden Willens einleitete. „Ich meinte allerdings etwas anderes“, sagte er. „Dieser Druck im Schädel...“ „Das Moos, Chris!“ Reed starrte den Freund an wie einen Geist. „Was heißt das? Wieso das Moos?“ „Ich habe es beobachtet, während du dich um Christine gekümmert hast. Jedesmal, wenn es in kleinen Wellen zu fließen scheint, kommt der Druck. Und so ein komisches Wispern.“ „Allerdings, das habe ich auch gemerkt. Das Wispern, meine ich.“ „Ich sage dir, es ist das Moos. Und wenn wir nicht bald die Station finden, sind wir erledigt. Wie lange dauert es noch?“ Reed zuckte die Schultern. Er wußte es nicht, aber er wußte, daß ihr Weg der richtige war. Der Alte hatte es gesagt. Reed kam zu Bewußtsein, daß er längst begonnen hatte, den alten Mann als eine über ihm stehende Person zu betrachten. Er verließ sich blind auf ihn - was veranlaßte ihn dazu? „Das Moos, Chris!“ schrie in diesem Moment Vanderbuilt und blieb stehen. Bevor Reed eine Frage stellen konnte, spürte et es auch: Das Moos bewegte sich in Wellen um sie herum. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, hilflos auf der Oberfläche eines unendlichen Meeres zu stehen und langsam darin zu versinken, dann drangen übermenschliche Kräfte auf sie ein. Die beiden Männer sanken unter Schmerzen zusammen und preßten sich die Hände gegen die Schläfen. Christine lag stöhnend neben ihnen, und Skip... Reed gelang es, den Kopf zu drehen und nach hinten zu blicken, aber weder der Alte noch Skip waren zu entdecken. Es war, als hätten beide sich in Luft aufgelöst. * Skip schlug die Augen auf. Alles schien sich um ihn herum zu drehen. Bunte Nebel tanzten vor seinen Augen. Er wußte nicht mehr, wer er war, wo er war und wie es um ihn stand. Er registrierte nur, aber er war nicht mehr in der Lage, zu erkennen.
Schließlich klärte sich das Bild vor seinen Augen. Ein altes Gesicht erschien in seinem Blickfeld und lächelte. Ein warmer Schauer durchrieselte den gefühllos gewordenen Körper des Jungen, der im fortgeschrittenen Stadium der Verformung stand. Das Gesicht kam näher, und ein paar letzte intakte Nerven vermittelten dem Jungen das Gefühl, daß eine Hand sanft durch sein Haar strich. Der Mund in dem alten Gesicht bewegte sich und schien Worte zu formulieren, aber Skip hörte sie nicht.‘ Und dann entfernte sich das Gesicht, und eine dürre, alte Gestalt stand vor ihm. Dann verschwand sie. Vorher winkte der Alte noch einmal. Skip wußte nicht, wo er sich befand. Seine Augen nahmen Bilder auf und leiteten sie zum Gehirn weiter. Überall war helles Licht, unnatürliches Licht, es schien von den metallenen Wänden zu kommen, die ihn umgaben. Bunte Figuren schwebten vor den Augen des Jungen. Er hob eine Hand, um danach zu greifen. Plötzlich brachte Skip ein Lachen über die Lippen. Ein großer Schmetterling tanzte vor seinem Gesicht. Skip griff danach, aber er konnte das Insekt nicht fangen. Und dann sah er die vielen kleinen Boote, die auf das Meer hinausfuhren. Und er, Skip, befand sich an Bord, zwischen den alten Männern, deren Gesichter vom Wind und dem Meer gezeichnet waren. Skip kappte die Taue und lachte mit den Männern. Dann tranken sie zusammen. Skip lachte. Er lachte wirklich. Ein unbeholfenes, hysterisches Bündel in der Ecke des Ganges, wo der Alte es abgesetzt hatte. Der Wahnsinn griff unbarmherzig nach dem Geist des Jungen. Die Halluzinationen wurden stärker, und mit jeder Bewegung, jedem Schrei und jedem Lachen wich ein Stück seiner letzten Lebenskraft aus ihm. * Der alte Mann stand schweigend vor einem Feld aus reiner Energie. Seine Augen waren geschlossen, und das Grinsen war aus dem Gesicht gewichen. Er verharrte eine halbe Stunde in dieser Stellung, und hin und wieder lief ein Zucken durch seinen Körper. Und auch das energetische Feld, dessen Leuchten die gesamte Halle erfüllte, flackerte immer wieder unruhig. Es war, als ob eine stumme Konversation zwischen den beiden so unterschiedlichen Partnern im Gange wäre. Das Flackern des Feldes verstärkte sich, je länger sie sich gegenüberstanden. Das, was hinter dem Feld steckte, erregte sich mehr und mehr. Und dann verblaßte die Energie. Das Feld verschwand, und der Alte schlug die Äugen auf. Ein zufriedener Ausdruck lag in seinem Gesicht. Er verließ die große Halle. * Nur langsam verschwand der Druck. Unsichtbare Ströme flössen zwischen jedem Atem der mutierten Welt hin und her. Und die mutierte Natur reagierte. „Was war das?“ fragte Vanderbuilt stöhnend, als er sich langsam aufrichtete. Er schüttelte heftig den Kopf, wie, um die verbleibende Benommenheit loszuwerden. „Frage mich nicht, ich bin ebenso schlau wie du. Los, weiter!“ Reed lud sich Christine wieder über die Schulter. Seine Glieder schmerzten, und er spürte die Schwäche in den Beinen. „Der Alte ist weg“, stellte Vanderbuilt fest. „Und Skip mit ihm!“ Reed nickte nur. Er ging weiter, als wäre nichts gewesen. Vanderbuilt folgte ihm. „Ich werde nicht mehr aus dir schlau, Chris! Es scheint dir völlig egal zu sein, was hier mit uns passiert. Wenn der Alte uns nun in eine Falle gelockt hat? Was dann? Ich sehe keine Station!“
„Was hätte er davon?“ „Was weiß ich? Auf jeden Fall paßt mir das Ganze nicht.“ Reed lächelte vor sich hin. „Ich wäre auch lieber im Casino und würde einen schlürfen.“ „Wenn wir jemals zur Erde, zurückkommen, schlürfe ich ein ganzes Faß aus, das kannst du glauben. Dann werde ich den ganzen Dilettanten dort unten erzählen, was wir erlebt und wie wir das Ding hier geschaukelt haben.“ „Und dann werden dich die Dilettanten in die nächstbeste Klapsmühle stecken.“ „Soll mir egal sein, ich komme mir sowieso schon vor wie einer, der einen zuviel gekippt hat.“ „Ich denke, du bist noch ganz klar im Kopf?“ Reed wußte, daß sie versuchten, sich selbst von der scheinbar ausweglosen Situation abzulenken, aber er war froh, auf diese Weise ein paar Minuten lang nicht an ihr Schicksal denken zu müssen. „So klar wie du bin ich jederzeit.“ Vanderbuilt schwieg eine Weile, dann stöhnte er laut. „Chris, mein ganzes Leben lang träumte ich davon, einmal etwas ganz Großes zu machen. Was noch keiner geschafft hat. Irgend etwas, das ganz allein mir gehört, was mir keiner nehmen kann.“ Reed ging schweigend weiter und nickte nur. Er verstand, was der Freund sagen wollte. „Aber das hier...“, fuhr Vanderbuilt fort und breitete die Arme zu einer allumfassenden Geste aus. „Das hier reicht für ein paar tausend Menschen. Es liegt jenseits der Grenze, wo das Faßbare aufhört. Du wirst von einem komischen UFO aufgelesen, findest dich in einem Raumschiff wieder. All das genügt schon, um einen am eigenen Verstand zweifeln zu lassen. Dann fliegst du quer durch die Galaxis und segelst durch den Leerraum zu einer anderen Milchstraße. Das ist etwas, was eigentlich vollkommen unmöglich ist! Wir kommen gerade rechtzeitig, um auf einem fremden Planeten, noch dazu einer zweiten Erde, eine Revolution mitzuerleben und spielen zu allem Überfluß den guten Geist, der die Verfolgten, im letzten Moment rettet. Und jetzt sind wir auf der Suche nach Wesen, die sich irgendwo hier vergraben haben und angeblich unsterblich sind! Glaubst du nicht, daß wir in einer riesigen Illusionsmaschine sitzen, die irgendein Verrückter erfand, der uns gekidnappt hat, um sein Teufelsding auszuprobieren?“ Reed schüttelte bitter den Kopf. Das Gehen fiel ihm immer schwerer, und die Last der Frau auf seinen Schultern schien von Minute zu Minute zuzunehmen. „Leider nicht, Harry. Wir stecken mitten drin in einer Sache, die ebenso real ist wie unsere verbeulten und aufgeplatzten Körper und das verdammte Fieber sind. Irgend jemand ist verantwortlich für die Seuche und die Diskusse, die auf der Erde die Menschen aufsammeln wer weiß, ob wir die einzigen sind? Und ich gebe nicht auf, bis ich diesen Jemand gefunden habe.“ Vanderbuilt schwieg, aber Christopher Reed bemerkte, daß er an irgendeiner Sache herumgrübelte. Dann sah er, wie sein Freund sich ein Herz nahm: „Da ist etwas, über das ich mir schon die ganze Zeit den Kopf zer-(breche, Chris. Diese UFOs. Wie oft sind sie angeblich beobachtet worden, von allen möglichen Leuten und an allen möglichen Orten. Vor 50 Jahren ging’s zum ersten Mal richtig los damit, und bevor sie uns schnappten, geisterten wieder diese Schlagzeilen durch die Zeitungen und Radios. Es ist ziemlich sicher, daß die Geheimdienste und die Armee eine Menge Beweise für ihre Existenz in ihren Panzerschränken liegen haben. Wahrscheinlich sind wir wirklich nicht die einzigen, die entführt wurden. Wenn nun all diese Schiffe verseucht sind...“ „... dann lebt keiner mehr von den Entführten. Ich glaube kaum, daß noch jemand soviel Glück hatte wie wir.“ Vanderbuilt schüttelte stumm den Kopf. „Das meine ich eigentlich nicht. Stelle dir vor, jemand kommt mit solch einem Ding, einem solchen UFO, in Berührung, aber es gelingt ihm, noch rechtzeitig zu fliehen. Aber das Ding war verseucht und der Betreffende war schon infiziert, als er irgendwo seine Story erzählte. Das Virus sitzt in ihm... Du weißt, worauf ich
hinaus will?“ „Es entsteht eine Epidemie auf der Erde. Aber dann müßte dies bereits vor fünfzig Jahren, bei der ersten großen UFO-Welle, passiert sein...“ „Wer weiß? Vielleicht wurden die Leute schnell genug isoliert, als man die ersten Anzeichen der Krankheit erkannte. Es ist logisch, daß die Behörden in einem solchen Fall nichts an die Öffentlichkeit dringen ließen - der Panik wegen. Sie verschweigen ja auch die UFOs, bestreiten sogar das Existieren dieser Dinger! Das wäre übrigens ein einleuchtender Grund dafür.“ „Und ein einziger unentdeckter Fall würde genügen...“ „... um die Erde zu entvölkern!“ vollendete Vanderbuilt mit finsterem Blick. Dann fuhr er auf, und all die Verzweiflung, die sich im Lauf der Tage in dem Mann aufgestaut hatte, kam in seinen Worten zum Ausdruck: „Vielleicht schaffen wir es irgendwie, das Wunder zu vollbringen und die Station zu finden, einzudringen und das Serum zu erhalten. Vielleicht lache mich nicht aus, Chris treiben wir ein Schiff auf, das uns zurück zur Erde bringt, irgendeiner müßte es halt programmieren. Und dann kommen wir zurück zu einer Welt, die längst verseucht und tot ist!“ „Bleib auf dem Teppich, Mann!“ rief Reed, der sich von der düsteren Vision hatte anstecken lassen. „Wer weiß denn überhaupt, in welcher Zeit wir uns befinden. Wenn’s nach Einstein geht, schreiben die auf der Erde längst das Jahr 3000, vielleicht 10 000!“ Sie gingen weiter, trotz des Fiebers, das ihre deformierten Körper schüttelte. * Am späten Nachmittag waren sie so erschöpft, daß sie beschlossen, eine einstündige Ruhepause einzulegen. Reed begann sich zu fragen, wie lange sie sich der Strahlung, die zur Mutation der Natur hier geführt hatte, aussetzen durften, ohne selbst Schaden zu nehmen. Aber eigentlich spielte das nun keine allzu große Rolle mehr für sie. Plötzlich stand der alte Mann vor ihnen, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Er winkte und gab ihnen dadurch zu verstehen, daß sie mit ihm kommen sollten. „Wenn das wieder ein Trick ist...“, knurrte Vanderbuilt. Aber dann erhob er sich zusammen mit Reed. Irgend etwas sagte ihnen, daß sie dem Alten folgen mußten. Nach knapp fünf Minuten erreichten sie das flache, wie aus dem Boden gestampfte Feld. Es war ein schwarzer Kreis im Moos, etwa zwei Meter im Durchmesser und den Männern schien es, als blickten sie in ein endloses Loch im Dschungelboden. Der Alte stieg auf die Fläche. Zögernd folgten ihm die beiden Männer. Diesmal trug Vanderbuilt die Frau. Und dann löste sich die Welt um sie herum auf.
9. Alles war in helles, aber mattschimmerndes Licht getaucht, das aus den Wänden zu kommen schien, wenn man das, was sie umgab, überhaupt als Wände bezeichnen konnte. Es waren jene Grenzen, wo der Blick nicht mehr weiter reichte. Eine Entfernung war schlecht abzuschätzen. Sie befanden sich in einem großen, runden Raum. Es schien eine Kugel zu sein mit mattweiß leuchtenden Wänden, glatt und ohne irgend etwas, das die Harmonie des Raumes unterbrach. Nur die Bodenfläche war abgeplattet, und auf einer Seite führte eine Öffnung auf einen
ebenfalls nach oben hin abgerundeten Gang hinaus. Christopher Reed ließ seinen Blick lange über die neue Umgebung wandern. Er hatte wirklich aufgehört, noch irgend etwas begreifen zu wollen. Er kam sich vor wie in einer riesigen Eierschale. Alle Versuche, den Abstand zu den Wänden und zur Decke abzuschätzen, blieben erfolglos. Es war, als wiche die helle Wand vor dem Blick zurück. Die Station! durchfuhr ihn die Erkenntnis. Wir sind in der Station! Neben ihm hockte Vanderbuilt und kümmerte sich um Christine, die die Augen geöffnet hatte. Und dort, wo der Gang einmündete, dessen Ende nicht erkennbar war, lag der Junge. Reed stand auf und verständigte sich mit einem Blick mit Vanderbuilt, der sich weiter um Christine bemühte. Dann ging er hinüber zu Skip und kniete neben ihm nieder. Seine Schritte verursachten kaum ein Geräusch auf dem seltsamen Boden. Skip sah den Mann aus irren Augen an, verzog das Gesicht zu einer lachenden Grimasse und spielte mit den Händen in der Luft herum. Immer wieder stieß er ein unverständliches Lallen aus. Das also ist das letzte Stadium! dachte der Mann bitter. Unbändiger Zorn wallte plötzlich in ihm auf, als er den Jungen, noch ein halbes Kind, das keinem etwas getan hatte, in diesem Zustand sah. Er dachte weniger an sein eigenes Schicksal. Skip war ihm ans Herz gewachsen, ebenso wie Christine. „Wer immer ihr seid und wo immer ihr steckt! Kommt heraus und verkriecht euch nicht länger!“ schrie Reed in einem Anfall von Verzweiflung. Dann hatte er wieder die Kontrolle über sich. Er sah sich nach Vanderbuilt um, aber der preßte nur die Lippen aufeinander. Und dann, wie aus heiterem Himmel, stand das hallende Gelächter im Raum. Die Köpfe der Männer fuhren hoch, und auch Christine richtete sich auf. Der Wahnsinn verschwand für ein paar Augenblicke aus ihren Augen. Sie alle schienen nicht glauben zu wollen, was ihre Ohren ihnen vermittelten. Aber das Lachen erklang erneut. Es hallte wie aus tausend Lautsprechern in dem runden Raum, schien in den Gang hineinzureichen - es war überall. Ein verzerrendes Echo hallte nach und jagte den Menschen einen Schauer des Entsetzens über den Rücken. Christine verfiel wieder in Agonie. Reed hatte plötzlich ein Bild vor Augen. Eine Erinnerung an einen Film, den er als Kind einmal im TV gesehen hatte. Dort hatte ein Junge eine Flasche gefunden, und als er sie öffnete, drang ein Geist heraus und stand am Ende als riesiger Gigant über dem Jungen. Das Lachen des Flaschengeists hatte ähnlich höhnisch und grauenhaft geklungen. „Jetzt reicht’s!“ fuhr Vanderbuilt auf und stellte sich neben den Freund. „Chris, uns hat es auch erwischt, wir merken es nur nicht. Der Wahnsinn sitzt so tief in uns, daß wir ihn für einen Normalzustand halten. Das kann nicht wahr sein, Chris, wir sind verrückt!“ „Es ist wahr, Harry!“ „Dann ist es der Alte! Nur er kann hier sein, und er ist verschwunden. Er hat uns hierhergebracht, um uns fertig machen zu können!“ „Das hätte er bequemer haben können, Harry. Du vergißt, warum wir hier sind.“ „Du meinst... diese Unsterblichen?“ „Unsterblich oder nicht. Irgend jemand ist hier zu Hause, und gnade ihm Gott, wenn wir den Weg umsonst gemacht haben!“ Wieder blickte er Skip an. Noch zu gut hatte er den Jungen in Erinnerung, wie er gewesen war, bevor die Seuche ihn ereilt hatte. Und Christine. Reed war entschlossen, den oder die Drahtzieher zu finden, bevor er selbst zum stammelnden Wrack wurde. „Komm mit“, forderte er Vanderbuilt auf. „Die beiden müssen wir hierlassen. Vorläufig.“ Noch einmal ging er zu Christine, die wieder ohne Bewußtsein war, und strich ihr durch das Haar. „Ich komme wieder“, sagte er und dachte dabei an ein anderes Versprechen, das er ihr
gegeben hatte. Wortlos nahm er Vanderbuilt beim Arm und ging mit ihm in den hellen Gang hinein. Die beiden Männer hatten keine Ahnung, was sie am Ende vorfinden würden, aber das kümmerte sie jetzt nicht. Sie hatten nichts zu verlieren. Reed umklammerte den Strahler, der immer noch in seinem Gürtel steckte. * Wieder stand der alte Mann vor dem Feld aus Energie. In der Halle schwebten mehrere dieser Felder, und in jedem projizierte sich ein Bild. Nur das, vor dem der Alte schweigend stand, leuchtete in einem weißgelben Ton und schien zu pulsieren. Der Alte hatte jedoch im Moment nicht viel Aufmerksamkeit für die Umgebung übrig. Die Augenblicke, in denen sich ein schwerer Vorhang vor seinem Bewußtsein aufzutun schien, wurden immer häufiger. Wieder kam es ihm vor, als sei dies alles hier nichts Neues für ihn. Es war so vertraut, als hätte er diesen Raum erst gestern verlassen. Caalis! War es vor ein paar Tagen nur ein Funke gewesen, der spontan in sein Bewußtsein gedrungen war, als die Loorden ihre telepathische Botschaft abgestrahlt hatten, so schälten sich nun immer mehr die Konturen jenes Begriffs heraus, der weit mehr darstellte als die Bezeichnung einer Welt, die von einer einsamen Sonne umkreist wurde irgendwo in der Galaxis seines Volkes. Seines Volkes! Der Alte erschrak, als der Gedanke sich den Weg ins Bewußtsein bahnte. Wie viele Jahre, Jahrhunderte oder Jahrtausende hatte er im Zustand der Vernebelung als Trottel verbracht, der nicht wußte, wohin er überhaupt gehörte? Was hatte ihn dazu getrieben, seine Herkunft zu vergessen, die jetzt Stück um Stück vor seinem geistigen Auge auftauchte? Immer mehr Teile eines phantastischen Mosaiks fügten sich zusammen. Wie war er auf jene Welt gekommen, von der er nun in eine der Walzen gelangt war, zusammen mit den Planetariern? Er sah ihre Gesichter vor sich: den Jungen, den er ins Herz geschlossen hatte, die Frau, die verzweifelt war, und die beiden Männer. Ohne zu wissen, warum, fühlte er sich für sie. verantwortlich. Die Krankheit! Bilder tauchten auf, Bilder von Frauen und Männern, die ebenfalls von dieser Seuche befallen gewesen waren. Aber es waren Loorden gewesen! Der alte Mann sah lange Korridore vor sich, große Schiffe, die eine Welt verließen und zu Hunderten ins Weltall aufbrachen. Er versuchte sich an Einzelheiten zu erinnern. Warum waren sie gestartet, und wo hatte ihr Ziel gelegen? Aber noch war das Bild zu verschwommen. Er sah nur die Bilder der Kranken, und diese Kranken waren Seine Freunde gewesen. Plötzlich hörte er wieder das hallende Lachen. Es schien ihn durch seine Ohren und über verborgene Sinne zu erreichen, die lange brachgelegen hatten. Dem Alten wurde bewußt, daß er Telepath war. Er war es vor langer Zeit gewesen, und es würde eine Weile dauern, bis er die Fähigkeit wieder voll zurückerlangt haben würde. Er spürte die Anwesenheit des geisterhaften Gegenübers, das mächtiger war als er. Er wußte, daß er ihm ausgeliefert war und daß er es mit Leichtigkeit vernichten konnte, aber die Impulse, die er empfing, waren wirr und unlogisch. Was war mit den Schiffen gewesen, jenen großen Walzen, die er, zusammen mit vielen anderen Frauen und Männern, bestiegen hatte? Der alte Mann spürte, wie sich der Nebel wieder über sein Bewußtsein legte. In einigen Sekunden würde er erneut alles vergessen haben. Dennoch machte er sich Sorgen um die Menschen in der Station. Zweimal hatte er gerade noch rechtzeitig eingreifen können. Das Glück hatte es gewollt, daß er gerade in dem Augenblick der Gefahr bei Sinnen gewesen war. Er hoffte, daß sie sich ruhig verhielten, bis er wieder klar denken konnte. Auch er hatte eine
Aufgabe, die hier auf ihn wartete, obwohl er noch nicht wußte, welcher Art sie genau war. * Noch einmal drangen die verwirrenden Impulse in das Wesen, das nicht fähig gewesen war, der Entwicklung, die jetzt nicht mehr gestoppt werden konnte, Einhalt zu gebieten. Mit unbarmherziger Heftigkeit griff der Wahnsinn nach dem unsterblichen Geist. Das Wesen, das über ein unvorstellbares Machtpotential verfügte, vergaß alle Logik und handelte in Panik. Wie seine Gefährten, so würde auch der letzte der Unsterblichen sterben. Die Furcht vernebelte den Geist, und das Chaos nahm seinen Lauf... * Sie konnten nicht sagen, wie lange sie sich in dem Gang vorwärts bewegt hatten, bis sie an die Gabelung kamen. Keine Unebenheit zerstörte den Eindruck, sich in einem aus einem einzigen Teil gegossenen Gebilde aus reiner Helligkeit zu befinden. Der Gang endete in einem weiteren Kugelraum, von dem drei kleinere Gänge abzweigten. Bevor sie sich darüber Gedanken machen konnten, welcher sie weiter zu ihrem Ziel führen würde, schwebten glühende Leuchtkugeln mit einem Durchmesser von etwa zehn Zentimetern heran. Es waren viele Dutzend. „In Deckung!“ schrie Reed, aber im gleichen Moment erkannte er die Unsinnigkeit seiner Worte. Wo sollten sie sich verschanzen? Es gab keine Unebenheiten hier, und die Kugeln kamen von allen Seiten. Vanderbuilt zog den Strahler und drückte den Auslöser in den Schaft, aber der erwartete Schuß blieb aus. Er fluchte und schleuderte die Waffe mit Wucht in das Heer der angreifenden Leuchtkugeln. Als sie eine der flammenden Erscheinungen traf, gab es einen kurzen Blitz, dann waren Strahler und Kugel verschwunden. Eine andere Leuchtkugel streifte Reed an der Schulter. Er schrie vor Schmerzen auf. „Hier hinein!“ rief Vanderbuilt und zeigte auf einen der drei Gänge, wo der Schwärm der Kugeln schwächer wurde. Sie liefen geduckt auf die Abzweigung zu, erreichten sie und rannten weiter. Sie gelangten in eine Halle, die aus einem halben Dutzend ineinander versetzter Kugeln zu bestehen schien. Und auch hier waren die Wände aus weißem Licht. In der „Mitte“ des Raumes standen einige fremdartige Apparaturen. „Chris!“ entfuhr es da Vanderbuilt, und er zeigte auf den Boden, wo drei Gestalten in kleinen Vertiefungen lagen. Jetzt sah es auch Reed. Sie gingen langsam, als zwinge sie etwas zur Vorsicht, auf die Liegenden zu, bis sie deren Gesichter erkennen konnten, was allerdings nicht nötig gewesen wäre, denn die gelben, verzierten Kombinationen sagten ihnen genug. Vor den beiden Männern, direkt zu ihren Füßen, lagen die drei Loorden, die sie zu dieser Welt gebracht hatten, bevor sie verschwunden waren. „Sind sie tot, Chris?“ fragte Vanderbuilt leise. Es schien ein Zufall zu sein, der ihnen die Frage beantwortete. Eine Leuchtkugel erschien in dem Gang, durch den sie hierhergelangt waren, und kam auf die Männer zu. Sie wichen instinktiv zurück, bis sie merkten, daß die Kugel es nicht auf sie abgesehen hatte. Sie schwebte genau auf einen der gelbgekleideten Loorden zu und ließ sich auf den Brustkasten des Mannes sinken. Unter einer mittelhellen Leuchterscheinung fraß sie sich in den Körper hinein. Vanderbuilt stöhnte laut auf und wollte hinzustürzen, aber Reed hielt ihn fest. Als die Kugel etwa fünf Zentimeter tief im Leib des Fremden steckte, explodierte sie in einem kleinen Blitz. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille in dem großen Raum, dann traten die beiden
Männer an die Versenkung heran, in der der Loorde lag. Als sie sich über das Loch beugten, das die Kugel in den Körper gefressen hatte, traf sie die Erkenntnis wie ein Schock. „Das... das sind keine Menschen“, stammelte Reed. „Das sind Roboter! Androiden, Harry!“ Wie zur Bestätigung erklang in diesem Moment wieder das wahnsinnige Lachen und füllte die gesamte Halle aus. Die beiden Männer hielten sich die Ohren zu. Wer spielte sein teuflisches Spiel mit ihnen? Der ohnmächtige Zorn, die Wut, hilflos einem übermächtigen Etwas gegenüberzustehen, das sich über ihre Situation lustig zu machen schien, aktivierte noch einmal schon vergessene Kräfte in den Menschen. Kein Gang, außer dem, durch den sie gekommen waren, führte aus dieser Halle. Sie waren in eine Sackgasse geraten. Sie mußten hier heraus, wollten sie ihr Ziel erreichen, und das wollten sie jetzt mehr als je zuvor. Noch einmal trieb ein unbändiger Wille sie voran. Aber draußen warteten die Energiekugeln. „Wir müssen es riskieren!“ meinte Reed und gab dem Kameraden ein Zeichen. Vanderbuilt konnte sich nicht erinnern, Reeds Gesicht jemals so grimmig gesehen zu haben. Sie rannten wieder in den Gang hinein. Als sie am anderen Ende herauskamen, waren die Kugeln verschwunden. Die Männer blieben stehen. Ein leichter Schwindel packte Reed, und das Fieber ließ das Blut heiß in seinen Schläfen pochen, aber er achtete nicht darauf. Sie mußten diejenigen •finden, die verantwortlich waren für das, was in dieser Station vorging. Und sie mußten das Serum haben. Die Halle übertraf alles bisher Gesehene. Ein Ende ließ sich quasi nicht absehen. Überall begegnete ihrem Blick das helle, weiße Licht, das aus dem Nichts zu kommen schien und sich in den „Wänden“ der riesigen Halle stabilisierte. Überall schwebten energetische Felder aus manifestierten! Licht. Sie zeigten Projektionen unbekannter Räume und Gänge. Auf einem erkannten die beiden Eindringlinge die Halle mit den Loorden. Nein, es waren ja Androiden! verbesserte sich Reed im stillen. Er spürte, daß er an der Schwelle eines Geheimnisses stand, das bis hin zu den Wurzeln aller Existenz reichte. Wieder hallte das unheimliche Lachen durch den Saal, und diesmal spürten sie deutlich, daß es sich um das Lachen des blanken Wahnsinns handelte. Reed dachte an den Alten, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Hier hatten sie es mit einer Macht zu tun, die ungleich größer sein dürfte als das, was in dem alten Mann schlummerte. Aber in welcher Beziehung stand er zu diesem Etwas? Plötzlich nahm der große in der Luft schwebende Projektionsschirm, der alle anderen überragte und bisher in einem weißlichgelben Ton geschimmert hatte, Farbe an. Formen kristallisierten sich heraus, und dann stand ein fremdes Gesicht auf dem Schirm. Groß und hell blickte es auf die beiden Männer herab - das Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren, aber es war nicht eigentlich menschlich. Nicht der irre Glanz in den Augen, nicht der zu einem höhnischen Lächeln verzogene Mund machten die Faszination aus - von der Projektion schien eine hypnotische Kraft auszugehen. Und noch etwas fühlten die Männer: Der Fremde, dem dieses Gesicht gehörte, mußte unvorstellbar alt sein, obwohl er das Gesicht eines gerade Fünfzigjährigen trug. Es gab für sie in diesem Augenblick keinen Zweifel mehr, daß sie dem Herrn der Station gegenüberstanden. Und damit einem der legendären Unsterblichen von Loord. Und das wiederum hieß, daß sie hier, und nur hier das Serum gegen den schleichenden Tod in ihren Adern bekommen konnten. Aber es sah nicht so aus, als würde der Mann auf der Projektion verhandeln. Er öffnete den Mund, und wieder hörten sie das von allen Seiten kommende Gelächter. Sie sahen, wie die Augen des Riesengesichts sich hoben und sich auf etwas richteten, das
hinter ihnen zu sein schien. Reed drehte sich um und erblickte den Alten, der in die Halle getreten war. * Der alte Mann sah die Dinge so klar, als liefe ein Film vor seinem inneren Auge ab. Plötzlich war alles wieder gegenwärtig, die Mission der Walzen, die Rolle der auf Loord Zurückgebliebenen, die Katastrophe und sein eigenes Schicksal auf jener Welt, die ihre Bewohner Erde nannten. Er selbst war einige Jahrmillionen lang einer der Menschen gewesen,. Wie sie sich heute bezeichneten. Ein verwahrloster alter Trottel, der seine Vergangenheit und seine Aufgabe vergessen hatte. Und wie es schien, kam er zu spät, um diese Aufgabe, die ihm vor unendlich langer Zeit aufgetragen worden war, noch zu erfüllen. Die Aspiranten für Caalis! War das, was nun von dem Projektionsfeld stierte, alles, was übriggeblieben war von den Idealen und Hoffnungen seines Volkes? Wieder standen die schrecklichen Bilder in seinem Bewußtsein. Bilder sterbender Loorden, Bilder leerer Korridore und Räume auf den Schiffen, die ausgeschickt worden waren, das Leben zu bringen und statt dessen als Totenschiffe ihre Bahn gezogen hatten, nur von Robotgehirnen und rechtzeitig eingegebenen Programmen getrieben. Sie hatten ihre Aufgabe dennoch erfüllt, aber es gab niemand auf Loord mehr, der etwas davon gehabt hätte. Er selbst war der einzige Loorde gewesen, der die Seuche überlebt hatte. Er war immun gewesen. Wie viele Immune hatte es auf Loord gegeben?. Er wußte, daß diese Immunen von damals heute diejenigen waren, die sich die Unsterblichen nennen ließen. Und sie waren es tatsächlich, ebenso wie er. Die Erreger der Seuche hatten in jenen, die immun waren, eine Veränderung hervorgerufen, die den Zellverfall stoppte und die Gehirnzellen einer ständigen Regenerierung unterzog. Und nun stand er einem jener gegenüber, die die letzten Loorden darstellten. Er wußte, daß dies der Zeitpunkt der Entscheidung war, denn die beiden Terraner dort vor ihm waren ohne ihn hilflose Opfer eines wahnsinnig gewordenen, unsterblichen Gehirns, dessen Machtfülle auch er nur ahnen konnte. Aber etwas anderes verrieten ihm die schwachen telepathischen Impulse des Wesens: Der Unsterbliche starb! Und der nahende Tod hatte seinen Geist mit Wahnsinn überzogen. Der Alte sah, wie die beiden Männer sich zu ihm umdrehten. Aber er konzentrierte sich auf das, was hinter der Projektion steckte. Irgendwo innerhalb der Station befand sich das Wesen, und er warf all seine wiedererwachte psychische Kraft in den verzweifelten Versuch, die Schranke des Wahnsinns zu beseitigen und zu dem Wesen vorzudringen, das ebenso alt war wie er selbst, sich aber doch so von ihm unterschied. Ein Duell auf einer für menschliche Sinne unfaßbaren Ebene begann. * Chaos bestimmte das Denken und Handeln des Unsterblichen. Das Wesen wußte, daß das Leben sich dem Ende zuneigte. Die Flucht aus den Lebenskapseln auf Loord war zu überstürzt vollzogen worden. Irgendein Prozeß’ hatte eingesetzt, der die durch die Immunität gewonnene Unsterblichkeit wieder aufhob. Er war der letzte seiner Art. Seine Begleiter waren tot. Und er würde folgen. Panik überflutete das uralte Gehirn und ließ den Wahnsinn keimen. Aber plötzlich war da etwas, das nicht hatte sein dürfen. Der Unsterbliche hatte es schon vorher ungenau registriert - als vagen Faktor, der mit den Fremden auf seiner Welt gelandet war. Und jetzt spürte er,
daß der fremde Geist, der seinem eigenen so ähnlich war, den gezielten Kontakt suchte. Sollte doch einer der Begleiter überlebt haben? War er doch nicht der letzte seines Volkes? Einen Augenblick lang öffnete sich der Vorhang, den der Wahnsinn vor seinen Geist gelegt hatte. Er vergaß auch die unbedeutenden Fremden in der Projektionshalle und lauschte nur den suchenden Impulsen. Und plötzlich war es, als dringe neue Kraft in ihn. Er begriff, wer ihm da gegenüberstand. Noch einmal blühte das dem Tod geweihte Wesen, das länger gelebt hatte als ganze Planetenkulturen, auf, und mit ihm wurde das Erbe seines ebenso alten Volkes lebendig, das von einer Seuche hinweggerafft worden war, als es an der Schwelle der Ewigen Erfüllung des Lebens gestanden hatte. Als man das Gegenmittel entwickelt hatte, war es zu spät gewesen. Sie, die Überlebenden der Katastrophe, die sich zurückgezogen hatten, um auf die Schiffe zu warten, hatten nicht mehr ernsthaft daran geglaubt, jemals noch lebenden Rückkehrern der Mission gegenüberstehen zu können, nachdem die ersten Schübe der toten Schiffe über Loord erschienen waren. Dem Unsterblichen wurden nach einer kurzen Sondierung die Zusammenhänge klar. Er wußte jetzt, was die Fremden hierhergeführt hatte, und er hatte die Macht, ihnen zu helfen. Eine schwere Entscheidung lag auf seinen Schultern. Es war nicht leicht, sein Volk zu vergessen. Aber es hatte nicht umsonst gelebt und gewirkt. Er sah, daß Loord dem Universum seinen Stempel aufgedrückt hatte und daß seine Rasse in den vielen anderen, die sich nun auf die kosmische Bühne wagten, weiterleben würde. Und vielleicht würde sie eines Tages das vollenden, was den Loorden versagt geblieben war. Das Wesen öffnete sich seinem Gegenüber und machte sich daran, seinem Leben einen würdigen Abschluß zu verschaffen. Der Unsterbliche gab seinem telepathischen Partner ein Zeichen. * Reed und Vanderbuilt hatten schweigend beobachtet, wie sich der lautlose Dialog zwischen dem Alten, der im Eingang der Halle stand, und dem Wesen auf dem Projektionsfeld vollzogen hatte. Irgend etwas hatte sie gezwungen, zu schweigen und den Kontakt nicht zu stören. Irgend etwas hatte ihnen gesagt, daß es in diesen Minuten um ihre Existenz ging, vielleicht sogar um noch viel mehr. Als dann der alte Mann die Augen öffnete und sie ansah, erinnerte er in nichts mehr an den vergammelten Alten, der sie bis hierher begleitet hatte auf ihrer unfreiwilligen Odyssee. In seinem Blick stand der gleiche Hauch von Ewigkeit, der jetzt, wo der Wahnsinn gewichen war, auch das Gesicht auf dem Schirm umgab. Erschreckt erkannten die beiden Menschen, wie ähnlich sich diese beiden waren. „Er wird euch helfen“, sagte der alte Mann übergangslos und kam näher. „Wer sind Sie?“ fragte Reed. Vanderbuilt stand mit offenem Mund da und schwieg. „Ihr werdet es verstehen, wenn ihr die Geschichte Loords kennt“, antwortete der Alte und deutete auf zwei wie aus dem Nichts entstandene Würfel, die ebenfalls aus reiner, leuchtender Energie geformt zu sein schienen. Nur zögernd setzten sich die Männer. Der alte Mann zeigte auf das Feld, das das Gesicht des anderen zeigte, ein müdes Gesicht, aber mit einem undefinierbaren Ausdruck, der die Menschen in seinen Bann zog. Sie starrten auf das Feld, dann verschwammen die Formen. Das Energiefeld überschritt die Grenzen ihres Blickfeldes und breitete sich um sie herum aus. Die beiden Männer steckten mitten in dem Bild, das nun erschien...
10.
Dos Volk von Loord hatte den Höhepunkt der technischen Entwicklung erreicht, längst die Fesseln seiner Welt gesprengt und den Weltraum erkundet. Aber das All war leer, und die Schiffe kehrten enttäuscht zurück. Mineralien und Erze steigerten den Lebensstandard auf Loord ins Unermeßliche, und es kam der Zeitpunkt, wo der Wunsch in den Loorden übermächtig wurde, die nächste Stufe der Evolution an sich zu vollziehen: die Loslösung von der Körperlichkeit und die vergeistigte Einheit aller Loorden. Es gab nur eine Welt im Universum, die den Wissenschaftlern von Loord dafür geeignet erschien: eine Welt, deren hyperphysikalische Konstante allein die Voraussetzung für diesen Schritt bildete. Denn die bisher geltenden physikalischen Gesetze verloren dort ihre Gültigkeit, wo es darum ging, in höhere Ebenen vorzustoßen. Diese Welt hatte den Namen Caalis erhalten. Teams von hochqualifizierten Spezialisten starteten nach Caalis, während auf Loord ein anderes Projekt parallel vorbereitet wurde: Die Erkenntnis, im All keine Brüder gefunden zu haben, war für die Loorden schmerzhaft gewesen. Deshalb hatte man ein Programm beschlossen, um das Vakuum, das der Exodus der Loorden hinterlassen würde, auszufüllen, und nicht nur das: Gewaltige Schiffe wurden gebaut, um ihren Weg in das All anzutreten und während ihres Fluges geeignete Planeten mit Lebenskeimen zu „impfen“, als deren Ergebnis eines Tages Leben entstehen würde, wie es sich auf Loord entwickelt hatte. Die Saat des Lebens sollte auf Urwelten gelegt werden, und bereits in der Entwicklung begriffenes Leben würde mittels genetischer Manipulationen auf den gewünschten Kurs gebracht. Die durch die Manipulation hervorgebrachten Arten würden die Kraft haben, sich gegenüber primitiveren Arten durchzusetzen und schließlich zu dominieren. Die Schiffe sollten viele Galaxien durchqueren, bis sie ihre Saat abgesetzt hatten. Dann erst würden sie gemeinsam zurückkehren nach Loord und dabei die Beobachter aufnehmen, die die Entwicklung der Welten überwachten. Auf Caalis wurden die Vorbereitungen für den Schritt des loordischen Volkes geschaffen, während die Armada der Walzen entstand. Die Loorden, die zurückblieben, würden so lange warten, bis die Schiffe zurück waren. Es würden mehrere Millionen Jahre vergehen, aber für die Loorden hatte diese Zahl ihre Schrecken verloren. Ihr Horizont hatte sich im Laufe der Entwicklung erweitert. Die Schiffe nahmen ihre Fracht und ihre Besatzungen an Bord und starteten, um das Leben ins Universum zu tragen. Leben, wie es auf Loord entstanden war. Wenige Wochen, nachdem sie am Firmament verschwunden waren, trat auf Loord die Seuche auf. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie die Bevölkerung hinweg gerafft. Nur wenige Personen waren immun, und bei ihnen bewirkte die Krankheit eine erstaunliche Entwicklung: Sie alterten nicht mehr und wurden unsterblich. Als das Gegenmittel entwickelt war, war es zu spät. Nur noch die Immunen lebten. Und sie hatten auf die Rückkehr der Flotte zu warten. Sie schufen ein Heer von perfekten Androiden, die die Zivilisation und den Ablauf der Technik auf Loord aufrechterhielten, während sich die unsterblich gewordenen Loorden in Lebenskapseln legten, um die Rückkehr der Schiffe abzuwarten. Erst dann sollten sie von den Androiden geweckt werden. Aber sie sorgten sich um die Schiffe. Mit Schrecken dachten sie daran, daß auch die Besatzungen vor dem Abflug mit dem teuflischen Virus infiziert worden sein könnten... Das Bild verschwand. Reed und Vanderbuilt schlugen die Augen auf. Sie waren zu keinem Wort fähig. Wie ein schwerer Kloß steckte ihnen das fast wirklich Erlebte im Hals. Das Drama der Loorden schien wie ein plötzlich aufgetauchter dunkler Schatten über der Halle zu lasten. Aber sie fühlten, daß sie längst noch nicht alles wußten. Fast gleichzeitig wanderten die Blicke der Männer hinüber zu dem alten Mann, der inzwischen neben dem Projektionsfeld, das auf seine ursprüngliche Größe zusammengeschrumpft war, stand und sie prüfend musterte. Er schien einen Moment lang zu
zögern. Vielleicht überlegte er, ob die Menschen die volle Wahrheit ertragen würden. Es wird eher so sein, daß der Alte sich selbst vor seinen Worten fürchtete, versuchte Reed sich einzureden. Er war mittlerweile fest davon überzeugt, daß der Alte von dieser Welt Loord stammte, und er glaubte auch zu wissen, wie das Schicksal dieses Mannes ausgesehen hatte. Und dennoch war er immer noch sehr, sehr weit davon entfernt, die ganze Wahrheit auch nur zu ahnen. Der alte Mann begann zu sprechen... * „Es waren viele tausend Schiffe, mit denen wir Loord verließen, wohl die gewaltigste Flotte, die das Universum jemals sah. Wir begannen, unserem Auftrag zufolge, die ersten Planeten mit dem Keim des Lebens in unserem Sinne zu infizieren. Manchmal war es einfach. Wir brauchten nur Lebenskeime in irgendwelchen Urmeeren abzusetzen und konnten weiterfliegen. Andere Welten hatten bereits eigenes, oft fremdartiges Leben entwickelt, so daß der Eingriff komplizierter wurde. Genetische Veränderungen mußten durchgeführt werden, und wir mußten Wächter zurücklassen, die die Entwicklung in die richtigen Bahnen lenken sollten. Wir waren bereits einige Monate unterwegs gewesen, als die Seuche über uns kam. Die Frauen und Männer starben nach furchtbarer Krankheit und wurden mumifiziert. Es war die gleiche Seuche, deren Virus euch nun befallen hat, denn es lebte in den Schiffen fort. Jene wenigen, die immun waren, machte es unsterblich. An Bord der Schiffe war ich der einzige. Wir fanden kein Mittel gegen die Krankheit, trotz unserer hochentwickelten Wissenschaft. Das Virus war bereits auf Loord mit uns an Bord gekommen. Kurz bevor die letzten starben, programmierten wir die Schiffe so, daß sie den Auftrag auch ohne uns ausführen würden. Sie brachten das loordische Leben zu unzähligen Welten, aber es lebte kein Loorde mehr an Bord. Ich verließ mein Schiff mit einem Beiboot, als ich eine Welt fand, die mir geeignet erschien, die Zeit bis zur Rückkehr der Walzen auf ihrem Weg zurück nach Loord abzuwarten. Es war eines jener Beiboote, jener kleinen Scheiben, die über allen Planeten abgesetzt wurden, um die Evolution in unserem Sinne zu überwachen und zu kontrollieren. Und die Welt war eine urweltliche Dschungelwelt. Das Faszinierende an ihr war, daß sich Gattungen entwickelt hatten, die uns Loorden ähnelten, wenn auch viel primitiverer Art. Die Manipulation erfolgte, und ich konnte die ersten Fortschritte und Erfolge beobachten, während die Flotte weiterzog, weit hinaus zu den entfernteren Galaxien. Auf ihrem Rückweg würden sie mich mit dem Boot ebenso aufnehmen, wie es auf allen anderen Planeten geschah, auf denen die robotischen Wächter zurückgelassen worden waren. Ich wurde einer der Eingeborenen, die allmählich von primitiven Primaten zu einer intelligenten Art heranreiften. Und sie ähnelten uns in vielerlei Beziehung. Aber im Laufe der Jahre verlor ich die Erinnerung an Loord und an meine Aufgabe und verdummte. Der Schmerz der Erinnerung hatte meinen Verstand getrübt. Ich kam erst wieder zu mir, als ich wieder den Boden Loords unter meinen Füßen hatte. Es war ein phantastischer Zufall, daß ich an Bord eines der von der rückkehrenden Flotte ausgeschickten Beiboots, das ,Proben’ des entstandenen Lebens einsammelte, geriet zusammen mit euch. Hier auf Caalis dann lichtete sich der Vorhang endgültig, wenn auch sehr langsam. Jetzt weiß ich, wer ich bin und was in der Zwischenzeit auf Loord und Caalis geschah.“ * Reed stand lange da und sah den Alten schweigend an. Die Worte des Mannes bewegten ihn
mehr, als er zeigen konnte. Eine ganz bestimmte Ahnung beschlich ihn, eine Ahnung, die, sollte sie sich bewahrheiten, ein ganzes Weltbild wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen konnte. Er wollte die Frage nach den Ereignissen auf Loord nach dem Start der Schiffe stellen, als ihm einfiel, was sie hierhergeführt hatte. „Das Serum“, sagte er leise, als fürchte er, in eine heilige Stille hineinzusprechen. „Wir müssen das Mittel haben, oder wir sterben.“ Reed sah, wie der Alte nickte. Dann drehte der Loorde sich um und blickte starr auf den Projektionsschirm aus Energie, auf dem nun wieder das Gesicht des Unsterblichen stand. Reed erschauerte unwillkürlich bei dem Anblick. Die beiden Loorden schienen sich wieder lautlos zu verständigen. Dann begann die Luft in der Halle zu flimmern. Ein großer Würfel entstand aus dem Nichts heraus, wie schon vorher ihre Sitzgelegenheiten. Wenig später materialisierten auf die gleiche rätselhafte Weise vier kleine rote Kapseln. „Nehmt sie!“ forderte der Alte die beiden Männer auf und deutete auf den Ausgang der großen Halle. Die Menschen verstanden. Sie griffen nach den Kapseln und machten sich auf den Weg. Noch in der Halle schluckten sie ihre Pillen. Die anderen beiden waren für Christine und den Jungen. Die Männer eilten durch die hellen, runden Gänge der uralten Station und vergaßen für einige Minuten die beiden Wesen. Reed hatte den Eindruck, daß sie jetzt allein sein wollten. Irgend etwas geschah in diesen Minuten mit ihnen. Ein dumpfes Unbehagen beschlich ihn, während er Vanderbuilt nacheilte. Es war nicht das Schicksal der Menschen, das ihn bewegte, vielmehr bedrückte ihn das Los der Loorden. Und er glaubte zu wissen, daß Loorden und Menschen mehr gemeinsam hatten als nur das Äußere. Skip und Christine hockten beide nebeneinander am Boden und starrten aus großen, irren Augen vor sich hin. Sie verstanden nicht mehr, was um sie herum vorging. Als die Männer näher kamen, wichen sie zurück und schlugen wild mit den Fäusten um sich. Reed fragte sich, woher sie noch die Kraft dazu nahmen. Er selbst fühlte die Schwäche mehr denn je. Mit vereinten Kräften gelang es den Männern, zuerst Skip, dann Christine die Kapseln einzugeben. Nun konnten sie nur warten und hoffen. Und beten. Vielleicht lag es an dem Mittel, daß die Glieder plötzlich schwer wurden und Schwärze vor die Augen trat. Das letzte, das Reed sah, bevor sich der Mantel der Bewußtlosigkeit über ihn senkte, war das zernarbte und aufgeschwollene Gesicht der Frau und ihre verformt wirkenden Glieder, die verunstalteten Arme und die ebenso zugerichteten Beine, die unter den zerschlissenen Jeans zum Vorschein kamen. Er fiel in einen tiefen Schlaf und träumte von fliegenden Untertassen, von uralten Mythen vergessener Kulturen auf der Erde und von unsterblichen Göttern der alten Religionen. Und er träumte vom ewigen Juden... * Christopher Reed hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Er schlug die Augen auf, und neblige Schleier lösten sich langsam auf. Die anderen schliefen noch, oder besser gesägt: Sie hatten noch nicht das Bewußtsein wiedererlangt. Um Vanderbuilt machte Reed sich die geringsten Sorgen: Er hatte die gleiche Konstitution wie er, und die Krankheit war bei ihm im gleichen Stadium gewesen wie bei ihm selbst. Aber Christine und Skip. An ihren Körpern war keine Veränderung zu bemerken, aber ihre Gesichter wirkten gelöster, natürlicher als vorher. Sie schienen ruhig und tief zu atmen. Reed wußte, daß er jetzt nichts tun konnte. Sie würden warten müssen. Aber er registrierte, daß das Fieber abgeklungen war. Und auch sonst fühlte er sich frischer.
Christopher Reed verspürte den Drang, irgend etwas zu tun, irgendwohin zu gehen, um sich selbst abzulenken. Er konnte nicht dastehen und die anderen beobachten, wie sie noch am Boden lagen. Und außerdem war da etwas, das ihn tief in seinem Innern beschäftigte. Er blickte noch einmal auf die Schlafenden, dann verließ er den Kugelraum und machte sich langsam auf den Weg in die große Halle, die für seine Begriffe das Zentrum dieser Station bildete und sich irgendwo unter der Oberfläche von Caalis befinden mußte. Er konnte es nicht mit. Sicherheit sagen, nahm es aber an, denn sonst hätten sie die Anlage von der Luft aus sehen müssen. Er wußte selbst nicht, was er eigentlich erwartete. Er wußte ja nicht einmal, wieviel Zeit vergangen war, seitdem sie die Halle mit den beiden Loorden verlassen hatten. Wo waren die anderen der Unsterblichen? Bisher hatte er nur immer einen gesehen, auf der Projektionsfläche in der Halle. Wo waren die anderen? Er erreichte die große Halle und blieb im Eingang stehen. Und dann fühlte er grenzenlose Trauer in sich aufsteigen, als er den alten Mann auf den Knien sah, mit gesenktem Kopf in der Mitte der Halle. Er trug nicht mehr die alten, zerschlissenen Kleider,. sondern eine silbern schimmernde, nahtlos am Körper sitzende Kombination. Und der Körper, den sie bedeckte, war nicht der Körper eines Greises. Der Loorde, der Mann, der sie als scheinbar verkalkter Trottel auf ihrer phantastischen Reise begleitet hatte, kniete mit dem Rücken zu ihm vor dem Projektionsfeld, das nun nicht mehr hellgelb strahlte. Es gab auch kein Gesicht mehr darauf. Ohne sich seiner Bewegungen bewußt zu werden, ging Reed in die Knie und ließ sich hinter dem Alten auf den Boden sinken. In diesen Minuten spannte sich eine unsichtbare Brücke zwischen Loorde und Mensch. * Der Alte stand auf und drehte sich um. Reed hob den Kopf. Auf eine Geste des Loorden hin erhob auch er sich. „Er ist tot, nicht wahr?“ Der Mann in der silbernen Kombination nickte wortlos. „Was geschah, als ihr Loord verlassen hattet?“ „Die Androiden berichteten davon, wenn auch in Mythenform. Jene, die immun waren gegen die Seuche, erhielten die Unsterblichkeit. Sie wußten, daß der Wahnsinn ihre Gehirne packen würde, wenn sie, höchstens ein Dutzend, auf unsere Rückkehr warteten. Also legten sie sich in Tiefschlafkammern. Sie schufen Androiden, die die grundlegenden technischen Funktionen auf Loord aufrechterhielten und sie mit Energie versorgten. Es waren perfekte Androiden, zu perfekte. Sie entwickelten im Laufe der Jahrmillionen ein eigenes Rassenbewußtsein und hielten sich am Ende selbst für Loorden, für die Nachkommen jener, die sie geschaffen hatten, obwohl sie wissen mußten, daß dies nicht möglich war. Die Unsterblichen, zu deren Versorgung sie gedacht waren, wurden zu ihren Göttern. Und dann, lange Zeit später, wollten sie ihr eigenes Leben leben, jedenfalls ein Teil von ihnen. Als die ersten leeren Saatschiffe über Loord auftauchten, rebellierten sie. Den Rest kennst du.“ „Wieso dauerte es bei den Loorden Monate, bis die Krankheit, durchbrach, bei uns aber nur Tage?“ „Ihr seid empfindlicher, als wir es waren. Die Natur bringt niemals genaue Kopien hervor, Reed.“ Der Navy-Pilot schluckte. Hier hatte er die Bestätigung, nach der er gesucht hatte. „Der Planet, auf dem du die Rückkehr der Schiffe abgewartet hattest - war die Erde...“ „Ja, Reed.“ „Und die Primaten... unsere Vorfahren!“ „Das Programm sorgte dafür, daß ihre Gene entsprechend unseren Vorstellungen verändert wurden. Aber der Eingriff war nur unbedeutend. Deine Rasse hätte sich auch ohne uns entwickelt.“
„Wir sind also eure Geschöpfe“, stellte Reed mit plötzlicher Bitterkeit fest. Der alte Loorde schüttelte den Kopf. „Auf Tausenden von Planeten entstanden unsere ,Geschöpfe’, wir legten den Grundstein. Ihr aber wart auf dem Weg zur Intelligenz. Was wir dazu beitrugen, diente lediglich zur Beschleunigung dessen, was sowieso gekommen wäre.“ Reed war dankbar für die Worte. Er zeigte auf den leeren Schirm. „Die anderen... wo sind sie?“ „Er war der letzte Überlebende. Der Schock des plötzlichen Erwachens aus den Tiefschlafkammern hatte irgend etwas bewirkt, das die Lebensverlängerung wieder rückgängig machte. Niemand weiß, wie es geschah und was dahintersteckte. Und nun bin ich der letzte Loorde, Reed. Der letzte Mann eines einstmals so großen Volkes!“ Der Mensch spürte die Wehmut, die von seinem Gegenüber ausging. Er hätte gerne ein paar Worte des Trostes gesagt, aber er wußte, daß es diese Worte nicht gab. Der Loorde mußte allein mit seinem Schicksal fertig werden. Niemand konnte ihm die Last abnehmen, der letzte seiner Art zu sein. „Es ist Zeit, Abschied zu nehmen, Reed“, sagte der Alte. „Ich habe vieles zu tun und über ebenso vieles nachzudenken, und eure Zeit ist knapp. Für euch steht ein Schiff bereit, das euch auf die Erde zurücktragen wird, es ist entsprechend programmiert. Es befindet sich genügend Serum an Bord - in kleinen Kapseln. Ihr werdet es brauchen, wenn ihr euer Ziel erreicht habt. Und eines Tages werdet ihr das Erbe unserer Rasse fortsetzen. Die Loorden sind tot, aber sie leben in euch weiter, Reed!“ Reed schluckte. Er spürte, daß er den Tränen nahe war. Es fiel schwer, den alten Mann allein zu lassen, allein in dieser toten Station einer Welt, die für ihn einmal das Symbol der Unsterblichkeit seiner Rasse und der ewigen Erfüllung gewesen war. Unsterblich war er, aber er war dazu verdammt, sein Leben allein zu verbringen. Der Loorde schien seine Gedanken zu erraten, denn er reichte Reed die Hand und sah ihn lange an. Sein Blick schien aus einer anderen Welt zu kommen. Dann sagte er leise: „Wir werden uns wiedersehen, Reed! Wir sehen uns wieder auf Caalis, dem Caalis meines und deines Volkes.“ Und dann war er verschwunden. Die silbernschimmernde Gestalt hatte sich in Nichts aufgelöst. Welche Macht steckte in diesen Wesen? fragte sich Reed erschüttert. Und er dachte daran, daß die Menschheit der loordischen Programmierung folgen würde. Eines Tages würden sie ebenfalls Telepathie, Teleportation und vieles andere beherrschen. Aber zuerst mußte dafür gesorgt werden, daß sie nicht das Schicksal der Loorden teilten. Die Andeutung des Alten war klar genug gewesen: Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich das Virus auf der Erde ausgebreitet hatte, als die rückkehrenden Walzen sie gestreift hatten, war groß, sehr groß. Christopher Reed drehte sich abrupt um und ging zurück in die Kugel, wo seine drei Begleiter auf ihn warteten.
11. Auf den Schirmen schimmerte ein von Wolken überzogener blauer Planet. Deutlich konnte man die Landmassen der Kontinente und der großen Inseln ausmachen. „Sie ist wunderschön“, sagte Christine. Christopher Reed saß nur schweigend neben ihr und betrachtete den Monitor „seiner“ Kabine. Sie befanden sich wieder an Bord eines gewaltigen Diskusschiffs, noch größer als das, mit dem sie Caalis erreicht hatten. Und diesmal hatten sie sich während des Fluges wie zu Hause
gefühlt. Sie wußten, sie spürten, daß sie niemals mehr wie die anderen Menschen dort unten sein würden. Das, was sie erlebt hatten, hatte sie geprägt. Sie waren keine Genies, sondern einfache Menschen, aber sie standen den Wundern des Kosmos ein winziges Stück näher als alle anderen Menschen. „Ja, sie ist herrlich“, stimmte der Ex-Major zu. Dann legte er den Arm um die Frau und zog sie fest an sich. Christine war gesund, gesund wie Skip und wie Vanderbuilt. Und wie Reed. Innerhalb weniger Tage waren alle Deformationen verschwunden, und auch der Geist war wieder in Ordnung. Das Serum hatte gewirkt. „Chris“, setzte Reed zögernd zu einer Eröffnung an. „Ja?“ „Es gibt da eine Sache, die ich dir immer schon sagen wollte, aber es... na, du weißt, die Lage, in der wir...“ „Du wolltest mir sagen, daß du mich liebst. Und daß wir jetzt ein halbes Leben lang Urlaub auf einer verlassenen Insel in der Südsee machen. Und daß wir alles nachholen werden, was wir in den letzten Wochen entbehren mußten. Das war’s doch, oder?“ Reed war noch niemals in seinem Leben verlegen gewesen, wenn es um Frauen ging und darum, wie man ihnen am besten beikam. Aber jetzt sah er Christine an wie einen Geist. Schließlich stammelte er: „Äh... ja. Das ungefähr wollte ich sagen!“ Sie blickte ihn abwartend an. Langsam besann er sich seiner Rolle als Mann und fand zur gewohnten Selbstsicherheit zurück. Für Christopher Reed, Major der US-Navy, war es immer ein Abenteuer gewesen, eine „Neue“ kennenzulernen, aber diesmal war alles ganz anders. Was noch nie passiert war: Reed liebte diese Frau! Aber er wurde sich klar darüber, daß er sich lächerlich benahm. Er zog Christine mit der Linken noch näher zu sich heran, griff mit der freien Rechten in ihr langes Haar und sagte: „Genau das war es. Und je früher wir es nachholen, desto besser. Auf der Erde wartet eine Menge Arbeit auf uns, wenn wir erst einmal unten sind. Also...“ Er küßte sie, als sich die Kabinentür öffnete und Vanderbuilt erschien. Der zeigte sich peinlich berührt, als er sah, in was er hineingeplatzt war, und er wollte sich unter dem Gemurmel verschiedener Entschuldigungen zurückziehen. „Komm schon ‘rein!“ rief Reed und schüttelte mit verdrehten Augen den Kopf. „Es ist nur...“, begann Vanderbuilt, „... also, es sieht so aus, als ob wir landen würden...“ Reed sah auf den Monitor. Der Erdball war bedeutend größer geworden. „Wir sollten die Zeit, die uns bleibt, genießen“, meinte Reed, der sich, ebenso wie die anderen, in der Euphorie einer nie erhofften Rückkehr befand. „Das Schiff landet automatisch, wir brauchen uns um nichts zu kümmern. Es geht erst los, wenn wir unten sind.“ „Vielleicht sind schon alle tot“, murmelte Vanderbuilt. Reed sah dem Freund an, daß er Angst vor der Landung hatte und Gesellschaft suchte. Christine stand auf und meinte, sie müsse nach Skip sehen. Sie ließ die beiden Männer allein. „Entschuldige, Chris, wenn ich...“ „Du warst immer ein Kamel und wirst es immer bleiben!“ sagte Reed ein wenig verärgert. „Sie sind nicht tot, Harry“, beruhigte er dann den anderen. „Aber es ist höchste Zeit für uns, das Serum auf die Erde zu schaffen.“ „Woher willst du überhaupt wissen, wie es dort unten jetzt aussieht, von hier oben, eh?“ erkundigte sich Vanderbuilt. „Ich weiß es, Harry. Außerdem fingen wir ihren Funkverkehr auf. Ich weiß es eben. Frage nicht, wieso, es ist halt da. Es gibt so vieles, für das wir keine Erklärung haben, weil es allen herkömmlichen Weltbildern, die Menschen sich gemacht haben, widerspricht. Wie ist es möglich, daß seit unserer Entführung auf der Erde erst zwei Wochen vergingen? Einstein! Aber der Alte sagte es voraus, und die aufgefangenen Sendungen bestätigen es. Wir stehen an einem Neubeginn, Harry. Die UFOs sie waren nichts anderes als Beiboote der Walzen, die zur Kontrolle der genetischen Manipulationen auf der Erde zurückgelassen wurden. Als die Schiffe zurückkehrten, wurden sie aktiv. Schon vor fünfzig Jahren, bei der ersten großen UFO-Welle, muß ein Teil der heimkehrenden Saatflotte an der Erde vorbeigezogen sein. Es
sind Dinger aus totem Metall, aber die Boten einer neuen Zeit, einer neuen Welt jenseits unseres festgefahrenen Materialismus. Der Mensch hat seine Grenzen auf seinem Planeten erreicht, und er steht auf dem Sprung in den Kosmos. Wir bringen die Bausteine, um die Brücke zu bauen, Harry!“ Vanderbuilt sah ihn lange an und runzelte die Stirn. „Eine lange Rede, Chris. Und das Komische ist, daß ich anfange, dich zu begreifen. Trotzdem sollten wir leisetreten.“ Er machte ein gespielt unglückliches Gesicht, zog den zerknitterten kleinen Zettel aus der Brusttasche und betrachtete ihn wehmütig. Es würde lange dauern, bis sie die chaotischen Verhältnisse auf der Erde im Griff hatten, und selbst dann würden sie keine Ruhe finden. Das Schiff würde vor unzähligen Augen landen, und diesmal konnte niemand die unverrückbaren Tatsachen leugnen. Eines Tages würden Pioniere an Bord steigen, um den Weg der Loorden zu gehen. Und vielleicht würden sie irgendwann auf Caalis landen, um das fortzusetzen, was die Loorden vor langer Zeit begonnen hatten. Aber keiner der Heimkehrer ahnte, daß sie bereits mitten drin steckten in einer Entwicklung, die schon jetzt ihr weiteres Schicksal bestimmt hatte. Was hinter ihnen lag, war nur der Auftakt eines Abenteuers, dessen Ausmaß jede menschliche Phantasie überstieg. Schneller als sie glaubten, würden sie wieder auf Caalis stehen. Ihr Weg war vorgezeichnet, denn sie hatten auf Caalis an etwas gerüttelt, das eine halbe Ewigkeit geschlummert hatte. Am Ende dieses Weges würden sie keine Menschen in ihrem Sinne mehr sein. Vorerst aber lagen ihre Probleme dort unten auf der verseuchten Erde.
ENDE